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German Pages [440] Year 2011
Mikro-Ökonomie der Globalisierung
Industrielle Welt Schriftenreihe des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte Herausgegeben von Andreas Eckert und Joachim Rückert Band 80
Julia Laura Rischbieter Mikro-Ökonomie der Globalisierung
Julia Laura Rischbieter
Mikro-Ökonomie der Globalisierung Kaffee, Kauf leute und Konsumenten im Kaiserreich 1870–1914
2011 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Gedruckt mit Mitteln der VolkswagenStiftung
Für Armin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abruf bar.
Umschlagabbildung: „Perle vom Rhein“: Warenzeichen für Kaffee aus dem Warenzeichenblatt des Kaiserlichen Patentamtes: Louis Ellinghaus, Düsseldorf, Warenzeichenblatt (1910), S. 1168, Nr. 129917.
© 2011 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com
Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Druck und Bindung: Strauss GmbH, Mörlenbach Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-20772-4
Inhalt 1. Einleitung..................................................................................................................
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1.1. Die Globalisierung als Untersuchungsgegenstand ................................... 1.2. Eine produktzentrierte Interaktionsgeschichte ......................................... 1.3. Gliederung und Gang der Untersuchung ...................................................
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2. Die Transformationen der Kaffeemärkte bis in das frühe 20. Jahrhundert .....................................................................................................
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Spezifika der Pflanze und die Entwicklung des Kaffeeanbaus ................ Die Organisation des internationalen Kaffeegroßhandels ...................... Konsum und Verkauf ...................................................................................... Fazit: Grenzen der makroökonomischen Perspektive . ............................
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3. Die lokale Basis globalen Handel(n)s . .........................................................
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2.1. 2.2. 2.3. 2.4.
3.1. Kaffeehandel in Hamburg............................................................................... 65 3.1.1 Die Hamburger Kaffeegroßhandelsbranche .................................. 69 3.1.2 Hamburg, ein besonderer Standort? ............................................... 81 3.2. Institutioneller Wandel durch soziale Integration .................................... 90 3.2.1 Die institutionelle Neuorganisation des Hamburger . Kaffeehandels . ...................................................................................... 97 3.2.2 Information und Kooperation .......................................................... 116 4. Terminhandel. Des einen Glück ist des anderen Leid? . ....................... 132
4.1. Kaffeeterminbörsen: Geschäfte auf Zeit ..................................................... 134 4.2. Die Börsenreform: Terminhandel auf dem Prüfstand ............................. 161
5. Kaffeeproduktion. Eine neue Branche setzt sich durch . ..................... 183
5.1. Vertriebs- und Verkaufsstrategien der Bohnenkaffeebranche.................. 186 5.2. Kaffeewerbung: Exotische Vertrautheit? .................................................... 221
6. Popularisierung und Kommerzialisierung des Kaffeekonsums . ..... 250
6.1. Von Zahlen zu Aussagen – Zum quantitativen Kaffeekonsum . ............ 252 6.2. Motive und Orte: Diversifikation des Konsums ....................................... 265
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Inhalt
7. Kaffeekonflikte. Weltmarktverflechtung und Konsumpolitik . ........ 295 7.1. Valorisation: Globale Marktregulierung durch private Akteure ............ 299 7.2. Deutsche Kaffeepolitik oder „Was bedeutet die Preistreiberei . für das deutsche Volk?“ ................................................................................... 317 8. Resümee ................................................................................................................... 347 Quellen- und Literaturverzeichnis ....................................................................... 369 Abbildungsnachweis ................................................................................................. 411 Verzeichnis der Grafiken und Tabellen............................................................... 412 Symbollegende für die Grafiken . ......................................................................... 414 Abkürzungsverzeichnis . ........................................................................................... 415 Register ............................................................................................................................ 417 Danksagung ................................................................................................................... 427
1. Einleitung Konsum ist flüchtig. Aber während der Moment des Konsumierens schnell vorübergeht, sind die sozialen und ökonomischen Bedingungen, unter denen Konsumgüter produziert, verarbeitet, vermarktet sowie verkauft werden, von langer Dauer.1 So gesehen bestimmt der Prozess von der Herstellung bis zum Verkauf von Konsumgütern das Arbeitsleben eines großen Teils der Bevölkerung und das Konsumieren den Alltag aller. Wie man Arbeitsbedingungen gestaltet, welche Löhne angemessen sind und welchen Qualitätsanforderungen Konsumgüter entsprechen müssen, sind zentrale Fragen, um deren Antworten Unternehmer und Arbeiter, Konsumenten und Politiker seit der Entstehung der modernen Konsumgesellschaften im 19. Jahrhundert miteinander ringen und wegen derer sie gegeneinander kämpfen.2 Produktions- und Vertriebsstrukturen sind historisch gewachsen und nur schwer veränderbar. Die Möglichkeit, auf sie überhaupt Einfluss zu nehmen, scheint in den letzten Jahrzehnten zunehmend zu schwinden. Öffentliche Debatten werden immer häufiger mit dem Hinweis auf einen Sachzwang geführt: Es seien die Auswirkungen der Globalisierung, die ökonomische Handlungsspielräume einschränkten und nationalstaatliche Regulierungsmöglichkeiten verringerten. Ein historischer Prozess scheint die Handlungsmacht übernommen zu haben. Auf diese weit verbreitete Ansicht nahm Johannes Rau 2002 Bezug, als er sich fragte: „Kann man denn überhaupt etwas machen? Ist die Globalisierung nicht unbeeinflussbar, ist sie nicht wie ein Naturereignis, dem wir ausgeliefert sind?“ Rau verneinte beide Fragen, um zugleich darauf hinzuweisen, dass „neue politische Antworten“ gefunden werden müssten, denn „von der Globalisierung sind wir alle betroffen – noch bevor alle genau wissen, wie sie eigentlich funktioniert.“3 Dank einer Reihe wirtschaftshistorischer Studien wissen wir jedoch schon vieles über die Rahmenbedingungen dieses historischen Prozesses. Ein erster Schritt, ihn 1 Zu diesem Gegensatz von Konsum und Konsumgütererstellung vgl. Hannah Arendt, Denken ohne Geländer. Texte und Briefe, hrsg. v. Heidi Bohnet und Klaus Stadler, Bonn 2006, S. 188–194. 2 Vgl. allgemein Christopher A. Bayly, The Birth of the Modern World 1780–1914. Global Connections and Comparisons, Oxford 2004; Christian Kleinschmidt, Konsumgesellschaft, Göttingen 2008. Zum Kaiserreich vgl. Vera Hierholzer, Nahrung nach Norm. Regulierung von Lebensmittelqualität in der Industrialisierung 1870–1914, Göttingen 2009; Christoph Nonn, Verbraucherproteste und Parteiensystem im wilhelminischen Kaiserreich, Düsseldorf 1996. 3 Johannes Rau, „Chance, nicht Schicksal – die Globalisierung politisch gestalten“. Berliner Rede des Bundespräsidenten, gehalten am 13. Mai 2002 im Museum für Kommunikation in Berlin, S. 2.
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Einleitung
näher zu untersuchen, war, ihn zu vermessen.4 Es zeigte sich, dass insbesondere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Weltmärkte entstanden, die den heutigen in vielem ähneln. Umfang und Bedeutung von Kapitaltransaktionen über nationale Grenzen nahmen im Laufe des 19. Jahrhunderts ebenso sprunghaft zu wie der Konsum von Waren, die in weit entfernten Regionen produziert worden waren. All dies ermöglichten Innovationen wie die Dampfschifffahrt, die Telegrafie und das Telefon. Sie reduzierten die Kosten und die Zeit für den Transport von Gütern und Informationen auch über große Entfernungen hinweg. Globalisierung begegnet uns hier als stetige Entwicklung, die zudem durch eine „zunehmende internationale Interdependenz ökonomischer Transaktionen“5 gekennzeichnet ist. Wir erfahren also mittels der globalen Vermessung mehr über den historischen Prozess. Doch gerade dieser Ansatz gibt kaum konkrete Antworten auf die Frage nach dem Zusammenhang von globalen und lokalen Entwicklungen. Die Resultate allein stehen im Vordergrund und gerade nicht die gestaltenden Subjekte als Scharniere zwischen Strukturen, Objekten und Handlungsergebnissen. So routiniert aber die aktuelle Tagespresse Verbindungen zwischen lokalem Konsumentenverhalten und der globalen Produktionsverlagerung oder zwischen steigenden Rohstoffpreisen an den Terminbörsen und dem Versagen nationalstaatlicher Wirtschaftspolitik behauptet, so schwierig ist es für Historiker, diesen Zusammenhang analytisch unter Globalisierung zu fassen und dessen historische Entwicklungslinien aufzuzeigen. 2007 summierte Dietmar Rothermund: „Die Geschichte der Globalisierung […] wird sogar meist so geschrieben, als sei die Globalisierung ein allumfassender Sachzwang, dem sich niemand entziehen kann.“6 Sicherlich überzeichnet diese Äußerung eine Tendenz in der Forschung. Sie enthält jedoch zugleich einen wahren Kern. Denn darüber, inwiefern lokale Konsumkulturen, nationale Vertriebsweisen und globale Handelsstrukturen durch das Handeln von Akteuren miteinander in Bezug stehen, wissen wir bisher wenig. Der Frage nach der Bedeutung des ökonomischen Verhaltens einzelner Wirtschaftssubjekte für eine sich globalisierende Welt geht dieses Buch nach. Anhand des globalen Handels mit dem Rohstoff Kaffee und dessen nationalem Vertrieb, Verkauf und Konsum im deutschen Kaiserreich wird diskutiert, welche Relevanz lokalen Akteuren und den von ihnen geschaffenen Institutionen in der Transformation des globalen Kaffeehandels zukam, inwiefern die Integration der globalen Kaffeeökono4 Vgl. Kevin O’Rourke und Jeffrey G. Williamson, Globalization and History. The Evolution of a Nineteenth-Century Atlantic Economy, London 1999. 5 Cornelius Torp, Weltwirtschaft vor dem Weltkrieg. Die erste Welle ökonomischer Globalisierung vor 1914, in: Historische Zeitschrift 279 (2004), S. 563–609, hier S. 566. 6 Dietmar Rothermund, Globalgeschichte als Interaktionsgeschichte. Von der Außereuropäischen Geschichte zur Globalgeschichte, in: Birgit Schäbler (Hg.), Area Studies und die Welt. Weltregionen und neue Globalgeschichte, Wien 2007, S. 194–214, hier S. 198.
Einleitung
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mie den deutschen Markt, seine nationalen Vertriebswege und die lokalen Konsumgewohnheiten veränderte und vor welche Herausforderungen diese Veränderungen Unternehmen, Konsumenten und Politik im deutschen Kaiserreich stellten. Zwar existierte im Untersuchungszeitraum kein umfassender Begriff wie derjenige der Globalisierung, um die verschiedenen, aber in einen kausalen Zusammenhang gestellten Prozesse auf einen Nenner zu bringen. Themen wie Weltmarktverflechtung, Konsumbesteuerung durch Zölle sowie die Handlungsspielräume der Börsenhändler waren aus der Perspektive der Zeitgenossen aber voneinander abhängige Faktoren. Das aufeinander bezogene Handeln und Verhalten der Marktteilnehmer trieb Globalisierungsprozesse voran, nahm sie auf, schwächte sie ab oder verhinderte sie. In diesem Sinne gelten Kaufleute, Einzelhändler, Börsenspekulanten und Konsumenten als die zentralen Akteure in Globalisierungsprozessen und insofern behandelt dieses Buch die „Mikro-Ökonomie“ der Globalisierung.7 Studien über die Vermessung des Welthandels mittels statistischer Daten, über die Auswirkungen der Globalisierung auf die nationale Politik oder über Unternehmen, die sich ein internationales Geschäftsfeld erschlossen, werden damit nicht relativiert.8 Es geht vielmehr darum, deren Blick auf die Globalisierung um einen Ansatz zu ergänzen, der den Prozess nicht voraussetzt oder in dem nicht per se international agierende Akteure als Analysegegenstand dienen. Trotz der jeweils umfangreichen Literatur zur Geschichte des Konsums einerseits und der Geschichte der Globalisierung andererseits existiert eine Leerstelle zwischen diesen beiden Forschungsrichtungen, die nur durch einen interdisziplinären Zugang geschlossen werden kann. Die wirtschaftshistorische Globalisierungsforschung widmet sich dem überregionalen Phänomen der globalen Ökonomie und argumentiert vorrangig auf der Basis makroökonomischer Daten. Konsumhistorische Studien untersuchen hingegen in erster Linie den Wandel von Konsumpraktiken und -moden anhand einzelner sozialer Gruppen 7 „Mikro-Ökonomie“ ist angelehnt an die Bezeichnung eines Teilbereichs der Volkswirtschaftslehre, der Mikroökonomie. Die mikroökonomische Analyse konzentriert sich auf einen Ausschnitt des Wirtschaftens, argumentiert dabei auf der Basis deterministischer Modelle, realitätsferner Annahmen und dies in der Regel in Bezug auf eine sich isoliert verändernde, aber sachlich immer gleichbleibende Größe des Marktgeschehens. Vgl. u. a. Winfried Reiß, Mikroökonomische Theorie. Historisch fundierte Einführung, 6. Aufl., München 2007. Diese Sichtweise ist für eine geschichtswissenschaftliche Untersuchung natürlich nicht angemessen, da sie insbesondere differentielle sozioökonomische Positionen der Akteure sowie die Kontingenz und den Kontext historischer Entwicklungen ausblendet. 8 Vgl. zum Kaiserreich Sebastian Conrad, Globalisierung und Nation im deutschen Kaiserreich, München 2006; Angelika Epple, Das Unternehmen Stollwerk. Eine Mikrogeschichte der Globalisierung, Frankfurt/M. und New York 2010; Cornelius Torp, Die Herausforderungen der Globalisierung. Wirtschaft und Politik in Deutschland 1860– 1914, Göttingen 2005.
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Einleitung
auf der lokalen Ebene. Konzeptionell muss daher erst ein beide Forschungsgegenstände verbindender Ansatz entwickelt werden, um der hier verfolgten These über die Handlungskompetenz von (sozialen) Akteuren für die Globalisierung nachgehen zu können.
1.1. Die Globalisierung als Untersuchungsgegenstand Die Geschichtswissenschaft hat sich in den letzten Jahren im Rahmen der World History oder der Global History methodisch mit Phänomenen der Globalisierung auseinandergesetzt. Meint Weltgeschichte die Geschichte aller Zivilisationen und ihres Vergleichs, so fragt Globalgeschichte nach globalen Strukturen, konkreten Interaktionen und der Entwicklung eines globalen Bewusstseins.9 Zudem ist eine Reihe von Studien entstanden, die Globalisierung historisieren oder als Perspektive auf die jeweiligen Forschungsgegenstände einbeziehen.10 Zwar variieren die Begriffsbestimmungen im Rahmen dieser Untersuchungen,11 doch lässt sich festhalten, dass Globalisierung als Transformationsprozess zu einem Teilbereich historischer Analysen geworden ist. Auch in Deutschland wurde vor allem unter dem Begriff transnationale Geschichte Globalisierung als Perspektive auf die deutsche Geschichte angewendet.12 Gefragt wird dabei nach Relationen, Abhängigkeiten oder Transfers über nationale
9 Vgl. Sebastian Conrad, Andreas Eckert und Ulrike Freitag (Hg.), Globalgeschichte. Theorien, Ansätze, Themen, Frankfurt/M. und New York 2007; Patrick Manning, Navigating World History. Historians Create a Global Past, New York 2003. 10 Vgl. Bayly (2004); Arif Dirlik, Global Modernity. Modernity in the Age of Global Capitalism, London 2007; Barry K. Gills und William R. Thompson (Hg.), Globalization and Global History, London 2006; Alexander Nützenadel und Frank Trentmann (Hg.), Food and Globalization. Consumption, Markets and Politics in the Modern World, Oxford und New York 2008; Jürgen Osterhammel und Niels P. Petersson, Geschichte der Globalisierung. Dimensionen, Prozesse, Epochen, München 2003. 11 Vgl. zum Beispiel die Studien von Sebastian Conrad (2006) und Cornelius Torp (2005), die zwar beide denselben geographischen Raum und diesen im selben Zeitraum (dem des deutschen Kaiserreichs) untersuchen, doch sehr unterschiedliche Begriffsbestimmungen von Globalisierung als Grundlage ihrer Untersuchungen wählen. 12 Vgl. Sebastian Conrad, Doppelte Marginalisierung. Plädoyer für eine transnationale Perspektive auf die deutsche Geschichte, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002) 1, S. 145–169; Jürgen Osterhammel, Transnationale Gesellschaftsgeschichte. Erweiterung oder Alternative?, in: Geschichte und Gesellschaft 27 (2001) 3, S. 464–479; Kiran Klaus Patel, Nach der Nationalfixiertheit. Perspektiven einer transnationalen Geschichte, Berlin 2004.
Die Globalisierung als Untersuchungsgegenstand
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Grenzen hinweg.13 Dieses Erkenntnisinteresse unterscheidet die transnationale Perspektive von anderen Forschungsansätzen wie zum Beispiel der Diplomatiegeschichte und verbindet sie mit der Geschichte der internationalen Beziehungen und des Internationalismus oder den Postcolonial Studies.14 Studien zur deutschen Kolonialgeschichte haben insbesondere nach der Wahrnehmung von Alterität gefragt und Perzeptionsräume oder kulturelle Transfers auch auf der Suche nach dem Kolonialen in den Metropolen analysiert.15 Gemeinsames Merkmal einer transnationalen Geschichte ist also nicht ein einheitliches Theorie- oder Methodenprogramm.16 Vielmehr verbindet sie die Absicht, die Nationalgeschichte mittels diskursiv oder real grenzüberschreitender Analysegegenstände zu kontextualisieren.17 So leitete die American Historical Review eine Debatte über transnationale Ansätze mit dem Hinweis ein, dass sie in Gefahr seien, „more a label than a practice, more expansive in its meaning than precise in its application, more a fashion of the moment than a durable approach to the serious study of history“18 zu werden. Dementsprechend lässt sich aus 13 Sebastian Conrad und Jürgen Osterhammel, Einleitung, in: dies. (Hg.), Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871–1914, Göttingen 2004, S. 7–27, hier S. 14. 14 Zu den neueren Ansätzen der internationalen Geschichte vgl. Eckart Conze, Ulrich Lappenküper und Guido Müller (Hg.), Geschichte der internationalen Beziehungen. Erneuerung und Erweiterung einer Disziplin, Köln 2004. Zur Geschichte des Internationalismus vgl. Martin H. Geyer und Johannes Paulmann (Hg.), The Mechanics of Internationalism. Culture, Society and Politics from the 1840s to the First World War, Oxford 2001. Zu den Postcolonial Studies vgl. Sebastian Conrad und Shalini Randeria (Hg.), Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt/M. und New York 2002; Robert Young, Postcolonialism. An Historical Introduction, Oxford 2001. 15 Vgl. Alexander Honold und Klaus R. Scherpe (Hg.), Mit Deutschland um die Welt. Eine Kulturgeschichte des Fremden in der Kolonialzeit, Stuttgart und Weimar 2004; Birthe Kundrus (Hg.), Phantasiereiche. Zur Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus, Frankfurt/M. und New York 2003. 16 Vgl. Gunilla Budde, Sebastian Conrad und Oliver Janz (Hg.), Transnationale Geschichte. Themen, Tendenzen und Theorien, Göttingen 2006. 17 Zu den recht unterschiedlichen methodischen Vorgehensweisen vgl. u. a. Matthias Middell, Kulturtransfer und Historische Komparatistik – Thesen zu ihrem Verständnis, in: Comparativ 10 (2000), S. 7–41; Dietmar Rothermund, Globalgeschichte und Geschichte der Globalisierung, in: ders., Margarethe Grandner und Wolfgang Schwentker (Hg.), Globalisierung und Globalgeschichte, Wien 2005, S.12–35; Michael Werner und Bénédict Zimmermann, Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz der Histoire croisée und die Herausforderung des Transnationalen, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002) 4, S. 607–636. 18 AHR Conversation, On Transnational History, Participants: C. A. Bayly, Sven Beckert, Matthew Connelly, Isabel Hofmeyr, Wendy Kozol, Patricia Seed in: The American Historical Review 111 (2006) 5, S. 1441–1464, hier S. 1441.
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Einleitung
der Summe der global- oder welthistorischen Ansätze sowie den explizit als Perspektiverweiterung verstandenen transnationalen Studien kein konkretes Konzept oder eine Methode für die Untersuchung von Globalisierungsprozessen herausdestillieren. Hingegen sind wirtschaftshistorische Untersuchungen zur Geschichte der Globalisierung konzeptionell eindeutiger. Hier wird Globalisierung als wirtschaftlicher Prozess der Entstehung einheitlicher und weltweit integrierter Güter-, Faktor- und Kapitalmärkte definiert.19 Im 19. Jahrhundert betraf dies vor allem die Agrarmärkte. Baumwolle, Zucker, Kaffee, Getreide, Fleisch und andere Agrargüter spielten für den Welthandel quantitativ noch eine größere Rolle als Industriegüter, deren grenzüberschreitender Austausch auf Europa und Nordamerika begrenzt blieb.20 Anhand des Umfangs und der Intensität der ökonomischen Austauschbeziehungen lässt sich Globalisierung als Prozess periodisieren: Waren wurden, wenn sie in einer Region knapp waren, schon immer mit anderen Gütern aus anderen Regionen ausgetauscht. Bis in das erste Drittel des 19. Jahrhunderts konzentrierte sich der Fernhandel aber aufgrund erheblicher Transportkosten auf wenige Luxuswaren. Viele Regionen der Welt nahmen überhaupt nicht am internationalen Güteraustausch teil. Obwohl schon immer Menschen, Güter und Ideen weite geografische Distanzen überwunden haben, ist es nicht plausibel, davon auszugehen, dass Globalisierung ein jahrhundertealtes Phänomen ist.21 Zu einer Expansion des Welthandels und der Integration von Marktbeziehungen von bis dahin national bzw. regional strukturierten Wirtschaftsräumen 19 Vgl. Kevin O’Rourke und Jeffrey G. Williamson, Globalization and History. The Evolution of a Nineteenth-Century Atlantic Economy, London 1999. 20 Zur Konvergenz der Güterpreise und Faktoreinkommen ab 1850 vgl. ebd. Für einen Überblick zur Gütermarktintegartion vgl. Ronald Findlay und Kevin O’Rourke, Commodity Market Integration 1500–2000, in: Michael D. Bordo, Alan M. Taylor und Jeffrey G. Williamson, Globalization in Historical Perspective, Chicago und London 2005, S. 13–64. Für vergleichende Daten zu global gehandelten Waren in der Frühen Neuzeit vgl. Kirti N. Chaudhuri, Trade and Civilisation in the Indian Ocean. An Economic History from the Rise of Islam to 1750, Cambridge u. a. 1980. 21 So zum Beispiel Roland Robertson und Kathleen E. White, Globalization. An Overview, in: dies. (Hg.), Globalization, Bd. 1: Analytical Perspectives, London 2003, S. 1–44, S. 8. Dass Globalisierung vor 5000 Jahren eingesetzt habe, konstatieren Andre Gunder Frank und Barry Gills (Hg.), The World Systems: Five Hundred Years or Five Thousand, London und New York 1993; Jürgen Osterhammel und Niels P. Petersson datieren den Beginn von Globalisierungsprozessen auf um 1500, vgl. dies. (2003). Hingegen beginnt für Wolf Schäfer Globalisierung erst ab den 1950er Jahren, vgl. ders., The New Global History. Toward a Narrative for Pangaea Two, in: Erwägen – Wissen – Ethik 14 (2003) 1, S. 75–88. Überwiegend wird aber das 19. Jahrhundert als Zeitabschnitt bewertet, in dem mehrheitlich die Merkmale von Globalisierung deutlich werden, vgl. zum Beispiel Knut Borchardt, Globalisierung in historischer Perspektive, München 2001; Michael Geyer und Charles Bright, World History in a Global Age, in: American Historical Review 100 (1995), S. 1034–1060; O‘Rourke und Williamson (1999);
Die Globalisierung als Untersuchungsgegenstand
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kam es erst im Zuge der Transport- und Kommunikationsrevolution während des 19. Jahrhunderts.22 Legt man die Weltexportquote als wichtigen Indikator globaler Marktverflechtung zugrunde, so war um 1880 bereits ein ebenso hohes Niveau wie in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts erreicht.23 Dazwischen lagen die beiden Weltkriege, die eine ganz andere Art der Verflechtung, nämlich globale Interaktion in ihrer aggressivsten Form darstellen. Gemäß der wirtschaftshistorischen Perspektive ließe sich der ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts beschleunigte Wandel des Weltkaffeehandels im Zuge von steigendem Angebot und sich erhöhender Nachfrage als Teil von Globalisierungsprozessen beschreiben.24 So wichtig eine solide Datenbasis zur Erfassung weltwirtschaftlicher Zusammenhänge ist, so begrenzt sind aber die qualitativen Befunde, die sich aus den historischen Datenreihen zu Preisen und Handelsvolumina ableiten lassen: Dass Preise sich anglichen und Anbaumengen wie Konsumtionszahlen stiegen, kann als Tatsache beobachtet werden, die Daten erklären aber weder die tieferen Ursachen dieser Entwicklung noch ihre gesellschaftlichen Auswirkungen. Die ökonomischen Ansätze, Globalisierungsprozesse zu untersuchen, werden durch eine Reihe von Studien unterschiedlichen Zuschnitts ergänzt. Sie zeigen, dass die enorme Expansion des globalen Handels auch auf politische Prozesse wie die Beseitigung von Handelshemmnissen (Handelsverträge mit Meistbegünstigungsklausel als Grundlage für Freihandelszonen) zurückzuführen ist. Ebenso spielten Handelserleichterungen wie die Einführung des Goldstandards (was die Konvertierbarkeit der Währungen vereinfachte), die Gründung internationaler Vereinigungen (zum Beispiel Weltpostverein), Standardisierungen (wie die Einführung des metrischen Systems 1875) und eine verbesserte Infrastruktur (Telegrafie, Telefon, Eisenbahn, Dampfschiffe) eine wichtige Rolle.25 Zudem ist darauf hingewiesen worden, dass das
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Richard Tilly, Globalisierung aus historischer Sicht und das Lernen aus der Geschichte, Köln 1999. Vgl. James Foreman-Peck, A History of the World Economy. International Economic Relations since 1850, Brigthon 1983; Paul Bairoch, Economics and World History. Myths and Paradoxes, Chicago 1993; Wolfram Fischer, Expansion, Integration, Globalisierung. Studien zur Geschichte der Weltwirtschaft, Göttingen 1998. Vgl. Kevin H. O’Rourke und Jeffrey G. Williamson, When did Globalisation begin?, in: European Review of Economic History 6 (2002), S. 23–50. Zum Kaffeemarkt vgl. Steven Topik, Integration of the World Coffee Market, in: ders. und William Gervase Clarence-Smith (Hg.), The Global Coffee Economy in Africa, Asia and Latin America, 1500–1989, Cambridge 2003, S. 21–49. Vgl. Wolfram Fischer, Die Ordnung der Weltwirtschaft vor dem Ersten Weltkrieg. Die Funktion von europäischem Recht, zwischenstaatlichen Verträgen und Goldstandard beim Ausbau des internationalen Wirtschaftsverkehr, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften 95 (1975), S. 89–304; Martin H. Geyer, One Language for the World. The Metric System, International Coinage, Gold Standard, and the Rise of Internationalism, 1850–1900, in: ders. und Paulmann (2001), S. 55–92, Dwayne R. Winseck
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Einleitung
19. Jahrhundert nicht allein durch eine zunehmende Verflechtung von Wirtschaftsräumen, sondern auch durch eine Territorialisierung von sozialen Beziehungen in politisch-geografischen Einheiten geprägt war.26 Der Nationalstaat und die in seinem Interesse propagierten wirtschaftspolitischen Programme (von der Deregulierung bis zur staatlichen Intervention und Marktregulierung) bestimmten weit mehr als lediglich die Rahmenbedingungen ökonomischen Handelns.27 Insofern müssen der Staat und seine Vertreter als gewichtige Akteure auch in der Untersuchung von (wirtschaftlichen) Globalisierungsprozessen Berücksichtigung finden.28 Damit kann festgehalten werden, dass die quantifizierbaren ökonomischen Austauschbeziehungen nur einen Teil dessen ausmachen, was mehrheitlich unter Globalisierung als umfassendem Transformationsprozess verstanden wird. Für die Analyse von Konsumkulturen eignet sich eine auf ökonomische Prozesse der Globalisierung verengte Sichtweise nicht.29 Wird Globalisierung als „eine tendenziell weltweite Ausdehnung wirtschaftlicher Aktivitäten und Netzwerke, eine wachsende Intensität von Waren und Dienstleistungs-, Arbeitskraft- und Kapitalströmen über staatliche Grenzen hinweg“30 definiert, reduziert sich in der Folge die Untersuchung von Konsum auf wachsende Quantitäten und die zunehmende geographische Verbreitung produzierter, gehandelter und verbrauchter Waren. Konsum wird verkürzt auf die Nachfrage von Individuen und Haushalten, die auf die Entnahme von Gütern oder Dienstleistungen zum Verbrauch und zur Abnutzung auf dem Markt gerichtet ist.31 Seit der frühen Neuzeit entwickelten sich aber gerade auch durch den
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und Robert M. Pike, Communication and Empire. Media, Markets, and Globalization, 1860–1930, Durham 2007. Vgl. Charles S. Maier, Consigning the Twentieth Century to History: Alternative Narratives for the Modern Era, in: American Historical Review 105 (2000) 3, S. 807–831; Bayly (2004). Vgl. Sassen (2008). Zur nationalstaatlichen Wirtschaftspolitik als spezifischer Reaktion auf Globalisierungsprozesse vgl. O‘Rourke und Williamson (1999), S. 77–118; Andrea Weindl, Wer kleidet die Welt? Globale Märkte und merkantile Kräfte in der europäischen Politik der frühen Neuzeit, Mainz 2007. Zum Einfluss der weltwirtschaftlichen Verflechtungen auf die Handlungsspielräume von deutscher Außenhandelspolitik vgl. Torp (2005). Insbesondere Studien, die auf die Theorie des internationalen Handels rekurrieren, untersuchen Ursachen und Konsequenzen ökonomischer Globalisierung und versuchen politische Reaktionsmuster zu bestimmen, vgl. etwa Elhanan Helpman und Paul Krugman, Market Structure and Foreign Trade, Cambridge 1985. Vgl. u. a. Berch Berberoglu, Globalization of Capital and the Nation-State. Imperialism, Class Struggle, and the State in the Age of Global Capitalism, Lanham u. a. 2003. Torp (2004), S. 565 f. Zur volkswirtschaftlichen Definition von Konsum vgl. Norbert F. Schneider, Konsum und Gesellschaft, in: ders. und Doris Rosenkranz (Hg.), Konsum. Soziologische, ökonomische und psychologische Perspektiven, Opladen 2000, S. 9–23, S. 11. Zur Begriffs-
Die Globalisierung als Untersuchungsgegenstand
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Umgang mit Waren charakteristische Merkmale der europäischen Gesellschaften, die sich mit der volkswirtschaftlichen Definition von Konsum nicht beschreiben lassen. Konsumhistorische und soziologische Untersuchungen haben den Begriff Konsum deshalb stark erweitert. Konsumieren gilt hier als „soziales Handeln mit umfassenden gesellschaftlichen und individuellen Funktionen“.32 Damit lassen sich der Wandel hin zu modernen Konsumgesellschaften und die einzelnen Praktiken des Konsumierens in die Untersuchung integrieren. Indem Konsumerfahrungen und deren Bedeutung für das Alltagsleben der Konsumenten Berücksichtigung finden, fragt die Konsumgeschichte nicht allein nach dem Wann und Wieviel, sondern auch danach, „wie Konsum die Gesellschaft strukturell, in den formellen Beziehungen und institutionellen Formen, in der alltäglichen Interaktion und in den Ritualen differenziert und integriert hat“.33 Hier sind Daten über den unmittelbaren Akt des Verbrauchs oder die Höhe der Nachfrage bloße Ausgangspunkte für die Analyse, in deren Zentrum die Konsumenten, ihre Handlungsmöglichkeiten und ihre Aneignungspraktiken stehen. Die diesen Bereich der Forschung vorantreibenden Fragen nach der Bedeutung von Distinktion, Nachahmung oder Geschlechterrollen als Katalysatoren von Konsumentwicklungen und Verbrauchermoden werden jedoch zu oft allein an bestimmten sozialen Gruppen exemplifiziert und an ausgewählten geographischen Einheiten analysiert.34 Die unterschiedlichen Tendenzen von wirtschaftshistorischen und konsumhistorischen Ansätzen lassen sich gut an der bisherigen Literatur zu Kaffee demonstrieren: Auf sehr unterschiedliche Art und Weise widmet sich eine Legion von Ausstellungskatalogen, populärwissenschaftlichen Büchern und wissenschaftlicher Literatur
geschichte vgl. Ulrich Wyrwa, Consumption, Konsum, Konsumgesellschaft. Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte, in: Hannes Siegrist, Hartmut Kaelble und Jürgen Kocka (Hg.), Europäische Konsumgeschichte. Zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des Konsums (18. bis 20. Jahrhundert), Frankfurt/M. und New York 1997, S. 747–762. 32 Schneider (2000), S. 12; vgl. ebenso Michael Wildt, Die Kunst der Wahl. Zur Entwicklung des Konsums in Westdeutschland in den 1950er Jahren, in: Siegrist, Kaelble und Kocka (1997), S. 307–325, hier S. 317. 33 Hannes Siegrist, Konsum, Kultur und Gesellschaft im modernen Europa, in: ders., Kaelble und Kocka (1997), S. 13–48, hier S. 13. 34 Ein Beispiel für eine regionale Ausrichtung ist Jörg Ludwigs Studie Amerikanische Kolonialwaren in Sachsen 1700–1850, Leipzig 1998. Ausnahmen sind zum Beispiel John Brewer und Roy Porter (Hg.), Consumption and the World of Goods, London 1993; Peter N. Stearns, Consumerism in World History. The Global Transformation of Desire, London 2001; Peter Jackson, Phil Crang und Claire Dwyer, Transnationalism and the spaces of commodity culture, in: Progress in Human Geography 27 (2003) 4, S. 438–56; John Brewer und Frank Trentmann (Hg.), Consuming Cultures, Global Perspectives. Historical Trajectories, Transnational Exchanges, Oxford 2006.
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diesem Thema.35 Schon 1980 bemerkte Hans-Jürgen Teuteberg, dass sich „leider […] der größte Teil dieser Kaffeeliteratur in hübschen Bildern und geschwätzigen Anekdoten, deren Wahrheitsgehalt nicht immer überprüfbar ist“,36 erschöpft – eine Aussage, die auch auf viele der in den folgenden dreißig Jahren erschienenen Publikationen zutrifft. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung dominieren hingegen Abhandlungen zu bestimmten Teilaspekten, wie zum Beispiel der Rolle des Kaffeehauses für die bürgerliche Öffentlichkeit.37 Die thematisch breitesten Darstellungen, die Anbau, Handel und Konsum gleichberechtigt berücksichtigen, sind vor über siebzig Jahren erschienen oder konzentrieren sich auf eine Analyse der jeweils zeitgenössischen Situation.38 In den aktuelleren Studien steht die Frage nach dem Wandel von Konsumkulturen innerhalb europäischer Gesellschaften durch den Verbrauch von Kolonialwaren im Mittelpunkt. Diese Arbeiten orientieren sich an kulturwissenschaftlichen oder sozialhistorischen Fragestellungen wie der Veränderung von Klassenlagen und schichtspezifischen Konsumgewohnheiten durch den Konsum von Luxusartikeln39 oder gehen zum Beispiel Norbert Elias’ These von der Verfeinerung der Sitten am Beispiel von Kolonialwaren nach.40 Ihr zeitlicher Schwerpunkt spannt 35 Für eine (unsystematische) rein alphabetische Auflistung der Literatur zu Kaffee aus vier Jahrhunderten ohne Register vgl. Holger Hasenkamp und Richard v. Hünersdorff (Hg.), Coffee. A Bibliography. A Guide to the Literature on Coffee, 2. Bde., London 2002. Zuletzt hat Christian Hochmuth die Literatur zu Kaffee zusammengestellt, vgl. ders., Globale Güter – lokale Aneignung. Kaffee, Tee, Schokolade im frühneuzeitlichen Dresden, Konstanz 2008, S. 21–24. 36 Hans Jürgen Teuteberg, Kaffeetrinken sozialgeschichtlich betrachtet, in: Scriptae Mercaturae 14 (1980) 1, S. 27–54, hier S. 28. 37 Vgl. u. a. Jean-Claude Bologne, Histoire des cafés et cafétiers, Paris 1993; John Burnett, Liquid Pleasures. A social History of Drinks in Modern Britain, London 1999; Gérard-Georges Lemaire, Les Café littéraires, Paris 1987. 38 Vgl. William Harrison Ukers, All about coffee, New York 1922; Heinrich Eduard Jacob, Sage und Siegeszug des Kaffees. Die Biographie eines weltwirtschaftlichen Stoffes, Hamburg 1934; C. F. Marshall, The World Coffee Trade. A Guide to the Production, Trading and Consumption of Coffee, Cambridge 1983. 39 Vgl. u. a. Peter Albrecht, Coffee-Drinking as a Symbol of Social Chance in Continental Europe in the Seventeenth and Eighteenth Centuries, in: John W. Yolton und Leslie Ellen Brown (Hg.), Studies in Eighteenth-Century Culture, Bd. 18, Michigan 1988, S. 91–103; Ulla Heise und Beatrix Wolf-Metternich (Hg.), Coffeum wirft die Jungfrau um. Kaffee und Erotik in Porzellan und Grafik aus drei Jahrhunderten, Leipzig 1998; Roman Sandgruber, Bittersüße Genüsse. Kulturgeschichte der Genußmittel, Wien, Köln und Graz 1986; Antoinette Schnyder-von Waldkirch, Wie Europa den Kaffee entdeckte. Reiseberichte der Barockzeit als Quellen zur Geschichte des Kaffees, Zürich 1988; Simon D. Smith, Accounting for Taste. British Coffee Consumption in Historical Perspective, in: Journal of Interdisciplinary History 27 (1996) 2, S. 183–214. 40 Annerose Menninger, Genuß im kulturellen Wandel. Tabak, Kaffee, Tee und Schokolade in Europa. 16.–19. Jahrhundert, Stuttgart 2004.
Die Globalisierung als Untersuchungsgegenstand
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sich vom 17. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Daneben gibt es eine Vielzahl von Studien, die die Kaffeekultivierung und die Anbauländer behandeln und nach den ökonomischen, ökologischen oder sozialen Konsequenzen für die Kaffee anbauenden Gesellschaften fragen.41 Mehrheitlich lassen sich die Arbeiten zum Kaffee somit entweder dem Bereich des Anbaus oder dem der Konsumtion zuordnen. So gut wie nichts wissen wir hingegen über den internationalen Handel und den nationalen und regionalen Vertrieb von Kaffee vom letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Zuletzt hat dies eine Studie aus den 1920er Jahren überhaupt zusammenhängend thematisiert.42 Überspitzt formuliert stehen also wirtschaftshistorische und konsumhistorische Studien in einem direkten Ausschlussverhältnis zueinander: Erstere widmen sich dem überregionalen Phänomen der globalen Ökonomie. Konsumhistorische Studien untersuchen hingegen fast ausschließlich den Wandel von Komsumpraktiken und Verbrauchermoden fokussiert auf einzelne soziale Gruppen auf der lokalen Ebene. Durch die gewählten Fragestellungen, Analyseinstrumentarien, Untersuchungsgegenstände und nicht zuletzt durch die unterschiedlichen räumlichen Zuschnitte, auf die sich die Untersuchungen beziehen, stehen sie zumeist unvermittelt nebeneinander. Mögliche Verbindungen von wirtschaftshistorischen mit kulturwissenschaftlichen Fragestellungen sind zwar in einigen programmatischen Aufsätzen skizziert worden. Doch wurden diese Vorschläge in keiner Studie umfassend verfolgt.43 Die Interdependenz und Interferenz der sich beschleunigenden Verbreitung international gehandelter Verbrauchsgüter – wie etwa Kaffee – mit den verschiedenartigen Kontexten ihres Konsums fand bisher kaum Beachtung. Es ist also zu klären, wie sich die konsumhistorischen Perspektiven mit den Ansätzen der ökonomischen Globalisierungsforschung methodisch verbinden lassen, statt ihre Ergebnisse schlicht zu addieren. Nur in einer systematischen Verknüpfung der 41 Vgl. Johannes de Graaff, The Economics of Coffee, Wageningen 1986; Jeffery Paige, Coffee and Power. Revolution and the Rise of Democracy in Central America, Cambridge (Mass.) 1997; William Roseberry, Lowell Gudmundson und Mario Samper Kutschbach (Hg.), Coffee, Society, and Power in Latin America, Baltimore und London 1995; Robert Williams, States and Social Evolution: Coffee and the Rise of National Governments in Central America, Chapel Hill und London 1995. 42 Vgl. Ukers (1922). 43 Vgl. Volker Wünderich, Die Kolonialware Kaffee von der Erzeugung in Guatemala bis zum Verbrauch in Deutschland. Aus der transatlantischen Biographie eines „produktiven“ Genußmittels, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (1994) 1, S. 37–60; ders., Zum globalen Kontext von Konsumgesellschaft und Konsumgeschichte. Kritische und weiterführende Überlegungen, in: Siegrist, Kaelble und Kocka (1997), S. 793–810. Eine Ausnahme bildet der Sammelband von Roman Rossfeld (Hg.), Genuss und Nüchternheit. Geschichte des Kaffees in der Schweiz vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Baden 2002.
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beiden Ansätze ist es möglich, zu analysieren, welche Wechselwirkungen zwischen weltwirtschaftlichen Prozessen und Konsumkulturen die jeweiligen Akteure durch ihr Handeln ermöglicht und erzeugt haben. Beide Forschungsperspektiven sind aber insofern eng miteinander verknüpft, als sie aufeinander bezogene Teilbereiche des Marktgeschehens untersuchen. Es bietet sich daher an, den Gegensatz zwischen den an Strukturen auf der Makroebene interessierten ökonomischen Studien und der zumeist auf der Mikro- oder Mesoebene ansetzenden Konsumforschung über eine Präzisierung des Marktbegriffs aufzuheben. In wirtschaftswissenschaftlichen Modellen findet Marktintegration ihren Ausdruck unter anderem im Konvergenzgrad des Preises. Letzterer wird aber durch die Summe der Tätigkeiten einzelner Akteure bestimmt, die sich damit für bestimmte Handlungen und gegen andere entscheiden. Dabei ist das individuelle Verhalten in konkreten Situationen variabel; in manchen Fällen kann es ökonomischer Logik sogar widersprechen. Insbesondere ist dies dann der Fall, wenn die optimale Handlungsvariante entweder gar nicht bekannt ist oder aber die Akteure sich bewusst für kooperatives Verhalten entscheiden.44 Die Zeitgenossen haben verschiedene Prämissen, verfügen in unterschiedlichem Ausmaß über soziales, ökonomisches und kulturelles Kapital, sie treffen ihre Entscheidungen in einer Situation, in der sie nicht per se über alle notwendigen Informationen verfügen und zukünftige Entwicklungen ungewiss sind. Ebenso ist der zeitliche, geografische und politische Kontext aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive zentral. Er bildet den Bezugsrahmen, um die Verhaltensweisen der historischen Subjekte zu analysieren. Gerade mit dem Blick auf die historischen Akteure in ihren Beziehungen zum Umfeld lassen sich Aussagen über die Folgen ihres Handelns und damit dessen mittel- oder langfristige gesamtgesellschaftliche Relevanz treffen. Dementsprechend ist auch „ökonomisches Handeln (wie jedes Handeln) sozial situiert“ und „eingebettet in bestehende Netzwerke persönlicher Beziehungen“.45 In der vorliegenden Untersuchung wird Markt somit nicht als voraussetzungsloser, Konsumgüter generierender Automatismus verstanden, sondern in Anlehnung an wirtschaftssoziologische Arbeiten als ein historisch variables Netzwerk von Akteuren
44 Vgl. Ariel Rubinstein, Modeling Bounded Rationality, Cambridge (Mass.) 1998; Arthur T. Denzau und Douglass C. North, Shared Mental Models. Ideologies and Institutions, in: Arthur Lupia, Mathew D. McCubbins und Samuel L. Popkin (Hg.), Elements of Reason. Cognition, Choice and the Bounds of Rationality, Cambridge und New York 2000, S. 23–46; Armin Falk, Homo Oeconomicus versus Homo Reciprocans. Ansätze für ein neues Wirtschaftspolitisches Leitbild?, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik 4 (2003) 1, S. 141–172. 45 Mark Granovetter, Ökonomische Institutionen als soziale Konstruktionen – ein Analyserahmen, in: Dieter Bögenhold (Hg.), Moderne amerikanische Soziologie, Stuttgart 2000, S. 199–217, hier S. 201.
Die Globalisierung als Untersuchungsgegenstand
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definiert.46 Mit dieser Definition geraten erstens die Veränderungen der Marktbeziehungen im Lauf der Zeit in den Blick und werden im Hinblick auf die Teilnehmer und ihr Handeln untersucht. Zweitens kann diese Definition an ein Verständnis von Konsum als umfassender und bedeutender sozialer Praxis moderner Gesellschaften anschließen. Zudem weisen beide Begriffsbestimmungen handelnden Subjekten eine zentrale Bedeutung zu. Die Entwicklung von Konsumgesellschaften und von globalen Märkten kann demnach als ein durch Akteure beeinflusster, interessengeleiteter Interaktionsprozess dargestellt werden. Indem die historischen Subjekte, ihre Interessen und ihre Strategien die Grundkategorien der Analyse bilden, lassen sich beide Forschungsansätze und Fragestellungen in einen einheitlichen Untersuchungsgegenstand integrieren. Aus diesen Überlegungen und dem Stand der Literatur lässt sich Folgendes festhalten: Globalisierung ist ein historisch kontingenter, offener und daher keineswegs irreversibler Prozess. Er weist weder ein lineares Verlaufsmuster auf noch ist er durch einen spezifischen Endzustand determiniert. In seinem Verlauf entstehen überregional integrierte Märkte und es intensivieren sich soziale, politische, wirtschaftliche und kulturelle Interaktionen auch über weite geografische Distanzen hinweg. Daraus erwachsen wiederum soziale, politische und wirtschaftliche Wechselwirkungen. Unter dem Eindruck dieser Entwicklungen verändern sich die einbezogenen Gesellschaften. Dieser Prozess lässt sich nicht durch soziale, ökonomische und politische Zäsuren periodisieren. Seine entscheidenden Merkmale sind auch nicht einzelne Entwicklungen, wie zum Beispiel sinkende Transportkosten, sondern die sich daraus ergebenden globalen Interdependenzen bei gleichzeitigen lokalen Abgrenzungen und Differenzierungen. Diese Begriffsbestimmung ist insofern idealtypisch als Ausgangspunkt einer Untersuchung, als dass ihre einzelnen Attribute nicht die Voraussetzung für die folgenden Kapitel ist, sondern ihre zu überprüfenden Gegenstände sind. So gilt es, die Existenz dieser Merkmale überhaupt zu verifizieren und gegebenenfalls Ausmaß und Bedeutung (quantitativ wie qualitativ) zu bestimmen. Damit ist zwar der weitere Kontext der Arbeit bestimmt, nicht aber der Untersuchungsgegenstand selber. Verbindet man die Frage nach dem Zusammenhang von lokalen Konsumkulturen, nationalen Vertriebsweisen und globalen Handelsstrukturen mit diesem Arbeitsbe46 Vgl. zum wirtschaftssoziologischen Ansatz Mark Granovetter, Economic Action and Social Structure: the Problem of Embeddedness, in: American Journal of Sociology 91 (1985) 3, S. 481–510. Zu seiner Umsetzung vgl. Alexander Engel, Farben der Globalisierung. Die Entstehung moderner Märkte für Farbstoffe 1500–1900, Frankfurt/M. 2009, S. 25–31. Zur Theorie des selbstregulierenden Marktes vgl. Karl Polanyi, The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften, Frankfurt/M. 1978, S. 102 f. Zum klassischen ökonomischen Marktmodell vgl. FranzUlrich Willeke, Entwicklung der Markttheorie, Tübingen 1961.
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griff von Globalisierung, so lassen sich die folgenden vier näher zu untersuchenden Gegenstände festhalten: Erstens müssen das quantitative Ausmaß sowie die geografische Dimension der weltwirtschaftlichen Verflechtung im Wandel der Zeit anhand des Umfangs und der Intensität der Austauschbeziehungen auf der Grundlage von historischen Datenreihen ermittelt werden. Ebenso gilt es die Charakteristika globaler wirtschaftlicher Interaktionen sowie die dafür geschaffenen Institutionen herauszuarbeiten. Um die Geschichte eines globalen Gütermarktes nicht auf die Abfolge von Angebots- und Nachfrageschwankungen zu beschränken, muss zweitens die Darstellung der quantitativen Entwicklungen ergänzt werden. Dafür ist es erforderlich, Gegenstände wie die nationalen Handels- und Vertriebsformen, die Rolle des Staates sowie die Motivationen und die Praxis von Konsum in die Untersuchung einzubeziehen, und zwar in Relation zu dem Grad globaler ökonomischer Verflechtung durch Austauschbeziehungen. Eine ausgewogene wirtschaftshistorische Untersuchung sollte drittens die Frage nach weltwirtschaftlichen Entwicklungen mit derjenigen nach den kulturellen Kontexten des Konsumierens in Zusammenhang bringen. Für diese Integration von konsum- und wirtschaftshistorischen Gegenständen und Fragestellungen erscheint eine Konzentration der Untersuchung auf Akteure und Akteursgruppen unter Berücksichtigung ihrer Interessen und Strategien notwendig. Da, wie gezeigt, ökonomische Interaktionen nicht als alleiniges Merkmal von Globalisierungsprozessen verstanden werden, gilt es viertens weitere wechselseitige Interdependenzen oder ggf. Abhängigkeiten von globalen, nationalstaatlichen und regionalen Prozessen herauszuarbeiten und nach gesellschaftlichen Auswirkungen sowie Abgrenzungen und Differenzierungen zu fragen. Die Herausforderung liegt nun darin, diese zu untersuchenden Gegenstände adäquat zu operationalisieren, um damit also letztlich globalhistorische Fragestellungen in eine geschichtswissenschaftlichen Studie umzusetzen. Die Frage, wie sich diese beiden Bereiche verbinden lassen, gehört zu den aktuell am intensivsten diskutierten Problemen im Bereich der Globalgeschichte.47 Der Ansatz, ein Produkt als Prisma zu wählen, ist eine mögliche Vorgehensweise, um Globalisierungsprozesse in die historische Analyse zu integrieren. Im Folgenden werden deshalb die Vor- und Nachteile der Produktgeschichte für globalhistorische Fragestellungen diskutiert. So wird der hier vorgeschlagene methodische Ansatz weiter präzisiert.
47 Die Umsetzung von globalhistorischen Fragestellungen ist, so John D. French (Duke University, USA), immer noch ein „emerging process“, vgl. Valeska Huber, Tagungsbericht Global History, Globally. 8.2.2008–9.2.2008, Harvard University, Cambridge/ Massachusetts, in: H-Soz-u-Kult, 11.4.2008, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=2077 (abgerufen am 5.7.2008).
Eine produktzentrierte Interaktionsgeschichte
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1.2. Eine produktzentrierte Interaktionsgeschichte Eine Ware als Ausgangspunkt der Analyse zu wählen, ermöglicht es, dem Zusammenhang von Produktion, Markt und Konsum auf die Spur zu kommen.48 Folgt man einer Ware von ihrer Herstellung über ihre Weiterverarbeitungsstufen und Vertriebswege bis zum Endkonsumenten, kann man Produktionsbedingungen und Handelsstrukturen ebenso thematisieren wie nationale Wirtschaftspolitiken und Konsumgewohnheiten.49 Wird eine Ware nicht nur regional erzeugt und konsumiert, sondern überwindet sie im Laufe ihrer Kommodifizierung Landesgrenzen und Kontinente, so eignet sie sich als Prisma zur Betrachtung globaler Wirtschaftsprozesse und Konsumentwicklungen.50 Im besten Fall treten in der soziokulturellen Biografie einer solchen globalen Ware51 internationale Wirtschaftsverbindungen, globale Handelsmechanismen sowie über den Nationalstaat hinausgehende politische und soziale Netzwerke zutage. Dabei finden auch die Rollen der verschiedenen Staaten, lokale Unternehmensorganisationen und Vertriebsformen, die symbolischen Dimensionen der Produkte und lokale Konsummuster Berücksichtigung. Für eine exemplarische Untersuchung dieser Zusammenhänge eignet sich das Produkt Kaffee besonders gut. Kaffee ist seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eines der wichtigsten Welthandelsgüter.52 Die Frucht des Kaffeebaumes muss zuerst 48 Die Bezeichnungen Produkt, Ware und Konsumgut werden im Folgenden dann synonym verwendet, wenn sich die Ausführungen auf die sich überschneidenden Bedeutungen im Sinne des englischen Begriffs commodity beziehen. 49 Vgl. Jennifer Bair, Global Capitalism and Commodity Chains. Looking Back, Going Forward, in: Competition and Change 9 (2005) 2, S. 153–180; Igor Kopytoff, The Cultural Biography of Things. Commodification as Process, in: Arjun Appadurai (Hg.), The Social Life of Things. Commodities in Cultural Perspective, Cambridge 1988, S. 64–91. 50 Vgl. Mary Douglas und Baron C. Isherwood, The World of Goods. Towards an Anthropology of Consumption, New York 1978; Gary Gereffi und Miguel Korzeniewicz (Hg.), Commodity Chains and Global Capitalism, Westport 1994. Mit der Perspektive auf einzelne Produkte vgl. Kenneth Pomeranz und Steven Topik, The World that Trade Created. Society, Culture and the World Economy 1400 to the Present, New York und London 1999; William Gervase Clarence-Smith, Cocoa and Chocolate. 1765–1914, London und New York 2000; Mark Kurlansky, Cod. A Biography of the Fish that Changed the World, London 1998; Alan Macfarlane und Gerry Martin, Glass. A World History, Chicago 2002. 51 Als Beispiel für eine soziale Biographie einer Ware vgl. die beeindruckende Studie von Sidney W. Mintz, Sweetness and Power. The Place of Sugar in Modern History, New York 1985. 52 Auch wenn die internationale Statistik noch in den Kinderschuhen steckte und ihre Ergebnisse eher als Richtwerte gesehen werden müssen, so zeigt ein Blick in eine der berühmtesten unter ihnen, dass Kaffee im Wert an dritter Stelle aller interkontinental gehandelter Rohstoffe stand. Mit 840 Millionen Pfund Sterling war er nach Zucker (1130 Pfund Ster-
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verarbeitet werden, bevor sie zu dem wird, was wir im Allgemeinen unter Kaffee verstehen. Nach der Ernte bedarf es unabhängig davon, wie entfernt die Anbau- und Konsumorte voneinander liegen, mindestens 16 Handels- und Verarbeitungsstufen, bis aus der Kaffeekirsche ein konsumfertiges Produkt entsteht.53 Ähnlich ausdifferenzierte Wertschöpfungsstufen kennzeichnen im kleinerem oder größerem Ausmaß auch die Kommodifizierung fast aller Rohstoffe wie u. a. Zucker, Getreide und Holz. Kaffee ist demgegenüber aber ein Massenkonsumgut, das für die Konsumenten ein Alleinstellungsmerkmal besitzt. Als Genussmittel trug es entscheidend zum Wandel von bedarfs- zu konsumorientierten europäischen Gesellschaften bei. „Sich auf einen Kaffee verabreden“ oder „zusammen einen Kaffee trinken“ sind populäre Formulierungen geworden, die die herausgehobene soziale Bedeutung des Getränkes gegenüber anderen Nahrungs- und Genussmitteln markieren. Kaffee wirkt sozial integrierend und ist zugleich ein Distinktionsobjekt.54 Damit wurde er im Verlauf des 19. Jahrhunderts in vielen Ländern zum alltäglichen Konsumgut. Seitdem kommt ihm neben der realen Nachfrage auch eine zentrale Bedeutung auf den Terminmärkten zu. Wenn man die Welthandelsvolumina vergleicht, trifft dies für die verwandten Genussmittel wie Schokolade und Tee bis heute nicht in dem Ausmaß zu wie für den Kaffee. Sowohl seine ökonomische Bedeutung, als auch seine soziale Relevanz seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert als Welthandelware, Finanzinstrument auf den Terminmärkten und omnipräsentes Verbrauchsgut macht Kaffee zu einem idealen Gegenstand, um Globalisierungsprozesse zu untersuchen. Während sich der produktgeschichtliche Ansatz hervorragend eignet, um wirtschaftliche und soziale Zusammenhänge im globalen Maßstab zu untersuchen, so stößt er bei der Absicht, Globalisierungsprozesse aus der Perspektive von Akteuren und Akteursgruppen zu untersuchen, an seine Grenzen. Denn die „Weltgeschichten“ einer Ware haben aufgrund ihres globalen Anspruches und der damit einhergehenden enormen Menge von relevantem Quellenmaterial Schwierigkeiten, in den verschiedenen historischen Kontexten den einzelnen Akteuren und ihrem Handeln einigermaßen gerecht zu werden. Um die Handlungskompetenz von lokalen Akteuren und damit auch das Lokale als zentralen Verhandlungsort der Globalisierung zu untersuchen, ist es daher notwendig, die Analyse auf einen klar umgrenzten Zeitraum
ling) und Getreide (1050 Pfund Sterling) die dritt wichtigste Welthandelsware in den Jahren 1860-1887 entnommen aus Michael G. Mulhall, Mulhalls’ Dictionary of Statistics, 4. Auflage, London und New York 1899, hier S. 130. Vgl. Steven Topik, The Integration of the World Coffee Market, in: Clara Eugenia Núñez (Hg.), Integration of Commodity Markets in History, Sevilla 1998, S. 55–65, hier S. 57. 53 Vgl. Ukers (1922), S. XXIX. 54 Zu der Geschichte der Genussmittel vgl. Thomas Heingartner und Christoph M. Merki (Hg.), Genußmittel. Ein kulturgeschichtliches Handbuch, Frankfurt/M. und New York 1999.
Eine produktzentrierte Interaktionsgeschichte
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zu fokussieren und den produktgeschichtlichen Ansatz an zwei Punkten zu modifizieren. Die Wahl des Untersuchungszeitraumes ergibt sich aus der allgemeinen Einschätzung, dass sich insbesondere im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg eine Integration von Marktbeziehungen von bis dahin national bzw. regional strukturierten zu internationalen Wirtschaftsräumen deutlich abzuzeichnen begann.55 Einen Ausweg aus der Problematik, dass eine relational interessierte Produktgeschichte allein mittels einer „totalen Geschichte“ einer Ware umgesetzt werden kann, bietet das Konzept der Glokalisierung.56 Ausgehend von einem geografischen Gebiet kann somit die wechselseitige Abhängigkeit von globaler und lokaler Ebene analysiert werden, ohne dass alle Produktions- und Konsumländer einer Ware sowie sämtliche mit ihr verbundenen Handelsorte beschrieben werden müssen. Gerade weil Globalisierung ein globaler Prozess ist, lässt er sich im Sinne des Glokalisierungskonzeptes auch von der kleinsten lokalen Ebene aus analysieren. Die Untersuchung lokaler Situationen ermöglicht es demnach, die globalen Einflüsse auf lokale Entwicklungen und ihre globalen Folgewirkungen als sinnvollen Zusammenhang zu verstehen. So rückt die Relationalität von lokalen und globalen Entwicklungen selbst in das Zentrum der Untersuchung. Städte, Regionen und auch Staaten stellen einen ergiebigen Ausgangspunkt für eine relational interessierte Analyse dar. Es spricht einiges dafür, die geografische und politische Einheit von Staaten als Ausgangspunkt für die Untersuchung zu wählen: Von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs sind globale wirtschaftliche und soziale Interaktionen sowie der Prozess der Nationalstaatsbildung komplementäre Phänomene.57 Demnach sind (National-)Staaten integraler Bestandteil der politischen, ökonomischen und kulturellen globalen Verflechtungen. Gerade diese Komplementarität ist ein konstitutives Merkmal von Globalisierungsprozessen. Muss somit diese Mesoebene Berücksichtigung finden, so sprechen zwei weitere Argumente dafür, den Staat – und nicht eine bestimmte Region oder eine Stadt – als Ausgangspunkt einer an Relationen und Interaktionen interessierten Analyse im Sinne der „Glokalisierung“ zu wählen: Vor allem auf der Mesoebene des Staates 55 Auch bietet sich dieser Zeitraum aus der Produktperspektive an. Zum internationalen Handel allgemein und zum Konsum von Kaffee in Europa in der Frühen Neuzeit und bis in das frühe 19. Jahrhundert liegen neuere Studien vor. Der Erste Weltkrieg bedeutete sowohl für den europäischen Kaffeegroßhandel als auch für die Konsumenten eine Zäsur, die es rechtfertigt, hier die Studie zu beenden, denn er schränkte zumindest die Geschäfte für die Unternehmen stark ein und unterbrach die Entwicklung des Konsums für einige Jahre. 56 Vgl. Robertson (1995). 57 Diese Komplementarität nehmen besonders die folgenden Studien zum Ausgang ihrer Überlegungen und Untersuchung: Bayly (2004); Conrad (2006); Sassen (2008).
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lassen sich die Auswirkungen und Rückwirkungen von Globalisierungsprozessen thematisieren. So werden die Beziehungen zwischen Globalisierungsprozessen, sozioökonomischen Verteilungskonflikten und staatlichem Handeln Bestandteil der Untersuchung. Zudem sind die historischen Überlieferungen, also auch die Quellen für globalhistorische Fragestellungen, gerade durch die Integration von sozialen Beziehungen in die politische Einheit Nation auch auf den Staat orientiert, quantitativ aufbereitet und archiviert. Auch historische Datenreihen, die Auskunft über die globale Ökonomie geben, rekurrieren auf im nationalen Maßstab erhobene Statistiken.58 Dies gilt natürlich umso mehr für einen zentralistisch organisierten Staat wie Frankreich, aber ebenso für einen föderal verfassten wie das deutsche Kaiserreich. Im Falle des deutschen Kaiserreichs waren nationale Institutionen die vorrangigen Ansprechpartner und Appellationsinstanzen, wie zum Beispiel das Auswärtige Amt für außenhandelspolitische Fragen oder der Reichstag für zollpolitische Eingaben. Das deutsche Kaiserreich ist ein gutes Beispiel für die Verdichtung von weltwirtschaftlichen Interaktionen, die parallel zur Staatsbildung stattfanden. Deutschland war einerseits nach Großbritannien die zweitgrößte Handelsnation der Welt und stellte andererseits zudem mit dem Übergang zum Schutzzoll 1879 ein Paradebeispiel für Partikularisierungsbestrebungen unter nationalistisch-machtstaatlichen Vorzeichen dar.59 Die zweite Modifizierung des Produktansatzes betrifft das Produkt als Analysekategorie selber. Im Folgenden wird Kaffee als Prisma verwendet, um die Entwicklung des globalen Marktes als einen durch Akteure beeinflussten, interessengeleiteten Prozess zu untersuchen. Anstatt die Geschichte seiner Kommodifizierung vom Agrarerzeugnis bis zum Heißgetränk nachzuerzählen, wird über das Produkt das Verhalten und Handeln von Akteuren auf der Mikro- und Makroebene im globalen Kontext – wenn nur über einen begrenzten Zeitraum – untersucht und beschrieben. Zentral für die vorliegende Arbeit ist die Einsicht, dass hinter jeder Station der Wertschöp-
58 Auch neuere ökonometrische Ansätze der Wirtschaftsgeschichte, die ihren Schwerpunkt auf den systematischen Vergleich legen, um sich vom nationalstaatlichen Paradigma zu emanzipieren, müssen auf die zumeist national produzierten Statistiken, die nationalen Größenordnungen verpflichtet sind, zurückgreifen, vgl. Timothy J. Hatton, Kevin O’Rourke und Alan M. Taylor, Introduction: The New Comparative Economic History, in: dies. (Hg.), The New Comparative Economic History. Essays in Honor of Jeffrey G. Williamson, Cambridge und London 2007, S. 1–8. 59 Der Außenhandelsanteil am Bruttoinlandsprodukt betrug 35,1 Prozent, vgl. Torp (2005), S. 16. Für einen Überblick zur Einbindung des Kaiserreichs in die Weltwirtschaft vgl. Fischer (1998), S. 101–123; Nils P. Petersson, Das Kaiserreich in Prozessen ökonomischer Globalisierung, in: Conrad und Osterhammel (2004), S. 49–67; grundlegend Torp (2005), S. 51–120.
Eine produktzentrierte Interaktionsgeschichte
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fungskette60 Akteure stehen, die in ein soziales Umfeld eingebunden sind. Es gilt, ihre Einbindung in (lokale, nationale und globale) soziale und ökonomische Zusammenhänge sowie in die politischen Strukturen herauszuarbeiten und dabei insbesondere ihre jeweiligen Wahrnehmungsmuster und Handlungskompetenzen zu beleuchten. Es geht weniger darum, per se geografisch weltumspannende Entwicklungen zu analysieren. Ausgehend von der Relationalität von Globalisierungsprozessen werden deren Wechselwirkungen von der lokalen Ebene aus und aus der Perspektive der Akteure und ihrer Rationalitäten untersucht. Die Fähigkeit dieses erweiterten produkthistorischen Ansatzes, verschiedene historische, soziale und geographische Kontexte zu verbinden und dabei disziplinäre Grenzen zu überwinden, macht ihn besonders attraktiv für globalhistorische Fragestellungen. Zugleich stellt diese Fokussierung auch seine größte Schwäche dar. Der Untersuchungsgegenstand wird durch das Produkt als Prisma immer auch „gebrochen“. Indem es ihn bündelt, begrenzt es ihn auch. Vermeiden lässt sich die durch die fallbeispielhafte Analyse entstehende „Produktbrille“ nicht. Sie ermöglicht es ja überhaupt erst, die verschiedenen Akteure in den Mittelpunkt der Untersuchung zu rücken. Der Vorteil ist hier, dass auch diejenigen Akteure in den Blick geraten, die sich nicht in Interaktionsräumen mit globaler Reichweite bewegen. Somit können nicht nur das Ausmaß oder die Reichweite von Globalisierungsprozessen, sondern auch deren Grenzen, die partikularen Aktionen und Aktionsräume, zum Bestandteil der Untersuchung werden.
1.3. Gliederung und Gang der Untersuchung Produktgeschichten folgen in der Regel dem „Lebensweg“ des Produkts oder sind chronologisch angeordnet.61 Doch ist dies nicht zwangsläufig nötig, wenn man wie hier das Produkt als Prisma verwendet. Globalisierungsprozesse sind durch die Relationalität von sozialen und ökonomischen Prozessen auf allen räumlichen Ebenen gekennzeichnet, die durch das Miteinander von Handelnden und die Konflikte zwischen 60 Unter Wertschöpfungskette wird hier nicht die Gesamtheit der Primär- und Sekundärprozesse, die in einem Unternehmen zur Schaffung von Mehrwert beitragen, verstanden. Vielmehr ist der Weg des Produkts von seiner Herstellung (im Fall des Kaffees also seine Kultivierung) bis zum Heißgetränk gemeint. Im angloamerikanischen Raum wird dieser Prozess als „commodity chain“ bezeichnet und meint „[…] the sequence of activities involved in the design, production, and delivery of a good or service, as well as the connections between the people and places involved in these activities“, Jennifer Bair, Commodity Chains, in: Robertson und Scholte (2007), S. 177–179, S. 177. Somit eignet sich der deutsche, deutlich weiter gefasste Begriff Wertschöpfungskette besser als die vor allem auf den Handel abzielende Bezeichnung „Handelskette“. 61 Beispielhaft für eine systematische Ordnung ist Mintz (1985), für eine chronologische Pomeranz und Topik (1999).
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Akteuren entsteht. Um diese Relationalität in die Untersuchung zu integrieren, ist eine systematische Anordnung nach den relevanten Akteursgruppen und Konflikten notwendig, die sich aus den unterschiedlichen Interessen ergeben. Wer diese Akteursgruppen sind, ergibt sich aus der Produktperspektive: Großhändler, Binnenhändler, Konsumenten und staatliche Institutionen. Von ihnen ausgehend kommen sowohl die räumlichen Ebenen (global, national, lokal) in den Blick als auch quer zur Wertschöpfungskette laufende Handlungsoptionen und Zusammenhänge. Ebenso lassen sich damit die Rahmenbedingungen berücksichtigen, in denen die Akteure sich bewegten. Diese Herangehensweise und Gliederung hat den Vorteil, den historischen Wandel aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten und so als Abfolge von Entscheidungen und Handlungen wahrnehmen zu können. In dem Sinne ist der hier verfolgte Ansatz bemüht, die historische Entwicklung als Interaktionsgeschichte zu beschreiben. So wichtig eine qualitative Analyse ist, kann sie praktisch allein mittels der Analyse von Teilaspekten des Transformationsprozesses geleistet werden, den wir heute als Globalisierung verstehen. Besonders die quantitative Entwicklung eines Marktes verändert unter Umständen die Wahrnehmung der Akteure und ihre Handlungsoptionen. Um die auf die Akteure konzentrierte Analyse und ihre Gegenstände zu plausibilisieren, stehen die Grundzüge der Entwicklung des globalen Kaffeemarktes im Zentrum des zweiten Kapitels. Neben einem Überblick über die Spezifika des Produkts wird seine Wertschöpfungskette dargestellt. Makroökonomische Entwicklungen werden dabei besondere Berücksichtigung finden. Damit widmet sich das zweite Kapitel dem ersten zu untersuchenden Gegenstand. Die Ergebnisse zu Angebots- und Nachfrageentwicklung, zu Preisen und Handelsvolumina werden in den folgenden Kapiteln aber immer in Relation gesetzt zu dem Verhalten und Handeln der an der Wertschöpfungskette direkt oder indirekt beteiligten Akteure. Ihre Motive, Interessen und Strategien bilden einen Schwerpunkt der Untersuchung. Ziel ist es, herauszufinden, inwiefern diese die Strukturen und Mechanismen von Kaffeeanbau, -handel und -konsum veränderten. Dementsprechend widmen sich die Kapitel 3 bis 7 entweder einer einzelnen Akteursgruppe oder den sich aus den verschiedenen Interessen am Produkt ergebenden Konflikten. So lassen sich alle drei weiteren oben genannten Untersuchungsgegenstände umsetzen und zugleich das vermutlich wichtigste Merkmal von Globalisierungsprozessen untersuchen, die sich ergebenden Interdependenzen bei gleichzeitigen lokalen Abgrenzungen und Differenzierungen. Globalisierung wird oft allein als das Entstehen global quantifizierbarer ökonomischer Austauschprozesse und der dafür benötigten Institutionen untersucht. In der Folge werden vor allem makrohistorische Entwicklungen als ihr entscheidendes Merkmal verstanden. Demgegenüber nimmt das dritte Kapitel die lokale Ebene des globalen Handel(n)s, die Kaffeehandelsunternehmen Hamburgs, in den Blick. Es fragt nach der Bedeutung der handelnden Subjekte und ihren Motiven und Strategien, die eine Integration des Gütermarktes bewirkten. Neben Hamburg konzentrierte sich ab den 1880er Jahren der internationale Kaffeehandel vornehmlich auf
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zwei weitere Handelsplätze, New York und Le Havre. Welche lokalen Bedingungen – wie Infrastruktur, Finanzinstrumente und Strategien sowie Institutionen – waren ausschlaggebend für diese Konzentrationen des Weltkaffeehandels? Diskutiert wird am Hamburger Beispiel, welchen Einfluss im Kontext der enormen Steigerung der weltwirtschaftlichen Verflechtung die soziale Integration auf der lokalen Ebene für den Erfolg der Beteiligung am internationalen Kaffeehandel hatte. Die Warenterminbörsen spielten mit ihren Auswirkungen auf die Preisbildungsmechanismen eine entscheidende Rolle für die Integration der Warenmärkte. Im Gegensatz zu Studien über die theoretischen Mechanismen des Terminhandels existieren kaum Untersuchungen über die konkreten Vorteile, die aus Warentermingeschäften für die einzelnen Unternehmungen und eine Branche insgesamt resultieren können. Das vierte Kapitel untersucht daher am Beispiel des Kaffeeterminhandels die konkreten Strategien und Mittel der Großhändler, die es ihnen ermöglichten, erfolgreich im globalen Kaffeehandel zu partizipieren. Daraus ergeben sich zwei weitere Fragenkomplexe. Der erste betrifft die global agierenden Kaffeehändler in Hamburg selbst: Wie veränderte der Terminhandel die Organisation des Kaffeehandels vor Ort, welche Vorteile generierte er für die Kaufleute und inwiefern veränderte sich dadurch wiederum die Dynamik des globalen Kaffeegeschäfts? Zweitens muss gefragt werden, welche Auswirkungen die Einführung einer neuen Handelstechnik auf den Binnenhandel mit Kaffee, also auf den nationalen Wirtschaftsraum, hatte. Inwiefern die nationale Wirtschaftspolitik und -gesetzgebung in den internationalen Handel eingreifen wollte und konnte, wird am Beispiel der politischen Debatten um die Börsenreform von 1896 analysiert. Welche Rückwirkungen hatte das Börsengesetz auf die Unternehmungen im globalen, nationalen und regionalen Kaffeehandel? Inwiefern konnten mit den Mitteln nationalstaatlich kodifizierten Rechts die Mechanismen einer globalen Wertschöpfungskette verändert werden? Gemäß der Annahme, dass die Veränderungen der Organisation des globalen Handels auch in einem Zusammenhang mit den nationalen und lokalen Binnenhandelsstrukturen stehen, wendet sich Kapitel 5 den Kaffeeverkaufs- und Vertriebsformen im Kaiserreich zu. Ebenso wie in den vorangegangenen Kapiteln werden die Strategien und Mittel der Akteure untersucht. Warum entstand in den 1880er Jahren eine auf die Verarbeitung und den Vertrieb von Kaffee spezialisierte Branche? Lassen sich Zusammenhänge zwischen der zunehmenden Homogenisierung der angebotenen Qualitäten im internationalen Handel und der Entwicklung neuer Verkaufsstrategien der Unternehmen, insbesondere der Standardisierung des Produkts und der dafür eingesetzten Kommunikationsmittel beobachten? Man könnte argumentieren, dass allein die Akteursgruppen des deutschen Binnengroß- und Einzelhandels, nicht die verarbeitende Industrie und die Konsumenten von internationalen Entwicklungen direkt betroffen waren und sich die Auswirkungen der Integration eines Gütermarktes lediglich auf den Bereich der Angebotsseite beschränkten. Somit ist es notwendig, an das Ende der Wertschöpfungskette zu gehen und die
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Konsumenten und Konsummuster zu untersuchen. Die Forschung operiert in diesem Kontext oft mit der Annahme, dass wirtschaftliche Globalisierung mit Homogenisierungsprozessen in Bezug auf die Ware, die Formen ihrer Verarbeitung usw. einhergehe. Diese ökonomischen Prozesse, so die Annahme, führten dann auch zu kultureller Homogenisierung. Letztere finde am deutlichsten ihren Ausdruck in der Verbreitung global vertriebener Marken sowie der weltweiten Annäherung von Moden und Konsumgewohnheiten.62 Dieser Annahme ist aber auch vehement widersprochen worden. Dass global produzierte und vertriebene Waren selbst eine hohe Standardisierung aufwiesen, impliziere nicht zwangsläufig, dass sich durch ihren Konsum kulturelle Unterschiede anglichen. Vielmehr führe ihre Verbreitung sogar zur Revitalisierung lokaler Gebräuche.63 Da Konsumieren immer die „Befriedigung eines Bedarfs“64 darstellt, wird in Kapitel 6 explizit die Perspektive der Konsumenten auf das Produkt Kaffee in den Blick genommen. Gefragt wird, welche Rationalitäten für den Konsum ausschlaggebend und welche Bedürfnisse das Produkt Kaffee und sein Konsum zu befriedigen imstande waren. Zur Überprüfung der These, dass die Verbreitung von global gehandelten Waren auch Homogenisierung nach sich ziehe, gilt den Konsumpraktiken und Konsumorten besondere Beachtung. Dabei wird diskutiert, ob Kaffee nicht gerade dadurch so populär und ein entsprechend leicht kommerzialisierbares Produkt war und ist, weil er sich so gut in die differentiellen Bedürfnisse der Konsumenten eingliedern lässt. Dies würde bedeuten, dass die internationale Standardisierung des Handelsgutes gerade nicht zu einer kulturellen Homogenisierung der lokalen Konsumpraktiken führte, sondern die Ursache für die Popularität des Kaffees in seiner Anpassungsfähigkeit an ausdifferenzierte Konsumwünsche lag. Damit hätten die Konsumenten nicht nur passiv durch ihre Nachfrage zur Globalisierung des Produktes beigetragen, sondern durch ihre Ansprüche seine Vertriebsweisen auch qualitativ beeinflusst. In den letzten zehn Jahren vor dem Ersten Weltkrieg erfüllte Kaffee gleich drei Funktionen: als internationales Handelsgut, als anerkanntes Konsumgut für alle und als wichtige Einnahmequelle der Reichsfinanzen. Diese Funktionen waren mit 62 Vgl. George Ritzer, The McDonaldization: The Reader, 2. Aufl., Thousand Oaks 2006. Für eine Einführung in die Debatte vgl. Frank J. Lechner, Cultural Globalization, in: Roland Robertson und Jan Aart Scholte (Hg.), Encyclopedia of Globalization, New York 2007, S. 258–263. 63 Für eine kritische Auseinandersetzung vgl. Mike Featherstone (Hg.), Global Culture. Nationalism, Globalization and Modernity. A Theory, Culture & Society Special Issue, London 1997; Ludger Pries Die Transnationalisierung der sozialen Welt. Sozialräume jenseits von Nationalgesellschaften. Frankfurt/M. 2008, hier S. 22–46; Robin Wynyard (Hg.), McDonaldization Revisited. Critical Essays on Consumer Culture, London 1998. 64 Heinz-Gerhard Haupt und Claudius Torp, Einleitung. Die vielen Wege der deutschen Konsumgesellschaft, in: dies. (Hg.), Die Konsumgesellschaft in Deutschland 1890–1990, Frankfurt/M. 2009, S. 9–26, hier S. 12.
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konträren Interessen sowie unterschiedlichen Forderungen an das Produkt und seinen Preis verknüpft. Daraus ergaben sich ganz unterschiedliche Handlungsoptionen der Akteure, deren Umsetzung zu Interessenkonflikten führte. Sie werden in Kapitel 7 ebenso untersucht wie die politischen Reaktionen auf die Folgen der weltwirtschaftlichen Einbindung des Kaiserreichs. Im Zentrum steht hier die Frage, ob es aus dieser spezifischen Akteursperspektive angemessen ist, einzelne Entwicklungen wie sinkende Transportkosten als wesentliches Merkmal von Globalisierungsprozessen zu verstehen. Oder waren es vielmehr die sich aus der Integration der Gütermärkte ergebenden individuellen Möglichkeiten, Einschränkungen und Zwänge, die die Handlungen und Wahrnehmungen der Akteure prägten? Führten diese zu einer veränderten Wahrnehmung der weltwirtschaftlichen Einbindung des Kaiserreichs oder zu einer Neuausrichtung der Konsumpolitik? In vielen Aspekten greift diese Arbeit auf bisher getrennte Forschungsansätze und -ergebnisse zurück und verwendet, überprüft und erweitert diese im Hinblick auf die hier verfolgte Fragestellung mittels Archivalien aus unterschiedlichen Archiven und publizierten Quellen.65 Daher findet sich eine Diskussion des jeweiligen Forschungsstandes und der verwendeten Quellen am Anfang der Oberkapitel und/oder wird nach Bedarf in den Unterkapiteln erörtert. Als Ergänzung zu dieser Publikation kann zusätzliches Material auf der Internetseite des Böhlau Verlages www.boehlau-verlag.com als PDF-Datei heruntergeladen werden.66 Dort finden sich die aus unterschiedlichen Archiven und der Sekundärliteratur zusammengetragenen Rohdaten, auf denen die Grafiken basieren, und eine Prosopografie der untersuchten Kaffeehandelsunternehmen in Hamburg.
65 Da eine eindeutige Zuordnung der verwendeten Archivalien über die Signaturen möglich ist, befindet sich eine vollständige Nennung der Bestands- und Aktentitel im Quellenverzeichnis. 66 Sie gelangen dorthin, indem Sie in der Schnellsuche das Stichwort „Mikro-Ökonomie“ eingeben, dann in der Rubrik „Downloads“ den Link „Bonusmaterial“ anklicken. Eine Übersicht über die Grafiken, Bilder und Tabellen inklusive der Hinweise, welche Tabelle im Zusatzmaterial auf der Seite des Böhlau Verlages die entsprechenden Rohdaten aufführt, befindet sich im Anhang. Ebenso findet sich im Anhang eine Symbol-Legende für die in den Grafiken verwendeten Symbole.
2. Die Transformationen der Kaffeemärkte bis in das frühe 20. Jahrhundert Ausgangsmaterial für die Verarbeitungsprozesse, an deren Ende das koffeinhaltige schwarze Heißgetränk steht, sind die grünen Kerne der auf Sträuchern der Familie der Rubiaceen wachsenden Kaffeekirschen.1 Erst durch die Weiterverarbeitung dieses Rohstoffes, das Mischen genau bestimmter Mengen von durchschnittlich sechs bis zehn verschiedenen Provenienzen, das anschließende Rösten, Zermahlen wird der Rohstoff kommodifiziert und durch das Aufkochen mit heißem Wasser zum Konsumgut: zu dem, was umgangssprachlich als Kaffee bezeichnet wird. Angebot und Nachfrage sind idealtypisch getrennt oder verbunden durch mindestens 16 Stationen: Anbau, Pflege, Ernte, Weiterverarbeitung, Transport zum Seehafen, Kaufen und Verkaufen durch den Export, Überseetransport, Kauf und Verkauf durch den Großhandel, Kauf und Verkauf durch den Binnengroßhandel, Veredlung, Kauf und Verkauf durch den Einzelhandel und Zubereitung des Getränkes.2 Die Gattung Coffea gilt als die anspruchsvollste unter den Kulturpflanzen. Die Wertschöpfungskette, die sich aus der Summe dieser Stationen ergibt, ist daher stark durch die Eigenschaften des nachwachsenden Rohstoffes geprägt. Und sie hat sich seit der Entdeckung des Kaffees stark verändert, und zwar nicht nur quantitativ: Sowohl die Strukturen als auch die Mechanismen des Kaffeemarktes haben sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts gewandelt, über alle genannten Stationen hin. Im Folgenden werden diese Veränderungen nachgezeichnet, wobei zunächst die sich aus dem nachwachsenden Rohstoff Kaffee ergebenden spezifischen Anbau- und Weiterverarbeitungsbedingungen im Zentrum stehen.3 Zweitens werden die Veränderungen des Kaffeeanbaus sowie die Großhandels- und Nachfragestrukturen im 19. Jahrhundert skizziert, um einen Überblick über die quantitative Entwicklung von Angebot und Nachfrage zu geben. Für die Anbauländer und auch den frühen Kaffeegroßhandel bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts liegt zu diesen Fragen einiges an Literatur vor. Dies gilt leider weder für den Wandel der Großhandelsstruktur am 1 Zur Familie der Rubiaceen gehören nach der botanischen Systematik ca. 500 Gattungen mit über 6.000 Arten. Zur Gattung der eigentlichen Kaffeepflanzen, Coffea, zählen etwa 90 Arten. 2 Vgl. Ukers (1922), S. XXIX. Heute fragen die meisten Länder, in denen Kaffee angebaut wird, den Rohstoff auch als Konsumgut nach. Für diesen Anteil an der Weltnachfrage entfallen natürlich die entsprechenden Stationen der Wertschöpfungskette. 3 Auf einen vollständigen agrarhistorischen und botanischen Überblick über die Kaffeepflanze wird hier dagegen verzichtet. Ein Überblick hierzu findet sich bei Heike Heklau (Hg.), Zur Botanik und Kulturgeschichte des Kaffees, Halle 2001.
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Ende des 19. Jahrhunderts noch für die Veränderungen der Vertriebsstrukturen des Binnenkaffeehandels in den Konsumländern in vergleichender Perspektive. Für beide Bereiche der hier untersuchten Fragestellung kann lediglich auf die jeweilige zeitgenössische Literatur zu einzelnen Ländern und die eigenen Quellenrecherchen Bezug genommen werden. Damit dient dieses Kapitel auch dazu, einen ersten Überblick zu geben über die wichtigsten Tendenzen der Forschung und wie sie die Geschichte des Kaffeehandels und -konsums einordnen. Nähere Informationen über die weltweite Entwicklung von Angebot und Nachfrage geben verschiedene, sehr verstreut vorliegende und auch nur teilweise publizierte Angaben zu Anbauquantitäten und Konsumdaten. Daraus lassen sich Datenreihen zu den weltweit gehandelten Rohkaffeemengen und zu den Verbrauchszahlen in einzelnen mitteleuropäischen Ländern und den USA zusammenstellen, die mehr oder minder vollständig die Situation zurück bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts rekonstruieren. Die für die Arbeit erhobenen Daten stammen vor allem aus den Marktberichten der einzelnen Handelsplätze, Zirkularen von Kaffeegroßhandelsunternehmen, deutschen und US-amerikanischen Konsulatsberichten sowie den Berichten des britischen Board of Trade.4 Sie wurden miteinander verglichen und die Angaben auf das metrische System umgerechnet. Grundsätzlich fanden allein Daten Verwendung, die sich durch zumindest zwei Quellen verifizieren lassen. Trotzdem sollten sie nur als Richtwerte angesehen werden. Infolge mangelhafter oder fehlender statistischer Erhebungen über die Ernten in den einzelnen Erzeugerländern existieren durchgängige Zahlenreihen erst ab 1850 und lediglich über die Höhe der Ausfuhren, nicht über die tatsächlichen Anbaumengen. Auch die Angaben zum Konsum, hier die absoluten Zahlen sowie die Angaben über die Menge pro Kopf und Jahr, sind lediglich durch Importzahlen abbildbar. Sie wurden aus dem Gesamtwert der jeweils 4 Die größte Bedeutung für den zeitgenössischen Kaffeegroßhandel ab den 1880er Jahren kommt der monatlich erscheinenden Statistik der Kaffeehandelsfirma Durring & Zoon in Rotterdam zu, vgl. Arthur Norden, Die Berichterstattung über Welthandelsartikel (Getreide, Zucker, Kaffee, Baumwolle, Wolle), Leipzig 1910, S. 148 f. Deutsche Konsulatsberichte: Bundesarchiv (im Folgenden abgekürzt mit BArch), Bestand R 901; US-amerikanische Konsulatsberichte, in: Bureau of Foreign Commerce (Hg.), Advance Sheets of Consular Reports, 1898–1914, Berichte des Board of Trade, in: Board of Trade (Hg.), Tea and Coffee. Return to an Order of the Honourable House of Commons, in: Beilage zu den Parliamentary Papers, London 1901, 1905, 1908 und 1911. Beruhen die verwendeten Daten auf Schätzungen oder anderen Quellen als den Marktberichten, wird dies separat in den Angaben zur Quelle vermerkt. Für das 18. Jahrhundert ließen sich außer Angaben zu einzelnen Jahren und Preisen bestimmter Provenienzen in Amsterdam, Hamburg und London keine aussagekräftigen Daten ermitteln. Das Kaffeejahr geht von Juli bis Juni, daher verweisen Angaben wie 1911/1912 nicht auf zwei Jahre, sondern markieren ein Kaffeejahr oder die Daten wurden in einer Grafik zwischen die Jahresangaben gesetzt und dann miteinander verbunden.
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verzollten Ware des Jahres und / oder unter Abzug der Reexporte in Relation zur Bevölkerungsgröße errechnet. Zudem liegen Angaben zu Handelsvolumina und Preisen einzelner Provenienzen an bestimmten Handelsorten vor. Detailliertere Angaben über die Anbaugebiete und die hier angebauten Mengen in den ersten zwei Jahrhunderten der systematischen Kultivierung des Kaffeebaums ließen sich dagegen nicht ermitteln.
2.1. Spezifika der Pflanze und die Entwicklung des Kaffeeanbaus Um die Entdeckung des Kaffeebaums ranken sich verschiedene Legenden.5 Am längsten bekannt ist die wild wachsende Art Arabica, deren natürliche Verbreitungsgebiete das südwestliche Hochland Äthiopiens sowie das Boma-Plateau im Sudan sind. Sicher ist, dass bis zum Ende des 17. Jahrhunderts die Kaffeebohnen für die arabische, türkische und europäische Nachfrage aus dem Südjemen kamen.6 Über die Frage, wann und vor allem unter welchen Umständen die ersten Kaffeepflanzen in die europäischen Kolonien gelangten, existieren unterschiedliche Vermutungen. Wahrscheinlich fand der erste Anbau außerhalb Arabiens 1690 (nach anderen Quellen bereits 1658) in Ceylon (Sri Lanka) statt. 1712 gelangte die erste in den Quellen erwähnte Ladung Bohnen aus Java in den Hafen von Amsterdam, 894 Pfund waren es, und schon 1724 wurden über 10.000 Zentner der gleichen Provenienz auf dem Amsterdamer Markt gehandelt.7 Um 1800 kultivierten die europäischen Kolonialmächte auf den vier Kontinenten Afrika, Asien, Amerika und Australien systematisch Kaffeebäume. Katalysatoren dieses Verbreitungsprozesses waren die imperialistischen Interessen und damit einhergehende Versuche einzelner Kolonialmächte, Anbau und Handel zu monopolisieren. Die Kaffeepflanze gelangte so vom Osmanischen Reich ( Jemen) in die niederländischen ( Java und Suriname), französischen (Réunion, Martinique, Guadeloupe, Saint-Domingue, Madagaskar, Côte d’Ivoire, Vietnam, Neukaledonien), britischen 5 Vgl. die wohl erste Produktgeschichte von Jacob (1934), S. 9–34. Einen guten Überblick über die Legenden um die Entdeckung des Kaffees und die frühe Geschichte des Kaffeehandels und -konsums gibt ebenso Heise (2002), S. 11–14. 6 Zum Kaffeehandel zwischen dem Jemen und Europa, vgl. Menninger (2004), S. 171– 174. 7 Vgl. Norbert Petrus van den Berg, Historical and statistical Notes on the Production and Consumption of Coffee, Amsterdam 1880, S. 3 f. Zur Verbreitung des Kaffeestrauches und seines Anbaus vgl. Willy Eickmeyer, Die Entwicklung der Kaffeeproduktion seit dem Beginn des 19. Jahrhundert. Jahrhunderts, Bochum 1935; Max Fuchs, Die geographische Verbreitung des Kaffeebaumes. Eine pflanzengeographische Studie, Leipzig 1886; Frédéric Mauro, Histoire du Café, Paris 1991.
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(Indien, Ceylon, Jamaika, Kenia, Tanganjika, Uganda), portugiesischen (Brasilien, Angola, São Tomé), spanischen (Mexiko, Guatemala, Belize, El Salvador, Honduras, Kuba, Puerto Rico, Philippinen), italienischen (Eritrea), belgischen (Kongo) und deutschen Kolonien (Tansania, Kamerun, Neuguinea). Mit unterschiedlichem ökonomischem Erfolg und ungleicher Dauer war die Kultivierung der Kaffeepflanze neben dem Anbau oder Abbau von anderen Rohstoffen Teil der ökonomischen Ausbeutung all dieser Kolonien. Die Basis des Anbaus bildete die monokulturelle Plantagenbewirtschaftung mittels Sklavenarbeit.8 Für die Kultivierung der Kaffeesträucher ist ein sehr warmes Klima bei konstanten Niederschlagsmengen,9 eine spezielle Bodenbeschaffenheit und Höhenlage erforderlich. Diese Voraussetzungen können allein in subtropischen und tropischen Regionen erfüllt werden. Bis zur Entdeckung der Kaffeeart Coffea canephora (auch bekannt unter der Bezeichnung Robusta) 1860 wurden ausschließlich von der ostafrikanischen Kaffeeart Coffea arabica ausgehende Züchtungen angebaut.10 Der Kaffeebaum trägt drei bis fünf Jahre nach der Pflanzung die ersten Bohnen, zehn bis zwanzig weitere Jahre lang produziert er maximale Ernteerträge. Neben dem 8 Zur frühen Geschichte des Kaffeeanbaus vgl. Michelle Craig McDonald, The Change of the Moment: Coffee and the New West Indies Commodities Trade, in: The William and Mary Quarterly 62 (2007), in: http://www.historycooperative.org/journals/ wm/62.3/mcdonald.html (abgerufen am 20.3.2007); Gerrit J. Knaap, Coffee for Cash. The Dutch East India Company and the Expansion of Coffee Cultivation in Java, Ambon und Ceylon 1700–1730, in: Jurrien van Goor (Hg.), Trading Companies in Asia 1600– 1830, Utrecht 1986, S. 33–49; Hans Becker, Volker Höhfeld und Horst Kopp, Kaffee aus Arabien. Der Bedeutungswandel eines Weltwirtschaftsgutes an der Trockengrenze der Ökumene, Wiesbaden 1979. Neben den vielen Monografien zu einzelnen Regionen und Staaten gibt der Sammelband von Clarence-Smith und Topik (2003) einen Überblick zum Stand der Forschung. 9 15 bis 25 Grad Celsius und eine Niederschlagsmenge von 1.000 bis 2.000 Millimeter. Ein Sinken der Temperatur unter zehn Grad kann die Qualität der Kaffeebohnen stark einschränken. Kaffeepflanzen sind in hohem Maße frostempfindlich. Schon leichter Frost kann verheerende Auswirkungen auf die nächste wie auch auf künftige Ernten haben. 10 Auch heute sind auf dem Weltmarkt nur diese beiden Kaffeevarietäten mengenmäßig relevant. Des Weiteren werden gegenwärtig Coffea lberica und Coffea Exelsa angebaut. Die Robustavarietäten sind, wie der Name schon andeutet, deutlich widerstandsfähiger als die Arabicapflanze. Da trotzdem Robusta kälteempfindlicher als Arabica ist, beschränkt sich ihr Anbau auf Regionen zwischen dem zehnten Breitengrad jeweils nördlich und südlich des Äquators. Die ersten Plantagen mit Robustapflanzen wurden um das Jahr 1900 auf Java angelegt. Arabica wird gegenwärtig fast überall in Amerika, Afrika, Asien und Ozeanien zwischen dem 23. Grad nördlicher und 25. Grad südlicher Breite kultiviert. Die quantitativ wichtigsten Arabicaproduzenten sind Brasilien, Kolumbien, Guatemala sowie die übrigen Staaten Zentralamerikas. Für einen Überblick über die geografische Verbreitung der beiden Varietäten heute vgl. Bernhard Rothfos, Kaffee. Die Produktion, Hamburg 1982.
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Lebenszyklus einer Kaffeepflanze, Witterungseinflüssen und Schädlingen werden Quantität und Qualität der Erträge auch durch einen vierjährigen durch unterschiedlich hohe Erträge gekennzeichneten Rhythmus der Pflanze beeinflusst. Die aus diesem Zyklus resultierenden Schwankungen der Ernteerträge heben Neuanpflanzungen und Wettereinflüsse meist auf. Von Bedeutung für die Preisbildung ist der Ertragszyklus der Pflanze aber insofern, als in der Regel bei niedrigen Preisen keine Neupflanzungen vorgenommen werden. Sinken die weltweite geernteten Quantitäten durch die zyklische Ertragsverminderung, führen steigende Preise zu Neuanpflanzungen, deren Erträge aber erst nach vier Jahren auf den Markt gelangen. Zwar stagnieren nun für eine kurze Zeitspanne von etwa fünf Jahren die Marktpreise, doch aufgrund der steigenden Erträge der Neupflanzungen sinkt er dann wieder ab.11 Größere Unwetter sowie ungewöhnliche Hitze und Kälte können sogar die Qualität der Bohnen dermaßen beeinträchtigen, dass der Weltkaffeepreis stark steigt, so geschehen zum Beispiel in den Jahren 1887, 1904 und 1912. Jede der kaffeeerzeugenden Regionen liefert Bohnen mit spezifischen Merkmalen. Zudem kann die Beschaffenheit der Kaffeebohnen aus einer Region durch die Witterung und die Behandlung während der Ernte stark beeinflusst werden.12 Zusätzlich zu den permanenten Schwankungen der Anbauquantitäten und -qualitäten ist der Kaffeebaum als tropische und subtropische Pflanze besonders anfällig für Schädlinge und Krankheiten. Diese traten seit dem Beginn der Kultivierung der Kaffeepflanze auf Plantagen auf. Im Zuge des beschleunigten Austausches von Gütern und auch durch die zunehmende Bewegung von Menschen über die Kontinente im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden sie zu einem global verbreiteten und somit essentiellen Problem des Kaffeeanbaus. 1870 vernichtete der Schädling Hemileia vastatrix große Bestände der Kaffeekultur auf Java. Gleichzeitig trat dieser Pilz in Ceylon auf und griff die Pflanzungen dermaßen an, dass man in der Region ab den 1880er Jahren den Kaffeeanbau weitestgehend aufgab. Schon am Ende des 19. Jahrhunderts war der Kaffeemarkt im Hinblick auf die globale Ausbreitung von Schädlingen ökologisch integriert.13 Technische Hilfsmitteln bei der Pflege und Ernte können wegen der Sensibilität der Kaffeepflanze nur begrenzt eingesetzt werden. Die Pflanze braucht nicht viel Fläche, ihre Pflege erfordert unter den Plantagenkulturen nach Tee jedoch den höchsten 11 Modelltheoretisch entspricht dieser Zyklus dem Cobweb-Theorem, vgl. dazu Werner Hoyer und Rolf Rettig, Grundlagen der mikroökonomischen Theorie, 2. Aufl., Düsseldorf 1984, S. 251–254. Siehe empirisch dazu die Entwicklung der exportierten Mengen in Grafik 2 und 12 sowie die Tabelle 15 in Kapitel 7 und Tabelle 16 im Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages. 12 Vgl. de Graaff (1986), S. 105. 13 Vgl. Stuart McCook, Global rust belt: Hemileia vastatrix and the Ecological Integration of World Coffee Production since 1850, in: Journal of Global History (2006) 1, S. 177– 195.
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Arbeitsbedarf je Flächeneinheit: „da man wegen des meist gebrochenen Geländes und der engen Pflanzungsart weder Pflug noch Egge verwenden und nur mit Hacke, Buschmesser und Spaten arbeiten kann, lässt sich denken, welche Unmengen Arbeit und Arbeitsleute zur richtigen Erhaltung einer Kaffeepflanzung […] notwendig sind“.14 Eine weitere Schwierigkeit ist der unregelmäßige Arbeitskräftebedarf, der sich daraus ergibt, dass in einer Region die Bohnen quasi gleichzeitig reif sind und von der beginnenden Reife bis zur Überreife in wenigen Tagen sämtliche Kaffeepflanzen abgeerntet werden müssen. Die Probleme des hohen Aufwands für die Pflege der Kulturen sowie des akuten Arbeitskräftebedarfs in der Erntezeit lösten Plantagenbesitzer bis zum Ende des 19. Jahrhunderts durch den Einsatz von Sklaven. Zumindest für den Prozess der Dekolonisierung muss jedoch die landläufige Annahme, Kaffeeanbau sei im 19. Jahrhundert ausschließlich als Monokulturwirtschaft auf Großplantagen betrieben worden, korrigiert werden. Neuere Studien zeigen, dass in den lateinamerikanischen Staaten die Bedeutung der Kultivierung von Kaffeepflanzen durch Kleinbauern gegenüber der Plantagenbewirtschaftung durch Großgrundbesitzer zunahm. Die Kleinbauern bauten neben Kaffee auch andere Plantagenkulturen wie Bananen an.15 Trotzdem blieben (staatlicher oder privater) Großgrundbesitz durch Kolonialherren sowie die nach kapitalistischen Prinzipien organisierte Bewirtschaftung der Plantagen durch den Einsatz von Sklaven lange die entscheidenden Merkmale der systematischen Kultivierung der Kaffeepflanzen mit allen dazu gehörenden negativen sozialen Konsequenzen. In Brasilien übernahmen vor und vor allem nach der Sklavenbefreiung 1888 zum Teil europäische Immigranten die Arbeit auf den Kaffeeplantagen.16 Vor dem Beginn der systematischen Kultivierung des Kaffeebaums auf Plantagen ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts war der Jemen das einzige Gebiet gewesen, in dem ab dem letzten Drittel des 15. Jahrhunderts Kaffee gezielt angebaut worden war. Ihn lösten im Hinblick auf die angebauten Mengen die westindischen und ostasiatischen Regionen als Hauptanbaugebiete ab. Doch führten Sklavenaufstände schon 1728 in Niederländisch-Guayana, 1760 auf Jamaika und 1791–93/94 auf Haiti zu einem starken Rückgang des Kaffeeanbaus. Zu den neuen Hauptproduzenten entwickelten sich im 19. Jahrhundert die lateinamerikanischen Länder, allen voran Brasilien. Die Grafik 1 (im separater Bildteil) stellt die vorliegenden Daten zu den aus
14 Helmuth Schmolck, Welthandel selbst erlebt. Wanderjahre in den Tropen, Bd. 1, Heidelberg 1951, S. 90. 15 Vgl. Steven Topik und William Gervase Clarence-Smith, Conclusion, in: dies. (2003), S. 385–410, S. 393. 16 Vgl. Thomas Holloway, Immigrants on the Land. Coffee and Society in São Paulo 1886–1934, Chapel Hill 1980; Béatrice Ziegler, Schweizer statt Sklaven. Schweizerische Auswanderer in den Kaffee-Plantagen von São Paulo (1852–1866), Stuttgart 1985. Zu den sozialen Konsequenzen vgl. Roseberry, Gudmundson und Kutschbach Samper (1995); Williams (1995).
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den Anbauländern exportierten Mengen von 1711 bis 1852 zusammen.17 Sie kann aufgrund der Lückenhaftigkeit der verfügbaren Daten nur einen höchst ungenauen ersten Eindruck geben. Doch zeichnet sich die stetig wachsende Bedeutung Brasiliens deutlich ab. Lagen die statistisch erfassten Mengen des weltweit gehandelten Rohkaffees 1854 noch bei etwa 313 Tausend Tonnen, so stiegen sie von insgesamt etwas über 455 Tausend Tonnen im Erntejahr 1876/77 auf etwas über 1.143 Tausend Tonnen im Jahr 1913/14 (vgl. zu der unterschiedlichen Entwicklung der Rohkaffeeexporte nach Regionen die Grafik 2 und zusammengefasst als Weltexportmengen die Daten in Grafik 13 im separaten Bildteil).18 Als neue Anbaugebiete kamen in diesen Jahrzehnten die afrikanischen Kolonien der europäischen Großmächte hinzu. Den massiven Rückgang der Kaffeepflanzungen auf dem indischen Subkontinent (Vorderindien, Ceylon und NiederländischIndien) verursachte die bereits erwähnte Blattpilzerkrankung.19 Zwischen 1869 und 1914 wurde in 36 Ländern systematisch Kaffee kultiviert. Spätestens ab den 1860er Jahren bauten Pflanzer in Brasilien zwei Drittel der weltweit gehandelten Mengen an. Sie steigerten ihre Erntehöhen zudem ab den 1870er Jahren kontinuierlich auf im Durchschnitt 71 Prozent in den Jahren 1900 bis 1914 (vgl. Grafik 3). Die Hauptanbaugebiete für Kaffee in Brasilien sind die Regionen Santos und Rio.20 Infrastrukturelle Maßnahmen in den Anbaugebieten (Straßenbau, Ausbau der Binnenschifffahrt, Eisenbahnlinien, Umbauten der Exporthäfen) begleiteten den 17 Quellen Grafik 1: Berg (1880), S. 3 f., S. 15 f., S. 26 f., S. 47; Clarence-Smith und Topik (2003), S. 412–413; Ernst Neumann, Kaffee. Seine geographische Verbreitung, Gesamtproduktion und Konsumption, Greifswald 1930, S. 120; Hans Roth, Die Übererzeugung in der Welthandelsware Kaffee im Zeitraum von 1790–1929, Jena 1929, S. 24, S. 27 f., S. 29, S. 34 f., S. 132; Francis B. Thurber, Coffee. From Plantation to Cup. A Brief History of Coffee Production and Consumption, New York 1881, S. 72 f. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, hier Tabelle 16. 18 Quellen Grafik 2: Board of Trade (1908); Mary L. Bynum, International Trade in Coffee, Washington 1926, S. 32 f.; Department of Commerce and Labour (1905), S. 84 f.; Ernst von Halle (Hg.), Amerika. Seine Bedeutung für die Weltwirtschaft und seine wirtschaftlichen Beziehungen zu Deutschland, Hamburg 1905, S. 627; Institut für Weltwirtschaft Kiel (Hg.), Weltproduktion und Weltverbrauch von Kaffee 1929, in: Bibliothek Hamburgisches Welt-Wirtschafts-Archiv, Mikrofilmsammlung; Hermann Kurth, Die Lage des Kaffeemarktes und die Kaffeevalorisation, Jena 1909, S. 4 f., XXXV; Neumann (1930), S. 136 f.; Roth (1929), S. 132. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, hier Tabelle 17. 19 Vgl. William Gervase Clarence-Smith, The Coffee Crisis in Asia, Africa and the Pacific, 1870–1914, in: ders. und Topik (2003), S. 100–119; Roland Wenzlhuemer, From Coffee to Tea Cultivation in Ceylon 1880–1900. An Economic and Social History, Leiden und Boston 2008. 20 Quelle Grafik 3: Kurth (1909), S. 4f. Zu den Rohdaten vgl. PDF auf der Internetseite des Böhlau Verlages, hier Tabelle 17 und 18.
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Grafik 3 Anteile Brasiliens am Weltkaffeeexport 1869–1902
Anstieg der Mengen exportierter Kaffeebohnen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts.21 Der Ausbau der brasilianischen Infrastruktur, insbesondere der Bau von Eisenbahnen in den Anbaugebieten, verkürzte zwar zweifellos den Zeitraum zwischen Ernte und Verkauf auf den Hauptkaffeemärkten in Rio de Janeiro und São Paulo.22 Wie stark sich die Transportkosten durch Eisenbahnen aber verringert haben, wird kontrovers diskutiert. Machte der Transportpreis vor dem Eisenbahnbau ca. ein Drittel der Gestehungskosten aus, lag er um 1900 Schätzungen zufolge immer noch bei 15 bis
21 Zu Puerto Rico, vgl. Laird W. Bergad, Coffee and the Growth of Agrarian Capitalism in Nineteenth Century Puerto Rico, Princeton 1983. Zu Guatemala Michael J. Biechler, The Coffee Industry of Guatemala (unveröff. Diss. Microfilm), Ann Arbor 1981. Die umfassendste Quelle aus deutscher Perspektive zu den Infrastrukturmaßnahmen sind die Berichte der deutschen Konsulate und Gesandten in den entsprechenden Ländern, vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 266-283. Die deutschen Vertreter waren ab den 1890er Jahren angewiesen, spezielle Dossiers zu Kaffeeanbau und -handel anzufertigen. Daher liegen Berichte zum Kaffeemarkt nicht nur für die Anbauländer vor, sondern auch für Handelsplätze wie zum Beispiel Triest, New York oder Singapur. 22 Zum Eisenbahnbau und dessen Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung Brasiliens vgl. William Roderick Summerhill, Order against Progress. Government, Foreign Investment and Railroads in Brazil 1854–1913, Stanford 2003. Zur Auswirkung von Infrastrukturmaßnahmen auf den Kaffeeanbau vor allem in Rio de Janeiro mit Berücksichtigung von São Paulo im 19. Jahrhundert vgl. Hildete Pereira de Melo, Coffee and the Rio de Janeiro Economy, in: Clarence-Smith und Topik (2003), S. 360–384.
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20 Prozent.23 Steigerungen der Ertragsmengen durch den Einsatz neuer Technologien wie Düngemittel oder maschinelle Unterstützung bei Anbau und Ernte spielten beim Anstieg der angebauten Quantitäten eine eher marginale Rolle. So lieferte der einzelne Kaffeebaum am Ende des 19. Jahrhunderts ein bis eineinhalb Pfund Rohkaffee pro Jahr – auch gegenwärtig sind es nicht mehr als zwei Pfund pro Jahr.24 Kostensenkungen durch Maschineneinsatz stellen bis heute aufgrund der Empfindlichkeit der Pflanze die Ausnahme dar. Im 19. Jahrhundert wurden alle Arbeitsschritte in der Kaffeekultivierung per Hand erledigt.25 Die Aufbereitung der Kaffeekirsche, das Ablösen der Bohne von Fruchthaut, Fruchtfleisch und der die Bohne umschließenden Pergamenthaut erfolgt seit Beginn der Plantagenbewirtschaftung bis heute weltweit durch zwei aufwendige manuelle Verfahren der Oost-Indischen Bereiding und der West-Indischen Bereiding.26 Bei der Oost-Indischen Bereiding, der ostindischen Verarbeitung werden die Kaffeekirschen unter mehrmaligem Wenden so lange in der Sonne getrocknet, bis sich die Pergamenthaut und das trockene Fruchtfleisch relativ leicht mechanisch abschälen. Bei der zweiten Methode werden die Bohnen mit Wasser vorgereinigt, eine Maschine, der Pulper, trennt das Fruchtfleisch ab, ein Fermentationsprozess lässt das Pergamenthäutchen mit seinem Schleim dann leich23 Vgl. Topik (2003), S. 32. Detaillierte Angaben zu den Transportkosten bei Franz W. Dafert, Über die gegenwärtige Lage des Kaffeeanbaus in Brasilien, Amsterdam 1898. Eine weitere Berechnung der durchschnittlichen brasilianischen Gestehungskosten bei Clara Ratzka-Ernst, Welthandelsartikel und Preise. Eine Studie zur Preisbewegung und Preisbildung. Der Zucker, der Kaffee und die Baumwolle, München und Leipzig 1912, S. 89–91. Zur Einbindung Brasiliens in den Weltmarkt im Hinblick auf die sich im Inland kaum reduzierenden Transportkosten vgl. Luis Bértola und Jeffrey G. Williamson, Globalization in Latin America before 1940 (National Bureau of Economic Research, Working paper 9687), Cambridge (Mass.) 2003. 24 Unabhängig von der Düngung divergierte der Durchschnittsertrag pro Hektar innerhalb einer Region und zwischen den angebauten Varietäten: So lag er in Brasilien in den 1890er Jahren bei 333 bis 1.600 kg, in Ceylon wurden hingegen nie mehr als 1.200 kg erreicht, der Mittelertrag lag bei 628 kg. Hatten Sumatra und Java zu Beginn der Kultivierung noch Durchschnittserträge bis 1.000 kg pro Hektar erreicht, so lag der Mittelwert am Ende des 19. Jahrhunderts bei 224 bis 671 kg. Angaben aus Franz W. Dafert, Erfahrungen über rationellen Kaffeebau, 2. Aufl., Berlin 1899, S. 6–25. Erste systematische Versuche zum Kaffeeanbau machte der Deutsche Franz W. Dafert. Er war in den 1880er und 1890er Jahren Direktor des Landwirtschaftlichen Institutes des Staates São Paulo und ab 1899 Direktor der k. k. Landwirtschaftlich-chemischen Versuchsanstalt in Wien. Dafert verfasste ausgehend von seinen Versuchen in Brasilien in den 1890er Jahren auch die erste umfassende Publikation über den systematischen Anbau von Kaffeepflanzen, vgl. Dafert (1898). 25 Vgl. Steven Topik, Historicizing Commodity Chains. Thinking about Things, Structures, Systems and Especially Coffee (=Typoskript), Irvine 2006, S. 5; ders. (1998), S. 57. 26 Vgl. Arlec E. Haarer, Modern Coffee Production, London 1956.
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ter ablösbar werden, ehe man die Früchte erneut wäscht und trocknet. Für das erste Verfahren ist ein trockenes und heißes Klima, für das zweite das Vorhandensein von ausreichend Wasser Bedingung. Wie diese grobe Skizze zeigt, waren somit weder im Anbau noch bei der Aufbereitung des Kaffees infrastrukturelle Maßnahmen oder technische Innovationen der Hauptgrund für die Steigerung der geernteten Mengen. Zwar ernteten die brasilianischen Produzenten 1926 knapp viereinhalb Millionen Sack mehr Rohkaffee als noch 1895, dies erklärt sich aber durch immer neue Pflanzungen in bisher für den Kaffeeanbau nicht genutzten Gebieten.27
2.2. Die Organisation des internationalen Kaffeegroßhandels Waren sie auf der Anbauseite also von eher untergeordneter Bedeutung, spielten die technischen Innovationen, die die Kommunikations- und Transportrevolution des 19. Jahrhunderts auslösten, im globalen Rohstoffgroßhandel doch eine entscheidende Rolle. Unter Kaffee als Handelsware wurden und werden im Großhandel28 die von der inneren Samenhaut befreiten Samen (umgangssprachlich Bohnen) der Kaffeepflanze verstanden. Nach den Ursprungsländern und nicht nach den Sorten unterschieden und unterscheiden die Kaffeehändler zwischen arabischem Kaffee (Mokka), afrikanischem Kaffee (West- und Ostafrika), indischem Kaffee ( Java, Menado und Ceylon), westindischem Kaffee (Mexiko, Costa Rica, Guatemala, Nicaragua) und südamerikanischem Kaffee (Venezuela, Ecuador, Suriname, Brasilien). Diese Klassifizierungen nach Provenienzen differenzierte der Großhandel durch Bezeichnungen, die sich auf einzelne Herkunftsregionen beziehen (zum Beispiel „Java-“ oder „Riokaffee“). Vom Ende des 17. Jahrhunderts bis in die 1870er Jahre wurde die europäische Nachfrage bedient, indem sich die europäischen Großhändler drei- bis viermal im Jahr über den Londoner oder Amsterdamer Platzhandel mit Kaffee versorgten.29 Im Platzhandel, auch Effektivhandel genannt, fallen Kauf- und Verkaufsakt zusammen. Geld wird gegen greifbare Ware getauscht. Letztere wird gekauft wie gesehen. 27 Die Anbaufläche betrug 1895 1,012 Mio. und 1926 2,480 Mio. Hektar, die Erntehöhen steigerte sich in den gleichen Jahren von 9,042 Mio. Sack im jährlichen Durchschnitt auf 13,471 Mio. Sack. Zahlen entnommen aus den Handelsberichten der Marktplätze der entsprechenden Jahre. 28 Als Großhandel wird im Folgenden der internationale Import-/Exporthandel bezeichnet, der Großhandel im Inlandsgeschäft als Binnengroßhandel. 29 Die Anteile der Handelsplätze lassen sich nicht ermitteln, bis in die 1850er Jahre liegen keine Zahlen über die Menge des weltweit angebauten Kaffees sowie sichtbare Weltvorräte vor. Durchgängige Angaben über Preise geben die Preiscouranten (London ab 1782, Amsterdam ab 1689 und Hamburg ab 1735).
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Amsterdamer und Londoner Zwischenhändler veranstalteten drei bis fünf Auktionen im Jahr, um alle Kaffeesorten aus den eigenen Kolonien (also die Mehrheit der verfügbaren Ware) mittels des Kommissions- oder Konsignationssystems weiter zu vertreiben.30 Dabei lag das alleinige Recht auf Handelsvermittlung bei den Londoner Importeuren und bei der Nederlandsche Handel-Maatschappij (NHM) in Amsterdam.31 Letztere dominierte aufgrund der Handelsregulationen und ihres Transportmonopols zwischen 1830 und 1860 den europäischen Markt.32 Nur die langsam auf den Markt kommenden mittelamerikanischen und brasilianischen Kaffeesorten konnten in Amsterdam zwischen Exporteur und Großhändler anderer Handelsplätze direkt gehandelt werden. Dieser Direkthandel nahm im Verlauf des 19. Jahrhunderts im Zuge der Unabhängigkeitsbewegungen in den lateinamerikanischen Ländern zu. Es existierten auch schon früher direkte Handelsbeziehungen mit den jeweiligen Ländern, hier war es allerdings weniger um Kaffee gegangen.33 30 Vgl. Rudolf Sonndorfer, Die Technik des Welthandels. Ein Handbuch der internationalen Handelskunde, Wien 1889, S. 306–310. Als Eigenhändler zu agieren bedeutet, mit eigenem Kapital auf eigene Rechnung Geschäfte durchzuführen. Ein Kommissionär ist ein selbständiger Vermittler, der nicht auf eigene Rechnung verkauft, sondern für das Vermitteln der Waren zwischen Anbietern und Interessenten eine Provision erhält. Die Ware muss dabei nie in seinem Beitz sein und ist nie sein Eigentum. Ein Konsignatar ist ein Empfänger fremder Ware. Hierbei bleibt die Ware so lange im Besitz des Verkäufers, bis der Konsignatar die Ware beim Verkauf an den Kunden aus seinem eigenen Lager entnimmt. Heute verweist nur noch der Begriff Konsignation auf diese kaufmännische Dienstleistung. In London wurden die Geschäfte aber vor allem über das Kommissionssystem, in Amsterdam über beide Handelsformen abgeschlossen. 31 Die NHM wurde 1824 von Wilhelm I. gegründet, um den Handel mit NiederländischIndien wiederzubeleben. Heutiger Nachfolger ist der Bankkonzern ABM AMRO. Zur NHM im 19. Jahrhundert vgl. die Beiträge des Sammelbandes Anne Booth (Hg.), Indonesian Economic History in the Dutch Colonial Area, New Haven (Conn.) 1990. Zu Zahlen die den Bedeutungsverlust der NHM als exklusiver Kaffeeimporteur ab 1884 demonstrieren vgl. Tabelle 56 im Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages. 32 Vgl. aus der Perspektive eines niederländischen Kaffeehandelshauses W. Schöffer & Co., Rotterdam, o. A., Ein Beitrag zur Geschichte des Kaffee-Handels, Zürich 1905, hier S. 9–12. Zum Monopol allgemein vgl. Clive Day, The Policy and Administration of the Dutch in Java, New York 1904; Eickmeyer (1935), S. 25 f.; M. R. Fernando, Coffee Cultivation in Java 1830–1917, in: Clarence-Smith und Topik (2003), S. 157–172. Ein Überblick zum europäischen Ostindienhandel findet sich bei Philippe Haudrère, Les Compagnies des Indes orientales. Trois siècles de rencontre entre Orientaux et Occidentaux (1600–1858), Paris 2006. 33 So rühmten sich Voght & Sieveking aus Hamburg sie seien, wenn auch nur für kurze Zeit, am Ende des 18. Jahrhunderts, das erste Handelshaus gewesen das Kaffee direkt importiert hätte, vgl. Heinrich Sieveking, Das Handelshaus Voght und Sieveking, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 17 (1912), S. 54–128, S. 72. Zur Geschichte
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Londons Stellung als Umschlagplatz für Kaffee begründete sich ähnlich wie diejenige Amsterdams dadurch, dass die englischen Kolonien bis weit ins 19. Jahrhundert einen großen Teil der international gehandelten Kaffeebohnen stellten.34 In der Folge „waren damals die überseeischen Kaffeeexporteure, sei es wegen ihrer finanziellen Abhängigkeit von Londoner Firmen, sei es wegen der Bedeutung Londons als Handelsplatz, gezwungen, ihre Ware dorthin zu konsignieren und in Auktionen versteigern zu lassen“.35 Besondere Bedeutung für das Ex- und Importgeschäft hatte die Londoner City bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges zusätzlich als Finanzzentrum des Überseehandels.36 Zahlungsmittel im internationalen Zahlungsverkehr waren Wechselbriefe. Die geläufigste Zahlungsart im Kaffeegroßhandel vor 1914 war der Akzeptkredit, den Londoner Banken den europäischen Großhändlern in Form des Rembourskredites gewährten. Sie räumten den großen europäischen Handelshäusern eine Fazilität ein. Diese Kreditmöglichkeit konnte bei Bedarf bis zu einer bestimmten Höhe in Anspruch genommen werden. Mit dem Akzeptkredit verpflichtete sich der Londoner Kreditgeber, die vom Kunden ausgestellten Wechsel zu akzeptieren sowie für deren Einlösung zu haften. In der Regel verfügten die europäischen Importeure über einen zeitlich nicht begrenzten Rembourskreditrahmen bis zu einer bestimmten Summe (50.000 Pfund Sterling galten als nicht ungewöhnlich) bei den Londodes Hamburger Lateinamerikahandels vgl. Horst Pietschmann, Hamburg und Lateinamerika in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Felix Becker u. a. (Hg.), Iberische Welten, Köln, Weimar und Wien 1994, S. 381–407; Annette Christine Vogt, Ein Hamburger Beitrag zur Entwicklung des Welthandels im 19. Jahrhundert. Die Kaufmannsreederei Wappäus im internationalen Handel Venezuelas und der dänischen sowie niederländischen Antillen, Stuttgart 2003. Einen Überblick zum frühen Kolonialwarenhandel gibt Jürgen Schneider, The Effects on European markets of Imports of Overseas Agriculture: The Production, Trade and Consumption of Coffee (15th to late 18th century), in: José Casas Pardo (Hg.), Economic Effects of the European Expansion 1492–1824, Stuttgart 1992, S. 283–306 und Peter Kriedte, Vom Großhändler zum Detaillisten. Der Handel mit „Kolonialwaren“ im 17. und 18. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (1994) 1, S. 11–26. 34 Zu den frühen Handelsbeziehungen Englands auch mit dem Jemen vgl. Christopher G. A. Clay, Economic Expansion and Social Change in England 1500–1700, Bd. 2, Cambridge 1984, S. 103–202. Brasilkaffees wurden in London zu Beginn des 19. Jahrhunderts kaum gehandelt, vgl. Walter Christen, Der Hamburger Kaffee-Einzelhandel und seine besondere Gestaltung unter dem Einfluß des Standortes am Importplatz, Hamburg 1935, S. 11. 35 Karl Oberparleiter, Der Londoner Kaffeemarkt, o. O. o. J. [1914], S. 3. 36 Vgl. Philip Leo Cottrell, The Domestic Commercial Banks and the City of London, 1870–1929, in: Youssef Cassis (Hg.), Finance and Financiers in European History, 1880–1960, Cambridge 1992, S. 39–62; Ranald Michie, The City of London and International Trade 1850–1914, in: ders. (Hg.), The Development of London as a Financial Centre, Bd. 2: 1850–1914, London u. a. 2000, S. 58–87.
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ner Banken, was ihnen die notwendige Kreditwürdigkeit gegenüber den Exporteuren verschaffte.37 Zusammengefasst und stark abstrahiert sind sowohl die Handelsformen als auch die Organisationsstrukturen des Kaffeegroßhandels bis in die 1860er Jahre bestimmt durch ein auf zwei Orte konzentriertes Zwischenhandelsoligopson (der Nachfragenden an Kaffee aus Übersee) respektive -oligopol (der Anbieter von Kaffee auf dem europäischen Markt).38 Als Nadelöhr zwischen Angebot und Nachfrage waren die Londoner und Amsterdamer Großhändler vor allem als Kommissionäre oder Konsignatare Profiteure des Kaffeegroßhandelssystems mit geringen Risiken. Spätestens in den 1880er Jahren hatten sich die Rahmenbedingungen des Weltkaffeehandels aber verschoben: Die süd- und zentralamerikanischen Staaten produzierten über 90 Prozent des gehandelten Kaffees. Zudem verringerte sich in den 1870er und 1880er Jahren die Bedeutung der Handelsplätze Amsterdam und London zugunsten von Le Havre und Hamburg.39 In den Quellen wird vor allem der Aufstieg der beiden letztgenannten Hafenstädte als Novum der 1880er Jahre betont und der gleichzeitige Bedeutungsverlust von London und Amsterdam unterstrichen.40 Doch relativieren sich diese Aussagen, wenn man sich genauer anschaut, wie hoch die importierten Mengen waren. Grafik 4 zeigt die absoluten Mengen des von den vier wichtigsten europäischen Importländern / Handelsplätzen eingeführten Kaffees.41 37 Zur Bedeutung der Londoner Merchant Bankers für die Finanzierung des Remboursgeschäftes der Hamburger Kaffeehändler vgl. Willy Kranke, Organisation und Preisbildung im deutschen Kaffee-Großhandel, Halle-Wittenberg 1928, S. 29 f. Zu den Zahlungsmitteln vgl. Rolf Walter, Wechsel, Pari, Kurs und ihre Bedeutung für das Überseegeschäft, in: Scripta Mercaturae 16 (1982) 1, S. 55–78. 38 Vgl. Roth (1929), S. 15–36. Er beschreibt die Zeit bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts als eine allein durch die Kriege und zwei Jahre des Überangebots 1827/28 unterbrochene Angebotsmonopolstellung der Londoner und Amsterdamer Zwischenhändler. Ein erstes Überangebot lässt sich laut Roth für die Jahre 1827–1830 vermuten, da hier die Kaffeepreise um 30 Prozent fielen. Hingegen bewertet Kriedte (1994), S. 21, aufgrund des Kaffeepreisverfalls am Amsterdamer Markt den Beginn des 18. Jahrhunderts schon als Endpunkt des Angebotsmonopols. Hier bietet sich an, nicht die Preisentwicklungen, sondern die Zugangsmöglichkeiten zum Markt als entscheidendes Kriterium und Grundlage der Argumentation zu wählen. 39 Amsterdam und London behielten aber für die mittels des Konsignationssystems gehandelten west- und ostindischen Kaffees eine gewisse Bedeutung, vgl. die Berichte des britischen Board of Trade (1901–1910). 40 Vgl. u. a. Franz Findeisen, Der Kaffeehandel, Halle a. d. Saale 1917, S. 56; Ludwig Deutschmann, Der Kaffee-Großhandel, Berlin 1918, S. 10–13. 41 Quellen zur Grafik 4: Für 1886–1911 in den Marktberichten der Handelsplätze und im Hamburger Staatsarchiv (im Folgenden abgekürzt mit StAHH), Bestand 612-5/8, Signatur 8. Für Großbritannien 1869–1881, Thurber (1881), S. 244; die Angaben zu den Niederlanden bei Berg (1880), S. 76–77. Thurber gibt für 1869–1881 viel niedrigere
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Grafik 4 Einfuhr an den europäischen Haupthandelsplätzen 1869–1910
Die Handelsplätze Le Havre und Hamburg importierten in Europa ab den 1880er Jahren im Durchschnitt am meisten Kaffee, aber auch die britischen Importe stiegen. Der niederländische Kaffeehandel profitierte in den 1860er Jahren noch vom Handelsmonopol der NHM, wurde aber ab den 1880er Jahren von den französischen Importen überholt, trotzdem stiegen die niederländischen Importe im gesamten Zeitraum. Problematisch ist, dass aufgrund der Quellenlage der Handel zwischen den europäischen Handelsplätzen (Reexporte) in der Grafik 4 nicht berücksichtigt werden konnte. Dies betrifft sowohl mögliche Reexporte von London und Amsterdam nach Le Havre und Hamburg wie auch umgekehrt. Der Reexport von Le Havre und Hamburg nach London und Amsterdam scheint, soweit die Datenlage eine Einschätzung zulässt, lediglich einen geringfügigen Anteil am absoluten Import der beiden Städte ausgemacht zu haben. So bezog zum Beispiel Hamburg im Durchschnitt der Jahre 1880 bis 1901 lediglich 0,11 Prozent (2.961,4 Tonnen) seiner gesamten Importe (2.768.100 Tonnen) aus anderen europäischen Ländern.42 Der Zugewinn von Le Importquantitäten für Hamburg an, in Tsd. Tonnen: 1869 30; 1870 18,1; 1871 29,6; 1872 25; 1873 28,1; 1874 30,9; 1875 37; 1876 36; 1877 39; 1878 36,8; 1879 38,7; 1880 40,5. Auch für Le Havre differieren Thurbers Angaben für die beiden Jahre 1886 und 1887 mit denen der anderen Quellen. Thurber gibt den Umfang der Importe in Tsd. Tonnen für 1886 mit 75,6 und für 1887 mit 72 an. Da Thurber seine Quellen nicht angibt, wurden für die Grafik die Daten der Primärquellen verwendet. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, hier Tabelle 19. 42 Ausführlicher vgl. Kapitel 3.1.
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Havre und Hamburg begründete sich damit mehrheitlich aus einem Anstieg der Direktimporte von den produzierenden Ländern. Dies bestätigt auch die Grafik 5. Für die wichtigsten europäischen Importländer zeigt sie beispielhaft für die Jahre 1903 bis 1909 die jeweiligen Anteile der Importe aus den Kaffee produzierenden Ländern respektive aus anderen europäischen Ländern und den USA.43 Leider liegen hier aber die Daten nur für die Importe in die Länder vor, so dass unverzollte, in den Freihäfen liegende Ware im Fall Frankreichs, Österreich-Ungarns und Deutschlands nicht in die Darstellung einbezogen werden konnte. Doch sobald die entsprechenden Quantitäten in den Binnenhandel eintraten (somit in das Zollgebiet) und nicht in andere Länder als die hier aufgeführten wiederverkauft wurden, sind sie als importierte Ware berücksichtigt. Das bedeutet jedoch zugleich, dass für die genannten Länder die reexportierten Mengen nicht extra erfasst werden konnten. Es wird aber klar, dass vor allem Belgien und die Niederlande ein Drittel bis die Hälfte ihrer Importe nicht aus den produzierenden Ländern direkt bezogen, sondern über andere europäische Handelsplätze. Dieser Befund verdeutlicht, dass die niederländischen Handelsplätze am Ende des 19. Jahrhunderts immer weniger direkt importierten.44 Damit verbunden war sicherlich eine Verminderung von Gewinnmargen für die niederländischen Zwischenhändler, aber nicht unbedingt eine Abwertung der dortigen Handelsumschlagplätze. Die reexportierten Mengen, die einen Hinweis auf die Bedeutung der Orte als Umschlagsplätze geben, verringerten sich prozentual in Amsterdam und London wenig. 1861 importierte Amsterdam 73.669 und London 27.215 Tonnen Rohkaffee, davon wurden aber 85,3 Prozent bzw. 41 Prozent ausgeführt. Der niederländische Reexportanteil lag 1877 bei 78.215 Tonnen (69 Prozent) und 1903 bei 94.098 Tonnen (72,7 Prozent), der britische 1884 bei 49.473 Tonnen (85,6 Prozent) und 1903 bei 23.515 Tonnen (71,9 Prozent).45 Wie die Grafik 6 für die Jahre 1903/04 und 1909 beispielhaft zeigt, importierten und reexportierten die Niederlande ähnlich große Mengen wie Frankreich oder Deutschland.46 43 Quelle zu Grafik 5: Board of Trade (1901–1910). Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, hier Tabelle 20. 44 Dies betraf vor allem den in Niederländisch-Indien staatlich kontrollierten Kaffeeanbau, dessen Import durch die NHM in den Niederlanden vor 1884 noch 66,5 Prozent der Gesamteinfuhren des Landes ausmachte, 1908 nur noch 1,1 Prozent betrug, vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, hier Tabelle 56. 45 Die Angaben zum Konsum können aber in den einzelnen Jahren durchaus höher gelegen haben, denn aufgrund fehlender Daten nicht berücksichtigt sind die dem Konsum zugeführten Mengen aus den Lagern der Handelsplätze und der Binnenhändler, vgl. Thurber (1881), S. 244; Berg (1880), S. 76–77; Board of Trade (1901) und ebd. (1908). 46 Quelle zu Grafik 6: Board of Trade (1903), S. 103 f.; ebd. (1910), S. 13, S. 45. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, hier Tabelle 21.
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Grafik 5 Herkunft der Kaffeeimporte 1900–1910
Der Aufstieg Le Havres und Hamburgs zu den bedeutendsten Umschlagsplätzen Europas ist somit eher durch den absoluten Anstieg der weltweiten Erträge und des Konsums und damit auch den Anstieg der in Mitteleuropa umgeschlagenen Quantitäten zu erklären als durch eine tatsächliche Verdrängung von London oder Amsterdam. Beide Plätze konnten sich, sowohl was die absoluten Mengen importierten Kaffees als auch was die umgeschlagenen Mengen betraf, durchschnittlich leicht verbessern. Bedingt durch den relativen Ertragsrückgang in Asien, also in den niederländischen Kolonien, mussten sich die niederländischen Großhändler wahrscheinlich aber vermehrt dem europäischen Zwischenhandel zuwenden. Amsterdam erhielt als Kaffeehandelsplatz zudem Konkurrenz durch Rotterdam, dessen Händler sich auf den Import von Brasilkaffees spezialisierten. Importierte Rotterdam 1889 knapp 50 Prozent der in den Niederlanden konsumierten Kaffeequantitäten, so waren es 1910
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Grafik 6 Importe, Konsum und Reexporte 1903 / 1904 und 1909
schon 80 Prozent. Der Anteil der durch die NHM importierten Kaffeemengen verringerte sich zugleich auf bis zu einem Prozent.47 Begünstigt wurde der Aufstieg Le Havres und Hamburgs zu den europäischen Kaffeehaupthandelsplätzen also vor allem durch den Aufschwung Lateinamerikas, allen voran Brasiliens, zum Hauptkaffeeproduzenten. Die Zwischenhändler in Hamburg und Le Havre nahmen unmittelbare Handelsbeziehungen mit den lateinamerikanischen Anbauländern auf und etablierten Direktimporte von dort. Gleichzeitig büßten wegen der erwähnten Probleme mit Pflanzenschädlingen die unter dem ökonomischen Einfluss Großbritanniens und der Niederlande stehenden Pflanzungsgebiete in Vorderindien, Ceylon und Niederländisch-Indien Marktanteile ein. Damit verloren die Kaffeeauktionen und die Zwischenlagerung in Amsterdam und London an Bedeutung.48 Mit diesen Veränderungen verbunden war die Herausbildung einer neuen Organisationsstruktur im Großhandel. Konnten Geschäfte zwischen Anbietern und In47 Vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 278, Bl. 59. Bericht des deutschen Konsulats in Rotterdam. Zum steigenden Anteil Rotterdams gegenüber dem von Amsterdam bei den Importen vgl. Tabelle 56 im Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages. 48 Die Praxis der Auktionen wurde gleichwohl in London wie auch in Amsterdam beibehalten. Insbesondere für Kaffee aus Java, Sumatra und Celebes blieb Amsterdam der maßgebliche europäische Zwischenhandelsplatz, ebenso London für den Kaffee aus den westindischen Anbaugebieten, vgl. Sonndorfer (1889), S. 308; Findeisen (1917), S. 56. Zum Wandel des Handelssystems in den 1880er Jahren vgl. auch Guido Glania, Das Welthandelsgut Kaffee. Eine wirtschaftsgeographische Studie, Frankfurt/M. u. a. 1997, S. 51 f.
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Grafik 7 Idealtypische Handelskette im Kaffeegroßhandel am Beginn und am Ende des 19. Jahrhunderts
teressenten im Amsterdamer und Londoner Konsignations- oder Kommissionssystem nur zentralisiert an diesen Orten und zu den dort herrschenden Bedingungen getätigt werden, bildete sich nun die bis heute klassische Direkthandelskette heraus. Das Organigramm (Grafik 7) zeigt – stark systematisiert – die Struktur des Kaffeegroßhandels am Beginn und am Ende des 19. Jahrhunderts. Die Direkthandelskette verband theoretisch jeden Produzenten mit jedem Binnengroßhändler. Dabei differierte durchaus die Anzahl der beteiligten Akteure je nach den politischen und sozialen Gegebenheiten in den Anbauländern. Unter Umständen waren deshalb mehr als die fünf in der Abbildung genannten Akteursgruppen beteiligt. Besonders die Sammlung kleinerer Lieferungen zu einem größeren Gesamtvolumen für den Export erfolgte in großflächigen Ländern wie Brasilien in mehreren Schritten. Auch das Vorsortieren der Bohnen an den Exporthäfen übernahmen teilweise darauf spezialisierte Unternehmen.49 Zusätzlich differenzierten sich im internatio49 Vgl. den ausführlichen Bericht des Kaffeegroßhändlers Alphons B. Hanssen (Hanssen & Studt, Hamburg), der als Teil seiner Ausbildung zwei Jahre die wichtigsten Kaffee produzierenden Länder besuchte. Alphons B. Hanssen, Wanderungen durch die Kaffee-Länder der Erde. Eine Weltreise in den Jahren 1896–98, Hamburg 1902. Die Begriffe „Firma“ und „Unternehmen“ werden im Folgenden synonym verwendet. Beide bezeichnen eine dauerhafte Organisation, in der wirtschaftliche Aktivitäten (Herstellung von Sachgütern
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nalen Kaffeehandel die Geschäftsbereiche funktional aus. War der typische Kaufmann zu Beginn des 19. Jahrhunderts Reeder, Händler (auf eigene sowie auf fremde Rechnung in Übersee und in seinem Herkunftsland handelnd) und Lagerhalter in einem,50 übten die Unternehmen ab den 1880er Jahren zumeist nur eine dieser Funktionen aus. Lagerhaltung und Transport erfolgten in der Regel durch andere Unternehmen.51 Mit dieser Professionalisierung ging einher, dass ein Überschreiten der jeweiligen Geschäftsfelder, also beispielsweise „der direkte Verkehr zwischen Überseehäusern und dem binnenländischen Großhandel, […] sowie der direkte Bezug des Großhandels von Agenten des überseeischen Abladers, als Einbruch in fremde Interessensphären angesehen“52 wurde. Zwischen den funktional differenzierten Professionen im Kaffeegroßhandel vermittelten je nach Bedarf Agenten (unselbständige Vermittler) und Makler. Diese Entwicklung war aber nicht allein auf den Kaffeegroßhandel begrenzt. Eine arbeitsteilige Organisation wurde am Ende des 19. Jahrhunderts kennzeichnend für den gesamten Überseehandel.53 Dies betraf ebenso den Güteraustausch selbst als auch die Finanzierung, die Lagerung und den Transport. Dabei veränderte sich nicht nur die Organisation des Handels, sondern im Zuge der Einführung des Telegrafen kam es auch zu neuen Entwicklungen in den Handelsformen und der Preisbildung.54
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und Dienstleistungen) zu einem bestimmten Zweck (meist Gewinnerzielung) organisiert werden. Zwar wäre im Einzelfall die engere Bezeichnung „Firma“, verstanden als Name, unter dem ein Kaufmann im Handel seine Geschäfte betreibt und die Unterschrift abgibt, für die hier beschriebenen Unternehmen angemessen. Eine weiter gefasste Definition ist aber sinnvoller für eine historische Analyse, die darauf abzielt, den Wandel der Organisationsformen, Aktivitäten und Ziele der Unternehmungen einer Branche zu untersuchen. So u. a. die hamburgische Kaufmannsreederei Wappäus, vgl. Vogt (2003). Zur arbeitsteiligen Organisation des Überseehandels und der Trennung von Handel und Transport vgl. Harry Arthur Simon, Die Banken und der Hamburger Überseehandel, Stuttgart und Berlin 1909, S. 18 f., S. 22–26. Zum Beruf des Lagerhalters vgl. Johannes E. Rabe, Von alten hamburgischen Speichern und ihren Leuten, Hamburg 1913. Zu den Entwicklungslinien im Überseetransport vgl. C. Knick Harley, Late Nineteenth Century Transportation, Trade and Settlement, in: Wolfram Fischer, R. Marvin McInnis und Jürgen Schneider (Hg.), The Emergence of a World Economy 1500–1914, Stuttgart 1986, S. 539–617. Christen (1935), S. 18. Vgl. Simon (1909), S. 23. Vgl. auch Sonndorfer (1889); Josef Hellauer, System der Welthandelslehre. Ein Lehr- und Handbuch des internationalen Handels, Bd. 1: Allgemeine Welthandelslehre, Berlin 1910. Vgl. Kenneth D. Garbade und William L. Silber, Technology, Communication and the Performance of Financial Markets 1840–1975, in: Journal of Finance 33 (1978) 3, S. 819–832; Jorma Ahvenainen, Telegraphs, Trade and Policy. The Role of the International Telegraphs in the Years 1870–1914, in: Wolfram Fischer (1986), S. 508–516; Rolf Walter, Die Kommunikationsrevolution im 19. Jahrhundert und ihre Effekte auf
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Neben das Platzgeschäft trat vermehrt das Lieferungsgeschäft und ab den 1880er Jahren dessen Unterform, das Börsentermingeschäft.55 Bereits im 16. Jahrhundert existierten Vorläufer der Warenbörsen. Der Terminhandel als Geschäftsform der Warenbörsen ist dagegen erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entstanden.56 Warenterminbörsen für Kaffee wurden 1881 in New York, 1882 in Le Havre und 1887 auch in Hamburg und Antwerpen durch Initiativen der dort ansässigen Kaffeehändler gegründet, später folgten London, Amsterdam und Triest.57 Sinkende Transportkosten und der Abbau von Informationsasymmetrien durch die Transport- und Kommunikationsrevolution ermöglichten die Terminbörsen und führten zur Integration des Kaffeemarktes: „Im Kaffeehandel wirkten sich diese Neuerungen […] dahingehend aus, daß die verschiedenen Märkte in engere Fühlung miteinander kamen und schließlich die Plätze den Welthandelspreis bestimmten, auf denen der meiste Kaffee eingeführt und gehandelt wurde, und [wo] die Sorte als Norm für die Preisbestimmung diente, die im Handel mengenmässig an der Spitze stand, während früher die einzelnen Kaffeehandelsplätze wie auch die einzelnen Sorten der Erzeugerländer unabhängiger voneinander waren.“58
Schwankten vom 18. bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts die Preise sowohl monatlich als auch zwischen den europäischen Marktplätzen, so verhielten sie sich am Ende des 19. Jahrhunderts weitgehend ähnlich, wie das Beispiel der brasilianischen Provenienzen zeigt, deren Preisunterschied an den verschiedenen Marktplätzen höchstens einen Pence betrug (vgl. Grafik 8).59 Informationen über die Marktlage sowie „gründliche Sachkenntnis und Erfahrung, die nur durch langjährige Praxis erworben werden kann“,60 erhielten mit der
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Märkte und Preise, in: Michael North (Hg.), Kommunikationsrevolutionen. Die neuen Medien des 16. und 19. Jahrhunderts, Köln 1995, S. 179–190. Zum Platz-, Lieferungs- und Zeitgeschäft vgl. Kapitel 4.1. Vgl. Heinz Siegmann, Der Kaffeeweltmarkt, Frankfurt/M. 1931, S. 59–78. Als Überblick zur Einrichtung von Kaffeeterminbörsen vgl. Ukers (1922). Daneben existiert umfangreiche zeitgenössische Literatur zur Technik der Terminbörsen, vgl. u. a. A. Bayerdörffer, Der Kaffee-Terminhandel. Ein Beitrag zur Geschichte der neueren Entwicklung der Börsengeschäfte mit Waren, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik N.F. 56 (1891) 5, S. 641–684 und 840–874. Roth (1929), S. 45. Zu den Preisschwankungen auf den europäischen Kaffeemärkten von 1735 bis 1810 vgl. Hans J. Gerhard, Entwicklungen auf europäischen Kaffeemärkten 1735–1810. Eine preishistorische Studie zur Geschichte eines Welthandelsgutes, in: Rainer Gömmel und Markus A. Denzel (Hg.), Weltwirtschaft und Wirtschaftsordnung. Festschrift für Jürgen Schneider zum 65. Geburtstag, Stuttgart 2002, S. 151-168. Quelle zur Grafik 8: Board of Trade (1908), S. XVii. Findeisen (1917), S. 17.
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Grafik 8 Preise an den Terminbörsen im Jahresdurchschnitt
Einrichtung des Terminhandels für die Kaffeehändler zunehmende Bedeutung. Kontinuierlich und jeweils zeitnah verlässliche Informationen zu erhalten, stellte die Grundbedingung dar, um die marktbestimmenden Faktoren – geografische, klimatische und politische Bedingungen in den Anbauländern, sichtbare Weltvorräte und zu erwartende Nachfrage – einschätzen zu können. Über die Situation in den Anbauregionen, über Vorräte an den Exporthäfen (wie São Paulo in Brasilien, Puerto Barrios in Guatemala oder Padang auf Sumatra) oder über die Geschäftslage an den Handelsplätzen New York, Le Havre und Hamburg informiert zu sein, bedeutete eine nicht zu unterschätzende technische Herausforderung. Sowohl die Informationen als auch die Kaffeelieferungen selbst mussten gewaltige geografische Entfernungen (Hamburg → São Paulo 10.103 km Luftlinie, Hamburg → Padang 9.846 km Luftlinie) überwinden. Um über das benötigte, durch langjährige Praxis zu erwerbende Wissen über die Ware und die Kaffeemärkte, den Zugang zu aktuellen Informationen und die Mittel (Kontakte, Kapital und Vertrauen) zur Überwindung der geografischen Distanzen verfügen zu können, musste der einzelne Kaffeehändler viel investieren, was die Transaktionskosten deutlich in die Höhe trieb. Für ein erfolgreiches Agieren am globalen Markt mussten die Kaffeegroßhändler als Unternehmer ganz im Sinne Mark Cassons Spezialisten sein, „die über die Fähigkeit verfügen, Informationen mit Aussicht auf Gewinn zu synthetisieren, indem sie Daten, Konzepte und Ideen auswerten, deren Bedeutung anderen Menschen nicht immer bewusst ist. Sie schaffen Organisationen, die wir Unternehmen nennen, um diese Informationen entsprechend ihren Bedürfnissen zu verwerten, und knüpfen soziale Netzwerke, um Informationsströme aus anderen Bereichen der Wirtschaft in ihre Organisation zu lenken.“61 61 Mark Casson, Der Unternehmer. Versuch einer historisch-theoretischen Deutung, in: Geschichte und Gesellschaft 27 (2001) 4, S. 524–544, hier S. 525. Den weiteren Ausfüh-
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Zwar hatten sich die Kosten für den Transport und die Transportzeiten im Verlauf des 19. Jahrhunderts reduziert, doch blieben die Transaktionskosten und Risiken für die Großhändler weiterhin hoch.62
2.3. Konsum und Verkauf Kaffee als Heißgetränk auf der Basis der gerösteten und gemahlenen Kaffeebohnen wurde seit dem späten 15. Jahrhundert im arabischen Raum konsumiert. Erst im 17. Jahrhundert verbreitete sich das Kaffeetrinken langsam in Europa. Zum Umfang des Konsums in den verschiedenen Ländern liegen keine Zahlen vor. Allein die Gründungsdaten der europäischen Kaffeehäuser geben eine vage Vorstellung von der geografischen Verbreitung. Öffentliche Kaffeehäuser entstanden 1647 in Venedig, 1650 in Oxford und Danzig, 1652 in London, 1671 in Marseille, 1672 in Paris, Amsterdam und Den Haag, 1673 in Bremen, 1677 in Hamburg und 1694 in Leipzig.63 Bis in das rungen wird Cassons Verständnis des Unternehmers zugrunde gelegt. Für eine Definition des Unternehmers nach Fritz Redlich würde zwar die in seiner Begriffsbestimmung enthaltene Abgrenzung zum Kapitalisten sprechen, doch schließt das von Redlich formulierte entscheidende Merkmal eines Unternehmers, nämlich die maßgebliche Entscheidungskompetenz innezuhaben, einen Teil des alltäglichen Geschäftsfeldes der Großhändler, den Kommissionshandel sowie Vermittlungsgeschäfte, aus. Beide Geschäftsfelder übernahmen auch Kaffeegroßhändler, die zugleich weitere Abschlüsse auf eigene Rechnung und mit eigenem Kapital tätigten. Cassons Überlegungen sind weniger ausschließlich, hier ist der Unternehmer zumeist Kapitaleigner und daher Risikoträger. Seine Prämissen lassen sich auf die im Kaffeegroßhandel benötigten Fähigkeiten und Geschäftsfelder des Kaffeegroßhändlers gut anwenden. Gegenüber Ansätzen, die Unternehmer vor allem als Risikoträger definieren, bietet Casson den Vorteil, entscheidende Fähigkeiten kaufmännischer Tätigkeit zu integrieren. Zu Redlichs Ansatz vgl. ders., Unternehmer in Theorie und Wirklichkeit, in: ders., Der Unternehmer. Wirtschafts- und sozialgeschichtliche Studien, Göttingen 1964, S. 95–109. 62 Zur Reduzierung von Frachtkosten vgl. Douglass North, Ocean Freight Rates and Economic Development 1750–1913, in: Journal of Economic History 18 (1958), S. 537–55. Zur Bedeutung der Transportrevolution für den Welthandel vgl. Paul Bairoch, Geographical Structure and Trade Balance of European Foreign Trade from 1800 to 1970, in: Journal of European History 3 (1974) 3, S. 582–588; Harley (1996); Rolf Peter Sieferle, Transport und wirtschaftliche Entwicklung, in: ders. (Hg.), Transportgeschichte, Berlin 2008, S. 1–38, hier S. 29–35. 63 Zur frühen Konsumgeschichte vgl. Heise (2002), S. 41–120; Jürgen Schneider, Produktion, Handel und Konsum von Kaffee (15. bis Ende 18. Jh.), in: Hans Pohl (Hg.), The European Discovery of the World and its Economic Effects on Pre-Industrial Society, 1500–1800, Stuttgart 1990, S. 122–137; Menninger (2004), S. 313–354; dies., Europas Kaffeehäuser. Ein Beitrag zur Neuen Kultur- und Interkulturgeschichte, in: Jahrbuch für Europäische Überseegeschichte 6 (2006), S. 85–116; Dietrich W. H. Schwarz, Tranksame und Trinksitten an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, in: Ball (1991),
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frühe 19. Jahrhundert blieb Kaffee aber ein Luxusgetränk.64 Einzug hielt der tägliche Kaffeekonsum bei der breiten Bevölkerung in den mitteleuropäischen Ländern und in den USA erst im Laufe der folgenden Jahrzehnte.65 In der Forschung diskutiert wird vor allem die Bedeutung von sozialen, konfessionellen und geografischen Dispositionen für die Verbreitung des Kaffees. Wolfgang Schivelbuschs These, dass die Verbreitung des Kaffees und der Schokolade eng mit der Konfession der Konsumenten zusammenhänge, wobei Kaffeetrinker vorwiegend protestantisch und Schokoladenbefürworter vorwiegend katholisch gewesen seien,66 ist durch Quellen nicht zu verifizieren. Aufzeigen lassen sich in der Geschichte des Kaffeekonsums zwar schichtspezifische, regionale und nationale Differenzierungen, nicht aber konfessionelle.67 Als Verbreitungskatalysator spielten die verschiedenen Kaffeesurrogate, allen voran die Zichorie, eine wichtige Rolle.68 Durchgängige Angaben zur Höhe des Kaffeeverbrauchs liegen erst ab den 1850er Jahren und allein für einige mitteleuropäische Länder und die USA vor. Der Import von Rohkaffee
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S. 23–34. Zum Kaffeekonsum in den Niederlanden vgl. Pim Reinders u. a. (Hg.), Koffie in Nederland, Vier eeuwen cultuurgeschiedenis, Zutphen 1994. Vgl. Schneider (1990), S. 133 und Hans Jürgen Teuteberg, Kaffee, in: Heingartner und Merki (1999), S. 81–116, S. 89. Laut Menninger lag um 1730 der Pro-KopfVerbrauch von Kaffee in Großbritannien bei 100, in Frankreich bei 59,5, in Deutschland bei 250 und in den Niederlanden bei 2.240 Gramm, vgl. Menninger (2004), S. 334. Zur Favorisierung des Tees in Großbritannien vgl. John Burnett (1999). Auch wurde Kaffee im arabischen und türkischen Raum nachgefragt, doch liegen hierzu keine quantifizierenden Angaben vor, vgl. Ralph S. Hattox, Coffee and Coffeehouses. The Origins of a Social Beverage in the Medieval Near East, Seattle 1985, S. 12–25, S. 74–75; Eskrem Isin, Coffeehouses as places of conversation, in: Suraiya Faroqhi und Christoph K. Neumann (Hg.), The Illuminated Table, the Prosperous House. Food and Shelter in Ottoman Material Culture, Würzburg 2003, S. 199–208; Selma Özkocak, Coffeehouses. Rethinking the Public and Private in Early Modern Istanbul, in: Journal of Urban History 33 (2004) 6, S. 965–986. Vgl. Wolfgang Schivelbusch, Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft. Eine Geschichte der Genußmittel, München 1980. Vgl. Albrecht (1988); Günter Wiegelmann, Alltags- und Festspeisen. Wandel und gegenwärtige Stellung, Marburg 1967; Peter Lesniczak, Alte Landschaftsküchen im Sog der Modernisierung. Studien zu einer Ernährungsgeographie Deutschlands zwischen 1860 und 1930, Stuttgart 2003. Vgl. Theodor Koller, Die Surrogate. Ihre Darstellung im Kleinen und deren fabrikmässige Erzeugung. Ein Handbuch der Herstellung der künstlichen Ersatzstoffe für den praktischen Gebrauch von industriellen Techniken, Frankfurt/M. 1893; Nicolai, Der Kaffee und seine Ersatzmittel. Volkshygienische Studie, Braunschweig 1909; Karl-Peter Ellerbrock, Kaffeeverbote und Kaffeesurrogate. Zur Entstehung der Cichorienfabriken in Preußen, Münster 1990; Hans-Jürgen Teuteberg, Zur Kulturgeschichte der Kaffee-Surrogate, in: Ball (1991), S. 169–199; Menninger (2004), S. 338–345.
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Grafik 9 Importe zum Konsum 1851–1928
stieg im Laufe des 19. Jahrhunderts, außer in Großbritannien, kontinuierlich an (vgl. Grafik 9).69 Dieser erste Eindruck lässt sich durch die Verbrauchszahlen pro Kopf und Jahr weiter differenzieren. Führend im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts mit zeitweise über zehn Kilogramm Kaffee pro Kopf und Jahr waren die Niederlande, gefolgt von den USA und Belgien, wo pro Person durchschnittlich um 4,5 Kilo pro Jahr verbraucht wurden (vgl. Grafik 10).70 69 Da die Daten aus 21 verschiedenen Quellen stammen und auch mit einer Vielzahl von weiteren Quellen in Beziehung gesetzt wurden, findet sich eine ausführliche Diskussion der Grafik im Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, hier finden sich auch die Rohdaten in Tabelle 22. 70 Quelle für Grafik 10: Department of Commerce and Labour, Bureau of Statistics, No.1 Series, Washington 1905–1906. Die Angaben für die Niederlande und die USA schwanken, da hier die absoluten Importzahlen die Grundlage bilden. Je nach Marktsituation kauften die Großhändler recht unterschiedliche Mengen. In den anderen Ländern wurde ebenso schwankend importiert, doch wurden Importe erst erfasst, wenn sie die Freihäfen oder im Fall Großbritanniens die Lagerhäuser verließen und dem Konsum zugeführt wurden. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau
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Grafik 10 Konsum pro Kopf und Jahr 1884–1904 (Einfuhr abzgl. Reexport pro Kopf der Bevölkerung)
Heute konsumieren die Niederländer mit 3,2 Kilogramm weitaus weniger Kaffee als vor gut hundert Jahren. 2009 wurden in Finnland knapp 12, in Norwegen knapp 9, in Österreich etwas über sechs Kilo, in Deutschland 6,7 Kilo, in Italien knapp sechs und Spanien 4,5 und in Großbritannien etwas über 3 Kilogramm pro Kopf und Jahr getrunken.71 Es ist allerdings kaum möglich, von den Angaben über den verbrauchten Rohkaffee auf die tatsächlich täglich getrunkenen Mengen zu schließen, denn zum einen verliert der Kaffee beim Rösten acht bis zwanzig Prozent seines Gewichtes, zum anderen kann je nach Geschmack oder aus Sparsamkeit die enthaltene Menge Kaffeepulver pro zubereitetem Liter Getränk sehr unterschiedlich sein. Im 20. Jahrhundert nahm der Kaffeekonsum insgesamt zu und fand auch eine stärkere geografische Verbreitung. Dies kann in Grafik 11 abgelesen werden.72 Sie gibt einen Einblick in die frühe Phase dieser Entwicklung, indem sie den Konsum pro Kopf und Jahr von 1913 mit dem von 1928 vergleicht. Vor allem in den mitteleuropäischen Ländern
Verlages, hier Tabelle 23. Die niederländischen Verbrauchszahlen waren vermutlich aber deutlich geringer als aus den offiziellen Import- und Reexportstatistiken abgelesen werden kann. Da hier kein Zoll auf die Einfuhr von Rohkaffee enthoben wurde, rentierte sich der Schmuggel in die deutschen Grenzländer und auch ab 1870 in das deutsche Zollgebiet vgl. BArch, Bestand R 3034 II, Signatur 2715 und Bruno Freyenried, Der deutsche Kaffeeschmuggel, Recklinghausen 1936. 71 Vgl. International Coffee Organisation (ICO), http://www.ico.org/profiles_e.asp?section= Statistics (abgerufen am 5.4.2011). 72 Quellen zu Grafik 11: Neumann (1930), S. 136 f.; Bynum (1926), S. 32 f. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, hier Tabelle 24.
