Kaufleute, Seefahrer und Piraten im Mittelmeerraum der Neuzeit: Entgrenzende Diaspora - verbindende Imaginationen 9783486713084, 9783486704877

"This exciting book is a rich contribution to Mediterranean studies. So many themes are included here, from medical

350 4 3MB

German Pages 592 Year 2011

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Kaufleute, Seefahrer und Piraten im Mittelmeerraum der Neuzeit: Entgrenzende Diaspora - verbindende Imaginationen
 9783486713084, 9783486704877

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Desanka Schwara Kaufleute, Seefahrer und Piraten im Mittelmeerraum der Neuzeit

Desanka Schwara

Kaufleute, Seefahrer und Piraten im Mittelmeerraum der Neuzeit Entgrenzende Diaspora – verbindende Imaginationen

unter Mitarbeit von Luise Müller, Patrick Krebs, Ivo Haag und Marcel Gosteli

Oldenbourg Verlag München 2011

Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

© 2011 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Internet: oldenbourg-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: hauser lacour, www.hauserlacour.de Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht). Layoutkonzeption und Herstellung: Karl Dommer, Cornelia Horn Satz: le-tex publishing services GmbH, Leipzig Druck und Bindung: Memminger MedienCentrum, Memmingen ISBN 978-3-486-70487-7

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

I. Zwischen Lissabon und Istanbul von Desanka Schwara, Luise Müller und Patrick Krebs 1. Die Méditerranée als Kommunikationsraum . . . . . . . . . . 1.1 1.2 1.3

17

Diaspora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Netzwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Habitus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24 27 30

2. Die Suche nach dem Glück und Widrigkeiten auf dem Weg . .

33

2.1 2.2 2.3 2.4

Handel . . . . . . . . . . . Aktion, Präsenz, Interaktion Maritime Quarantäne . . . (Un)Freiheiten . . . . . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

3. Die Méditerranée und ihre Glaubensbekenntnisse: Sinnstiftende Konzepte als strukturierende und rivalisierende Legitimierungen 3.1 3.2 3.3

Die muslimische Méditerranée . . . . . . . . . . . . . . Die katholische Méditerranée . . . . . . . . . . . . . . . Die christlich-orthodoxe Méditerranée . . . . . . . . . .

33 33 34 34 37 37 39 42

II. Italia felix für Händler: Maritim-urbane Gravitationszentren auf der Apenninhalbinsel von Patrick Krebs 1. Ancona und Livorno . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

Mental Maps und Imaginationen von Glück . . . . . . . Bewegungen an den äußersten Polen Europas: Der Kampf um Macht und seine Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Zwischen Freihafenmentalität und fremden Einflüssen . 1.4 Versprochenes und erhofftes Glück . . . . . . . . . . . . 1.4.1 La Livornina: Legislative Anregungen der Medici . . . . 1.4.2 Kirchenstaatliche Maßnahmen: Gesetzgebende Erlasse der Päpste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.3 Ein funktionales und behagliches Zuhause . . . . . . . .

48

1.1 1.2

51 55 61 63 68 71

6

Inhaltsverzeichnis

2. Wasserwelten: Der Hafen und die Stadt . . . . . . . . . . . . . 2.1 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4

Merchant networks: Menschen, Orte, Waren . . . Diasporagruppen und der vitale merkantile Geist Von der Apenninhalbinsel . . . . . . . . . . . . . Aus dem Osten und Süden . . . . . . . . . . . . . Aus dem Westen und Norden . . . . . . . . . . . Aus aller Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

77 79 85 85 85 103 115

3. Mental Maps und Pragmatic Facts: Imagination und Wirklichkeit 121 3.1 3.2 3.3

. . . .

121 127

. .

130

. .

133

4. Stadt der Zukunft oder Inbegriff der Hässlichkeit: Ancona und Livorno – Italia felix? . . . . . . . . . . . . . . . .

141

3.4

Der Traum vom schuldenfreien Neuanfang . . . . . . Kollektive Interessen: nazioni und Vermittler . . . . . Störungen und Ungastlichkeiten: Die Schattenseiten freiheitlicher Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . Polarisierende Reiseeindrücke: Der flüchtige fremde Blick . . . . . . . . . . . . . . .

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion im öffentlichen Raum der Balkanhalbinsel von Ivo Haag, Desanka Schwara und Marcel Gosteli 1. Ragusa und Belgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 1.2 1.3

. . . .

148 152

. . . .

155 158

2. Gestaltende Präsenz: Die Erweiterung der städtischen Farbpalette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

161

1.4

Ragusa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Belgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Gebiet der geteilten Christenheit: Maritime und terrestrische Verbindungsmuster . . . . . . . . . . . Religiöse Bekenntnisse als raumformendes Prinzip .

147

2.1

Ragusas Straßen: Buntes Leben als Spiegelbild geographisch-kultureller Verortung . . . . . . . . . . . . 2.2 Diasporagruppen: Ragusas Fenster zur Welt . . . . . . . 2.3 Gedachter und gelebter Belgrader Raum . . . . . . . . . 2.4 Diasporagruppen: Belgrads langer Arm an die Küsten der Méditerranée und des Schwarzen Meeres . . . . . . . . . 2.4.1 Muslime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Juden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

161 163 168 174 177 179

Inhaltsverzeichnis

7

2.4.3 Griechen, Aromunen und Zinzaren . . . . . . . . . . . . 2.4.4 Armenier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Verwaltete diasporische Präsenz . . . . . . . . . . . . . .

183 189 189

3. Diasporische Aktion: Die Verstrebung der Räume . . . . . . .

193

3.1 3.2

Kult und Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konversion und Flucht als dezidierte Aktionen der Neuorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Ringen um Präsenz und Sichtbarkeit im öffentlichen Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

195

4. Anregende Interaktion: Wirklichkeiten und Imaginationen . .

203

3.3

4.1 4.2

199

.

203

. . .

207 212 217

.

222

. .

222 223

. . . . . .