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Grafik 11 Konsum pro Kopf und Jahr 1913 und 1928
Niederlande, Belgien, Deutschland und Österreich führte der Erste Weltkrieg zum Rückgang des Konsums.73 In den importierenden Ländern entwickelten sich zunehmend differenziertere Geschäftsfelder rund um den Kaffee. So gelangte der Rohkaffee vom Importhafen zum Konsumenten oft über verzweigte Binnenhandelsketten.74 In den USA und Mitteleuropa entstand im Laufe des 19. Jahrhunderts langsam eine Kaffee verarbeitende Industrie. Das Rösten wurde in den USA und Deutschland ab den 1880er Jahren zum eigenen Wirtschaftszweig.75 Innovationen wie Reinigungs-, Schäl-, Röst-, Kühl-, Abfüll-, Mahl- und Verpackungsmaschinen, ab den späten 1870er Jahren in Deutschland produziert, bildeten die technische Grundlage für die Entstehung der Kaffeeverarbeitungsbranche.76 Erste Erfolge in der Herstellung einer Röstmaschine in Deutschland verbuchte der Kolonialwarengroßhändler Alexander van Gülpen 73 Zum Rückgang des Kaffeekonsums durch den Weltkrieg in Deutschland vgl. Jörg Smotlacha, Kaffee. Vom Massenartikel zur Luxusware. Politische Debatten im Deutschen Reich 1909–1923 (unveröff. Magisterarbeit), Hannover 1997. 74 Vgl. Schneider (1992), S. 283–306; Kriedte (1994), S. 11–26. 75 Zur Kaffee verarbeitenden Industrie in den USA vgl. Thurber (1881), S. 22–29. 76 Zur Technikgeschichte der Kaffeeverarbeitung und des -röstens, vgl. Probatwerke Museum für Kaffeetechnik (Hg.), Zur Geschichte der Kaffeerösttechnik, Emmerich 1993; Wingolf Lehnemann und Günter Bernhardt (Hg.), Kaffee: ernten rösten mahlen, Münster 2004. Zum Begriff des Kleinhandels vgl. Uwe Spiekermann, Basis der Konsumgesellschaft. Entstehung und Entwicklung des modernen Kleinhandels in Deutschland 1850–1914, München 1999, S. 13.
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aus Emmerich mit seinem 1868 für den Eigengebrauch konstruierten Kugelröster. Zu diesem Zeitpunkt waren in Deutschland „Kaffeebrenner […] ein noch fast unbekannter Handelsartikel“.77 Traditionell hatten die Konsumenten den Kaffee vom Wanderhandel oder vom Kleinhandel als grüne Bohnen erworben und auf dem eigenen Herd in eisernen Pfannen oder in kleinen mechanischen Rösttrommeln geringere Mengen Rohkaffee zum privaten Konsum geröstet. Dies erforderte großes Fingerspitzengefühl. Der Kaffee war schnell verbrannt, was zu einem unangenehmen Geruch und auch einem schlechten Geschmack führte, bei zu schwacher Röstung blieben die Bohnen innen noch roh, ließen sich dann kaum mahlen und hatten kein Aroma.78 Die chemische Zusammensetzung der Bohne ändert sich durch den Röstvorgang beträchtlich und dementsprechend verschiedenartig können auch geröstete Bohnen selbst einer Provenienz schmecken.79 Die kleinen, insbesondere im Kleinhandel verwendeten Handrösttrommeln wiesen in den 1880er Jahren noch einen Brennverlust von bis zu 25 Prozent bei einer Verfahrensdauer von etwa sechzig bis neunzig Minuten auf. Mit der kontinuierlichen Verbesserung der Großröstmaschinen reduzierte sich der Brennverlust des Kaffees auf maximal acht Prozent. Gleichzeitig beschleunigte sich das Verfahren durch die Erfindung von Schnellröstern in den 1890er Jahren von dreißig Minuten erst auf zehn und dann auf fünf Minuten. Mit der Weiterentwicklung der industriellen Röstverfahren erforderte die Röstarbeit aber weiterhin geschultes und aufmerksames Personal, welches den Röstprozess kontrollierte.80 Auch differenzierten sich die Vertriebs- und Verkaufsstrategien für Bohnenkaffee und die Konsumorte im öffentlichen Raum. Da kaum detaillierte Studien zum Verkauf und Vertrieb in Mitteleuropa und den USA vorliegen,81 lassen sich hier nur 77 Edgar Müller, Kaffee und Rösten, Hamburg 1929, S. 177. 78 Vgl. Peter Albrecht, Kaffee. Zur Sozialgeschichte eines Getränks, Braunschweig 1980, S. 64–67; Martin Beutelspacher, Techniken der Kaffeezubereitung. Auf dem Weg zu einer Optimierung des Kaffeegenusses, in: Ruth E. Mohrmann (Hg.), Essen und Trinken in der Moderne, Münster u. a. 2006, S. 125–146, hier S. 126; Edward Bramah und Joan Bramah, 300 Jahre Kaffeezubereitung. Kunst & Technik, München 1989, S. 17 f.; Findeisen (1917), S. 12; Brigitte Schmutzler, Kaffee, Mocca, Muckefuck, Koblenz 1994, S. 21–24. Zu den im bürgerlichen Haushalt gebräuchlichen Kaffeeverarbeitungsutensilien im 18. und 19. Jahrhundert vgl. Bernd Wedemeyer, Coffee de Martinique und Kayser Thee. Archäologisch-volkskundliche Untersuchungen am Hausrat Göttinger Bürger im 18. Jahrhundert, Göttingen 1989. 79 Vgl. Paul Ufermann, Kaffee und Kaffeesurrogate in der deutschen Wirtschaft. Darstellungen und Untersuchungen einzelner Zweige der Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie, Berlin 1933, S. 21. 80 Vgl. Findeisen (1917), S. 14; Deutschmann (1918), S. 35; Müller (1929), S. 139. 81 Auf das Fehlen von Forschung zur Gewerbegeschichte der Kolonialwaren sowie der Genussmittelsteuer in Europa ist bisher immer nur verwiesen worden, vgl. Albrecht (1980), S. 50; Menninger (2004), S. 405 f. Einen kurzen Überblick für Großbritannien gibt Benjamin B.
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Grafik 12 Verarbeitungsschritte Bohnenkaffee und deren Einflussnahme auf die Röstkaffeequalitäten
grobe Tendenzen skizzieren. Im Zuge der Industrialisierung traten neue Verkaufsund damit auch Konsumorte wie Kantinen, Straßenverkauf und Schnellrestaurants von Kaffee hinzu.82 Mit der Verbreitung des Kaffeebaums im 19. Jahrhundert und sich differenzierenden Kaffeeverarbeitungsschritten, aus denen unterschiedlichste Keable, Coffee from Grower to Consumer, London 1910. Für Deutschland und Belgien vgl. Julius Hirsch, Die Filialbetriebe im Detailhandel unter besonderer Berücksichtigung der kapitalistischen Massenfilialbetriebe in Deutschland und Belgien, Bonn 1913. Für die USA vgl. Ukers (1924); Michelle Craig McDonald und Steven Topik, Americanizing Coffee: the Refashioning of a Consumer Culture, in: Nützenadel und Trentmann (2008), S. 109–128. Zu Österreich vgl. Roman Sandgruber, Die Anfänge der Konsumgesellschaft. Konsumgüterverbrauch, Lebensstandard und Alltagskulturen in Österreich im 18. und 19. Jahrhundert, München 1982. Zur Schweiz vgl. Martin Pally, „Jede Woche mussten wir im Lädeli ein halbes Pfund ‚grüeni Chügelibohne’ holen“. Kaffee-Detailhandel in Zürich 1800–1914, in: Rossfeld (2002), S. 82–106. 82 Vgl. BArch, Bestand R 8034 II, Signatur 2613, Bl. 5; Keith R. Allen, Von der Volksküche zum fast food. Essen außer Haus im wilhelminischen Deutschland, in: Werkstatt Geschichte 31 (2002), S. 5–25; Ulrike Thoms, Er stärkt und nährt die matten Glieder. Kaffee in der Arbeitswelt, in: Peter Lummel (Hg.), Kaffee. Vom Schmuggelgut zum Life-
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Röstkaffeeangebote entstanden (vgl. Grafik 12), entwickelten sich auch unterschiedliche Geschmackspräferenzen und Vorstellungen von Qualität.83 Hierüber geben eine Vielzahl von im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts verfassten Warenkunden für den Handel und die Konsumenten, sowie Anleitungen zum Einkauf und zur Zubereitung des Bohnen- und Röstkaffees ausführlich Auskunft.84 Waren in Deutschland zum Beispiel die milden Hochlandkaffeesorten besonders beliebt, so fragten die skandinavischen Länder vor allem die „harten“ Brasilkaffeesorten nach.85 Festzuhalten ist, dass es noch einiger Forschungsleistungen bedarf, um tatsächlich präzise Aussagen darüber treffen zu können, wer vom 17. bis zum 20. Jahrhundert in Mitteleuropa zu welchen Tageszeigen und Gelegenheiten wie viel Kaffee trank. Ein entsprechendes Forschungsdefizit besteht auch zu den Kleinhandelspreisen im Verhältnis zu den Realeinkommen der Bevölkerungen der verschiedenen Importländer. Trotz ansteigender Reallöhne war Bohnenkaffee im Vergleich zu anderen alltäglich konsumierten Nahrungs- und auch Genussmitteln überdurchschnittlich teuer. Mehrheitlich wird in der Forschung konstatiert, dass Kaffee bis weit in das 20. Jahrhundert hinein ein der sozialen Distinktion dienendes Luxusgetränk geblieben sei. Diese Aussage impliziert, dass sich sowohl die Konsumpraktiken als auch die Rationalitäten, die die Konsumenten mit dem Produkt Kaffee und seinem Konsum verbanden, nicht veränderten. Zuletzt hat Christian Kleinschmidt diese Auffassung vertreten und den steigenden Bohnenkaffeekonsum in Deutschland als „Indikator des Übergangs zur Wohlstandsgesellschaft“, der aber erst nach dem Zweiten style-Klassiker. Drei Jahrhunderte Berliner Kaffeekultur, Berlin 2002, S. 49–60; Bettina Biedermann, Hier können Familien Kaffee kochen, in: Lummel (2002), S. 41–47. 83 Vgl. Ukers (1922), S. 245–272, S. 341–378; Paul Ciupka, Taschenbuch des Kaffeefachmanns, Hamburg 1931, S. 280–286. 84 Vgl. u. a. Petite Bibliothèque Industrielle, Le Café, Paris 1886; Otto Dammer, Illustriertes Lexikon der Verfälschungen und Verunreinigungen der Nahrungs- und Genußmittel, der Kolonialwaren und Manufakte, der Drogen …, Leipzig 1887; Oskar Dietzsch, Die wichtigsten Nahrungsmittel und Getränke, deren Verunreinigungen und Verfälschungen, Zürich 1879; Thomas Franz Hanausek, Nahrungs- und Genußmittel aus dem Pflanzenreiche, Wien 1884; Keable (1910); Karl Rusz, Warenkunde für die Frauenwelt, I. Theil: Nahrungs- und Genußmittel, Breslau 1868; Heinrich Semler, Die tropische Agrikultur. Ein Handbuch für Pflanzer und Kaufleute, 3 Bde., Wismar 1886– 1888; Emil Weissenturn, Die Kunst des Essens. Ein Handbuch für alle Gesellschaftsklassen. Mit Berücksichtigung der Sitten und Gebräuche aller Länder und Völker, Berlin 1893. Für die Rezeptbücher vgl. Inga Wiedemann, Herrin im Hause. Erziehung und Sozialisation zur bürgerlichen Hausfrau durch Koch- und Haushaltsbücher, Berlin 1991. 85 Vgl. Börsen-Enquete-Kommission (Hg.), Stenographische Protokolle, Berlin 1893, S. 2081, S. 2258 (im Folgenden abgekürzt mit BEK, St. Pr. (1893)); Adolf Brougier, Der Kaffee. Dessen Kultur und Handel. Mit einem Anhang über den Terminhandel im Kaffeegeschäft, München 1889, S. 68; Friedrich Roselius u. a., Kaffee, Tee, Kakao in der Kriegswirtschaft, Berlin 1918.
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Weltkrieg erfolgt sei, interpretiert.86 Demnach sei der geringe Anstieg des Kaffeekonsums Ergebnis eines trickle-down-Effekts, also einer „gesellschaftlichen Diffusion des Luxusgetränkes Kaffee […] von oben nach unten“.87 Es hätten zwar um 1900 mehr Personen Kaffee getrunken als um 1800, aber immer noch seien Kaffeekonsumenten nur die wenigen gewesen, die es sich leisten konnten. Kaffee ist im Sinne der Durchsickerungstheorie ein Luxusgetränk, das als solches dem elastischen Bedarf zugerechnet werden müsse. Erst wenn der starre Bedarf (Miete und Grundnahrungsmittel) gesichert sei, werde Bohnenkaffee getrunken und erst wenn sich die unteren Schichten es leisten könnten, dann imitierten sie die Konsumpraktiken der höheren Schichten.88 Doch diejenigen Studien, die sich genauer mit dem schichtspezifischen Kaffeekonsum auseinandersetzen, kommen zu einem anderen Ergebnis: Kaffee hat sich demnach im Zuge der Popularisierung des Getränkes im 18. und 19. Jahrhundert vom Genussmittel der Oberschicht – und hier sowohl der höfischen Aristokratie als auch des Bürgertums – zum Konsumartikel für alle entwickelt. Der Konsumhistoriker Roman Sandgruber spricht deshalb auch von der „eigentümlichen Doppelfunktion“89 des Kaffees. Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts sei er sowohl exquisites Getränk für einige wenige gewesen als auch Volksnahrungsmittel der breiten, pauperisierten Bevölkerungsmehrheit.90 Trotz der nicht geringen Anzahl an Publikationen zu Kaffee besteht somit weiterhin Erklärungsbedarf zur Verbreitung des Getränkes und seiner Bedeutung als Alltags- oder Luxusgetränk im deutschen Kaiserreich und auch zur Frage von Vertriebs- und Verkaufsstrategien.
86 Vgl. Kleinschmidt (2008), S. 71. 87 Ebd., S. 70. Auch Wolfgang König sieht im im trickle-down-Efffekt das bestimmende Muster zur Ausdehnung des Konsums, vgl. ders., Kleine Geschichte der Konsumgesellschaft. Konsum als Lebensform der Moderne, Stuttgart 2008, S. 28. 88 Zur Trickle-down-Theorie vgl. Grant McGracken, The Trickle-Down Theory rehabilitated, in: Michael R. Solomon (Hg.), The Psychology of Fashion, Lexington und Toronto 1985, S. 39–55; Ariane Stihler, Die Entstehung des modernen Konsums. Darstellung und Erklärungsansätze, Berlin 1998, S. 183–185. 89 Roman Sandgruber, Kaffeesuppe und „kleiner Brauner“. Sozialgeschichte des Kaffeekonsums in Österreich, in: Ball (1991), S. 53–67, S. 61; ders., Genußmittel. Ihre reale und symbolische Bedeutung im neuzeitlichen Europa, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (1994), S. 73–88. 90 So zum Beispiel die ebenfalls empirisch gesättigte Studie von Roman Sandgruber, Das Essen der Arbeiterfrauen. Geschlechtsspezifische Konsumunterschiede in Arbeiterhaushalten, in: L’homme 2 (1991) 1, S. 45–56. Vgl. auch Hans Jürgen Teuteberg, Die Eingliederung des Kaffees in den täglichen Getränkekonsum, in: ders. und Günter Wiegelmann (Hg.), Unsere tägliche Kost. Wandel und regionale Prägung, Münster 1986, S. 185–202, hier S. 196; Lesniczak (2003), S. 74. Zuletzt Hendrik Fischer, Konsum im Kaiserreich. Eine statistisch-analytische Untersuchung privater Haushalte im wilhelminischen Deutschland (unveröff. Diss.), Köln 2008, S. 132 f.
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2.4. Fazit: Grenzen der makroökonomischen Perspektive Fasst man die bis hier skizzierten Grundentwicklungen und Strukturen von Kaffeeanbau, -handel und -konsum zusammen, so lässt sich schwerlich von einem klar definierten Kaffeemarkt sprechen und auch die Funktionsweise des Marktes ist nicht als einfache Verknüpfung von Angebot und Nachfrage zu beschreiben. Dominierten in den ersten zwei Jahrhunderten nach der Entdeckung des Kaffees die jemenitischen Kaffeepflanzer den Markt, so entstand mit der Verbreitung und der systematischen Kultivierung der Kaffeepflanze ein Handels- und Importmonopol der Kolonialmächte. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts veränderten verschiedene Transformationsprozesse die Organisation und Struktur des globalen Kaffeegroßhandels. Einerseits steigerten sich ab der Mitte des Jahrhunderts die Anbaumengen der lateinamerikanischen Länder jährlich, andererseits trafen die geernteten Quantitäten in nur wenigen Monaten des Jahres auf die europäischen Märkte. Durch das Aufkommen der Dampfschifffahrt wurde zudem die Ankunft der Ware gegenüber der Ausfuhr nicht mehr um Monate verzögert, sondern geschah innerhalb von drei bis vier Wochen. Dem gegenüber stand eine kontinuierliche Nachfrage bei lediglich mäßig steigenden Konsumzahlen in Mitteleuropa.91 Die Nachfrage nach Bohnenkaffee blieb ab den 1880er Jahren hinter den Anbaumengen zurück; es zeichnete sich ein zunehmendes Überangebot ab. In den Lagerhäusern der Kaffeegroßhändler an den Zwischenhandelsplätzen wuchsen die Vorräte von Rohkaffeebohnen aller Provenienzen (vgl. Grafik 13 im separaten Bildteil).92 Gleichzeitig reduzierten sich kontinuierlich die Großhandelspreise. Der makroökonomische Blick auf Anbau, Handel und Konsum eröffnet nur eine holzschnittartige Perspektive auf die Geschichte der Kommodifizierung des Kaffees. Es wird aber deutlich, dass sich der globale Markt im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in einem bis dahin ungekannten Ausmaß und mit großer Schnelligkeit veränderte. Das lässt vermuten, dass Innovationen wie die Röstung und Veredlung, die in den Konsumländern einen neuen Industriezweig entstehen ließ, oder die Einführung neuer Handelstechniken in direktem Zusammenhang mit einer zunehmenden Interaktion der Akteure und der Interdependenz ihrer Handlungen stehen. Geht man nicht allein von einem Primat der Angebotsseite aus und fragt nach den Wechselwirkungen zwischen Konsum, Handel und Anbau, so bleibt zu untersuchen, inwiefern die Veränderungen des internationalen Kaffeehandels nicht ebenso durch die Konsumwünsche der Verbraucher bestimmt waren wie umgekehrt die Verbreitung des Kaffeekonsums durch die Entwicklungen im Kaffeehandel und -vertrieb.
91 Vgl. Grafik 2, 9 und 10. 92 Quelle zu Grafik 13: Roselius (1918), S. 8 f.; Kranke (1928), S. 74 f. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, hier Tabelle 25.
3. Die lokale Basis globalen Handel(n)s Schon ein erster Blick auf die Statistiken zum internationalen Rohkaffeegroßhandel lässt deutlich werden, dass Hamburg sich schnell zu dem europäischen Handelsumschlagplatz entwickelte. Dies macht Hamburg und die von hier aus operierenden Großhändler für eine akteurszentrierte Analyse des strukturellen und organisatorischen Wandels des internationalen Rohkaffeegeschäfts besonders interessant: Im europäischen Vergleich war „die Stellung des hamburgischen Handels […] im Jahre 1870 keine so übermässig günstige“ gewesen, doch schon 1901 galt Hamburg unter den Zeitgenossen als „der erste continentale Hafen“.1 Besonders im Hinblick auf den Kaffeegroßhandel hatte „durch besondere Pflege dieses Geschäftes […] Hamburg verstanden, sich zum absolut ersten europäischen Importhafen und Markt für diesen Artikel emporzuschwingen“.2 Hier wurden mit knappem Vorsprung vor Le Havre ab 1900 bis zu 24 Prozent der weltweit exportierten Rohkaffeemengen weitergehandelt.3 Von Hamburg aus wurde der deutsche Bedarf gedeckt und die Hansestadt diente auch als Zwischenhandelsplatz für Skandinavien und Osteuropa. Auf der Suche nach den Ursachen für diesen Erfolg des Handelsplatzes Hamburg können die Bündelung des internationalen Kaffeehandels an lokalen Zentren und dessen strukturellen, institutionellen wie sozialen Rahmenbedingungen an diesem Beispiel besonders gut verifiziert werden. Über den Hamburger Kaffeegroßhandel liegt allein eine Monografie von Ursula Becker aus dem Jahr 2002 vor. Sie stellt aber eine Branchenstudie ohne nähere Untersuchung der Unternehmen und ihrer Geschäftsfelder dar.4 Zu den einzelnen Kaffeegroßhandelshäusern existiert neben einigen Aufsätzen und Firmenfestschriften eine Unternehmensgeschichte über ein Hamburger Kaffeehandelshaus.5 Zur allge1 Ernst Baasch, Hamburgs Handel und Verkehr im 19. Jahrhundert, Hamburg 1901, S. 59. Vgl. auch Carl T. Freytag, Die Entwicklung des Hamburger Warenhandels von der Entstehung des Deutschen Reiches bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, Berlin 1906, S. 20 f. 2 Freytag (1906), S. 87. 3 Vgl. Karl Schönfeld, Der Kaffee-Engroshandel Hamburgs, Heidelberg 1903, S. 5. Wobei „Weltproduktion“ hier nur die tatsächlich festgestellten Mengen der Vorräte und den aus den Anbauländern exportierten Anteil meint. 4 Vgl. Ursula Becker, Kaffee-Konzentration. Zur Entwicklung und Organisation des hanseatischen Kaffeehandels, Stuttgart 2002. Zu den erheblichen Mängeln dieser Studie vgl. die Rezension von Alexander Engel, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 50 (2005), S. 124–125. 5 Vgl. Siegfried Zimmermann, Theodor Wille 1844–1969, Hamburg 1969. Zu den Hamburger Kaufleuten allgemein vgl. Percy Ernst Schramm, Hamburg, Deutschland und die
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meinen Handelsgeschichte liegt eine Reihe von Publikationen mit dem Schwerpunkt auf der Zeit vom 17. bis Mitte des 19. Jahrhunderts vor.6 Berücksichtigt man die Tatsache, dass von 1880 bis 1928 um die 750 Unternehmen, wenn auch mit ungleicher Dauer und Intensität, im Hamburger Kaffeegroßhandel tätig waren7 und zudem in keiner der Publikationen die einzelnen Unternehmungen in ihrem Verhältnis zur Branche und deren Entwicklung thematisiert werden, ist die Literaturlage nur als äußerst dürftig zu charakterisieren.8 Auch in den vorliegenden Firmenfestschriften sowie der Unternehmensgeschichte fehlen Einordnungen der betrachteten Firmen in die Branche. Systematisierende Kriterien wie Angaben zu Mitarbeiterzahlen und Umsätzen, Unternehmensdesign, dem Verhältnis von Unternehmensführung und Kapitalbesitz lassen sich in der Sekundärliteratur nicht finden. Ebenso wenig werden Fragen nach sozialen Merkmalen der Großhändler selber, wie Sozialisation und Ausbildung, sowie nach der tatsächlichen Geschäftsausrichtung innerhalb der Branche oder gar nach geschäftlichen Kontakten beantwortet. Was die einzelnen Kaffeehandelsunternehmen eigentlich voneinander unterschied oder worin sie sich ähnelten, bleibt zudem mehr als undeutWelt. Leistung und Grenzen hanseatischen Bürgertums in der Zeit zwischen Napoleon I. und Bismarck, München 1943; Jörn Arfs Helmuth, Die Beziehungen der Hansestadt Hamburg zu den La Plata-Staaten 1815–1868, Münster 1991. Nur zwei Publikationen sind jüngeren Datums, vgl. Maria Möring, Bemerkungen zum Kaffeehandel, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 37 (1992), S. 182–188, Katharina Trümper, Kaffee und Kaufleute. Guatemala und der Hamburger Handel 1871–1914, Münster 1996. Erwähnung finden einige Kaffeehändler bei Frank Hinz, Planung und Finanzierung der Speicherstadt in Hamburg. Gemischtwirtschaftliche Unternehmensgründungen im 19. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung der Hamburger Freihafen-LagerhausGesellschaft, Münster 2000; Detlef Krause, Die Commerz- und Disconto-Bank 1870– 1920/23. Bankgeschichte als Systemgeschichte, Stuttgart 2004. 6 Der Schwerpunkt in der Literatur zum internationalen Handel und einzelnen Handelsunternehmen liegt vor allem in der vor- und frühindustriellen Zeit vgl. zum Beispiel Stanley L. Engerman, Trade and the Industrial Revolution 1700–1850, 2 Bde., Cheltenham 1996; David Hancock, Citizens of the World. London Merchants and the Integration of the British Atlantic Community 1735–1785, Cambridge 1996; Susan M. Socolow (Hg.), The Atlantic Staple Trade, 2. Bde., Aldershot 1996. Diese typische Periodisierung überwindet Lewis R. Fischer und Helge W. Nordvik, Shipping and Trade 1750–1950. Essays in International Maritime Economic History, Pontefract 1990; Claude Markovits, The Global World of Indian Merchants 1750–1947, Cambridge und New York 2000. Ein Literaturüberblick zum Überseehandel findet sich bei Klaus Weber, Deutsche Kaufleute im Atlantikhandel 1680–1830, München 2004, S. 225–260. Zur Geschichte deutscher Kaufleute in London vgl. Margrit Schulte Beerbühl, Deutsche Kaufleute in London. Welthandel und Einbürgerung (1660–1818), München 2006. 7 Vgl. Prosopografie: Kaffeehandelsunternehmen in Hamburg. 8 Eine Ausnahme bildet Schönfeld (1903), S. 54–61.
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lich. Dies beginnt schon bei den je nach Autor äußerst disparaten Begrifflichkeiten zu Geschäftsfeldern und Tätigkeiten der Unternehmen. Auch werden die verwendeten Bezeichnungen selten definiert: Es finden sich Bezeichnungen wie Länderfirmen, Stadtfirmen, Importeure, Exporteure, Kommissionshändler, Engrosfirmen, Überseehändler, Zwischenhändler, Großhändler, Vertreter, Makler, Agenten, Grossisten etc. Schon 1922 formulierte Ernst Baasch die grundlegenden Schwierigkeiten, ausreichend Material zusammenzutragen, um eine Studie über die Hamburger Kaufleute zu verfassen: „Der Stellung des Einzelkaufmanns im Rahmen der Handelsgeschichte gerecht zu werden, ist sehr schwer. Kein Beruf versteht es in dem Maße, sich der Würdigung der Persönlichkeit zu entziehen wie der kaufmännische. […] Seine Geschäftsbücher, die Hauptquelle der Erkenntnis für seine Tätigkeit, verschließt er sorgfältig vor Außenstehenden; und wenn sein Haus aufhört zu bestehen, so sorgt er meistens dafür, daß mit den Geschäftsbüchern auch die Spuren seiner beruflichen Wirksamkeit gründlich vertilgt werden.“9
Die zentrale Quellengrundlage für eine Darstellung des Hamburger Kaffeehandels sind Archivalien. Es sind der Nachlass des Kaffee-Vereins im Hamburger Staatsarchiv, die Akten der Hamburger Deputation für Handel, Schifffahrt und Gewerbe, der Bestand Zoll- und Akzisewesen, Handelsstatistiken, die Protokolle der Hamburger Commerzdeputation (Handelskammer) und die Akten der Handelspolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes im Bundesarchiv. Zusätzlich wurden Firmennachlässe, das Hamburger Handelsregister und Adressbuch sowie einschlägige Periodika herangezogen.10 Ausgehend von Cassons Unternehmerdefinition wurden in Kapitel 2 die Fähigkeiten, die Kaffeehändler als Unternehmer benötigten, idealtypisch charakterisiert. Informationen zu erhalten und diese je nach Situation gewinnbringend auszuwerten, bildete eine Grundlage für die Teilhabe am internationalen Kaffeegroßhandel. Da das Geschäftsfeld per se in internationalen Transaktionen lag, musste jeder Kaffeegroßhändler zwangsweise Kooperationen mit einer größeren Anzahl verschiedener Akteure über weite geografische Distanzen eingehen. Mit anderen Akteuren Vertrauensverhältnisse aufzubauen war im globalen Handel eine notwendige Voraussetzung. Der auf Typenmuster reduzierte Terminhandel beschleunigte nicht allein die Austauschfrequenz, sondern exponierte auch den Grad 9 Ernst Baasch, Die führenden Kaufleute und ihre Stellung in der hamburgischen Geschichte, in: Hamburger Übersee-Jahrbuch 1 (1922), S. 37–56, hier S. 37. 10 Zu Standorten, Signaturen etc. der Archivalien vgl. das Quellenverzeichnis, Archivalien. Zu den verwendeten seriellen Nachschlagewerken vgl. Quellenverzeichnis, Periodika. Die Deputationen waren die Verwaltungseinheiten des hamburgischen Stadtstaates, die von Senat und Bürgerschaft gemeinsam geführt wurden. Da sie das wirtschaftliche Zentrum der Stadt verwaltete, den Hafen, besaß die Deputation für Handel und Schiffahrt neben der Finanzdeputation das größte politische Gewicht, vgl. Hinz (2000), S. 16.
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der Unsicherheit bei einem Geschäftsabschluss. Folgt man Casson, so ist zu vermuten, dass die Hamburger Kaffeegroßhändler, um erfolgreich im globalen Markt zu bestehen, ihre Unternehmen am Faktor Information orientiert und auf ihre Bedürfnisse hin ausgerichtete strategische Netzwerke11 geknüpft haben. Damit rücken die Kaffeehändler als Akteure und der Kontext ihres Handels in den Blick.12 Um die Form ihres Handelns und dessen soziales und ökonomisches Umfeld genauer zu verstehen, werden im Folgenden fünf Faktoren angesprochen: Welche Unternehmensorganisationen dominierten im Kaffeehandel? Wie entstand das Wissen13 der Kaffeehändler? Wie erhielten die Händler die benötigten Informationen? Welche Kosten mussten aufgebracht werden (Zeit, Kapital und Aufwand) und welche strategischen Allianzen schufen sich die Händler aufgrund welcher Motive? Im Sinne der Schwerpunktsetzung dieser Arbeit sind für die Analyse dieser Faktoren vor allem zwei Fragen relevant: Wie und mit welchen Mitteln reagierten die Hamburger Großhändler auf den Wandel des internationalen Kaffeemarktes? Und inwiefern lösten ihre Kooperationen und Strategien wiederum Veränderungen im internationalen Kaffeehandel aus?
11 Die Begriffe strategisches Netzwerk und unternehmerisches Netzwerk werden im Folgenden synonym verwendet und sehr allgemein definiert als gezielte, relativ stabile kooperative Organisationsform von Personen oder rechtlich selbständigen Unternehmen, die durch das Netzwerk einen Vorteil erfahren oder sich erhoffen, Ineffizienzen des Marktes zu kompensieren. Zu unterschiedlichen Formen interorganisatorischer Beziehungen und deren Bedeutung als Sozialkapital für Unternehmen vgl. Emanuela Todeva und David Knoke, Strategische Allianzen und das Sozialkapital von Unternehmen, in: Jutta Allmendinger und Thomas Hinz (Hg.), Organisationssoziologie, Wiesbaden 2002, S. 345–380. Zu den unterschiedlichen Definitionen des Begriffs Netzwerk und zur theoretischen Konzeptionierung von Netzwerken, deren Bedeutung und Rolle für die Wirtschaft wie auch zu deren Verhältnis zum Markt vgl. Hartmut Berghoff und Jörg Sydow, Unternehmerische Netzwerke – Theoretische Konzepte und historische Erfahrungen, in: dies. (Hg.), Unternehmerische Netzwerke. Eine historische Organisationsform mit Zukunft?, Stuttgart 2007, S. 9–44. 12 Ziel dieser Studie ist es demnach nicht, einen Beitrag zur Bedeutung und Rolle von Unternehmern als Persönlichkeiten oder zu deren Bedeutung für ihr Unternehmen zu leisten. Cassons Ansatz wird also nicht genutzt, um seine Aussagen zu Unternehmern selbst empirisch zu überprüfen, sondern um die Kaffeegroßhändler und die Kaffeegroßhandelsbranche zu spezifizieren und die Branche zu kontextualisieren. 13 Für eine Analyse der Kaffeehandelsbranche muss die Unternehmerdefinition Cassons genauer spezifiziert werden: Um Spezialist zu sein, muss ein Kaffeegroßhändler über spezialisiertes explizites Wissen, erworben über eine Ausbildung (ob formell oder nicht), und über ein gewisses Maß an prozeduralem empirischem Wissen, also Erfahrung, verfügen sowie aktuelle und vertrauenswürdige Informationen über die Marktlage besitzen.
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3.1. Kaffeehandel in Hamburg In seiner Dissertation über den Kaffeehandel aus dem Jahr 1917 resümierte der Sohn eines Leipziger Kolonialwarenhändlers, Franz Findeisen, die Entwicklungen der vorangegangenen vierzig Jahre: „Der Hamburger Kaffeehandel begann erst groß zu werden mit dem Eintritt Hamburgs und Bremens in den Zollverein und mit der Errichtung der beiden Freihäfen. Die in Hamburg bestehenden Kaffeefirmen haben sich im Laufe der Jahre eine Art Monopol erworben. Der Grund ist nicht nur darin zu suchen, daß zur Anlage ein größeres Kapital benötigt wird, sondern besonders darin, daß der Kaffeehandel eine Fachkenntnis erforderlich macht, die nur durch jahrzehntelange Facharbeit erworben werden kann. […] Der Kaffee erfordert eben eine so sachgemäße Behandlung, daß eine Kombination im großen Stil mit anderen Waren schwer möglich ist.“14
Außer in dieser Passage geht Findeisen aber nicht näher auf die Strukturen und Mechanismen des Hamburger Kaffeegroßhandels ein. Aus der Perspektive des Sohns eines Kolonialwarenhändlers interessierte ihn anderes, wie gegenwärtige Anbaugebiete, deren Varietäten, Röstverfahren und Qualitätsbestimmungen im Einzelhandel und dessen aktuelle Schwierigkeiten.15 Eine differenzierte und umfassende Darstellung der Hamburger Kaffeehändler kann aus den ermittelten Quellen und der Sekundärliteratur kaum formuliert werden.16 Doch zumindest lassen sich die von Findeisen und anderen Autoren festgehaltenen Entwicklungstrends, die ursächlich für den Erfolg der Hamburger Kaffee14 Findeisen (1917), S. 58. 15 Damit lässt sich Findeisens Dissertation in eine Reihe weiterer zeitgenössischer Studien einordnen, die sich aber eher chronologisch der Verbreitung der Kaffeepflanze oder partiellen Fragen widmen, vgl. Carl Becker, Der Großhandel in Kolonialwaren, Berlin 1918; Brougier (1889); Deutschmann (1918); Eickmeyer (1935); August Hirschmann, Die Kaffee-Weltwirtschaft in ihrer neueren Entwicklung, Marburg 1930; Ernst Kaufmann, Der Kaffeehandel und seine Entwicklung und Bedeutung, in: Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis 2 (1909) 7, S. 250–253; Kurth (1909), Neumann (1930); Roselius (1918); Ratzka-Ernst (1912); Roth (1929); Schönfeld (1903); Luitpold Zimmermann, Der Kaffee. Das wichtigste über dessen Anbau und Verbrauch, Mannheim 1891. Am umfassendsten thematisieren den Hamburger Kaffeegroßhandel Deutschmann (1918) und Schönfeld (1903). Ludwig Deutschmann war selbst Kaffeegroßhändler und Teilhaber der Hamburger Firma J. Deutschmann & Co. Zudem liegen zu den theoretischen und rechtlichen Grundlagen des internationalen Rohstoffgroßhandels zeitgenössische Veröffentlichungen vor, vgl. Hellauer (1910); Sonndorfer (1889); Ciupka (1931). 16 Zu den grundsätzlichen Schwierigkeiten und Möglichkeiten, Angaben über Handelsunternehmen und Merchant Banker von 1850 bis 1914 auch für London zu ermitteln vgl. Michie (2000), S. 59 f.; Schulte Beerbühl (2007), S. 19–24.
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händler gewesen sein sollen, überprüfen. Dafür bietet sich als Erstes ein Blick auf die quantitative Entwicklung der Umsätze des Handelsplatzes an (vgl. Grafik 14).17 Im Jahr 1845 wurden nach Hamburg 31.000 Tonnen Rohkaffee importiert, 1869 waren die Importe im Vergleich dazu um über 105 Prozent gestiegen (66.300 Tonnen), 1888 um 151 Prozent (98.200 Tonnen) und kurz nach der Jahrhundertwende um 227 Prozent auf 223.500 Tonnen. Auch wenn man die Entwicklung der Hamburger Kaffeeimporte mit den absoluten europäischen Kaffeeimporten vergleicht, ist zwar ein kontinuierlicher Bedeutungszuwachs des Hamburger Anteils – von 24,3 Prozent 1888 über 31,5 Prozent 1891 auf 38,4 Prozent 1898 – am europäischen Kaffeehandel ersichtlich. Die Jahre nach dem Zollanschluss an das Deutsche Reich 1888 markieren aber keinen Entwicklungssprung. Innerhalb des insgesamt in Hamburg umgeschlagenen Handelsvolumens kam dem Kaffeegroßhandel von den 1880er Jahren an eine wachsende Bedeutung zu.18 Insgesamt entfiel auf Nahrungs- und Genussmittel von 1880 bis 1900 bis zu 45 Prozent des Gesamtwertes (813.267 Mio. Mark) der eingeführten Waren. Gefolgt von Getreide (bis 21 Prozent) machte Rohkaffee (bis 39 Prozent) den Hauptanteil des Imports in dieser Warengruppe aus.19 Im Vergleich zu den 1870er Jahren stiegen sowohl der prozentuale Anteil dieser Warengruppe wie auch derjenige der Rohstoffe und Halbfabrikate bei rückläufigem Handel mit Fabrikaten.20 Grundsätzlich zeichnete sich also der Hamburger Handel durch eine Steigerung des Rohstoffzwischenhandels für den deutschen sowie nord- und osteuropäischen Bedarf und weniger durch eine Vermittlung von deutschen Fabrikaten in das Ausland aus. Während die Ausfuhr ins europäische Ausland insgesamt von 1889 bis 1900 um 40 Prozent zunahm, stieg die Ausfuhrrate nach Nord- und Osteuropa um 144 Prozent. Dies betraf vor allem die 17 Quellen für Grafik 14: Für 1845 bis 1900 Kurth (1909); für 1900 bis 1912 Handelskammer Hamburg (Hg.), Hamburgs Handel im Jahre, Sachverständigen Berichte 44 (1900) – 57 (1913), Hamburg 1901–1914. Im Folgenden abgekürzt mit Hamburgs Handel. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, hier Tabelle 26. 18 Vgl. Deutschmann (1918), S. 20. 19 Auch 1913 rangierte Rohkaffee an Platz drei (hinter Häuten/Fellen und Getreide) der Hamburger Wareneinfuhr mit 276 Mio. Mark, vgl. Hamburgs Handel (1881–1914). 20 1871 bis 1880 wurden 4.139.625 Tonnen im Wert von 1.715.309 Mark eingeführt, davon entfielen 27,9 Prozent auf Nahrungs- und Genussmittel, 51,3 Prozent auf Rohstoffe und Halbfabrikate, 20,8 Prozent auf Fabrikate. 1881 bis 1888 wurden 6.316.997 Tonnen im Wert von 1.924.766 Mark eingeführt, davon entfielen 28,4 Prozent auf Nahrungs- und Genußmittel, 54,5 Prozent auf Rohstoffe und Halbfabrikate, 17,1 Prozent auf Fabrikate. Von 1889 bis 1900 wurden 5.994.996 Tonnen im Wert von 2.587.366 Millionen Mark eingeführt, davon entfielen 33,9 Prozent auf Nahrungsmittel, 56,6 Prozent auf Rohstoffe und Halbfabrikate und 9,5 Prozent auf Fabrikate, vgl. Hamburgs Handel (1872– 1901).
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Grafik 14 Einfuhren, Ausfuhren und Lagerung von Rohkaffee in Hamburg 1843–1912
drei Waren Kaffee, Baumwolle und Mais.21 Der Export von Kaffee in das deutsche Zollgebiet erhöhte sich 1889 bis 1901 um 70 Prozent, der in das europäische Ausland um 133 Prozent. Trotzdem stellte Deutschland weiterhin den Hauptabsatzmarkt für den Hamburger Kaffeegroßhandel dar. In den Jahren 1889 bis 1901 wurden rund zwei Drittel der Hamburger Importe in das deutsche Zollgebiet weiterverkauft (vgl. Grafik 15 im separaten Bildteil).22 Seine Position als Hauptlieferant für den deutschen Bedarf konnte Hamburg kontinuierlich ausbauen. Gleichzeitig verringerten sich, außer im Fall der Niederlande, die aus anderen europäischen Ländern eingeführten Mengen sowohl in Hamburg wie im Deutschen Zollgebiet lediglich leicht. Auch die Bezugsquellen des Hamburger Kaffeehandels veränderten sich von 1880 bis 1900 kaum. Die aus den produzierenden Ländern direkt importierten Mengen stiegen, wie Grafik 5 (in Kapitel 2) zeigt, während die Importe aus den europäischen Ländern nach Hamburg leicht zurückgingen. Die Steigerungen der umgeschlagenen Mengen an Rohkaffee in den beiden Jahrzehnten vor dem Jahrhundertwechsel lassen sich dabei nicht durch fallende 21 Vgl. Freytag (1906), S. 75. Die bedeutendsten Abnehmer der Hamburger Kaffeehändler waren zum Beispiel im Jahr 1897 Schweden (17 Mio. Mark), Norwegen (8,5 Mio. Mark), nichtdeutsche Ostseehäfen (11,3 Mio Mark), Dänemark (8 Mio. Mark), Triest 7 Mio. Mark, Bremen (6 Mio Mark), Niederlande (1,1 Mio Mark) und Großbritannien (1,3 Mio. Mark), vgl. Hamburger Kaffeemarkt, in: Der Tropenpflanzer 2 (1898) 2, S. 70. 22 Vgl. Schönfeld (1903), S. 39. Quellen zu Grafik 15: Hamburgs Handel (1881– 1901) und Statistisches Reichsamt (Hg.), Statistische Jahrbücher für das Deutsche Reich 11 (1891) bis 22 (1902). Im Folgenden abgekürzt mit Stat. Jb. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, hier Tabelle 27.
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Großhandelspreise erklären (vgl. Grafik 16 im separaten Bildteil).23 Zwar fielen diese 1885 auf ein bis dahin noch nicht eingetretenes Tief, doch erreichten sie in den Jahren 1887 bis 1895 wieder Spitzenhöhen.24 Erstaunlicherweise konnte der Hamburger Handelsplatz unabhängig von den massiven Preisverlusten von 1875 bis 1886 und starken Preissteigerungen des Jahrzehnts von 1887 bis 1897 seine Umschlagsquote um 227 Prozent steigern (vgl. Grafik 14 mit Grafik 16 im separaten Bildteil). Konnten fallende Großhandelspreise als Grund für die Steigerung der Hamburger Kaffeeumschlagsquoten ausgeschlossen werden, so lässt sie sich auch nicht durch einen massiven Konsumanstieg erklären. Die Nachfrage pro Kopf nach Kaffee in Deutschland oder anderen europäischen Ländern ist im entsprechenden Jahrzehnt, wie Grafik 10 (in Kapitel 2) demonstrierte, kaum gestiegen, der Gesamtanstieg der konsumierten Mengen erklärt sich durch das Bevölkerungswachstum. Die Frage nach den Gründen für den Erfolg Hamburgs als Kaffeeumschlagplatz hat auch schon die Zeitgenossen beschäftigt. Im Hinblick auf das Paradox einer von der Preisentwicklung unabhängig zunehmenden Umschlagsquote merkte Karl Schönfeld 1903 an, dass theoretisch die Preisentwicklung zwischen 1887 und 1897 hemmend auf die Entwicklung des Umschlagsvolumens hätte wirken und auch den Absatzkreis der Hamburger Firmen hätte verringern müssen. Dass dem nicht so war, begründe sich wohl „in erster Linie in der Organisation des Hamburger Kaffeehandels“.25 Auch Findeisen bezieht sich nicht direkt auf quantitative Entwicklungen. Er spricht verschiedene Faktoren an, die den Erfolg der Hamburger Kaffeehändler im internationalen Handel trotz steigender Preise erklären könnten. Zum einen führt er drei Entwicklungen des Kaffeegroßhandels selbst auf: den Wandel der Anforderungen an die Händler, die dadurch bedingte Spezialisierung auf ein Handelsgut und damit die Entstehung des Import-/Exportkaffeegroßhandels als eigenständiger Branche. Zum anderen verweist Findeisen auf handelspolitische Umbrüche.26 Mit dem Anstieg der weltweit produzierten, gehandelten und konsumierten Mengen scheinen sich zugleich die Strukturen und die Organisation des internationalen Kaffeehandels selbst verändert zu haben. Da Hamburg in dieser Phase zum größten Kaffeeum23 Quellen zu Grafik 16: StAHH, Bestand 314-1, Signatur B VIII, Nr. 13; ebd., Bestand 612-5/8, Signatur 10 und 12, Bd. 1–27. Die jährlichen Hamburger Großhandelsdurchschnittspreise für Kaffee 1792 bis 1934 finden sich auch in: Alfred Jacobs und Hans Richter, Die Großhandelspreise in Deutschland von 1792 bis 1934, Berlin 1935, S. 60 f.; Daten ab 1873 ebenso bei Kurth (1909), S. 15 f.; Roselius (1918), S. 7. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, hier Tabelle 28. 24 Ausnahmen stellten nur die beiden Sorten Mocca und Java dar. Die Sorte Mocca war aber ein auf dem Weltmarkt rarer Qualitätskaffee und die Sorte Java aufgrund des staatlich kontrollierten Anbaus sowie Handelsmonopols der NHM nur über den Amsterdamer Zwischenhandel zu beziehen. 25 Schönfeld (1903), S. 134. 26 Vgl. neben Findeisen (1917) auch Baasch (1901), S. 80.
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schlagsplatz in Europa aufstieg, könnten in den Strategien der lokalen Branchenangehörigen die Gründe für diesen Erfolg gelegen haben. Um dies zu überprüfen, werden im Folgenden zuerst grundlegende Entwicklungen der Hamburger Kaffeehandelsbranche herausgearbeitet (Kapitel 3.1.1), um zweitens zu diskutieren, ob Standortbedingungen wie die geografische Lage sowie infrastrukturelle Vorteile (Kapitel 3.1.2) oder organisatorische Veränderungen (Kapitel 3.2.) nicht der Hauptgrund für den Bedeutungszuwachs des Hamburger Kaffeehandels waren. 3.1.1 Die Hamburger Kaffeegroßhandelsbranche
Die Entwicklung einer Branche lässt sich auf dreierlei Weise untersuchen: Erstens kann man die Geschäftsfelder der Unternehmen betrachten, also analysieren, welche Position und Funktion sie innerhalb der Wertschöpfungskette einnahmen. Zweitens ist entscheidend, auf welche Weise die Handelsunternehmen tätig waren: Wickelten sie mehrheitlich selbständig, auf eigene Rechnung, Geschäfte ab oder vermittelten sie lediglich Geschäfte für andere?27 Drittens gibt eine Quantifizierung der Branche in Bezug auf die Zahl der Unternehmen sowie auf deren Umsatz im Allgemeinen und ihrer einzelnen Geschäftsfelder im Besonderen Aufschluss über ihre Entwicklung. Dort, wo die Quellenlage Aussagen zulässt, wird die Tendenz sichtbar, dass ursprünglich diversifizierte Handelsunternehmen sich ab ca. 1880 auf den Kaffeegroßhandel als Geschäftsfeld konzentrierten. Erst ab diesem Zeitpunkt differenzierte sich der Wirtschaftszweig des Großhandels in einzelne Branchen, deren Merkmal die Konzentration auf bestimmte Waren mit gemeinsamen Eigenschaften war.28 Ein Bei27 Unter Position und Funktion in der Wertschöpfungskette wird im Folgenden die jeweilige Dienstleistung, die ein Unternehmen im Großhandel übernahm, verstanden. Idealtypisch unterschieden wird hier zwischen Export- und Importgeschäften, Kommissionsgeschäften, Maklergeschäften und Speditionsgeschäften. Diese Bezeichnungen markieren wiederum idealiter die Weise, in der die Unternehmen die jeweilige Dienstleistung abwickeln, also ob mit eigenem oder fremdem Kapital, ob selbständig oder im Auftrag von Dritten. 28 Begrifflich werden die Bezeichnungen Wirtschaftszweig und Branche im Allgemeinen synonym verwendet. Diese Arbeit weist den Begriffen aber eine unterschiedliche Bedeutung zu, um eine Kategorisierung der Geschäftsfelder der im Großhandel tätigen Unternehmen vornehmen zu können. Wirtschaftszweig steht im Folgenden für den Großhandel im Allgemeinen, wohingegen Branche eine Gruppe von Unternehmen bezeichnet, die Waren mit gemeinsamen Merkmalen handeln. Unter Waren mit gemeinsamen Merkmalen wird hier eine Auswahl von Waren verstanden, die sich durch einen ähnlichen Verarbeitungszustand (Rohstoffe versus Industriegüter), unter Umständen durch ihre Herkunft (geografische Regionen) sowie ein gemeinsames Nachfragemuster auszeichnen. In der zeitgenössischen Statistik und bis heute werden diese Merkmale verwendet, um Warengruppen zu kategorisieren, zum Beispiel Kolonialwaren im Gegensatz zu Industrieerzeugnissen. Die Aktualität und weitgehende Allgemeingültigkeit dieser Kategorisierung lässt sich beson-
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spiel für einen solchen Spezialisierungsprozess ist die Firma Gebrüder Michahelles, die 1806 gegründet worden war. Die Gründergeneration handelte zunächst mit allen Kolonialwaren und betrieb hier vornehmlich Importgeschäfte als Vermittler in eigenem Namen, aber nicht auf eigene Rechnung (Konsignation oder Spedition). Mit zunehmendem Umsatz wurde auch das Bank- und Diskontgeschäft aufgenommen, dies aber in den 1870er Jahren wieder aufgegeben. In diese Zeit fällt auch die Spezialisierung auf den Kaffeegroßhandel und zwar als Importeur auf Kommissionsbasis und im Eigenhandel (auf eigene Rechnung und Namen). Von 1891 bis 1903 betrieb die Firma zudem eine Zuckerraffinerie bei Schulau an der Elbe, die 1903 in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt wurde.29 Ein weiteres Beispiel ist die 1836 gegründete Firma Hanssen & Studt. Sie importierte zunächst sämtliche Kolonialwaren vor allem nach Schleswig-Holstein und bezog von dort Butter, die sie nach England und Schottland exportierte. Ab 1861 begann sich die Firma vermehrt dem Rohkaffeeimport zuzuwenden, handelte aber bis 1869 auch noch mit anderen Waren wie Petroleum, Speck und Schmalz aus Nordamerika, ab 1870 nur noch mit Kaffee und Butter. Ab 1884 war sie allein im Kaffeeimport auf Kommissionsbasis tätig. Zudem übernahm Hanssen & Studt ab 1884 die Rohkaffeeveredlung und Röstung, sowohl für den Export ins europäische Ausland als auch für den deutschen Bedarf.30 Ab 1889 war die Kaffeeveredlung das einzige Geschäftsfeld des Unternehmens, das dann 1904 das Kaffeeimport- und -exportgeschäft wieder aufnahm. Wie die beiden Unternehmen beispielhaft demonstrieren, spezialisierten sich eine Reihe Großhandelsunternehmen zunehmend auf das Handelsgut Rohkaffee. Doch existierten auch Firmen, die den Kaffeehandel als ein Geschäftsfeld neben anderen betrieben.31 Eine Diversifizierung in einzelne Waren lässt sich bei den Maklerfirmen, insbesondere den Börsenmaklern, beobachten.32 Im Import-/Exportgeschäft konzen-
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ders gut daran ablesen, dass sie sich auch in gegenwärtigen Nachschlagewerken wie Adressbüchern findet, um ein Auffinden von Unternehmen mit einer speziellen Dienstleistung zu erleichtern. Vgl. Gebrüder Michahelles, in: Julius Eckstein (Hg.), Historisch Biographische Blätter. Der Staat Hamburg, Bd. 7, Berlin, Hamburg, Wien, o.J. [1906], o. P.; StAHH, Bestand 430-64, Signatur A 13, Bd. 4, Nr. 18456. Vgl. Hanssen & Studt, in: Eckstein (1906), o. P. Die Firma Robinow & Sohn wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts unter dem Namen Robinow, Goldschmidt & Sohn als „Wareneinkaufs- und Exportgeschäft“ gegründet. 1826 übernahm der Sohn Marcus Robinow die Firma, dessen Söhne eröffneten Niederlassungen in Leith und Glasgow. Diese Verbindung wurde jedoch 1859 gelöst und der älteste Sohn Siegmund Robinow übernahm die Firma, die nun in Siegmund Robinow & Sohn umbenannt wurde. Geschäftsfeld der Firma war ab den 1890er Jahren das Kommissionsgeschäft mit Kaffee, aber ebenso der Export von deutschen Industrieprodukten und der Import von Waren aus der Levante nach Europa, vgl. StAHH, Bestand 622-1. Vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 3, Bd. 1. Dazu auch Eckstein (1906), o. P.; Deutschmann (1918), S. 24.
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trierten sich vor allem jene Firmen auf Rohkaffee, die ihre Ware aus Ländern bezogen, in denen Kaffeebohnen das Hauptexportgut darstellte (vor allem Brasilien).33 Tendenziell scheint dieser Spezialisierungsprozess in den 1880er Jahren begonnen zu haben. Zwar liegen keine Angaben über Geschäftsabschlüsse und Umsatzzahlen vor, doch kann man davon ausgehen, dass diese Gruppe von Handelsunternehmen und Maklern, die den Kaffeegroßhandel mit Brasilien abwickelten, innerhalb der Hamburger Kaffeegroßhandelsbranche von maßgeblicher Bedeutung war. Sie handelten im Durchschnitt 63,7 Prozent der umgeschlagenen Mengen von 1870 bis 1914 (vgl. Grafik 17 im separaten Bildteil).34 Neben den Unternehmen, deren Geschäftsfeld allein Kaffee darstellte, handelten die sogenannten Länderfirmen nicht allein mit Kaffee, sondern auch mit anderen Waren. Sie erhielten diesen Namen, da sie auf den Handel mit einem bestimmten Land oder einer bestimmten Region spezialisiert waren.35 Diese Firmen importierten landestypische Waren nach Hamburg und exportierten deutsche Güter dorthin. Daneben existierte in Hamburg eine Reihe von Handelsunternehmen, sogenannte Überseehäuser, deren Schwerpunkt das Import-/Exportgeschäft mit deutschen Waren nach Übersee und den jeweiligen Landeserzeugnissen nach Hamburg darstellte. Sie hatten sich zumeist ursprünglich auf eine Region konzentriert, aber im Laufe ihrer Existenz die Geschäftstätigkeit auf weitere Regionen und Länder erweitert und waren somit durch die geografische Ausweitung ihrer Geschäftsbeziehungen von Länderfirmen zu Überseehäusern geworden.36 Eine alleinige Konzentration auf die Ware Kaffee ist demnach lediglich bei der ersten Gruppe von Handelsunternehmen (Import von Rohkaffee brasilianischer Provenienz nach Hamburg und dessen Wiederverkauf in das europäische Ausland) sowie den Maklern und Agenten erfolgt. Eine Zuordnung von Unternehmen in eine der drei Gruppen von Handelsunternehmen (Maklerfirmen und Import-/Exportfirmen mit einer Spezialisierung auf Kaffee, Länderfirmen sowie Überseehäuser) ist 33 Wie die oben aufgeführten Firmen Hanssen & Stuck und Gebr. Michahelles. Weitere Firmen waren u. a. Fr. Baur, Friedr. Leinau Söhne, Stucken & Andresen, Gustav Trinks & Co., vgl. die Angaben in Prosopografie: Kaffeehandelsunternehmen in Hamburg. 34 Quellen zu Grafik 17: Hamburgs Handel (1900–1914); Schönfeld (1903), S. 12, S. 14, S. 16, S. 22, S. 24. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, hier Tabelle 29. 35 So u. a. die Firmen M. W. Rothe (Venezuela), Ludwig Schwarz & Co. (Asien), Anth. Schröder & Co. (Levante), R. Liefmann & Söhne Nachf. (Westindien), vgl. die Angaben in Prosopografie: Kaffeehandelsunternehmen in Hamburg. 36 Die Überseefirmen wurden in Hamburg auch „Stadtfirmen“ genannt, weil sie nach Errichtung des Freihafenbezirks ihren Firmensitz in der Regel nicht dort, sondern im Stadtgebiet hatten. Dazu zählen u. a. die Firmen Theodor Wille & Co., Schröder Gebr. & Co., Johs. Schuback Söhne und A. Tesdorp & Co., vgl. die Angaben in Prosopografie: Kaffeehandelsunternehmen in Hamburg.
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aber nur für einen bestimmten Zeitabschnitt möglich. Beispielsweise entwickelte sich die Firma Emile Nölting & Co., die Mitte des 19. Jahrhunderts von Haiti aus Waren nach Hamburg exportiert hatte, zu einer Länderfirma, die in Hamburg ansässig war, also deutsche Waren nach Haiti und haitianische Waren nach Hamburg ex- bzw. importierte. Ab den 1880er Jahren trug die Firma alle Merkmale eines Überseehauses. Sie exportierte sämtliche deutschen Waren nach Argentinien, Uruguay, Chile, Peru, Brasilien, Mittelamerika, Spanien, Portugal, Marokko sowie auf die Kanarischen Inseln und in die französischen Kolonien und exportierte durch ihre Niederlassungen in Haiti wiederum von dort aus Waren nach Hamburg.37 Einen ersten Eindruck über die Hamburger Unternehmen von 1882 und 1932 geben die Adressbücher, da sie die ortsansässigen Handelsunternehmen ab den 1880er Jahren nach ihren Handelswaren aufführten. Diese unterscheiden aber nicht zwischen Zwischengroßhandelsfirmen, die im Import-/Exportgeschäft tätig waren, und denjenigen, die zwar in Hamburg ihren Firmensitz hatten, aber dem Binnenzwischengroßhandel zuzuordnen sind. Eine Ergänzungsmöglichkeit bieten die Mitgliederunterlagen der 1887 gegründeten Interessenvertretung des Kaffeegroßhandels in Hamburg, des Vereins der am Kaffeehandel betheiligten Firmen (im Folgenden: Kaffee-Verein).38 Hier waren auch Firmen vertreten, die Kaffee sowie andere Güter in großem Umfang handelten (Länderfirmen und Überseehäuser) und daher nicht unter der Rubrik „Kaffee“ im Adressbuch geführt wurden.39 Eine weitere Möglichkeit, die Kaffeehandelsbranche näher zu bestimmen, bieten das 1897 eingerichtete Börsenregister und die Angaben aus dem Hamburger Handelsregister. Aufgrund der uneinheitlichen Eintragungspraxis beim Handelsregister ermöglicht dieses keine durchgängige Erfassung.40 Daher müssen die Angaben 37 Vgl. Carl Schmidt-Reitz, Emile Nölting & Co., Hamburg 1958. Ein weiteres Beispiel ist die Firma M. W. Rothe, vgl. die Angaben in Prosopografie: Kaffeehandelsunternehmen in Hamburg. 38 Zum Kaffee-Verein vgl. Kap. 3.2. 39 Vgl. die Angaben in Prosopografie: Kaffeehandelsunternehmen in Hamburg. Ein Abgleich der Daten aus den Adressbüchern mit den Mitgliederlisten des Kaffee-Vereins zeigt, dass einige der Unternehmungen nicht im Adressbuch aufgeführt oder aber lediglich in einzelnen Jahrgängen verzeichnet sind, obwohl aus den Mitgliedsakten des Kaffee-Vereins die durchgängige Existenz der Firma hervorgeht. 40 Zwar wurde schon 1836 in Hamburg die Verpflichtung für Kaufleute eingeführt, die Rechtsverhältnisse ihrer Unternehmen in einem jedermann zugänglichen Register beim Handelsgericht eintragen zu lassen. Bis 1866 bestand die Verpflichtung allerdings nur für neugegründete Unternehmen und für diese auch nur dann, wenn Firmenname und Name des Inhabers nicht identisch waren, vgl. Findbucheinleitung, in: StAHH, Bestand 231-3 sowie Bestand 231-7. Einzelne Jahrgänge des Handelsregisters wurden zwar publiziert, doch finden sich hier durchgängig lediglich alphabetisch sortiert die Unternehmen, nur vereinzelt die Angaben über die Unternehmensform, Inhaber und Geschäftsführer oder die Geschäftsausrichtung der Unternehmen, vgl. Amtsgericht Hamburg (Hg.), Ver-
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des Handelsregisters mittels Informationen aus Handbücher ergänzt werden. Diese führen teilweise weitaus mehr Angaben über die Unternehmen auf als das Handelsregister.41 Fasst man alle Angaben zusammen, lassen sich für den Zeitraum von 1880 bis 1928 744 Hamburger Firmen ermitteln, die in ungleichem Ausmaß und unterschiedlichen Geschäftsfeldern im internationalen Kaffeehandel aktiv waren.42 Ausgehend von 73 Kaffeehandelsfirmen im Jahr 1880 stieg die Anzahl der Unternehmen um 340 Prozent auf bis zu 253 im Jahr 1902. Davon tätigten knapp 30 Prozent der Unternehmen eher ohne eigenes Kapital und im Auftrag Dritter Geschäfte (Makler und Agenten) und etwa 40 Prozent tendenziell selbständige und kapitalabhängige Geschäfte (Import-/Exportfirmen und Überseehäuser). 28 Prozent der Unternehmen betrieben Kommissionsgeschäfte, waren also sowohl selbständig tätig als auch in kapitalabhängigen und kapitalunabhängigen Geschäften aktiv. Nur ein Fünftel der Firmen, die 1917/18 im Import- und Exportgeschäft tätig waren, existierten schon vor 1870; ca. 30 Prozent sind bis zum Zollanschluss Hamburgs (1888), weitere 28 Prozent bis 1902 und 10 Prozent von 1902 bis 1914 gegründet worden. Insgesamt nahm die Anzahl der Unternehmen, die Import-/Exportgeschäfte tätigten, kontinuierlich zu.43 Im Gegensatz dazu blieb die Zahl der Maklerfirmen relativ konstant. Von den 1918 bestehenden waren aber lediglich 10 Prozent schon vor 1880 gegründet worden. Die Mehrheit der Maklerfirmen existierte gerade fünf bis zehn Jahre. Die Anzahl der in Hamburg ansässigen Agenturfirmen, die im Auftrag und auf Rechnung zeichnis der in das Handelsregister und in das Genossenschaftsregister des Amtsgerichts Hamburg eingetragenen Firmen, 1 (1905) bis 7 (1919). 41 Vgl. Das Buch der Alten Firmen (1925); Deutsches Export-Handbuch für Brasilien, nebst Adressbuch deutscher Geschäftsleute, Berlin 1906; Export-Adressbuch. Berliner, Hamburger, Bremer, Lübecker und Danziger Export- und Kommissionshäuser sowie Berliner Einkaufshäuser auswärtiger und ausländischer Kauf- und Warenhäuser, Berlin 1921; Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1 (1898) – 33 (1932); Hamburgisches Familienbuch, Bd. 1 und 3, Görlitz 1910 und 1912; Hamburgisches Geschlechterbuch, Bd. 9 und 10, Limburg 1961 und 1962; Handbuch der deutschen Aktiengesellschaften: Das Spezial-Archiv der Deutschen Wirtschaft, Leipzig u. a. 1 (1896/97) – 18 (1914/1914); Jahrbuch der Hamburger Börse sowie Bremen und Hannover. Handbuch der Aktien-Gesellschaften von Hamburg, Bremen, Lübeck, Schleswig-Holstein, Hannover, Oldenburg und Mecklenburg, Leipzig 8 (1899/1900) – 15 (1912/1913); Kaffee- und Tee-Adressbuch, Hamburg 1928; Rudolf Martin, Jahrbuch des Vermögens und Einkommens der Millionäre in den drei Hansestädten Hamburg, Bremen, Lübeck, Berlin 1912; Statistisches Landesamt Hamburg (Hg.), Statistisches Handbuch für den Hamburgischen Staat. Ausgabe 1920, Hamburg 1921. 42 Vgl. die Angaben in Prosopografie: Kaffeehandelsunternehmen in Hamburg. 43 Für die übrigen Firmen existieren nicht ausreichend Daten, um Aussagen über Gründung und Existenzdauer zu treffen.
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von Exporteuren in den Anbauländern handelten, stieg bis 1902 auf dreißig Firmen, um sich dann auf im Durchschnitt 25 einzupendeln. Doch lassen sich daraus keine Schlüsse über die Bedeutung des Agenturgeschäftes ziehen, da die Vertretung von Exporthäusern auch von Maklerfirmen übernommen wurde.44 Ebenso schwierig ist es aufgrund der Quellenlage, eine Aussage über die Entwicklung der Kommissionsgeschäfte zu treffen. Die Zahl der unter der Rubrik „Kommission“ geführten Unternehmen verdoppelte sich von 1894 bis 1902 von 14 auf 32, stabilisierte sich dann aber bei im Durchschnitt 25 Firmen. Besonders die Einordnung von Firmen in diese Rubrik ist insofern uneindeutig, als gerade die hier aufgeführten Unternehmen zumeist selbständig Import-/Exportgeschäfte tätigten.45 Besonders die Kommissionäre konnten in einem Geschäft zugleich Kommissionär (gegenüber dem Kunden, der ihn beauftragt hatte, Kaffee zu kaufen) und Eigenhändler sein, indem sie zuerst Waren von einem Exporteur auf eigenen Namen sowie eigene Rechnung erwarben und dann an den Kunden verkauften, so dass „der Kommissionär thatsächlich nicht mehr besteht in dem Sinne von früher. Der Kommissionär ist in der Regel Eigenhändler, wenn auch der Börsenausdruck gebraucht wird, für Rechnung und Auftrag, so ist er doch thatsächlich Selbstkontrahent“.46 Dies galt ähnlich für Makler. Deren vornehmliches Geschäftsfeld stellte zwar die Vermittlung dar, dennoch schlossen sie auch Geschäfte auf eigene Rechnung und in eigenem Namen ab.47 Idealtypisch zu unterscheiden sind die Börsenterminmakler zur Vermittlung von Termingeschäften und diejenigen, die im Effektivgeschäft vermittelten, auch wenn es gelegentlich Überschneidungen gab.48 Allein die Agenten handelten in fremdem Auftrag (der Exporteure in den Anbauländern) und auf fremde Rechnung.49 Die traditionellen Berufsbezeichnungen der Kaufleute wurden also weiterhin verwendet, aber ihre Bedeutung hatte sich maßgeblich verschoben. Die in den Quellen zu findenden Anga44 Vgl. Schönfeld (1903), S. 59. 45 Vgl. BEK, St. Pr., S. 2196: „95 Prozent von allen Effektivlieferungen werden so gemacht, dass das Wort ‚Kommissionär’ darauf nicht anwendbar ist, indem die Leute als Selbsthändler offerieren.“ 46 BEK, St. Pr. (1893), S. 2271. Dazu ausführlicher BEK, St. Pr. (1893), S. 2175–2180. Damit konnten die Kommissionäre ihre Gewinnmargen erheblich verbessern, da sie zum einen an der Preisdifferenz durch den Selbsteintritt verdienten und zum anderen die Provision für die Vermittlung des Geschäftes erhielten. Wenn zusätzlich Agenten und Makler hinzugezogen wurden, lagen die Gewinnmargen des Kommissionärs bei in der Regel 1–1,5 Prozent des Geschäftswertes, ohne weitere Vermittlungsinstanzen bei bis zu 4 Prozent des Geschäftswertes, vgl. BEK, St. Pr. (1893), S. 2184, S. 2186, S. 2189. 47 Vgl. BEK, St. Pr. (1893), S. 2178 f., S. 2267; Schönfeld (1903), S. 59. 48 Vgl. BEK, St. Pr. (1893), S. 2151 f. 49 Sie vermittelten im Auftrag von Exporteuren an den Seeplätzen der Kaffee produzierenden Länder ab den 1870er Jahren, vgl. Ratzka-Ernst (1912). Zu den verschiedenen Handelsformen im internationalen Handel vgl. Hellauer (1910).
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ben wie „Kommissionsgeschäfte“ oder „Importeure“ geben keine Auskunft über die Tätigkeitsweise der Unternehmen, sondern allein über ihre Funktion und Position innerhalb der Wertschöpfungskette.50 Eine Typologie der Unternehmen nach der Position und Funktion des Geschäftsfeldes innerhalb der Wertschöpfungskette bildet die Realität besser ab. Im Sprachgebrauch der Kaffeegroßhändler wurde diese Unterscheidung durch die Bezeichnungen Erste Hand (Exportgeschäft vom Anbauland zum Zwischenhandelsplatz), Zweite Hand (Händler am Zwischenhandelsplatz im Im- und Exportgeschäft) und Dritte Hand (Händler im Binnengroßhandel) markiert. Diese Bezeichnungen unterstreichen die Geschäftsausrichtung der Unternehmungen, ohne dabei schon eine Aussage über Art (Import oder Export) und Weise (Eigengeschäft/Kommission/Vermittlung) und somit die rechtliche Form (eigene/fremde Rechnung, eigenes/fremdes Kapital) der Geschäftsabschlüsse zu treffen. Idealtypisch bedeuten die Ausrichtung der einzelnen Geschäftsfelder und ihre jeweilige Funktion, dass zum Beispiel ein Überseehändler keine Geschäfte mit dem Binnengroßhandel abschloss, so dass „jeder Kaffeehändler, je nach geschäftlicher Ausrichtung, seine genau umrissene Aufgabe in der Leistungskette vom Produzenten bis zum Verbraucher“51 erfüllte. Es finden sich viele Beispiele, die diese Praxis belegen: Das Hamburger Überseehaus Theodor Wille & Co. exportierte zum Beispiel den Kaffee als Vertreter seiner Niederlassungen in São Paulo und Rio de Janeiro, beauftragte aber die Hamburger Firma Gebr. Michahelles als Korrespondenten (auf eigenen Namen und auf eigene Rechnung) mit dem Import und Weiterverkauf in den deutschen Binnenhandel und in andere europäische Länder.52 Die Exporteure in den produzierenden Ländern, die Länderfirmen und Überseehäuser, offerierten ihren Rohkaffee zumeist über Agenten an die Hamburger Import-/Exportfirmen der Zweiten Hand, welche sich ihrerseits „der 2. Handmakler bedienten, um untereinander zu handeln oder aber mittels eines Stadtmaklers die Ware an die Röstkundschaft zu verkaufen“.53 Trotz dieser Trennung war eine Beteiligung der Ersten, Zweiten und Dritten Hand an genuinen Geschäftfeldern der anderen Hand nicht ausgeschlossen.54 Vor 50 Vgl. Findeisen (1917), S. 59; Hellauer (1910), S. 32f; Simon (1909), S. 24; Erwin Wiskemann, Hamburg und die Welthandelspolitik von den Anfängen bis zur Gegenwart, Hamburg 1929, S. 271. 51 Arbeitskreis Rohkaffeefreunde Sandthorquai (Hg.), Der Sandthorquai. Geschichte und Geschichten von Ehrbaren hanseatischen Kaufleuten, von Kaffee, Typen und Kontrakten …, Hamburg 1996, S. 15. 52 Vgl. Zimmermann (1969), S. 118. In einzelnen Situationen fanden natürlich am Hamburger Platz Transaktionen statt, die nicht der Trennung von Erster und Zweiter Hand folgten, vgl. Findeisen (1917), S. 66. 53 Ebd., S. 51. 54 So integrierte Hanssen & Studt die Kaffeeveredlung in das Unternehmen. Dies widersprach zwar nicht direkt der strikten Trennung der Geschäftsfelder, doch war das Unter-
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allem die gängige Praxis von Importhäusern, Pflanzungsbeteiligungen zu halten, lässt die Aufgabe je nach Geschäftsfeld in der Realität nicht allzu „genau umrissen“ erscheinen. Zwar verzichteten einzelne Kaufleute darauf, vor- und nachgelagerte Aktivitäten direkt in ihr Unternehmen zu integrieren, wenn es der funktionalen Trennung von Erster, Zweiter und Dritter Hand widersprach, aber sie beteiligten sich über die Gründung von Röstereien im Zollinland sowie durch die Vergabe von Krediten an Pflanzer durchaus an den Aufgaben der jeweils anderen Hand.55 Die Integration von vor- und nachgelagerten Schritten der Wertschöpfungskette wurde in den 1890er Jahren mit der Entstehung der Kaffeeverarbeitung als Branche immer üblicher. So beteiligten sich zum Beispiel im Jahr 1902 53 der 164 Hamburger Zwischengroßhandelsfirmen an der Kaffeeveredlung.56 Das folgende Organigramm (Grafik 18) verdeutlicht die Funktionen und geografischen Standorte der Unternehmen der Ersten, Zweiten und Dritten Hand im Kaffeegroßhandel. Die Begrifflichkeit Erste, Zweite und Dritte Hand entwickelten die Zeitgenossen in den 1870er Jahren, um die jeweilige Position und spezifische Funktion eines Unternehmens in der Handelskette klar zu markieren. Wie oben erläutert, sind diese Bezeichnungen im Hinblick darauf, dass einige Unternehmen durchaus das Geschäftsfeld erweiterten, als idealtypische Charakterisierungen zu verstehen. Doch das Motiv für die Wahl dieser neuen Bezeichnungen war relevant genug für die Kaufleute, an dieser Typologie festzuhalten: In der Geschäftskorrespondenz und in den Lieferungsverträgen unterschied man zwischen Erster, Zweiter und Dritter Hand aufgrund der sich je nach Position in der Handelkette ergebenden unterschiedlichen Interessen an der Ware. Dies betraf insbesondere seine Qualität, den Zustand der Lieferung und den Preis. Versuchte ein Exporthändler im Anbauland dem Importhändler am Seeplatz eines Konsumlandes jede gerade vorhandene Ware zu einem möglichst hohen Preis zu verkaufen, so war das Ziel eines Geschäftsabschlusses aus Perspektive des Importhändlers am Seeplatz gerade ein möglichst niedriger Preis bei hoher Qualität. Der Großhändler im Inland interessierte sich demgegenüber nicht nur für einen möglichst niedrigen Preis bei hoher Qualität, sondern zusätzlich lediglich für Sorten, die den regionalen Präferenzen seines Absatzortes entsprachen, und für Lieferungen, die möglichst nicht mit Steinen und Laub verunreinigt waren, da er den Importzoll bezahlen musste. Wie noch später zu zeigen wird, führten die unterschiedlichen Positionen in der Handelkette zu nehmen über die Firma A. Schmidt, die auf Rechnung von Hanssen & Studt Geschäfte abschloss, auch im Binnenhandel aktiv. 55 Zur Entwicklung der Kaffee verarbeitenden Branche vgl. Kapitel 5. Zur Beteiligung von Unternehmen am Kaffeeanbau vgl. die Angaben in Prosopografie: Kaffeehandelsunternehmen in Hamburg. 56 Von den 53 Unternehmen hatten 25 Röstereien, 18 Kaffeeversandgeschäfte, acht Kaffeeverlesereien und zwei Kaffeebearbeitungsgeschäfte, vgl. Hamburger Adressbuch (1902).
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Grafik 18 Idealtypische Darstellung der Geschäftsfelder im Kaffeegroßhandel um 1900
brancheninternen Konflikten und wurden gerade für die politische Interessenartikulation relevant. Insofern eignen sich die zeitgenössischen Bezeichnungen auch als Analysekategorien, um die Interessengruppen im Folgenden sprachlich zu markieren und herauszuarbeiten, inwiefern ihre jeweiligen Marktbehauptungsstrategien und Ansprüche an die Politik divergierten oder konkruent waren und welche Gründe jeweils dahinter steckten. Dominierende Unternehmensformen im Hamburger Kaffeegroßhandel waren Einzelunternehmen und offene Handelsgesellschaften. Die meisten Firmen wurden somit von den Eigentümern selbst geführt. Beteiligungen von stillen Teilhabern oder Kommanditisten ließen sich nicht ermitteln, können aber aufgrund der Quellenlage nicht ausschlossen werden. Nur elf Kaffeegroßhandelsunternehmen, deren Gründungsdatum zudem nach 1900 lag, wählten die Unternehmensform der GmbH. Aktiengesellschaften finden sich lediglich bei den Pflanzungsgesellschaften oder bei Unternehmen in der Kaffeeveredlung in Hamburg, da „nach althergebrachtem Verständnis ein Kaufmann mit seinem ganzen Vermögen die Verantwortung für sein wirtschaftliches Handeln zu tragen und nicht zu ‚anonymisieren’“57 hatte. 57 Hinz (2000), S. 16. Vgl. dazu auch Eduard Rosenbaum, Funktionen des Export- und Importhandels, in: Bernhard Harms (Hg.), Strukturwandlungen der Deutschen Volkswirtschaft, Berlin 1928, S. 124–147, hier S. 140–142.
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Ist es schon allein schwierig, die im Kaffeehandel tätigen Firmen zu benennen und ihre jeweilige Geschäftsausrichtung zu ermitteln, so trifft dies noch mehr für nähere Angaben über die Unternehmungen wie Betriebskapital, Zahl der Angestellten, Umsatz etc. zu. Auch Einkommen und Vermögen der Unternehmer lassen sich nur vereinzelt feststellen.58 Wie aus den Steuerlisten und den zeitgenössischen Darstellungen zum Einkommen hervorgeht, waren die Hamburger Import-/Exporthäuser und Überseehäuser (somit Erste und Zweite Hand) die kapitalkräftigeren Akteure gegenüber Binnengroß- und Einzelhandel sowie Veredlung.59 Zu den Maklerfirmen ließen sich außer den Auskünften in den Adress- und Handbüchern keine näheren Angaben ermitteln. Rund die Hälfte (82) von den insgesamt 160 in diesem Zeitraum identifizierten Kaffeemaklerfirmen existierten nur ein bis vier Jahre, weitere 25 Firmen fünf bis zehn Jahre, 14 Firmen zwischen zehn und zwanzig Jahren. Die überwiegende Mehrheit der Kaffeemaklerfirmen waren Einmannunternehmen. Die Firma Plaas & Erler bestand zum Beispiel weniger als fünf Jahre und verfügte nicht über ein eigenes Büro, sondern lediglich über einen Briefkasten in der Börse vor dem Kontor 44. Zusätzlich ist die Privatdresse „am Pickhuben 3 bei Mahler“ aufgeführt. Dies lässt vermuten, dass der oder die Inhaber sich aus ihren Einkünften keine eigenständige Wohnung leisten konnten. Schönfeld weist darauf hin, dass 1903 rund die Hälfte der Maklerfirmen im „Kaffeehandel ziemlich bedeutungslos“60 seien. Demgegenüber sei jedoch die andere Hälfte erstens Mitglied im Kaffee-Verein und es gebe zweitens unter dieser Gruppe durchaus Maklerfirmen, „die manches Engroshaus tief im Schatten lassen, aber wenn es möglich wäre, einen Durchschnitt zu fixieren, würde der der Makler und Agenten wohl nicht heranreichen an den Grossisten“.61 Ökonomisch ausserordentlich erfolgreich waren knapp ein Viertel (39) der ermittelten Kaffeemaklerfirmen, wie zum Beispiel 58 Die Akten der Steuerverwaltung und des Erbschaftsamtes sind lückenhaft und enthalten, wenn vorhanden, recht unterschiedliche Angaben, insbesondere für die Zeit ab 1880, vgl. Hans-Konrad Stein, Interessenkonflikte zwischen Großkaufleuten, Handelskammer und Senat in der Frage des Zollanschlusses Hamburgs an das Reich 1866–1881, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 64 (1978), S. 55–89, hier S. 58, S. 79. Zum Teil werden Firmenvermögen, zum Teil Familienvermögen angegeben; oft sind auch nicht alle Teilhaber an einem Unternehmen erfasst. 59 Unter den Hamburger Millionären waren im Jahr 1912 33 Kaufleute, deren Unternehmen vor allem im Kaffeegroßhandel tätig waren. Davon waren zwölf Inhaber von Überseehäusern (z. T. auch Merchant Banker), acht Teilhaber von Länderfirmen und elf Eigentümer von Import-/Exportfirmen sowie zwei von Maklerfirmen. Angaben über die Einkommen und das Privatvermögen bei Martin (1912). Zu den Unternehmern, ihren Firmen und deren jeweiligen Vermögen vgl. die Angaben in Prosopografie: Kaffeehandelsunternehmen in Hamburg. 60 Schönfeld (1903), S. 110. 61 Ebd., S. 59.
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Embden Drishaus & Epping (gegr. 1802) und Voss & Petersen (gegr. 1878). Beide Firmen waren als Kaffeemakler ab den 1880ern bis in die 1920er Jahre aktiv und verfügten über Büros im Freihafen und an der Börse sowie über eigene Lagerräume.62 Fritz Hassel, der Inhaber der seit den 1880er Jahren existierenden Kaffeemaklerfirma Fritz Hassel & Co., verfügte 1912 über ein Privatvermögen von 1,1 Millionen Mark bei einem jährlichen Einkommen von 80.000 Mark. Die beiden Teilhaber der Kaffeemaklerfirma Max Kroymann, Otto Siems und Willy Hess, erwirtschafteten sich mit ihren Maklertätigkeiten jeweils ein jährliches Einkommen von 50.000 Mark.63 Als Hinweis zu den Mitarbeiterzahlen der Maklerfirmen können nur Aussagen dienen, nach denen Inhaber der Maklerfirmen entweder selbst täglich am Vormittag bei den Unternehmen der Zweiten Hand vorstellig wurden, um ihre Offerten zu unterbreiten, oder Boten und Lehrlinge sandten.64 Daraus lässt sich immerhin ableiten, dass es in der Branche der Kaffeemaklerunternehmen sowohl Unternehmer gab, die den Geschäftspartnern jede Offerte selbst überbringen mussten, als auch größere Firmen, die aufgrund ihrer Umsätze in der Lage waren, Geschäftstätigkeiten an Angestellte zu delegieren. Etwas besser als zu den Maklerfirmen ist die Quellenlage zu den Überseehäusern, Länderfirmen und Import-/Exportfirmen. Hier lassen sich zumindest einige Angaben zu Firmenstrukturen und Mitarbeiterzahlen finden. Die Kaffeegroßhandelsfirmen waren in der Regel eignergeführte, über mehrere Generationen bestehende Familienunternehmen.65 Ebenso üblich wie die Unternehmensführung durch den Gründer war die Übergabe des Unternehmens an den eigenen Sohn oder andere Familienangehörige. Auch im Hinblick auf die Mitarbeiter zeichnete sich die Branche 62 63 64 65
Vgl. die Angaben in Prosopografie: Kaffeehandelsunternehmen in Hamburg. Vgl. Martin (1912), S. 51, S. 70. Vgl. Arbeitskreis Rohkaffeefreunde (1996), S. 20, S. 65, S. 68, S. 70. So war die Bestimmung im Firmenvertrag nicht unüblich, dass der Firmenname gelöscht werden müsste, sobald ein Inhaber das Geschäft übernehmen würde, der nicht zur Familie gehörte, vgl. Maria Möring, 1757–1957. 200 Jahre Johannes Schuback & Söhne. Familie und Firma in Hamburg, Hamburg 1957; Schmidt-Teitz (1958), S. 41. In solchen Unternehmerfamilien stand es zumeist allen Söhnen offen, bei entsprechender Qualifikation Teilhaber im Unternehmen zu werden. Das Prinzip der Primogenitur wurde im Hamburger Großhandel nicht praktiziert. Mit der Indienstnahme möglichst aller männlichen Familienangehörigen konnte das Unternehmen in seiner Ausrichtung auf verschiedene Geschäftszweige ausgeweitet und durch die Hinzunahme weiterer Länder konnten neue Märkte erschlossen werden. Zu mehrgenerationellen Familienunternehmen vgl. Mark Casson, The Family Firm. An Analysis of the Dynastic Motive, in: ders. (Hg.), Enterprise and Leadership. Studies on Firms, Markets and Networks, Cheltenham und Northampton 2000, S. 197–235; Andrea Colli, The History of Family Business 1850–2000, Cambridge 2003; Jürgen Kocka, Familie, Unternehmer und Kapitalismus. An Beispielen aus der frühen deutschen Industrialisierung, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 24 (1979) 3, S. 99–135.
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durch eine hohe Selbstrekrutierung aus: Soweit ermittelbar, kamen die leitenden Angestellten zumeist aus dem Kreis der Eigner oder deren Familien und hatten im betreffenden Kaffeehandelsunternehmen oder bei engen Geschäftspartnern schon ihre kaufmännische Grundausbildung absolviert, an die sich in jedem Fall ein mehrjähriger Auslandsaufenthalt anschloss.66 Ähnliches kann für die Ausbildung der Firmengründer beobachtet werden.67 Auch bei den Kaffeehandelsfirmen finden sich kaum Angaben zu den Mitarbeiterzahlen. Dass die Zahl von vierzig Mitarbeitern der Erwähnung in der Presse wert war, lässt vermuten, dass sie eher die Ausnahme darstellte. Belege für eine solch „hohe“ Mitarbeiterzahl finden sich auch nur für die Überseehäuser Theodor Wille & Co. (1890er Jahre ca. dreißig Angestellte), Robinow & Sohn (1906 ca. vierzig Angestellte) und Schuback & Söhne (1914 78 Angestellte, dazu 17 Lehrlinge), Emile Nölting & Co. (1914 47 Angestellte) sowie für das oben erwähnte Kaffeegroßhandelsunternehmen Hanssen & Studt (1906 41 Angestellte).68 Die Import-/Exporthäuser im Kaffeegroßhandel beschäftigten hingegen wahrscheinlich im Durchschnitt nicht mehr als zehn Mitarbeiter.69 66 Vgl. Möring (1957), S. 114 f., S. 119, S. 149 f., S. 151, S. 153; Joh. Berenberg, Gosslar & Co., Hamburg (1962), o. P.; Schmitz-Reitz (1958), S. 58 f.; Zimmermann (1969), S. 74, S. 82–84, S. 100; vgl. den Lehrlingsvertrag eines Teilhabersohnes von Crasemann & Stavenhagen bei dem Überseehaus Nottebohm & Co., in: Nottebohm & Co, 1822–1972 Hamburgische Kaufmannsbank Nottebohm & Co, Aktiengesellschaft, Hamburg 1972, S. 13 f. oder die Angaben zu der Ausbildung von Heinrich Edmund Bohlen, der bei Burmester & Stavenhagen gelernt hatte, bei Elsabea Rohrmann, Max von Schinckel. Hanseatischer Bankmann im wilhelminischen Deutschland, Hamburg 1971, S. 40. 67 Vgl. zur Ausbildung von Julius Andreas Fahr (Firma Andr. Fahr), Gerhard Commichau, Julius Otto Fahr. Leben eines Hamburgischen Kaufmanns, in: Tradition. Zeitschrift für Firmengeschichte und Unternehmerbiographien 1971, S. 260–279, hier S. 266. Zu der Ausbildung des Gründers der Firma H. H. Eggers sowie seiner Söhne vgl. Hildegard v. Marchtaler, Geschichte der Kaffee-Import und Reederei-Firma H.H. Eggers, ergänzt und hrsg. v. Eduard Rudolph Eggers, Hamburg 1953, S. 9, S. 44. Zur Ausbildung von Emile Nölting vgl. Schmidt-Reitz (1958), S. 21; Zu Theodor Wille vgl. Zimmermann (1969), S. 20– 33. Zu Unternehmern, die ihre Firmen erst im Ausland gründeten und dann Niederlassungen in Hamburg eröffneten, vgl. Trümper (1996); Schlubach & Co. (1925); M. W. Rothe, in: Das Buch der alten Firmen (1925), S. III, S. 30. Zu Gustav Müller, dem Gründer der Firma Thomson & Müller, vgl. Walther Matthies, Vereinsbank in Hamburg. Biographien der Aufsichtsrats- und Vorstandsmitglieder seit der Gründung der Bank im Jahr 1856, Hamburg 1970, S. 69; StAHH, Bestand 231-7, Signatur A 7, Bd. 27, Nr. 6958; Signatur A 6, Bd. 10, Nr. 2729; Signatur A 13, Bd. 3, Nr. 16851 und Bd. 5 Nr. 19283. 68 Vgl. Eckstein (1906); Zimmermann (1969); Möring (1957); Schmitz-Reitz (1958). 69 Dies lässt sich aus den Diskussionen des Kaffee-Vereins um Mieträume am Sandthorquai schließen, vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 3, Bd. 1 und 2.
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Ab den 1880er Jahren bis zur Jahrhundertwende entstand in Hamburg aus Großhandelsunternehmen, die zuvor mit Kaffee als einem unter mehreren Gütern gehandelt hatten, eine eigene Branche, deren Merkmal die Spezialisierung auf das Handelsgut Rohkaffee war. Gleichzeitig differenzierten sich die Geschäftsfelder dieser Firmen gemäß ihrer Ausrichtung in der Wertschöpfungskette. Die Entwicklung der Kaffeegroßhandelsbranche insgesamt zeichnete sich ab den 1880er Jahren bis 1902 durch eine quantitative Zunahme aus, was sich sichtbar in der steigenden Zahl der entsprechenden Handelsunternehmen ausdrückte. Da nur punktuelle und vereinzelte Angaben über Umsätze und Mitarbeiterzahlen vorliegen, lässt sich aber nicht überprüfen, ob die Zunahme der Anzahl an Unternehmen auch mit höheren Umsätzen für die einzelne Firma einherging. Ein maßgeblicher Wandel in der Ausbildungspraxis und den Aufstiegschancen oder Strukturveränderungen in den Unternehmensführungen lassen sich nicht feststellen, mögliche graduelle Entwicklungen sowie Sonderfälle können aber aufgrund der Quellenlage nicht ausgeschlossen werden. Damit lassen sich diese für den Erfolg im internationalen Handel zwar sicherlich wichtigen sozioökonomischen Praktiken der Kaffeehändler nicht als ausschlaggebender Faktor für den Aufstieg Hamburgs werten. Dieser könnte – und das gilt es im Folgenden zu überprüfen – statt in der Ausbildung der Hamburger Kaufleute oder ihrer Unternehmensstruktur in der Bedeutung des Standorts Hamburg, in infrastrukturellen Innovationen wie dem Ausbau des Hamburger Hafens und in den handelspolitischen Umbrüchen der 1880er Jahre gelegen haben. 3.1.2 Hamburg, ein besonderer Standort?
Grundlage der Handelsbeziehungen hamburgischer Kaffeekaufleute bildeten die verschiedenen Handelsverträge, die die Vertretung der Hansestadt im Laufe des 19. Jahrhunderts mit lateinamerikanischen Staaten abschloss, und die Einrichtung von hamburgischen Vertretungen in den entsprechenden Ländern.70 Sie ermöglichten die direkten Handelsbeziehungen und die Umgehung des Amsterdamer und Londoner Konsignations- und Kommissionssystems: „Kolonialbesitz und direkter Kolonialhandel waren für Jahrhunderte identische Begriffe gewesen, galt es doch als vornehmster Satz kolonialer Handelspolitik ‚Der Handel ist dem Mutterlande vorbehalten.’ Jetzt hat Hamburg gleichsam ‚Kolonien’ erhalten.“71 Doch ebenso schlossen 70 Erster hanseatischer Generalkonsul in Brasilien 1818, Verträge 1828 mit Brasilien, 1832 mit Mexico, 1837 mit Venezuela, 1842 mit Ecuador, vgl. Walter Kresse, Die Auswirkungen der Handelsverträge der Hansestädte mit amerikanischen Staaten auf die Hamburger Schiffahrt, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 60 (1974), S. 139– 146; Klaus Wyneken, Die Entwicklung der Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Brasilien, Köln 1958, S. 51–58. 71 Freytag (1906), S. 9.
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andere europäische Handelsstädte und Länder Handelsverträge mit den lateinamerikanischen Ländern ab und importierten daraufhin ihre Waren direkt. Dieser Handel war keineswegs Hamburg vorbehalten, die Verträge enthielten keine Ausschließlichkeitsklauseln. Für den Bedeutungszuwachs Hamburgs muss es also andere Gründe geben. Mögliche Wettbewerbsvorteile Hamburgs gegenüber anderen Handelsplätzen stellten erstens die zollpolitische Sonderstellung, zweitens die Modernisierung des Hamburger Hafens in den 1880er Jahren und drittens die günstige geografische Lage eines Seehafens tief im Binnenland dar. Hamburgs Sonderstellung in der Zollpolitik ging auf einen Freibrief Kaiser Friedrich I. von 1189 zurück. Danach konnten in Hamburgs direkt der Stadt vorgelagertem Freihafen Waren ohne Zollbelastung gelöscht, gelagert und verarbeitet werden, was nicht nur finanzielle, sondern auch zeitliche Vorteile mit sich brachte. Hat ein Hafen keine zollfreie Zone, treten bei der Verladung und Lagerung von Waren durch die notwendige Erfassung und Trennung der Waren in zollpflichtige und zollfreie in der Regel Zeitverzögerungen ein. Auch müssen Import-/Exportfirmen zwei Lager halten, eins für zollfreie und eins für zollpflichtige Ware, was die Kosten erheblich erhöht.72 Diskussionen um einen möglichen Zollanschluss Hamburgs und damit den Verlust der Sonderstellung erreichten mit der Gründung des Zollvereins einen vorläufigen Höhepunkt. Zwar behielt Hamburg seinen Sonderstatus als Freihafenstadt, war aber ab 1866 vollkommen vom Gebiet des Zollvereins umschlossen. Mit der Hinwendung des Reiches zur Schutzzollpolitik 1878/79 wurde die Zollanschlussfrage Hamburgs erneut aktuell. Schon 1879 versuchte Bismarck, die Hamburger Kaufleute durch das Angebot, eine Surtaxe d’Entrepot73 einzuführen, von ihrer Freihandelslinie abzubringen und in die Politik der Reichsregierung einzubinden. Dies war besonders für die Kaffeegroßhändler ein verlockendes Angebot, da sie davon überzeugt waren, dass der französische Unterscheidungszoll Le Havres Position als Kaffeehandelsplatz maßgeblich gefördert habe.74 Mit dem Argument „der Handel sorgt schon allein dafür, dass, wenn der direkte Import billiger ist, dieser gewählt wird, dazu braucht
72 Detailliert zu den Zollbestimmungen vgl. Findeisen (1917), S. 78–82. 73 Die Surtaxe d’Entrepot ist ein Zuschlagszoll auf Waren aus außerdeutschen europäischen Häfen, der zu deren Benachteiligung führt. Er sollte bei 1,50 Mark je Tonne liegen. Zur Surtaxe d’Entrepot vgl. Art. Zuschlagszölle, in: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Aufl., Leipzig und Wien 1885–1892, Bd. 16, S. 1003. 74 Zu den Hinweisen der Kaffeehändler, durch die französische Surtaxe d’Entrepot benachteiligt zu sein, vgl. Commerzbibliothek Hamburg (im Folgenden abgekürzt mit CbH), Protokoll der Handelskammer vom 6.6.1884, S. 250–52; Hamburgs Handel (1884), S. 7; Archiv der Handelskammer Hamburg (im Folgenden abgekürzt mit AHkH) 20.B 14.2, Verein der am Caffeehandel betheiligter Firmen an den Reichskanzler und das Reichsamt des Inneren, vom 25.9.1916.
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er nicht erst durch staatliche Mittel veranlasst zu werden“,75 lehnten die Hamburger Kaufleute jedoch diese und auch spätere zollpolitische Begünstigungen ab. Interessant ist, dass sie dabei auf die Schäden für die Bildung von Weltmärkten verwiesen, die ein solcher aus dem Blickwinkel nationalstaatlicher Wirtschaftspolitik eingerichteter Schutzzoll mit sich bringen würde.76 Zollpolitische Sonderregelungen wie eine Surtaxe d’Entrepot wären nur dem deutschen Binnengroßhandel der Dritten Hand zugutegekommen. Im Interesse der Hamburger Zwischengroßhändler aber war allein die Existenz eines zollfreien Gebiets. Herrschte in der Ablehnung von wirtschaftspolitischen Regulierungsmaßnahmen noch eine gewisse Einigkeit, spalteten die Zollanschlussforderungen Bismarcks die Hamburger Bürgerschaft, in der traditionell die Kaufleute eine gewichtige Stellung innehatten.77 Im Wesentlichen standen sich in dieser Frage eine Partei für eine Freihafenstadt und eine Partei für einen Freihafenbezirk gegenüber.78 Den Höhepunkt der Auseinandersetzung bildete eine Petition für einen Freihafenbezirk an den Reichskanzler vom Oktober 1880, unterzeichnet von 32 Kaufleuten (darunter auch einige Kaffeehändler). Ihr folgte eine Protesterklärung von 1.700 Kaufleuten für eine Freihafenstadt. Doch setzten sich die Befürworter eines Freihafenbezirks durch.79 Ihre Forderungen und Bedingungen an das Reich verfassten drei Kaffee75 AHkH, 20.B.14.2, Gutachten Gütschow, August 1884. Zur Ablehnung von Bismarcks Vorschlag durch Hamburg und die anderen deutschen Seehandelsplätze vgl. auch StAHH, Bestand 314-6, Signatur: Y 6 Conv. II. 76 Vgl. AHkH, Jahresbericht für 1884, S. 7. 77 Verfassungsrechtlich war die Stadt Hamburg eine Republik. Senat und Bürgerschaft bildeten die Exekutive. Ersterer wurde von der aus 192 Bürgern bestehenden Bürgerschaft auf Lebenszeit gewählt, wobei sieben der 18 Senatoren aus dem Kaufmannsstand stammen mussten. Das aktive und passive Wahlrecht, welches aber nur ca. 6 Prozent der erwachsenen Bevölkerung innehatten, resultierte bei einem Drittel der Abgeordneten aus ihrer Position in Verwaltung oder Kirche, bei den anderen zwei Dritteln aus Grundbesitz und Steuerhöhe, vgl. Frank-Michael Wiegand, Die Notabeln. Untersuchung zur Geschichte des Wahlrechts und der gewählten Bürgerschaft in Hamburg 1859–1919, Hamburg 1986, S. 149 f. Zum freihändlerischen Interesse der Hamburger Kaufmannschaft vgl. Ekkehard Böhm, Wirtschaft und Politik in Hamburg zur Zeit der Reichsgründung, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 64 (1978), S. 31–53. Einen Überblick zur Verflechtung von Politik und Handel bei Frank Hatje, Libertät, Neutralität und Commercium. Zu den politischen Voraussetzungen für Hamburgs Handel (1550–1900), in: Hamburger Wirtschafts-Chronik N.F. 7 (2007/2008), S. 213–247. 78 Das Stichwort Freihafenstadt steht für das Konzept, dass die gesamte Stadt wie bisher zollfreies Gebiet bleiben sollte, Freihafenbezirk für dasjenige, nach dem nur ein abgegrenztes Areal zollfrei bliebe. 79 Für eine ausführliche Entwicklungsgeschichte der Auseinandersetzungen um den Zollanschluss vgl. M. O. Hübner, Der Zollanschluß Hamburgs, Hamburg 1925; Stein (1978), S. 55–89. Zum Hamburger Wirtschaftsbürgertum vgl. Dolores L. Augustine, The Busi-
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großhändler, die zugleich Mitglieder der Handelskammer waren.80 Das sogenannte „Robinow-Programm“81 forderte einen Freihafenbezirk, in dem sich auch Firmen zur Weiterverarbeitung und Veredlung von Waren für den Export ohne Zollpflicht niederlassen konnten, sowie eine vereinfachte Zollabfertigung. Das Reich sollte sich an den Kosten für die Errichtung des Freihafens beteiligen,82 die Aufsicht über den Freihafenbezirk aber beim Hamburger Senat liegen. Diese Forderungen bildeten die Basis für die Vereinbarungen zwischen Reichsregierung und Senat vom 25. Mai 1881 über die Modalitäten des Zollanschlusses der Stadt Hamburg an das Reich sowie die Grundlage des daraus abgeleiteten Reichsgesetzes vom 16. Februar 1882. Einen attraktiven Vorteil des Zollanschlusses unter den Bedingungen des „Robinow-Programms“, dem sicherlich für die letztlich doch erfolgte Zustimmung aller Hamburger Kaufleute zum Freihafengebiet großes Gewicht zukam, stellte die durch das Reich mitfinanzierte, umfassende Modernisierung des Hamburger Hafens dar.83 Die Umbauten zur Schaffung des Freihafens veränderten die gewerblich-kommerzielle Infrastruktur Hamburgs nachdrücklich und somit auch ihre Bedeutung für die Hamburger Kaffeegroßhandelsunternehmen. Bis zu den Umbauten lagen in Hamburger Unternehmen Geschäftssitz, Lagerräume und Wohnung unter einem Dach, was auch die sozioökonomische Struktur der Stadt gekennzeichnet hatte. Es bestand eine räumliche Einheit von Privatem und Geschäftlichem ohne Trennung von Stadt und Hafen. Diese Nähe von Geschäfts- und Privatleben sollte trotz der Errichtung eines separaten Freihafenbezirks erhalten bleiben. Daher wurde der Freihafenbezirk auch nicht außerhalb des Stadtzentrums, sondern auf der an die Innenstadt grenzenden Kehrwiederinsel errichtet. Das implizierte nicht nur höhere Umbaukosten und die Umsiedlung von ca. 24.000 Menschen, sondern auch eine Bevorzugung des Großhandels,
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ness Elites of Hamburg and Berlin, in: Central European History 24 (1991), S. 132–146. Ausführlicher vgl. dies., Patricians and Parvenus. Wealth and High Society in Wilhelmine Germany, Oxford 1994. Es waren Hermann Robinow (Siegmund Robinow & Sohn), Crasemann (Crasemann & Stavenshagen) und Mestern (Tesdorpf & Co.), vgl. die Angaben in Prosopografie: Kaffeehandelsunternehmen in Hamburg. Der Vorschlag befindet sich in: CbH, Protokoll der Handelskammer vom 29.6.1880. Zum „Robinow-Programm“ vgl. Stein (1978), S. 77; Hinz (2000), S. 92 f. Vgl. CbH, Protokoll der Handelskammer vom 29.6.1880. Das Reich stellte 40 Millionen Mark zur Verfügung und gewährte ansonsten Planungsfreiheit der Stadt, vgl. Hirsch (2000), S. 121. Zur Errichtung der Speicherstadt und den Hafenumbauten im Zuge des Zollanschlusses vgl. Baasch (1901); Karin Maak, Die Speicherstadt im Hamburger Freihafen, Hamburg 1983; Dieter Maas, Der Ausbau des Hamburger Hafens 1840–1910. Entscheidung und Verwirklichung, Hamburg 1990; Hans Jürgen Teuteberg, Die Entstehung des modernen Hamburger Hafens (1866– 1896), in: Tradition 17 (1972) 4/5, S. 257–291.
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„d. h. der Händler, die auf eigene Rechnung und Gefahr Einfuhrgut wie Kaffee von den Importeuren84 in großen Posten übernehmen und dann verteilt in den Konsum bringen. […] Diese hatten einstimmig eine theurere Lagerung in unmittelbarer Nähe ihrer Kontore der größeren Billigkeit vorgezogen und, da der Hamburger Eigenhandel zu gutem Theil auf ihnen […] aufbaut, ihre Wünsche gegenüber dem Verlangen der großen Importeure, denen eine billigere Lagerung lieber gewesen wäre, um so leichter durchzudrücken gewusst, als naturgemäß der Importhandel nicht so eng wie dieser sogenannte Kommissionshandel gerade in Hamburg verwachsen ist.“85
In der Notwendigkeit, dass im Kaffeegroßhandel die Firmeninhaber ihre Firmenbüros unmittelbar neben den Lagerhäusern haben müssten, um die dort von Arbeitern hergestellten Mischungen regelmäßig zu überprüfen, sah Kurt Wiedenfeld das wichtigste Motiv für die Nähe von Kontoren und Lagerhäusern.86 Nach Abriss der Wohn- und Lagerhäuser der Stadtteile Kehrwieder und Wandrahm wurde eine Speicherstadt mit Geschäfts- und Lagerhäusern an schiffbaren Fleeten errichtet, die die notwendige Infrastruktur, wie eine ausreichende Tiefe der Hafenbecken, feste Kaimauern, ausreichend Lagerfläche und Anbindung an das Straßennetz und vor allem an die Eisenbahn,87 bereitstellte. Resultat der Umbauten war ein Hafen, der gegenüber anderen europäischen Häfen einige Vor-, aber auch Nachteile bot. Diesem Thema widmen sich mehrere zeitgenössische Studien: Detailliert und akribisch versuchen sie, Kailängen, Anlegestellen und Registertonnen pro Wasserfläche miteinander zu vergleichen, um Wettbewerbsvorteile einzelner europäischer Häfen zu ermitteln.88 Da Liverpool, Hamburg, Bre84 Mit „Importeuren“ sind wohl die Überseehäuser gemeint, die nicht Geschäftsfelder wie den Wiederverkauf in den Binnenhandel oder in das europäische Ausland übernahmen. Unter Hamburger „Eigenhandel“ oder „sogenannte[m] Kommissionshandel“ versteht der Autor vermutlich die Import-/Exportfirmen, den Zwischengroßhandel. 85 Kurt Wiedenfeld, Die nordwesteuropäischen Welthäfen: London – Liverpool – Hamburg – Bremen – Amsterdam – Rotterdam – Antwerpen – Havre in ihrer Verkehrs- und Handelsbedeutung, Berlin 1903, S. 117 f. 86 Ebd. 87 Der Eisenbahnanschluss an die Kaianlagen war schon 1868 vollzogen worden, vgl. Hinz (2000), S. 25 f. Die Kailänge hatte sich von 4,1 km auf 14,3 km erhöht, vgl. Wiedenfeld (1903), S. 111. 88 Vgl. Paul Arndt, Antwerpen, Rotterdam und die deutsche Rheinmündung, Stuttgart 1918; Alexander v. Dorn, Die Seehäfen des Weltverkehrs, Bd. 1: Häfen Europas sowie der asiatischen und afrikanischen Küsten des Mittelmeerbeckens, Berlin 1891; Freytag (1906), S. 53–94; Samuel Roy MacElwee, Port Development, New York 1925; Wiedenfeld (1903); ders., Hamburg als Welthafen, Dresden 1906; Wiskemann (1929). Zur Konkurrenz um den Ausbau der Infrastruktur zwischen den Niederlanden und Deutschland vgl. Jochen Bläsing und Ton Langenhuyzen, Dutch Sea Transport in Transition. The German Hinterland as Catalyst 1850–1914, in: David J. Starkey und
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men, Amsterdam, Rotterdam, Antwerpen und Le Havre „im Großen und Ganzen im scharfen Wettlauf um die beste Ausgestaltung ihrer Liege- und Ladeeinrichtungen miteinander Schritt gehalten haben, daß jedenfalls keiner außer der Themsestadt weit genug hinter den Konkurrenten zurückbleibt“,89 kommen die Autoren in dieser Frage nicht zu eindeutigen Ergebnissen. Das europäische Zentrum des Rohstoffhandels sei weiterhin London, unabhängig von der schlechteren Infrastruktur des Londoner Hafens im Vergleich zu den Häfen des europäischen Festlandes.90 Vergleicht man die einzelnen Preise für Dienstleistungen der europäischen Häfen, die verladenen Tonnagen sowie Standortvor- und -nachteile wie die Tiefe der Hafenbecken oder die Anzahl der Lastenkräne, scheinen die Infrastruktur Hamburgs und die daraus resultierenden Kostenvorteile nicht der ausschlaggebende Faktor für die Bedeutung Hamburgs als Kaffeegroßhandelsplatz gewesen zu sein. In allen anderen Warengruppen konnte London seine Bedeutung im globalen Rohstoffhandel weiterhin aufrechterhalten, und auch infrastrukturell ähnlich gut ausgebaute Häfen steigerten ihre umgeschlagenen Kaffeequantitäten (mit Ausnahme Le Havres) nicht wesentlich. Der Wettbewerbsvorteil Hamburgs lag somit nicht in einzelnen technischen Vorteilen wie zum Beispiel dem Verladesystem, der Anbindung an den Binnenhandel, Kostenvorteilen durch preiswertere Gebühren oder niedrigeren Personalkosten. Doch schufen die Umbauten zur Neugestaltung des Freihafens einen anderen Wettbewerbsvorteil, nämlich die effektive Organisation des Handels durch räumliche Konzentration: „Nach Möglichkeit wurde im Hafen das Prinzip des kürzesten Weges für Menschen, Fahrzeuge und Güter durchgeführt.“91 Das Ergebnis sei, dass „sich nun überhaupt Markt, Hafen und alle damit zusammenhängenden Institutionen der Gesamtentwicklung von Volks- und Weltwirtschaft“92 einfügten. In Hamburg lägen „in einem Kreis, der mit kaum 1.000 Meter Radius um den Block von Rathaus und Börse geschlagen werden kann, die Arbeitsstätten aller der Menschen, die für Hamburgs Führung Bedeutung haben“.93 Es war die enge sozioökonomische Symbiose, die sich aus der geografischen Nähe von Hafen, Lagerräumen, Firmensitzen und Börse ergab, die im Fall des Hamburger Kaffeegroßhandels die idealen äußeren Rahmenbedingungen schuf. Im Unterschied zu den anderen Großhandels-
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Gelina Harlaftis (Hg.), Global Markets. The Internationalization of the Sea Transport Industries since 1850, Newfoundland 1998, S. 103–126. Wiedenfeld (1903), S. 150. Zu diesem Ergebnis kommt auch Michie (2000), S. 79 f. Wiskemann (1929), S. 259. Nachteile der geografisch engen Verbindung von Stadtkern und Hafen waren, dass die Hafenarbeiter, da sie tendenziell in den Stadtrandbezirken lebten, weite Arbeitswege hatten und auch die räumliche Erweiterung des Hafens schwer möglich war, vgl. Maas (1990) und Michael Grüttner, Arbeitswelt an der Wasserkante. Sozialgeschichte der Hamburger Hafenarbeiter 1886–1914, Göttingen 1984. Wiskemann (1929), S. 255 f. Eduard Rosenbaum, Das Gesicht Hamburgs, Hamburg 1927, S. 11.
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zweigen Hamburgs nutzten die ansässigen Kaffeegroßhandelsunternehmen diesen Vorteil zudem besonders effektiv, indem sie sich entschlossen, zu kooperieren und gemeinsam in das Freihafengebiet zu ziehen. Schon während der Verhandlungen zwischen Senat, Bürgerschaft, Handelskammer und Banken um Planung, Finanzierung und Verwaltung des zu errichtenden Freihafenbezirks begannen die Kaffeegroßhändler ab 1882, sich gemäß ihren Interessen untereinander abzusprechen. Um die Wünsche der Kaffeefirmen zu ermitteln, erstellten die Kaffeegroßhändler Bunzel, Diekmann, Fahr, Hanssen, Michahelles, Stavenhagen, Wehner und Wernthal94 einen Fragebogen, den 71 Firmen beantworteten und aus dem sich ergab, „daß die grosse Mehrheit […] mit ihren Comtoiren und Lagern in das zukünftige Freihafengebiet gehen [möchte], falls dies unter nicht zu theueren Bedingungen möglich sein wird“.95 Dafür würden 4.700 Quadratmeter Kontorfläche, 25.000 Quadratmeter Böden und 1.700 Quadratmeter Kellerräume sowie ein Versammlungsraum in einem Gebäudekomplex benötigt. „Da eine räumliche Concentration des Caffee-Geschäfts im zukünftigen Freihafengebiet allseitig als nothwendig anerkannt ist, eine solche aber nur bei einmüthigen gemeinsamen Vorgehen zu erreichen sein dürfte“,96 wurde am 1. März 1884 das Comité der am Caffeehandel betheiligten Firmen (im Folgenden Kaffee-Komitee) gegründet. Seine Aufgabe war es, „wegen kauf- oder pachtweiser Überlassung des nöthigen Baugrundes im künftigen Freihafengebiet mit den Behörden zu unterhandeln und unter Berücksichtigung der Wünsche der Betheiligten einen Plan für die Herstellung der erforderlichen Räume sowie für die Beschaffung der nöthigen Mittel auszuarbeiten“.97 Die rechtliche Basis für die Finanzierung und Verwaltung der Speicherstadt bildete die gemischtwirtschaftliche Unternehmung Hamburger-Freihafen-Lagerhausgesellschaft (im Folgenden HFLG).98 Vorteile gegenüber einer rein staatlichen oder aber privaten Lösung bot die HFLG durch die Möglichkeit der Errichtung der Lagerkomplexe aus einer Hand unter einer nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen handelnden Unternehmensführung, bei der aber einzelne Interessen der Unternehmen durchaus berücksichtigt werden konnten. Neben den 30.000 Quadratmetern von der HFLG zu bebauenden Fläche waren 10.000 Quadratmeter reserviert für die Bebauung durch die Kaufmannschaft. Bei der Frage, wer das Nutzungsrecht für diese 94 Zu den Personen und ihren Firmen vgl. die Angaben in Prosopografie: Kaffeehandelsunternehmen in Hamburg. 95 StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 1. Da die Akten des gesamten Bestandes nicht foliiert sind, kann nur auf die Signaturen verwiesen werden. 96 StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 1. 97 Ebd., Signatur 2, Bd. 1. 98 Zu den Diskussionen um andere rechtliche Konstruktionen und zur Geschichte der HFLG vgl. Hinz (2000), S. 134–143. Zu den Verhandlungen des Kaffee-Vereins mit der HFLG vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 2, Bd. 1; Hinz (2000), S. 182 f., S. 225– 233.
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Fläche erhalten sollte, berücksichtigte die Ausführungskommission zwei Branchen: den Wein- und den Kaffeegroßhandel. Zwar konnte die Kaffeegroßhandelsbranche nicht ihre Pläne einer eigenständigen Bebauung durchsetzen, durch die Konstruktion der HFLG wohl aber die Berücksichtigung ihrer grundsätzlichen Interessen. Im Protokoll der Ausführungskommissionssitzung vom 1. Januar 1885 hieß es dementsprechend nun: „Der Ausschuß glaubte, der stets in Aussicht genommenen Concentrierung der Caffeebranche im Freihafengebiet eine so erhebliche Bedeutung nicht nur für diesen Handelszweig, sondern auch für das Gelingen des ganzen Freihafenprojekts beilegen zu müssen, daß er die Unterstützung der Bestrebungen des Kaffee-Komitees und die Überwindung der entgegenstehenden nicht geringen Schwierigkeiten selbst mit außerordentlichen Mittel zu empfehlen beschloß.“99
In seiner Studie über die HFLG bewertet Frank M. Hinz diese „bevorzugte Behandlung der Kaffeebranche“100 als ein Resultat von drei sich bedingenden Faktoren: Der wirtschaftlichen Bedeutung der Kaffeehandelsbranche in Hamburg, der politischen und sozialen Stellung einzelner Kaffeehändler und der frühen und effizienten Koordination der Interessen der Kaffeehändler an der Überlassung von Speichergrund zu ihrer gemeinsamen Verfügung. Das Entgegenkommen der Ausführungskommission und der Norddeutschen Bank (als Kapitalgeber) gegenüber den grundsätzlichen Interessen des Kaffee-Komitees ist nicht allzu erstaunlich. Branchenvertreter waren sowohl im Vorstand der Norddeutschen Bank vertreten als auch in der städtischen Ausführungskommission.101 Deren Firmen mieteten, als der Gebäudekomplex am Sandthorquai für den Kaffeehandel fertiggestellt war, folgerichtig dort ihre Lager- und/oder Geschäftsräume.102 Nach einigen Auseinandersetzungen über die Frage der Finanzierung berücksichtigte die HFLG die Wünsche des Kaffee-Komitees, das Baugrund am östlichen Sandthorquai haben wollte, und übertrug die Bauleitung den vom Komitee vorgeschlagenen Architekten.103 Auch dies war nicht besonders verwunderlich, denn im siebenköpfigen Vorstand der HFLG saßen fünf Inhaber von Kaffeehandelsfirmen, darunter als Vorstandsvorsitzender des Kaffee-Komitees Rudolf Petersen und als sein 99 StAHH, Bestand 314-7, Signatur B 12 Conv. IV, Sitzung vom 15.1.1885. 100 Hinz (2000), S. 224. 101 Im Vorstand der Norddeutschen Bank saßen Michahelles, Münchmeyer und die Brüder Oetling; das Komiteemitglied Stavenhagen war von 1856 bis 1866 im Vorstand gewesen; in der Ausführungskommission saß Robinow, auf den ja auch der Plan des Freihafenbezirks zurückging. 102 Vgl. die Angaben in Prosopografie: Kaffeehandelsunternehmen in Hamburg. 103 Das Finanzierungskonzept wies „erstaunliche Parallelen zum heutigen Immobilien-Leasing auf “, Hinz (2000), S. 232; vgl. auch StAHH, Bestand 314-7, Signatur B 12 Conv. III.
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Stellvertreter Oscar Ruperti.104 Nach den Vorgaben des Kaffee-Komitees und ganz auf die Bedürfnisse der Kaffeegroßhändler zugeschnitten, errichtete das Architekturbüro Hanssen & Merwein am Sandthorquai 2–23 eine durch Gänge verbundene Häuserreihe. Im Januar 1886 schlossen 47 Kaffeehändler gemeinsam einen Mietvertrag mit der HFLG über drei bis vier Jahre zu einem Quadratmeterpreis von 20 Mark ab. Gleich nach dem die HFLG das Gebäude im Januar 1887 fertig gestellt hatte, bezogen die Hamburger Kaffeegroßhändler 5.000 Quadratmeter Kontore und 20.000 Quadratmeter Lagerfläche.105 Es stellte für den Hamburger Handel eine Neuheit und auch im internationalen Vergleich eine „seltene Tatsache [dar], daß ein großer Handelszweig in einem Haus seine Unterkunft gefunden hat“.106 Diese einmalige Konzentration von Unternehmen um eine Ware und an einem Ort auf wenigen hundert Metern beeindruckte die Zeitgenossen:107 „In Hamburg am Sandthorquai, bald hinter dem Haupteingang zum Freihafen, zieht sich eine lange Reihe jener burgartigen Lagergebäude hin, jener Arbeitspaläste, die vom Hamburger Großhandel errichtet sind. In den unteren Stockwerken reihen sich die Contore aneinander, die oberen bilden breite, fassungsgewaltige Lagerräume. In einer Länge von wenigen Schritten ist hier der Kaffeehandel der halben Welt vereinigt.“108
Auch andere Branchen nutzten den Freihafen, indem sie hier zollfrei ihre Waren lagerten, doch die Integration aller Geschäftbereiche eines Handelszweiges an einem Ort schuf eine hochgradig effektive Organisation. Nur wenige Schritte lagen zwischen der Abladung vom Überseedampfer, den Lagerräumen, wo das Verlesen sowie erneute Verpacken stattfand, und den Büroräumen der Firmen. Innerhalb weniger Minuten konnten sich Interessenten über die Beschaffenheit der Ware informieren und die Ware ihren Besitzer wechseln. Die Kaffeegroßhändler verwandelten die Vorteile einer im Freihafenbezirk liegenden Speicherstadt mit günstigen infrastrukturel-
104 Vgl. Jahrbuch der Hamburger Börse (1912/13), S. 281. 105 Vgl. Arbeitskreis Rohkaffeefreunde (1996), S. 13; Verein Hamburger Caffeeimport-Agenten und -Makler e.V. (Hg.), 100 Jahre Verein der Hamburger Caffeeimport-Agenten und -Makler e.V., Hamburg, o. J. [1988], o. P. Allein die Firma Hanssen & Studt hatte durch direkte Verhandlungen mit der Bau- und Finanzdeputation erreicht, einen eigenen Speicher (663 m²) am St. Annenufer für seine große Dampfmaschinenanlage zur Kaffeebearbeitung zu erhalten, vgl. Kapitel 5.1. Neben Hanssen & Studt gelang dies nur noch den Weinhändlern Jebens sowie Lorenz Meyer, vgl. Hinz (2000), S. 233–237. 106 Deutschmann (1918), S. 26. 107 Vgl. Verein Hamburger Caffeeimport-Agenten (1988), o. P. [S. 17]. 108 Conrad Alberti (1900), abgedruckt in: Michael Ropers u. a. (Hg.), Bilder aus der Geschichte des Kaffees. Zusammengestellt von dens., mit Texten von Ulla Heise, Bremen 1990, S. 30–33, hier S. 30.
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len Bedingungen in ein „Fließband“ des Handels. Die räumliche Nähe ermöglichte Bündelungseffekte und damit eine Reduzierung der Transaktionskosten. Mit der Schaffung von Büro- und Lagerräumen im Freihafengebiet für Unternehmen der Kaffeehandelsbranche hatte das Kaffee-Komitee eigentlich seinen Zweck erfüllt. Doch gerade der Erfolg der koordinierten Interessenvertretung war Grund genug, sie zu verstetigen und ihr einen klareren und stärkeren institutionellen Rahmen zu schaffen. Schon im März 1886 sandte das Komitee ein Rundschreiben an die Hamburger Kaffeehandelsfirmen, die bisher nicht involviert gewesen waren, um diese zu einer gemeinsamen Vereinsgründung zu motivieren. Es könne „nicht genügen […], diejenigen Firmen zu einer Corporation zusammen zu fassen, welche ihre Comptoirräume in das zukünftige Freihafengebiet verlegen“, es solle vielmehr auch „der Versuch gemacht werden […], einen Verein zu gründen, welcher die Interessen aller am Kaffeehandel betheiligter Firmen in Hamburg in geeigneter Weise zu vertreten im Stande ist“.109 Dem Aufruf zur Vereinsgründung folgten noch vor der offiziellen Gründungssitzung 42 Firmen, im Jahr nach der Gründung des Vereins der am Kaffeehandel betheiligten Firmen am 24. März 1886 waren ihm schon 216 Unternehmen beigetreten.
3.2. Institutioneller Wandel durch soziale Integration Die Gründung eines Vereins mit dem Zweck der berufsständischen und politischen Interessenvertretung stellte in den 1880er Jahren keine Besonderheit dar.110 Die unternehmerische Interessenvertretung fand zum einen durch die öffentlich-rechtlichen Handelskammern und Kooperationen sowie zum anderen durch das freie Verbandswesen statt.111 Ganz im Sinne des Letzteren formulierte Paragraf 1 der Statuten des Kaffee-Vereins als Aufgabe und Zweck die Wahrnehmung und Vertretung der Interessen der Branche gegenüber Handelskammer, Senat und Reichsregierung.112 Dazu 109 StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 1. 110 Neben dem Kaffee-Verein wurden von den verschiedenen Branchen weitere Vereine mit dem Ziel der Interessenvertretung gegründet. Der Kaffee-Verein war nach dem Verein der Getreidehändler der Hamburger Börse (476 Mitglieder) und der Vereinigung der am Großhandel mit Drogen und Chemikalien beteiligten Firmen (248 Mitglieder) 1928 der mitgliederstärkste Verband (234 Mitglieder), vgl. Rosenbaum (1928), S. 147; Verein der am Rohkakaohandel beteiligten Firmen e.V. (Hg.), Rohkakaohandel in Hamburg 1911–1986, Hamburg 1986, S. 11. 111 Vgl. Hans-Peter Ullmann, Wirtschaftsverbände in Deutschland, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 35 (1990) 2, S. 95–115, hier S. 99. Allgemeiner vgl. Thomas Nipperdey, Verein als soziale Struktur in Deutschland im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert, in: ders., Gesellschaft, Kultur, Theorie, Göttingen 1976, S. 174–205. 112 Vgl. Vereinsstatuten, in: StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 1. Im Sinne der neueren Literatur zur Frage nach den Unterscheidungsmerkmalen von Vereinen und Verbänden ist der Kaffee-Verein als Verband zu charakterisieren, da seine Aufgabe vor allem die In-
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gehörte auch die Erstellung fachlicher Expertisen für die Handelskammer, insofern sie den Kaffeehandel betrafen. Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung dieser Ziele waren von Beginn an günstig, denn die Teil- und Inhaber der Firmen, die zur Vereinsgründung aufgerufen hatten, bekleideten zumeist wichtige Ämter in der wirtschaftlichen und politischen Verwaltung Hamburgs.113 Wie oben geschildert war der Auslöser zur Vereinsgründung der Zollanschluss Hamburgs gewesen und damit der Wunsch der Branchenangehörigen, ihre Interessen zu artikulieren, weil ein Standort im Freihafen für sie zusätzliche Gewinnmargen versprach. Doch ist es sinnvoll, die Gründung des Kaffee-Vereins in einem noch größeren Zusammenhang zu sehen. Seit den 1870er Jahren hatte sich der internationale Kaffeemarkt in einem bisher nicht gekannten Ausmaß gewandelt. Die Veränderungen betrafen alle maßgeblichen Faktoren des globalen Rohstoffgroßhandels: eine Verschiebung der Anbauregionen und Hauptumschlagsplätze, die Einführung neuer Handelstechniken und auch Veränderungen der Organisationsstrukturen. Einerseits stiegen ab den 1870er Jahren die Mengen der aus den lateinamerikanischen Länder exportierten Kaffeelieferungen jährlich. Auf den europäischen Märkten traf diese Ware jeweils in nur wenigen Monaten des Jahres ein. Durch infrastrukturelle Verbesserungen in den Anbauländern und die Dampfschifffahrt verkürzte sich der Zeitraum von der Ernte bis zur Ankunft in den europäischen Häfen von bis zu vier Monaten auf drei bis vier Wochen, was mehr Tempo und damit auch stärkere Preisschwankungen in das Geschäft brachte. Dem gegenüber standen nur mäßig steigende Konsumzahlen in Mitteleuropa (vgl. Grafik 10 in Kapitel 2). Die neuen Kommunikationsmöglichkeiten veränderten die Handelsorganisation innerhalb eines Jahrzehnts. Anfang der 1880er Jahre wurde mit dem Terminhandel in New York und Le Havre sogar eine neue Handelstechnik eingeführt. Gleichzeitig waren die Kaffeegroßhandelspreise am Handelsplatz Hamburg ab 1876 kontinuierlich gesunken und erreichten im Jahr der Vereinsgründung 1886 einen bisher unbekannten Tiefpunkt (vgl. Grafik 16 im separaten Bildteil). Trotz dieser sinkenden Preise traten zudem neue Mitbewerber auf den Markt: Erstens verdreifachte sich die Zahl allein der im Hamburger Kaffeegroßhandel aktiven Unternehmen von 1882 bis 1887. Zweitens übernahmen die Reedereien einen Teil des traditionell kaufmännischen Geschäftsfeldes. Drittens war der Binnengroßhandel zu einem Mitbewerber der Großhändler an den Seeplätzen geworden, teressenvertretung sowie Dienstleistungen für seine Mitglieder darstellte, aber nicht die Organisation von Geselligkeit und Freizeitaktivitäten. Ein knapper Literaturüberblick bei Christof Biggeleben, Das „Bollwerk des Bürgertums“. Die Berliner Kaufmannschaft 1870–1920, München 2006, S. 24–34. 113 Es waren die Firmen Brunckhorst, Studt & Co., L. S. Bunzel, Burmester & Stavenhagen, Embden & Drishaus, Andreas Fahr, Lüdekke & Warnthal, Gebr. Michahelles, August Riege, Siegmd. Robinow & Sohn, Stucken & Andresen, A. Tesdorpf & Co., H. Wehner & Co., Theodor Wille. Zu den Ämtern und Firmen vgl. die Angaben in Prosopografie: Kaffeehandelsunternehmen in Hamburg.
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denn die Dritte Hand konnte aufgrund der neuen Kommunikationsmöglichkeiten mit den Exporteuren in den Anbauländern in direkten Kontakt treten und mittels der Handelsform des Lieferungsgeschäftes den Rohkaffee direkt erwerben, „sowohl Hamburg, als auch Rotterdam, Antwerpen und Havre klagen, daß Berlin ebenso wie die Handelszentren des Rheingebietes und Nordfrankreichs sich […] von der Vermittlung der Seehäfen mehr und mehr freimachen“.114 Ein neues Dienstleistungsangebot der Reedereien machte es auch möglich, dass Händler in Übersee Waren orderten und transportieren ließen, ohne über eigene Schiffe zu verfügen oder Schiffe zu chartern. Mit diesen Entwicklungen verringerten sich die traditionellen Vorteile des Großhandels am Seeplatz. „So ergibt sich die Möglichkeit, auch im Handel die aus älterer Zeit stammenden tathsächlichen Monopole zu durchbrechen, der heisse Wettbewerb, der den Gewinn am einzelnen Geschäft auf ein Minimum reduziert, zwingt […] jedes einigermaßen entbehrliche Zwischenglied zwischen Produzenten und Konsumenten auszuschalten. Von dieser Tendenz wird naturgemäß in erster Linie der Handel der großen Seeumschlagplätze […] getroffen.“115
Das Ausmaß und die Folgen dieses Wandels waren für die Hamburger Kaffeegroßhändler nur schwer abzuschätzen. Welche Konsequenzen diese Entwicklungen im internationalen Kaffeehandel u. a. für die traditionellen Zwischenhandelsplätze an den Seehäfen und die dort ansässigen Kaffeehändler haben konnten, zeigte sich den Hamburgern am Beispiel Triest. Über dessen Entwicklung berichtete der dortige deutsche Generalkonsul an das Auswärtige Amt 1891: „In früheren Jahren lag der Kaffeehandel in Triest vorwiegend in den Händen einzelner großer Handelshäuser, welche ganze Schiffladungen auf eigenen Schiffen einführten. […] Zu einem derartigen Geschäftsbetrieb gehörten allerdings bedeutende Kapitalien, dafür wurden andererseits große Gewinne erziehlt und das Geschäft war ein verhältnismässig mühloses und sicheres, weil bei dem starken Kaffeekonsum in Österreich der Importeur auf schnelle Abnahme seiner Waren rechnen konnte und durch die langsamen Verbindungen mit den Produktionsländern plötzliche Preisschwankungen ausgeschlossen waren. Als dann später durch die Einführung der Dampfer und der Telegraphen der überseeische Verkehr eine andere Gestalt annahm, wußten die hiesigen reich gewordenen Großhändler sich anzupassen; anstatt die Verminderung des Gewinnes bei jedem einzelnen Geschäft durch Vergrößerung des Absatzes wieder auszugleichen, was eine vergrösserte Arbeitskraft erfordert hätte, zogen sie sich lieber nach und nach von den Geschäften zurück.“116
114 Wiedenfeld (1903), S. 287. Vgl. auch Schönfeld (1903), S. 63f; Brougier (1889), S. 45, S. 61. 115 Wiedenfeld (1903), S. 270 f. Ebenso Wiskemann (1929), S. 282–284. 116 StAHH, Bestand 371-8 II, Signatur S XIX C 5.4 a, Bericht des deutschen Generalkonsuls vom 22.12.1891.
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Eine mögliche Reaktion der Zwischenhändler am Seeplatz auf die veränderten Marktbedingungen stellte nach diesem Bericht die Vergrößerung des Umsatzes dar.117 Dies bedeutete selbst für die schon seit Jahrzehnten agierenden Unternehmen, den Kreis ihrer Geschäftspartner auszuweiten und mit Unbekannten zu kooperieren. Unter den hier erst grob zusammengefassten Veränderungen im Kaffeegroßhandel lassen sich zwei Aspekte herausdestillieren, die für die Situation der Hamburger Kaffeegroßhändler von besonderer Bedeutung waren. Zum einen verloren die Seehäfen ihre geografisch bedingte privilegierte Position in der Wertschöpfungskette. Zum anderen geriet mit den neuen Handelsformen aber etwas in Gefahr, dessen Bedeutung auf den ersten Blick weniger offensichtlich sein mag und deshalb hier noch etwas genauer erläutert werden soll, nämlich das Vertrauen. Für die Hamburger Kaufmannschaft war dieses soziale Gut traditionell und – wie zu sehen sein wird – auch zukünftig von großer Bedeutung: Im Export-Handbuch der Börsenhalle von 1897/98 heißt es: „Vertrauen und Kredit sind die Eckpfeiler des Riesenbaus, den Handel und Weltverkehr errichten“.118 Vertrauen und Kredit waren wiederum über den Akzeptkredit im internationalen Handel eng miteinander verzahnt, denn, darin bewahrheitete sich die ursprüngliche Bedeutung des Wortes, ohne Vertrauen erhielt niemand Kredit.119 Internationale Geschäfte „kann jedoch nicht jeder Hamburger Kaufmann […] abschliessen. Um solche machen zu können, muss der Käufer Ansehen geniessen, d. h. eine kaufmännische Position haben, die ihm Verbindungen und Kredite bei Londoner Bankiers einträgt.“120 Neben dieser Schlüsselrolle für den Kredit im finanziellen Sinne kam dem Vertrauen eine weitere und grundlegende Bedeutung für die Minimierung von Unsicherheit zu, und zwar weniger im engeren Sinne der Eingrenzung von geschäftlichen Risiken – Vertrauen konnte vielmehr die generelle Ungewissheit über Zukünftiges
117 Vgl. auch Zimmermann (1969), S. 94. 118 Export-Handbuch der Börsenhalle 1897/98, Abschnitt I, S. 9. 119 Zum Zusammenhang von Vertrauen, Kredit und Kreditwürdigkeit als Synonym für entgegengebrachtes Vertrauen vgl. Sven Reichardt, Soziales Kapital „im Zeitalter materieller Interessen“. Konzeptionelle Überlegungen zum Vertrauen in der Zivil- und Marktgesellschaft des langen 19. Jahrhunderts (1780–1914), in: WZB Discussion Paper, Nr. SP IV 03-503, Berlin 2003, S. 1–20, hier S. 18. Über die Bedeutung dieses Zusammenhangs an einem historischen Beispiel, der Geschäfte der Familie Harkort vgl. Stefan Gorissen, Der Preis des Vertrauens. Unsicherheit, Institutionen und Rationalität im vorindustriellen Fernhandel, in: Ute Frevert (Hg.), Vertrauen. Historische Annäherungen, Bielefeld 2003, S. 90–118, hier S. 108. 120 Schönfeld (1903), S. 67. Zu der Praxis des Akzeptkredites im Hamburger Handel vgl. Simon (1909), S. 36–80; Alfred Schütt, Die Finanzierung des Hamburger Außenhandels, Hamburg 1926, S. 7–51.
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abschwächen.121 Bei jedem Geschäftsabschluss bestanden außer den allgemeinen Risiken im internationalen Großhandel wie Konjunkturschwankungen, wirtschaftlicher und politischer Lage, Entwicklung des Geschäftszweigs, Währungs- und Wechselkursschwankungen, Qualitätsdifferenzen und Schwankungen von Ernten und Nachfrage auch spezielle Risiken wie Lieferungsausfall, verspätete Lieferung, Qualitätsmängel, Schimmel- und Fäulnisbefall sowie Zahlungs- und Wechselkursrisiken. Nicht die Risiken selbst, sondern die Unsicherheit darüber, mit wie vielen Risiken man zu rechnen hatte, konnten durch das Vertrauen in den Geschäftspartner gemindert werden. So ermöglichten Vertrauensbeziehungen eine genauere Risikoabschätzung und entsprechend ein sichereres Abstecken des eigenen Handlungsradius und stellten ebenso wie unternehmerische Fähigkeiten die Grundlage für eine erfolgreiche Unternehmung dar.122 Dies war allen Akteuren bewusst. Vertrauen sowie unternehmerische Fähigkeiten wurden dementsprechend von einem Großhändler in den Befragungen der Börsen-Enquete123 als Katalysatoren des Marktes beschrieben: „Kredit und Vertrauen bilden das unsichtbare Netz, von dem der Handel getragen wird. […] Unternehmungssinn und Vertrauen sind die bewegenden, Vorsicht und Misstrauen sind die unsichtbaren, regulierenden Kräfte des Handels.“124 Natürlich ist auch Vertrauen theoretisch lediglich eine bestimmte Erwartung an das zukünftige Verhalten des Geschäftspartners. Es minimiert aber zumindest in der Wahrnehmung der Marktteilnehmer die Unsicherheit im Hinblick auf mögliche Risiken. Vertrauen schafft, gefestigt durch wiederholte Geschäfte zwischen zwei Vertragsparteien, Stabilität in den Geschäftsbeziehungen.125 Insbesondere im Fernhandel waren Geschäfte 121 Zur konzeptionellen Unterscheidung von Risiko und Unsicherheit vgl. Jan-Otmar Hesse, Im Netz der Kommunikation. Die Reichs-Post- und Telegraphenverwaltung 1876–1914, München 2002, S. 37 f. Zu den Risiken im Fernhandel vgl. Stanley Chapman, Merchant Enterprise in Britain: From the Industrial Revolution to World War I, Cambridge 1992. 122 In den letzten Jahren ist die Bedeutung von Vertrauen als soziokulturellem Strukturprinzip zum Gegenstand verschiedener Disziplinen geworden. Als Überblick über die Ansätze der wirtschaftshistorischen Vertrauensforschung vgl. Martin Fiedler, Vertrauen ist gut, Kontrolle ist teuer, in: Geschichte und Gesellschaft 27 (2001) 4, S. 58–71. Zu den verschiedenen Möglichkeiten und den Problemen der Herstellung von Vertrauen in der Wirtschaft vgl. Hartmut Berghoff, Die Zähmung des entfesselten Prometheus? Die Generierung von Vertrauenskapital und die Konstruktion des Marktes im Industrialisierungs- und Globalisierungsprozess, in: ders. und Jakob Vogel (Hg.), Wirtschaftsgeschichte als Kulturgeschichte. Dimensionen eines Perspektivenwechsels, Frankfurt/M. und New York 2004, S. 143–168. Zum Begriff Vertrauen vgl. Ute Frevert, Vertrauen – eine historische Spurensuche, in: dies. (2003), S. 7–66. 123 Zur Börsen-Enquete vgl. ausführlich Kapitel 4.2. 124 BEK, St. Pr. (1893), S. 2118 f. 125 Vgl. Tanja Ripperger, Ökonomik des Vertrauens. Analyse eines Organisationsprinzips, Tübingen 1998, hier S. 13–62.
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Vereinbarungen innerhalb persönlicher Beziehungen und nicht Transaktionen auf anonymen Märkten. Soziale Konventionen regelten die Art und Weise, wie Geschäfte angebahnt, abgeschlossen und durchgeführt wurden. Sie prägten das Verhalten der Marktteilnehmer und stellten das für die Geschäftsausübung notwendige „Regelvertrauen“ her.126 Weniger das in seiner Reichweite eingeschränkte nationalstaatlich kodifizierte Recht, sondern vielmehr die soziale Reputation und ihr möglicher Verlust stellten die Basis für das funktionierende Miteinander sowie die sanktionierenden Instrumente für Fehlverhalten dar.127 Wie umfassend das Bedrohungsszenario den Großhändlern erschien, welches entstehen könnte, wo diese Vertrauensbindungen durch mangelnde Zuverlässigkeit zerstört werden – ausgedrückt in ungedeckten Krediten –, demonstrieren eindrücklich die weiteren Ausführungen des Kaffeehändlers vor der Börsen-Enquete-Kommission: „Es ist von allergrößter Wichtigkeit, daß die einzelnen Geschäfte, aus welchen der Handel sich zusammensetzt, nur aus soliden Abmachungen bestehen, daß nur zuverlässiges Garn die Maschen des Handelsnetzes bilde […]. Unsere Banken sind die Knoten, in welche die Kreditfäden des Handels und der Industrie zusammen laufen, dieselben stehen unter sich wieder in mehr oder weniger großen Kreditverhältnissen, so daß vorhandene Lücken in der Deckungsfähigkeit von Verpflichtungen für den ganzen Handel […] gefährlich sind. Sobald größere Bankinstitute nothleidend werden, stockt auch der Kredit der von ihnen abhängigen Kunden. Das gegenwärtige Verwachsensein des ganzen Handels und der Industrie durch Kredit hat eine gewisse Solidarität der Interessen herbeigeführt, und krankhafte Zustände, wie ungedeckte Verpflichtungen, bedrohen alle, auch solche, welche mit den Fehlern selbst nichts zu thun haben.“128
Die Angst vor dem hier als Vertrauenskollaps geschilderten Zusammenbruch der Finanzmärkte resultierte maßgeblich aus den Erfahrungen der Gründerkrise. Den Zeitgenossen war die Bedeutung von Vertrauen für die Funktionsfähigkeit des Marktes äußerst gegenwärtig – und ebenso, was es für die einzelne Unternehmung hieß, wenn das Vertrauen verlorenging, das ihr andere entgegenbrachten, oder wenn ihr Vertrauen durch Unzuverlässigkeit enttäuscht wurde. Insbesondere die Zunahme der Zahl der Marktteilnehmer in den exportierenden Ländern sowie die mit der Telekommunikation und der Einrichtung von Terminbörsen entstandenen neuen Handelstechniken führten zu einer Anonymisierung der Handelsbeziehungen und stei126 Hansjörg Siegenthaler, Regelvertrauen, Prosperität und Krisen. Die Ungleichmäßigkeit wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung als Ergebnis individuellen Handelns und sozialen Lernens, Tübingen 1993, S. 11. 127 Vgl. zuletzt Niels P. Petersson, Anarchie und Weltrecht. Das Deutsche Reich und die Institutionen der Weltwirtschaft, ca. 1890–1930, Göttingen 2009. 128 BEK, St. Pr. (1893), S. 2118 f.
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gerten den Grad der Unsicherheit im Kaffeegroßhandel. Welche Bedeutung dies für die Hamburger Kaffeegroßhändler haben würde, war Mitte der 1880er Jahre unklar. Berücksichtigt man die sich in den Jahren vor der Vereinsgründung aus den Entwicklungen des Kaffeemarktes ergebende, in jeder Hinsicht offene und unsichere Situation für die Hamburger Kaffeegroßhändler, wird das entscheidende Motiv für eine Kooperation ersichtlich: Es ging darum, Hamburg als Kaffeeumschlagplatz unter den neuen Bedingungen im globalen Handel wettbewerbsfähig zu machen und mit den neuen Unsicherheiten umzugehen. Ein organisatorischer Zusammenschluss, also die Kooperation von konkurrierenden Unternehmen, erschien den Kaffeehändlern als ein probates Mittel der Sicherung ihrer Wettbewerbsposition. Eine genauere Analyse der Maßnahmen des Vereins ist somit aus zwei Gründen besonders aufschlussreich: An ihnen lassen sich erstens die Veränderungen des internationalen Großhandels sowie seiner (neuen) Mechanismen ebenso untersuchen wie zweitens die Motive der beteiligten Akteure und die von ihnen gewählten Mittel zur Durchsetzung ihrer Absichten. Um zu kooperieren, ist es notwendig, sich auf gemeinsame Mittel und Maßnahmen zu einigen. Oder anders herum: Strategische Netzwerke, so Hartmut Berghoff, „funktionierten nur, wenn sie durch gemeinsame soziale, kulturelle oder politische Aktivitäten sowie verwandtschaftliche Verbindungen oder vorausgegangene Geschäftsbeziehungen fundiert waren“.129 Zugleich lassen sich an unternehmerischen Netzwerken die besonderen Normen und Werte, in die das wirtschaftliche Handeln eingebunden ist und die sich in formellen und informellen Regeln ausdrücken, analysieren.130 Folgt man dem Netzwerke und Werte zusammenführenden Ansatz von Anthony Giddens, muss für die Etablierung und Durchsetzung von gemeinsamen Zielen und zumal von gemeinsamen Normen und Werten eine soziale und moralische Übereinstimmung („social and moral integration“) zwischen den Teilnehmern eines strategischen Netzwerkes hergestellt werden.131 Gleichzeitig sei ein Mechanismus vonnöten, durch den die Einhaltung und Durchsetzung der „Vertrauenswür129 Hartmut Berghoff, Moderne Unternehmensgeschichte. Eine themen- und theoriegeleitete Einführung, Paderborn u. a. 2004, S. 179. Zur Bedeutung der kulturellen Fundierung von Netzwerken im Wirtschaftsbürgertum vgl. Augustine (1994). Zum Konnubium und zu Verwandtschaftsbeziehungen als Mechanismen der Vertrauensgenese vgl. Dieter Ziegler und Ingo Köhler, Heirats- und Verkehrskreise als Instrument wirtschaftsbürgerlichen Aufstiegs. Die Familie Andreae, in: Genealogie. Deutsche Zeitschrift für Familienkunde 46 (1997), S. 385–402. 130 Mark Granovetter spricht von der „Embeddedness“ des unternehmerischen Handelns in dieses Gefüge aus Normen und Regeln. Vgl. ders. (1985), S. 481–510; ders., (2000), S. 199–217, hier S. 206. 131 Zu Giddens Konzept, die Struktur von Eliten zu untersuchen vgl. ders., Elites in the British class structure, in: ders. und Phillip Stanworth (Hg.), Elites and Power in British Society, Cambridge 1974, S. 1–21, hier S. 4–9. Für eine Umsetzung des Konzeptes
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digkeit der Kollegen oder Verbandsmitglieder im Innern abgesichert wird“.132 Schon vor der Vereinsgründung bildete die Einbindung der Kaffeegroßhändler in unternehmerische Netzwerke eine Grundlage ihrer kaufmännischen Tätigkeiten.133 Hierbei muss unterschieden werden zwischen den lokalen und internationalen Kontakten, über die ein Großhändler zwangsweise verfügen musste. Das geschieht, indem man die räumliche und personelle Ausdehnung des Netzwerkes ermittelt. Ebenso gilt es, die sozialen und moralischen Grundlagen dieser strategischen Netzwerke, in die die Kaffeehändler eingebunden waren, zu untersuchen. Diese Grundlagen sind es, die nach Giddens über die Funktionsfähigkeit und den Erfolg einer strategischen Allianz entscheiden. Die Maßnahmen des Vereins zur Herstellung sozialer und moralischer Integration als Basis erfolgreicher Koordination zu untersuchen ist daher auch aus einem weiteren Grund interessant: Wenn nicht in der Entwicklung der Branche selbst, nicht in wirtschaftspolitischen Maßnahmen oder einem Standortvorteil der Wettbewerbsvorteil der Hamburger Kaffeehändler wirklich erkennbar ist, bietet es sich an, zu überprüfen, ob nicht die organisierte Kooperation mittels des Vereins und seiner Maßnahmen entscheidende Vorteile für die Hamburger Kaffeehändler mit sich brachten. Damit gerät zudem die Frage nach der Bedeutung von institutionellen Arrangements für ökonomische Strukturen und unternehmerisches Handeln in den Blick. Wie die einzelnen Maßnahmen tatsächlich auszusehen hatten und ob das Ziel überhaupt erreicht werden konnte, war im Frühjahr 1886 allerdings offen. 3.2.1 Die institutionelle Neuorganisation des Hamburger Kaffeehandels
In der Gründungsversammlung des Kaffee-Vereins im März 1886 im Waaren-Saal der Börsenhalle wurde erstmals über Ausrichtung, Zielsetzung und Zulassungskriterien diskutiert. Einerseits sollten die verschiedenen Berufsgruppen des Kaffeevon Giddens in der Analyse von unternehmerischen Netzwerken vgl. Biggeleben (2006), hier S. 18–24. 132 Anthony Giddens, Konsequenzen der Moderne, Frankfurt/M. 1996, S. 103, S. 113. 133 Zur Bedeutung von Netzwerken im Fernhandel als vorherrschende Organisationsform ökonomischer Aktivitäten vgl. Rainer Liedtke, N M Rothschild & Sons. Kommunikationswege im 19. Jahrhundert, Köln, Weimar und Wien 2006. Zum Scheitern von Netzwerken im Fernhandel vgl. Marcel Boldorf, The Rise and Fall of Silesian Merchant Guilds in the International Trade Net (1700–1850), in: Margrit Schulte Beerbühl und Jörg Vögele (Hg.), Spinning the Commercial Web. International Trade, Merchants, and Commercial Cities, c. 1640–1939, Frankfurt/M. u. a. 2004, S. 87–97; Paul Duguid, Networks and Knowledge. The Beginning and End of the Port Commodity Chain 1703–1860, in: Business History Review 79 (2005) 3, S. 493–526; David Hancock, The Trouble with Networks. Managing the Scots’ Early-Modern Madeira Trade, in: Business History Review 79 (2005) 3, S. 467–491.
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großhandels, die Import- und Exportunternehmen, Makler, Agenten und Kommissionäre, durch den Verein vertreten werden, aber diese hatten andererseits an den zu konstituierenden Verein unterschiedliche Ansprüche. Dies führte zu einem Statutenentwurf, „welcher die allerverschiedensten und fast heterogenen Interessen miteinander zu verbinden sucht“.134 Die anwesenden Kaffeehändler einigten sich im Wesentlichen darauf, dass nur Vereinsmitglieder am Sandthorquai Büros mieten könnten, im Vorstand alle Berufsgruppen vertreten sein sollten und von den Vorstandsmitgliedern über die Hälfte Büros am Sandthorquai gemietet haben mussten. Als dringende Aufgaben des Vereins wurden übereinstimmend die Formulierung von Usancen für den Effektivhandel, die Einrichtung eines Schiedsgerichts und eines Vereinssaals beschlossen. Zudem sollte der Verein Dienstleistungsaufgaben für seine Mitglieder übernehmen, hier insbesondere die tagtägliche Ermittlung der notwendigen Informationen für den Kaffeegroßhandel, die allein den Mitgliedern durch Anschlag im Versammlungssaal zugänglich gemacht werden sollten. Bei der Verbindung der Interessen der unterschiedlichen Berufsgruppen, der Ermittlung aller für den internationalen Kaffeehandel notwendigen Informationen sowie deren exklusiver Bereitstellung für die Vereinsmitglieder und bei der Kooperation mit branchennahen Unternehmen wie auch bei der politischen Interessendurchsetzung waren vor allem vier Maßnahmen des Vereins für die Herstellung der sozialen Integration und moralischen Übereinstimmung geeignet: Erstens die Festlegung von Aufnahme- und Ausschlusskriterien, zweitens die Schaffung von Regeln für die Geschäftsabschlüsse und Verhaltensnormen („Usancen“), drittens die Festlegung von Instanzen zur Überwachung und Durchsetzung dieser Regeln und Normen, und viertens die Herstellung einer Vereinsöffentlichkeit, die sowohl eine Kontrolle als auch die Kooperation von an sich konkurrierenden Unternehmen ermöglichen sollte. Einen ersten Hinweis auf die Rolle und Bedeutung von Exklusions- und Inklusionsmechanismen zur Herstellung sozialer Integration als Grundlage der moralischen Übereinstimmung geben die Aufnahme- und Ausschlusskriterien eines Vereins bzw. die Bestimmung, welche natürlichen oder juristischen Personen er vertritt. Im Fall des Hamburger Kaffee-Vereins konnten keine natürlichen Personen, sondern allein Unternehmen Mitglieder werden. Voraussetzung war, dass die betreffende Firma im Hamburger Handelsregister eingetragen war und der oder die Inhaber sich als Kaufleute, Makler oder Agenten am Kaffeegroßhandel aktiv beteiligten.135 Darüber hinaus musste ein potentielles Mitglied zwei Vereinsmitglieder als Leumundszeugen vorweisen können und bei der Abstimmung über seine Aufnahme durften höchstens zwei der neun Vorstandsmitglieder gegen die Aufnahme gestimmt haben. In der Pra134 Hamburger Börsenhalle vom 25.3.1886, in: StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 1. 135 Vgl. ebd., Signatur 1.
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xis wurde aber keine Firma in den Verein aufgenommen, gegen die auch nur ein Vorstandsmitglied Bedenken geäußert hatte.136 Der Aufnahmebeitrag lag in der Regel bei 300 Mark,137 der jährliche Mitgliedsbeitrag im ersten Jahr bei 100 und danach bei 150 Mark. Von seiner Gründung an waren somit die Zugangsmechanismen zum KaffeeVerein äußerst strikt und orientierten sich an den strengen Kriterien der englischen Börsenvereine.138 Dies stand in krassem Gegensatz zu den sonst üblichen Gepflogenheiten in Hamburg, wo der Zugang zur Allgemeinen Börse allen männlichen Interessierten ohne Einschränkung offen stand.139 Demgegenüber beruhte von Anfang an die Strategie des Kaffee-Vereins auf der alleinigen Zulassung von Unternehmen, die tatsächlich am Kaffeegroßhandel und nicht Binnengroßhandel beteiligt waren. Darüber hinaus wurden sie lediglich dann aufgenommen, wenn ihr bisheriges Verhalten sowie ihre Geschäftstüchtigkeit durch Leumundszeugen aus den Reihen des Vereins bestätigt und garantiert wurden.140 Zudem dehnte der Verein die von ihm festgelegten strikten Zugangskriterien auch auf das alltägliche Geschäft aus: Zutritt zur 1888 eröffneten Kaffeebörse am Sandthorquai hatten allein die Vereinsmitglieder. Die strengen Zugangskriterien zur Kooperation und die exklusive Gewährung von Dienstleistungen ausschließlich für diesen Kreis monopolisierten den Kaffeegroßhandel und stellten zugleich eine erste Strategie der Vertrauensgenese dar. Da nur den Vereinsmitgliedern der Zugang zur Kaffeebörse möglich war, ist anzunehmen, dass kaum eine der im Ex- und Importgeschäft tätigen Firmen oder 136 Vgl. ebd., Signatur 3. 137 Einige Firmen mussten durchaus höhere Eintrittsgebühren bezahlen, um ihren Wunsch, dem Verein anzugehören, zu demonstrieren, vgl. Arbeitskreis Rohkaffeefreunde (1996), S. 32. 138 Vgl. Schönfeld (1903), S. 113. Zur New Yorker Kaffeebörse vgl. Mark Pendergrast, Kaffee. Wie eine Bohne die Welt veränderte, Bremen 2001. Zu den Zugangskriterien in Berlin, London, New York, Paris und Wien vgl. Ranald C. Michie, Different in Name only? The London Stock Exchanges and Foreign Bourses, c. 1850–1914, in: Business History 30 (1988) 1, S. 46–68, hier S. 59 f.; Lance Davis und Neal Larry, Micro Rules and Macro Outcomes: The Impact of Micro Structure on the Efficiency of Security Exchanges, London, New York and Paris 1800–1914, in: The American Economic Review 88 (1998) 2, S. 40–45. Zu den Zugangsmöglichkeiten in Le Havre vgl. Fritz Schmidt, Die Warenbörse von Le Havre, in: Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis 2 (1910) 12, S. 411–427. 139 Zu den unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten an den deutschen Börsen vgl. Oskar Stillich, Der freie Verkehr an der Börse, in: Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis 1 (1908) 8, S. 279–284; Knut Borchardt, Einleitung, in: Max Weber Gesamtausgabe Abt. 1 Schriften und Reden, Bd. 5., 1. Halbband, Tübingen 1999, S. 1–111, hier S. 19–24. 140 Vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 1. Zur Aufnahmepraxis vgl. ebd., Signatur 3, Bd. 1–3.
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Grafik 19 Mitgliedszahlen des Kaffee-Vereins 1887–1919
der Börsenmakler, die die strengen Aufnahmekriterien erfüllten, auf eine Vereinsmitgliedschaft verzichtete, denn: „Hier in diesem Saal spielt sich der Hauptkaffeehandel ab, und sind daher Firmen, die dem Verein nicht angehören, vom wichtigsten Teil des Kaffeehandels ausgeschlossen.“141 Zur Entwicklung der Mitgliedszahlen siehe Grafik 19.142 Die Mehrheit der Mitglieder, mit Ausnahme der Überseehäuser und Länderfirmen, hatte ihre Büroräume am Sandthorquai. Die restlichen in den Hamburger Adressbüchern unter der Rubrik Kaffee verzeichneten Unternehmen beteiligten sich mehrheitlich im Einzel- und Detailhandel Hamburgs oder waren Länderfirmen, die Kaffee in geringeren Mengen lediglich als eines unter mehreren Gütern aus dem jeweiligen Land exportierten. Auch die am Überseehandel interessierten Banken und die auf Überseetransporte spezialisierten Schifffahrtsgesellschaften traten dem Verein in den 1890er Jahren bei, sie waren jedoch außerordentliche Mitglieder ohne Stimmrecht auf der Generalversammlung.143 Die Zusammensetzung der Mitglieder blieb 1888–1917 relativ konstant (vgl. Tabelle 1). Die Maklerunternehmen stellten 22–26 Prozent, die Kommissionshäuser 10–13 Prozent, die Kaffeeagenten 3,6–4 Prozent, die Import- und Exportfirmen 21–32 Prozent und die Überseehäuser 11–13 Prozent der Mitglieder. In den Vorstand und in die verschiedenen Sachverständigenkommissionen des Vereins wurden zumeist Personen gewählt, die Inhaber oder Teilhaber alteingesessener Firmen waren.144
141 Schönfeld (1903), S. 114. Vgl. auch Wiskemann (1929), S. 265. 142 Quelle zu Grafik 19: StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 4. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, hier Tabelle 30. 143 Vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 8; ebd., Signatur 4. 144 So zum Beispiel Hermann Robinow und Hermann Michahelles, dessen Sohn auch Vorstandsmitglied wurde. Zu den Vorsitzenden vgl. ebd., Signatur 2, Bd. 1.
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Tabelle 1 Zahl der Kaffeehändler in den Hamburger Adressbüchern und im KaffeeVerein Hamburger Adressbuch
1882 1887 1894 1897 1902 1904 1908 1918
Makler
52
59
82
87
57
47
18
55
Kommissionsgeschäfte
*
*
14
30
32
24
15
27
Agenturgeschäfte
*
*
6
23
10
13
4
8
Exportgeschäfte
*
*
23
11
15
20
21
**
Importgeschäfte
*
*
34
39
50
49
50
65
Großhandelsfirmen (inkl. 1. u. 3. Hand)
26
92
17
57
89
71
60
70
Gesamt
78
151
176
247
253
224
168
225
Mitglieder Kaffee-Verein Makler
1882 1887 1892 1897 1902 1907 1912 1917 -
Kommissionsgeschäfte
43
44
44
37
41
50
51
19
19
21
24
24
25
25
Agenturgeschäfte
-
6
7
8
8
8
7
8
Import-/Exporthäuser
-
41
40
44
51
56
54
63
Überseehäuser
-
21
21
21
23
18
25
27
Kaffeehandel ohne Zuordnung
62
42
15
11
15
19
14
Sonstige (Reedereien, Nachrichtendienste etc.) Gesamt
24
10
6
5
4
6
7
216
193
159
159
166
186
195
-
* = nicht einzeln erfasst, ** = 1918 Import-/Exportgeschäfte gemeinsam erfasst
Im Rahmen des Vereins fand in den folgenden Jahrzehnten eine Differenzierung nach Geschäftsfeldern statt: Knapp zwei Jahre nach dem Kaffee-Verein gründeten die Makler und Agenten des Kaffee-Vereins am 11. Januar 1888 den Verein Hamburger Caffeeimport-Agenten und -Makler e.V. Eine Mitgliedschaft war aber an die Zugehörigkeit zum Kaffee-Verein gebunden und dieser übernahm weiterhin die Interessenvertretung. Die einzige aktive Tätigkeit jenes Vereins bestand bis 1914 in der Unterstützung notleidender Mitglieder.145 Eine weitere Unterorganisation des Vereins bildete der 1910 gegründete Verein der Hamburger Caffee-Effektivhändler e.V. Er sollte die Interessen der Effektivhändler in Hamburg zwar gegenüber dem Verein, aber in dessen Rahmen vertreten.146
145 Vgl. Schönfeld (1903), S. 112; Verein Hamburger Caffeeimport-Agenten (1988), o. P. [S. 9]; o. A., Verein Hamburger Caffeeimport-Agenten und -Makler e.V., Kaffeehandel. Anregendes Metier, in: Hamburger Wirtschaft. Zeitschrift der Handelskammer Hamburg 2 (1988), S. 31 f. 146 Vgl. StAHH, Bestand 331-3, Signatur 1609.
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Neben der Festlegung der Zugangs- und Ausschlusskriterien formulierte der Verein sofort nach der Gründung erstmals allgemeingültige Regeln für den Hamburger Kaffeegroßhandel, die „Allgemeinen Usancen für den Kaffeehandel“. Sie bildeten ab 1887 die rechtliche Grundlage eines jeden Geschäftsabschlusses durch ein Vereinsmitglied, außer ein Kontrakt vermerkte explizit Gegenteiliges. Die Usancen regelten alle erforderlichen Schritte, die zur Abwicklung eines Vertrages zwischen Anbieter und Interessent notwendig waren, und setzten zudem die Gewinnmargen für Makler und Agenten fest.147 Eingebunden waren die Usancen des Vereins in nicht explizit formulierte Normen und Erwartungen an das rechtschaffene Verhalten eines „ehrbaren“ Kaufmanns, die sogenannten „stillschweigenden Verpflichtungen“.148 Dieses von Biggeleben als „wirtschaftsethische Dimension“149 bezeichnete kaufmännische Selbstverständnis stellte auch die Basis der Handlungsweisen der Vereinsmitglieder dar. Es verband die juristisch einklagbaren Bestimmungen des Handelsgesetzbuchs sowie die engeren, nicht staatlich kodifizierten Rechte und Regeln der Handelsgebräuche (Usancen) mit den Pflichten eines Kaufmanns, die sich juristisch nicht einklagen ließen. Dass in der alltäglichen Praxis zum Beispiel das gesprochene Wort oder der Handschlag zwischen zwei Geschäftspartnern ebenso galt wie eine schriftliche Vertragsfixierung, war durch dieses Selbstverständnis nicht nur ein Lippenbekenntnis.150 Bildeten die Usancen das engere Regelwerk für die Geschäftsabschlüsse, deren normengebender Hintergrund der Kodex des „ehrbaren Kaufmanns“ war, wachten zwei Instanzen, der Vorstand und das Vereinsschiedsgericht, über die Durchsetzung dieser Regeln und Normen und sorgten für die Sanktionierung von Fehlverhalten. Für die Vermittlung bei Streitigkeiten, die zwischen zwei Parteien im Rahmen eines Geschäfts auftraten, richtete der Verein ein Privatschiedsgericht – für „alle Streitigkei147 Die Usancen wurden permanent an die Bedürfnisse der Kaffeehändler angepasst. Zwischen 1887 und 1914 erfolgte jährlich eine Modifizierung oder Erweiterung einzelner Klauseln, vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 6. Dazu allgemein Gunther Freytag, Die Usancen im Hamburger Kaffeehandel, Erlangen 1929. Zur Bedeutung von nicht staatlich kodifiziertem Recht im internationalen Handel vgl. Nils Petersson, Eine Welt des (Un-)Rechts: Globalisierung und das Problem der Verrechtlichung internationaler Wirtschaftsbeziehungen vor dem Ersten Weltkrieg, in: Eckart Conze, Ulrich Lappenküper und Guido Müller (Hg.), Geschichte der internationalen Beziehungen. Erneuerung und Erweiterung einer historischen Disziplin, Köln 2004, S. 93–112. 148 In Rahmen der Befragungen der Sachverständigen aus den Reihen der Hamburger Kaffeegroßhändler durch die Börsen-Enquete kam den „stillschweigenden Verpflichtungen“ und der Frage, wie sie denn gewährleistet würden, eine große Bedeutung zu, vgl. u. a. BEK, St. Pr. (1893), S. 2179. 149 Biggeleben (2004), S. 50. Zum kaufmännischen Ehrenkodex vgl. ebd. S. 52–55. 150 Vgl. BEK, St. Pr. (1893), S. 2155; Verein Hamburger Caffeeimport-Agenten (1988), o.P. [S. 13, S. 26].
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ten unter Vereinsmitgliedern, sofern dieselben im Zusammenhang mit dem hiesigen Kaffeegeschäft stehen“151 – ein. Dieses konnte direkte Regelverletzungen sanktionieren, aus der Abwicklung eines Geschäfts zwischen den Vertragsparteien resultierende Konflikte schlichten oder bei Differenzen über die Qualitätsbestimmung einer Lieferung, wie sie im Lieferungsgeschäft häufig vorkamen, vermitteln.152 Unterwarf man sich dieser privaten Instanz, willigte man gleichzeitig ein, eine Entscheidung des Schiedsgerichtes endgültig und unter Ausschluss eines späteren Rechtsweges zu akzeptieren.153 Das Schiedsgericht vermittelte auch zwischen Parteien, von denen lediglich eine Seite Vereinsmitglied war und die andere sich ausdrücklich zur endgültigen Anerkennung des Schiedsgerichtes unter Ausschluss des späteren Rechtsweges bereit erklärte. Gegenüber dem Anruf von staatlichen Gerichten bot das Privatschiedsgericht des Vereins den Vorteil, dass Konflikte schnell und zudem von Fachleuten ohne großen bürokratischen Aufwand erledigt werden konnten: „Trotz der vielen Mitglieder des Vereins und der scharfen Konkurrenz herrscht in Kaffeekreisen ein kollegiales Verhältnis, da alle Differenzen unter Ausschluß des Rechtsweges von Schiedsgerichten behoben werden. Daher gehören auch Kaffeestreitfälle vor einem ordentlichen Gericht zu den Seltenheiten, ein Beweis, wie zufriedenstellend diese Schiedsgerichte arbeiten und wie vorteilhaft es für den Handel ist, sich ihrer in jeder Weise zu bedienen.“154
Dass, wie hier geschildert, die Instanz des Schiedsgerichtes es vermochte, das persönliche Miteinander der Kontrahenten zu verändern, ist jedoch wohl eher ein Versuch, nachträglich seine Bedeutung zu überhöhen. Im Sinne der Zweckmäßigkeit des Schiedsgerichtes als Schlichtungsstelle ist der Beurteilung Willy Krankes aber zuzustimmen. Bis zu 876-mal im Jahr 1910 und insgesamt 8.714-mal wurde es ab seiner
151 StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 1, Paragraf 13 der Vereinsstatuten. Zum Schiedsgericht vgl. ebd., Signatur 7. 152 Zum Lieferungsgeschäft vgl. Kapitel 4.1. 153 Zur Einrichtung des Schiedsgerichtes vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 2, Bd. 1 und Signatur 3, Bd. 1. Zu den einzelnen Bestimmungen vgl. Paragraf 13 des Vereinsstatuts, der die Tätigkeit des Schiedsgerichts regelt, ebd., Signatur 1 und Signatur 6. Falls sich während der Verhandlungen ergab, dass der Streitwert die Summe von 3.000 Mark überschritt, konnte das Schiedsgericht eine weitere Vermittlung ablehnen und auch die Parteien hatten die Möglichkeit, statt des Schiedsgerichts ein staatliches Gericht anzurufen. Falls die Parteien weiterhin das Vereinsschiedsgericht in Anspruch nehmen wollten und das Schiedsgericht der Wiederaufnahme des Falls zustimmte, mussten die Parteien nun schriftlich versichern, dass sie das Urteil des Schiedsgerichtes unter Ausschluss des Rechtsweges akzeptierten. 154 Kranke (1928), S. 25.
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Gründung und bis 1914 angerufen, was die Notwendigkeit der Institution für die Kaffeehändler unterstreicht (vgl. Grafik 20).155 Für die Vereinskasse stellten die Gebühren, die für die Anrufung des Privatschiedsgerichts erhoben wurden, zudem eine zunehmend wichtige Einnahmequelle neben den Mitgliedsgebühren dar.156 Die höchst unterschiedliche Anzahl der Schiedsgerichtsfälle in den einzelnen Jahren bei insgesamt kontinuierlich zunehmender Inanspruchnahme resultierte aus den steigenden Hamburger Kaffeeimporten bei gleichzeitigen Schwankungen der umgesetzten Mengen und aus den jeweiligen Qualitätsunterschieden der Ernten. Die Vorteile eines Privatschiedsgerichtes überwogen und daher zogen die Kaufleute es einer staatlichen Schlichtungsstelle oder einem staatlichen Gerichtsprozess vor. Doch die Häufigkeit seiner Anrufung ist nicht, wie es Kranke interpretiert, gleichzusetzen mit der Zufriedenheit über die Arbeit des Schiedsgerichtes. Diese löste immer wieder Konflikte unter den Vereinsmitgliedern aus. Besonders die Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidungen, die oft als nicht gerecht empfunden wurden, und sich daraus ergebende Vorschläge zur Reformierung des Schiedsgerichtes bildeten ein in den Vorstandssitzungen viel diskutiertes und auf den Generalversammlungen von einzelnen Mitgliedern eingebrachtes Dauerthema.157 Die zuständigen Schiedsrichter bestimmte der Vorstand jedes Jahr neu aus den Reihen der Vereinsmitglieder. Dieses Organisationsprinzip gewährleistete einerseits die Verteilung der ehrenamtlichen und zeitraubenden Aufgabe unter den Vereinsmitgliedern und begrenzte andererseits eine Übervorteilung durch persönliche Präferenzen eines Schiedsrichters, der zugleich ja auch Kaffeegroßhändler war, zumindest auf ein Jahr. Doch wer kontrollierte die Gerechtigkeit des Richters? Genau diese Frage wurde immer wieder diskutiert. Vorschläge, eine zusätzliche Appellationsinstanz neben dem Schiedsgericht einzurichten, lehnte aber die Mehrheit der Vereinsmitglieder ab, um nicht die Autorität des Schiedsgerichtes zu untergraben.158 Ab 1890 stellte der Verein zusätzlich einen Anwalt ein, der dem Vorstand und den Mitgliedern in allen juristischen Fragen zur Verfügung stand.159 Trotz der unter den Mitgliedern nicht unumstrittenen Arbeit des Schiedsgerichtes wurde seine Existenz zu einem Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Handelsplätzen. Die Formulierung von Usancen stellte zwar eine gängige Erscheinung der im internationalen Handel agierenden Branchen dar. Die vom Verein bereitgestellte Kontrolle der Einhaltung der Regeln durch die Instanz des Schiedsgerichts oder auch nur durch die Vermittlung bei unterschiedlichen Qualitätseinschätzungen gewähr155 StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 2, Bd. 1. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, hier Tabelle 31. 156 Vgl. Geschäftsberichte der einzelnen Jahre, in: StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 2, Bd. 1. 157 Vgl. ebd., Signatur 2, Bd. 1 und Signatur 3, Bd. 1. 158 Vgl. ebd., Signatur 3, Bd. 1, Vorstandssitzung vom 19.3.1908 und 21.5.1908. 159 Vgl. ebd., Signatur 3, Bd. 1, Vorstandssitzung vom 25.3.1890.
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Grafik 20 Schiedsgerichtsfälle 1888–1913
leistete aber Rechtssicherheit. Schloss man mit einem Hamburger Kaffeegroßhändler Geschäfte ab, konnte jeder Kaufmann darauf vertrauen, dass spätestens nach Anrufung des Schiedsgerichtes sich sein Vertragskontrahent an die Regeln halten musste. Eine grundsätzliche Bevorteilung von Hamburger Firmen ist zudem nicht zu vermuten, da ein solches Verhalten die Wettbewerbsvorteile, die sich aus der Existenz des Schiedsgerichtes ergaben, minimiert hätte. So stellte neben den Zugangskriterien das Privatschiedsgericht eine zweite Säule der Vertrauensgenese durch den Kaffee-Verein dar, die die Vertrauenswürdigkeit der Geschäftspartner im Hinblick auf die Regeleinhaltung nach innen und nach außen absicherte. Daher traten immer wieder Firmen anderer Handelsplätze mit der Bitte an den Kaffee-Verein heran, dass das Schiedsgericht auch in Streitigkeiten angerufen werden könne, die aus Geschäftsabschlüssen an anderen Handelsplätzen resultierten. Dies lehnte der Vorstand aber ab, um „das Geschäft der Konkurrenzmärkte Hamburgs nicht zu begünstigen, indem man die hiesigen Einrichtungen, die zur Förderung des Hamburgischen Handels geschaffen sind, zur Verfügung stellt“.160 Aus dem gleichen Grund konnten auch keine Fälle vor das Schiedsgericht gebracht werden, die aus Geschäften zwischen ausländischen und deutschen Firmen des Binnenhandels resultierten.161 Warum Schiedsgerichte an den anderen europäischen Handelsplätzen nicht die gleiche Popularität wie das des Hamburger Kaffee-Vereins erreichten, kann lediglich vermutet werden. Da die Funktionsfähigkeit eines Privatschiedsgerichtes nur gewährleistet ist, wenn die Beteiligten sich tatsächlich an dessen Beschlüsse halten, selbst wenn eine juristische Vollstreckung nicht möglich ist, bildete die soziale und moralische Übereinstimmung der Vereinsmitglieder den eigentlichen Garanten und das Rückgrat des Privatschiedsgerichtes. Den dafür benötigten Koordinierungsgrad oder einen ähnlichen hoch organisierten Zusammenschluss zwischen den Branchenteilnehmern hat es aber in London, Le Havre, Amsterdam und New 160 ebd., Signatur 2, Bd. 1, ordentliche Generalversammlung vom 23.5.1914. 161 Vgl. ebd., Signatur 2, Bd. 1, Bericht über das Vereinsjahr 1914.
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York offensichtlich nicht gegeben. Josef Hellauer verweist, neben einer expliziten Nennung des Hamburger Kaffee-Vereins, allein auf weitere Branchenkooperationen an der Pariser und Rotterdamer Börse.162 Nicht nur durch seine Existenz an sich, sondern aufgrund seiner Zuständigkeit allein für Geschäfte mit Vereinsmitgliedern wurde das Schiedsgericht des Kaffee-Vereins für die Hamburger Unternehmen zu einem Wettbewerbsvorteil. Es machte den Handel mit Hamburger Kaufleuten für europäische Zwischenhändler und Exporteure in den produzierenden Ländern attraktiver und ließ einen Direkthandel mit dem Binnengroßhandel an anderen Seeplätzen unattraktiver werden. Vermutlich könnten die Unterlagen zu den Schiedsgerichtsfällen eine wichtige Quelle für eine Analyse der sozialen Formation des Kaufmannsstandes, seiner Werte und Praktiken darstellen, doch findet sich in der Akte „Schiedsgericht“ im Hamburger Staatsarchiv allein ein einziger Schiedsgerichtsfall.163 Bei diesem ging es um die Frage, wie hoch die Kommissionsgebühr für ein von einem Amsterdamer Handelshaus an eine Hamburger Länderfirma vermitteltes Geschäft ausfallen muss, und damit um einen typischen Streitfall. Es kann angenommen werden, dass die meisten der verhandelten Schiedsgerichtsfälle eher ohne große Konflikte abliefen und es in der Regel lediglich um die Vermittlung bei unterschiedlichen Qualitätseinschätzungen der Kontrahenten ging. Doch war der Verein kein konfliktfreier Raum, wie das Protokoll der ordentlichen Generalversammlung des Jahres 1895 demonstriert: Hier wird die latente Auseinandersetzung zwischen den Berufsgruppen des Vereins ebenso deutlich wie die Machtstrukturen innerhalb des Vereins. So verkündete der Vorstandsvorsitzende Robinow zu Beginn der Generalversammlung, dem Vorstand sei zugetragen worden, dass die Terminmakler einen Wahlaufruf verfasst hätten, der „sich gegen den im Vorstand turnusmässig ausscheidenden Herrn Lüddeke wende und dessen Wiederwahl hintertreiben möchte. […] Es sei neuerdings in Mode geworden (sic), von Unter herauf einfach zu decretieren, dieser oder jener werde gewählt oder nicht gewählt, eine derartige Diktatur sei aber socialdemokratischen Geistes und dürfe nicht geduldet werden.“164 162 Vgl. Hellauer (1910), S. 245. Auch Ukers (1922) nennt für die nordamerikanischen Börsen keine ähnliche Branchenkooperation um ein Produkt und ebenso erwähnt Oberparleiter (1914) nichts Vergleichbares für London. Dienstleistungen wie die Bereitstellung eines Börsensaals, die Ernennung von Schiedsrichtern und die Formulierung von Usancen (Articles of Association, Constitution oder Rules and Regulations genannt) übernahmen allgemeine oder warenübergreifende Börsenvereine. 163 Vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 7, Fall vom 10. Mai 1904: Herr Leopold Jacobi & Co., Hamburg gegen Herrn W. Ader, Amsterdam. 164 Ebd., Signatur 2, Bd. 1. Zu Lüddeke vgl. den Eintrag Lüddeke & Wernthal in Prosopografie: Kaffeehandelsunternehmen in Hamburg.
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Zwar durften alle Mitglieder des Vereins die von den Vorsitzenden vorgeschlagenen Personen wählen, eigene Kandidaten aber nicht zur Wahl vorschlagen.165 Nur wer Inhaber oder Teilhaber einer alteingesessenen und ökonomisch potenten Firma war und auch außerhalb des Vereins Sozialprestige in der Hamburger Gesellschaft genoss, konnte Vorstandsmitglied werden.166 Im Hinblick auf die sozioökonomischen Machtverhältnisse in Handelskammer, Bürgerschaft und Senat stellten die Strukturen des Vereins keine Ausnahme, sondern ein Abbild im Kleinen dar.167 Neben vereinzelten Hinweisen in den Vorstandssitzungs- und Generalversammlungsprotokollen finden sich in den Aussagen der Hamburger Kaffeegroßhändler, die im Zuge der Börsenreform von der Börsen-Enquete-Kommission befragt wurden, detaillierte Schilderungen, die die Mechanismen des Vereins zur Herstellung von moralischer Integration plastisch machen. Sie zeigen zudem, dass, um die dem Ehrenkodex des „ehrbaren Kaufmanns“ zugehörigen Normen aufrechtzuerhalten, der Vorstand des Vereins und seine Mitglieder verschiedene Mechanismen der Vertrauensgenese und -sicherung praktizierten. Sie reichten von der Androhung des Verlusts von entgegengebrachtem Vertrauen bis zu sozialer Exklusion, die gleichbedeutend war mit dem Verlust der wirtschaftlichen Existenz: „denn er würde sich selbst sein Geschäft auf viele Weise verderben, er würde, wie man so sagt Kalt gestellt werden“.168 Durchaus möglich war bei kleineren Verfehlungen auch ein zeitweiliger Ausschluss: „Nun lässt sich wohl denken, dass es einem Hause, das solche Geschäfte gemacht hat, unangenehm sein würde und ihm sehr hinderlich sein würde, wenn es eine Rüge bekäme; und wenn eine solche Rüge keinen Nutzen hat, dann würde zeitweilige Verweisung von der Börse ohne Zweifel einen sehr großen Einfluss haben, oder auch die Veröffentlichung des Namens eines solchen Hauses.“169 Verweise oder den Ausschluss eines Mitglieds veröffentlichte der Verein durch Anschlag im Börsensaal. Aus diesem gingen der Name des Betroffenen und eine Beschreibung des Vorgangs hervor.170 Doch 165 Für ein Beispiel für Vorabsprachen über zu wählende Personen und die Festlegung ihrer Amtszeit vgl. ebd., Signatur 3, Bd. 1, Vorstandssitzung vom 12.3.1890. 166 Alle drei Kriterien treffen auf sämtliche Vorstandsmitglieder bis 1914 zu, vgl. die Angaben in Prosopografie: Kaffeehandelsunternehmen in Hamburg. 167 Vgl. Augustine (1991 und 1994). Andreas Schulz bezeichnet diese, sich aus der sozialen Hierarchie ergebende politische Herrschaftsorganisation als „bürgerliches Elitenregiment“, vgl. ders., Weltbürger und Geldaristokraten. Hanseatisches Bürgertum im 19. Jahrhundert, München 1995, S. 38. Vgl. auch ebd., S. 14. 168 Gierth BEK, St. Pr. (1893), S. 2140. 169 Robinow BEK, St. Pr. (1893), S. 2098 f. 170 Vgl. zum Beispiel StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 3, Bd. 1, Vorstandssitzungen vom 9.7.1889, 13.8.1889, 20.9.1889, 11.12.1889. Die außerordentliche Generalversammlung vom 22.6.1889 hatte beschlossen, sämtliche Verfehlungen von Unternehmen durch Anschlag im Börsensaal zu veröffentlichen, vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 2, Bd. 1. Weitaus häufiger war aber ein Entzug der Eintrittskarte zum Börsensaal
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beides blieben Ausnahmen. Denn auch ohne das Eingreifen des Vereins konnten die Konsequenzen für ein Fehlverhalten schnell der betreffenden Firma die Existenzgrundlage entziehen, nämlich das Vertrauen in sie: Die Firmeninhaber würden sich „für die ganze Zukunft unmöglich machen, mit jedem, der einmal nicht geliefert hat, würde man nichts zu thun haben wollen […] das würde sich aber nun so arrangieren, daß solche Leute, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen […] von der Börse nicht faktisch, aber innerlich ausgeschieden […] [werden J. R.], weil man mit […] [ihnen] nicht arbeiten will“.171 Was als Fehlverhalten gewertet wurde und ob sich tatsächlich als Konsequenz eine gesellschaftliche deminutio capitis anschloss, deren Folge die Liquidation des Unternehmens bildete, war wohl je nach Fall äußerst unterschiedlich. Die internen Dynamiken des Vereins lassen sich aufgrund der Quellenlage kaum erschließen. Ein interessanter Fall eines internen Konflikts ist aber an die Öffentlichkeit gelangt. Der Fall ist deswegen so interessant, weil es darin um ein Motiv geht, das als grundlegend für die Vertrauensbildung in Handelsbeziehungen gilt, nämlich das des „ehrbaren Kaufmannes“. Die nähere Betrachtung lässt es als sehr fragwürdig erscheinen, das durch die Kaufleute selbst propagierte Leitbild auch als eine analytische Kategorie zu verwenden. In Hamburg beteiligte sich immer wieder eine Reihe von Firmen, die auch Mitglieder des Kaffee-Vereins waren, an Hausse- und Baissespekulationen, somit auch an einer künstlichen Preissteigerung oder -senkung durch massiven Ankauf und Zurückhaltung der eigenen Ware oder umgekehrt. Dies stellte ein Verhalten dar, welches kaum juristisch verfolgbar oder über die Usancen zu regeln war, aber den „stillschweigenden Verpflichtungen“, also den Leitsätzen des „ehrbaren Kaufmannes“ zuwiderlief. Zu diesen gehörte die Redlichkeit der Auskünfte gegenüber den Geschäftspartnern. Um aber eine Hausse oder Baisse zu inszenieren, musste ein Kaufmann genau das Gegenteil von wahrheitsgemäßen Einschätzungen über die Marktlage an seine Geschäftspartner vermitteln: In den im globalen Kaffeehandel üblicherweise ruhigen Sommermonaten Juni und Juli des Jahres 1888 war an der Hamburger Terminbörse ein Verkaufsfieber für Kaffeelieferungen ausgebrochen. Auch in den Augustwochen bestand immer noch ein großes Interesse an Kaffee; man kaufte und kaufte KaffeeOptionen für den Septembertermin.172 Dies heizte den Markt weiter an und wie im Rausch beteiligte sich die Mehrheit der Kaffeegroßhändler für sich und ihre Kunden am Nachfragewettrennen. Letztendlich summierten sich die Hamburger Engagements auf knapp eine Million Tonnen Kaffee. Dies war mehr als doppelt so viel wie der gesamte Ertrag des Erntejahres 1887/88 mit 416 Tausend Tonnen. Da die telefür eine befristete Zeit, vgl. zum Beispiel ebd., Signatur 3, Bd. 1, Vorstandssitzung vom 11.12.1889. 171 Robinow BEK, St. Pr. (1893), S. 2204. 172 Zum Terminhandel ausführlich vgl. Kapitel 4.
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grafischen Nachrichten der Produzenten, Makler und Agenten aus Brasilien große Ernten für die kommenden Wochen versprachen, rechneten die Kaufleute mit einem starken Fall der Kaffeepreise. Die Mehrheit von ihnen schloss deshalb ein Termingeschäft auf Lieferung von Kaffee zu einem Zeitpunkt ab, zu dem die Preise noch hoch waren, und rechnete damit, dass sie im September, zum Zeitpunkt der Erfüllung, in dem die Ernten des Hauptkaffeeproduzenten auf den europäischen Märkten ankamen, sehr niedrig sein würden. Der Gewinn schien absehbar und nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Die Entwicklung an der Hamburger Terminbörse spitzte sich in der ersten Septemberwoche zu, als die Käufer von Lieferungsoptionen auf deren Erfüllung drängten und – entgegen der im Termingeschäft üblichen Praxis – Ware verlangten. Eine solche Menge Kaffee überstieg natürlich bei weitem das, was in Hamburg vorrätig war. Die Preise für Santoskaffee kletterten daraufhin auf bis zu 400 Mark pro 100 Kilogramm und damit über das Fünffache der Septemberdurchschnittspreise der vorangegangenen zehn Jahre.173 Allein der verzweifelte Aufkauf von Vorräten bei ausländischen Kaffeehändlern in Le Havre, London und Amsterdam zu exorbitanten Preisen und hohen Lieferungskosten verhinderte den völligen Zusammenbruch des Hamburger Kaffeegroßhandels und den Bankrott der Mehrheit der Unternehmen.174 Heute ist dieses Szenario unter dem Begriff des „Corners“ bekannt – ein Zusammenschluss von Börsianern mit dem gemeinsamen Ziel, alle verfügbaren Stücke einer Aktiengattung aufzukaufen, um so die Kurse in die Höhe zu treiben. Auf dieses Geschehen und seinen Umgang mit den betreffenden Kaufleuten, die im September 1888 einen solchen Corner zu verantworten hatten, angesprochen, erwiderte der Kaffeehändler Robinow: „Gesellschaftlichen Verkehr habe ich mit den Herren, die den Corner gemacht haben, nicht. Ich weiß auch nicht, wie sie behandelt werden. An der Börse genießen sie ganz gewiß ein viel geringeres Ansehen. Die Hamburger Kaufmannschaft verurtheilt die Corners auf das allerentschiedenste.“175 Der Wahrheitsgehalt dieser Aussage ist aber mehr als zweifelhaft, da Robinow als Vorsitzender des Kaffee-Vereins sehr wohl Kontakt mit den betreffenden Personen hatte und sie weiterhin Mitglieder im Kaffee-Verein blieben, wie zum Beispiel die Agenturfirma Theodor Schmidt.176 Im Kontrast dazu steht der Umgang mit dem Inhaber der Firma C. F. Titzck, dem ebenfalls die Beteiligung am Septembercorner vorgeworfen wurde. Dieser taucht aus nicht ermittelbaren Gründen ohne den typischen Vermerk ab 1890 nicht mehr im Mitgliedsverzeichnis auf.
173 174 175 176
Vgl. StAHH, Bestand 314–1, Signatur BVIII, Nr. 19. Zum Septembercorner vgl. StAHH Bibliothek, Signatur A 910/93, Kapsel 1 Vg A 914. BEK, St. Pr. (1893), S. 2109. Vgl. zu Schmidts Rolle beim Septembercorner BEK, St. Pr. (1893), S. 2262. Zu Theodor Schmidt vgl. die Angaben in Prosopografie: Kaffeehandelsunternehmen in Hamburg.
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Versucht man nachzuvollziehen, was zu der unterschiedlichen Behandlung der beiden Vereinsmitglieder geführt hat, tritt einem Titzck in den Protokollen der Generalversammlung als Querulant entgegen. Kein anderer Kaffeehändler hatte in den ersten zwei Jahren nach Vereinsgründung so viele Eingaben mit Veränderungswünschen und Kritikpunkten an den Vereinsvorstand gerichtet. Zudem standen seine Vorschläge auch den persönlichen Interessen der Vorstandsmitglieder entgegen.177 Dass er mit dem Septembercorner in Verbindung gebracht wurde, ist aber erstaunlich, da aus den Zirkularen seiner Firma an seine Geschäftspartner hervorgeht, dass Titzck kurz vor dem Höhepunkt des Corners keine Geschäfte mehr abschloss und auch seinen Geschäftspartnern davon abriet: „Ich ersuche Sie, mir keine Aufträge zu neuen Geschäften zu ertheilen. Die Vorgänge der letzten Woche sind so im Widerspruch mit meinen Grundsätzen und mit dem, was ich […] unter einem legalen Handel verstehe.“178 Mit seiner Kritik an den Geschäftspraktiken an der Terminbörse war Tizck in der Minderheit. Dies zeigen die letzten Geschäftszirkulare seiner Firma kurz vor und nach dem Septembercorner, deren Ton zunehmend verzweifelter wurde, bis er im letzten Zirkular die Liquidation seiner Firma verkündete, „da der Caffeehandel aus seiner regulären Bahn herausgedrängt ist und daher jedes Raisonnement zur Unmöglichkeit wird“.179 Titzck wusste, dass sich die neue Art und Weise, Geschäfte abzuschließen zu diesem Zeitpunkt gegen die aus seiner Sicht „regulären Praktiken“ durchgesetzt hatte und er mit seiner Haltung nicht weiterhin im Kaffeegroßhandel verbleiben konnte. Insbesondere seine öffentlichen Äußerungen hatten die betreffenden Vereinsmitglieder und ihr Gruppenethos stigmatisiert. Ein paar Monate später lebte er, wie der Börsen-Enquete-Kommission 1892 zu Protokoll gegeben wurde, „im Irrenhaus” und kam später „durch Selbstmord”180 um. 1892 verwendeten die Hamburger Kaufleute das Schicksal Titzck in der Öffentlichkeit als Beweis seines Hangs zu unlauteren Geschäften und seines unsoliden Charakters – und lenkten die Aufmerksamkeit damit von ihren Geschäftspraktiken ab. Außerdem sei der Rückzug beziehungsweise das Scheitern Titzcks eine folgerichtige Konsequenz gewesen, denn so sei es just nur denjenigen Unternehmen gegangen, die nicht die Fähigkeit gehabt hätten, sich an den Wandel im Kaffeegroßhandel anzupassen.181 Im Gegensatz zu derjenigen Titzcks war Schmidts Beteiligung bewiesen, doch sein Name fällt in den Vorstandssitzungen des Kaffee-Vereins im Zuge der Debatten 177 Vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 2, Bd. 1, außerordentliche Generalversammlung vom 10.10.1887. Hier wendet sich Titzck explizit gegen das Vorstandsmitglied August Riege. Eingaben an den Vorstand, vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 3, Bd. 1. 178 Zirkular der Firma C.F. Titzck, Bericht vom Sonntag, den 9.9.1888. 179 Ebd., Bericht vom Montag, den 10.9.1888. 180 BEK, St. Pr. (1893), S. 2157. 181 BEK, St. Pr. (1893), S. 2094.
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über die Umstände des Corners nicht einmal. Sowohl die Definition von Fehlverhalten als auch die daraus zu ziehenden Konsequenzen für die Vereinsmitglieder konnten demnach durchaus unterschiedlich ausgelegt und/oder unterschiedlich gehandhabt werden. Da in anderen Fällen der Vorstand und seine Mitglieder – wie oben gezeigt – durchaus Fehlverhalten sanktionierten, liegt die Frage auf der Hand, warum dies im Fall Theodor Schmidts nicht geschah? Eine besondere soziale, wirtschaftliche oder politische Rolle im Verein oder in der Hamburger Wirtschaft und Politik hat Schmidt auf jeden Fall nicht gespielt.182 Es scheint also bei der unterschiedlichen Behandlung der beiden Kaufleute nicht um die jeweilige Person und etwaige Loyalitäten gegangen zu sein. Vielmehr muss unterschieden werden zwischen der theoretischen Ebene eines Leitbildes und den Anreizen für eine soziale Gruppe, es in einer konkreten Situation auch tatsächlich durchzusetzen. Entscheidend war nicht eine Kongruenz von wirtschaftsethischem Leitbild und individuellem Verhalten, sondern, ob die Person durch ihr Verhalten grundsätzlich die moralische und soziale Übereinstimmung bedrohte oder nicht. Dass Titzck sanktioniert wurde, lag nicht daran, dass er die Usancen nicht eingehalten oder die Tugenden des ehrbaren Kaufmanns missachtet hätte. Hier ging es vielmehr darum, über die Diskreditierung eines Kritikers die eigene Reputation nach außen zu verteidigen sowie mittels seines Ausschlusses institutionelles Vertrauen untereinander (wieder-)herzustellen. Titzck zu sanktionieren schuf für die Mehrheit die Gewissheit, zukünftig Geschäfte in ihrem Sinne durchführen zu können. Die Basis der Sanktionsmaßnahmen bildete im Fall der Hamburger Kaffeegroßhändler also nicht das Leitbild des „ehrbaren Kaufmannes”. Im Gegenteil, die Mehrheit der Kaufleute schuf durch ihre Handlungen an der Terminbörse neue Verhaltensweisen. Gerade der Verweis auf die quasi ubiquitär gültigen, ahistorischen Kategorien der im Leitbild des „ehrbaren Kaufmannes“ versammelten Tugenden verschließt den Blick auf den Wandel von Verhaltensweisen im Marktgeschehen selbst. In Anlehnung an Hansjörg Siegenthaler sollte eher davon ausgegangen werden, dass ein primäres Ziel des einzelnen Akteurs seine Nutzenmaximierung darstellt, er also rational handelt.183 Da er dieses Ziel nicht isoliert erreichen kann, ist er angewiesen auf Vertrauensbeziehungen. Siegenthaler verweist explizit auf den permanenten Wandel 182 Es finden sich zumindest keinerlei Hinweise auf Ämter im Verein, der Selbstverwaltung der Hamburger Wirtschaft oder den politischen Institutionen der Hansestadt. Den einzigen Posten hatte Schmidt als Vorsitzender der Warenliquidationskasse. Diesen musste er allerdings im Zuge des Septembercorners abgeben, vgl. Jahres-Bericht der Waren-Liquidations-Casse in Hamburg, Hamburg 1 (1889). Im Folgenden abgekürzt mit Bericht Liquidationskasse und in Klammern der / die entspreche(n) Jahrgang / Jahrgänge. Das erste Geschäftsjahr der Kasse ging von Juni 1887 bis Dezember 1888. 183 Vgl. Siegenthaler (1993), S. 11–21.
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solcher Beziehungskonstellationen, in die sich der Einzelne begibt: „Er gliedert sich ein in ein soziales Netzwerk, bestimmt sich selber neu in seiner Person als ein Aktor, der Vertrauen setzt in andere, der andere versteht, sich mit ihnen verständigt, dem andere vertrauen gerade deshalb, weil er in neue, intersubjektiv verfügbare, für vertrauenswürdig gehaltene kognitive Regeln hineinwächst.“184 Die Rationalität des Akteurs ist somit begrenzt durch kognitive Regelsysteme sowie internalisierte Gebots- oder Verbotsnormen, welche sich im Verständigungsprozess verändern. Auch wenn sich grundlegende gesellschaftliche Normen und Werte nur sehr langsam wandeln, sind die Konventionen, die eine soziale Gruppe integrieren, historisch variabel und keine anthropologischen Konstanten.185 Wie das Beispiel der Hamburger Kaffeegroßhändler zeigt, bedarf es manchmal lediglich einer Mehrheit, damit sich im Verlauf der Zeit die Maßstäbe für inakzeptable und akzeptable und auch für rationale und irrationale Verhaltensweisen verschieben. In dem Corner-Fall wandelten sich auch die Konventionen für die Geschäftsausübung, und was ehemals als Fehlverhalten galt, wurde nun nicht mehr unbedingt als sanktionsbedürftig angesehen, ebenso wie normkonformes Agieren nicht unbedingt sozial akzeptiert blieb. Für den Kaufmann, der sich im Sinne bisheriger Geschäftskonventionen zwar rational verhielt, dessen Handlungen aber nicht mehr konform zu denen der Mehrheit der Marktteilnehmer waren, hatte dies den Rückzug aus dem Kaffeegroßhandel oder sogar ökonomisches Scheitern zur Folge. Für ihn bestand kein Zugang mehr zur Mehrheit der Marktteilnehmer. Für diese waren seine Verhaltensweisen rational nicht mehr nachvollziehbar, und es wäre für sie irrational gewesen, mit ihm Geschäfte abzuschließen. Die verschiedenen Mechanismen der Vertrauensgenese ermöglichten die Koordinierung von Interessen bei gleichzeitiger Konkurrenz, da sie konkrete Wettbewerbsvorteile für den Einzelnen generierten. Die Übereinkunft über die moralischen Standards war damit aber nicht zementiert, sondern musste je nach Situation und Akteur ausgehandelt werden, um die soziale Integration zu wahren.186 Hergestellt und verstetigt wurden die sozialen Verhaltensweisen in der alltäglichen Interaktion im Rahmen der Vereinsöffentlichkeit am Sandthorquai. Im Geschäftsalltag der Kaffeehändler fand ein permanenter Austausch statt.187 Jeden Tag, 184 Ebd., S. 11. 185 Vgl. Siegenthaler (1993), S. 29 f. und S. 35. Zu kognitiven Regelsystemen vgl. S. 42– 61. 186 Insbesondere in den ersten Jahren tagte der Vorstand monatlich, teilweise wöchentlich, und es mussten häufig außerordentliche Generalversammlungen einberufen werden – ein Indiz für die Notwendigkeit, die generellen Richtlinien und das Verhalten der Akteure immer wieder fein aufeinander abzustimmen, vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 2, Bd. 1 und Signatur 3, Bd. 1. 187 Vgl. Deutschmann (1918), S. 25–27; A. Klaussmann, An der Hamburger Kaffeebörse, in: Die Woche, 22.4.1904, S. 5.
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außer am Sonntag, verbrachten die Kaffeegroßhändler, Makler und Agenten bis zu 15 Stunden188 gemeinsam in dem auf Initiative des Kaffee-Komitees nach Plänen von Hanssen & Merwein erbauten Gebäudekomplex am Sandthorquai. Hier befanden sich die Kaffeebörse, das Schiedsgericht, die Vereinsräume, die Büros und die Lagerräume der Mehrheit der am Kaffeehandel beteiligten Unternehmen.189 Die Gebäudeteile wurden durch Treppenhäuser und einen auf jeder Etage durchgehenden, innen liegenden Flur verbunden. Von diesem nach Süden und Norden abgehend lagen nebeneinander die Büros der Firmen. Sie waren 24,6 bis 111 Quadratmeter groß und die Firmen unterteilten sie je nach Bedarf mit hölzernen Trennwänden, in die Glasscheiben eingesetzt waren.190 Das Zentrum des Gebäudekomplexes war die Hausnummer 14/17, hier befanden sich der Börsensaal und auf der Nordseite die Maklerbüros, „die wie Bienenzellen um das Treppenhaus geordnet sind“. Doch auch die übrigen „Contore und Musterzimmer [waren J. R. ] meist klein, nur mit den nothwendigsten Utensilien ausgestattet und des guten, ruhigen Lichtes wegen alle nach Norden gelegen. Schreibtische, Stühle, ein Canapé, Regale bilden den ganzen Hausrath. An den Wänden Karten von Brasilien. Courszettel, Placate. Am Fenster ein breiter Auslegetisch, auf dem die blauen Düten, die Blechdosen sich zu Dutzenden häufen.“191
Der Geschäftsalltag im Hamburger Kaffeegroßhandel spielte sich tagtäglich nach einem gleichen Muster ab: Von acht bis neun Uhr besuchten die Makler und Agenten die Importeure, Exporteure und Kommissionäre, um ihnen Offerten zu machen.192 188 Vgl. Arbeitskreis Rohkaffeefreunde (1996), S. 14. 189 Zwischen dem Jahr der Fertigstellung des Sandthorquais 1888 und 1914 hatten 244 Firmen ihre Büros für mehr als ein Jahr am Sandthorquai, 88 Firmen nicht. Bei 18 Unternehmen ist keine Adresse ermittelbar. 190 Vgl. Arbeitskreis Rohkaffeefreunde (1996), S. 26. 191 Alberti (1900), S. 30 f. 192 Zum Alltag der Hamburger Kaffeehändler vgl. Alberti (1900); Klaussmann (1904); Findeisen (1917), S. 67; Deutschmann (1918), S. 25–27; Arbeitskreis Rohkaffeefreunde (1996) und die verschiedenen Berichte der Sachverständigen aus Hamburg vor der Börsen-Enquete, vgl. BEK, St. Pr. (1893). Der Hamburger Großhandel und seine Geschäftsorte wie die Allgemeine Börse und auch das Gebäude am Sandthorquai waren ganz der Vorstellung von der bürgerlichen Geschlechterrollen entsprechend Männern vorbehalten. Auch die seriellen Büroarbeiten führten männliche Angestellte aus. Für eine „besondere Überraschung“ sorgten daher 1904 die ersten zwei Stenotypistinnen am Sandthorquai. Da die von allen bisher genutzten gemeinsamen Sanitäranlagen nur auf das männliche Publikum ausgerichtet waren, musste die HFLG „im Haus Nr. 23 die ersten Damentoiletten für teures Geld einbauen“. Zitate in: Arbeitskreis Rohkaffeefreunde (1996), S. 28. Nur innerhalb der Kaffeebearbeitung, im Sortieren und Auslesen der Bohnen waren Arbeiterinnen beschäftigt, vgl. Eckstein (1906), Bericht über die Firma Hanssen & Studt.
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Sie betrafen zumeist eine genau bestimmte Sorte, Qualität and Menge und blieben in der Regel sechs Stunden gültig. Von neun Uhr bis halb eins war Börsenzeit im Saal im Erdgeschoss. Hier wurde gehandelt, wurden Informationen ausgetauscht und wichtige Depeschen vorgelesen.193 Um kurz nach ein Uhr brach man anschließend zur Allgemeinen Hamburger Börse auf. In einer für den Kaffeehandel ausgewiesenen Ecke fanden bis vier Uhr weitere Geschäfte statt. Der letzte gemeinsame Termin war wieder allein den Kaffee-Vereinsmitgliedern vorbehalten: Von fünf bis sechs Uhr nachmittags traf man noch einmal im Börsensaal im Kaffee-Verein zusammen. Sonnabends fanden Börsengeschäfte von neun Uhr bis halb eins am Sandthorquai und von halb zwei bis zwei Uhr in der Allgemeinen Börse statt.194 Die Zeit vor und nach dem mittäglichen Börsenbesuch und nach sechs Uhr abends nutzten die Importeure, Makler und Agenten, um ihre jeweiligen dritten Geschäftspartner im Ausland oder Binnenhandel zu kontaktieren.
Bild 1–4 im Uhrzeigersinn Der Gebäudekomplex des Kaffeegroßhandels am Sandthorquai, der Börsensaal des Kaffeevereins, die Importfirma Brunswick & Co. und ihre Mitarbeiter in ihrem Büro am Sandthorquai, Börsensaal während der Geschäftszeiten
193 Vgl. Schönfeld (1903), S. 114. 194 Vgl. u. a. Alberti (1896), S. 322.
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Ein traditionelles Informationsmedium stellten die Geschäftszirkulare der Firmen dar, welche täglich auf etwa einer Briefseite die Marktlage schilderten und Offerten enthielten.195 Doch schon Anfang der 1890er Jahre war die Kontaktpflege per Telegraf oder Telefon üblicher. Die Kursnotierungen und Berichte über das Kauf- und Verkaufsverhalten wurden telefonisch durchgegeben und zumeist mittags oder am Abend Absprachen mit den Kunden über die nächsten Verkaufs- oder Ankaufsoptionen für die Nachmittags- respektive Vormittagsbörse getroffen.196 Für die konkrete Einleitung von Geschäftsabschlüssen im internationalen Handel hatte das im Vergleich mit den neuen Kommunikationstechnologien zu langsame Medium des Geschäftszirkulars seine Bedeutung verloren. Zudem übernahmen die Zeitungen dessen Funktion als mittelfristiger Informationsträger für Preisentwicklungen und den Stand der zu erwartenden Ernten. Allein als Mittel der Kontaktpflege nutzten es die Hamburger Firmen weiterhin. Dem Problem von Informationsasymmetrien über die aktuelle Marktlage, die aus der Unkenntnis über abgeschlossene Geschäfte anderer Hamburger Unternehmen auch innerhalb der Reihen des Vereins entstehen konnten, begegnete der Verein, indem er die Praxis der öffentlichen Ausrufung an der Börse einführte. Jeder potentielle Verkäufer hatte sein Angebot und den dafür geforderten Preis durch einen Makler laut ausrufen zu lassen, ebenso wie jeder potentielle Käufer sein Interesse mittels Makler laut bekunden musste. In der Praxis riefen die Makler die Kurse und die Angebote (B = Brief ), den dafür gebotenen Preis (G = Geld) und nach einer Einigung den abgeschlossene Preis (Bz = bezahlt) aus. Durch die Anwesenheit aller Vereinsmitglieder im Börsensaal konnte sich jeder ein Bild über die Marktlage zu einzelnen Provenienzen und ihrer Preisentwicklung machen. Nach Aufruf aller zwölf Monate und sämtlicher dort getätigten Geschäfte ohne Widerspruch durch Dritte notierten die Makler das jeweils erste und letzte Geschäft der Vormittags- und Nachmittagsbörse als Marktpreis.197 Anschließend unterschrieb ein Vorstandsmitglied die Kursnotierungen vor allen Börsenteilnehmern, um sie danach erstens durch Aushang von gedruckten Preislisten in der Kaffeebörse bekannt zu geben und sie zweitens für eine Veröffentlichung in den Tageszeitungen weiterzureichen. Diese ungewöhnliche Praxis der öffentlichen Kontrolle198 befand sogar Alexander van Gülpen, ein ansonsten starker Kritiker der Hamburger Praktiken, vor der Börsen-Enquete als positiv, denn „in Hamburg kontrolliert dann stets die Kon-
195 Vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 11, Bd. 1. 196 Vgl. BEK, St. Pr. (1893), S. 2176–2179, S. 2193. 197 Zum System der Kursfeststellung vgl. ebd., S. 2140–2143; Deutschmann (1918), S. 27, Schönfeld (1903), S. 95; Norden (1910), S. 152–154. 198 Allein die New York Börse praktizierte auch dieses Verfahren bei der Kursfeststellung, genannt „Public call“, vgl. auch zu den anderen Börsen, Norden (1910), S. 156–160.
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kurrenz den Einzelnen“.199 Der permanente Austausch und Kontakt an einem Ort und die meisten Stunden des Tages sogar in einem Raum schuf unter den Vereinsmitgliedern eine kontrollierte Öffentlichkeit. Sie ermöglichte sowohl ein gegenseitiges Beobachten als auch die Kooperation von an sich konkurrierenden Unternehmen. Dies war nicht eine zufällige Folge von gemeinsam verbrachter Zeit, sondern wurde vom Verein, wie in Äußerungen wie der van Gülpens deutlich wird, auch explizit angestrebt. In der Konfrontation von individuellen Interessen der einzelnen Händler und des gemeinsamen Interesses des Vereins war es immer öfter das letztere, dem die im Kaffee-Verein verbundenen Unternehmer den Vorrang einräumten, um angesichts der veränderten Handelsbedingungen ihre wirtschaftliche Existenz zu sichern. 3.2.2 Information und Kooperation
Besonders seit der Etablierung von Termingeschäften benötigte ein Kaffeegroßhändler, um erfolgreich im globalen Handel zu agieren, neben dem allgemeinen Wissen über Anbau und Handelsmechanismen spezielle Informationen über die Marktlage wie zum Beispiel Schätzungen der kommenden Ernten, zu lagernden Weltvorräten und über die zu erwartende Nachfrage von den Groß- und Detailhändlern im Inland. Eine Nachricht über die kommende Ernte oder die Höhe der lagernden Vorräte konnte im System des weltumspannenden Terminhandels massive, kurzfristige Preissteigerungen auslösen oder Preisverfall hervorrufen. Zu welchem Zeitpunkt und in welchen Mengen ein Kaffeegroßhändler welche Qualität kaufte oder verkaufte, war somit so entscheidend wie nie zuvor. Damit hing die Preisbildung auf dem Weltkaffeemarkt und bei einzelnen Abschlüssen also nicht nur von (erwarteter) Nachfrage und (tatsächlichem) Angebot an greifbarer Ware ab, sondern in hohem Maße auch von täglich sich ändernden Markteinschätzungen.200 Aus der Perspektive des Kaffeegroßhändlers am Seeplatz wurde es damit „eine Lebensfrage für das Geschäft, dass es eine außerordentlich schnelle Beweglichkeit darstellt“.201 Sowohl in der nationalen als auch in der internationalen Fachpresse fanden sich zunehmend Informationen über die politischen Verhältnisse der produzierenden Länder und auch Erntestatistiken. Fachmagazine wie Der Tropenpflanzer berichteten ausführlich über den Zustand der einzelnen Kaffeepflanzungen sowie über die zu erwartenden Veränderungen von Bodenverhältnissen auch im Hinblick auf die Wirksamkeit von aktuell praktizierten Innovationen bei An-
199 BEK, St. Pr. (1893), S. 2175. Alexander van Gülpen war Teilhaber der Binnengroßhandelsfirma Lensing & van Gülpen am Niederrhein in Emmerich, gegründet 1832. 200 Vgl. Kranke (1928), S. 77–83. 201 Robinow BEK, St. Pr. (1893), S. 2111 f.
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bau und Pflege der Kaffeesträucher.202 Doch die Masse der Informationen an sich war wenig ausschlaggebend, „weil die Mittheilungen, die jetzt durch die Presse gehen, absolut unzuverlässig sind. […] gerade in kaufmännischen Kreisen [hat] man nach der Einführung des Terminhandels das Bedürfnis nach einer zuverlässigeren Information“.203 Für die Hamburger Kaffeehändler stellte sich daher das Problem, wie sie zeitnah an vertrauenswürdige Informationen kommen konnten, aus denen die konkreten Handelskonditionen, die weltweiten Ernteprognosen und das Verhalten anderer Kaffeegroßhändler an den Seeplätzen und Börsen hervorgingen. Angaben über Verlade- und Transportkosten, Zustand der Lager und Schiffe sowie Diskontsätze und Wechselkurse waren die wichtigsten Informationen für einen konkreten Abschluss. Um die weltweiten Verhältnisse auf den Plantagen beurteilen zu können, musste man über die Größe der Plantagen, die Anzahl der Bäume und ihr Alter, ihren Ort (Norden oder Süden und Höhenlage), Klima und kurzfristige Wetterdaten, über den aktuellen Verlauf von Blüte und Frucht, Verkehrsverhältnisse, soziale Lage der Plantagenbesitzer und ihrer Arbeiter sowie die politische Lage in den unterschiedlichen Anbauländern Bescheid wissen. Zusätzlich benötigte ein Kaffeegroßhändler Informationen über das Geschäftsgebaren der Händler an den Verschiffungshäfen und über mögliche Spekulationstendenzen einzelner oder von Gruppen anderer Händler oder Börsenteilnehmer an den anderen Handelsplätzen. Besonders im Hinblick auf Angaben über den Zustand und die Entwicklung der kommenden Ernten versuchten alle an der Wertschöpfungskette beteiligten Personen, Informationen so zu streuen, zu filtern oder zu formen, dass sie bei den Rezipienten zu für den jeweiligen Akteur möglichst gewinnbringenden Reaktionen führten. Neben Handelskonditionen und Anbauverhältnissen wurde zudem das psychologische Element der Preisbildung sichtbarer als bisher. Nicht allein auf Daten zu Angebot und Nachfrage beruhe nunmehr der Preis, und damit „nicht immer auf äussere[n] Momente[n], sondern häufig genug auf rein psychologischen des einzelnen Händlers, eventuell der ganzen Kaffeehandelswelt“.204 Die von allen Akteuren der Kaffeehandelskette aktiv geförderten spekulativen Preisbildungsmechanismen im Kaffeehandel, die schon bei der Blüte einsetzen, schildert Helmuth Schmolck in seinen Memoiren: „Die Freude des Finqueros [Besitzer der Kaffeeplantage] an der Blütenpracht ist von etwas materialistischer Art. Er macht ja nach dem Stand der Blüte einen zwar immer noch etwas spekulativen Ernteüberschlag, und diese Ernteschätzungen nach der Kaffeeblüte sind es, die schon lange vor 202 Vgl. Der Tropenpflanzer. Zeitschrift für tropische Landwirtschaft. Organ des Kolonial-Wirtschaftlichen Komitees, Berlin 1 (1897) – 47 (1944). 203 Gamp BEK, St. Pr. (1893), S. 2105. Ausführlicher dazu vgl. Handelskammer Hamburg (1889), S. 3. 204 Schönfeld (1903), S. 125.
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der Ernte den Weltmarktpreis beeinflussen.“205 Je nach dem Beitrag der Region zu der weltweit gehandelten Kaffeemenge übten diese Schätzungen einen erheblichen Einfluss auf den Weltmarktpreis aus – und waren doch, wie Schmolck kritisch vermerkt, vielfach notwendigerweise, nicht selten aus Kalkül oft unrealistisch. Es werde „geschätzt und geschätzt, bis ein Hagelschauer, Sturmwind, verfrühter Wolkenbruch oder zu große Trockenheit einen Strich durch die ganze Rechnung macht. In Brasilien arbeitet man auch noch mit Revolutionsgerüchten, um die bevorstehende Ernte möglichst klein erscheinen zu lassen und damit die Preise hoch zu halten.“206
All diese Faktoren führten, wie Tabelle 2 demonstriert, zu Schätzungen über die zukünftigen Ernten, die sich im Verhältnis zum tatsächlichen Ernteergebniss als recht ungenau erwiesen. Für den Terminhandel und die an den Terminbörsen abgeschlossenen Geschäfte bildeten die Schätzungen über die brasilianischen Ernteergebnisse die Grundlage aller Abschlüsse. Wie schwierig es gewesen sein dürfte, realistische Schätzungen abzugeben, weil die Erntehöhe aus verschiedensten Gründen erheblichen Schwankungen unterworfen war, ergibt sich zusätzlich aus Tabelle 3 über die Ernteerträge der Jahre 1890 bis 1930. Tabelle 2 Schätzungen und Erträge der Ernten in Brasilien in Mio. Sack à 60 kg207 1896/97
1897/98
1898/99
1899/1900
1900/01
1901/02
1. Taxe
7.25–8
6–6.5
7–9.5
9.5–10.25
8.75–9.25
12.25–13.25
2. Taxe
9–10
6.75–8
10–11
9–11
8.75–10.2
13–14
Ernte
8.68
10.46
8.77
8.97
10.9
15
Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts unterschieden sich die Erntemengen der einzelnen Jahre um bis zu 648 Tausend Tonnen. Zur Verdeutlichung: Allein die Differenz zwischen der niedrigsten und der höchsten Ernte in jenem Jahrzehnt umfasste knapp 11 Prozent mehr Rohkaffee als den gemeinsamen Bedarf von USA und Deutschland, wo allein knapp 70 Prozent der ermittelbaren Welterträge in diesem Jahrzehnt nachfragt wurden.208 205 Schmolck (1951), S. 90 f. 206 Ebd., S. 91. 207 Die Daten finden sich in den Marktberichten von Duuring & Zoon, Amsterdam und sind auch mit den Hamburger Angaben identisch, vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 11. 208 Import abzgl. Reexporte USA 411,3 und Deutschland 183,3 Tausend Tonnen. Höhe der weltweit exportierten Mengen im Jahr 1906 857 Tausend Tonnen, vgl. Marktbericht W. Schöffer, Rotterdam und Duuring & Zoon, Amsterdam; Kurth (1909), S. 150.
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Tabelle 3 Schwankungen der Erntemengen in Brasilien in Mio. Sack à 60 kg209 Jahrzehnt 1890er
Ø Ernte
Höchste Ernte
Niedrigste Ernte
7.2
11.2
4.4
1900er
12.6
20.2
9.4
1910er
13.2
16
9.7
1920er
14.7
27.1
7.5
1930er
23.5
29.6
16.6
Mit den sich verändernden Preisbildungsmechanismen wandelten sich auch die Anforderungen an den Kaffeegroßhändler. 1896 formulierte Topolski etwas holzschnittartig, aber treffend, dass der europäische Kaffeegroßhändler am Seeplatz noch bis zu Beginn der 1880er Jahre „nichts weiter als der Vermittler zwischen Produzent und Konsument“ gewesen sei, dagegen „ist die Tätigkeit desselben jetzt eine ganz andere geworden“. Um im internationalen Kaffeehandel weiterhin erfolgreich zu agieren, könne nun der Einzelne „nicht mehr so mächtig wie früher sein. […] Er kann nicht mehr handeln, wie er will, sondern er ist gezwungen zu kooperieren.“210 Ab den 1870er Jahren standen durch mehr und schnellere weltweite Verkehrsverbindungen, statistische Erhebungen und die systematische Erforschung der Kaffeepflanze immer mehr Informationen zur Verfügung. Doch die Kosten (Kapital, Aufwand und Zeit), um diese Information zu erhalten und gewinnbringend auszunutzen, erforderte die Kooperation der Hamburger Kaffeegroßhändler mit weiteren Branchen. Hierin ist ein weiteres Ziel des Kaffee-Vereins zu sehen. Daher geht es im Folgenden um die Fragen, inwieweit und mit welchen Mitteln der Verein die lokale institutionelle Basis für das globale Agieren der Hamburger Unternehmen war. Welche Bedeutung kam dem Verein zu, „um Information […] in ihre Organisation zu lenken“211 und die im internationalen Kaffeehandel notwendigen Kooperationen mit Dritten einzugehen? Wie die vorhergehenden Kapitel gezeigt haben, spielte der Verein eine entscheidende Rolle bei der Herstellung von Wettbewerbsvorteilen für den Standort Hamburg und die hier tätigen Vereinsmitglieder. Trotz interner Konflikte und Problemen bei der Abwägung zwischen der Orientierung an gemeinsamen Werten und dem individuellen Vorteilsstreben erwiesen sich die geschaffenen Strukturen und Institutionen als äußerst stabil und beständig. Dabei spielten der persönliche Kontakt und die tägliche 209 United States Federal Trade Commission (Hg.), Economic Report of the Investigation of Coffee Prices, Washington 1954, S. 20. 210 William Tapolski, Der Kaffeeterminhandel, Hamburg 1896, S. 17 f. Die gleiche Argumentation findet sich auch im Bericht des deutschen Generalkonsuls von Triest vom 22.12.1891 an das Auswärtige Amt, in: StAHH, Bestand 371-8 II, Signatur S XIX C 5.4 a, o. P. 211 Casson (2001), S. 525.
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Interaktion eine entscheidende Rolle für die moralische und soziale Übereinstimmung der Vereinsmitglieder. Konstituiert, reproduziert und gefestigt wurden die Normen und Werte durch persönliche nonverbale und verbale Kommunikation. Der Verein als unternehmerisches Netzwerk war demnach besonders erfolgreich, weil er auf engen Beziehungen fußte. Mark Granovetter bewertet enge Beziehungen in Netzwerken aber als durchaus nachteilig für die Position eines Akteurs im Gesamtnetzwerk, da diese besonders viel Aufmerksamkeit benötigten.212 Die Bedeutung eines Netzwerkes für die Unternehmung liegt demnach nicht nur in der Anzahl der Kontakte, sondern auch in ihrer Qualität sowie in dem Verhältnis zwischen ihrem Nutzen und dem Aufwand für ihre Herstellung und Erhaltung. Diese konzeptionellen Überlegungen Granovetters lassen vermuten, dass das Organisationsprinzip des Vereins, welches auf engen und aufmerksamkeitsintensiven lokalen Beziehungen der Mitglieder basierte, zugleich ein retardierendes Element für die Handlungsfreiheit der Akteure darstellte. Absorbierte es die Aufmerksamkeit seiner Mitglieder so sehr, dass es im Hinblick auf die Kooperationen mit Dritten zu einem Nachteil wurde? In welcher Weise der Verein strategische Netzwerke im Sinne der Bedürfnisse seiner Mitglieder knüpfte, somit Kooperationen und Handelsbeziehungen mit Dritten, wie staatlichen Institutionen und anderen Branchen, förderte, wird im Folgenden an drei Beispielen diskutiert: dem Aufbau eines Informationsnetzwerkes, den Handelsbeziehungen mit Guatemala und der Kooperation mit Hamburger Reedereien. Der Hamburger Verein etablierte sofort nach seiner Gründung einen umfangreichen Informationsdienst.213 Als eine seiner ersten Aktionen schloss der KaffeeVerein 1886 ein Abonnement mit der Nachrichtenagentur Jones in London ab, welches die telegrafische Übermittlung von Informationen über die Entwicklungen an den wichtigsten Handelsplätzen und in den Anbauländern zum Gegenstand hatte. Neben den Nachrichtenbüros orderte der Verein zusätzlich Telegramme von Unternehmen an den Börsenplätzen und allen weltweit wichtigen Import- und Exporthäfen. Zudem richtete er Depeschenübermittlungen zwischen den einzelnen Marktplätzen über die Kursentwicklungen im Terminhandel ein. Übermittelt wurden die Kursnotierungen zum Beispiel zwischen Hamburg und Le Havre täglich um zehn und zwölf Uhr, um halb drei und um halb sechs.214 Die Kosten für das Abonnement und die Depeschen überstiegen den finanziellen Rahmen des Vereins und zwangen 212 Vgl. Mark Granovetter, The Strength of weak Ties, in: American Journal of Sociology 78 (1973) 6, S. 1360–1380. Ein Überblick über Netzwerkansätze auch unter dem Aspekt der Effizienz von Netzwerken in der Organisationsforschung bei Dorothea Jansen, Netzwerkansätze in der Organisationssoziologie, in: Allmendinger und Hinz (2002), S. 89–118. 213 Vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 2, Signatur 3, und Signatur 11, Bd. 1–5. 214 Vgl. ebd., Signatur 3, Bd. 1, Vorstandssitzung vom 14.2.1887, 22.2.1887, 27.1.1888, 13.4.1888, 19.10.1888, 31.10.1888, 18.1.1889.
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den Vorstand, den Mitgliedsbeitrag ab dem Jahr 1888 von 100 Mark auf 150 Mark zu erhöhen.215 1890 wechselte der Verein aus Unzufriedenheit mit der Zuverlässigkeit der Firma Jones zu der Nachrichtenagentur Reuters.216 Beide Unternehmen beschuldigten sich daraufhin gegenseitig, „veraltete“ Nachrichten zu übermitteln. Deshalb beschloss man, von beiden Agenturen Nachrichten zu beziehen, „um durch die Konkurrenz die Unternehmen zur besseren und billigeren Berichterstattung anzuspornen“.217 Reuters und Jones senkten daraufhin ihre Preise und der Verein behielt weiterhin beide Abonnements, schloss aber in den folgenden Jahren zusätzliche Verträge mit der Agence nationale in Paris, dem Commercial Telegram Bureau, Wolff ’s Telegraphischem Bureau in Berlin und London sowie der Continental Telegraph Company in New York ab.218 Die allen Kaffeegroßhändlern zugänglichen Nachrichten erhielt der Vorstand des Vereins telegrafisch mittels standardisierter Codes. Neben den Privatcodesystemen der einzelnen Firmen wurde in Hamburg, um die Kosten zu verringern, auf das 1906 eingeführte „Vollers 12 Finger-System“ der Hamburger Firma R. Vollers zurückgegriffen. Es basierte auf zehn Code-Buchstaben, die in Kombination mit zwölf Zahlen und ihrer Position in der Nachricht mittels einer zugehörigen Tabelle entziffert werden konnten.219 Ein bis zwei Tage verzögert erschien ein Teil der Informationen zusammengefasst in den Tagesberichten zum Hamburger Kaffeemarkt.220 Im Jahr 1891 belief sich die Summe, die der Verein für den Bezug von Informationen ausgab, auf 22.253 Mark.221 Trotz kontinuierlicher Ausweitung der Abonnements verringerten sich aufgrund von sinkenden Kosten für Nachrichten und Telegrammdienste die Ausgaben in den folgenden Jahren leicht, sie lagen zum Beispiel 1911 bei 17.019 Mark.222 215 216 217 218 219
220 221 222
Vgl. ebd., Vorstandssitzung vom 22.2.1887. Vgl. ebd., Vorstandssitzung vom 30.12.1889. ebd., Signatur 2, Bd. 1, Generalversammlung vom 7.3.1891. Sowohl Wolff`s als auch die Continental Telegraph Company wurden während der Bezugsdauer des Abonnements außerordentliche Mitglieder des Vereins ohne Stimmrecht auf der Generalversammlung, vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 4. Vgl. Zimmermann (1969), S. 119. Daneben verfügten einige Firmen über eigene Telegrammcodes. Das Privatcodesystem der Firma Theodor Wille ermöglichte es, „mit einem einzigen Kabelwort dem Käufer Sackzahl, den Typ, die Bohnengröße, Farbe, den Rost und die Geschmacksbeschreibungen sowie die Hafenbestimmung, Lieferzeit und den Banker“ zu übermitteln, Zimmermann (1969), S. 119; E. Wolfram, Einiges über Privatcodes im Telegrammverkehr, in: Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis 1 (1908) 7, S. 254–279. Vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 10, Tagesberichte zum Hamburger Kaffeemarkt. Von 1887 bis 1892 erschienen zusätzlich abends um acht Uhr die von der Firma J.W. Boutin & Co. verfassten „Caffee-Berichte“, vgl. ebd., Signatur 11, Bd. 1–6. Vgl. ebd., Signatur 2, Bd. 1, Abrechnung des Jahres 1891. Vgl. ebd., Abrechnung des Jahres 1911.
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Zu diesem sich kontinuierlich ausdifferenzierenden Informationssystem gehörten auch staatliche Institutionen. Ab 1890 begannen die deutschen Konsulate erst zögerlich, aber im Laufe der folgenden Jahre dann zumindest monatlich und im Falle Brasiliens sogar wöchentlich, die deutschen Kaffeegroßhändler mit Informationen über die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse der jeweiligen Länder zu versorgen.223 Die Bedeutung der Konsulatsberichte für die Vereinsmitglieder lag in ihrer Korrektivfunktion für Informationen aus anderen Quellen. Nicht selten vermeldeten die Pflanzer zum Beispiel Frostschäden, um die kommende Ernte möglichst niedrig erscheinen zu lassen und den Preis damit zu steigern.224 Hier stellten die Berichte der Konsulate eine zweite und vor allem vertrauenswürdigere Quelle dar. Zunehmend enthielten die Berichte nicht nur Angaben über die Größe der Pflanzungen, über Wetterbedingungen und erwartete Erträge, sondern auch Informationen über das handelspolitische Taktieren und Agieren der jeweiligen Regierungen sowie über die Interessen und Strategien von Firmen, die nicht deutsch und damit potentielle Konkurrenten waren. Genaue Beschreibungen über das Verhalten von Kaffeehandelsunternehmen zum Beispiel mit Sitz in London erhielten die Hamburger Kaffeehändler nicht allein vom Londoner Konsulat, sondern auch aus Rio de Janeiro, New York, Singapur und Kalkutta. Über die vor allem in den ehemaligen französischen Kolonien aktiven Kaffeehandelsunternehmen Le Havres berichteten detailliert die deutschen Konsulate in Frankreich und Port au Prince (Haiti).225 Für den Kaffeegroßhandel besonders relevante Entwicklungen erschienen außerdem in den Berichten fast aller Konsulate. Über die Bildung einer brasilianischen Kommission zur Abschaffung des europäischen Zwischenhandels finden sich zum Beispiel nicht weniger als 38 Berichte aus 18 Konsulatsstandorten. Auch über einzelne handelspolitische Strategien dritter Nationen wie der USA berichteten fast alle deutschen Konsulate.226 So erhielten die Kaffeehändler nicht nur Informationen über eine Entwicklung an 223 Maßgeblich für die neue Ausrichtung der Konsulatsberichte auch auf die Wirtschaftsund Handelspolitik war eine Anweisung Bülows, vgl. Gerhard Brunn, Deutschland und Brasilien 1889–1914, Köln und Wien 1971, S. 67 f. Zu den Berichten vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 266–281. Die Berichte wurden in Berlin im Auswärtigen Amt ausgewertet und Informationen daraus an den Hamburger Kaffee-Verein und nach Anfrage an weitere Interessierte versandt; z. T. finden sich die Berichte in Abschrift aber auch ungekürzt in: StAHH, Bestand 371-8. 224 Vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 268, Bl. 57. 225 Vgl. ebd., Signatur 266, Bd. 1, Bl. 32–36; RS Foreign office, Miscellaneous Series, No. 255: Report on subjects of general and commercial interest: Guatemala. Report on the Coffee Industry of Guatemala, London 1892. Über die Interessen der britischen Firmen in Guatemala finden sich in den folgenden Jahren wiederum Berichte aus Singapur und New York. 226 Zusammenfassungen z.T. in: ebd., Signatur 8079; Abschriften z.T., in: StAHH, Bestand 371-8, Signatur SXI XC.30.2, SXI XC 22.2.3, SXIX C.5.4.a.
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sich, sondern auch Einschätzungen der weltweit verstreuten Konsulate darüber, wie sich die von ihnen beobachteten Interessengruppen verhalten würden. Die Berichte der deutschen Konsulate aus den Kaffee anbauenden oder im Kaffeehandel stark engagierten Ländern sowie von den wichtigsten Handelsplätzen konnten für die Vereinsmitglieder die Informationen der eigenen telegrafischen Nachrichtendienste und sonstigen Informationsquellen ergänzen und korrigieren und schufen den Hamburger Kaffeegroßhändlern damit weitere Informationsvorteile.227 Dass die Konsulate den Kaffee-Verein auf dessen Nachfrage mit Informationen versorgten, könnte daran gelegen haben, dass die staatlichen Institutionen ihrerseits an guten Beziehungen interessiert waren, weil sie auch von hohen Informationsstand des Kaffee-Vereins profitierten. Dies kann jedenfalls sehr deutlich bei einer Anfrage des Auswärtigen Amtes an den Verein beobachtet werden: 1900 lief der Handelsvertrag Frankreichs mit Venezuela aus, der steuerliche Begünstigungen für französische Firmen vorsah. Potenzieller Interessent an einer Übernahme dieses Vertrages waren die USA. Auf eine Anfrage des Auswärtigen Amtes an die Handelskammer Hamburg, ob Deutschland Interesse an einer Übernahme des Vertrages anmelden sollte, antwortete im Auftrag der Handelskammer der Kaffee-Verein. Er riet von einem Übernahmeversuch ab, da nach Auskunft des Vereins die Verhandlungen zwischen den USA und Venezuela schon weit fortgeschritten seien und man zudem durch eine US-amerikanische Vertragsübernahme ausreichend profitieren könnte, ohne Handelszugeständnisse machen zu müssen. Zwar werde der Kaffeeexport von Venezuela in die USA stark steigen, aber gleichzeitig auch der direkte Import nach Hamburg zunehmen, zuungunsten Frankreichs: „So greifen die vielfach verschlungenen Handelsbeziehungen ineinander und der von einer Massregel erwartete Erfolg wird von anderen Einflüssen und geschäftlichen Kombinationen parallelisiert. Immerhin kann von dem besprochenen Vorgange eine Vermehrung der direkten Einfuhr venezuelanischen Kaffees auch für Deutschland und speziell für Hamburg wohl erwartet werden und dürfte es auch namentlich eine Aufgabe der Reedereigesellschaften sein, ihre Dispositionen danach rechtzeitig zu treffen, was ohne Zweifel auch geschehen wird.“228
Da es seine Informationen aus einer Vielzahl von Quellen bezog, erwies sich das Informationsnetzwerk des Vereins effizienter als dasjenige des Auswärtigen Amtes. Auch stellten die Konsulatsberichte – für das Auswärtige Amt quasi die einzige Informationsquelle –, da sie in der Regel postalisch übermittelt wurden, ein sehr lang227 Wobei es weiterer Forschungen bedarf, um zu klären, ob nicht die britischen und/oder US-amerikanischen Kaffeegroßhändler auch in diesem Ausmaß auf staatliche Informationen zurückgreifen konnten. Hierüber findet sich kein Hinweis in der Sekundärliteratur. 228 StAHH, Bestand 371-8 II, Signatur S XIX B 74, Bd. 1.
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sames Medium dar.229 Nachdem schon die Konsulate in Petrópolis (Brasilien) und New York vor Täuschungsversuchen brasilianischer Exporteure gewarnt hatten, berichtete auch am 4. Mai 1907 das deutsche Konsulat in den Niederlanden: „Wie verlautet, sollen aus Brasilien verschiedene, für Europa bestimmte Sendungen unterwegs sein, die ein Kaffeesurrogat, nämlich gebrannte und gemahlene Kaffeebohnenschalen enthalten. Unter dieser Sendung sollen sich auch einige Partien für Hamburg befinden.“230 Der Vorstand des Vereins hatte davon schon rund sechs Monate früher Kenntnis erhalten und daraufhin die Namen der entsprechenden Firmen, zudem vor Verladung der Bohnen, im Börsensaal am Sandthorquai ausgehängt.231 Hier schützte die Schnelligkeit der eigenen Informationsquellen die Importeure vor den im Lieferungsgeschäft möglichen Täuschungsversuchen und den daraus gegebenenfalls resultierenden Verlusten. Beruhte also der Hamburger Kaffee-Verein selbst auf sehr engen und teilweise intensiven Beziehungen zwischen seinen Mitgliedern, so konnte es sich der Verein als Ganzes erlauben, ein sehr breites und dabei lockeres Informationssystem aus einer relativ variablen Anzahl von losen Beziehungen aufrechtzuerhalten, das genau auf die Bedürfnisse der Hamburger Kaffeegroßhändler zugeschnitten war. Es bestand im Hinblick auf die Nachrichtenagenturen aus einer einseitigen Übermittlung von Informationen als Dienstleistung. Informationen als Ware wurden gegen Geld getauscht. Dies trifft im Hinblick auf die Art der Kontakte auch in großem Maße auf die Beziehung des Vereins mit dem Auswärtigen Amt zu, nur dass hier in Einzelfällen ein Austausch von Mitteilungen stattfand ohne Bezahlung. Allein die Summe der Informationen aus den verschiedenen Quellen, der Vergleich und die Gewichtung des Informationswertes der Nachrichten ermöglichten es den Vereinsmitgliedern, deren Aktualität und Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Hierbei kamen dem einzelnen Kaufmann seine aufwendige Ausbildung und seine Erfahrungen zugute. Das asymmetrische und lose Informationsnetzwerk des Vereins verringerte für die einzelne Unternehmung die Kosten der Informationsgewinnung. Eine Schwachstelle war trotz der Vielfalt der Quellen weiterhin die Qualität und Vertrauenswürdigkeit der Informationen. Diese durch die persönlichen Fähigkeiten des Unternehmers, aber auch durch seine individuellen Beziehungen zu ergänzen, konnte auch innerhalb des Vereins Konkurrenzvorteile bringen. Hier griffen viele Händler weiter auf die seit der frühen Neuzeit etablierte Praxis zurück, Nachrichten über Informanten zu beziehen, die als Korrespondenten und/oder Familienangehörige in einer persönlichen Beziehung zum einzelnen Unternehmer standen und sich durch eine kongruente Interes-
229 Vgl. BEK, St. Pr. (1893), S. 2106. Zu der zeitgenössischen Kritik an der Effektivität der Konsulatsberichte vgl. Brunn (1971), S. 624. 230 StAHH, Bestand 371-8 II, Signatur S XIX C 30.2. 231 Vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 3, Bd. 1.
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senlage auszeichneten.232 Um die Verlässlichkeit der Informationen zu gewährleisten, installierten die Kaffeehandelsfirmen dementsprechend Tochterunternehmen in den Anbauländern, deren Leitung nicht selten Familienmitglieder übernahmen, und kooperierten mit deutschen Firmen in Übersee.233 Ein weiteres Beispiel für die Stärkung ihrer wirtschaftlichen Position, die sich für die Hamburger Kaffeegroßhändler durch den Kaffee-Verein ergab und die zu einer starken globalen Verflechtung und Verbindung des Anbau- und Handelssektors führte, ist das Engagement von Hamburger Kaffeegroßkaufleuten in Guatemala.234 Um sich nicht völlig von den schwankenden Lieferungen und den Missernten Brasiliens abhängig zu machen, hatten die Hamburger Kaufleute schon in den 1880er Jahren begonnen, ihre Handelsbeziehungen zu Guatemala auszubauen. Vor allem die Ratschläge in den Konsulatsberichten zu möglichen Investitionen und Informationen über die Kreditverhältnisse der Pflanzer und mögliche Beteiligungen ermöglichten den Hamburger Kaffeekaufleuten darüber hinaus, gezielt an die betreffenden Unternehmen heranzutreten, um ihnen Kredite oder auch die Übernahme der Plantage anzubieten.235 Die Kredite waren eine Form der Beteiligung der Hamburger Kaffeegroßhändler an Kaffeepflanzungen. Auch durch den Erwerb von Land oder durch zu diesem Zweck in Hamburg gegründete Plantagengesellschaften sowie durch Vorabkauf von zukünftigen Ernten der von ihnen mit Krediten unterstützten 232 Die Firma Theodor Wille kooperierte zum Beispiel mit elf Unternehmen, die als Agenten und Korrespondenten (auf eigene Rechnung arbeitend) in 17 Städten und neun Ländern tätig waren. 233 Vgl. BArch, Bestand R 901, Signaturen 1200–1202, 5188, 5190. Zu ermittelten Niederlassungen und Tochterfirmen vgl. die Angaben in Prosopografie: Kaffeehandelsunternehmen in Hamburg. Nicht nur im Hinblick auf Informationsvorteile, Absatz- und Beschaffungserleichterungen, sondern auch für die Liquidität der Hamburger Unternehmen spielten die Tochterunternehmen und Niederlassungen eine wichtige Rolle. Indem die eine Seite einen kurzen Wechsel auf die andere Seite zog und diese lang auf ihn trassierte, ließ sich zum Beispiel kurzfristige Geldknappheit überwinden. Zudem konnte man am Diskont der gegenseitigen Wechselakzept- und Währungsgeschäfte verdienen, vgl. Möring (1957), S. 163 f. 234 Für die folgenden Ausführungen, wenn nicht anders angegeben, vgl. Julio C. Cambranes, Coffee and Peasants. The Origins of the Modern Plantation Economy in Guatemala 1853–1897, Stockholm 1985, S. 160–168; Trümper (1996); Wünderich (1994), S. 37–60; Regina Wagner, Los Alemanes en Guatemala 1828–1944, Guatemala 1991. Ausführlich vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 1333, Signatur 4489. 235 Vgl. z. B. BArch, Bestand R 901, Signatur 1556, Bl. 50–64, und insgesamt Signatur 1554–1562; ebd., Signatur 4489; ebd., Signatur 4498. Die Berichte und Stellungnahmen finden sich in: StAHH, Bestand 371-8 II, Signatur S XIX C 22.1; ebd., S XIX C 22.2, Bd. 3. Nach der Aussage von Michahelles begannen die Hamburger Kaffeegroßhändler erst ab 1889/90 mit der Kreditvergabe an Pflanzer in Guatemala, vgl. BEK, St. Pr. (1893), S. 2236.
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Pflanzer partizipierten die Hamburger Kaffeegroßhändler am guatemaltekischen Kaffeeanbau. Schon 1899 berichtete das deutsche Konsulat, dass die deutschen Direktinvestitionen in Guatemala sich mindestens auf 200 Millionen Mark beliefen,236 davon 78 Millionen Mark als Kredite an Pflanzer.237 Den Wert der im Besitz von Deutschen sich befindenden Plantagen schätzten Zeitgenossen auf 60 Millionen Mark.238 Erst 1860 war in Guatemala mit dem systematischen Anbau von Kaffee begonnen worden; 1875 stellte Kaffee schon 80 Prozent der guatemaltekischen Ausfuhren.239 Über 50 Prozent der Kaffeeernte Guatemalas wurden bis zum Ersten Weltkrieg nach Hamburg exportiert; die große Gruppe der deutschen Kaufleute in Guatemala erwirtschaftete rund ein Drittel der dortigen Erträge.240 Zusätzlich festigten die in Guatemala ansässigen Deutschen ihren politischen und wirtschaftlichen Einfluss durch freiwillige Kredite an den Präsidenten Justo Rufino Barrios und die Liberale Partei. Deren politischer Aufstieg und wirtschaftlicher Erfolg standen in engem Zusammenhang mit der Stabilität der hohen Kaffeepreise und mit ausländischen Krediten.241 So entwickelte sich in Guatemala gegen Ende des 19. Jahrhunderts – stärker noch als in anderen Ländern – eine in größtmöglicher Abhängigkeit zu Hamburger Kaffeegroßhändlern stehende monokulturelle Wirtschaftsstruktur, was den teilweisen Niedergang der indigenen Kultur und Wirtschaftsformen nach sich zog.242 Der Landerwerb durch die Hamburger Kaffeegroßhändler stand in engem Zusammenhang mit dem System der Kreditvorschüsse auf künftige Ernten und deren Vorabkauf durch die Hamburger Kreditgeber. Konnten die Kredite nicht gezahlt 236 Vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 1556, Bl. 50. Vgl. dazu Wagner (1991); J. Fred Rippy, German Investments in Guatemala, in: The Journal of Business of the University of Chicago 20 (1947) 4, S. 212–219. Zu den Anleihen durch deutsche Banken vgl. Anton P. Brüning, Die Entwicklung des ausländischen, speziell des überseeischen deutschen Bankenwesens, Leipzig 1907, S. 41; Walter Otto, Anleiheübernahme-, Gründungs- und Beteiligungsgeschäfte der deutschen Grossbanken in Übersee, Berlin 1911, S. 68; Karl Christian Schaefer, Portfolioinvestitionen im Ausland 1870–1914. Banken, Kapitalmächte und Wertpapierhandel im Zeitalter des Imperialismus, Münster 1995, S. 442 f. Allgemein zu Auslandsanleihen zur Finanzierung des Kaffeeanbaus zwischen 1860 und 1914 vgl. McCreery (1994), S. 210–218. 237 Vgl. StAHH, Bestand 371-8 II, Signatur S XIX C 22.2.3. 238 So Arthur Dix, Zentral-Amerika, in: Halle (1905), S. 442–446, hier S. 442. 239 Vgl. Biechler (1981), S. 30, S. 265; Wünderich (1994), S. 40. Kaffeeexporte ab 1899 bei David McCreery, Rural Guatemala 1760–1940, Stanford 1994, S. 216. 240 Vgl. Wagner (1991), S. 87, S. 120–171; Trümper (1996), S. 34, S. 60; StAHH, Bestand 1321 I, Signatur 136. 241 Vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 1555, Bl. 78–125. 242 Vgl. Foreign Office (Hg.), Reports on Subjects of General and Commercial Interest No. 255: Guatemala. Reports on the Coffee Industry of Guatemala, London 1892; Cambranes (1985), S. 164; Trümper (1996), S. 5; Wünderich (1994).
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werden, übernahmen die Hamburger Gläubiger den Grundbesitz.243 Mit Beteiligung von Mitgliedern des Kaffee-Vereins wurden in Hamburg von 1889 bis 1911 sieben Pflanzungsgesellschaften in Guatemala gegründet.244 Als Absicherung für die Kapitalinvestitionen in Guatemala dienten Termingeschäfte, auch wenn die guatemaltekischen Kaffeesorten nicht die Grundlage der Kontrakte an der Terminbörse darstellten. Die Hamburger Kaffeehändler schlossen mit den guatemaltekischen Pflanzern Monate vor der Ernte Lieferungsverträge ab und zahlten dementsprechend sofort die Rechnung. Für die Hamburger bot sich hier der Vorteil, dass die Preise für noch nicht existente Ware viel niedriger waren als für bereits vorhandene. Aber sie gingen auch ein Risiko im Hinblick auf die Quantität und Qualität der zukünftigen Ernte und deren Preisentwicklung ein: „Diese ersten Abschlüsse, die mit den Pflanzern in Guatemala gemacht werden, also die ganzen Erntekontrakte, häufig auf sehr große Quantitäten, würde Niemand machen können, wenn er nicht eine gewisse Rückendeckung nehmen könnte, weil […] von dem Augenblick an, wo er sie machen muß, wo die Kaffees erst wachsen […] bis zu dem Augenblick, wo er wirklich die Ware in den Handel bringt […] vergehen […] häufig fünf, sechs Monate. Der Hamburger Importeur würde die Kontrakte nicht abschließen können, wenn es ihm nicht möglich wäre, im Termingeschäft sich zu decken.“245
Nur ein Teil der Vereinsmitglieder beteiligte sich am Handel mit Guatemala, dies aber – und das macht erneut die Verflechtung des Kaffee-Vereins mit anderen Branchen deutlich – in enger Zusammenarbeit mit den Merchant Bankern und Reedereien. Nach einem Bericht des deutschen Konsulats in Guatemala handelten 1897 vier Plantagengesellschaften, fünf Reedereien, 13 Merchant Banker und 27 Kaufleute aus Hamburg mit Guatemala.246 Außer im Fall einer Firma waren diese Unternehmen 243 Vgl. Trümper (1996), S. 37. 244 Die Geschäftsberichte der Pflanzungsgesellschaften finden sich in: BArch, Bestand R 8024, Signatur 330; ebd., Signatur 348–351; BArch, Bestand R 1001, Signatur 8079. Zeitschriftenartikel zu beteiligten Unternehmen und die Entwicklung der Plantagengesellschaften, in: BArch, Bestand R 8034 II, Signatur 7122 und 7123. Für die Beteiligung einzelner Hamburger Kaufleute vgl. Prosografie Kaffeehandelsunternehmen; Paul Preuss, Expedition nach Central- und Südamerika, Berlin 1901, S. 114–128, S. 355, S. 368; Adrian Rösch, Allerlei aus Alta Verapez. Bilder aus dem deutschen Leben in Guatemala 1868–1930, Stuttgart 1934; Trümper (1996), S. 39–47. 245 BEK, St. Pr. (1893), S. 2236. Vgl. auch Schönfeld (1903), S. 107. Zur Kreditvergabe und der Rolle der Hamburger Kaffeehändler in Guatemala vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 1562, Bl. 34 f.; StAHH, Bestand 132-1 I, Signatur 136; Kranke (1928), S. 12; Ernst-Günther Küsel, Die Kaffeehandelsorganisation in Zentralamerika und Kolumbien, Hamburg 1939, S. 45–47; Schmolck (1951), S. 88. 246 Vgl. StAHH, Bestand 132 I, Signatur 136. Abgedruckt in Trümper (1996), im Anhang, o. P. [S. 91].
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entweder Mitglied im Kaffee-Verein (30) oder ein Vereinsmitglied stellte mindestens ein Aufsichtsratmitglied in den Unternehmen. Die enge Kooperation der Kaffeezwischenhändler mit den Merchant Bankern247 und Reedereien lässt sich vor allem bei den sieben guatemaltekischen Plantagengesellschaften nachvollziehen. Insbesondere die Teilhaber oder Aufsichtsratsmitglieder der Reedereien waren ebenso präsent in den Aufsichtsräten der Plantagengesellschaften wie die Kaffeegroßhändler in den Aufsichtsräten der Reedereien. Auch außerhalb des Handels mit Guatemala bestanden enge Beziehungen zwischen dem Kaffee-Verein und den Reedereien, hier vor allem mit der HAPAG und der Hamburg-Süd-Amerikanischen-Dampfschiffahrtsgesellschaft (im Folgenden Hamburg-Süd). Zwar hatten sich im Laufe des 19. Jahrhunderts die Funktionen von Kaufmann und Reeder getrennt, den Transport der Waren wickelten die Kaufleute aber mittels der Dienstleistung der Reedereien und ihrer direkten Schifffahrtsverbindungen zu festgesetzten Preisen ab.248 Der Linienverkehr bildeten schließlich die Voraussetzung für den regelmäßigen Lieferverkehr und die oben erwähnten Abschlüsse von Lieferungsverträgen.249 Der Vorstand des Kaffee-Vereins beriet sich regelmäßig in seinen Sitzungen über notwendige Absprachen mit den Reedereien. Insbesondere über Linienpläne, angefahrene Häfen und Preise sowie Verladekonditionen verhandelten die beiden Parteien kontinuierlich miteinander.250 Konflikte zwischen Verein und Reedereien blieben nicht aus – und offensichtlich hatten die Hamburger durch ihren Verein hier eine sehr starke Position. Im Januar 1892 begann die Hamburg-Süd vor dem Hamburger den Bremer Hafen anzufahren. Gegen diese Bevorteilung der Bremer Kaufleute protestierten die Vereinsmitglieder heftig und schon auf der ordentlichen Generalversammlung vom 17. Februar 1892 hieß es, „es sei Vorsorge getroffen worden, daß in Zukunft das nur noch in dringenden 247 L. Behrens & Söhne waren beteiligt an der Guatemala Plantagen-Gesellschaft in Hamburg, an der Osuna-Rochela Plantagen-Gesellschaft in Hamburg sowie an der Hanseatische Plantagengesellschaft Guatemala-Hamburg. Schlubach & Thiemer waren beteiligt an der Mittelamerikanische Plantagen-Akt. Gesellschaft in Hamburg. Berenberg-Gosslar & Co. waren beteiligt an der Chocolá-Plantagen-Gesellschaft in Hamburg. Schröder Gebrüder & Co. waren ebenso wie L. Behrens & Söhne an der Osuna-Rochela Plantagen-Gesellschaft in Hamburg beteiligt. Vgl. zu den Pflanzungsgesellschaft ebenso wie den Mitgliedschaften von Kaffeehändlern in den Aufsichtsräten der Banken die Angaben in Prosopografie: Kaffeehandelsunternehmen in Hamburg. 248 Vgl. Simon (1909), S. 19. Zu den Kooperationen vgl. Wiskemann (1929), S. 287; Zimmermann (1969), S. 78, S. 126 f. 249 Zur Bedeutung des Linienverkehrs und den einzelnen Linien vgl. Wiedenfeld (1903), S. 176–251. 250 In der Generalversammlung des Vereins vom 13. Februar 1889 wurde als eine offizielle Aufgabe des Vorstandes die Absprache und Kooperation mit den Reedereien beschlossen, vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 2, Bd. 1.
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Ausnahmefällen vorkommen dürfe, in welchen Fällen von der bestehenden Absicht rechtzeitige telegraphische Anzeige hierher gemacht werden solle“.251 Im Laufe der Jahre konnte der Kaffee-Verein zunehmend bessere Konditionen im Hinblick auf Preise und Fahrpläne mit der Hamburg-Süd und der HAPAG aushandeln. Wegen der kontinuierlich steigenden Umsätze der Kaffeegroßhändler charterten diese auch kontinuierlich mehr Lagerraum.252 Richtete eine der beiden Reedereien eine neue Linie ein, die den Kaffeegroßhändlern entgegenkam, revanchierten diese sich und „unterstützten die neuen Dienste der HAPAG tatkräftig mit großen Kaffeeverschiffungen“, worauf diese wiederum „bereits im nächsten Jahr größere und schnellere Schiffe einsetzte“.253 Es war ein lukratives Geschäft für beide Seiten, welches zu günstigeren Transportpreisen von Südamerika nach Hamburg wie nach Le Havre führte.254 Als 1909 die Frachtraten von Brasilien nach Le Havre zuerst von der Royal Mail Steam Packet Co. sowie der Chargeurs Réunis um 12 Prozent gesenkt wurden, reduzierten die Hamburg-Amerika Linie und Hamburg-Süd nach Druck durch den Kaffee-Verein ebenfalls ihre Preise.255 Durch die vielfältigen Quellen, aus denen der Kaffee-Verein seine Informationen bezog, schaffte es sein Vorstand sogar, Pläne zu unterbinden, nach denen direkte Schifffahrtsverbindungen zwischen Russland und Lateinamerika eingerichtet werden sollten. Die Hamburg-Süd garantierte, selbst keine solche Direktverbindung anzubieten, und sprach Preisgarantien aus, die den russischen und skandinavischen Unternehmen jeglichen Anreiz dazu nahmen, eine Konkurrenzlinie zu initiieren.256 Der lokale Zusammenschluss garantierte also insgesamt die nötige Vertrauensbildung und Kooperation im globalen Handel, generierte einen hohen Anteil des benötigten Wissens und senkte die Transferkosten für Güter, Kapital und Nachrichten. Gleichzeitig konnte der Spielraum zwischen individuellen, auch konkurrentiellen Interessen der einzelnen Unternehmer und den gemeinsamen Interessen der Hamburger Kaffeegroßhändlerschaft immer wieder neu ausbalanciert werden. Welche Bedeutung dadurch den Hamburger Unternehmen im internationalen Kaffeehandel insgesamt zukam, ist schwer zu bemessen. Jenseits von Daten zu nationalen Importen und Reexporten lassen sich Angaben über den Anteil von einzelnen Handelsunternehmen am Weltkaffeehandel kaum ermitteln. Allein zum brasilianischen Exporthandel und auch lediglich für einzelne Erntejahre liegen Angaben vor. Dies gilt ebenso für die beteiligten Schifffahrtsgesellschaften. Nur in den deutschen 251 252 253 254 255 256
Ebd., Generalversammlung vom 17. Februar 1892. Vgl. ebd. Generalversammlung vom 22.3.1900. Zimmermann (1969), S. 126. Vgl. Schönfeld (1903), S. 125. Vgl. BArch, Bestand R 8034 II, Signatur 5273, Bl. 14. Vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 2, Bd. 1, Geschäftsbericht des Vereins für 1910; BArch, Bestand R 901, Signatur 278, Bd. 15, Bl. 92; Konsulatsberichte aus Petersburg, Rio de Janeiro und Kopenhagen, in: ebd., Bl. 92, Bl. 103 f., Bl. 114 f., Bl. 123.
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und US-amerikanischen Konsulatsberichten257 finden sich hierzu Angaben: Im Erntejahr 1905/06 produzierte Brasilien ca. 80 Prozent der weltweit gehandelten Kaffeemengen. Die Erträge wurden zu den Häfen New York (31,2 Prozent), Hamburg (27,4 Prozent), Le Havre (17,3 Prozent), Rotterdam (12,2 Prozent), Triest (7,2 Prozent) und London (4,7 Prozent) verschifft. An dem Transport waren deutsche Schifffahrtgesellschaften mit 34,9 Prozent, englische mit 29 Prozent und französische mit 6,8 Prozent beteiligt. Im Import-/Export-Handel von brasilianischen Provenienzen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dominierten laut Robert G. Greenhill Firmen aus den Hansestädten Hamburg und Bremen, aus Schottland und den Niederlanden.258 Von der Tendenz her nachvollziehbar, ist diese Aussage aber in ihrer Pauschalität anhand der Quellenlage für die einzelnen Jahre nicht zu verifizieren. Die Grafik 21 zeigt beispielhaft die nationale Zugehörigkeit der Kaffeehandelsexporteure für São Paulo im Jahr 1903/1904.259 Deutsche Firmen übernahmen 46 Prozent des Kaffeeexports, englische Firmen folgten mit 24 Prozent. Zudem liegen für das Erntejahr 1912/1913 Zahlen vor, wonach sich am brasilianischen Kaffeeexport deutsche Firmen zu 44,1 Prozent, nordamerikanische Firmen zu 31,3 Prozent, englische Firmen zu 24,2 Prozent und italienische Firmen zu 0,3 Prozent beteiligten.260 Von 1895 bis 1912 handelten deutsche Kaffeegroßhändler ca. 30 Prozent des aus Santos exportierten Kaffees, ebenso hoch war ihr Anteil im Hafen von Rio de Janeiro in den Jahren 1900 bis 1912.261 Soweit ermittelbar, waren deutsche und hier fast ausschließlich Hamburger Firmen im internationalen Kaffeehandel in der gesamten Handelskette, also sowohl am Im- und Export als auch am Transport, am stärksten engagiert. Gleichzeitig mit der enormen Steigerung der weltwirtschaftlichen Verflechtung begünstigte – wie das Beispiel Hamburgs eindrücklich demonstriert – die Konzentration auf lokale institutionelle Zentren 257 Die folgenden Zahlen wurden den Berichten des Deutschen Konsuls in Rio vom 1. August 1907 und vom 2.10.1908 entnommen, in: ebd., Signatur 276; ebd., Signatur 277 Bl. 143: Anlage zum Bericht des Konsulats in Rio de Janeiro vom 6. August 1909; Bureau of Foreign Commerce, The World‘s Production and Consumption of Coffee (= Advance Sheets of Consular Reports), in: BArch, Bestand R 1001, Signatur 8079, Bl. 146. 258 Vgl. Robert G. Greenhill, Merchants and the Latin American Trades. An Introduction, in: Desmond Christopher M. Platt (Hg.), Business Imperialism 1840–1930. An Inquiry Based on British Experience in Latin America, Oxford 1977, S. 119–197; allgemein zum ökonomischen Einfluss europäischer Kaufleute vgl. Eugene Ridings, Foreign Predominance among Overseas Traders in Nineteenth-Century Latin-America, in: Latin American Research Review 20 (1985) 2, S. 3–27. 259 Quellen zu Grafik 21: Jahrbuch der deutschen Kolonie in Sao Paulo 1905, S. 240–241; Kurth (1909), S. 142. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, hier Tabelle 32. 260 Zahlen nach einem Bericht der britischen Handelsfirma Nortz & Comp bei Findeisen (1917), S. 55. 261 Vgl. Roselius (1918), S. 16.
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die erfolgreiche Beteiligung im globalen Kaffeegroßhandel. Damit profitierten nicht nur die hier ansässigen Importeure von dieser Entwicklung, sondern auch deutsche Schifffahrtsgesellschaften und Exporthändler.
Grafik 21 Anteile der beteiligten Firmen am Rohkaffeeexport von São Paulo 1903/1904
4. Terminhandel. Des einen Glück ist des anderen Leid? Die soziale Integration in einem Verein sowie dessen Kooperationen mit staatlichen Stellen, Banken und Schifffahrtsgesellschaften schufen verschiedene komparative Vorteile für die Hamburger Kaffeegroßhändler. Zusätzlich zum bis dahin üblichen Effektiv- und Lieferungsgeschäft führte der Verein durch die Einrichtung einer Terminbörse 1887 eine neue Handelstechnik in Hamburg ein. Ein Termingeschäft, auch Zeitgeschäft genannt, ist ein Vertrag über den Kauf bzw. Verkauf eines Gutes zu einem fest vereinbarten Preis, der erst eine gewisse Zeit nach dem Abschluss erfüllt wird. Über die technische Gestaltung von Warentermingeschäften als einer speziellen Handelsform für Spekulationsgeschäfte ist schon bald nach der internationalen Etablierung dieser Geschäftsform umfangreiche Literatur erschienen. Im Wesentlichen herrscht darin bis heute Einigkeit über das Organisationsprinzip der Handelstechnik, dessen preisausgleichende Wirkung durch Arbitragegeschäfte und insbesondere auch über die Fähigkeiten von Warenterminbörsen, Kapital zu akkumulieren.1 Das Phänomen des Warenterminhandels behandeln in einem breiteren Kontext soziologische
1 Insbesondere weil die Geschäftspraxis des Warenterminhandels ein entscheidender Gegenstand der Debatte um die Börsenreform gewesen ist, liegt eine große Anzahl von zeitgenössischen Publikationen aus Deutschland vor. Im Folgenden wird allein Literatur zum Warenterminhandel selber aufgeführt, vgl. Bayerdörffer (1891); Brougier (1889); Henry Crosby Emery, Speculation on the Stock and Produce Exchanges of the United States, New York 1896; Carl Johannes Fuchs, Der Waren-Terminhandel, seine Technik und volkswirtschaftliche Bedeutung, in: Jahrbücher für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich 15 (1891), S. 49–102; Max Fürst, Die Börse. Ihre Entstehung und Entwicklung, ihre Einrichtung und ihre Geschäfte, Leipzig 1913; Julius Grünwald und L. Lilienthal, Zum Terminhandel an der Berliner Produktenbörse, Berlin 1892; Alexander van Gülpen, Terminhandel und Börse, Berlin 1895; Hellauer (1910), S. 233–254; Kranke (1928), S. 19; Tapolski (1896); Max Weber, Die technische Funktion des Terminhandels, in: Knut Borchardt (Hg.) in Zusammenarbeit mit Cornelia Meyer-Stoll, Max Weber Gesamtausgabe, Abt. 1 Schriften und Reden, Bd. 5, 2. Halbband, Tübingen 2000, S. 591–613 (der Band wird im Folgenden abgekürzt mit MWG, Abt. I, Bd. 5/2 (2000), der erste Halband mit MWG, Abt. I, Bd. 5/1 (1999)); Kurt Wiedenfeld, Die Börse in ihren wirtschaftlichen Funktionen und ihrer rechtlichen Gestaltung vor und unter dem Börsengesetz, Berlin 1898. Literatur zum Warenterminhandel im deutschen Kaiserreich vgl. Knut Borchardt, Einleitung, in: MWG, Abt. I, Bd. 5/1 (1999), S. 1–114, hier S. 7–19. Allgemein zur Geschichte der Warenterminbörsen vgl. Dennis W. Charlton, Future Markets. Their Purpose, Their History, Their Growth, Their Successes and Failures, in: The Journal of Futures Markets 4 (1984) 3, S. 237–271.
Terminhandel. Des einen Glück ist des anderen Leid?
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Studien, die der Kulturgeschichte des Spekulanten als diskursiver Figur und der Spekulationen als sozialer Praxis nachgehen.2 Gerade die theoretisch fundierten Publikationen über Warenterminmärkte konzentrieren sich vor allem auf das Phänomen der Termingeschäfte als Finanzinstrumente. Umstritten ist dabei bis heute die Frage, wie sich Termin- und Effektivpreise zueinander verhalten und welche Wirkungszusammenhänge sich daraus für die Preisentwicklung ergeben können. Erst die stark steigenden Rohstoffpreise für Öl, Getreide und auch Kaffee auf den Terminmärkten der letzten Jahre lässt die Frage nach der Funktion von Terminmärkten für die Platz- oder Spotmärkte aktuell werden. Welche Interessen die an den Börsen handelnden Akteure an Spot- und Termingeschäften haben, wird außerhalb der Tagespresse aber bisher nicht von Historikern thematisiert. Bei der Suche nach Antworten helfen die gezielt theoretisch argumentierenden volkswirtschaftlichen Ansätze nicht weiter. Rar sind die Hinweise in der ökonomischen Literatur auf die Bedeutung von Warentermingeschäften für die Praxis des internationalen Großhandels, also auf die einzelnen Vorteile, die Termingeschäfte theoretisch für das Effektivgeschäft haben.3 Dass es auch aus der Perspektive der damaligen Akteure einen Zusammenhang zwischen beiden Geschäftsformen gegeben hat, lässt ein Blick auf die Gründungsgeschichte der Warenterminbörsen zumindest vermuten: Die Terminbörsen für Rohstoffe wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Kaufleuten gegründet, die zugleich mit diesen Waren auf den Spotmärkten handelten. Doch die Geschichte der Terminbörsen als zentraler Institutionen der Weltwirtschaft ist noch nicht einmal in Ansätzen geschrieben worden und dies kann an dieser Stelle auch nicht geleistet werden. Am Beispiel der Hamburger Kaffeebörse soll aber zumindest exemplarisch den Fragen nachgegangen werden, welches die Motive der Vereinsmitglieder waren, als sie eine Warenterminbörse gründeten, und welche Funktion Termingeschäfte für die beteiligten Akteure hatten. Wer konnte wie und warum an Termingeschäften gewinnbringend partizipieren? Die Strategien der Hamburger Kaffeehandelsunternehmen zielten, wie das vorige Kapitel zeigen konnte, auf soziale Integration und schufen damit zugleich Strukturen, die das Großhandelsgeschäft zunehmend auf den Hamburger Handelsplatz konzentrierten und an denen allein Vereinsmitglieder partizipieren konnten. Damit gilt es zudem die Frage zu beantworten, was die Etablierung einer ganz neuen Handelstechnik für die an der Wertschöpfungskette beteiligten Akteure bedeutete. In diesem Zusammenhang ist zudem zu untersuchen, welche institutionellen Möglichkeiten und Beschränkungen eine Mitgliedschaft im Kaffee-Verein nach sich zog und ob es 2 Zuletzt und mit einer umfangreichen Literaturübersicht vgl. Urs Stäheli, „Spektakuläre Spekulation“. Das Populäre der Ökonomie, Frankfurt am Main 2007. 3 Vgl. u. a. Darren L. Frechette und Paul L. Fackler, What Causes Commodity Price Backwardation?, in: American Journal of Agricultural Economics 81 (1999) 4, S. 761– 771; Diana R. Ribeiro, A contango-constrained model for storable commodity prices, in: Journal of Futures Markets 25 (2005) 11, S. 1025–1044.
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überhaupt eine wirtschaftliche Existenz als deutscher Kaffeegroßhändler im Im- und Exportgeschäft außerhalb des Vereins gab. Daran schließen sich zwei weitere, von der konkreten Einrichtung des Terminhandels in eine strukturelle Dimension überleitende Fragen an. Die eine Frage betrifft die Bedingtheit des Aktionsradius des einzelnen Händlers: Welchen Raum eröffnen institutionelle Arrangements dem Unternehmer tatsächlich – bzw. welchen Raum lassen sie ihm übrig? Die zweite Frage betrifft die Handelsformen und zielt dabei auf das Verhältnis zwischen lokalen oder nationalen und internationalen Strukturen ab: Welche staatlich kodifizierten Rahmenbedingungen benötigen oder überschreiten Institutionen und Handelstechniken, die auf globales Agieren ausgerichtet sind?
4.1. Kaffeeterminbörsen: Geschäfte auf Zeit Im internationalen Vergleich ließ Hamburg das Termingeschäft erst relativ spät zu: sechs Jahre später als New York, rund fünf Jahre später als Le Havre und im selben Jahr wie Amsterdam.4 Nicht unter den Ersten gewesen zu sein, die die Innovation einführten, ergab aber für Hamburg offensichtlich keine mittelfristigen Nachteile (vgl. Grafik 22).5 Überhaupt scheint die Einführung der neuen Technik nicht per se oder jedenfalls nicht sofort Erfolge für den jeweiligen Handelsplatz gebracht zu haben. Besonders Antwerpen konnte keine Vorteile daraus generieren, dass es das Termingeschäft besonders früh eingeführt hatte. Die hier getätigten Effektiv- wie Termingeschäfte machten im internationalen Vergleich nur einen äußerst geringen Anteil aus. Allein die Möglichkeit, Termingeschäfte abzuschließen, scheint somit – entgegen manchen damaligen Annahmen – nicht ausgereicht zu haben, um die internationale Position eines Handelsplatzes in beiden Handelsformen zu verbessern.6 Die Anteile 4 Terminbörsen, z. T. aber nicht für Kaffee, wurden 1887 in Paris und Amsterdam, 1888 in Marseille, London und Rotterdam, 1890 in Magdeburg und Leipzig, 1905 in Triest eingeführt, vgl. Ernst Albanus, Die Warenliquidationskasse A.G. in Hamburg, Hamburg 1925; Schönfeld (1903), S. 90. 5 Quelle Grafik 22: Schönfeld (1903), S. 109. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, hier Tabelle 33. 6 Auch stellten sich die Synergieeffekte, die sich aus Termin- und Effektivgeschäften ergeben konnten, nicht so monokausal ein, wie oft in den Quellen zu lesen ist. Dort wird immer wieder betont, dass ein Handelsplatz, wenn er über eine Terminhandelsbörse verfügt, auch im Effektivhandel besonders erfolgreich sei. Vgl. Albanus (1925), S. 8; BEK, St. Pr. (1893), S. 2232, S. 2236; Brougier (1889), S. 61; Handelskammer Hamburg (1889), S. 2; Sonndorfer (1889), S. 320; Zimmermann (1969), S. 95. Auf diese Auswirkungen einer Terminbörse auf den Effektivhandel eines Marktplatzes weist auch Max Weber hin, wobei er dies nicht als einen monokausalen Zusammenhang formuliert, sondern einzelne Auswirkungen des Terminhandels auf den Effektivhandel herausarbeitet,
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Grafik 22 Anteile der Marktplätze an den Kaffeeterminumsätzen 1894–1900
der Warenterminbörsen an den weltweiten Umsätzen im Vergleich mit den Effektivumsätzen der Marktplätze lassen zwar vermuten, dass es einen Zusammenhang gab zwischen der Bedeutung, den ein Kaffeeumschlagplatz in Effektivgeschäften hatte, und seiner Rolle in Termingeschäften. Vergegenwärtigt man sich die Umsätze in beiden Geschäftsformen, z. B. des Hamburger oder Amsterdamer Platzes (vgl. Grafik 4 in Kapitel 2 mit Grafik 22), zeigt sich jedoch, dass das Vorhandensein beider Geschäftsformen nicht zwangsweise dazu führte, dass der Handelsplatz in beiden Handelsformen erfolgreich war. Die Wirkungszusammenhänge zwischen Termin- und Effektivhandel exakt zu beschreiben ist jedoch nicht allein aufgrund der Quellenlage schwierig: Ob bestimmte Entwicklungen im Effektivhandel – wie Umsätze, Preise und Marktanteile der Handelsplätze und ihre Auswirkungen – in einem engen oder weiten Zusammenhang mit dem Terminhandel stehen, lässt sich nicht ermitteln. Beobachten lassen sich in der Regel verschiedene Kausalzusammenhänge zwischen jeweils einzelnen Faktoren, die mit beiden Handelsformen einhergingen, aber es wird zugleich deutlich, dass die Existenz einer Terminbörse sowie interessierte Akteure und ausreichend Kapital allein nicht ausreichten, um auch das Effektivgeschäft an einem Handelsplatz zu heben. Je nach Art der Abwicklung des Handels unterscheidet man Zeitgeschäfte und Spot- oder Platzgeschäfte, auch Effektivgeschäfte genannt. Grundlage des Terminhandels als Geschäftsform ist das Zeitgeschäft und hier insbesondere das Lieferungs-
vgl. ders., Die technische Funktion des Terminhandels, in: MWG, I. Abt., Bd. 5/2 (2000), S. 597–613, hier S. 605–613.
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geschäft.7 Für ein besseres Verständnis ist es deshalb sinnvoll, zunächst Platz- und Lieferungsgeschäft gegenüberzustellen. Das Lieferungsgeschäft ist ein Vertrag über Lieferung und Abnahme einer Ware zu einem fest vereinbarten Preis, wobei dieser Vertrag erst zu einem bestimmten Zeitpunkt nach seinem Abschluss erfüllt wird.8 Als Platzgeschäft bezeichnet man dagegen einen Vertrag über den Kauf oder Verkauf von Waren, die am Vertragsort vorhanden sind. Der Vertrag muss unmittelbar nach Geschäftsabschluss (in der Regel innerhalb von zwei Geschäftstagen) erfüllt werden. Die Exporteure in den Anbauländer konnten durch ihre Vertreter am Platz zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses den Importeuren (Zweite Hand) die Ware vorlegen. Bevor ein Verkaufsvertrag zustandekam, begutachtete der Importeur die ihm angebotene Ware und verschaffte sich somit einen Eindruck von der geschmacklichen Qualität und Beschaffenheit der Bohnen. Aufgrund der Begutachtung handelten die Geschäftspartner einen Preis aus und nach Geschäftsabschluss wechselte die Ware direkt ihren Besitzer.9 7 Diese Geschäftsform ist keine Erfindung des 19. Jahrhunderts, auch wenn ihr erst ab den 1870er Jahren eine große Bedeutung im internationalen Kaffeehandel zukam. Schon im Jahr 1621 soll ein Zeithandel mit Tran und Walfischbarten stattgefunden haben. Erste Lieferungsgeschäfte mit Kaffee fanden wohl zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Amsterdam statt. Auch fanden in den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts Zeitgeschäfte mit Tulpen in den Niederlanden statt und am Ende jenes Jahrhunderts wurde Getreide im Lieferungsgeschäft gehandelt, vgl. Tapolski (1896), S. 7f.; Ed. Jacobs, Terminhandel in Waren (aus dem Holländ.), Rotterdam 1889. 8 Die hier verwendeten Begrifflichkeiten orientieren sich ausschließlich an den im Kaffeehandel üblichen Bezeichnungen. Zu den durchaus unterschiedlichen zeitgenössischen Begrifflichkeiten auch im Vergleich mit gegenwärtigen Bezeichnungen vgl. Borchardt (1999), S. 11 f. und die entsprechenden Einträge im Glossar ab S. 1031. Zum Lieferungsgeschäft im Kaffeegroßhandel vgl. Kranke (1928), S. 19. 9 Zum Ablauf des Platzgeschäftes in Hamburg vgl. Findeisen (1917), S. 65; ebd., S. 72–78 zu den Auktionen und Einschreibungen in Amsterdam und London. Zum Platzhandel allgemeiner vgl. Tapolski (1896), S. 11–14. Zu Auktionen und Einschreibungen als Organisationsformen des internationalen Handels vgl. Hellauer (1910), S. 212–226. Auch Auktionen und Einschreibungen sind Geschäftsformen des Platzgeschäftes. Erstere wurden aber nur in London und Amsterdam, letztere nur in Amsterdam 1870 bis 1914 im Kaffeehandel praktiziert, vgl. Kranke (1928), S. 18. Mitte des 19. Jahrhunderts hielten auch die Hamburger Großhändler eine kurze Zeit Auktionen ab, vgl. Findeisen (1917), S. 66. Sie setzten sich aber nicht durch, da laut Marie Kröhne „ohne den Hintergrund eigener kolonialer Produktionen […] die Auktionen nicht bestehen [können]“, in: dies., Die Großhandelsversteigerungen, Leipzig 1909, S. 141. Damit meint Kröhne wohl das Problem, dass zu diesem Zeitpunkt die Hamburger Händler die Mehrheit der Ware noch über das Amsterdamer und Londoner Kommissionssystem bezogen, während nur ein geringer Anteil direkt importiert wurde. Der Direktimport war aber die Voraussetzung für die Auktion.
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Im Gegensatz zum Platzgeschäft wurden im Lieferungsgeschäft die Waren durch Typenfestsetzung standardisiert. Auf der Grundlage von Mustern und Beschreibungen einer Ernte sowie auf der rechtlichen Basis von Cf- und Cif-Kontrakten (Cf (cost and fright) bedeutet, dass außer der Ware auch Fracht und Spesen Gegenstand des Vertrages sind, Cif umfasst zusätzlich eine Transportversicherung (insurance)) wurde hierbei das Geschäft zwischen Anbieter und Interessenten ohne das Vorhandensein der Ware am Platz abgeschlossen. Bei beiden Kontraktformen hat der Käufer alle Gefahren zu tragen.10 In der Praxis bedeutete das Lieferungsgeschäft, dass ein Agent der Ersten Hand einem Kaufmann der Zweiten Hand sofort nach Beginn der Ernte Muster vorlegte und eine Lieferung zu einer verhandelbaren Menge, einem verhandelbaren Preis und ebenfalls verhandelbarem Zeitpunkt anbot.11 Die Muster „werden gewöhnlich im Anfang der Ernte in verschiedenen Abstufungen, je nach Güte und Beschaffenheit der Ernte aufgemacht, sobald der Ablader sich darüber ein Urteil bilden kann. Sie zeigen nicht den genauen Ausfall der späteren Abladungen, sondern sollen dem Käufer nur einen ungefähren Anhalt bieten, was der Verkäufer liefern will.“12 Unabhängig von den Geschäftsformen bei der Kaufabwicklung tätigten die Kaffeehändler auf der Basis der klassifizierenden Bezeichnungen ihre Abschlüsse, formulierten die Marktberichte und erstellten die Preistabellen. Motiv der Klassifizierung war der Versuch, die sich je nach Anbaugebiet und Jahr ergebenden Unterschiede des Rohstoffs für den Handel zu standardisieren. Die Bildung von standardisierten Typen als Grundlage der Preisbildung basierte in erster Linie auf der regionalen Herkunft bzw. dem Herkunftsland des jeweiligen Kaffees. Relevant für die Preisbildung im Platzhandel waren einerseits die greifbaren Quantitäten einer Ware im Verhältnis zur Nachfrage. Grundsätzlich spielten andererseits äußere Qualitätsmerkmale und der Zustand einer Lieferung eine entscheidende Rolle. Zudem wiesen Bohnen desselben Jahrgangs und auch einer Region durchaus unterschiedliche Geschmacksnuancen auf. Diese regional und saisonal bedingten Unterschiede ließen sich nicht allein subjektiv schmecken, sondern auch chemisch nachweisen.13 Daher konnten Bohnen einer Klassifizierung beim effektiven Handelsabschluss sehr unterschiedliche Preise 10 Zu den verschiedenen Handelsformen im internationalen Handel vgl. Hellauer (1910), S. 417–423; E. Wolfram, Über Cif- und Costfracht-Geschäfte, in: Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis 1 (1908) 3, S. 89–93. 11 Ab den 1870er Jahren arbeiteten die brasilianischen Exporteure der Ersten Hand zunehmend mit Agenten, die an den europäischen Handelsplätzen die Vermittlung übernahmen, vgl. Ratzka-Ernst (1912), S. 105; Tapolski (1896), S. 14. 12 Deutschmann (1918), S. 10. Vgl. auch Sonndorfer (1889), S. 312; Tapolski (1896), S. 13; Schönfeld (1903), S. 66 f.; Findeisen (1917), S. 60 f. 13 Vgl. Thurber (1881), S. 171–182; C. A. Neufeld, Der Nahrungsmittelchemiker als Sachverständiger. Anleitung zur Begutachtung der Nahrungsmittel, Genussmittel und Gebrauchsgegenstände nach den gesetzlichen Bestimmungen, Berlin 1907, S. 328–332.
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erzielen. Neben der vorhandenen Quantität und äußeren Qualitätsmerkmalen einer Bohne waren die aktuellen Geschmackspräferenzen der Konsumenten in den Nachfrageländern relevant.14 Wie Hans-Jürgen Gerhard gezeigt hat, kam den auf regionalen Klassifizierungen basierenden Qualitätseinschätzungen bei der Preisbildung schon früh eine große Bedeutung zu. So konnte Moccakaffee durchschnittlich höhere Preise auf den europäischen Märkten erzielen als andere Provenienzen.15 Wie aus den seit dem frühen 18. Jahrhundert vorliegenden Preisdaten für die europäischen Kaffeemärkte hervorgeht, erzielten Kaffeesorten aus verschiedenen Anbauregionen aufgrund von Geschmackspräferenzen auch unterschiedliche Preise. Zu diesen traditionellen Klassifizierungen, die im Grunde allein die regionale Herkunft beschrieben, traten im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts aufgrund neuer Anbauregionen weitere hinzu. Zusätzlich differenzierten die Exporteure in ihren Offerten für jede Erntesaison graduelle Merkmale durch engere Klassifizierungen.16 Diese sogenannten Haustypen eines Exporteurs standen für die genaue Herkunft der angebotenen Ware, deren Farbe und andere Qualitätsmerkmale.17 Deutlich wichtiger als die Aus14 1918 berichtete der Hamburger Kaffeegroßhändler Ludwig Deutschmann, dass vor dem Weltkrieg im deutschen Großhandel der bei gewaschenen Sorten vorhandene weiße Schnitt, der auch nach dem Rösten verbleibt, als „Zeichen von Feinheit“ galt, Deutschmann (1918), S. 16. Dies schlug sich natürlich auch im Preis nieder, vgl. Thurber (1881), S. 60–63. Als Qualitätskaffeesorten galten und gelten bis heute die milden Hochlandbohnen aus Zentralamerika und die Moccabohnen aus dem Jemen. Zur Preisbildung und auch zum Mehrpreis einzelner Sorten aufgrund vermuteter Geschmackspräferenzen zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf europäischen Kaffeemärkten vgl. Gerhard (2002), S. 165. Zur Bedeutung und regionalen Differenzierung von Geschmackspräferenzen vgl. Mario Samper, The Historical Construction of Quality and Competitiveness. A Preliminary Discussion of Coffee Commodity Chains, in: Clarence-Smith und Topik (2003), S. 120–153. 15 Vgl. Gerhard (2002), S. 151–168. Preise für Amsterdam bei N. W. Posthumus, Inquiry into the History of Prices in Holland, Bd. 1, Leiden 1946, S. 181–189. Preise für London und Hamburg bei Ratzka-Ernst (1912), Anhang, o. P. 16 Dies lässt sich aber an den offiziellen Preisreihen nicht ersehen, da diese weiterhin monatliche Durchschnittspreise angeben, die die Preise für die Provenienzen zumeist nach Ländern oder größeren Regionen auflisten vgl. die Angaben in: Hamburgs Handel (1886–1914). Hingegen weisen die täglichen Marktberichte differenziertere Preisangaben auf vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 11, Bd. 1–6. Welche unterschiedlichen Klassifizierungen den einzelnen Abschlüssen tatsächlich zugrunde lagen, zeigen allein die Zirkulare der Handelshäuser vgl. das abgedruckte Zirkular der Importfirma Michahelles & Co. im Auftrag der Firma Theodor Wille & Co. vom Dezember 1887 in: Zimmermann (1969), S. 95 f. Weitere Zirkulare in StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 11, Bd. 1–27. 17 Die Firma Theodor Wille, die in Santos und Rio de Janeiro operierte, bot 1887 zwölf verschiedene Haustypen an vgl. Zimmermann (1969), S. 94. Die Firmen Prinks & Co. in
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weitung des Angebots war für die ab den 1880er Jahren zunehmenden Differenzierungen der Beschaffenheit der gehandelten Waren die wachsende Bedeutung des Lieferungsgeschäfts: Da die Käufer die Ware nicht selbst begutachteten, wurden engere Klassifizierungen erforderlich. Katalysatoren der Durchsetzung des Lieferungsgeschäftes waren die Einrichtung von direkten telegrafischen Verbindungen – das erste Kabel wurde 1874 von Pernambuco (Brasilien) nach Europa und New York eingerichtet – und direkten sowie regelmäßigen Schifffahrtsverbindungen zwischen den Anbauländern und den europäischen Häfen.18 Die „Kabeldepeschen“, die seit den 1880er Jahren regelmäßig, ab 1886 täglich die europäischen Importeure der Zweiten Hand erreichten, verschafften ihnen die für den Abschluss von Lieferungsgeschäften notwendige Orientierung über die Marktsituation an den Haupthäfen der Anbauländer.19 Die Telegramme vermerkten neben den wöchentlichen Kaffeezufuhren aus dem Inland die lagernden Vorräte, die Preise der aktuellen Geschäftsabschlüsse bei verschiedenen Typen, zu welchen Häfen die verkaufte Ware verschifft wurde, und die tagesaktuellen Wechselkurse. Zudem verkürzte sich der zeitliche Abstand zwischen Offerten und Abschlüssen: „Die Ablader verkehren mit ihren Vertretern, die sie an allen in Betracht kommenden größeren Kaffeemärkten haben, durch Telegramme. […] Die Vertreter erhalten von ihren Häusern meist für mehrere Stunden feste Angebote, die sie bei den Einfuhrhäusern zu verkaufen suchen. Kommt ein Geschäft wegen hoher Preise nicht zustande, so werden, ebenfalls für eine gewisse Zeit, feste Gebote gemacht, bis ein beiden Teilen genehmer Preis gefunden ist.“20
In Kombination mit dem Lieferungsgeschäft beschleunigten und dynamisierten die neuen Kommunikations- sowie Transportmöglichkeiten den Handel. Je nach Nachfrage für eine bestimmte Qualität konnten die Exporteure in den AnbauRio sowie Behrens & Landsberg in Santos boten 1889 schon 23 Typen an vgl. Sonndorfer (1889), S. 13. Allgemeiner Thurber (1881), S. 183–204. Schönfeld verzichtet ganz auf eine Nennung von Mustern, da sie „[…] nach Herkunftsland und Firma in ihren Bezeichnungen so reichhaltig [sind], dass von einer Aufzählung der wichtigsten bereits abgesehen werden muss“, in: ders. (1903), S. 66. 18 Vgl. zu der Einführung direkter telegrafischer Verbindungen Lateinamerikas mit den Handelsplätzen Roth (1929), S 45 f. Zur Einführung direkter Transportverbindungen und Dampfschifffahrtslinien vgl. Bodo Hans Moltmann, Geschichte der deutschen Handelsschiffahrt, Hamburg 1981, S. 139–164. Zu den Hamburger Linien vgl. Walter Kresse, Die Fahrtgebiete der Hamburger Handelsflotte 1824–1888, Hamburg 1972. 19 Zu den Kabeldepeschen vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 11, Bd. 1; Sonndorfer (1889), S. 311. 20 Deutschmann (1918), S. 11. Schönfeld (1903) vermerkt, dass die Angebote zumeist sechs Stunden gültig blieben, vgl. ebd. S. 66.
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ländern ihre Angebote platzieren und die Ware innerhalb weniger Wochen an die nordamerikanischen und europäischen Handelsplätze liefern. Ebenso wie im Platzgeschäft musste der Zwischengroßhändler über große Kapitalien verfügen, da er sofort nach Kontraktabschluss zur Zahlung verpflichtet war. Zudem wurde im Lieferungsgeschäft die Tratte (ein auf eine bestimmte Person gezogener, jedoch von dieser noch nicht angenommener Wechsel) schon mehrere Wochen bevor der Käufer in den Besitz der Ware kam fällig. Hier vereinfachte der Akzeptkredit die Abwicklung der Geschäfte. Mittels der von Londoner Bankhäusern bereitgestellten Kreditlinien war für denjenigen, der über einen solchen Kredit verfügte, das effektive Vorhandensein von Geld nicht notwendig. Kam ein Geschäft zustande, stellte der Hamburger Käufer „sofort Rembours […] bei einem ihm geschäftlich befreundeten Bankier, d. h. er muss dem Vertreter zur telegraphischen Übermittlung an dessen Haus ein Akkreditiv auf ein prima Bankhaus in London aufgeben. Gegen dieses Akkreditiv zieht der Verkäufer eine Tratte und diskontiert diese bei einem Bankhaus an seinem Platz, sobald er dieselbe mit Konnossement präsentieren kann, d. h. sobald er den Kaffee an Bord hat schaffen lassen können und dafür von der Reederei, vielmehr von der Reederei-Agentur, dem Schiffsmakler, seine Quittung, nämlich dieses Konnossement, erhalten hat.“21
Zusätzlich trug der Händler der Zweiten Hand das Wechselkursrisiko sowie die Transport- und Versicherungskosten, Löschspesen am Hamburger Quai und die Lagerkosten.22 Ab der Bordübernahme der Ware im überseeischen Hafen lagen bei ihm zudem das Transportrisiko und das Risiko von Qualitätsdifferenzen, da er sich im Lieferungsgeschäft bei Abschluss des Vertrages dazu verpflichtet hatte, die gelieferte Ware zu akzeptieren. Dies galt auch, wenn die Qualität der Lieferung von derjenigen des Musters abweichen würde. Letzteres war oft der Fall, „da aber die Ansichten über den Ausfall der Ernte verschieden sind, […] so weisen auch die Grundmuster der verschiedenen Ablader oft große Unterschiede auf “.23 Hintergrund der zunehmenden Bedeutung von Lieferungsgeschäften im Kaffeehandel ab den 1870er Jahren sind somit Innovationen wie die Transport- und Kommunikationsrevolution, die Differenzierung der Geschäftsfelder im internationalen 21 Schönfeld (1903), S. 67. 22 Die Kosten des Importeurs ab Ankauf im Exporthafen bis Ankunft im eigenen Lager, also für Transport, Versicherung und sonstige Gebühren, betrugen rund 30 Prozent des Einkaufspreises vgl. Findeisen (1917), S. 84. Zu den spezifischen Wechselkursproblemen und -risiken im internationalen Kaffeehandel vgl. Ratzka-Ernst (1912), S. 105; Schönfeld (1903), S. 133. 23 Deutschmann (1918), S. 10. Vgl. auch Schönfeld (1903), S. 66 f. Bei Qualitätsdifferenzen einigten sich die Geschäftspartner entweder einvernehmlich auf eine Begleichung der Differenz oder wandten sich, wenn keine Einigung möglich war, an das Schiedsgericht des Kaffee-Vereins, vgl. Findeisen (1917), S. 60 f.
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Handel sowie die funktionale Trennung von Erster und Zweiter Hand bei gleichzeitiger Konzentration der Handelshäuser auf eine Ware in den 1880er Jahren.24 Diese Entwicklung betraf nicht alle Hamburger Handelshäuser (wie in Kapitel 3 beschrieben), sondern vor allem die Handelshäuser, die mit Kaffee aus Ländern handelten, in denen Kaffee ein Hauptexportgut darstellte, also vor allem die lateinamerikanischen Länder und hier insbesondere Brasilien. Dementsprechend kam dem Lieferungsgeschäft auch allein im Handel mit den lateinamerikanischen Ländern und vor allem mit Brasilien eine besondere Bedeutung zu.25 Im Wesentlichen beruhte das Lieferungsgeschäft aber auf den traditionellen Grundlagen des internationalen Handels wie dem Akzeptkredit und der Übernahme sämtlicher Risiken und Kosten ab dem Exporthafen durch den Händler der Zweiten Hand. Es unterschied sich insofern vom Platzhandel, als die Geschäftspartner und die Ware nun nicht mehr gleichzeitig an einem Ort sein mussten. Weiterhin tauschten aber die Kontraktparteien effektive Ware gegen Geld. Zwar konnten zwischen Kontraktabschluss und Erfüllung Monate liegen und es war möglich, den Kontrakt vor Lieferung der Ware an einen Dritten zu verkaufen, doch am Ende stand die effektive Lieferung der Ware „Ist dieser Kontrakt abgeschlossen, und verkaufe ich diesen Kontrakt an den anderen Kommittenten, so behält er diesen Kontrakt, der Mann bekommt die wörtliche Kopie des Kontraktes, einerlei, ob ich ihm den Verkäufer nennen will; es konveniert mir vielleicht nicht, er hat mir vielleicht etwas mehr gegeben, als ich bezahlt habe, aber er bekommt die wörtliche Kopie des Kontraktes, und dieser muss ihm gegenüber genau ausgeführt werden, wie mir gegenüber.“26
Genau in diesem Punkt unterscheidet sich das Termingeschäft von den Platz- und Lieferungsgeschäft. Ein Termingeschäft ist als Unterform des Zeitgeschäftes ebenso wie ein Lieferungsgeschäft ein Vertrag über Lieferung und Abnahme einer Ware zu einem fest vereinbarten Preis, wobei auch dieser Vertrag erst zu einem bestimmten Zeitpunkt nach Abschluss erfüllt wird. Auch hier sind die Waren durch Typenfestsetzung standardisiert und die Mindestgüte bestimmt. Vereinheitlicht sind außerdem der Lieferort, die allgemeinen Vertragsbedingungen über Abwicklung, Verzug etc. und die Erfüllungsfristen. Jedoch unterschied sich im hier betrachteten Zeitraum das 24 Sonndorfer (1889), S. 310, verweist darauf, dass das Lieferungsgeschäft im Kaffeegroßhandel „in den letzten zehn Jahren“ erst größere Bedeutung erlangt habe, also in den 1880er Jahren. 25 Neben Brasilien spielte das Lieferungsgeschäft im Handel mit Venezuela und Puerto Rico eine größere Rolle. Der Handel mit zentralamerikanischen Ländern war im Wesentlichen weiterhin ein Platzgeschäft, vgl. Schönfeld (1903), S. 69; BEK, St. Pr. (1893), S. 2221. Zu diskutieren wäre, inwiefern es sich beim Handel der Hamburger Unternehmen mit Pflanzern, denen auf zukünftige Ernten Kredite gegeben wurden, nicht auch um Zeitgeschäfte mit ähnlichen Bedingungen wie im Lieferungsgeschäft gehandelt hat. 26 Embden BEK, St. Pr. (1893), S. 2195.
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Termingeschäft vom Lieferungsgeschäft in vier Punkten: Grundlage der Typenfestsetzung bildeten erstens an allen Terminbörsen bis zum Ersten Weltkrieg die Brasilkaffees, und zwar eine mittlere Qualität (Good Average Santos). Sie war unabhängig von graduellen Qualitätsunterschieden der Ernten theoretisch immer lieferbar und somit fungibel.27 Diese mittlere Qualität konnte zweitens allein zu einer festgesetzten Mindestmenge, einem Los, gehandelt werden. Vertragsgegenstand stellten Derivate (standardisierte Kontrakte) dar, in Hamburg umfasste das Los 500 Sack Good Average Santos, gehandelt werden konnte ein beliebiges Vielfaches davon. Die Vertragsparteien mussten sich deshalb, sobald der Erfüllungstermin feststand, lediglich noch über den Preis sowie die Anzahl der Lose einigen. Zudem bestand im Terminhandel drittens die Option, Geschäfte über zukünftige Kaffeeernten abzuschließen, da Kontrakte mit bis zu zwölf Monaten Lieferzeit möglich waren. Der entscheidende Unterschied bestand aber viertens nicht unbedingt in der Standardisierung der Kontrakte, sondern darin, dass in der Praxis die Vertragsparteien nicht am Verkauf und Kauf von effektiver Ware interessiert waren: „es ist hier gleich, ob die Ware wirklich zur Lieferung gelangt, oder nur die Differenz der Kurse durch Geld zum Ausgleich gebracht wird“.28 Bis zum Fälligkeitstag war es möglich, dass die Derivate durch Ankauf und Verkauf (auch „ohne Abnahme“) beliebig ihre Besitzer wechselten. Im Unterschied zum Lieferungsgeschäft war der Terminhandel, so Max Weber treffend, ein Mittel für „die technische Gestaltung der Kredit-Intervention und damit der spekulativen Marktbildung“.29 Da man erst am Erfüllungstag den Unterschied des Kontraktpreises zum Marktpreis begleichen konnte, ermöglichten Termingeschäfte Differenzgeschäfte. War der Marktpreis, das heißt der Preis an der Terminbörse am Fälligkeitstag höher als der des Kontraktes, konnte der Käufer die Differenz einstreichen, im umgekehrten Fall musste er den Unterschied bezahlen. Üblich war dieser Fall aber weniger. Vielmehr wurde schon vor dem Ende des Kontraktes mittels Gegengeschäften die Verbindlichkeit „glattgestellt“, also nicht die Differenz zwischen Kontraktpreis und dem Marktpreis am Kontraktablaufsdatum, sondern die jeweilige Kursdifferenz beglichen, wenn der Kontrakt seinen Besitzer wechselte. Die Masse der getätigten Transaktionen führte zu skontrierten Salden, die sich aus den Kursdifferenzen ergaben. Auf diese Weise waren Geschäfte an den Warenterminbörsen auch für Privatpersonen attraktiv, die kein Interesse an der effektiven Ware hatten und an den Kursbewegungen verdienen wollten. Dementsprechend hatten die an Warentermingeschäften beteiligten Akteure kaum den Wunsch, die abgeschlossenen Geschäfte effektiv 27 Ausnahmen bildeten Amsterdam und Rotterdam; hier konnte neben Brasilkaffee auch Javakaffee gehandelt werden, vgl. Sonndorfer (1889), S. 320. 28 Tapolski (1896), S. 6. 29 Max Weber, Die technische Funktion des Terminhandels in: MWG, Abt. I, Bd. 5/2, S. 598.
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zu erfüllen.30 An der Hamburger Terminbörse betraf dies in den Jahren 1887 bis 1891 lediglich 1,8 bis 3,8 Prozent.31 Die Kontrahenten an der Terminbörse tätigten demnach vor allem „Deckungs-Termingeschäfte“,32 Arbitragegeschäfte zur Ausnutzung von Preisunterschieden bei einer Ware, die zur selben Zeit auf verschiedenen Märkten angeboten wurde, und Blankoverkäufe.33 Allein an der Hamburger Terminbörse wurden im Jahr 1888 Kontrakte auf über 990.000 Tonnen Rohkaffee und damit 233 Prozent der weltweit exportierten Kaffeemengen des Erntejahres 1888/89 (424.620 Tonnen) gehandelt.34 Dass die Umsatzzahlen so weit über den Ernteerträgen lagen, blieb aber von 1892 bis 1910 eine Ausnahmeerscheinung, wie. 30 Ein Los Good Average Santos musste aus mindestens 50 Prozent Good Santos, 33,33 Prozent Superior Santos und 16,67 Prozent Regular Santos oder gleich guten Sorten bestehen. Wollte man als Verkäufer eines Loses den Kontrakt zum Ablaufzeitpunkt tatsächlich erfüllen, so musste man die Qualitäten in genau dieser Zusammensetzung besitzen vgl. Kranke (1928), S. 59. Verfügte der Verkäufer darüber, so traten weitere komplizierte Abwicklungsregeln des Vereins in Kraft vgl. Schönfeld (1903), S. 98–102. Allein diese Geschäftsmodalitäten erschwerten die effektive Erfüllung eines Termingeschäftes und ließen es unattraktiv werden. Dies war aber ganz im Interesse der Mehrheit der an den Börsentermingeschäften beteiligten Personen, da die Ausnutzung von Preisunterschieden aufgrund von Kursschwankungen das vorrangige Ziel der Kontrakte war. Die Typen, also die jeweilige Festlegung über die Qualitätszusammensetzung der gehandelten mittleren Qualität wurden von einer Kommission des Vereins alljährlich bestimmt. Die Kriterien der Typenfestsetzung waren ein umstrittenes Dauerthema in den Vorstandssitzungen und Generalversammlungen des Vereins, vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 3, Bd. 1. Insbesondere diese Modalitäten sowie die Festsetzung der Qualität der Typen wurden später im Rahmen der Börsenreform diskutiert, da hier eine einseitige Bevorteilung einiger weniger zum Nachteil der Mehrheit befürchtet wurde vgl. Kapitel 4.2. 31 Vgl. BEK, Bericht (1893), S. 376. 32 Heute werden Deckungs-Termingeschäfte als Hedgegeschäft bezeichnet. Motiv ist, ein akzeptables Preisniveau in der Zukunft festzuschreiben, um so zumindest den augenblicklichen Marktwert zu sichern vgl. Paul H. Cootner, Speculation and Hedging, in: Proceedings of a Symposium on Price Effects of Speculation in organized Commodity Markets 7 (1967), S. 65–105. 33 Arbitrage bezeichnet Geschäfte, bei denen am billigeren Markt gekauft und die gleiche Menge auf den gleichen Monat am teureren Markt verkauft wird. Dadurch wird am billigeren Platz mehr Nachfrage und am teureren mehr Angebot geschaffen und so Ausgleich herbeigeführt. Die Blankoverkäufe werden heute Short Sale oder Leerverkäufe genannt. Hierbei spekuliert der Verkäufer darauf, dass er die zu liefernden Waren zum Erfüllungszeitpunkt unter seinem Verkaufspreis erwerben kann. Die Differenz zwischen Verkaufsund Einkaufskurs verbleibt ihm als Gewinn bzw. Verlust. Zu den Blankoverkäufen an der Hamburger Kaffeeterminbörse vgl. BEK, St. Pr. (1893), S. 2113, S. 2118. 34 Vgl. Die Warenliquidationskasse, in: Eckstein (1906), o. P.; Bericht Liquidationskasse (1889–1915).
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Grafik 23 Umsätze an der Warenliquidationskasse und Rohkaffeeexporte Brasiliens 1887–1914
. Grafik 23 am Beispiel der Erntehöhen von Brasilien gegenüber den in Hamburg gehandelten Mengen zeigt.35 Rückblickend stellten die Etablierung der Handelstechnik Termingeschäft und die internationale Verbreitung von Warenterminbörsen ab den 1880er Jahren die einschneidendste Innovation bei den Handelspraktiken mit Kaffee im hier betrachteten Zeitraum dar. Zugleich bildete sie den ersten größeren Konfliktgegenstand innerhalb des Kaffee-Vereins. Die mit dem Terminhandel einhergehenden neuen Geschäftspraktiken unterliefen aus der Sicht einiger Kaffeehändler die ethischen Grundlagen der kaufmännischen Berufsausübung. Schon die Frage, ob und mit welchen Mitteln, Regeln und Instanzen man Termingeschäfte in Hamburg zulas35 Für die Umsatzzahlen vgl. Bericht Liquidationskasse (1889–1905). Produktion Brasilien vgl. die Quellenangaben für Grafik 3. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, hier Tabelle 18 und 36.
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sen sollte, wurde kontrovers diskutiert.36 Die Befürworter sahen in der Einführung des Terminhandels Vorteile für den einzelnen Kaufmann und für den Handelsplatz Hamburg. Demgegenüber lehnte die andere Fraktion die Einführung des Terminhandels mit dem Argument ab, dass das Lieferungsgeschäft alle notwendigen Funktionen des Zeitgeschäftes für den Kaufmann erfülle. Zudem habe der Terminhandel mit dem genuinen Geschäft des Kaufmanns, der Vermittlung von effektiven Waren, nichts mehr gemein.37 Diese „Häuser […] stemmten sich mit aller Macht gegen die einzuführende Neuerung und bezeichneten sie als abschüssige Bahn, glaubten auch, [dass] […] dasselbe einem totgeborenen Kinde zu vergleichen wäre, und es fürchtete überdies eine starke Partei, daß das Geschäft in effektiver Ware einen großen Abbruch durch den Terminhandel erleiden müsste“.38 Im Konflikt setzten sich letztlich die Befürworter durch. Zur Erarbeitung der dafür notwendigen Regeln richtete der Verein eine Kommission ein, die im April und Mai 1887 tagte und an deren Ende der Erlass von Usancen für Termingeschäfte in Hamburg stand.39 Die ersten Notierungen auf Termingeschäfte fanden kurz darauf, am 11. Juni 1887 statt, dreieinhalb Monate später dann in dem neu eröffneten Börsensaal am Sandthorquai. Interessant ist, dass der Verein, als es im Nachhinein darum ging, die Zulassung von Termingeschäften in Hamburg zu rechtfertigen, vor allem ein marktliberales Scheinargument anführte: Da die Großhändler in Le Havre Terminhandelsgeschäfte abschließen konnten, seien auch die Hamburger Großhändler gezwungen gewesen, diese Handelsform einzuführen.40 Der Makler Embden, der noch 1886 entschiedener Gegner der Einführung des Terminhandels gewesen war, machte es in seiner Aussage vor der Börsen-Enquete 1892 plastisch: „Die Differenz in der Fracht, um ihn [Kaffee aus Le Havre] nach Deutschland zu beziehen, ist ja so unbedeutend, daß, wenn er dort eine ganz kleine Fraktion billiger ist, wie das durch das Termingeschäft sehr leicht kommen kann, man ihn da kaufen wird.“41 Tatsächlich ist jedoch die Konkurrenzsituation mit Le Havre als alleinige Ursache nicht plausibel. Erst als im Rahmen der Börsenreform sowohl der Terminhandel als auch die Praktiken der Hamburger 36 Zur Diskussion um die Einführung des Terminhandels vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 2, Bd. 1, Signatur 3, Bd. 1 und Signatur 11, Bd. 1: Berichte der Kommission zur Einführung des Kaffeeterminhandels 1887; George Blass, Die Entwicklung des Hamburger Kaffeehandels, in: Illustriertes Export-Handbuch der Börsenhalle, Hamburg 1905/07, S. 193–223, hier S. 207. 37 Vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 2, Bd. 1; BEK, St. Pr. (1889), S. 2216. 38 Hamburger Börsenhalle vom 6.1.1888, zit. nach Albanus (1925), S. 9. 39 Beschlossen wurde die Einführung am 11.2.1887 auf der außerordentlichen Generalversammlung vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 2, Bd. 1. 40 Vgl. Handelskammer Hamburg, Betrifft das Hamburger Kaffee-Termingeschäft (Typoskript), in: StAHH, Bibliothek, Signatur A 910/93 Kapsel 1 Vg. A 914. Hier finden sich auch weitere Argumente für eine Einführung in Hamburg. 41 Embden BEK, St. Pr. (1893), S. 2071.
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Kaffeegroßhändler angegriffen wurden, begann der Kaffee-Verein, in offiziellen Stellungnahmen die Konkurrenzsituation mit Le Havre zu betonen, und auch bei den Börsen-Enquete-Befragungen wurde sie zum Hauptargument aller befragten Vereinsmitglieder.42 Dem steht aber gegenüber, dass zwar, wie aus der Grafik 24 hervorgeht, tatsächlich der prozentuale Anteil der aus Frankreich in das deutsche Zollgebiet importierten Waren ab 1882, dem Jahr der Einführung des Terminhandels in Le Havre, kontinuierlich gestiegen ist, dass aber auch Hamburgs prozentualer Anteil sich in diesem Zeitraum erhöhte (bis auf einen Einbruch von 4 Prozent im Jahr 1884).43 Damit stellt sich die Frage nach den realen Motiven der Hamburger Kaffeegroßhändler für die Einführung des Terminhandels. Mindestens genauso wie das Konkurrenzargument dürften verschiedene Vorteile, die der Terminhandel ihnen bot, schließlich auch die Zweifler unter den Vereinsmitgliedern überzeugt haben.44 Als Warenterminhandelsgegenstand eignen sich allein Waren, die „in großen Mengen periodisch produziert werden, häufigen Preisschwankungen unterworfen (Witterung), durch eine gewisse Gleichartigkeit der Qualität unbedingt vertretbar und Gegenstand des Massenkonsums sind“.45 Die auf wenige Monate beschränkten Erntezeiten bei gleichzeitigen Qualitätsschwankungen und konstanter Nachfrage ließen in den Augen der Großhändler Kaffee zu einem geeigneten Terminhandelsgut werden. Ebenso sahen sie in der Terminbörse ein Steuerungs- und Absicherungsinstrument für ihre Effektivgeschäfte, weil: „überseeische Telegraphen- […] [und] Dampfschifflinien existierten, die es möglich machten, daß die Artikel mit ungeheurer Schnelligkeit in die Konsumländer kamen, daß also das Produkt der Ernten, die sich nicht über ein ganzes Jahr hinaus entwickeln, sondern nur wenige Monate dauern, mit einem Male auf die Märkte geworfen wurde, während der Konsum ein ganzes Jahr braucht, um die Artikel zu verwenden.“46 42 Neben den Äußerungen der Hamburger Kaffeegroßhändler vor der Börsenreform wiederholen auch die vom Kaffee-Verein verfassten Gutachten der Handelskammer Hamburg dieses Argument vgl. BEK, St. Pr. S. 2209, S. 2216, S. 2225, S. 2232, S. 2236; Handelskammer Hamburg (1889); dies, Die Entwicklung des Hamburgischen Kaffeegeschäfts unter dem Einfluss des Terminhandels und des Börsengesetzes vom 22.6.1896 (Typoskript); dies., Die Entwicklung des Hamburgischen Kaffeegeschäftes (Typoskript), Hamburg 1900. 43 Quellen zu Grafik 24: Hamburgs Handel (1879–1890) und Stat. Jb. (1881–1890). Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, hier Tabelle 34. 44 Vgl. Handelskammer Hamburg (1889), S. 1. Vgl. auch die Schilderungen des Sachverständigen Hermann Moses Robinow (Teilhaber des u. a. im Kaffeekommissionshandel tätigen Unternehmens Robinow & Sohn, gegründet 1800) vor der Börsen-Enquete, in: BEK, St. Pr. (1893), S. 2088. 45 Ratzka-Ernst (1912), S. VI. 46 Robinow BEK, St. Pr. (1893), S. 2072.
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Grafik 24 Anteile Frankreichs und Hamburgs am Kaffeeimport in das deutsche Zollgebiet 1878–1888
Neben dem Versuch, die Gegner von der Notwendigkeit des neuen Instruments zu überzeugen, griffen die Befürworter auf eine Strategie der Beschwichtigung zurück: Die Einführung des Termingeschäftes sei zweitens lediglich eine „Modernisierung“ des Lieferungsgeschäftes.47 Zudem betreibe man drittens den Terminhandel in New York seit 1881 und in Le Havre ab 1882 schon überaus erfolgreich. Besonders Le Havre habe dadurch seine Position im europäischen Kaffeehandel stark verbessern können, beliefere nun zunehmend das deutsche Zollgebiet und bedrohe somit Hamburgs Position. Auf den Nutzen des Terminhandels für den einzelnen Kaffeegroßhändler wies Michahelles, während der Einführung der Termingeschäfte in Hamburg Vorstandsvorsitzender des Kaffee-Vereins, vor der Börsen-Enquete-Kommission hin, indem er ausführte, „daß wir in Hamburg auch ohne die Umstände, die uns veranlasst haben, das Termingeschäft einzuführen, binnen weniger Jahre zum Termingeschäft gekommen sein würden. […] Ich glaube aber, aus den Erfahrungen in allen übrigen großen Stapelartikeln schließen zu dürfen, daß es nicht Zufall ist, wenn sich schließlich in jedem großen Stapelartikel der Terminmarkt herausbildet, sei es börsenmäßig geregelt, sei es als Lieferungsgeschäft, mit allen Merkmalen des Termingeschäftes, wie in Salpeter und anderen Artikeln gehandelt wird. Ich glaube daher, daß für das Kaffeegeschäft ohne Weiteres, je stärker die Produktion zunahm, je mehr der Artikel konsumiert, je stärker es sich an den Schwankungen beteiligte, der Zwang vorlag, wenn es seine Stellung aufrecht erhalten wollte, sich am Termingeschäft zu beteiligen.“48
Der erste dieser Vorteile lag in den Vorzügen des Terminhandels als Ergänzung zu der traditionellen Handelsform des Platzhandels und auch zu der erst seit den spä47 Vgl. Sonndorfer (1889), S. 319. 48 Michahelles, BEK, St. Pr. (1893), S. 2232.
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ten 1870er Jahren zunehmend im Kaffeegroßhandel praktizierten Handelsform des Lieferungsgeschäftes. Für die Kaffeegroßhändler bot die Warenterminbörse, neben der Möglichkeit, selbst Termingeschäfte abzuschließen, den Vorteil, dass sie fremdes Kapital und neue Geschäftspartner anzog, die bisher kein Interesse am Kaffeehandel hatten. Der beträchtliche spekulative Anteil an den an der Hamburger Warenterminbörse abgeschlossenen Geschäften zeigt sich besonders, wenn man die Umsätze der Kasse in ein Verhältnis mit den Hamburger Importen aus Brasilien und den brasilianischen Rohkaffeeexporten setzt (vgl. Grafik 25).49 Als Instrument der Kontrolle sowie der exklusiven Beteiligung der Vereinsmitglieder an der Abwicklung von Termingeschäften sowie schließlich als Sicherungsinstanz bezüglich der Liquidität der an den Geschäften Beteiligten richtete der Verein eine Warenliquidationskasse ein.50 Schon Le Havre hatte 1883, ein Jahr nach der Aufnahme von Termingeschäften, eine Warenliquidationskasse eingeführt, in New York gab es sie hingegen nicht.51 Ebenso wie an den anderen Terminmärkten, die über eine solche Institution verfügten, war das Hauptmotiv für die Gründung der Hamburger Warenliquidationskasse mit einem Aktienkapital von drei Millionen Mark, dass sie Sicherheit für die Abwicklung der Geschäfte verschaffte: „Für jeden, der Termingeschäfte macht, ist es also von höchstem Interesse, nur mit solchen Personen abzuschließen, von denen er bestimmt weiß, daß sie bereit und imstande sind, ihre Verbindlichkeiten zu erfüllen. […] Die Lösung des Problems bestand darin, daß man den Liquidationsbureaus nicht nur auftrug, die Regelung und Abwicklung zu besorgen, sondern auch einem jeden, der Termingeschäfte macht, die richtige Erfüllung der dem Gegenkontrahenten obliegenden Verpflichtungen zu garantieren.“52
49 Quellen vgl. Grafik 23 und für Hamburger Importe Grafik 14. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, hier Tabelle 18, 29 und 36. 50 Die Warenliquidationskasse wurde am 28.5.1887 in das Handelsregister eingetragen und die Geschäftstätigkeit am 11.6 aufgenommen. An diesem Tag fanden auch die ersten Termingeschäfte in Hamburg statt. 51 Vgl. BEK, St. Pr. (1893), S. 2069. Dafür verlangten die New Yorker Kontrahenten voneinander Einschüsse in Abhängigkeit der Wertigkeit eines Geschäftes (Margins) vgl. Hellauer (1910), S. 444. Albanus (1925) stellt eine Warenliquidationskasse für New York fest, die 1883 gegründet worden sei. Doch die Kaffeehändler weisen im Rahmen der Börsen-Enquete darauf hin, dass es sie in New York nicht gäbe. So auch Hellauer (1910) sowie Ukers (1922), der ausführlich die Organisation der New Yorker Kaffeeterminbörse behandelt, aber eine Existenz einer Liquidationskasse nicht erwähnt. Zur Warenliquidationskasse in Le Havre vgl. F. Schmidt, Die Liquidationskasse zu Le Havre, in: Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis 5 (1912) 2, S. 41–46. 52 G. J. van der Maaten, Termingeschäfte in Kaffee in Rotterdam, in: Zeitschrift für Handelswissenschaften und -praxis 3 (1910/11) 11, S. 391. Zu den Warenliquidationskassen und ihrer technischen Funktion vgl. auch Albanus (1925); Kaufmann (1909); Johann
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Grafik 25 Umsätze der Warenliquidationskasse, brasilianische Rohkaffeeexporte und Importe aus Brasilien nach Hamburg 1888–1913
Für jedes Geschäft, und zwar gegenüber Käufer und Verkäufer, war die Liquidationskasse der Gegenkontrahent. Die grundsätzlichen Vertragsbedingungen wie Fristen und Einschüsse waren durch ein Regulativ standardisiert. Dieses legte auch die anfallenden Gebühren und den Dekort, den Abzug vom Rechnungsbetrag für mangelhafte Ware, fest. Gegenstand der Schlussnote, des Vertrags über den Geschäftsabschluss, bildeten deshalb allein die Vermerke der Kontraktparteien, des vermittelnden Maklers, des Erfüllungstermins, des Preises sowie der Höhe der Kontrakteinheiten. Zu ihrer eigenen Absicherung verlangte die Liquidationskasse von allen Kontrahenten Abschläge für die bei ihr eingereichten Kontrakte. Sie lagen bei drei Mark pro Sack und damit bei mindestens 1.500 Mark pro Kontrakt. Stieg aufgrund der Preisentwicklung die Wertigkeit eines Kontraktes, verlangte die Liquidationskasse Nachschüsse, im gegenteiligen Fall zahlte sie bereits geleistete Depots anteilig zurück.53 Die von der Kasse verlangten Einschüsse und Nachschüsse verhinderten, dass ein Kontrahent ohne ausreichend Liquidität ein Geschäft aufrechterhalten konnte. Allein die Existenz dieser Praxis führte offensichtlich dazu, dass die Kontrahenten sich im Hinblick auf ihre eigene Liquidität nicht übernahmen, denn die Exekution von Termingeschäften war eine Seltenheit.54 Durch die Einführung der WarenliquidatiChristian Meier, Die Entstehung des Börsengesetzes vom 22. Juni 1896, St. Katharinen 1992, S. 58. 53 Vgl. Regulativ der Warenliquidationskasse, in: StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 6; Albanus (1925), S. 42 f.; BEK, St. Pr. (1893), S. 2112, S. 2198. 54 Vgl. BEK, St. Pr. (1893), S. 2112.