226 230 234 245 248 250

5. Moderne Angebote der Verortung . . . . . . . . . . . . . . . .

255

4.3 4.4 4.5 4.5.1 4.5.2 4.5.3 4.5.4 4.5.5 4.5.6 4.5.7 4.5.8

Das koordinierte Mit- und Nebeneinander . . . . . . . Die Wirrnisse der Sprachen, Schriften und religiöser Welten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interferierende Glaubensbekenntnisse . . . . . . . . . Der Kampf um Dominanz und Unabhängigkeit . . . . Kontrollierte und begrenzte Interaktion: Krankheit, Schutz und Angst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gefahr aus der Ferne: Quarantäne als Abgrenzung in mediterranen Hafenstädten . . . . . . . . . . . . . . Die Suche nach einem Kompromiss . . . . . . . . . . . Die Systematisierung des Gesundheitswesens und der urbanen Hygiene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selbstverständlicher Alltag der Quarantäne . . . . . . . Erklärungsmodelle und Schutzhandlungen . . . . . . . Begrenzungsbestrebungen in Belgrad und Zemun . . . Hilflosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entgrenzung, Diffusion und Begrenzungsversuche . . .

193

IV. Formen der Abgrenzung und ihre Funktion: Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel von Luise Müller 1. Cádiz und Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 1.2 1.3 1.3.1

Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cádiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ständige Begleiter: Seuchen und der konstitutive Verdacht Der Charakter der Seuche . . . . . . . . . . . . . . . . .

261 264 265 267 267

8

Inhaltsverzeichnis

1.3.2 Die Gestalt des Verdachts . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Konkretisierung in Raum und Zeit: Iberischer Seuchenverdacht zu Beginn des 19. Jahrhunderts . . . . .

272

2. Die Zerstreuten – die Schwebenden . . . . . . . . . . . . . . .

277

2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3

Die Bleibenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Große Geschäfte und kleine Tagelöhner: Nahe Heimaten Aus aller Herren Länder: Ferne Heimaten . . . . . . . . Annäherung, Abstoßung, Verflechtung? Das Band zur Gastgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Ankommenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Das bunt gewirkte Netz: Schiffe unter europäischen Flaggen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Grenzgängertransporte: Schiffe aus aller Welt . . . . . . 3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik . . . . . . . . . 3.1 3.1.1 3.1.2 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4

Krankheit und Tod in den Mauern der Stadt . . . . . . Die differenzierenden Türen des Hospitals . . . . . . . Die letzte Ruhestätte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ,,Fremde“ in der maritimen Quarantäne . . . . . . . . Das Babel der Sprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . Geographischer Argwohn: Quarantäne-Reglemente . . Alltagsgeschäfte im Zwischenraum: Geteilte Langeweile Verdächtiger Raum und bedrohliches Flirren: Die suspekten Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . .

269

278 279 284 288 291 295 297 303

. . . . . . .

303 303 310 320 320 327 337

.

343

4. Wozu die sanitäre Faust? Kontrollmacht und ihre Identitätsangebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie als politisch-wirtschaftlicher Faktor und als Projektionsfläche rund um die Maltesischen Inseln von Desanka Schwara 1. Die Maltesische Inselgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

391

Die Bastion der Christenheit im Mare Nostrum . . . . . Die Sprachen und Zungen als Gliederungsprinzipien . .

394 395

2. Alte und neue Herren im Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . .

397

1.1 1.2

2.1 2.2

Der russische Stern am maltesischen Horizont . . . . . . Erhoffte Freiheiten einer zuvor unbekannten Dimension: Die kurze Herrschaft der Franzosen . . . . . . . . . . . .

398 402

Inhaltsverzeichnis

3. Konzepte der (Un-)Freiheit – Malta und der (un)heilige Krieg 3.1 3.2 3.3 3.4

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

405 . . . .

405 414 416 420

4. Vom Mare Nostrum zum Mare Liberum zum Mare Britannicum

427

4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6

Kaperfahrer, Korsar und Pirat . . . . Verwirrende Loyalitäten . . . . . . . Freiheitliche Eigendynamik . . . . . Christliche und muslimische Sklaven

9

Malta, Korfu und die Anfänge der britischen Méditerranée Pest, ,,Protektorat“ und Quarantäne . . . . . . . . . . . . Kulturelle Codes und das Ringen um Macht und Einfluss Piracy Commission: Konkurrierende Wertesysteme? . . . Besucher und ihre Anliegen . . . . . . . . . . . . . . . . ,,Believe me!“: Mari stretti, diffuse Bestimmungen und verweigerte Passierscheine . . . . . . . . . . . . . . . . .

428 435 440 447 458 459

5. Fakt und Fiktion: Beherrschende Diasporagruppen . . . . . .

467

6. Epilog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

479

VI. Entgrenzende Diaspora – verbindende Imaginationen: ein Fazit von Desanka Schwara, Luise Müller und Patrick Krebs 1. Bewegung und Verortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

483

2. Kaufmännische Imaginationen . . . . . . . . . . . . . . . . .

491

3. Präsenz, Aktion, Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

493

4. Quarantäne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

495

5. (Un)freiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

497

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

501

Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

503

Ungedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

515

Gedruckte Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

517

Lexika, Nachschlagewerke und Bibliographien . . . . . . . . . . . . .