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onskasse und ihrer Bestimmungen reduzierte der Verein maßgeblich die Unsicherheit der Kontrahenten über das jeweilige Verhalten der Gegenkontrahenten. Der Aufsichtsrat der Warenliquidationskasse bestand aus Vereinsmitgliedern (in der Regel den Vorstandsmitgliedern). Der Vorstand des Kaffee-Vereins bestimmte monatlich neu auch die Makler, die die Termingeschäfte im Auftrag der Kasse abzuwickeln hatten.55 War das Verhältnis zwischen Warenliquidationskasse und Verein erst lose darüber hergestellt, dass der Verein die Usancen für den Terminhandel formuliert hatte und im Vorstand der Warenliquidationskasse Mitglieder des Vereins saßen, unterstanden ab März 1890 „alle eigentlich caffeetechnischen Fragen des Termingeschäftes der Zustimmung des Vereins, Personenfragen, Zulassung und Ausschließung von Maklern der Kasse, sowie die Arbitration von Terminlosen seiner [des Kaffee-Vereins] Beschlussfassung allein“.56 Auch konnten die Termingeschäfte mit Kaffee ausschließlich mit der Warenliquidationskasse und hier wiederum allein mittels ihrer eigenen Terminmakler, die lediglich Unternehmen mit Firmensitz in Hamburg vertreten durften, abgeschlossen werden. War man nicht in Hamburg ansässig, musste man sich der Vermittlung eines Hamburger Kommissionärs bedienen (vgl. Grafik 26).57 Sowohl die Makler als auch die Kommissionäre der Kasse stammten also aus den Reihen des Vereins. Zudem monopolisierte die Warenliquidationskasse als Absicherungsinstrument den Handel für die Mitglieder des Vereins in drei Punkten: Erstens verschaffte insbesondere die oben erläuterte Hamburger Praxis der Kursfeststellung den Vereinsmitgliedern exklusives Wissen. Schriftlich festgehalten und allgemein bekannt war lediglich der jeweilige Preis des letzten und ersten Geschäftes der Vormittags- und Nachmittagsbörse.58 Doch dazwischen konnte ein Kontrakt sehr häufig seinen Besitzer gewechselt haben: „Nach zehn Minuten findet man Gelegenheit, das umzutauschen, dann hat die Stimmung gewechselt.“59 Ein offiziell notierter Börsenanfangs- und -schlusspreis, der am nächsten Tag in der Zeitung stand, konnte somit durchaus erheblich von den tatsächlich gehandelten Preisen abweichen.60 Welche Geschäfte ein Makler, Kommissionär oder Importeur zu welchen Konditionen abgeschlossen hatte, ob auf eigene Rechnung oder im Auftrag eines Kommittenten im Effektivgeschäft, war im Einzelnen nicht bekannt, da sie vor 55 Vgl. ebd., S. 2142. Der Vorstand des Vereins verweigerte durchaus auch Mitgliedern des Vereins den Status eines Terminmaklers vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 3, Bd. 1. Hier z. B. Vorstandssitzung vom 13.8.1889 und 22.1.1890. 56 Ebd., Signatur 2, Bd. 1, Protokoll der ordentlichen Generalversammlung vom 29.3.1890. 57 Diese waren alle zugleich Vereinsmitglieder. Zu den Terminmaklern vgl. Schönfeld (1903), S. 91, S. 110–113. 58 Später fanden auch an der Mittagsbörse offizielle Kursnotierungen statt vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 2, Bd. 1. 59 Embden BEK, St. Pr. (1893), S. 2187. 60 Vgl. BEK, St. Pr. (1893), S. 2141–2143; Schönfeld (1903), S. 104.
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Grafik 26 Organigramm Kaffeeterminhandel in Hamburg
zehn Uhr in den Büros und per Telefon abgewickelt wurden: „die Leute sind verschieden gestimmt, der eine wünscht abzuwickeln, der andere nicht. Kommt nun ein Bote, so sagt man, setzen Sie sich einen Augenblick, man geht ans Telephon und fragt: wollen Sie empfangen oder wieder verkaufen? Da bekommt man die Antwort, es wird danach verfahren.“61 Zwar war es dem einzelnen Kaufmann kaum möglich, über die Effektivabschlüsse seiner Mitbewerber genaue Kenntnis zu erhalten, aber die Summe der Aktivitäten der Börsenteilnehmer, die alle während der Börsenzeiten öffentlich ausgerufen wurden, vermittelten durch die getätigten Terminabschlüsse dem einzelnen Vereinsmitglied einen Eindruck von der gegenwärtige Marktlage im Effektivgeschäft und von den Erwartungen an zukünftige Entwicklungen. Um überhaupt gewinnbringend Geschäfte abzuschließen, benötigte man genaue Kenntnisse der Marktlage und die Zugangsberechtigung zur Börse am Sandthorquai. Über beides verfügten allein Vereinsmitglieder. Zweitens wurden die Vereinsmitglieder zu den idealen Vermittlern für Geschäfte an der Terminbörse. Aus dieser Vermittlung ließen sich wiederum Vorteile für selbständige Geschäfte ziehen. Ein Kommittent beauftragte seinen Kommissionär, zum
61 Embden BEK, St. Pr. (1893), S. 2193.
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Beispiel Ware auf einen bestimmten Termin und zu einem bestimmten Preis zu erwerben: „Den ersten Moment, wo der Kaffee zum Preise von 76 zu kaufen ist, hat der Kommissionär nicht nur das Recht, sondern auch die Verpflichtung, zu benutzen. Er hat gar nicht das Recht, zu warten und zu sagen: jetzt ist der Kaffee 76; ich werde warten, bis er 75,5 oder 75,23 ist und werde dann kaufen. Er kann so wenig in die Zukunft sehen, wie ich, oder ein anderer; er muss sofort die Ordre ausführen, wie sie ihm sein Kommittent erteilt hat.“62
In diesem Fall handelte der Kommissionär auf fremde Rechnung sowie fremden Auftrag und erhielt für seine Dienstleistung eine Provision. Neben der Provision gab es aber noch eine weitere Möglichkeit, an diesem Geschäft zu verdienen, und zwar durch Selbsteintritt. Im oben zitierten Beispiel hätte der Kommissionär beispielsweise selbst den Kaffee zu 76 Pfennige das Pfund anbieten können und wäre so zum Gegenkontrahent seines eigenen Kommittenten geworden. Wäre der Preis unter 76 Pfennige gefallen, hätte der Kommissionär an der Kursdifferenz und der Provision verdient.63 Nicht allein für ihre eigenen Geschäfte, sondern vermehrt als Dienstleister für Dritte war nun rund ein Drittel der Hamburger Großhändler im Terminhandel tätig.64 Dabei handelten diese Makler und Kommissionäre in der Praxis nicht ausschließlich in fremdem Auftrag und auf fremde Rechnung. Gewinne ließen sich vor allem dann realisieren, wenn man schnell gleichzeitig im Termin- wie im Effektivgeschäft operierte. Drittens verursachte die bloße Existenz der Warenliquidationskasse und ihrer Geschäftsregeln, dass Lieferungsgeschäfte, die mit ähnlichen Absichten wie Termingeschäfte geschlossen wurden, risikoreicher waren als Termingeschäfte an der Hamburger Börse. Damit zog die Terminbörse nicht allein Personen an, die an den Kursschwankungen verdienen wollten, sondern auch diejenigen, die eigentlich nur ein Interesse an effektiver Ware hatten. Ein Beispiel für diesen Fall schilderte der Kaffeebinnengroßhändler Alexander van Gülpen, Mitinhaber der Firma Lensing & van Gülpen aus Emmerich. Er war eigentlich ein entschiedener Gegner des Terminhan62 Gierth BEK, St. Pr. (1893), S. 2177. 63 Die Frage des Selbsteintritts wurde im Rahmen der Börsenreform ausführlich debattiert, letztlich vom Börsengesetz aber nicht geregelt. Die damit gegebene Möglichkeit der Preismanipulation stand hierbei im Zentrum der Auseinandersetzung. Zur Debatte vgl. BEK, St. Pr. (1893), S. 2176–2178, S. 2137–2151, S. 2271. Dazu auch Schönfeld (1903), S. 105. Eine weitere Verdienstmöglichkeit bestand durch den Abschluss von Prämiengeschäften. Mit dem Abschluss eines Termingeschäftes vereinbarten die Kontraktparteien zusätzlich eine Prämie auf bestimmte Erfüllungssituationen, vgl. Brougier (1889), S. 58f.; BEK, St. Pr. (1893), S. 2255 f. Noch- und Doppelprämien wurden vom Kaffee-Verein aber ab 1889 ausgeschlossen vgl. Regulativ der Warenliquidationskasse, in: StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 6. 64 1902 betraf dies 37 Maklerfirmen und 24 Kommissionshäuser. Diese waren alle zugleich Vereinsmitglieder; Schönfeld (1903), S. 91, S. 110–113.
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dels und wurde als solcher auch zwecks Befragungen vor die Börsen-Enquete berufen. Dort berichtete er über die Risiken des Lieferungsgeschäftes, die auch ihn als Gegner von Termingeschäften solche zwangsweise abschließen ließen:65 „Ich habe Kaffee in Brasilien gekauft und in Holland auf Termin [als Lieferungsgeschäft] verkauft, derselbe wurde verladen, der Verlader gab mir einen unrichtigen Termin der Verladung auf. Es differierte um einige Tage. Aber das Schlimmste war: auf dem Schiff brach das gelbe Fieber aus, und in der Folge musste das Schiff unterwegs liegen bleiben. Es verlor die Mannschaft, konnte nicht heimkommen, kam um Wochen zu spät. Ich hatte meinen Kaffee im Oktober gekauft und dachte also – die Reise dauert vier Wochen – im November liefern zu können.“66
Dem Händler blieb nichts anderes übrig, als das Geschäft über die Zahlung der Differenz zum tagesaktuellen Preis der Terminbörse an den Geschäftspartner glattzustellen. Dies stellte einen geringeren Verlust dar, als die Partie zum aktuellen Preis und ohne potentiellen Abnehmer selber erwerben zu müssen. Dieses Beispiel ist deshalb interessant, weil es verdeutlicht, dass es für die Dritte Hand, auch wenn sie unabhängig von den Hamburger Kaufleuten der Zweiten Hand Kaffee direkt importierte, einen hohen Anreiz gab, trotzdem mit den Hamburgern Geschäfte zu machen. Damit stellte die Warenterminbörse für die Hamburger Großkaufleute eine zusätzliche Einnahmequelle dar, denn sie zog einen weiteren Kundenkreis für die Vereinsmitglieder an. Neben den Vorteilen im Hinblick auf die Partizipation an den Geschäften mit Dritten schuf der Terminhandel grundsätzliche Wettbewerbsvorteile für Vereinsmitglieder, die sich indirekt auch auf ihre eigenen Effektivgeschäfte auswirkten. Ein erster Vorteil war die Absicherung gegenüber der zukünftigen Preisentwicklung. Zwischen Ernte, Transport und Ankunft der Ware in Hamburg lag im Lieferungsgeschäft in der Regel ein großer Zeitraum. In diesem konnten sich beispielsweise durch Witterungsverhältnisse oder auch durch Schätzungen über eine vermutete Marktentwicklung die Preise stark verändern. Durch den Verkauf einer dem Effektivgeschäft entsprechenden Wertigkeit auf Termin sicherte sich der Händler nun den tagesaktuellen Kurs für den Monat, in dem seine Ware in Hamburg eintreffen würde. Auch die vormaligen Skeptiker der Einführung von Termingeschäften sahen fünf Jahre später vor allem in der Möglichkeit der Absicherung von Effektivgeschäften deren Nutzen.67 Würde 65 Van Gülpen hat zudem eine Reihe von Schriften gegen die Börsentermingeschäfte verfasst vgl. ders. (1895); ders., Dealing in Futures and the Currency, London 1896; ders., Neukapital. Brennende Fragen, Berlin 1899; ders., Das Interesse des Mittelstandes an neuen Handelsverträgen. Die Entartung des Kredits, Berlin 1901. 66 BEK, St. Pr. (1893), S. 2069. 67 Zur Funktion des Termingeschäftes als Absicherung für Effektivgeschäfte vgl. Handelskammer Hamburg (1889), S. 2; Tapolski (1896), S. 17; Max Weber, Die technische Funktion des Terminhandels, in: MWG, Abt. I, Bd. 5/2, S. 608 f.
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man den Terminhandel wieder aufgeben, dann „wird das Risiko für den Importeur und für denjenigen, der von drüben, von den amerikanischen Ländern den Kaffee absendet, ein sehr großes, wenn er nicht wenigstens die Möglichkeit hat, im Termin sich zu decken. Mann muss anerkennen, daß im Terminhandel derjenige, der Kaffee besitzt, diese Möglichkeit hat“.68 Diese Deckungs-Termingeschäfte gewährten den auch an Pflanzungsgesellschaften beteiligten Kaffeehändlern den Vorteil, dass sie ihre zukünftigen Ernten durch ein Geschäft der entsprechenden Wertigkeit auf Termin verkaufen konnten, wenn ihnen die Preise gut erschienen. Wenn sie fürchten mussten, dass die Preise fallen würden, konnten sie dadurch ihre Waren lange vor der Ankunft im Hamburger Hafen durch Verkauf sicherstellen. Umgekehrt konnten sie sich frühzeitig auf längere Zeit versorgen, wenn sie ein Steigen der Preise erwarteten. Schließlich hatten sie die Möglichkeit, sich bei stark schwankenden Preisen durch den Verkauf einer Menge Kaffee, die ihrem Lager gleichkam, gegen Preissenkungen abzusichern.69 Diese Funktion des Terminhandels als Absicherungsinstrument für die Hamburger Kaffeegroßhändler der Zweiten Hand wird ersichtlich, wenn man sich die durchschnittlichen Umsätze an der Warenterminbörse in den einzelnen Monaten genauer ansieht (vgl. Grafik 27).70 Kumuliert man die monatlichen Umsätze der Warenliquidationskasse von 1888 bis 1913, zeigt sich, dass im umsatzstärksten Monat November insgesamt 1.269 Tausend Tonnen Rohkaffee, im umsatzschwächsten Monat Mai nur etwas über die Hälfte der Novemberumsätze getätigt wurden. Dies begründet sich durch die Erntezeiten für die brasilianischen Provenienzen, die bis zu 76 Prozent der Hamburger Importe betrugen (vgl. Grafik 17 im separaten Bildteil). Die Ernte in Brasilien beginnt im Juni, ihr Höhepunkt liegt im August und sie dauert bis Oktober. Rechnet man acht Wochen von der Ernte bis zur Ankunft des Rohkaffees in Hamburg, erreichten die Lieferungen von August bis Dezember die Lager der hamburgischen Importeure. Die hohen Umsätze der Monate Januar und Februar erklären sich aus den Erntezeiten in den zentralamerikanischen Ländern, die nach Brasilien mit bis zu 22 Prozent den größten Anteil an den Hamburger Importen stellten. In diesen nah am Äquator gele-.
68 Robinow BEK, St. Pr. (1893), S. 2111 f. 69 Vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 11; ebd., Signatur 3: Die Entwicklung des Hamburgischen Kaffeegeschäfts unter dem Einfluss des Terminhandels und des Börsengesetzes vom 22.6.1896 (Typoskript). Ein Beispiel von Termingeschäften als Absicherungsinstrument von Effektivgeschäften erläutert Robinow vgl. BEK, St. Pr. (1893), S. 2073; ebenso Gierth ebd., S. 2083. Ausführlicher und skeptischer zu den Bedingungen, unter denen eine Absicherung möglich ist vgl. Embden, ebd., S. 2083f. Dazu auch Robinow, ebd. S. 2088. Allgemein zu den verschiedenen Möglichkeiten vgl. Fuchs (1891), S. 56; im Kaffeegroßhandel allgemein vgl. Deutschmann (1918), S. 30. 70 Quelle Grafik 27: Berichte der Liquidationskasse (1888–1913). Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, hier Tabelle 36.
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Grafik 27 Kumulierte Umsätze pro Monat an der Warenliquidationskasse 1888–1913
genen Anbauregionen ist die Ernteperiode ausgedehnter als in Brasilien, beginnt aber erst im Oktober und dauert bis März. Die Mehrheit dieser Ernteerträge erreichte Hamburg im Januar und Februar, ihre letzten Lieferungen trafen im April in Hamburg ein. Ein großer Teil der Abschlüsse waren demnach Absicherungsgeschäfte für gleichzeitig getätigte Effektivgeschäfte und für die eigenen Lagerbestände. Erst die Absicherung der eigenen Lagerbestände durch Termingeschäfte ermöglichte den Hamburger Kaffeegroßhändlern überhaupt eine große Lagerhaltung, ohne angesichts des massiven Anstiegs der weltweit gehandelten Mengen und eingelagerten Vorräte einen die Existenz bedrohenden Verlust durch Preisverfall befürchten zu müssen.71 Die großen Lagerbestände dienten den Kaffeegroßhändlern wiederum als Deckung für die Ein- und Nachschüsse bei Termingeschäften, denn mit dem Nachweis eines Lagerscheins über die entsprechende Wertigkeit eines Terminengagements brauchte man kein Kapital bei der Liquidationskasse zu hinterlegen.72 Die eigenen Lager machten die Händler wiederum unabhängiger von den schwankenden Kaffeeernten und -preisen, denn sie erlaubten ihnen, bei steigenden Preisen den Kaffee gewinnbringend zu verkaufen, während sie fallende Preise nutzen konnten, um die Lager wieder zu füllen. Die Kombination dieser Faktoren ermöglichte den Vereinsmitgliedern positive Skaleneffekte, indem sowohl die 71 Vgl. Grafik 13. Ab den 1890er Jahren traten erstmals räumliche Engpässe auf; ab 1900 wurde der Mangel an Lagerflächen zum Dauerproblem vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 2, Bd. 1. Zum Zusammenhang von Terminhandel und Lagerhaltung vgl. John Maynard Keynes, Vom Gelde (A Treatise on Money), München und Leipzig 1932, S. 401–415. 72 Vgl. Regulativ der Warenliquidationskasse, in: StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 6.
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Gewinnmargen als auch die umgesetzten Mengen für den deutschen wie den osteuropäischen Bedarf erheblich erhöht werden konnten.73 Dies betraf vor allem die preiswerteren brasilianischen Kaffees, die sowohl die Grundlagen für die Typisierung im Terminhandel als auch zunehmend die Haupthandelsware in Hamburg bildeten.74 Die anderen Kaffeesorten waren entweder nur in kleinen Mengen im internationalen Handel verfügbar und wurden zudem nur von wenigen, speziellen Abnehmern nachgefragt, weshalb hier die beschriebenen Strategien des Zurückhaltens oder vermehrten Verkaufs der Ware nicht in einem ähnlichen Maße anwendbar waren. Ein weiterer Vorteil für die Hamburger Großhändler entstand aus der Kombination von drei Faktoren, deren Ausnutzung die Position der Hamburger als Zwischenhändler gegenüber Erster und Dritter Hand stärkte. Erstens ermöglichte der Terminhandel eine größere Lagerhaltung als bisher. Zweitens konnten die Hamburger ihre effektive Ware im Zollfreihafen lagern. Mit der Steigerung der verfügbaren und gehandelten Mengen kam den von den Exporteuren bereitgestellten Qualitäten drittens ein immer größeres Gewicht zu. Die Zusammenstellung der Qualität einer angebotenen Partie bestimmte den Preis: „Wegen der vielen Geschmacksrichtungen der Verbraucher und der verschiedenen Beschaffenheit der Ware müssen die einzelnen Partien der eintreffenden Abladungen genau daraufhin begutachtet werden, wo sie am besten verwendbar sind, und ihr Wert dementsprechend festgestellt werden. Jede Partie hat einen anderen Wert. Darin liegt die große Bedeutung des Großhandels, daß er durch richtige Verteilung den einzelnen Gebieten die nach deren Geschmacksrichtungen passenden Sorten zuweist und durch gute Auswahl aus seinen großen Vorräten jederzeit in der Lage ist […] entsprechende Ware zu billigem Preis zu liefern.“75
Da sich die Hamburger Händler im Zollfreihafen die technischen Mittel geschaffen hatten, Verunreinigungen auszusortieren und je nach Nachfrage Mischungen herzustellen, ohne dass sie den Kaffee erst gegen teuren Zoll hätten einführen müssen, konnten sie auch große Mengen schlechterer Qualität ordern und absetzen. Im Gegensatz zum Binnengroßhandel, der sich auf die spezielle Nachfrage seiner Region und deren Geschmackspräferenzen einstellen musste, war jede Sorte und Qualität „für die Hamburger Firmen vollkommen passend […], weil der Hamburger eben vollkommen weiß, wo er mit den Kaffees, die er bekommt – es ist gleichgültig, was für Qualität der Kaffee hat – hinzugehen hat; er wird Alles los“.76 Durch ihre ver73 Von 1889 bis 1901 stieg der Export in das deutsche Zollgebiet um 70 Prozent, der in das europäische Ausland um 133 Prozent vgl. Hamburgs Handel (1890–1902). Zu den Möglichkeiten der Lagerhaltung vgl. Schönfeld (1903), S. 39; Findeisen (1917), S. 65. 74 Vgl. Grafik 17. 75 Deutschmann (1918), S. 16. 76 Gierth BEK, St. Pr. (1893), S. 2084.
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schiedene Sorten und Qualitäten umfassenden großen Lagerbestände konnten die Hamburger Händler der Zweiten Hand flexibel auf die Wünsche des deutschen Binnen- und Einzelgroßhandels reagieren.77 Die gemeinsame Nutzung von Ressourcen am Sandthorquai und die positiven Skaleneffekte in der Lagerhaltung durch eine organisierte Disposition und verbilligte Kommissionierung der gelagerten Waren stützten die Position der Hamburger Kaffeegroßhändler gegenüber den Exporteuren und Binnenhändlern. Zwar ermöglichte die Handelsform des Lieferungsgeschäftes spätestens ab den 1870er Jahren die Aufnahme von Direktbeziehungen auch zwischen diesen. Aber aufgrund der starken Position des Hamburger Zwischenhandels waren die Hamburger Kaufleute für die Exporthändler in den Anbauländern attraktivere Geschäftskunden als der Binnengroßhandel: „Seitdem das Termingeschäft in Hamburg eingeführt ist, ist man jederzeit im Stande, große Quantitäten auf Lieferung zu verkaufen, wenn man nur das Muster zeigen kann, und der Käufer hat die Möglichkeit, sich gegen außerordentliche Preisfälle zu sichern.“78 Verschiedene Qualitäten in großen Mengen vorrätig zu haben, ermöglichte den Hamburgern flexible Lieferungen der gewünschten Qualität an die Binnengroßhändler. Damit verringerten sich die Anreize auch für den Binnengroßhandel Deutschlands, direkt aus den produzierenden Ländern zu importieren. Kurzfristiger Lieferung auch kleinerer Bestellungen der gewünschten Qualität aus Hamburg stand das Lieferungsgeschäft gegenüber, welches höhere Risiken beinhaltete. Verlust oder Beschädigung der Ware auf dem Transportweg oder die Lieferung einer vom Muster abweichenden Qualität minimierten den Gewinn oder konnten sogar zu einem Verlustgeschäft führen. Zudem musste die Ware in ihrem Originalzustand, somit inklusive Verunreinigungen mit Steinen, Blättern und Hölzern, verzollt werden. Diese Faktoren führten dazu, dass für den Handelsplatz Hamburg der Export sowohl in den deutschen Binnenhandel als auch in die skandinavischen Länder und nach Russland zunahm.79 Mit der Einführung des Terminhandels war es dem Zwischenhändler am Seeplatz in besonderem Maße möglich, einerseits Waren in großen Mengen aufzunehmen und andererseits gegenüber den Exportueren und dem Binnenhandel Angebots- und Nachfragedifferenzen durch Mischungen und Lagerhaltung auszugleichen. Unter Ausnutzung des Lieferungsgeschäftes in Kombination mit Termingeschäften entstand zusätzlich im Verkauf nach Nord- und Osteuropa eine neue Handelspraxis, in 77 Vgl. Deutschmann (1918), S. 18. Brougier (1886), S. 42–46, schildert detailliert die positiven Veränderungen für den deutschen Binnenhandel durch das zunehmende Lieferungsgeschäft, um dann die negativen Effekte für die Dritte Hand durch die Einführung des Terminhandels aufzuzeigen, S. 65–72. Seine Kritik richtet sich vornehmlich gegen die Warenliquidationskasse. Zu den nachteiligen Auswirkungen der Einführung des Terminhandels für die Binnenhändler vgl. Kapitel 5.1 der vorliegenden Arbeit. 78 Robinow BEK, St. Pr. (1893), S. 2111 f. 79 Vgl. Hamburgs Handel (1889–1914).
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der die Ware selber den Hamburger Handelsplatz gar nicht passierte. Vor allem die in Mitteleuropa nicht besonders nachgefragten „harten“ Kaffeesorten Brasiliens, die Riokaffees, die deshalb an den Exporthäfen Brasiliens zu den preiswertesten Sorten gehörten, eigneten sich für einen direkten Verkauf mittels des Lieferungsgeschäfts aus dem Exporthafen des produzierenden Landes in ein Drittland, wenn der Kaufmann ein entsprechendes Gegengeschäft auf Termin abschloss: Der Hamburger Kaufmann orderte Riokaffee und ließ ihn direkt zu einem skandinavischen oder russischen Bestimmungshafen versenden, von dem er vermutete, dass er hier diese Qualität gut absetzen könne. Gleichzeitig verkaufte er Kontrakte der entsprechenden Wertigkeit auf Termin als Absicherung, um so, da der Kaffee noch überhaupt nicht effektiv verkauft war, zumindest den tagesaktuellen Preis auf den Monat, wo der Kaffee sein Bestimmungsziel erreichen würde, zu sichern. „Der Terminpreis […] für den Monat, in welchem die Ladung im Bestimmungshafen voraussichtlich eingetroffen sein wird, deckt aber im Verhältnis zum Loko-Preis für Rio-Kaffee schon jetzt den vom Importeur angelegten Preis für die schwimmende Rio-Kaffeeladung.“80 Nach Ankunft des Kaffees in seinem Bestimmungshafen verkaufte der Hamburger Großhändler ihn zum dort teuren Effektivpreis im Platzgeschäft und deckte sein Termingeschäft gleichzeitig durch einen entsprechenden Ankauf am Hamburger Markt. Bei inzwischen gestiegenen Preisen machte er zwar im Termingeschäft einen Verlust, aber immer noch ausreichend Gewinn am Riokaffee. Im Fall gesunkener Preise hatte er aber in beiden Geschäften einen Gewinn erzielt. Dieses Geschäft basierte auf vier Transaktionen in zwei Geschäftsformen unter Ausnutzung von drei möglichen Preisunterschieden. Diese konnten sich aus regionalen Geschmacksdifferenzen, unterschiedlichen Preisen im Platz- gegenüber dem Lieferungsgeschäft sowie durch zeitliche Differenzen im Termingeschäft (Backwardation) im Verhältnis zu den Effektivpreisen im Platzhandel (Contango) ergeben.81 80 Handelskammer Hamburg (1889), S. 4. 81 Backwardation bezeichnet den Zustand im Terminmarkt, bei welchem Kontrakte, die ihrem Enddatum näher liegen, zu höheren Preisen gehandelt werden als Verträge, die noch länger laufen. Contango bezeichnet eine Marktsituation, in der die Terminpreise höher als die Effektivpreise sind. Im zeitgenössischen Sprachgebrauch wurde die Differenz zwischen dem niedrigeren Terminpreis im Verhältnis zum Effektivpreis Deport, ein höherer Terminkurs im Verhältnis zum Effektivpreis Report genannt. Keynes wertet Backwardation als Normalzustand und erklärt dies auch durch die Lagerhaltung von Produzenten und Händlern. Da diese, um das Risiko der Lagerhaltung abzusichern, Hedgegeschäfte auf Termin betrieben, würden die Gegenkontrahenten eine Risikoprämie in Form eines Kursabschlages verlangen, vgl. Keynes (1932), S. 401–415, hier S. 406 f. Über die Annahme Keynes zur „Normal Backwardation“ wird bis heute diskutiert, vgl. Frechette und Fackler (1999). Backwardation wird zudem auch mit der Theorie der sogenannten Verfügbarkeitsprämie erklärt (Convenience Yield), die besagt, dass die Marktteilnehmer bereit seien, für eine schnell verfügbare Ware mehr zu zahlen, für eine erst später verfüg-
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Durch die gesunkenen Transportkosten und die neuen Kommunikationstechniken war es nun zwar möglich, Geschäfte im internationalen Handel unabhängig von dem jeweiligen Standort von Ware, Verkäufern und Interessenten auszuführen. Dies galt aber allein dann, wenn die Person, die die Geschäfte vermittelte, neben ausreichend Kapital über entscheidende Informationsvorteile bezüglich der Marktsituation in zwei Ländern und dies im Hinblick auf beide Geschäftsformen besaß. Diese letzteren Informationsvorteile bestanden aber nur dann, wenn die vermittelnde Person Zugang zu einer Terminhandelsbörse hatte und Preisunterschiede ausnutzte. Diese hochgradige Komplexität demonstriert eindrücklich die „vielfach verschlungenen Fäden des geschäftlichen Weltverkehrs“,82 an dem sich aber lediglich eine Minderheit von Personen gewinnbringend beteiligen konnte. Den Hamburger Kaufmann, der durch seine Mitgliedschaft im Kaffee-Verein die Möglichkeit zur Lagerhaltung und Weiterverarbeitung des Rohkaffees im Freihafen hatte, der an der Hamburger Börse selbst Geschäftsaktivitäten in beiden Handelsformen betreiben und dadurch nicht zuletzt ständig Einblick in die Marktlage gewinnen konnten, bezeichnete ein Zeitgenosse nicht zu Unrecht als „besonders privilegierten Händler“.83 Die neuen Kommunikationstechnologien bauten für diejenigen, die sie am effektivsten nutzten, Informationsasymmetrien ab, schufen aber für die, die nicht darüber verfügten, neue Nachteile. Das Vorhandensein der Telegrafie an sich führte im internationalen Handel nicht zwangsläufig zu einem leichteren Zugang zu Information, sondern zu neuen Hierarchien.84 Zunächst verringerte die durch die Telegrafie und ab den 1890er Jahren durch das Telefon verkürzte Übermittlungsbare Ware dementsprechend weniger. Die Theorie geht auf Nicholas Kaldor zurück, vgl. ders., Speculation and Economic Stability, in: The Review of Economic Studies 7 (1939) 1, S. 1–17. Ein weiterer Erklärungsansatz für Differenzen von Effektiv- und Terminpreisen ist die Theory of Storage, die neben der Verfügbarkeitsprämie die tatsächlich vorhandenen Lagerbestände und Erntemengen in die Erklärung einbezieht, vgl. Hélyette Geman, Commodities and Commodity Derivatives. Modeling and Pricing for Agriculturals, Metals and Energy, Chichester 2005. Jenseits der Modelle sind aber bei einer großen Anzahl von Terminkurven, so auch am Hamburger Markt für Kaffee im deutschen Kaiserreich, starke Preisschwankungen, hier sowohl Backwardation als auch Contango, zu beobachten. Dies begründet sich vor allem durch die Saisonalität der nachwachsenden Rohstoffe wie Kaffee. Ähnlich argumentiert Robert W. Kolb, Is Normal Backwardation Normal?, in: The Journal of Futures Markets 12 (1992) 1, S. 75–91. Zudem begründen sich nach der Argumentation des Kaffeegroßhändlers Michahelles Deport und Report durch die jeweilige Höhe der Lagerbestände am Marktplatz, vgl. Michahelles BEK, St. Pr. (1893), S. 2232–2334. 82 Handelskammer Hamburg (1889), S. 4. 83 Van Gülpen BEK, St. Pr. (1893), S. 2151. 84 Vgl. dazu grundsätzlich Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2009, S. 1027; ausführlich Winseck und Pike (2007).
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zeit Informationsasymmetrien der Marktplätze und ermöglichte so überhaupt erst den Terminhandel.85 Die neuen Transportmöglichkeiten ließen zudem geografische Standortvorteile schwinden. Es gab nun „im internationalen Verkehr keine Einschränkungen“86 mehr, die aufgrund von Transportkosten zuvor unterschiedliche Preisbewegungen auf den Marktplätzen bedingt hatten, denn „es ist ja heute ganz gleichgültig, ob der Kaffee in Havre, London oder Antwerpen liegt, oder in Hamburg. Die Differenz in der Fracht um ihn nach Deutschland zu beziehen, ist […] unbedeutend“.87 Gleichzeitig wurde es umso entscheidender, am richtigen Ort, der Börse als Informationsumschlagplatz, zu sein. Die erfolgreiche Einführung des Terminhandels in Hamburg stärkte die Zwischenhandelsposition der Vereinsmitglieder gegenüber Erster und Dritter Hand und schuf auch Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen europäischen Handelsplätzen. So berichtete der deutsche Generalkonsul in Triest an das Auswärtige Amt 1891: „In Folge dessen ist heute Triest von den großen Terminmärkten abhängig und so vermag z. B. der Hamburger Kaufmann bei fallenden Preisen der Zweiten Hand in Wien, Prag u. v. O. m. billigere Angebote zu machen und dadurch Abschlüsse zu erzielen als der Triester, der auf die Berichte der anderen Plätze angewiesen, naturgemäß länger an den höheren Preisen festhält.“88
Da der Terminhandel kurzfristige Preisschwankungen verursachte, setzte er den Großhandel am Terminhandelsplatz aufgrund von Informationsvorteilen in den Stand, niedrigere Preise anzubieten. Allerdings hatte sich auch schon vor der Einführung des Terminhandels die Preisentwicklung in Hamburg teilweise durch große und plötzliche Preisschwankungen ausgezeichnet (vgl. Grafik 28).89 Diese resultierten vor allem aus den unterschiedlichen Erntemengen der verschiedenen Jahre. Was sich verändert hatte, zeigt sich erst, wenn man den Abstand zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Preis innerhalb einer Woche und eines Monats vergleicht. Hier kam es ab Juni 1887 zu starken Preisschwankungen innerhalb weniger Tage oder Wochen. Ebenso verzeichnete New York kurzfristige Preisschwankungen von 27 Prozent und Le Havre Preissteigerung von 68 Prozent und Preisverfall.
85 Vgl. K. D. Garbade und W. L. Silber, Technology, Communication and the Performance of Financial Markets: 1840–1975, in: Journal of Finance 33 (1978) 3, S. 819–832. 86 Gierth BEK, St. Pr. (1893), S. 2071. 87 Embden BEK, St. Pr. S. 2071. Nationale Grenzen und Zollbestimmungen spielten hingegen für die Preise im Binnengroßhandel weiterhin eine große Rolle. Die Terminbörsen in den Ländern, die Zölle erhoben, befanden sich aber in zollfreien Zonen. 88 Bericht des deutschen Generalkonsuls in Triest vom 22.12.1891, in: StAHH, Bestand 371-8 II, Signatur S XIX C 5.4 a, o. P. 89 Quelle Grafik 28: Handelskammer Hamburg (1889), S. 5. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, hier Tabelle 28.
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Grafik 28 Durchschnittsmonatspreise Santoskaffee in Hamburg 1879–1888
um 33 Prozent.90 Aus den Preisschwankungen konnten Kaffeegroßhändler Wettbewerbsvorteile generieren, wenn ihre Lagerbestände eine kurzfristige Lieferung der gewünschten Qualität hergaben und vor allem wenn sie die Marktlage genau im Blick hatten. Als Konsequenz dieses Prozesses konnten die deutschen Großhändler im Inlandsgeschäft (Dritte Hand) den Hamburger Markt nicht mehr umgehen. Direkte Handelsbeziehungen mit den Exporteuren der Ersten Hand und somit unmittelbare Geschäftsabschlüsse mit ihnen waren kaum mehr möglich. Diese durch den KaffeeVerein initiierte und dominierte Organisation des Kaffeegroßhandels und die Praktiken der Hamburger Kaffeegroßhändler gerieten im Zuge der Debatten um eine Börsenreform in die Kritik. Auslöser war der oben schon erwähnte Septembercorner an der Hamburger Kaffeebörse im Jahr 1888, der zu einer Sensibilisierung der deutschen Öffentlichkeit gegenüber der Praxis des Termingeschäfts im Allgemeinen und der Hamburger Kaffeeterminbörse im Besonderen führte.
4.2. Die Börsenreform: Terminhandel auf dem Prüfstand Sowohl der Terminhandel mit Waren selber als auch die einzelnen Praktiken der Akteure im Börsengeschäft gerieten ab dem Jahr 1889 in den Fokus der deutschen Öffentlichkeit. Auslöser waren Manipulationen von Firmen, die künstliche Haussen 90 Die Preisschwankungen lagen im Monatsdurchschnitt nun bei über 35 Mark pro 100 Kilogramm und nicht wie zuvor bei um 20 Mark pro 100 Kilogramm. Vgl. wöchentliche Termin- und Effektivpreise von Santos in Hamburg 1880–1892, in: Börsen-EnqueteKommission (Hg), Statistische Anlagen, Berlin 1893, Anhang. Kursangaben für Le Havre und New York bei Brougier (1889), S. 57 und 62. Zu den Preisentwicklungen 1870 bis 1909 vgl. auch Roth (1929), S. 36–95.
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an den Warenbörsen inszeniert hatten. Hauptkritikpunkt war der Vorwurf, dass der Terminhandel ein Handel mit nicht realen Waren, eigentlich nur ein Differenzgeschäft und damit ein Werk manipulativer Mächte sei und daher auch die Moral der Geschäftswelt untergrabe. Der Ruf nach einem Reichsgesetz, das den Warenterminhandel verbieten oder zumindest regulieren sollte, wurde ab Ende der 1880er Jahre immer lauter, und umso dringlicher erschien eine Untersuchung, wie Termingeschäfte eigentlich funktionierten und welche Auswirkungen sie auf die nationale Wirtschaft hatten. Der erste Höhepunkt der zunehmend hitziger werdenden Debatte wurde in den Jahren 1892/93 erreicht, in denen die Börsen-Enquete tagte. Sie bestand aus 28 Mitgliedern, vorgeschlagen von den Regierungen der Länder, in denen es Börsen gab, von Reichsressorts und preußischen Ministern und im Fall der Wissenschaftler vom Reichsamt des Innern.91 In den Anhörungen von Sachverständigen im Zuge der Börsen-Enquete und in Fachzeitschriften diskutierten Politiker, Wissenschaftler und am Börsengeschäft beteiligte Kaufleute, Makler und Kommissionäre vor allem vier Fragen: erstens, wer zu Börsengeschäften zugelassen werden sollte, zweitens, wie Termingeschäfte ablaufen bzw. wann Differenzgeschäfte vorliegen, drittens, wie sich der Warenterminhandel auf das Marktgeschehen auswirkt, und viertens, ob man diese Handelsform nicht verbieten sollte oder zumindest regulieren müsste.92 Hintergrund des Konfliktes und auch Erklärungsrahmen ist – so Knut Borchardt – die Auseinandersetzung um die wirtschaftliche und politische Modernisierung des Kaiserreichs.93 Folgt man der Forschungsliteratur zur Börsenreform – die sich aber mehrheitlich mit der Berliner Börse und hier dem Getreide- und Effektenhandel beschäftigt –, standen sich in dem Konflikt um die Reform vor allem die Vertreter landwirtschaftlicher und diejenigen industrieller Interessen gegenüber.94 Dies trifft aber auf die Dis91 Vgl. Meier (1992), S. 117. Nach 19 Monaten legte die Kommission neben einem Abschlussbericht zehn Bände Kommissionsmaterial vor, u. a. die Stenographischen Protokolle der Sachverständigenbefragungen. Für biografische Angaben zu den Kommissionsmitgliedern und den Sachverständigen vgl. Personenverzeichnis, in: MWG, Abt. I, Bd. 5/2 (2000), S. 1013–1030. 92 Zum Bild der Börse in der Öffentlichkeit, der juristischen Diskussion um ein Börsengesetz und der Debatte innerhalb der Nationalökonomie vgl. Borchardt (1999), S. 26–55; Meier (1992), S. 32–43. 93 Vgl. Borchardt (1999), S. 1 f. 94 „Allerdings geriet sie [die Börse] zumindest indirekt rasch in den Interessenkonflikt zweier großer gesellschaftlicher Gruppen, der Großagrarier und der Vertreter des Industriestaates“, Rainer Gömmel, Entstehung und Entwicklung der Effektenbörse im 19. Jahrhundert bis 1914, in: Hans Pohl (Hg.), Deutsche Börsengeschichte, Frankfurt/M. 1992, S. 135–210, hier S. 166. Vgl. ebenso Biggeleben (2006), S. 234; Hans-Jürgen Puhle, Agrarische Interessenpolitik und preußischer Konservatismus im
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kussion um die Kaffeeterminbörsen nicht zu. Schon mit der Einrichtung der Kaffeeterminbörse 1887 begann sich eine breite Gegnerschaft unter den Kaffeehändlern im Inlandsgeschäft zu formieren. Ihre Beschwerden gingen in die Jahresberichte zahlreicher Handelskammern und kaufmännischer Kooperationen der nächsten Jahre ein. Bestärkt wurde deren ablehnende Haltung durch den Hamburger Kaffeecorner im September 1888.95 In den folgenden Jahren stritten die Hamburger Kaffeehändler und ihre Kontrahenten aus den Reihen des deutschen Binnenhandels in Broschüren, Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln, Denkschriften und Reichstagseingaben über das Für und Wider des Terminhandels. Als Hauptargument wurden von den Gegnern, aber auch den Befürwortern des Kaffeeterminhandels eigentlich allein zwei Varianten derselben Behauptung vorgebracht: Ihr Handelszweig sei ohne den (die Hamburger Kaffeehändler) oder mit dem (die Großhändler im Inlandsgeschäft) Terminhandel in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht. Im Laufe der Jahre versuchten die Kontrahenten je nach ihrer eigenen Position in der Handelskette, die Behörden und die Gesetzgebung zur Regulierung oder Deregulierung des Handels auf nationaler Ebene zu bewegen, um in den globalen Handel in ihrem Sinne einzugreifen. So erklärte die Handelskammer Hamburg in ihrer Denkschrift zum Kaffeeterminhandel von 1889: „Es wird kaum eine Beweisführung für die Berechtigung der Spekulation als solcher im Großhandel bedürfen. Im gegenwärtigen Zeitalter des Dampfes und der Elektricität kann der Großkaufmannstand auf die Spekulation […] nicht verzichten, wenn er sich seinen Platz auf dem Weltmarkt sichern und erhalten will.“96 Die Handelskammer Wesel vertrat die Interessen des binnenländischen Kaffeehandels und formulierte demenstpechend in einer Eingabe an den Reichstag 1888: „Im Interesse des nationalen Wohlstandes ist es äusserst wichtig, daß die natürlichen Bezugsquellen eines Landes nicht künstlich verschoben werden.“ 1889 ergänzte man: „Für die Consumenten wäre der Schaden ein unabsehbarer, wenn die natürlichen und billigsten Wege des Verkehrs durch ein anerkanntes
wilhelminischen Reich (1893–1914). Ein Beitrag zur Analyse des Nationalismus in Deutschland am Beispiel des Bundes der Landwirte und der Deutsch-Konservativen Partei, Bonn 1975, S. 234; Wolfgang Schulz, Das deutsche Börsengesetz. Die Entstehungsgeschichte und wirtschaftlichen Auswirkungen des Börsengesetzes von 1896, Frankfurt/M. 1994, S. 65; Martin Steinkühler, Agrar- oder Industriestaat. Die Auseinandersetzungen um die Getreidehandels- und Zollpolitik des Deutschen Reiches 1879–1914, Frankfurt/M. 1992, S. 370; Udo Wolter, Termingeschäftsfähigkeit kraft Information. Eine rechtshistorische, rechtsdogmatische Studie über die stillschweigende Entfunktionalisierung des § 764 BGB durch die Börsengesetz-Novelle 1989, Paderborn u. a. 1991, S. 194. 95 Vgl. BEK, St. Pr. (1893), S. 2096, S. 2213, S. 2227 f., S. 2231; Freytag (1929), S. 88; Meier (1992), S. 57–69. 96 StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 2, Bd. 1.
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Uebel, wie die Liquidations-Kasse eines ist, verlegt würden.“97 Weniger die Spekulation oder der Glücksspielcharakter des Termingeschäftes, sondern vielmehr die Monopolstellung der Hamburger Kaffeehändler und die damit einhergehenden Folgen für die Kaffeehändler im Binnenhandel bildeten den Hintergrund des Konfliktes. Da es den Kontrahenten nie allein um eine Regulierung des Warenterminhandels als Geschäftspraxis ging, der Konfliktgegenstand vielmehr in den Folgen bestand, welche die Differenzierung der Handelstechniken im globalen Handel für den Groß- und Detailhändler im Inlandsgeschäft mit sich brachte, gilt es erstens, diese Folgen zu problematisieren. Sicherlich diskutierten die Zeitgenossen darüber, ob man mittels Zugangsregelungen zu Börsentermingeschäften, höheren Steuern oder staatlichen Kontrollinstanzen die Geschäfte regulieren und die an Börsengeschäften Beteiligten in Deutschland kontrollieren könnte. Doch bildete das Problem der Auswirkungen von sich zunehmend international integrierenden Märkten auf nationale Märkte den eigentlichen Referenzrahmen der Debatten. In diesem Sinne sind die Debatten um die Börsenreform eine Auseinandersetzung um den Umgang mit den Auswirkungen von Globalisierungsprozessen auf einen nationalen Markt. Vor allem die in Hamburg ausgeübten Praktiken im Zusammenhang mit der Kaffeeterminbörse wurden als undurchsichtige, „die Moral in der Geschäftswelt“98 untergrabende Praxis angegriffen. Damit standen in der Auseinandersetzung um die Börsenreform der gesellschaftliche Status der Hamburger Kaufleute und die Wahrung ihrer Interessen gegenüber dem Binnenhandel im Inland auf dem Prüfstand. Anhand der Auseinandersetzungen um die Börsenreform muss demnach zweitens nach der Bedeutung der sozialen Integration des Vereins für die Durchsetzung der Interessen der Kaffeehändler, also nach der politischen Macht der Hamburger Kafffeegroßhändler gefragt werden. Daran schließt sich ein dritter Untersuchungskomplex an. Welche Forderungen welcher Interessengruppen setzten sich im schließlich als Ergebnis der Auseinandersetzungen erlassenen Börsengesetz durch? Und welche Auswirkungen hatte das Gesetz auf die jeweiligen Geschäfte der Exporteure in den Anbauländer, der international operierenden Kaffeegroßhändler und der Binnengroß- sowie Einzelhändler? In der Sekundärliteratur zur Börsenreform wird mehrheitlich die Position vertreten, dass der Gesetzgeber den Forderungen der Agrarier weit entgegengekommen sei. Es sei 1896 ein Börsengesetz verabschiedet worden, das den Zugang zu den Börsen und die Börsengeschäfte selbst reguliert und eingeschränkt habe. Dessen Folge sei eine teilweise Abwanderung des „Börsengeschäftes in das Ausland“99 gewesen. Andere Autoren sehen zwar nicht ganz so drastische Konsequenzen für die deutschen Börsenplätze, betonen aber die negativen Folgen des Börsengesetzes für die Börsen97 BArch, Bestand R 1305, Signatur 572, Bl. 11, Bl. 52. 98 Brougier (1889), S. 54. 99 Gömmel (1992), S. 177.
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geschäfte.100 Die Einschätzung, dass die Interessen der Unternehmer benachteiligt worden seien, ist zum Kanon geworden und findet sich dementsprechend auch in geschichtswissenschaftlichen Überblicken: „bei der Steuer- und Börsengesetzgebung setzte sich der Staat wiederholt über die Interessen der Geschäftswelt hinweg“.101 Allein Christoph Wetzel kommt zu einem gegenteiligen Ergebnis. Er befindet, dass das Börsengesetz positiv auf den Berliner Effektenhandel gewirkt habe.102 Relativiert wird Wetzels Einschätzung durch Carsten Burhop und Sergey Gelman, die wiederum keinerlei Auswirkungen des Börsengesetzes auf den Berliner Effektenmarkt feststellen.103 Im Hinblick auf die Warenterminbörsen befand Max Weber in einer ersten Bewertung der Auswirkungen des Börsengesetzes, dass dessen Bestimmungen hier „ein Chaos“104 verursacht hätten. Der Kaffeeterminhandel in Hamburg existiere zwar weiter, „aber unter wesentlichem Rückgang des Hamburger Umsatzes“.105 Auch Johann Christian Meier kommt in seiner Studie von 1992 über die Entstehung des Börsengesetzes zu dem Ergebnis, dass die Kaffeeterminbörse in Hamburg „gelitten“106 habe. Leider nennt Meier nicht die Umstände und Faktoren, aufgrund derer er zu diesem Urteil kommt. Die steigende Bedeutung des Kaffeeumschlagplatzes Hamburg ab den 1890er Jahren bis zum Ersten Weltkrieg und der hier ansässigen Kaffeeterminbörse lässt Meiers Aussage zumindest als diskussionswürdig erscheinen. Wie Grafik 22 zu den Umsätzen der Kaffeeterminbörsen demonstriert, ist zwar kurzfristig eine leichter Rückgang des Anteils der Hamburger Kaffeeterminbörse am weltweiten Umsatz um 4 Prozent im Jahr 1896 festzustellen, aber langfristig keine Verringerung der Geschäfte nachzuweisen. Im Jahr 1899 lag der Anteil des Hamburger Platzes wieder ein Prozent über dem des Jahres 1894. Auch wurde schon ein Jahr nach Inkrafttreten des Börsengesetzes 1897 das Niveau der Umsätze des Jahres 1895 an der Hamburger Terminbörse überschritten.107 Unabhängig von den Umsätzen könnten aber die gesetzlichen Bestimmungen des Börsengesetzes die Organisation der Kaffeebörse entscheidend verändert und dadurch die Aktivitäten der Kaufleute beeinträchtigt haben. Kann man das Gesetz somit als Interessensieg der Unternehmer werten, die 100 Vgl. Steinkühler (1990), S. 234; Meier (1992), S. 337. 101 Berghoff (2004), S. 191. 102 Vgl. Christoph Wetzel, Die Auswirkungen des Reichsbörsengesetzes von 1896 auf die Effektenbörse im Deutschen Reich, insbesondere auf die Berliner Fondsbörse, Münster 1996, S. 399–404. 103 Vgl. Carsten Burhop und Sergey Gelman, Taxation, Regulation and the Information Efficiency of the Berlin Stock Exchange 1892–1913, in: European Review of Economic History 12 (2008) 1, S. 39–66, hier S. 61. 104 Max Weber, Börsengesetz, in: MWG, Abt. 1, Bd. 5/2 (2000), S. 791–869, hier S. 863. 105 Ebd. Hervorhebung im Original. 106 Meier (1992), S. 337. 107 Vgl. Grafik 23.
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vom Staat den Schutz regional und national agierender Branchen vor den Folgen von Globalisierungsprozessen gefordert hatten? Um der Frage nach den Auswirkungen nachzugehen, ist es zuerst notwendig zu klären, worüber die Diskutanten tatsächlich debattierten, welche Bestimmungen entsprechend ihren Forderungen Eingang in das Börsengesetz fanden und inwiefern diese dann die Organisation der Hamburger Kaffeeterminbörse verändert haben. Für die Befragungen der Sachverständigen hatte die Börsen-Enquete-Kommission zuvor einen Fragenkatalog verfasst, der einen Leitfaden für die Anhörungen vorgab.108 Nur wenn einzelne Komplexe nicht auf den Handelszweig, für den der Sachverständige berufen worden war, bezogen werden konnten, stellte die Kommission allen Teilnehmern dieselben Fragen. Daher ging es auch in den Befragungen der Sachverständigen für den Kaffeegroßhandel ebenso um allgemeine Aspekte des Warenterminhandels wie um speziellere Praktiken am Handelsplatz Hamburg und um mögliche Verbote oder Regulierungsmaßnahmen, die ein zu verabschiedendes Börsengesetz vorsehen sollte.109 Nach den Erfahrungen aus dem Septembercorner 1888 und der daraus folgenden Sensibilisierung gegenüber der Preisentwicklung an den Terminbörsen gehörten zu den grundsätzlichen Fragen an die Sachverständigen aus den Reihen des Kaffeehandels insbesondere diejenigen nach der Relation von Effektiv- und Termingeschäften und nach den Folgen, die Warentermingeschäfte auf die Preisbewegungen im Effektivgeschäft hatten.110 Die Konsequenzen der weltweiten Handelsverflechtung und der Herausbildung globaler Märkte waren für Zeitgenossen schwer abzuschätzen. Es war den Kommissionsmitgliedern und den Sachverständigen klar, dass Termin- und Effektivhandel nicht unberührt nebeneinanderher liefen. Sie beeinflussten sich insofern gegenseitig, als nach der Installation von Terminbörsen der Effektivpreis in Relation zum Terminpreis festgesetzt wurde.111 Zu Preisunterschieden konnte es zumindest auf längere Sicht nicht kommen, da stark voneinander abweichende Preise zu Gegenengage108 Zum Fragebogen vgl. Meier (1992), S. 111–118. 109 Einen Überblick zu den Fragen und den unterschiedlichen Antworten der Sachverständigen im Rahmen der Börsen-Enquete findet sich in Börsen-Enquete-Kommission (Hg.), Register zu den Stenographischen Berichten über die Sachverständigen-Vernehmungen, Berlin 1893, S. 37–246. 110 Vgl. BEK, St. Pr. (1893), S. 2064, S. 2205, S. 2212, S. 2214, S. 2275. Zur Preisbildungsfunktion von Warenterminbörsen allgemein vgl. Theodor Stocker, Das Börsentermingeschäft in Waren und seine wirtschaftliche Funktion unter besonderer Berücksichtigung der Preissicherung (hedging), Bern 1955, S. 102–120. 111 Um den Preis einer Partie im Platzhandel festzulegen, stellte man in einem ersten Schritt die Qualität der Partie im Vergleich zur festgesetzten Qualität der Terminhandelstypen fest. In einem zweiten Schritt wurden dann die tagesaktuellen Terminhandelspreise zur Grundlage der Preisberechnung herangezogen und je nach Qualität der Effektivware der Preis erhöht oder vermindert.
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ments oder zur effektiven Erfüllung der Terminkontrakte geführt hätten.112 Darüber, wie genau der Terminpreis den Effektivpreis beeinflusste, existierten aber konträre Ansichten. Um ihre jeweilige Position zu untermauern, verwiesen beide Parteien auf recht unterschiedliche Statistiken zu Ernten und Preisen.113 Die Kritiker des Termingeschäftes befürchteten, dass durch die Spekulationen an den Terminbörsen die Preise nicht mehr dem Gesetz von Angebot und Nachfrage folgen würden. Eine Konsequenz des Terminhandels für die Preise im Effektivgeschäft sei, so Graf von Arnim vor der Börsen-Enquete, „daß die Preise sich nicht, wie das von Vielen behauptet wird, nach Vorrath und Bedarf regeln, sondern daß sehr häufig die Kapitalmacht und die Launen des Spiels für die Preise des Kaffees maßgebend sind. […] daß bei einer kleinen Ernte […] der Preis niedrig war und bei der großen Ernte […] der Preis höher ging.“114 Dass es durchaus bei großen Ernten zu hohen Preisen an der Terminbörse kommen könnte und umgekehrt, räumten die Hamburger Kaffeehändler bereitwillig ein. Dies geschehe aber allein deshalb, weil man ja davon ausgehen müsste, dass auf eine kleine Ernte in der Regel eine große folgen würde: „als diese niedrige Ernteperiode ihre Wirkung ausübte, gleich mit ihr aber die Aussicht auf die bevorstehende große Ernte ebenfalls wirkte und dadurch natürlich die Preise beeinflusste“.115 Genau diese preisausgleichende Wirkung von Termingeschäften sei ja die Hauptfunktion von Terminbörsen und deren besondere Leistung. Die regelmäßige Abfolge von kleinen auf große Ernten, wie sie hier behauptet wird, ist allerdings statistisch nicht nachweisbar. Insbesondere für die brasilianischen Erntemengen von der Einführung des Terminhandels ab den 1880er Jahren bis zu den Befragungen der Sachverständigen vor der BörsenEnquete 1892 lässt sich keinerlei Regelmäßigkeit erkennen (vgl. Grafik 29).116 Dass die Hamburger mit dieser Behauptung den Terminhandel zu legitimieren versuchten, erstaunt ebenso wie die Tatsache, dass dem von ihren Kontrahenten nicht widersprochen wurde. Als ebenso falsche Behauptung erweist sich das Argument der Kritiker des Warenterminhandels, dass durch ihn eine völlige Entkoppelung von Preisentwicklung und Ernteergebnissen stattgefunden habe. Rückblickend hat sich der Effektivpreis für Kaffee im Großhandel von der Einführung des Terminhandels an, außer kurzfristig in den Tagen des Septembercorners von 1888, bis zur Valorisation im Jahr 1906 mittel112 Angesichts des geringen Prozentsatzes von effektiven Erfüllungen von Terminkontrakten bei einer hohen Anzahl „glattgestellter“ Abschlüsse scheint es wenig Interesse der Terminhandelskontrahenten gegeben zu haben, diese theoretische Verbindung praktisch als Regulierungsinstrument zur Verminderung von Preisunterschieden einzusetzen. 113 Vgl. BEK, St. Pr. (1893), S. 2064, S. 2090, S. 2093, S. 2113–2117, S. 2212. 114 v. Arnim ebd., S. 2219. 115 Frentzel ebd., S. 2220. 116 Quellen vgl. Grafik 3 und Grafik 16. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, hier Tabelle 18 und 28.
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Grafik 29 Durchschnittspreise brasilianischer Kaffeesorten in Hamburg und brasilianische Rohkaffeeexporte 1870–1907
. und langfristig nicht konträr zu den Ernteergebnissen verhalten. Brasiliens überproportionaler Anteil am weltweiten Kaffeeanbau ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bedeutete, dass „für die Gestaltung der Marktpreise die brasilianischen Ernteschätzungen, sowie die Berichte über die Erntevorräte allein maßgebend“117 waren. Vergleicht man nun die Entwicklung der Effektivpreise der brasilianischen Sorten am Handelsplatz Hamburg mit den Erträgen der Ernten, lässt sich mittel- und langfristig keine den Grundsätzen von Nachfrage und Angebot widersprechende Preisentwicklung feststellen (vgl. Grafik 29).118 An die Debatten um die allgemeine Auswirkung von Terminbörsen auf die Effektivpreise schlossen sich weitere Fragen an, wie diejenige, ob die Existenz von Warenterminmärkten den Kaffee langfristig verteuerte oder verbilligte und ob die kurzfristigen Preisschwankungen im Terminhandel größere Preisschwankungen im Effektivhandel hervorriefen, als es sie ohne Terminbörsen geben würde. Fragwürdig schien den Zeitgenossen auch, was überhaupt der Marktpreis sei, wenn Effektiv- und Börsenpreis sich unterschieden.119 Für die Kaffeehändler stellten sich diese Fragen nicht: In der Praxis sei eben der durch Verkauf zu erzielende Preis der Marktpreis und nicht der Kurswert der Ware an der Börse.120 Die im deutschen Kaiserreich vorgebrachten Argumente zur Frage, welche Auswirkungen der Warenterminhandel auf den Effektivhandel vor allem im Hinblick auf die Preisbildung hat, sind auch noch 117 118 119 120
Findeisen (1917), S. 32. Ausführlicher zu den Preisbewegungen 1870 bis 1909 vgl. Roth (1929), S. 40–79. Vgl. BEK, St. Pr. (1893), S. 2200 f., S. 2205, S. 2214, S. 2275. Vgl. Robinow ebd., S. 2205.
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heute aktuell. Insbesondere der Zusammenhang von Effektiv- und Terminpreisen und hier die Preisbildungsfunktion des Terminhandels für das Effektivgeschäft werden unterschiedlich bewertet.121 Neben den möglicherweise durch Termingeschäfte beeinflussten Preisbewegungen im Effektivgeschäft befragte die Börsen-Enquete-Kommission die Sachverständigen darüber, welche Personen überhaupt Termingeschäfte abschlössen. In ihren Formulierungen kategorisierten die Sachverständigen den Personenkreis an der Börse in „unsolide“, „solide“ und „Privatpersonen“. Die Hamburger Kaffeehändler räumten zumindest im Fall des Septembercorners die Existenz von unsoliden Geschäftspartnern ein. Der Septembercorner sei jedoch lediglich eine „Kinderkrankheit des Terminhandels“122 gewesen, deren erneutes Auftreten man durch eine Veränderung der Usancen nun zu verhindern wisse. Daran schlossen sich aber grundsätzliche Fragen an wie die, wer überhaupt die Spekulanten seien. Gegner des Terminhandels wie der Binnengroßhändler Alexander van Gülpen aus Emmerich befanden, dass mit dem Warenterminhandel eine Flut von unkontrollierbaren Konsortien entstanden seien, die gleich einer „Epidemie“123 in Bierhäusern ihre Absprachen träfen. Diese würden zudem durch Werbung das Privatpublikum auf unseriöse Weise zu Termingeschäften verleiten oder sie durch „Agenten, die von Haus zu Haus gehen, […] einfangen“.124 Alle Sachverständigen lehnten diese unseriöse Verführung des Privatpublikums empört ab. Sie empfahlen harte Bestrafungen für die Drahtzieher, verwiesen aber gleichzeitig darauf, dass sie lediglich selten von einer solchen Praxis gehört hätten.125 Ebenso herrschte Einvernehmen darüber, dass „das Privatpublikum in der Regel die Zeche bezahlt […] auch [wenn] von Börsenleuten sehr viel verloren wird“. Das Privatpublikum sei durch den Terminhandel besonders gefährdet, denn „es kauft, wie es ja bei fernstehenden Leuten der Fall ist, immer nur dann, wenn die Chancen ungeheuer aufgetragen sind, wenn Alles im größten Jubel ist […], dann kauft das Publikum zu den gestiegenen Preisen und geht dann noch dabei über seine Kräfte hinaus“.126 Die Beteiligung von „Privatpersonen“ an Börsentermingeschäften und die Legitimität von Differenzgeschäften thematisierte die Kommission, da das die populärsten Themen in der Öffentlichkeit und im Reichstag waren. Im Rahmen der Börsen-Enquete-Befragungen stellten diese Themen lediglich einen Nebenschauplatz dar. Ob Differenzgeschäfte mit Glücksspielen gleich121 Vgl. die Diskussion und Literatur in Fußnote 1 in diesem Kapitel. Ein Überblick bei David M. Newbery, Futures Markets, Hedging und Speculating, in: John Eatwell u. a. (Hg.), The New Palgrave. A Dictionary of Economics, Bd. 2, London u. .a. 1987, S. 344–406. 122 Michahelles BEK, St. Pr. (1893), S. 2230. 123 Van Gülpen ebd., S. 2066. 124 Wilhelm ebd., S. 2247. 125 Vgl. ebd., S. 2068, S. 2074, S. 2097 f., S. 2100, S. 2171, S. 2173, S. 2253. 126 Gierth ebd., S. 2187.
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zusetzen seien, in denen allein der „zufällig“ Glückliche gewinnt, war eigentlich nur eine gern gestellte Frage zur Bekräftigung der ablehnenden Haltung gegenüber Termingeschäften.127 Unisono lehnten die Befragten die „illegitime“ Spekulation ab und forderten, dass allein „solide“ Spekulation und „solide“ Geschäftspartner an der Börse zugelassen werden dürften.128 Um die grundlegende Problematik der moralischen Implikationen ihrer Äußerungen wussten aber alle Beteiligten ebenso Bescheid, wie ihnen die damit einhergehende Definitionsschwierigkeit und damit Sanktionsproblematik bewusst war: „Der Übergang von diesem berechtigten Terminhandel in das Börsenspiel beruht auf einer so schwankenden und dehnbaren Grenzlinie, daß ich es praktisch kaum für durchführbar halten würde, hier irgendwelche verhindernden Strafbestimmungen zu treffen.“129 Eine Strafbarkeit von Differenzgeschäften setzte erstens voraus, dass der Gesetzgeber definitorisch zwischen handelsrechtlichen Lieferungsgeschäften und Differenzgeschäften unterschied. Hier besteht das Problem darin, dass deren alleiniges Unterscheidungskriterium die Vorsätzlichkeit sein könnte, ein Lieferungsgeschäft nicht zu erfüllen. Für eine strafrechtliche Verfolgung von Differenzgeschäften wäre es dann zweitens notwendig, nachzuweisen, dass ein Geschäft unter der Voraussetzung abgeschlossen wurde, es nie effektiv zu erfüllen. Ein solcher Tatbestand wäre kaum bis nie belegbar.130 Besonders der Nachweis der Vorsätzlichkeit erwies sich als unmöglich: „man schützt gerne den Leichtsinn vor, während die Betreffenden sehr wohl wissen, warum es sich handelt. Es wird immer sehr schwer sein, den Richtigen zu treffen.“131 Dieselben Probleme ergaben sich auch in den Debatten um Zulassungskriterien zu Warenterminbörsen und einer Instanz, die sie feststelle.132 Während die Gruppe der Kritiker des Terminhandels keine Konsequenzen oder Schutzmaßnahmen für das „Privatpublikum“ vorzuschlagen wusste und keine oder sehr andersartige Kriterien und Überprüfungsinstanzen zur Wahrung der „soliden“ Geschäfte vorschlug, verwiesen die Hamburger Kaffeehändler darauf, dass ihre Zu127 Vgl. Gierth ebd., S. 2187. Zu der Frage, ob Differenzgeschäfte berechtigt sind oder nicht, vgl. ebd., S. 2067 f., S. 2118. 128 Vgl. Robinow ebd., S. 2188. 129 Heerman ebd., S. 2240. 130 Diese Problematik wurde im deutschen Kaiserreich durch verschiedene Bestimmungen im Börsengesetz (BörsG, §§ 48–69) und Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB, § 764) noch verschärft bzw. es existierten zwei gegensätzliche begriffliche Bestimmungen nebeneinander. Erkannte das BörsG das Börsentermingeschäft auch bei Differenzgeschäften als gültiges Rechtsgeschäft an, zu dessen Erfüllung dann lediglich die Differenz zwischen vereinbartem Preis und dem Preis der Lieferung beglichen werden musste, so erklärte der nur einen Monat später verfasste § 764 des BGB Differenzgeschäfte zu Spielgeschäften und damit wie diese als unklagbar, vgl. Wolter (1991), S. 99–104. 131 Magenau BEK, St. Pr. (1893), S. 2257. 132 Vgl. ebd., S. 2251, S. 2267, S. 2253, S. 2254.
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gangsbeschränkungen zur Kaffeebörse einen ausreichenden Schutz darstellten. Hier konnten lediglich Vereinsmitglieder und diese zudem allein mittels Vermittlung von dafür ausgewählten Maklern Termingeschäfte abschließen. Die Sachverständigen aus Hamburg verstanden es in den Befragungen, ihre Äußerungen so zu kontextualisieren, dass ihre eigenen Positionen gestärkt wurden. Dem Vorwurf, Terminhandel würde die „Moral“ der Kaufleute untergraben, und dem schillernden Bild des „spielsüchtigen Spekulanten“ setzten die Hamburger Kaffeehändler die Figur des „ehrbaren Kaufmanns“ entgegen, der zwar auf den Terminhandel angewiesen sei, aber die Geschäftspraxis selber als unangenehm empfinde. So der Inhaber der Hamburger Kaffeemaklerfirma Embden & Drishaus: „Ich bin nun seit 1853 in meinem eigenen Geschäft, bin schon seit 1849 im Kaffeegeschäft überhaupt und bin also ein ganz altmodisch erzogener Mensch, der ein allergrößter Gegner des Termingeschäftes gewesen ist. […] Kurze Zeit aber, nachdem das Termingeschäft eingeführt war, sahen wir, daß der Import in Hamburg wieder auflebte, daß die Macht des Hamburgischen Marktes auf dem Weltmarkte, die fast ganz geschwunden war, wiederkam, und so sahen wir allmählich – ich bin wenigstens allmählich dahin gekommen, daß ich das Termingeschäft für ein ganz nothwendiges Uebel halte. Ich halte es durchaus nicht für ein angenehmes Geschäft, sondern es ist mir persönlich immer sehr unangenehm.“133
Geschickt zeichneten die Hamburger ein Bild von sich, nach welchem „der Kaufmann, der solide Spekulant“134 identisch waren und zudem die bisherige Organisation der Kaffeeterminbörse sowohl den Schutz des unbedarften Publikums als auch den Ausschluss von unsoliden Geschäftpartnern garantierte. Eine mögliche Ursache für die Probleme des Binnengroßhandels mit Termingeschäften sah der Hamburger Kaffeegroßhändler Robinow allein in den persönlichen Qualitäten eines Kaufmanns: „Es ist für viele nicht bequem, Termingeschäfte zu machen. Mir ist es auch unangenehm, weil es so aufregend ist. […] Entbehren kann ich ihn aber nicht.135 […] Ich glaube auch nicht, daß die Kaffeehändler im Inlande durch den Terminhandel geschädigt sind. Einzelne mögen es sein, die nicht die Fähigkeit gehabt haben ihr Geschäft den veränderten Zuständen gemäß zu ändern. […] Der Kaufmann, der alt wird und die Fähigkeit verliert, mit den Bedingungen des Handels, wenn sie sich ändern, fortzuschreiten, wird immer darunter leiden.“136
Die Vertreter des Binnenhandels hingegen schufen ein paradiesisches Bild der Zustände vor der Etablierung des Terminhandels. „Wir hatten früher […] in Kaffee ein angenehmes Geschäft, einen schönen Handel. Der Kaffeehandel ist eigentlich ein 133 134 135 136
Embden ebd., S. 2070 f. Robinow ebd., S. 2188. Robinow ebd., S. 2073. Robinow ebd., S. 2094.
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edler Handel gewesen.“137 Diese Zustandsbeschreibung kontrastierten sie in ihren Ausführungen mit dem gegenwärtigen Geschäftsgebaren. Der Terminhandel habe die Beziehungen zwischen den Binnenhändlern selbst und zwischen dem Binnenhandel und der Ersten und Zweiten Hand durch den Spekulanten, der zwischen sie getreten sei, zerstört.138 Egoismus als Maxime leite nun das Verhalten der Exporteure und Hamburger Kaffeegroßhändler, die „geschäftliche Kulanz […] hat aufgehört“.139 Diese Ausführungen der Binnenhändler überzeugten die Kommission immerhin so weit, dass sie in ihrem Abschlussbericht explizit darauf Bezug nahmen und sogar von einer prekären Situation des Binnenhandels durch die Etablierung des Terminhandels sprachen, diese seien „genötigt, aus der Hand in den Mund zu leben“.140 Dabei standen die Aussagen der Binnenhändler durchaus in Widerspruch zueinander. Der Berliner Binnengroßhändler Joachimsthal verwies im Unterschied zu seinen Kollegen ausdrücklich darauf, dass die Hamburger Kaffeegroßhändler sich durch hohe Integrität gegenüber dem Binnenhandel auszeichneten, auch bei Termingeschäften.141 Schon bei den Antworten der Sachverständigen auf die allgemeinen Fragen zeichnete sich vor allem der jeweilige durch die Position in der Wertschöpfungskette gekennzeichnete Blickwinkel ab. Aus den wesentlichen Faktoren, die den Kaffeegroßhändlern des Hamburger Kaffee-Vereins Vorteile im internationalen Handel verschafften, resultierten zugleich die Nachteile für den deutschen Binnengroßhandel. Diesen jeweiligen Kontext der unterschiedlichen Argumentationen der Sachverständigen brachte der Binnengroßhändler Magenau auf den Punkt, als er auf die Frage, ob die Nachteile des Kaffeeterminhandels gegenüber den Vorteilen überwiegen würden, antwortete: „Weitaus! Ich unterscheide aber zwischen den Interessen Hamburgs und des Binnenlandes.“142 Letzteres habe nämlich keine Partizipationsmöglichkeiten am Terminhandel, dessen Vorteile könnte der Binnenhandel daher nicht genießen, wohingegen die Nachteile allein auf ihm lasteten.143 Das führe dazu, dass es dem Binnenhandel weder möglich sei, die Vorteile des Terminhandels wie die Absicherung gegen zukünftige Preisentwicklungen oder die Lagerversicherung zu nutzen noch überhaupt größere Lager zu halten.
137 Wilhelm ebd., S. 2216. 138 Vgl. van Gülpen, ebd., S. 2110. Auch der Kommissionsvorsitzende Cohn sah bestätigt, dass „der alte Ruf der Solidarität der Hamburger Kaufleute gelitten hat“, Cohn BEK, ebd., S. 2266. 139 Gierth ebd., S. 2111. 140 Börsen-Enquete-Kommission (Hg.), Bericht der Börsen-Enquete-Kommission, Berlin 1893, S. 90. Im Folgenden abgekürzt mit BEK, Bericht (1893). Vgl. auch BEK, St. Pr. (1893), S. 2064, S. 2081 f., S. 2211, S. 2218 f., S. 2237. 141 Vgl. Joachimsthal BEK, St. Pr. (1893), S. 2182. 142 Magenau ebd., S. 2239. 143 Vgl. Magenau ebd., S. 2238.
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Schon in einer frühen Studie über den Terminhandel verwies 1891 Carl Johannes Fuchs auf das Problem, dass durch Informationsasymmetrien der Binnengroßhandel von Termingeschäften ausgeschlossen sei. Der Binnenhandel sei „nicht im Stande, die jederzeitige Lage der Terminmärkte richtig zu beurteilen“.144 Die Großhändler und erst recht die Einzelhändler konnten keinen annähernd so großen Aufwand für die Informationsgewinnung betreiben wie der Kaffee-Verein, geschweige denn die damit verbundenen hohen Kosten aufbringen. Diesen Nachteil beklagten alle Sachverständigen, wohingegen die Hamburger darauf verwiesen, man habe überhaupt erst seit der Einführung des Terminhandels begonnen, Statistiken in den Anbauländern und an den Handelsplätzen zu erstellen. Noch ein Jahrzehnt zuvor habe es überhaupt keinerlei Daten über die Marktlage gegeben und heutzutage würden sie sogar in den Tageszeitungen publiziert. Es ständen demnach jedem weitaus mehr Informationen über den internationalen Kaffeemarkt zur Verfügung als jemals zuvor.145 Doch darauf zielte die Kritik des Binnenhandels natürlich nicht ab: „Weil der Terminhandel überhaupt zusammen gekommen ist mit den telegraphischen Verbindungen usw. so ist er in der Lage, Vieles klarer zu stellen, Erntestatistiken, Nachrichten u. v. m. viel rascher zu bringen. Aber worauf es heute am meisten ankommt ist, hinter die Kulissen der Hauptmacher im Kaffeegeschäft zu sehen, und das können wir nicht, das wird uns genommen. Das können einzelne Herren schon. Aber wenn Herr Robinow sagt: die Wahrheit tritt heute klarer zu Tage, so trifft das nur bei solchen zu, die hinter die Kulissen sehen, bei anderen tritt die Wahrheit zurück.“146
Dabei ging es den Binnenhändlern nicht allein um die Partizipationsmöglichkeit an Termingeschäften oder an den dadurch entstehenden Vorteilen wie den Absicherungen gegen Preisschwankungen und Lagerversicherungen,147 sondern auch darum, dass aus den mit dem Terminhandel einhergehenden Veränderungen direkte Nach144 145 146 147
Fuchs (1891), S. 49, ähnlich S. 90. Vgl. Robinow BEK, St. Pr. (1893), S. 2094. Van Gülpen ebd., S. 2102. Vgl. auch ebd., S. 2105, S. 2223. Vgl. Magnau: „Praktisch genommen sind die Einzigen, welche sich die augenblicklichen Chancen des Marktes im Sinne einer Versicherung zu Nutzen machen können, die Händler am Seeplatz, während dieses Mittel dem Kaufmann im Inland völlig fehlt“, in: BEK, St. Pr. (1893), S. 2239. Zu den Problemen, warum sich dem Binnenhandel nicht die Möglichkeit bot, mittels Termingeschäften Lagerversicherung zu betreiben, vgl. ebd., S. 2082, S. 2210, S. 2229. Im Gegensatz zu den Äußerungen aller anderen Sachverständigen aus den Reihen des Binnengroßhandels teilte der nicht anwesende Großhändler Haurand aus Frankfurt/M. über eine schriftliche Stellungnahme der Kommission mit, dass er Lagerversicherung betreibe, vgl. ebd., S. 2217 f. Der Makler Embden aus Hamburg sah aber auch für die Kaffeegroßhändler der Zweiten Hand im Hamburg nur unter Umständen die Möglichkeit gegeben, mittels Termingeschäften das eigene Lager abzusichern, vgl. ebd., S. 2083. Doch scheinen Embdens Äußerungen eher rein strategischer
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teile für den Binnengroßhandel entstünden. Früher sei es dem Binnengroßhandel möglich gewesen, „durch seine Erfahrung, durch seinen Scharfblick etwas zu berechnen, eine Konjunktur unter Umständen auszunützen, sich rechtzeitig zu versorgen und rechtzeitig sein Lager zu verkleinern. Heutzutage hört alle Berechnung auf.“148 Ohne die kontinuierlichen und zeitnahen Informationen über die Preisentwicklungen ginge mit einer größeren Lagerhaltung ein zu großes Risiko einher. Dies betraf aber alle Waren, die auf Termin gehandelt wurden, und dieser Umstand ging deshalb auch explizit in den Abschlussbericht der Börsen-Enquete-Kommission ein: „wenn der eine Händler an einem Ort zufällig sich für seinen Einkauf einen günstigen Tag ausgewählt und sich demgemäß in der Lage befände, den Kaffee billiger zu verkaufen, alle diejenigen Kaufleute desselben Orts darunter litten, welche bei ihrem Einkaufe weniger glücklich gewesen. […] Das Halten von Vorräthen sei dadurch völlig unmöglich geworden.“149 Die verschiedenen Äußerungen der Binnengroßhändler ließen die drohende Konsequenz dieser Entwicklung schon erahnen, nämlich die Verdrängung des Binnengroßhandels aus der Wertschöpfungskette.150 Hierfür war neben den geschilderten Informationsasymmetrien noch ein weiterer Faktor von Bedeutung, den ebenfalls einige Sachverständige aus den Reihen der Binnengroßhändler kritisierten: Das Geschäftsfeld der Hamburger Kaffeegroßhändler hatte sich immer mehr von unselbständigen zu selbständigen Geschäften gewandelt; dies betraf sogar das der Kommissionäre und Makler. Als Eigenhändler standen sie in direkter Konkurrenz zum Binnengroßhändler und bedrohten, indem sie zudem das Verlesen des Rohkaffees, die Herstellung von Mischungen aufgrund regionaler Präferenzen und zum Teil das Rösten übernommen hatten, die Existenz des Binnengroßhandels (vgl. hierzu das Kapitel 5). Wenn ein Hamburger Händler an den Pflanzungen beteiligt war, aber auch wenn er nur den Vorabkauf von den Plantagenbesitzern mittels Lieferungsgeschäft bei gleichzeitiger Versicherung der Ware durch Termingeschäfte betrieb und zudem die Weiterverarbeitung durch den Unternehmensstandort im Freihafen zollfrei vornahm, so entstanden ihm Gestehungskosten, die weit unter denen des Binnengroßhandels lagen. Schließlich stand die Frage zur Debatte, ob durch die Auswirkungen des Terminhandels auf das Effektivgeschäft nicht allein die Interessen des Binnengroß- oder des Detailhandels geschädigt würden, sondern die Interessen aller deutschen KonsumenNatur gewesen zu sein, um die aus dem Terminhandel resultierende Monopolstellung der Hamburger Händler argumentativ abzuschwächen. 148 Wilhelm ebd., S. 2216. 149 BEK, Bericht (1893), S. 90. Vgl. auch BEK, St. Pr. (1893), S. 2064, S. 2081 f., S. 2211, S. 2218 f., S. 2237. 150 Vgl. ebd., S. 2076, S. 2088, S. 2180, S. 2181; Brougier (1889), S. 68; Deutschmann (1918), S. 16 f.; Findeisen (1917), S. 88; Schönfeld (1903), S. 72.
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ten.151 Um die durch den Terminhandel entstehenden kurzfristigen Preisschwankungen abzufedern, bleibe dem Binnengroßhandel und dem Detailhandel nichts anderes übrig, als schlechtere Qualitäten zu kaufen und ihren Mischungen zuzufügen.152 Zudem würden durch die Einführung des Terminhandels mindere Qualitäten auf den deutschen Markt kommen, da dessen Grundlage die qualitativ schlechteren Brasilkaffeesorten seien, die die Basis für die Typenfestsetzung bildeten.153 Aus welcher Qualität sich die Typen zusammensetzten, bestimmte eine Kommission des Hamburger Kaffee-Vereins alljährlich neu. Der Festsetzung der Typen kam im Terminhandel eine große Bedeutung zu, da bei Abweichung des Typs von den tatsächlichen kommenden Ernten beispielsweise ein qualitativ zu hoch geschätzter Typ schnell zur Haussespekulation führen konnte.154 Aus der Perspektive der Hamburger Kaffeegroßhändler ergaben sich Vorteile durch die Kombination von Termin- und Effektivgeschäften mit großen Quantitäten. Enthielten die Lieferungen schlechte Bohnen oder Steine, konnten diese im Freihafen aussortiert und Mischungen hergestellt werden. Zwar galten die Brasilkaffeesorten als „hart“ im Geschmack und damit als von minderer Qualität, aber die nord- und osteuropäischen Länder fragten gerade diese Kaffeesorten nach. Deshalb resultierte für die Hamburger Kaffeegroßhändler aus dem überwiegenden Handel mit Brasilkaffees kein Absatzproblem: „Es wird eben alles getrunken aber nur in anderen Ländern.“155 Aus der zunehmenden Marktdominanz der Brasilsorten und ihrer schlechteren Qualität entstünden aber für die Mehrheit der Binnengroßhändler Nachteile, da Brasilkaffee in Deutschland weniger nachgefragt würde.156 Durch den Terminhandel und seine Organisation bleibe dem deutschen Binnengroßhandel und erst recht dem Detailhandel nichts anderes übrig, als den Konsumenten schlechte Qualität anzubieten. Im Kern ging es den Kritikern demnach um die Folgen der durch die Einrichtung der Hamburger Terminbörse noch verstärkten Konzentration des Kaffeezwischenhandels in Hamburg sowie um die Konsequenzen, die sich aus den Abwicklungsmodalitäten des Terminhandels ergaben und die es dem Binnenhändler nur schwer 151 Zur Schädigung des Detailhandels und der Konsumenten vgl. BEK, St. Pr. (1893), S. 2087 f. 152 Vgl. Magenau ebd., S. 2274. 153 Vgl. ebd., BEK, St. Pr. (1893), S. 2077. 154 Vgl. dazu ausführlicher Meier (1992), S. 30. Auch spielten Arbitragegeschäfte bei Deport (Marktsituation, bei der die Terminpreise in den entfernter liegenden Liefermonaten kontinuierlich tiefer liegen) und Report (Marktsituation, bei der die Terminpreise in den entfernter liegenden Liefermonaten kontinuierlich höher liegen) eine Rolle, vgl. BEK, St. Pr. (1893), S. 2106 f. Über die Notwendigkeit, flexible Typen auf der Basis der Brasilkaffees festzusetzen, vgl. ebd., S. 2081, S. 2083, 2089f. 155 Gierth ebd., S. 2081. Vgl. ebenso Brougier (1889), S. 68. 156 Magenau BEK, St. Pr. (1893), S. 2258. Dazu gegensätzlich argumentierend vgl. Joachimsthal ebd., S. 2229.
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ermöglichten, gewinnbringend daran zu partizipieren, während sie doch die Nachteile deutlich zu spüren bekamen.157 Insbesondere gegen den exklusiven Zugriff der Hamburger Vereinsangehörigen auf die Organisation des Kaffeeterminhandels richteten sich die Klagen der meisten Sachverständigen aus den Reihen des Binnenhandels, die der Vorsitzende Gamp zusammenfasste: „Es ist doch […] ein Fehler, daß die Feststellung dieser Bedingungen ausschließlich in der Hand dieses Kaffee-Vereins in Hamburg liegt. […] Es scheint nicht gerechtfertigt zu sein, daß man in einer Frage, die so erheblich den ganzen Kaffeehandel berührt, die Kaffeehändler eines Platzes entscheiden lässt.“158 Die entschiedenste Kritik an der gegenwärtigen Organisation betraf die Existenz der Warenliquidationskasse. Die exklusiven Zugangsmechanismen zur Liquidationskasse und ihr Abwicklungsmechanismus reduzierten für die Hamburger Vereinsmitglieder die Unsicherheit über das Verhalten ihrer Kontrahenten bei Termingeschäften und ermöglichten es zugleich, fremde Personen und fremdes Kapital anzuziehen. Daraus resultiere aber – so die Kritik der Sachverständigen aus den Reihen des Binnengroßhandels – ein Monopol der Warenliquidationskasse und ihrer Makler auf Termingeschäfte.159 Zudem ergäben sich aus dem Regulativ der Warenliquidationskasse in Kombination mit den gegenwärtigen Geschäftspraktiken der Hamburger Vereinsmitglieder – wie dem Selbsteintritt der Kommissionäre und dem schwerpunktmäßigen Effektivhandel mit Brasilsorten – massive Benachteiligungen für den Binnengroßhandel. Insbesondere beklagten sich die Sachverständigen aus den Reihen des Binnenhandels über die Abwicklungsmodalitäten der Warenliquidationskasse bei Geschäftsabschlüssen, vor allem die Ein- und Nachschusspflicht, um ein Terminengagement aufrechtzuerhalten. Allerdings unterschieden sich die Kritikpunkte im Detail massiv: Einerseits bemängelte Gamp, dass die Nachschusspflicht eine Beteiligung des Binnenhandels verhindere, da diesem nicht ausreichend Kapitalien zur Verfügung stünden,160 andererseits aber forderte van Gülpen, die Einschüsse zu erhöhen, um Spekulationen zu erschweren.161 Konträr zu van Gülpens Position forderte der Binnengroßhändler Magenau die Abschaffung der Liquidationskasse, damit „alle die Börsenkreise, die sich jetzt der Liquidationskasse bedienen, [sich] von diesen Geschäften abwenden“.162 Der Binnengroßhändler Wilhelm hingegen befürwortete die Liquidationskasse und deren gegenwärtige Organisation.163 Allein diese gegensätzlichen Äußerungen zur Liquidationskasse zeigen, dass man in den Reihen der Kritiker selten die gleichen Aspekte des Terminhandels bemängelte und dass zudem, wenn 157 158 159 160 161 162 163
Vgl. Magenau ebd., S. 2239 f. Vgl. dazu auch Brougier (1889), S. 65 f. Gamp BEK, St. Pr. (1893), S. 2257. Vgl. ebd., S. 2125 f., S. 2260. Vgl. Gamp ebd., S. 2123. Vgl. van Gülpen ebd., S. 2120. Magenau ebd., S. 2265. Vgl. Wilhelm ebd., S. 2265.
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man sich denn einig war, die Meinungen darüber, was man durch ein Börsengesetz verändern sollte, extrem divergierten. Letztlich stimmten aber alle Befragten darin überein, dass Termingeschäfte an sich notwendig seien und nicht verboten werden sollten, so auch ihr schärfster Kritiker van Gülpen: „O gewiss, der Terminhandel hat vollkommen seine Berechtigung, und der Differenzhandel hat insofern seine Berechtigung auch, als jedes legitime Geschäft mit vollwichtigen Gründen in ein Differenzgeschäft verlaufen kann.“164 Vor der Börsen-Enquete-Kommission vertraten alle Sachverständigen die Auffassung, dass man den Terminhandel nicht aufgeben könne, solange andere Handelsplätze auch auf diese Weise Geschäfte abschlössen. Ansonsten würde ein Verbot in Deutschland zu einem eklatanten Nachteil deutscher Geschäftsinteressen führen.165 Die an Termingeschäften Interessierten würden im Falle eines Verbotes in Deutschland ihre Geschäfte einfach an Terminbörsen im Ausland abschließen. Damit würden alle dort ansässigen Kaffeegroßhändler sowie andere Branchen wie die Reedereien und Merchant Banken davon profitieren und gleichzeitig all diese Branchen in Deutschland geschädigt werden.166 Als Lösung forderte der Sachverständige Wilhelm ein internationales Verbot von Termingeschäften, welches die Mehrheit der Sachverständigen – auch die Hamburger – zwar grundsätzlich für eine gute Lösung, aber faktisch nicht für realisierbar hielten.167 Dem schloss sich der Kommissionsangehörige Wiener an und benannte außerdem die Grundproblematik, die alle Bestimmungen, die man zur Regulierung von Termingeschäften auf nationaler oder auf internationaler Ebene erlassen würde, undurchführbar machte: „Ja, wie denken sie sich eigentlich die Maßregeln, um den Terminhandel zu verhindern? Das sind ja schließlich alles Privatvereinigungen. Selbst wenn man hier jenen Schutz der offiziellen Börse entzieht, einen Schutz, den sie übrigens […] gar nicht haben – es beruht ja alles auf diesen Vereinssatzungen – meinen sie also, der Staat sollte mit einem polizeilichen Verbot vorgehen, so daß er also derartige freie Vereinigungen auseinander treibt, daß er sie durch Strafen beseitigt, oder sollten die Geschäfte, die von diesen Vereinigungen gegründet werden, zivilrechtlich für ungültig erklärt werden?“168
164 Van Gülpen ebd., S. 2068. Kein Sachverständiger forderte ein Verbot des Terminhandels in Deutschland, auch die Kritiker sahen Vorteile in der Existenz von Warenterminbörsen im Allgemeinen. Wilhelm lehnte zwar den Terminhandel ab, musste dann aber zugeben, dass er selbst Termingeschäfte tätigte und von deren Vorteilen profitierte, vgl. ebd., S. 2218. 165 Vgl. Embden ebd., S. 2071; Gierth, ebd., S. 2071; Robinow ebd., 2095; Heermann ebd., S. 2215; Wilhelm ebd., S. 2216; Magenau ebd., S. 2239. 166 Vgl. Embden ebd., S. 2071; Gierth ebd., S. 2113. 167 Vgl. u. a. Haurand ebd., S. 2224. 168 Wiener ebd., S. 2224.
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Als ebenso schwierig durchführbar erwiesen sich weitere Eingriffsvorschläge in die Organisation und Praxis der Termingeschäfte,169 da alle potentiellen Maßnahmen eine Abwanderung zu ausländischen Börsenplätzen zur Folge hätten. Eine Lösung für diese Fragen bot allein die bisherige Organisation der Hamburger Kaffeeterminbörse. Dementsprechend verwiesen die Sachverständigen aus den Reihen des Hamburger Vereins immer wieder auf ihre Mechanismen zur Herstellung von Vertrauen unter den Geschäftspartnern (Zugangskriterien zum Verein), für die einzelnen Geschäftsabschlüsse (Warenliquidationskasse) sowie auf praktikable Sanktionsmöglichkeiten.170 Im Hinblick auf die am dringlichsten zu klärenden und per Reichsgesetz zu regelnden Fragen – wie die der Zulassung zum Kaffeeterminhandel, Feststellung der Kurse, Selbsteintritt der Kommissionäre und Festsetzung der Typen – vertraten die Hamburger Kaufleute geschlossen ihre Position. Im Wesentlichen waren diese Argumentationen schon in der ersten Denkschrift des Kaffee-Vereins zum Kaffeeterminhandel 1888 vorgebracht worden, und sie wurden auch nach der Börsen-Enquete kontinuierlich wiederholt. Dagegen war die Gruppe der Gegner des Warenterminhandels mit Kaffee heterogen, sowohl, was ihre Forderungen anging, als auch in ihren Mitteln und Maßnahmen zur Artikulation ihrer Interessen. Es wurde eine Vielzahl von zum Teil fachlich nicht nachzuvollziehenden und höchst widersprüchlichen Einzelforderungen formuliert. So sah der Sachverständige Joachimsthal überhaupt keine Nachteile als Binnengroßhändler für die Dritte Hand.171 Konträr zu Joachimsthals Position stand die von van Gülpen, dessen Lösungsvorschläge aber kaum praktikabel waren. Auch außerhalb der Sachverständigenbefragungen vor der Börsen-Enquete-Kommission kritisierten und forderten die Petitionen an den Reichstag gegen den Warenterminhandel äußerst Unterschiedliches.172 Verlangte die Handelskammer Wesel in vier Eingaben an den Reichstag die Regulierung des Warenterminhandels durch ein Reichsgesetz und die Abschaffung der Warenliquidationskasse, forderte die Münchner Handelsund Gewerbekammer für Oberbayern in ihrem Jahresbericht 1889 ein Verbot des Terminhandels, brachte aber nach 1892 keinerlei Kritik mehr vor.173 Ebenso hatte die Frankfurter Handelskammer die Kaffeeterminbörse in Hamburg 1887 noch kriti169 Vgl. ebd., S. 2243; Heerman ebd., S. 2243, 2248; Magenau ebd., S. 2257. Eine durch staatliche Stellen vorgenommene Typenfestsetzung wurde wegen deren mangelnder Fachkompetenz von allen Sachverständigen abgelehnt, vgl. Robinow ebd., S. 2089; Heermann und Wilhelm ebd., S. 2258. 170 Vgl. ebd., S. 2101, S. 2173, S. 2178f, S. 2183. 171 Vgl. Joachimsthal ebd., S. 2226 f., S. 2253. 172 Vgl. Meier (1992), S. 59–68. 173 Vgl. Eingabe der Handelskammer Wesel in: StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 2, Bd. 1. Ebenso in BArch, Bestand R 1305, Signatur 572, Bl. 84. Eine gesetzliche Regulierung von Warentermingeschäften forderte wie die Handelskammer Wesel auch die Handelskammer Lauban (Schlesien) in zwei Petitionen an den Reichstag, vgl. Verhandlun-
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siert, erkannte ab 1888 aber den Kaffeeterminhandel als notwendig an.174 Ein Verbot des Kaffeeterminhandels forderten auch die Leipziger Handelskammer in einem Schreiben an den Kaffee-Verein und die Berliner Firma Nietschmann & Oelme in einer Petition an den Reichstag aus dem Jahr 1889.175 Der Verein der „Ältesten der Kaufmannschaft in Berlin“ befürwortete den Kaffeeterminhandel, sah aber in ihm den Grund für die gegenwärtigen Preisschwankungen.176 Die Gegner des Kaffeeterminhandels schafften es somit bis zur Verabschiedung des Börsengesetzes nicht, sich über ihre gemeinsamen Interessen abzusprechen und dementsprechende Forderungen für eine Börsenreform zu formulieren. Die verschiedenen Ansichten der Binnengroßhändler über den Kaffeeterminhandel und seine Folgen für das Inlandsgeschäft ergaben sich aus den jeweiligen Perspektiven. Je nach regionalem Standort hatten sich die Veränderungen im internationalen Handel unterschiedlich auf die Geschäftspraktiken des Binnenhändlers ausgewirkt, waren neue Geschäftspartner und zudem der Handel mit anderen Sorten notwendig geworden. Die Firma des schärfsten Kritikers van Gülpen lag in Emmerich am Rhein, ihre bisherigen Geschäftspartner waren die niederländischen Großhändler, die Handelsform die Auktion gewesen. Je nach Beschaffenheit der Ware und regionaler Nachfrage hatte van Gülpen bisher in Amsterdam die zuerst gesichtete Ware per Auktion gekauft und seine Lagerhaltung danach ausgerichtet. Die Veränderungen im internationalen Kaffeehandel und die Dominanz der Hamburger Großhändler bedeuteten für ihn massive Veränderungen im Hinblick auf Geschäftspartner, die Handelsorganisation und die Ware selbst.177 Aus der Perspektive des den Terminhandel grundsätzlich befürwortenden Berliner Großhändlers Joachimsthal veränderten sich weder die Bezugsquelle noch die Geschäftspartner, sein Vertrauen in die ja tatsächlich auf die Schaffung von Vertrauen abzielenden Strukturen der Hamburger Börse ließ ihm die veränderte Situation sogar als vorteilhaft erscheinen. Der Münchner Großhändler Wilhelm kritisierte zwar einige Auswirkungen des Terminhandels auf sein Geschäft wie die nun erschwerte Lagerhaltung, hatte aber schon länger über franzö-
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gen des Reichstages, Stenographische Protokolle, Berlin 1889, S. 1186, Petition II 5776. Im Folgenden abgekürzt Reichstag, St. Pr. Vgl. Jahresbericht der Handelskammer Frankfurt/M., Jahresbericht 1887, S. 153f. und 1888, S. 74–76. Vgl. Schreiben der Leipziger Handelskammer in: StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 3, Vorstandssitzung vom 10.5.1887. Zu der Petition der Berliner Firma Nietschmann & Oelme vgl. ebd., Vorstandssitzung vom 7.12.1888; Reichstag, St. Pr. (1889), S. 1186, Petition II 2406; Brougier (1889), S. 47. Vgl. Schreiben der Ältesten der Kaufmannschaft vom 29.1.1889, in: Correspondenz der Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin, 12 (1889), S. 9–12. Auszüge in: Reichstag, St. Pr. (1889), S. 1187. Zum Rückgang des Anteils der Importe aus den Niederlanden an den Gesamtimporten, vgl. Grafik 32.
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sische Geschäftspartner Termingeschäfte in Le Havre abgeschlossen und bezog von dort seinen Kaffee. Auch für ihn hatten sich weder die Bezugsquelle noch die Ware oder die Geschäftspartner geändert. Aus der gleichen Position in der Wertschöpfungskette ergaben sich für die Binnengroßhändler nicht dieselben Interessen an einer Börsenreform. Da keiner der Sachverständigen den Kaffeeterminhandel an sich ablehnte, erkannte auch niemand von ihnen einen Nutzen in einem Verbot der Geschäftsform. Der allgemeinen, eher diffusen, durch unterschiedlichste Wirkungszusammenhänge und oft vielleicht auch durch eine Art Modernisierungsangst begründeten Kritik an den grundsätzlichen Veränderungen in der Organisation des internationalen Handels war aber durch staatlich kodifiziertes Recht im Rahmen einer Börsenreform nicht zu begegnen. Die Verbesserungsvorschläge für die Organisation des Kaffeeterminhandels in Hamburg waren juristisch nicht praktikabel und hätten die eigentliche Ursache der Widerstände gegen den Terminhandel nicht berührt: die Konzentration des Kaffeegroßhandels in Hamburg. Diese begründete sich aber weniger durch juristisch einklagbare Geschäftspraktiken als durch hochgradige Interessenkoordinierung. Genau daran mangelte es dem Binnenhandel. In ihrem Abschlussbericht stellte die Börsen-Enquete-Kommission im Hinblick auf die durch den Warenterminhandel hervorgerufene Monopolstellung der Hamburger Kaffeehändler zwar fest, dass die Konzentration des Kaffeegeschäfts am Handelsplatz Hamburg nachteilig für das Inlandsgeschäft sei, und vermutete auch einen sich daraus ergebenden Nachteil für die Endverbraucher.178 Doch die Kommission sprach sich andererseits grundsätzlich für den Terminhandel aus und empfahl kein Verbot für einzelne Waren. Als einschränkende Maßnahme schlug sie eine Staatsaufsicht über die Börsen und die Einführung eines Börsenregisters für den Warenterminhandel vor. Um die Beschlüsse der Kommission entbrannte nach der Veröffentlichung ein heftiger Kampf. Der im Dezember 1894 vorgelegte Regierungsentwurf zu einem Börsengesetz orientierte sich trotzdem weitgehend an den Vorschlägen der BörsenEnquete-Kommission. Erst in den Lesungen im Reichstag wurden die regulierenden Einschränkungen verschärft. In dem am 1. Januar 1897 in Kraft getretenen Börsengesetz erkannte der Gesetzgeber den Warenterminhandel an sich an. Um rechtlich wirksame Börsentermingeschäfte abzuschließen, mussten Händler nun aber in einem Börsenregister eingetragen sein. Ausdrücklich vom Börsenterminhandel ausgenommen wurden aufgrund der heftigen Einwendungen der Gegner des Terminhandels während der Lesungen im Reichtstag Getreide und Mühlenfabrikate.179
178 Vgl. BEK, Bericht (1893), S. 89. 179 Vgl. ausführlich zu den Lesungen im Reichstag und den Veränderungen Meier (1992), S. 225–316; Borchardt (1999), S. 75–81.
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Am Ende der langwierigen Auseinandersetzungen stand ein Börsengesetz, das den Terminhandel mit einzelnen Waren verbot.180 Sofort nach der Veröffentlichung des Börsengesetzes im Reichsanzeiger regte sich massive Kritik. Der politische Charakter des Gesetzes, der besonders deutlich in seinen uneinheitlichen Regelungen hervortrat, diskreditierte in den Augen der Rechtswissenschaft das Gesetz als in der juristischen Anwendung nicht durchführbar. Doch in der Praxis setzten die Börsenteilnehmer das Gesetz unterschiedlich um bzw. unterliefen die Regeln. Die Händler einiger preußischer Warenbörsen, darunter auch die Berliner Händler, besuchten nicht mehr die offizielle Börse. Die Berliner Kaufleute trafen sich stattdessen „an einem anderen Ort und begannen auf der Basis neu formulierter Geschäftsbedingungen untereinander ‚handelsrechtliche Lieferungsgeschäfte‘ abzuschließen, auch in Getreide. […] Formal, d. h. bei wörtlicher Auslegung des in den entscheidenden Punkten naiv formulierten Börsengesetzes, waren die Händler im Recht.“181 Die Forderungen der Hamburger Kaufleute berücksichtigte das Börsengesetz weitgehend in dem Sinne, dass seine Regelungen die wesentliche Organisation der Kaffeeterminbörse nicht berührten (vor allem Praktiken der Zulassung zum Terminhandel, die Feststellung der Kurse, die Festsetzung der Typen und die Warenliquidationskasse selbst). Das wichtigste Ziel der Hamburger Kaffeekaufleute, nämlich die Möglichkeit, ihre etablierten Rechtsnormen und Geschäftspraktiken weiter anzuwenden, war damit erreicht. Zwar mussten sich die Hamburger Kaffeegroßhändler nun im Börsenregister eintragen lassen. Da aber die Börse selbst weiterhin der Autorität des Kaffee-Vereins unterstand, konnte dieser nach wie vor darauf bestehen, dass nur Firmen, die Vereinsmitglied waren, hier selbständig Termingeschäfte abschließen konnten. Weiterhin regulierte also der Kaffee-Verein die Zulassung zum Kaffeeterminhandel. Die Eintragung im Börsenregister war dagegen, ebenfalls aufgrund der Regelungen und Praktiken des Kaffee-Vereins, nicht zwingend notwendig, denn die meisten Termingeschäfte wurden von Kommissionären, im Auftrag ihrer Kommittenten getätigt. Die Kommittenten mussten also nicht eingetragen werden. Der Kaffeeterminhandel blieb weiterhin fremdem Kapital und fremden Personen – natürlich nur über die Vermittlung der im Verein organisierten Kommissionäre und Makler – geöffnet.182 Weitere staatliche Eingriffe in die Börsengeschäfte hatten die Hamburger Kaffeehändler nicht zu befürchten, denn die Aufsicht über die Kaffeeterminbörse übertrug der Hamburger Senat der hiesigen Handelskammer und diese dem Kaffee-Verein. Die Bestimmungen des Börsengesetzes von 1896 und seine Anwendung in der Praxis untermauerten somit indirekt die Monopolisierung des Kaffeehandels in 180 Das Gesetz wurde veröffentlicht mit dem Reichs-Gesetzblatt, Nr. 15 vom 22.6.1896, S. 157–176. 181 Borchardt (1999), S. 87. 182 Vgl. Schönfeld (1903), S. 103.
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Hamburg. Die Großhändler im deutschen Inlandsgeschäft, die Dritte Hand, konnten zwar durchaus über die Hamburger Makler und Kommissionäre Termingeschäfte abschließen, doch boten sich durch die Ausrichtung des Terminhandels auf die Interessen der Händler der Zweiten Hand kaum Vorteile, dies zu tun. Die tatsächliche Ursache der Widerstände des Kaffeebinnengroßhandels gegen die Terminbörse – die Monopolisierung des internationalen Kaffeehandels an wenigen Zentren auch im Effektivgeschäft und damit einhergehend der Ausschluss der Dritten Hand von den größten Gewinnmargen der Kaffeewertschöpfungskette – wurde vom Börsengesetz nicht berührt. Der Binnengroßhandel war je nach regionalem Standort mehr oder weniger zum bloßen Spediteur und vom Hamburger Kaffeemarkt abhängig geworden. Er musste die Vermittlung der Hamburger Großhändler in Anspruch nehmen, für diese Dienstleistung bezahlen und sich mit den hier zu erhaltenen Kaffeesorten und ihren Qualitäten abfinden. Die Börsengesetzgebung von 1896, ihre praktische Handhabung an den Börsen und ihre Auswirkungen demonstrieren für den Kaffeehandel die äußerst begrenzten Möglichkeiten des staatlichen Eingriffs in die durch den globalen Handel noch zusätzlich verstärkten Interessengefüge. Aus der Sicht der Zeitgenossen, und zwar sowohl derjenigen der Hamburger Kaffeegroßhändler als auch der Binnengroß- und Einzehändler, ließen die veränderten Marktbedingungen am Ende des 19. Jahrhunderts nur zwei Optionen zu: entweder die Beteiligung der deutschen Kaffeegroßhändler am globalen Handel durch die Zulassung des Terminhandels und damit die Hinnahme einer Positionsschwächung des Binnengroßhandels oder den Verlust der Marktposition sämtlicher deutscher Kaffeegroßhändler. Das Börsengesetz, dessen Bestimmungen zurückging auf die vielschichtige Kritik am Warenterminhandel und seinen Folgen, stellte dessen bestehende Usancen und Geschäftspraktiken – außer natürlich im Verbot des Terminhandels für einzelne Waren – letztlich nicht in Frage. Wirtschaftspolitisch stellte das Börsengesetz in seinen Bestimmungen und Auswirkungen keine einheitliche Strategie dar. Insbesondere die Tatsache, wesentliche Geschäftspraktiken der Börsen und die hier integrierten internationalen Wirtschaftsnormen nicht durch nationalstaatlich kodifiziertes Recht zu begrenzen, entspricht einer liberalen Wirtschaftspolitik.
5. Kaffeeproduktion. Eine neue Branche setzt sich durch Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts trieb die zunehmende Verflechtung des globalen Kaffeeanbaus mit dem Kaffeehandel die Umsätze in bislang unbekannte Höhen. Die Interaktionsfrequenz der Akteure stieg deutlich. Mit ihr erreichte die Interdependenz in den Marktbeziehungen eine neue Qualität. Letztere erzeugte wiederum Asymmetrien. Innerhalb der Wertschöpfungskette dominierten ab den frühen 1890er Jahren die Importeure an den Seehäfen der Konsumländer durch ihren Zugang zu Informationen und Kapital sowie durch Kooperationen mit Banken und Reedereien. Da eine Standardisierung von Handelskontrakten und -abwicklungen für eine Umsatzsteigerung in ihrem Interesse und auch in dem der Hamburger Exporteure (für den Reexport nach zum Beispiel Schweden) war, importierten sie zunehmend brasilianische Sorten von eher mittlerer Qualität (im Vergleich zu den arabischen Sorten waren dies sogar schlechte Qualitäten). Sowohl die Veränderungen der Mechanismen im globalen Handel als auch die damit einhergehenden Qualitätsveränderungen der Rohstofflieferungen benachteiligten den deutschen Binnengroßhandel und den Einzelhandel. Besonders die Qualitätseinbußen entsprächen – so das Argument der deutschen Binnenhändler im Zuge der Börsenreform – nicht ihren und erst recht nicht den Bedürfnissen der deutschen Konsumenten. Diese Diskussionen zeigen, dass die Zeitgenossen sich selbst in einer Situation verorteten, die durch globale Abhängigkeiten zwischen Anbau, Handel und Konsum gekennzeichnet sei. Doch wie wirkten sich die Veränderungen des internationalen Handels auf den Vertrieb, den Verkauf und den Konsum von Kaffee im deutschen Kaiserreich tatsächlich aus? Um hier zu möglichst treffenden Einschätzungen zu kommen, ist zugleich zu untersuchen, welche Bedeutung der global gehandelten Ware in der deutschen Ernährungsindustrie zukam und wie sie sich durch Veredlungsinnovationen, Vertriebsstrukturen und Marketing veränderte. Es existiert kaum Literatur über die deutsche Bohnenkaffeeindustrie und ihre Vertriebs- und Verkaufsstrategien. Sieht man von der Erwähnung oder dem reinen Abdruck von Kaffeewerbung und den Publikationen über die Unternehmen Kaffee HAG und Jacobs (die dieses Thema aber kaum behandeln) einmal ab,1 ist die Li1 Vgl. Jacobs Suchard Kraft (Hg.), 100 Jahre Jacobs Café, Bremen 1994; dies. (Hg.), Von der braunen Kaffeebohne zum Verwöhnaroma. Die Design-Geschichte der Marke Jacobs, Bremen 1998; Kraft Foods Deutschland (Hg.), 100 Jahre Kaffee HAG. Die Geschichte einer Marke, Bremen 2006; Svenja Kunze, „Kaffee-HAG schont ihr Herz“. Zur Entstehung und Entwicklung eines klassischen Markenartikels in der deutschen Kaffeebranche 1906–1939, in: Hamburger Wirtschafts-Chronik N. F. 4 (2004), S. 85–120; Thomas Schwarze, Kaffee HAG 1906–1979. Ein Beitrag zur historischen Unterneh-
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teraturlage ziemlich dünn.2 Auch zum größten Massenfilialisten des Kaiserreichs, Kaiser’s Kaffeegeschäft GmbH, dessen Schwerpunkt die Verarbeitung und der Verkauf von Bohnenkaffee war, liegen keine Studien vor.3 Gut untersucht sind die Konsumvereine und Warenhäuser, die Geschichte des Einzelhandels oder die Technikgeschichte der Kaffeeröstung.4 Aber bereits auf solch einfache Fragen wie die nach der groben Anzahl von Unternehmen, die sich ab den späten 1870er Jahren auf die Verarbeitung und den Vertrieb von Bohnenkaffee spezialisierten, nach ihren Organisationsformen und Vertriebsstrukturen finden sich kaum Antworten. Dies gilt erst recht für die Entstehung und Entwicklung der Röstindustrie. Bedenkt man die Tatsache, dass Handelsfirmen (sowohl ehemalige Binnengroß- und Einzelhändler), die die Röstung in ihr Unternehmen integrierten, im Laufe des 20. Jahrhunderts zu den dominierenden Akteuren in der Kaffeewertschöpfungskette wurden, ist dieser Befund erstaunlich.5 Die grundlegenden Techniken und Vertriebsstrategien der heutigen Global Players im internationalen Kaffeegeschäft, wie
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mensforschung, Bremen 1980; Nicola Vetter, Ludwig Roselius. Ein Pionier der deutschen Öffentlichkeitsarbeit, Bremen 2002. Zwar gibt es eine große Masse von Populärliteratur über Kaffee, die auch teilweise die Verkaufsstrategien streift, jedoch zum Erkenntnisgewinn in den hier verfolgten Fragestellungen nicht beitragen kann, sie wird darum im Folgenden nicht berücksichtigt. Vgl. jedoch Keith R. Allen, Massai-Mann und Tschibo-Experte. Kaffee-Werbung und der Reiz des Fremden, in: Lummel (2002), S. 60–67; Franz Findeisen, Die Markenartikel im Rahmen der Absatzökonomik der Betriebe, Berlin 1924; Walter Herzberger, Der Markenartikel in der Kolonialwarenbranche (Diss.), Stuttgart 1931; Gabrielle Obrist und Roger Fayet (Hg.), Mein Aroma! ... wunderbar. Motive und Parolen in der Kaffeewerbung, Zürich 1995; Roman Rossfeld, „Echt nur in dieser Packung“. Zum Verhältnis von Industrialisierung, Ernährung und Werbung am Beispiel des Kaffees, in: Obrist und Fayet (1995), S. 34–43; Thoms (2002). Die Kaffeewerbung berücksichtigt teilweise David Ciarlo, Consuming Race, envisioning empire. Colonialism and German Mass Culture 1887–1914 (unveröff. Diss.), University of Wisconsin-Madison 2003; ders., Rasse konsumieren. Von der exotischen zur kolonialen Imagination in der Bildreklame des wilhelminischen Kaiserreichs, in: Kundrus (2003), S. 135–179. Über den Gründer von Kaiser’s Kaffeegeschäft liegt eine Biografie aus dem Jahr 1937 vor, vgl. Werner Peiner, Josef Kaiser, o. O. [Viersen] o. J. [1937]. Zur Unternehmensentwicklung vgl. Spiekermann (1999), S. 325–330. In seinen Studien über die Nahrungs- und Genußmittelindustrie in Deutschland hat Karl-Peter Ellerbrock den Vertrieb und Verkauf von Bohnenkaffee nicht behandelt, wohl aber die preußische Zichorienindustrie bis zur Reichsgründung, vgl. ders., Geschichte der deutschen Nahrungs- und Genussmittelindustrie 1750–1914, Stuttgart 1993. Vgl. u. a. Michael Prinz, Brot und Dividende. Konsumvereine in Deutschland und England vor 1914, Göttingen 1996. Zur Technikgeschichte der Kaffeeröstung vgl. Friedrich Kahrs, Warenkunde für den Kolonialwaren und Feinkosthandel, Berlin und Leipzig 1944; Probatwerke (1993); Spiekermann (1999). Vgl. Topik (2003), S. 21–49.
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die maschinelle Röstung und Verpackung sowie standardisierte Verkaufsstrategien, entwickelten Unternehmen aber schon am Ende des 19. Jahrhunderts. Da der Einzelhandel, die Warenhäuser und die Konsumvereine und somit ein Teil der Verkaufsorte gut untersucht sind, konzentriert sich das folgende Kapitel auf die Bohnenkaffeebranche. Darunter werden diejenigen Unternehmen verstanden, die sich auf die Veredlung (Mischen, Reinigen, Rösten, Glasieren etc.) der grünen Kaffeebohnen und deren Vertrieb (Business-to-Business oder an den Endkunden) konzentrierten. Weil diese Unternehmen dasselbe Herstellungsverfahren und den gleichen Ausgangsstoff (Rohkaffee) verwendeten sowie ähnliche Produkte (Röstkaffees) herstellten, erscheint die Bezeichnung Branche angemessen, auch wenn sich die Vertriebsweisen im Einzelnen teilweise sehr unterschieden. Sowohl der Groß- als auch der Kleinhandel6 übernahm die Veredlung und bot daher zum Teil unterschiedliche Dienstleistungen an. Zudem begannen ehemalige Großhandelsfirmen über eigene Läden Kaffee zu vertreiben. Gleichzeitig integrierten nicht wenige Einzelhändler Geschäftsfelder des Großhandels in ihr Unternehmen. Auch deshalb ist eine systematische Trennung von Groß- und Kleinhandel nicht sinnvoll. Ebenso wenig kann die Bohnenkaffee verarbeitende Branche (im Folgenden Kaffeebranche genannt) in produzierende und handelnde Unternehmen unterteilt werden. In der Mehrheit produzierten und verkauften die Firmen den Röstkaffee an die Endkunden selbst. Aus Handelsunternehmen wurden so auch produzierende Unternehmen, die ihren Kunden eine breite Palette an selbst hergestellten, standardisierten Röstkaffeeprodukten anboten. Sie gründeten entsprechend der allgemeinen Tendenz zur Verbandsbildung 1906 den Verein Deutscher Kaffee-Gross-Händler und -Röster.7 Er agierte zusammen mit dem Hamburger Kaffee-Verein u. a. gegen die Kaffeeersatzmittelindustrie und gegen Zollerhöhungen, aber ebenso für sich gegen die Kaffeevalorisation und damit gegen die Interessen der Hamburger Kaffeegroßhändler.8 Im folgenden Kapitel rücken damit nicht die Verarbeitungs- und Vertriebsformen selbst in den Mittelpunkt der Betrachtung, sondern die verschiedenen Innovationen und Strategien des Klein- und Großhandels werden analysiert als Aktivitäten, mit denen die Akteure ihre Position in der Wertschöpfungskette zu sichern und auszubauen strebten. Diese machten aus dem Rohstoff grüne Bohne ein hochgradig differenziertes Warenangebot für unterschiedliche Käuferschichten und nutzten dabei verschiedene Vertriebs- und Verkaufsformen. Um diese Aktivitäten nachzuvollziehen 6 Als Kleinhandel wird nach Spiekermann eine „wirtschaftliche Tätigkeit, welche durch Absatz von Waren an Endverbraucher Auskommen bzw. Gewinn erzielen will“ verstanden, Spiekermann (1999), S. 134. 7 Vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 274, Bl. 83; ebd., Signatur 275, Bl. 153-156; Becker (1918), S. 52 f. 8 Vgl. BArch, Bestand R 8034 II, Signatur 5273, Bl. 46 und 73; ebd., Bestand R 901, Signatur 275, Bl. 98–112, ebd., Signatur 281, Bl. 139; StAHH, Bestand 371-8 II, Signatur S XVII A 2.20, Bd. 2. Zur Valorisation vgl. Kapitel 7.
186
Kaffeeproduktion. Eine neue Branche setzt sich durch
und ihren Kontext zu analysieren, werden nach einer Quantifizierung der Branchenentwicklung im Kaiserreich und der Diskussion ihrer Entstehungsgründe die Verkaufs- und Vertriebsstrategien näher behandelt (Kapitel 5.1.). Um die Kommunikationssysteme, die das Bedürfnis nach Produkten wecken, zu verstehen, widmet sich ein eigenes Kapitel (5.2.) den Werbebildern der Kaffeebranche. Es analysiert mittels der Bild- und Textinhalte die Werbestrategien für Bohnenkaffee. Neben der Analyse der in den Werbebildern transportierten Bedürfnisse liegt ein Schwerpunkt auf der Frage, ob es zu einem uniformen Produktimage kam oder Firmen spezifische Logos und Wortzeichen als Differenzierungsstrategie gegenüber anderen Firmen und ihren Produkten verwendeten.
5.1. Vertriebs- und Verkaufsstrategien der Bohnenkaffeebranche Schon auf den ersten Blick ist die Integration von Produktion, Vertrieb und Verkauf eine Besonderheit der Kaffeebranche. Sie setzte sich zudem aus Groß- und Kleinhandel zusammen. Doch machen die Erfassungskriterien des kaiserlichen Statistischen Amtes, die für eine solche Integration offensichtlich nicht angelegt waren, eine Unterscheidung zwischen deren Anteilen nicht möglich. Der Grund dafür liegt in dessen Praxis, „technische Einheiten“ eines Unternehmens einzeln zu erfassen. Das bedeutet, dass zum Beispiel das Unternehmen Kaiser’s Kaffeegeschäft GmbH nicht als Einheit in der Statistik aufgenommen wurde, sondern die vier Röstfabriken (in Berlin, Breslau, Heilbronn und Viersen) einzeln als Kaffeeröstindustriebetriebe in der Branchenkategorie des produzierenden Gewerbes auftauchen. 1907 erfasste das Statistische Amt die 1.073 Filialen des Unternehmens wiederum in der Branche des Warenhandels. Zwar kam ab 1895 die Kategorie „Gesamtbetriebe“ neu hinzu, diese bezog sich aber nur auf örtlich konzentrierte, nicht auf regional verteilte Unternehmensstandorte, blieb also auch hier hinter der realen Entwicklung übergreifender Strukturen zurück. Auch hier tauchen bei Kaiser’s Kaffeegeschäft die Röstfabriken des Unternehmens getrennt in der Statistik auf. Ebenso klassifizierte die Gewerbestatistik die Schokoladenfabrik und Kaffeerösterei des Unternehmens in Viersen nicht als Gesamtbetrieb, sondern diese galten nun jeweils als Nebenbetrieb und wurden in die entsprechende Industriekategorie eingeordnet. Darüber hinaus unterschied die Reichsstatistik bis zur Berufs- und Betriebszählung des Jahres 1925 nicht zwischen Groß- und Kleinhandel. Eine weitere Problematik der Gewerbezählungen liegt darin, dass sie aufgrund ihrer Erfassungspraxis Röst- und Kaffeeersatzunternehmen einzeln aufnahmen, da beide als selbständige technische Einheit gewertet wurden.9 Aus den 9 Vgl. die Kommentare zu den Gewerbezählungen: Kaiserliches Statistisches Amt (Hg.), Statistik des Deutschen Reiches, Bd. 34 und 35; N. F. Bd. 6 und 7; Bde. 202–211;
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Quellen zu den einzelnen Unternehmen ergibt sich aber, dass diese oft sowohl Ersatzkaffee herstellten als auch Kaffee rösteten und vertrieben.10 Trotz dieser Quellenproblematik und damit mangelnder Aussagekraft ihrer absoluten Zahlen ermöglichen die Gewerbestatistiken zumindest tendenzielle Aussagen über die relative Entwicklung der Kaffeeröstindustrie, nicht aber über die Kaffeebranche insgesamt. Erfasst die Gewerbestatistik des Deutschen Reiches für das Jahr 1875 noch keine Bohnenkaffeeröstbetriebe, so führt sie für das Jahr 1882 161 Firmen (als technische Einheiten) mit 435 Beschäftigten auf. Die Anzahl der Betriebe stieg bis 1895 um 57 Prozent, bis 1907 um weitere 175 Prozent; auch die Beschäftigtenzahl erhöhte sich bis 1896 um 393 Prozent und bis 1907 um weitere 170 Prozent. Damit verzwölffachte sich die Zahl der Beschäftigten zwischen 1882 und 1907. Die enorme Wachstumsdynamik der Röstindustrie wird besonders augenscheinlich, wenn man berücksichtigt, dass die Beschäftigtenzahl von 1875 bis 1907 in weiteren Branchen der Ernährungsindustrie (Müllerei, Zucker, Teigwaren, Schokolade, Margarine, Konserven, Mineralwasser, Brauerei, Sekt und Tabak) lediglich um durchschnittlich 36 Prozent anstieg.11 Die Beschäftigtenzahl des gesamten Warenhandels vervierfachte sich im gleichen Zeitraum nur knapp.12 Gleichzeitig produzierten die immer leistungsfähigeren Röstmaschinen stetig mehr Röstkaffee (vgl. Grafik 30).13 Die entscheidenden Wachstumsjahre der Kaffeeröstindustrie lagen zwischen 1882 und 1895. Dabei stellten vermutlich einige Röstkaffeeunternehmen auch Ersatzkaffee her. Eine Aussage darüber, ob der Klein- und bzw. oder Großhandel besonders aktiv in der Röstindustrie waren, lässt sich nicht treffen. Eine Zunahme der Beschäftigtenzahlen von 1907 bis zum Ersten Weltkrieg ist statistisch nicht nachweisbar. Es ist jedoch anzunehmen, dass die Zahl der Beschäftigten in diesem Zeitraum zunahm. Während er für die Kaffeeersatzindustrie kaum Veränderungen mit sich.
10 11 12 13
Bde. 413–418; Bde. 454–456 und 462–467. Eine grundlegende Quellenkritik und Bewertung der Gewerbestatistik bei Spiekermann (1999), S. 78–84. So u. a. die Unternehmen Emil Tengelmann, Kaiser’s Kaffeegeschäft, Franz Kathreiners, Witwe A. Zuntz, Ferdinand Eichhorn. Vgl. Ellerbrock (1993), S. 244. Leider führt Ellerbrock keine absoluten Zahlen an. Vgl. Spiekermann (1999), S. 84. Quellen zu Grafik 30: Kaiserliches Statistisches Amt (Hg.), Statistik des Deutschen Reiches, Alte Folge, Bde. 34 und 35: Ergebnisse der deutschen Gewerbezählung, Berlin 1875; ebd., N. F., Bde. 6 und 7: Gewerbestatistik, Berlin 1882; ebd., Bde. 102– 119: Berufs- und Gewerbezählung vom 14. Juni 1895, Berlin 1895; ebd., Bde. 202–211, 213 und 215–222: Berufs- und Betriebszählung vom 12. Juni 1907, Berlin 1907; ebd., Bd. 214: Gewerbliche Betriebsstatistik, Berlin 1907; ebd., Bde. 413–418: Gewerbliche Betriebszählung, Berlin 1925. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, hier Tabelle 35.
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Kaffeeproduktion. Eine neue Branche setzt sich durch
brachte, bedeutete der Erste Weltkrieg für die Kaffeeröstindustrie einen entscheidenden Einbruch (vgl. Tabelle 4 mit 5).14
Grafik 30 Kaffeeröstindustrie 1882, 1895, 1907, 1925
Tabelle 4 Beschäftigte in Bohnenkaffee röstenden Betrieben 1882, 1895, 1907 und 192515 Betriebe
Beschäftigte Entwicklung gesamt Beschäftigte in %
Alleinbetrieb
201
1882
161
435
–
3 %
94 %
1 %
1895
252
2146
+393 %
k. A.
84 %
14 %
1907
859
5789
+170 %
4,5 %
78 %
15 % 2,5 % 2,5 %
1925
362
4599
-21 %
4 %
68 %
22 %
2 %
0 %
2 % 0,5 % 5 % 0,5 %
Die Mehrheit der Beschäftigten in der Bohnenkaffeeröstindustrie arbeitete in Betrieben mit bis zu zehn Mitarbeitern (vgl. Tabelle 4). Daneben verzeichnet die Gewerbestatistik eine leichte Tendenz hin von kleineren zu größeren Betrieben mit bis zu fünfzig Beschäftigten. Immerhin wuchs der Anteil von Unternehmen mit über 201 Beschäftigten von 0,5 Prozent im Jahr 1895 auf 2,5 Prozent im Jahr 1907. Wie auch die regionale Verteilung verdeutlicht (vgl. Grafik 33), resultierte das Wachstum der Beschäftigtenzahlen aber eher aus Neugründungen von kleineren Röstbetrieben und weniger aus innerbetrieblicher Expansion. Im Gegensatz zu anderen Branchen der
14 Laut der Gewerbestatistik existierten im Jahr 1933 619 gewerbliche Niederlassungen mit 5.162 Beschäftigten in der Kaffeeröstindustrie, vgl. Statistik des Deutschen Reiches, Bde. 454–456 und 462–467. 15 Quelle wie Grafik 30; Prozentangaben sind auf- und abgerundet.
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Vertriebs- und Verkaufsstrategien der Bohnenkaffeebranche
Ernährungsindustrie vollzog sich hier zwischen 1875 und 1907 also kein Konzentrationsprozess.16 Grundsätzlich ist aber der Aussagewert der absoluten Betriebsziffern im Hinblick auf die Röstbetriebe mit über hundert Personen begrenzt. Die Kategorisierungen der Statistik lassen hier augenscheinlich die Beschäftigtenzahlen pro Unternehmen kleiner erscheinen. Allein in Hamburg existierten 1895 und 1907 mindestens drei Unternehmen mit über 200 Beschäftigten. Vermutlich unterschied die Zuordnung nach technischen Einheiten die Beschäftigten, die vor und nach dem Röstvorgang notwendige Verlesearbeiten tätigten, von denen an den Rösttrommeln und lediglich die Arbeiter an den Rösttrommeln wurden zur „Röstindustrie“ gezählt. Unklar bleibt, in welcher Branche das Statistische Amt das beschäftigungsintensivste Tätigkeitsfeld des Verlesens eines Röstunternehmens verzeichnete. Tendenziell weist die Statistik somit zu geringe Beschäftigtenzahlen in der Kaffeeröstindustrie auf. Im Gegensatz zum starken Wachstum der Kaffeeröstindustrie war die Entwicklung in der Kaffeeersatzindustrie im Hinblick auf die Anzahl der Betriebe und Beschäftigtenzahlen leicht rückläufig. Auch hier lässt sich kein Konzentrationsprozess aufzeigen. Die Anzahl der Betriebe mit unter zehn Beschäftigten nahm sogar zu und die der Betriebe mit bis zu fünfzig Beschäftigten und mehr nahm ab (vgl. Tabelle 5).17 Tabelle 5 Beschäftigte in Ersatzkaffee herstellenden Betrieben 1882, 1895,1907 und 192518 Betriebe
Beschäftigte Entwicklung Gesamt Beschäftigte in % 6339 –
Alleinbetrieb
201
1882
340
0,8 %
42 %
45 %
12 % 0,4 %
1895
293
5710
-10 %
k. A.
54 %
35 %
10 %
1 %
1907
214
4861
-15 %
6 %
55 %
31 %
6 %
1 %
1925
243
4602
-5 %
3,3 %
71 %
16 % 7,4 %
2 %
16 Zum Konzentrationsprozess in ausgewählten Branchen der Ernährungsindustrie im Kaiserreich vgl. Ellerbrock (1993), S. 244–258. 17 Zur Geschichte und Entwicklung der Kaffeeersatzindustrie vgl. Ellerbrock (1993); Erwin Franke, Kaffee, Kaffeekonserven und Kaffeesurrogate, Wien und Leipzig 1907; Max Günzel, Die Deutsche Kaffee-Ersatz-Industrie unter dem Hauptgesichtspunkt der Rohstoff- und Fabrikatbewirtschaftung, Gießen 1924; Roman Rossfeld, „Ein Mittel Kaffee ohne Kaffee zu Machen“. Zur Geschichte der schweizerischen Zichorien- und Kaffeesurrogat-Industrie im 19. und 20. Jahrhundert, in: ders. (2002), S. 226–255; Günther Schmid, Geschichte des Zichorienkaffees, Halle 1938; Städtisches Museum Ludwigsburg (Hg.), „Die Hauptstadt der Cichoria“: Ludwigsburg und die Kaffeemittel-Firma Franck, Ludwigsburg 1989; Teuteberg (1991), S. 169–199. 18 Quelle wie Grafik 30; Prozentangaben sind auf- und abgerundet.
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Kaffeeproduktion. Eine neue Branche setzt sich durch
Fasst man die vorliegenden Daten zur Röstkaffeeindustrie zusammen und befragt sie nach relativen Entwicklungstrends, so ist festzuhalten, dass innerhalb weniger Jahre eine erstaunlich schnell wachsende Branche in der Ernährungsindustrie entstand. Im Hinblick auf die Dominanz der Kleinbetriebe glich die Kaffeeröstbranche eher dem Warenhandel. Auch dort arbeiteten von 1882 bis 1907 über 90 Prozent der Beschäftigten in Betrieben von ein bis fünf Personen.19 Damit gilt es erstens, die Ursachen der Entstehung der Röstkaffeebranche und die Hintergründe für ihre starken Wachstumszahlen zu diskutieren. Zweitens ist zu klären, warum die kleineren Röstbetriebe dominierten und sich zwischen 1895 und 1907 nur eine leicht steigende Tendenz zur Herausbildung von Großbetrieben erkennen lässt. In seiner Studie zu den Filialbetrieben im deutschen Kleinhandel weist Hirsch auf einen Hintergrund für die Durchsetzung des Röstens als Wirtschaftszweig hin: „die Kaffeebranche als Spezialgeschäft [ist] von den Filialbetrieben eigentlich erst geschaffen worden“.20 Vorher habe der Kleinhandel die grünen Bohnen vor allem lose an den Kunden verkauft. Damit sind aber weniger die Ursachen für die Entstehung der Röstkaffeebranche benannt, sondern nur ihre Pioniere. Zugleich spricht Hirsch den Trend an, der als Hintergrund der Herausbildung der Bohnenkaffeebranche durchaus zu würdigen ist, nämlich den der zunehmenden Sortimentspezialisierung im Lebensmittelkleinhandel.21 In der Literatur findet sich zudem der sicherlich richtige, aber vage Verweis auf die Entstehungshintergründe der Röstkaffeebranche im Zusammenhang mit dem Prozess der Industrialisierung. Im Zuge von Industrialisierung und Urbanisierung sei der Bedarf an konsumfertigen Lebensmitteln gestiegen. In diese Entwicklung lässt sich auch die „Ausgliederung des Röstprozesses aus den privaten Haushalten“22 folgerichtig einordnen. Es erscheint logisch, dass die Produzentenseite auf diese Nachfrage nach konsumfertigem Röstkaffee reagierte. Diese Beobachtung erklärt die Motive der Konsumenten, den vom Einzelhandel bereits gerösteten Kaffee zu bevorzugen. Die Beweggründe der Produzenten, das Produkt anzubieten und so überhaupt die Nachfrage zu stimulieren, werden damit aber nicht erläutert. Hier bieten die Veränderungen des internationalen Kaffeehandels, die Abhängigkeit des Binnenhandels von den Hamburger Großhändlern und die damit verbundene Dominanz der Brasilkaffees sowie Qualitätsveränderungen des Produkts zusätzliche Erklärungsansätze. Ab den 1880er Jahren wandte sich der Kleinhandel von den früheren Binnenkaffeehandelszentren in Berlin, Magdeburg, Leipzig, Frankfurt am Main und Köln und den hier ansässigen Binnengroßhändlern ab und den Hamburger Importeuren 19 Auch im Warenhandel reduzierte sich der Anteil an den Kleinbetrieben leicht von 96 Prozent 1882 auf 95 Prozent 1895 und 93,9 Prozent 1907, vgl. Spiekermann (1999), S. 90– 92. 20 Hirsch (1913), S. 27. 21 Vgl. ebd., S. 14; Spiekermann (1999), S. 165, S. 504–506. 22 Rossfeld (1995), S. 34.
Vertriebs- und Verkaufsstrategien der Bohnenkaffeebranche
191
zu.23 Die zunehmende Dominanz Hamburgs als Kaffeeimporthafen wird einerseits an dem sich massiv verringernden Anteil der Bohnenkaffeeimporte aus den Niederlanden deutlich. Eigentlich hatte der rheinländische Großhandel traditionell den Kaffee von den Amsterdamer Händlern bezogen. Der Anteil von Kaffeeimporten aus den Niederlanden am Gesamtimport des Deutschen Reiches fiel von knapp 31 Prozent im Jahr 1885 auf 0,1 Prozent im Jahr 1913. Ebenso verschoben sich die Bezugsquellen Süddeutschlands, von Österreich-Ungarn und vor allem Frankreich zu den norddeutschen Hafenstädten. Der Anteil des Bohnenkaffeeimports aus allen anderen europäischen Ländern nach Deutschland verringerte sich ab den 1880er Jahren kontinuierlich auf unter ein Prozent (vgl. Grafik 31).24 Der Anteil der über den Hamburger Freihafen und damit über den dortigen Großhandel importierten Mengen Rohkaffee in das Deutsche Zollgebiet an dessen Gesamtrohkaffeeimport lässt sich allein bis zum Zollanschluss der Freihafenstädte ermitteln. Er lag 1885 bei 38,2 Prozent.25 Die Statistik des Deutschen Reiches weist dann die über die Freihäfen importierten Mengen nicht mehr gesondert nach, sondern führt nur die Ursprungsländer der Importe auf. Die Statistik aber, die in Hamburg über die dortigen Transportvolumen geführt wurde, verzeichnete lediglich die Transportweise der Ausfuhr (seewärts oder per Eisenbahn), nicht den Bestimmungsort.26 Vergleicht man die absoluten Importzahlen für Hamburg mit denen aus den anderen europäischen Ländern ins gesamte Deutsche Reich, wird deutlich, dass spätestens ab den 1890er Jahren die überwiegende Mehrheit des Bohnenkaffees über Hamburg in das deutsche Zollgebiet importiert wurde (vgl. Grafik 31). Die Dominanz des Hamburger Großhandels spiegelt sich auch in den Angaben der Statistischen Jahrbücher zu den Großhandelspreisen für Kaffee wider. Werden für die 1880er Jahre auch Großhandelspreise für Frankfurt am Main angegeben, so finden sich ab der Jahrhundertwende nur noch Angaben für Hamburg und Bremen.27 23 Vgl. Schönfeld (1903), S. 73; Findeisen (1917), S. 84. 24 Quellen für Grafik 31: Stat. Jb. (1886–1914). Die obere Grafik führt unter weitere Länder sämtliche europäischen Ländern auf, aus denen Rohkaffee in das deutsche Zollinland exportiert wurde. Da die Importmengen an Rohkaffee aus der Schweiz, Portugal/Spanien (wurden gemeinsam erfasst) und Österreich-Ungarn nur durch eine separate Grafik mit einer anderen Skala hätten abgebildet werden können, sind ihre weit unter einem Prozent liegenden Anteile in der unteren Grafik nicht aufgefüht. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, hier Tabelle 37. Auch nach dem Ersten Weltkrieg blieb Hamburg der Hauptkaffeeumschlagplatz für die deutsche Nachfrage, vgl. Müller (1929), S. 389. 25 Vgl. Stat. Jb. (1887), S. 54. 26 Eine ausführliche Diskussion dieser Problematik findet sich bei Schönfeld (1903), S. 39–53. 27 Vgl. zum Beispiel Stat. Jb. (1896), S. 130 und ebd. (1913), S. 286. Eine Ausnahme bildet das Statistische Handbuch für das Deutsche Reich, hier werden auch die Großhandels-
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Kaffeeproduktion. Eine neue Branche setzt sich durch
Grafik 31 Gesamtimporte in das Deutsche Reich, Importe in Hamburg sowie Importe aus anderen europäischen Ländern 1885–1913
Die Abhängigkeit des Binnenhandels von den Hamburger Großhändlern und ihren Kaffeelieferungen hatte einschneidende Konsequenzen, die zur Reduzierung von Gewinnmargen und Absatzschwierigkeiten führten, und zwar nicht nur aufgrund der in Kapitel 3 und 4 beschriebenen Informationsasymmetrien in Bezug auf den Terminhandel und ihrer Folgen, sondern auch aus mit der Ware zusammenhängenden Gründen. Dies lag erstens an den gelieferten Kaffeesorten, zweitens an deren Qualität und drittens an den veränderten Geschmackspräferenzen der Konsumenten. Der Import von Brasilkaffee nahm ab den 1890 Jahren kontinuierlich zu und erlangte mit einem
preise für Mannheim angegeben, vgl. Kaiserliches Statistisches Amt (Hg.), Statistisches Handbuch für das Deutsche Reich, I. Teil, Berlin 1907, S. 477.
Vertriebs- und Verkaufsstrategien der Bohnenkaffeebranche
193
Anteil von über 78 Prozent an der Gesamteinfuhr in das Deutsche Reich eine marktbeherrschende Dominanz (vgl. Grafik 32).28 Zwar unterschied der Fachmann die Brasilkaffees in zwei Sorten, Santoskaffees und Riokaffees, mit sechs und acht Untersorten. Aber auch die Mehrheit der Untersorten galt als „ausgesprochen hart, karbolartig-scharf schmeckend“ oder „stets unangenehm scharf, oft dumpfig erdig […] oder [mit] muffigem Geschmack“.29 Um die jeweiligen regionalen Konsumpräferenzen zu befriedigen, hatte der Kleinhandel bisher Mischungen aus verschiedenen Provenienzen angefertigt. „Man hört oft von Hausfrauen, daß sie seit Jahren immer den gleichen Kaffee kaufen und mit ihm sehr zufrieden sind. Diese Gleichheit ist an sich natürlich nicht möglich, aber ein gutes Zeichen für den Händler, der es durch Sorgfalt und Geschicklichkeit in der Auswahl der Sorten ermöglicht, stets einen im Geschmack gleichen Kaffee zu liefern.“30 Durch geschicktes Mischen konnte erstens die Qualität gleichmäßig gehalten werden. Auf der Basis billigerer Kaffeesorten ließen sich zweitens durch Beimischung eines geringen Anteils milder Kaffeesorten erhebliche Veränderungen im Geschmacksprofil erreichen. Mit den so entstandenen preiswerten Mischungen konnte drittens der Umsatz gehoben werden. Schließlich ließ sich viertens der Verkaufspreis im Vergleich mit den Mitbewerbern erheblich reduzieren.
Grafik 32 Herkunft der Importe in das Deutsche Reich
28 Quellen für Grafik 32: Stat. Jb. der entsprechenden Jahre. Für 1885 erfasst die Statistik noch die Einfuhr aus den deutschen Zollausschüssen (also aus Gebieten, die nicht zum deutschen Zollgebiet gehörten) gesondert. Diese machte 38,2 Prozent der Einfuhren aus. Die Einfuhren aus den europäischen Ländern insgesamt machten 58,1 Prozent, die aus nicht europäischen Ländern 3,6 Prozent aus. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, hier Tabelle 39. 29 Müller (1929), S. 77. Vgl. ebenso Ciupka (1931). 30 Deutschmann (1918), S. 9. Vgl. auch Müller (1929), S. 384 f.
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Kaffeeproduktion. Eine neue Branche setzt sich durch
Die Grundprobleme, die sich für die angebotene Qualität aus der Abhängigkeit vom Hamburger Markt, den Qualitätsschwankungen der Ernten und Qualitätsverschlechterungen des Rohstoffs ergaben, konnte das Mischen von verschiedenen Provenienzen und Qualitäten aber allein nicht mehr lösen, zumal auf dem deutschen Markt zusehends nur noch die zwei Sorten Santos- und Riokaffee verfügbar waren.31 Hiermit ließ sich eine maßgebliche Veränderung im Geschmacksprofil kaum umsetzen. Zudem fragten die deutschen Konsumenten zunehmend nach „weichen“ Kaffeesorten: „Wir können in München keinen harten Kaffee gebrauchen, die ordinären Sachen gehen nicht mehr.“32 Entsprechend warfen die Sachverständigen aus den Reihen des Binnengroßhandels den Hamburger Kaffeegroßhändlern vor, durch die Brasilkaffeedominanz in ihren Lieferungen die Bedürfnisse der deutschen Konsumenten zu ignorieren: „Aber hier in Deutschland, wonach wir uns zu richten haben, wird hauptsächlich der weiche Kaffee verlangt, und da passen die Hamburger Typen wenig oder gar nicht.“33 Aus der zunehmenden Konzentration auf Brasilkaffeesorten und der zudem sich verschlechternden Qualität der Brasilkaffeelieferungen in den vorangegangenen Jahren machten die Hamburger Großhändler selbst keinen Hehl: „In Folge dessen sind in Hamburg großartige Verlesungsanstalten entstanden, die jetzt schon 1500 Arbeiterinnen beschäftigen […] weil eben der Kaffee, von Brasilien hauptsächlich, aber auch von anderen Gegenden […] so schmutzig ist, daß es schon ein großer Schaden ist, allein den Zoll darauf zu bezahlen. Die Anstalten sind natürlich im Freihafen.“34 Das Verlesen des Kaffees und die Herstellung von eigenen Mischungen im Freihafen erwiesen sich als eine gewinnbringende Strategie des Hamburger Großhandels, weil sie den Qualitätsproblemen der Brasilkaffeelieferungen begegnete. Die Hamburger Kaufleute konnten die Dienstleistung des Verlesens und Mischens im Freihafen viel kostengünstiger anbieten als der Binnenhandel sowie durch immer gleiche Mischung ein relativ uniformes Konsumgut herstellen. Im Zuge dieser Entwicklung begannen die Hamburger Importeure ihre verlesenen und gemischten Kaffeelieferungen eigenständig an den Kleinhandel zu verkaufen: „Der binnenländische Engrosshandel wird durch Handelsreisende ersetzt, die den Verkehr zwischen den Hamburger Importeuren und Kaffeekleinhändlern in ständig zunehmender Weise direkt vermitteln. Der Profit des Zwischenhandels fällt so an die Importeure.“35 Erleichterte Kommunikation durch Telegraf und Telefon sowie der unkomplizierte 31 Vgl. Embden BEK, St. Pr. (1893), S. 2079–S. 2082. 32 Magenau ebd., S. 2258. Der Binnengroßhändler Joachimsthal sah aber durchaus Absatzmöglichkeiten der Brasilkaffeesorten in der Provinz, vgl. Joachimsthal ebd., S. 2229. 33 Ebd., S. 2212. 34 Embden ebd., S. 2079. Für die Beschreibung einer Verleseanstalt im Freihafen vgl. Deutschmann (1918), S. 37. 35 Findeisen (1917), S. 88. Vgl. auch Schönfeld (1903), S. 72; Müller (1929), S. 390.
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Transport mit der Bahn ersetzten die zuvor oft notwendige Vermittlung und den Vertrieb der Ware durch den Binnengroßhandel. Allein die massiven Preissteigerungen im Rohkaffeegroßhandel, wie sie zum Beispiel ab 1886 einsetzten (vgl. Grafik 16 im separaten Bildteil), und die ab 1887 durch den Terminhandel für Binnenhändler sehr eingeschränkten Möglichkeiten zur Lagerhaltung bedeuteten oft die Insolvenz eines Großhändlers. Hinzu kamen noch die unterschiedlichen Zahlungsmodalitäten zwischen Importeuren und Binnengroßhandel sowie zwischen Binnengroßhandel und Kleinhandel. Musste der Binnengroßhandel sofort nach Vertragsabschluss seine Rechnungen gegenüber den Importeuren begleichen, so war es üblich, dass der Großhandel dem Detailhandel eine zeitliche Kulanz von mindestens drei Monaten zur Rechnungstilgung gewährte.36 Für den Binnengroßhandel stellten der Direktimport aus den produzierenden Ländern oder die Lagerhaltung keine praktikable Strategie gegen die zunehmende Abhängigkeit von den Warenlieferungen der Hamburger Großhändler dar. Spätestens die Börsen-Enquete hatte dies ebenso öffentlich gemacht wie die Unmöglichkeit, durch Umgehung des Hamburger Marktes Widerstand zu leisten oder über politische Regulierungen Abhilfe zu schaffen. Daran änderte sich auch während der gesamten Dauer des Kaiserreichs nichts. Findeisen formulierte noch 1917, an „ein erfolgreiches Bekämpfen der Übermacht des Hamburger Importeurs kann der binnenländische Grossist […] nicht denken“.37 Damit befand sich der Binnengroßhandel in einer Situation, in der sich der Bohnenkaffeehandel mit den bisherigen Geschäftspraktiken und Unternehmensfeldern nicht mehr rentierte. Hier bot erst die Integration des maschinellen Röstens in die Unternehmen einen Ausweg. Aus dem Rohstoff mit seinen unterschiedlichen äußeren und geschmacklichen Merkmalen wurde durch die nunmehr von den Händlern übernommenen Fertigungsschritte von Mischung, Röstung und Mahlen nicht nur ein konsumfertiges, sondern ein je nach Hersteller standardisiertes Produkt. Die Verarbeitung des Rohkaffees verändert natürlich nicht die Grundqualität der dafür verwendeten Bohnen, aber sie schafft ein für die Konsumenten in Geschmack und Aussehen wiedererkennbares Konsumgut. Um dies zu erreichen, mussten verschiedene Sorten und damit Qualitäten gemischt werden, wobei die einzelnen Händler auf jeweils unterschiedliche Mischungen setzten. Nachfärben der Bohne, Polieren und Glacieren mit Zucker waren typische Schritte, um das Aussehen und den Geschmack der ungemahlenen Bohnen zu verändern bzw. zu vereinheitlichen. Wird der so veredelte Röstkaffee zudem gemahlen, sind die äußeren Qualitätsmerkmale der einzelnen Bohnen für den Konsumenten nicht mehr zu erkennen. Die Veredlung des Rohkaffees bewirkte so eine gewisse Unabhängigkeit von den Lieferungen der Importeure.
36 Vgl. Schönfeld (1903), S. 73. 37 Findeisen (1917), S. 84. Ähnlich auch Wiedenfeld (1903), S. 270, S. 293.
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Kaffeeproduktion. Eine neue Branche setzt sich durch
Die Hinwendung vom reinen Zwischenhandel zur Kaffeeverarbeitung erforderte zwar zunächst einmal Investitionen in neue Maschinen. Gleichzeitig brachte sie aber auch ein neues Geschäftsfeld, das die Existenz der Firma zu sichern vermochte. Wollte man im Kaffeehandel verbleiben, hieß die einzige Überlebensstrategie, dass „der Grossist kostspielige Röstereien und Verleseanstalten anlegt und den Detaillisten durch weitgehende Gewährung von Kredit abhängig zu machen sucht“.38 Damit beschritt der Binnengroßhandel zum einen das Geschäftsfeld des Kleinhandels und trat zum anderen in Konkurrenz zu den Hamburger Großhändlern: „er kann sich nur helfen, indem er vielleicht eine Rösterei anlegt, selbst an den Konsum absetzt; mit einem Wort, den Detailhandel auszuschalten versucht. Doch auch hierbei stößt er auf einen Gegner. Viele Hamburger […] dringen in gleicher Weise vor und [gehen] nicht nur in engere Fühlung mit dem Detaillisten […], indem sie ihm selbstgeröstete Ware verkaufen, sondern [schieben] auch den alten Detailhandel bei Seite.“39
Es waren aus der Perspektive des deutschen Binnengroßhandels die veränderten Mechanismen im internationalen Kaffeehandel, aufgrund derer sie sich der Veredlung des Rohkaffees zuwandten. Ebenso begann der Einzelhandel Rohkaffee zu rösten. So entstand aus Handelsunternehmen eine Kaffeeverarbeitungsbranche (und aus der Handelsware ein Produkt). Sie bot über verschiedene Techniken der Verarbeitung des Rohstoffs den Konsumenten ein immer differenzierteres Sortiment an.40 In der Kaffeewertschöpfungskette entstand damit eine neue Gewinnstufe und durch vertikale Integration eine neue Existenzmöglichkeit für den Binnengroßhandel. Und tatsächlich zeigt die regionale Verteilung, dass vor allem Unternehmen in Regionen, die traditionell stark im Kaffeegroßhandel gewesen waren wie das Rheinland und die Hansestädte, in die Kaffeeveredlung einstiegen (vgl. Grafik 33).41 Die Vorreiterrolle der Hamburger Unternehmen in der Kaffeeveredlung ist in der Gewerbezählung von 1882 noch sehr deutlich. Mit zwanzig Unternehmen und 181 Beschäftigten lag der regionale Schwerpunkt der Kaffeeröstindustrie in ihren Anfangsjahren in Hamburg, gefolgt von der Provinz Rheinland (vierzig Unternehmen mit 107 Beschäftigten) und dem Königreich Bayern (21 Unternehmen mit 59 Beschäftigten). Um die relative regionale Gewichtung der Röstindustrie zu veranschaulichen, setzt die Grafik 33 die absoluten Beschäftigten- und Betriebszahlen in Rela-
38 Findeisen (1917), S. 84. 39 Schönfeld (1903), S. 74. 40 Vgl. ebd., S. 78. Hirsch nennt in seiner Studie über die Filialbetriebe im Detailhandel als die häufigste Ursache für die „Angliederung der Handelsfunktion an den Produzenten“ die „[…] Eroberung der Industrie durch den Kaufmann“, Hirsch (1913), S. 17. 41 Quellen wie Grafik 30. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, hier Tabelle 40.
Vertriebs- und Verkaufsstrategien der Bohnenkaffeebranche
Grafik 33 Regionale Verteilung Kaffeeröstindustrie 1882, 1895, 1907
197
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Kaffeeproduktion. Eine neue Branche setzt sich durch
tion zur Bevölkerungszahl.42 Es zeigt sich, dass der relative regionale Schwerpunkt der Röstindustrie 1882 in Hamburg lag. Bei der darauf folgenden Gewerbezählung im Jahr 1895 ist ein deutlicher Zuwachs in der Provinz Rheinland, dem traditionellen Schwerpunkt des Kaffeebinnengroßhandels, von vierzig auf 73 Unternehmen und von 107 auf 561 Beschäftigte sichtbar. Am markantesten sticht der Anstieg in der Provinz Schleswig-Hollstein von acht auf elf Unternehmen und von 17 auf 810 Beschäftigte hervor. Im Vergleich zur Gewerbezählung von 1882 wurden in Hamburg 1895 zwar drei Unternehmen mehr in der Kaffeeröstindustrie erfasst, ihre Beschäftigtenzahl reduzierte sich aber auf 158. Diese regionalen Schwerpunkte blieben im Prinzip bis zur dritten Gewerbezählung 1907 bestehen. Ausnahmen bildeten die Provinz Schleswig-Hollstein, in der die Beschäftigtenzahlen massiv einbrachen, und Hamburg, wo wieder ein Zuwachs zu verzeichnen war. Auf 50.000 Einwohner kamen 1907 knapp fünf Beschäftigte in der Kaffeeröstindustrie. Die traditionellen Kaffeegroßhandelszentren, die Hansestädte und das Rheinland, waren demnach ebenso zu den regionalen Zentren der Kaffeeverarbeitungsbranche geworden. Insbesondere die kapitalstarken und mit dem Rohstoff vertrauten Kaffeegroßhändler investierten bereitwillig in das neue Verfahren und integrierten so die Kaffeeverarbeitung in ihre Unternehmen.43 Hatten bisher entweder die Konsumenten selbst oder vereinzelt die Kleinhändler das Mischen und Rösten besorgt, so hoben die Innovationen in der Kaffeeverarbeitung und die maschinelle Röstung die traditionelle Trennung von Rohkaffeegroßhändler und Kaffeeverarbeitung auf.44 Unter anderem durch die Beschleunigung des Herstellungsprozesses von gebrauchsfertigem Kaffee eröffnete die Integration der Röstung in ein Handelsunternehmen auch ganz neue Vertriebswege und damit Wettbewerbsvorteile. So verkauften die Hamburger und Bremer Importeure den zuerst sortierten, gemischten, gewaschenen und dann selbstgerösteten Kaffee teilweise direkt an den Kleinhandel. Gleichzeitig begannen die Binnengroßhändler als Großröster den gerösteten und verpackten Kaffee entweder in eigenen Verkaufsstellen zu 42 Doch lassen sich hieraus keine diachronen, sondern nur punktuelle Aussagen treffen, denn hier werden zwei Variablen miteinander in Beziehung gesetzt, deren Entwicklung auf unterschiedlichen Dynamiken beruhte. Die regionalen Bevölkerungszahlen haben sich zum Beispiel durch Faktoren wie Auswanderung und Urbanisierung stark verändert. Daher lassen sich aus steigenden Beschäftigungszahlen in der Röstindustrie im Verhältnis zur Bevölkerungszahl im Vergleich der Stichjahre miteinander keine Aussagen treffen. Doch können so die regionalen Schwerpunkte des Industriezweigs im regionalen Vergleich innerhalb eines Stichjahres veranschaulicht werden. Die Einwohnerzahlen beziehen sich auf die Zählung im Jahr 1880, vgl. Stat. Jb. (1883), S. 1. Die Angaben für 1895 und 1907 stammen aus den Bevölkerungszählungen vom 1.12.1895 und 1.12.1907, vgl. ebd. (1896), S. 1; ebd. (1909), S. 1 43 Vgl. Müller (1929), S. 391. 44 Vgl. Deutschmann (1918), S. 34–37.
Vertriebs- und Verkaufsstrategien der Bohnenkaffeebranche
199
vertreiben oder dem Kleinhändler direkt zu verkaufen.45 Um den Verdrängungsversuchen der Mitbewerber im Kaffeehandel zu begegnen, schufen auch Kleinhändler größere Strukturen, um die Kaffeeröstung in ihr Geschäftsfeld zu integrieren. Dies zeigt sich insbesondere in dem Aufbau von Großröstereien und den Gründungen von Kaffeefilialgeschäften durch ehemalige Kolonialwarenhändler, wie die Massenfilialisten Emil Tengelmann oder Kaiser’s Kaffeegeschäft. Wie die Entwicklung der Absatzzahlen in den wenigen überlieferten Geschäftsbüchern zeigt, nahm der Anteil des an die Endkonsumenten verkauften Röstkaffees gegenüber dem der grünen Bohnen stetig zu. Verkaufte zum Beispiel der Spar- und Konsumverein Stuttgart 1891 noch 15.524 Kilogramm rohen Kaffee gegenüber 29.955 Kilogramm Röstkaffee, so setzte er 1913 nur noch 464 Kilogramm Rohkaffee gegenüber 73.560 Kilogramm Röstkaffee ab.46 Trotz des höheren Preises des Röstkaffees führten seine gleichmäßige Qualität und die Zeitersparnis bei der Zubereitung dazu, dass die Konsumenten „kaum mehr auf den Gedanken kommen, solchen [rohen Kaffee] zu kaufen und im Haushalt zu rösten“.47 Das Mischen und Rösten des Rohstoffs ermöglichte ein differenziertes Warenangebot je nach Geschmack und Geldbeutel der Kunden. War der Wertschöpfungsprozess beim Kaffee bis in die 1880er Jahre vor allem durch die Weitergabe des Rohprodukts vom Großhändler über den Kleinhändler an den Konsumenten gekennzeichnet, so entstanden nun durch das neue Geschäftsfeld der Kaffeeverarbeitung mindestens sieben verschiedene Vertriebs- und Verkaufsstrategien (vgl. Grafik 34). Die stark schwankenden Großhandelspreise für Bohnenkaffee und unterschiedliche Konsumentenpräferenzen im Hinblick auf Preis, Qualität und Geschmack bedingten jeweils andere Vertriebsstrategien. Sie bargen aber je nach Kapitalausstattung des Unternehmens erhebliche Risiken. Auch die in Grafik 34 nicht aufgeführten Warenhäuser führten Röstkaffee in ihrem Sortiment, den sie zum Teil selbst rösteten oder von der Kaffeeverarbeitungsbranche bezogen. Ihrem Kundenkreis entsprechend verkauften sie vermutlich48 die teuren Qualitätskaffees als Teil ihres differenzierten Gesamtsortiments.49 45 Ein Beispiel für eine Bremer Importfirma, die die Röstung und den Verkauf in ihr Unternehmen integrierte, ist Jacobs. Zu der Entwicklung allgemein vgl. Findeisen (1917), S. 95. 46 Spiekermann (1999), S. 751. 47 Müller (1929), S. 127. 48 Leider fehlen Studien zu den Kunden der Warenhäuser im Kaiserreich. Zum staunenden, wohl aber kaum kaufenden Publikum gehörten auch Arbeiter, die zahlenden Kunden werden zum Großteil aus dem Bürgertum gestammt haben, vgl. Heinz-Gerhard Haupt, Konsum und Handel. Europa im 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 2003, S. 83. 49 Zur Geschichte der Warenhäuser vgl. Geoffrey Crossick und Serge Jaumain (Hg.), Cathedrals of Consumption. The European Department Store, 1850–1939, Aldershot 1999; Heidrun Homburg, Warenhausunternehmen und ihre Gründer in Frankreich und Deutschland oder: eine diskrete Elite und mancherlei Mythen, in: Jahrbuch für Wirt-
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Kaffeeproduktion. Eine neue Branche setzt sich durch
Grafik 34 Idealtypische Darstellung der Verkaufs- und Vertriebsstrategien für Bohnenkaffee
Ebenso integrierten die großen Konsumvereine zum Teil das Rösten in ihre Unternehmen, die kleineren und mittleren bezogen ihren Röstkaffee auch von Röstunternehmen.50 Beide Unternehmensformen sowie weitere Vertriebsformen von Kaffee, beispielsweise durch Hausierer oder Konsum- und Einkaufsgenossenschaften wie Edeka, konzentrierten sich aber nicht auf das Produkt Röstkaffee. Dementsprechend entwickelten sie auch keine speziellen Kaffeeverkaufsstrategien.51 Dies galt zwar auch für die Kolonialwarenläden, dennoch blieben sie der größte Abnehmer der Bohnenkaffeebranche. Ein immer kleiner werdender Teil von ihnen, vor allem auf dem Land, führte weiterhin Rohkaffee im Sortiment bzw. mischte und röstete ihn
schaftsgeschichte (1992) 1, S. 183–218; G. Stresemann, Die Warenhäuser. Ihre Entstehung, Entwicklung und volkswirtschaftliche Bedeutung, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 56 (1900), S. 696–733. Ein Überblick zur Geschichte der Warenhäuser in Europa mit weiterführender Literatur bei Haupt (2003), S. 65–89. 50 Vgl. Walter Kiel, Der Binnenhandel mit Kaffee (unveröffentl. Diplomarbeit), Köln 1913, S. 3 f.; Findeisen (1917), S. 94. 51 Zu diesen Organisations- und Unternehmensformen im Kleinhandel vgl. Spiekermann (1999). Hier auch weiterführende Literatur.