587

10

Inhaltsverzeichnis

Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

589

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

591

Vorwort Die Forschungsarbeiten für meine Habilitationsschrift ,,Unterwegs. Reiseerfahrung zwischen Heimat und Fremde in der Neuzeit“ führten mich auch in den südeuropäischen Raum, wo mich die Archivquellen auf die Idee brachten, in einem nächsten Projekt verschiedene Diasporagruppen und die vielen Verbindungen und Beziehungsnetze zwischen den (variablen) Polen Europas zu untersuchen. Die mediterrane Welt weist geographisch, gesellschaftlich, kulturell, sprachlich, religiös und politisch die Muster und Strukturen vieler Zivilisationen auf. Auf engstem Raum standen sich verschiedene Gesellschaftssysteme, Kulturen, Religionen, Sprachen, Schriften und Lebensauffassungen – verschiedene Welten – gegenüber. Dieses Buch wählt die Städte Lissabon, Cádiz, Livorno, Ancona, Ragusa (Dubrovnik), Belgrad und die maltesische Inselgruppe als Fallstudien und bleibt damit – abgesehen von Belgrad – auf die lateinischen Christenheiten konzentriert. Entgrenzt, wie es die programmatische Leitlinie ist, wird Europa in die sie umgebenden Meere durch die Menschen der verschiedenen kulturellen Systeme, die sich in andere Kulturen begaben, bzw. durch die Randzonen, in denen sich diese Einheiten berührten. Menschen aus aller Welt und unterschiedlichsten Kulturkreisen begegneten uns in den Quellen dieser Handels- und Kommunikationszentren. Sie sind das eigentliche Thema dieses Buches – ihre Lebensweise, Lebenswege, Lebensmöglichkeiten und Denkmuster. ,,Gesellschaft“ versteht sich nicht als ein vorgegebenes Statusgefüge, in dem die Funktionen Einzelner und Gruppen determiniert sind, sondern als ein variables Beziehungsgeflecht zwischen Menschen, die dieses Netz erst schaffen und immer neu gestalten. Durch die aktuelle Osterweiterung treten die neuen EU-Mitglieder vermehrt in den Blickwinkel auch der Historikerinnen und Historiker. Dabei gilt es, die Perspektive weit zu öffnen, um Europas äußersten Westen nicht aus den Augen – und aus Europa – zu verlieren: Portugal, das Fenster Europas zur Welt. Die Beziehungselemente, die Europa in ihrem Bedürfnis nach einem einheitlichen Selbstverständnis sucht, scheinen gerade durch die jüngsten Europaerweiterungen den Eindruck zu erwecken, es würden künstlich Regionen zusammengeführt, die per se keine Verbindungen untereinander aufweisen könnten. Räumliche Distanz und eine kulturelle Zäsur werden erst recht von den christlich-abendländischen Gegnern weiterer Erweiterungen ins Feld geführt, sobald über eine mögliche Aufnahme der Türkei nachgedacht wird. Dieses Buch will zu einem besseren Verständnis der Lebens- und Empfindungswelten und des kulturellen Austausches und einer gegenseitigen Angleichung von Bevölkerungsgruppen führen. Insbesondere geht es um die Begegnungen von verschiedenen Kulturen, die Berührungspunkte und gegenseitige Beeinflussungen. Die punktuellen Untersuchungen in bestimmten

12

Vorwort

Regionen erschließen größere gesellschaftliche Zusammenhänge. Wenn wir untersuchen, was es für Menschen in der Vergangenheit bedeutete, aufgrund von nationalen Staatenbildungen ihre herkömmlichen Lebenswelten transformiert wieder zu finden und dadurch möglicherweise zu verlieren, können wir Erklärungs- und Lösungsmuster für aktuelle gesellschaftliche Umgestaltungen suchen. Die zugrunde gelegten neu akzentuierten Fragestellungen und Raumkonzeptionen verbinden Gebiete miteinander, die traditionell getrennt untersucht worden sind. Der Grund hierfür ist vor allem in den Sprachbarrieren zu suchen. Eine ,,nationale“ Geschichtsschreibung, die Betonung einer bestimmten Sprache und ,,nationaler“ Traditionen sind mit Nationalstaaten eng verbunden. Historisch sind diese künstlichen Trennungen keinesfalls gerechtfertigt. Die historischen Prozesse entwickelten sich in einer supraeuropäischen Dimension und sind deshalb vergleichend zu analysieren. Dieses Buch ist das Ergebnis der SNF-Förderungsprofessur ,,Entgrenztes Europa: Diasporagruppen als transkulturelle und gebietsübergreifende Verbindungselemente“ (2005–2010). Neben dem eigentlichen Werk waren von Anfang an auch Einzelstudien geplant. Aufgrund von Personalfluktuation kam es zunächst zu Verzögerungen. Umso mehr freut es mich, dass die Dissertationen von Patrick Krebs und Luise Müller abgeschlossen sind. Die Dissertation von Ivo Haag ,,Wenn Ost und West gemeinsam zelebrieren: Religiöse Praxis im öffentlichen Raum gemischtkultureller Städte im Süden Europas in der Neuzeit“ liegt aufgrund einer neuen beruflichen Ausrichtung des Autors augenblicklich zwar auf Eis, doch lassen die vorläufigen Ergebnisse hoffen, dass die Studie doch noch abgeschlossen werden kann. Ivo Haag begleitete unser Projekt während der ersten beiden Jahre. Da viele seiner Quellen und Textfragmente, die er bereitwillig zur Verfügung stellte, im dritten Teil integriert sind, wird er mit seinem Einverständnis als Co-Autor genannt, obwohl er für die Endfassung des Beitrags nicht verantwortlich zeichnet. Marcel Gosteli begleitete das Projekt tatkräftig während zwei Jahren, Jérôme Brugger während eines Jahres. Ihm danken wir insbesondere für einen Teil der Quellen aus den Archiven Belgrads, die er uns für die weitere Auswertung anvertraute. Es ist unmöglich, hier alle zu nennen, die unsere Arbeit unterstützten, insbesondere auch, da wir uns in verschiedenen wissenschaftlichen wie privaten Kreisen bewegt haben. Stellvertretend für alle, die uns in den letzten Jahren wohlwollend und ermutigend begleitet haben, bedanke ich mich einerseits bei Natalie Zemon Davis, Dan Diner, Georg Kreis, Giovanni Levi, Carlo Moos, Monika Richarz, Beatrice Schmid, Hannes Siegrist, Giacomo Todeschini, Maria Todorova, Claudia Ulbrich, Moshe Zimmermann, andererseits bei Birgit Beck, René Bloch, Nada Boškovska, Edouard Conte, Simone Haeberli, André Holenstein, Nataša Mišković, Klaus Oschema, Ulrich Schmid, Heinrich R. Schmidt, Rainer Schwinges, Brigitte Studer, Christian Windler und Sacha Zala. Insbesondere danke ich Marina Cattaruzza, die uns in jedweder Hinsicht