Vertriebs- und Verkaufsstrategien der Bohnenkaffeebranche
201
zum Teil selbst.52 Sie verkauften den Kaffee, der bis zu 47 Prozent ihrer Einnahmen ausmachte,53 ohne oder mit geringem Werbeaufwand an die Kunden. Die zunehmende Mehrheit des Kleinhandels, vor allem in den Städten, überließ die Kaffeeveredlung den Großhändlern mit Großröstereien oder Großröstern, auch Lohnröstereien genannt, und kaufte von ihnen den veredelten Kaffee. Dies war zum einen eine Folge der zunehmenden behördlichen Regulierung des Kaffeeröstens, die das selbständige Brennen in den eigenen Geschäftsräumen stark einschränkte.54 Zum anderen lag es aber an den engen Grenzen der Festsetzung des Verkaufspreises im Kleinhandel. Studien des Vereins für Socialpolitik über den Einfluss des Zwischenhandels auf die Preise zeigen, dass bei billigeren Bohnenkaffeesorten die Mehrheit der Kunden, vor allem auf dem Land und in ärmeren Stadtteilen, ihre Einkaufsentscheidung nicht nach der Qualität, sondern nach dem Preis traf. Der Verkaufspreis musste demnach vom Kleinhandel relativ stabil gehalten werden. Sein Gewinn war abhängig von der jeweiligen Differenz zwischen den wechselnden Einkaufspreisen und festem Verkaufspreis und dementsprechend schwankend.55 Um bei steigenden Einkaufspreisen den Gewinn zu halten, konnte der Kleinhandel nur mit Qualitätsminderungen reagieren: „Die Marktpreise von Kaffee sind starken Schwankungen unterworfen, der Konsum fordert jedoch eine möglichst große Stabilität der Preise. Dem begegnet man durch Einführung einer neuen Preislage […] und durch eine Verschiebung der Qualitäten innerhalb der bestehenden Preise.“56 Doch auch stark fallende Einkaufspreise waren nicht von Vorteil, da die – prozentual gleichbleibende – Summe des Aufschlags zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis sich reduzierte, nicht aber die Fixkosten des Kleinhändlers. Die aus den starken Preisschwankungen resultierenden Probleme betrafen ebenso Kleinhändler mit Kunden aus höheren Einkommensklassen und einer Nachfrage nach teureren, hochwertigen Qualitäten. Trotz einer etwas größeren
52 Grundlegend zum Kleinhandel und seinen unterschiedlichen Verkaufs- und Vertriebsstrategien ist Spiekermann (1999). Später erschienen und dementsprechend nicht bei Spiekermann aufgeführt sind Haupt (2003), S. 59–64; Ulrich Pfister, Vom Kiepenkerl zu Karstadt. Einzelhandel und Warenkultur im 19. und 20. Jahrhundert, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 87 (2000) 1, S. 38–66. 53 Vgl. Findeisen (1917), S. 92. 54 Vgl. Schönfeld (1903), S. 77; Findeisen (1917), S. 95; Deutschmann (1918), S. 35. 55 Vgl. Richard van der Borght, Der Einfluss des Zwischenhandels auf die Preise auf Grund der Preisentwicklung im Aachener Kleinhandel, Leipzig 1888; A. Bayerdörffer, Der Einfluss des Detailhandels auf die Preise, in: Untersuchungen über den Einfluß der distributiven Gewerbe auf die Preise, H. 1, Leipzig 1888, S. 1–139. 56 Massenfilialunternehmen im Einzelhandel mit Lebensmitteln und Kolonialwaren. Verhandlungen und Berichte des Unterausschusses für Gewerbe: Industrie, Handel und Handwerk (III. Unterausschuss), 9. Arbeitsgruppe (Handel), Bd. 2, Berlin 1929, S. 116 f.
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Kaffeeproduktion. Eine neue Branche setzt sich durch
Gewinnspanne57 konnten auch hier Preisschwankungen nicht einfach an die Kunden weitergegeben werden. Tabelle 6 demonstriert das Schwanken des Aufschlags am Beispiel des Aachener Kleinhandels. So verdiente ein Kleinhändler in Aachen an 100 Kilogramm verkauftem Javakaffee 1886 1,50 Mark weniger als 1878, bei der gleichen Menge gebranntem Kaffee reduzierten sich die Einnahmen um 5,20 Mark, lediglich beim Brasilkaffee stiegen sie um 40 Pfennig. Tabelle 6 Aufschlag im Aachener Kleinhandel 1878–1886 in % und in Mark pro 100 kg gegenüber dem Einkaufspreis 1878–188658 Produkt Java in % Java in Mark
1878
1879
1880
1881
1882
1883
1884
1885
1886
Ø
5,2
6,5
6
6,2
6,1
6,2
6,3
7,2
5,8
6,1
10,5
12
10,8
11,2
9
9
9,7
9,7
9
10,1
Brasil in %
–
5,7
5,4
5,7
5,7
6,6
6,7
7,9
6,5
6,2
Brasil in Mark
–
9
10
9
9
8,9
9,3
10
9,4
9,3
Gebrannt in %
7,5
6,2
6,4
6,4
6,4
6,8
5,4
7
6,3
6,5
Gebrannt in Mark
17
13,6
13
13
10,9
11,9
9,6
11,4
11,8
12,5
Je nach Kundenkreis kam eine Qualitätsminderung der angebotenen Kaffeesorten aber genauso wenig in Betracht wie stark schwankende Preise. Die Aufschlagsquote des Aachener Kleinhandels ist natürlich nicht überregional repräsentativ. So wurden zum Beispiel im Magdeburger Kleinhandel von 1880 bis 1887 Preisaufschläge auf den Großhandelspreis von bis zu 34,8 Prozent vorgenommen. Je nach Bezugsquelle des Kleinhändlers (Importeur oder Binnengroßhändler), abgenommenen Qualitäten und Quantitäten sowie regionalen Gepflogenheiten differierte die Gewinnspanne erheblich. In Köln lag sie 1910 je nach Qualität des Röstkaffees bei 8,7 bis 17,6 Prozent.59 Röstete man die Kaffeesorten, so fielen Qualitätsminderungen geschmacklich weniger auf. Die Inanspruchnahme von Lohnröstereien, die die Röstung für den Kleinhandel gegen eine von der Auftragsmenge abhängige Gebühr durchführten,60 57 Vgl. Tabelle 6 und die Angaben bei Kiel (1913), S. 39. Kiel ermittelt, dass der Verkauf der ersten Sorte Röstkaffee einen Verdienst von 17,6 Prozent ergab, der der vierten Sorte Röstkaffee nur 8,7 Prozent. 58 Van der Borght (1888), S. 161–163. 59 Zum Magdeburger Kleinhandel vgl. Bayerdörffer (1888), S. 62 f. Zu Köln vgl. Kiel (1913), S. 39. Bei Hirsch (1913) finden sich wiederum höchst unterschiedliche Aufschlagshöhen für rheinländische Geschäfte im Jahr 1910 in Abhängigkeit von der Größe und Ausrichtung des untersuchten Geschäftes, vgl. Tabelle 7. 60 In Leipzig betrug sie vor dem Ersten Weltkrieg 2 bis 3 Pfennig pro Pfund, vgl. Findeisen (1917), S. 15. Zu den Lohnröstereien allgemeiner vgl. Ufermann (1933), S. 23 f.
Vertriebs- und Verkaufsstrategien der Bohnenkaffeebranche
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erwies sich als durchaus kostengünstiger als eigenes Rösten, da die kleinen Handröstmaschinen einen größeren Gewichtsverlust als die Großröstmaschinen verzeichneten. Professionelle Maschinen und Personal erzeugten zudem ein in Geschmack und Aussehen qualitativ besseres und einheitlicheres Röstprodukt.61 Die Lohnröstereien ermöglichten dem Kleinhandel eine eigenständige Zusammenstellung der Mischungen. So konnten zudem ohne besonderen Kapitalaufwand Qualitätsvorteile genutzt werden, die sonst allein eine Großrösterei bot. Eine zweite Möglichkeit neben der Inanspruchnahme der Dienstleistungen von Lohnröstereien war der Kauf von konsumfertigem Röstkaffee zu festen Konditionen von Großröstereien, Markengroßröstern oder Massenfilialisten. Den Kontakt zwischen Röstern und Kleinhändlern übernahmen Vertreter im Auftrag oder Reisende als Angestellte der Großröster. In der Regel bestanden Lieferverträge zwischen den Großröstern und den Kleinhändlern über mehrere Monate. Der Versand erfolgte in vereinbarten Zeitabschnitten oder auf Abruf.62 Damit übernahmen die Großröster die Funktion der Verarbeitung wie auch der Vermittlung zwischen Import- und Kleinhandel. Eines der ersten Großhandelsunternehmen, das die Veredlung in großem Maßstab zu seinem neuen Geschäftsfeld machte, war die Hamburger Firma Hanssen & Studt.63 Das Unternehmen versuchte nicht wie die anderen Großhändler in Hamburg, seine schwierige Wettbewerbssituation über Branchenkooperation und strukturelle Veränderungen mittels des Kaffee-Vereins zu verbessern, sondern es steht für diejenigen Firmen, die sich stattdessen der Kaffeeveredlung und dem Vertrieb seiner Röstkaffeeprodukte im Binnenhandel zu- und vom Rohkaffeegroßhandel awandten. Schon bevor sich die 1836 gegründete Handelsfirma von zuvor gehandelten Waren wie Butter abwandte und sich ab 1884 allein auf Rohkaffee konzentrierte, richtete sie Verlese- und Schälabteilungen ein und begann 1880, nach dem Kauf einer Großröstmaschine, auch Röstungen herzustellen. 1886 zog das Unternehmen aufgrund der infrastrukturellen Umbauten im Zuge der Errichtung des Hamburger Freihafens an den Sandthorquai. Schon 1891 musste die Firma nach einem Brand an das nahe gelegene 61 Vgl. ausführlich zu den bekannten Rösttechniken und ihren Auswirkungen Heinrich Trillich, Das Rösten und die Röstwaren, 2. Bde., Hamburg o. J. [1920]. Findeisen (1917) berechnet einen Röstverlust von 16–18 Prozent bei modernen Großröstmaschinen, hingegen würden die älteren Handröster „der Krämer sogar einen […] Verlust von 25 %“ verursachen. Ebd., S. 14. 62 Vgl. Deutschmann (1918), S. 35 f.; Otto Jöhlinger, Die Technik des Deutschen Kaffeehandels, in: Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis 2 (1910) 11, S. 397–403, hier S. 402. 63 Vgl. zum Folgenden und zur Geschichte der Firma Hanssen & Studt, Eckstein (1905/06), o. P. Für eine weitere Kaffeegroßhandelsfirma, die erfolgreich die Kaffeeveredlung integrierte, vgl. 50 Jahre Raschke & Dummer, Stettin. Kaffee-Import-Rösterei, Stettin 1940.
204
Kaffeeproduktion. Eine neue Branche setzt sich durch
St. Annenufer 3 umsiedeln. Mit der eigenständig finanzierten Errichtung eines Unternehmenssitzes an dieser Stelle schaffte es Hanssen & Studt, sich als einzige Firma gegenüber der Freihafen-Lagerhaus-Gesellschaft durchzusetzen. Doch dies war nicht das einzige Novum: Hanssen & Studt errichtete am St. Annenufer die erste systematisch geplante Kaffeeverarbeitungsfabrik Deutschlands. Oberhalb von Keller und Parterre lagen sechs Speicherböden mit einem Gesamtfassungsvermögen für knapp 3.000 Tonnen Rohkaffee. Im siebten und achten Stock lagen die Verwaltungsräume, im neunten Stock standen zahlreiche Maschinen zum Sortieren, Schälen, Waschen, Reinigen und Glätten der Bohnen und im zehnten Stock befanden sich die Dampfmaschine und der Dynamo mit 250 PS für den Antrieb der Veredlungsmaschinen. Nach den maschinellen Bearbeitungsschritten erfolgte eine Nachkontrolle im obersten Stock. Dort, „auf den höchsten durch Oberlicht erhellten Böden sitzen an geteilten Arbeitstischen, unter Aufsicht von Meistern und Meisterinnen, eine große Anzahl Arbeiterinnen und entfernen mit der Hand alle mangelhaften Bohnen aus dem Kaffee und ebenso alle Beimischungen, die die Maschinen darin gelassen haben.“64 Die Nachfrage nach den von Hanssen & Studt veredelten Kaffeesorten und damit der Unternehmensumsatz stiegen rasch. Schon 1888 errichtete die Firma eine Kaffeeveredlungsfabrik an der Bille in Hamburg, die das Rösten für das deutsche Inlandsgeschäft übernahm. 1898 folgte eine zweite Kaffeeverarbeitungsfabrik als Freihafenbetrieb für den Export.65 Den hier hergestellten Röstkaffee verschickte das Unternehmen in unterschiedlichen Packungen, so auch in Tafeln gepresst, unter der Handelsmarke Anker Kaffee. Mit der Aufteilung der Standorte auf zollfreie und zollpflichtige Gebiete und einer dementsprechenden Produktionsausrichtung nutzte das Unternehmen geschickt alle Vorteile im Hinblick auf Zollumgehung (für das Auslandsgeschäft) und Zollreduzierung durch Verlesen (für das Inlandsgeschäft). Da auf Röstkaffee ein Zusatzzoll erhoben wurde, wäre es nachteilig gewesen, den für das deutsche Inlandsgeschäft bestimmten Kaffee im Freihafen zu rösten. Außergewöhnlich war auch, dass Hanssen & Studt die benötigten Maschinen in einer eigenen Schlosserei und Maschinenbauwerkstatt anfertigte. 1905 expandierte das Unternehmen in die Schweiz, wo es in Olten eine vierte Rösterei errichtete. Im gleichen Jahr verarbeitete Hanssen & Studt 16,5 Tonnen Rohkaffee zu Röstkaffee – immerhin 9,1 Prozent des deutschen Gesamtimportes des Jahres 1905 – und vertrieb diesen unter der Handelsmarke Anker Kaffee über Reisende und Vertreter an den Kleinhandel im Ausland und in Deutschland. Damit ist die Firma auch ein gutes Beispiel für diejenigen Unternehmen der deutschen Kaffeebranche, deren traditionelles Geschäftsfeld zuerst allein der Großhandel war. Wie Hanssen & Studt integrierten viele von ihnen in einem zweiten Schritt die Veredlung des Rohkaffees in ihr Un64 Eckstein (1905/06), o. P. 65 Ebd. finden sich beeindruckende Fotografien und Zeichnungen von den Fabriken des Unternehmens.
Vertriebs- und Verkaufsstrategien der Bohnenkaffeebranche
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ternehmen. Drittens gingen sie dazu über, die eigenen Röstkaffeemischungen unter Marken- oder Firmennamen über den Kleinhandel zu vertreiben. In einem vierten Schritt verkauften sie zumeist die Produktpalette über rechtlich selbständige Verkaufsstellen an die Endkunden. Den beschriebenen vierten Schritt ging Hanssen & Studt wiederum auf ungewöhnliche Weise, denn das Unternehmen war Eigentümer des Hamburger Kolonialwarenladens A. W. Schmidt, Teilhaber der Kaffeeimportfirmen Otto Embden & Co. und auch von Joh. Borrs & Co., der Kaffeemaklerfirma J. Studt sowie der auf den Kaffeehandel mit Haiti konzentrierten Länderfirma Hartmann, Goldemberg & Co. Da alle genannten Firmen rechtlich selbständig waren, überschritt Hanssen & Studt auf den ersten Blick nicht die genuinen Geschäftsfelder von Erster, Zweiter und Dritter Hand. Auf den zweiten Blick wird jedoch sichtbar, dass die Firma über Unternehmensbeteiligungen an allen Wertschöpfungsstufen partizipierte und somit ein Paradebeispiel für die enge Kooperation im globalen Kaffeehandel darstellt. Dies korrigiert die bisher in der Literatur vertretene These, der Kaffeegroßhandel im Kaiserreich sei nicht der allgemeinen Tendenz der vertikalen Integration gefolgt. Die Unternehmen bevorzugten vielmehr den Verkauf an die Endkunden über rechtlich selbständige Geschäfte und nicht den Absatz der Produkte über ein Filialsystem. Auch andere Unternehmen, die spezielle Verfahrens- und Veredlungstechniken entwickelten (Kaffeezusatzstoffe oder Veredlung durch Glacieren etc.), weiteten tendenziell ihre Tätigkeiten aus. Sie gaben ihre Waren nicht an den binnenländischen Großhandel weiter, sondern verkauften sie zum Beispiel selbst durch Handelsreisende an den Kleinhandel.66 Das prominenteste Beispiel hierfür ist die Strategie der 1906 mit einem Aktienkapital von 1,5 Millionen Mark gegründeten Kaffee-Handels-A.-G., Bremen.67 Treibende Kraft hinter der Kaffee HAG war Ludwig Roselius. Er hatte zuvor schon im Unternehmen seines Vaters Roselius & Co. (Kolonialwaren- und Kaffeehandel) gearbeitet und nach dem Tod des Vaters 1902 das Stammhaus in Bremen mit seinen Niederlassungen in London, Utrecht, Hamburg und Wien weitergeführt.68 Kaffee HAG stellte in zweierlei Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung dar: Gründungshintergrund war erstens eine Produktinnovation, nämlich koffeinfreier Kaffee, also „gesunder“ Bohnenkaffee: „vollster Kaffeegenuß – ohne schädliche Nebenwirkung“.69 Die Firma entzog den Bohnen das 66 Vgl. Findeisen (1917), S. 88; Schönfeld (1903), S. 77; Kahrs (1913), S. 54 f. Zu den verschiedenen Kaffeeveredlungsverfahren vgl. Peter Albrecht, Kaffeebohnen. Gefärbt, gezuckert, lackiert und nachgemacht, in: Rheinisch-Westfälische Zeitschrift für Volkskunde 53 (2008) 1, S. 211–231. 67 Vgl. Kaffee HAG (1956); Kraft Foods Deutschland (2006); Schwarze (1980); Ufermann (1933), S. 104–111; Vetter (2002). 68 Vgl. zu Roselius & Co, Prosopografie: Kaffeehandelsunternehmen in Hamburg. 69 Kunze (2004), S. 100.
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Kaffeeproduktion. Eine neue Branche setzt sich durch
Koffein bis zu einem Restgehalt von unter einem Prozent70 und vertrieb ihn über den Einzelhandel. Zweitens erfolgte die Einführung von Kaffee HAG 1907 unter enormen Werbeanstrengungen mit allen Merkmalen des modernen Markenartikels. Im Gegensatz zu den Business-to-Business operierenden Lohn- und Großröstereien wie Hanssen & Studt oder Kaffee HAG, dominierten bei den meisten Unternehmen der Bohnenkaffeebranche neue Handelsbetriebsformen. Sie zeichneten sich dadurch aus, dass Funktionen des Groß- und Einzelhandels in einem Unternehmen integriert waren. Ihnen allen gemeinsam ist, dass sie sich aus kleinen Anfängen im Kolonialwarenhandel entwickelten. Damit reagierte der Kolonialwarenhandel auf den Wettbewerbsdruck im Kleinhandel, wo seine größten Konkurrenten im Segment der billigeren Sorten die Konsumvereine waren. Vergleiche von Hamburger Großhandelspreisen, Verkaufspreisen von größeren Konsumvereinen und Kleinhandelspreisen zeigen,71 dass die Konsumvereine es schafften, den Röstkaffee an vielen Orten billiger anzubieten als die Kolonialwarenläden. Durch gemeinsamen Einkauf und Röstung und die damit möglichen Skaleneffekte sowie durch ihr Filialprinzip lagen sie mit ihrem durchschnittlichen Röstkaffeepreis um 25 Prozent (50 Pfennig) und dem Rohkaffeepreis um 13,6 Prozent (10 Pfennig) unter denen der anderen Wettbewerber.72 Die schwankenden Bohnenkaffeegroßhandelspreise und die mäßig steigenden Verkaufszahlen ließen viele Kolonialwarenkleinhändler zugleich zu einer neuen Vertriebs- und Verkaufsstrategie für Bohnenkaffee übergehen. Sie bestand in der Anschaffung einer eigenen Großröstmaschine und der Entwicklung eines mit dem eigenen Namen versehenen Kaffeeröstangebotes verschiedener Qualitäten und Preisklassen. Die Röstkaffeeprodukte wurden unter dem eigenen Namen über Dritte, den Versandhandel oder – wenn das Eigenkapital ausreichte – über ein bis drei Zweiggeschäfte oder gar eigene Kaffeehäuser verkauft. Beim Geschäft mit dem im Großhandelspreis stark schwankenden Rohkaffee und beim empfindlichen Endprodukt Röstkaffee konnte damit zum einen auf die Probleme reagiert werden, die aus den – bei begrenzten Lagerungsmöglichkeiten kaum aufzufangenden – Preisschwankungen des Rohprodukts resultierten. Zweitens konnte so dem schnellen Qualitätsverfall des Endprodukts und drittens der Empfindlichkeit
70 Vgl. Karl Wimmer, Coffeinfreier Kaffee, in: Zeitschrift für öffentliche Chemie 13 (1907), S. 436–442; Müller (1929), S. 219. 71 Vgl. Verein für Socialpolitik (Hg.), Verhandlungen der am 28. und 29. September 1888 in Frankfurt a. Main abgehaltenen Generalversammlung des Vereins für Socialpolitik, Leipzig 1889, S. 114–179, hier S. 183; Deutschmann (1918); Findeisen (1917); Schönfeld (1903). 72 Vgl. Verein für Socialpolitik (1889), S. 183.
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des Röstkaffees begegnet werden.73 Röstkaffee verlangte als „schnell verderbliche Ware absolut sicheren Absatz […] Diesen bieten aber nur eigene Läden.“74 Über den Verkauf des Röstkaffees in mehreren eigenen Filialen ließ sich der Absatz am besten realisieren. Die Strategie, den Röstkaffee über Filialen zu verkaufen, die sich lediglich auf wenige weitere kaffeenahe Produkte beschränkten (Kaffeespezialgeschäfte), wählten Unternehmen auch aufgrund der Empfindlichkeit von Röstkaffee: Führte man Röstkaffee im Sortiment, so war eine gleichzeitige Lagerung mit anderen Waren kaum möglich, denn „eine so empfindliche Ware […] darf nicht mit Heringen, Seife und ähnlichen Artikeln in demselben Raume aufbewahrt werden“.75 Erst die Entwicklung und der Einsatz von Vakuumverpackungen für Röstkaffee ab den 1920er Jahren verringerte diese Gefahr.76 Zwar stand bei allen Kaffeespezialgeschäften der Absatz von Bohnenkaffee im Zentrum, aber gleichzeitig verkauften sie „die beim Verbrauch von Kaffee besonders naheliegenden Waren […] Zucker, Schokolade, Tee und Kaffeegebäck etc. im kleinen Umfange, auch zugehöriges Porzellan“.77 In der zeitgenössischen Literatur finden sich für diese Vertriebs- und Verkaufsformen bei Kleinhändlern mit eigenem Röstbetrieb und ein bis drei Zweigniederlassungen am selben Ort die Bezeichnungen Demigrossist (Findeisen) oder Ortsfilialist (Hirsch).78 Zwar lassen sich, wie oben ausgeführt, keine absoluten Zahlen ermitteln, aber die relative Entwicklung der Kleinbetriebe in der Röstkaffeeindustrie
73 Zur allgemeinen Tendenz der kontinuierlichen Ausweitung und Veränderung des Kleinhandelssortiments im Kaiserreich vgl. Spiekermann (1999), S. 508–516. 74 Schönfeld (1903), S. 77. 75 Text in einer Broschüre von Kaiser’s Kaffeegeschäft anlässlich der Eröffnung der tausendsten Filiale, zit. n. Hirsch (1913), S. 27. 76 Vgl. R. E. Peebles, New Idea in Coffee packing Practice. Vacuum can adopted by big N.Y. speciality House, New York 1924. Allgemein zu Verpackungsinnovationen und deren Einfluss auf die Nahrungsgewohnheiten ebenso wie zu der Verwissenschaftlichung der Nahrung vgl. Felix Escher, Lebensmittelverarbeitung – Von der Empirie zur Wissenschaft, in: ders. und Claus Buddeberg (Hg.), Essen und Trinken zwischen Ernährung, Kult und Kultur, Zürich 2003, S. 85–110; Uwe Spiekermann, Zeitensprünge. Lebensmittelkonservierung zwischen Industrie und Haushalt 1880–1940, in: Katalyse e. V. und Buntstift e. V. (Hg.), Ernährungskultur im Wandel der Zeiten, Köln 1997, S. 30–42. 77 Hirsch (1913), S. 28. Die neben Kaffee verkauften Waren machten dabei einen nicht geringen Anteil am Umsatz aus, bei Kaiser’s Kaffeegeschäft GmbH vor dem Ersten Weltkrieg sogar über 50 Prozent, vgl. Massenfilialunternehmen (1929). 78 Vgl. Hirsch (1913), S. 8, S. 211–219. Spiekermann wählt die Anzahl der Filialen als Unterscheidungskriterium für die Bezeichnungen Kleinhandelsfilialbetrieb und Massenfilialbetrieb. Bei über zehn Filialen spricht er von Massenfilialisten, vgl. Spiekermann (1999), S. 316.
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Kaffeeproduktion. Eine neue Branche setzt sich durch
und narrative Quellen wie Firmenfestschriften,79 zeitgenössische Studien80 oder Werbeanzeigen81 verdeutlichen die Bedeutung dieser Vertriebs- und Verkaufsstrategie. Massenfilialisten, also Unternehmen mit über zehn Filialen, machten einen zunehmenden Anteil an den Kaffeespezialgeschäften aus. Er betrug 1908/09 aber nur ca. 13 bis 15 Prozent.82 In ihrer Position in der Wertschöpfungskette unterschieden sich die Ortsfilialisten nicht von den Massenfilialisten: Beide betrieben „den Absatz von Waren an letzte Konsumenten in mehreren oder vielen, von einander räumlich getrennten, gleichartigen, ständigen Verkaufsstellen“.83 Trotzdem ist es sinnvoll, in der Darstellung der historischen Entwicklung das Phänomen der mit der Spezialisierung auf ein Konsumgut einhergehenden Filialbildung zu differenzieren. Aus der Perspektive sowohl des Unternehmers als auch der Käufer bedeutet es einen Unterschied, ob der Filialist zwei oder 1.300 Filialen besitzt, denn das Grundprinzip des Filialbetriebs in der Kaffeebranche lässt sich erst ab einer gewissen Größe realisieren. Es besteht in der erheblichen Reduzierung der Fixkosten mittels zentralisiertem Einkauf sowie zentraler Lagerhaltung, Veredlung des Rohkaffees, Verwaltung und Buchführung bei dezentralisiertem Verkauf durch kaum qualifizierte Angestellte, zumeist in Filialen mit standardisierten Ausstattungen. Skalenerträge konnte ein Massenfilialist somit deutlich besser erreichen als ein Ortsfilialist. Gleichzeitig schuf das Vertriebssystem der Massenfilialisten neue Transaktionskosten. Die unterschiedlichen Interessen von Eigentümer und/oder Verwaltung auf der einen und Verkäuferinnen auf der anderen Seite sowie Informationsasymmetrien zwischen ihnen (die Principal-Agent-Problematik) verursachten zusätzliche Überwachungs- und Durchsetzungskosten. Es mussten Revisoren zur Kontrolle der einzelnen Filialen und 79 Vgl. Firmenfestschriften und -prospekte in Auswahl: Hinz & Küster, Kaffee, Berlin 1926; A. Zuntz sel. Wwe, Auf der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896: Eine Darstellung der Bedeutung des Kaffees als Genussmittel, seiner Production und seiner Zubereitung, o. O. [Berlin] o. J. [1896]; J. J. Darboven, Ein Jahrhundert im Zauber einer Kaffeestunde. Aus Anlass des einhundertjährigen Firmenjubiläums im Jahre 1966, Darmstadt 1966; Dominikus Jost, Chronica der Firma Dampf-Kaffee-Brennerei Wwe N. Jost, Düren 1891; Richard Poetzsch, 50 Jahre Richard Poetzsch. Kaffee-Grossrösterei. Kaffee – Tee – Kolonialwaren im Gross- und Einzelhandel, Leipzig 1938; Richter (1929); Ernst Weinhold, Kolonialwaren-Grosshandel, Kaffee-Grossrösterei, Zuckerwarenfabrik, Düsseldorf 1934. 80 Vgl. Hirsch (1913), S. 20 f.; Ufermann (1933), S. 5–72. 81 Exemplarisch durchgesehen wurden: Dies Blatt gehört der Hausfrau 1 (1886/87) bis 29 (1914/15); Der Tropenpflanzer 2 (1898) bis 18 (1914); Fliegende Blätter 54 (1870) bis 140 (1914); Deutsches Kolonialblatt 1 (1890) bis 25 (1914), Kolonie und Heimat 5 (1911/12) bis 12 (1918/19); Warenzeichenblatt 1 (1894) bis 21 (1914). 82 Vgl. Hirsch (1913), S. 104. 83 Hirsch (1913), S. 5.
Grafik 1
Vorliegende Daten zu exportierten Rohkaffeemengen 1723–1853
Grafik 2
Exporte nach Regionen 1854–1928
Grafik 13 Entwicklung der weltweiten Kaffeeexporte und -importe sowie Anstieg der Weltvorräte in den Lagerhäusern der Importhäfen 1886–1924
Grafik 15 Europäische Importe in das deutsche Zollgebiet (ab 1889) und nach Hamburg (ab 1880)
Grafik 16 Großhandelspreise (Jahresdurchschnitt) in Hamburg 1850–1914
Grafik 17 Herkunft der Kaffeeimporte aus den Anbauländern in Hamburg 1870–1913
Grafik 36 Anteile der Firma Theodor Wille an den Kaffeeexporten aus Brasilien 1900–1914
Grafik 38 Motive der registrierten Warenzeichen
Grafik 40 Großhandelspreise in Hamburg für Kaffee, Tee und Kakao 1850–1912
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Vertriebs- und Verkaufsstrategien der Bohnenkaffeebranche
ihrer Mitarbeiterinnen beschäftigt werden.84 Bei dem Massenfilialisten Kaiser’s Kaffeegeschäft arbeiteten zum Beispiel 1912 66 Revisoren zur Kontrolle der 2.076 Verkäuferinnen.85 Trotzdem gestaltete sich die Kostenstruktur beim Ortsfilialisten auf der Basis eines Kolonialwarenladens mit eigener Rösterei und ein bis drei Filialen vor Ort ungünstiger. Hier waren die Möglichkeiten zur Senkung von Transaktionskosten, Beschleunigung des Warenumlaufs, Reduzierung der Lagerkosten und des Umlaufkapitals pro verkauftem Pfund Röstkaffee deutlich kleiner. Zwar veranschlagten die Massenfilialbetriebe und die größeren Einzelgeschäfte annähernd gleiche Aufschläge (vgl. Tabelle 7). Da diese aber beim Filialbetrieb die Kosten für Produktion, Zwischenstufen und Verkauf deckten, konnten die Filialisten den Kaffee billiger anbieten als alle anderen Mitbewerber.86 Tabelle 7 Aufschlag im Durchschnitt in % des Verkaufspreises bei unterschiedlichen Vertriebsformen in Geschäften in rheinischen Großstädten 191087 Kaffee gangbarste Sorte Filiale
18,9
Mittleres Geschäft in verkehrsreicher Straße
16,7
Kleineres Geschäft unmittelbar neben Filiale
12,1
Größeres Geschäft
19,9
Auch aus der Konsumentenperspektive gestalteten sich das Verkäufer-Kunden-Verhältnis und das Einkaufserlebnis beim Ortsfilialisten anders als beim Massenfilialisten. Die Kundenbindung entstand im Fall des Ortsfilialisten durch den persönlichen Kontakt zwischen Einzelhändler (respektive den ein bis zwei Angestellten oder mithelfenden Familienangehörigen) und seinen Kunden. Sie fand ihren Ausdruck nicht selten zum Beispiel in der Möglichkeit des Anschreibenlassens, dem Borgwesen.88 Der Massenfilialist ersetzte diese Vertrauensbasis durch das Versprechen, gleichbleibende Ware zu konstanten Preisen gegen Bargeld bereitzustellen. Die dafür gewählte Vermittlungsinstanz bildeten die hochgradig standardisierten Außendarstellungen. Sie manifestierte sich zudem in einer gleichen Ladenaufteilung und -einrichtung und führte zu einer uniformen Einkaufsabwicklung. Zusätzliche Kaufanreize schufen die 84 Für eine knappe Erläuterung der Principal-Agent-Problematik vgl. Elisabeth Göbel, Neue Institutionenökonomik. Konzeption und betriebswirtschaftliche Anwendung, Stuttgart 2002, S. 61 f. 85 Vgl. Tabelle 55 im Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau-Verlages. 86 Vgl. Massenfilialunternehmen (1929), S. 116. 87 Hirsch (1913), S. 91. Zu der Kostenkalkulation der Massenfilialisten gegenüber den Einzelgeschäften vgl. ebd. S. 90–96. Ähnliche Ergebnisse auch bei Kiel (1913). 88 Zum Borgwesen im Kleinhandel vgl. Spiekermann (1999), S. 566–569.
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Kaffeeproduktion. Eine neue Branche setzt sich durch
Massenfilialisten durch die Abgabe von Lockartikeln zum Einkaufspreis oder Zugaben wie Sammelmarken und Dosen, auf denen sich in der Regel auch das Firmenlogo befand.89 Die Strategien der Ortsfilialisten wie auch der Massenfilialisten basierten also auf der Integration der Bohnenkaffeeveredlung und des Verkaufs an die Endkunden in ein Unternehmen. Dieses konnte damit, wenn auch in unterschiedlichem Maße, Groß- und Kleinhandelsfunktionen übernehmen, Transaktionskosten senken und Skalenerträge realisieren. Anzunehmen ist, dass schon vor dem Einstieg in die maschinelle Veredlung im großen Maßstab die Kolonialwarenhändler mittels kleiner Handröstmaschinen erfolgreich Kaffee rösteten. Vermutlich verzeichneten die jeweiligen Unternehmen zudem gute Umsatzzahlen, so dass das erwirtschaftete Eigenkapital ausreichte, um die Übernahme der Veredlung zu finanzieren. Letztlich lässt sich diese Annahme aufgrund fehlender quantitativer Daten nur exemplarisch verifizieren. Die zur Verfügung stehenden Quellen sind in der Regel Festschriften, eine mit Vorsicht zu interpretierende Quellengattung. Es ist zu erwarten, dass unternehmerische Rückschläge die Unterstützung durch Familienmitglieder oder Dritte mit Kapital in ihnen kaum Erwähnung finden. Stattdessen werden in der Regel die „schwierigen Verhältnisse“ in der Anfangszeit als Kontrast zum späteren Erfolg hervorgehoben.90 Ein gutes Beispiel sowohl für die Entwicklung vom Kleinhändler zum Kaffeespezialgeschäft wie auch für die hagiografische Zuspitzung in Firmenfestschriften ist das Leipziger Unternehmen Richard Poetzsch: Als der Bauernsohn Richard Poetzsch nach einer Ausbildung im Kolonialwarenhandel es „am 1. Oktober 1888 […] wagte, […] ein Kolonialwarengeschäft […] zu eröffnen, da standen ihm reiche Geldmittel nicht zur Verfügung“. Doch Richard Poetzsch’ Charaktereigenschaften, so liest man weiter, erwiesen sich als „unerlässliche Bedingung des Erfolgs“, nämlich „unverdrossen schaffender Fleiß, klarer zielsicherer Verstand und ein mutiges, fröhliches Herz“.91 Die zweite Säule des Erfolges war die Kaffeeveredlung, denn „hatte man bis vor kurzem im allgemeinen die Handröstung gekannt, so fanden die maschinell und daher gleichmäßig gerösteten Kaffees bald guten Anklang. Die Umsätze stiegen und verlangten Erweiterung des Geschäftes.“92 1894 eröffnete Poetzsch ein zweites Ladengeschäft in Leipzig, das sein Bruder Oskar leitete, 1896 eine zweite Rösterei und eine 89 Zu den Zugabenartikeln vgl. Kapitel 5.2. 90 Eine Ausnahme bildet die Firmengeschichte von Ferdinand Eichhorn: Hier wird der Onkel als Kapitalgeber genannt, der die Gründung des „Kaffeespezialgeschäftes“ in Braunschweig finanzierte, vgl. 10. Januar 1880 – 10. Januar 1930 Ferdinand Eichhorn und Carl Heimbs, in: Johann-Jacobs-Museum, Signatur JSM-C 40 Bro. Zur Unternehmensgeschichte vgl. Gerd Biegel, Von Kaffee Eichhorn zu Heimbs Kaffee. 125 Jahre braunschweigische Kaffeegeschichte im Spiegel von Presse und Werbung, Braunschweig 2005. Eine weitere Ausnahme ist die Firmengeschichte eines Scheiterns, vgl. Jost (1891). 91 Poetzsch (1938), S. 7. 92 Ebd., S. 8.
Vertriebs- und Verkaufsstrategien der Bohnenkaffeebranche
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Kaffeeverleserei. Die dritte Säule des Erfolgs seien, so die Firmenfestschrift, die vom Gründer eingeführten Innovationen wie eine große Auswahl an Röstkaffeeprodukten, die eigene Handelsmarke und eine besondere Verpackung gewesen: „Die gerösteten Kaffees wurden, was bis dahin noch nicht allenthalben üblich war, im Beutel mit doppelter Pergaminfütterung verpackt, die das Aroma besser als die bisher gebrauchten hielten. […] Die Firma wurde mit einem Schlag bekannt in Deutschland und darüber hinaus. Die Umsatzziffern der folgenden Jahre weisen wiederholt ganz ungewöhnliche Steigerungen auf.“93
Daraufhin eröffnete Richard Poetzsch 1898 ein drittes Ladengeschäft in Leipzig, 1899 eine dritte Rösterei. Erst 1910 gelang der Sprung nach Hamburg, wo das Unternehmen eine Großrösterei und eine Versandabteilung einrichtete, und nach Berlin, wo es ein Ladengeschäft eröffnete. Diese von den Chronisten der Firma Poetzsch beschriebene Unternehmensentwicklung steht exemplarisch für die Entwicklung von Ortsfilialisten mit Kaffeespezialgeschäften. Die bei Poetzsch gebrauchten Erklärungsmuster des Erfolgs finden sich in allen 72 ermittelten Festschriften zu Unternehmen wieder, die zwischen 1870 und 1901 gegründet wurden und sich selbst als Kaffeegroßrösterei oder Kaffeespezialgeschäft bezeichneten.94 Unabhängig von der individuellen Ausgangssituation des Gründers zeigt sich im Vergleich eine recht klare erfolgversprechende Strategie in der Kaffeebranche, allein die zeitlichen Abläufe divergierten leicht: Nach der Eröffnung des Kolonialwarenladens wurde in den 1880er Jahren, bei später gegründeten Firmen innerhalb kürzester Zeit nach der Gründung, eine Großröstmaschine angeschafft. Auf diese Art konnte die Veredlung in das Unternehmen integriert und ein breites Röstkaffeesortiment produziert werden. Ein bis zwei Jahre später investierten die Unternehmen, da sich der Verkauf des eigenen Röstkaffeesortiments besonders rentierte, in den Ausbau der Kaffeeveredlung und eröffneten ein zweites Ladengeschäft. Es folgten zumeist ein oder sogar zwei weitere Geschäfte am gleichen Ort. Nur wenige Unternehmen schafften es, mehr als zehn überregional verbreitete Filialen zu gründen (vgl. Tabelle 8). 93 Ebd., S. 10. 94 Nahezu identisch sind die Erzähltechniken und Entwicklungsmythen von: Ferdinand Eichhorn (1930) (mit der erwähnten Ausnahme, dass hier über das aus der Familie bezogene Kapital berichtet wird); Richter (1929); Hinz & Küster (1926); 50 Jahre Adolph Schürmann. Lebensmittelfilialgeschäfte u. Kaffeerösterei, Remscheid 1931; 75 Jahre Dienst am Kunden: 1881–1956. 75 Jahre Adolph Schürmann Remscheid, Darmstadt 1956; J. J. Darboven (1966); Gebrüder Jürgens, Braunschweig, 1726–1956. Skizze zu e. Geschichte d. Kolonialwaren- und Zuckerwaren-Grosshandlung und KaffeeGrossrösterei von Gebrüder Jürgens, Braunschweig 1956; Jacobs (1994); Joh. Jos. Sterck & Zoon Köln, Köln 1956; Kaiser‘s Kaffee-Geschäft (Hg.), 1880–1980. 100 Jahre Kaiser‘s, Viersen 1980; Alex Waldmann (1931); Weinhold (1934).
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Kaffeeproduktion. Eine neue Branche setzt sich durch
Allein der Massenfilialist Kaiser’s war mit Filialen in 574 Steuergemeinden deutschlandweit präsent. Die Mehrheit der Unternehmen in der kaffeeverarbeitenden Branche stellten die Ortfilialisten, die zwar über eine Großröstmaschine verfügten, aber nicht mehr als zehn Angestellte hatten. Ihr Vorteil gegenüber den Massenfilialisten und Großröstern wie Hanssen & Studt war ihre Kundennähe, denn sie produzierten lediglich für einen relativ kleinen, ihnen vertrauten regionalen Kundenkreis. So war ihr Umsatz zwar begrenzt, aber sie vermochten es, „sich den örtlichen Geschmacksrichtungen besonders gut anzupassen“.95 Entsprechend orderten die Ortsfilialisten zum Teil lediglich kleine Mengen von der Zweiten Hand, kauften aber entsprechend den Wünschen ihrer Kunden ein. Nachdem Gerüchte über weitere Zentralisierungsbestrebungen des Hamburger Kaffee-Vereins 1908 den den Binnenhandel vertretenden Verein Deutscher Kaffee-Gross-Händler und Röster in Köln erreichten, formulierten Vorstand und Beirat: „Die enge Fühlung, in welcher der Händler so mit seiner Kundschaft steht, ermöglicht es ihm sich seitens der Wünsche seiner Konsumenten zu orientieren und es ist seine Hauptarbeit, die Offerten so auszuwählen, daß sie den wechselnden Anforderungen möglichst entsprechen. Bei der bekannten Verschiedenartigkeit der Geschmacksrichtungen in Deutschland kann natürlich derjenige Händler sich erfolgreich an der Verteilungsarbeit beteiligen, der über gründliche Sachkenntnis verfügt und mit den verschiedenen Bedürfnissen des Publikums […] vertraut ist. […] In keiner Branche dürfte wohl die innere Berechtigung des Handelsstandes als Konsumvermittler leichter zu erkennen sein […] man braucht sich nur vergegenwärtigen, daß in Deutschland allein jährlich mehr als 7 Millionen Sack Kaffee […] auf ca. 70 000 Ortschaften zu verteilen sind.“96
1910 versuchte der Kölner Verein in Kooperation mit brasilianischen Genossenschaften, die brasilianischen Exporteure und deutschen Importeure zu umgehen, scheiterte aber an der praktischen Umsetzung und ein zukünftiger Misserfolg schien – so das traditionell mit dem Hamburger Kaffee-Verein eng zusammenarbeitende Konsulat in Rio euphemistisch – „infolge der vollendeten Organisation des Hamburger Kaffee-Importhandels auch verständlich“.97 Auch die in den Festschriften als besondere Leistung des Gründers hervorgehobenen „Innovationen“ entpuppen sich im Vergleich als inzwischen übliche und verbreitete Verkaufs- und Vertriebsstrategien: besondere Verpackungen, spezielle Behandlungen der Bohnen (Färben, Kandieren, Glacieren etc.), der Verkauf der eigenen Kaffeeröstungen unter einer Aufmachungs- oder Handelsmarke und die Nut95 Findeisen (1917), S. 99. 96 BArch, Bestand R 901, Signatur 275, Bl. 108 f. Protokoll der gemeinsamen Sitzung des Vorstandes und Beirats des Vereins Deutscher Kaffee-Gross-Händler und Röster mit dem Sitz in Cöln vom 27.4.1908. 97 Ebd., Signatur 278, Bl. 114.
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zung des Kaffeeversandhandels als Vertriebsweg. Alle diese Strategien finden sich bei der überwiegenden Mehrheit der Unternehmen, darunter – um nur die auch heute noch bekannteren Unternehmen zu nennen – bei Emil Tengelmann (Mülheim/Ruhr, gegr. 1857, ab 1882 Kaffeeröstung, ab 1887 Kaffeespezialgeschäfte und Großhandel), Johann Jacobs (Bremen, gegr. 1895 als Kaffeespezialgeschäft, ab 1907 Großrösterei, ab den 1920er Jahren Versandgeschäft und Großhandel), A. Zuntz sel. Witwe (Bonn, gegr. 1837, ab den 1880er Jahren Kaffeespezialgeschäfte und Großhandel) und bei J. J. Darboven (Hamburg, gegr. 1866). Das 1866 als Gewürzhandel von Darboven gegründete Hamburger Unternehmen98 steht für die oben skizzierte gängige Strategie, aber mit einem frühen Schwerpunkt auf dem Versandhandel.99 Schon 1869 trat Darboven auf der internationalen Gartenbauausstellung in Hamburg mit 144 Kaffeemischungen an die Öffentlichkeit. Auch in dieser Firmengeschichte findet sich der enge Zusammenhang zwischen der Integration des Röstens in das eigene Unternehmen und dessen Expansion.100 Darboven ließ den Kaffee zuerst von einer Lohnrösterei rösten. 1874 wurde aufgrund der „Ausweitung des Kaffeehandels“ ein Zweiggeschäft eröffnet und „schon ein lebhaftes Postversandgeschäft“101 betrieben. Neben dem Verkauf in den zwei Ladengeschäften übernahm Darboven damit eine neue Vertriebsform, in der statt des persönlichen Kontakts der Schriftverkehr die Kaufanbahnung, -abwicklung und Bezahlung bestimmte. Über Annoncen und Kataloge traten die Kaffeeversandgeschäfte mit ihren potentiellen Kunden in Kontakt und warben um deren Gunst.102 Insbesondere Unternehmen in Bremen und Hamburg, die also geografisch nah am Importhandel waren, übernahmen diese abstrakteste Form des Kleinhandels. Darboven ging gewissermaßen den umgekehrten Weg, denn er trat in das Hamburger Kaffeeimportgeschäft ein, verlegte sein Einkaufskontor an den Sandthorquai
98 99 100 101 102
Vgl. StAHH, Bestand Gewerberegister B 1866, Nr. 641. Vgl. J. J. Darboven (1966), o. P. Vgl. ebd., o. P. Ebd., o. P. Die allgemeine Zunahme von Versandgeschäften im Kaiserreich führte auch zu neuen Dienstleistungsunternehmen, die Privatadresskarteien erstellten und sie den Versandgeschäften verkauften, vgl. zum Beispiel die Großanzeigen in der Zeitschrift Die Reklame. Beispielsweise findet sich auf der Rückseite des Titelblattes von Heft 6 des Jahres 1895 die folgenden Anzeige: „187 Gruppenangebote u. a. zum Beispiel 22.500 Adressen von Adel, freiherrlichen, gräflichen und fürstlichen Häusern in Deutschland, pro 1000 Adressen 12 M, für 22500 Adressen 175 M. […] Z.B. Ärzte, Medizinalräthe, Kreisphysici, Professoren, Sanitätsräthe 4350 für 32 M.“ Zum Versandhandel vgl. Ursula Hansen und Matthias Bode, Marketing und Konsum. Theorie und Praxis von der Industrialisierung bis ins 21. Jahrhundert, München 1999, S. 44–49; zum Kaffeeversandhandel vgl. Christen (1935), S. 38 f.
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Kaffeeproduktion. Eine neue Branche setzt sich durch
6 und wurde 1902 Mitglied im Kaffee-Verein.103 Seine Verkaufsstrategie erweiterte das Unternehmen aber erst 1915, als es seinen Idee Kaffee beim Patentamt als Warenzeichen eintragen ließ und so den Grundstein für den ersten Markenartikel der Firma legte. Er wurde aber erst in den 1920er Jahren erfolgreich eingeführt. Die Firma J. J. Darboven demonstriert durch ihre Integration von Rösten und Kaffeeimport, von Kleinhandels- und Großhandelsaktivitäten, von Ladengeschäft und Postversand die Vielfalt der angewandten Vertriebs- und Verkaufsstrategien, mit denen das Produkt Bohnenkaffee den Konsumenten nahe gebracht wurde. Betriebswirtschaftlich steht Darboven für den Trend zur vertikalen Integration, der Vereinigung von Wertschöpfungsstufen in ein Unternehmen. Auch steht die Firma beispielhaft für die späte Konzentration der Ortsfilialisten auf einen Markenartikel. Einige Ortsfilialisten schafften es, Ende der 1880er Jahre und in den 1890er Jahren zu expandieren. Sie vertrieben den selbst produzierten Röstkaffee nicht nur über ein bis zwei weitere Zweigstellen am Ort, sondern über eine Vielzahl von regional, überregional und national verbreiteten Filialen. Damit wurden sie zu Massenfilialisten (vgl. Tabelle 8).104 Das bedeutet, dass sie weiterhin sowohl die Veredlung (Verlesen und Mischen) als auch den Vertrieb des Röstkaffees in ihr Unternehmen integrierten. Gleichzeitig entwickelten sie aber auch hochgradig standardisierte Verkaufsstrategien über ein in Aussehen und Produktauswahl identisches Filialsystem. Paradebeispiel für die vertikale Integration aller Wertschöpfungs- und Lieferketten in ein Unternehmen in der Kaffeebranche in Deutschland ist Kaiser’s Kaffeegeschäft.105 Vor Beginn des Ersten Weltkriegs war Kaiser’s das größte Einzelunternehmen im Lebensmittelhandel und im Jahr 1913 mit 1.371 Filialen im ganzen Deutschen Reich präsent (vgl. Grafik 35).106 Zum Vergleich: das Unternehmen Tchibo ver-
103 Vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 4 und Hamburger Adressbuch (1903). 104 Zu der Entstehung von Kaffeespezialgeschäften in den USA vgl. Ukers (1922). 105 Das Unternehmen Kaiser’s gewährt Außenstehenden keine Einsicht in sein Unternehmensarchiv. Unternehmenshistorisch interessante Unterlagen (Chroniken, Filialenverzeichnisse, Entwürfe zu Firmenfestschriften, biografische Schriften über Josef Kaiser) finden sich aber im Archiv der Max-Planck-Gesellschaft (im Folgenden MPG-Archiv), Abt. IX, Rep. 1, Josef Kaiser. Kaiser war von 1916 bis 1950 förderndes Mitglied der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und ihrer Nachfolgerin. Zur Geschichte des Unternehmens vgl. Kaiser‘s Kaffee-Geschäft (1980); Peiner (1937); Hirsch (1913), S. 27–64; Massenfilialunternehmen (1929), S. 127–167; Spiekermann (1999), S. 325–330. 106 Quelle zu Grafik 35: MPG-Archiv, Abt. IX, Rep. 1, Josef Kaiser. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, Tabelle 41. Hirsch (1913) gibt für 1912 1402 Filialen an.
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Vertriebs- und Verkaufsstrategien der Bohnenkaffeebranche
kaufte seine Waren im Jahr 2008 über 900 Filialen.107 Zudem besaß Kaiser’s mit fünf eigenen Großröstfabriken den größten Kaffeeröstereiverbund in Europa. Tabelle 8 Kaffeefilialisten mit mindestens einer eigenen Rösterei und über zehn Filialen im Jahr 1910108 Firma
Hauptsitz
Emmericher Warenexpedition
Emmerich
J. Brandenbusch
Altenessen
Bruchtals Kaffeemagazin
Dortmund
C. Güldenpfennig
Berlin
Hamburger Importhaus
Hamburg
Filialen
Filialen in Gemeinden 25 31
500 23
34 3 11
Herkules-Kaffeegeschäft Kauert
Krefeld
Kaiser’s Kaffeegeschäft GmbH
Viersen
19
Gebr. Kayser GmbH
Düsseldorf
Koux Kaffeegeschäft
MönchenGladbach
Joh. Mescher
Duisburg
100
23
C. Retelsdorf
Hamburg
40*
20
E. Schmidt
Wickrathberg
40
27
1.250
574
65
32 5
Richard Selbmann
Dresden
Emil Tengelmann
Mülheim/Ruhr
400
Thürmer
Dresden
16*
Arthur Weigl
Hamburg
A. Zuntz sel. Witwe
Bonn
Gesamtzahl
81 78 6 23 2.401
* Angabe nach Findeisen (1917), S. 96.
Auch Kaiser’s entwickelte sich vom Kolonialwarenladen zum Ortsfilialisten mit eigener Großrösterei und dann zum Massenfilialisten. Nach einer Lehre in einem Eisenwarenbetrieb stieg Josef Kaiser 1882 in den Kolonialwarenladen seiner Eltern ein. In den ersten Jahren brachte Kaiser seinen mit einer kleinen Handröstmaschine verarbeiteten Kaffee noch mit dem Pferdewagen zu den Kunden. Ab 1885 begann
107 Vgl. Tchibo Holding Geschäftsbericht 2008, in: http://www.maxingvest.de/upload/ dokumente/maxingvest_Einzel08-de.pdf (abgerufen am 22.5.2009). 108 Hirsch (1913), S. 29. Neben den in Tabelle 8 genannten Kaffeefilialisten führt Hirsch in seiner Studie noch 13 weitere Filialisten auf, zu denen aber keine weiteren Angaben vorlagen.
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Kaffeeproduktion. Eine neue Branche setzt sich durch
Grafik 35 Neugründungen, Schließungen und Beschäftigtenzahlen in Kaiser’s Kaffeegeschäft GmbH 1885–1932
er, Kaffee und weitere Kolonialwaren über eigene Ladengeschäfte zu verkaufen.109 Das in der Festschrift, den Unternehmensunterlagen und Josef Kaisers Biografie stets betonte „ungewöhnliche Erfolgsrezept“ des Unternehmensgründers habe darin bestanden, durch Mischung und Röstung eine immer gleichbleibende Qualität herzustellen und diese zu festen Preisen anzubieten. Zudem habe er den Geschmack des Publikums an die „feinen“ Brasilsorten herangeführt. Angesichts der Verkaufsund Vertriebskonzepte anderer Unternehmen der kaffeeverarbeitenden Branche und der Dominanz des Brasilkaffees waren dies keine besonders originellen Strategien. Doch das Unternehmen expandierte erstaunlich schnell: Es wuchs von unter fünf Angestellten im Jahr 1882 auf 2.060 Angestellte im Jahr 1905, auf 4.904 Angestellte im Jahr 1914 sowie von 48 Filialen 1896 auf 524 Filialen 1900 und mehr als 1.300 im Jahr 1913. 1914 gab es 1.369 Filialen in Deutschland und 51 Filialen in der Schweiz.110 Daneben belieferte Kaiser’s ca. 400 Kolonialwarenläden, die gegen eine Ausschlussgarantie die Produkte exklusiv verkauften. Diese setzten 1913 3,15 Millionen Mark um, die Kaiser’s-Filialen 46,15 Millionen Mark.111 109 Die ersten Filialen von Kaiser’s lagen im Ruhrgebiet, in einem zweiten Schritt folgten Filialen im Bergischen Land, ab 1892 erweiterte das Unternehmen sein Filialnetz in den Westen und Süden Deutschlands. Erst 1897 begann sich das Filialnetz auch nach Osten auszudehnen: Kaiser’s eröffnete in diesem Jahr fünf Filialen und eine Röstfabrik in Berlin. Zuletzt folgte die Ausdehnung in Richtung Norden, vgl. MPG-Archiv, Abt IX, Rep. 1, Josef Kaiser; Peiner (1937), S. 26 f., S. 39–41, S. 45. 110 Vgl. MPG-Archiv, Abt. IX, Rep.1, Josef Kaiser; Massenfilialunternehmen (1929), S. 122. 111 Vgl. Massenfilialunternehmen (1929), S. 115.
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Ebenso wie bei den oben vorgestellten Ortsfilialisten war die Spezialisierung auf selbstproduzierte Röstkaffeesorten wohl ein Grund für den schnellen Erfolg des Unternehmens. Dabei unterschied es sich in den 1880er Jahren in seiner Entwicklung nicht von Richard Poetzsch in Leipzig oder J. J. Darboven in Hamburg. Erst in den 1890er Jahren erfolgten die schnelle Erweiterung der Zahl von Filialen und die Gründung von vier Großrösterein innerhalb von nur drei Jahren (1897 in Berlin, 1898 in Heilbronn und 1899 in Breslau). Von 1882 bis 1889 hatte Kaiser’s zwölf Filialen eröffnet, von 1890 bis 1899 folgten sage und schreibe 398 weitere. Damit stiegen auch die Möglichkeiten, Transaktionskosten zu senken und Skaleneffekte zu realisieren. Mehr noch als bei den anderen Unternehmen drängt sich im Fall Kaiser’s die Frage nach der Herkunft des für die in den 1890er Jahren getätigten Investitionen benötigten Kapitals auf. Insbesondere die Finanzierung der Expansion in jenem Jahrzehnt wäre wohl ohne die Kooperation mit dem größten europäischen Kaffeehandelsunternehmen, der Firma Theodor Wille, und dessen finanzielle Unterstützung nicht möglich gewesen. Auch der zweitgrößte Massenfilialist mit Kaffeespezialgeschäften, Emil Tengelmann, verfügte über eine solche Unterstützung durch ein Hamburger Handelshaus.112 Dabei ging es in der Kooperation zwischen Kaiser’s und Wille nicht nur um Kredite, sondern vor allem um den Bezug des Rohkaffees. Anfänglich hatte Josef Kaiser seinen Rohkaffee direkt vom Zwischenhandel in Rotterdam und Amsterdam, den typischen Bezugsquellen rheinländischer Großhändler, bezogen. Günstige Konditionen erhielt er aber erst durch den direkten Ankauf des Brasilkaffees vom Überseehaus Theodor Wille in Hamburg (über die Vermittlung eines Hamburger Importeurs).113 Wille war ab den 1890er Jahren im Hinblick auf den Umsatz und die verschifften Rohkaffeemengen aus Brasilien die wohl größte Firma im globalen Kaffeehandel.114 Sie handelte von 1900 bis 1913 im Durchschnitt 16 Prozent und in einzelnen Jahren bis zu 36 Prozent (1905/6) der brasilianischen Exporte (vgl. Grafik 36 im separaten Bildteil).115 Die von der Firma Wille verschifften Kaffeequantitäten aus Santos und Rio entsprachen zum Beispiel 1900 58 Prozent, 1905 67 Prozent und 1910 50 Prozent der gesamten deutschen Kaffeeimporte.116 Kaiser’s importierte also nicht, wie in der Li112 Auf diese enge Verbindung ist in der zeitgenössischen Literatur auch vereinzelt hingewiesen worden, vgl. Deutsche Kolonialwarenzeitung vom 11.7.1902; Hirsch (1913), S. 31; Peiner (1937), S. 42. 113 Abgewickelt wurden die Geschäfte über die exklusiv Theodor Wille als Zweite Hand für den deutschen Markt vertretende Firma Gebr. Michahelles in Hamburg. 114 Vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 276, Bl. 95. 115 Quelle zu Grafik 36: Zimmermann (1969), S. 116. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, Tabelle 43. 116 Gesamtimport Deutsches Reich 1900 160.826 Tonnen, 1905 180.166 Tonnen, 1910 170.856 Tonnen. Export von Theodor Wille aus Santos und Rio 1900 76.947 Tonnen, 1905 120.433 Tonnen, 1910 84.741 Tonnen, vgl. Stat. Jb. (1901, 1906 und 1911); An-
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teratur zu lesen ist, eigenständig und direkt Rohkaffee, sondern bezog ihn über das Hamburger Unternehmen. Dieses ermöglichte wiederum mit seinen Krediten die Finanzierung des Unternehmensausbaus: den Aufbau des Filialsystems sowie den Bau der Großröstbetriebe und neuer Fabriken zur Erweiterung des Warensortiments von Kaiser’s.117 Beispielsweise gab Wille Kaiser im Jahr 1899 ein Darlehen von über 700.000 Mark. Mit diesem konnte das Unternehmen durch den Kauf und Umbau einer Textilfabrik in Viersen auch die Schokoladen- und Keksproduktion integrieren. Mit seinen Kapitalinvestitionen schuf sich Wille letztlich eine Absatzgarantie auf dem deutschen Markt, denn Kaiser’s vertrieb nach der Jahrhundertwende einen Anteil von etwa 6 Prozent an den deutschen Kaffeeimporten.118 Damit kaufte Kaiser’s Wille immerhin 12 Prozent der von Santos und Rio insgesamt importierten Kaffeequantitäten ab. Für Wille bedeutete die Kooperation mit Kaiser’s also zum einen, einen festen, sich kontinuierlich vergrößernden Absatz sicherzustellen. Zum anderen konnte Wille erfolgreich in den eigentlich nach Amsterdam und Rotterdam orientierten rheinländischen Kaffeemarkt vordringen. Die günstigen Konditionen, zu denen Josef Kaiser seinen Kaffee bezog, bilden wohl auch den Hintergrund für die Mär, das Unternehmen hätte selber Plantagen besessen. Von Beginn an vertrieb Kaiser’s neben Kaffee auch Tee, wobei diese beiden Waren und ihre Ersatzstoffe 1913/1914 58,5 Prozent des Umsatzes ausmachten. Zusätzlich differenzierte das Unternehmen über die Jahre hin sein Sortiment und verkaufte kurz vor dem Ersten Weltkrieg auch Schokolade, Back- und Zuckerwaren, Konfitüren (zusammen 1913 22 Prozent des Umsatzes), Zucker (1913 11 Prozent des Umsatzes) sowie Margarine und andere Kolonialwaren (1913 8,5 Prozent des Umsatzes).119 80 Prozent der angebotenen Produkte stammten aus der eigenen Herstellung. Dafür integrierte Kaiser’s auch die Schokoladen-, Süßwaren- und Ersatzkaffeeproduktion in das Unternehmen. Neben der Schokoladen- und Süßwarenfabrik in Viersen, die auch Backwaren produzierte, betrieb Kaiser’s eine Malzkaffeefabrik in Düren und eine Papierfabrik ebenfalls in Viersen. Letztere wurde von der 1907 gegründeten Tochtergesellschaft Quark & Fischer GmbH mit einem Gesellschaftskapital von 30.000 Mark unter der Geschäftsführung von Josef Kaiser betrieben. Sie stellte die für den Verkauf benötigten Verpackungen her und besaß auch eine Abteilung, die das jeweilige Design der Verpackungen für die unterschiedlichen Produkte entwarf. War im Kaiserreich der einzelne Detailhandelsladen sowohl Einkaufs-, Verwaltungs-, und Verkaufsstelle als auch Kreditinstitut, so hatten die Filialen von Kaiser’s gaben Theodor Wille, in: Zimmermann (1969), S. 116. Die Firma Theodor Wille war zudem Agent der deutschen Schifffahrtlinien, besaß eigene Kaffeeplantagen in Brasilien und kontrollierte die Elektrizitätsversorgung mehrerer Städte im Staat São Paulo, vgl. Brunn (1971), S. 245 f.; umfassend Zimmermann (1969). 117 Vgl. MPG-Archiv, Abt. IX, Rep. 1, Josef Kaiser; Zimmermann (1969), S. 110 f. 118 Vgl. Hirsch (1913), S. 104. 119 Vgl. Massenfilialunternehmen (1929), S. 143.
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nur noch eine Funktion: den Verkauf. Alle Angestelltentätigkeiten kaufmännischer Art übten Männer aus. Kleinere kaufmännische Verwaltungsaufgaben erledigten die Oberrevisoren, die grundsätzlichen betriebswirtschaftlichen Entscheidungen traf die Verwaltung in Viersen. Im Verkauf dagegen griff Kaiser’s auf die billigsten Arbeitskräfte zurück: ungelernte weibliche Angestellte ohne spezielle Warenkenntnis.120 Dies ermöglichte eine Arbeitsteilung, bei der die Verkäuferinnen „völlig durch die Geschäftsleitung dirigiert“121 wurden. Filialen wurden in der Regel in gemieteten Räumen eingerichtet. Das bot den Vorteil, den Standort der Geschäfte bei Bedarf schnell wechseln zu können. Sie lagen immer in der Innenstadt. Ebenso gab es feste Kriterien bis hin zu der Regel, ein Geschäft immer auf der „Laufseite“ einer Straße, der Schattenseite, anzusiedeln. Die Einrichtung war standardisiert und für den schnellen Aufbau weiterer Filialen zumeist in drei verschiedenen Größen vorrätig.122 Signifikantes Merkmal aller Verkaufsstellen von Kaiser’s waren die über der Ladenfront und an den Seiten von Tür und Schaufenster angebrachten Emailleschilder. Sie zeigten immer den Unternehmensnamen in einheitlichem Design und das Firmensymbol, die lachende Kaffeekanne, die mit leichten Veränderungen bis heute verwendet wird. Die Schaufenster gestaltete das Unternehmen im Firmendesign und zudem wöchentlich neu mit den aktuellen Produkten und ihren Preisangaben.123 Nicht ein vertrauliches VerkäuferKonsumenten-Verhältnis war die zentrale Kundenbindungsstrategie von Kaiser’s, die Vermittlungsinstanz bildeten vielmehr eine einheitliche Angebotspalette zu gleicher Qualität und festgesetzten Preisen sowie Zugabenartikel: Mit seinem omnipräsenten Firmensymbol in der Außendarstellung und der uniformen Präsentation der Waren im Laden setzte das Unternehmen auf Kundenbindung durch Wiedererkennung und Gewohnheit. Es verkaufte seine Produkte immer in einheitlicher Verpackung und 120 Vgl. Hirsch (1913), S. 57–60, S. 88 f.; Massenfilialunternehmen (1929), S. 113 f. Zur Bindung der Verkäuferinnen an den Betrieb zahlte das Unternehmen nicht nur ein höheres Gehalt als im übrigen Kleinhandel üblich. Mit einem im Verhältnis zur Betriebszugehörigkeit steigenden Gehalt, freier Wohnung oder Mietzuschüssen, der Erlaubnis zur Entnahme von Waren aus dem Geschäft zum Eigenbedarf und Weihnachtsgeld schuf Kaiser’s zusätzliche Anreize, um die Verkäuferinnen an sich zu binden. 1897 gründete Kaiser’s eine Betriebskasse für die Beschäftigten, 1904 folgte eine Unterstützungskasse, 1905 eine Geschäftssparkasse und eine Altersvorsorgekasse ohne Beitragsleistung für das Personal. 121 Massenfilialunternehmen (1929), S. 125. Vgl. MPG-Archiv, Abt. IX, Rep. 1, Josef Kaiser. 122 Vgl. Hirsch (1913), S. 33–38; Zahlen für 1914 in: Massenfilialunternehmen (1929), S. 113. Kaiser’s wird hier als KA aufgeführt. 123 Leider hat das Unternehmen Kaiser’s einem Abdruck der zeitgenössischen Fotografien von seinen Niederlassungen für diese Publikation nicht zugestimmt. Zwei Abbildungen finden sich in: Kaiser‘s Kaffee-Geschäft (1980).
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immer mit dem Logo oder dem Firmennamen versehen. Finanzielle Anreize boten niedrige Preise, das 1904 eingeführte Rabattmarkensystem und Lockartikel, die zum Einkaufspreis abgegeben wurden. Auf regelmäßige Schaltung von Annoncen in Zeitungen verzichtete Kaiser’s zumeist. Es wurden aber Flugblätter und Adresskarten zur direkten Kundenansprache eingesetzt. Allein bei der Einrichtung eines neuen Geschäfts oder der Einführung eines neuen Artikels schaltete das Unternehmen Anzeigen.124 Eine weitere Vertriebsstrategie in der Kaffeebranche bestand im exklusiven Verkauf von Kaffee aus den deutschen Kolonien. Andere Unternehmen integrierten den Ausschank von frisch zubereitetem Kaffee in das Geschäftsfeld.125 Diese wirklich innovative und im Vergleich mit den anderen Kaffeespezialgeschäften ungewöhnliche Verkaufsstrategie für den selbst gerösteten Bohnenkaffee wählte das Unternehmen A. Zuntz sel. Witwe aus Bonn. Es richtete ab 1898 in seinen Filialen (vgl. Tabelle 8) teilweise auch Kaffeestuben ein.126 Die hier vorgestellten Hintergründe für die Integration der Kaffeeveredlung in das Geschäftsfeld von Groß- und Kleinhandel in den 1880er Jahren sowie deren Entwicklung unterschiedlicher Vertriebs- und Verkaufsstrategien zeigen, dass die Entstehung der Branche nicht als eine rein reaktive Entgegnung auf die Nachfrage nach konsumfertigen Produkten interpretiert werden kann. Angesichts veränderter Organisationsstrukturen im globalen Kaffeehandel und der daraus für den Binnenhandel resultierenden Bezugsbedingungen für Kaffee sowie der veränderten Kaffeequalitäten reagierte der Groß- und Kleinhandel äußerst aktiv. Über unterschiedlichste Maßnahmen der vertikalen Integration, von Veredlungs- und Produktinnovationen bis hin zu verschiedenen Vertriebs- und Verkaufsstrategien, sowie über die Senkung von Transaktionskosten durch Ausnutzung von Skalenerträgen versuchte er seine Wettbewerbsposition zu verbessern. Dabei sorgten verschiedene Aspekte für eine wachsende Eigendynamik dieser Entwicklung: Mit der Differenzierung des Bohnenkaffeesortiments sowie der Röstung sollten neue Kunden angesprochen werden. Ebenso bedurfte aber eine Ausweitung des Sor124 Vgl. MPG-Archiv, Abt. IX, Rep. 1, Josef Kaiser; Hirsch (1913), S. 45. 125 Vgl. Schönfeld (1903), S. 77; Hirsch (1913), S. 27. 126 Über das Unternehmen A. Zuntz Sel. Witwe ist keine Firmenfestschrift übermittelt oder ein Nachlass überliefert. Ermittelbar sind die folgenden Titel: A. Zuntz sel. Wwe (1896); hier (S. 30 f.) finden sich auch Fotografien von zwei Ladengeschäften, die zeigen, dass die Firma auf eine ähnlich hochgradig standardisierte Außendekoration setzte wie Kaiser’s. Dies., Ueber die Zubereitung des Kaffees im Haushalt: Ihren Abnehmern gewidm. von der Firma A. Zuntz sel. Witwe, Berlin 1895; Ewald, Wilhelm und Bruno Kuske (Hg.), Katalog der Jahrtausend-Ausstellung der Rheinlande in Köln, Köln 1925, S. 637. Einige wenige Hinweise zum Unternehmen finden sich bei Ufermann (1933), S. 27; Hans P. Mollenhauer, Von Omas Küche zur Fertigpackung. Aus der Kinderstube der Lebensmittelindustrie, Gernsbach 1988, S. 129.
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timents einer wachsenden Zahl von Kunden, um die Investitionen zu refinanzieren. Zudem musste ein kontinuierlicher Absatz gewährleistet werden, da Röstkaffee aufgrund des schnellen Aromaverlusts nicht lange haltbar ist. Die daraufhin entwickelte Strategie, Röstkaffee zu produzieren und direkt zu verkaufen, bedingte aber wiederum eine gewisse Konzentration auf das Produkt sowie seinen schnellen Absatz über Kaffeespezialgeschäfte. Dies erklärt die überdurchschnittliche Tendenz dieser Branche zum Massenfilialbetrieb. Die Mehrheit der Unternehmen produzierte aber für den regionalen Markt. Eng an die regionalen Absatzstrukturen angelehnt, rösteten Lohnröstereien für den Kleinhandel und einzelne Kolonialhändler integrierten die Röstung in ihr Unternehmen, um den selbstproduzierten Röstkaffee in einem oder bis zu drei Läden in der näheren Umgebung zu verkaufen. Überregional oder gar international tätig waren nur wenige Unternehmen. Ihr Anteil an der Kaffeebranche vergrößerte sich aber zunehmend. Die Entwicklung der besonders erfolgreichen Unternehmen wie Kaiser’s Kaffeegeschäft, Emil Tengelmann und Hanssen & Studt zeichnete sich durch eine enge Kooperation mit den Hamburger Großhändlern der Ersten und Zweiten Hand aus. Umgekehrt stieg das Unternehmen J. J. Darboven kurz vor dem Ersten Weltkrieg in das Importgeschäft ein und legte damit einen Grundstein für seine erfolgreiche Entwicklung nach dem Krieg.
5.2. Kaffeewerbung: Exotische Vertrautheit? Indem sie unter Verwendung spezieller Verfahren und Zusätze eine breite Palette von Röstkaffeeprodukten in unterscheidbaren Qualitäten herstellte, entwickelte die Kaffeebranche ein stark differenziertes und auch sozial segmentiertes Warenangebot. Eine Vielzahl von Qualitäten in verschiedensten Preislagen konnte nun von den Konsumenten an unterschiedlichsten Verkaufsorten erworben werden. Dies führte langfristig dazu, dass „der Durchschnitts-Konsument […] rohen Kaffee meist nur noch aus belehrenden Schaufenster-Ausstellungen“127 kannte. Innerhalb weniger Jahrzehnte war der Rohstoff grüne Bohne ein unbekanntes Konsumgut geworden. An seine Stelle trat eine Vielfalt von Röstkaffeeprodukten, die als ganze Bohnen oder gemahlen zu haben waren. Die bei den grünen Bohnen äußerlich deutlich sichtbaren Qualitätsmerkmale entfielen damit als Entscheidungsgrundlage beim Kauf. Stattdessen konnten und mussten die Konsumenten zwischen Röstkaffeesorten wählen, die sich vor allem im Geschmack unterschieden. Dies war aber ein Qualitätskriterium, das die Bewertung des Produkts durch den Konsumenten erst nach dem Kaufakt möglich machte. Überregional agierende Unternehmen, die nicht mehr für einen ihnen bekannten Kundenkreis produzierten, wie auch regional agierende Großröster
127 Müller (1929), S. 127.
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mussten nun ihr Röstkaffeesortiment den Kunden erst vertraut machen, um diese zum Kauf zu animieren. Dies entsprach dem Trend. Der allgemeine Wandel der Koordinations- und Unternehmensformen seit den 1880er Jahren verlangte nach neuen Kommunikationsformen. Über diese sollten potentiellen Konsumenten ohne persönlichen Kontakt die Vorteile des eigenen Produkts vermittelt werden.128 Dafür entwickelten Firmen der Kaffeebranche zum einen „Aufmachungsmarken“. Unter diesen verkauften sie ein Kaffeeprodukt, das sich durch annähernd gleiche Qualität auszeichnete. Das erreichten die Firmen durch die Herstellung von standardisierten Mischungen verschiedener Bohnen mit einer spezifischen Röstung. Beworben wurden sie mittels einer uniformen Verpackung und unter einem gleichbleibenden Namen. Zum anderen boten Unternehmen verschiedene Kaffeeprodukte an, die sie aber nicht einzeln, sondern zusammen bewarben. Diese „Handelsmarken“ zeichneten sich durch ihren gemeinsamen Firmennamen und/oder ein Firmenlogo aus. Hier wurde also gezielt die Firma beworben, nicht aber die einzelnen Produkte. Am meisten verkauft wurden weiterhin die Mischungen und Röstungen des Kleinhändlers um die Ecke. Der Anteil an Aufmachungs- und Herstellermarken war vermutlich in den absatzschwächeren Gebieten auf dem Land größer als in der Stadt, wo sich für Kleinhändler die Investitionen, die für den Aufbau eines eigenen Sortiments notwendig waren, leichter refinanzierten.129 Unabhängig von regionalen 128 Vgl. allgemein Peter Borscheid, Agenten des Konsums. Werbung und Marketing, in: Haupt und Torp (2009), S. 79–96. Zum Kaiserreich vgl. Christiane Lamberty, Reklame in Deutschland 1890–1914. Wahrnehmung, Professionalisierung und Kritik der Wirtschaftswerbung, Berlin 2000; Dirk Reinhardt, Von der Reklame zum Marketing. Geschichte der Wirtschaftswerbung in Deutschland, Berlin 1993; Jörg Meissner (Hg.), Strategien der Werbekunst von 1850–1933, Berlin 2004; vgl. zur Wirtschaftswerbung im Kaiserreich auch die Beiträge in Peter Borscheid und Clemens Wischermann (Hg.), Bilderwelt des Alltags. Werbung in der Konsumgesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts. Festschrift für Hans Jürgen Teuteberg, Stuttgart 1995. Zum Stand der Forschung und ihren Desideraten vgl. Roman Rossfeld, Unternehmensgeschichte als Marketinggeschichte. Zu einer Erweiterung traditioneller Ansätze in der Unternehmensgeschichtsschreibung, in: Christian Kleinschmidt und Florian Triebel (Hg.), Marketing – historische Aspekte der Wettbewerbs- und Absatzpolitik, Essen 2004, S. 17–39. Zu den Periodisierungs- und Konzeptionalisierungsfragen einer Marketinggeschichte als Unternehmensgeschichte vgl. Hartmut Berghoff, Marketing im 20. Jahrhundert. Absatzinstrument – Managementphilosophie – universelle Sozialtechnik, in: ders. (Hg.), Marketing-Geschichte. Die Genese einer modernen Sozialtechnik, Frankfurt/M. 2007, S. 11–58, hier S. 15–36. 129 Es gibt wenige Quellen, die Aussagen über den Anteil von Markenartikeln im Sortiment des Kleinhandels erlauben. Eine findet sich bei Herzberger (1931). Aus diesen nicht repräsentativen Daten auf der Basis von Befragungen von 32 Kolonialwarenhändlern in Gladbach-Rheydt und Umgebung im Jahr 1913 geht hervor, dass im ländlichen Umfeld
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Unterschieden beim Absatz gingen die Unternehmen der Kaffeebranche zunehmend dazu über, ihre Kaffeeprodukte zu bewerben.130 Die Herstellung von Marken spielte in der Bewerbung der Produkte eine zentrale Rolle. Eine Broschüre des Kaiserlichen Gesundheitsamtes zählte 1903 274 Handels- und Aufmachungsmarken für Bohnenkaffee.131 Das Reichspatentamt registrierte von 1894 bis 1913 unter der Rubrik „Kolonialwaren“ 7.229 Warenzeichen. Eintragungen für Bohnenkaffee allein sowie für Bohnenkaffee und Ersatzkaffee stellten im Durchschnitt der Jahre die Mehrheit der Warenzeichen dieser Warenklasse dar. In den ersten Jahren blieb die Zahl der Anmeldungen und Eintragungen aber auf einem niedrigen Niveau und fiel bis auf 174 im Jahr 1902. Danach stiegen die Anträge und Registrierungen aber relativ kontinuierlich auf bis zu 794 im Jahr 1913 (vgl. Grafik 37).132 Für die Untersuchung der Kaffeewerbung im Kaiserreich bieten sich vor allem drei Quellengruppen an: erstens das ab 1895 vom Kaiserlichen Patentamt herausgegebene Warenzeichenblatt. Hier konnten Firmen und Einzelpersonen ihre Logos, Werbebilder und Wortmarkenzeichen als geschützte Markenzeichen eintragen lassen. Eine zweite wichtige Quellengruppe sind Zeitschriften, die Anzeigenteile enthielten. Drittens geben auch Reklamemarken Auskunft über die Werbebilder der Unternehmen. Wegen ihrer guten Überlieferung durch kommerzielle und staatliche Archive eignen sie sich als dritte Quellengruppe zur Analyse von Werbebildern.133
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mehr Markenartikel konsumiert wurden als in der Stadt. Insgesamt waren es auf dem Land 30 Prozent, vgl. ebd. S. 26 f. 1895 befand die Zeitschrift Die Reklame, dass neben den Zigarrengeschäften vor allem in den Kolonialwarenläden die angebotenen Produkte mittels Schaufensterdekoration und bunten Plakaten aktiv beworben werden, vgl. Die Reklame 5 (1895) 4, S. 56. Vgl. Kaiserliches Gesundheitsamt (Hg.), Der Kaffee. Gemeinfassliche Darstellung der Gewinnung, Verwertung und Beurteilung des Kaffees und seiner Ersatzstoffe, Berlin 1903, S. 154–169. Quelle zu Grafik 37: Spiekermann (1999), S. 757 f. Hier findet sich auch eine statistische Auswertung der Anmeldungen und tatsächlich eingetragenen Warenzeichen aller Warenklassen. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des BöhlauVerlages, Tabelle 38. Das heute kaum noch genutzte Format der Reklamemarke lehnte sich in der Gestaltung mit Zackenrand und Gummierung an die Briefmarke an und transportierte über unterschiedliche Bildinhalte Werbung für das betreffende Produkt. Die Marken wurden hauptsächlich als Sammelobjekte verbreitet, oft mit dazu gehörigen Sammelheften. Reklamemarken von Kaffee produzierenden Unternehmen finden sich in der Datenbank des kommerziellen, auf Reklamemarken spezialisierten Veikkos-Achivs, vgl. Veikkos-Archiv (2004). Neben diesem sind im Reklamemarkenarchiv des Instituts für Werbewissenschaft und Marktforschung der Wirtschaftsuniversität Wien weitere 81 Reklamemarken von Kaffee produzierenden Firmen archiviert, vgl. http://www.wuwien.ac.at/werbung/reklamemarken.
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Grafik 37 Eintragungen und Anmeldungen in der Warenklasse Kolonialwaren beim Patentamt 1894–1913
Das Warenzeichenblatt bietet einen Überblick über die visuellen und formulierten Werbestrategien für Bohnenkaffee.134 Ob und wie oft die Unternehmen ihre hier registrierten Warenzeichen einsetzten, lässt sich anhand dieser Quelle leider nicht ermitteln. Ergänzend wurden deshalb fünf überregional erscheinende Zeitschriften mit Anzeigenteilen herangezogen: erstens das vor allem bürgerliche Hausfrauen ansprechende Dies Blatt gehört der Hausfrau und zweitens das humoristischsatirische, sich an eine breite Leserschaft richtende Wochenblatt Die fliegenden Blätter.135 Zudem wurden drei Periodika durchgesehen, die dem konservativ-kolonialistischen Spektrum zuzurechnen sind: das offizielle Sprachrohr des Frauenbunds der deutschen Kolonialgesellschaft Kolonie und Heimat, die ein landwirtschaftlich interessiertes Fachpublikum ansprechende und vom Kolonialwirtschaftlichen Komitee der Deutschen Kolonialgesellschaft herausgegebene Zeitschrift der Tropenpflanzer und Das Kolonialblatt, das offizielle Publikationsorgan des Reichskolonialamtes für Mitteilungen über die Kolonien.136 Für die Verbreitung der Werbebilder benutzten die Unternehmen unterschiedliche Medien wie Zeitschriften, Plakate, Litfaßsäulen, Schaufenster, Verpackungen und
134 Vgl. Warenzeichenblatt 1 (1894) – 21 (1914). 135 Vgl. Dies Blatt gehört der Hausfrau 1 (1886/87) – 29 (1914/15); Fliegende Blätter 54 (1870) – 140 (1914). 136 Vgl. Kolonie und Heimat 5 (1911/12) – 12 (1918/19); Der Tropenpflanzer 2 (1898) – 18 (1914); Deutsches Kolonialblatt 1 (1890) – 25 (1914).
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Zugabenartikel.137 Zuerst von den Massenfilialisten eingesetzt, übernahm auch der Kleinhandel die Praxis der Zugabe als Verkaufsstrategie: „Außer Annoncen, Zirkularen, bedrucktem Einwicklungspapier hat sich neuerdings ein vollständig organisiertes Zug ab ens ystem entwickelt, das die Kolonialwarenhändler eingeführt haben, seitdem die Warenhäuser und Großbazare Kaffee aufgenommen haben. Die Zugaben werden geliefert je nach Qualität, Anzahl der Bons und Preislage: Löffel, Gabel, Messer und andere Haushaltsgegenstände, ja sogar goldene Uhren, welche Artikel von den Röstereien gegen entsprechenden Peisaufschlag mit den einzelnen Sendungen geliefert werden.“138
Insbesondere die beim Kauf von Produkten gratis zu erhaltenden Reklamemarken wurden zu einem gern eingesetzten Werbemittel. Hintergrund bildete das zunehmend populärer werdende Sammeln und Tauschen von Marken als Freizeitbeschäftigung. In Aufmachung und Größe lehnten sich die Reklamemarken an Briefmarken an. Sie zeigten in der Regel nicht die Produkte einer Firma, aber deren Namen und oft das aktuelle Werbemotiv des Unternehmens.139 Neben dem Unterhaltungswert für ihre Kunden hatten die Reklamemarken für die Firmen die Funktion der Kundenbindung. Diese sollte vor allem über den Einfluss der Kinder auf das Kaufverhalten ihrer Eltern hergestellt werden sowie Kinder als zukünftige Kunden ansprechen. „Mit der Massenhaftigkeit der Heuschrecken sind die Reklamemarken plötzlich erschienen, das Sammeln derselben tritt unter den Kindern wie eine Seuche auf, von der merkwürdigerweise auch schon Erwachsene ergriffen zu werden beginnen.“140 Um die Form der Kundenansprache und der Produktdarstellung über die Werbebilder der Kaffeebranche näher zu analysieren, gilt es in einem ersten Schritt zwei Fragen zu den Bildinhalten der Werbung selbst zu beantworten: Was für Motive verwendeten die Firmen? Inwiefern rekurrierten die Werbebilder auf ähnliche Inhalte bzw. wie sehr unterschieden sie sich in ihren Sujets, ihrem Bildaufbau und der grafischen Gestaltung? Angesichts der bisher in der Forschung vertretenen Auffassung, Unternehmen und ihre Werbestrategien hätten vor 1914 vor allem darauf abgezielt, 137 Vgl. Brune-Berns (1995), S. 90–116; Zum Reklameträger Verpackung vgl. Lamberty (2000), S. 114–123. Zum Problem des zunehmenden Zugabenwesen für die Kolonialwarenläden und Ortsfilialisten vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 275, Bl. 155. 138 Jöhlinger (1910), S. 403. Hervorhebung im Original. 139 Vgl. Heinz-Peter Mielke (Hg.), Vom Bilderbuch des kleinen Mannes. Über Sammelmarken, Sammelbilder und Sammelalben, Köln 1982. 140 O. A., in: Daheim 50 (1914) zit. n. Veikkos-Archiv (Hg.), Kaffee-ReklamemarkenKatalog, Eichwalde 2004, o. P. Vgl. zum Sammeln von Kaffeereklamemarken Sabine Knopf, „Nicht für Kinder ist der Türkentrank“. Der Kaffee im Kinderbuch und im Märchen, in: Die Kaffeegesellschaft. Drei Jahrhunderte Kaffeekultur an der Weser. Eine Ausstellung des Porzellanmuseums Fürstenberg und der Sammlung Eduscho, Bremen, 1992,S. 17–28, hier S. 28; Bode (1999), S. 35.
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den Gebrauchswert (Produktkern) der Produkte hervorzuheben,141 gilt es in einem zweiten Schritt, die hinter den Werbebildern stehenden Strategien genauer betrachten. Die im Folgenden entwickelten Beobachtungen und Analysen zu den Motiven der Kaffeewerbebilder beziehen sich auf alle zuvor genannten Provenienzen und Quellengruppen, auch wenn bei den Abbildungen aufgrund der Bildrechte allein auf die Abdrucke der Warenzeichenblätter zurückgegriffen wird.142 Auf die Frage nach dem Gegenstand der Motive in den Werbebildern scheint es – so die Publikationen der letzten dreißig Jahre – eine eindeutige Antwort zu geben, die auch durch einen Blick in die Bildbände über die Plakat- und Annoncenwelt um 1900 bestätigt wird: Kaffee ist, wie die hier aufgeführten Abbildungen belegen, vor allem mit Exotik und Differenz beworben worden. Palmen, Strände und viele weitere Varianten exotischer Flora und Fauna bilden in diesen Reprints den Hintergrund für koloniale Situationen. Hier stehen nicht selten „weiße“, zivilisierte Mitteleuropäer „schwarzen“, zumeist servil blickenden „Eingeborenen“ gegenüber.143 Auf diese Zusammenhänge ist auch für Werbebilder anderer Produkte hingewiesen, das Phänomen unter dem auf Anne McClintock zurückgehenden Begriff des „commodity
141 Vgl. u. a. Hansen und Bode (1999). 142 Die Rechtslage bei Werbebildern ist äußerst schwierig zu ermitteln wenn die Unternehmen nicht mehr existieren, da zugleich abgeklärt werden muss, ob eventuelle Rechte der Künstler am Bild greifen. Leider lassen sich diese künstlerischen Produzenten der Bilder nur in einigen wenigen Ausnahmefällen namentlich überhaupt feststellen. Außer einer Ausnahme haben die weiteren beiden noch existierenden Unternehmen einem Abdruck nur gegen teilweise hohe Gebühren oder nicht zugestimmt. Daher wurden in diesem Kapitel ausschließlich Abbildungen aus den Warenzeichenblättern wiedergegeben, auch wenn sich die Argumentation auf alle genannten Provinienzen und Quellengruppen bezieht. 143 In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Rassenkonstruktionen als Herstellungsmodus sozialer Wirklichkeiten wird „Schwarz“ und „Weiß“ mit Großbuchstaben geschrieben, um so mit der Idee phänotypischer Kategorisierung zu brechen und auf die politischen Identitätskategorien zu verweisen, die mit gesellschaftlichen Positionen von Marginalisierung oder Privilegien verbunden sind, vgl. Ursula Wachendorfer, Weiß-Sein in Deutschland. Zur Unsichtbarkeit einer herrschenden Normalität, Münster 2001, S. 99–100. Um der genannten Problematik zu begegnen, werden im Folgenden die Kategorisierungen „schwarz“ und „weiß“ sowie damit verbundene Zuordnungskriterien wie „wild“ und „zivilisiert“ in Anführungszeichen gesetzt. Ein gutes Beispiel für diese Kategorie von Kaffeewerbemotiven im Kaiserreich zeigt eine Werbung für Emil Tengelmann, vgl. Keith R. Allen, Massai-Mann und Tchibo-Experte. Kaffee-Werbung und der Reiz des Fremden, in: Lummel (2002), S. 60–67, hier S. 64 f. Ein gutes Beispiel für die gängige Interpretation, das vorrangige Motiv der Kaffeewerbung sei Exotik gewesen, ist Michael Scholz-Hänsel, Exotische Welten. Europäische Phantasien. Das exotische Plakat, Stuttgart 1987.
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racism“144 analysiert worden. Die Frage, welche Kommunikationssysteme bzw. welche diskursiven Strategien die Kaffeewerbung im Kaiserreich verwendete, um das Bedürfnis nach Kaffee zu wecken oder zu steigern, beantwortet die Forschung entsprechend bisher generell mit der These von der Exotisierung – die übrigens derjenigen von der Hervorhebung des Gebrauchswertes in der Werbung vor 1914 radikal entgegensteht: Die Kaffee verarbeitende Branche habe, so heißt es, in ihren visuellen Werbestrategien auf ein recht eingeschränktes und standardisiertes Bildrepertoire rekurriert und so zugleich ein weitgehend uniformes Produktimage kreiert. Die Firmen versuchten, das Begehren nach Kaffee durch die Exotisierung des Produkts zu wecken. Dies setzten sie über koloniale Motive und vor allem mittels Gegenüberstellung von „schwarzen“ Produzenten und „weißen“ Konsumenten um. Dementsprechend ist die gängige Interpretation in der Literatur, dass „der Reiz, den Kaffee auf europäische Menschen ausübte und noch immer ausübt, […] in einem nicht geringen Maße von diesem Versprechen der Fremde ab[hängt]“.145 Dieser Feststellung und den daran orientierten Ansätzen zur Interpretation der Bildgegenstände und Strategien der Unternehmen ist jedoch allein für einen Teil der Kaffeewerbebilder zuzustimmen, die auch in den erwähnten Bildbänden reproduziert sind. Das überraschende Ergebnis der Durchsicht der registrierten Warenzeichen, der Zeitschriften und Reklamemarken ist, dass zwischen 1894 und 1914 lediglich einige Kaffeewerbebilder Exotik oder Differenz als Werbestrategie verwendeten. Die Werbemotive zeigen keineswegs mehrheitlich ähnliche Sujets; vielmehr existierte im Kaiserreich ein breites Repertoire an Kaffeewerbemotiven (vgl. Grafik 38 im separaten Bildteil).146 Für eine nähere Analyse dieser Vielfalt werden im Folgenden die Motive typisiert, um Besonderheiten oder gängige Muster in der Wahl der Sujets, dem Bildaufbau sowie den Darstellungsarten untersuchen und unterschiedliche Gruppen von Motiven klassifizieren zu können.147 Hierbei können zunächst abstrakte Bild- und 144 Vgl. Anne McClintock, Imperial Leather. Race, Gender and Sexuality in the Colonial Contest, New York und London 1995, S. 33. David Ciarlo hat diese nicht nur beim Kaffee verwendete Bildsprache in den Werbeanzeigen in seiner Dissertation eingehend analysiert, vgl. ders. (2003a). Zur Entwicklung der rassistischen Bildreklame im Kaiserreich vgl. ebenso Stefanie Wolter, Die Vermarktung des Fremden. Exotismus und die Anfänge des Massenkonsums, Frankfurt/M. und New York 2005, S. 30–81. 145 Allen (2002c), S. 61. Ähnlich argumentiert Gabrielle Obrist, Schwarze Exotik – Weisse Rhetorik. Zur Darstellung des Schwarzen in der europäischen Kaffeewerbung, in: Obrist und Fayet (1995), S. 26–33. 146 Quelle zu Grafik 38: Warenzeichenblätter der entsprechenden Jahre. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, Tabelle 45. 147 Zur Methodik vgl. Peter Burke, Augenzeugenschaft. Bilder als historische Quellen, Berlin 2003; Heike Talkenberger, Von der Illustration zur Interpretation. Das Bild als historische Quelle. Methodische Überlegungen zur historischen Bildkunde, in: Zeitschrift für Historische Forschung 21 (1994) 3, S. 289–313; Rainer Wohlfeil, Metho-
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Wortzeichen von gegenständlichen Motiven, die mittels Grafiken und Karikaturen Personen, Objekte, Flora und Fauna darstellen, klar unterschieden werden. Damit beinhaltet die erste Motivkategorie die Hersteller- und Aufmachungsmarken. Diese verwenden anstelle gegenständlicher Bildinhalte abstrakte Zeichen, Produkt- oder Firmennamen (Motiv A). Die Vielfalt der gegenständlichen Motive wurde nach den folgenden Kriterien kategorisiert: erstens nach den dargestellten Personen und ihrer Herkunft. Unterscheiden lassen sich hier Bilder, die ausschließlich „Schwarze“ zeigen (Motiv G), Personen und Orte, die über ihr Bildrepertoire auf den „Orient“ verweisen (Motiv F), und Bilder, die ausschließlich „Weiße“ zeigen. Das Motiv des „weißen“ Europäers wurde aufgrund seiner relativen Häufigkeit unterteilt. Dies sind zum einen familiäre Motive, anonyme Personen in unterschiedlichen Situationen (Motiv C), zum anderen öffentlich bekannte Personen, also beispielsweise bekannte Adlige und/oder historische Persönlichkeiten, auch in der Wiedergabe der entsprechenden Reiterstandbilder (Motiv E). Da die Sekundärliteratur neben dem Motiv der „Schwarzen“ in der Werbung ihre Gegenüberstellung mit „Weißen“ betont, bildet dieses Bildmotiv eine eigenständige Kategorie (Motiv H). Wenn nicht Personen den zentralen Bildgegenstand darstellen, kann die geografische und botanische Umgebung, hier insbesondere regionale Wahrzeichen sowie Flora und Fauna, als Basis der Zuordnung für eine zweite Gruppe von Motiven verwendet werden. Diese Kategorie unterteilt sich wiederum in europäische Motive (Motiv B) und diejenigen, die exotische Flora und Fauna, maritime Bildinhalte und Weltkugeln zeigen, also außereuropäische Bildwelten zitieren (Motiv D).148 Bei den in den Warenzeichenblättern angemeldeten Werbungen dominieren im Durchschnitt zwischen 1895 und 1914 und auch pro Jahr quantitativ die nicht gegenständlichen Werbemotive. Sie stellen außer im Jahr 1908 mindestens 51 Prozent und bis zu 74 Prozent der angemeldeten Warenzeichen. Am zweithäufigsten und zugleich die am häufigsten verwendeten gegenständlichen Bildinhalte waren familiäre Motive (10,9 Prozent) sowie europäische Flora, Fauna und Architektur (9,9 Prozent). Mit im Durchschnitt 5,9 Prozent an fünfter Stelle der gegenständlichen Motive standen die bekannten europäischen Persönlichkeiten bzw. deren Denkmäler. Damit stellten abstrakte sowie europäische Werbeinhalte knapp 87 Prozent der Kaffeewerbeanzeigen. Die deutschen Schutzgebiete und/oder die Gegenüberdische Reflexionen zur Historischen Bildkunde, in: Brigitte Tolkemitt und Rainer Wohlfeil (Hg.), Historische Bildkunde. Probleme – Wege – Beispiele, Berlin 1991, S. 17–35. 148 Kaffeewerbeanzeigen mit gegenständlichen Motiven finden sich in den Warenzeichenblättern in der Regel nur einmal. Die vereinzelt bei den abstrakten Warenzeichen zu findenden geringfügigen Variationen wurden nur einmal gezählt. Mit geringfügigen Varianten ist zum Beispiel die Anmeldung eines Motivs mit der Bezeichnung „Plantagenkaffee“ und zugleich mit der Bezeichnung „Bohnenkaffee“ gemeint, wobei ansonsten bei beiden Anmeldungen Bildaufbau und Sujets identisch sind.
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stellung europäischer und nichteuropäischer Personen wurden in lediglich 1,3 Prozent der Motive verwendet. „Schwarze” Personen zeigten 3 Prozent der Werbebilder, Verweise auf Kaffee und Orient waren mit 2,8 Prozent vertreten. In der Gruppe der außereuropäischen Bildwelten verwendeten die Werbeanzeigen mit 6,9 Prozent am häufigsten maritime Motive, Globen oder exotische Flora und Fauna. Damit kann festgehalten werden, dass die Unternehmen an erster Stelle ihre Firmennamen und/ oder Produkte mittels abstrakter Wort- und Bildzeichen bewarben. Wo sie ihre Werbung gegenständlich gestalteten, griffen sie zumeist auf europäische Bezüge zurück. Zudem entzieht sich der größte Teil der Werbebilder mit außereuropäischen Motiven wie Globen oder Schiffen jeder konkreten geografischen Zuordnung (vgl. Bilder abgedruckt unter Motiv D). Diese Ergebnisse der Auszählung der Werbemotive in den Warenzeichenblättern stimmen mit denen der anderen Quellen weitgehend überein. In den Zeitschriften finden sich im gesamten Zeitraum allein zwei Kaffeewerbeanzeigen, die mit Exotik (Motiv D) oder Differenz (Motiv H) werben. Abstrakte (Motiv A) und familiäre Motive (Motiv C) waren die zumeist verwendeten Sujets.149 Im Hinblick auf die Motive ist das Ergebnis bei den Reklamemarken ähnlich wie bei den Warenzeichenblättern und den Zeitschriften. Hier sind aber regionale und familiäre Motive (Motiv C und B) deutlich stärker vertreten als abstrakte Wortzeichen und Logos (Motiv A). Neben den Bildinhalten sind die Produktnamen ein wichtiger Gegenstand der Kaffeewerbung. Die Mehrheit der Unternehmen verwendete bei den von 1894 bis 1902 in den Warenzeichen registrierten 274 Produktnamen für Bohnenkaffee ihren eigenen Firmennamen (92) sowie deutsche Regionen, Persönlichkeiten und geläufige Alltagsobjekte (76). Danach folgten Phantasiewörter (34), Sprüche und positiv besetzte Adjektive (33), Berufsbezeichnungen (7) und Himmelskörper (6). Auf den afrikanischen Kontinent verwiesen immerhin zehn, auf Indien und Lateinamerika bezogen sich jeweils zwei Produktnamen.150 Wenn die Produktbezeichnungen außereuropäische Bezüge aufwiesen, dann also mehrheitlich auf den afrikanischen Kontinent. Damit negierte die Kaffeewerbung weitgehend die tatsächliche Herkunft des überwiegend konsumierten und weltweit produzierten Kaffees: Lateinamerika und hier insbesondere Brasilien.151 Die Bilderwelt der Kaffeewerbung und die die Lust auf Kaffee weckenden Kommunikationssysteme waren deutlich vielfältiger, als der uns heute geläufige Kanon suggeriert. Natürlich sagt die Häufigkeit ihres Auftauchens nichts über die Wirkung 149 Allein die Motiv D zuzurechnende Werbeanzeige vom Deutschen-Kolonial-Haus Antelmann taucht in allen drei Periodika regelmäßig auf. 150 Vgl. Kaiserliches Gesundheitsamt (1903), S. 154–168. 151 Kritik an der Praxis der Unternehmen, in ihrer Werbung und in ihren Produktbezeichnungen die wahren Herkunftsorte der Kaffeesorten zu verschleiern findet sich schon im Kaiserreich, vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 269, Bl. 26 f.
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von Bildern auf ihre Betrachter aus. Die Rezeption von Bildern ist durch Historiker kaum zu rekonstruieren.152 Deshalb sollte gerade nicht mit der Vorannahme an die Analyse der Bilder gegangen werden, dass „obwohl die Reklamebilder […] [von] kolonisierten und ‚fremdrassigen’ AfrikanerInnen nur einen kleinen Bruchteil der Konsumbilderwelt des Kaiserreichs ausmachten, […] sie doch die macht- und eindrucksvollsten Bildprogramme dieser Zeit dar[stellten]“.153 Aber die Interpretation der Bildinhalte lässt zumindest Schlüsse auf die Vorstellungswelt zu, die die Produzenten der Bilder vermitteln wollten. Zwar existierte im Kaiserreich keine Werbewirkungsforschung, aber über den Zusammenhang von Werbeversprechen, ‑symbolik und -wirkung wurde durchaus reflektiert.154 Es begann sich eine rege Ratgeberliteratur über Wirtschaftswerbung zu entwickeln.155 Wie intensiv und mit welchen Fragestellungen die Unternehmen tatsächlich über die Wahl ihrer Werbemotive reflektierten, lässt sich pauschal nicht beantworten. 152 Zum Problem der geschichtswissenschaftlichen Interpretation von Wirtschaftswerbung als Quelle vgl. Clemens Wischermann, Einleitung: Der kulturgeschichtliche Ort der Werbung, in: ders. und Borscheid (1995), S. 8–19, hier S. 14. 153 Ciarlo (2003b), S. 136. 154 Vgl. Victor Mataja, Die Reklame. Eine Untersuchung über Ankündigungswesen und Werbetätigkeit im Geschäftsleben, München 1916; Hugo Münsterberg, Psychologie und Wirtschaftsleben. Ein Beitrag zur angewandten Experimental-Psychologie, 2. Aufl., Leipzig 1913; Bernhard Wities, Das Wirkungsprinzip der Reklame. Eine psychologische Studie, in: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik 128 (1906) 2, S. 138–154. Zur Entstehung der Werbewirkungsforschung vgl. Günter Silberer und Gunnar Mau, Anfänge und Geschichte der Werbewirkungsforschung, in: Berghoff (2007), S. 231–256. 155 So zum Beispiel die ab 1890 und 14-tägig erscheinende Zeitschrift Die Reklame. Zeitschrift für kaufmännische Propaganda, die es sich zur Aufgabe machte, die Unternehmen über die Wirkungsweisen von Werbung und über effektive Werbestrategien zu informieren. Dabei orientierte sich die Redaktion stark an amerikanischen Vorbildern, vgl. zum Beispiel Die Reklame 5 (1895) Heft 2. Handbücher in Auswahl: Carl Büsch, Von der Reklame des Kaufmanns, Hamburg 1909; Theodor Hämmerli, Die Kunst, Propaganda für sein Geschäft zu machen!, Bern 1902; Paul Ruben, Die Reklame. Ihre Kunst und Wissenschaft, Berlin 1914. Eine ausführliche Bibliografie zu Handbüchern über Wirtschaftswerbung bei Mataja (1916), S. 479–486. Gerade die kritische und ablehnende Haltung gegenüber „falschen“ Versprechen durch Werbemotive ist Ausdruck einer Sensibilisierung gegenüber den Wirkungsmöglichkeiten sowie der Wirkungsmächtigkeit von Werbung. Für ein zeitgenössisches Beispiel vgl. Werner Sombart, Die Reklame, in: Morgen. Wochenschrift für deutsche Kultur, Nr. 10 vom 6.3.1908, S. 281–286. Zur Kritik der Werbung im Kaiserreich vgl. Kevin Repp, Marketing, Modernity, and “the German People’s Soul”. Advertising and Its Enemies in Late Imperial Germany 1896–1914, in: Pamela E. Swett, Jonathan Wiesen und Jonathan R. Zatlin (Hg.), Selling Modernity. Advertising in Twentieth-Century Germany, Durham 2007, S. 27–51.
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Eine nähere Analyse der verschiedenen Motive offenbart, dass die Unternehmen faktisch differenzierte Strategien anwendeten. So können die Bilder als Strategien entziffert werden, die soziale und räumliche Distanz zwischen den Unternehmen und den Endverbrauchern zu überwinden, ein Qualitäts- und Gebrauchsversprechen zu vermitteln und sich von Mitbewerbern abzugrenzen.156 Die Bilder demonstrieren unabhängig von den gewählten Motiven das schon im Kaiserreich bekannte Wirkungsprinzip von Werbung, „vermittels der Ideenassoziation im Intellekt bestimmte Erwartungen und Ansichten zu erzeugen und dauern zu machen“.157 Die abstrakten Wort- und Bildzeichen setzten dieses Wirkungsprinzip aber mit einem anderen Mittel um als die gegenständlichen Werbemotive. So unterschiedlich die gegenständlichen Bilder sind, so haben sie eines gemeinsam: Die Erscheinungsformen und Abbildungsmodi waren den Rezipienten vertraut. Im Hinblick auf Bildaufbau und dargestellte Inhalte rekurrieren sie auf einen europäischen Bilderkanon und europäische Sehgewohnheiten – und dies unabhängig davon, ob sie nun Vorstellungen von Arbeitsverhältnissen auf den Kaffeeplantagen, geläufige Objekte oder erstrebenswerte Situationen zitieren.158 Die Mehrheit der gegenständlichen Motive arbeitet mit der Strategie, über die Herstellung von Gruppenidentitäten assoziative Verknüpfungen beim Betrachter auszulösen. Sie unterscheiden sich aber dadurch, dass sie je nach Betrachter Identifizierung oder Abgrenzung gegenüber dem Motiv hervorrufen. Die eigene Identität greifen zum Beispiel die Werbebilder auf, die den Kaffee „europäisieren“, als Konsumgut für unterschiedliche Schichten der deutschen Gesellschaft präsentieren und nationale Erinnerungsorte oder regionale Wahrzeichen als Qualitätsversprechen verwenden (vgl. Motive B und E).159 Quantitativ stellt allein diese Gruppe genauso viele Werbebilder wie alle Warenzeichen zusammengenommen, die außereuropäische Bezüge verwenden. Hier wurden Gruppenidentitäten 156 Für die Illustration der folgenden Interpretationen wurden jeweils typische Bilder ausgewählt, das heißt, sie stehen thematisch und in der Wahl ihrer Darstellungsweisen repräsentativ für viele ähnliche Motive. 157 Bernhard Wities, Das Wirkungsprinzip der Reklame. Eine psychologische Studie, in: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik (1906) 2, S. 138–154, hier S. 151. 158 Vgl. Jens Jäger, „Heimat“ in Afrika. Oder: die mediale Aneignung der Kolonien um 1900, in: Zeitenblicke. Onlinejournal für die Geschichtswissenschaft 7 (2008) 2, vgl. http://www.zeitenblicke.de/ 2008/2/jaeger/ (abgerufen am 22.11.2008). 159 Motiv B (5-8) und Motiv E (9-11) von links oben nach rechts unten: Bild 5: Luis Ellinghaus, Düsseldorf (1910); Bild 6: Cornelius Stüssgen, Köln (1905); Bild 7: Niederrheinische Dampf-Rösterei Eduard Hoogen, Dülken (1898); Bild 8: Familie August Feiner, Mainz (1905); Bild 9: Heinrich Frühauf, Altenburg (1909); Bild 10: J. E. H. Schulz, Altona (1902); Bild 11: J. G. Weitz, Stettin (1905). In den Bildangaben zu den Motiven aus den Warenzeichenblättern werden die Anmeldejahre beim Kaiserlichen Patentamt und nicht das Registrierungsjahr angegeben. Die Registrierung erfolgte in der Regel ein Jahr später. Die vollständigen Angaben befinden sich im Abbildungsverzeichnis.
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Bilder 5–11 von links oben nach rechts unten Motive B (5–8) und E (9–11)
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über regionale, nationale oder soziale Bezüge angesprochen. Diese bezogen sich auf deutsche Erinnerungsorte im Sinne des von Pierre Nora entwickelten Konzeptes der „lieux de mémoire“.160 Mittels bekannter fiktionaler und/oder historischer Persönlichkeiten, geografischer Orte, Ereignisse und mythischer Figuren zielte diese Kaffeewerbung offensichtlich darauf ab, die regionale und/oder nationale Identität der Rezipienten anzusprechen. Hier wurden zum einen überregional präsente Sujets wie Arminius und der insbesondere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts äußerst populäre Friedrich I. (Kaiser Barbarossa Caffee) verwendet. Ebenso beliebt waren Erinnerungsorte, die eher nur einem regionalen Rezipientenkreis bekannt gewesen sein dürften, so zum Beispiel das Altenburger Kriegerdenkmal, das an die im Deutsch-Französischen Krieg 1870–71 gefallenen fünf Soldaten aus der Stadt erinnert. Erweitert man diese Kategorie von Motiven um diejenigen, die in ihrem Namen regionale Bezüge herstellen wie zum Beispiel Rheinland Kaffee oder regionale Wahrzeichen einbinden (vgl. Mainzer Dom-Kaffee), so bilden deutsche Erinnerungsorte die zweithäufigste Kategorie nach den abstrakten Logos und Wortzeichen. Kaffee war hier mitnichten ein exotisches Kolonialprodukt, sondern wurde zumindest von den Unternehmern in einen direkten Zusammenhang mit der deutschen und regionalen Identität der Konsumenten gestellt. Den vertraute Gruppenidentitäten aufgreifenden Werbebildern gegenüber standen diejenigen Bilder, die, wie erwähnt, bisher allein wahrgenommen worden sind und die auf die Anbauverhältnisse und die „Andersartigkeit“ der auf den Kaffeeplantagen arbeitenden Bevölkerung (Motiv G) rekurrieren. In ihren Darstellungsmodi und Sujets gleichen sich diese Bilder sehr stark. „Schwarze“ Personen, zumeist nur mit einem Lendenschurz bekleidet, sind in arbeitender Pose inmitten von Kaffeepflanzen dargestellt. Mittels dieser stilisierten Figuren konnte sowohl auf die „fremde“ Herkunft des Produkts als auch auf seine Echtheit und Qualität verwiesen werden (vgl. Bilder Motiv G).161 Doch ähnlich wie mit den Bildern, die vertraute Gruppenidentitäten zitieren, ließen sich durch diese Motive Sinnzusammenhänge produzieren, die sich problemlos an vertraute und vor allem populäre Sehgewohnheiten anschlossen.162
160 Vgl. Pierre Nora, Zwischen Geschichte und Gedächtnis, Frankfurt/M. 1990. Für eine Umsetzung des Ansatzes auf deutsche Erinnerungsorte vgl. Étienne François und Hagen Schulze (Hg.), Deutsche Erinnerungsorte, 3. Bde., München 2000. 161 Motiv G von links oben nach rechts unten: Bild 12: D W. C. Pepke & Co., Berlin (1902); Bild 13: A. Zuntz sel. Witwe, Berlin (1898); Bild 14: Hermann Reichel, Leipzig (1903); Bild 15: Paul Herm. Schneider, Zeitz (1904). 162 Vgl. Nana Badenberg, Usambara-Kaffee und Kamerun-Kakao im Kolonialwarenhandel, in: Alexander Honold und Klaus R. Scherpe (Hg.), Mit Deutschland um die Welt. Eine Kulturgeschichte des Fremden in der Kolonialzeit, Stuttgart und Weimar 2004, S. 94–105, hier S. 94, S. 99–101.
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Bilder 12–15 von links oben nach rechts unten Motiv G
Mit der Ware Kaffee verbanden sich seit seiner Entdeckung in Europa Vorstellungen von Exotik und Differenz. Die geografische und kulturelle Distanz zwischen seinem Anbau in einem Teil der Welt und dem Konsum in einem anderen ließ Raum für unterschiedliche Vorstellungen von Anbauverhältnissen und den auf den Plantagen arbeitenden „Kolonisierten“. In dieser Vorstellungswelt waren Kolonie und Metropole, Anbau und Konsum von Kaffee „systematisch miteinander verwoben“.163 Hier konnten der Kaffee, sein Anbau und/oder sein Konsum je nach Wunsch des Produzenten mit Bedeutungen vom Eigenen und vom Fremden verse163 Sidney Mintz, Zur Beziehung zwischen Ernährung und Macht, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (1994) 1, S. 61–72, hier S. 71.
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hen und instrumentalisiert werden. Die Visualisierungsstrategien zur Herstellung von Identität und Alterität bildeten dabei den Referenzrahmen. So knüpfte die Kaffeewerbung teilweise an die im Kaiserreich weit verbreiteten romantisierenden Beschreibungen des Kaffeeanbaus in Zeitschriften und Jugendromanen an. In deren Erzählungen standen sich Europäer auf der Konsumentenseite und Arbeiterinnen in der Welt des Plantagenanbaus gegenüber. Vor allem die Jugendromane bedienten sich dieser Konfrontation, um Teenagern beiderlei Geschlechts ihre eigenen Rollen als „weiße“ Mitteleuropäer zu verdeutlichen und soziale Identität über Alterität zu vermitteln.164 Das verabsolutierte Fremde diente dabei als Folie für die eigene „andere“ Identität.165 Eine weitere Gruppe von Motiven der Kaffeewerbung kontrastiert Alterität und Identität direkter als die Bilder, die Fremdheit über die Anbauverhältnisse darstellen und bei denen Fremdheit in Relation zu der eigenen Identität nur implizit thematisiert ist. Diese dem Motiv H zugeordneten Bilder rekurrieren expliziert auf die Differenz zwischen Kolonialherren und Kolonisierten, ein zwar wenig, aber konstant verwendetes Motiv.166 Die Werbebilder verknüpften geschickt bestehende Sehgewohnheiten, den aktuellen politischen Kontext und die Anbauversuche von Kaffee in den eigenen deutschen Kolonien (vgl. Bilder Motiv H).167 Allerdings griffen die Werbebilder insgesamt selten und mit der Zeit immer weniger auf die direkte Gegenüberstellung des „zivilisierten“ Europäers mit dem „wilden“ Afrikaner zurück. Stattdessen kreierten die damaligen Illustratoren zunehmend neue, problemlos kommerziell einsetzbare Bilder mittels eines leicht abgewandelten Bilderkanons. Dieser nutzt eine Bildsymbolik, die das Konsumgut Kaffee mit dem 164 Abenteuerlustige europäische männliche Helden zogen in die Welt und machten ihr Glück mit einer Großplantage. Der Spannungsbogen der Geschichten resultiert nicht zuletzt aus dem kolonialen Handlungsort, an dem der europäische Held Konflikte mit seinen Plantagenarbeitern, also der indigenen Bevölkerung, austragen muss. Beispiele für eine solche Darstellung sind Carl Falkenhorst, Der Kaffeepflanzer von Mrogoro. Erzählung aus Ost-Afrika, Leipzig 1895; Walther Matthies, Kaffee und Kakao. Von der Arbeit eines deutschen Pflanzers, Halle a. d. Saale o. J.; Zur Darstellung im Jugendbuch allgemein vgl. Ansgar Häfner, Das Kinder- und Jugendbuch als Träger und Vermittler von Fremdbildern, in: Ina-Maria Greverus, Konrad Köstin und Heinz Schilling (Hg.), Kulturkontakt und Kulturkonflikt. Zur Erfahrung des Fremden, Frankfurt/M. 1987, S. 563–570. 165 Vgl. Frederick Cooper und Ann Laura Stoler, Between Metropole and Colony. Rethinking a Research Agenda, in: dies. (Hg.), Tensions of Empire. Colonial Cultures in a Bourgeois World, Berkeley 1997, S. 1–57. 166 Zur Entwicklung der rassistischen Bildreklame vgl. Ciarlo (2003b), S. 146 f.; Wolter (2004), S. 52 f. 167 Motiv H (obere Reihe) von links nach rechts: Bild 16: Kaffee-Geschäft Gebr. Kayser, Düsseldorf (1905); Bild 17: Geschwister Hitzemann, Altenessen (1899); Bild 18: J. Kaufmann, Hilden (1900).
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typisierten Objekt der „erotischen Fremden“ gleichsetzt und dieses damit zur positiven Aufladung des Produkts nutzt (vgl. Motiv G, Bild unten rechts).168 Hier demonstriert die dargestellte Person nicht allein die Arbeitsabläufe einer Plantage, sondern die weibliche „Fremde“ lächelt den Betrachter an. Sie und das Produkt werden so als begehrenswert dargestellt. Diese Repräsentationen einer bipolaren Ordnung waren um 1900 keine vom kolonialen Wettrennen um die Welt beflügelte Neuerfindung.169 Dies demonstriert ein um 1800 komponiertes und bis weit in das 20. Jahrhundert populäres Kinderlied: „C-A-F-F-E-E Trink nicht soviel Kaffee. Nicht für Kinder ist der Türkentrank. Schwächt die Nerven, macht dich blass und krank. Sei doch kein Muselmann, der ihn nicht lassen kann!“170 Dieser Kanon ist insofern typisch, als der Kaffee als Produkt des alltäglichen Konsums – aber „fremder“ Herkunft – schnell und eindrücklich das Produzieren von Stereotypen und Vorstellungen vom „eigenen“ und „fremden“ Körper ermöglicht.171 Ähnlich den Bildern, die über die europäische Vorstellungswelt von Anbauverhältnissen Alterität herstellten, kontextualisierte ein Teil der Werbemotive Kaffee „als Geschenk des Orients“ und traditionelles Konsumgut im arabischen Raum.172 Kaffeekonsum im „orientalischen Stil“ inszenierten schon im 18. Jahrhundert Portraits des europäischen Adels. Die Vorstellungen der Europäer von der „orientalischen“ Kaffeehauskultur sowie orientalische Symbolik und Architektur fanden so Eingang
168 Ausführlich zu dieser Strategie vgl. Wolter (2004), S. 72–75. 169 Vgl. grundlegend Urs Bitterli, Die „Wilden“ und die „Zivilisierten“. Grundzüge einer Geistes- und Kulturgeschichte der europäisch-überseeischen Begegnung, München 1991, S. 367–410; Beispiele für die Historizität und die Wandelbarkeit dieses Themas bei Nana Badenberg, Mohrenwäschen, Völkerschauen. Der Konsum des Schwarzen um 1900, in: Birgit Tautz (Hg.), Colors 1800/1900/2000. Signs of Ethnic Difference, Amsterdam und New York 2004, S. 163–184; Hartwig Gebhardt, Kollektive Erlebnisse. Zum Anteil der illustrierten Zeitschriften im 19. Jahrhundert an der Erfahrung des Fremden, in: Greverus, Köstin und Schilling (1987), S. 517–544; Peter Martin, Schwarze Teufel, edle Mohren. Afrikaner in Bewußtsein und Geschichte der Deutschen, Hamburg 1993. 170 Zit. n. Knopf (1992), S. 77. 171 Vgl. u. a. Helmut Fritz, Negerköpfe, Mohrenküsse. Der Wilde im Alltag, in: Thomas Theye (Hg.), Wir und die Wilden. Einblicke in eine kannibalische Beziehung, Reinbek bei Hamburg 1985, S. 132–142; Flora Veit-Wild, Gebrochene Körper. Körperwahrnehmungen in der kolonialen und afrikanischen Literatur, in: Kerstin Gernig (Hg.), Fremde Körper – Zur Konstruktion des Anderen in europäischen Diskursen, Berlin 2001, S. 336–355. 172 Vgl. Müller (1929), S. 19.
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in das Bildrepertoire europäischer Kaffeekultur.173 Diesen Bilderkanon greift ein Teil der Kaffeewerbemotive auf (vgl. Bilder Motiv F).174
Bilder 16–21 von links oben nach rechts unten Motiv H (16–18) und F (19–21)
Diese Bilder ordnen sich jedoch nicht nur in tradierte Vorstellungen von Fremdheit ein. Gleichzeitig konnten mittels dieser Bilder Qualität und Authentizität der beworbenen Produkte herausgestellt werden. Der aus dem Hochland Äthiopiens sowie dem südwestlichen Boma-Plateau im Sudan stammende „arabische“ Mocca galt als die qualitativ hochwertigste Kaffeesorte. Bildmotive und Produktnamen, die auf die 173 Vgl. zum Beispiel Kupferstich „La Sultane“ (angeblich Madame Pompadour darstellend) von Jacques Firmin Beauvarlet, um 1755, abgedruckt in: Annerose Menninger, Die Verbreitung von Schokolade, Kaffee, Tee und Tabak in Europa (16.–19. Jahrhundert). Ein Vergleich, in: Berner Zeitschrift für Geschichte 63 (2001) 1, S. 28–37, hier S. 32. Zum europäischen Kaffeehandel mit dem Jemen nach Europa vgl. Menninger (2004), S. 171–174. 174 Motiv F untere Bildreihe von links nach rechts: Bild 19: Theodor Schaaf, Freiburg (1899); Bild 20: Georg Schepeler, Frankfurt/M. (1899); Bild 21: Joh. Brunner Seel. Sohn, Frankfurt/M. (1904).
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Sorte Mocca und ihr traditionelles Anbaugebiet verweisen, evozierten also zugleich Assoziationen mit Qualität. Drittens war Moccakaffee ein auf den europäischen Märkten rares Produkt. Daher stand der Verweis auf die „orientalische Herkunft“ für Exklusivität und ermöglichte einen höheren Preisaufschlag im Verkauf. Wie die zeitgenössische Literatur immer wieder betonte, stammte aber die Mehrheit des unter dem Namen Moccakaffee verkauften Kaffees nicht aus den arabischen Anbaugebieten. Die Bilder des Motivs F demonstrieren drei unterschiedliche Möglichkeiten, das eigene Produkt in den Zusammenhang mit „Orient“ zu stellen. Alle drei Motive kommen dabei ohne das explizite Versprechen aus, „Mocca“-Kaffee zu verkaufen. Die Werbung ganz links verheißt allein einen „gebrannte[n] Pyramiden-Kaffee – garantiert reinschmeckend“. Der Text zur Anmeldung beim Patentamt darunter besagt zudem, dass damit der „Vertrieb von Kaffee irgendwelcher Art“ gemeint ist. Das rechte Bild verzichtet auf jegliche Produktbeschreibungen und setzt allein auf eine Assoziationskette der Rezipienten. Der Text verspricht „Arabia-Kaffee – Feinstes Aroma – köstlicher Geschmack“. Hier ergänzen sich ein geschicktes Wortspiel und ein eindeutiges Motiv: Arabica war die gängigste, weltweit angebaute Kaffeesorte und dem Konsumenten wohlvertraut. Doch die Umwandlung in Arabia-Kaffee im Zusammenhang mit der Abbildung verortete das Produkt als „arabischen“ Kaffee und in einer „orientalischen“ Konsumtradition. Bei den europäischen wie bei den außereuropäischen Bezügen auf Gruppenidentitäten griffen die Unternehmen auf die Verwendung von Bildern mit bestimmten Klischees, Erinnerungsorten oder erstrebenswerten Situationen zurück. Damit ist all diesen Motiven auch im Hinblick auf die Werbestrategien eines gemeinsam: Über Repräsentationen von Gruppenidentitäten entstehen assoziative Verknüpfungen, welche darauf abzielen dürften, ein Qualitätsversprechen herzustellen. Die Motive von Anbaubedingungen und der direkten Konfrontation waren aber, was oft übersehen wird, ebenso vertraut wie die regionalen oder nationalen Sujets. Um eine angenommene assoziative Verknüpfung beim Konsumenten auszulösen, rekurrierten sie auf seit vielen Jahrzehnten, teilweise seit Jahrhunderten etablierte Sehgewohnheiten. Damit vermittelte diese Kaffeewerbung eine Vertrautheit des Exotischen. Zugleich konnten die Werbebilder aber auch wie die Darstellungen von Plantagenarbeitern oder von „Kaffee und Orient“ die Authentizität der beworbenen Kaffeeprodukte unterstreichen. Nicht deutscher Ersatzkaffee, sondern echter Bohnenkaffee wurde hier „produziert“. Die Werbemotive B, C und E mit ihrer Verwendung vertrauter regionaler und nationaler Gruppenidentitäten unterstrichen zwar einerseits auch sehr deutlich den Gebrauchswert und die Qualität der angebotenen Produkte. „Feinster gebrannter“ wie in der Werbung für die Marke Altenburger Kriegerdenkmal ist eine dafür typische Formulierung. Doch andererseits spielt eine Reihe von Kaffeewerbemotiven auf den Zusammenhang von Kaffeekonsum als Distinktionsobjekt an. Diese
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stellen typische bürgerliche Konsumsituationen dar (vgl. Motiv C drittes Bild von links).175 Distinguierter Konsum an einer gedeckten Kaffeetafel steht hier für bürgerlichen Status. Gleichzeitig konzentrierte sich eine Reihe von Unternehmen auf andere, nichtbürgerliche Konsumentenkreise. Der mit aufgekrempelten Ärmeln das Schild „Marke Industrie“ hochhaltende Arbeiter (Motiv C viertes Bild von links) steht beispielhaft für die soziale Differenzierung der familiären Kaffeewerbemotive. Mit den rauchenden Schloten werden die Konsumsituation der Arbeiter und Arbeiterinnen sowie der industrialisierte Arbeitsalltag aufgegriffen. Auch hier sind Status und soziale Anerkennung Werbegegenstand und -strategie, um eine bestimmte Schicht von Kaffeekonsumenten anzusprechen. Die Gruppenidentität zielt hier auf die Arbeitswelt des intendierten Adressatenkreises ab.
Bilder 22–28 von links oben nach rechts unten Motiv C (22–25) und Motiv D (26–28)
Ebenso, wenn auch indirekt, sprachen auch die fremde Gruppenidentitäten zitierenden Bilder die deutschen Konsumenten als „Statusgruppe“ an. Hier bildeten „Wir“, verstanden als „Kolonialherren“ und Konsumenten, versus die „Anderen“, verstanden als die kolonisierte indigene Bevölkerung oder die Plantagenarbeiter, die Gegenpole. Diese implizite (oder bei Motiv H explizite) Gegenüberstellung negierte die soziale Realität der Adressaten der Werbung. Kaffeetrinker waren hier Angehörige der homogenen Gruppe „zivilisierter“ Europäer und nicht einer spezifischen Klasse. Luxus 175 Motiv C obere Bildreihe von links nach rechts: Bild 22: Hamburger Kaffee-Import-Rösterei E. C. Fritz Meyer, Hamburg (1911); Bild 23: M. Schuster, Bonn (1899); Bild 24: Hermann Hanessen, Essen (1898); Bild 25: Gebr. Mitzmahl, Düsseldorf (1899).
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und Exklusivität des Produkts herauszustellen, war, auch wenn Bohnenkaffee immer noch ein teures Lebensmittel war, als Werbestrategie nicht populär und wurde von kaum einer Firma umgesetzt. Dass erst in den 1920er Jahren „die symbolischen Qualitäten der Produkte hervorgehoben [wurden], indem z. B. die Produkte und ihr Konsum mit Status, Gesundheit und sozialer Anerkennung verbunden wurden“,176 lässt sich für die Kaffeewerbung im Kaiserreich nicht so eindeutig bestätigen. Ab 1900 setzten die Unternehmen neben der Demonstration des Gebrauchs- und Qualitätswerts des Produkts auch auf konsumentenbezogene Werbekonzepte und warben mit einem „psycho-sozialen Zusatznutzen“.177 Die bisher noch nicht vorgestellte gegenständliche Motivkategorie D sprach hingegen keine Gruppenidentität an, sondern verwendet ein breites Arsenal an Objekten. Es sind vor allem Bilder von außereuropäischer Flora und Fauna, die die geografische Distanz zwischen der Welt der tropischen Plantagen und der des Konsums veranschaulichen. So ließ sich auf die ferne und exotische Herkunft des Rohstoffs verweisen und gleichzeitig mit der Sehnsucht der Rezipienten nach fremden exotischen Welten spielen. Die Werbemotive zitieren vor allem die Überwindungstechniken geografischer Distanzen durch die Abbildung von Schiffen und von Transportsituationen, die nötig waren, um Kaffee über die Weltmeere oder rund um den Globus zu verfrachten (vgl. Motiv D, Bild links).178 Damit unterstrichen die Unternehmen zugleich ihre kaufmännische Fähigkeit und die Authentizität ihrer Produkte. Hier wurde „echter Bohnenkaffee“ für den deutschen Konsumenten „herbeigeschafft“. Wählten die Unternehmen hingegen außereuropäische Tiere wie Großkatzen, so stehen diese nicht nur für die geografische Ferne der Länder, aus denen das Produkt stammt. Die dargestellten Tiere verdeutlichen auch eine weitere Strategie der Unternehmen, denn sie alle werden im positiven Sinne mit Kraft und Schnelligkeit assoziiert: Attribute, die man ebenso der Wirkung des Kaffeekonsums auf den Körper zuschrieb. Die spezifischen Tiermotive standen somit auch für ein Qualitätsversprechen des hier käuflich zu erwerbenden Produkts. Diese Werbebotschaft konnte aber ebenso ein „europäisches“ Tier vermitteln (vgl. Motiv B, oberste Bildreihe, drittes Bild von links „Adler-Kaffee“). Etwas haben alle gegenständlichen Motive gemeinsam: Sie sind lediglich eingeschränkt flexibel und wandelbar.179 Bekannte Sinnzusammenhänge sind nur inner176 Hansen und Bode (1999), S. 35. 177 Berghoff (2004), S. 330. 178 Motiv D untere Bildreihe von links nach rechts: Bild 26: Amerikanisches Kaffee-Lagerhaus, Berlin (1904); Bild 27: Josef Perlings, Kaffee-Import und Großrösterei, Reuß am Rhein (1905); Bild 28: J. Wolff & Co., Ludwigshafen a. Rh. (1903). 179 Damit soll nicht eine künstliche Permanenz unterstellt oder die Wandelbarkeit der Motive negiert werden. Gerade imperiale Bezüge auf die deutschen Schutzgebiete stellten etwa ab Beginn der 1890er Jahre ein neues Motiv der Wirtschaftswerbung dar, das aber trotzdem innerhalb des Bildkanons der Repräsentationen von Identität und Alterität
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halb eines bestimmten ikonografischen Kanons als solche sichtbar. So lassen sich das eigene Unternehmen und die eigenen Produkte von anderen Unternehmen und deren Produkten allein über kleine Nuancierungen der Motive innerhalb des Kanons abgrenzen. Auch Variationen von Motiven sind erst innerhalb dieses Kanons wahrnehmbar. Um die ensprechenden Unterschiede wahrnehmbar werden zu lassen, ist also in der Regel ein umfassendes Bildrepertoire notwendig mit verschiedenen Objekten sowie Darstellungsmodi, die die Assoziationen des Rezipienten bei der Bildbetrachtung in die gewünschte Richtung lenken sollen. Wie alle Bilder des Motivs G sehr gut demonstrieren, ist hier das Bildrepertoire nur in Nuancen wandelbar. Ein eindeutiger Wiedererkennungseffekt mittels der Zuordnung eines bestimmten Bildes zu einer bestimmten Firma und ihrem Produkt wird lediglich über Details hergestellt, deren gleichbleibende Gestalt damit von zentraler Bedeutung ist. Von diesen Prinzipien der gegenständlichen Darstellungen war die Mehrheit der Kaffeewerbung unabhängig. Zumeist bilden Firmennamen, Logos und/oder Abbildungen der spezifischen Firmenprodukte in ihren jeweiligen Verpackungen den Gegenstand der Werbung (vgl. Motiv A).180 Damit steht die Identifizierung der Ware(n) mit dem Unternehmen im Zentrum der Botschaft. Die „exotische“ Herkunft der Kaffeebohne thematisieren diese Werbebilder ebenso wenig wie die Verbindung Kaffee = (deutscher) „Kolonialartikel“ oder regionales Konsumgut. Produktqualität und Gebrauchswert sowie die soziale Identität lassen sich mit diesen Mitteln nicht herausstellen oder ansprechen. Dafür bietet die Verwendung von abstrakten Zeichen einen anderen Vorteil: die Möglichkeit, als singulär wahrgenommen zu werden und so ein spezifisches Warenimage aufzubauen. Die Verbindung zwischen Konsument und Unternehmen bzw. Produkt verläuft hier also nicht über den Rückgriff auf allgemeine und bekannte Sinnzusammenhänge, sondern über die Stiftung einer klaren und wiedererkennbare Handelsmarke. Dabei griff die Kaffeewerbung nicht allein am häufigsten auf abstrakte Logos zurück, sondern deren Gestaltung veränderte sich im Lauf der Zeit stark. Schriften und Motive wurden reduziert, zunehmend stilisiert und grafisch signifikanter gestaltet. Während auch hier in den 1890er Jahren noch mehrere Sujets innerhalb eines Werbebildes Verwendung fanden, reduzierten sich zuerst Textmenge und die Anzahl der dargestellten Inhalte pro Motiv. Ab 1900 konzentverblieb. Ciarlo stellt auf der Quellengrundlage der Warenzeichenblätter und auf der Basis der Auswertung von Werbemotiven, die ausschließlich „schwarze“ Afrikaner darstellen, eine Entwicklung vom „gemäßigten Exotismus“ in den 1890er Jahren hin zu Motiven der direkten Auseinandersetzung mit Kolonialismus, ab 1905 dann eine Rassifizierung der dargestellten „Eingeborenen“ fest, vgl. Ciarlo (2003b), S. 140–142. 180 Motiv A von links: Bild 29: Deutsche Kaffee-Import-Compagnie, Hamburg (1898); Bild 30: Gebrüder Jürgens, Braunschweig (1902); Bild 31: Carl Walter, Breslau (1905). Diese Entwicklung lässt sich gut anhand des Logos der Herstellermarke von Kaiser’s Kaffeegeschäft zwischen den Jahren 1885 bis 1914 nachvollziehen. Ein Abdruck der Logos findet sich in: Kaiser‘s Kaffee-Geschäft (1980), o. P.
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rierte sich die Werbung dann zunehmend auf ein Motiv. Diese Reduktion ging einher mit dem Einsatz von kontrastreichen Farben und mittels markanter Linien klar abgegrenzten Flächen. Die zumeist im Mittelpunkt des Bildes angeordneten einprägsamen Firmenlogos ergänzten effektvoll die in die grafische Gestaltung integrierten Produkt- oder Firmennamen.181
Bilder 29–31 Motiv A
Das Werbemotiv für Spar-Kaffee (Motiv A Bild oben links) zeigt eine typische detailreich mit Text, Formen und unterschiedlichen Flächen gestaltete Röstkaffeeverpackung der 1890er Jahre. Auch das 1903 angemeldete Warenzeichen Konkurrenz Kaffee (Motiv A Bild oben zweites von links) präsentiert die Front einer Verpackung, diese ist aber im Hinblick auf Flächengestaltung und Schrift deutlich reduzierter. Das 1905 angemeldete Warenzeichen für Saturn-Kaffee (Motiv A Bild oben drittes von links) ist hingegen schon auf den Produktnamen fokussiert. Alle weiteren grafischen und textlichen Elemente gruppieren sich um ihn. Mit diesen gestalterischen Techniken grenzte sich das Firmenmotiv eindeutig von denen der Mitbewerber ab. Bei der Verwendung auf Röstkaffeeverpackungen und Tüten, in Annoncen und auf Plakaten waren die wichtigsten Elemente der Werbebotschaft, die Firma und das Produkt, auch von weitem klar erkenn- und von anderen unterscheidbar. Neben der Vermittlungsfunktion bei der Überwindung der zunehmenden räumlichen und sozialen Entfernung von Produzent und Konsument erfüllten die abstrakten Handelsund Aufmachungsmarken gleichzeitig eine Differenzierungsfunktion gegenüber Mitbewerbern. Allen Kaffeewerbebildern waren drei Funktionen gemeinsam: Die äußere Uniformierung des Firmen- und Produktimages und oft unterstützender Text vermittelten dem Endverbraucher eine – natürlich hochwertige – (standardisierte) Identität der 181 Zur Entwicklung der Werbesprachen vom Text zum Bild und der damit verbundenen drucktechnischen Innovation vgl. Peter Borscheid, Am Anfang war das Wort. Die Wirtschaftswerbung beginnt mit der Zeitungsannonce, in: ders. und Wischermann (1995), S. 20–44, hier 24–35; ders. (2009), S. 83; Reinhardt (1993), S. 169–195, S. 202–220; Gert Selle, Design-Geschichte in Deutschland, Produktkultur als Entwurf und Erfahrung, Köln 1987, S. 51–138, hier insbesondere S. 112 f.
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Produkte selbst. So versuchten die Unternehmen, ein Qualitätsversprechen auszudrücken und zugleich den Gebrauchswert ihrer Produkte zu betonen. Der Verweis auf die gleichbleibende Qualität sowie den Gebrauchswert des Produkts über uniforme Verpackungen, Firmenlogos oder Wortzeichen sowie festgesetzte Preise war der wichtigste, aber nicht der einzige Gegenstand der Kaffeewerbung. Darüber hinaus betteten einige Unternehmen ihre Rohkaffeemischungen und Röstkaffeesorten mittels der Werbung in Sinnzusammenhänge ein und versahen so ihre Waren mit Bedeutungen und Zusatzeigenschaften, die sie den Konsumenten besonders begehrenswert erscheinen lassen sollten.182 Bei der Art und Weise, wie Produkte in Sinnzusammenhänge eingebettet wurden, ist vor allem zwischen abstrakten und gegenständlichen Motiven zu unterscheiden. Bildete bei den einen das Produkt und/oder der Firmenname das zentrale Mittel, um ein Warenimage aufzubauen, so wählten die Unternehmen in ihren gegenständlichen Bildern Sinnzusammenhänge, die vor allem Gruppenidentitäten thematisierten. Hier konnte die Identität der Rezipienten zwar direkt angesprochen werden, eine Abgrenzung von anderen Firmen und ihren Werbebildern, die die gleiche Gruppenidentität ansprachen, war aber nur schwer herzustellen. Der Vorteil der abstrakten Werbebilder wird besonders deutlich, wenn man sich die gleichzeitigen generellen Veränderungen in der Ansprache der Käufer durch Werbung vergegenwärtigt. Hatte vorher das Unternehmen nicht durch, sondern an den Händler verkauft, so war es ihm durch die Werbung nun möglich, den Endkunden direkt anzusprechen. Die Nachfrage nach dem Produkt wurde nicht nur über die Empfehlung des Kleinhändlers, sondern direkt seitens des Unternehmens über seine Werbung angekurbelt.183 Diese dritte Funktion der Werbung ist aber lediglich dann im Sinne der Produzenten einsetzbar, wenn ein abstraktes und zugleich ubiquitäres Warenimage aufgebaut wird, also die Einzigartigkeit gegenüber Mitbewerbern erkennbar ist – letztlich das zentrale Prinzip der Marke. Über die mit der Marke trans182 Vgl. Stefan Haas, Sinndiskurse in der Konsumkultur. Die Geschichte der Wirtschaftswerbung von der ständischen zur Postmodernen Gesellschaft, in: Michael Prinz (Hg.), Der lange Weg in den Überfluß. Anfänge und Entwicklung der Konsumgesellschaft seit der Vormoderne, Paderborn u. a. 2003, S. 291–314, hier S. 295 f. 183 Zu den weiteren Vorteilen von Markenartikeln für die Unternehmen und die Konsumenten vgl. Berghoff (2004), S. 316–319; Mark Casson, Brands. Economic Ideology and Consumer Society, in: Geoffrey Jones und Nicholas J. Morgan (Hg.), Adding Value. Brands and Marketing in Food and Drink, London 1994, S. 41–59; Angelika Epple, Wer nicht fühlen kann, muss sehen. Bildreklame zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in: Gerhard Paul (Hg.), Das Jahrhundert der Bilder 1900 bis 1949, Göttingen 2009, S. 84–91; Rainer Gries, Produkte & Politik. Zur Kultur- und Politikgeschichte der Produktkommunikation, Wien 2006, S. 28 f.; Hansen und Bode (1999), S. 49–53; König (2008), S. 84 f.; Mira Wilkens, When and Why Brand Names in Food and Drink, in: Jones und Morgan (1994), S. 15–40.
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portierten Versprechen ließ sich zudem ein Vertrauensverhältnis aufbauen: Einerseits gingen die Unternehmen durch das Kenntlichmachen ihrer Produkte bzw. durch deren Identifikation mit ihnen das Risiko ein, bei Qualitätsmängeln einen Reputationsverlust zu erleiden und Kunden an andere Anbieter zu verlieren. Dies erhöhte für sie die Notwendigkeit, Qualitätsstandards einzuhalten und über die Marken die Käufer nicht nur anzusprechen, sondern eine langfristige Kundenbindung herzustellen. Andererseits bot sich für die Unternehmen damit also die Möglichkeit, Vertrauen in sich und ihre Produkte zu generieren.184 Ein unternehmenshistorisches Beispiel für die Verwendung von abstrakten Herstellermarken ist das schon im letzten Kapitel besprochene Unternehmen Kaiser’s. Hier ersetzte die mittels des Symbols der lachenden Kaffeekanne uniform beworbene Produktpalette das Vertrauensverhältnis zwischen Händler und Kunden, wie es im Kleinhandel geherrscht hatte. Das Deutsche-Kolonial-Haus Bruno Antelmann wählte eine andere Strategie. Es stellte die Exotik kolonialisierter Völker und Produkte aus den deutschen Schutzgebieten in den Mittelpunkt seiner Werbung (vgl. Bild 32).185 Mit seinen Niederlassungen in Berlin und sechs weiteren Großstädten sowie Verkaufsstellen in über 400 weiteren Städten entwickelte sich das Unternehmen bis 1914 zum größten deutschen Kolonialhandelshaus.186 Die 1903 errichtete repräsentative Hauptfiliale lag nahe dem Potsdamer Platz in Berlin und bot dem Konsumenten schon durch die mit Statuen von afrikanischen Kriegern und berittenen Elefanten geschmückte Vorderfassade einen ersten Eindruck vom Schwerpunkt des Sortiments.187 Neben Verkaufs- und Lagerräumen befand sich hier auch die „Propaganda-Abteilung“, die die Werbung für das ganze Vertriebsgebiet koordinierte. Damit war die Vertriebs- und Verkaufsstrategie des Kolonialhauses die eines Massenfilialisten mit einer zentralisierten Verwaltung und dem Verkauf über Filialen und Niederlassungen. Der entscheidende Unterschied zu anderen Massenfilialisten bestand in dem mit umfassenden Marketingstrategien vorangetriebenen Vertrieb von Waren aus den deutschen Kolonien. „Usambara Kaffee“ aus Deutsch-Ostafrika, „Kamerun-Kakao“ und „Deutsches Erdnuss-Tafelöl“ präsentierte das Kolonialhaus neben zu bewundernden und käuflich zu erwerbenden ausgestopften Tieren und weiteren Souvenirs „kolonialer“ 184 Vgl. Berghoff (2004), S. 316. 185 Vgl. hierzu und zum Folgenden Badenberg (2004a), S. 98 f. Deutsches Kolonialhaus, Mittheilungen des Deutschen Kolonialhauses (Bruno Antelmann) über den Stand der Kaffeeplantagen in Ostafrika, in: Deutsches Kolonialblatt 11 (1900) 5, S. 223; Joachim Zeller, Das Deutsche Kolonialhaus in der Lützowstraße, in: ders. und Ulrich van der Heyden (Hg.), Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche, Berlin 2002, S. 81–83. 186 Vgl. Das Deutsche Kolonialhaus in Berlin, in: Der Tropenpflanzer 5 (1901) 3, S. 140 f. 187 Eine Fotografie der Hauptfiliale ist abgedruckt in Zeller (2002), S. 85.
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Provenienz. In seinen Verkaufsräumen schuf es eine koloniale Phantasien befriedigende Warenwelt. Hier stellten zudem die im Unternehmen „beschäftigten’ afrikanischen Angestellten eine werbewirksame Attraktion dar.188
Bilder 32 und 33 Werbeanzeige des Deutschen-Kolonial-Hauses Antelmann in Berlin (links), Verkaufsraum mit Werbung für Kaffee aus Usambara, Deutsch-Ostafrika (rechts)
Das Kolonialhaus versprach in seinen Werbeanzeigen, Waren aus den deutschen Kolonien zu verkaufen. Deren „Echtheit“ garantierte das Unternehmen laut den Werbeanzeigen durch eine Kontrolle des Komitees zur Einführung der Erzeugnisse aus den deutschen Kolonien189 der Deutschen Kolonialgesellschaft (DKG). Es sah seine Aufgabe darin, „die Erzeugnisse der deutschen Schutzgebiete unter zuverlässiger Kontrolle ihrer Echtheit dem deutschen Publikum nahe zu bringen und auf diese Weise nach und nach von dem Import fremder Kolonialerzeugnisse immer mehr unabhängig zu machen“.190 Doch dies entsprach in zweierlei Hinsicht nicht 188 Zu den afrikanischen Angestellten des Kolonial-Hauses vgl. Zeller (2002), S. 88–91. 189 Zum Komitee vgl. BArch, Bestand R 8023, Signatur 593. Zur Arbeit des Komitees vgl. Kolonialwirtschaftliches Komitee, Denkschrift „Die Arbeit des KolonialWirtschaftlichen Komitees 1896 bis 1911“, in: ebd., Signatur 595, Bl. 197–203; Deutsches Koloniallexikon, Bd II, Leipzig 1920, S. 346 f.; Otto Warburg, Die Ziele und Wege des Comités zur Einführung der Erzeugnisse aus den Deutschen Kolonien, in: Deutsche Kolonialzeitung 9 (1896) 43, S. 343; ebd., 9 (1896) 44, S. 353; ebd., 9 (1896) 45, S. 363–363. 190 Komitee zur Einführung der Erzeugnisse aus den deutschen Kolonien, Das neue Deutsche Kolonialhaus in Berlin, in: Deutsche Kolonialzeitung 20 (1903), S. 503–505, hier S. 503.
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der Realität: Zwar hatte es 1896 Kooperationsverhandlungen zwischen dem Kolonialhaus und der DKG gegeben – Antelmann hatte eine Unternehmensbeteiligung der DKG vorgeschlagen –, doch hatte die DKG dies abgelehnt.191 Spätere Anfragen des Kolonialhauses, aber auch anderer Unternehmen an das Komitee zeigen, dass auch eine Kontrolle durch das Komitee zur Einführung der Erzeugnisse aus den deutschen Kolonien nicht stattfand. Zudem bestand keinerlei Kooperationen zwischen der DKG und dem Kolonialhaus.192 Nach Protesten anderer Unternehmen musste das Kolonialhaus den bisher verwendeten „Werbeslogan“ aus seinen Anzeigen streichen und verwendete stattdessen „unter Aufsicht hervorragender Mitglieder der Deutschen Kolonial-Gesellschaft“ (vgl. Bild 32). Ebenso warb das Kolonialhaus mit dem Hinweis „Usambara-Kaffee“. Aber auch hier zeigen Beschwerden anderer Kaffeehändler, dass die Verkaufszahlen des Kolonialhauses im Verhältnis zum zur Verfügung stehenden Usambarakaffee unrealistisch waren.193 Nur eine kleine Minderheit von unter einem Prozent des Bohnenkaffeeimports stammte aus den deutschen Kolonien und hier aus Deutsch-Ostafrika.194 Es wurde schlicht zu wenig Kaffee in den deutschen Schutzgebieten angebaut und nach Deutschland exportiert, als dass das Kolonialhaus Antelmann daraus seine Nachfrage hätte decken können. Um diese wenigen Importe konkurrierten zudem verschiedene Unternehmen. Das Kolonialhaus verwendete wahrscheinlich ebenso wie alle Kaffee verarbeitenden Unternehmen Mischungen verschiedener Provenienzen. Interessant ist dieser Konflikt vor allem, weil er den unternehmerischen Erfolg des Kolonialhauses auf der Basis einer Marketingstrategie demonstriert: Die Werbestrategie, (angeblich) nur Konsumgüter, die aus Rohstoffen mit deutscher kolonialer Herkunft produziert worden waren, zu verkaufen, und die Inszenierung einer kolonialen Warenwelt (vgl. Bild 33) begründeten den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens.195 Allerdings stellten die im Kaiserreich von der Kaffeebranche entwickelten Hersteller- und Aufmachungsmarken erst erste, zögerliche Schritte auf dem Weg zum heutigen Kaffeemarkenartikel dar. Andere Branchen, unter anderen die Kaffeeersatzindustrie, waren im Kaiserreich die Pioniere der Entwicklung der Wirtschaftswerbung hin zum Markenartikel. Sowohl Aufmachungs- als auch Handelsmarken
191 Vgl. BArch, Bestand R 8023, Signatur 593, Bl. 12. 192 Vgl. ebd., Bl. 110 v., Bl. 111. 193 Vgl. BArch, Bestand R 1001, Signatur 8001, Bl. 23, Bl. 29; BArch, Bestand R 8023, Signatur 593, Bl. 133–142, Bl. 166–172. 194 Vgl. Kapitel 7.2. 195 Ein weiteres Beispiel für ein Unternehmen, das seinen Schwerpunkt auch auf den Vertrieb von Kolonialartikeln legte, aber diese vor allem mittels des Versandhandels verkaufte, war das Kolonialhaus Karl Eisengräber in Halle, vgl. Das Kolonialhaus Karl Eisengräber, Halle a. S. – Leipzig, in: Der Tropenpflanzer 5 (1901) 6, S. 235 f.
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erfüllten noch nicht alle Merkmale eines heutigen Markenartikels.196 Im zeitgenössischen Sprachgebrauch bezeichnete man Erzeugnisse aber als Markenartikel, wenn sie „nicht anonym, sondern unter einem bestimmten Namen auf den Markt gebracht wurden“.197 Heute kennzeichnen sich Markenartikel durch einen standardisierten Markennamen, ein gleichbleibendes Markenzeichen, ein uniformes Logo, einen einheitlichen Slogan, einen gleichen Preis bei vergleichbaren Vertriebsstellen, gleichbleibende Qualität und Ubiquität (die Marke ist vertriebsstellenübergreifend überall erhältlich), gekoppelt an einen hohen Bekanntheitsgrad. Allein Kaffee HAG führte seinen entkoffeinierten Bohnenkaffee von Beginn an als Markenartikel ein. Andere Markenartikel wurden zwar eingeführt (zum Beispiel Idee Kaffee von Darboven 1915), begannen aber erst in den 1920er Jahren den Markt zu erobern.198 Kein einziger anderer Bohnenkaffeemarkenartikel im heutigen Sinne war im Kaiserreich auf dem Markt. Doch wird oft übersehen, dass das Prinzip der Handelsmarke, wie es Kaiser’s Kaffeegeschäft praktizierte, auch für die Vertriebs- und Marketingstrategien von Unternehmen bis in die Gegenwart richtungweisend war. Für Kaffeeprodukte wendet es heute zum Beispiel die Tchibo GmbH an, für Lebensmittel Konzerne wie Aldi, für Kleidung Unternehmen wie C&A und für Möbel sowie Dekorationsobjekte zum Beispiel das Einrichtungshaus Ikea. Wenn sie auch nicht konsequent genug agierte, um Markenartikel zu schaffen, griff die Kaffee verarbeitende Branche doch intensiv auf Werbemaßnahmen zurück. Die Masse der visuellen Werbemaßnahmen entsprach dem allgemeinen Trend hin zu abstrakten Produkt- und Herstellermarken. Nur ein kleiner Teil der Reklame war bebildert. Ganz im Kontrast zu der heute verbreiteten Vorstellung, im Kaiserreich habe sich die Kaffeewerbung vor allem der Motivik von Exotik und Differenz bedient, um das Produkt zu charakterisieren, rekurrierte die Branche in ihren Werbestrategien vielmehr auf ein breites Bildrepertoire. Auf diese Weise wurden ganz unterschiedliche Konsumentengruppen und -präferenzen angesprochen. Die räumliche und kulturelle Distanz zwischen den Anbau- und den Konsumorten sowie tradierte Sehgewohnheiten ließen einerseits Raum für die Verwendung von dem Kaffee als Kolonialprodukt inhärenten Vorstellungen und Abbildungen von Identität und Alterität. Sie sind ein in Bildern, Publizistik und Rhetorik manifestierter Ausdruck eines Bewusstseins um die globalen Zusammenhänge von Anbau und Konsum. Als solche stehen sie aber für einen kulturellen Differenzierungsprozess, abgestimmt auf einen regionalen und in Ausnahmen 196 Zu den ökonomischen Merkmalen von Markenartikeln vgl. Erwin Dichtl und Hermann Diller, Markenartikel, in: HdWW, Bd. 5, Stuttgart u. a. 1980, S. 99–104. 197 Herzberger (1931), S. 4. Vgl. auch Findeisen (1924), S. 32. Erst Mitte der 1990er Jahre wurde im Zuge der Markenrechtsreform in Deutschland der Begriff des Warenzeichens durch den der Marke ersetzt. 198 Eine Ausnahme bildeten die Ersatzkaffees, wie der 1892 auf den Markt gebrachte Kathreiner’s Malzkaffee oder Franck Kaffee, vgl. Rossfeld (1995), S. 36 f.
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nationalen Markt. Andererseits bezog sich der größere Teil der gegenständlichen Werbebilder auf alltägliche Situationen. Diese Werbebilder sollten sozial differenzierte Käuferschichten ansprechen oder verwendeten regionale Motive als Synonyme für Gebrauchswert und Qualität des angebotenen Produkts. Unabhängig von den verwendeten Sujets griffen diese gegenständlichen Werbebilder auf bekannte Sinnzusammenhänge zurück. Damit hoben sie über die Thematisierung von Gruppenidentitäten die symbolische Funktion der Produkte hervor. Die Mehrheit der Firmen setzte hingegen auf unverwechselbare abstrakte Logos und Wortzeichen als Differenzierungsstrategie gegenüber anderen Firmen und ihren Produkten. Hier war die Firma und/oder ihr Produkt der alleinige Referenzpunkt, über den ein Warenimage aufgebaut wurde. Damit werden die Ergebnisse der bisherigen Forschung und speziell ihre Motivinterpretation keinesfalls revidiert. Kaffee wurde tatsächlich mit Exotik und Differenz beworben. Doch betraf dies nur einen geringen Teil der Werbung. Zudem blendet diese Beobachtung wesentliche Aspekte aus. Denn bei der Analyse der Werbestrategien sollte nicht allein vom Bildmotiv aus argumentiert, sondern die jeweiligen Branchenstrukturen und die Unterschiede der beworbenen Produkte berücksichtigt werden. Instruktiv ist hier der Vergleich mit der Schokoladenindustrie, zu der Studien vorliegen, die nicht allein die verwendeten Motive, sondern auch die Branchenstrukturen berücksichtigen. Demnach zeichnete sich die Schokoladenindustrie durch eine hohe Konzentration auf wenige Großunternehmen aus, die zudem ihren Rohstoff industriell stark verarbeiteten. Wie die Studien zeigen, war die Werbestrategie, auf die Exotik des Produktes zu verweisen, wichtiger und oft verwendeter Teil eines Warenimages, aber nicht des Markenzeichens. Das Qualitätsversprechen stellte das Markenzeichen des Unternehmens her, während das Image der einzelnen zum Teil sehr unterschiedlichen Produkte, die die Unternehmen aus dem Rohstoff Schokolade und anderen Zutaten (wie unter anderem Zucker und Milch) herstellten, vor allem über Exotik hergestellt wurde.199 Die Vielfältigkeit der bildlichen Motive in den Werbemaßnahmen der deutschen Kaffeebranche liegt erstens in der Struktur der Branche begründet: Sie bestand im Wesentlichen aus lokal und regional agierenden Unternehmen. Für diese waren lokale Motive und ein kontinuierlich verwendeter Produktname, der sich zugleich von regionalen Mitbewerbern stark abgrenzte, wichtig, um den regionalen Kundenstamm und dessen bekannte Bedürfnisse direkt anzusprechen. Damit spielten also zweitens die stark divergierenden Konsumentenpräferenzen eine zentrale Rolle. Hiervon unterschieden sich strukturell nur wenige Unternehmen, die sich ab einer gewissen Unternehmensgröße aber für die Vertriebsform des Massenfilialhandels und damit verbunden der Handelsmarke entschieden. Drittens begründet sich die Vielfältigkeit der Markenbilder auch dadurch, dass alle Unternehmen letztlich ein Produkt herstellten, 199 Vgl. Epple (2010); Rossfeld (2007).