Vorwort

13

bereitwillig aufgenommen und unterstützt hat. Ihr verdanke ich auch wichtige wissenschaftliche Impulse. Unser spezieller Dank gebührt den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Archive, die uns mit ihrem außergewöhnlichen Fachwissen in Malta, Livorno und Ancona, Dubrovnik und Belgrad, Lissabon und Cádiz beistanden. Maßgeblich unterstützt wurden wir durch die unbürokratische und zügige Arbeitsweise der Bibliotheken in Bern, insbesondere bedanken wir uns bei Therese Meier-Salzmann, die uns immer zur Seite stand, uns sogar auf Bücher zu unserer Thematik aufmerksam machte, unseren Bücherkredit verwaltete und die unzähligen Bücher verarbeitete. Ebenso danken wir Regina Zürcher, die uns als vollwertige Mitarbeiter des Historischen Instituts unter ihre Fittiche nahm, obwohl das Projekt keine Sekretariatsstelle beinhaltete. Auch alle anderen Stellen der Universität Bern haben uns stets zuvorkommend und ausgesprochen freundlich behandelt. Ohne den Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF) wäre unsere Forschungsarbeit in dieser Form nicht möglich gewesen. Für diese großzügige und langjährige Förderung und die kompetente, freundliche und zuverlässige Arbeit seiner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen möchte ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken, ganz besonders bei Rudolf Bolzern, Inés de la Cuadra und Michel Droz. Auch den Druck hat freundlicherweise der SNF ermöglicht. Dem Oldenbourg Verlag – namentlich Julia Schreiner – danke ich für die sorgfältige und kompetente Betreuung des Bandes. Basel, Februar 2011

Desanka Schwara

I. Zwischen Lissabon und Istanbul von Desanka Schwara, Luise Müller und Patrick Krebs

1. Die Méditerranée als Kommunikationsraum1 Internationalismus und Universalismus ist die Ethik der Heimatlosen und der Wandervögel, auch der Migranten.2

Straßen, dicht belebte Plätze und imposante Bauwerke: Die mediterranen Hafenstädte glichen sich in Struktur wie Farbe. Diese Studie sucht nach den kulturellen Verbindungselementen zwischen den gegenüberliegenden Polen Europas, dem äußersten Westen und dem Osten – sie widmet sich den Diasporagruppen zwischen Lissabon und Istanbul. Im Mittelpunkt stehen Städte, die als Hauptroute für Schiffe mit ihren Passagieren und Waren galten, für See- und Kaufleute, Piraten und Konsuln, für Menschen auf der Suche nach Einkommen, Abenteuern oder neuen Existenzmöglichkeiten in einer anderen Welt. Es sind Hafenstädte und Handelszentren, die typisch für vielfältige kulturelle Einflüsse sind: Lissabon, Cádiz, Livorno, Ancona, Ragusa (Dubrovnik) sowie an der Schnittstelle der drei großen multiethnischen Imperien in Europa – der Habsburgermonarchie, des Osmanischen Reichs und des Zarenreichs – Belgrad. Als weiteres verbindendes Element rückt eine Insel ins Blickfeld, die inmitten des Mittelmeers, des vermittelnden Meers, als Zwischenstation auf dem Weg nach überall diente: Malta. Im 15. Jahrhundert überstürzten sich an den Rändern Europas einschneidende Ereignisse, die bis heute nachwirken: 1453 eroberten die Osmanen Konstantinopel. 1492 wurden nach der christlichen Reconquista die Juden und Muslime aus Spanien vertrieben. Im gleichen Jahr entdeckte Christoph Kolumbus Amerika. Die Grenzen des christlichen Europa wurden im Südosten von den muslimischen Osmanen zurückgedrängt, im Westen mit der Reconquista bis an den äußersten Rand ihres geographischen Raums ausgeweitet, ja selbst darüber hinaus: Christlich-europäische kulturelle Präsenz wurde nach Übersee exportiert. Diese beiden Pole – der äußerste Westen und der Osten Europas mit den sie verbindenden Elementen, dem Mare Nostrum und den wichtigsten Orten des kulturellen Austausches, stehen im Zentrum dieses Buches. Die großen Hafenstädte spielten für Formen sowohl des Kontakts als auch der wechselseitigen Beeinflussung eine zentrale Rolle und bieten sich als Gegenmodelle zu den im 19. Jahrhundert 1

2

Dieses Buch fußt auf der Projektskizze, die ich 2004 beim Schweizerischen Nationalfonds für die Förderung wissenschaftlicher Forschung in Bern eingereicht habe. Insbesondere Teil 1, in dem das Forschungsvorhaben entfaltet wird, gründet auf diesen Überlegungen, ist aber in seiner aktuellen Gestalt in enger Zusammenarbeit mit Patrick Krebs und Luise Müller entstanden. Schmidt-Biggemann: Elementatio Moralis, S. 250.

18

I. Zwischen Lissabon und Istanbul

entstehenden Nationalstaaten an. Typisch für diese Städte war eine gemischte Bevölkerungsstruktur. Dieses Buch sprengt die Grenzen, die als Nationen definierte staatliche Gesellschaften umschließen. Räumliche Kategorien werden aufgelöst, um dieses riesige Territorium entlang seiner zahlreichen sich überlagernden kulturellen Grenzen nach anderen Gliederungsprinzipien zu befragen und Schnittstellen zu entdecken, an denen sich gesellschaftliche Zusammenhänge bilden. Raum konstituiert sich hier nicht über politische Herrschaft und auf politischterritoriale Weise, sondern über transterritoriale Netzwerke und sozioökonomisch-kulturell-religiöse Faktoren sowie durch Bewegungen von Menschen im Raum. Ziel ist die Suche nach Diasporagruppen in ihrem Lebensumfeld, die Erforschung von Interaktions-, Aufnahme- bzw. Exklusions- und den damit verbundenen Empfindungsmustern. Anhand vergleichend ausgelegter Lokalstudien untersuchen wir Lebensformen und transterritoriale Strukturmerkmale wie Mobilität, Kommunikation, kulturelle Codes, Kulturtransfer und Interaktionsmodelle (patterns) verschiedener Diasporagruppen. Minderheiten – verschiedene ethnische, religiöse und soziale Gruppen – werden nicht als Gegenstand von Toleranz oder Intoleranz, sondern als aktive Bestandteile vornationaler Systeme behandelt.3 Ausgewählt wurden Orte, die an Schnittstellen verschiedener kultureller Systeme liegen. Eine polyphone Annäherung an den Gegenstand – die Diasporagruppen – wird über einen thematischen Zugang versucht. Die eigentlich innovative Idee ist der Versuch, nicht nur geographisch, sondern vielmehr insgesamt konzeptionell nationale Prämissen zu überwinden und die Welten der verschiedenen ethnisch-religiös-kulturellen Gruppen mit transnationalen, interkulturellen und gebietsübergreifenden Fragestellungen in den Mittelpunkt zu rücken: Mit der Frage nach ihrer Präsenz, Aktion wie Interaktion im öffentlichen Raum (Dubrovnik, Belgrad); nach Identifikationsmechanismen, die im Körper eingeschrieben sind bzw. über diesen verhandelt werden, sowie der Verbindung von Seuchen und dem Fremden (Lissabon, Cádiz); nach der subjektiv eingefärbten Vorstellung und Wertung von Lebenswirklichkeiten in den mental maps der Händler und Kaufleute im Spannungsfeld mit den sie umgebenden politischen, wirtschaftlichen, kulturellen, sozialen und religiösen Strukturen (Livorno, Ancona); und schließlich nach Formen der Solidarität über religiöse, sprachliche oder ethnische Grenzen hinweg und nach den Unterschieden im Verständnis von Freiheit und Unfreiheit (Malta). Die Diasporazugehörigkeit erscheint dabei jedoch nicht als das alles entscheidende lebensweltliche Unterscheidungsmerkmal. Vielmehr sind zeitweilige Kategorien zu erkennen, die stark durch kollektive Imaginationen aufgeladen sind. Diese beeinflussen durch ihre meist unbewusste Verankerung Verhalten und Einstellungen von Gruppen wie

3

Schwara: Rediscovering the Levant; Schwara: Unterwegs.

1. Die Méditerranée als Kommunikationsraum

19

Abbildung 1: Zwischen Lissabon und Istanbul: Das entgrenzte Europa. (Karte adaptiert von Desanka Schwara.)

Individuen nachhaltig und tragen zugleich stark zur Verortung im jeweiligen Kollektiv bei. Ziel ist, mit einem transnationalen Ansatz Räume, die über nationalstaatliche Kriterien definiert sind, zu entgrenzen, um national begrenzte Perspektiven zu überwinden.4 Diese Vorgehensweise der histoire croisée oder entangled history stellt die Historiographie vor die schwierige Aufgabe, die Untersuchungsräume immer neu bestimmen und sich mit den Kriterien für eine plausible Eingrenzung befassen zu müssen.5 Die Geschichte von Diasporagruppen bietet sich als Untersuchungsgegenstand für transkulturelle, transnationale und transterritoriale Phänomene geradezu an. Wir untersuchen Lebensumfeld, Lebensstile und habituelle Eigenarten in einer grenzübergreifenden historischen Raum-Konzeption entlang der Frage nach 4

5

Einführend siehe Middell: Kulturtransfer und transnationale Geschichte; Osterhammel: Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats; Osterhammel: Transnationale Gesellschaftsgeschichte; Siegrist: Transnationale Geschichte als Herausforderung der wissenschaftlichen Historiographie; Transnationale Geschichte. Hg. von Budde u. a.; Transnationale Öffentlichkeiten und Identitäten. Hg. von Kaelble u. a.; Wirz: Für eine transnationale Geschichtsschreibung. Werner, Zimmermann: Vergleich, Transfer, Verflechtung; Werner, Zimmermann: Beyond Comparison.

20

I. Zwischen Lissabon und Istanbul

Vermischungsprozessen (mixture) und Abgrenzungen.6 Es geht um eine globale Geschichte, die durch viele Erzählstränge zusammengehalten wird,7 eine ,,Universalgeschichte“, so wie Yosef Hayim Yerushalmi sie versteht: Geschichte als Gesamtzusammenhang.8 Die Nationalisierung konkretisierte sich zunächst als abstrakte Ideologie in den ,,imagined communities“ 9 Benedict Andersons. Alsbald zeigte sich, dass der Nationalstaat in Form und Funktion als historisch-dynamische und nicht als statische Größe – nach dem Soziologen Norbert Elias als eine Erscheinungsform des Zivilisationsprozesses10 – zu betrachten ist. Die moderne Geschichtswissenschaft etablierte sich synchron zu einem Selbstverständnis, das darauf beruhte, nationale Identitätskonstruktionen bereitzustellen.11 Für Minderheiten, die den national einigenden Kriterien nicht entsprachen, war in diesen neuen Staatskonstruktionen kein Platz vorgesehen. Der Nationalstaat war in der Regel mit einer Marginalisierung traditioneller, meist religiöser, Gruppen verbunden, während zuvor gültige Merkmale von zusammengehörenden Gruppen – religiöse, berufs- oder standesspezifische – aufgelöst wurden. Nationalstaatliche Gesellschaften definieren sich durch Grenzen und versuchen innerhalb dieser Grenzen eigene Ordnungssysteme und eine homogene hegemoniale Kultur durchzusetzen, jedenfalls in ihrer Grundstruktur und ihren Zielsetzungen eine solche anzustreben. Erscheinungsformen transkultureller, transnationaler und transterritorialer Prozesse haben in nationalstaatlichen Entwicklungen keinen Platz, bezeichnet ,,trans“ doch gerade Prozesse, die jede Art von Grenzen ignorieren bzw. durchdringen.12 Vor allem in den historiographischen Unterdisziplinen, der Verfassungsgeschichte einerseits und der Geschichte der Außenpolitik andererseits, stand das am Machterhalt orientierte kurzfristige politische Handeln im Staatswesen im Zentrum, und weniger eine Analyse sozialer oder ökonomischer Strukturen. Schon Verfechter einer histoire totale erachteten diese traditionelle Herangehensweise als konservativ und wissenschaftlich überholt. Heute, nach dem ,,Kalten Krieg“, der Auflösung des Sowjetimperiums, der Zerschlagung Jugoslawiens, dem voranschreitenden europäischen Integrationsprozess und 6 7 8 9 10 11

12

Osterhammel: Raumbeziehungen, S. 308. ,,Many stories can be our strength as long as we tell them to each other.“ Davis: Global History, Many Stories, S. 380; Davis: What is Universal about History? Yerushalmi: Zachor: Erinnere Dich!, S. 19. Anderson: Imagined Communities. Elias: Über den Prozess der Zivilisation, Band 2: Wandlungen der Gesellschaft, S. 132f. Laut Herder entsteht auf der Grundlage einer gemeinsamen Sprache oder Kultur die Identifikation mit einer sprachlich-kulturellen Nation aufgrund geteilter Werte oder einer gemeinsamen Willenskundgebung diejenige mit einer Staatsnation. Roshwald: Ethnic Nationalism and the Fall of Empires, S. 5f.; Rothfels: Grundsätzliches zum Problem der Nationalität, S. 343f. Weber: Universalgeschichte, S. 15.