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auf dem Markt aber Unterscheidbarkeit erreichen mussten: Die grünen Bohnen wurden durch das Mischen verschiedener Provinienzen und das Rösten stark verarbeitet, trotzdem blieb das Ziel der Verarbeitung ein recht identisches Produkt: konsumfertiger Bohnenkaffee, der zur Zubereitung eines Heißgetränkes verwendet werden kann. Dieses blieb in seinen Bestandteilen (grüne Bohnen) und auch in seiner Produktionsweise (erst Mischen, dann Rösten) im Wesentlichen gleich.200 Der zentrale Aspekt, auf den das Warenimage aller Unternehmen der Branche abzielte, war daher der Verweis auf die – jeweils als einzigartig dargestellte – Qualität und unterschiedlichen Zusatznutzen des Produktes. Nicht nur mit der Herstellung unterschiedlicher Röstungen und Mischungen, sondern über die Bildung von Firmen-, Wort- und Produktzeichen versuchten also die Kaffee verarbeitenden Firmen, sich von regionalen und nationalen Mitbewerbern abzugrenzen. Hunderte von Röstkaffeesorten in unterschiedlichsten Qualitäten, Geschmacks- und Preislagen, Zugaben und Kaffeegebrauchsartikel ließen aus dem einzelnen Produkt eine ganze Kaffeewarenwelt entstehen. So „produzierte“ die Branche eine breite Palette an Besitz- und Konsumwünschen, um ihre Waren und potentielle Käufer aus unterschiedlichen sozialen Schichten und Gruppierungen konvergieren zu lassen. Die Vielfältigkeit der verwendeten Warenzeichenmotive und Handelsmarkenlogos begründete sich durch die Struktur der Branche, durch die Beschaffenheit des herzustellenden Zielproduktes und durch die differenzierten Konsumentenpräferenzen, denen die Branche zu entsprechen versuchte.
200 Erst Innovationen wie der koffeinfreie Kaffee des Unternehmens Kaffee HAG kurz vor dem Ersten Weltkrieg und in den 1920er Jahren der Instantkaffee veränderten zwar nicht die Bestandteile aber ihre Verarbeitung stark.
6. Popularisierung und Kommerzialisierung des Kaffeekonsums Der Kaffeegroß- und Einzelhandel bot ab den 1880er Jahren ein breites Bohnen- und Röstkaffeesortiment an und schuf dazu über Werbeanstrengungen unterschiedliche Sinnzusammenhänge. Damit versahen die Unternehmen ihre Waren mit Bedeutung, um bei den Konsumenten das Bedürfnis nach ihnen zu wecken. Dies entspräche der Auffassung einer weitgehend etablierten Theorie zu Werbung als Suggestion von zunächst gar nicht vorhandenen Bedürfnissen. Damit stellt sich die Frage, ob die Kaffeekonsumpraktiken und -orte sich gemäß dieser Vielfältigkeit entwickelten. Könnte es vielleicht auch umgekehrt sein: Stellten die Unternehmen eine solch große Anzahl an unterschiedlichen Kaffeeprodukten her, um den unterschiedlichen Wünschen der Konsumenten zu entsprechen? Eine genaue Untersuchung der letzten Frage ist nicht zuletzt deshalb wichtig, weil sie näheren Aufschluss über die Bedeutung des Handelns von Konsumenten für Globalisierungsprozesse gibt. Aus einer makroökonomischen Perspektive waren die Verbraucher im deutschen Kaiserreich für die Integration des globalen Kaffeemarktes äußerst relevant. Sie tranken immerhin ein Viertel bis ein gutes Drittel des weltweit konsumierten Kaffees. Nur die – zahlenmäßig den Deutschen weitaus überlegenen – US-amerikanischen Verbraucher fragten mehr Tonnen pro Jahr nach. Zumindest in dieser Rolle als Nachfrager kam den deutschen Konsumenten eine zwar indirekte, aber wichtige Bedeutung zu. Diese Studie, die makroökonomische Veränderungen aus dem Verhalten und Handeln der an der Wertschöpfungskette beteiligten Akteure heraus verstehen möchte, wendet sich nach den Großhändlern, der Kaffee verarbeitenden Industrie und dem Einzelhandel daher im vorliegenden Kapitel der Perspektive der Konsumenten auf das Verbrauchgut Kaffee, ihren Konsumpraktiken und -orten zu. In der kulturwissenschaftlichen Globalisierungsforschung wird intensiv darüber diskutiert, wie sich wirtschaftliche Integrationsprozesse global gehandelter Waren auf den lokalen Konsum auswirken und welche Dynamiken umgekehrt vom Verhalten der Konsumenten ausgehen. Es geht also darum, am Beispiel des deutschen Kaiserreichs zu klären, wer die Konsumenten waren, wie und wo sie Kaffee getrunken haben und was jeweils ihre Motive für den Konsum bzw. für die Wahl einer bestimmten Form von Kaffeekonsum waren. Gerade das Konsumgut Kaffee eignet sich für diese Frage nach den Zusammenhängen zwischen Konsumverhalten und Globalisierungsprozessen. Physiologisch gesehen hat der Rohstoff, das ist seit 1860 bekannt, keinen nennenswerten Nährwert. Er kompensiert weder die Flüssigkeitsaufnahme noch reduziert er das Nahrungsbedürfnis.1 Kaffee gehört 1 Vgl. Markus Binder, Kaffee im Körper. Zur Wissenschaftsgeschichte eines stimulierenden Getränks zwischen Säftelehre und Physiologie 1600–1900 (unveröffentl. Lizentiats-
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demnach zu denjenigen Verbrauchsgütern, die zur Aufrechterhaltung überlebenswichtiger Körperfunktionen kaum beitragen. Aus der konsumhistorischen Perspektive bewegen sich das Getränk und sein Konsum damit im Spannungsfeld von Bedarf an und Bedürfnis nach Produkten in den sie konsumierenden Gesellschaften. Lebensmittel zu verzehren ist lebensnotwendig, aber nicht alle Verbrauchsgüter, die wir konsumieren, sind essentiell.2 Obwohl der Konsum von Kaffee physiologisch nicht als notwendig betrachtet werden kann und wurde, erfuhr er im Laufe des 19. Jahrhunderts eine Metamorphose vom Randzum Alltagsphänomen. Als Triebkraft dieses Prozesses wird in der Literatur der Wunsch gewertet, bürgerliche Konsummuster zu imitieren. Ganz im Unterschied zu dem Wandel des internationalen Handels mit Kaffee und seinem Vertrieb existiert über den Verbrauch von Kaffee eine breitere konsumhistorische Forschungsliteratur. Zur Verbreitung, zu seiner Einordnung in die Nahrungsgewohnheiten unterschiedlicher sozialer Gruppen, zu seiner Bedeutung als Genussmittel, als bürgerliches Getränk der Aufklärung und Katalysator der intellektuellen Kaffeehauskultur sind eine Reihe von Aufsätzen sowie Monografien für die Zeit von der Frühen Neuzeit bis in das frühe 19. Jahrhundert erschienen.3 Konzentriert man sich auf die Forschungsergebnisse zum Kaiserreich, existieren lediglich gut zwei Dutzend wichtige Publikationen. Interessanterweise fokussieren diese entweder auf eine Region und/oder eine soziale Gruppe oder die Thematik wird innerhalb einer umfassenderen Fragestellung diskutiert. Letzteres gilt insbesondere für die stark auf die Haushalts- und Wirtschaftsrechnungen konzentrierte Forschung. Damit kann auf eine Reihe von Ergebnissen zurückgegriffen werden. Sie beantworten aber nicht die Frage nach den Gründen für die Popularisierung des Getränks. Gerade die quantitativ argumentierenden Studien haben aufgrund des Datenmaterials und ihres Ansatzes erhebliche Schwierigkeiten, Aussagen über die Höhe und die soziale Verbreitung des Kaffeekonsums zu treffen.4 Die thematisch und regional argumentierenden Studien arbeit), Zürich 2001; ders., Industrialisierung, Physiologie und Körperliche Stimulierung. Kaffee als Energydrink im 19. Jahrhundert, in: Rossfeld (2002), S. 207–225; Edith Heischkel-Artelt, Kaffee und Tee im Spiegel der medizinischen Literatur des 17. bis 19. Jahrhunderts, in: Medizinisches Journal 4 (1969) 3, S. 250–260; Thoms (2002), S. 52. Je nach Kaffeesorte sind die einzelnen Bestandteile unterschiedlich, vgl. Deutsches Grünes Kreuz (Hg.), Kaffee. Wirkungen auf die Gesundheit – Was sagt die Wissenschaft?, Marburg 2008, S. 6–11. 2 Vgl. dazu Reinhold Reith, Luxus und Konsum – eine historische Annäherung, in: ders. und Torsten Meyer (Hg.), Luxus und Konsum. Eine historische Annäherung, Münster u. a. 2003, S. 9–27. 3 Vgl. Menninger (2004); Hochmuth (2008). 4 Zu den Haushaltsrechnungen wie generell zur Problematisierung der Quellenauswahl und -analyse für ernährungshistorische Untersuchungen vgl. Uwe Spiekermann, Haushaltsrechnungen als Quellen der Ernährungsgeschichte, in: ders., Dirk Reinhardt und Ulrike Thoms (Hg.), Neue Wege der Ernährungsgeschichte. Kochbücher, Haushaltsrech-
252
Popularisierung und Kommerzialisierung des Kaffeekonsums
sind dagegen weniger auf diese Frage ausgerichtet, sondern setzen lediglich eine gewisse Verbreitung des Getränks voraus. Trotzdem verweisen alle Autoren, unabhängig davon, welchen methodischen und inhaltlichen Schwerpunkten sie sich verpflichtet fühlen, darauf, dass Kaffee ein zunehmend wichtiger Bestandteil der Konsumkultur gewesen sei, ohne aber diese Aussage näher erklären zu können. Zuerst gilt es daher im Folgenden einen Ansatz zu entwickeln, mit dem den Gründen für die Popularisierung des Kaffeekonsums nachgegangen werden kann (Kapitel 6.1). Das Kapitel 6.2 wendet sich der Frage nach den Bedeutungszuschreibungen der Konsumenten zu. Es fragt also nach dem Verhalten der Verbraucher in Bezug auf den Produktkern (die Eigenschaften, welche die Funktionalität des Konsumgutes für den Verbraucher bestimmen) und nach vollzogenen Konsumpraktiken. So lässt sich beantworten, ob im Sinne der Homogenisierungsthese der Globalisierungsforschung und der Durchsickerungstheorie (Trickle-Down-Theorie) der konsumhistorischen Studien eine bestimmte und zugleich dominierende Vorstellung darüber existierte, welche Sinnzusammenhänge sich mit Kaffee verbinden und wie man ihn konsumiert.
6.1. Von Zahlen zu Aussagen – Zum quantitativen Kaffeekonsum Es ist fast unmöglich, heute genau zu sagen, wer im Kaiserreich wie viel Kaffee getrunken hat. Um die quantitative Relevanz der Nachfrage nach Kaffee zu bewerten, werden in der Literatur vor allem vier Aspekte behandelt: Der Stellenwert des Konsumguts als Genussmittel im Verhältnis zu den anderen Genuss- und den Hauptnahrungsmitteln, die Bedeutung des Preises als Katalysator oder Hemmnis bei der differentiellen Verbreitung des Produkts, die Höhe des Gesamtverbrauchs und die Relation von Bohnenkaffeekonsum und Ersatzkaffeekonsum. Grundsätzlich fehlt bisher für die umfassende Beantwortung dieser Fragen die empirische Grundlage. Ein geografisch breites, die soziale Differenzierung der Gesellschaft berücksichtigendes und mehrere Jahrzehnte umfassendes quantitatives Datenmaterial müsste hierfür erst
nungen, Konsumvereinsberichte und Autobiographien in der Diskussion, Frankfurt/M. 1993, S. 154–160. Zum Konsum im Kaiserreich basierend auf einem umfangreichen, aber doch sehr heterogenen Quellenmaterial, das im Hinblick auf regional- und schichtspezifischen Kaffeekonsum keine generalisierbaren Aussagen erlaubt, vgl. Hendrik Fischer, Kurzzusammenfassung der Dissertationsschrift, in: http://wigesch.uni-koeln.de/ fileadmin/Material/Mitarbeiter/Kurzzusammenfassung_Dissertation_Fischer.pdf (abgerufen am 10.3.2009); Lesniczak (2003); Armin Triebel, Zwei Klassen und die Vielfalt des Konsums. Haushaltsbudgetierungen bei abhängigen Erwerbstätigen in Deutschland im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, Berlin 1991.
Von Zahlen zu Aussagen – Zum quantitativen Kaffeekonsum
253
zusammengetragen und im Zusammenhang mit qualitativen Quellen ausgewertet werden. Doch lassen sich relative Aussagen zu diesen vier Aspekten treffen. Am Ende des 18. Jahrhunderts verbreitete sich das Getränk von Norddeutschland aus in den deutschen Staaten und gliederte sich als letztes in den 1880er Jahren in die süddeutschen, ländlichen südwestdeutschen sowie fränkischen Nahrungsgewohnheiten ein.5 Nach Walther G. Hoffmanns Berechnungen waren um die Mitte des 19. Jahrhunderts Milchwaren (25 Prozent), Fleisch (23 Prozent), Mehl und Brot (23 Prozent) die Hauptnahrungsmittel im deutschen Raum. Den zweitgrößten Posten im Haushaltsbudget beanspruchten die Ausgaben für Genussmittel.6 Kaffee stand hier an vierter Stelle nach Bier, Branntwein und Tabak. Anfang der 1870er Jahre wurden 17 Prozent des privaten Konsums für Genussmittel ausgegeben. Entsprechend der deutlich abnehmenden Tendenz der Ernährungs- an den Gesamthaushaltskosten in Deutschland reduzierte sich vor dem Ersten Weltkrieg der Anteil der Genussmittelausgaben am Haushaltsbudget auf 9 Prozent. Ebenso fiel der Anteil der Ausgaben für Nahrungsmittel von 43 Prozent um 1850 auf 39 Prozent kurz vor dem Ersten Weltkrieg.7 Zwischen 1860 und 1910 stiegen die Ausgaben für Kaffee in Preisen von 1913 um rund 2 Prozent pro Jahr (vgl. Grafik 39).8 Auch der Anteil der Ausgaben für Kaffee an denen für Genussmittel erhöhte sich zunehmend. Er lag kurz vor dem Ersten Weltkrieg bereits bei 8 Prozent. Um die Jahrhundertwende wurden jeweils 10 Prozent der Genussmittelausgaben für Wein und für Kaffee verwendet. 5 Vgl. Wiegelmann (1967), S. 157–190. Zur Verbreitung des Kaffees als Gefängnis- und Krankenhauskost vgl. Ulrike Thoms, Anstaltskost im Rationalisierungsprozeß. Die Ernährung in Krankenhäusern und Gefängnissen im 18. und 19. Jahrhundert, Stuttgart 2005, S. 656–673. 6 Vgl. hierzu und im Folgenden Walther G. Hoffmann, Das Wachstum der Deutschen Wirtschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, Berlin 1965, S. 119–127. Ein guter Überblick zum Wandel der Nahrungsgewohnheiten bei Hans Jürgen Teuteberg, Der Verzehr von Nahrungsmitteln in Deutschland pro Kopf und Jahr seit Beginn der Industrialisierung (1850–1975). Versuch einer quantitativen Langzeitanalyse, in: Archiv für Sozialgeschichte, 19 (1979), S. 331–388, zu Kaffee S. 366, S. 382; Dietrich Saalfeld, Bedeutungs- und Strukturwandel der Ausgaben für die Ernährung in den privaten Haushalten Deutschlands von 1800 bis 1913, in: Dietmar Petzina (Hg.), Zur Geschichte der Ökonomik der Privathaushalte, Berlin 1991, S. 133–148. Mit einem regionalen Fokus, diesen aber in Bezug zu anderen deutschen Regionen setzend, vgl. Uwe Spiekermann, Die Ernährung städtischer Arbeiter in Baden an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Monotone Einheit oder integrative Vielheit, in: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur deutschen Geschichte der Arbeiterbewegung, 32 (1996) 4, S. 453–483. 7 Für differenzierte Angaben über die Ausgaben nach Einkommens- und Berufsgruppen bei abhängig Erwerbstätigen nach 1900 vgl. Triebel (1991), Bd. 1, S. 239–256. 8 Quellen für Grafik 39: Hoffmann (1965), S. 653 f.; Gesamteinfuhr in Tonnen, Stat. Jb. der entsprechenden Jahre. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, Tabelle 22 und 44.
254
Popularisierung und Kommerzialisierung des Kaffeekonsums
Grafik 39 Verbrauch von Kaffee in Preisen von 1913 (1860–1930)
Die Ausgaben für Tee und Kakao wuchsen zwar schneller als diejenigen für Kaffee, blieben aber bis zum Ersten Weltkrieg bei unter einem Prozent. Während die Großhandelspreise für Tee von 1850 bis 1913 kontinuierlich abnahmen, unterlagen die Kaffee- und Kakaopreise starken Schwankungen (vgl. Grafik 40 im separaten Bildteil).9 Sinkende Preise sind, wie die ebenso schwankende Entwicklung der Einzelhandelspreise belegt, keine plausiblen Erklärungsgründe für den steigenden Kaffeekonsum.10 Die durchschnittlichen Einzelhandelspreise zum Beispiel für Rohkaffee in Hamburg lagen 1875 bei 1,82 Mark pro Kilogramm, 1895 bei 2,22 Mark; für gebrannten Kaffee 1896 bei 1,92 Mark und 1912 bei 2,53 Mark (vgl. Tabelle 9).11 Allein die höheren Realeinkommen könnten bei der Entscheidung für das Getränk eine gewisse Bedeutung gehabt haben. Mit der Verbreitung des Kaffeekonsums beschäftigte sich bereits die historische Konsum- und Ernährungsforschung.12 In zeitgenössischen Beschreibungen über Nahrungsgewohnheiten wie auch in Wirtschafts- und Haushaltsrechnungen bleibt 9 Quellen zu Grafik 40: Hamburgs Handel der entsprechenden Jahre. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, Tabelle 42. 10 Vgl. StAHH, Bestand 314-1, Signatur B VIII, Nr. 18. 11 Ebd., Nr. 19; StAHH, Bestand 314-1, Signatur B VIII, Nr. 23/5. 12 Vgl. insbesondere Wiegelmann (1967); Hans Jürgen Teuteberg und Günter Wiegelmann (Hg.), Der Wandel der Nahrungsgewohnheiten unter dem Einfluß der Industrialisierung, Göttingen 1972. Zur Entwicklung der historischen Ernährungsforschung vgl. Uwe Spiekermann, Nahrung und Ernährung im Industriezeitalter. Ein Rückblick auf 25 Jahre historisch-ethnologischer Ernährungsforschung (1972–1996), in: Andreas Bodenstedt u. a., Materialien zur Ermittlung von Ernährungsverhalten. Berichte der Bundesforschungsanstalt für Ernährung BFE-R-97-1, Karlsruhe 1997, S. 35–73.
255
Von Zahlen zu Aussagen – Zum quantitativen Kaffeekonsum
aber oft offen, ob es sich um Bohnenkaffee- oder Ersatzkaffeekonsum handelt.13 Da sie eher Normen und das realhistorische Handeln eines Einzelhaushaltes abbilden, ist ihr qualitativer Quellenwert zudem in der Regel höher als ihr quantitativer.14 Die Analysen von Haushaltsbudgetierungen abhängig Erwerbstätiger in Deutschland ergaben bisher keine Aussagen im Hinblick auf den Kaffeekonsum unterschiedlicher Einkommensklassen. Zudem ermöglicht der überlieferte Datenbestand grundsätzlich nicht, „den Verbrauch aller der genannten Lebens- und Genußmittel auf ihre soziale Differentialität hin zu überprüfen“.15 Tabelle 9 Kleinhandelsdurchschnittspreise für 1 kg Rohkaffee mittlerer Sorte in Hamburg in Mark16 1875 1880 1885 1890 1895 1896 1898 1900 1902 1904 1906 1908 1910 1912 1914 1,82
1,37
1,95
2,04
2,22
1,92
1,45
1,48
1,32
1,31
1,38
1,74
2,12
2,53
3,21
Ein steigender Kaffeekonsum bis zum Ersten Weltkrieg ist zwar auch bei den Arbeitern wahrscheinlich, dieser sei „statistisch aber nicht vollends abzusichern“.17 Auch Aussagen zu regionalen Verbrauchsunterschieden scheitern letztlich am Fehlen verlässlichen Datenmaterials. Neben der Feststellung eines allgemeinen Trends der Zunahme des Konsums und einer tendenziell höheren Nachfrage nach Bohnenkaffee in industrialisierten Regionen wird in dieser Frage im Wesentlichen auf zwei ältere Aufsätze verwiesen.18 Diese greifen als Basis zur Ermittlung des Verbrauchs auf Importzahlen im Verhältnis zur Bevölkerungszahl zurück, ziehen hiervon relativ willkürlich 13 So auch bei Triebel nach der Auswertung von 5.100 Haushaltsrechnungen, vgl. ders. (1991), Bd. 1, S. 263; ebenso Fischer (2008); Lesniczak (2003). Für ein Beispiel einer solchen Uneindeutigkeit vgl. Hans Grandke, Berliner Kleiderkonfektion, in: Hausindustrie und Heimarbeit in Deutschland und Österreich, Bd. 2: Die Hausindustrie der Frauen in Berlin, Leipzig 1899, S. 129–389, hier S. 275–278. 14 Zur Quellenproblematik der Wirtschafts- und Haushaltsrechnungen vgl. Alf Lüdtke, Kommentar zum Beitrag von R. Spree, in: Toni Pierenkemper (Hg.), Haushalt und Verbrauch in historischer Perspektive. Zum Wandel des privaten Verbrauchs in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, St. Katharinen 1987, S. 81–89; Spiekermann (1993), S. 84; Jakob Tanner, Fabrikmahlzeit. Ernährungswissenschaft, Industriearbeit und Volksernährung in der Schweiz 1890–1950, Zürich 1999, S. 143–150; Klaus Tenfelde, Klassenspezifische Konsummuster im Deutschen Kaiserreich, in: Siegrist, Kaelble und Kocka (1997), S. 245–265, hier S. 245–247. 15 Triebel (1991), Bd. 1, S. 263. 16 StAHH, Bestand 314-1, Signatur B VIII, Nr. 19. 17 Spiekermann (1996), S. 462. 18 Vgl. Lesniczak (2003). Zum Kaffeekonsum im Kaiserreich, ebd., S. 52 f., S. 74. Zur Unmöglichkeit, die realen Ernährungsverhältnisse in Hinblick auf regionale und soziale Unterschiede für diesen Zeitraum zu untersuchen, vgl. ebd. S. 179.
256
Popularisierung und Kommerzialisierung des Kaffeekonsums
16,75 Prozent Röstverlust ab und berechnen den Prokopfverbrauch ausgehend von 40 Gramm Röstkaffee auf einen Liter Wasser.19 Auch mit dieser Berechnungsmethode lassen sich keinerlei Erkenntnisse zur sozialen Verbreitung treffen. Zudem wird hier ignoriert, dass auch die Verwendung einer minimalen Menge Röstkaffee gerade für die differentielle Verbreitung des Kaffee einen sozialhistorisch hohen Aussagewert besitzt. Mangels anderer Möglichkeiten verbleiben für die quantitative Ermittlung des Kaffeeverbrauchs als Datengrundlage jedoch tatsächlich lediglich die Importzahlen abzüglich der Reexporte auf den Kopf der deutschen Bevölkerung (vgl. Grafik 41).20 Der Jahresverbrauch lag zum Zeitpunkt der Gründung des Deutschen Reiches bei etwa 2,2 Kilogramm pro Kopf und Jahr. Er stieg um die Jahrhundertwende auf 2,8 Kilogramm an und erreichte 1909 einen vorläufigen Höchststand von. 3,3 Kilogramm pro Kopf. Zum Vergleich: In Deutschland wurden 2005 6,7 Kilogramm Bohnenkaffee pro Kopf konsumiert.21 Da sie lediglich einen nicht existierenden Durchschnittsverbraucher abbilden können, haben solche aggregierten Prokopfzahlen nur für die Makroebene Aussagekraft. Die Verteilung des Kaffeekonsums zwischen den sozialen Schichten und Regionen ist aus den so gewonnenen Daten nicht erkennbar, geschweige denn die Verteilung innerhalb der einzelnen Familien. Die in Grafik 4122 ersichtlichen starken Schwankungen des Prokopfverbrauchs zwischen den einzelnen Jahren resultieren maßgeblich aus dem Einkaufsverhalten der Großhändler. Bemerkenswert ist, dass trotz der steigenden Großhandelspreise von 1887 bis 1895 der Prokopfverbrauch durchschnittlich leicht stieg und allein 1895 so19 Vgl. Teuteberg (1980), S. 49; ders. (1986), S. 199 f. 20 Der Gewichtsverlust beim Kaffee durch das Rösten ist je nach Sorte und ihrem Wassergehalt unterschiedlich. Im Durchschnitt lag er bei den zeitgenössischen Röstverfahren bei 13 bis 20 Prozent, vgl. Müller (1929), S. 398. Alle Angaben zur Höhe des Kaffeeverbrauchs im Kaiserreich werden im Folgenden in kg gemacht und errechnen sich aus den Importzahlen für unbearbeiteten Rohkaffee im Verhältnis zur Bevölkerungszahl. Damit wird eine chronologische Vergleichbarkeit ermöglicht. Wie viele getrunkene Liter sich daraus ergeben haben mögen, kann nicht ermittelt werden, da die pro Liter verwendete Menge Kaffee sehr unterschiedlich sein kann. Dies liegt zum einen an den individuell sehr verschiedenen Faktoren Zubereitungsart, Geschmack oder Sparsamkeit sowie an Röstverfahren oder Lagerungszeiten, die den Bohnen Feuchtigkeit entziehen und dadurch ihr Gewicht verändern. Ungeröstete Bohnen haben einen durchschnittlichen Wassergehalt von 11 Prozent, vgl. beispielsweise Caspar Coolhaas u. a., Kaffee, 2. neu bearbeitete Aufl., Stuttgart 1960, S. 299. Geschätzte Angaben zum Kaffeekonsum in Litern pro Kopf im hier betrachteten Zeitraum finden sich bei Teuteberg (1999), S. 92. 21 Vgl. Statistisches Bundesamt, in: http://www.destatis.de (abgerufen am 20.2.2008). 22 Quellen zur Grafik 41: StAHH, Bestand 314-1, Signatur Bvd Nr. 6; Stat. Jb. der entsprechenden Jahre. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, Tabelle 22 und 46.
257
Von Zahlen zu Aussagen – Zum quantitativen Kaffeekonsum
Grafik 41 Kaffeekonsum: Kaffeeimporte abzgl. Reexporte pro Kopf
wie 1896 leicht zurückging. Als die Großhandelpreise zwischen 1896 und 1903 stark fielen, änderte sich der Trend und der Verbrauch stieg wieder an. Ab 1904 erhöhten sich die Großhandelspreise wieder kontinuierlich, aber ebenso der Konsum pro Kopf. Hier scheint die Praxis des Einzelhandels verkaufsfördernd gewirkt zu haben, bei steigenden Großhandelspreisen die Qualitäten herab-, nicht aber den Preis massiv heraufzusetzen (vgl. Kapitel 5.1). Großhandelspreisschwankungen in den Jahren 1881 bis 1889 von bis zu 78 Pfennig pro Kilo folgte der Kleinhandel zum Beispiel im Regierungsbezirk Frankfurt/Oder und in Aachen allein bis zu 34 Pfennig und in der Regel auch zeitlich verzögert (vgl. Tabelle 10 und 11).23 Tabelle 10 Ladenpreise in Aachen für 1 kg Java, Brasil und gebrannten Kaffee in Mark 1878–188624
Java Brasil Gebrannt
1878 1879 1880 1881 1882 1883 1884 1885 1886 Schwankungen bis zu 2,12 1,91 1,90 1,90 1,56 1,54 1,64 1,45 1,63 0,34 -
1,66
1,94
1,68
1,68
1,44
1,48
1,36
1,54
0,28
2,44
2,32
2,16
2,16
1,80
1,88
1,88
1,74
1,98
0,36
23 Vgl. ebenso Tabelle 28 im Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages und die Preisentwicklung der Ladenpreise in anderen deutschen und europäischen Städten, in: StAHH, Bestand 314-1, Signatur B VIII, Nr. 18; ebd., Nr. 13, ebd., Nr. 16. 24 Van der Borght (1888), S. 161–163.
258
Popularisierung und Kommerzialisierung des Kaffeekonsums
Tabelle 11 Durchschnittsladenpreise im Regierungsbezirk Frankfurt/Oder für 1 kg Bohnenkaffee mittlerer Qualität in Mark 1881–188925 1881 1882 1883 1884 1885 1886 1887 1888 1889 Schwankungen bis zu Januar
2,71 2,62 2,62 2,88 2,83 2,85 2,85 3,15 3,12
0,30
Juli
2,69 2,62 2,60 2,94 2,86 2,77 3,03 3,11 3,09
0,34
Oktober
2,69 2,61 2,65 2,88 2,80 2,79 3,10 3,11 3,10
0,31
Schwankung zwischen den 0,02 0,01 0,05 0,06 0,06 0,08 0,26 0,04 0,03 Monaten bis zu Pfennig
–
Vergleicht man nicht lediglich die Durchschnittsladenpreise einer Stadt, sondern die Preise in unterschiedlichen Läden, so zeigt sich eine tendenziell parallele Preisbewegung im Kleinhandel. Trotzdem bestanden Preisunterschiede von bis zu 60 Pfennig das Kilo für gebrannten Kaffee (vgl. Tabelle 12). Da die Basis für die Preiserhebungen der Hamburger Deputation für Zoll- und Akzisewesen immer ein gebrannter Santoskaffee mittlerer Sorte war, erklären sich diese extremen Preisunterschiede von 13 Prozent bis zu 17 Prozent in unterschiedlichen Verkaufsorten wohl vor allem aus den Qualitätsunterschieden der Mischungen als Basis für den Röstkaffee. Ebenso werden der Standort des Ladens und seine Käuferschicht eine gewisse Rolle gespielt haben. Doch auch die Mittel der Qualitätsminderung und die Möglichkeit der verzögerten Weitergabe der Großhandelspreisschwankungen an die Konsumenten waren nur begrenzt einsetzbar. Vergleicht man die Veränderungen in der Relation von Großhandels- und Kleinhandelspreis, so entwickelten sich diese durchaus analog zueinander (vgl. Tabelle 9 mit Grafik 16 im separaten Bildteil). Erst mit den starken Preissteigerungen im Groß- und Kleinhandel ab 1909 fiel der Konsum pro Kopf. Nach über dreißig Jahren kehrte sich der Trend eines kontinuierlich zunehmenden Kaffeekonsums um. 1913 wurde pro Kopf und Jahr ein halbes Kilogramm weniger konsumiert als 1909.26 Doch konsumierten Personen über 15 Jahren zwischen 1909 und 1913 etwas über vier Kilo Kaffee pro Jahr,27 ein Wert der in der Bundesrepublik erst wieder in den 1960er Jahren erreicht wurde. Geht man davon aus, dass „a grocery item will be considered to be mass consumed if enough was imported to allow 25 % of the adult population to use it at least once 25 Reichsamt des Inneren, Amtliche Mittheilungen aus den Jahres-Berichten der mit Beaufsichtigung der Fabriken betrauten Beamten, XIV. Jahrgang 1889, Berlin 1890, S. 347. 26 Zu den Gründen und Auswirkungen dieses Prozesses vgl. Kapitel 7. 27 Hans Eberhard Buchholz, Imports and Consumption of Coffee in Germany (= Diss. Manuskript), Universität Göttingen 1961, Anhang Tabelle 1.
259
Von Zahlen zu Aussagen – Zum quantitativen Kaffeekonsum
daily“,28 so hatte das Konsumgut Kaffee im Kaiserreich seinen exklusiven Charakter verloren. Tabelle 12 Ladenpreise für gebrannten Santoskaffee (mittlerer Sorte) in elf Geschäften in Hamburg im Jahr 1914 in Mark pro kg29 1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
Niedrigster Höchster Preis Preis
Schwan kungen bis zu
Jan.
2,6
3,2
3,0
2,8
3,0
3,0
3,0
2,8
2,8
3,0
2,8
2,6
3,2
0,6
Febr.
2,6
3,0
2,8
2,8
3,0
3,0
3,0
2,8
2,7
3,0
2,8
2,6
3,0
0,4
März
2,6
3,0
2,8
2,8
3,0
3,0
3,0
2,8
2,8
2,8
2,8
2,6
3,0
0,4
April
2,6
3,0
2,8
2,6
3,0
3,0
3,0
2,8
2,6
2,8
2,8
2,6
3,0
0,4
Mai
2,6
3,0
2,8
2,4
3,0
3,0
3,0
2,8
2,7
3,0
2,8
2,6
3,0
0,4
Juni
2,6
3,0
2,8
2,6
3,0
3,0
3,0
2,8
2,6
3,0
2,8
2,6
3,0
0,4
Juli
2,6
3,0
2,8
2,6
3,0
3,0
3,0
2,8
2,6
3,0
2,8
2,6
3,0
0,4
Aug.
2,8
3,2
3,2
2,8
3,0
3,0
3,0
2,8
2,6
3,0
2,8
2,6
3,2
0,6
Sept.
2,8
3,2
3,2
2,8
3,0
3,0
3,0
2,8
2,6
3,0
2,8
2,6
3,2
0,6
Okt.
2,8
3,2
3,2
2,8
3,0
3,0
3,0
2,8
2,6
3,0
2,8
2,6
3,2
0,6
Nov.
2,8
3,2
3,2
2,8
3,0
3,0
3,0
2,8
2,6
3,0
2,8
2,6
3,2
0,6
Dez.
3,0
3,2
3,2
2,8
3,0
3,0
3,0
3,0
3,2
3,0
2,8
2,8
3,2
0,6
Über das Verhältnis von Bohnenkaffee und Ersatzkaffee30 lassen sich kaum quantitative Aussagen treffen. Da vermutlich zumeist Letzterer gemischt mit Bohnenkaffee31 getrunken und Ersatzkaffeekonsum gerne verschwiegen wurde, sind dessen Ver-
28 Carole Shammas, The Preindustrial Consumer in England and America, Oxford 1990, S. 78 f. 29 StAHH, Bestand 314-1, Signatur B VIII, Nr. 19. Unter den Läden, deren Preise erhoben wurden, waren keine Massenfilialisten, sondern allein Kolonialwarenläden ohne eine weitere Filiale. 30 Wenn im Folgenden von Kaffee gesprochen wird, ist damit ausschließlich Bohnenkaffee gemeint. Nur wenn in einer Argumentation Kaffee und seine Surrogate gemeinsam behandelt werden, wird der Begriff Bohnenkaffee zur eindeutigen Identifizierung und sprachlichen Abgrenzung von Surrogaten verwendet. 31 Vgl. BArch, Bestand R 8034 II, Signatur 5273, Bl. 11; Markus Dietl, Die Essensgewohnheiten des Landvolkes nach den Physikatberichten aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, Würzburg 1989, S. 49–51; Volker Rodekamp und Martin Beutelspacher (Hg.), Kaffee. Kultur eines Getränks, Minden 1978, S. 48f; Albrecht (1980), S. 53 f.; J. Schroeter, Aus der Geschichte der Kaffeesurrogate, in: Ciba Zeitschrift: Der Kaffee 11 (1951) 127, S. 470.
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Popularisierung und Kommerzialisierung des Kaffeekonsums
brauchszahlen schwer zu ermitteln.32 Zahlen zum Output der Kaffeeersatzindustrie existieren nicht. Die zeitgenössischen Schätzungen zum Verhältnis des Verbrauchs von Kaffee und seinen Ersatzstoffen divergieren stark. Sie variieren von drei Pfund Ersatzkaffee auf ein Pfund Bohnenkaffee bis zu ein Pfund Bohnenkaffee auf etwas unter einem Pfund Surrogate.33 Vermutlich wird bis an das Ende des 19. Jahrhunderts der Verbrauch der Surrogate höher gewesen sein als der des Bohnenkaffees. Der leichte Rückgang der Betriebs- und der Beschäftigtenzahlen in der Ersatzkaffeeindustrie von 1895 bis 1907 lässt einen tendenziellen Rückgang ihrer Produktion vermuten (vgl. Tabelle 5). Diese Rückgänge könnten aber auch an effektiveren Verfahren zur Herstellung von Ersatzkaffee gelegen haben. 1914 verbrauchten die deutschen Konsumenten 181 Tonnen Bohnenkaffee im Vergleich zu 158 Tonnen Ersatzkaffee.34 Damit hatte die Nachfrage nach Bohnenkaffee die nach seinen Surrogaten deutlich überschritten. Dieser Trend schlug sich auch in einer modifizierten Marketingstrategie nieder: Warb die Mehrheit der Unternehmen in den 1890er Jahren noch mit ihren Surrogaten als Alternative zum Bohnenkaffee, so wechselten viele Unternehmen die Werbestrategie im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Sie wiesen nun eher auf Qualitäten des Ersatzkaffees als Geschmacksverstärker beim Mischen mit echtem Bohnenkaffee hin.35 Angaben zum individuellen Mischverhältnis finden sich nur wenige. Aus den Werbeanzeigen der Ersatzkaffeefirmen, die sicher den Anteil ihrer Produkte erhöht angegeben haben dürften, lässt sich schließen, dass drei Löffeln Bohnenkaffee ein Löffel Ersatzkaffee zugegeben wurde.36 Ähnliche Angaben finden sich in Kochbüchern und in der zeitgenössischen Ratgeberliteratur.37 Im Vergleich mit Zichorie- und Eichelkaffeeprodukten kostete die preiswerteste Sorte Bohnenkaffee um 70 bis 75 Pro32 Zu den Schwierigkeiten, den Verbrauch und die wirtschaftliche Bedeutung der Ersatzkaffeeindustrie zu ermitteln vgl. Karl Sedlmeyer, Die Wegwarte oder Zichorie. Eine wirtschaftsgeographische Untersuchung, in: Petermanns Geographische Mitteilungen, 89 (1943) 11/12, S. 329–332. 1907 wurde allein Zichorie auf 6.170 ha Fläche mit einem Ertrag von 1,6 Tonnen und einem Wert des gerösteten Endprodukts von 5,7 Millionen Mark produziert, vgl. M. Klassert, Kaffee-Ersatzstoffe, in: Zeitschrift für Untersuchung der Nahrungs- und Genussmittel, 35 (1918), S. 80–92, hier S. 81. 33 Vgl. Findeisen (1917), S. 114; H. Boruttau, Die physiologische Wirkung des Absudes der gebrannten Zichorie, in: Medizinische Klinik 3 (1907) 22, S. 644–647, hier S. 644. Teuteberg vermutet, dass knapp doppelt so viel Ersatz- wie Bohnenkaffee getrunken wurde, vgl. ders. (1999), S. 111. 34 Vgl. Findeisen (1917), S. 114. 35 Vgl. Warenzeichenblatt, Warengruppe 26, 1895–1914. 36 Vgl. beispielsweise die Anzeige von Franck Kaffee von 1895, abgedruckt in: Städtisches Museum Ludwigsburg (Hrsg.), „Die Hauptstadt der Cichoria“. Ludwigsburg und die Kaffeemittel-Firma Franck, Ludwigsburg 1989, S. 137. 37 Vgl. u. a. Fritz Bürstner, Die Kaffee-Ersatzmittel vor und während der Kriegszeit, Berlin 1918, S. 3.
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Von Zahlen zu Aussagen – Zum quantitativen Kaffeekonsum
zent mehr (vgl. Tabelle 13). Im Hinblick auf die Ursachen für die Popularisierung des Kaffeetrinkens ist es aber relativ unerheblich, in welchen Mengen die Konsumenten den Bohnenkaffee mit seinen Substituten oder anderen Zutaten wie beispielsweise Milch tranken. Tabelle 13 Ladenpreise für Zichorien-, Eichel-, Brasilkaffee und Tee im Aachener Kleinhandel in Pfennig pro kg 1878–188638 1878
1879
1880
1881
1882
1883
1884
1885
1886
Zichorie
50
50
50
50
50
48
40
40
40
Eichel
48
48
48
48
48
56
42
40
40
Brasil
–
166
194
168
168
144
148
136
154
400
400
500
500
500
500
400
400
400
Tee
Die Forschung ist sich darin einig, dass im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der tägliche Kaffeekonsum in nahezu allen Gegenden und Sozialschichten Deutschlands üblich war, obwohl Kaffee ein überdurchschnittlich teures Konsumgut blieb. Auch die untersten Einkommensgruppen hätten Bohnenkaffee konsumiert. Zwar sei dieser mit Surrogaten gestreckt worden, aber gemessen an dem zur Verfügung stehenden Budget hätten auch sie einen erstaunlich hohen Anteil davon für Bohnenkaffee ausgegeben.39 Jörg Smotlacha bewertet Bohnenkaffee daher als Massenkonsumgut. Er sei ein in allen Schichten konsumiertes Getränk gewesen, das erst durch den Ersten Weltkrieg vom „Massenartikel zur Luxusware“40 wurde. Obwohl sich aus dem zur Verfügung stehenden quantitativen Datenmaterial keine statistischen Aussagen über den differentiellen Kaffeekonsum ableiten lassen, ist es offensichtlich üblich, allein von der Entwicklung des Gesamtverbrauchs auf eine „soziale“ Verbreitung zu schließen, wobei dies mehr oder weniger explizit mit Bezug auf die in Kapitel 2 vorgestellte Trickle-down-Theorie geschieht.41 Dabei geht es im Wesentlichen um die Frage, ob sich anhand des quantitativen Verbrauchs eines 38 Van der Borght (1888), S. 164, S. 168. 39 Vgl. Fischer (2008), S. 229, S. 231. Doch auch Fischer kann aufgrund der Datenlage keine Aussagen zum Verhältnis und somit zur differentiellen Verbreitung von Bohnenund Ersatzkaffeekonsum treffen und erfasst beides zusammen unter der Kategorie Getränke. 40 Smotlacha (1997), S. 1. 41 Vor allem in der Frage der Datierung und Periodisierung der Massenkonsumgesellschaft im 20. Jahrhundert wird oft der Konsum von Klein- und Großelektrogeräten in Privathaushalten als Maßstab genommen, vgl. u. a. Sabine Haustein, Vom Mangel zum Massenkonsum. Deutschland, Frankreich und Großbritannien im Vergleich 1945–1970, Frankfurt/M. und New York 2007. Allgemein zum Ansatz und seiner Modifizierung in den letzten dreißig Jahren vgl. Stihler (1998), S. 183–185.
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Popularisierung und Kommerzialisierung des Kaffeekonsums
bestimmten Konsumgutes im Verlauf der Zeit Aussagen über den Stellenwert dieses Gutes und über den konsumhistorischen Entwicklungsgrad der das Verbrauchsgut konsumierenden Gesellschaft treffen lassen. Die Höhe der Nachfrage nach bestimmten Konsumgüter wird so zur Argumentationsgrundlage und zum Periodisierungsmaßstab. Dieser Blick auf die Höhe der Nachfrage ist aber aus drei Gründen für diese Arbeit keine brauchbare Analysekategorie: Erstens ist eine regional differenzierte und vor allem schichtspezifische quantitative Ermittlung des Bohnenkaffeekonsums für den Zeitraum 1870 bis 1914 nur in Ausschnitten möglich. Zweitens ließe sich über das Konsumgut lediglich eine mögliche und gleichzeitig holzschnittartige Antwort auf die Frage nach der Periodisierung von Konsumgesellschaften geben. Der Aussagewert wäre sehr begrenzt. Zudem bliebe es diskussionswürdig, ob eine Veränderung des durchschnittlichen Verbrauchs pro Kopf und Jahr von 3,3 Kilogramm 1908 gegenüber 1,1 Kilogramm (DDR) und 2,8 Kilogramm (BRD) 1960 und gegenüber 6,7 Kilogramm im Jahr 2005 in Deutschland überhaupt aussagekräftig ist. Insbesondere lassen sich mit diesen Daten kaum die Entwicklungen von Konsumgesellschaften periodisieren.42 Eine solche Einordnung wird daher im Folgenden auch nicht angestrebt. Drittens ist die Frage nach dem Verbrauch allein auf die Konsumenten konzentriert. Bei einer solchen Herangehensweise würde die zu Konsumgesellschaften gehörende Angebotsseite, also die Entstehung der Konsumgüterindustrie und ihr zunehmend ausdifferenziertes Warenangebot, ignoriert. Viertens setzt die Trickledown-Theorie implizit voraus, dass dem Kaffee und seinem Konsum vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart gleichbleibende Rationalitäten zugesprochen worden seien.43 Hier müsste angenommen werden, dass Kaffee insbesondere als „Statussymbol aristokratischen Luxus’“44 ein Distinktionsobjekt sei und seine soziale Verbreitung von „oben“ nach „unten“ vor allem durch das Streben nach Imitation adliger und bürgerlicher Konsumpraktiken motiviert gewesen wäre.45 Doch 42 Vgl. für 1908 die Grafik 10. Angaben für 1960 in: Manuel Schramm, Konsum und regionale Identität in Sachsen 1880–2000. Die Regionalisierung von Konsumgütern im Spannungsfeld von Nationalisierung und Globalisierung, Stuttgart 2003, S. 88. Angaben für 2005 vgl. Statistisches Bundesamt, in: http://www.destatis.de (abgerufen am 20.4.2008). 43 Unter Rationalitäten werden im Folgenden die Erklärungsmuster der Konsumenten verstanden, die Kaffee und/oder seinen Konsum als das richtige Mittel zum Erreichen eines bestimmten Zweckes erscheinen ließen. 44 Badenberg (2004a), S. 105. 45 Vgl. Thorstein Veblen, Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische Untersuchung der Institutionen, 6. Aufl., Frankfurt/M. 1986, S. 85. Peter Lesniczak sieht in den Veränderungen der ländlichen Küche im Kaiserreich, inklusive des Kaffeekonsums, eine „Verbürgerlichung“ der Nahrungsgewohnheiten, vgl. ders., Eine revolutionäre Veränderung der Ernährungsverhältnisse. Ländliche Kost und städtische Küche. Die Verbürgerlichung der
Von Zahlen zu Aussagen – Zum quantitativen Kaffeekonsum
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die Nachahmung adliger und bürgerlicher Konsumkulturen setzt gewisse finanzielle Spielräume voraus. Es hätte nicht nur genügend Geld zur Verfügung stehen müssen, um das Produkt zu erwerben, sondern auch um die hierfür benötigte Ausstattung an Gebrauchsgegenständen anzuschaffen.46 Deshalb hätte Kaffeekonsum für die breite Bevölkerung nur dann möglich sein können, wenn der Preis sich stark verringert und zudem das Realeinkommen massiv gestiegen wäre. Beides trifft in diesem Ausmaß bis zum Ersten Weltkrieg nicht zu.47 Gerade weil es unmöglich ist, durch das statistische Material die Frage der differentiellen Verbreitung wirklich zu beantworten, lässt sich anhand von unterschiedlichen quantitativen Ergebnissen trefflich über deren Bedeutung streiten. Ein Ansatz, in dieser Problematik weiterzukommen, ist zu fragen, inwieweit das koffeinhaltige Heißgetränk ein elementarer Bestandteil der Konsumbedürfnisse wurde.48 Die Analyse des Bedürfnisses nach einer Ware hat den Vorteil, jenseits von Quantitätsermittlungen und bestimmten sozialen Gruppen anzusetzen und nicht per se von einem festgesetzten Entwicklungspfad auszugehen. Grundsätzlich erscheint es zwar wahrscheinlich, dass diejenigen, die über mehr Einkommen verfügten, sich auch eher Bohnenkaffee leisten konnten. Mit dieser Annahme ist aber noch nicht bewiesen, dass sie sich das Getränk leisten wollten. Diese Überlegung gilt umgekehrt ebenso für die untersten Einkommensgruppen: Selbst bei einem geringen Budget blieb eine Wahlmöglichkeit. Entschied sich der Konsument trotz niedrigen Einkommens für regelmäßigen Bohnenkaffeekonsum, so war sein Konsumbedürfnis, unabhängig von der tatsächlichen Verbrauchsmenge, mindestens ebenso hoch, wenn nicht sogar höher als das eines regelmäßigen Kaffeekonsumenten aus einer höheren Einkommensschicht. Mit der Frage nach dem Bedürfnis nach einer Ware lässt sich auch die kulturelle Aneignung von Nahrungsmitteln untersuchen. In das Zentrum der Analyse rücken damit die ihnen zugeschriebenen materiellen Werte (Gebrauchswerte / Produktkern)
Ernährungsgewohnheiten zwischen 1880 und 1930, in: Der Bürger im Staat, Themenheft Nahrungskultur. Essen und Trinken im Wandel 52 (2002) 4, S. 193–199, S. 193 f. Kritisch zum Topos der Imitation sind Haupt (2003), S. 15, Brewer (1997), S. 69 f., und Sandgruber (1986), S. 60. 46 Zu den typischen benötigten bürgerlichen Ausstattungsgegenständen vgl. Wedemeyer (1989). 47 Zur Reallohnentwicklung u. a. Gerhard A. Ritter und Klaus Tenfelde, Arbeiter im deutschen Kaiserreich, Bonn 1992, S. 491–497; Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3: Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs 1849–1914, München 1995, S. 604, S. 606, S. 777 f. 48 Zur Definition von Konsum als Befriedigung eines Bedürfnisses vgl. Haupt und Torp (2009), S. 12. Zum Begriff des Konsumbedürfnisses als Kulturbedürfnis vgl. König (2008), S. 15 f.; Margit Szöllösi-Janze, Notdurft – Bedürfnis. Historische Dimensionen eines Begriffswandels, in: Prinz (2003), S. 151–172.
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Popularisierung und Kommerzialisierung des Kaffeekonsums
wie auch die immateriellen Werte (Symbolwerte / Zusatzeigenschaften).49 Bedürfnis ist nicht als eine anthropologische Konstante und Voraussetzung des Marktgeschehens zu verstehen, der sich bestimmte Konsumgüter zuordnen. Vielmehr werden das Bedürfnis nach einem Produkt wie der ihm zugeschriebene Sinn und das Angebot des Produkts auf dem Markt als voneinander abhängige Variablen konzipiert. Objekte sind demnach gerade nicht feststehenden Bedürfnissen zugehörig. Stattdessen lässt sich gemäß dem Ansatz der Thing-Theory mit dem Blick auf die Objekte untersuchen, wie sich der Sinn, den die Akteure bestimmten Konsumgütern zuschreiben, wandelt.50 Es sind die sich wandelnden Bedürfnisse nach Objekten sowie der Sinn, den ihnen die Akteure im Marktgeschehen zuschreiben, welche im Folgenden die entscheidenden Analysekategorien bilden. Im Hinblick auf die in dieser Arbeit verfolgte akteurszentrierte Produktperspektive gilt es daher zuerst zu klären, für welche sich verändernden Bedürfnisse das Getränk und sein Konsum standen und wie Bohnenkaffee diese befriedigen konnte. Daran kann diskutiert werden, welche Verhaltensweisen und/oder Handlungen aus diesen Bedürfnissen entstanden.51 Natürlich lassen sich Bedürfnisse weder quantitativ messen noch werden sie in der Regel in qualitativen Überlieferungen ausdrücklich formuliert. Doch findet sich eine Vielzahl von Quellen, in denen von Angehörigen unterschiedlicher sozialer Gruppen thematisiert wird, wann, wo und warum sie Kaffee konsumierten. In diesen Quellen äußern sich die Zeitgenossen implizit und explizit zu den Bedeutungen, die sie dem Gut und seinem Konsum zuschreiben. Von diesen Aussagen ausgehend lassen sich Schlussfolgerungen über die jeweiligen Bedürfnisse, die Kaffee und sein Verzehr zu befriedigen imstande waren, ziehen. Daraus wiederum lässt sich herausdestillieren, welche Rationalitäten verschiedenen Bedeutungszuschreibungen bei unterschiedlichen Konsumentengruppen unterlagen. Primäres Interesse ist somit nicht zu klären, wer wie viel Kaffee trank, sondern herauszufinden, was die Konsumenten mit dem Kaffee und seinem Konsum verban49 Vgl. Ariane Stihler, Die Bedeutung der Konsumsymbolik für das Konsumverhalten, in: Michael Neuner (Hg.), Konsumperspektiven. Verhaltensaspekte und Infrastruktur, Berlin 1998, S. 55–72, hier S. 55 f.; Roman Rossfeld, Ernährung im Wandel. Lebensmittelproduktion und -konsum zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur, in: Haupt und Torp (2009), S. 27–45, hier S. 37–39. 50 Vgl. Bill Brown, Thing Theory, in: Critical Inquiry 28 (2001) 1, S. 1–16. Dem Ansatz fühlt sich auch der Sammelband von Appadurai (1988) verpflichtet. Ein guter Überblick über den Ansatz und wichtige Studien, die ihn in den letzten zehn Jahren anwendet haben, finden sich bei Anke Ortlepp und Christoph Ribbat (Hg.), Mit den Dingen leben. Zur Geschichte der Alltagsgegenstände, Stuttgart 2010. 51 Zum Unterschied von Verhalten und Handeln und als Einführung in die Theory of Rational Choice vgl. Klaus P. Hansen, Kultur und Kulturwissenschaften. Eine Einführung, 3. Aufl., Tübingen und Basel 2003, S. 122–132; Ann Swidler, Culture in Action. Symbols and Strategies, in: American Sociological Review 51 (1986) 2, S. 273–286.
Motive und Orte: Diversifikation des Konsums
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den und ob es darunter eventuell dominierende Deutungen gab. In der Folge wird erkennbar, wodurch sich eventuell eine schichtübergreifende Popularität des Getränks begründete, dessen Konsum die Gesellschaft strukturell in den alltäglichen Interaktionen und Ritualen differenzierte und/oder integrierte. Erst so lassen sich die Ursachen der Popularisierung untersuchen, im Zuge derer der Kaffeekonsum bis heute zu einem elementaren Bestandteil der Konsumbedürfnisse geworden ist.
6.2. Motive und Orte: Diversifikation des Konsums In der Diskussion über die schädlichen Wirkungen des Kaffeekonsums und darüber, durch welche Nahrungsmittel man das Getränk ersetzen könnte, formulierte Hermann Friedrich Nicolai 1909 resigniert, dass seine auf Vernunft und wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden Ausführungen zwar gesellschaftspolitisch richtig seien, aber wohl keinerlei Auswirkung auf das Konsumentenverhalten, egal welcher sozialen Schicht, hätten: „Aber selbst wenn die Milch oder eine Suppe billiger oder gleich theuer wäre, würden die Meisten beim Kaffee beharren – weil er modern ist.“52 Diesem Zitat ließen sich beliebig viele mit einer ähnlichen Aussage anschließen. Kaffee erfüllte bestimmte Bedürfnisse besser als andere Verbrauchsgüter. Dies war anscheinend relativ unabhängig vom Preis oder von vorhandenen Substituten. Den Konsumenten erschien Bohnenkaffee attraktiver als andere (preiswertere) Produkte oder seine Surrogate. Die Verbreitung eines Konsumgutes bedeutet jedoch nicht, dass sein Verzehr nur einem Erklärungsmuster folgt: Zum einen können Konsumenten der Wirkung eines bestimmten Verbrauchsgut auf den eigenen Körper unterschiedliche Bedeutungen zusprechen (Produktbedeutung und/oder Produktkern). Je nach Konsumentensicht erfüllt dessen Verzehr für sich genommen bestimmte Rationalitäten. Man isst beispielsweise einen Apfel, weil man annimmt, dass er gesund ist, oder man isst einen Apfel, weil er schmeckt. Zum anderen kann das Konsumieren eines Produkts in einem spezifischen Kontext andere Rationalitäten erfüllen als in einem anderen (Kontextbedeutung und/oder Zusatzeigenschaften). Je nach Konsument und Kontext dient es zum Beispiel als Demonstration von Status, als Zeitvertreib, als Erfüllung eines körperlichen Bedarfs (man isst einen Apfel, der gerade vorhanden ist, weil man Hunger hat) oder als eine Kombination aus diesen Rationalitäten. Da Konsumverhaltensweisen der sozialen Distinktion dienen, geben sie auch Aufschluss über die Kollektivzugehörigkeit derjenigen, die sie ausüben.53 Trotz Überschneidungen und Modifizierungen lassen sich gewisse Schnittmengen der Produkt52 Nicolai (1909), S. 66. 53 Vgl. allgemein Mary Douglas und Baron Isherwood, The World of Goods. Towards an Anthropology of Consumption, New York 1978.
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Popularisierung und Kommerzialisierung des Kaffeekonsums
und Kontextbedeutung ausmachen. Diese Schnittmengen bilden Konsummuster. Sie standen im hier betrachteten Zeitraum in einem engen Zusammenhang mit den Lebensbedingungen der Konsumenten.54 Neuere Studien weisen darauf hin, dass weniger Sozialindikatoren, wie der Berufsstand des Haushaltsvorstandes, sondern verschiedene Konsummuster den Konsum prägten. Auch das „Industrieproletariat [war] keineswegs durchweg von einem ‚einfallslosen Gleichmaß’ (Triebel 1991) geprägt […] sondern [erstreckte] sich stattdessen über nicht weniger als fünf verschiedene Konsummuster.“55 Um gleichwohl die Lebensbedingungen der Konsumenten zu berücksichtigen, scheint es geboten, den Begriff des Konsummusters zu wählen und nicht denjenigen des Konsumstils. Ersterer lässt offen, ob sich der Konsum von bestimmten Produkten aus „freier“ Entscheidung oder sozioökonomischen Bedingungen ergibt.56 Die grundlegende Annahme für die folgenden Überlegungen ist, dass die individuellen Lebensbedingungen zwar nicht unbedingt darüber entschieden, ob Kaffee konsumiert wurde. Gleichzeitig standen die Konsummuster aber in Abhängigkeit zu den Möglichkeiten und Zwängen der sozialen Lage und der individuellen Situation. Letztere konnte unter anderem durch Faktoren wie Geschlecht, Ethnizität, Religion, Größe der Familie in Abhängigkeit zum Einkommen oder Einflussfaktoren wie städtische oder ländliche Umgebung und soziokulturelle Normen gekennzeichnet sein.57 54 Vgl. Haupt (2003), S. 99. Reinhard Spree bezieht sich auf das Konzept von Max Haller zur Analyse von sozialer Ungleichheit, vgl. ders., Klassen- und Schichtenbildung im Medium des privaten Konsums. Vom späten Kaiserreich in die Weimarer Republik, in: Historical Social Research 22 (1997), S. 29–80, hier S. 31–36. 55 Fischer (2008), S. 2. 56 Der Begriff Konsumstil verweist auf eine freie Wahl, ein absichtsvolles Moment der Entscheidung und auf eine bestimmte Art und Weise des Konsumierens. Der Begriff des Konsummusters lässt hingegen offen, ob die gewählte Konsumweise (in ihrer Quantität und Qualität) frei gewählt ist und/oder aus den ökonomischen Zwängen der jeweiligen Lebensbedingungen resultiert. Die Erklärungsmuster der Konsumenten im Hinblick auf die Produktbedeutung und Kontextbedeutung können sich also aus „freier“ Entscheidung und/oder sozioökonomischen Bedingungen ergeben. Vgl. Anke Wahl, Die Veränderung von Lebensstilen. Generationenfolge, Lebenslauf und sozialer Wandel, Frankfurt/M. und New York 2003, S. 32. Gerade der Aspekt einer freien Wahl wird jedoch in der Lebensstilforschung diskutiert und mehrheitlich mit Skepsis behandelt, vgl. ebd. S. 81–82. Zu den Vor- und Nachteilen der Begrifflichkeiten Konsummuster versus Konsumstil vgl. Fischer (2008), S. 8 f. Vgl. Eva Barlösius, Essbar oder nicht essbar? Die Nahrung als kulturelles und soziales Zeichen, in: dies., Soziologie des Essens. Eine sozial- und kulturwissenschaftliche Einführung in die Ernährungsforschung, Weinheim und München 1999, S. 91–122. 57 Dazu und für einen Überblick über die wichtigsten Tendenzen in der Untersuchung differentieller Konsummuster im Kaiserreich vgl. Tenfelde (1997). In der Forschung wird bei der Frage der sozialen Differenzierung von Konsummustern im Kaiserreich von unterschiedlichen gesellschaftlichen Strukturierungskonzepten ausgegangen. Zum Zusammen-
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Bei der Berücksichtigung all dieser Variablen und ihrer Kombinationsmöglichkeiten im Alltag ließen sich bestimmt entsprechend viele unterschiedliche Konsumpraktiken in den Quellen auffinden. Der Versuch der Herausdifferenzierung des jeweiligen Einflusses unterschiedlicher Lebensbedingungen auf den Konsum wäre also schon angesichts von deren Fülle und Komplexität zum Scheitern verurteilt. Problematisch ist zudem, dass sich die aus den Haushaltsrechnungen gewonnenen Daten allein auf die „sozialen Kategorien der Jahrhundertwende“ beziehen und so ihre „Analyse im selbsterstellten Kategoriensystem“58 verhaftet bleibt. Doch welche Alternativen bieten sich, wenn man die Perspektive der Konsumenten (die diskursiven Erklärungsmuster) und ihre Konsumpraktiken (die tatsächlich ausgeführten Handlungen) berücksichtigen will? Da quantitative Daten zur Erfassung des differentiellen Konsums von Kaffee fehlen, verbleibt nur eine deskriptive Betrachtung von in den Quellen vorgefundenen Äußerungen. Auch diese sind durch die von den Zeitgenossen erfahrenen sozialen Strukturierungen geprägt. Diese in ihrem Bezug zu den Bedeutungen des Konsums herauszuarbeiten, vermag aber eventuell einiges über das Verhältnis von Konsummustern und Lebensbedingungen auszusagen. Um für die Suche nach eventuellen übergeordneten Deutungskonzepten möglichst differente Lebensbedingungen zu berücksichtigen und auf ihren Einfluss auf die Konsummuster sowie auf die zugrundeliegenden Rationalitäten hin zu analysieren, werden im Folgenden zwei konträre Konsummuster herausgegriffen: das des Bürgertums und das der Industriearbeiter.59 Damit soll nicht impliziert werden, dass es lediglich diese zwei Konsummuster gegeben hätte. Zudem handelt es sich bei den identifizierten Mustern immer um ein Substrat, also um einen aus den Quellen extrahierten Idealtyp. Doch lassen sich mittels ihrer Analyse die zentralen Motive
hang von (Sozial-)Milieus im Sinne der Definition Rainer M. Lepsius’ und deren Konsumverhalten auch im Kaiserreich vgl. Stefan Goch, Aufstieg der Konsumgesellschaft – Niedergang der Milieus? Viele Fragen, in: Prinz (2003), S. 413–436. Demgegenüber verwendet Spree (1997) die Kategorien Klassenlage und Schicht. Je nach Fragestellung und Argument wird zwar das jeweilige Strukturierungskonzept begründet, eine abwägende vergleichende Beurteilung steht aber ebenso aus wie eine Studie, die die Frage nach der Bedeutung von Konsum im Kaiserreich oder der Gesellschaft des Kaiserreichs als Konsumgesellschaft systematisch behandelt. Zum Stand und den Desideraten der Konsumforschung in Deutschland vgl. Haupt und Torp (2009), S. 9–26. Die Autoren plädieren beispielsweise gegen eine Verwendung des Milieukonzeptes, vgl. ebd., S. 13. 58 Spiekermann (1997), S. 45. 59 Für eine Gegenüberstellung der Arbeiter- und Bürgerhaushalte im Hinblick auf Einkommen und Ausgabenpotential sowie differentielle Konsumausgaben vgl. Tenfelde (1997), S. 252–265; Spree (1997), S. 29–80. Mit älteren konsumhistorischen Ansätzen arbeitet Karl Landau, Bürgerlicher und proletarischer Konsum im 19. und 20. Jahrhundert, Köln 1990.
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Popularisierung und Kommerzialisierung des Kaffeekonsums
der Konsumenten herausarbeiten, die den Kaffeekonsum zu einem weit verbreiteten Bedürfnis werden ließen. Als Grundlage der Analyse dienen maßgeblich die bisher nicht in der Forschung berücksichtigten, Stadt und Land gleichermaßen erfassenden Konsumberichte der Angestellten der Hamburger Zoll- und Akzisedeputation. Sie ermittelten den Konsum von Kaffee, Zucker, Tee und Tabak in 46 deutschen Städten und Landkreisen von 1867 bis 1880.60 Nur Bayern blieb hier ausgespart. Diese geografisch und sozial differenzierte Art der Berichterstattung eines Zollamtes scheint ein Novum zu sein.61 Motiviert war sie wohl wesentlich durch das Interesse Hamburgs an einer Herabsetzung der Aversen.62 Immer wieder verweisen die von der Deputation verfassten Berichte auf die Notwendigkeit von sozial und lokal vergleichenden Erhebungen für die Festsetzung des Aversums. Auf der Grundlage des Durchschnittswerts könne man kaum Aussagen treffen, da die Ernährung „in den verschiedenen Ländern, ja in den einzelnen Theilen und Provinzen desselben Landes mannichfach verschieden [ist]. […] die mannichfaltigen Unterschiede, welche in der Consumptionsweise hervortreten, werden nicht sowohl durch die Verwendung ganz verschiedenartiger Nahrungs- und Genussmittel hervorgerufen, sie beruhen vielmehr fast ausschließlich auf der Verschiedenheit des Antheils, welcher bei den einzelnen Verzehrsgegenständen an der Gesamternährung der Bevölkerungen im Vordergrunde steht.“63
Ihre vergleichenden Erhebungen nutzte die Hamburger Deputation demnach, um den Verbrauch von Genussmitteln in Hamburg im Vergleich zu anderen Kommunen zu relativieren und so die Abgabenlast Hamburgs zu mindern. Mehrheitlich stammen die Berichte der Angestellten aus den Jahren 1867, 1878 und 1879. Sie geben somit 60 Vgl. StAHH, Bestand 314-1, Signatur BV d, Nr. 1; ebd., Signatur BV d, Nr. 5; ebd., Signatur BV d, Nr. 6; ebd., Signatur B VIII, Nr. 8; ebd., Signatur B VIII, Nr. 9. 61 Eine Recherche der Autorin bei den Staatsarchiven und schriftliche Anfragen in den Kommunalarchiven ergaben, dass laut Findbuch keine ähnlichen Erhebungen ermittelt werden konnten. Die Aufgaben und Praktiken der Zoll- und Akzisedeputationen im Kaiserreich sind aber im Gegensatz zum Statistischen Reichsamt bisher weitgehend von der Forschung nicht behandelt worden. 62 Aversen sind die Beiträge, die die nicht zum Zollverein gehörenden Gebiete (Zollausschüsse) anstatt von Zöllen und Verbrauchssteuern zahlen mussten. Die Berechnung der Aversen erfolgte nach dem Verhältnis des Verbrauchs der ortsanwesenden Bevölkerung zu den Nettoeinnahmen des Reichs an Zöllen und Verbrauchssteuern, indem zum Ausgleich der höheren Verbrauchsfähigkeit der städtischen Bevölkerung der Zollausschlüsse für diese ein fester Zuschlag pro Kopf erhoben wurde. Allgemein zum Finanzausgleich zwischen Reich, Kommunen und Ländern vgl. Hans-Peter Ullmann, Der Deutsche Steuerstaat. Eine Geschichte der öffentlichen Finanzen vom 18. Jahrhundert bis heute, München 2006, S. 56–63. 63 StAHH, Bestand 314-1, Signatur BVd, Nr. 6, Manuskript vom 27.11.1878, S. 1.
Motive und Orte: Diversifikation des Konsums
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lediglich Momentaufnahmen wieder. Aufgrund ihrer unklaren Erhebungspraktiken lassen sie zudem keine repräsentativen Aussagen zu.64 Doch ergänzen sie zum einen die zeitgenössischen Studien zur Ernährungsweise unterschiedlicher sozialer Gruppen in verschiedenen Regionen und die zwei großen Verbrauchserhebungen des Statistischen Reichsamtes sowie des Deutschen Metallarbeiter Verbandes (DVM) von 1907/08.65 Im Gegensatz zu anderen Quellengruppen kommt ihnen zum anderen für die hier verfolgte Fragestellung ein hoher Wert zu, da die Berichterstatter nach sozialer Lage, Wohnort und Bezugsort differenzierten und die private und öffentliche Konsumpraxis beschrieben. Beachtung fand, ob die Konsumenten Bohnen- oder Ersatzkaffee oder eine Mischung von beiden tranken und ggf. in welchem Verhältnis, ob sie Milch und Zucker verwendeten oder nicht und wie viel Kaffee sie wie oft, wann und zu welchem Preis konsumierten. Dieser Quellenfund zusammen mit den bekannten zeitgenössischen Studien und Erhebungen66 ermöglicht es, die Popularisierung des Kaffeekonsums anhand der von den Konsumenten hervorgehobenen Erklärungsmuster exemplarisch an den Idealtypen der bürgerlichen und proletarischen Konsummuster zu diskutieren.67 Kaffee wurde im 19. Jahrhundert zum bürgerlichen Getränk schlechthin. Im Bürgertum68 entsprach das Getränk den eigenen Vorstellungen vom richtigen Leben. 64 An keiner Stelle finden sich in den Akten Reflexionen über die Auswahl der Orte und Länder sowie der befragten Personen. 65 Vgl. Kaiserliches Statistisches Amt, Abteilung für Arbeitsstatistik (Hg.), Erhebung von Wirtschaftsrechnungen minderbemittelter Familien im Deutschen Reiche, Berlin 1909 und Vorstand des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes (Hg.), 320 Haushaltsrechnungen von Metallarbeitern, Stuttgart 1909. Beide Studien sind unter dem gleichen Titel und hrsg. v. Dieter Dowe 1981 neu aufgelegt worden. Quellenkritik zu den Erhebungen ausführlicher bei Triebel (1991), Bd. 1. 66 Von einer Auflistung der 42 Publikationen kann an dieser Stelle abgesehen werden, da es im Wesentlichen die Publikationen sind, die auch Triebel (1991), Leszniczak (2003) und Fischer (2008) zur Grundlage ihrer Studien gemacht haben. 67 Zu ländlichen Kaffeekonsummustern vgl. Thorsten Albrecht, Der Kaffee auf dem „platten“ Land, in: Rodekamp und Beutelspacher (1978), S. 34–42. 68 Als grundlegende Zugehörigkeits- und Qualifikationskriterien werden in der Sekundärliteratur im allgemeinen „Besitz“ und „Bildung“ genannt und es wird versucht, über den Verweis auf das spezifisch „Bürgerliche“ wie Lebensstil, kulturelle Praxis, Habitus und Wertehorizonte zu zeigen, wodurch das Bürgertum sich zwar nicht als scharf abgegrenzte, aber in Selbst- und Fremdzurechnung gleichwohl wahrnehmbare soziale Formation und vorwiegend städtisches Phänomen konstituiert hat. Zur Begriffsgeschichte vgl. Manfred Riedel, Art. Bürger, Staatsbürger, Bürgertum, in: Otto Brunner u. a. (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Stuttgart 1972, Bd. 2, S. 672–725. Zuletzt Osterhammel (2009), S. 1079–1104. Die umfangreiche Literatur zur Bürgertumsforschung kann an dieser Stelle nicht aufgeführt werden. Zum „bürgerlichen“ Konsum vgl. Gunilla Budde, Bürgertum und Konsum. Von der repräsentativen Bescheidenheit zu den „feinen Unterschieden“, in:
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Hedonismus und Enthaltsamkeitsvorstellungen konnten im Bürgertum gleichzeitig nebeneinander bestehen. Da das Verhältnis des Bürgertums zum Konsum sich also durchaus ambivalent gestaltete, geriet die Frage nach der richtigen Ausübung von Konsum zu einem Dreh- und Angelpunkt bürgerlicher Identitätskonstruktion.69 Dies zeigt sich insbesondere an den Formulierungen über die Art und Weise der Zubereitung des Kaffees und seines Konsums. Sie demonstrieren ein Erklärungsmuster, das unter anderem darin bestand, zu wissen, wie man mit dem Konsumgut am angemessensten umgeht, denn „nur gute deutsche Bürgerhäuser [können] anständigen Kaffee bereiten, denn solcher Kaffee gehört zur Kultur des Geschmacks, der äußeren Lebensführung“.70 Dieses Zitat ist insofern typisch, als sein Autor genau weiß, was „anständig“ bedeutet, ohne ein Wort über die Details zu verlieren. Er unterscheidet nicht allein zwischen der „richtigen“ und „falschen“ Zubereitung des Getränks, sondern ebenso zwischen einer „angemessenen“ und einer „inakzeptablen“ konsumtiven Verhaltensweise. Zwar konnte man in der entsprechenden Ratgeberliteratur einiges über die konkrete Zubereitung erfahren,71 doch der Referenzrahmen dessen, was „angemessen“ von „unangemessen“ unterschied, war die bürgerliche Sozialisation. Sie vermittelte explizit durch Erziehungsanweisungen und implizit durch den Lebensstil die Kenntnis über die entsprechenden Verhaltensweisen und konsumtiven Praktiken.72 Kaffee, sein Konsum und seine Zubereitung konnten so den Maßstab für einen „kultivierten“ Lebenswandel bilden und bürgerliche Zugehörigkeit demonstrieren.73 Als die 18-jäh-
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Haupt und Torp (2009), S. 131–144; Toni Pierenkemper, Der bürgerliche Haushalt in Deutschland an der Wende zum 20. Jahrhundert – im Spiegel von Haushaltsrechnungen, in: Dietmar Petzina (Hg.), Zur Geschichte der Ökonomik der Privathaushalte, Berlin 1991, S. 149–185. Vgl. Budde (2009), S. 132 f. N. Jaques, Noch einiges über den Kaffeegenuß, in: Hamburger Nachrichten, vom 27.7.1909. Vgl. Friedrich Hartmann, 50 Menüs zu Kaffee- und Tee-Gesellschaften, Bd. 1, Stuttgart 1906; Friedrich August Reimann, Kaffeebüchlein und Kaffee Kochbuch oder der bürgerliche und elegante Kaffeetisch … Ein Ratgeber für Reich und Arm, Coburg 1841; G. Suleika, Geheimnis der Zubereitung, mit wenig Kaffee einen starken und wohlschmeckenden Kaffee zu kochen, Leipzig 1865. Zur Bedeutung der Ratgeberliteratur vgl. Wiedemann (1991). Zur Kaffeezubereitung vgl. ebd., S. 150. Zur bürgerlichen Sozialisation vgl. Gunilla-Friederike Budde, Auf dem Weg ins Bürgerleben. Kindheit und Erziehung in deutschen und englischen Bürgerfamilien, Göttingen 1994, hier vor allem S. 81–148, S. 307–354. Zu bürgerlichen Vorstellungen vom kultivierten Lebenswandel und konsumtiven Praktiken vgl. Sibylle Meyer, Das Theater mit der Hausarbeit. Bürgerliche Repräsentationen in der Familie der wilhelminischen Zeit, Frankfurt/M. 1982. Zu den verschiedenen Bereichen bürgerlicher Konsumkultur vgl. Dieter Hein und Andreas Schulz (Hg.), Bürgerkultur im 19. Jahrhundert. Bildung, Kunst und Lebenswelt, München 1996.
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rige Hedwig Crüsemann 1868 ihren späteren Ehemann Georg Friedrich Heyl im Kurort Schlangenbad bei Wiesbaden kennenlernte, hatte sie zunächst Angst, ihr Vater, der immer betont hatte, dass er sie nicht „vor dem 22. Jahre hergeben würde“, könne den erwählten Zukünftigen ablehnen. Dieser machte jedoch einen guten Eindruck – er kochte seinen Kaffee richtig: „Ich hatte Heyl vorbereitet, daß mein Vater stets von Kleinem auf Großes schloß – und so wunderte er sich nicht, als er gefragt wurde, wie er seinen Morgenkaffee mache. Nie habe ich später bei einer Examensfrage einer lieben Schülerin so um die Antwort gezittert – aber unnötig! In wohlüberlegter Auseinandersetzung erklärte er den während des Anziehens auf der Berliner Kaffeemaschine erfolgten Aufguß – und Vater schmunzelte über Zeiteinteilung und Sorgfalt. Der erste Schritt war gewonnen.“74
Das Konsumgut, seine richtige Zubereitung und Einnahme hatten einen symbolischen Wert. Eingebettet in ein System distinktiver Verhaltensweisen, dienten Kaffee und Kaffeekonsum der Konstituierung des bürgerlichen Habitus. Und dies galt, wie die oben zitierte Passage zeigt, nicht allein für bürgerliche Frauen, auch wenn häusliche Reproduktionsaufgaben grundsätzlich von ihnen oder unter ihrer Aufsicht bewältigt werden mussten. Der „richtige“ Umgang mit Kaffee gemäß bürgerlicher Konsumkompetenzen musste erlernt und immer wieder „demonstriert“ werden. Dazu gehörte auch ein breites Arsenal an Gegenständen, um das Getränk im privaten Haushalt zuzubereiten. Dies reichte vom räumlichen Vorhandensein und der Einrichtung eines Konsumorts (mit Sofa, Kaffeetisch etc.) bis zum entsprechenden Geschirr (silberne Kaffee-, Milch- und Zuckergefäße, Porzellanservice, Löffel und Zangen usw.), das aufgrund wechselnder Moden gegebenenfalls mehrfach neu angeschafft wurde.75 Die auf Repräsentation abzielende Komponente der Kaffeekultur im bürgerlichen Konsumverhalten galt im Allgemeinen auch für andere Konsumobjekte. Diese Kontextbedeutung des Kaffeekonsums war Element der „Selbstdarstellung und Fremdabgrenzung nach außen“.76 Dürfte diese Kontextbedeutung als Integrationsmittel zur Demonstration der Zugehörigkeit zum Bürgertum oder für eine Abgrenzung nach „unten“ eine Rolle ge74 Hedwig Heyl, Aus meinem Leben, Berlin 1925, S. 11. 75 Zum Wechsel der Moden und den diesbezüglich benötigten Kenntnissen der bürgerlichen Hausfrau vgl. Budde (2009), S. 133. Zum Wechsel der Moden des Kaffeegeschirrs vgl. Peter Albrecht, Kaffee, Tee, Schokolade und das echte Porzellan, in: Weißes Gold aus Fürstenberg. Kulturgeschichte im Spiegel des Porzellans 1747–1830, Braunschweig 1988, S. 38–52; Ulla Heise und Thomas Krueger (Hg.), Kaffee privat. Porzellan, Mühlen und Maschinen, Fürstenberg 2002; Heinz-Peter Mielke, Kaffeegeschirr im Wandel der Zeit, in: ders., Kaffee, Tee, Kakao. Der Höhenflug der drei „warmen Lustgetränke“, Viersen 1988, S. 132–137; Gabrielle Obrist und Roger Fayet, Silberreflexe. Kaffeekannen und Design, Zürich 1997. 76 Budde (2009), S. 133.
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spielt haben, so verlief die Abgrenzung auf der Ebene der Produktbedeutung eher gegenüber dem Adel. Kaffee ließ sich hier besonders gut als bürgerliches Getränk inszenieren in dem Versuch, bürgerliche Konsumnormen gegenüber den hedonistischen Praktiken des Adels als rational und zweckgebunden darzustellen. Die dem Produkt zugesprochene stimulierende Wirkung ermöglichte es, seinen Konsum als Teil des bürgerlichen Leistungs- und Arbeitsethos erscheinen zu lassen. Kaffee erhielt hier neben dem symbolischen auch einen physiologischen Wert. Schon seit dem Beginn des Kaffeekonsums in Europa wurden die physiologischen Effekte des Getränks und seine Auswirkungen auf die Gesundheit diskutiert. Diese Debatte intensivierte sich mit der Entdeckung des Koffeins durch Friedlieb Ferdinand Runge 1820. Die Meinungen erstreckten sich von der Proklamation des Konsumgutes als Allheilmittel bis zu seiner Ablehnung als Gift für den Körper.77 Zwar dominierte im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die Ansicht, Kaffee habe keinen physiologischen Nährwert. Gleichzeitig sprach man aber seinem Genuss mehrheitlich eine hohe psychologische Bedeutung zu, denn er verursache „ein Gefühl des Wohlbehagens, dem keine Erschlaffung folgt und fördert die Arbeit“.78 Die dem Produkt zugeschriebenen Wirkungen auf den Körper passten zur bürgerlichen Idealisierung der Arbeit, die sich nicht nur auf die Erwerbsarbeit bezog, sondern Arbeit im Allgemeinen als eine individuelle Erfüllung ansah.79 Kaffeetrinken bedeutete hier keine Pause von der Arbeit, sondern eine Förderung der Arbeitsleistung: „Statt sich mit Wein zu berauschen, worüber sich jeder Gebildete schämen müsste, kann man ohne Erröten nun durch einen Kaffeerausch seiner Phantasie angenehme Schwingungen geben.“80 Im Kaffeekonsum ließen sich Leistungssteigerung als konkrete Determinante und als abstrakte Tugend verbinden. Im Gegensatz zum Alkohol mit seiner benebelnden Wirkung galt Kaffee als ernüchternd, konzentrations- und leistungsfördernd. Sein Konsum erhielt damit nach Maßgabe der bürgerlichen Wertvorstellungen einen äußerst zweckgebundenen Gebrauchswert.81 Kaffeekonsum war hier rationales Hilfsmittel zur Selbstdisziplinierung und Ausdruck von Mäßigung. Die Berichte der Angestellten der Hamburger Deputation beschreiben ausführlich diese bürgerliche Form des Kaffeetrinkens. Diese zeichnete sich durch drei feste 77 Vgl. Binder (2001); Heischkel-Artelt (1969). 78 Findeisen (1917), S. 113. Die gleiche Argumentation wurde auch in den Reichstagsverhandlungen 1909 eingebracht. Hier wurde diese positive Funktion des Kaffees gerade für die ärmere Bevölkerung hervorgehoben, um damit gegen die Zollerhöhung zu argumentieren, vgl. Kapitel 7.2. 79 Zum bürgerlichen Arbeitsethos vgl. Budde (1994), S. 405. 80 Zit. nach Sandgruber (1991a), S. 57. 81 Vgl. Hasso Spode, Der große Ernüchterer. Zur Ortsbestimmung des Kaffees im Prozeß der Zivilisation, in: Ball (1991), S. 219–234; ders., Die grosse Ernüchterung. Kaffee – Europas Droge der Vernunft, in: Neue Zürcher Zeitung, No. 172 vom 28.7.1993, S. 48.
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Konsumzeiten (zum Frühstück, am Nachmittag und nach dem Abendessen) und den Genuss von reinem Bohnenkaffee besserer Qualitäten aus.82 Darüber hinaus lässt sich die Eingliederung des Kaffeekonsums in bestimmte, der bürgerlichen Geschlechterordnung entsprechend getrennte soziale Räume erkennen.83 So erhielt er in der Intimität des deutschen Biedermeier neben dem gemeinsamen familiären Kaffeetrinken zum Frühstück und am Nachmittag auch eine spezifisch weibliche soziale Form im sogenannten Kaffeekränzchen.84 Dieses blieb bis zum Ersten Weltkrieg eine der wenigen allein einem weiblichen Publikum vorbehaltenen Freizeitinstitutionen im Bürgertum. Hier ging einem Treffen eine Einladung voraus. Die jeweilige personelle Konstellation reglementierte die Gastgeberin zur Pflege ihres Beziehungsnetzes. Der regelmäßige Austausch mit anderen Frauen aus dem Bürgertum war Teil der Statussicherung für die gesamte Familie. Als Pendant zum Kaffeekränzchen im Sinne der Polarisierung der Geschlechtscharaktere ist das von Männern besuchte Kaffeehaus zu sehen. Die Rolle von Kaffeehäusern (und damit indirekt auch des Kaffeekonsums) bei der Entstehung einer bürgerlichen Öffentlichkeit hat in der Kulturgeschichtsschreibung eine breite Beachtung gefunden.85 Auch im Rahmen des Kaffeehauses spielte die Produktbedeutung 82 Vgl. StAHH, Bestand BVIII, Nr. 8, o. F. Zu „angemessenem“ Kaffeegenuß zu „richtigen“ Tageszeiten vgl. Kaffee und seine Ersatzmittel, in: Blätter für Volksgesundheitspflege, 13 (1908/09) 9, S. 213. 83 Vgl. grundlegend hierzu die Studie von Karin Hausen, Die Polarisierung der „Geschlechtscharaktere“ – Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben, in: Werner Conze (Hg.), Der Strukturwandel der Familie im industriellen Modernisierungsprozess – Historische Begründung einer aktuellen Frage, Dortmund 1979, S. 363–393. Einen Überblick zum Thema bietet der Sammelband: Ute Frevert (Hg.), Bürgerinnen und Bürger. Geschlechterverhältnisse im 19. Jahrhundert, Göttingen 1988. 84 Vgl. Heidi Witzig und Jakob Tanner, Kaffeekonsum von Frauen im 19. Jahrhundert, in: Ball (1991), S. 153–168; Peter Albrecht, „O Kaffeekränzchen, so hehr und groß … Wo Du nicht tagst, dort ist nichts los!“. Betrachtungen einer höchst „privaten“ Veranstaltung, in: Ulla Heise und Thomas Krueger (Hg.), Kaffee privat. Porzellan, Mühlen und Maschinen, Fürstenberg 2002, S. 36–51. 85 Die große Masse an Literatur zum Kaffeehaus kann an dieser Stelle nicht aufgeführt werden, vgl. u. a. zu den Kaffeehäusern bis ins 19. Jahrhundert Albrecht (1980), S. 9–27; zu den Berliner Kaffeehäusern vgl. Peter Lummel, Vom Café Royal zum Coffeeshop. Drei Jahrhunderte Berliner Kaffeehauskultur, in: ders. (2002), S. 25–39. Zu Frankreich vgl. Jean-Claude Bologne, Histoire des cafés et cafétiers, Paris 1993; Mauro (1991). Zu England vgl. Norma Aubertin-Potter und Alyx Bennett, Oxford Coffee Houses. 1651–1800, Oxford 1987; Aytoun Ellis, The Penny Universities. A History of the Coffee-Houses, London 1956. Zur Rolle des Kaffeehauses für die bürgerliche Öffentlichkeit vgl. Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 5. Aufl., Neuwied und Berlin 1971, S. 46–60, hier S. 48; Hans Erich Bödeker, Das Kaffeehaus als Institution aufklärerischer Geselligkeit, in: Étienne François (Hg.), Sociabilité et société bourgeoise en
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des Kaffees als ernüchternde, konzentrations- und leistungsfördernde Substanz eine zentrale Rolle. Es verband die für diesen Ort typischen intellektuellen Diskussionen mit kommerzieller Kommunikation. Im Gegensatz zu England oder Frankreich rekrutierte sich das männliche Publikum der Kaffeehäuser im deutschen Kaiserreich „aus Privatleuten, die produktive Arbeit tun: nämlich aus der städtischen Ehrbarkeit […], mit einem starken Übergewicht der akademisch gebildeten Bürgerlichen“.86 Die Kaffeehäuser bildeten eine sozial segmentierte Öffentlichkeit und grenzten sich im Verständnis ihrer Konsumenten und den hier gepflegten Kommunikations- und Konsumpraktiken vom Wirtshaus ab.87 Im Bürgertum besaß Kaffee und sein Konsum neben seinem Gebrauchswert, seinem symbolischen und physiologischen auch einen hohen sozialen Wert. Diese vier Rationalitäten des familiären, des weiblichen und des männlichen Kaffeekonsums in unterschiedlichen Räumen bestanden zwar während der gesamten Zeit des Kaiserreichs, erhielten aber Konkurrenz durch neue Konsumorte mit erweiterten sozialen Funktionen. Insbesondere das Kaffeekränzchen geriet um 1900 bei jungen Frauen des Bürgertums in die Kritik, was die Zeitschrift Dies Blatt gehört der Hausfrau dazu veranlasste, die Bedeutung dieser Institution als Kommunikationsraum für bürgerliche Frauen zu verteidigen: Alltäglich könne man ablehnende Äußerungen über das Kaffeekränzchen hören, doch „warum sind denn aber jetzt gerade d i e s e harmlosen Zerstreuungen der Frauen in Ungnade gefallen? Man sagt, es würde bei den Zusammenkünften der Frauen nur über den lieben Nächsten hergezogen. […] Niemand wird verwehrt über Romane, Theaterstücke, über alles was ihm zugänglich ist, Urteile zu fällen. Und nur über die Art der Lebensführung […] soll man nicht sprechen? […] Von den Vorgängen, Verhältnissen und der Lebensauffassung der anderen gelangt er dazu, einen Einblick in das eigene Selbst zu thun. […] Wer es versteht, sich das im Kaffeekränzchen Gehörte, das Besprochene, zu Nutze zu machen, wird sich immer mehr von dem sogenannten Klatsch befreien; er wird seine Mitmenschen zu verstehen lernen“.88
Zwar kursierten die pejorativen Stereotype über das Kaffeekränzchen als Prototyp und Ausdruck weiblicher Klatschsucht schon seit der Entstehungszeit der Institution selbst.89 Der entscheidende Unterschied ist aber, dass um 1900 die Kritik von Frauen France, en Allemagne et en Suisse 1750–1850, Paris 1986, S. 65–80. Ein Überblick zur Geschichte des Kaffeehauses mit weiterführender Literatur bei Heise (1997), S. 139–236 und Menninger (2006), S. 85–116. 86 Habermas (1976), S. 50. 87 Vgl. Albrecht (1980), S. 42. 88 Emma Reichen, Der Nutzen der Kaffeekränzchen, in: Dies Blatt gehört der Hausfrau 15 (1900/01) 4, S. 73 f. Hervorhebungen im Original. 89 Vgl. Sandgruber (1991a), S. 64; Jacobs (1934), S. 232–237.
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stammte und zeitgleich andere (kommerzielle) Geselligkeitsformen zunehmend Bedeutung erhielten. Als Ergänzung des Kaffeekränzchens im privaten Raum setzte sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine neue private Geselligkeitsform im Bürgertum durch, die Kaffeegesellschaft. Auch diese fand in einem engen sozialen Rahmen und unter Einhaltung fester Rituale statt. Im Unterschied zum Kaffeekränzchen war sie aber offen für beide Geschlechter und eröffnete andererseits mehr soziale Spielräume als beispielsweise die durch die Speisenabfolge und feste Sitzordnung reglementierte Abendeinladung oder der Theater- und Konzertbesuch. Auch für eine Kaffeegesellschaft im privaten Raum gab es eine Etikette. Diese ermöglichte gleichzeitig eine gewisse Offenheit im Verlauf der Veranstaltung: „zu einer regelrechten Kaffeegesellschaft schickt die Dame ihr Mädchen drei bis vier Tage vorher aus, um die Einladungen zu besorgen, falls die letzteren nicht schriftlich geschehen. Zur Bewirtung gehört außer dem Kaffee sehr viel Kuchen, ‚der Einstipp’, wie man zu sagen pflegt und nachher noch etliche Torten, süße Speisen, und womöglich Bowle. […] die gesellige Freude [beginnt] um 5 oder gar um 6 Uhr. Der Kaffee dauert drei bis vier Stunden und darüber. Wunderhübsch sind Kaffees besonders im Sommer. Dann tanzt die Jugend, und die reifere Welt unterhält sich oft interessanter als in den Abendgesellschaften. Doch auch im Winter erzielt dieser Zweig der Geselligkeit oft reizende Effekte, da er ein zwangloseres Zusammensein, und mehr Freiheit und Genialität der gesellschaftlichen Bewegung zulässt. […] Es wird [dann] mehr Wein, auch Bier gereicht, und oft schließt ein kaltes oder warmes Souper gegen neun oder zehn Uhr abends die ganze Festlichkeit mit Glanz ab.“90
Die mit Kaffee assoziierten Produkt- und Kontextbedeutungen ordneten die Kaffeegesellschaft zuerst in einen bestimmten Rahmen bürgerlichen Konsumverhaltens ein. Dieser konnte aber je nach Verlauf der Veranstaltung erweitert werden. Etikette und Maß ließen sich so einhalten. Die Kaffeegesellschaft ermöglichte aber gleichzeitig – markiert durch den Wechsel zu anderen Konsumgütern – eine Wendung von Ablauf und sozialer Aktivität. Neben dem privaten Raum gewann das Konsumieren im öffentlichen Raum an Bedeutung. Im Gegensatz zu Schokolade, Tee oder Alkohol war Kaffee das einzige geschlechtsübergreifend kompatible Getränk bürgerlicher Konsumkultur in der Öffentlichkeit.91 Gerade deshalb konnten es Frauen und Männer gemeinsam öffentlich konsumieren. Dadurch veränderten sich die Geselligkeitsformen und die Kaffeehauskultur. In Gestalt von Konditoreien, Großstadtcafés, Kaffeegärten und Cafés
90 Helen von Düring-Oetken, Die Kaffeegesellschaft, in: Dies Blatt gehört der Hausfrau 10 (1896/97) 1, S. 17. 91 Vgl. Witzig und Tanner (1991), S. 164.
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Chantants92 belebte sich die Kaffeehauskultur ab den 1880er Jahren. Vorläufer dieser kommerziellen Institutionen existierten schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Nun nahm ihre Zahl zu und ihre regelmäßige Frequentierung verankerte sich als Bestandteil bürgerlicher Freizeitgestaltung. Dazu gehörte der Wochenendausflug in den am Rande der Stadt oder in den städtischen Parks gelegenen Kaffeegarten. An Sonntagen besuchten zum Beispiel im Jahr 1901 das Restaurant im Zoologischen Garten in Berlin ca. 80.000 zahlende Gäste. Hier waren „Bier, Kaffee, Butterbrote die Hauptstütze des ganzen Betriebes. […] Außer den gewöhnlichen großen Kaffeeküchen, in denen in langen Reihen die Filtrierapparate zu je 45 Tassen Inhalt stehen und das Einschenken der Tassen mittelst besonders konstruierter Maschinen besorgt wird, sind dann noch im ganzen Garten an verschiedenen, besonders beliebten Stellen provisorische Kaffeeschenken errichtet mit Thermoapparaten zum Warmhalten des Mokkas. Innerhalb weniger Stunden werden an solchen Nachmittagen 15.000 Tassen gebraut, bestellt, getrunken, zu deren Herstellung etwas 350 kg Kaffee gehören.“93
Der Besuch im Kaffeegarten vereinte gesellschaftliche Aktivität, familiär gestaltete Freizeit und öffentlichen Konsum. Die vormals auf ein männliches Publikum ausgerichteten Kaffeehäuser entwickelten sich zu Cafés. Sie zielten mit ihrem Angebot an Speisen und Getränken sowie Musik, Tanz und Unterhaltungsprogrammen auf gutsituierte männliche wie weibliche Besucher ab, die sie von morgens bis abends frequentierten. Für die bürgerliche Jugend ermöglichten diese Cafés und die Konditoreien erste Treffen, auch zwischen den Geschlechtern. Insbesondere letztere waren, so Jacobs rückblickend auf die Vorkriegszeit, „der einzige Ort, wo – ohne die Schicklichkeit zu verletzen – die Kinder aus ‚guten Häusern’ sich unter vier Augen treffen durften“.94 In der Literatur wird davon ausgegangen, dass der große Stellenwert, den Kaffee im Bürgertum hatte, maßgeblich dafür war, dass sich das Getränk im Laufe des 19. Jahrhunderts in allen Schichten etablierte. Diese Aussage ist in ihrer Pauschalität kaum zu be- oder widerlegen. Sie gilt jedoch nicht für die spezifisch bürgerlichen Konsummuster. Außerhalb des bürgerlichen Spektrums finden sich in den Quellen keine Hinweise auf Kaffeekonsum als Statusmerkmal und Zugehörigkeitskriterium. Vielmehr dominieren Aussagen, die die belebende und sättigende Wirkung des heißen Getränkes und seine hervorragende Eingliederung in den industrialisierten Ar-
92 Cafés Chantants besaßen eine Bühne und boten abends ein Kleinkunstunterhaltungsprogramm an, vgl. Albrecht (1980), S. 28–33. 93 Hanns von Zobeltitz, Hinter den Coulissen eines Riesenrestaurants. Aus dem Zoologischen Garten in Berlin mit dreiundzwanzig Abbildungen nach Originalzeichnungen von W. Gause, in: Velhagen & Klasings Monatshefte 16 (1901/1902) 1, S. 81–96. 94 Jacobs (1934), S. 240.
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beitsalltag und somit seine Anpassungsfähigkeit an die Lebensumstände betonen.95 Kaffeetrinken „ist mit der Herausbildung der modernen Industriegesellschaft eng verknüpft, auch wenn seine Einführung so sehr in den Bereich der höfischen Gesellschaft hinzuweisen scheint. Der Konsum von Genussmitteln wies im Industriezeitalter über die ärmlichen Verhältnisse hinaus, sei es als Bestandteil einer fleißigen Kaffeemahlzeit inmitten des tristen Alltags hausindustrieller Produktion, sei es als dominanter Bestandteil proletarischer Konsumgewohnheiten, sei es als festliche Krönung bäuerlicher Mahlzeiten.“96 1878 fasste die Hamburger Deputation auf der Grundlage ihrer quantitativen Verbrauchsermittlungen in Relation zu differentiellen Konsumveränderungen zusammen: „Die steigende Consumptionskraft auch der ländlichen Bevölkerung […] ist […] eine so starke gewesen, daß […] die Lieferungen von Kaffee an das ländliche Gesinde als tägliches Nahrungsmittel rentabel“97 geworden sei. Die Zunahme des Kaffeeverbrauchs ergebe sich „daraus, daß so ziemlich alle Bevölkerungsschichten an demselben, freilich in verschiedenem Maße betheiligt sind. Aus diesem Grunde muß schon an sich die Ziffer des Durchschnittsverbrauchs naturgemäß dem geringen Verbrauchsquantum der zahlreichsten unteren Bevölkerungsschichten sich nähern und kann durch den stärkeren Verbrauch der wohlhabenden Klassen nur mässig gesteigert werden. […] der Genuß des Kaffees [hat] im letzten Dezennium in der weiteren Umgebung der Städte und Flecken, in verschiedenen Provinzen auch unter den ländlichen Tagelöhnern und Fabrikarbeitern, also auch außerhalb der Städte sich mehr und mehr verbreitet.“98
Es lohnte sich schon 1878, Bohnenkaffee auch in die hinterste Provinz und an die breite Bevölkerung des Landes zu liefern, unabhängig von deren Sozialstruktur. Die steigende Nachfrage ließ sich nicht mehr lediglich über eine Zunahme des Kaffeekonsums der oberen Einkommensschichten erklären.99 Bei den Berechnungen von Stadt- und Landunterschieden ging man in den gemeinsamen Arbeitssitzungen der Beamten des Reiches und der Zollausschüsse einhellig davon aus, dass der städtische Durchschnittskonsum bei ca. 3,37 Kilogramm pro Kopf und Jahr liege, der ländli95 Vgl. Reichsamt des Inneren (Hg.), Amtliche Mittheilungen aus den Jahresberichten der Gewerbe-Aufsichtsbeamten, XX. Jahrgang 1895, Berlin 1896, S. 678, S. 680 f. 96 Roman Sandgruber, Einleitung, in: ders. und Harry Kühnel (Hg.), Genusskunst. Kaffee, Tee, Schokolade, Tabak, Cola, Innsbruck 1994, S. 1–9, hier S. 8. 97 StAHH, Bestand 314-1, Bvd, Nr. 6, Manuskript vom 27.11.1878, S. 6 und S. 29. 98 Ebd., S. 29. 99 Zur regionalen ländlichen Verbreitung des Kaffeekonsums anhand qualitativer Quellen vgl. Lesniczak (2003), S. 183–312. Hinweise finden sich auch zu Kaffee als Teil der Kost von in der Landwirtschaft beschäftigten Kindern, vgl. Klaus Herrmann, Die Veränderung landwirtschaftlicher Arbeit durch Einführung neuer Technologien im 20. Jahrhundert, in: Archiv für Sozialgeschichte, 28 (1988), S. 203–237, hier S. 226.
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che hingegen bei 1,69 Kilogramm. Alle Berechnungen beruhten auf der Annahme, dass durchschnittlich jede Person im Deutschen Reich mindestens eine Tasse täglich trinke, eine Mengenangabe, die die Untersuchungen aller beteiligten Behörden ergeben hätten. Im 18. Jahrhundert wurde in medizinischen Schriften der Kaffeekonsum für die körperlich hart arbeitende ländliche Bevölkerung noch als schädlich eingestuft, da die Experten von negativen Folgen für die Arbeitsleistung ausgingen, welche durch die schweißtreibende Wirkung des Getränks verringert würden.100 Diese Vorstellung über die Wirkungen wandelte sich aber mit der Entdeckung des Koffeins. Nun galt Kaffee als besonders förderlich auch für die Ausübung körperlicher Arbeit und als diätetische Kost für die Patienten in Krankenhäusern. Ab den 1820er Jahren verschrieben Ärzte Bohnenkaffee. In der Berliner Charité konnte man ab dem Jahr 1853 die Ernährungsgewohnheit der Patienten nicht mehr ignorieren, normalerweise ein Kaffeefrühstück einzunehmen, und „so erhielt ab 1853 praktisch jeder Kranke Kaffee“.101 Selbstverständlich tranken auch die Mitarbeitenden der Krankenhäuser Kaffee. Der Verbrauch in den von Ulrike Thoms untersuchten Krankenhäusern unterschied sich regional sowie sozial. Er betrug zum Beispiel 1901 zwischen etwas über sechs und elf Kilo pro Kopf und Jahr, wobei insbesondere die soziale Hierarchie im Krankenhaus mit der zugesprochenen Menge Bohnenkaffee korrelierte. Ärzte verbrauchten beispielsweise im Krankenhaus Moabit 1879 ein gutes Drittel mehr als das übrige Personal und doppelt so viel, wie den Patienten zugesprochen wurde. Ebenso zog die Sitte des Kaffeetrinkens über die Arbeitszulage in die Gefängnisse ein, zuerst in Hannover, in Preußen ab 1874 und in Sachsen ab 1898.102 Die stimulierende Wirkung machte das Getränk aus der Sicht der Gefängnisverwaltung zu einer angemessenen Frühstücksmahlzeit. Dies betraf nicht die Kaffeesurrogate, die man erst sehr spät einführte (vgl. Grafik 42)103 und nur als Beimischung zum Bohnenkaffee verwendete. Vergleicht man die vorliegenden Angaben zum Kaffeekonsum in den preußischen Strafanstalten mit den Durchschnittswerten pro Kopf der Gesamtbevölkerung, so war ersterer erstaunlich hoch (vgl. Grafik 41 und 42). Ulrike Thoms betont, dass in Gefängnissen wie auch in Krankenhäusern neben dem diätetischen Aspekt sich die Nahrungsgewohnheit der Masse als „normative Kraft des Faktischen“104 durchsetzte und zur Einführung des Bohnenkaffeekonsums ab Mitte des 19. Jahrhunderts führte. 100 Vgl. Albrecht (1980), S. 40. 101 Thoms (2005), S. 661. Hieraus auch die folgenden Angaben zum Verbrauch von Kaffee in den Krankenhäusern und Gefängnissen. 102 Vgl. ebd., S. 665. In Westfalen und im Rheinland gab es diese Arbeitszulagen hingegen nicht. 103 Quelle zu Grafik 42: ebd., S. 672. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, Tabelle 47. 104 Thoms (2005), S. 813.
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Grafik 42 Kaffee- und Zichorienverzehr in den preußischen Strafanstalten und Gefängnissen des Ministeriums des Inneren 1884–1893 pro Kopf
Vor allem die belebende und sättigende Wirkung des heißen Getränkes wird in den Quellen hervorgehoben. Hier erhielt der Kaffee eine Produktbedeutung, die der eines Nahrungsmittels gleichkam. Mit einer Tasse Kaffee konnte eine kalte Mahlzeit zu einer warmen werden und ersetzte diese aus finanziellen Gründen bei der städtischen wie ländlichen Bevölkerung.105 Morgens, mittags und abends wurde Kaffee – gestreckt mit Surrogaten – zumeist mit Kartoffeln oder Brot konsumiert. Er wurde als Notwendigkeit und nicht als eine den Speiseplan bereichernde Extravaganz begriffen:106 „Bei der mangelhaften Ernährung wird zum Kaffee als einem Surrogat, einem Ersatzmittel für Nährstoffe, gegriffen. Gibt es doch Tausende und Abertausende Familien, für die Kaffee das einzige Mittel ist, um die frugale Kost genießbarer 105 Vgl. StAHH, Bestand 314-1, BVIII, Nr. 8, hier die Berichte über Berlin, Düsseldorf, Köln, Lauenburg, Magdeburg, Möllen, Ratzeburg und Wittenberg. Zu Kaffee als Kost der ländlichen Bevölkerung in Bayern, hier der Heimarbeiter, vgl. Werner K. Blessing, Umwelt und Mentalität im ländlichen Bayern. Eine Skizze zum Alltagswandel im 19. Jahrhundert, in: Archiv für Sozialgeschichte 19 (1979), S. 1–42, hier S. 7 f., S. 36. 106 Von einer nur aus Brot, Kartoffeln und Kaffee bestehenden Kost berichten die meisten der zeitgenössischen Studien, vgl. Reichsamt des Inneren (1896), S. 678 f., S. 681. Für die Situation auf dem Land vgl. Hugo Meyer, Rüppur, ein Bauern- und Industriearbeiterdorf, Karlsruhe 1909, S. 69. Susanne Rausch, Ernährung und Sozialhygiene. Die Ernährung der Kleinbauern in der Eifel, in: Zeitschrift für Ernährung 1 (1931) 2, S. 62–72, hier S. 63. Für einzelne Berufsgruppen vgl. Bernhard Quantz, Zur Lage der Bauarbeiter in Stadt und Land, Göttingen 1911; Elisabeth Gnauck-Kühne, Die Lage der Arbeiterinnen der Berliner Papierwarenindustrie, in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich (1896) 20, S. 373–431, hier S. 429; Kaffee und Malz – Gott erhalts, in: Kolonie und Heimat 5 (1912) 48, S. 15; Vorstand des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes (1909), hier S. 96.
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zu machen.“107 Hier ging es mitnichten um die Frage, ob Bohnenkaffee durch seine Substitute ersetzt wurde. Vielmehr bildete Bohnenkaffee ein Substitut für andere Nahrungsmittel. Zusammen mit Milch und Zucker getrunken schuf Kaffee Wärme, Sättigungsgefühl und Stimulanz. Es finden sich zahlreiche Hinweise auf die unterschiedlichsten Formen des Konsums, zum Beispiel in der Bier-, Mehl- oder Milchsuppe oder mit Schnaps.108 „Kaffee war […] integraler Bestanteil der vor und nach der Fabrikarbeit zu Hause vorherrschenden Kost. […] Eine Art Universalgetränk, eine der Grundlagen der familiären Einheitskost.“109 Damit unterlag das Konsumgut auch einem extremen Bedeutungswandel. Es stand um 1900 nicht mehr für Luxus, sondern seine qualitativ schlechtere, mit Surrogaten gestreckte Variante stand für Armut: „Kaffee, an sich ein Genussmittel, kann heute, infolge seiner dringenden Notwendigkeit, besonders für die minderbemittelten Kreise, geradezu als Nahrungsmittel bezeichnet werden.“110 Nicht allein die stimulierende, sättigende und andere Kost schmackhafter machende Wirkung des Produkts erklärt die Präferenz für Kaffee bei der Mehrheit in Deutschland und – sofern Studien vorliegen – auch in anderen europäischen Ländern.111 Es war aus der Perspektive der den Zwängen der Arbeitszeit unterworfenen Industriearbeiter äußerst rational, sich für Kaffee zu entscheiden. Schon früh morgens in ausreichender Menge gekocht, war Kaffee nicht nur Teil des kargen Frühstücks, sondern ließ sich auch für die erste Arbeitspause am Vormittag von zu Hause mitnehmen. So wurde mit „Esspaketen unterm Arm, bunte[m] Kaffeetopf in der Hand“112 der Gang zur Arbeit angetreten. Innerhalb der allgemeinen Nachfrage nach konsumfertigen Fastfoodprodukten113 nahm das Getränk eine prominente Stelle ein. Fiel das Mittagessen aus Zeitgründen aus, ließ sich der mitgebrachte Kaffee trotzdem hastig nebenbei trinken. Er unterdrückte gleichzeitig Hunger und Müdigkeit. Die Zeitschrift für Gewerbe-Hygiene, Unfall-Verhütung und Arbeiter-Wohlfahrtseinrichtung summierte 1910 die Ergebnisse der Berichte der preußischen Gewerbeaufsichtsbeamten über die Arbeiterernährung. Sie kam zu dem Schluss, dass der Konsum nichtalkoholischer Getränke auf dem Vormarsch sei. Kaffee werde neben dem Kantinenausschank von den Arbeitern und Arbeiterinnen zu Hause konsumiert und zur Arbeit mitgebracht:
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BArch, R 8034 II, Signatur 537, Bl. 11. Vgl. Wiegelmann (1967), S. 157–190. Witzig und Tanner (1991), S. 158 f. Deutschmann (1918), S. 8. Zu Österreich vgl. Sandgruber (1991b), S. 45–56. Zur Schweiz vgl. Witzig und Tanner (1991), S. 160–163. 112 Die Armee der Arbeit, in: Berliner Illustrierte Zeitung, No. 39 vom 29.9.1912. 113 Vgl. Allen (2002a), S. 5–26.
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„In der Mehrzahl [nehmen] die preußischen Fabrikarbeiter des Morgens vor dem Antritt der Arbeit ein Frühstück, meistens bestehend aus warmem Kaffee und Zubrot, zu sich […]. Von den Arbeiterinnen wird übrigens recht häufig berichtet, daß sie weit mehr als die Männer auf Einnahme eines warmen Morgentrunks Wert legen. Oder aber sie bereiten sich Kaffee in der Fabrik […]. Die Arbeiter […] pflegen Kaffee kalt mitzubringen und in der Fabrik dann zu wärmen. Wo die großen Werke besondere Arbeiterwohnhäuser angelegt haben, wird allgemein dafür gesorgt, daß die Arbeiter pünktlich ihren Kaffee mit Beigabe erhalten.“114
Kaffee zu Hause zuzubereiten und zu konsumieren, erforderte in den engen und überfüllten Wohnungen eine entsprechende Koordination von Schlafgängern und Hauptmietern. Die Küche als Hauptaufenthaltsraum, Zubereitungs- und Konsumort war hoch frequentiert. Hier waren die unterschiedlichen zeitlichen Bedürfnisse, Kaffee zu kochen und zu konsumieren, Teil der alltäglich abzustimmenden Aufgaben.115 Ein Kaffee zum Frühstück gehörte zum Beispiel zum festen Bestandteil der Wohnkontrakte der Berliner Arbeiterinnen in der Kleiderkonfektion.116 Ihnen erschien es funktional und preiswert, zu Hause und bei der Arbeit Kaffee zu trinken. Die hier übliche Akkordarbeit verhinderte oft überhaupt eine richtige Pause, zudem kostete Kaffee mit Brot nur 10 Pfennig gegenüber einem Mittagessen in der Volksküche für 25 bis 35 Pfennig. Bei der Frage nach der Bedeutung des absoluten Preises eines Konsumgutes für die Kaufentscheidung muss also der relative Preis im Verhältnis zu den Nahrungsgewohnheiten mitbedacht werden: 1901 berichtete ein Gegner des Bohnenkaffeekonsums, dass „eine sehr grosse Zahl sogenannter sparsamer Hausfrauen […] den Kaffee der Billigkeit halber vor[zieht]. Eine Portion Kaffee von 8g gebranntem Kaffee (1,5 Pf.) mit 10 g Zucker (0,54 Pf.) und 0,15 Liter Milch (2 Pf.) kostet rund 4,5 Pf., während 1,5 Liter Milch allein schon 6 bis 7,5 Pf., eine Milchsuppe natürlich noch entsprechend mehr kostet.“117 Obwohl Kaffee prinzipiell teuer war, konnte es also trotzdem innerhalb der jeweiligen Speiseordnung preiswerter sein, sich für Kaffeekonsum zu entscheiden. Die Produkt- (sättigend, stimulierend) und die Kontextbedeutung (zeitsparend), die mit ihm verbunden wurden, sprachen dem Getränk aus der Sicht der Konsumenten einen hohen Gebrauchswert zu. Aus dieser Perspektive erklärt sich auch, dass der Kauf des teuren Guts für den durchschnittlichen Konsumenten nicht bedeutete, sich in seinen Bedürfnissen einzuschränken, um bürgerlichen oder adligen 114 Zur Frage der Ernährungsverhältnisse der Arbeiter, in: Zeitschrift für GewerbeHygiene, Unfall-Verhütung und Arbeiter-Wohlfahrtseinrichtung 17 (1910) 19, S. 424. 115 Vgl. Lutz Niethammer unter Mitarb. von Franz Brüggemeier, Wie wohnten Arbeiter im Kaiserreich?, in: Archiv für Sozialgeschichte 16 (1976), S. 61–134, hier S. 126. 116 Vgl. Grandke (1899), S. 275 f., S. 278. 117 Nicolai (1909), S. 66.
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Konsummustern nachzueifern.118 Es erfüllte, gestreckt mit Surrogaten und in Kombination mit anderen Genuss- und Nahrungsmitteln, die eigenen Bedürfnisse adäquat und in Relation zu den Zwängen der sozialen Lage variantenreich. Deshalb wurden „Kartoffeln, Branntwein und Kaffee […] zur klassischen Dreiheit des Pauperismus“.119 Kaffeekonsum gehörte in diesem Kontext ebenso zum Alltag wie Entbehrungen, Mangelernährung und Hungererfahrung.120 Alternativen zu der Kost der städtischen Bevölkerung versuchten die Volkskaffeehalleninitiativen zu bieten. Über den subventionierten Verkauf von Kaffee ab den 1890er Jahren zielte die bürgerliche Wohlfahrtspflege darauf ab, die Unterschichten zur Arbeit und zum „anständigen“ Lebenswandel insbesondere ohne Alkohol zu erziehen.121 Organisiert waren diese Initiativen als gemeinnützige Vereine, gewinnorientierte Aktiengesellschaften oder aber von den Kommunen.122 Die sogenannten Kaffeeklappen (Holzbuden mit Schiebefenster) und spätere steinerne Kantinenhäuser im Hamburger Freihafen des 1887 gegründeten gemeinnützigen Vereins für Volkskaffeehallen verkauften 1897 1,5 Millionen Tassen Ersatzkaffee zu 5 Pfennig und knapp 32 Tausend Tassen Bohnenkaffee zu 10 Pfennig zum Selbstkostenpreis.123 1909 waren es knapp 2 Millionen Tassen Ersatz- und etwas über 75 Tausend Tassen Bohnenkaffee. Neben Kaffee bot der Verein auch alkoholische Getränke, Milch, Mi-
118 Vgl. StAHH, Bestand 341-1, Signatur BVIII, Nr. 8, 9 und 13. 119 Sandgruber (1994b), S. 5. 120 Vgl. Alf Lüdtke, Hunger, Essens-„Genuss“ und Politik bei Fabrikarbeitern und Arbeiterfrauen. Beispiele aus dem rheinisch-westfälischen Industriegebiet, 1910–1940, in: Sowie 14 (1985) 2, S. 118–126; Hans Jürgen Teuteberg, Die Nahrung der sozialen Unterschichten im späten 19. Jahrhundert, in: Edith Heischkel-Artelt (Hg.), Ernährung und Ernährungslehre im 19. Jahrhundert, Göttingen 1976, S. 205–287. 121 Zur zeitgenössischen Diskussion vgl. Hans Krüger und Gustav Tenius, Die Massenspeisungen, Berlin 1917; August Lammers, Branntwein- und Kaffee-Schenken, Berlin 1882; Mathilde Lammers, Volkskaffeehäuser. Rathschläge für ihre Errichtung und Bewirthschaftung, Bremen 1883. Zur Geschichte der Volkskaffeehallen sowie weiterführende Literatur bei Keith R. Allen, Hungrige Metropole. Essen, Wohlfahrt und Kommerz in Berlin, Hamburg 2002, S. 39–58; Meinolf Nitsch, Private Wohltätigkeitsvereine im Kaiserreich. Die praktische Umsetzung der bürgerlichen Sozialreform in Berlin, Berlin 1999, hier S. 66 und S. 233. 122 Für einen Überblick über alle Volkskaffeehalleninitiativen vgl. Heinrich Albrecht, Handbuch der sozialen Wohlfahrtspflege in Deutschland. Zentralstelle für Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen, Berlin 1902, S. 203–220; Gerhard Albrecht, Praktische Maßnahmen zur Förderung der Volks-, insbesondere der Arbeiterernährung, Berlin 1914, S. 82–97. 123 Vgl. Bekämpfung der Trunksucht, in: Zeitschrift der Centralstelle für Arbeiter-Wohlfahrtseinrichtungen 6 (1899) 17, S. 207.
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neralwasser sowie warme Mittagessen an, die 10 bis 40 Pfennig kosteten.124 In Berlin setzte der von Lina Morgenstern dominierte gemeinnützige Verein Berliner Volksküchen seine Erziehungsvorstellungen etwas rigider um. Er bot ausschließlich Ersatzkaffee und keinen Alkohol an.125 Doch Vereine wie die 1881 gegründete, in Berlin, Braunschweig, Bremen, Hamburg, Kiel und Lübeck aktive Aktiengesellschaft Verein für Volks-Kaffee und Speisehallen setzten sich allein die Aufgabe, preiswerte Kost zu verkaufen, und boten auch alkoholische Getränke, Bohnenkaffee und Tabak an.126 Andere Institutionen wie der Berliner Verein für alkoholfreie Erholungsstätten ermöglichten ihren Kunden, aus mitgebrachten Bohnen ihren Kaffee selbst zuzubereiten.127 Dort, wo Angaben zur Nachfrage nach den angebotenen Produkten in den Wohlfahrtseinrichtungen vorliegen und es sich eindeutig um Bohnenkaffee oder Mischungen und nicht um Ersatzkaffee handelt, gehörte das Getränk zu den am meisten nachgefragten Waren pro Portion.128 In den Quellen finden sich keine Aussagen darüber, warum die Mehrheit der zum Teil kommerziell orientierten Wohlfahrtseinrichtungen sich entschied, Kaffee in unterschiedlichen Varianten im Namen zu verwenden. Es war anscheinend allen Beteiligten offensichtlich, dass sich in diesem Getränk, auch wenn teilweise Ersatzkaffee ausgeschenkt wurde, bürgerliche und proletarische Produkt- und Konsumvorstellungen verbinden ließen – ein wichtiger Punkt, um potentielle Mäzene von der Subventionswürdigkeit der Institutionen zu überzeugen. Um für ihre Ziele zu werben – sowohl bei den Konsumenten selbst als auch bei den Geldgebern –, eignete sich Kaffee mehr als andere Getränke oder Nahrungsmittel.
124 Vgl. Bernd Pastuschka, Kaffeeklappen. Sozial- und Architekturgeschichte der Volksspeisungshallen im Hamburger Hafen, Hamburg 1996, S. 25. 125 Vgl. Allen (2002b), S. 42–45; ders. (2002a), S. 8–11. 126 Vgl. ebd., S. 46–58. Sowohl im Verein für Volkskaffeehallen als auch im Verein für VolksKaffee und Speisehallen war Emil Minlos die zentrale Organisationsfigur, vgl. Allen (2002a), S. 12 f. 127 Vgl. BArch, Bestand R 8034 II, Signatur 2163, Berliner Blatt vom 25.10.1905. 128 Vgl. BArch, Bestand 8034 II, Signatur 2613, Bl. 78: Aufstellung der Frankfurter-Gesellschaft für Wohlfahrtseinrichtungen über 21 Betriebe im Jahr 1902 und 1905. Am meisten wurde Bier ausgeschenkt, gefolgt von Milch und an dritter Stelle Kaffee. Ebenso in Hannover, vgl. Wohlfahrtseinrichtungen XXXVI, Die Volkskaffees in Hannover, in: Zeitschrift der Centralstelle für Arbeiter-Wohlfahrtseinrichtungen 1 (1894) 10, S. 119–124. Insbesondere die Kaffeeersatzindustrie reagierte auf diese spezielle Form der Kommerzialisierung des Ersatzkaffeeverkaufs und entwickelte sogar Musterkaffeeschenken, die sie auf Gewerbeausstellungen präsentierte, vgl. Kathreiners Malzkaffeefabriken (Hg.), Kaffeeschänken, ihr Bau und ihre soziale Bedeutung. Ein Ratgeber für Stadtverwaltungen, Vereinsvorstände und Volksfreunde. Anläßlich des Baus der Kaffeeschänke auf der Internationalen Hygiene-Ausstellung zu Dresden 1911, München und Berlin 1911.
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Nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern verwendeten Wohlfahrtseinrichtungen Kaffee in diesem Sinne in ihren Namen.129 In einer Volkskaffeehalle zu essen galt jedoch nicht selten als entehrend.130 Stattdessen konnte man seine Pausengestaltung auch selbst bestimmen und selbst wählen, was und wie man während seiner Pausenzeit konsumieren wollte: „Warum gehen die Arbeiter zu Mittag nicht in die Volksküche? – ‚Weil das viel zu teuer ist […] Wir sind drei Personen. Da nehmen wir um 5 kr Kaffee, 1 kr Feigenkaffee, 5 kr Milch, 2 kr Zucker und jede eine Semmel um 1 kr.’ – ‚Bei dem Lohn […] könnten Sie sich doch ein Gemüse oder eine Suppe zu Mittag kaufen?’ – ‚Ja, das kann man; aber das kostet gerade soviel wie der Kaffee.’“131 Nicht ein Mangel an Alternativen oder deren Preis, sondern das Bedürfnis nach genau dieser Form der Kost machten Kaffee zu einem Favoriten proletarischer Ernährung. Hier konnte die Entscheidung für das Getränk auch Mittel und Ausdruck für eine selbstbestimmte Lebensqualität sein und erhielt so einen psychologischen Mehrwert für die Konsumenten.132 Aus ihrer Perspektive war Bohnenkaffee der entscheidende Bestandteil einer Kaffeemahlzeit. Die (mehr oder weniger) vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten der Zutaten, aus denen diese sich darüber hinaus zusammensetzte, sowie der Ort und die Art und Weise, wie man sie zu sich nahm, ergaben sich dagegen in erheblichem Umfang aus den Zwängen und Möglichkeiten der Lebensbedingungen der Konsumenten. Damit ist es in hohem Maße die Eingliederungsfähigkeit des Konsumguts, die die Motive erklärt, sich für Kaffee zu entscheiden. Ließ Kaffee sich besonders gut in den durch die Arbeit strukturierten Alltag integrieren, so trugen die Konsumentinnen und Konsumenten nicht nur über ihre Nachfrage zu seiner Kommerzialisierung im öffentlichen Raum bei, sondern beeinflussten durch ihre Konsummuster stark die Ausprägungen dieses Prozesses.133 Erst schien es 129 Zu Kaffeehallen in der Schweiz vgl. Nadine Franci, Mit Kaffee gegen Alkohol. Die Gründung von Kaffeehallen in der Schweiz um 1900, in: Rossfeld (2002), S. 256– 277, hier S. 256. Zu Großbritannien vgl. Elisabeth Reid Cotton, Our Coffee Room, 3. Aufl., London 1878; zu Belgien, Schweden, Großbritannien vgl. Lammers (1882), S. 27–32. 130 Vgl. u. a. Meyer (1909), S. 70. 131 Stenographische Protokolle, Österreichische Arbeiterinnenenquete 1896, zit. n. Sandgruber (1982), S. 200. 132 Zur eigenständigen Verhaltenskultur der Arbeiter in ihrer Freizeitgestaltung vgl. Lynn Abrams, Freizeit, Konsum und Identität deutscher und britischer Arbeiter vor dem Ersten Weltkrieg, in: Siegrist, Kaelble und Kocka (1997), S. 267–281. 133 Unter Kommerzialisierung wird im Folgenden ein Prozess der „fortschreitende[n] Regelung des gesellschaftlichen Zusammenlebens durch ökonomische Vertragsbeziehungen“ verstanden, Gerhard Scherhorn, Entkommerzialisierung oder die Wiederaneignung der Wünsche, in: Ökologische Politik Spezial 11 (1993) 33, S. 73–76, hier S. 73. Vgl. ebenso Neil McKendrick, Commercialization and the Economy, in: ders., John
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dem Chronisten der Berliner Kaffeekonsumkultur, Hans Oswald, im Hinblick auf den proletarischen Kaffeekonsum noch, „als sollten die kleinen Kaffeelokale den großen Volkskaffeehallen weichen“.134 Doch, fährt er fort, es trat das Gegenteil ein: Die Volkskaffeehallen seien nie vom adressierten Publikum angenommen worden, denn diese „genügen eben doch nicht allen Ansprüchen. Wie es in den privaten Kaffeeklappen aussieht, ist vielleicht lehrreich für die Leiter der Volkskaffeehäuser. Es wird ihnen sagen, daß so viele Bedürfnisse und Eigenarten nicht in eine Form gepresst werden können.“135 Der Wunsch nach einer selbstbestimmten, die eigenen Bedürfnisse nach Kaffee befriedigenden Art und Weise des Konsumierens führte zur Entstehung von neuen Konsumorten. Sie waren auf die Nachfrage der Arbeiter ausgerichtet und orientierten sich gerade nicht an bürgerlichen Vorbildern. Nach Oswald resultierte der Erfolg dieser breiten Palette an kommerziellen Angeboten aus ihrer Ausrichtung auf die unterschiedlichen Wünsche ihres Publikums. Mit ihrer Einrichtung, den angebotenen Produkten wie den Preisen orientierten sie sich an ihren potentiellen Kunden. Demgegenüber hätten die Volkskaffeehallen keine Chance. Oswalds Ansicht setzte sich erst in den 1920er Jahren durch,136 nachdem karitative und kommunale Institutionen der Massenspeisung schon im Kaiserreich auch aufgrund geringer Nachfrage ökonomisch gescheitert waren. Gleichzeitig hatten die kommerziellen, nach marktwirtschaftlichen Prinzipien organisierten Angebote reüssiert. Hierzu zählten beispielsweise Händler, die das Getränk zum Mitnehmen auf der Straße anboten, indem sie es von ihren von Hand oder Tieren gezogenen Karren aus isolierten Kannen verkauften. Zudem konnte in kommerziellen Speisehallen, Schnellrestaurants und fabrik- bzw. firmeneigenen Kantinen Kaffee konsumiert und in Kaffeeküchen in den städtischen Parks auch selbst zubereitet werden. Hier trafen sich „der kleine Beamte und Handwerker mit Weib und Kind – nein Kindern, die niedliche Kartonagearbeiterin, die sich mühsam ein paar Groschen zusammensparte, die dralle Köchin und das fesche Stubenmädchen, der junge Arbeiter und natürlich hochgeschätzt, der Grenadier, der Eisenbahner. […] Mit den Kaffeetüten in der Hand pilgern die Mamas an die Kaffeeküche, reichen den Mokka hin und bekommen ihn sofort aufgebrüht zurück in der großen Kanne, einschließlich Milch für 10 Pfennig der Liter. Dann geht’s an den Familientisch […] leitendes Prinzip: je mehr Kaffee – desto besser.“137
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Brewer und John H. Plumb (Hg.), The Birth of a Consumer Society. The Commercialization of 18th Century England, Bloomington 1982, S. 9–194, hier S. 63 f. Hans Oswald, Berliner Kaffeehäuser, Berlin und Leipzig o. J. [1905], S. 64. ebd. Vgl. Allen (2002a), S. 25. Hanns v. Zobeltitz, Berlin an der Oberspree. Mit vierunddreißig Abbildungen nach Originalaufnahmen, in: Velhagen & Klasings Monatshefte 17 (1902/03) 1, S. 81–96.
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Es existierte spätestens um die Jahrhundertwende neben der privaten Zubereitung ein vielfältiges Angebot, um werk- und feiertags Kaffee im öffentlichen Raum zu konsumieren. Zudem wurde sein Konsum innerhalb der Unternehmen zunehmend institutionalisiert.138 Am 20. Juni 1905 formulierte der Verband ostdeutscher Industrieller im Rahmen seiner Leitsätze zur Bekämpfung des Alkoholkonsums die folgenden Ratschläge, die er seinen Mitgliedern unbedingt zur Beachtung empfahl: „Den Arbeitern ist Gelegenheit zum Kaffeekochen und -wärmen […] zu gewähren […] Die Verabfolgung von Kaffee, Selterwasser, Trinkwasser mit Zitronensäure ist zu begünstigen.“139 Vier Jahre später fragte der Verband bei seinen Mitgliedern nach dem Erfolg dieser Maßnahmen. Die Rückmeldungen waren verhalten positiv. Zwar seien alkoholische Getränke weiterhin am beliebtesten, aber ihr Verbrauch sei teilweise zurückgegangen und dies unter anderem wegen eines neu eingerichteten Kaffeeausschanks oder aufgrund von Maßnahmen wie „Anschaffung von Kaffeekochmaschinen oder sonstiger Gelegenheit zur Bereitung von Kaffee“.140 Aufgrund der großen Nachfrage ihrer Arbeiter und Angestellten richtete zum Beispiel die Hamburg-Amerika-Linie um die Jahrhundertwende eine Kaffeegroßküche ein, in der neben großen Kaffeemühlen sechs 200 Liter fassende Dampfkochtöpfe auf einer knapp zwei Meter hohen Galerie standen. Unter ihnen befanden sich zwei Kühlanlagen, die nach erfolgreicher Temperatursenkung den Kaffee an eine Abfüllvorrichtung leiteten, welche bis zu 600 Flaschen pro Stunde abfüllte. In einer letzten Station wurde das so abgepackte, wohltemperierte Getränk in Wärmeschränken bis zur Ausgabe gelagert. Zur Bewältigung des Abwaschs hatte das Unternehmen eine vollautomatische Spülvorrichtung installieren lassen, die zusammen mit den Mahlmaschinen ein elektrischer Gleichstrommotor betrieb.141 Ein anderes Konzept, um der Nachfrage der Angestellten und Arbeiter nach preiswertem Bohnenkaffee nachzukommen, wurde in der Leipziger Firma Oskar Brandstetter umgesetzt. Hier teilten sich Unternehmen und Beschäftigte die Kosten für die Kaffeeküche: Die Firma übernahm die Kosten für die Zubereitung des Getränks (Energie, Geräte, Räume) von jährlich etwa 4.000 bis 4.500 Mark. Die Kosten für den Einkauf des Kaffees sowie für den Lohn des Personals, das den Kaffee dreimal 138 Zu den Problemen, die aus der Einführung von Kaffeepausen entstehen konnten, und dem Kaffee als Bestandteil der Arbeiterkost vgl. Lothar Machtan, Zum Innenleben deutscher Fabriken im 19. Jahrhundert. Die formelle und informelle Verfassung von Industriebetrieben, anhand von Beispielen aus dem Bereich der Textil- und Maschinenbauproduktion (1869–1891) in: Archiv für Sozialgeschichte 21 (1981), S. 179–236, hier S. 211, S. 216. Kaffee auch als Teil der Kost von Kindern während ihrer Fabrikarbeitszeit erwähnt Arno Herzig, Kinderarbeit in Deutschland in Manufaktur und Protofabrik (1750–1850), in: Archiv für Sozialgeschichte 23 (1983), S. 311–375, hier S. 344. 139 BArch, Bestand 8034 II, Signatur 2613, Bl. 5. 140 Ebd., Bl. 146. 141 Vgl. Albrecht (1914), S. 113 f.
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täglich zubereitete und die Räume säuberte, trugen die Beschäftigten über den Erlös des verkauften Kaffees. So konnten pro Kopf der Beschäftigten (insgesamt 600) im Jahr 1913 385 Portionen von einem halben Liter für 2,5 Pfennig produziert werden. Andere Unternehmen orientierten sich in ihrem Kantinenangebot an der Praxis der Arbeiter, Mahlzeiten durch Kaffeekonsum zu ersetzen. Die Kantine der Porzellanund Steingutfabrik E. Schaf in Zell bot 1889 zwei verschiedene Frühstücke an: einen Liter Kartoffel- oder Mehlsuppe für 10 Pfennig oder zum gleichen Preis einen Viertelliter Kaffee mit einem Viertelliter Milch und vier Stückchen Zucker. Beide Frühstücksvarianten konnten auch als halbe Portionen zum halben Preis erworben werden.142 Es gab aber noch mehr Anreize für die Unternehmen, Bohnenkaffee anzubieten, als nur die Verminderung des Alkoholkonsums. Gemäß einer einfachen GewinnVerlust-Rechnung für den Betrieb der Kantine wäre es aus der Perspektive der Unternehmer sinnvoll gewesen, dort zu einem attraktiven Preis preiswerten Ersatzkaffee anzubieten. Mischungen oder aber reinen Bohnenkaffee zu verkaufen, erschien ihnen aber zweckmäßiger, da die Wirkung des Koffeins weitreichendere ökonomische Vorteile durch die Leistungssteigerung der Arbeitnehmenden versprach.143 So besaß, wie ein preußischer Gewerbeaufsichtsbeamter 1895 berichtete, eine Dresdner Glasfabrik zwar keine Kantine, aber es wurden „einfaches Bier und schwarzer Kaffee […] zu festgesetzten Stunden fünfmal des Tages zum Preis von 8 Pf. für das Liter“144 ausgeschenkt. Es finden sich sogar relativ viele Beispiele, in denen Unternehmen neben einem käuflich zu erwerbenden Kaffeeangebot das Getränk in bestimmten Mengen kostenlos an die Arbeitnehmer ausgaben. Die Badische Anilin- und Sodafabrik in Ludwigshafen verkaufte 1890 721.585 Portionen Bohnenkaffee à 2 Pfennig und verteilte „ausserdem 56.078 l Kaffee als Trinkwasserersatz gratis während der Arbeitszeit“.145 Die durch den Wirtschaftssparverein der Beamten und Arbeiter der Mannheimer Güterverwaltung 1899 eröffneten Kantinen boten zur Frühstücks- und Mittagszeit zum Selbstkostenpreis im Zentralgüterbahnhof Bier, Kaffee, Fleischwaren, Brot sowie Käse an. Kaffee war mit Abstand das am meisten nachgefragte Konsumgut der Kantinen. 1901 und 1902 verkauften sie jeweils etwas über 100 Tausend Tassen und 1903 knapp über 91 Tausend Tassen. Mit einem Preis von 3 bis 5 Pfennig pro Portion war Kaffee 1901 und 1902 billiger als die alkoholischen Getränke und lediglich teurer als Mineralwasser (3 Pfennig die Flasche). Im folgenden Jahr reduzierte der Verein den Preis. Bohnenkaffee konnte nun zum gleichen Preis wie ein Liter Sodawasser erworben werden. Er stellte gemeinsam mit Sodawasser das preiswerteste 142 Vgl. Reichsamt des Inneren (1890), S. 323. 143 So zum Beispiel die Königliche Porzellan-Manufaktur in Charlottenburg. Hier wurden für 100 Liter Kaffee ein Pfund Bohnenkaffee und ein Pfund Zichorienkaffee gemischt, vgl. Thoms (2002), S. 56. 144 Reichsamt des Inneren (1896), S. 682. 145 Ebd., S. 681.
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Getränk auf der Karte dar.146 In der zweiten Kantine im Personen- und Rangierbahnhof Mannheim schenkte der Verein „jedem im Dienst stehenden Beamten und Arbeiter […] auf Verlangen eine Portion Kaffee mit Milch und Zucker kostenlos“147 aus. Jeder weitere halbe Liter kostete 5 Pfennig, eine Tasse Kaffee mit Milch und Zucker ebenfalls 5 Pfennig. Im Monatsdurchschnitt gab die Kantine 7.000 bis 8.000 Portionen ab.148 In der Regel kostete Kaffee 5 Pfennig. Eine Portion Kaffee mit einem Stück Brot war das preiswerteste Essen in den Kantinen und – soweit Verbrauchszahlen vorliegen – auch die beliebteste Mahlzeit.149 So auch in der Kantine der Firma Fraenkel in Neustadt aus dem Jahr 1889. Sie bot allein Bohnenkaffee, Suppe und Bierkaltschalen an, die jeweils 4 Pfennig für einen halben Liter kosteten. Am häufigsten fragten die Arbeiter Kaffee nach (174.662 Portionen), gefolgt von Bierkaltschalen (25.739 Portionen) und Suppe (9.195 Portionen).150 Ebenso bot die durch einen Pächter betriebene Kantine der Firma Borsig in Berlin Kaffee für 5 Pfennig an, das weitere Speisenangebot wurde kaum genutzt.151 Für den Einzug der Kantinen in die Arbeitswelt und damit für die stärkere betriebliche Integration der Arbeiter kam dem Ausschank von Kaffee also eine wesentliche Bedeutung zu. Er erhielt aus der Perspektive der Arbeitgeber aufgrund der ihm zugeschriebenen leistungssteigernden Wirkung und als Substitut zum Alkohol eine ökonomische und disziplinierende Bedeutung. Diese Beispiele demonstrieren den Einzug des Bohnenkaffees in den Arbeitsalltag. Aus der Sicht der Unternehmer und der Arbeiter erfüllte das Getränk verschiedene Rationalitäten. Aus der Sicht der Arbeiter sprach für den Kaffeekonsum während der Arbeitszeit und in den Pausen seine belebende und sättigende Wirkung. Er ließ sich schon zu Hause zubereiten und unterwegs, in der Kantine genauso wie während der Arbeitszeit schnell konsumieren. Zugleich konnte er Bestandteil einer selbst bestimmten Kaffeemahlzeit sein. Diese ließ sich variabel gestalten, sowohl was ihre Zutaten betraf als auch in ihrer sozialen und zeitlichen Gestaltung. Kaffee konnte, mit Milch, Zucker oder auch Alkohol und einem Brot kombiniert, zusammen mit Kollegen oder schnell allein zwischendurch getrunken werden. Doch gab es Unterschiede im Hinblick auf das Geschlecht der Konsumenten und die damit verbundene Art und Weise, Kaffee in den Arbeitsalltag zu integrieren. Tendenziell war die Nachfrage dort höher, wo Arbeiterinnen die Mehrheit der Beschäftigten stellten.152 Die Berliner Papierausstattungsfabrik Max-Krause beschäftigte 146 Vgl. Otto Tugenhat, Die Arbeiter-Wohlfahrts-Einrichtungen der badischen Staatseisenbahnen, Heidelberg 1905, S. 95. 147 Tugenhat (1905), S. 99. 148 Vgl. ebd. 149 Vgl. u. a. Reichsamt des Inneren (1890), S. 325; Tugenhat (1905), S. 90 f. 150 Vgl. Reichsamt des Inneren (1890), S. 324. 151 Vgl. Landesarchiv Berlin (im folgenden LAB), Bestand A Rep. 226, Signatur T 22. 152 Vgl. Sandgruber (1991b), S. 45–56.
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500 Personen, davon waren 70 Prozent weiblich. Ein Viertelliter Kaffee mit Milch kostete 3 Pfennig, ein halber Liter 5 Pfennig, ein Viertelliter warme Milch 5 Pfennig. Pro Kopf und Woche setzte die Kantine am meisten Kaffee (8,4 Portionen) um, gefolgt von Milch (3 Portionen).153 Die Krupp’schen Fabrikkantinen in Essen boten zwar auch Kaffee an, doch fragte der durchschnittliche Arbeiter hier knapp siebzigmal mehr Bier als Kaffee nach.154 Dies deckt sich mit den Berichten der Hamburger Deputation insofern, als auch sie mehrheitlich geschlechtsabhängige Konsumpraktiken feststellten: Die Arbeiterinnen würden ihren Kaffee mit Milch, die Arbeiter ihren mit Schnaps oder schwarz trinken. Dies sei unabhängig davon, ob sie in der Landwirtschaft oder in der industriellen Produktion beschäftigt waren.155 Eine Umfrage der Deutschen Begutachtungsstelle für Technik und chemische Industrie aus dem Jahr 1914 über die „Verabreichung von Getränken an die Arbeiter in industriellen Betrieben“ kam zu dem Ergebnis, dass im Durchschnitt knapp 30 Prozent der Betriebe ihren Arbeitern die Möglichkeit boten, reinen Bohnenkaffee zu erwerben. Mischungen mit Surrogaten verkauften fast alle Betriebe. Der Anteil von reinem Bohnenkaffee an verkauften Getränken betrug 12,2 Prozent (vgl. Grafik 43).156
Grafik 43 Verkaufte Getränke in 1936 Betrieben im Jahr 1914
153 Vgl. Albecht (1914), S. 114. 154 Es waren 35,3 Liter Bier gegenüber 0,45 Liter Kaffee pro Arbeiter im Jahr 1907/1908 vgl. Grafik 51 im Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages. 155 Vgl. StAHH, Bestand 314-1, Signatur BVIII, Nr. 8. 156 Quelle zu Grafik 43: Grosseinkäufer für Industrie, Bergbau, Reederei, Handel und Export, vom 6.6.1914, S. 233. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, Tabelle 49.
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Aus den hier vorgestellten Konsummustern lässt sich eines ablesen: Bohnenkaffee war aufgrund der ihm zugeschriebenen Produkt- und Kontextbedeutungen am Ende des 19. Jahrhunderts nicht nur Distinktionsmittel der einkommensstärkeren Schichten, sondern ein sozial weit verbreitetes Getränk. Der damit verbundene Bedeutungswandel des Produkts schlug sich auch auf die amtliche Statistik und die verschiedenen Versuche nieder, den Konsum der Bevölkerungen näher zu erfassen. Bei der Erhebung von Wirtschaftsrechnungen minderbemittelter Familien im Deutschen Reich 1907/8 verstanden die Mitarbeiter des Kaiserlichen Statistischen Amts unter „Genussmittel“ allein Alkohol und Tabak. In die Unterkategorie „sonstige Genussmittel“ ordneten sie Salz, Gewürze und Öl ein. Überlegenswert erschien ihnen, ob die Produkte Zucker, Honig, Obst und Südfrüchte Genussmittel seien. Sie erfassten sie aber letztlich doch als pflanzliche Nahrungsmittel. Auch bei der zweiten großen Erhebung, der des Deutschen Metallarbeiterverbandes, galten allein alkoholische Getränke, Zigarren und Tabak als Genussmittel.157 Kaffee war demnach auch in der Statistik kein besonders zu vermerkendes Konsumgut mehr, sondern ein Getränk unter anderen. Der zweite wichtige Bedeutungswandel betraf die Konsumkontexte und die damit verbundene Kommerzialisierung des Getränks im öffentlichen Raum. Kaffeekonsum wandelte sich zum wichtigen Bestandteil sozialer Interaktion in der Alltagskultur, sowohl in der Arbeitswelt als auch in der Freizeitgestaltung. Das Produkt konnte in der Fabrik, in kommerziellen und gemeinnützigen Kaffeehallen, im Kontor, in der Kantine, auf der Straße beim Kaffeewagen und in kommerziell strukturierten Freizeiträumen erworben werden, deren Spektrum wiederum vom Kaffeegarten über das urbane großbürgerliche Café und das Kleinkunstbühnenetablissement eines Café Chantant bis zu der Möglichkeit reichte, aus dem mitgebrachten Kaffeepulver in städtischen Parks selbst Kaffee zuzubereiten (vgl. Bild 35). Das Bild 34 zeigt eine junge Frau, die allein in der Öffentlichkeit Eiskaffee konsumiert, während sie auf jemanden wartet. Bemerkenswert ist, dass diese Situation 1909 als Karikatur und damit als Grundlage für einen Witz verwendet werden konnte, der auf der Differenz zwischen Verhalten (Empörung) und Handeln (Abwarten) der Protagonistin beruht. Die Situation an sich galt hingegen als Normalität und konnte deshalb eine Hintergrundfolie für den Witz bilden. Einerseits ist die Bedeutung des Kaffeekonsums als Mittel sozialer Interaktion zu diesem Zeitpunkt schon lange etabliert. Andererseits demonstriert diese Karikatur, wie auch Bild 35, den entscheidenden Wandel der Popularisierung und Kommerzialisierung des Kaffeekonsums im öffentlichen Raum in den letzten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. An ihr hatten Männer und Frauen unterschiedlicher Herkunft auf verschiedene Art und Weise teil.158 157 Vgl. dazu Triebel (1991), Bd. 2, S. 159, Fußnote 30. 158 Vgl. insbesondere den Wiederabdruck der Fotografie eines Kaffee-Speisewagens in: Ulrike Thoms, Er stärkt und nährt die matten Glieder. Kaffee in der Arbeitswelt, in: Peter
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Bilder 34 und 35 Kaffeekonsum im öffentlichen Raum, Karikatur aus den Fliegenden Blättern aus dem Jahr 1909 (links); Vor der Kaffeeküche in Treptow, Berlin um 1902 (rechts).
Mindestens drei Faktoren haben zur Popularisierung des Kaffeekonsums im Kaiserreich geführt. Zum einen ging es dabei um die Kontextbedeutungen des Konsumguts, nämlich zunächst den dem Kaffee beigemessenen symbolischen Wert in der bürgerlichen Lebensführung.159 Hier stellte der demonstrative Kaffeekonsum ein Medium zur Her- und Darstellung von Habitus dar. Doch auch in den einkommensschwachen Schichten hatte der Kaffeekonsum eine hohe symbolische Bedeutung als Mittel der selbstbestimmten Lebensführung. Gleichzeitig wuchs im 19. Jahrhundert die Produktbedeutung des Kaffees als stimulierendes Getränk. Besonders erfolgreich war Kaffee aufgrund der ihm zugesprochenen leistungsfördernden Wirkung für die Steigerung der Konzentrationsfähigkeit in der Arbeitswelt, und dies unabhängig von der sozialen Schicht, dem Einkommen und der ausgeführten Erwerbsarbeit. Kaffeekonsum ermöglichte aus der Perspektive der Konsumenten eine Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der „Körpermaschine“. Der Hygieniker Max von Pettenkofer verglich 1873 Kaffee „mit der Anwendung der richtigen Schmiere bei Bewegungsmaschinen […] welche zwar nicht Dampfkraft ersetzen […] kann, aber dieser zu einer viel leichteren und regelmäßigeren Wirksamkeit verhilft, und außerdem der Abnutzung
Lummel (Hg.), Kaffee. Vom Schmuggelgut zum Lifestyle-Klassiker. Drei Jahrhunderte Berliner Kaffeekultur, Berlin 2002, S. 49–60, hier S. 53. Der Kaffeewagen diente zur schnellen Versorgung von Arbeitern und Angestellten mit Kaffee und Suppen während der Mittagspause. Weitere Fotos eines Kaffeelokals in Berlin Treptow mit einer Beschreibung seiner Bedeutung für die Arbeiterklasse findet sich bei Regina Richter, Frauke Rother u. Anke Scharnhorst, Hier können Familien Kaffee kochen. Treptow im Wandel der Geschichte, hg. v. Kulturbund Treptow, Berlin 1996. Weitere Bilder siehe unter dem Stichwort „Kaffee“ im Katalog des Bildarchivs Preußischer Kulturbesitz, u. a. hier No. 20009033. 159 Vgl. u. a. Albrecht (1988), S. 91–103.
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der Maschine ganz wesentlich vorbeugt“.160 Die Wahrnehmung einer vitalisierenden und sättigenden Wirkung im Zusammenhang mit der Eingliederungsfähigkeit des Kaffeekonsums in den Arbeitsalltag zeigt, dass der Kaffee und sein Konsum höchst unterschiedliche Zwecke erfüllen konnten, darunter in einer gewissermaßen ironischen Gleichzeitigkeit die von Arbeitgebern und Arbeitnehmenden. Kaffee besaß innerhalb der bürgerlichen Konsummuster ebenso wie für die mehrheitlich körperlich hart arbeitenden Teile der Gesellschaft einen hohen Gebrauchswert. Diese Faktoren und schließlich die Kontextbedeutung als Mittel und Gegenstand sozialer Interaktion im Arbeitsalltag und in der Freizeitgestaltung machten das Produkt auch zu einem kommerziell wichtigen Konsumgut im öffentlichen Raum, das neue Verkaufs- und Konsumorte schuf. Zugleich prägten die Konsummuster wesentlich die Art und Weise, wie sich die Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes vollzog. Spätestens im letzten Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg war kommerzieller (Kaffee-)Konsum zu einem Charakteristikum der Freizeitgestaltung in den Großund Kleinstädten geworden. Zwar hatten die Kaffeehäuser schon 200 Jahre vorher ein Freizeitangebot offeriert. Dieses öffnete sich aber erst langsam im Laufe des 19. Jahrhunderts für ein breiteres Publikum. Neue, von jeweils unterschiedlichen Konsumentengruppen frequentierte Orte kommerzieller Freizeitaktivität traten hinzu. (Kaffee-)Konsum war hier immanenter Bestandteil der Alltagskultur. Die nachmittägliche distinguierte Kaffeetafel mit ihren sozialen Ritualen stellte nun einen neben vielen Konsumorten und somit auch eine neben vielen Konsumarten dar. Doch die jeweilige Bedeutung des Kaffeekonsums, die Arten der Zubereitung und die Konsumorte selber orientierten sich an den lokal und sozial divergierenden Konsumgewohnheiten der sie generierenden und frequentierenden sozialen Milieus. Entsprechend der Vermutung, die Tenfelde im Hinblick auf differentielle Konsummuster im Kaiserreich 1997 geäußert hat, zeigt sich auch beim Konsum von Kaffee, „dass entgegen dem durch die dispositive bürgerliche Haushaltsfreiheit verursachten Anschein, die tatsächliche Vielfalt der Konsumstile in den Arbeiterhaushalten viel ausgeprägter war als im bürgerlichen Haushalt“.161 Wobei sich dies beim Kaffeekonsum 160 Max Pettenkofer, Über Nahrung und Fleischextract. Populäre Vorträge, Bd. 2, Braunschweig 1873, S. 53, zit. n. Heischkel-Artel (1969), S. 259. Doch ebbten, neben der allgemeinen Anerkennung der positiven Wirkungen auf den Körper, Kritik und Ablehnung des Kaffeekonsums nicht ab, radikalisierten sich sogar, vgl. u. a. die den Kaffeekonsum schädlicher als Alkoholkonsum einstufende Studie W. Röttger, Genussmittel – Genussgift? Betrachtungen über Kaffee und Tee auf Grund einer Umfrage bei den Ärzten, Berlin 1906. Ebenso ablehnend ist die eine massive Schädigung der Fortpflanzungsfähigkeit bei Männern durch Kaffeekonsum propagierende Studie von R. K. Neumann, Die Narcotica und Rauschmittel im Sexualleben, Sonder-Abdruck aus Sexual-Probleme: Zeitschrift für Sexualwissenschaft und Sexualpolitik, Frankfurt/M. 1912. 161 Tenfelde (1997), S. 260.
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allein schon aus den Notwendigkeiten ergab, das Getränk durch die Kombination mit anderen Substanzen als Nahrung zu nutzen und die enthaltene Menge Bohnenkaffee zu strecken. Dem Kaffeekonsum kam in beiden hier exemplarisch vorgestellten Konsummustern ein hoher Gebrauchswert, ein symbolischer und sozialer Wert zu, durch die er ganz unterschiedliche Bedürfnisse befriedigen konnte. Die Eingliederungsfähigkeit des Kaffees in die differentiellen Bedürfnisse der Konsumenten muss als Katalysator für die Popularisierung des Produkts und seine Kommerzialisierung gewertet werden. Sein repräsentiver Konsum und der darin enthaltene spezielle symbolische Wert blieben aber allein den bürgerlichen Konsumenten vorbehalten. So richtig Ansätze sind, die aus einer Makro- und Langzeitperspektive nach der Bedeutung von Genussmitteln für Distinktion oder eine Verfeinerung der Sitten vom 17. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts fragen, so wenig hilfreich erweisen sie sich als Analysekategorien im Fall des Kaffeekonsums im Kaiserreich.162 Hier waren die Popularisierung und Kommerzialisierung des Kaffeetrinkens von parallelen pluralen Konsumpraktiken geprägt, die sich modifizierten, aber nicht anglichen. Entscheidend ist allerdings, dass sich die Konsumentenbedürfnisse ähnelten, insbesondere hinsichtlich der Bedeutung, die man dem Kaffee für die Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen zuschrieb, für die im privaten Bereich und im Rahmen einer öffentlichen Kommerzialisierung des Konsumguts wiederum unterschiedliche Formen gefunden wurden. Die gleichzeitige Verwendung des Guts Kaffee hob die krassen Unterschiede in dem, was als Kaffee konsumiert wurde, aber keinesfalls auf, weder im Hinblick auf die Konsummuster noch auf das Getränk selber: „Nicht nur der Kaffeekenner, sondern jeder, der eine gute Tasse Kaffee liebt, weiß, daß das so allgemein verbreitete und alltägliche Kaffeegetränk in jedem Lande, in jeder Gegend, aber auch in jeder Gaststätte und in jedem Hause anders schmeckt.“163 Dies ist eine Beobachtung, die noch heute jeder Kaffeekonsument machen kann, nur dass es heute – das wäre eine Untersuchung wert – eventuell um feinere graduelle Unterschiede geht. Sie finden ihren kommerziellen Ausdruck in einem (vermeintlich) hoch differenzierten Röstkaffeesortiment im Einzelhandel sowie in kommerziellen Kaffeeangeboten in der Öffentlichkeit vom Coffeeshop am Bahnhof bis zum Espresso nach dem Essen im Luxusrestaurant. Die Konsumenten waren mit ihrer Nachfrage keineswegs ein passiver Faktor bei der Integration des Kaiserreichs in die Weltwirtschaft. Ebenso wenig führten ihre Rationalitäten, mit denen sie sich für unterschiedliche Arten des Kaffeekonsums entschieden, zu einer Angleichung von Konsummustern. Die sozialen und kulturellen 162 Vgl. Menninger (2004); Hochmuth (2008). Roman Sandgruber (1986) weist darauf hin, dass gerade der Kaffeekonsum im 18. Jahrhundert und frühen 19. Jahrhundert nicht vom Adel durch das Bürgertum adaptiert wurde, sondern ein bürgerliches Getränk war, vgl. dazu auch Heise (2002), S. 12 f.; Albrecht (1988), S. 95. 163 Müller (1929), S. 335.
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Auswirkungen der Standardisierung der Ware Rohkaffee durch den globalen Handel bewirkten bei den Vertriebsstrategien des Einzelhandels sogar gegenteilige Strategien. Es gab demnach noch einen weiteren Grund für die Wahl der unterschiedlichen gegenständlichen Motive, die die Kaffeebranche in einem Teil ihrer Werbeanstrengungen einsetzte. Deren Vielfältigkeit ist als ein Eingehen auf die Konsumenten, ihre Bedeutungszuschreibungen und Konsumkontexte zu interpretieren. Hier versuchten die Werber nicht Wunschbilder zu evozieren, um neue Bedürfnisse hervorzurufen, sondern sie griffen die schon vorhandenen Konsummuster auf. Auch die Vertriebsstrategien und ebenso die kommerziellen Angebote für den Kaffeekonsum im öffentlichen Raum orientierten sich an den differentiellen Rationalitäten der Konsumenten. Lokale, partikulare Aktionen und Aktionsräume von Einzelhändlern und Konsumenten waren verantwortlich für die steigende Nachfrage. In diesem Sinne waren die Konsumenten aktiv beteiligt an der Gestaltung des Prozesses, den wir heute Globalisierung nennen. Die auf das Konsumgut gerichteten Interessen blieben dabei sehr unterschiedlich. Sein populärer Status für die Verbraucher sowie seine ökonomische Bedeutung für die Großhändler, Einzelhändler und – über die Zolleinnahmen – auch für den Staat ließen Kaffee in den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg zu einem politischen Konfliktgegenstand werden.
7. Kaffeekonflikte. Weltmarktverflechtung und Konsumpolitik In Bezug auf die nationalstaatlichen Rohstoffpolitiken wird der Erste Weltkrieg als Wendepunkt bewertet. Erst danach habe sich „die Welt entschieden verändert. […] Dazu gehört, dass heute die Rohstoffpolitik im Unterschied zu vor 1914 auch von anderer Seite, von den nichtindustriellen Ländern gesehen, ein Politikum ist. […] Politische Schwierigkeiten [in den industriellen Ländern] ergaben sich vor dem Ersten Weltkrieg eher aus der Sorge, andere könnten einem lebenswichtige Absatzmärkte abschneiden.“1 Dass diese Sichtweise nur bedingt zutrifft und schon vor dem Ersten Weltkrieg nicht allein die Frage der Absatzmärkte, sondern die Auswirkungen der ökonomischen Globalisierung die politischen Prozesse innerhalb des Nationalstaats prägten, hat Cornelius Torp für das deutsche Kaiserreich gezeigt. Anhand der Handelsvertrags- und Zollpolitik untersucht er die Positionen der politischen Eliten und Unternehmerverbände im Hinblick auf Güter, die in Deutschland produziert wurden.2 Hier zwang die internationale Konkurrenzsituation die Politik und die Unternehmen, sich mit den Auswirkungen von Globalisierungsprozessen auseinanderzusetzen. Bei Rohstoffen wie Kaffee, die nicht in Deutschland produziert wurden, geschah das aber anscheinend nicht. Erst in den 1940er Jahren ist der Kaffeemarkt zum Gegenstand internationaler staatlicher Abkommen geworden.3 Doch Ausgangspunkt einer Betrachtungsweise, die allein solche Verträge oder die Zollpolitik in den Blick nimmt, ist die Annahme, dass Probleme, die sich aus der Weltmarktverflechtung ergaben, auch per se lediglich zwischenstaatlich ausgehandelt wurden. Interessen und die sich daraus ergebenden Konflikte werden hierbei als analog zu den wirtschaftspolitischen Interessen der Nationalstaaten und ihren Konflikten gesehen. Aus die1 Fischer (1998), S. 136 f. 2 Vgl. Torp (2005). 3 Marktregulierung mittels Quotenregelungen und Mindestpreisfestsetzung waren die Mittel der ab den 1940er Jahren immer wieder aufgehobenen und erneut abgeschlossenen „Internationalen Kaffee Abkommen“ (ICA), vgl. u. a. Marshall (1983), S. 106–127; Vernon D. Wickizer, The World Coffee Economy, with special Reference to Control Schemes, Stanford 1943, S. 136–143; ders., International Collaboration in the World Coffee Market, in: Food Research Institute Studies 4 (1964) 3, S. 273–304. Zum Scheitern der internationalen Abkommen Ende der 1980er Jahre und zu gegenwärtigen Strategien wie den Fair-Trade-Initiativen vgl. Benoit Daviron und Stefano Ponte, The Coffee Paradox. Global Markets, Commodity Trade and the Elusive Promise of Development, London und New York 2005, S. 88–127; John M. Talbot, Grounds for Agreement. The Political Economy of the Coffee Commodity Chain, Oxford 2004.
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ser Perspektive stehen sich in der Analyse der internationalen Handelsverträge und Zollschranken konzeptionell Nationalstaaten als Konkurrenten gegenüber. Dies entspricht der im 19. Jahrhundert entstandenen „Erwartung, dass dem Nationalstaat innerhalb seiner politischen Grenzen eine charakteristische National-Gesellschaft entsprechen müsste“.4 Doch kollidierten tatsächlich unter dem Eindruck von Globalisierungsprozessen allein die nationalstaatlichen Politiken? Wie die vorhergegangenen Kapitel gezeigt haben, gestalteten die Akteure der Kaffeewertschöpfungskette die Weltmarktintegration aktiv von ihrem jeweiligen lokalen Umfeld aus. Sie waren zugleich integraler Bestandteil der globalen Ökonomie und direkt von wirtschaftspolitischen Entscheidungen auf der Ebene des Nationalstaates betroffen. Letztere müssen aber nicht zwangsläufig zu gleichen Teilen den Interessen von Großhändlern, Einzelhändlern samt verarbeitender Industrie und Konsumenten entsprochen haben, nur weil diese Teil der Gesellschaft eines Nationalstaates waren. Vielmehr scheinen sich die politischen Positionen durch wirtschaftliche Integrationsprozesse zu pluralisieren: „Die Geschichte dieses komplexen Wechselspiels, ja des oft kaum entwirrbaren Ineinandergreifens und Ineinanderübergehens von Globalisierung und nationalstaatlicher Ökonomie und Politik ist noch in weiten Teilen ungeschrieben.“5 Neben die in der Politikwissenschaft im Fokus der Betrachtung stehenden Konfliktlinien „Stadt versus Land“, „Arbeit versus Kapital“, „Zentrum versus Peripherie“ oder „Staat versus Kirche“ tritt damit ein weiteres analytisches Gegensatzpaar,6 das man nach Ulrich Beck als „Lokalisierungs-GlobalisierungsCleavage“ bezeichnen kann.7 Das Muster dieses Konfliktes stellt sich mit dem hier verfolgten produktkonzentrierten Ansatz nicht als „kaum entwirrbar“, sondern als ziemlich eindeutig dar: Die Konfliktlinien bildeten sich aufgrund unterschiedlicher Interessen an Kaffee als Rohstoff, Ware, Produkt und Verbrauchsgut sowie seinem Preis. Der jeweilige Standpunkt und die daraus resultierenden politischen Forderungen ergeben sich aus der Position der Akteure in der Wertschöpfungskette. 4 Osterhammel (2009), S. 1057. Hervorhebung im Original. 5 Cornelius Torp, Erste Globalisierung und deutscher Protektionismus, in: ders. und Sven Oliver Müller (Hg.), Das Deutsche Kaiserreich in der Kontroverse, Göttingen 2009, S. 422–440, hier S. 440. 6 Vgl. Seymour Martin Lipset und Stein Rokkan, Cleavage Structures, Party Systems and Voter Alignments. An Introduction, in: dies. (Hg.), Party Systems and Voter Alignments. Cross-National Perspectives. New York 1967, S. 1–64. 7 Ulrich Beck, Was ist Globalisierung?, Frankfurt/M. 1999, S. 85 ff. Ähnlich argumentiert Zygmunt Baumann, Globalization. The Human Consequences, Cambridge 1998; zur Anwendung in der Politikwissenschaft vgl. Hanspeter Kriesi und Romain Lachat, Globalization and the transformation of the national political space: Switzerland and France compared, in: CIS Working Paper Universität Zürich 1 (2004). Zur Einordnung der politischen Interessenlager vgl. die Ansätze der Internationalen Politischen Ökonomie Bruno S. Frey, Internationale Politische Ökonomie, München 1985, S. 17–23.
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Dieses Kapitel geht davon aus, dass Globalisierungsprozesse auch dann zu wirtschaftspolitischen Konflikten auf der Ebene des Nationalstaates führen können, wenn die Rohstoffe nicht aus dem nationalstaatlichen Wirtschaftsraum stammen. Diskutiert wird damit die größere Frage, welche Rückwirkungen die Weltmarktverflechtung auf die Interessenlagen und Handlungsmuster der verschiedenen bisher behandelten Akteursgruppen hatte. Sowohl partikulare Aktionen wie die Regulierung des internationalen Kaffeemarktes durch deutsche Akteure (Kapitel 7.1.) sind aus dieser Perspektive kausale Bestandteile der Integration des deutschen Kaiserreichs in die globale Ökonomie – so wie umgekehrt zentrale Bezugspunkte in den wirtschaftspolitischen Debatten um die deutsche Konsumpolitik und Reichsfinanzreform (Kapitel 7.2.) nicht allein in innergesellschaftlichen Dynamiken zu finden sind. Inhaltlich verbindet dieses Kapitel eine ganze Reihe von bisher getrennt untersuchten Forschungsgegenständen. Die jeweilige Thematik wird dort aus der betreffenden volkswirtschaftlichen oder nationalstaatlichen Binnenperspektive heraus und/oder an bestimmten Akteursgruppen erklärt und interpretiert. Die hierzu jeweils vorliegende umfassende Sekundärliteratur erlaubt es problemlos, die Aspekte des Oberkapitels in den historischen Kontext zu stellen.8 Die Basis für das folgende Kapitel bilden die in den letzten Kapiteln schon vorgestellten Archivbestände und vor allem das umfangreiche Material des ab 1893 aufgebauten Pressearchivs des Bundes der Landwirte (im Folgenden BdL). Dieser hat einen Pressespiegel aus bis zu 310
8 Zu den Konsequenzen von Überproduktion für die auf monokultureller Agrarwirtschaft basierenden Volkswirtschaften der lateinamerikanischen Länder vgl. allgemein Victor Bulmer-Thomas, The Economic History of Latin America since Independence, Cambridge 2003. Zu Kaffee vgl. Clarence-Smith und Topik (2003); Steven Topik, Coffee, in: ders. und Allen Wells (Hg.), The Second Conquest of Latin America: Coffee, Henequen, and Oil during the Export Boom, 1850–1930, Austin 1998, S. 37–84. Zu Investitionen der europäischen Staaten in diesen Ländern vgl. u. a. Platt (1977); Schaefer (1995); Summerhill (2003). Zur Reichsfinanzreform vgl. Peter-Christian Witt, Die Finanzpolitik des Deutschen Reiches von 1903 bis 1913, Lübeck und Hamburg 1970. Einen Überblick zum Thema bei Jürgen Schneider, Die Auswirkungen von Zöllen und Handelsverträgen sowie Handelshemmnissen auf Staat, Wirtschaft und Gesellschaft zwischen 1890–1914, in: Hans Pohl (Hg.), Die Auswirkungen von Zöllen und anderen Handelsmechanismen auf Wirtschaft und Gesellschaft vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Stuttgart 1987, S. 293–327; Steinkühler (1992). Zum Kaffeezoll vgl. Horst Nobel, Die steuerliche Belastung des Kaffees in Deutschland und ihre Auswirkungen auf Wirtschaft und Staatseinnahmen, Zürich 1953. Zur Konsumpolitik und Verbraucherprotesten vgl. Nonn (1996); ders., Fleischvermarktung in Deutschland im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (1996), S. 53–76; ders., Vom Konsumentenprotest zum Konsens. Lebensmittelverbraucher und Agrarpolitik in Deutschland 1900–1955, in: Hartmut Berghoff (Hg.), Konsumpolitik. Die Regulierung des privaten Verbrauchs im 20. Jahrhundert, Göttingen 1999, S. 23–46.
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(1914) regionalen und überregionalen Zeitungen erstellt.9 Quantitativ befasst sich etwa die Hälfte aller gesammelten Artikel unter dem Schlagwort „Nahrungs- und Genussmittel“ mit dem Thema Kaffee. Um die unterschiedlichen Perspektiven der Akteursgruppen zu untersuchen, kann auf etwa 600 Artikel zurückgegriffen werden, die im Zeitraum von 1909 bis 1916 in 88 unterschiedlichen Tageszeitungen erschienen sind. Andere Genuss- und Nahrungsmittel wie Tee, Schokolade, Gewürze und sogar Brot, Fleisch und Zucker sind in dem Pressespiegel dagegen Randthemen. Eine tendenziöse Auswertung der Presseberichterstattung wird man dem BdL im Hinblick auf die Überrepräsentanz der Berichterstattung zu Kaffee nicht vorwerfen können.10 Gleichfalls relevant für die folgenden Kapitel ist der Pressespiegel des BdL zum Stichwort „Staats- und Wirtschaftsleben der Central- und Südamerikanischen Staaten“, in dem die Wirtschaftspolitik der betreffenden Länder im Verhältnis zum Deutschen Reich und die Kolonialpolitik des Deutschen Reiches den Fokus bilden.11 Wenn ab 1909 und bis 1916 über Genuss- und Nahrungsmittel in der deutschen Presse berichtet wurde, dann mehrheitlich über Kaffee. Die Überrepräsentanz der Kaffeeberichterstattung in den Pressespiegeln ist für Jörg Smotlacha „ein deutlicher Hinweis auf den besonderen gesellschaftlichen Stellenwert des Kaffees und ein anhaltendes öffentliches Interesse an mit dem Konsumgut verbundenen wirtschaftlichen und ernährungspolitischen Problematiken“.12 Auch aus diesem Grund erscheint es als ein lohnender Versuch, die Literatur zur Finanz- und Konsumpolitik kurz vor 9 Vgl. G. Meyer, Das Pressearchiv des Bundes der Landwirte (1893–1945), in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 9 (1959) 5, S. 1121–1123. Der Bestand befindet sich in BArch, Bestand R 8034 II, Signatur 5273. 10 Hingegen wäre eine quantitative Gegenprüfung an einzelnen Zeitungen notwendig gewesen, wenn ein Schwerpunkt auf der Berichterstattung zu Fleisch oder Brot gelegen hätte, beides Waren und Gegenstände intensiver Lobbyarbeit des BdL, vgl. Steinkühler (1992). Neben Kaffee nimmt Tabak eine gewisse quantitative Bedeutung in den Pressespiegeln ein. Auch in den unter dem Schlagwort „Zoll“ gesammelten Pressespiegeln behandeln die meisten Artikel diese beiden Konsumgüter, neben Berichten über die zollpolitischen Aktivitäten anderer Staaten, vgl. BArch, Bestand R 8034 II, Signatur 5226, 5227 und 5237. Die Artikel zu Alkohol sind getrennt erfasst worden. Sie überbieten zahlenmäßig diejenigen zu allen Nahrungs- und Genussmitteln, wobei hier auch Kaffee als Alkoholsubstitut regelmäßiger Gegenstand der Berichterstattung ist, vgl. ebd., Signatur 2613. 11 Vgl. ebd., Signatur 7122, Bd. 1.; ebd., Signatur 6358. 12 Vgl. Smotlacha (1997), S. 4. Der Befund ist umso überraschender, als die überaus profunde Studie von Christoph Nonn zur Mobilisierung der Verbraucher im Kaiserreich und den daraus entstandenen Konflikten Kaffee nur in einem Nebensatz erwähnt. Doch die Studie hat auch einen anderen Fokus und interessiert sich nicht primär für die Einbindung des Kaiserreichs in die Weltwirtschaft. Vgl. Nonn (1996), S. 176. Nonn konzentriert sich auf die Güter Fleisch und Brot, führt das Pressearchiv des BdL auch unter den konsultierten Beständen auf, problematisiert aber nicht die quantitativen Schwerpunkte der dort vorgefundenen Artikel.
Globale Marktregulierung durch private Akteure
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dem Ersten Weltkrieg um eine Analyse des Lokalen als dem zentralen Verhandlungsort von Globalisierungsprozessen zu ergänzen.
7.1. Valorisation: Globale Marktregulierung durch private Akteure Ab den späten 1880er Jahren befanden sich die Hamburger Kaffeegroßhändler in einer günstigen Position. Die umgesetzten Quantitäten stiegen, während sich die Fixkosten durch Kooperationen mit Schifffahrtsgesellschaften und den Einstieg der Großhändler in den Kaffeeanbau reduzierten. Durch den Kaffee-Verein generierte man Transaktionskostenvorteile. Mit dem Terminhandel hatte man zudem ein Instrument geschaffen, um fremdes Kapital zu akquirieren und einzelne Geschäftsabschlüsse abzusichern. Auch der politische Gegenwind gegenüber den neu eingeführten Handelstechniken und der Organisation des Kaffeegroßhandels konnte in den 1890er Jahren erfolgreich abgeschwächt werden. Dabei ergaben sich aus der Kombination von Platz- und Termingeschäften neue Geschäftsfelder. Deren Gewinne investierten die Kaffeegroßhändler zum Teil in den Kaffeeanbau und die dafür benötigte Infrastruktur. Dieses private System ökonomischer Kontrolle sei, so der Vorsitzende des Kaffee-Vereins, ebenso vorteilhaft für die Kaufleute wie für die deutsche Wirtschaft, da es „eine Art Kolonisationsbestrebung ohne Kapitalaufwand seitens der Regierung [ist] und ohne all die Unannehmlichkeiten, die die Kolonien sonst mit sich bringen mögen“.13 Die Integration von vorgelagerten Wertschöpfungsstufen in ihre Unternehmen erhöhte die Gewinnmargen für die Hamburger Kaffeegroßhändler. Vom Ausbau der Infrastruktur in den Anbauländern und deren zunehmender Industriegüternachfrage profitierten zudem weitere deutsche Unternehmen, deren Güter von deutschen Reedereien transportiert wurden. Ganz ohne „Unannehmlichkeiten“ entwickelte sich die Beziehung zwischen den deutschen Wirtschaftsinteressen und denen der Anbauländer aber nicht. Besonders angesichts der im Zuge massiv sinkender Kaffeepreise drohenden Wirtschaftskrisen in Brasilien und Guatemala kurz vor der Jahrhundertwende gerieten die deutschen Kapitalinvestitionen in Gefahr.14 Ab 1891 berichtete beispielsweise das für Zent13 Robinow, BEK St. Pr. (1893), S. 2088. 14 Vgl. die Geschäftsberichte der guatemaltekischen Plantagengesellschaften: Kaffee in Guatemala, in: Der Tropenpflanzer 3 (1899) 11, S. 556 f. Zu deren Entwicklung bis 1913 vgl. Frankfurter Zeitung vom 10.5.1913. Zu der Beteiligung an Anleihen verschiedener europäischer Banken in Guatemala und deren Entwicklung vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 1555, Bl. 78; Daily Consular Reports Washington vom 14.8.1905; Foreign Office, Reports on Subjects of General and Commercial Interest. Report on the Coffee Industry of Guatemala, London 1892; zu den deutschen Unternehmungen vgl. ebd., S. 8; Rippy und Fred (1947); Berliner Zeitung am Mittag vom 13.3.1911; Ex-
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Kaffeekonflikte. Weltmarktverflechtung und Konsumpolitik
ralamerika zuständige Konsulat in Port au Prince sporadisch von den wachsenden Schwierigkeiten und Liquidationen deutscher Unternehmen.15 Zuerst am 12. Juli und dann nachdrücklich am 5. August 1899 brachten die Konsulatsberichte die Abhängigkeiten, die sich aus Kapitalverflechtung ergaben, ausdrücklich zur Sprache: „Mit Rücksicht auf die mindestens 200 Millionen Mark betragenden deutschen Interessen in Guatemala, halte ich eine Anleihe von 50 Millionen Mark für das einzige Mittel, um so größeren Verlusten vorzubeugen.“16 Jetzt ging es nicht mehr um einzelne deutsche Firmen, die in Schwierigkeiten geraten waren, sondern um die Krise der gesamten Volkswirtschaft. Nur erneute Kapitalinvestitionen schienen die drohenden Einbußen aus deutscher Sicht zu minimieren. Als letztes Mittel zur Preisstabilisierung hatte die guatemaltekische Regierung den Kaffeezoll aufgehoben. Damit verzichtete sie aber auch auf die wichtigsten Staatseinnahmen, was sich sofort in sich verschlechternden Wechselkursen niederschlug.17 Mit den gleichen Problemen des Kaffeepreisverfalls kämpften auch andere lateinamerikanische Staaten. Hatte Santoskaffee 1890 noch 158 Mark pro 100 Kilogramm in Hamburg eingebracht, so fiel der Preis rapide um bis zu 70 Prozent. 1903 kosteten 100 Kilogramm nur noch 50 Mark. Ebenso krass war der Preisverfall bei den anderen Brasilsorten, aber auch der Preis für alle übrigen Provenienzen brach um 40 Prozent ( Java) bis 61 Prozent (Mocca) ein.18 Diese Entwicklung resultierte, wie ein Blick auf das Verhältnis von Nachfrage und Angebot offenbart (vgl. Grafik 13 im separaten Bildteil), aus einem weltweiten Überangebot. Das Marktungleichgewicht wird besonders deutlich, wenn man sich den Wert des importierten Kaffees in Dollar im Vergleich zu den absoluten Importmengen der Konsumländer ansieht. Für steigende Importmengen bezahlten die Importeure im Platzgeschäft einen immer geringeren Großhandelspreis (vgl. Grafik 44).19 Durch die europäischen und US-amerikanischen Kapitalinvestitionen stellten Überangebot und sinkende Kaffeepreise kein alleiniges Problem der produzierenden Länder mehr dar. In den brasilianischen Bundesstaaten waren die möglichen Verluste
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port vom 31.10.1901, Frankfurter Zeitung vom 17.7.1895; ebd. vom 10.9.1895; ebd. vom 20.5.1900; Hamburger Börsen-Halle vom 23.4.1896; Kölnische Zeitung vom 11.6.1890; Münchner Allgemeine Zeitung vom 13.9.1896; National Zeitung vom 23.2.1900; ebd. vom 27.10.1905; Die Post vom 9.9.1909; Vossische zeitung vom 21.9.1899, ebd. vom 25.10.1899; ebd. vom 27.10.1905; Weser Zeitung vom 15.10.1899. Vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 266, Bl. 18. Ebd. Signatur 1556, Bl. 58. Zum Bericht vom 12.7. vgl. ebd., Bl. 50–56. Vgl. ebd., Signatur 1556, Telegram vom 8.4.1898. Vgl. Tabelle 28 im Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau-Verlages. Quelle zu Grafik 44: Department of Commerce and Labour (1905), S. 101, S. 103 f. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, Tabelle 50 und 51.
Globale Marktregulierung durch private Akteure
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Grafik 44 Rohkaffeeimporte und deren Preise in Deutschland, Belgien, Frankreich und den USA 1894–1904
von investiertem Kapital noch um einiges höher als in Guatemala. Das deutsche Kapital in Brasilien betrug in den 1890er Jahren geschätzte 400 Millionen Mark, im Jahr 1914 ca. 675 Millionen Mark. Davon entfielen knapp 50 Prozent auf den Binnen- und Außenhandel, 15 Prozent auf den Bankensektor, 13 Prozent auf den Grundbesitz, knapp 10 Prozent auf die Industrie, knapp 6 Prozent auf die Infrastruktur und unter 1 Prozent auf die Landwirtschaft. Die britischen und US-amerikanischen Investitionen waren mit ca. 6,17 und 2 Milliarden Mark aber weitaus umfangreicher.20 Angesichts des hohen Informationsstandes der Kaffeegroßhändler erscheinen ihre zumeist erst in den 1890er Jahren begonnenen Investitionen in den Anbau naiv. Gerade sie wussten um die fragile ökonomische Situation der Kaffee anbauenden Länder. Durch ihre Erfahrungen mit den Folgen der Blattpilzerkrankung auf Java kannten sie zudem die möglichen Strukturrisiken einer monokulturellen Agrarwirtschaft.21 Ab den 1880er Jahren verfassten Unternehmen wie Duuring & Zoon oder W. Schöffer für die Kaffeehandelsfirmen Statistiken über die weltweite Ernteentwicklung, über die Nachfrage sowie über die lagernden Weltvorräte an den Handelsplätzen. Der Hamburger Kaffee-Verein führte zudem seine eigene, täglich aktualisierte Statistik.22 Die folgenden Daten über die kontinuierlich steigenden Ernteergebnisse und Lagerhausvorräte sowie die Preisentwicklung waren den Kaffeehändlern somit 20 Vgl. ebd., Signaturen 1199–1202. Kurzer Überblick bei Brunn (1971), S. 77 f., S. 232 f., S. 254; Schaefer (1995), S. 476–480; Wynecken (1928), S. 74, S. 167. 21 Für eine ausführliche Darstellung des asiatischen Kaffeemarktes dreißig Jahre nach dem Auftreten der Blattpilzerkrankung durch das deutsche Konsulat in Singapur vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 274, Bl. 104–110; ebd. Signatur 276, Bl. 65 f. Kurzer Überblick bei Glania (1997), S. 49–51. Zur globalen Ausbreitung des Pilzes vgl. McCook (2006). 22 Vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 11, Bd. 1–6.
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Kaffeekonflikte. Weltmarktverflechtung und Konsumpolitik
bekannt. Die weltweite geernteten Mengen stiegen insgesamt rapide, trotz der typischen, aus dem Ertragszyklus der Kaffeepflanzen resultierenden schmaleren Ernten einzelner Jahre (vgl. Tabelle 14). Tabelle 14 Welternten, sichtbare Vorräte in den weltweiten Lagerhäusern und Weltnachfrage in Tsd. Tonnen, Großhandelspreis Santoskaffee in Mark pro 100 kg in Hamburg, 1890–190223 1890 1891 1892 1893 1894 1895 1896 1897 1898 1899 1900 1901 1902 Ernte
560
719
677
564
706
623
835
963
825
828
906 1184 1000
Lager
143
162
186
145
160
213
241
381
396
422
453
652
792
Preis
158
148
136
146
146
138
110
72
58
56
74
62
58
Nachfrage
523
648
656
634
672
668
737
874
808
898
859
931
958
In den Protokollen der Vorstandssitzungen des Kaffee-Vereins tauchen erstmals im Jahr 1896 Hinweise auf Mutmaßungen zu möglichen Risiken des Marktungleichgewichts auf. Hier diskutierten die Vorstandsmitglieder aber eher das Problem, wie man von der HFLG mehr Speicherraum erhalten könnte, um die zunehmend größeren Lieferungen einlagern zu können.24 Benötigten die Hamburger Kaufleute 1892 nur Lagerfläche für 5 Tausend Tonnen, so brauchten sie 1903 Stauraum für stattliche 91 Tausend Tonnen.25 Die Strategie, die steigenden Ernteergebnisse dem Markt erst verzögert zuzuführen, verfolgten alle Handelsplätze. Dies zeigen die Daten über die zunehmenden sichtbaren weltweiten Lagervorräte (vgl. Grafik 13 im separaten Bildteil und Tabelle 14). Ließ sich mittels Einlagerungen der Kaffeepreis bis 1895 noch einigermaßen stabil halten, so unterschritt er 1897 deutlich die 100-Mark-Grenze pro 100 Kilogramm und fiel in den folgenden zwei Jahren trotz geringerer Ernteerträge weiter. Während sich der weltweite Konsum seit den 1870er Jahren fast verdoppelt hatte, blieben die Ernteergebnisse in den meisten Anbauländern im Durchschnitt konstant oder gingen in Asien sogar zurück (vgl. Grafik 2 im separaten Bildteil und Grafik 3 in Kapitel 2). Die entscheidende Ausnahme bildete der Bundesstaat São Paulo (Region Santos). Dessen Exportmengen stiegen von 1872 bis 1902 von 24,53 Tausend Tonnen auf 610 Tausend Tonnen an (vgl. Grafik 45).26 Er bestimmte damit seit den 1890er Jahren „die Höhe der Welternte“.27 Allein dieser Bundesstaat exportierte im Jahr 1902 61 Prozent der weltweite erfasste Mengen. 23 24 25 26
Vgl. Grafik 13. Preise in: StAHH, Bestand 314-1, Signatur B VIII, Nr. 16. Vgl. StAHH, 612-5/8, Signatur 3, Bd. 1. Vgl. Hamburgs Handel (1904). Quelle zu Grafik 45: Kurth (1909), S. 4 f. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, Tabelle 18. 27 F. Altschul, Die Kaffeevalorisation, in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich N.F. 34 (1910), S. 103–125, hier S. 105.
Globale Marktregulierung durch private Akteure
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Grafik 45 Anteile der einzelnen Regionen Brasiliens am Kaffeeanbau 1870–1902
Die Auswirkungen des Preisverfalls zeigten sich in Brasilien deshalb besonders schnell. Ein Jahr nachdem das Land 1898 den Staatsbankrott erklärt und ein Moratorium gewährt bekommen hatte, summierte der Hamburger Correspondent resigniert: „Da dieses Produkt [Kaffee] die auswärtige Handelsbilanz des Landes zu etwa ¾ beherrscht, […] [mussten] die Zinszahlungen für die äußeren Anleihen auf drei Jahre hinausgeschoben [werden] und an die Stelle der effektiven Zahlung hatte eine solche in Antheilsscheinen einer fundierten Anleihe zu treten.“28 Trotzdem verlor die brasilianische Währung, das Milreis, in den kommenden Jahren an Wert.29 1901 und 1902 überschritten die weltweiten Ernteerträge die Grenze von einer Million Tonnen und waren damit fast doppelt so hoch wie gerade einmal zehn Jahre zuvor (vgl. Tabelle 14). Allein Santos und Rio hatten hieran einen Anteil von 77,5 Prozent. Zuerst versuchte man informell und kooperativ mittels Kaffeeanbaukontingenten der Regierungen der brasilianischen Bundesstaaten, Neuanbauverboten oder Aufrufen zum Anbau anderer landwirtschaftlicher Rohstoffe den Kaffeeanbau zu reduzieren.30 Diese frühen politischen Steuerungsversuche scheiterten aber an den Plantagenbesitzern, die weiterhin auf den Kaffeeanbau setzten:
28 Die wirtschaftliche Lage in Brasilien, in: Hamburger Correspondent vom 18.10.1899. Hirschmann (1930), S. 126 f., schätzt, dass der Wert der Kaffeeausfuhr 1906 bis 1910 50 Prozent und 1910 bis 1913 63 Prozent des Gesamtausfuhrwertes des Landes betragen habe. Laut dem Deutschen Ökonomist vom 27.7.1895, S. 439, wies der brasilianische Haushalt ein jährliches Defizit von ca. 50 Millionen Milreis aus. 29 Vgl. BArch, Bestand R 8034 II, Signatur 7122, Bl. 44v. Brasilien hatte laut Gesetz vom 18.11.1871 Goldwährung, de facto aber Papierwährung mit Zwangskurs, vgl. Altschul (1910), S. 106; Norden (1910), S. 138 f. 30 Vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 266, Bl. 65.
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Kaffeekonflikte. Weltmarktverflechtung und Konsumpolitik
„Da die Pflanzer von 1887 bis zum Jahre 1897 verhältnismäßig gute Preise für ihr Produkt erzielten, vernachlässigten sie den Anbau von Cerealien […] oder gaben ihn ganz auf. Sie glaubten ihre Rechnung besser und dauernd dabei zu finden, wenn sie die nötigen Cerealien und sonstigen Lebensmittel kauften. Da diese nun im eigenen Lande nicht angebaut wurden, war der Pflanzer darauf angewiesen, seine Lebensmittel zu importieren.“31
Schon mit dem Unterschreiten eines Großhandelspreises von 80 Mark für 100 Kilogramm im Hamburger Großhandel seit dem Jahr 1897 waren nach zeitgenössischen Berechnungen die Produktionskosten der Pflanzer jedoch nicht mehr gedeckt.32 Aus der kurzfristigen Perspektive der brasilianischen Exporteure aber hatte das Absinken des Wechselkurses von 27 Pence im Jahresdurchschnitt 1888 auf 5,37 Pence 1898 ihr Geschäft bei fallenden Preisen begünstigt: „Je günstiger nun die Finanzverhältnisse liegen, umso höher ist naturgemäß der Wechselkurs, um so mehr müssen aber auch die Kaffeepreise steigen. Gelingt es den Abladern in Europa, die erhöhten Kaffeepreise durchzusetzen, so kann ihnen der jeweilige Stand der Valuta ganz gleichgültig sein. Sehr oft war ihnen das aber nicht möglich. Sie mussten daher ihrerseits versuchen, billiger einzukaufen, d. h. dem Pflanzer für sein Produkt weniger zahlen. Je höher der Wechselkurs stand, um so weniger bekam der Pflanzer für sein Erzeugnis.“33
Die brasilianischen Pflanzer und Exporteure profitierten von niedrigen Wechselkursen, solange der Milreiskurs im Inland stabil und im Ausland niedrig blieb. Hohe Wechselkurse bedeuteten hingegen bei fallenden Preisen zusätzliche Verluste. Sie „waren demnach doppelt an der Valuta interessiert: sie wünschten Fixierung, und zwar auf möglichst niedrigem Kurs“.34 Ihre Interessen standen denen der brasilianischen Bundesregierung entgegen. Letztere strebte zwar ebenso eine Fixierung des Wechselkurses an, allerdings auf möglichst hohem Niveau, um die staatlichen Anleihezinsen zu tilgen und Anreize für ausländische Kapitalinvestitionen zu schaffen. Politisches Ziel der brasilianischen Regierung musste es also sein, ebenso den Wechselkurs zu heben wie die Preise des Hauptexportgutes Kaffee. Der Rohstoff stellte zugleich die direkte und indirekte Haupteinnahmequelle durch Steuern und Ausfuhrzölle dar. 31 Kurth (1909), S. 27, S. 30. Vgl. dazu auch Findeisen (1917), S. 20–22. 32 Vgl. Eduard Dettmann, Brasiliens Aufschwung in deutscher Beleuchtung, Berlin 1908, S. 402 f.; Erich Prager, Die Produktionskosten und der Ertrag des Kaffees in Südbrasilien, in: Der Tropenpflanzer 4 (1900) 1, S. 76–78.; Was sollte eine Kaffeepflanzung kosten und bringen?, in: Der Tropenpflanzer 3 (1898) 5, S. 162 f. 33 Findeisen (1917), S. 31. Zu diesem Zusammenhang ebenso Karl Ballod, Brasilien, in: Halle (1905), S. 620–643, hier S. 628. 34 Altschul (1910), S. 107. Vgl. auch Wynecken (1958), S. 65; CbH, Jahresbericht der Handelskammer zu Hamburg über das Jahr 1906, S. 9. Im Folgenden abgekürzt mit Jb. HH.
Globale Marktregulierung durch private Akteure
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Um die Nachfrage nach Kaffee anzukurbeln, das Haushaltsdefizit zu verringern und gleichzeitig den Wechselkurs zu stabilisieren, richtete die brasilianische Regierung zuerst Differentialzölle ein. Diese begünstigten diejenigen Länder, die geringere Kaffeeeinfuhrzölle erhoben.35 1902 reduzierte sie den Kaffeeexportzoll von 13 Prozent auf 11 Prozent und 1906 auf 9 Prozent. Gleichzeitig diskutierten die Regierungen der brasilianischen Bundesstaaten Minas Geras und São Paulo Maßnahmen, um den nordamerikanischen und europäischen Zwischenhandel auszuschalten, und gründeten hierfür eine „Kaffeepropaganda-Kommission“.36 Auch die brasilianische Bundesregierung versuchte, durch Ausstellungen und Einzelaktivitäten in Europa die Nachfrage langfristig zu heben.37 Der Bundesstaat São Paulo verbot zudem Neuanpflanzungen und versuchte 1903, qualitativ schlechtere Sorten mittels eines Exportdifferentialzolls vom Markt fernzuhalten, um für die besseren Sorten höhere Preise zu erzielen.38 Mit dieser Strategie begegnete man der Praxis der europäischen Kaffeehändler, sich vermehrt der in Asien ab den 1890er Jahren angebauten Sorte Liberiakaffee und dem arabischen Mocca zuzuwenden.39 Denn auch diese qualitativ besseren Sorten fielen im Preis und wurden daher vermehrt gekauft, womit sich die Nachfrage nach Brasilkaffee verringerte. Die brasilianischen Exporteure gingen zudem dazu über, die qualitativ besseren Anteile der brasilianischen Ernten nicht mehr als Brasilkaffees, sondern unter anderen Länderlabels auf die Märkte zu bringen, um so bessere Preise zu erzielen: „Diese besseren Sorten […] werden auf den europäischen Märkten unter jenen falschen Bezeichnungen [Mokka, Java, Martinique] […] verkauft. Meist sollen sie mit einem Theile des wirklichen, durch den Namen angegebenen Artikels gemischt werden. Es heißt, daß selbst ägyptische Kaufleute brasilianischen Kaffee aus verschiedenen europäischen Häfen
35 Vgl. Brasilianischer Kaffee, in: Vossische Zeitung vom 31.7.1900. Allgemein Walter Conrad, Das Problem der internationalen Geldverfassung, in: Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis 2 (1909) 9, S. 316–319. Zu Brasilien und zum Zusammenhang von Wechselkurs und Kaffeehandel vgl. Altschul (1910), S. 106–108; José M. Bello, A History of Modern Brazil 1889–1964, Stanford 1966, S. 160 f.; Norden (1910), S. 138–140. 36 Vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 275, Bl. 98 f. Vgl. ebenso Bureau of Foreign and Domestic Commerce, Daily Consular and Trade Reports No. 3462, vom 22.4.1909. 37 Vgl. StAHH, Bestand 371-8 II, Signatur S XIX C. 30.2, Bericht der kaiserlichen Gesandtschaft in Petropolis vom 18.11.1901; BArch, Bestand R 901, Signatur 275, Bl. 5, Bl. 18, Bl. 92. 38 Vgl. BArch, Bestand 901, Signatur 268, Bl. 123–135; ebd., Signatur 5188, Bl. 197–201; Roth (1929), S. 71; Brasilianischer Kaffee, in: Vossische Zeitung vom 31.7.1900; Zur Kaffeekrisis, in: Germania vom 29.7.1902. 39 Vgl. Erntebereitung des Liberia-Kaffees, in: Der Tropenpflanzer 2 (1898) 2, S. 41– 51, hier S. 41 f.
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Kaffeekonflikte. Weltmarktverflechtung und Konsumpolitik
beziehen, um ihn nach Arabien via Aden und Jeddah zu verschicken, um ihn dort nach Art des Mokkas umpacken zu lassen.“40
Neben dem Verkauf mit gefälschten Herkunftsangaben manipulierten die Kaffeegroßhändler Brasilkaffees, indem sie den Kaffee nach dem Waschen einfärbten und/ oder den vor allem bei Moccakaffee sehr weißen Schnitt der Bohne durch Sägemehl nachfälschten.41 Ein weiteres Problem bedeutete der mit den immer größeren Erntemengen auch prozentual steigende qualitativ schlechte Anteil der Ernten. Die Importeure in den USA und Europa orderten bei den brasilianischen Exporteuren per Muster im Effektivgeschäft verstärkt nur noch die qualitativ besseren Sorten. Doch erhielten sie in den effektiven Lieferungen zunehmend schlechtere Qualitäten. Um ihre Ware überhaupt verkaufen zu können, gaben die Exporteure die Typenmuster zu hoch an. Zwar mussten diese Qualitätsunterschiede dann über die Arbitrage von ihnen finanziell ausgeglichen werden. Eine Nichtannahme der Ware durch die Importeure in den Konsumländern war im Rahmen der Cf- oder Cif-Verträge aber nicht möglich. Individuelle Einlagerung und Falschetikettierungen stellten wohl nicht unübliche Strategien vieler Importeure dar.42 Die Ursachen für das Überangebot wurden hiermit aber nicht behoben. Deshalb trafen sich die nordamerikanischen und europäischen Kaffeehändler sowie Vertreter aller amerikanischen und westindischen Produzentenstaaten, außer Haiti und Kolumbien, im Oktober 1902 in New York zu einem „internationalen Kaffee-Kongress“. Die Teilnehmer diskutierten Maßnahmen wie erhöhte Exportzölle, Kaffeevernichtung oder jährliche Ausfuhrquoten der Erzeugerländer.43 Einigen konnten sich die Beteiligten nicht, da die Anbauländer unterschiedliche Regulierungsmaßnahmen bevorzugten.44 Nach weiteren inoffiziellen Verhandlungen zwischen einzelnen Kaffeehändlern und brasilianischen Regierungsvertretern in New York und später in Hamburg entstand aber die Idee, durch gemeinsamen Aufkauf der gesamten zukünftigen brasilianischen Ernteergebnisse dem Weltmarkt für eine begrenzte Zeit 70 Prozent der Kaffeeernten zu entziehen 40 Brasilianischer Kaffee, in: Vossische Zeitung vom 31.7.1900. Vgl. ausführlich BArch, Bestand R 901, Signatur 297, Bl. 100. Auch das Konsulat Singapur berichtete über diese Praxis, vgl. ebd., Signatur 278, Bl. 40 f. 41 Vgl. Über eine Kaffeefälschung, in: Der Tropenpflanzer 2 (1898) 7, S. 230. 42 Vgl. BArch, Bestand R 1001, Signatur 8001, Bl. 20; Hamburgs Handel (1907), S. 40. 43 Vgl. Roth (1929), S. 68 f.; Report of the International Congress for the Study of the Production and Consumption on Coffee etc., Washington 1903; Internationaler KaffeeKongress, in: New Yorker Handels-Zeitung vom 4.10.1902. 44 Vgl. den Bericht des Generalkommissars der Regierung des Staates São Paulo: F. Ferreira Ramos, The Valorisation of Coffee in Brazil, Antwerpen 1909, S. 9 f. Bei den Kaffeegroßhändlern herrschte ohnehin die Meinung vor, „daß die dabei gefassten Beschlüsse sich als wirkungslos erweisen werden“, BArch, Bestand R 901, Signatur 268, Bl. 32.
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und so die Preise zu heben. Letztlich scheiterten diese Verhandlungen an der Frage der Risikoübernahme.45 Weiter fallende Preise und zudem die sich auf den Kaffeeverkauf ungünstig auswirkenden nun leicht steigenden Wechselkurse führten dazu, dass im Jahr 1903 80 Prozent der brasilianischen Plantagenbesitzer ihre Hypothekenzinsen und Zinsen auf die Erntevorschüsse der nordamerikanischen und europäischen Kaffeehändler nicht mehr bezahlen sowie ihre Arbeiter nicht mehr entlohnen konnten.46 Im gleichen Jahr berichtete das Londoner Kaffeehandelsunternehmen Hayn, Roman & Co in seinem Zirkular vom 14. März von mehreren Hypothekenbanken, die ihre Zahlungen einstellen mussten. Im Oktober 1905 weitete sich die Krise aus und der Bundesstaat Bahia geriet in so große Zahlungsschwierigkeiten, dass er seinen Beamten ihr Gehalt nicht mehr auszahlen konnte.47 Diese Situation, Revolutionsgerüchte und die Angst vor der nach „niedrigen“ Ernten von 1904 und 1905 prognostizierten Riesenernte 1906 oder 1907 brachten die Kaffeehändler und die Regierungen der drei besonders betroffenen brasilianischen Bundesstaaten São Paulo, Rio de Janeiro und Minas Gerais wieder an einen Tisch. Diesmal verhandelten die Regierungen allein mit den Hamburger Kaufleuten Peimann, Ziegler & Co und Theodor Wille sowie den New Yorker Unternehmen Arbuckle & Co. und Crossmann & Sielcken.48 Man einigte sich auf Valorisation, somit 45 Mit einem Kapital von 25 Millionen Pfund Sterling sollten in den folgenden acht Jahren bis zu 900 Tausend Tonnen jährlich aufgekauft werden. Die Kaffeegroßhändler forderten aber von der brasilianischen Bundesregierung, sich mit einer jährlich steigenden Exportprämie an dem Projekt zu beteiligen. Dies hätte de facto eine Verzinsung des von den Kaffeegroßhändlern aufgebrachten Kapitals bedeutet. Wegen der Finanzsituation Brasiliens verlangte die Regierung von den Kaffeegroßhändlern ein dem Ausfall der Zolleinnahmen entsprechendes Darlehen, das einer Garantie über 80 Prozent aller Zahlungsverpflichtungen des Landes entsprochen hätte. 46 Vgl. Zirkular Nortz & Co., Havre vom 19.8.1905 und 22.9.1906; Kurth (1909), S. 39; Roth (1929), S. 71. Hierzu und zum Folgenden vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 5188 und 5190. 47 So hatte zum Beispiel die brasilianische Banco do Credito Real mit einem Grundkapital von 5 Millionen Milreis 239 Millionen Milreis in Hypothekenscheinen an die Pflanzer ausgegeben. Diese waren 1903 bereits um 70 Prozent entwertet, 1905 stellte die Bank ihre Zahlungen ein. 48 Vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 272, Bl. 55; Kurth (1909), S. 80. Roth und Ukers sprechen neben der bedeutenden Rolle des Handelshauses Theodeor Wille dem deutschen Exporteur Hermann Sielcken (geboren 1850 in Hamburg und gestorben 1917 in Baden-Baden) die Rolle des eigentlichen „Anführers“ der Valorisation von Seiten der Kaffeehändler zu. Sielcken, der 1871 nach Nordamerika ausgewandert war, wurde als Teilhaber der Firma Crossmann & Bros. (später Crossmann & Sielcken) berühmt für seine Spekulationsgewinne mit Kaffee in den 1890er Jahren, vgl. Roth (1929), S. 74; Ukers (1922), S. 530 f.
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Kaffeekonflikte. Weltmarktverflechtung und Konsumpolitik
den Versuch, durch künstliche Zurückhaltung großer Mengen brasilianischen Kaffees vom Markt, die Preise zu stabilisieren.49 Neben dieser Regulierung des Kaffeehandels sowie der Schaffung eines Minimalpreises und Kaffeeanbauverboten beinhaltete das am 16. Februar in Taubaté unterzeichnete Abkommen auch die Schaffung einer Konvertierungskasse zur Stabilisierung der Wechselkurse.50 Da sich die brasilianische Bundesregierung weigerte, diese Aktion durch eine vom Bund gewährte Anleihegarantie zu unterstützen, und verlangte, dass die Kursfixierung aus dem Vertrag herausgenommen werde, beteiligten sich die vier Kaffeehandelshäuser ohne Bundesgarantien an dem Ankauf.51 Sie schlossen mit dem Staat São Paulo einen Vertrag ab, der eine Bevorschussung der Kaffeeverschiffungen durch die Handelshäuser mit 80 Prozent des offiziellen Wertes vorsah bei einem gleichzeitigen Minimalpreis für den Kaffee. Die Kaffeefirmen verpflichteten sich zudem, 120 Tausend Tonnen Kaffee über 4 Millionen Pfund Sterling zu lombardieren. Auf der Basis des Vertrages kaufte die Firma Theodor Wille als Bevollmächtigte der Regierung von São Paulo bis zum Juni 1907 etwa 504 Tausend Tonnen Kaffee, konsignierte sie nach Antwerpen, Le Havre, Hamburg und New York und lagerte sie auf unbestimmte Zeit ein.52 Die Sicherheit für die Handelshäuser stellte der bei ihnen eingelagerte Kaffee dar, aufgrund dessen sie die benötigten Kredite erhielten, die sie als Anleihe des Staats São Paulo über 3 Millionen Pfund Sterling auflegten.53 Zur Zinsdeckung und Amortisation der Anleihe führte São Paulo einen Zugschlagszoll auf den Kaffeeexport 49 Vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 271–282; StAHH, Bestand 314-1, Signatur B XII Nr. 45. Hierzu und zum Folgenden auch Altschul (1910), S. 103–125; Daviron und Ponte (2005), S. 84 f.; Thomas H. Holloway, The Brazilian Coffee Valorization of 1906. Regional Politics and Economic Dependence, Madison 1975; Lincoln Hutchinson, Coffee Valorization in Brazil, in: Quarterly Journal of Economics 23 (1909) 3, S. 528–535; Wickizer (1943), S. 136–143; Moritz Schanz, Der Kaffeemarkt im Jahre 1909, in: Der Tropenpflanzer 14 (1910) 4, S. 210–213; ders., Fortgang der brasilianischen Kaffee-Valorisation, in: ebd. 14 (1910) 11, S. 593–595; ders., Fortgang der brasilianischen Kaffee-Valorisation, in: ebd. 16 (1912) 3, S. 131–133. 50 Vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 271, Bl. 52; ebd., Signatur 272, Bl. 7; ebd. Signatur 277, Bl. 51. Abdruck des Abkommens bei Kurth (1909), S. 82–84. 51 Laut dem Konsulat in Rio de Janeiro soll Theodor Wille gemeinsam mit der Dresdner Bank 12 Millionen Pfund Sterling bereitgestellt haben, vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 271, Bl. 51. Zur Beteiligung der Dresdner Bank vgl. auch ebd., Bl. 82 f. Später heißt es, die Kaffeehäuser hätten 3 bis 7 Millionen Pfund Sterling bereitgestellt, vgl. ebd., Signatur 272, Bl. 55. Zur Position der Bundesregierung vgl. Roth (1929), S. 73. 52 Vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 272, Bl. 123; ebd., Signatur 273, Bl. 17; Altschul (1910), S. 113; Frankfurter Zeitung vom 9.2.1907; Wynecken (1928), S. 86. Rohkaffee kann, wenn er trocken und kühl liegt, einige Jahre unbeschadet lagern. 53 Beteiligte Banken waren laut Altschul (1910), S. 114 J. H. Schröder (London) und National City Bank (New York), hingegen allein J. H. Schröder laut dem Konsul in Petropolis, vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 272, Bl. 123.
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ein.54 Das sich sonst stark in Brasilien engagierende Bankhaus Rothschild & Sons (London) lehnte das Valorisationsprojekt zuerst ab. Es beteiligte sich aber 1907 indirekt durch eine Anleihe von 3 Millionen Pfund Sterling an den Staat São Paulo an der Finanzierung weiterer Kaffeeankäufe.55 Den direkt engagierten Handelshäusern schlossen sich 1908 verschiedene Bankhäuser an. Die Bankengruppe legte 1908 eine steuerfrei gestellte äußere Distriktanleihe von São Paulo mit einem Volumen von 306 Millionen Mark auf. Die Regierung São Paulos wandelte nun die einzelnen Anleihen in eine um und übertrug die Verfügung über die aufgekauften Kaffeequantitäten den Bank- und Handelshäusern.56 Garantiert wurde die Anleihe durch die eingelagerten Kaffeequantitäten, den Ausfuhrzoll und eine Kapital- und Zinsgarantie der Bundesregierung Brasiliens. Zudem verpflichtete sich der Staat São Paulo, dass der Kaffeeexport in den folgenden drei Jahren 60 Tausend Tonnen nicht überschreiten und jede Mehrausfuhr mit Strafzöllen von 20 Prozent des Wertes belegt werde.57 Die Zeichnung der Anleihe fand am 16. Dezember 1908 statt, ihr Erlös dürfte bei einem Übernahmekurs von 85 Prozent ca. 12,75 Millionen Pfund Sterling betragen haben.58 Gleichzeitig bildete sich ein Komitee zur Verwaltung der Valorisationskaffeebestände aus einem Regierungsvertreter des Staates São Paulo und mehreren Bankund Handelshausvertretern. Es beschloss, den Kaffee nicht unter einem nicht näher bezifferten Minimalpreis zu kaufen sowie jährlich höchstens 30 Tausend Tonnen ab dem Jahr 1910 weiterzuverkaufen.59 Um die Anleihen aus dem Jahr 1908 zurückzahlen zu können, musste die Bankengruppe 1913 einen Teil einer erneuten Anleihe São Paulos über 1 Millionen Pfund Sterling emittieren. Der Gesamtumfang der Anleihe betrug nun vermutlich 7,5 Millionen Pfund Sterling (150 Millionen Mark).60
54 Vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 271, Bl. 54; ebd., Signatur 274, Bl. 123; Hamburger Nachrichten vom 10.10.1906; D. Zürn, Der Kaffee, ein Welthandelsartikel, in: Grosseinkäufer. Für Industrie, Bergbau, Reederei, Handel und Export 2 (1914/1915) 12, S. 257–260, hier S. 259. 55 Vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 272, Bl. 102; Schaefer (1995), S. 476–481; Roth (1929), S. 75. 56 Vgl. Altschul (1910), S. 118; Kranke (1928), S. 54; Norden (1910), S. 190; Wynecken (1928), S. 87. 57 Vgl. Norden (1910), S. 141. 58 Vgl. u. a. Altschul (1910), S. 119. 59 Vorsitzender und zugleich Vertreter der Bankengruppe Baron Bruno Schröder (von Henry J. Schröder & Co., London sowie Gebrüder Schröder (Hamburg), Regierungsvertreter Dom Ramos, als Vertreter des Kaffeehandels Hermann Sielcken (New York), Theodor Wille (Hamburg) und Edmund Bunge (Hamburg). 60 Vgl. Schäfer (1995), S. 478 f.; Deutscher Ökonomist vom 12.4.1913, S. 297.
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Darüber, welche Banken und Handelshäuser sich zu welchem Zeitpunkt und in welchem Ausmaß beteiligten, divergieren die Angaben. Im Februar 1907 schien es so, als ob allein deutsche Banken sich engagierten. „Ich höre vertraulich, daß fünf Millionen Pfund-Sterling Anleihe nach Weigerung Rothschilds von ausschließlich deutscher Gruppe unter Führung Gebrüder Schroeder Hamburg gegeben wird.“61 Mehrheitlich genannt werden als Beteiligte in den Jahren 1906 bis 1913 die Bankhäuser Gebr. Bethmann (Frankfurt), Gebr. Schröder & Co. (Hamburg), J. H. Schröder (London), L. Behrens & Söhne (Hamburg), M. M. Warburg & Co. (Hamburg), National City Bank (New York), S. Bleichröder (Berlin) und Wilhelm Ludwig Deichmann (Köln).62 Grundsätzlich war es im Interesse aller am Valorisationsprojekt Beteiligten, gerade keine Klarheit zu schaffen über die Höhe der dem Markt im Laufe der Jahre entzogenen Kaffeemengen, über den dafür gezahlten Preis, über die dafür benötigten Kredite, deren Geber oder über Pläne für erneute Anleihen.63 Wie viel Kaffee der Staat São Paulo von 1906 bis 1913 aufkaufte und die beteiligten Kaffeefirmen einlagerten, ist daher unklar. Die Schätzungen der Konsulate, des Hamburger Kaffee-Vereins, der Tageszeitungen und Fachzeitschriften divergierten stark. Immer wieder wurden Vermutungen geäußert und revidiert, neue Schätzungen veröffentlicht und sogar über heimliche Vernichtung von Teilen des Valorisationskaffees spekuliert.64 Relativ häufig findet sich die Angabe, insgesamt seien 652 Tausend Tonnen dem Markt entzogen worden.65 Verkauft hat das Valorisationskomitee über öffentliche Auktionen von 1909 bis 1913 aber lediglich 110 Tausend Tonnen.66 Zuerst wirkte sich das Abkommen des Krisenkartells belebend auf die Terminbörsengeschäfte aus. Kurz nach der Unterzeichnung des Valoriationsabkommens 61 BArch, Bestand R 901, Signatur 273, Bl. 25. 62 Vgl. Findeisen (1917), S. 23. In der deutschen Presse vgl. u. a. Berliner Tageblatt vom 7.3.1911; Salzwedeler Wochenblatt vom 23.1.1912. Konsortialführer waren vermutlich die Banken J. H. Schröder und die National City Bank. 63 Eine Kritik und Darstellung der tendenziösen Berichterstattung von Valorisationsbefürwortern und -gegnern bei Norden (1910), S. 144–147. 64 Vgl. z. B. Verkauf von Valorisationskaffee, in: Berliner Börsen Courier vom 1.1.1910. Hier vermutet der Autor, dass der Valorisationskaffee an neun Handelsplätzen eingelagert worden sei und es sich um insgesamt ca. 420 Tausend Tonnen handele. Andere Schätzungen z. B. in: BArch, Bestand R 901, Signatur 275, Bl. 92; ebd., Signatur 269, Bl. 3–13; Altschul (1910), S. 114; Frankfurter Zeitung vom 25.6.1907; Kölner Post vom 23.2.1911; Leipziger Volkszeitung vom 11.2.1911; Schanz (1910), S. 593. Vermutungen über Vernichtungspläne, vgl. Hamburgs Handel (1909), S. 44; Schanz (1910), S. 211; Zürn, Der Kaffee, ein Welthandelsartikel, in: Grosseinkäufer vom 23.6.1914. 65 Vgl. Hirschmann (1930), S. 147; Kranke (1928), S. 54; Norden (1910), S. 160. 66 Vgl. Hamburgs Handel der entsprechenden Jahre.
Globale Marktregulierung durch private Akteure
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stiegen die Umsätze an den Terminbörsen im August in New York67 und von November 1906 bis Januar 1907 dann auch in Hamburg (vgl. Grafik 23 in Kapitel 4). In den kommenden zwei Jahren reduzierte sich die Höhe der Engagements aber wieder deutlich. Die unklare Situation über die tatsächliche Höhe der Vorräte führte zum Rückzug vieler Börsenteilnehmer von den Kaffeeterminbörsen. Selbst für die Spekulation war die Marktentwicklung zu unsicher geworden. 1907 bis 1909 stand der globale Kaffeehandel ausnahmslos im „Banne der Kaffee-Valorisation und ihrer Folgen“.68 Dementsprechend massiv kritisierte auch ein Teil der Kaffeegroßhändler die Auswirkungen der Valorisation auf den Terminhandel, nicht aber das Valorisationsprojekt als solches: „Die abfällige Beurteilung der Valorisation durch einen großen Teil der Vertreter des Kaffeehandels ist vor allem dadurch zu erklären, daß der Terminhandel zwei Jahre hindurch in Wirklichkeit große Störungen erlitten hat. Die bisherige Arbitrage […] war fast ausgeschlossen, weil es an einer einheitlichen Preisbasis mangelte. Der Kaffee war in Hamburg, Havre usw. billig und in Santos […] teuer, eine nationalökonomische Anomalie.“69
Zwar kamen auch aus den Reihen des Kaffeehandels Proteste gegen einzelne Praktiken des Valorisationskomitees. Wirkliche Kritik übten lediglich die Groß- und Einzelhändler im Binnenhandel.70 Insgesamt, so auch bei den Mitgliedern des Kaffee-Vereins in Hamburg,71 überwog unter den Kaffeehändlern aber die Zustimmung zum ersten Versuch, nicht dem Markt die optimale Allokation der Ressourcen zu überlassen. Erst 1910 belebte sich der Kaffeeterminmarkt wieder und die Umsätze erreichten die Spitzenwerte des Jahres 1888 mit Umsatzhöhen von bis zu 906 Tausend Tonnen im Jahr 1913 (vgl. Grafik 23 in Kapitel 4). Nach den Berichten der deutschen Konsulate in Rotterdam, Le Havre und New York waren dies aber wohl mehrheitlich „Windverkäufe“,72 also Leerkäufe. Trotz steigender Erntemengen und sich nur leicht verringernder gelagerter Quantitäten stabilisierten sich die Preise um 75 Mark pro 100 Kilogramm, überschritten 1911 sogar die 100-Mark-Grenze und erreichten 67 Vgl. das Valorisations-Gesetz in Kraft, in: New Yorker Handels-Zeitung vom 11.8.1906. 68 Hamburgs Handel (1909), S. 44. Zwar verzeichneten die Terminbörsen nicht so niedrige Umsätze wie in den Jahren des erwarteten und dann eingetroffenen Preisverfalls 1894 bis 1897, aber die Umsätze hielten sich an der Hamburger Terminbörse auf einem verhaltenen Niveau (463 Tausend Tonnen 1907, 301 Tausend Tonnen 1908 und 358 Tausend Tonnen 1909). 69 Kurth (1909), S. 118. Vgl. auch Deutschmann (1918), S. 23. 70 Vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 278, Bl. 173–180; Deutsche Kaffee-Zeitung vom 15.12.1910. 71 Vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 2 und 3. 72 BArch, Bestand R 901, Signatur 278, Bl. 125; ebd., Signatur 280, Bl. 58.
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1912 einen Wert wie zuletzt 1890 (vgl. Tabelle 15).73 Das Krisenkartel aus privaten Akteuren hatte es demnach erfolgreich geschafft, die Preise für Kaffee zu stabilisieren. Tabelle 15 Brasilianische Ernte, Welternte, sichtbare Vorräte in den weltweiten Lagerhäusern und Weltnachfrage in Tsd. Tonnen, Großhandelspreis Santoskaffee in Mark pro 100 kg in Hamburg, 1903–191374 1903
1904
1905
1906
1907
1909
1910
bras. Ernte
777
601
649
838
941
759 1.002
583
675
Welternte
959
867
887 1.429 1.435 1.006 1.105
887
1058
Lager
825
835
758
983
852
774
828
665
658
616
677
70
74
82
76
78
80
96
134
150
128
Preis Konsum
50 968
1908
970 1.004 1.061 1.068 1.129
1911
1912
1913
725
796
991 1.176
1.111 1.060 1.069 1.032 1.145
Vergleicht man die Kaffeeexporte mit den -importen abzüglich der Reexporte der mitteleuropäischen und nordamerikanischen Länder, so war die Nachfrage seit 1902 tendenziell höher als die Erntemengen, und langsam begannen sich die sichtbaren Lagervorräte zu verringern. Ein tatsächliches Überangebot an Kaffee hat es demnach lediglich in den 1890er Jahren gegeben. Zumindest schaffte es Brasilien, seinen Wechselkurs bis zum Ersten Weltkrieg stabil zu halten, er stieg sogar von 9,5 Pence für ein Milreis 1900 auf 18 Pence 1910. Obwohl die steigenden Wechselkurse nachteilig für die Pflanzer und die Exporteure waren, blieb die befürchtete Revolution, vermutlich auch aufgrund der steigenden Kaffeepreise, aus.75 Definitiv gescheitert waren allerdings die Maßnahmen zur Reduzierung der Anbaumengen, die mit den typischen Schwankungen wieder kontinuierlich stiegen. 1915 erreichte die brasilianische Ernte erneut die 1-Million-Tonnen-Grenze. Die Pflanzer ignorierten aufgrund der steigenden Preise und der Haussestimmung auf den Terminmärkten die Anbauverbote.76 In der Tabelle 15 sind nur die sichtbaren lagernden Weltvorräte aufgeführt. Wie viel Valorisationskaffee im Auftrag der Regierung des Bundesstaates São Paulo an den verschiedenen Handelsplätzen zusätzlich lagerte, ist unklar. Darüber, an wen und unter welchen Konditionen die Handelshäuser den Valorisationskaffee verkauften, finden sich lediglich vereinzelte Hinweise. Verkäufe „unter der Hand“ durch „der brasilianischen Regierung nahestehende Firmen“77 fanden im Jahr 1908 wohl in 73 Auch der Großhandelspreis in Brasilien stieg entsprechend: 1908 8,22 $; 1909 8,32 $; 1910 11,74 $; 1911 15,88 $ und 1912 15,92 $ für 100 Kilogramm, vgl. Kranke (1928), S. 83. 74 Vgl. Grafik 13. Preise vgl. StAHH, Bestand 314-1, Signatur B VIII, Nr. 16. 75 Vgl. Ukers (1922), S. 530; Wynecken (1958), S. 79, S. 87. 76 Vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 280, Bl. 20. 77 Vgl. Hamburgs Handel (1908), S. 39.
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kleineren Mengen permanent statt. Ebenso berichteten die Konsulate von geplanter oder vermuteter Vernichtung eines Teils der Valorisationsbestände.78 Kleinere Partien wurden im selben Jahr in Hamburg, Le Havre, London und New York per Auktion verkauft. Einen weiteren Teil verwendete die Regierung São Paulos zu Marketingzwecken in Großbritannien und Japan.79 Die Frankfurter Allgemeine Zeitung reagierte auf den Versuch, den Japanern den Kaffee schmackhaft zu machen, recht spöttisch: „Man sieht daraus die krampfhaften Bemühungen der Regierung von São Paulo, ihre Valorisationsbestände los zu werden. Weder nach den uns vorliegenden Handelsstatistiken noch nach dem, was sonst über japanische Sitten und Gebräuche bekannt ist, scheinen die Japaner […] sich dem Kaffeekonsum zugewendet zu haben. Vielleicht tun sie es aber dem Valorisations-Interessenten zuliebe. […] Jedenfalls wird die Nachricht faßt noch mehr Interesse als in den Kreisen des Kaffeehandels […] bei den Kulturhistorikern erwecken.“80
Entgegen der in der heimischen Presse vertretenen Meinung sah das deutsche Konsulat in Singapur durchaus eine steigende Nachfrage nach Kaffee im Osten Asiens, die sich auch statistisch in steigenden Konsumzahlen nachweisen ließ.81 Unabhängig von dem tatsächlichen Erfolg dieser Marketingversuche der brasilianischen Regierung in Asien verflog der Spott der deutschen Presse schon zwei Jahre später.82 Die Vossische Zeitung räumte im Hinblick auf das Valorisationsprojekt nun ein, „daß die Regierung mit ihrem Vorgehen glänzend gesiegt hat. […] Da die 78 Vgl. u. a. BArch, Bestand R 901, Signatur 277, Bl. 138. 79 Vgl. Schanz (1910), S. 595. Mit der englischen Firma E. Johnson & Co. schloss sie einen Vertrag zur Hebung des Kaffeekonsums in Großbritannien ab. Er sah vor, dass das Unternehmen brasilianischen Kaffee zu günstigeren Konditionen als auf den europäischen Märkten erhielt und diesen über spezielle Verkaufsstellen vertrieb, um den Kaffeekonsum im Allgemeinen und den Verbrauch der brasilianischen Kaffeesorten im Speziellen zu heben. Ebenso einigte sich die Regierung des Staates Santos vertraglich mit dem japanischen Kaufmann Midsumo, der in ihrem Auftrag fünfzehn Kaffeehäuser in Japan einrichten sollte, um dort kostenlos Kaffee auszuschenken. Vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 276, Bl. 22. Der Vertrag wurde 1909 modifiziert, nur 5 Prozent des Kaffees mussten nun unentgeltlich abgegeben und allein vier Kaffeeschänken in Japan eröffnet werden, vgl. ebd., Signatur 277, Bl. 112; ebd., Signatur 278, Bl. 164. 1911 gründete Midsumo mit einem Kompagnon eine Kommanditgesellschaft zum Ausbau der Kaffeehäuser und erneuerte seinen Vertrag mit der brasilianischen Regierung, vgl. die Berichte des deutschen Konsulats in Japan, in: ebd., Signatur 279, Bl. 77 f. 80 Frankfurter Allgemeine Zeitung, Abendausgabe vom 28.7.1908; vgl. ebenso Leipziger Volkszeitung vom 11.2.1911. 81 Vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 274, Bl. 109. 82 Hintergrund waren die Verkäufe von 79 Tausend Tonnen Valorisationskaffee durch das Komitee auf Auktionen in Hamburg, Le Havre, Rotterdam und New York in den Jahren 1910 und 1911, vgl. Hamburgs Handel 1910 und 1911.
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Kaffeekonflikte. Weltmarktverflechtung und Konsumpolitik
Seeplätze und speziell New York dringend effektive Ware brauchten andererseits die Zufuhren im August verhältnismäßig nicht groß waren, konnten die Brasilianer ihre Forderungen immer mehr erhöhen.“83 Das Valorisationskomitee hatte den Kaffee für ca. 30 bis 40 Mark pro 100 Kilogramm aufgekauft,84 bei einem Preis von 1,50 Mark pro Kilo 1912 war der Valorisationskaffee nun über das Dreifache wert (vgl. Tabelle 15). Die direkt am Krisenkartell Beteiligten profitierten demnach privatwirtschaftlich von ihrem Engagement. Zudem reduzierten sich die brasilianischen Ernten 1908 bis 1913 aufgrund der typischen Ertragszyklen. Die Weltkaffeeernten erreichte in keinem dieser Jahre annähernd 700 Tausend Tonnen. Dies belebte die Terminspekulation massiv (vgl. Grafik 23 in Kapitel 4). Auch 1911 waren noch „viele Millionen Sack Kaffee aufgespeichert. Wer hat den Vorteil davon? – Die mit den Banken gemeinsam das ‚Verkaufskomitee‘ bildenden Kaffeegroßhändler.“85 Im September 1910 berichtete das deutsche Konsulat in Le Havre von der Einschätzung der französischen Kaffeegroßhändler, dass „eine Periode hoher Kaffeepreise bevorstehe, Brasilien werde eine Zeit lang der Welt die Kaffeepreise diktieren können“.86 Doch schon 15 Monate später, am 10. Februar 1913, führte die Nachricht über vermutlich exorbitante Neuanpflanzungen in São Paulo im Zirkular der Hamburger Firma Gustav Trinks & Co. noch am selben Tag zum Einbruch der Terminpreise. Diese fielen im Laufe des Jahres weiter, obwohl das Jahr 1913 nur eine mäßige brasilianische Ernte brachte.87 Nach zeitgenössischen Schätzungen hätte das Valorisationskomitee bei einem Verkauf aller restlichen Bestände zum Kurs vom Februar 1914 abzüglich Zinsen und Spesen immer noch einen Gewinn von ca. 7,5 Millionen Pfund Sterling gemacht.88 Das Valorisationskomitee als Krisenkartell hatte spätestens 1910 das Ziel, die Entwicklung der globalen Großhandelspreise zu beeinflussen, erreicht und gleichzeitig die Marktmacht für seine Mitglieder entschieden gestärkt. Neben diesen allgemeinen Motiven lassen sich über die Gründe der einzelnen Handelsunternehmen, sich am Valorisationsprojekt zu beteiligen, allein Vermutungen anstellen. Alle direkt beteiligten Firmen waren Überseehäuser, die in die Wirtschaft São Paulos investiert hatten. Damit bestand neben einer Hebung des Kaffeepreises erstens ein genuines Interesse an einer Stabilisierung des brasilianischen Wechselkurses und der allgemeinen Wirtschaftssituation. Zweitens lässt sich vermuten, dass die direkt am Krisenkartell 83 84 85 86 87 88
Zur Preissteigerung im Kaffeemarkt, in: Vossische Zeitung vom 14.9.1910. Vgl. Kurth (1909), S. 89; Ratzka-Ernst (1912), S. 95. Berliner Tageblatt vom 17.3.1911. Hervorhebung im Original. BArch, Bestand R 901, Signatur 278, Bl. 144. Vgl. Hamburgs Handel (1913), S. 15 f. Vgl. Findeisen (1917), S. 26. Nach unterschiedlichen zeitgenössischen Berechnungen dürften die brasilianischen Pflanzer aufgrund der steigenden Preise zwar bis 1909 keinen Gewinn gemacht haben, aber auch keine Verluste, vgl. zusammenfassend Roth (1929), S. 124.
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beteiligten Unternehmen über verschiedene Geschäfte hohe Gewinne machten, von denen nur wenige öffentlich wurden. Beispielsweise ging ein weiterer Teil des Valorisationskaffees nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs an die Deutsche Regierung. Der Verkauf von 108 Tausend Tonnen Valorisationskaffee durch die Firma Theodor Wille liefert den einzigen expliziten Hinweis auf nicht über offizielle Auktionen verkaufte Quantitäten und – wenn man von den üblichen 4 Prozent Vermittlungsmargen ausgeht und der Tatsache, dass bei diesem Geschäft die Importeure umgangen wurden – auf beträchtliche Gewinne: „Dieser Bestand wurde […] durch Vermittlung der Firma Theodor Wille in Hamburg dem deutschen Verbrauche dienstbar gemacht. Dank der Vermittlung dieser Firma ist die deutsche Regierung um die Erwägung rumgekommen, irgendwelche Zwangsmaßregeln zur Erwerbung dieser Kaffeemengen ergreifen zu müssen. […] Wenn man bedenkt, daß die Kaffees zu einem Preise Abrechnung fanden, der niedriger war als der Friedenspreis der letzten Jahre, und wenn man ferner berücksichtigt, daß der größte Teil dieser Kaffees ohne Zwischenhandel unmittelbar an Heer und Marine zur Ablieferung gelangte, so kann man die Behauptung aufstellen, daß durch die geschickte Abwicklung dieser Verkäufe dem deutschen Nationalvermögen Millionenwerte gespart wurden. Daß freilich mancher Händler mit der Art der Bewertung dieser Kaffeemengen nicht zufrieden war, da er sich ausgeschaltet und umgangen fühlte, ist wohl zu verstehen.“89
Drittens sind Gewinne beim exklusiven Verkauf des Valorisationskaffees aufgrund der mit dem Kartell geschaffenen Informationsasymmetrien ein wahrscheinliches Motiv, sich an dem durchaus wagemutigen und auch einiges an Vertrauen voraussetzenden Valorisationsprojekt zu beteiligen: „Wie schon früher berichtet werden durfte, scheint eine solche Summe durch die vorgesehene Deckung – die Erhebung von 5 Francs für jeden Sack nimmt bereits im Dezember ihren Anfang – völlig sichergestellt und das Geschäft der beteiligten Firmen dürfte um so lukrativer sein, als sie durch vorherige Kenntnis der bevorstehenden Aktion und das nun eingetretene Steigen der Kaffeepreise zweifellos auch für ihre eigenen Kaffeegeschäfte sehr vorteilhafte Dispositionen zu treffen in der Lage waren.“90
Ein vierter Vorteil der Handelshäuser dürfte demnach das Wissen über die tatsächlichen Quantitäten gewesen sein, die dem Markt entzogen wurden. Hierdurch konnten sie auch auf den Terminmärkten ihre Gebote unter exklusiverer Marktkenntnis platzieren als alle anderen. Zumindest dürften sie in der Lage gewesen sein, die Spekulationstendenzen in eine für sie günstige Richtung zu lenken, da sich die anderen Akteure auf den Terminmärkten an ihrem Verhalten orientierten. Dass die beteilig-
89 Roselius (1918), S. 17 f. 90 BArch, Bestand R 901, Signatur 272, Bl. 60.
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Kaffeekonflikte. Weltmarktverflechtung und Konsumpolitik
ten Firmen von ihrem Engagement profitierten, kann damit angenommen werden, in welchem Ausmaß, bleibt fraglich. Inwiefern tatsächlich die Valorisation den ausschlaggebenden Einfluss auf die Preisentwicklung (vgl. Tabelle 15) hatte, lässt sich aufgrund des ermittelbaren Datenmaterials nicht verifizieren. Die US-amerikanischen und deutschen Konsulatsberichte interpretierten die Preisentwicklung als direktes Resultat der Valorisation: „It has been commonly supposed by everyone but the old buyers, and even by some of them, that the large purchase made by the syndicate during the time of the heavy entries last season kept the price at a higher point than could otherwise have been possible.“91 Das Valorisationsprojekt war vermutlich deshalb erfolgreich, weil es Kaffee im Umfang des in den vorhergegangenen Jahren angehäuften Überschusses teilweise dem Markt entzog und sich zugleich die Erntemengen und die Konsumnachfrage mittelfristig analog entwickelten. Mit den Mitteln eines Strukturkrisenkartells regulierten private Akteure den globalen Kaffeehandel und bauten ihre Marktmacht wesentlich aus.92 Das Bündnis zwischen den Wettbewerbern im brasilianischen Markt beeinflusste die weltweiten Großhandelspreise. Es erreichte so die Vorteile eines Angebotsmonopols brasilianischer Sorten und die Akteure festigten ihre Marktmacht im globalen Kaffeehandel. Dies war der Auftakt zu einer bis in die 1980er Jahre reichenden Reihe von Regulierungsmaßnahmen. Wie auch das Valorisationsprojekt in den Jahren 1906 bis 1914 wurden diese wesentlich initiiert und durchgeführt von einer Berufsgruppe, die bisher die Überlegenheit des freien Wettbewerbs gepriesen hatte. Auch vor dem Weltkrieg kam der Rohstoffpolitik gerade in nichtindustriellen Ländern also eine ganz entscheidende Bedeutung zu. Ausländische Kapitalinvestitionen, Wechselkurse und die Preisentwicklung der wichtigsten Exportgüter der stark von Monokulturen abhängigen Volkswirtschaften der Kaffee anbauenden Länder hingen eng miteinander zusammen. Den Kaffeemarkt und seine Entwicklung gestalteten demnach neben der Angebotsseite, also den Pflanzern, und der Nachfrageseite, also den Konsumenten, weitere Akteure wie Anleger, Banken, Kaffeehändler und Politiker in einer Vielzahl von Ländern. Die Auswirkungen des Preisverfalls und die Wiederherstellung der Marktdominanz der Brasilsorten wirkte sich wiederum nicht nur auf den Anbau und den Handel in den Kontinenten Süd- und Nordamerika sowie Europa aus, sondern auch auf Teile Afrikas und Asiens. Daher trafen auch ganz 91 Bureau of Foreign Commerce, Daily Consular Reports, No. 3085, vom 28.1.1908. Vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 275, Bl. 41. 92 Ein interessantes ähnlich gelagertes Beispiel sind die von der Forschung gut untersuchten zeitgleich stattfindenden internationalen Versuche der Regulierung des Rüben- und Rohrzuckermarktes, vgl. Horacio Crespo, Trade Regimes and the International Sugar Market, in: Steven Topik, Carlos Marichal and Zephyr Frank (Hg.), From Silver to Cocaine: Latin American Commodity Chains and the Building of the World Economy 1500–2000, Durham und London 2006, S. 147–174.
Deutsche Kaffeepolitik
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unterschiedliche Zielsetzungen verschiedener Akteursgruppen aufeinander, unter denen nationalstaatliche Wirtschaftsinteressen vertretende Akteure nur eine relativ marginale Gruppe neben anderen waren. Gerade die Interdependenz der Strategien von Akteuren, unabhängig von ihrer nationalen Herkunft, ist der Katalysator von sich global integrierenden Gütermärkten. Gleichzeitig zeigt das Beispiel des Valorisationsprojektes, wie stark die deutsche Volkswirtschaft über das Engagement der Handelshäuser und Banken in die Weltwirtschaft eingebunden war.
7.2. Deutsche Kaffeepolitik oder „Was bedeutet die Preistreiberei für das deutsche Volk?“93 Trotz drohender politischer Instabilität in den Kaffee produzierenden Ländern blieben staatliche Hilfen der Konsumländer aus zwei Gründen aus. Erstens wirkte sich der Preisverfall des Rohkaffees nicht ungünstig auf deren Außenhandelsbilanzen aus. Wie Grafik 4694 veranschaulicht, reduzierte sich die Bedeutung des Anteils von Rohkaffeeimporten am Wert der Importe aller Waren von 1894 bis 1904 durch sinkende Preise. Diese kamen zweitens den Konsumenten zugute. Zwar stellten die Zolleinnahmen aus den Kaffeeimporten eine wichtige Einnahmequelle der meisten Konsumländer dar, doch da sie auf der Basis der eingeführten Mengen erhoben wurden, der Konsum durch die fallenden Preise stieg und entsprechend größere Mengen eingeführt wurden, erhöhten sich auch die Zolleinnahmen. Als reines Importgut war und ist Kaffee aufgrund der in den meisten Konsumländern erhobenen Importzölle fiskalisch relevant. Die absolutistischen Staaten hatten in den steigenden Importen von Kolonialwaren ganz im Sinne ihrer merkantilistischen Wirtschaftspolitik noch einen Abfluss von beträchtlichen Geldsummen ins Ausland und somit eine Gefahr für die öffentlichen Finanzen gesehen.95 Politische Gegenmaßnahmen waren hohe Importzölle, staatliche Kaffeemonopole (wie unter Ludwig XIV. in Frankreich und unter Friedrich dem Großen in Preußen) und vereinzelte Versuche in den nördlichen Staaten Deutschlands und in Preußen in den 1760er bis 1780er Jahren, den Kaffeekonsum durch Verbote zu beschränken. Die Verbote scheiterten.96 Es verblieben aber die Einfuhrzölle auf Kaffee in vielen europäischen Ländern, die als 93 Deutsche Tageszeitung vom 2.2.1911. 94 Quelle für Grafik 46: Department of Commerce and Labour (1905), S. 10, S. 103 f., S. 109 f. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, Tabelle 51. 95 Vgl. hierzu und zum Folgenden Peter Albrecht, Kaffeetrinken: dem Bürger zur Ehr‘, dem Armen zur Schand, in: Rudolf Vierhaus (Hg.), Das Volk als Objekt obrigkeitlichen Handelns, Tübingen 1992, S. 57–100; Jacob (1934), S. 150–163; Menninger (2004), S. 348–395, Teuteberg (1980), S. 28–41. 96 Vgl. Ullmann (2005), S. 62; Witt (1970), S. 17–23, S. 56.
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Kaffeekonflikte. Weltmarktverflechtung und Konsumpolitik
Grafik 46 Anteile Rohkaffee am Wert des Gesamtimports in Deutschland, Belgien, Frankreich und den USA 1894–1904
indirekte Verbrauchssteuern wirkten (vgl. Grafik 47).97 Allein die Niederlande und die USA erhoben im 19. Jahrhundert keine Importzölle. Die Einkünfte aus Zöllen und Verbrauchssteuern bildeten eine der wichtigsten Einnahmequellen des Deutschen Reiches. 1913/14 machten sie 54 Prozent seiner Gesamteinnahmen aus.98 1839 resultierten 19 Prozent der gesamten Einkünfte des Deutschen Zollvereins aus dem Kaffeezoll. 1885 nahm das deutsche Kaiserreich 47,5 Millionen Mark, 1906 60 Millionen und 1910 beträchtliche 105,5 Millionen Mark mit dem Kaffeezoll ein. Letzteres waren 12,7 Prozent der gesamten Zolleinnahmen.99 Die Mehreinnahmen aus dem Kaffeezoll resultierten aus den steigenden Importen und aus der Erhöhung der Zollsätze zuerst 1873 von 30 auf 40 Mark und dann 1909 von 40 auf 60 Mark pro 100 Kilogramm. Die Finanzreformen sind umfassend von Peter-Christian Witt untersucht und bezüglich der innenpolitischen Debatte über die Fleischteuerung und die Haltung der Parteien dabei von Christoph Nonn ergänzt worden. Nonns Thesen implizit diskutierend hat Frank Trentmann die Frage aufgegriffen, welchen Stellenwert eine Konsumentenpolitik hat, die die Interessen der Konsumenten mit denen des öffentlichen Interesses gleichsetzt. Er betont, dass es im Gegensatz zu Großbritannien vor dem Ersten Weltkrieg im Kaiserreich keine Kongruenz von Konsument und Staatsbürger gegeben habe.100 Zuletzt hat Nonn selbst diese Interpretation diskutiert und 97 Quelle für Grafik 47: Sonndorfer (1889), S. 330 f. 98 Vgl. Ullmann (2005), S. 62. 99 Zahlen für 1839 bei Teuteberg (1999), S. 106. Die weiteren Zahlen in Stat. Jb. (1886 und 1911). 100 Vgl. Frank Trentmann, Free Trade Nation. Commerce, Consumption, and Civil Society in Modern Britain, Oxford 2008.
Deutsche Kaffeepolitik
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Grafik 47 Kaffeeimportzölle in Europa und Russland 1912
darauf verwiesen, dass es durchaus vereinzelt Ansätze einer solchen Gleichsetzung gegeben habe.101 Eine ähnliche Bedeutung, wie es das britische Verbraucherleitbild als Integrationsfaktor und Hintergrund für die Beibehaltung des britischen Freihandelsprinzips hatte, lässt sich für das deutsche Kaiserreich, so räumt auch Nonn ein, nicht aufzeigen „und wurde nur von wenigen vertreten“.102 In dieser Debatte geht es letztlich um die Frage, inwieweit eine Kongruenz von Konsumentenrolle und Staatsbürgerschaft als politisches Leitbild im gesellschaftlichen Verständnis angestrebt wurde oder welche Folgen ein konstatiertes Defizit hatte. Hier ein einzelnes Konsumgut und dessen Verbrauch als Maßstab der Argumentation zu wählen, ist eine zu eingeschränkte Perspektive. Doch lässt sich exemplarisch diskutieren, warum sich mit dem Kaffee kein politisches Konsumentenkonzept verband. Von staatlicher Seite aus kann die Nachfrage nach einem Konsumgut mittels seiner allgemeinen sozial- oder gesundheitspolitischen Anerkennung indirekt befördert werden. Die Bedeutung einer solchen ideellen Ebene der Konsumpolitik für die Verbrauchsentwicklung ist schwer zu bemessen. Weitaus einfacher ist die finanzpolitische Ebene der Konsumpolitik zu fassen. Beide Ebenen sind aber miteinander verbunden. Nahrungsmittel wie Milch und Brot unterliegen in der Regel weitaus geringeren Steuerbelastungen als beispielsweise solche Ge- und Verbrauchsgüter, deren Konsum politisch als nicht förderwürdig gilt. Dieser Zusammenhang wird aber bei Gütern kompliziert, die im nationalen Wirtschaftsraum hergestellt werden. Hier können protektionistische Interessen der Branchen und ihre Lobbyarbeit zu Import101 Vgl. Christoph Nonn, Die Entdeckung der Konsumenten im Kaiserreich, in: HeinzGerhard Haupt und Claudius Torp (Hg.), Die Konsumgesellschaft in Deutschland 1890–1990. Ein Handbuch, Frankfurt 2009, S. 221–231. 102 Ebd., S. 223.
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zöllen führen, die trotz der Anerkennung des Konsumgutes zu seiner Verteuerung führen.103 Dies war im Kaiserreich bei einer Vielzahl von Waren der Fall. Auf Kaffee trifft dies nicht zu. Der hier erhobene Zoll war demnach ein reiner Finanzzoll. Protektionistische Interessen können hier weitgehend ausgeschlossen werden. Die Kaffeeersatzindustrie verwendete zwar ausschließlich in Deutschland angebaute Agrarerzeugnisse wie Zichorie und Getreide, protektionistische Forderungen hat sie aber nie in nennenswertem Umfang erhoben. Eine Kaffeepolitik als Konsumentenpolitik hätte als Integrationsfaktor also durchaus politisch stabilisierend wirken können, wenn eine Politik formuliert worden wäre, die sich einen allgemeinen Zugang zu diesem Verbrauchsgut als Ziel gesetzt hätte. Bei allen Modifizierungen der Zollsätze nach 1873 wurde derjenige für Kaffee 33 Jahre nicht erhöht. Den Hintergrund bildete die Anerkennung der ökonomischen Funktion des Kaffees als Nachfragestimulanz sowie als Disziplinierungsmittel für die Arbeitnehmenden.104 Die Vorstellung dieser Wirkung des Kaffeekonsums auf den Körper blieb nicht unwidersprochen, doch sie setzte sich mehrheitlich durch.105 Einen gewissen offiziellen Schlussstrich unter die Debatte über die sozioökonomische Bedeutung des Kaffeekonsums zog eine Veröffentlichung des Kaiserlichen Gesundheitsamts.106 Im Rahmen ihrer gesundheitspolitischen Ratgeberfunktion als oberste Medizinalbehörde publizierte die Behörde 1903 eine Broschüre,107 in der sie zu einer äußerst positiven Beurteilung der Wirkungen des Kaffees auf den menschlichen Körper und seiner gesamtgesellschaftlichen Bedeutung kam. Kaffee stelle „volkshygienisch“ ein „Nährmittel dar“108, obwohl „ihm jeglicher Nährwert abgeht“, da er „bei der grossen Masse der Bevölkerung […] die Rolle eines Vermittlers für die Aufnahme von Wasser in schmackhafterer Form und von Nährstoffen“109 übernehme. Eine sozioökonomische Bedeutung habe der Kaffeekonsum erstens aufgrund seiner förderlichen Auswirkungen auf das Zentralnervensystem – er bewirke hier eine „Steigerung 103 Zum Zusammenhang von Zöllen und steigenden Verbraucherpreisen sowie deren unterschiedlichen Handhabungen im Hinblick auf Verbraucherinteressen in Frankreich und Deutschland am Beispiel von Getreide vgl. Rita von Aldenhoff-Hübinger, „Les nations anciennes, écraseés ...“ Agrarprotektionismus in Deutschland und Frankreich, 1880–1914, in: Geschichte und Gesellschaft 26 (2000) 3, S. 439–470, hier S. 461–466. 104 Vgl. Heischkel-Artelt (1969), S. 255–260. 105 Zur strikten Ablehnung des Kaffees im Vegetarismus vgl. Eva Barlösius, Naturgemäße Lebensführung. Zur Geschichte der Lebensreform um die Jahrhundertwende, Frankfurt/M. und New York 1996, S. 12. 106 Als Referenz für die darin geführten Argumentationen wurde die Broschüre in den folgenden Jahren oft zitiert, vgl. u. a. BArch, Bestand R 8034 II, Signatur 5237, Bl. 66. 107 Vgl. Axel C. Hüntelmann, Hygiene im Namen des Staates. Das Reichsgesundheitsamt 1876–1933, Göttingen 2008, S. 13, S. 201–206, S. 294 f. 108 Kaiserliches Gesundheitsamt (1903), S. 116. 109 Ebd., S. 121 f.
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der Geschwindigkeit und Sicherheit in der Aufnahme und Verarbeitung geistiger Vorgänge […] besonders bei bestehender geistiger Ermüdung“110 –, zweitens aufgrund seiner Fähigkeit, die Muskelkraft zu fördern und „Muskelenergie“ besser zu nutzen, und drittens aufgrund seiner Bedeutung als Substitut des Alkohols. Er könne daher „nur als ein Vorteil vom Standpunkt des Volkswohls bezeichnet werden“.111 Der Wert von Kaffeekonsum als Kampfmittel gegen den Alkohol und als unentbehrlicher Förderer der Leistungsfähigkeit bei körperlicher Arbeit wurde in den Reichstagsdebatten besonders hervorgehoben. Diese Anerkennung des Kaffees bestimmte auch schon die Diskussion in der Finanzreform 1878. So betonte der nationalliberale Abgeordnete Robert von Benda – und alle Parteien und Abgeordneten stimmten dem zu –, dass „Kaffee ja zu den allernothwendigsten Bedürfnissen aller Klassen unseres Volkes gehört“112 und „als allein wirksames Gegenmittel gegen die übermäßige Verbreitung des Branntweingenußes“113 gerade für die untersten Klassen sowie für Militär und Marine unverzichtbar sei. Aus diesen Gründen wurde keine Heraufsetzung des Kaffeezolls beschlossen. Die mit der Entwicklung des Deutschen Reiches von einem Agrarstaat zu einer Industrienation einhergehenden sozialen Veränderungen und die Auseinandersetzung mit der Sozialdemokratischen Partei und der dahinter stehenden Masse der Arbeiter zwangen die politische Führung zu Fürsorgeleistungen, also zur Ausweitung der Staatsfunktionen.114 Auch die Befriedigung von Konsumbedürfnissen der Masse galt als wirksames Mittel gegen unliebsame politische Strömungen, implizierte damit aber auch die Anerkennung einer Beteiligung der Mehrheit am Konsum.115 Trotz steigenden Reallohns bedeutete die Teilhabe am Konsum für die Bevölkerungsmehrheit lediglich Spielräume in der Menge und Wahl ihrer Nahrungs- und Genussmittel. Die Anerkennung des Konsums als Integrationsfaktor bewirkte somit vor allem eine sozialpsychologische diskursive Aufladung qualitativ besserer Nahrungs- und Genussmittel. Sie politisierte diese Konsumgüter in dem Sinne, dass der Zugang zu ihnen zum Maßstab für die Beteiligungschancen an der Konsumgesellschaft wurde. Eingebunden war diese Politisierung von Konsumgütern in den Prozess einer Fundamentalpolitisierung der Gesellschaft, die „von den politischen, gewerkschaftlichen, geselligen
110 Ebd., S. 110 f. 111 Ebd., S. 121. 112 Von Benda, St. Pr. RT, 73. Sitzung vom 5.7.1897, S. 2048. Die Zustimmung der konservativen Abgeordneten auf den folgenden Seiten. 113 Ebd. 114 Vgl. Nonn (1996). Ebenso Ernst Forsthoff, Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit, 4. Aufl., Stuttgart 1972, S. 162; Wehler (1995), S. 1086. 115 Vgl. Nonn (1996); Torp (2005), S. 245–251.
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oder religiösen Vereinen bis hin zu den gewählten Selbstverwaltungseinrichtungen in der Sozialversicherung“116 reichte. Die staatliche Konsumpolitik förderte die Eigendynamik der Massennachfrage nach Kaffee nicht aktiv, schränkte sie aber seit 1873 auch nicht weiter ein. Der Zollsatz verblieb aufgrund des parteipolitischen Konsenses über die Bedeutung des Kaffeekonsums im europäischen Vergleich mäßig (vgl. Grafik 47). Vielmehr konzentrierten sich staatliche Maßnahmen auf die gesetzliche Regulierung von Produktverfälschungen sowie -manipulationen und damit auf den Herstellerschutz.117 Die Vielfalt des Kaffeeröstsortiments und neu entwickelter Verfahren zur Bearbeitung der Rohbohnen implizierte auch eine gewisse Intransparenz der angebotenen Kaffeeprodukte, was wiederum Täuschungsversuche der Händler über die Qualität des angebotenen Warensortiments erleichterte.118 Die Möglichkeiten, das Produkt zu manipulieren, reichten von künstlicher Wasserzufuhr, um das Gewicht zu erhöhen, bis zu Kunstkaffeebohnen, die den echten täuschend ähnlich sahen.119 Mittels strafrechtlicher Bestimmungen des Lebensmittelgesetzes versuchte der Staat, die Verbraucherinteressen zu schützen. Mit Anhörungen und Strafanzeigen gingen auch einzelne Händler und Kaufmannskooperationen gegen die Täuschungsversuche an, um einem möglichen Reputationsverlust der Branche zu begegnen.120 Im Hinblick auf die staatliche Regulierung des Verbrauchs hatte sich also nach 1873 die sozialpolitische Anerkennung des Kaffees als Volksnahrungsmittel gegenüber den finanzpolitischen Begehrlichkeiten durchgesetzt. Eine Anhebung des Kaffeezolls stand damit im Reichstag lange nicht mehr zur Debatte. Einen Grund stellten auch die kontinuierlich zunehmenden Importmengen und damit steigenden Einnahmen aus dem Kaffeezoll dar. Das deutsche Schatzamt rechnete denn auch damit, dass eine Erhöhung des Zolls auf Kaffee eher zu Einnahmeverlusten als zu
116 Dieter Langewiesche, Liberalismus in Deutschland, Frankfurt/M. 1988, S. 211; vgl. Wehler (1995), S. 1038. 117 Zur Lebensmittelregulierung im Kaiserreich vgl. Hierholzer (2009). 118 Vgl. allgemein Jakob Tanner, Modern Times. Industrialisierung und Ernährung in Europa und den USA im 19. und 20. Jahrhundert, in: Escher und Buddeberg (2003), S. 27–52, hier S. 42. 119 Vgl. zu gängigen Verfälschungen BArch, Bestand R 8034 II, Signatur 5273, Bl. 44 f.; Müller (1929), S. 218, S. 317 ff. Ein Überblick bei Albrecht (2008), S. 211–231. Zu staatlichen Maßnahmen vgl. BArch, Bestand R 8034 II, Signatur 5273, Bl. 47. 120 Zu den Gesetzgebungen vgl. Hierholzer (2009), S. 63–144. Zu Auseinandersetzungen vor den kaufmännischen Kooperationen und Strafanzeigen von Händlern gegen andere Händler vgl. BArch, R 8034 II, Signatur 5273, Bl. 44, Bl. 46, Bl. 54, Bl. 73; LAB, Bestand A Rep. 200-01, Nr. 47, Bl. 4 f., Bl. 9, Bl. 64, Bl. 65, Bl. 87, Bl. 97; Correspondenz der Ältesten der Kaufmannschaft, No. 4 vom 5.6.1891, ebd., No. 6 vom 23.7.1891; Kolonialwaren-Zeitung vom 13.1.1887, No. 2.
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Mehreinnahmen führen würde, da der Konsum zu sehr zurückgehen würde.121 Doch diese Konstellation zugunsten einer indirekten Konsumförderung verschob sich in den folgenden Jahren langsam: Nur im Jahr 1896 hatten die Einnahmen des Reiches seine Ausgaben decken können. In den übrigen Jahren benötigte es Finanzbeiträge der Länder zum Haushalt des Reiches (Matrikularbeiträge) sowie Schulden. Einen entscheidenden Hintergrund für die zunehmende Staatsverschuldung bildeten insbesondere die steigenden Rüstungsausgaben, die sich von 1890 bis 1910 mehr als verdoppelten.122 Die strukturelle Unterfinanzierung des Reiches änderten auch der Zolltarif von 1902 und die Finanzreform von 1905/06 nicht wesentlich. Eine umfassende Reichsfinanzreform blieb damit auf der Agenda und wurde nach den Etatberatungen 1908, die nach den Schätzungen des Schatzamtes für 1909 bis 1913 eine jährliche Deckungslücke von ca. 500 Millionen Mark ergaben, akut.123 Nach dem Scheitern von Bülows Versuch, 1909 im Rahmen der dringend notwendigen Reichsfinanzreform die Erbschaftssteuer durchzusetzen, brachten die Konservativen mit Unterstützung des Zentrums in der Finanzkommission des Reichstags erstmals wieder eine Kaffeezollanhebung als Ersatz für die abgelehnten Veränderungen an der Erbschaftssteuer zur Sprache. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Opposition aus Nationalliberalen, Freisinnigen und Sozialdemokraten die Sitzung aus Protest verlassen. Mit der Kaffeezollerhöhung diskreditierten die Konservativen ihr zuvor geäußertes Postulat, eine nur auf direkte Steuern zurückgreifende Finanzreform anzustreben.124 Dass neben den Sozialdemokraten auch die Liberalen die Kaffeezollanhebung ablehnten, lag nicht allein an ihren Freihandelsprinzipien, sondern auch an der sozialen Öffnung der liberalen Parteien, deren „wichtigste Aufgabe [es sei,] einem möglichst großen, immer mehr wachsenden Teil unseres Volkes jenes Mindestmaß äußerer Güter zu verschaffen, das sie von Not fernhält und ihnen eine sittliche Lebensführung“125 ermöglicht. In der Debatte des Reichstags über die Beschlüsse der Finanzkommission herrschte übereinstimmend die Meinung, dass Kaffee als Volksgetränk unersetzbar sei. Damit verblieben den Befürwortern einer Kaffeezollanhebung, Gustav Roesicke (DeutschKonservative Partei) und Carl von Gamp-Massaunen (Deutsche Reichspartei), in ihren Reichstagsplädoyers lediglich noch die Argumente, ein erhöhter Kaffeezoll werde sich kaum auf die Kaffeepreise auswirken und es gebe keinen nachweislichen Zusammenhang zwischen dem Kaffeepreis und dem Konsum. Außerdem werde „in den ärmeren Kreisen der Kaffee verhältnismäßig dünn getrunken, […] sodaß selbst wenn der ganze Kaffeezollaufschlag in Preisen zur Geltung kommen würde, dieser 121 122 123 124 125
Vgl. Brunn (1971), S. 270. Vgl. Wehler (1995), S. 1036. Vgl. Witt (1970), S. 206 f. Ebd., S. 265. Aus der Programmschrift des Nationalvereins von 1910: Was ist Liberal?, zit. n. Langewiesche (1988), S. 226.
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Preisaufschlag so gut wie überhaupt nicht von den einzelnen gemerkt wird“.126 Diese Position ignorierte somit prozentuale Relationalitäten, wenn der absolute Preis aus der eigenen Perspektive gering war. Darauf reagierten Abgeordnete der Sozialdemokraten, der Freisinnigen und Nationalliberalen mit der entsprechenden Polemik.127 Der sozialdemokratische Abgeordnete Hermann Molkenbuhr wies spöttisch darauf hin, dass nach Ansicht der Konservativen offensichtlich bei der Erbschaftssteuer nicht ein Prozent zumutbar sei, da ansonsten der „Familiensinn“ zerstört werde, bei Kaffee aber 50 Prozent Zollaufschlag gebilligt würden.128 Dagegen befand der Zentrumsabgeordnete Peter Josef Spahn zwar, dass die Zollanhebungen vermutlich keine Auswirkungen auf den Konsum haben würden, verwies aber auf die durchaus gespaltene Haltung seiner Partei in der Frage der Kaffeezollanhebung. Neben den nur geringfügig veränderten Plänen für erhöhte Branntwein-, Bier-, Tabak- und Zündhölzerabgaben beschloss der Reichstag mit 187 Stimmen gegen 154 Stimmen bei sieben Enthaltungen die mit 60 Millionen Mark zusätzlich veranschlagte Heraufsetzung des Kaffeezolls von 40 auf 60 Pfennig pro Kilogramm.129 Damit stieg der Kaffeezoll pro Kopf von 121 Pfennig in den Jahren 1906 bis 1908 auf 167 Pfennig im Jahr 1911. Im selben Jahr erreichte der Ertrag aus Kaffeezöllen einen Höhepunkt von 110 Millionen Mark (vgl. Grafik 48).130 Dieser wurde trotz eines gleichzeitigen Konsumrückgangs erst 1926 auf der Basis eines Zollsatzes von 130 Reichsmark um 40 Prozent überschritten.131 Das Ziel von jährlichen Mehreinnahmen von 500 Millionen Mark erreichten die Maßnahmen der Reichsfinanzreform nicht. Der Ertrag aus der Kaffeezollerhöhung brachte in den Jahren 1909 bis 1913 zusätzliche Einnahmen von mindestens 32,1 und höchstens 33,54 Millionen Mark.132 Zu den insbesondere ab 1909 steigenden Großhandelspreisen traten nun also zeitgleich um knapp 27 Prozent erhöhte Abgaben pro Kopf der Bevölkerung hinzu.133 Zwar behauptete der Kleinhandel zunächst, dass die Verbraucher an bestimmten Preisen festhielten, die Preiserhöhung daher „nur auf Kosten der Qualität und zum
126 127 128 129 130
Roesicke, RT St. Pr., Bd. 237, 270. Sitzung vom 25.6.1909, S. 8851. Vgl. ebd. Molkenbuhr, RT St. Pr., Bd. 237, 270. Sitzung vom 25.6.1909, S. 8845. Vgl. ebd. Quelle zur Grafik 48: Kranke (1928), S. 49; Einfuhrzahlen siehe Grafik 16. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, Tabelle 52. 131 Vgl. Kranke (1928), S. 49. 132 Die Zollanteile sind in keiner Statistik getrennt aufgeführt, vgl. Witt (1970), S. 311. Die Mehreinnahmen wurden auf der Basis der Verzollungsdaten errechnet, diese bei Roth (1929), S. 68, S. 80. 133 Zudem erhöhten die Reedereien 1910 die Frachtraten um 20 Mark pro Tonne, vgl. Kranke (1928), S. 70.
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Grafik 48 Kaffeezollerträge und Kaffeeimporte in das Deutsche Reich 1885–1913
Schaden des Handels“134 umgesetzt werden könne. Im Laufe der folgenden Monate registrierte die Presse aber dennoch Preissteigerungen im Kleinhandel beim Roh- und Röstkaffee. Auch die den Konservativen freundlich gesinnte Presse, die zuvor noch ganz auf der Linie der Abgeordneten die Folgen einer Kaffeeverteuerung durch die Zollanhebung marginalisiert hatte, befasste sich nun regelmäßig mit der Thematik: „Eine für die weitesten Schichten der Bevölkerung sehr empfindliche Nachricht findet immer weiter Verbreitung: Der Kaffee wird noch teurer! Eines unserer beliebtesten Nahrungs- und Genußmittel, ein für den Arbeiter wie für den wohlhabenden Mann gleich unentbehrlicher Konsumartikel, hat wieder einen merklichen Preisaufschwung erfahren müssen. […] Eine Katastrophe [für den] Konsumenten.“135
Das Berliner Tageblatt berichtete schon im Dezember 1909 von Kaffeepreiserhöhungen um 14 Pfennig pro Kilogramm. Im März 1910 stiegen die Kaffeepreise laut Berliner Morgenpost um 80 Pfennig pro Kilo in einzelnen deutschen Städten.136 Nach einer Kleinhandelspreisauswertung von fünfzig deutschen Städten bilanzierte die Tägliche Rundschau im November 1910 einen durchschnittlichen Anstieg der Kilopreise zwischen Januar und Oktober 1910 von 1,99 auf 2,18 Mark für Rohkaffee und von 2,42 auf 2,59 Mark für Röstkaffee, somit um knapp 9 Prozent bzw. 6,6 Prozent.137 Der Vorwärts sah hingegen eine Preissteigerung je Kilogramm Rohkaffee zwischen 1909 und 1911 von 2 auf 2,60 Mark und damit um 23 Prozent.138 Diese hier exemplarisch zitierten Artikel demonstrieren aber lediglich die erhöhte
134 Frankfurter Zeitung vom 19./20.1.1910. 135 Berliner Lokal-Anzeiger vom 25.10.1912; ebenso Der Tag vom 29.9.1909. 136 Vgl. Berliner Tageblatt vom 28.12.1909 und Berliner Morgenpost vom 31.3.1910. 137 Vgl. Tägliche Rundschau vom 29.11.1910. 138 Vgl. Vorwärts vom 18.11.1909.
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Aufmerksamkeit für Preissteigerungen im Jahr 1910. Die vorgebrachten Zahlen korrelieren zudem mit der politischen Ausrichtung der jeweiligen Tageszeitung. Wie hoch die tatsächliche Teuerung des Kaffees im Vergleich von 1900 bis 1908 mit 1909 bis Anfang 1914 war, ist schwierig zu bemessen. Die lokalen Preise divergierten während der gesamten Zeit und waren von Faktoren wie Kundschaft und Qualität extrem abhängig (vgl. Tabelle 12). 1914 wies der Preis für Rohkaffee in Hamburg in elf Läden für dieselbe Sorte Unterschiede von bis zu 60 Pfennig auf, dahinter verbarg sich aber nicht die gleiche Qualität. Die Hamburger Kleinhandelspreise für ein Kilo Rohkaffee waren im Durchschnitt des Jahres 1910 im Vergleich mit denen von 1908 um 38 Pfennig, im Vergleich von 1912 mit 1908 sogar um 79 Pfennig gestiegen und damit um 17,9 Prozent respektive 31,2 Prozent (vgl. Tabelle 9).139 Obwohl es problematisch ist, bei der Verbrauchsermittlung nur auf Importzahlen zurückzugreifen, lässt sich aus den vorliegenden Daten zudem ein deutlicher Konsumrückgang ablesen. Lag der Verbrauch pro Kopf und Jahr im Deutschen Reich 1906 bis 1909 immer über 3 Kilogramm, so fiel er in den kommenden vier Jahren deutlich unter 3 Kilogramm und lag 1913 bei 2,44 Kilogramm. Mit einem Einbruch der Nachfrage in Deutschland im Vergleich des Jahres 1909 mit 1913 von ca. 26,5 Prozent verminderten sich die Zolleinnahmen der Jahre 1912 und 1913 (vgl. Grafik 48).140 Ebenfalls dürften sich mit dem Rückgang der Importe in das Deutsche Reich die Umsätze der Ex- und Importeure sowie Groß- und Einzelhändler im Binnenhandel reduziert haben. Gleich nach der Zollreform setzten Unmutsbekundungen der Konsumenten ein.141 Schon 1909 berichtete die Tageszeitung Die Post von einem „Kaffeekrieg“, als hundert Kölner Bürger per Resolution und Boykott gegen Kaffeepreiserhöhungen protestierten und beschlossen, „nicht eher was zu genießen, als bis der alte Kaffeepreis wieder eingeführt sei“.142 Diese und weitere Unruhen wurden in der Tagespresse durchaus wohlwollend kommentiert. Sogar das Organ des Bundes der Landwirte, die 139 Vgl. Hoffmann (1965), S. 588–589, berechnet die Kleinhandelspreise auf der Basis von Einzelhandelspreisangaben für Preußen und Baden in Relation mit dem Durchschnitt der Bevölkerungszahl oder mittels dreijährig gleitenden Durchschnittspreisen auf der Basis der Großhandelspreise für Bohnenkaffee mittlerer Qualität. Seine so erstelten Preisreihen decken sich daher kaum mit den zeitgenössischen Angaben. Er ermittelt einen Preisanstieg von 6,7 Prozent. 140 Vgl. Witt (1970), S. 311–327. 141 Vgl. zu den Kaffeeprotesten Smotlacha (1997), S. 21 f. Zu den Bierteuerungsprotesten vgl. Werner K. Blessing, Konsumentenprotest und Arbeitskampf. Vom Bierkrawall zum Bierboykott, in: Klaus Tenfelde und Heinrich Volkmann (Hg.), Streik. Zur Geschichte des Arbeitskampfes in Deutschland während der Industrialisierung, München 1981, S. 109–123. Zu den Teuerungsprotesten allgemein vgl. Nonn (1996), S. 23–30, zu Fleisch ebd., S. 34–40. 142 Die Post vom 21.9.1909.
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Deutsche Tageszeitung, befand: „dagegen kann sich das Deutsche Volk mit Recht wehren.“143 Drei Wochen später forderte dieselbe Zeitung sogar: „Ein Kaffeekrieg erfordert die Anwendung äußerster Kampfmittel!“144 Doch finden sich nach 1911 keinerlei Berichte in den Zeitungen über weitere spontane oder organisierte Versammlungen im öffentlichen Raum. Stattdessen wurden für die Interessenartikulation Mittel wie „Massenpetitionen“,145 schriftliche Eingaben bei kommunalen Verwaltungsräten und Leserbriefe gewählt.146 Die Kaffeeteuerungsproteste entsprachen damit in ihrer Art und Weise dem von Nonn herausgearbeiteten Typus der gleichzeitig stattfindenden Fleischteuerungsproteste. Dieser zeichnet sich nicht durch spontane und zum Teil gewaltsame Aktionen aus, sondern die Konsumenten forderten mittels schriftlicher Eingaben ein politisches Vorgehen gegen die Teuerung.147 Zum einen demonstrieren die Kaffeeteuerungsproteste die Konfliktvirulenz, die sich aus der Politisierung von Konsumgütern ergeben konnte. Sie entstand aus der Akzeptanz des Kaffees als Volksnahrungsmittel durch die Politik und die faktische Bedeutung des Konsumguts als tägliches Nahrungs- und Genussmittel sowie als Medium der Geselligkeit. Erst die Presseberichterstattung bewertete aber den Konsumrückgang, die einzelnen Protestaktionen und Leserbriefe als zusammenhängenden politischen Druck von unten, denn „das deutsche Volk aber beurteilt die Parteien nach ihren Taten“.148 Von diesem Zusammenhang ausgehend artikulierten die Artikel gemäß der politischen Ausrichtung der jeweiligen Zeitung Handlungsaufforderungen an die Parteien.149 Oft wurde auf die sozialpolitische Brisanz, die die Teuerung des Kaffees und der Rückgang der Nachfrage bewirken könnten, verwiesen: Ohne Bohnenkaffee „käme aber die Bevölkerung nur vom Regen in die Traufe. Denn ein erwärmendes Getränk, um ihre minderwertige unschmackhafte Nahrung herunterzuspülen, braucht sie. Dann bleibt ihr als Ersatz nur der Schnaps, der […] sie noch mehr verelendet.“150 Unter dem Eindruck des Kaffeepreisanstiegs und -konsumrückgangs, von Konsumentenprotesten, den sich verschlechternden diplomatischen Beziehungen zu Bra143 Deutsche Tageszeitung vom 2.2.1911. Ebenso und gemäß der politischen Ausrichtung schon viel früher argumentiert der Vorwärts vom 12.8.1909. 144 Deutsche Tageszeitung vom 23.2.1911. 145 Die Post vom 21.9.1909. 146 Vgl. u. a. Staatsbürger-Zeitung vom 3.9.1912; Kolonie und Heimat 5 (1912) 48, S. 15. 147 Vgl. Nonn (1996), S. 29. 148 Augsburger Zeitung vom 23.12.1911. 149 Vgl. Deutsche Tageszeitung vom 21.1.1909; Deutsche Volkswirtschaftliche Correspondenz vom 7.2.1913; Kölner Tageszeitung vom 23.2.1911; Der Tag vom 18.5.1913. 150 BArch, R 8034 II, Signatur 5237, Bl. 30. Name der Tageszeitung und Datum nicht leserlich.
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silien, weiteren Haushaltslücken und den Reichstagswahlergebnissen 1912 wirkten die oben ausgeführten Motive für eine Valorisation des Kaffees und die Hebung des Kaffeezolls auf einmal für keinen Beteiligten mehr nachvollziehbar. Damit rückten die Verbrauchssteuern und die Zölle ins Zentrum der Auseinandersetzung. Hier warf man dem politischen Gegner entweder die Valorisation oder die Zollanhebung vor. Zum Referenzrahmen entwickelte sich aber in den Jahren nach der Zollanhebung nicht eine mögliche Reform der Konsumpolitik, sondern die weltwirtschaftliche Einbindung des Kaiserreichs.151 In der in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg geführten Debatte um die Kaffeeteuerung lassen sich drei Phasen unterscheiden. 1909 und 1910 drehte sich ein großer Teil der publizistischen Auseinandersetzung vor allem um die Schuldfrage: Welche Parteien und Abgeordneten hatten konkret die Kaffeezollanhebung zu verantworten und damit die Misere der Kaffeepreisteuerung verschuldet? Insbesondere in diesen Jahren nutzte die Opposition das Mittel der Presseagitation, um den politischen Gegner zu diskreditieren. Argumentationsebene war sowohl in den liberalen als auch in den sozialdemokratischen Tageszeitungen immer die soziale Ungleichheit, die durch die Finanzreform übergebührlich gefördert werde. Politische Gegenkonzepte finden sich hingegen nicht: „Der arme Mann, der sich Ausschußkaffee für 1 M leistet, hat in diesem Preise dieselbe Steuer gezahlt als der reiche Mann, der die feinste Marke, die 2 M und mehr kostet, kauft. Die Ärmsten der Armen bekommen die Lebensmittelwucherei und die Steuermache des Schnapsblocks am schärfsten zu spüren.“152 Ebenso thematisierte die linksliberale Presse die sich verschärfende soziale Ungleichheit, in der die „lebensmittelverteuernde Agrar- und Junkerpolitik […] auch den Kaffee mehr und mehr zu einer Delikatesse für die bessersituierten Kreise gemacht [hat]“.153 Damit sei die Mehrheit der Konsumenten auf eine Ernährung zurückgeworfen, die derjenigen von 1818 gleiche. Diese Anschuldigungen verärgerten die Autoren der konservativen Presse. Sie nahmen nun die politischen Folgen der Finanzreform – nicht zuletzt im Hinblick auf zukünftige Wahlergebnisse – zum Anlass, grundsätzliche Kritik am politischen System zu äußern. Die Reform sei eine „Mißgeburt, gezeugt von einem entarteten Parlamentarismus“, und biete lediglich eine Vorlage für die „Verhetzung der Massen“.154 Von einer „wirkliche[n] Verteuerung des Kaffees“ könne angesichts der „ohnedies relativ kleinen Zollanhebung“ nicht die Rede sein.155 Man hätte besser gleich den Kaffeezoll 151 Zu der Herausbildung von Interessenverbänden als Teil der Auswirkungen der globalen Ökonomie und der Weltmarktintegration des Deutschen Reichs auf die deutsche Volkswirtschaft vgl. Torp (2009), S. 428–432. 152 Vorwärts vom 20.11.1910. 153 Berliner Volks-Zeitung vom 8.6.1910; vgl. auch u. a. Berliner Börsen-Courier vom 22.9.1909. 154 Der Tag vom 21.9.1909. 155 Correspondenz des Bundes der Landwirte vom 29.11.1910.
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so hoch setzen sollen, dass damit der gesamte Haushalt zu sanieren gewesen wäre, denn „mit fünf Pfennig Zoll auf die Tasse könnte sich das Reich eine Einnahme von 950 Millionen Mark schaffen“.156 Dieser Vorstoß löste Verärgerung in den eigenen Reihen aus, und in derselben Zeitung verwies man auf die Konsequenzen einer solchen Politik: Die Sozialdemokraten würden dann bei Neuwahlen einen hohen Sieg erringen und die Sanierung des Reichshaushalts endgültig verhindern.157 Zwar war die Zollanhebung mit den Stimmen der konservativen Parteien beschlossen worden. Im Nachhinein aber gerierten diese sich als Verteidiger der Verbraucherinteressen und ließen dabei völlig außer Acht, dass sie die Preisanhebung mit bewirkt hatten. Vielmehr – so die in der konservativen Presse geäußerte Meinung – hatten die Freisinnigen und die Sozialdemokraten die Verbraucher im Stich gelassen: „Sobald [sie] merkten, daß mit dem Geschrei über die Erhöhung des Kaffeezolls, die wirklich nicht in Betracht kommt, kein Geschäft zu machen war, hüllten sie sich in Schweigen. Die Kaffeebohnen wachsen ja nicht im Inland; die Preissteigerung lässt sich nicht so gut zu agitatorischen Zwecken benutzen. […] Das kommt für die Verbraucher doppelt unangenehm und doppelt auffallend.“158
Lösungsansätze fanden sich auch in der konservativen Presse nicht. Gebetsmühlenartig wiederholte sie, dass eigentlich ja die Sozialdemokraten und die Liberalen verantwortlich seien für die Finanzreform, da sie sich von der „Reformarbeit auszuschalten begannen“,159 und ihre „schwindelhafte Übertreibung [in] der oppositionellen Presse“ dazu führe, dass es den Händlern möglich werde, so hohe Preise zu verlangen. Neben diesen allgemeinen Vorwürfen geriet das Abstimmungsverhalten einzelner Abgeordneter ins Visier. Denn eigentlich sei „die Anregung zur Kaffeesteuer […] von liberaler Seite ausgegangen. Der Freisinnige Führer, der Abg. Müller-Sagan, hat […] lebhaft Propaganda für die Erhöhung des Kaffeezolls gemacht und zwar sollte diesem freisinnigen Vorschlag zufolge der Kaffeezoll gleich auf 80 Millionen erhöht werden, während Zentrum und Konservative in der Reichsfinanzreform nur 37 Millionen Mark für Kaffee […] bewilligt haben.“160
Über die Frage, ob es legitim sei, dass ein Händler mit Hinweis auf die Kaffeezollanhebung seine Preise anhob, kam es sogar zu gerichtlichen Auseinandersetzungen. Dies zeigt, wie diskreditierend es nicht allein für Politiker, sondern auch für Händler geworden war, mit der Kaffeezollanhebung persönlich in Verbindung gebracht zu 156 Der Tag vom 21.9.1909. 157 Vgl. ebd., vom 29.9.1909. 158 Auch eine Teuerung, Zeitungsartikel vom Oktober 1912, Zeitungsname nicht leserlich, in: BArch, Bestand R 8034 II, Signatur 5273, Bl. 71. 159 Deutsche Tageszeitung vom 17.7.1910. 160 Märkische Volkszeitung vom 2.12.1911.
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werden.161 Diese Schuldzuweisungen an einzelne Kaufleute oder Reichstagsabgeordnete bildeten aber erst den Auftakt der Debatte, die sich unter den Preissteigerungen der Jahre 1910 und 1911 auch im Hinblick auf die Reichstagswahlen 1912 zuspitzte. In dieser zweiten Phase verschoben sich zunehmend die Argumentationslinien. Hier kam den Konservativen für den politischen Schlagabtausch die Valorisation zugute. In den steigenden Großhandelspreisen, die ja direktes Ergebnis des Valorisationsprojekts seien, sah die konservative Presse den eigentlichen Grund für die Kaffeepreisteuerung. Schuld an ihnen sei der politische Gegner aufgrund seiner freihändlerischen Politik. In den Reichstagsdebatten der folgenden Jahre avancierte die Kritik an der Kaffeeteuerung zu einem politischen Instrument, um die Kontrahenten zu diskreditieren. So zum Beispiel am 15. Januar 1913 im Rahmen der Reichsetatverhandlungen, als der deutschsoziale Abgeordnete Ferdinand Werner die Vorschläge der Liberalen dadurch anzugreifen suchte, dass er darauf verwies, dass „die Kreise, die hinter dem Hansabund stehen mit verantwortlich sind für die Kaffeevalorisation“.162 Andererseits ließen es sich die Liberalen und die Sozialdemokraten nicht nehmen, das Abstimmungsverhalten der Konservativen und des Zentrums im Hinblick auf die Kaffeezollanhebung als unsozial zu brandmarken. Ebenso verwiesen sie auf den Zusammenhang zwischen dem Konsumrückgang und den Verlusten bei den Kaffeezolleinnahmen.163 Auch innerhalb des deutschen Kaffeehandels brach aufgrund der Diskussion um die Ursachen für die Kaffeepreisteuerung der alte Konflikt zwischen dem global orientierten Importgroßhandel gegenüber dem am Binnenmarkt orientierten Groß- und Einzelhandel wieder auf. Die Hamburger Kaffeehändler vertraten in den folgenden Jahren die Position, dass weniger die Valorisation, sondern die Erhöhung des Zolls ursächlich für den Konsumrückgang sei. Denn lediglich mit den steigenden Großhandelspreisen zu argumentieren, hätte „nicht den Umstand aus der Welt geschafft, daß die Zollerhöhung von 20 % per kg eine Erhöhung der Caffeepreise im Zollinland zur Folge gehabt, und nicht nur den Caffeehandel erheblich geschädigt hat, sondern auch in der Hemmung der Konsumzunahme, wie es dem Anwachsen der Bevölkerung entsprochen hätte, das Steuerergebnis des Artikels verringerte.“164
Die Hamburger Händler forderten ganz auf der Argumentationslinie der sozialdemokratischen und der liberalen Presse eine Reduzierung des Kaffeezolls: 161 Vgl. Freisinnige Zeitung vom 8.2.1910. 162 Werner, RT St. Pr, Bd. 286, 91. Sitzung vom 15.1.1913, S. 3005. 163 Vgl. RT St. Pr., Bd. 283, 9. Sitzung vom 19.2.1912, S. 137; ebd., Bd. 286, 90. Sitzung vom 14.1.1913, S. 2961. 164 StAHH, Bestand SXVII A 2.20, Bd. 2, Stellungnahme des Kaffee-Vereins vom 30.7.1910.
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„In Deutschland hat die Kaffee-Einfuhr erheblich nachgelassen. Die allgemeine Teuerung und die hohen Importzölle auf Kaffee tragen hieran die Schuld. Eine Herabsetzung dieser Zölle wird schwerlich einen Einnahmenausfall für das Reich bedeuten, aber sicherlich eine Wohltat für alle Konsumenten sein und nicht unwesentlich dazu beitragen, die wertvollen Handelsbeziehungen mit Brasilien zu verbessern.“165
Eine gänzlich andere Meinung vertraten die Binnenhändler: „Die brasilianische Kaffee-Valorisation ist ein Versuch […], den Kaffee-Konsumenten den Kaffee zu verteuern, und sie stellt sich deswegen dar als ein gegen die Konsumenten gerichtetes feindliches Unternehmen.“166 Die Binnenhändler wiesen somit eindeutig den global agierenden Großhändlern die Schuld an der Kaffeeteuerung zu. Übereinstimmend befanden alle Beteiligten, dass „ein in Deutschland, namentlich auch unter der ärmeren Bevölkerung weit verbreitetes Genußmittel unnötig“167 teurer geworden sei. Ob nun die Valorisation oder die Kaffeezollanhebung als ursächlich galt, bestimmte der jeweilige politische Standpunkt. Damit waren die Fronten nun geklärt: Die konservative wie die liberale und sozialdemokratische Presse sahen im jeweiligen politischen Kontrahenten den Verantwortlichen für das „KaffeeElend“.168 Ebenso war auch die Kaffeebranche je nach Anspruch an eine nationale Wirtschaftspolitik gespalten in ihren Schuldzuweisungen und Lösungsstrategien. In den Debatten der Wahlkampfjahre 1912 und 1913 entwickelte sich also die Frage zum Politikum, was den Kaffeepreis verteuert habe und vor allem welche politische Partei dafür verantwortlich zu machen sei, wobei weniger über einzelne Abgeordnete, vielmehr über die jeweilige wirtschaftspolitische Ausrichtung der Parteien gesprochen wurde. Dabei wurde immer deutlicher der Zusammenhang von weltwirtschaftlicher Verflechtung und innergesellschaftlichen Problemen wahrgenommen: „Der eigenen Regierung, der eigenen Landwirtschaft wird der Zoll und der Schutz verweigert und für die brasilianischen Farmer Geld gegeben, um diese vor dem Bankrott zu bewahren und mit diesem Geld das deutsche Volk zu bewuchern.“169 In dieser dritten Phase findet sich – neben der unverzichtbaren Schuldzuweisung je nach politischer Ausrichtung – in den Zeitungsartikeln eine neue Strategie des Umgangs mit den Kaffeepreisteuerungen: Angesichts der eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten verbreitete sich eine Haltung der Ohnmacht, die allein im Verzicht auf Kaffee und dem Griff zu Surrogaten eine Lösung für den Konsumenten sah. So schlussfolgerte die konservative Deutsche-Reichspost: „Machen können wir in Deutschland nichts. Wir können uns höchstens daran gewöhnen, künftig etwas 165 Reporter Braziliero vom 22.11.1912. Vgl. auch RT St. Pr., Bd. 283, 9. Sitzung vom 19.2.1912, S. 137; ebd., Bd. 292, 94. Sitzung vom 21.1.1913, S. 3090–S. 3093. 166 Deutsche Kaffee-Zeitung vom 15.12.1910. 167 Agrarpolitische Wochenschau vom 12.4.1913 168 Deutsche Tageszeitung vom 2.12.1911. 169 Staatsbürger-Zeitung vom 7.5.1913.
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weniger Kaffee und dafür entsprechend mehr Milch zu trinken, dann bleibt das Geld für das Frühstück des Deutschen wenigstens mehr als seither im Lande.“170 Und auch die prokoloniale Zeitschrift Kolonie und Heimat empfahl ihren Leserinnen nun nicht mehr den Kauf von Bohnenkaffee aus den Kolonien, sondern die Fabrikate von den Unternehmen, welche die besten Mischprodukte aus Surrogaten und Bohnenkaffee anböten.171 Die konservative Deutsche Tageszeitung forderte sogar, die Verbraucher müssten den „Kaffee zeitweilig boykottieren“.172 Etwas milder befand die liberale Presse, dass es im Interesse der Volkswirtschaft sei, „auf Einschränkungen des Konsums hinzuarbeiten“.173 Einen Höhepunkt erlebte die politische Auseinandersetzung Anfang 1913 im Reichstag. Schon im Dezember 1912 hatte der Zentrumsabgeordnete Matthias Erzberger als erster im Reichstag ein Vorgehen gegen die Kaffeepreisteuerung angemahnt.174 Gut einen Monat später konfrontierten die Parteien die Regierung mit ihren unterschiedlichen Forderungen, etwas gegen die Verteuerung des Kaffees zu unternehmen. Auslöser war eine Resolution, die das Zentrum in der Budgetkommission eingereicht hatte und die von allen Parteivertretern angenommen worden war.175 Josef Nacken vom Zentrum stellte die Resolution und ihre Forderungen vor und argumentierte, dass „nun die Arbeiterbevölkerung der Hauptverbraucher von Kaffee […] überhaupt […] in ganz hervorragendem Maße durch die Machinationen des Valorisationskomitees geschädigt worden“176 sei. Zwar habe auch seine Partei vor vier Jahren für die Zollanhebung gestimmt, aber es sei ein „Unterschied, […] ob man im Interesse des Vaterlands, […] im Interesse des damals finanziell notleidenden Deutschen Reiches agiert oder im Dienst der Spekulation“.177 Hermann Molkenbuhr von den Sozialdemokraten echauffierte sich daraufhin darüber, dass erst jetzt entdeckt würde, wie sehr die Verbraucher geschädigt worden seien. Schon auf der Budgetkommissionssitzung habe er betont, dass ja grundsätzlich das Valorisationsprojekt die gleichen Ziele verfolge wie die Agrarier mit ihren Schutzzöllen, „den Preis in die Höhe zu bringen, daß die Farmer existenzfähig“178 würden. Die Valorisation und die starken, allseits bekannten Preisschwankungen des Handelsartikels sah er hingegen als eine „notwendige Folge der kapitalistischen Entwicklung an, und wir wissen, daß ernst170 171 172 173 174 175 176 177 178
Deutsche-Reichspost vom 24.10.1913. Vgl. Geschäftliches, in: Kolonie und Heimat 5 (1912) 48, S. 15. Deutsche Tageszeitung vom 23.2.1911. Hamburger Nachrichten vom 11.4.1911. Für einen Verzicht plädierte auch die Pommersche Tagespost vom 2.9.1912. Vgl. Rt St. Pr., Bd. 286, 81. Sitzung vom 9.12.1912, S. 2679. Vgl. Protokoll der Kommissionssitzung, in: BArch, Bestand R 901, Signatur 281, Bl. 82–85. Nacken, RT St. Pr., Bd. 287, 94. Sitzung vom 21.1.1913, S. 3093. Ebd. BArch, Bestand R 901, Signatur 281, Bl. 82.
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haft nur etwas geschehen kann, wenn die ganze kapitalistische Produktion überhaupt zusammenbricht“.179 Trotz der unterschiedlichen Interpretation der Ursachen für die Kaffeeteuerung durch die Parteien wurde die Resolution im Reichstag mit einem Maßnahmenkatalog zur Preissenkung angenommen. Die Parteien im Reichstag zeigten sich damit offenbar zu einer konsumentenfreundlichen Politik bereit, wobei sie die Verantwortung für die Preissteigerungen und deren Lösung aber der weltwirtschaftlichen Verflechtung zuschrieben. Die Resolution forderte nämlich erstens, dass die Regierung unverzüglich gegen die Valorisation einschreite und dafür zweitens diplomatische Verhandlungen mit Brasilien über einen Handelsvertrag aufnehme. Als dritte Maßnahme verlangte sie, den Kaffeeanbau in den Kolonien zu fördern, um „uns unabhängiger vom Weltmarkt“180 zu machen. Viertens sollten Schritte gegenüber den am Valorisationsprojekt beteiligten Banken eingeleitet und zudem ein Kartellgesetz in Angriff genommen werden, welches solche Handlungen in Zukunft verhindere. In der strategischen Stoßrichtung ihrer Forderungen entsprach die Resolution dem, was Hans-Ulrich Wehler als Sozialimperialismus konzeptionell gefasst hat, also dem Versuch, „die Dynamik der Wirtschaft und der sozialen und politischen Emanzipationskämpfe in die äußere Expansion zu leiten, von den inneren Mängeln des sozialökonomischen und politischen Systems abzulenken und durch reale Erfolge seiner Expansion [...] zu kompensieren“.181 Wehler räumt zu Recht das politische und ökonomische Scheitern dieser Strategie wie der dahinterstehenden Ideologie ein. In Bezug auf die Resolution zur Kaffeepreisteuerung muss man zudem betonen, dass nur ihre Formulierung und Annahme im Reichstag einen vagen Hinweis auf die Integrationsfähigkeit sozialimperialistischer Ideen geben. Viel offensichtlicher lässt sie sich als politisches Instrument bewerten, das gerade von konkreten konsumpolitischen Maßnahmen ablenkte. Die Lösung der Preisteuerung verschob man auf die Lösung anderer Probleme, die man als ihre indirekten Ursachen bezeichnete. Eine umsetzbare Politik verband sich damit von Anfang an nicht. Dementsprechend reagierte Clemens von Delbrück als Staatssekretär des Reichsamts des Inneren und Stellvertreter des Reichskanzlers zurückhaltend. Er bedauerte vor dem Reichstag die eingetretene Teuerung, wollte die Situation aber erst weiterhin beobachten und mögliche Schritte prüfen.182 Im Angesicht des heftiger werdenden Schlagabtauschs der Parteien und der Presse sahen sich das Reichsamt des Inneren und das Auswärtige Amt mit einer Pattsituation konfrontiert, auf die die Regierung mit Nichthandeln reagierte. 179 RT St. Pr., Bd. 287, 94. Sitzung vom 21.1.1913, S. 3094. 180 Ebd., S. 3090. 181 Hans-Ulrich Wehler, Sozialimperialismus, in: ders. (Hg.), Imperialismus, Köln 1970, S. 83–96, hier S. 86; ders. (1995), S. 1138–1145. 182 Vgl. RT ST. Pr., Bd. 287, 94. Sitzung vom 21.1.1913.
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Um dieses politische Ergebnis der Debatte zu verstehen, ist es nötig, die einzelnen Forderungen, die schon vor der Reichstagsresolution in der Presse diskutiert wurden, in ihrem Kontext zu sehen. Die verlangten Maßnahmen ließen sich nämlich aus unterschiedlichen Gründen nicht umsetzen. Die vielfältigen Hintergründe für die deutsche Haltung sind instruktiv für das Verständnis des nationalstaatlichen Handelns innerhalb der globalen Verflechtungen. Die Reichsregierung hatte, wie erwähnt, zu Beginn des Jahrhunderts keine zollpolitischen oder direkten Maßnahmen zur Unterstützung der desolaten brasilianischen Wirtschaft unternommen. Die lateinamerikanischen Konsulate hielten spätestens ab 1902 einen brasilianischen Staatsbankrott und Revolutionen für sehr wahrscheinlich.183 Um dieses schlimmste erwartete Szenario abzuwenden oder um zumindest die bisherigen deutschen Portfolio- und Direktinvestitionen nicht zu gefährden, riet man den Kaffeehändlern ausdrücklich, sich an dem Valorisationsprojekt zu beteiligen.184 An direkter zwischenstaatlicher Hilfe beispielsweise durch Senken der Einfuhrzölle auf Kaffee in Deutschland war man aber nicht interessiert, da offensichtlich den Einnahmen aus den Kaffeezöllen Priorität gegenüber diesem politischen Engagement eingeräumt wurde.185 Intern diskutierten die brasilianischen Konsulate und das Auswärtige Amt, welche deutschen Banken die nötigen Kredite geben oder sich an Anleihen beteiligen könnten, um einen brasilianischen Staatsbankrott zu verhindern.186 Als im März 1906 Namen von belgischen und französischen Banken in Brasilien kursierten, die die Valorisationsanleihen zu übernehmen bereit seien, waren sich die Konsulate noch unschlüssig, ob „eventuell aber […] es immer noch besser sei, wenn die Franzosen und Belgier […] die Kaffeeanleihe erhalten, als daß deutsches Geld sich daran beteiligt“.187 Erst das Engagement von Theodor Wille im Valorisationsprojekt ließ ein paar Tage später eine deutsche Beteiligung attraktiv erscheinen: „Die genaue Kenntnis der einschlägigen Verhältnisse, über die die Firma Wille verfügt, bürgt dafür, daß auch dieses
183 184 185 186
Vgl. u. a. die Berichte des Jahres 1902, in: BArch, Bestand R901, Signatur 268. Vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 281, Bl. 85. Vgl. ebd., Signatur 271, ab Bl. 57. Schon im Mai 1903 empfahl das Konsulat in Le Havre dem Auswärtigen Amt, bei den Hamburger Kaffeehändlern entsprechende Schritte einzuleiten, vgl. ebd., Signatur 268, Bl. 123–135. Ebenso die Stellungnahme des belgischen Konsulats, vgl. ebd., Signatur 269, Bl. 33–35. 187 Ebd., Signatur 271, Bl. 50. Vgl. ebd., Signatur 1199, Bl. 114 f., Bl. 124–129. Grundsätzlich riet man aber deutschen Banken und Unternehmen zu Investitionen in die brasilianische Infrastruktur, vgl. ebd., Signatur 1200 und 1201. Diese reagierten aber äußerst zögerlich, vgl. u. a. das Antwortschreiben der Disconto-Gesellschaft, ebd., Signatur 1201, Bl. 116.
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Geschäft auf sicherer Basis abgeschlossen ist und dem Geldgeber ohne besonderes Risiko einen guten Gewinn lassen wird.“188 Die brasilianische Presse begrüßte Willes Beteiligung. Sichtlich geschmeichelt von diesem „Loblied“189 auf Deutschland, befand man nun in den brasilianischen Konsulaten ein weiteres deutsches Engagement für äußerst fördernswert. Nicht zuletzt die steigende Exportquote deutscher Waren nach Brasilien, die man weiter auszubauen hoffte, ließ eine deutsche Beteiligung an der Valorisation aus handelspolitischen Gründen attraktiv erscheinen. Unter dem Eindruck einer kontinuierlichen Steigerung des deutschen Exports um insgesamt 441 Prozent von 1902 bis 1913 entwickelte sich Brasilien aus deutscher Perspektive zu einem zunehmend wichtigen Handelspartner (vgl. Grafik 49).190
Grafik 49 Warenverkehr des Deutschen Reiches mit Brasilien 1890–1913
Zwar blieb die deutsche Handelsbilanz mit Brasilien immer passiv, doch verringerte sich das Saldo aufgrund der fallenden Kaffeepreise und der steigenden deutschen Exporte. Letztere machten aber nur einen Anteil von 2 Prozent an der deutschen Gesamtausfuhr aus. Es gab aber einen weiteren Grund für das Engagement der deutschen Konsulate für das Valorisationsprojekt. Sie hofften, dass dieses deutsche Entgegenkommen die brasilianische Bundesregierung endlich dazu bewegen würde, einen offiziellen Handelsvertrag und Konsularkonventionen mit Deutschland abzuschlie-
188 ebd., Signatur 272, Bl. 123 f. 189 Vgl. ebd., Signatur 273, Bl. 90. 190 Quelle für Grafik 49: Wynecken (1958), S. 61 f., S. 64, S. 67. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, Tabelle 53. Ab der zweiten Hälfte der 1890er Jahren waren die Einfuhrmengen von Brasilien nach Deutschland gestiegen (vgl. Grafik 17 und 32), doch die fallenden Kaffeepreise bewirkten einen Rückgang des Wertes der Gesamteinfuhr, die zu zwei Dritteln aus Kaffee bestand. Der Rückgang der deutschen Ausfuhr nach Brasilien war auch durch das Absinken des Milreiskurses auf bis zu 6 Pence (1897) bedingt.
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ßen.191 Im Gegensatz zu den USA, denen die 1891 und 1904 abgeschlossenen Abkommen mit Brasilien Zollermäßigungen gewährten, existierten zwischen Deutschland und Brasilien keinerlei Handelsabkommen.192 Drei Jahre später verschlechterte die deutsche Zollanhebung aber nun massiv die politischen Beziehungen zwischen Deutschland und Brasilien. Das Ziel, endlich einen Handelsvertrag mit Brasilien abzuschließen, rückte wieder in weite Ferne. Auch 1913 hatte sich der Handlungsspielraum der Reichsregierung gegenüber Brasilien nicht vergrößert, sondern aufgrund des Konsumrückgangs und steigender Preise eher verkleinert. Auf die Forderung des Abgeordneten Nacken, einen „Wink“ als Machtdemonstration Deutschlands an Brasilien zu senden, um durch Einschüchterung der Valorisation ein Ende zu bereiten, reagierte Delbrück nur mit einer knappen Zurechtweisung und verwies auf die gegenwärtige Handelsbilanz mit Brasilien. Hieraus ergebe sich ein größeres Interesse Deutschlands an Handelsbeziehungen mit Brasilien als umgekehrt.193 Die Forderung der Resolution, den Abschluss eines deutschbrasilianischen Handelsvertrags an die Beendigung der Valorisation zu knüpfen, beinhaltete somit keine sinnvolle Handlungsoption. Schon eine offizielle deutsche Kritik an dem brasilianischen Valorisationsprojekt hätte die ohnehin geschwächte Verhandlungsposition Deutschlands noch mehr beeinträchtigt. Anders als die Vertreter der Konservativen in Berlin hatten das Auswärtige Amt und die Konsulate im Land selbst dabei nicht allein die momentane Wählergunst vor Augen, sondern langfristige wirtschaftliche Beziehungen zu für Deutschland günstigen Bedingungen.194 191 Die diplomatischen Beziehungen fußten zuerst auf dem Konsularvertrag von 1882, der aber von der brasilianischen Seite im Zuge der Republikgründung gekündigt worden war, vgl. Wynecken (1958), S. 61, S. 67. Umfassend zu den sich daraus ergebenden Problematiken vgl. Brunn (1971). Alleinige Konzession Brasiliens gegenüber Deutschland im Anschluss an die Valorisation war die Behandlung deutscher Waren im Sinne der Meistbegünstigung nach dem im brasilianischen Zollgesetz 1900 vorgesehenen Minimaltarif. Stark erschwert wurde der Export deutscher Waren nach Brasilien durch jährlich wechselnde Zollsätze und eine Reihe von den Import behindernden und/oder verzögernden Gesetzgebungen, vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 5202, ebd., Signatur 5203; ebd., Signatur 5188, ebd., Sigantur 5190; StAHH, Bestand 371-8 II, Signatur: S XIX C 30.5; ebd., Signatur S XIX C 30.1. Die Vermittlung von deutschen Kapitalgebern als Strategie, um einen Handelsvertrag abzuschließen, konnte zur selben Zeit gegenüber dem von deutschen Direktinvestitionen abhängigeren Guatemala erfolgreich umgesetzt werden und mündete im Handelsvertrag von 1913, vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 4489; Frankfurter Zeitung vom 21.3.1913. 192 Vgl. Brunn (1971), S. 78, S. 268. 193 Vgl. BArch, Bestand R 901, Signatur 281, Bl. 85. 194 Die brasilianischen Akteure gingen – zu Recht – davon aus, dass die mit der Zollerhöhung abzusehende Verteuerung des Kaffees die Nachfrage in Deutschland reduzieren werde. Da Deutschland der weltweit zweitgrößte Importeur für Rohkaffee war, befürchteten die brasilianischen Staaten einen langfristig zurückgehenden Export und weiter
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Die zweite Forderung an die Reichsregierung in der Budgetkommission und im Reichstag betraf die Förderung des Kaffeeanbaus in den deutschen Kolonien. Nicht allein Reichskanzler Bismarck erschien 1886 Deutsch-Ostafrika als das für den Kaffeeanbau besonders prädestinierte Gebiet. In seinem Optimismus ging er sogar so weit, anzunehmen, dass die zu erntende Menge den Bedarf bei weitem übersteigen werde: „Was hat die Ostafrikanische Gesellschaft bisher erreicht? Daß sie Weizen anbaut, liegt nicht in unserem Interesse, sie würde dann nur der einheimischen Landwirtschaft weitere Konkurrenz machen. […] Aber wer soll all den Kaffee trinken, der auf 30.000 Quadratkilometern wachsen kann?“195 Ab den 1890er Jahren wurden 13 deutsche Plantagengesellschaften mit dem Ziel gegründet, in Deutsch-Ostafrika Kaffee anzupflanzen. Zusammen mit acht weiteren deutschen Betreibern von Kaffeeplantagen steigerten sie kontinuierlich ihre Ernteerträge (vgl. Grafik 50).196 Doch aus vier Gründen war mit dem in Deutsch-Ostafrika angebauten Kaffee mittelfristig keine Unabhängigkeit vom Weltmarkt zu erzielen. Die Produktionskosten waren erstens zu hoch. Das ungünstige Verhältnis zwischen Produktionskosten und Verkaufspreis veränderte sich auch nicht wesentlich bei den steigenden Weltmarktpreisen ab 1909.197 Gemessen zweitens an der schlechten Qualität und drittens den hohen Preisen machte – so die kolonialistisch eingestellte Fachzeitschrift Der sinkende Preise. Es ging 1909 außenpolitisch vor allem darum, eine entsprechende politische Gegenreaktion der Brasilianer abzuwenden. Insbesondere ein Differentialzoll auf nach Deutschland exportierten Kaffee schien möglich. Um dies abzuwenden, versuchte die konservative Regierung hier, die bereits vor dem Reichstag vorgebrachten Argumente auch außenpolitisch zu nutzen: Das Reichsamt des Inneren sandte zur Beruhigung der brasilianischen Regierung dem Auswärtigen Amt die deutschen Verbrauchs- und hamburgischen Preisstatistiken, um zu belegen, dass der Preis keinen Einfluss auf den Konsum haben werde. Doch das Auswärtige Amt reagierte – wie die Oppositionsparteien im Reichstag – auf diese kaum stichhaltigen Ausführungen und die fehlende Beweiskraft der Daten mit Unverständnis und reichte sie erst gar nicht an die brasilianischen Konsulate weiter. 195 Zit. nach Fritz F. Müller, Deutschland – Zanzibar – Ostafrika, Berlin 1959, S. 165. 196 Geschäftsberichte der einzelnen Pflanzungsgesellschaften finden sich in: Deutsches Kolonialblatt. Amtsblatt für die Schutzgebiete in Afrika und d. Südsee, Berlin, 1 (1890) – 31 (1920). Zu den einzelnen Plantagengesellschaften, ihren Geschäftsführern und Kapitaleinlagen vgl. Komitee zur Einführung der Erzeugnisse aus den deutschen Kolonien (Hg.), Deutsches Kolonial-Adressbuch, Berlin 1 (1897) –18 (1914); BArch Bestand R 1001, Signatur 8001; ebd., Bestand R 8023, Nr. 435; ebd. Bestand R 8024, Signatur 109–111, 119, 126, 130, 132, 134, 154, 173, 180 und 182. Quelle zu Grafik 50: Stat. Jb. der entsprechenden Jahre. Zu den Rohdaten vgl. Zusatzmaterial auf der Internetseite des Böhlau Verlages, Tabelle 54. 197 Vgl. Hamburger Fremdenblatt vom 26.10.1909; Ch. Böhringer, Preisentwicklung tropischer Produkte im Zusammenhang mit der Arbeiterfrage, in: Der Tropenpflanzer 16 (1912) 6, S. 333–335.
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Grafik 50 Kaffeeanbau in Deutsch-Ostafrika 1894–1913
Tropenpflanzer im Jahr 1900 – „nur der Patriotismus des deutschen Konsumenten […] einen Verkauf möglich“.198 Und die Erträge waren viertens zu gering, um mittelfristig die deutsche Nachfrage auch nur annähernd stillen zu können. Im erfolgreichsten Erntejahr 1912 produzierten die Plantagen in Deutsch-Ostafrika 1.575 Tonnen und konnten damit lediglich knapp ein Prozent der deutschen Nachfrage befriedigen. Auch in Kamerun wurde Kaffee angebaut, doch die letzten Importe von dort, die das Statistische Jahrbuch 1898 erfasste, betrugen nur 37 Tonnen. Insgesamt wiesen die Kolonien bis zuletzt (außer Togo, den Marshallinseln und Samoa) eine passive Handelsbilanz auf, die von 20 Prozent in Kiautschou bis 100 Prozent in Deutsch-Ostafrika reichte. Statt die erhofften Gewinne zu erzielen, bedurften sie sogar der Zuschüsse aus dem Reich.199
198 J. Kümpel, Kaffee. Nebst einigen allgemeinen Bemerkungen über die Mittel und Wege zur Nutzbarmachung unserer Kolonien, in: Der Tropenpflanzer 4 (1900) 4, S. 181–194, hier S. 191. Ebenso räumte auch die Zeitschrift Kolonie und Heimat die Schwierigkeiten des Kaffeeanbaus in den Kolonien ein, doch betonte sie die gute Qualität des dort produzierten Kaffees, vgl. Der Kaffeeanbau und seine Aussichten in unseren Kolonien, in: Kolonien und Heimat 1 (1908) 11, S. 3 f. Gutachten von deutschen Unternehmen der Kaffeebranche im Auftrag des Kolonialwirtschaftlichen Komitees kamen aber zu einem äußerst negativen Ergebnis im Hinblick auf das Geschmacksprofil der Bohnen und taxierten deren Preis noch unter dem des Santoskaffees. Allein das Unternehmen A. Zuntz Sel. Witwe befand, dass sich trotz der Qualitätsmängel im Verkauf an den Endkunden aufgrund der Attraktivität der Herkunft des Kaffees eventuell höhere Preise erzielen ließen, vgl. Gutachten über Kaffee aus Togo und Kamerun, in: Der Tropenpflanzer 3 (1899) 4, S. 164 f. 199 Vgl. Stat. Jb.; Speitkamp (2005), S. 87–90.
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Die Unerfahrenheit der deutschen Pflanzer im Allgemeinen und mit den Bedingungen in Deutsch-Ostafrika im Besonderen, also den dortigen Bodenverhältnissen, den klimatischen Bedingungen, der „Arbeiterfrage“ und fehlender Infrastruktur sowie die aus all dem resultierenden äußeren und geschmacklichen Mängel der Bohnen ließen es ab 1903 ökonomisch nicht mehr sinnvoll erscheinen, auf den Ausbau von Kaffee in den Kolonien zu setzen.200 Zu diesem Zeitpunkt zirkulierte sogar im Reichskolonialamt ein Gutachten über die Wirtschaftlichkeit des Kaffeeanbaus in den Kolonien, das diesem keine Ausbaufähigkeit bescheinigte.201 Ebenso bewerteten die Fachexpertendiskussion im Tropenpflanzer und auch die direkt Beteiligten in der Kolonie einen zukünftigen Kaffeeanbau als per se „aussichtslos“ oder wenig erfolgversprechend.202 Es verwundert daher nicht, dass die sonst an Pflanzungsbeteiligungen interessierten Hamburger Kaffeegroßhändler sich überhaupt nicht im Kaffeeanbau in den deutschen Kolonien engagierten.203 Die sozialdemokratische, konservative und nationalliberale Presse sah gerade die Fehlschläge im Kaffeeanbau als Maßstab für die wirtschaftliche Zukunft DeutschOstafrikas: „Wenn das deutsche Kapital sich in den letzten Jahren so gut wie ganz von neuen Unternehmungen in Deutsch-Ostafrika fernhielt, so lässt sich der Grund dafür in manchen Misserfolgen finden, die man mit Kaffee und anderen Versuchen 200 Vgl. BArch, Bestand R 1001, Signatur 8001; Kölnische Zeitung vom 13.3.1909; Usambara-Post vom 13.11.1909. 1910 versuchte die deutsche Kolonialgesellschaft Neuanpflanzung am Kilimandscharo zu propagieren, vgl. Mitteilungen der deutschen Kolonialgesellschaft vom 24.9.1910. 201 Vgl. Ebd., Signatur 8097, Bl. 159. Für die gleiche Beurteilung nach dem Ersten Weltkrieg vgl. ebd., Signatur 8018. 202 Als aussichtslos bewertete Ferdinand Wohltmann, Direktor des Landwirtschaftlichen Instituts in Halle und Experte für Pflanzenbau in den Kolonien, die zukünftige Entwicklung, vgl. Der Tropenpflanzer 6 (1902) 12, S. 612–616. Als wenig erfolgversprechend bewerteten es: Über die Kaffeekultur in Deutsch-Ostafrika, in: Der Tropenpflanzer 4 (1900) 1, S. 31 f.; Kakao- und Kaffeekultur in den deutschen Kolonien, in: Verhandlungen des Vorstandes des Kolonial-Wirtschaftlichen Komitees vom 20.10.1909. Als eine Entwicklung „die niemand voraussagen“ kann, bewertete es die Deutsch-Ostafrikanische Zeitung vom 17.1.1903. Zu den immensen Schwierigkeiten und Rückschlägen der Plantagengesellschaften vgl. deren Geschäftsberichte, in: Deutsches Kolonialblatt der entsprechenden Jahre. 203 Dies entsprach der mehrheitlich skeptischen Haltung deutscher Firmen gegenüber einem direkten Engagement in den deutschen Kolonien, vgl. Winfried Speitkamp, Deutsche Kolonialgeschichte, Stuttgart 2005, S. 20 f. Zu Hamburg vgl. Adolf Coppius, Hamburgs Bedeutung auf dem Gebiet der deutschen Kolonialpolitik, Berlin 1905, S. 127–176. Ein Überblick über die in den Kolonien engagierten Handelshäuser und die eher skeptische Haltung der Handelshäuser im Allgemeinen bei Helmut Washausen, Hamburg und die Kolonialpolitik des Deutschen Reiches 1880 bis 1890, Hamburg 1968, hier S. 54–82, S. 180–188.
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hatte.“204 Ungeachtet dessen propagierten die prokolonial eingestellten Zeitschriften den Kaffeeanbau weiter. Sie nahmen die wachsenden Ernteergebnisse zum Anlass, dem Kaffeeanbau eine erfolgreiche Zukunft zuzusprechen. Man versuchte insbesondere mit Hinweisen auf das in Deutsch-Ostafrika vermehrt „eindringende“ englische Kapital auch deutsche Investoren zu motivieren.205 Zwischen 1909 und 1911 riefen Artikel in der Presse und einzelne Parteien im Reichstag immer wieder zum Kaffeeanbau in den Kolonien auf. Damit ließ sich geschickt der populäre Wunsch nach billigem Kaffee für die allgemeine Kolonialagitation instrumentalisieren. Der Organisationsgrad der deutschen Kolonialbewegung war vergleichsweise gering, trotzdem fand die Propagierung der Kolonien als Produzenten von Rohstoffen und als Absatzmärkte breiten Anklang, auch im Liberalismus.206 Hier bot sich die Kaffeepreisteuerungsdebatte besonders an, um für die eigenen Zwecke zu werben. Der Anbau von Kaffee in eigenen afrikanischen Plantagen würde den Bohnenkaffee für alle erschwinglich machen, behauptete die Kolonialpropaganda und versuchte damit, den kleinbürgerlichen und proletarischen Schichten den Erwerb von deutschen Kolonien schmackhaft zu machen. Gemäß der Überzeugung der Zeitschrift Kolonie und Heimat wohnte „jedem Pfund Kaffee […] eine werbende Kraft für den kolonialen Gedanken inne“.207 So präsentierte am 10. April 1911 ein Artikel der Tageszeitung Der Tag seinen Lesern eine Möglichkeit, wie sie endlich an billigen Kaffee kommen und zudem den Brasilianern und ihrer „unverschämten“ Valorisation ein Schnippchen schlagen könnten: „Ein Mittel dürfte es geben, den deutschen Konsumenten allmählich den Kaffee zu verbilligen, und das ist die Förderung des Kaffeeanbaus in unseren Kolonien. […] Um uns […] so unabhängig zu machen, daß Brasilien bei seinen Maßnahmen mit uns ernstlich wird rechnen müssen.“208 Dieser Artikel findet sich in den Akten des Reichskolonialamtes und wurde bezeichnenderweise vom bearbeitenden Beamten – vermutlich aufgrund seiner Realitätsferne – lediglich mit einem Fragezeichen versehen und an die höhere Stelle weitergeleitet, die den Artikel ebenfalls mit einem Fragezeichen kommentierte.209 Ab 1912 verlagerte sich unter dem Eindruck der tatsächlichen Lage des Kaffeeanbaus in den Kolonien und dessen mageren Resultaten auch die Argumentation in 204 Kölnische Zeitung vom 11.6.1905. Vgl. auch Freikonservative Correspondenz vom 13.6.1906, Leipziger Volkszeitung vom 4.2.1913. 205 Vgl. Koloniale Rundschau des Hamburgischen Kolonialinstituts vom Dezember 1912. 206 Vgl. Sebastian Conrad, Deutsche Kolonialgeschichte, München 2008, S. 24, S. 27 f. Zur Haltung der liberalen Parteien vgl. Langewiesche (1988), S. 219–222. 207 Der Kaffeeanbau und seine Aussichten in unseren Kolonien, in: Kolonie und Heimat 1 (1908) 11, S. 2–4, hier S. 4. 208 Der Kaffeeanbau in den deutschen Kolonien, in: Der Tag vom 10.4.1911. 209 Vgl. BArch, Bestand R 1001, Signatur 8001, Bl. 22.
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der prokolonialen Presse. Nun wurde die weltwirtschaftliche Verflechtung als ursächliches Hemmnis interpretiert. Die Tatsache, dass nur geringe Mengen Kaffee schlechter Qualität zu einem hohen Preis aus den Kolonien Deutschland erreichten, deutete man als Konsequenz der globalen Integration des Kaffeemarktes. Hier machte sich die Kolonialpropaganda die Gerüchte um eine allgemeine Tendenz zur Manipulation der Herkunft im globalen Kaffeegeschäft zu eigen: Eigentlich könne „Kaffee aus Usambara […] dem so genannten Mokkakaffee als gleichwertig zur Seite gestellt werden. Leider wird uns der Genuss durch den Zoll verteuert und außerdem ist der Usambarakaffee nur schwer erhältlich, da ihn die Spekulation lieber als echt arabischen Kaffee in den Verkehr bringt und ihn sich auf diese Weise teuer bezahlen lassen kann.“210
Das allgemeine und auch aus den eigenen Reihen stammende schlechte Urteil über die Qualität des Usambarakaffees lässt diese Ausführungen als wenig glaubhaft erscheinen. Sie zeigen aber, dass innerhalb der Kolonialpropaganda die Auswirkungen der weltwirtschaftlichen Einbindung des Kaiserreichs zum Topos avancierten. Auch der Anbau von Kaffee in den eigenen Kolonien als Strategie, um vom Weltmarkt unabhängiger zu werden, werde von diesen Mechanismen beeinträchtigt. So ließ sich das eigene Scheitern als Folge der Auswirkungen der weltwirtschaftlichen Verflechtung auf die nationale Wirtschaft und die ihr zugehörigen Kolonien deklarieren und damit die Integration des Weltkaffeemarktes zum Hauptproblem stilisieren. Kaffeeanbau in den eigenen Kolonien stellte damit auch aus dieser Perspektive keine wirkliche Alternative dar. Seine Ausführungen vor der Reichsetatkommission ließ denn auch Delbrück 1913 in die Feststellung münden, dass Kaffeeanbau in den Kolonien keine realistische Gegenstrategie zur gegenwärtigen Abhängigkeit vom Weltmarkt sei, denn auch wenn man seine strukturellen Probleme beseitigen könne, werde „[…] selbst unter Berücksichtigung der gesamten anbauwürdigen Fläche der deutschen Kolonien in absehbarer Zeit der Preis auf dem Weltmarkt und in Deutschland nicht beeinflusst werden“.211 Doch die Agitation um den Kaffeeanbau in den Kolonien verstummte bis zum Ersten Weltkrieg nicht, überdauerte diesen und auch noch 1933 rief die Deutsche Kolonial-Zeitung dazu auf: „Deutsche! Trinkt Deutschen Kaffee!“212 Auch ohne jegliche Aussicht auf Erfolg verlor die Losung der kolonialen Expansion als Topos, um vom Weltmarkt unabhängig zu werden, nicht ihre Attraktivität.
210 Mitteilungen des Frauenbundes der Deutschen Kolonialgesellschaft, Was bezieht die Hausfrau aus unseren Kolonien?, in: Kolonie und Heimat 5 (1912) 13, S. 8. 211 BArch, Bestand R 901, Signatur 281, Bl. 85v. Vgl. ebd., Bestand R 1001, Signatur 8001, Bl. 28. 212 Deutsche Kolonial-Zeitung vom 1.12.1933.