1. Die Méditerranée als Kommunikationsraum

21

den bedeutenden weltgeschichtlichen Entwicklungen, die unter den Begriffen ,,Modernisierung“ oder ,,Globalisierung“ subsumiert werden, scheint sich in der Historiographie die Ansicht durchgesetzt zu haben, dass so komplexe Phänomene wie etwa Schmuggel, Migration oder Sklaverei durch eine transnationale Geschichtsschreibung thematisch, theoretisch und methodisch besser zu fassen sind. Auffallend ist die Varietät an Möglichkeiten, was unter transnationaler Historiographie zu verstehen sei.13 Hans-Ulrich Wehler beharrt auf dem Standpunkt, dass die Sozialgeschichte die transnationale Perspektive bereits abdecke.14 Aus unserer Perspektive handelt es sich jedoch bei den Beispielen, mit denen er seine Thesen illustriert – so sein Verweis auf die kurze Kolonialherrschaft Deutschlands und den entsprechend geringen Einfluss der Kolonien und der deutschen Kolonialherren (er betont insbesondere den geringen Einfluss der Kolonialfrauen) auf die Geschicke in Deutschland –, eben nicht um transnationale Historiographie, sondern umgekehrt um eine auf die Kolonien ausgedehnte Nationalgeschichte. Die Hauptproblematik hier scheint die ewige Suche Wehlers nach dem ,,Königsweg“ zu sein,15 anstatt verschiedene Wege gelten zu lassen und zu kombinieren. Zu Recht weist er andererseits darauf hin, dass es große, fest etablierte Forschungsfelder gibt, in denen die Geschichte transnationaler Phänomene seit langer Zeit im Mittelpunkt steht.16 Dennoch spricht sich Wehler dafür aus, den Nationalstaat als den ,,entscheidenden Ort, an dem alle wichtigen Sozialisationsprozesse ablaufen: innerhalb der Familie, im Bildungssystem, im Freundeskreis, im Berufsleben“ im Zentrum der Geschichtsschreibung zu belassen. ,,Dort“ würden ,,Habitus, Mentalität und Weltbilder“ geprägt.17 Dabei lässt er außer Acht, dass gerade Habitus, Mentalität und Weltbilder erst seit Kurzem und keinesfalls ausschließlich im Nationalstaat geprägt werden. Jürgen Osterhammel plädiert indes für eine Öffnung der in starren Strukturen gefangenen Nationalgeschichte, ,,der Kathedrale von Hans-Ulrich Wehlers ,Deutscher Gesellschaftsgeschichte’“, die aus einer Masse angehäuftem, ,,fein zugerichte-

13 14

15

16 17

Eine ausführliche Diskussion der verschiedenen Perspektiven findet sich in Osterhammel: Transnationale Gesellschaftsgeschichte. Beck: Was ist Globalisierung?; Beck: Die Erfindung des Politischen; Conze: Abschied von Staat und Politik?; Die neue Ordnung des Politischen. Hg. von Anselm u. a.; Frevert: Neue Politikgeschichte, S. 10f.; Hobsbawm: Nationen und Nationalismus, S. 20f.; Nicklas: Macht – Politik – Diskurs, S. 1f.; Osterhammel, Petersson: Geschichte der Globalisierung; Raphael: Nationalzentrierte Sozialgeschichte in programmatischer Absicht, S. 24f.; Wehler: Transnationale Geschichte – der neue Königsweg historischer Forschung? Ähnlich hatte Hans-Ulrich Wehler 1988 gegen die Alltagsgeschichte argumentiert, ebenfalls mit der Frage, ob es sich um den ,,Königsweg zu neuen Ufern“ oder einen ,,Irrgarten der Illusionen“ handle. Wehler: Alltagsgeschichte. Königsweg zu neuen Ufern oder Irrgarten der Illusionen? Wehler: Transnationale Geschichte, S. 163f. Wehler: Transnationale Geschichte, S. 173.

22

I. Zwischen Lissabon und Istanbul

tem Forschungsgestein“ erbaut sei, ebenso Lutz Raphael in seinem kritischen Aufsatz über ,,nationalzentrierte Sozialgeschichte“.18 Eine transnationale Geschichte, die für sich nicht in Anspruch nimmt, ein neues Paradigma zu bilden, verstehen wir vor diesem Hintergrund sowohl als ein Gegenkonzept zur Nationalgeschichtsschreibung David Humes,19 als auch als Erweiterung der aus der traditionellen Politik- oder Diplomatiegeschichte hervorgegangenen internationalen Geschichte,20 die sich vom Nationalstaatensystem nicht zu lösen vermag, sowie der von Makrostrukturen bestimmten Globalgeschichte, in denen individuelle Handlungsspielräume und Wirkungen weit weniger zum Tragen kommen.21 ,,Transnationale Gesellschaftsgeschichte“ soll nicht als eine ganz andere Gesellschaftsgeschichte projektiert werden, sondern als eine Fortführung des Erreichten zunächst in europäischer, dann in globaler Fluchtlinie.22 Räumliches Denken schafft oder reproduziert wie jedes kategorische Denken immer auch Grenzen. Eine Fokussierung auf Interaktionen und Prozesse kann dem vorbeugen.23 Ein transnationaler Zugang eröffnet die Möglichkeit für die Untersuchung sich überlagernder und überlappender gesellschaftlicher Verknüpfungen und eine Entwicklungsgeschichte sozialer Bindungen über staatlich-nationale Grenzen hinweg; er ergänzt ,,ein Denken in Strukturen durch eines in Strömen (flows, streams)“, der zentrale Begriff dürfte das Netzwerk werden (network).24 Epochal ist transnationale Geschichte selbstredend auf die Neuzeit konzentriert, insbesondere auf die Zeit seit dem 18. Jahrhundert, als der homogene moderne Nationalstaat strukturell und im Denken und Handeln der Akteure zu einem bedeutsamen Faktor wurde, wodurch transnationale Konzeptionen erst zu theoretischer und praktischer Relevanz gelangten.25 Den globalen Interaktionsprozessen und universalistischen Prinzipien auf der vielfältig strukturierten und dynamischen internationalen Bühne, durch die das nationalstaatliche Modell bedrängt wird, Rechnung tragend, versuchen wir in der vorliegenden Untersuchung in einer entgrenzten Perspektive die Arbeiten der ,,Annales“-Historiker fortzuführen und uns über nationale Bezugsrahmen hinwegzusetzen.26 ,,Erst in transnationaler Perspektive wird

18 19 20 21 22 23 24 25 26

Osterhammel: Transnationale Gesellschaftsgeschichte, S. 464f.; Raphael: Nationalzentrierte Sozialgeschichte in programmatischer Absicht. Osterhammel: Transnationale Gesellschaftsgeschichte, S. 474. Internationale Geschichte. Hg. von Loth, Osterhammel. Conze: Abschied, S. 42f.; Patel: Nach der Nationalfixiertheit, S. 11f. Osterhammel: Transnationale Gesellschaftsgeschichte, S. 471f.; Siegrist: Transnationale Geschichte als Herausforderung, S. 40. Wirz: Für eine transnationale Geschichtsschreibung, S. 492. Osterhammel: Transnationale Gesellschaftsgeschichte, S. 473f. Langewiesche: Nation, Nationalismus, Nationalstaat; Patel: Nach der Nationalfixiertheit, S. 13f. Conze: Zwischen Staatenwelt und Gesellschaftswelt, S. 117f.; Höffe: Nationalstaaten im Zeitalter der Globalisierung? S. 197; Kiessling: Der ,,Dialog der Taubstummen“ ist vorbei.

1. Die Méditerranée als Kommunikationsraum

23

man der Nationalgeschichte wirklich gerecht“,27 bringt Kiran Klaus Patel den Sinn dieses Vorhabens auf den Punkt. Im Bewusstsein, dass das Globale nur in den Formen des Lokalen existieren kann,28 wollen wir aber nicht etwa über die fortwährende Relevanz des nationalen Bezugsrahmens auf bestimmten Forschungsfeldern hinwegsehen – etwa was die Auseinandersetzung mit Minderheitenfragen angeht, die oft auf einer innenpolitischen juristischen Ebene geführt wird –, wiewohl einige Wissenschaftler den nach einem bürokratischen Prinzip aufgebauten Nationalstaat nur als Wegmarke in einem linear ablaufenden Entwicklungsprozess im Sinne des Historischen Materialismus interpretieren.29 Indem transnationale Beziehungen und Prozesse sich infolge der vorgenommenen Entgrenzung in jenen unter einem neuen Blickwinkel zu betrachtenden ,,transnationalen sozialen Räumen“ intensivieren, abschwächen oder auflösen können, sind sie ebenso wie die Nation und davon abhängige Identitäten einem Wandel unterworfen.30 Ein transnationaler und transterritorialer Charakter bestimmter historischer Begebenheiten und grenzübergreifende Entwicklungen und Strukturen lassen sich gerade am Beispiel von Diasporagruppen exemplarisch untersuchen, da Mobilität eines der Grundmuster ihrer Geschichte bildet. Mit einer entgrenzten räumlichen Perspektive gehen wir der Frage nach, ob diese Diasporagruppen ähnliche habituelle Eigenheiten aufweisen. Was diese Zerstreuten bewegte, welche Erfahrungen sie in diesen Städten machten, wird – politische und andere herrschaftliche Grenzen in den Hintergrund verbannend – im eng verflochtenen und verbundenen Raum zwischen Lissabon und Istanbul in den Blick genommen. Insbesondere sei hervorgehoben, dass durch diese neu akzentuierten Fragestellungen und Raumkonzeptionen Gebiete miteinander verbunden werden, die traditionell getrennt voneinander

27 28 29

30

Patel: Nach der Nationalfixiertheit, S. 27. Mazlish: The Global and the Local, S. 95. Der idealtypisch verstandene Territorialstaat des eurozentrischen Staatensystems der Neuzeit, des sogenannten ,,Westfälischen Systems“, stellt bis heute trotz De- oder Supranationalisierung einen Referenzpunkt dar, wenn man etwa an das ,,nation-building“ denkt, das sich am modellhaften europäischen Nationalstaat orientiert. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass außenpolitisches Handeln als Regierungshandeln auf der Grundlage von nationaler Machtpolitik, verbrämt durch den Staatsräsongedanken, der auf der politischen Theorie Machiavellis aufbaut, aber zudem auch auf einen im dynastischen Staat verankerten Patrimonialismus zurückgeht (Max Weber), vielfach erst den Raum für spätere machtasymmetrische wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Annäherungsprozesse schuf. Bourdieu: Von der königlichen Hausmacht zur Staatsraison, S. 24f., 30f., 38f., 45f.; Conrad, Randeria: Einleitung. Geteilte Geschichten – Europa in einer postkolonialen Welt; Conze: Abschied, S. 17f., 35f; Höffe: Nationalstaaten, S. 208f.; Llanque: Politische Ideengeschichte, S. 48f.; Transnationale Geschichte. Hg. von Budde u. a., S. 12f. Patel: Nach der Nationalfixiertheit, S. 17; Pries: Die Transnationalisierung der sozialen Welt.