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Die vierte Forderung der 1913 vom Reichstag angenommenen Resolution zur Bekämpfung der Kaffeeteuerung verlangte, die Möglichkeit der Beteiligung von deutschen Banken an dem Valorisationsprojekt zu unterbinden bzw. über ein Kartellgesetz zu regulieren. Dieser Punkt der Resolution lässt sich als Teil einer umfangreichen Debatte über wirtschaftliche Verflechtung und staatliche Regulierung lesen. Grundsätzlich hatte unabhängig von der politischen Ausrichtung der Zeitungen zuerst eine gewisse Zustimmung zu den Zielen des Valorisationsprojekts vorgeherrscht, die wirtschaftliche Situation der Pflanzer und des Staates São Paulo zu verbessern, da „einmal rein volkswirtschaftlich betrachtet, […] sie [die Maßnahmen] den ersten ins Große übertragenen Versuch bedeuten, die Preise eines landwirtschaftlichen Produktes trustmässig zu beeinflussen; sodann volkswirtschaftspolitisch, weil hier zum ersten mal ein Staat mit so gewaltigen Summen der privaten, geschäftlichen Lage eines Teiles seiner Bürger zu Hülfe gekommen ist.“213
Aber die Praxis des Valorisationskomitees, den Kaffee nur portionsweise dem Markt wieder zuzuführen, fand harsche Kritik von allen Seiten. Hier bemängelten auch die Liberalen, dass hiermit „das Gesetz der Preisbildung von Angebot und Nachfrage durchbrochen worden“214 sei. Im Rahmen dieser Debatten über das Valorisationsprojekt und die Praxis des Valorisationskomitees ging die Kritik der Konservativen, des Zentrums und der Sozialdemokratie aber weiter und erzeugte eine erstaunliche Übereinstimmung der Argumentation. Die Valorisation sei – so der sozialdemokratische Vorwärts – ein „kapitalistisches Verbrechen“,215 dem man – so die Formulierung der konservativen Staatsbürger-Zeitung – „einen sicheren Riegel vorschieben“216 müsse. Es sei die Spekulation an sich, also die Terminmärkte und ihre Funktionsweise, die die Kaffeeteuerung ermögliche. Auch im Reichstag trat die Kapitalismuskritik von beiden Seiten des politischen Spektrums zutage. Die Rückwirkungen der weltwirtschaftlichen Verflechtung interpretierten die Abgeordneten als Hauptproblem, lediglich ihre Folgerungen unterschieden sich. Forderte die Mehrheit unterschiedliche nationalstaatliche Maßnahmen von der diplomatischen Intervention bis zu gesetzlichen Regulierungen, so vertraten die Sozialdemokraten die Position, dass allein ein Scheitern des Wirtschaftssystems selbst hier eine Lösung bedeute.
213 Altschul (1910), S. 104. Vgl. u. a. Augsburger Abendzeitung vom 23.12.1911; Frankfurter Zeitung vom 19./20.1.1910; Ostholsteinische Zeitung vom 3.1.1912; Vossische Zeitung vom 14.9.1910. 214 Frankfurter Zeitung vom 26.4.1911. 215 Vorwärts vom 14.12.1911, ebenso ebd., am 20.6.1912. 216 Staatsbürger-Zeitung vom 19.10.1912. Gleicher Tenor in der Deutschen Tageszeitung vom 2.2.1911.
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Neben der Systemkritik an der Organisation des internationalen Kaffeehandels geriet die Frage des „moralisch“ richtigen Verhaltens der beteiligten Akteure ins Visier: „während die Hausfrauen geradezu gelähmt sind vor Schrecken über die leeren Haushaltskassen, rüstet sich eine Händlerclique, um einen […] Massenkonsumartikel uns zu verteuern, nämlich den Kaffee.“217 Leidtragende seien die deutschen Konsumenten und der deutsche Binnenhandel, dem „deutschen Kaufmann [bleibe] nur ein bescheidener Verdienst übrig“.218 Schuld sei neben den global agierenden deutschen Kaffeehandelshäusern das „Spekulantentum“. Aus dieser noch recht unkonkreten Wendung vom Spekulieren wurde bald „das schrankenlose unnationale Geschäftemachen des Großkapitals“219 und es entwickelte sich eine breite Welle der öffentlichen Empörung gegen diejenigen, die als dessen Vertreter ausgemacht wurden. Schon im März 1911 veröffentlichte das liberale Berliner Tageblatt die Namen der an der Anleihe des Staats São Paulo vom Jahr 1908 beteiligten deutschen Banken und betitelte den Artikel: „Deutsche Bankhäuser als Kaffeeverteuerer“.220 Dies griffen die Zeitungen anderer politischer Ausrichtung genüsslich bis zur identischen Titelwahl noch ein knappes Jahr lang auf.221 Zur Diskussion stand nun, in wessen „Diensten“222 eigentlich deutsche Banken und deutsche Kaffeehändler zu stehen hätten. Sie „bieten die Hand zu einer solchen offensichtlichen Schädigung des deutschen Volksvermögens […] ohne jeden Nutzen für das Deutsche Reich“, daher könne es für ihr „Verhalten […] keine Rechtfertigung geben“.223 Es lagen aus der Perspektive der Ankläger moralische Verfehlungen vor, deren Maß das nationale bzw. Volkswohl war, denn man urteilte, „das nationale und volkswirtschaftliche Gewissen“224 der Händler und Bankhäuser habe versagt. Daher forderte der deutsch-konservative Abgeordnete Albrecht von Graefe ausdrücklich, dass die Reichsbank auf die „am Valorisationsprojekt beteiligten Banken enormen Druck ausübe“,225 damit diese sich aus dem Projekt zurückzögen. Doch gemäß dem gesetzlichen Rahmen hatten die Akteure keine Straftaten begangen. Dies betonte Delbrück als Antwort auf die Reichstagspetition vom Januar 1913 und ihre Forderung nach einem Kartellgesetz. Ähnlich der Debatte um die Börsenreform in den 1890er Jahren wurden daraufhin Verbote sowie verschiedene staatliche Regulierungskonzepte diskutiert und verworfen. Es sollte – und konnte – ja nicht das grund217 Staatsbürger-Zeitung vom 3.9.1912. 218 Name der Zeitung unleserlich, Artikel: Die hohen Kaffeepreise, vom 2.9.1912, in: BArch, Bestand R 8034 II, Signatur 5273, Bl. 65. 219 Ostholsteinische Zeitung vom 3.6.1912. 220 Berliner Tageblatt vom 17.3.1911. 221 Vgl. u. a. Salzwedeler Wochenblatt vom 23.1.1912. 222 Deutsche Tageszeitung vom 2.2.1911. 223 Ebd. 224 Berliner Neue Nachrichten vom 15.4.1913. 225 BArch, Bestand R 901, Signatur 281, Bl. 82.
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sätzliche Verhalten der Anleihegeber oder der Kauf von Kaffee in großen Mengen sanktioniert werden. Erst deren Resultat oder genauer das, was man als deren Absicht unterstellte, nämlich die volkswirtschaftliche Schädigung Deutschlands, wollte man unterbinden. Letztlich scheiterten die Regulierungsforderungen daran, dass ethische Maximen über die Ausführung einer Handlung sich nicht kodifizieren lassen, wenn die Handlung an sich im Rahmen der Wirtschaftsordnung juristisch legal und gesellschaftlich akzeptiert wird. Sowohl in den Diskussionen um den Kaffeeanbau in den Kolonien als auch in der Frage des Umgangs mit Brasilien und den am Valorisationsprojekt beteiligten Akteuren zeigt sich deutlich eine sprachliche und konzeptionelle Nationalisierungstendenz. Weltwirtschaftliche Verflechtung wurde als Bedrohung für die eigene Volkswirtschaft interpretiert, so dass gar „das Vaterland […] in Gefahr!“226 schien. Dieses Zitat stammt aus einer Broschüre von 1906, die 1908 dem Konsulat in Rio de Janeiro durch das Reichsamt des Inneren zugesandt wurde. Hiermit sollte den Diplomaten die zunehmende Stimmungsmache gegenüber der Entwicklung des internationalen Kaffeemarktes verdeutlicht werden. Mit dem Fortgang des Valorisationsprojekts und der Teuerung des Kaffees in Deutschland verschärfte sich die Kapitalismuskritik von links und rechts ebenso wie die Abgrenzungsrhetorik von „deutschen“ volkswirtschaftlichen Interessen gegenüber Dritten oder allgemein der „Weltwirtschaft“, die das „deutsche Volk geschädigt“227 habe. Alle vorgebrachten Argumente gegen die Position der jeweils anderen Partei(en) oder „Lösungsstrategien“ zur Reduzierung des Kaffeepreises sahen die Ursachen der Teuerung in der Integration der Gütermärkte und den damit verbundenen Instrumenten bzw. Mechanismen und ihrem Gebrauch im Bereich von Finanzierung, Organisation des Handels und dem Anbau. Indem die politischen Akteure – bzw. diejenigen, die für politisches Handeln zuständig waren oder es beanspruchten – die Ursache der hohen Kaffeepreise in der weltwirtschaftlichen Einbindung der deutschen Volkswirtschaft sahen, blendeten sie eigene Handlungsmöglichkeiten für die Lösung des Problems aus. Hier dominierten drei Positionen: erstens eine „Ohnmachtshaltung“, in der man zwar eindeutig Schuldige erkennen konnte, aber sich selbst angesichts der Gegebenheiten als handlungsunfähig wahrnahm; zweitens eine von beiden Seiten des politischen Spektrums vertretene Kapitalismuskritik, die das Handeln der Akteure mittels staatlicher Regulierung zu unterbinden forderte oder das System an sich ablehnte, sowie drittens eine Kolonialpropaganda, die wirtschaftliche Expansion als Lösungsstrategie favorisierte und damit die Kolonialwirtschaft zur notwendigen Agenda erklärte. Faktisch waren es aber gerade die finanzpolitischen Zwänge, die aufgrund des steigenden Wehretats entstanden waren, welche die Frage einer Kaffeezollanhebung 226 Ebd., Signatur 275, Bl. 30. 227 Neue Tageszeitung vom 9.2.1911.
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nach über dreißig Jahren 1909 wieder hatte diskussionsfähig werden lassen. Ebenso stimmte die Mehrheit im Reichstag für die Kaffeezollanhebung, um eine umfassende Reform der Erbschaftssteuer abzuwenden. Will man die Valorisation als Mitursache der Kaffeeteuerung ansehen, so kann diese jedenfalls nicht als ein „externer Faktor“ gewertet werden, der von „außen“ die nationale Wirtschaft beeinträchtigte. An ihr hatten sich maßgeblich Teile der deutschen Volkswirtschaft, die Kaffeegroßhändler und Banken, beteiligt. Nicht „die“ weltwirtschaftliche Einbindung und damit gerade nicht allein eine „externe“ Herausforderung bedingte Preiserhöhungen. Diese muss vielmehr im Zusammenhang mit divergierenden Interessen und Strategien der an der Wertschöpfungskette beteiligten Akteure und vor allem mit einer wenig konzisen Finanz- und Konsumpolitik und innenpolitischen Grabenkämpfen um die Ausrichtung der Finanzreform verstanden werden. In einer Situation, in der keine der Parteien konkrete Handlungsmöglichkeiten artikulierte, kam es nicht zu einer mehrheitsfähigen Positionierung im Hinblick auf umsetzbare Maßnahmen gegen die Kaffeepreisteuerung. Vielmehr ist eine Pluralisierung politischer Konzepte konstatierbar, die sich nicht vereinen ließen und den Konflikt weiter anheizten. In diesen Positionen – so unterschiedlich sie auch waren – findet sich eine Gemeinsamkeit: Die Integration des Kaiserreichs in die globale Ökonomie wurde zum Referenzrahmen für die innenpolitische Dauerdebatte. Diese Argumentation ermöglichte es, die Lösung des innenpolitischen Problems zu verlagern. In ihren Forderungen an die Wirtschaftspolitik „externalisierten“ die Presse und die Parteien das Problem der Kaffeepreisteuerung und dessen gesellschaftliche Auswirkungen. Sie konzeptualisierten es nur noch als Symptom von Prozessen, die sich aus der weltwirtschaftlichen Verflechtung ergaben. Den innenpolitischen Kontext der Debatten um die Kaffeeteuerung bildeten die Finanzprobleme des Reiches und eine allgemeine Preissteigerung bei Lebensmitteln. Sie sind also als Teil eines innenpolitischen Dauerkonfliktes zu verstehen, in dem die jeweilige Position für oder gegen unterschiedliche Steuern für die Parteien zur Grundsatzfrage und zum Bewertungskriterium ihrer Politik wurde. Die im Juni 1909 nach mehreren Jahrzehnten plötzlich beschlossene Hebung des Kaffeezolls als Ersatz für eine Erbschaftssteuer wurde zum Synonym für eine die sozialen Ungleichheiten noch verschärfende Steuerpolitik. Gleichzeitig übte die permanente Presseberichterstattung über die Schädigungen der Konsumenten Druck „von unten“ auf die Parteien aus. Ihre Hauptargumente waren die sozialpolitischen Folgen des Konsumrückgangs und der Verweis auf die Proteste der Konsumenten. In diesem Zusammenhang spielte auch die sozioökonomische Anerkennung des Kaffees gerade auch für die unteren Einkommensgruppen eine wichtige Rolle. Die genannten Debatten machten den Kaffeepreis zum Maßstab für die – offensichtlich nicht gelungene – Beteiligung der Masse am Konsum. Im Rahmen der bis 1914 anhaltenden publizistischen und politischen Diskussionen um die Ausrichtung der Finanzpolitik kam dem Kaffeezoll deshalb eine herausragende Stellung zu.
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Während also die Konsumpolitik den Verbrauch von Kaffee zumindest indirekt 34 Jahre lang von 1874 bis 1909 gefördert hatte und auch die offiziellen Organe des Kaiserreichs dem Konsumgut eine hohe ideelle Anerkennung bezeugten, war die Regierung des Deutschen Reichs zu einer Konsumentenpolitik nicht in der Lage. Konsumpolitik verblieb auf der Ebene einer passiven Konsumförderung durch einen im europäischen Vergleich moderaten Zollsatz. Es folgte – trotz der lang anhaltenden Debatte um die Kaffeepreisteuerung – aber keine Neuausrichtung der Finanz- und Konsumpolitik hin zu einer als Integrationsfaktor stabilisierend wirkenden Konsumentenpolitik. Grundsätzlich belasteten erhöhte Zölle und Verbrauchssteuern vor allem Arbeiter und Kleinbürger, da diese prozentual einen größeren Teil ihrer Einnahmen für die besteuerten Waren ausgeben mussten: Die Hebung der Zölle und Verbrauchssteuern vergrößerte also die soziale Ungleichheit und führte dazu, dass 1902 bis 1905 „kleinere Einkommen mit 4–7 % fast doppelt so hoch belastet waren wie die mittleren mit 2–3 % und diese wiederum annähernd doppelt so hoch wie die höheren mit maximal 1–2 %.“228 Nach 1906 reduzierte sich zwar der Anteil der indirekten Abgaben an den gesamten Steuermehreinnahmen, doch es verblieb eine kleinere Einkommen überproportional belastende Steuerpolitik.229 Ein wirklicher Wechsel hin zu direkten Steuern, die fiskalisch relevant waren, fand erst unter dem Eindruck einer „Militarisierung der Reichsfinanzpolitik“230 1913 statt. Dies hatte aber mit einer Reform der konsumpolitischen Ausrichtung nichts zu tun. Ein politisches Leitbild, welches den Staatsbürger auch zugleich als Konsumenten begreift, konnte sich im Kaiserreich im Unterschied zu Großbritannien zumindest nicht etablieren. Für die Masse der Konsumenten verblieb nach 1909 als Handlungsoption lediglich die Reduzierung der Ausgaben für Kaffee oder für andere Konsumgüter. Dies war aber Ergebnis einer Konsumpolitik, die wahrlich nicht die Interessen der Konsumenten vertrat.
228 Ullmann (2005), S. 83 und ders., Der Bürger als Steuerzahler im Deutschen Kaiserreich, in: Manfred Hettling und Paul Nolte (Hg.), Nation und Gesellschaft in Deutschland. Historische Essays, München 1996, S. 231–246. 229 Zahlen zur Auswirkung der Besteuerung von Lebensmitteln auf unterschiedliche Einkommen vor 1914 bei Karl Oldenberg, Die Konsumption, in: Grundriss der Sozialökonomik, 2. Abtl., 1. Teil: Wirtschaft und Natur, Tübingen 1923, S. 188–263, hier S. 250–254. Allgemein zur Zollpolitik des Reiches und deren Einfluss auf die Teuerung von Lebensmitteln vgl. Nonn (1996); Wehler (1995), S. 650–654, S. 1037. 230 Witt (1970), S. 393. Dazu auch Ullmann (2005), S. 78.
8. Resümee Die Attraktivität des seit den 1990er Jahren zunehmend verwendeten Begriffs Globalisierung resultiert maßgeblich daraus, dass er etwas von der umfassenden geografischen und sozialen Breite des damit umschriebenen Prozesses vermitteln kann. Definitorisch ist sein Gegenstand die Integration aller ökonomischen und sozialen Entwicklungen ohne Beschränkung des räumlichen Ausmaßes. Ausgangspunkt dieser Arbeit war es, ein scheinbar spezifisches Merkmal zu hinterfragen, welches gegenwärtig, aber auch um 1900 die Wahrnehmung von Globalisierungsprozessen prägte: „Die Welt hat geradezu ein anderes Aussehen gewonnen […]“, summierte das Export-Handbuch der Hamburger Börsenhalle 1899 die Entwicklungen der vorausgegangenen zwei Jahrzehnte. „Die überall entstandenen Schienenstrassen heben die Entfernung auf; ungehindert durch Zölle und Schlagbäume durchflutet der Handel das eigene Land und […] erstreckt seine Verbindungen über die ganze bewohnte Erde, denn in allen Häfen stehen schnelle Dampfschiffe zur Verfügung […]. Durch all diese grossartigen Erfindungen sind Raum und Zeit in ungeahnter Weise verkleinert und verkürzt worden.“1 Auch andere Autoren dieser Zeit betonen die durch die Transport- und Kommunikationsrevolution des 19. Jahrhunderts ausgelösten enormen lokalen Veränderungen bei Produktion, Vermarktung und Konsum. So schrieb der spätere Berliner Professor für „spezielle Betriebswirtschaftslehre des Handels“ Julius Hirsch 1918, dass „eine Vereinheitlichung des Bedarfs eintrat, wie kein früheres Zeitalter sie gekannt hat“. Mit „der Verflechtung der Verkehrsbeziehungen über alle Landesgrenzen hinweg schwanden ja die traditionellen Unterschiede der Lebensführung zwischen Klasse und Stand, Stadt und Land, verwischten sich mehr und mehr die zwischen Völkern und Rassen, zwischen Orient und Okzident“.2 Beide Zitate schildern wesentliche Merkmale eines sich weltweit auswirkenden Prozesses, in dessen Verlauf die Transformation der globalen Ökonomie alle Bereiche des Lebens – auch die bis dato beständigsten wie den Lebenswandel – zu verändern schien. Diese fundamentalen Veränderungen standen auch im Zentrum dieser Arbeit. Die Interpretation ihrer Ursachen und damit zusammenhängend ihrer Stoßrichtung und lokalen Ausprägungen fußten aber auf einer anderen Grundannahme. Nicht einzelne Merkmale des globalen Prozesses wie technische Innovationen oder konvergierende Preise waren die vorrangigen Triebkräfte für die Entwicklungen und als solche verantwortlich für lokale Veränderungen. Das aufeinander bezogene Handeln und 1 Export-Handbuch der Börsenhalle 1897/99, Abschnitt 1, S. 5 f. 2 Julius Hirsch, Der moderne Handel, seine Organisation und Formen und die staatliche Binnenhandelspolitik, Tübingen 1918, S. 53.
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Resümee
Verhalten der Marktteilnehmer trieb, so die These, Globalisierungsprozesse voran oder schwächte sie ab. In diesem Sinne gelten Kaufleute, Einzelhändler, Börsenspekulanten und Konsumenten als die zentralen Akteure in Globalisierungsprozessen und insofern untersuchte dieses Buch die Mikro-Ökonomie der Globalisierung. Ziel der Arbeit war es also, nicht den Prozess als eine Art Eigendynamik vorauszusetzen, wie es vielfach geschieht, sondern der Bedeutung einzelner lokaler Wirtschaftssubjekte und der von ihnen geschaffenen Institutionen für eine sich globalisierende Welt nachzugehen. Es wurde das Handeln lokaler Akteure und ihrer Institutionen betrachtet und untersucht, inwiefern die Integration der globalen Kaffeeökonomie den deutschen Markt, nationale Vertriebswege und lokale Konsumgewohnheiten veränderte und vor welche Herausforderungen diese Prozesse die Unternehmen, die Konsumenten und die Wirtschafts- und Konsumpolitik des deutschen Kaiserreichs stellten. Die Ergebnisse dieser Arbeit sollen noch einmal zusammengefasst und auf ihre Erklärungskraft für Globalisierungsprozesse zugespitzt werden. Im Vergleich mit dem sich ab 1700 etablierenden und rund 160 Jahre andauernden, durch die europäischen Kolonialmächte dominierten System von Kaffeeanbau und -handel wandelte sich der globale Kaffeemarkt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in einem bisher unbekannten Ausmaß und mit großer Schnelligkeit. Spätestens in den 1880er Jahren hatten sich die Rahmenbedingungen des Weltkaffeehandels verschoben: Die süd- und zentralamerikanischen Staaten produzierten über 90 Prozent des gehandelten Rohkaffees. Gleichzeitig verringerte sich im Hinblick auf die umgeschlagenen und importierten Quantitäten die Bedeutung der Handelsplätze Amsterdam und London zugunsten von Le Havre und Hamburg. Begünstigt wurde die Stellung sowohl von Hamburg als auch von Le Havre erstens durch den Aufstieg Lateinamerikas, allen voran Brasiliens, als Hauptkaffeeproduzent, zweitens durch die Aufnahme von unmittelbaren Handelsbeziehungen mit den lateinamerikanischen Anbauländern und Direktimporte von dort. Drittens büßten gleichzeitig die unter dem ökonomischen Einfluss Großbritanniens und der Niederlande stehenden Anbaugebiete in Vorderindien, Ceylon und Niederländisch-Indien Marktanteile ein. Damit verlor viertens die bisherige Praxis des Handels an Bedeutung, Angebot und effektive Nachfrage allein durch Auktionen und Zwischenlagerung in Amsterdam und London zu verknüpfen. Mitte der 1880er Jahre hatten New York, Hamburg und Le Havre die Handelsplätze Amsterdam und London als Zentren des Weltkaffeehandels abgelöst. Dabei veränderten sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts nicht nur die Organisation des Handels, sondern durch neue Kommunikationsmöglichkeiten, vor allem die Einführung des Telegrafen, auch Handelsformen und Preisbildung. Gleichzeitig verdoppelte sich die Nachfrage nach Kaffee in Europa und Nordamerika und neue Vertriebsstrukturen etablierten sich ebenso wie der Verkauf von konsumfertigen Röstkaffeeprodukten. Der im zweiten Kapitel eingenommene makroökonomische Blick demonstrierte zunächst lediglich, in welchem Tempo und welcher Ausdehnung sich das Marktvolumen ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wandelte. Gleich-
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wohl lieferte das Kapitel wichtige Resultate, die vermuten ließen, dass die einzelnen Entwicklungen in direktem Zusammenhang mit einer zunehmenden globalen Interaktion der Akteure und der Interdependenz ihrer Handlungen standen. Das Beispiel des Hamburger Kaffeehandels verdeutlicht, dass der Prozess der Globalisierung international gehandelter Verbrauchsgüter deutlich komplexer ist als allgemein angenommen. Ab den 1880er Jahren beteiligten sich nicht mehr nur wenige Handelskompanien an dem Anbau und der Verteilung des Rohstoffs. Vielmehr entwickelten sich diversifizierte Handelsunternehmen, die jeweils eine Aufgabe innerhalb der Wertschöpfungskette übernahmen. Bis zur Jahrhundertwende entstand in Hamburg aus Großhandelsunternehmen, die zuvor unter anderem mit Rohkaffee gehandelt hatten, eine eigene Branche. Ihr markantestes Merkmal war die Spezialisierung auf das Handelsgut Rohkaffee. Gleichzeitig differenzierten sich die Geschäftsfelder dieser Kaffeegroßhandelsfirmen gemäß ihrer Ausrichtung in der Wertschöpfungskette. Diese Entwicklung betraf aber den gesamten Kaffeehandel und brachte weder spezifische Vorteile für die einzelnen Unternehmungen mit sich, noch für einen bestimmten Handelsplatz. Demnach müssen andere Faktoren den Aufstieg der Handelsplätze New York, Le Havre und Hamburg bedingt haben. Hier konnte die Analyse der Organisation der Hamburger Kaffeegroßhändler exemplarisch zeigen, dass in ihrem Fall insbesondere ein Faktor die erfolgreiche Betätigung bestimmte: der institutionelle Zusammenschluss vor Ort, also die lokale Basis, die eine ideale Voraussetzung für die Hamburger Handelsunternehmen schuf, sich erfolgreich im globalen Handel zu betätigen. Die infrastrukturellen Voraussetzungen Hamburgs für den Kaffeehandel waren nicht übermäßig günstig. Allein die enge sozioökonomische Symbiose von Stadt und Hafen bot im Fall des Hamburger Kaffeegroßhandels die idealen äußeren Rahmenbedingungen. Im Gegensatz zu den anderen Handelszweigen Hamburgs nutzten die ansässigen Kaffeehandelsunternehmen diesen Vorteil zudem besonders effektiv, indem sie sich entschlossen, zu kooperieren und gemeinsam in das Freihafengebiet zu ziehen. Der Hamburger Kaffee-Verein war mehr als ein sozialer Treffpunkt mit Klubleben und gesellschaftlichen Aktivitäten. Die Hamburger integrierten alle ihre ökonomischen Aktivitäten buchstäblich in ein Haus und einen Verein, der die Organisation aller für den Handel benötigter Institutionen vornahm sowie Regeln formulierte und über deren Einhaltung wachte. Hier war der Verein ein realer, auch in der Geschäftspraxis täglich präsenter Ort. Das für den Abschluss zumal großer und weite geografische Distanzen überbrückender Geschäfte notwendige Vertrauen wurde in dem Verein durch die Aufnahme- und Ausschlusskriterien, die Herstellung von Regeln und Normen sowie deren Durchsetzung und die Gewährung der resultierenden Vorteile exklusiv für Vereinsmitglieder, nicht zuletzt aber auch durch die räumliche Nähe und tagtägliche Interaktion der Kaufleute geschaffen und erhalten. Diese kontrollierte Vereinsöffentlichkeit generierte und verstetigte einen Kodex an Verhaltensweisen. So ließ sich das Risiko des erforderlichen Vertrauensvorschusses minimieren und gleichzeitig das
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Verhalten der Einzelnen täglich beobachten. Durch formelle Regeln und informelle Praktiken wurden die potentiellen Konkurrenten im Markt über den Verein nicht unbedingt zu einer homogenen Interessengemeinschaft. Doch führten die Mittel und Maßnahmen zu einem hohen Integrationsgrad, der ausreichte, Rechtssicherheit zu schaffen und Unsicherheiten zu verringern. Damit war eine Kooperative geschaffen, die ihre kollektiven Ressourcen effektiv bündelte, koordinierte und verwaltete und die auch nach außen Vertrauenswürdigkeit vermittelte. Die Bedeutung des Kaffee-Vereins für das globale Agieren der Hamburger Kaffeegroßhändler lag vor allem in der Informationsbeschaffung, in der Bereitstellung von losen sowie asymmetrischen Kontakten und in der Koordinierung der Interessen seiner Mitglieder gegenüber den Reedereien. Aus einer Vereinsmitgliedschaft konnten sich demnach potentielle Wettbewerbsvorteile für die einzelne Unternehmung ergeben. Deren tatsächliche Wahrnehmung lag ganz in den Händen des einzelnen Vereinsmitgliedes. Weiterhin musste ein Kaffeegroßhändler zusätzlich über persönliche Netzwerke im internationalen Handel verfügen, um Fehlurteile und Falschinformationen erkennen zu können. Der rigiden Herstellung der sozialen Integration und ethischer Übereinstimmung der Vereinsmitglieder untereinander standen konzeptionell lockere Organisationsstrukturen für das Agieren der einzelnen Akteure nach außen gegenüber. Hochgradige Kontroll- und Koordinierungsstrukturen bündelten die Ressourcen auf der lokalen Ebene und verringerten die potentiellen Defizite der locker verbundenen unternehmerischen Netzwerke. Mögliche Zwänge und Dysfunktionalitäten, die oft zum Scheitern von unternehmerischen Netzwerken führen können, entstanden durch die Kooperationen nach außen erst gar nicht. Diese ließen genug Raum für die persönlichen Beziehungen und Ziele der einzelnen Unternehmer. Aus den lockeren Kooperationen des Vereins konnten potentiell formelle Netzwerke in Form von Kapitalverflechtungen wie bei den Pflanzungsgesellschaften entstehen. Als relevant erwiesen sich die Kostenvorteile, die durch die engen wie auch durch die losen strategischen Netzwerke, die der Verein knüpfte, möglich waren: Für Schifffahrtsgesellschaften wurde es durch die Kooperation mit dem Kaffee-Verein günstiger, den Kaffee von Brasilien nach Hamburg anstatt nach Le Havre zu verfrachten. Ebenso sorgten die Gründung von Pflanzungs- und Aktiengesellschaften für eine Förderung des Kaffeeanbaus in Lateinamerika, Portfolio- und/oder Direktinvestitionen für eine Verbesserung der Infrastruktur in den Anbauländern. Damit integrierten die Hamburger Händler zum Teil auch die Kaffeekultivierung in ihre Unternehmungen. Die technische Transport- und Kommunikationsrevolution spielte für die Veränderungen des internationalen Handels eine wichtige Rolle. Entscheidend war aber deren spezifische Nutzung und nicht die bloße Existenz von schnellen Dampfschifffahrtsverbindungen oder neuen Technologien wie Telegrafie und später Telefon. Die Art und Weise, wie die Kaffeegroßhändler diese Instrumente einsetzten, veränderte die Handelstechniken und die Möglichkeiten der Akteursgruppen, am internationa-
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len Kaffeegroßhandel zu partizipieren. Informationsvorteile wurden mit der Installierung der Terminbörsen zum entscheidenden Faktor. Um sie zu erreichen und möglichst gewinnbringend einzusetzen, bedurfte es aber eines immensen Kapitalaufwands und zudem einer spezifischen Organisation. Die Terminbörsengeschäfte veränderten den Preisbildungsmechanismus sowohl räumlich als auch zeitlich. Einerseits fand die Ermittlung von Angebot und Nachfrage nun im globalen Maßstab statt, andererseits konnte sich der eben festgestellte Preis aufgrund von Arbitragegeschäften und aktuellen Markteinschätzungen über zukünftige Entwicklungen kurzfristig ändern. Durch Terminhandelsgeschäfte, ergänzt um die Faktoren Lagerhaltung und Weiterverarbeitung des Rohkaffees im Freihafengebiet, erhöhten die Vereinsmitglieder ihre umgesetzten Mengen sowie ihre Gewinnmargen für den deutschen und den nord- sowie osteuropäischen Bedarf erheblich. Mittels der Warenliquidationskasse reduzierte der Verein für seine Mitglieder maßgeblich die Unsicherheiten über die Liquidität ihrer Vertragspartner. Der gewinnträchtige Handel an der Terminbörse wurde für die Vereinsmitglieder monopolisiert, die damit zugleich als ideale Vermittler von Termingeschäften für Dritte auftreten konnten, welche nicht oder nicht allein an effektiver Ware interessiert waren. Zudem ermöglichte die Kombination von Platz-, Liefer- und Termingeschäften, verbunden mit einer größeren Lagerhaltung, den optimalen Ausgleich von Angebots- und Nachfragedifferenzen. Für Geschäftsabschlüsse auf eigene Rechnung bedeutete die Installation des Terminhandels ein Absicherungsinstrument der Händler gegenüber zukünftigen Preisentwicklungen und die Möglichkeit, Geschäfte relativ unabhängig vom jeweiligen Standort von Ware, Verkäufern und Interessenten abzuschließen. Der Terminhandel veränderte dabei nicht nur den globalen Preisbildungsmechanismus, sondern ebenso die lokalen Geschäftspraktiken und die für ökonomisch erfolgreiches Handeln notwendigen Verhaltensweisen. Auch wenn sich grundlegende gesellschaftliche Normen und Werte nur sehr langsam wandeln, sind die Konventionen, die eine soziale Gruppe integrieren, historisch variabel und keine anthropologischen Konstanten.3 Wie das Beispiel der Hamburger Kaffeegroßhändler zeigt, bedurfte es lediglich einer Mehrheit der Beteiligten, damit sich im Verlauf der Zeit die Maßstäbe für inakzeptable und akzeptable Verhaltensweisen verschoben. Systematische Fehlauskünfte über die Einschätzung der Marktlage, eine Praxis, die den Leitlinien des „ehrbaren Kaufmannes“ eindeutig widersprach, wurden, wie die Debatten um den Septembercorner an der Hamburger Kaffeeterminbörse demonstrieren, nun integraler Bestandteil des kaufmännischen Handelns, um mit Gewinn Geschäfte abschließen zu können. Mit diesem Wandel der Konventionen für die Geschäftsausübung wurde, was ehemals als Fehlverhalten galt, nicht mehr unbedingt als sanktionsbedürftig angesehen, ebenso wie mit den alten Normen kon3 Vgl. Siegenthaler (1993), S. 29 f. und S. 35. Zu kognitiven Regelsystemen vgl. S. 42–61.
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formes Agieren nicht unbedingt sozial akzeptiert blieb. Ein Beispiel hierfür ist der Umgang der Vereinsmitglieder mit dem Kaffeehändler Titzck, der sich im Sinne bisheriger Geschäftskonventionen rational und normenkonform verhielt, dessen Handlungen aber nicht mehr konform mit denen der Mehrheit der Marktteilnehmer waren. Dass er sich aus dem Kaffeegroßhandel zurückziehen musste und sogar ökonomisch scheiterte, ist ein Beleg dafür, dass die Bedingungen für unternehmerischen Erfolg oder Misserfolg Teil der Handlungsmacht der Akteure über die Ausgestaltung des Marktes sind. Den Wandel von Konventionen der Geschäftspraxis zu untersuchen, eröffnet damit einen Blick auf die prozessuale Konvergenz von Marktmechanismen und Gestaltungsmöglichkeiten wirtschaftlichen Handelns der Zeitgenossen. Aus der gegenwärtigen Perspektive ist die in den 1880er Jahren zunehmende Kaffeemarktintegration sichtbar in der Konvergenz der Preise. Diese lineare Entwicklung ist aber nur ein Teil der Geschichte der Globalisierung. Erst die Verletzung von kulturellen Konventionen und der Bruch mit bisherigen Verhaltensweisen ermöglichte die globale Integration des Marktes. Für die Hamburger Kaffeegroßkaufleute generierte die lokale Basis das benötigte Vertrauen und Wissen, sie senkte die Transferkosten für Güter, Kapital und Nachrichten und ermöglichte die erforderliche Installation eines globalen Informationsnetzwerkes. Wer Großhandelskaufmann in Frankfurt oder Berlin war, der hatte dadurch zugleich schlechtere Chancen, sich gewinnbringend am globalen Kaffeehandel zu beteiligen. Trotz des neuen Direkthandelssystems und Innovationen wie Dampfschiffen, Telegrafie und Telefon sowie den Dienstleitungsangeboten von Reedereien, Eisenbahngesellschaften und Nachrichtenagenturen egalisierten sich die Partizipations- und damit Gewinnchancen am globalen Geschäft nicht. Damit nivellierten die neuen Kommunikationstechnologien auch keinesfalls die Verwertungschancen von Informationen. Sie schufen vielmehr neue Vorteile nur für diejenigen, die ausreichenden Zugang zu ihnen besaßen bzw. die ihn sich durch institutionalisierte Kooperation verschafften. Wirtschaftliche Vorteile mittels der sozialen Inklusion einer Minderheit bedingten zugleich ökonomische Nachteile für die Mehrheit. Diese Entwicklungen auf dem deutschen Kaffeemarkt und die Hamburger Organisationsstruktur des globalen Kaffeehandels zeigen durchaus Ähnlichkeiten mit denen der Handelsplätze Le Havre und New York. Auch hier koordinierten sich die lokal präsenten Akteure, um im globalen Geschäft Wettbewerbsvorteile zu erlangen. Ebenso spezialisierten sich die Unternehmen auf Rohkaffeehandel, wenngleich nicht im selben Ausmaß wie die Hamburger Vereinsmitglieder. Zu Le Havre liegen bisher keine Studien vor. Aus den für diese Arbeit gesichteten Quellen lässt sich schließen, dass es auch hier zu einem Zusammenschluss von Großhändlern, die sich aber nicht wie die Hamburger Großhändler allein auf Kaffee spezialisiert hatten, in einem Verein gekommen ist. Die Vereinsmitglieder teilten sich ebenso Lagerräume wie die
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Hamburger und organisierten die Terminbörse.4 Auch in New York organisierten sich Kaufleute mit einem Schwerpunkt im Kaffeegroßhandel und gründeten als weltweit erste im Jahr 1881 eine Kaffeeterminbörse, die gleichzeitig mit derjenigen in Le Havre 1882 ihre Geschäfte aufnahm. Der New Yorker Kaffeegroßhandel wurde übrigens zwischen 1880 und 1914 von deutschen Akteuren dominiert.5 Es war, wie die Quellen zeigen, insgesamt ein recht überschaubarer Kreis von Großhändlern, ansässig in New York, Le Havre und Hamburg, die zwischen 1880 und 1914 das globale Kaffeegeschäft abwickelten und zugleich die dafür benötigte Organisation wie ihre eigenen Institutionen in ihrem Sinne ausgestalteten. Sie fokussierten sich schon in den 1860er Jahren auf Lateinamerika als Anbaugebiet, konzentrierten sich alle bis in die 1890er Jahre fast ausschließlich auf den internationalen Rohkaffeehandel und schufen hierfür an diesen drei Orten die notwendigen Institutionen und Organisationsstrukturen. Londoner und Amsterdamer Kaufleute bemühten sich relativ spät und zunächst nur vereinzelt um den Ausbau ihrer Importgeschäfte aus Lateinamerika. Ebenso spezialisierten sich an beiden Orten die Kaufleute nicht auf Rohkaffeegeschäfte und konsequenterweise kam dort auch keine um den Rohkaffeehandel organisierte soziale Integration zustande. Als Finanzzentrum des internationalen Handels hatten Londoner Merchant Banker aber eine wichtige Funktion auch im globalen Kaffeehandel.6 Durch die Art und Weise, wie die Hamburger Großhändler die neuen Mechanismen im globalen Kaffeehandel auf der lokalen Ebene zu ihren Gunsten ausgestalteten, verschob sich das Machtverhältnis in der Wertschöpfungskette: Es profitierten vor allem die Hamburger Import- und Reexporthändler im Gegensatz zu den Binnengroßhändlern. Im Fall des Kaffeeterminhandels bildeten diese veränderten Marktbedingungen den Konfliktgegenstand, der im Rahmen der Börsenreform verhandelt wurde. Er spaltete die deutsche Kaffeegroßhandelsbranche in verschiedene Interessengruppen mit unterschiedlichen Ansprüchen an die Wirtschaftspolitik. Nicht eine Auseinandersetzung zwischen Landwirtschaft, Industrie und Handel, sondern der scharfe Wettbewerb innerhalb des Kaffeegroßhandels prägte hier die Konfliktlinien. In diesem Disput setzten sich die Vertreter des global orientierten Zwischenhandels gegenüber einem am Binnenmarkt orientierten Groß- und Detailhandel durch: Während die Hamburger Kaufmannschaft den Terminwarenhandel prinzipiell befürwortete, plädierten vor allem die nichthanseatischen Großhändler für eine gesetzliche Einschränkung dieser Geschäftsform, die sie als diskriminierend 4 Vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 1–3; Schmidt (1910); ders. (1912); Wiedenfeld (1898). 5 Beispielsweise war der unumstrittene und zugleich von vielen gefürchtete Protagonist an der New Yorker Kaffeebörse der aus Hamburg stammende Hermann Sielcken. Zu New York vgl. Pendergast (2001). Die Rolle der einzelnen Handelsplätze und der hier beteiligten Personen schildert jedoch Ukers (1922) ausgewogener. 6 Vgl. Michie (2000).
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empfanden. Die Gegner des Terminhandels griffen das „Spekulantentum“ scharf an, doch die Hamburger Kaufleute konnten diese Angriffe geschickt abwehren, indem sie rhetorisch die Figur des „ehrlichen Spekulanten“ ins Spiel brachten. Vor allem aber angesichts der Tatsache, dass der Terminhandel international schon eine wichtige Rolle spielte, erschien die Möglichkeit einer „Selbstbeschränkung“ der Akteure ebenso wie nationalpolitische Regulierungsmaßnahmen für den globalen Rohkaffeehandel allen Kontrahenten als Utopie. Das Börsengesetz entsprach somit, mit Ausnahme des Verbots des Terminhandels bei einzelnen Waren, in seinen Bestimmungen einer liberalen Wirtschaftspolitik. Die Diskussionen über die Terminbörsen und die daran anschließende Börsengesetzgebung im deutschen Kaiserreich waren daher nicht nur ein Schritt im Prozess der Konsolidierung nationalstaatlicher Gesetzgebung. Sie stellten eine grundsätzliche Auseinandersetzung um die Fragen nach den nationalstaatlichen Möglichkeiten der Regulierung des globalen Handels dar.7 Die Einführung von (einigen wenigen) staatlichen Regulierungen war sicherlich nicht im Sinne der Befürworter des Warenterminhandels, doch wirkte sie sich nicht nachteilig auf den Kaffeeterminhandel aus.8 Das neue Gesetz behinderte die Geschäftspraktiken an der Kaffeeterminbörse keinesfalls. Vielmehr reüssierte der Hamburger Handelsplatz bis zum Ersten Weltkrieg in einem bisher unbekannten Ausmaß bei seinen Termin- wie Effektivabschlüssen. Hingegen wurde der Binnenhandel weitgehend abhängig von den Hamburger Kaffeegroßhändlern und von den in Hamburg angebotenen Qualitäten und Preisen. Die zunehmende Dominanz der zwei Sorten Santos- und Riokaffee reduzierte im deutschen Kleinhandel die Gewinnmargen und führte zu Absatzschwierigkeiten, denn die Brasilkaffees entsprachen nicht dem Geschmack des durchschnittlichen deutschen Konsumenten. Damit befand sich der Großhandel in einer Situation, in der sich der Verkauf der grünen Bohnen an den Endkunden kaum rentierte. Der Abhängigkeit vom Hamburger Kaffeegroßhandel und den Versuchen, die Ware im globalen Handel zu standardisieren, begegneten Binnengroß- und Einzelhändler mit der Einführung einer neuen Gewinnstufe in die Wertschöpfungskette: Sie integrierten 7 Ähnliche nationalstaatliche Debatten über die Regulierung von Termingeschäften hat es auch in den USA gegeben, doch ist die Auseinandersetzung aufgrund einer anderen Wirtschaftskultur und eines anderen Verständnisses der Rolle des Staates als Regulierungsmacht nicht mit solcher Vehemenz geführt worden. Zu den unterschiedlichen Organisationen der Terminbörsen am Ende des 19. Jahrhunderts sowie zu den verschiedenen Börsengesetzgebungen vgl. Borchardt (1999), S. 18, S. 22 ff. Zu London und New York vgl. Michie (1987). 8 Zwar gab es in zwei Berichten der Hamburger Handelskammer 1896 und 1901 „öffentliche“ Klagen über das Börsengesetz und seine Auswirkungen, doch intern galt das Börsengesetz, wie aus einer Vielzahl von Bemerkungen auf den Vorstandssitzungen des KaffeeVereins hervorgeht, zwar als unbequem, aber als für die Geschäftspraxis irrelevant; vgl. StAHH, Bestand 612-5/8, Signatur 3.
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das Verlesen, Mischen und vor allem das maschinelle Rösten in ihre Unternehmen. Aus dem Rohstoff und der Handelsware Kaffee wurde ein konsumfertiges Produkt, beispielsweise durch die Mischungen von gerösteten und gemahlenen Kaffeebohnen verschiedener Herkunft und durch die von spezialisierten Unternehmen geleisteten Veredlungsprozesse und Dienstleistungen. Aus handelnden wurden so produzierende Unternehmen. Die vormaligen Zwischengroßhändler begannen als Großröster den gerösteten und verpackten Kaffee entweder in eigenen Verkaufsstellen zu vertreiben oder Kleinhändlern direkt zu verkaufen. Auch der Kleinhandel integrierte die Röstung, um den Verdrängungsversuchen seiner Mitbewerber im Kaffeehandel zu begegnen. Die Übernahme der langwierigen und komplexen Arbeit des Röstens durch mechanisierte und rationalisierte Verfahren sparte den Konsumenten Zeit und brachte den Unternehmen eine neue Gewinnstufe. Neben dem Kauf des unverarbeiteten Rohstoffs konnten die Verbraucher ab den 1890er Jahren zunehmend zwischen verschiedenen Kaffeeprodukten wählen. Für das globale Kaffeegeschäft strebten die Hamburger Großhändler eine Homogenisierung des Rohstoffs an. Erste Schritte in diese Richtung stellten Kategorisierungen der Bohnen dar, die vor allem im Zusammenhang mit dem Lieferungsgeschäft und der Einführung des Terminhandels von Bedeutung waren. Neben den unterschiedlichen geschmacklichen Präferenzen der Konsumenten können gerade die Standardisierungsversuche im globalen Handel und die zunehmende Konzentration auf die Brasilkaffees als Auslöser für die systematische Integration des Röstens in die Wertschöpfungskette gesehen werden. Damit führten Strategien, das Rohprodukt im internationalen Handel zu standardisieren, zu gegenteiligen Strategien im Binnenhandel. Der Boom der Kaffeebranche im Kaiserreich ist nicht ohne die vertikale Integration der verschiedenen Handels- und Verarbeitungsstufen zu erklären. Die großgewerbliche Kaffeeröstung gehörte in den drei Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg zu den am stärksten expandierenden Branchen der Nahrungsmittelindustrie. Dieser Wachstumsprozess lässt sich vor allem auf zwei Faktoren zurückführen: Zum einen handelte es sich bei der Kaffeeveredelung um ein äußerst lukratives Geschäft, da infolge technischer Neuerungen erhebliche Qualitätssteigerungen möglich waren. Zugleich konnten durch die Verarbeitung großer Mengen und die Mischung verschiedener Sorten die starken Preisschwankungen auf den Rohstoffmärkten ausgeglichen werden. Die Mehrheit der Kaffee verarbeitenden Unternehmen produzierte für einen regionalen Abnehmerkreis, auf deren Vorlieben sie sich damit genau einstellen konnten. Eigentlich hätten die vereinheitlichten Veredlungsprozesse auch zu einer Homogenisierung des Produkts durch Standardisierungen führen können. Doch diese betraf lediglich die maschinellen Bearbeitungsschritte und die Techniken der Veredlung – nicht den Kaffee selbst. Bis zu hundert Röstkaffeesorten in unterschiedlichsten Qualitäten, Geschmacks- und Preislagen, zahlreiche Zugaben und Kaffeegebrauchsartikel ließen aus dem einzelnen Produkt eine ganze Kaffeewarenwelt in den Kaffee-
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spezialgeschäften entstehen. Dabei differenzierte sich nicht nur die Angebotspalette, sondern auch die Verkaufsstrategien. Vertriebsinnovationen wie die Versendung von Mischungen und die Entwicklung der auf die Verarbeitung und den Verkauf von Kaffee spezialisierten Massenfilialisten sind hierfür eindrückliche Beispiele. Neben der Zusammenführung von Großhandel und Veredlung zielten die Bemühungen der Kaffeeunternehmen auf einen Ausbau des Einzelhandels. An Unternehmen wie Hanssen & Studt, Kaiser’s Kaffeegeschäft, Darboven oder Tengelmann lässt sich demonstrieren, wie die vertikale Integration innerhalb weniger Jahre zugleich den Einzelhandel revolutionierte. Die Entstehung des modernen Massenfilialgeschäfts wurde in Deutschland maßgeblich durch den Kaffeeverkauf geprägt. Die Skaleneffekte des Filialhandels führten nicht nur zu Kosteneinsparungen, sondern auch zu neuen Formen des Verkaufs und der Kundenbindung. So wurden in den Verkaufsräumen zum Beispiel Kaffeestuben eingerichtet und durch Rabattmarken und Zugabenartikel der Verkauf angeregt. Das im globalen Kaffeegeschäft homogenisierte Handelsgut Rohkaffee durchlief im nationalen Marktgeschehen durch die zunehmende Verwendung von Marketingtechniken einen Differenzierungsprozess. Am Ende des 19. Jahrhunderts drängten immer mehr Firmen auf den deutschen Markt und versuchten, mit ihren spezifischen Röstungen und Mischungen die Gunst der Kunden zu erobern. Diesen Entwicklungen begegnete die deutsche Kaffeeverarbeitungsindustrie, indem sie über standardisierte Verpackung, Plakate, Sammelbilder und Anzeigen die Konsumenten ansprach. Nicht nur mit der Herstellung unterschiedlicher Röstungen und Mischungen, sondern auch über die Bildung von Firmen-, Wort- und Produktzeichen versuchten die Kaffee verarbeitenden Firmen, sich und ihre Produkte von nationalen Mitbewerbern abzugrenzen und Vertrauen in ihre Produkt aufzubauen, wo dieses nicht mehr durch die persönliche Beziehung zwischen Händler und Konsumenten entstehen konnte. So zielte die Kaffee verarbeitende Branche über ihre Vertriebs- und Verkaufsstrategien darauf ab, ganz unterschiedliche Konsumwünsche sowie soziale Bedürfnisse anzusprechen bzw. sie auch erst entstehen zu lassen. Hierfür verwendeten die Unternehmen in ihren Werbebildern ein vielfältiges Bildrepertoire, um auf verschiedene Konsumentenpräferenzen zu reagieren. Kaffee wurde keinesfalls lediglich als exotische Kolonialware beworben, sondern in einen direkten Zusammenhang mit der deutschen und regionalen Identität oder sozioökonomischen Herkunft der Konsumenten gestellt. Die Unternehmen setzten auf konsumentenbezogene Werbekonzepte, die nicht zuletzt unterschiedliche Gruppenidentitäten anzusprechen versuchten. Die Struktur der Branche, die Beschaffenheit des herzustellenden Zielproduktes und die differenzierten Konsumentenpräferenzen, denen die Branche zu entsprechen versuchte, begründeten eine große Vielfalt der verwendeten Warenzeichenmotive und Handelsmarkenlogos. Weder in Hinblick auf ihren Entstehungszeitpunkt, ihre Organisations- und Distributionsformen oder auf ihre Marketingstrategien war die deutsche Röstkaf-
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fee produzierende Branche ein singuläres, spezifisches oder partikulares Phänomen. Zeitgleich integrierten Kaffeehändler in den USA und, wenn auch in einem weitaus geringeren Ausmaß, ebenso in Großbritannien und den anderen mitteleuropäischen Ländern das Rösten von Kaffee in ihr Geschäftsfeld. Katalysierende Faktoren waren ebenso die Dominanz der Brasilkaffees und die Nachfrage der Verbraucher nach konsumfertigen Produkten. Was den Zeitpunkt anbelangt, hier insbesondere die technische Entwicklung von Röstmaschinen, scheinen deutsche Unternehmen neben US-amerikanischen eine Pionierfunktion eingenommen zu haben.9 Soweit sich das aufgrund der recht dünnen Literaturlage sagen lässt, ist jedoch ein Unterschied feststellbar. Allein in Deutschland waren die den Markt dominierenden Unternehmen in so hohem Maße auf den Absatz von Röstkaffee spezialisiert und vertrieben ihn über den hochgradig standardisierten Massenfilialhandel. Die Kaffeespezialgeschäfte im deutschen Markt hatten daher durchaus eine herausragende Position, wobei die Vertriebsform selbst ein ab den 1860er Jahren entstehendes und sich schnell verbreitendes Phänomen auch in den nordamerikanischen und anderen europäischen Ländern war. Kaffee ist ein besonderes Verbrauchsgut. Auch wenn ihm kein physiologischer Nährwert zugesprochen und er immer wieder mit Luxus in Verbindung gebracht wurde und wird, handelt es sich doch um weit mehr als nur ein Genussmittel für die Oberschichten. Um 1900 hatte das Getränk den Status eines alltäglichen Konsumgutes, das in allen sozialen Schichten und Regionen Deutschlands verbreitet war. Die Gründe für den Anstieg des Kaffeekonsums im langen 19. Jahrhundert lagen weniger in der Preis- oder Einkommensentwicklung. Wie die exemplarische Diskussion von dominierenden und zugleich konträren Konsummustern zeigte, war vielmehr der immaterielle Wert entscheidend, den die Haushalte mit dem Konsum von Kaffee verbanden. Im Bürgertum prägte und repräsentierte der Kaffeekonsum eine spezifisch bürgerliche Lebensweise und Alltagskultur, die vom häuslichen Kaffeekränzchen bis zum Besuch im Kaffeehaus reichte. Diese repräsentative Funktion war in den Konsumpraktiken der Industriearbeiter kaum gegeben, für sie war Kaffee ein integrativer Bestandteil der alltäglichen Nahrung. Der Kaffeekonsum setzte sich nicht zuletzt durch die Einbindung in den industriellen Arbeitsalltag durch. Während das Bürgertum das Getränk als Distinktion markierendes Genussmittel selbstverständlich unverdünnt trank, ersetzte bei der Masse der Land- und Industriearbeiter eine Tasse Kaffee, gestreckt mit Ersatzkaffee und ergänzt mit Milch, Graupen oder Schnaps eine warme Mahlzeit. Der Kaffee wurde dabei als Notwendigkeit und nicht als eine den Speiseplan bereichernde Extravaganz begriffen, allerdings drückte sich darin teilweise durchaus ein Bemühen um eine möglichst selbstbestimmte Wahl der Ernährungs9 Vgl. die Ausführungen zum Einzelhandel und die Liste der Patentanmeldungen bei Ukers (1922).
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weise aus. Interessanterweise konvergierten beim Konsumgut Kaffee die Interessen von Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden. Nicht nur Unternehmen, sondern auch die bürgerliche Wohlfahrtspflege förderte den Kaffeekonsum als Ersatz für Alkohol energisch. In den Unternehmen und ihren Kantinen wurde zum Teil kostenlos und/ oder stark subventioniert Bohnenkaffee ausgeschenkt. Zugleich etablierte er sich als Teil der Kost in Krankenhäusern und Gefängnissen. Im Hinblick auf die Konsumorte im öffentlichen Raum setzten sich allerdings die karitativen und kommunalen Volksküchen kaum durch, während die stärker auf individuelle Bedürfnisse zugeschnittenen kommerziellen Kaffeeklappen und Cafés weitaus erfolgreicher waren. Insgesamt war Kaffee Teil der Kommerzialisierung des öffentlichen Raums und reichte vom schnellen Schluck am Kaffeewagen auf der Straße über das Familienereignis im Park, wo man sich an besonderen Stellen aus mitgebrachtem Pulver den Kaffee zubereiten lassen konnte, bis hin zu Cafés Chantants, die neben Kaffee und Speisen auch Bühnenprogramme boten. Die mit der Trickle-down-Theorie verbundene Annahme, Distinktion sei der Katalysator für die differentielle Verbreitung des Getränks gewesen, ließ vermuten, dass damit auch eine Vereinheitlichung der Konsumpraktiken einherging. Die dem Konsumgut zugeschriebenen Produkt- und Kontextbedeutungen wiesen tatsächlich gewisse wiederkehrende Elemente auf. Identische Bestandteile verschiedener Konsummuster waren die dem Konsumgut zugesprochene stimulierende Wirkung, der psychologische Wert als Gebrauchsgut und die soziale Bedeutung seines Konsums. Die symbolische Bedeutung und damit der Stellenwert des Getränks bzw. seiner elaborierten Konsumformen als Distinktionsmittel blieben jedoch allein dem bürgerlichen Konsummuster vorbehalten. Der Konsum des gleichen Produktes hob keineswegs die Unterschiede in den Konsumpraktiken und -kontexten auf. Vielmehr unterschieden sich die Art und Weise des Konsumierens und die Zusammensetzung dessen, was als „Kaffee“ getrunken wurde, massiv. Auch wenn die tatsächliche Höhe des differentiellen Verbrauchs mit dem hier verfolgten Ansatz – und aufgrund der vorhandenen Daten vermutlich überhaupt – nicht abschließend geklärt werden kann, erweitert dieser unsere Perspektive auf die Konsumgesellschaft des Kaiserreichs um diejenige der Konsumenten. Die Untersuchung der jeweiligen Bedürfnisse, die Konsumenten mit dem Getränk befriedigten, zeigte auf, dass die Popularisierung des Konsumguts sich vor allem durch seine Eingliederungsfähigkeit in höchst ungleiche Konsumpraktiken erklären lässt. Es sind erstens die Rationalitäten, die die Konsumenten dem Produkt und seinem Konsum zuschrieben, die die Nachfrage stimulierten. Dass Kaffee gerade als Massenkonsumgut mit verschiedenen Bedeutungen aufgeladen werden konnte, begründete sich zweitens auch durch die vielfältigen Konsumkontexte. Berücksichtigt man deren Stellenwert für die Konsumenten, so kommt einfachen Adaptionstheorien und ihrem maßgeblichen Katalysator, der Distinktion, keine übergeordnete Rolle bei der Verbreitung des Getränkes zu. Mit der Zunahme des Kaffeetrinkens kommerzialisierten sich die
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Konsumkontexte. Dieser Prozess sollte aber nicht mit einer Angleichung der konsumtiven Praktiken verwechselt werden. Daher geht mit der Popularisierung des Kaffeekonsums auch nicht eine Homogenisierung einher, sondern eine Eingliederung des Getränks in höchst unterschiedliche konsumtive Praktiken. Dies bestätigt neuere Ansätze wie die Thing-Theorie oder den Ansatz, Produkte als Medien zu begreifen, und widerlegt die Annahme einer Homogenisierung des Konsums bei der geografischen Verbreitung globaler Handelsgüter. Dabei kann der zunehmende Kaffeekonsum durchaus als exemplarische Durchsetzung von global verbreiteten Konsumbedürfnissen interpretiert werden. Quantitativ konsumierten die deutschen Konsumenten gut ein Drittel des weltweit gehandelten Rohkaffees. Es wäre aber verkürzt, den Beitrag der Konsumenten an Globalisierungsprozessen nur in ihrer quasi mechanischen Nachfrage zu sehen. Die Ergebnisse dieser Arbeit zeigen, dass diese Nachfrage Resultat von quantitativ und qualitativ, im privaten wie im öffentlichen Raum entwickelten vielfältigen Konsumpraktiken und entsprechenden Bedürfnissen war. Die differenziellen Konsummuster pluralisierten die kommerziellen Strategien der Unternehmen und beeinflussten so die lokalen und nationalen Vertriebsweisen ihrer Produkte. Das Konsumentenhandeln zeichnete sich durch partikulare und zum Teil allein lokal relevante Verhaltensweisen innerhalb jeweils sozial begrenzter Handlungskontexte aus. Als solches war es Teil des globalen Kaffeemarktes. Schon die Erfahrungen der Gründerkrise hatten den Zeitgenossen die internationale Abhängigkeit, die aus Direkt- und Portfolioinvestitionen sowie der Organisation des internationalen Handels resultierte, bewusst gemacht. Wirtschaftskrisen oder der Bankrott eines lateinamerikanischen Staates waren damit nicht mehr nur bedauernswerte Vorfälle in der Ferne. Sie konnten potentiell zu ökonomischen Konsequenzen für die eigene Unternehmung führen, die ganze Branche beeinträchtigen und aufgrund von internationalen Preisentwicklungen gesamtgesellschaftliche Diskussionen hervorrufen. Genau diese Abhängigkeit hatte die Zeitgenossen schon 1873 über nationale Regulierungsmöglichkeiten bis hin zum weitestgehenden Rückzug aus internationalen Kapital- und Handelsgeschäften nachdenken lassen. Die sinkenden Preise als Folge eines Überangebotes an Rohkaffee ab Mitte der 1890er Jahre brachte die Kaffeeanbauländer in einen permanenten Krisenzustand: Die Pflanzer bekamen für ihre Erträge immer weniger Geld und dadurch erhielten die Anbauländer immer weniger Steuereinnahmen und Zollerträge. Dies bedeutete aber auch für die europäischen und nordamerikanischen Investoren, dass Kredite nicht getilgt werden konnten. Ebenso reduzierten sich die Gewinnmargen für die Großhändler an den Seeplätzen der Konsumländer. Massiver Preisverfall betraf spätestens jetzt nicht nur die Kaffeebauern oder die Staatshaushalte der Anbauländer. Die Integration des Marktes führte zugleich zu einer Interessenkonvergenz von Kaffeebauern, den Regierungen der Anbauländer und den global agierenden Kaffeegroßhändlern sowie Kapitalinvestoren. Dem gegenüber standen die Konsumenten mit ihrem Interesse an niedrigen Endverbraucherpreisen.
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In dieser Situation war es eine Intervention vor allem privater Akteure, die die internationale Verflechtung eher vorantrieb als abschnitt, die zumindest eine momentane Lösung der Krise möglich machte. Das Valorisationsprojekt einiger Großhandelsunternehmen erwies sich als wirksames Mittel, um die Rohkaffeepreise wieder auf das Niveau der 1890er Jahre zu heben. Dieser Regulierung stimmte die Mehrheit der im globalen Handel engagierten Kaufleute zu. Massive Kritik kam aber aus den Reihen des Binnenhandels. Während einzelne Großhändler aus Hamburg und New York mit der Valorisation in die Wertschöpfungskette eingriffen, forderte der Binnenhandel von der Reichsregierung Maßnahmen zur Unterbindung dieser Praxis. Innerhalb dieser Interessendivergenz trat keine der Gruppen aktiv für freien Wettbewerb als ideales Steuerungsinstrument ein. Damit hatten sie aber auch ihr noch in der Börsenreform vertretenes Hauptargument gegen staatliche Regulierungsversuche des nationalen und internationalen Handels verloren. Niemand verurteilte (vorerst) die Valorisation an sich und ihre Bedeutung für die volkswirtschaftliche Situation Brasiliens. Die Mehrheit der Kommentatoren empörte sich aber über deren Konsequenzen für die Konsumenten und die deutsche Volkswirtschaft. In den Kaffeepreisdebatten wurde die sozialpsychologische und folgerichtig auch politische Bedeutung des Konsumguts deutlich. Sie demonstrierte zugleich die globalen Bezüge von Konsum und Konsumgesellschaft. Die Deutung der Ursachen für die Preisteuerung wurde innerhalb weniger Jahre aber immer wieder neu gefasst, bis letztlich die weltwirtschaftliche Einbindung des Kaiserreichs als Grund für das Problem identifiziert wurde. Angesichts dieser Einbindung und der postulierten Logiken, Auswirkungen und Zwänge nationaler Wirtschaftspolitik führte gerade die Vielzahl denkbarer Handlungs- und Verhaltensoptionen dazu, dass nur diese Variablen selbst diskutiert wurden. Es ging nicht mehr um die Kaffeepreisteuerung, sondern um die Auswirkungen, die sich aus der Weltmarktintegration ergaben, und die Frage, wie man ihnen begegnen könne. Alle vorgeschlagenen Lösungsstrategien bewerteten die Ursachen der Preisteuerung und damit auch die Optionen zu ihrer Umkehrung außerhalb der innenpolitischen Zuständigkeit der Parteien und ihrer Abgeordneten. In diesem Sinne wurden Globalisierungsprozesse und ihre Auswirkungen zum „Hauptproblem“ erklärt. Doch aus dieser argumentativen Verschiebung ergab sich keine Handlungsoption für die Reichsregierung, um in die Preisentwicklung einzugreifen. Gegenüber den unterschiedlichen Forderungen der Parteien reagierte sie abwartend, da keine ausreichende Stimmenmehrheit zur Senkung des Kaffeezolls vorhanden war und ein machtpolitisches Wort gegenüber Brasilien sowie der Valorisationspolitik überhaupt nicht der bisher vertretenen handelspolitischen Linie und erst recht nicht der deutschen Position gegenüber Brasilien entsprach. Zudem galt der Versuch des Kaffeeanbaus in den deutschen Kolonien den meisten inzwischen als gescheitert, zumindest konnten dadurch die brasilianischen Lieferungen nicht kompensiert werden. So standen sich die auch von Regierungsseite aktiv betriebene Proklamation der Bedeutung von Kaffee als Volksnahrungs- und Disziplinierungsmittel und eine zur
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Verteuerung des Konsumguts beitragende Steuer- und Zollpolitik diametral gegenüber. Eine Konsumentenpolitik, die die Beteiligung einer breiten Masse am Konsum mittels entsprechender zoll- und steuerpolitischen Maßnahmen zum Ziel gehabt hätte, lässt sich nicht aufzeigen. Vielmehr führte die Debatte über negative Effekte der weltwirtschaftlichen Zusammenhänge sowie über mögliche politische Antworten dazu, dass die Berücksichtigung von Konsumenteninteressen in den Hintergrund trat. So wurde zwar das Debattieren über Konsumpolitik zum Bestandteil der öffentlichen Auseinandersetzung. Konsumfördernde Maßnahmen folgten jedoch nicht. Im Hinblick auf die mögliche integrative Funktion einer konsumpolitischen Neuausrichtung erweist sich die tatsächliche Kaffeepolitik des Kaiserreichs als eine verpasste Reformchance. Das Ergebnis der Finanzreform von 1909 entsprach wie das des Valorisationsprojekts den Interessen einzelner Akteursgruppen. Sowohl die Stabilisierung der Rohkaffeepreise im internationalen Groß- und Terminhandel als auch die Mehreinnahmen für das Reich hatten eine Preissteigerung zur Konsequenz. So nahmen die jeweils involvierten Akteure die möglichen Auswirkungen auf den Kaffeeverbrauch in Kauf. Beide Verhaltensweisen, die der deutschen Regierung in der Reichsfinanzreform und die der involvierten deutschen Banken und Großhändler im Valorisationsprojekt, folgten ihren jeweiligen Rationalitäten. Insbesondere der hieraus resultierende Konflikt und dessen Konfliktlinien zeigen die Schwäche des Ansatzes, die nationale Herkunft der Akteure gleichzusetzen mit ihren Interessen und diese denjenigen anderer Nationalstaaten gegenüberzustellen. Die wirtschaftspolitische Positionierung von Kaffeepflanzern, Regierungen in Brasilien, Hamburger Kaffeegroßhändlern und Banken wie von Binnengroß- und Einzelhändlern und der Kaffee verarbeitenden Industrie war wesentlich durch die jeweilige Beziehung zum Wirtschaftsgut motiviert, während die Reichstagsabgeordneten je nach politischer Orientierung die partikularen Interessen einzelner sozialer Gruppierungen oder den Kapitalismus als ganzen im Visier hatten. Die Konsumentenproteste standen in ihrer Ausrichtung ebenso den finanzpolitischen Zielen entgegen, wie die Vorteile des Angebotsmonopols durch das Strukturkrisenkartell wiederum den Interessen der anderen Akteursgruppen zuwiderliefen. Auch deshalb waren die nationalstaatlichen Rohstoffpolitiken schon vor dem Ersten Weltkrieg ein transnationales Politikum, insofern sie sowohl Beziehungen zwischen Staaten betrafen wie diejenigen innerhalb der Nationalstaaten. Die Bedeutung des Handelns und Verhaltens lokaler (sozialer) Akteure für die hier untersuchten Globalisierungsprozesse war unterschiedlich. Es lassen sich direkte und ebenso indirekte Bezüge aufzeigen. Die Ursache für den zunehmenden globalen Austausch von Informationen, Gütern und Kapital lag in den permanenten, aber jeweils anders gearteten Versuchen der Akteure, ihre Einkommenschancen zu verbessern oder ihren Lebensstandard aktiv zu gestalten. Mit ihren gewählten Strategien und Handlungen erhöhten oder reduzierten sie die eigenen Möglichkeiten wie die
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der jeweils anderen, am Produkt und an den damit zu erzielenden Gewinnen zu partizipieren. Letzteres betrifft gleichermaßen staatliches Handeln, Kaufleute, Einzelhändler, Börsenteilnehmer, Konsumenten und weitere an der Wertschöpfungskette partizipierende Branchen. Die gewählten Mittel umfassten zum Beispiel die soziale Integration der Hamburger Kaffeehändler, die Einführung von neuen Handelstechniken und das Valorisationsprojekt. Auf staatlicher Ebene versuchte man über diplomatische Vertretungen, Handelsverträge, Zölle sowie Gesetzgebung die nationalpolitischen Interessen durchzusetzen. Der Binnenhandel agitierte, um seinen Interessen Gehör zu verschaffen, integrierte neue Verarbeitungsstufen und entwickelte neue Vertriebs- und Verkaufsformen. Dies führte zu einer weiteren Gewinnstufe in der globalen Wertschöpfungskette und zur Entstehung einer auf die Veredlung und den Verkauf von Röstkaffee spezialisierten Branche. Ebenso trieb die steigende Nachfrage nach dem Verbrauchsgut die Weltmarktintegration voran. Aus der Konsumentenperspektive war Kaffeekonsum aufgrund seiner Produkt- und Konsumbedeutungen äußerst rational. Die höchst unterschiedliche Integration des Verbrauchsguts in Ernährung und Alltagsgestaltung bedingte die Kommerzialisierung des Konsums und trug zur Herausbildung kommerziell strukturierter Freizeitorte im öffentlichen Raum bei. Resultate dieser Verhaltensweisen waren der stark expandierende Kaffeeanbau, die Steigerung der globalen Handelsumsätze sowie eine stetig wachsende Nachfrage und Pluralisierung der Konsumpraktiken und -orte. Die Handlungen der Akteure führten bis 1890 zu stark steigenden, dann ebenso massiv fallenden und ab 1910 wieder zu rasant steigenden Groß- und Kleinhandelspreisen. Die positiven Folgen der ersten Wachstumsdynamik drehten sich aus der Perspektive der Pflanzer und Exporteure schon in den 1890er Jahren um. Die negativen Konsequenzen stark fallender Kaffeepreise erreichten im Laufe der folgenden Jahre wiederum alle Beteiligten in der Wertschöpfungskette, nur die Konsumenten profitierten. Erst mit den steigenden Preisen im Zuge des Valorisationsprojektes und der Reichsfinanzreform verteuerte sich der Kaffee merklich für die Konsumenten, worauf sie mit Protest und Kaufzurückhaltung reagierten. Themen wie Weltmarktverflechtung, Konsumbesteuerung durch Zölle sowie die Handlungsspielräume und Strategien einzelner Akteursgruppen waren aus der Perspektive der Zeitgenossen voneinander abhängige Faktoren. Die Themen Weltwirtschaft, Nationalwirtschaft und den Verbrauch des „kleinen Mannes“, also die wechselseitige Abhängigkeit von Anbau, Handel und Konsum und die sich daraus ergebenden Probleme, debattierten die Zeitgenossen als Zusammenhang. In der zeitgenössischen Analyse der Ursachen der Probleme wurden diese zunehmend außerhalb der Reichweite nationaler Politik verortet. Damit verlagerten sich die Konfliktlinien und es standen sich konzeptionell Nationalstaat und Weltwirtschaft gegenüber. So ließen sich die Weltwirtschaft und ihre Organisation als externer Faktor begreifen und die Verantwortlichkeit der nationalen Wirtschaftspolitik für das Moderieren von deren Auswirkungen in der eigenen Wirtschaft und Gesellschaft negieren. Auch ohne den
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zusammenfassenden Begriff Globalisierung erhielten Globalisierungsprozesse in der Debatte das Gewicht eines eigenständigen Faktors, dessen Eigenlogiken politisch kaum zu bändigen seien. Das mit dieser Arbeit gewählte Vorgehen, Globalisierungsprozesse anhand der Veränderungen des deutschen Kaffeemarktes zwischen 1870 und 1914 zu untersuchen, ist im Hinblick auf bisherige Studien sowohl zur Geschichte der Globalisierung generell als auch zum deutschen Kaiserreich und seiner Einbindung in die globale Ökonomie ungewöhnlich. Globalisierungsprozesse lassen sich aus deutscher Perspektive gemäß der Literaturlage anhand von Rohstoffen und Halbfertigwaren, die in Deutschland produziert wurden, besonders gut aufzeigen. An einem Untersuchungsgegenstand wie zum Beispiel Getreide hätte sich die politische Auseinandersetzung zwischen Agrariern, Industriellen und Handel um die wirtschaftspolitische Ausrichtung des Kaiserreichs, um Protektionismus und Freihandel besonders scharf konturieren lassen. Aus der Analyse des Kaffeemarktes zu argumentieren zwingt aber beispielsweise dazu, nach Erklärungsmustern für ein Börsengesetz zu suchen, welches jenseits seiner Bestimmungen zum Getreidehandel eine erstaunlich liberale Börsenorganisation vorsah und somit den gerade beim Getreide beobachtbaren protektionistischen Bestrebungen nicht entsprach. Für eine Analyse der Veränderungen globaler Märkte und des zeitgenössischen Umgangs mit diesem Wandel eignet sich eine Betrachtungsweise, die konzeptionell zwischen den ökonomischen Integrationsprozessen und politischen Reaktionsmustern unterscheidet, nicht. Aus der Produktperspektive des Kaffees und seiner Akteure zeigt sich ein Befund, welcher sich nicht mittels der Dichotomie von Freihandel versus Protektionismus, Nationalökonomie versus Weltwirtschaft erklären lässt und daher verlangt, mit einem Blick auf die Mikrostrukturen die soziale Konstruktion des politischen Topos Globalisierung zutage treten zu lassen. Globalisierung als die Verflechtung von (auch gegensätzlichen) Handlungen unterschiedlicher Akteursgruppen zu verstehen, deren Auswirkungen in Aushandlungsprozessen innerhalb einer nationalstaatlich organisierten Gesellschaft interpretiert, bewertet und auch moderiert werden, erweist sich hier als ein lohnender Ansatz. Deutsche Akteure als Gegenstand zu wählen, um Globalisierungsprozesse am Beispiel des Produktes Kaffee zu untersuchen, ist ebenso ungewöhnlich. Bisher ist die Geschichte der globalen Verbreitung der Pflanze und des Getränkes – und dies zu recht – als Teil einer Geschichte von kolonialem Ausgreifen und Ausbeuten erzählt worden. Der von der Politik praktisch und propagandistisch unterstützte Versuch deutscher Pflanzer, in den deutschen Kolonien Kaffee anzubauen, stellt hier nur einen marginalen Teil des Gesamtbilds dar. Auf den zweiten Blick zeigt sich aber, dass deutsche Kaufleute an der ökonomischen Ausbeutung der lateinamerikanischen Anbauländer über Pflanzungsbeteiligungen, Kredite und Lieferungsverträge am Ende des 19. Jahrhunderts und bis zum Ersten Weltkrieg einen gewichtigen Anteil hatten, die Mehrheit des weltweit exportierten Rohkaffees verschifften und einen großen
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Teil handelten. Kaffeeverkauf und -konsum veränderten die lokalen Wirtschaftsweisen ebenso wie den Alltag der Konsumenten. Diese herausgegriffenen Einzelbilder verdeutlichen, dass der deutsche Kaffeemarkt im Kaiserreich und seine Akteure vielleicht sogar ein recht typisches Fallbeispiel für die Integration der deutschen Volkswirtschaft in die globale Ökonomie ist – und für die Bedeutung lokaler Akteure für Globalisierungsprozesse. Bei der Betrachtung von Getreide, Fleisch und anderen in Deutschland produzierten Gütern droht dagegen Globalisierung auf bestimmte Verteilungskonflikte zwischen Interessengruppen innerhalb eines Nationalstaates gegenüber denen in anderen Nationalstaaten reduziert zu werden. Wie die Auseinandersetzungen um das Börsengesetz und die Kaffeepreisdebatten von 1909 bis 1913 beispielhaft zeigen, treten solche Konflikte aber durchaus auch bei Importgütern wie Kaffee auf, wenn der nationale Markt und seine Wirtschaftssubjekte integraler Bestandteil der globalen Ökonomie sind. Sie sind jedoch nur ein Teil des überaus komplexen und mindestens ebenso durch wirtschaftliche Kreativität wie durch Verteilungskämpfe geprägten Geschehens. Kaffee gilt generell als eines der Agrargüter, an denen sich der Prozess der Verflechtung von Märkten ab dem 18. Jahrhundert besonders gut aufzeigen lässt.10 Als Untersuchungsgegenstand, an dem der Prozess der Globalisierung und seine ihn prägenden Strukturen aufgezeigt werden, ist das Produkt aber bisher nicht verwendet worden. Für diese Fragen konzentrierte sich die Argumentation bisher auf Wettbewerbsgüter, die potentiell überall angebaut werden können und zudem Grundnahrungsmittel darstellen.11 Zu diesen Gütern zählt Kaffee eindeutig nicht, weder in Bezug auf den Anbau noch hinsichtlich des Konsums, denn er kann aufgrund der Anforderungen der Pflanze an die klimatischen Bedingungen nur rund um den Äquator angebaut werden und wurde lange Zeit vor allem (aber nicht nur) in Europa und Nordamerika nachgefragt. Es lässt sich hieraus andererseits nicht ableiten, dass sich Globalisierungsprozesse anhand dieses Produktes nicht untersuchen ließen. Gerade weil Rohkaffee schon immer international gehandelt werden musste, um Anbau und Konsum zusammenzubringen, lassen sich an seinem Beispiel deutlich die qualitativen wie quantitativen Veränderungen in der global organisierten Wertschöpfungskette ab dem späten 19. Jahrhunderts aufzeigen. In vielerlei Hinsicht ist die Geschichte des Kaffeemarktes im 20. und 21. Jahrhundert geprägt von den im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entstandenen Strukturen. Kaffee ist bis heute eines der wichtigsten global gehandelten Agrargüter geblieben. Dabei hat sich die vertikale Integration mehrerer Wertschöpfungsstufen in 10 Vgl. William J. Bernstein, A splendid Exchange. How Trade shaped the World, New York 2008, hier S. 243–251.; Mark Pendergrast, Uncommon Grounds. The History of Coffee and how it transformed our World, 2. überarbeit. Aufl., New York 2010, S. XV–2; Pomeranz und Topik (2006), S. 89–93, Topik (2003), S. 21–49. 11 Vgl. O’Rourke und Williamson (2002), S. 26.
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ein Unternehmen im Laufe des 20. Jahrhunderts weitgehend durchgesetzt, kleinere auf die Röstung von Kaffee spezialisierte Einzelhändler sind kaum mehr vorhanden. Zugleich vollzog sich ein Konzentrationsprozess auf wenige Großunternehmen, die den globalen Markt unter sich aufteilen.12 Vertriebs- und Verkaufsinnovationen des 19. Jahrhunderts kennzeichnen auch die heutigen Absatzstrukturen. Neben dem traditionellen Schwerpunkt der Kaffee verarbeitenden Industrie auf dem Verkauf von konsumfertigen Röstkaffeemischungen über den Einzelhandel oder den firmeneigenen Massenfilialbetrieb steigt seit den 1990er Jahren der Absatz von Kaffee für den sofortigen Konsum auf der Straße. Auch dies stellt ein Vertriebskonzept dar, das schon im Kaiserreich reüssierte. Die Praxis des Kaffeetrinkens verbreitete sich im Laufe des 20. Jahrhunderts geografisch in fast allen Regionen der Welt. Im Unterschied zum Beginn des 20. Jahrhunderts wird in den Erzeugerländern heute mehr Kaffee konsumiert als in den Ländern, die Kaffee importieren. Trotz der Standardisierung der Ware und ihrer Vertriebsweisen ist nicht anzunehmen, dass mit diesem Anstieg der weltweiten Nachfrage auch eine Homogenisierung der Konsumpraktiken und -kontexte einherging. Der Verbrauch in Deutschland ist durch die Weltkriege bedingt lange Zeit weitaus geringer gewesen als im Kaiserreich. Erst Mitte der 1960er Jahren stieg der Prokopfkonsum wieder über das schon kurz vor dem Ersten Weltkrieg erreichte Niveau. Kaffee ist heute das liebste Getränk (nicht nur) der Deutschen und Deutschland ist wieder der zweitgrößte Kaffeenachfragemarkt nach den USA. Ebenso wie um 1900 ist Kaffee ein anerkanntes Lebensmittel und stellt im Vergleich mit den Verbrauchsgütern des alltäglichen Bedarfs ein relativ teures Konsumgut dar. Der Endverbraucherpreis ergibt sich dabei weiterhin weniger durch die Exportpreise als durch die Gewinnschöpfung im Handels- und Veredlungsgeschäft sowie, besonders im deutschen Fall, durch die erhobene Verbrauchssteuer. Die stärkste Gewinnschöpfung findet gegenwärtig, ebenso wie um 1900, im internationalen Handels- und Veredlungsgeschäft statt.13 Ebenso unverändert wie zur Zeit des Kaiserreichs ist die koffeinhaltige Bohne wichtigster Devisengarant für viele agrarisch orientierte Erzeugerländer und attraktive Steuereinnahmequelle für viele Konsumländer. Welchen Anteil Terminspekulatio-
12 2009 lagen 46 Prozent des weltweiten Rohkaffeehandels in der Hand von vier Unternehmen und weitere vier Unternehmen dominierten in der Kaffeeverarbeitung, indem sie 37 Prozent des weltweiten Absatzes abwickelten. In Deutschland teilen sich heute sechs Unternehmen 85 Prozent des Marktes. Tchibo ist der viertgrößte Kaffeeröster auf dem Weltmarkt und Marktführer im Röstkaffeesegment in Deutschland, gefolgt von Aldi. Vgl. www.kaffeeverband.de/564.htm (abgerufen am 25.6.2009). 13 Der Deutsche Kaffeeverband gibt als groben Richtwert an, „dass vom Endverbraucherpreis global etwa 25 Prozent an den Pflanzer und 75 Prozent an die Ablader, Händler, Röster, Distributeure sowie den Staat im Konsumlandbereich gehen“. www.kaffeeverband. de/564.htm (abgerufen am 25.6.2009).
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nen an den hohen Endverbraucherpreisen haben, ist weiterhin ebenso umstritten wie die Frage der nationalstaatlichen Regulierung der Institution Terminbörse.14 Eher längeren Perioden des Überangebots mit massiv fallenden Preisen folgten auch bis ins 21. Jahrhundert hinein kürzere Zeiträume, in denen Rohkaffee ein knappes Gut darstellte. Beide Marktsituationen zeichneten sich immer wieder durch heftige Phasen der Terminspekulation aus. Zuletzt verstärkten der Einbruch der Aktienmärkte im Winter 2007/2008 sowie die Immobilienkrise in den USA die ohnehin bereits große globale Nachfrage nach Rohstoffen. Aufgrund des anhaltenden Interesses von Investoren und Fonds kletterten die Kursnotierungen und Exportpreise für Rohkaffee seit dem Frühjahr 2008. Nach dem Internationalen Preisindex erhöhte sich der Rohkaffeepreis in den folgenden drei Jahren um fast 100 Prozent.15 Der Hamburger Hafen ist zwar heute wieder einer der wichtigsten Umschlagplätze für Rohkaffee, doch findet der Spot- und Terminhandel nunmehr fast ausschließlich in Chicago und New York statt. Für die Hamburger Kaffeegroßhändler bedeuteten der Erste und Zweite Weltkrieg demnach entscheidende Zäsuren. Das Strukturkrisenkartell und sein Valorisationsprojekt stellten nur den Auftakt für eine lange Zeit des durch hauptsächlich private Akteure regulierten Kaffeemarktes bis in die 1980er Jahre hinein dar. Transnational agierende Interessenverbände handeln aber auch heute im Auftrag von Produzenten, Exporteuren und Importeuren mit Staaten immer wieder Verträge aus, um die Folgen der Volatilität des Marktes einzugrenzen. Dabei sind noch einige neue Anbauregionen im Laufe des 20. Jahrhunderts zu den schon vor dem Ersten Weltkrieg genutzten hinzugekommen. 47 Länder tragen heute in entscheidendem Ausmaß dazu bei, dass die Höhe der weltweit gehandelten Rohkaffeemengen sich zwischen 1907 und 2007 mehr als verfünffacht hat. Durch diese Entwicklung dominieren die brasilianischen Sorten nicht mehr den Weltmarkt in einem solchen Ausmaß wie um 1900, das Angebot der weltweit gehandelten Provenienzen hat sich vielmehr heterogenisiert.16 Blickt man auf die letzten ca. 130 Jahre der Kaffeemarktentwicklung und die daraus entstandenen sozialen und ökonomischen Strukturen, so tritt, trotz gradueller Unterschiede, eine Einheit der Epoche hervor, die sich klar von denjenigen zuvor unterscheidet. Die hier sichtbare enorme quantitative Wachstumsdynamik und zunehmende geografische Ausdehnung des Geschehens lässt sich zunächst als stetiges Voranschreiten der Globalisierung wahrnehmen. Bei genauerer Betrachtung erweist 14 Vgl. die Debatte in der New York Times vom 9.3.2011 unter http://www.nytimes. com/2011/03/10/science/earth/10coffee.html?_r=1&emc=eta1 (abgerufen am 13.4.2011). 15 Neben Erdöl und Gold hat die Investitionsnachfrage auch Kaffee, Lebensmittel und Biokraftstoffe erfasst. Vgl. International Coffee Organisation (ICO), Indicator Price. Der Monatsdurchschnitt lag im Februar 2007 bei 104,18 US-Cents und im Februar 2008 bei 138,82 US-Cents, im März 2011 bei 224,33 US-Cents pro Kilogramm Rohkaffee. http://www.ico.org/trade_statistics.asp. 16 Vgl. Pendergrast (2010).
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sich die Entwicklung aber als gekennzeichnet durch Neuanfänge, Brüche, spezifische Kulturen und Organisationsformen des Wirtschaftens sowie differente Konsummuster und -orte. Globalisierung wird so erkennbar als ein pluraler und in vielen Aspekten partikularer sozialer Konstruktionsprozess, den lokale (soziale) Akteure durch ihr aufeinander bezogenes Handeln und Verhalten vorantreiben oder abschwächen. Die Kaufleute, Einzelhändler und Konsumenten des Kaffeemarktes im Kaiserreich sind so gesehen ein Fallbeispiel für Wirtschaftssubjekte aus unterschiedlichen Handlungskontexten, die in unzähligen sich teilweise überschneidenden Märkten miteinander agieren. Die Summe dieser Märkte ergibt den globalen Kaffeemarkt, wobei das aufeinander bezogene Handeln der Akteure im Verlauf der Zeit den Prozess strukturiert. Die Relationalität der Handlungen und das Bewusstsein hierüber ist das entscheidende Merkmal der Entwicklungen. Faktisch bedingen sich Volkswirtschaft und Weltwirtschaft. Globalisierung als politischer Topos erlaubt es aber, nationale Wirtschaftspolitik und ihre Ziele auf der einen und die Entwicklung der Weltwirtschaft auf der anderen Seite als zwei unabhängige Variablen wahrzunehmen. Unter dem Eindruck von (negativen) Rückwirkungen der Integration des Gütermarktes begannen die Zeitgenossen, den Staat als regulierendes Gegengewicht zu einer Entwicklung zu begreifen, an der die Gesellschaft und ihre Bürger, die Volkswirtschaft und ihre Akteure als Händler, Investoren, Spekulanten und Konsumenten einen gewichtigen Anteil trugen.
Quellen- und Literaturverzeichnis Im Folgenden wurden nur Archivalien, Graue Literatur, Primär- und Sekundärliteratur aufgenommen, auf die sich in der Arbeit direkt bezogen wurde. Zur besseren zeitlichen Einordnung findet sich eine Angabe über die Laufzeiten von Akten, wenn sie Teil eines mehrere Jahre oder Jahrzehnte umfassenden Bestands sind (auch wenn die Laufzeit nicht Bestandteil der Aktentitel ist). Akten mit dem gleichen Titel werden gemeinsam aufgeführt, wenn sie durchgängig durchgesehen wurden und sich auf sie in dieser Arbeit direkt bezogen worden ist. Die angegebene Laufzeit umfasst in diesem Fall die Akten insgesamt.
Archivalien Archiv und Commerzbibliothek der Handelskammer Hamburg – Protokolle der Handelskammer 1885–1914 – 20.B 14.2 Verein der am Caffeehandel betheiligter Firmen an den Reichskanzler und das Reichsamt des Inneren, vom 25. September 1916 – 20.B.14.2, Gutachten Gütschow, August 1884 – 20 S 2c 1a Zollanschlusskommission
Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin – Abt. IX, Rep. 1, Josef Kaiser
Bibliothek des Johann Jacobs Museum, Zürich – 10. Januar 1880 – 10. Januar 1930 Ferdinand Eichhorn und Carl Heimbs – Chronica der Firma Dampf-Kaffee-Brennerei Wwe N. Jost, Düren 1891 – Institut für wissenschaftliche Hilfsarbeit in Wien, Wissenschaftliche Literatur über die schädliche Wirkung des Kaffees bezw. des Coffeins, 1. Folge, o. O. [Wien] o. J. [1928] – Petite Bibliothèque Industrielle, Le Café, Paris 1886 – Verein der am Caffeehandel betheiligten Firmen in Amsterdam, Reglement und Bedingungen über Ein- und Verkauf von Caffee, Amsterdam 1887. – Zirkulare der Firma C.F. Titzck
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Quellen- und Literaturverzeichnis
Bibliothek des Hamburg Staatsarchivs – Verein der am Kaffeehandel betheiligten Firmen, An die Handelkammer, hier: Betrifft den Bericht der Börsen-Enquete-Kommission (Typoskript), Hamburg 1894 – Verein der am Kaffeehandel betheiligten Firmen, Die Entwicklung des Hamburgischen Kaffeegeschäfts unter dem Einfluß des Terminhandels und des Börsengesetzes vom 22.06.1896 (Typoskript), Hamburg 1900 – Verein der am Kaffeehandel betheiligten Firmen, Die Entwicklung des Hamburgischen Kaffeegeschäfts unter dem Einfluß des Terminhandels und des Börsengesetzes vom 22.06.1896 (Typoskript), Hamburg 1901 – Verein der am Kaffeehandel betheiligten Firmen, Bestimmungen für das Schiedsgericht des Vereins der am Kaffeehandel betheiligten Firmen. Für Kaffeegeschäfte (mit Ausnahme der Termingeschäfte), August 1915 – Marktberichte W. Schöffer, Rotterdam – Markberichte Duuring & Zoon, Amsterdam – Signatur A 910/93, Kapsel 1 Vg. A 914
British Library, London Bestand: Parliamentary Papers, Berichte des Board of Tade – Tea and Coffee 1900. Return to an Order of the Honorable the House of Commons, dated 14.8.1901 – Tea and Coffee 1905. Return to an Order of the Honorable the House of Commons, dated 4.8.1905 – Tea and Coffee 1908. Return to an Order of the Honorable the House of Commons, dated 30. 7.1908 – Tea and Coffee 1910. Return to an Order of the Honorable the House of Commons, dated 13.8.1911 – C.F. Laerne Delden, Report in Coffee Culture in America, Asia and Africa to H. E. the Minister of the Colonies, London 1885
Bundesarchiv, Berlin Bestand R 901: Handelspolitische Abteilung Auswärtiges Amt – 266–283: Die Kaffeeproduktion und der Kaffeehandel, Bd. 1 – Bd. 20, Laufzeit: 1890– 1918 – 5202–5203: Der Waren- usw., Muster-Schutz in Brasilien, Bd. 1 u. 2, Laufzeit: 1889– 1912 – 1199–1202: Die wirtschaftlichen Unternehmungen in Brasilien und Beteiligung deutschen Kapitals an demselben, Bd. 1–4, Laufzeit: 1907–1916 – 1333: Handelsverhältnisse mit Guatemala, Bd. 2, Laufzeit: 1904–1911
Quellen- und Literaturverzeichnis
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– 1554: Die wirtschaftliche Lage Guatemalas, Laufzeit: 1888–1918 – 1555–1559: Finanzwirtschaft Guatemalas, Bd. 1–5, Laufzeit: 1890–1913 – 1560: Die amtlichen Veröffentlichungen Guatemalas über Handel, Schiffahrt und wirtschaftliche Verhältnisse, Laufzeit: 1895–1909 – 1561: Banken und Bankwesen in Guatemala, Laufzeit: 1897–1913 – 1562: wirtschaftliche Unternehmungen in Guatemala und Beteiligung deutschen Kapitals an denselben, Laufzeit: 1907–1913 – 4377–4378: Handelsverhältnisse mit Zanzibar, Laufzeit: 1900–1908 – 4489: Die Handelsverhältnisse mit Guatemala, Bd. 3, Laufzeit: 1911–1919 – 4498: Jahreshandelsberichte des Kaiserlichen Konsulates in Guatemala, Laufzeit: 1907– 1913 – 5188: Die Handelsverhältnisse mit Brasilien, Laufzeit: 1906–1907 – 5190: Die Handelsverhältnisse mit Brasilien, Laufzeit: 1907
Bestand R 1001: Reichskolonialamt – 8001: Landwirtschaft I, Laufzeit: 1896–1915, – 8018: Landwirtschaft I: Kaffee in Deutsch-Ostafrika, Bewertung, Preise, Verkäufe, Laufzeit: 1929–1935 – 8054: Landwirtschaft I: Kaffee in Kamerun, Laufzeit: 1893 – 1912 – 8066: Landwirtschaft I: Kaffee in Togo, Laufzeit: 1894–1898 – 8079: Landwirtschaft I: Kaffee in fremden Ländern, Laufzeit: 1890–1924
Bestand R 8023: Deutsche Kolonialgesellschaft: – 423: Zollbegünstigung kolonialer Produkte, Laufzeit: 1889 – 424: Zollbefreiung bzw. -ermäßigung für deutsche koloniale Produkte und sonstige Zollangelegenheiten, Laufzeit: 1900–1913 – 425: Zölle für die Schutzgebiete. Zollerleichterungen für die Einfuhr deutscher Kolonialprodukte, Laufzeit: 1913–1914 – 435: Kaffeeplantage Sakarre AG, Laufzeit: 1899–1909 – 593–594: Komittee zur Einführung der Erzeugnisse aus den deutschen Kolonien, Kolonialwirtschaftliches Komitee, Bd. 1 u. 2, Laufzeit: 1896–1900 – 595: Kolonialwirtschaftliches Komitee, Bd.1 Generalia, Laufzeit: 1912–1923 – 596: Kolonialwirtschaftliches Komitee, Bd. 2 Spezialia, Laufzeit: 1911–1929
Bestand R 8024: Kolonialwirtschaftliches Komitee – 7: Deutscher Handelstag, Laufzeit: 1907–1918 – 10: Zentralauskunftsstelle für Auswanderer, Laufzeit: 1909–1914 – 87: Bank für landwirtschaftliche und deutsch-koloniale Gründungen, Laufzeit: 1910– 1912
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Bestand R 8034 II: Reichslandbund Pressearchiv – 2613: Bekämpfung der Trunksucht (Abstinenzbewegung), Laufzeit: 1905–1910 – 2715: Grenzzwischenfälle, Schmuggel etc. International, Laufzeit: 1906–1942 – 5226–5227: Zölle im Allgemeinen; Freihandel und Manchesterthum, Laufzeit: 1894– 1898 – 5237: Zollpolitik Deutschland. Zölle Allgemeines, Zolleinnahmen, Zolltechnische Fragen, Ausfuhrzölle, Vereinszollgesetz, Laufzeit: 1909–1910 – 5273: Nahrungs- und Genussmittel, Laufzeit: 1909–1916 – 6358 Kolonialpolitik des Deutschen Reichs, Laufzeit: 1905–1907 – 7122 Cantral & Südamerika Staats und Wirtschaftsleben, Laufzeit: 1894–1901 – 7123: Südamerikanische Staaten, Bd. 2, Laufzeit: 1901–1906
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Landesarchiv Berlin Bestand A Rep. 200–01: Akten der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin – Nr. 47: Der Handel mit Kaffee im Allgemeinen, Laufzeit: 1891–1916
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Staatsarchiv Hamburg Bestand 314-1: Zoll- und Akzisewesen, Handelsstatistik – B VI c, Nr. 12, Bd. 4: Sammelakte Hamburgs Handel und Handelsbeziehungen, Laufzeit: 1891–1897 – B VI c, Nr. 16: Handel- und Handelsbeziehungen in fremden Ländern – B XII, Nr. 45: Verkauf von im Freihafen liegenden Kaffeevorräten der brasilianischen Regierung (Valorisations-Kaffee) – BV d, Nr. 1: Aversum – BV d, Nr. 5: Aversum Consum – Signatur BV d, Nr. 6: Materialsammlung Hoffmanns und Noodts zu den erstatteten Gutachten, Laufzeit: 1867–1880 – BV g, Nr. 25: Verschiedene Waren – B VIII, Nr. 8: Berichte von Angestellten der Deputation über Konsumverhältnisse in ihnen bekannten Orten (Heimatorte usw.) im Vergleich zu Hamburg – B VIII, Nr. 9: Berichte von Angestellten der Deputation über den Verbrauch von Kaffee und Kolonialwaren in Hamburg
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– B VIII, Nr. 13: Preismaterial, Preisermittlung für 44 verschiedene Waren, Laufzeit: 1880– 1913. – B VIII, Nr. 16: Markt und Ladenpreise für die Militärkommission, Zeitungsausschnitte betreffend Lebensmittelpreise, Laufzeit: 1911–1920 – B VIII, Nr. 18: Markt- und Ladenpreise in Altona, Berlin, Bremen, Cöln, Harburg, Lübeck, Paris, Wien, Zürich, Laufzeit: 1865–1878 – B VIII, Nr. 19: Markt und Ladenpreise, Jahresdurchschnittspreise, Laufzeit: 1871–1918. – B VIII, Nr. 23/4: Preisaufgaben an das Statistische Amt der Stadt Berlin, D. Hülsenfrüchte, Reis, Gries, Graupen und Kolonialwaren, Laufzeit: 1916–1920 – B VIII, Nr. 23/5: Großhandelspreise wichtiger Waren, Laufzeit: 1910–1916. – B XII, Nr. 45: Verkauf der im Freihafen lagernden Kaffeevorräte der brasilianischen Regierung (Valorisations-Kaffee), Laufzeit: 1914
Bestand 331-3: Politische Polizei – 1609: Verein der Hamburger Caffee-Effektivhändler e.V.
Bestand 371-8 II: Deputation für Handel, Schiffahrt und Gewerbe II – S XIII A 1.4: Jahresberichte der Handelskammer – S XIX B 2.9: Freundschafts-, Handels- und Schiffahrts-Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und dem Sultan von Zanzibar, Laufzeit: 1882–1900. – S XIX B 7.7, Bd. 2: Schädigungen der deutschen Handelsinteressen im Auslande bzw. Maßnahmen zur Wahrung deutscher Interessen im Auslande – S XIX B 74, Bd. 1: Verschiedenes über deutsche Handelsverhältnisse im Auslande – S XIX C 22.1: Geographische und politische Zustände in Guatemala – S XIX C 22.2, Bd. 3: Allgemeine Handels- und Forschungsberichte aus Guatemala, dessen Handelsbeziehungen zu dem Auslande – S XIX C 22.2.3: Bericht des Kaiserlichen Geschäftsträgers in Guatemala vom 19.v.M. 1900 – S XIX C 30.1: geographische, politische und Verwaltungsfragen, Gesetze etc. des Staates Brasilien, Laufzeit: 1872–1914 – S XIX C 30.2: Handel und Schiffahrtsberichte aus Brasilien, Laufzeit: 1882–1914 – S XIX C 30.5: Die Zollgesetzgebung in Brasilien, Laufzeit: 1869–1913 – S XIX C 5.4 a: Der Kaffeehandel Triests, Laufzeit: 1892–1899 – S XVI A 1.5: Überlassung von Terrain zu verschiedenen Zwecken resp. Speicherbaugrund an Private (Freihafengebiet), Laufzeit: 1886–1889 – S XVII A 1.25.15, Bd. 3: Veredlungsverkehr in gerösteten Kaffee, Laufzeit: 1906 – S XVII A 1.25.50, Bd. 3: Kaffeezoll, Laufzeit: 1909–1913. – S XVII A 2.20, Band 2: Besteuerung der Kaffeeersatzstoffe, Laufzeit: 1909–1910. – S XVII A 25.86: Herstellung eine Kaffee-Extraktpulvers – S XVII B 4.11: Verzollungen von Kaffee in Mengen bis zu 60 kg – S XXI C 24.4: Der deutsche Schiffahrtsverkehr zwischen europäischen und brasilianischen Häfen, Laufzeit: 1901–1904
Quellen- und Literaturverzeichnis
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Bestand 612-5/8: Verein der am Kaffeehandel betheiligten Firmen – 1: Provisorisches Comité für den Bau von Comptoiren und Speichern im Freihafengebiet für die am Cafeehandel betheiligten Firmen, Gründung des Vereins, Planung und Ausführung des Speichergebäudes, Laufzeit: 1884–1886 – 2: Tagesordnungen und Niederschriften von Generalversammlungen, Bd. 1, Laufzeit: 1886–1914 – 3: Niederschriften über Vorstands- und Kommissionssitzungen, Bd. 1–3: 1.–470. Sitzung, Laufzeit: 1886–7/1916. – 4: Mitgliederverzeichnis, Laufzeit: 1887–1963 – 6: Satzungen, Satzungsentwürfe und Drucksachen auch anderer Kaffeevereinigungen, Laufzeit: 1887–1946. – 7: Schiedsgericht, Laufzeit: 1904–1915. – 8: 25-jähriges Jubiläum, Laufzeit: 1911 – 10: Tagesberichte über den Hamburger Kaffeemarkt, Laufzeit: 1888–1914. – 11: Hamburger Caffee-Zeitung, Bd. 1: Berichte der Kommission zur Einführung des Kaffeeterminhandels von C. F. Titzck; Bd. 2–6: Caffeeberichte der Firma J.W. Boutin & Co., Laufzeit: 1888–1892; Bd. 6: Hamburger Kaffeezeitung (Herausgeber J.W. Boutin), Laufzeit: 1892 – 12: Bd. 1–27 Amtliche Notierungen für Börsentermingeschäfte im Hamburger Terminkaffee. 4. Jan. 1897–30. Juni 1910.
Reklamemarkenarchiv des Instituts für Werbewissenschaft und Marktforschung, der Wirtschaftsuniversität Wien – http://www.wu-wien.ac.at/werbung/reklamemarken
Veikkos-Archiv – Veikkos-Archiv (Hg.), Kaffee-Reklamemarken-Katalog (CD)
Vollständig durchgesehene zeitgenössische Periodika An dieser Stelle wurden nur solche Periodika aufgenommen, die vollständig durchgesehen wurden. Amtsgericht Hamburg (Hg.), Verzeichnis der in das Handelsregister und in das Genossenschaftsregister des Amtsgerichts Hamburg eingetragenen Firmen 1 (1905) – 7 (1919). Correspondenz der Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin 1 (1878) – 38 (1915). Department of Commerce and Labor, Bureau of Manufactures (Hg.), Daily consular and trade reports 1 (1880) – 35 (1914).
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Abbildungsnachweis Covermotiv: Bilder 1–4: Bild 5: Bild 6: Bild 7: Bild 8: Bild 9: Bild 10: Bild 11: Bild 12: Bild 13: Bild 14: Bild 15: Bild 16: Bild 17: Bild 18: Bild 19: Bild 20: Bild 21: Bild 22: Bild 23: Bild 24: Bild 25: Bild 26: Bild 27: Bild 28: Bild 29: Bild 30: Bild 31: Bild 32: Bild 33: Bild 34: Bild 35:
Louis Ellinghaus, Düsseldorf, Warenzeichenblatt (1910), S. 1168, Nr. 129917. StAHH, Bestand 612-5/8. Warenzeichenblatt (1910), S. 1171, Nr. 130533. Warenzeichenblatt (1905), S. 1905, Nr. 83374. Warenzeichenblatt (1899), S. 160, Nr. 35878. Warenzeichenblatt (1905), S. 1767, Nr. 82636. Warenzeichenblatt (1910), S. 674, Nr. 127415. Warenzeichenblatt (1910), S. 674, Nr. 127415. Warenzeichenblatt (1905), S. 1766, Nr. 82465. Warenzeichenblatt (1903), S. 547, Nr. 59261. Warenzeichenblatt (1899), S. 249, Nr. 35973. Warenzeichenblatt (1904), S. 679, Nr. 67825. Warenzeichenblatt (1904), S. 265, Nr. 70932. Warenzeichenblatt (1905), S. 1217, Nr. 80565. Warenzeichenblatt (1899), S. 780, Nr. 39234. Warenzeichenblatt (1900), S. 146, Nr. 41719. Warenzeichenblatt (1900), S. 54, Nr. 41538. Warenzeichenblatt (1899), S. 981, Nr. 40621. Warenzeichenblatt (1904), S. 1283, Nr. 73185. Warenzeichenblatt (1911), S. 2640, Nr. 151486. Warenzeichenblatt (1899), S. 630, Nr. 38407. Warenzeichenblattt (1898), S. 50, Nr. 34890. Warenzeichenblatt (1899), S. 781, Nr. 39344. Warenzeichenblatt (1904), S. 2305, Nr. 74994. Warenzeichenblatt (1905), S. 1635, Nr. 82175. Warenzeichenblatt (1903), S. 1453, Nr. 64314. Warenzeichenblatt (1905), S. 1369, Nr. 81180. Warenzeichenblatt (1903), S. 149, Nr. 57912. Warenzeichenblatt (1899), S. 981, Nr. 40586. Joachim Zeller, Das Deutsche Kolonialhaus in der Lützowstraße, in: ders. u. Ulrich von der Heyden (Hg.), Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche, Berlin 2002, S. 81–83, hier S. 88. Deutsches Kolonialhaus, Mittheilungen des Deutschen Kolonialhauses (Bruno Antelmann) über den Stand der Kaffeeplantagen in Ostafrika, in: Deutsches Kolonialblatt 11 (1900) 5, S. 223. Fliegende Blätter vom 13.1.1909, Beiblatt, S. 19. Hanns v. Zobeltitz, Berlin an der Oberspree, in: Velhagen & Klasings Monatshefte 17 (1902/03) 1, S. 81–96, hier S. 85.
Verzeichnis der Grafiken und Tabellen Die Daten, auf denen die Grafiken basieren, sind in Tabellenform aufgeführt und können als Zusatzmaterial von der Internetseite des Böhlau Verlages (www.boehlau-verlag.com) heruntergeladen werden. Sie gelangen dorthin, indem Sie in der Schnellsuche das Stichwort „MikroÖkonomie“ eingeben und dann in der Rubrik „Downloads“ den Link „Bonusmaterial“ anklicken. Hinter jedem der folgenden Grafiktitel findet sich die Nummer der entsprechenden Tabelle. Für Grafiken, die sämtliche verwendeten Daten aufführen, wurden keine separaten Datentabellen angelegt. Grafik 1: Grafik 2: Grafik 3: Grafik 4: Grafik 5: Grafik 6: Grafik 7: Grafik 8: Grafik 9: Grafik 10: Grafik 11: Grafik 12: Grafik 13: Grafik 14: Grafik 15: Grafik 16: Grafik 17: Grafik 18: Grafik 19: Grafik 20: Grafik 21: Grafik 22: Grafik 23: Grafik 24: Grafik 25:
Vorliegende Daten zu exportierten Rohkaffeemengen 1723–1853 (T 17) Exporte nach Regionen 1854–1928 (T 18) Anteile Brasiliens am Weltkaffeeexport 1869–1902 (T 18 u. T 19) Einfuhr an den europäischen Haupthandelsplätzen 1869–1910 (T 20) Herkunft der Kaffeeimporte 1900–1910 (T 21) Importe, Konsum und Reexporte 1903 / 1904 und 1909 (T 22) Idealtypische Handelskette im Kaffeegroßhandel um 1830 und um 1900 Preise an den Terminbörsen im Jahresdurchschnitt Importe zum Konsum 1851–1928 (T 23) Konsum pro Kopf und Jahr 1884–1904 (T 24) Konsum pro Kopf und Jahr 1913 und 1928 (T 25) Verarbeitungsschritte Bohnenkaffee und deren Einflussnahme auf die Röstkaffeequalitäten Entwicklung der weltweiten Kaffeeexporte und -importe sowie Anstieg der Weltvorräte in den Lagerhäusern der Importhäfen 1886–1924 (T 26) Einfuhr, Ausfuhr und Lagerung von Rohkaffee in Hamburg 1843–1912 (T 27) Europäische Importe in das deutsche Zollgebiet (ab 1889) und nach Hamburg (ab 1880) (T 28) Großhandelspreise ( Jahresdurchschnitt) in Hamburg 1850–1914 (T 29) Herkunft der direkten Kaffeeimporte aus den Anbauländern in Hamburg 1870– 1913 (T 30) Idealtypische Darstellung der Geschäftsfelder im Kaffeegroßhandel um 1900 Mitgliedszahlen des Kaffee-Vereins 1887–1919 (T 31) Schiedsgerichtsfälle 1888–1913 (T 32) Anteile der beteiligten Firmen am Kaffeeexport von São Paulo 1903/1904 (T 33) Anteile der Marktplätze an den Kaffeeterminumsätzen 1894–1900 (T 34) Umsätze an der Warenliquidationskasse und Rohkaffeeexporte Brasiliens 1887– 1914 (T 19 u. T 37) Anteile Frankreich und Hamburgs am Kaffeeimport in das deutsche Zollgebiet 1878–1888 (T35) Umsätze der Warenliquidationskasse, brasilianische Rohkaffeeexporte und Importe aus Brasilien nach Hamburg 1888–1913 (T 19, T 30 u. T 37)
Verzeichnis der Grafiken und Tabellen
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Grafik 26: Organigramm Kaffeeterminhandel in Hamburg Grafik 27: Kumulierte Umsätze pro Monat an der Warenliquidationskasse 1888–1913 (T 37) Grafik 28: Durchschnittsmonatspreise Santoskaffee in Hamburg1879–1888 (T 29) Grafik 29: Durchschnittspreise brasilianischer Kaffeesorten in Hamburg und brasilianischer Rohkaffeeexporte 1870–1907 (T 19 u. T 29) Grafik 30: Kaffeeröstindustrie 1882, 1895, 1907, 1925 (T 36) Grafik 31: Gesamtimporte in das Deutsche Reich, Import in Hamburg sowie Import aus anderen europäischen Ländern 1885–1913 (T 38) Grafik 32: Herkunft der Importe in das Deutsche Reich (T 40) Grafik 33: Regionale Verteilung Kaffeeröstindustrie 1882, 1895, 1907 (T 41) Grafik 34: Idealtypische Darstellung der Verkaufs- und Vertriebsstrategien für Bohnenkaffee Grafik 35: Neugründungen, Schließungen und Beschäftigtenzahlen in Kaiser’s Kaffeegeschäft GmbH 1885–1932 (T 42) Grafik 36: Anteile der Firma Theodor Wille am Kaffeeexport aus Brasilien 1900–1914 (T 44) Grafik 37: Eintragungen und Anmeldungen in der Warenklasse Kolonialwaren beim Patentamt 1894–1913 (T 39) Grafik 38: Motive der registrierten Warenzeichen (T 46) Grafik 39: Verbrauch von Kaffee in Preisen von 1913 (1860–1930) (T 23 u. T 45) Grafik 40: Großhandelspreise in Hamburg für Kaffee, Tee und Kakao 1850–1912 (T 43) Grafik 41: Kaffeekonsum: Kaffeeimporte abzgl. Reexporte pro Kopf (T 22 u. T 46) Grafik 42: Kaffee- und Zichorienverzehr in den preußischen Strafanstalten und Gefängnissen des Ministeriums des Inneren 1884–1893 pro Kopf (T 48) Grafik 43: Verkaufte Getränke in 1.936 Betrieben im Jahr 1914 (T 49) Grafik 44: Rohkaffeeimporte und deren Preise in Deutschland, Belgien, Frankreich und den USA 1894–1904 (T 50 u. T 51) Grafik 45: Anteile der einzelnen Regionen Brasiliens am Kaffeeanbau 1870–1902 (T 18) Grafik 46: Anteil Rohkaffee am Wert des Gesamtimports in Deutschland, Belgien, Frankreich und den USA 1894–1904 (T 51) Grafik 47: Kaffeeimportzölle in Europa und Russland 1912 Grafik 48: Kaffeezollerträge und Kaffeeimporte in das Deutsche Reich 1885–1913 (T 52) Grafik 49: Warenverkehr des Deutschen Reiches mit Brasilien 1890–1913 (T 53) Grafik 50: Kaffeeanbau in Deutsch-Ostafrika 1894–1913 (T 54) Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7:
Zahl der Kaffeehändler in den Hamburger Adressbüchern und im Kaffee-Verein Schätzungen und Erträge der Ernten in Brasilien in Mio. Sack à 60 kg Schwankungen der Erntemengen in Brasilien 1890–1930 in Mio. Sack à 60 kg Beschäftigte in Bohnenkaffee röstenden Betrieben 1882, 1895, 1907 und 1925 Beschäftigte in Ersatzkaffee herstellenden Betrieben 1882, 1895, 1907 und 1925 Aufschlag im Aachener Kleinhandel in % und in Mark pro 100 kg gegenüber dem Einkaufspreis 1878–1886 Aufschlag im Durchschnitt in % des Verkaufspreises bei unterschiedlichen Vertriebsformen in Geschäften in rheinischen Großstädten 1910
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Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14: Tabelle 15:
Verzeichnis der Grafiken und Tabellen
Kaffeefilialisten mit mindestens einer eigenen Rösterei und über zehn Filialen im Jahr 1910 Kleinhandelsdurchschnittspreise für 1 kg Rohkaffee mittlerer Sorte in Hamburg in Mark Ladenpreise in Aachen für 1 kg Java, Brasil und gebrannten Kaffee in Mark 1878–1886 Durchschnittsladenpreise im Regierungsbezirk Frankfurt/Oder für 1 kg Bohnenkaffee mittlerer Qualität in Mark 1881–1889 Ladenpreise für gebrannten Santoskaffee (mittlerer Sorte) in elf Geschäften in Hamburg im Jahr 1914 in Mark pro kg Ladenpreise für Zichorien-, Eichel-, Brasilkaffee und Tee im Aachener Kleinhandel in Pf. pro kg 1878–1886 Welternten, sichtbare Vorräte in den weltweiten Lagerhäusern und Weltnachfrage in Tsd. Tonnen, Großhandelspreis Santoskaffee in Mark pro 100 kg in Hamburg, 1890–1902 Brasilianische Ernte, Welternte, sichtbare Vorräte in den weltweiten Lagerhäusern und Weltnachfrage in Tsd. Tonnen, Großhandelspreis Santoskaffee in Mark pro 100 kg in Hamburg, 1903–1913
Symbollegende für die Grafiken
Abkürzungsverzeichnis Abt. AHkH BArch Bd. Bde. BdL BEK BGB Bl. Bl. v. BörsG CB CbH DKG Dz. EH gr. Ha. HA HB HFLG HK HP HR HSDG Jb HH Jg. kg Kr. M MdB mg Mio. MVV MWG NHM NDB LAB MPG-Archiv o. F. o. P.
Abteilung Archiv der Handelskammer Hamburg Bundesarchiv Band Bände Bund der Landwirte Börsen-Enquete-Kommission Bürgerliches Gesetzbuch Blatt Blatt verso Börsengesetz Commerz- und Diskontobank Commerzbibliothek Hamburg Deutsche Kolonialgesellschaft Doppelzentner Export Handbuch Gramm Hektar Hamburger Adressbuch Hamburger Börsenfirmen Hamburger Freihafen-Lagerhaus-Gesellschaft Handelskammer Hamburg Hanseatische Plantagengesellschaft Handelsregister Hamburg Hamburg-Südamerikanische Dampfschifffahrtsgesellschaft Jahresberichte der Handelskammer zu Hamburg Jahrgang Kilogramm Kreuzer Mark Mitglied der Hamburger Bürgerschaft Milligramm Million(en) Mitgliedsverzeichnis des Kaffee-Vereins Max Weber Gesamtausgabe Nederlandsche Handel-Maatschappij Norddeutsche Bank Landesarchiv Berlin Archiv der Max-Planck-Gesellschaft ohne Foliierung ohne Paginierung
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o. J. o. O. Pf. Rep. RM RT St. Pr. StAHH St. Jb. unveröff. VB WLK
Abkürzungsverzeichnis
ohne Jahresangabe ohne Ortsangabe Pfennig Repositur Reichsmark Reichstag, Stenographische Protokolle Staatsarchiv Hamburg Statistisches Jahrbuch unveröffentlicht(e) Vereinsbank Hamburg Warenliquidationskasse
Register Ortsregister Aachen S. 202, 257, 261 f. Ägypten Grafik 11. Afrika Grafik 2; 3; S. 32 f., 36, 39, 85, 229 f., 231, 235, 245 f., 316, 337–340. Amsterdam Grafik 4; S. 31 f., 39–47, 49, 51, 68, 81, 86, 105 f., 109, 134–136, 138, 142, 179, 191, 217 f., 348, 353. Antwerpen S. 49, 85 f., 92, 134, 160, . 308. Argentinien Grafik 11; S. 72. Asien Grafik 2; S. 32 f., 45, 302, 305, 313. Australien Grafik 11; S. 32. Bahia Grafik 3, 45; S. 307. Belgien Grafik 5, 6, 10, 11, 15, 44, 46, 47; S. 44, 53, 55, 284, 301, 318. Berlin S. 88, 121, 162, 165, 172, 179, 181, 186, 190, 211, 215 f., 244 f., 271, 276, 278, 283, 285, 288, 291, 336, 352. Brasilien Grafik 1, 3, 7, 17, 23, 36, 49; S. 33, 35–37, 39, 46, 50, 71 f., 81, 109, 113, 118, 122, 124 f., 129 f., 139, 141, 148 f., 153–155, 158, 168, 194, 217, 229, 299, 301, 303–305, 307, 309, 312, 314, 331, 333–336, 340, 344, 348, 350, 360 f. Braunschweig S. 283. Bremen Grafik 15; S. 51, 65, 67, 130, 205, 213, 283. Britisch-Ostindien Grafik 17. Ceylon Grafik 1, 11; S. 32–34, 36, 38 f., 46, 348. Chile Grafik 11; S. 72. China Grafik 11. Costa Rica Grafik 17; S. 39. Dänemark Grafik 11; S. 67. Danzig S. 51, 73. Den Haag S. 51. Deutschland Grafik 5, 6, 9, 10, 11, 44, 46, 47.
Deutscher Zollverein Grafik 15; S. 65, 82, 268, 318. Deutsch-Ostafrika Grafik 17, 50; S. 244 f., 246, 337–340. Ecuador Grafik 17; S. 39, 81. England (siehe Großbritannien) Finnland Grafik 11; S. 54. Frankfurt/M. S. 173, 178, 190 f., 283, . 352. Frankfurt/O. S. 257 f., Frankreich Grafik 5, 6, 9, 10, 11, 15, 44, 46, 47; S. 24, 44, 52, 92, 122 f., 146 f., 191, 274, 301, 317 f. Griechenland Grafik 11, 47. Großbritannien Grafik 4, 5, 6, 9, 10, 11, 15, 47; S. 24, 46, 52 f., 54, 70, 274, 313, 318, 346. 348, 357. Guadeloupe Grafik 1; S. 32. Guatemala S. 33, 39, 50, 120, 122, 125– 128, 299 f., 301, 336. Haiti Grafik 1, 17. Hamburg Grafik 4, 8, 14, 15, 16, 40. Honduras Grafik 17; S. 33. Indonesien Grafik 1. Italien Grafik 5, 11, 47; S. 33, 54, 130. Jamaika Grafik 1, 17; S. 33, 35. Japan S. 313. Java Grafik 1; S. 32, 34, 38 f., 46, 68, 301. Kalkutta S. 122. Kanada Grafik 11. Karibische Inseln Grafik 2, 3. Köln S. 190, 202, 212, 310, 326. Kolumbien Grafik 17; S. 33, 306. Kuba Grafik 1, 11; S. 33. Lateinamerika S. 35, 40, 46, 60, 81, 82, 91, 129, 139, 141, 229, 300, 348, 350, 353, 359, 363. Le Havre Grafik 4, 8; S. 27, 42–46, 49 f., 60, 82, 86, 91 f., 105, 109, 120, 122,
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129 f., 134, 145–148, 160 f., 180, 308, 311, 313 f., 334, 348–350, 352 f. Leipzig S. 179, 190, 202, 210 f., 217, 286. Liverpool S. 85. London Grafik 4; S. 39, 40–47, 49, 51, 81, 86, 93, 109, 120–122, 130, 134, 136, 140, 160, 307–310, 313, 348, 353. Lübeck S. 73, 283. Magdeburg S. 134, 190, 202. Mannheim S. 287 f. Marokko S. 72. Marseille S. 51, 134. Martinique Grafik 1; S. 32, 56, 305. Mexiko Grafik 17; S. 33, 39. New York Grafik 8; S. 27, 49 f., 91, 115, 121 f., 124, 130, 134, 139, 147 f., 160, 306–311, 313 f., 348 f., 352 f., 360, 366. Neufundland Grafik 11. Neuseeland Grafik 11. Niederlande Grafik 4; 5, 6, 11, 19, 15; S. 42, 44–46, 52–55, 67, 85, 124, 130, 136, 179, 191, 318, 348. Niederländisch-Ostindien Grafik 17; S. 40 Nikaragua Grafik 17; S. 39. Nordamerika Grafik 11; S. 12, 70, 106, 130, 140, 305–307, 316, 348, 357, 359, 364. Norwegen Grafik 11, 47; S. 54, 67. Österreich-Ungarn Grafik 5, 6, 9, 10, 11, 47; S. 44, 54, 55, 92, 191. Osteuropa S. 61, 66, 156 f., 175, 351. Padang S. 50. Paris S. 51, 106, 121, 134. Pernambuco S. 139. Peru Grafik 17 Petrepópolis S. 72. Port au Prince S. 122, 300. Portugal Grafik 11, 15; S. 72, 191. Prag S. 160. Preußen S. 278, 317, 326. Puerto Barrios S. 50.
Register
Puerto Rico Grafik 17; S. 33, 141. Rio de Janeiro Grafik 45; S. 36 f., 75, 122, 130, 138, 208, 217 f., 303, 307 f., 344. Rotterdam S. 45 f., 86, 92, 106, 130, 134, 142, 217 f., 311, 313. Rumänien Grafik 11. Russland Grafik 11, 47; S. 129, 157, 319. Saint-Domingue Grafik 17; S. 32. Salvador Grafik 17; S. 33. Santos (Region) Grafik 45; S. 36, 130, 138 f., 161, 217 f. , 302 f., 311, 313. São Paulo (Stadt und Bundesstaat) S. 37 f., 50, 75, 130 f., 302, 305, 307–310, 312–314, 342 f. Schottland S. 70, S. 130. Schweden Grafik 11, 47; S. 67, 183, 284. Schweiz Grafik 11, 47; S. 191, 204, 216. Serbien Grafik 47. Singapur S. 37, 122, 306, 313. Skandinavien S. 61. Spanien Grafik 11; S. 54, 72, 191. Südamerika Grafik 2, 3; S. 39, 129, 298. Sumatra Grafik 1; S. 38, 46, 50. Surinam Grafik 1; 32, 39. Triest Grafik 15; S. 37, 49, 67, 92, 130, 160. Uruguay S. 72. USA Grafik 5, 6, 9, 10, 15, 44, 46; S. 31, 44, 52 f., 55 f., 118, 122 f., 301, 306, 318, 322, 336, 354, 357, 365 f. Usambara S. 245, 341. Utrecht S. 205. Venedig S. 51. Venezuela Grafik 17; S. 39, 81, 123, 141. Viersen S. 186, 215, 218 f. Vitória Grafik 3, 45. Westafrika Grafik 17. Wien S. 205. Zentralamerika Grafik 2, 3; S. 72, 127, 138.
Register
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Sach- und Institutionenregister Abkommen von Taubaté S. 308. Abschlag (siehe Margin) Akzeptkredit (siehe Kredit) Alkohol S. 253, 272, 275, 282–284, 288, 290, 321, 358. Anbau (Kaffee) S. 32–39; 60, 116 f., 125–128, 139,174, 218, 231, 233 –235, 238–240, 299–317, 340 f., 344, 349, 362. Anbauverbote S. 303, 305, 308, 312. Angebotsmonopol S. 42, 316, 361. Angestellte in der Kaffeebranche S. 80, 113 f., 118 f., 188 f., 203, 208 f., 212, 216, 219, 245, 209. Anleger S. 316, 340, 344, 359, 366. Anleihe(n) S. 303 f., 308–310, 334, 343 f. Arabien S. 306. Arbeiter (-innen) im Kaffeeanbau S. 35, 38, 117, 233–235, 238 f., 307. Arbeiter (-innen) in der Kaffeebranche S. 62, 79–81, 85, 113, 118 f., 188 f., 194, 204. Arbitrage S. 132, 143, 175, 306, 311, 351. Auktion(en) S. 40 f., 46, 136, 179, 310, 313, 315, 348. Ausbildung im Kaffeegroßhandel S. 47, 62, 64, 80 f., 124. Ausschließlichkeitsklausel S. 82. Auswärtiges Amt S. 92, 122–124, 160, 333 f., 336 f. Aversen S. 268. Baisse S. 108. Bank(en) S. 41 f., 70, 93, 95, 100, 127 f., 132, 140, 177, 183, 299, 307–310, 314, 316 f., 333 f., 342, 344 f., 353, 361. Bankrott (ökonomisches Scheitern) S. 109 f., 112, 210, 303, 331, 334, 341, 359. Binnengroßhandel S. 30, 75, 83, 91 f., 156 f., 161–221, 311, 326, 343, 354 f., 360, 362. Bier S. 253, 275 f., 280, 283, 287–289, 324, 326. Blankoverkäufe S. 143, 311.
Börse (in Hamburg, siehe auch Terminbörse) S. 79, 86, 90, 97, 99, 107 f., 109, 113–116, 124, 133, 145, 150, 151, 159 f., 165, 171, 179. Börsengesetz S. 27, 162, 164–166, 177, 179–182, 354, 363f. Börsenreform S. 27, 107, 145, 161–182, 343, 353, 360. Börsenregister S. 72, 180 f. Börsenterminmakler S. 70, 74, 100, 106, 150. Branntwein (siehe Schnaps) Brot S. 253, 276, 279, 281, 287 f., 298, 319. Bürgertum (Kaffeekonsum) S. 269–276, 293, 357. Café (siehe Kaffeehaus) Deckungs-Termingeschäfte S. 127, 143, 154–154f., 158, 175. Deport S. 158 f., 175. Deputation für Zoll- und Akzisewesen (Hamburg) S. 258, 268, 272, 277, . 289. Deputation für Handel, Schiffahrt und Gewerbe (Hamburg) S. 63. Detailhandel (siehe Einzelhandel) Deutsche Freisinnige Partei (DFP) S. 323 f., 329. Deutsche Reichspartei S. 323. Deutsch-Konservative Partei S. 323–325, 329, 330, 336, 342. Differentialzoll S. 82 f., 305, 337. Differenzgeschäfte S. 142, 162, 169 f., 177. Direkthandel (-skette) Grafik 7; S. 40, 47, 106, 352. Direktinvestitionen S. 126, 334, 336, 350. Diskontgeschäft S. 70, 125. Effektivgeschäft/ -handel S. 39, 49, 74, 98, 133–137, 140 f., 146 f., 150–155, 158, 166 f., 168 f., 174–176, 182, 300, 306. Ehrbare Kaufmann S. 102, 107 f., 111, 171, 351. Einschüsse (siehe Margins)
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Einzelhandel Grafik 7; S. 27, 56, 58, 78, 100, 174 f., S. 182–249, 255, 257 f., 261, 293 f., 325 f., 330, 353–357, 362. Eisenbahn(en) (siehe auch Transportkosten) S. 13, 36 f., 85, 191, 352. Erbschaftssteuer S. 323 f., 345. Ersatzkaffee Grafik 43; Tabelle 5; S. 52, 187, 189, 218, 223, 238, 247, 252, 255, 259–261, 265, 269, 278–280, 282 f., 287, 289, 331 f., 357. Filialhandel S. 207–220, 356. Finanzreform S. 318, 321, 323, 328 f., 345, 361. Fleisch S. 12, 253, 287, 298, 318, 327, 364. Frachtkosten (siehe Transportkosten) Freihafenstadt S. 82 f. Freihafen S. 44, 53, 65, 71, 79, 82–84, 86–91, 156, 159, 174 f., 191, 194, 203 f., 282, 349, 351. Freihandel S. 13, 82, 319, 323, 363. Genussmittel S. 22, 56, 58 f., 66, 252 f., 268, 277, 280, 290, 293, 293, 321, 327, 357. Getreide S. 12, 22, 66, 133, 162, 180 f., 320, 363 f. Großhandel (Import-/Exporthandel) . Grafik 7, 18; S. 39–51, 61–160, 299– 317, 299, 304, 330, 349–354, 360. Großhandelspreis(e) Grafik 16, 44; . Tabelle 14, 15; S. 60, 68, 91, 191, 199, 206, 254, 256 f., 304, 314, 316, 324, 326, 330. Hamburger Bürgerschaft S. 63, 83, 87, 107. Hamburger Senat S. 63, 78, 83 f., 87, 70, 107, 181. Handelsgesetzbuch S. 102. Handelskammer(n) S. 63, 78, 84, 87, 90 f., 101, 107, 123, 146, 163, 178, 179, 181, 304, 354. Handelsmarke S. 204, 211 f., 222, 241, 246–249, 356. Handelsregister S. 63, 72 f., 98, 148. Handelsreisende S. 194, 205. Handelsvertrag (-verträge) S. 13, 81 f., 123, 153, 295 f., 297, 333, 335 f., 362.
Register
Hausierer S. 200. Haushalt des Reiches S. 253, 323, 328 f., 343, 359. Haushaltsrechnungen S. 251, 254, 267. Hausse S. 108, 161, 175, 312. Hedge-Geschäfte (siehe Deckungs-Termingeschäfte) HFLG S. 87–89, 113, 302. Homogenisierung S. 27 f., 252, 355 f., 359, 365. Importzoll (siehe Zoll) Informationsvorteile (-asymmetrien) S. 49, 115, 123, 125, 159, 160, 173, 174, 192, 208, 315, 351. Kaffeeersatzindustrie S. 187, 189, 246, 260, 283, 320. Kaffeegarten S. 275 f., 290. Kaffeehaus S. 51, 193, 206, 236, 251, 273–276, 285, 290, 292. Kaffeehalle(n) S. 282–285, 290, 358. Kaffeeklappen S. 282, 285, 358. Kaffeekonsum (siehe Verbrauch) Kaffeepreisdebatte S. 325–346, 360, 363 f. Kaffeeröstindustrie Grafik 30, 33, 34; Tabelle 2; S. 183–221. Kaffeespezialgeschäfte S. 190, 207–213, 217, 220 f., 356 f. Kaffeewagen S. 290 f., S. 258. Kaiserliches Gesundheitsamt S. 223, 320. Kaiserliches Patentamt S. 214, 223 f., 238. Kakao S. 254. Kantine(n) S. 57, 280, 282, 285, 287–290, 258. Kapitalinvestitionen (-investoren) S. 127, 218, 299, 300, 304, 316. Kartellgesetz S. 333, 342 f. Kartoffeln S. 279, 282, 287. Kleinhandel (siehe Einzelhandel) Kleinhandelspreise Tabelle 6, 7, 9, 10, 11, 12, 13; S. 58, 199, 201 f., 206, 209, 252, 254 f., 326, 362. Kolonien S. 32–36, 40 f., 45, 72, 81, 122, 220, 224, 235, 244–246, 299, 332 f., 337, 338–344, 360, 363. Kommerzialisierung S. 250–252, 265– 294, 358, 362.
Register
Kommissionshandel Grafik 7, 18; S. 40, 42, 47, 51, 63, 69, 70, 73–75, 81, 85, 100 f., 113, 136, 150–152, 162, 178, 181 f. Kommodifizierung S. 21 f., 24, 30, 60. Kommunikationsrevolution S. 13, 49, 140, 347, 350. Kommunikationstechnologien S. 115, 159, 350, 352. Konsignation Grafik 7; S. 40, 42, 47, 70, 81. Konsulate, deutsche S. 122–124, 310 f., 313, 334–337. Konsumenten S. 52, 55 f., 58 f., 250–294, 296, 317–320, 325–328, 331, 338, 340, 343, 345 f., 348, 354–356, 358–362. Konsumkontexte S. 56 f., 247, 274, 285, S. 290, 292–294, 358 f. Konsummuster S. 21, 28, 251, 266 f., 269, 276, 282, 284, 290, 292–294, 357, 358 f., 367. Konsumorte (siehe Konsumkontexte) Konsumpolitik S. 29, 297 f., 300, 319, 321 f., 328, 345, 346, 348, 361. Konsumpraktiken S. 9, 28, 58 f., 250, 252, 262, 267, 274, 289, 293, 357–359, 362, 365. Konsumvereine S. 184 f., 200, 206. Konventionen (Normen) S. 95 f., 98, 102, 107, 112, 120, 351 f. Konvertierungskasse S. 308. Kredit(e) S. 41 f., 76, 93–95, 125–127, 140–142, 196, 217, 218, 308, 310, 334, 359, 363. Krise(n) (siehe Wirtschaftskrisen) Kugelröster (siehe Rösten) Kultivierung (siehe Anbau) Kundenbindung im Einzelhandel S. 209, 219, 225, 244, 356. Kunstkaffeebohnen S. 322. Länderfirma Grafik 18; S. 71f., 75, 78 f., 100, 106. Lagerhaltung Grafik 14; S. 46, 48, 79, 82, 82, 84–90, 113, 117, 129, 140, 145, 155–159, 172, 174, 179, 195, 206, 207– 209, 256, 302, 306, 312, 348, 351 f.
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Lebensmittelgesetz S. 322. Leerverkäufe (siehe Blankoverkäufe) Lieferungsgeschäft S. 49, 92, 103, 124, 136–142, 145, 147 f., 152 f., 155, 157 f., 170, 174, 181, 355. Makler Grafik 7; S. 48, 63, 70 f., 73–75, 78 f., 89, 98, 100–102, 106, 109, 113– 115, 140, 145, 149 f., 152, 162, 171, 173 f., 176, 181 f., Margin S. 148 f., 155, 176. Marketing S. 183, 244, 246 f., 260, 313, 356. Marktintegration S. 8, 12, 18, 23, 26, 250, 293, 29 f., 328, 341, 344 f., 352, 359 f., 362–364, 367, 438. Marktregulierung S. 7, 14, 83, 163 f., 166 f., 177 f., 195, 201, 295, 297, 299– 317, 322, 342–344, 354, 359 f., 366. Massenfilialisten Grafik 35; Tabelle 8; S. 184, 199, 203, 207–210, 212, 214– 221, 224 f., 244, 248, 259, 356 f., 365. Matrikularbeiträge S. 323. Meistbegünstigung (siehe Handelsverträge) Merchant Banker S. 41 f., 65, 78, 127 f., 356. Milch S. 248, 253, 261, 265, 269, 271, 280–285, 287–289, 319, 332, 357. Muster (siehe Typen) Nachrichtenagenturen S. 120 f., 123, 352. Nachschüsse (siehe Margins) Nahrungsmittelindustrie S. 183, 187, 189 f., 355. Nationalliberale Partei S. 126, 321, 323 f., 328–331, 339, 342. Orient S. 228 f., 238, 347. Pflanzenschädlinge S. 34, 36, 46, 301. Pflanzer S. 35 f., 60, 76, 122, 125–127, 141, 304, 307, 312, 314, 316, 339, 342, 359, 361–363. Pflanzungsgesellschaften Grafik 18; S. 77, 125, 127 f., 154, 174, 337, 339, 350, 363. Plantagen (siehe Anbau) Plantagengesellschaften (siehe Pflanzungsgesellschaften) Platzgeschäft (siehe Effektivgeschäft)
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Platzhandel/ -geschäft (siehe Effektivhandel) Preise (siehe Groß- oder Kleinhandelspreise) Preisbildung S. 27, 34, 48, 116 f., 119, 137 f., 166, 168 f., 342, 348, 351. Preiskonvergenz S. 12, 18, 49, 352. Preisschwankungen S. 49, 91 f., 146, 159– 161, 168, 173, 175, 179, 201 f., 206, 257 f., 332, 355. Preisteuerung, Debatte über S. 318, 320, 325, 326 f., 328–346, 360 f. Produktverfälschungen S. 322. Prognosen (siehe Schätzungen) Reallohn S. 58, 254, 263, 321. Reedereien (siehe Schifffahrtsgesellschaften) Regulierung (siehe Marktregulierung) Reichsamt des Inneren S. 82, 162, 333, 337, 344. Reichsregierung, deutsche S. 82, 84, 90, 299, 332–337, 346, 360, 361. Reichstag S. 24, 163, 169, 178–180, 321– 324, 328, 330, 332, 333 f., 337, 340, 342, 344 f., 361. Reklamemarken S. 223, 225, 227, 229. Rembours S. 41 f., 140. Report S. 158 f., 175. Revolutionsgerüchte/ -ängste S. 118, 307, 312, 334. Rösten S. 30, 54–56, 189, 138, 174, 185, 195 f., 198–203, 249, 355, 357. Schätzung(en), Bedeutung für Preisbildung Tabelle 1, 2; S. 108, 116–118, 123, 153, 168, 260, 310, 314, 351. Schatzamt S. 322 f. Scheitern, ökonomisch (siehe Bankrott) Schiedsgericht Grafik 20; S. 98, 102–107, S. 113. Schnaps S. 253, 280, 282, 289, 321, 324, 327, 357. Schokolade S. 22, 52, 207, 275, 289. Schokoladenindustrie S. 186 f., 218, 248. Selbsteintritt S. 74, 152, 176, 178. Septembercorner S. 109–112, 161, 163, 166, 167, 169, 351. Short Sale (siehe Blankoverkäufe)
Register
Sozialdemokratische Partei (SPD) S. 321, 323 f., 329 f., 332, 342. Spekulanten S. 9, 133, 169, 171 f., 343, 348, 354, 367. Spekulation S. 108, 117, 132 f., 163 f., 167, 170, 175 f., 307, 311, 314 f. 332, 341 f., 366. Spotmarkt (siehe Effektivgeschäft) Staatsbürger S. 318 f., 346. Steuer(n) S. 9, 164 f., 304, 318 f., 323 f., 328 f., 330, 345 f., 359–362, 365. Strukturkrisenkartell S. 308–317, 361, 366. Suppe S. 265, 280 f., 284, 287, 288, 291. Surrogate (siehe Ersatzkaffee) Surtaxe d’Entrepot (siehe Differentialzoll) Tabak S. 187, 253, 268, 283, 290, 298, 324. Tee Tabelle 13; S. 22, 34, 207, 218, 254, 261, 268, 275, 298. Telefon S. 8, 13, 115, 151, 159, 194, 350, 352. Telegrafie S. 8, 13, 120, 121, 123, 139, 159, 350, 352. Terminbörse S. 108–111, 127, 134–161, 165, 167, 175, 182, 311, 351, 353, 366. Terminhandel S. 27, 49 f., 63, 91, 116– 182, 192, 195, 299, 311, 351, 353–355, 361, 366. Terminmarkt S. 22, 133, 147, 148, 168, 173, 311 f., 315, 342. Transaktionskosten S. 50 f., 90, 208–210, 217, 220, 299. Transportkosten S. 12, 19, 29, 37, 49, 51, 117, 129, 159 f., 324. Transportrevolution S. 13, 39, 49, 140, 347, 350. Tratte (siehe Wechsel) Trickle-down-Theorie S. 59, 252, 261, 358. Typen(muster) S. 63, 137–143, 157, 166, 175, 178, 181, 194, 306. Überangebot Grafik 13; S. 60, 297, 299– 317, 359, 366. Überproduktion (siehe Überangebot) Überseehaus Grafik 18; S. 48, 71–73, 75, 78–80, 85, 100f., 217, 314.
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Register
Usancen S. 98, 102, 104, 108, 111, 145, 150, 169, 182. Valorisation S. 167, 185, 299–317, 328, 330–336, 340, 342–345, 360–362, 366. Verbrauch (Kaffee) Grafik 9, 10, 11, 39, 41, 43; S. 31, 51–59, 156, 250–294, 319 f., 322, 324, 326–329, 332, 346, 355, 357–359, 361, 365. Verlesen (Kaffee) S. 89, 174, 189, 194, . 204, 214, 355. Versandhandel S. 76, 203, 206, 211, . 213 f. Versicherung(en) im Großhandel S. 137, 140. Verkaufsstrategien im Einzelhandel Grafik 34; S. 27, 56 f., 183, 185 f.199f., 203– 250, 294, 356. Volksküchen (siehe Kaffeehallen) Wanderhandel (siehe Hausierer) Warenliquidationskasse S. 144, 148–153, 176, 178, 181, 351. Warenterminhandel (siehe Terminhandel) Warenzeichen Grafik 38; S. 214, 227–249, 356. Wechsel S. 41, 125, 140, 223 f. Wechselkurs(e) S. 94, 117, 139 f., 300, 304 f., 307 f., 312, 314, 316.
Wein (siehe Alkohol) Weltvorräte (siehe auch Lagerhaltung) Grafik 13; Tabelle 14, 15; S. 50, 116, 301, 312. Werbung S. 183, 221–249. Wirtschaftskrise(n) S. 95, 299, 300, 307, 359. Zentrumspartei, deutsche S. 323 f., 329 f., 332, 342. Zichorie Grafik 42; S. 52, 184, 260 f., 279, 287, 320. Zinsen S. 304, 307, 314. Zirkulare S. 31, 110, 115, 307, 314. Zoll (Kaffee) Grafik 47, 48; S. 76, 300, 305, 317–319, 321 f., 324, 331, 334. Zollanschluss Hamburgs S. 66, 73, 78, 82–84, 91, 191. Zollausschüsse S. 193, 268, 277. Zolleinnahmen (Kaffee) Grafik 48. Zollpolitik (Kaffee) S. 66, 82, 295, S. 317– 346, 361. Zollverein S. 65, 82, 318. Zucker S. 12, 22, 187, 195, 268 f., 280 f., 284, 287 f., 290, 298, 316. Zugabenartikel S. 219, 225, 356. Zuschlagszoll (siehe Differentialzoll) Zwischenhandel (siehe Großhandel)
Personen-, Unternehmens- und Vereinsregister Aufgenommen wurden nur Personen, Unternehmen und Verbände, die im Fließtext namentlich genannt wurden. A. Borsig S. 288. Agence nationale S. 121. Ältesten der Kaufmannschaft, Berlin S. 179. Anilin- und Sodafabrik Ludwigshafen S. 287. Arbuckle & Co. S. 307. Arthur Weigl Tabelle 8; S. 215. A. Trommel S. 131. A. W. Schmidt S. 205.
A. Zuntz sel. Witwe Tabelle 8; S. 213, 215, 220. Barrios, Justo Rufino S. 126. Benda, Robert v. S. 321. Bismarck, Otto v. S. 82 f., 337. Bruchtals Kaffeemagazin Tabelle 8; S. 215. Brunswick & Co. S. 114. Bülow, Bernhard v. S. 323. Carl Hellwig & Co. S. 131. C. F. Titzck S. 109–111, 352.
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C. Güldenpfennig Tabelle 8; S. 215. Chargeurs Réunis S. 129. Commercial Telegram Bureau S. 121. Continental Telegraph Company S. 121. C. Retelsdorf Tabelle 8; S. 215. Crossmann & Sielcken S. 307. Delbrück, Clemens v. S. 333, 336, 341, 343. Deutsche Kolonial Gesellschaft (DKG) S. 245 f. Deutsches-Kolonialhaus Antelmann S. 244–246. Duuring & Zoon (Amsterdam) S. 301. Edeka S. 200. Embden, Drishaus & Epping S. 79, 145, 171, 205. Emil Tengelmann Tabelle 8; S. 199, 213, 215, 217, 221, 256. Emile Nölting & Co. S. 72, 80. Emmericher Warenexpedition Tabelle 8; S. 215. E. Schaf S. 287. E. Schmidt Tabelle 8; S. 215. Erzberger, Matthias S. 332. Franz Kathreiners S. 187. Fried. Krupp AG S. 289. Fritz Hassel & Co. S. 79. Gamp-Massaunen, Carl v. S. 232. Gebr. Bethmann S. 310. Gebr. Kayser GmbH Tabelle 8; S. 215. Gebr. Michahelles S. 70, 75, 87, 147. Gebr. Schröder & Co. S. 310. Graefe, Albrecht v. S. 343. Gülpen, Alexander v. S. 115 f., 152, 169, 176, 177–179. Gustav Trinks & Co. S. 307. Hamburger Importhaus Tabelle 8; S. 215. Hamburg-Süd-Amerikanische-Dampfschiffahrtsgesellschaft S. 128 f. Hanssen & Merwein S. 89, 113. Hanssen & Studt S. 70, 80, 203–206, 212, 221, 356. HAPAG S. 128 f. Hartmann, Goldemberg & Co. S. 205. Hayn, Roman & Co. S. 307. Hayn und Rosenheim S. 131.
Register
Henry Wöltje & Co. S. 131. Herkules-Kaffeegeschäft Kauert Tabelle 8; S. 215. Heyl, Hedwig S. 271. Heyl, Georg Friedrich S. 271. J. Brandenbusch Tabelle 8, S. 215. J. H. Schröder S. 310. J. J. Darboven S. 213 f., 217, 221, 247, 356. Joachimsthal & Co. S. 172, 178 f., 194. Joh. Borrs & Co. S. 205. Johann Jacobs S. 183, 213. Joh. Mescher Tabelle 8; S. 215. Jones S. 120 f. J. Studt S. 205. Julius Andreas Fahr S. 87. Kaffee HAG S. 183, 205 f., 247, Kaiser’s Kaffeegeschäft Grafik 35; . Tabelle 8; S. 184, 186, 199, 209, 212, 214–221, 241, 244, 247, 356. Koux Kaffeegeschäft Tabelle 8; S. 215. Krische & Co. S. 131. L. Behrens & Söhne S. 310. Lensing & van Gülpen S. 152. Magenau S. 172, 176. Max Krause S. 288 Max Kroymann, Otto Siems und Willy Hess S. 79. M. M. Warburg & Co. S. 310. Molkenbuhr, Hermann S. 324, 332. M. Rothschild & Sons S. 309 f. Nacken, Josef S. 332, 336. National City Bank S. 310. NDB S. 88. NHM S. 40, 43, 46. Nietschmann & Oehme S. 179. Nossak & Co. S. 131. Oskar Brandstetter S. 286. Otto Embden & Co S. 205. Peimann, Ziegler & Co. S. 307. Petersen, Rudolf S. 88. Plaas & Erler S. 78. Quark & Fischer GmbH S. 218. Reuters S. 121. Richard Poetzsch S. 210. Richard Selbmann Tabelle 8; S. 215. Riege, August S. 211, 217.
Register
Robinow, Hermann Moses S. 84, 106, 109, 171, 173. Robinow & Co. S. 80. Robinow & Sohn (siehe Robinow & Co.) Roesicke, Gustav S. 323. Roselius & Co. S. 205. Roselius, Ludwig S. 205. Royal Mail Steam Packet & Co. S. 129. Ruperti, Oscar S. 89. S. Bleichröder S. 310. Schmidt & Trost S. 131. Schuback & Söhne S. 71, 80. Spahn, Peter Josef S. 324. Spar- und Konsumverein Stuttgart S. 199. Tchibo GmbH S. 214, 247, 365. Theodor Schmidt S. 109–111. Theodor Wille & Co. Grafik 36; S. 75, 80, 217 f., 307 f., 315, 334 f.
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Thürmer Tabelle 8; S. 215. Verein der am Kaffeehandel betheiligten Firmen Grafik 19; Tabelle 1; S. 63, 72, 78, 90–161, 172 f., 175 f., 178 f., 181, 185, 203, 212, 214, 299, 301 f., 310 f., 330, 349 f., 354. Verein der Hamburger Caffee-Effektivhändler e.V. S. 101. Verein für Socialpolitik S. 201. Verein Hamburger Caffeeimport-Agenten und -Makler e.V. S. 101. Voss & Petersen S. 79. W. Böten & Co. S. 131. Wilhelm Ludwig Deichmann S. 310. Wolff ‘s Telegraphisches Bureau S. 121. W. Schöffer S. 301. Zerrenner, Bülow & Co. S. 131.
Danksagung Dieses Buch entstand an unterschiedlichen Orten und mit der Unterstützung vieler Personen. Begonnen hat alles in Köln während meiner Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der von der VolkswagenStiftung finanzierten Nachwuchsgruppe „Globalisierung als historischer Prozess“. Deren damaligem Leiter Alexander Nützenadel gilt mein besonderer Dank für die langjährige umsichtige Unterstützung meines akademischen Werdegangs und für die Betreuung der Dissertation als Erstgutachter. Er hat in unzähligen konstruktiven Gesprächen viele Impulse für dieses Buch gegeben. Mein Dank gilt ebenso Hartmut Berghoff, der das Zweitgutachten übernommen hat und immer die Zeit fand, den Fortgang der Arbeit kritisch zu diskutieren. Zudem hat er es mir als Direktor des Instituts für Wirtschafts- und Sozialgeschichte in Göttingen ermöglicht, dort in einem wunderbaren Umfeld zu forschen und zu lehren. Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im November 2009 an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) angenommen wurde. Dankenswerterweise waren Rita AldenhoffHübinger, Marcel Boldorf, Angela Harre und Anna Schwarz bereit, Teil der Promotionskommission zu sein. Die Disputation fand am 24.11.2009 statt. Dorothee Wierling danke ich nicht nur für die Gespräche über die Hamburger Kaffeekaufleute, sondern auch für die zugewandte Unterstützung. Ebenso hat das Buch von der konstruktiven Kritik Frank Trentmanns profitiert. Umfassenden Zugang zu seinem Privatarchiv zur Geschichte der Ernährung hat mir Uwe Spiekermann gewährt. Ohne die Unterstützung vieler Archiv- und Bibliotheksmitarbeitender wäre die Suche nach Quellen bestimmt nicht so erfolgreich gewesen. Insbesondere Eckert Henning und Dirk Ullmann danke ich für das Aufstöbern von Akten, die mir ansonsten nicht zugänglich gewesen wären. Damit konnte ich mich auch bei meinem zweiten Buch auf die kompetente Unterstützung des Archivs der MaxPlanck-Gesellschaft verlassen. Großzügig und unbürokratisch hat die VolkswagenStiftung zahlreiche Archivreisen, Forschungsaufenthalte in Großbritannien und Kalifornien sowie die Drucklegung finanziert. Dem Arbeitskreis für moderne Sozialgeschichte und insbesondere Andreas Eckert danke ich für die Aufnahme in die Reihe „Industrielle Welt“. Dorothee Rheker-Wunsch sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Böhlau Verlags haben durch ihre professionelle Unterstützung eine rasche Drucklegung ermöglicht. Ebenso möchte ich Dagmar Deuring vom Büro für Texte für das Lektorat und Dirk Dassow für seine Unterstützung als Grafiker danken. Die letzte Etappe vom Dissertationsmanuskript zum vorliegenden Buch konnte dank eines Stipendiums der Fulbright Commission und der Einladung von Steven Topik während eines Forschungsaufenthaltes in den USA gegangen werden. Ohne die Hilfe meiner Göttinger Kolleginnen und Kollegen wäre mir die Arbeit an diesem Buch um vieles schwerer gefallen. Alexander Engel und Roman Rossfeld danke ich für die kritische Lektüre von einzelnen Kapiteln, Mark Jakob für den vielfachen Rat und JanOtmar Hesse für die gewährten Freiräume. Insbesondere Ingo Köhler, Christina Lubinski und Mathias Mutz standen mir weit über das Fachliche hinaus immer zur Seite.
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Danksagung
Gänzlich unabhängig von den vielen Orten, an denen ich mich in den letzten Jahren befand, sind Julia Kaffarnik, Dörte Lerp und Claudia Prinz mit mir den Weg vom gemeinsamen Studium bis zur Promotion gegangen. Danke für eure Diskussionsbereitschaft, die kritische Lektüre und vor allem für eure Freundschaft. Völlig losgelöst von Ort und Zeit gilt mein Dank Armin, Chris, Henning, Renate und Medea.
Peter e. FäSSler
GlobaliSierunG ein hiStoriScheS KomPendium (utb Für WiSSenSchaFt 2865 S)
»Globalisierung« ist für die heutige Zeit Schlüsselbegriff und Epochenetikett zugleich. Sie weckt einerseits Hoffnungen auf die Überwindung von Armut und schürt andererseits Ängste vor wachsender sozialer Ungerechtigkeit. Das vorliegende Studienbuch präsentiert die Globalisierungsgeschichte von ihren Anfängen bis zur Gegenwart und arbeitet die Kennzeichen der einzelnen Phasen heraus. Die langfristige Entwicklung grundlegender Infrastrukturen, wichtiger Akteurskategorien (u. a. Multinationale Unternehmen, Internationale Organisationen) und ideengeschichtlicher Konzepte wird knapp und übersichtlich dargestellt. Infoboxen, Schaubilder, Graphiken, Tabellen sowie eine Auswahlbibliographie runden das Kompendium ab. 2007. 240 S. Mit 16 Abb., Sowie zAhlr. tAb. und GrAfiken. br. 120 x 185 MM. iSbn 978-3-8252-2865-1
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Martin Krieger
K affee geschichte eines genussMittels
Kaffee ist heute eines der wichtigsten Handelsgüter und für viele Menschen im Alltag unverzichtbar. Dabei waren seine Anfänge in den entlegenen Tälern Äthiopiens unspektakulär. Erst nachdem er im 16. Jahrhundert im Jemen zu einem bedeutenden Agrarprodukt avanciert war, begann die globale Erfolgsgeschichte des Kaffees: zunächst in den Kaffeehäusern des Vorderen Orients, später in den Botanischen Gärten Europas und schließlich auch in den Tassen der westlichen Welt. Mit dem Genuss von Kaffee verbanden sich in Europa nicht nur Debatten um gesundheitlichen Schaden oder Nutzen, sondern ein ganz neues Lebensgefühl in der Alltagskultur, in Musik und Dichtkunst. Davon unbemerkt wurde und wird Kaffee in den tropischen Regionen oftmals von Sklaven oder Tagelöhnern angebaut - als trauriger Kontrapunkt zum schillernden Leben vieler Plantagenbesitzer. Schon längst ist aus dem einstigen Luxusgut ein anonymes Massenprodukt geworden, das den Konjunkturen des Weltmarktes unterliegt. Martin Kriegers umfassende Geschichte des Kaffees zeichnet den Weg vom Luxusgut zum Alltagsgetränk nach. Der Konsum in Europa seit dem 17. Jahrhundert bildet dabei einen inhaltlichen Schwerpunkt. 2011. 307 S. 20 S/w- und farb. abb. auf 16 Taf. Gb. miT Su. 135 x 210 mm. iSbn 978-3-412-20786-1
böhlau verlag, ursulaplatz 1, 50668 köln. t : + 49(0)221 913 90-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar
IndustrIelle Welt
Band 75:
Schriftenreihe deS ArbeitSkreiSeS für moderne SoziAlgeSchichte
kontAktzonen
Herausgegeben von Andreas Eckert und Joachim Rückert
2009. 317 S. 9 s/w-Abb. im Text und 8 farb. Karten auf 8 Taf. ISBN 978-3-412-20322-1
Eine Auswahl.
Band 76:
Band 70:
Bettina Hitzer
im netz der liebe die proteStAntiSche kirche und ihre zuwAnderer in der metropole berlin (1849–1914)
2006. XII, 446 S. 16 s/w-Abb. auf 16 Taf. Gb. ISBN 978-3-412-08706-7
Band 71: Thomas Kroll kommuniStiSche intellektuelle in weSteuropA frAnkreich, ÖSterreich, itAlien und groSSbritAnnien im Vergleich (1945–1956)
2007. XII, 775 S. Gb. ISBN 978-3-412-10806-9
Band 72:
Jakob Vogel
ein SchillerndeS kriStAll eine wiSSenSgeSchichte deS SAlzeS zwiSchen früher neuzeit und moderne
2008. 522 S. Gb. ISBN 978-3-412-15006-8
Band 73: Friedrich Wilhelm Graf, Klaus Große Kracht (Hg.) religion und geSellSchAft
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JüdiSch-chriStlicher AlltAg in lengnAu
Sarah Vanessa Losego
fern Von AfrikA die geSchichte der nordAfrikAniSchen »gAStArbeiter« im frAnzÖSiSchen induStriereVier Von longwy (1945–1990)
2009. 559 S. Gb. ISBN 978-3-412-20432-7
Band 77: Ute Daniel, Axel Schildt (Hg.) mASSenmedien im europA deS 20. JAhrhundertS 2010. 440 S. Mit 7 s/w-Abb. Gb. ISBN 978-3-412-20443-3
Band 78:
Stephanie Zloch
polniScher nAtionAliSmuS politik und geSellSchAft zwiSchen den beiden weltkriegen
2010. 631 S. Gb. ISBN 978-3-412-20543-0
Band 79:
Nadine Klopfer
die ordnung der StAdt rAum und geSellSchAft in montreAl (1880 biS 1930)
2010. XII, 324. 42 s/w-Abb. Gb. ISBN 978-3-412-20568-3
europA im 20. JAhrhundert
2007. X, 416 S. Gb. ISBN 978-3-412-20030-5
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Band 80:
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mikro-Ökonomie der globAliSierung kAffee, kAufleute und konSumenten im kAiSerreich 1870–1914
2011. 444 S. 50 s/w-Abb. und 9 farb. Abb. Gb. ISBN 978-3-412-20772-4
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2008. XVI, 410 S. 35 s/w-Abb auf 32 Taf. Gb. ISBN 978-3-412-20071-8
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