24

I. Zwischen Lissabon und Istanbul

untersucht worden sind. Historisch sind diese künstlichen Trennungen nicht gerechtfertigt.31

1.1 Diaspora Diaspora discourse articulates, or bends together, both roots and routes32

Der griechische Begriff Diaspora, ,,Zerstreuung, Verbreitung“, bezeichnet die Gebiete, in denen Mitglieder einer Religionsgemeinschaft als Minderheit lebten, fern von ihrem ursprünglichen Herkunftsort. Diaspora steht aber auch für die in der Zerstreuung Lebenden selbst, eine sich aufeinander beziehende Gruppe nach dem Prozess der Migration. Meist setzte man diese Bezeichnung für die jüdische Minderheit ein.33 Der Begriff Diaspora war traditionell mit Vertreibung, Versklavung und Heimatlosigkeit verknüpft. Insbesondere im Kontext jüdischer Geschichte ist er oft negativ konnotiert. Inzwischen hat die Diasporaforschung diese Vorstellung revidiert. Indem sie das Cliffordsche Konzept von ,,routes and roots“ adaptierte und postkoloniale Identitätskonzepte weiterführte, hat sich die Diasporaforschung selbst außerdem hin zu einer aktiven Betrachtungsweise dynamischer Prozesse zwischen den Positionen von Fremde und Heimat entwickelt.34 Untersucht werden nun dynamische Prozesse zwischen diesen beiden Polen. Zudem weitete sich die Diasporaforschung über den jüdischen Kontext hinaus aus. In der deutschsprachigen Migrationsforschung herrschen aufgrund der einschneidenden Ereignisse in den 1930er und 1940er Jahren verständlicherweise weiterhin Vorstellungen einer victim diaspora vor. Im englischsprachigen Raum aber führte seit den 1970er Jahren die Analyse von transnationalen Migrationsbewegungen (Diaspora Studies) zu einem affirmativ-emanzipatorisch ausgerichteten Diskurs, der die offenen Möglichkeiten und die aktiven Handlungsspielräume von Migranten und Migrantinnen in den Mittelpunkt stellt. Diese positive Umwertung des Diasporabegriffs berge allerdings die Gefahr, so Anna Lipphardt, der Begriff könnte ,,inflationär“ benutzt werden, da nun alle Formen von Migration unterschiedslos als ,,diasporisch“ bezeichnet würden. Auch Ruth Mayer stellt einen Paradigmenwechsel fest, wobei sie die Umstellung von postkolonialen auf diasporische Studien aufzeigt, während Lipphardt festhält, dass Diasporagruppen im Verlauf der Forschung weniger als passive Opfer, dafür mehr als aktive Kulturschaffende dargestellt werden. Während in den 1980er und 1990er Jahren die postkolo31 32 33 34

Ausführlich dazu Schwara: Unterwegs, S. 18f. Clifford: Diasporas, S. 308. Mayer: Diaspora, S. 8f. Braziel: Theorizing Diaspora; Clifford: Diasporas, S. 308; Cohen: Global Diasporas; Mayer: Diaspora.

1. Die Méditerranée als Kommunikationsraum

25

niale Kritik im Zentrum stand und die Globalisierung vor dem Hintergrund des Konfliktes ,,Kolonisierer gegen Kolonisierter“ betrachtet wurde, besteht der Prozess der Globalisierung inzwischen nicht mehr nur aus diesem Gegensatz. Uma Parameswaran und Ruth Mayer sprechen sogar von einem ,,Zeitalter der Diaspora“, das die postkoloniale Periode verdrängt habe. Die Themenkomplexe Globalisierung, Migration, Exil, Gedächtnis und Erinnerung rufen nach einem Perspektivenwechsel, weil die in den Kultur- und Sozialwissenschaften erprobten Mittel zur Beschreibung von kulturellen und sozialen Gruppenbildungs- und Identifikationsprozessen nicht mehr genügen, um die Erfahrungen und Gefühle der Akteure ausreichend und präzise zu lokalisieren, zu thematisieren und zu kontextualisieren. Diasporagemeinschaften verkörpern ,,das Andere“ des Nationalstaates, das sich gegen die kulturellen Vereinheitlichungsansprüche wehrt. Mayer schlägt vor, sich globalen Erscheinungen in Gesellschaft und Kultur zu nähern, indem man sie der nationalstaatlichen Zuordnung entzieht, sie aber trotzdem mit gewissen nationalstaatlichen Denkmodellen verbindet. Die diversen Definitionsversuche führten zu Kontroversen: Mayer verwirft die Vorstellung William Safrans, jede Diasporagemeinschaft strebe die Rückkehr in die Heimat an und schließt sich James Clifford an, der den Diasporabegriff offener fasste. Er akzentuierte die Dualität von ,,roots and routes“, von Verwurzelung und Mobilität. Mayer steht Cliffords Diaspora Studies, die von postkolonialen Theorien Homi K. Bhabhas oder Kachig Tölölyans geprägt sind, dort kritisch gegenüber, wo verklärende Tendenzen aufscheinen. Tölölyan sieht in den Diasporagruppen die Embleme des Transnationalismus und die exemplarischen Weltbürger. Diese Übereinstimmung von Diaspora mit Transnationalität übersieht nach Mayer jedoch, dass die Identität der meisten Diasporaangehörigen von den alltäglichen Erfahrungen vor Ort geprägt ist.35 Francesca Trivellato spricht in diesem Zusammenhang von der Schwäche der Gegenüberstellung von Staat und Diaspora oder von informellen und organisierten Netzwerken. Sie lädt ein, die Errungenschaften der Diasporamitglieder, etwa der jüdischen Händler im Mittelmeerraum, in ihrer spezifischen, kontextuellen Dimension zu beobachten.36 In Anlehnung an Robin Cohen definiert Ruth Mayer Diaspora als eine Gemeinschaft, die sich durch Vertreibung oder Emigration von einem Zentrum auf zwei oder mehrere periphere Orte verteilte. Sie zeichnet sich zudem dadurch aus, dass sie die Vorstellung eines gemeinsamen Ursprungs oder eines gemeinsamen Ziels in sich trägt. Mayer kommt zum Schluss, dass diese weit gereisten Menschen mittels selektiver Fallbeispiele am besten zu fassen sind.

35 36

Lipphardt: Sammelrezension Diaspora, S. 7f. Trivellato: Les juifs d’origine portugaise, S. 182.

26

I. Zwischen Lissabon und Istanbul

So will sie ,,einer simplifizierenden und historisch undifferenzierten Begriffsverwendung“ begegnen.37 Susanne Schwalgin erklärt in ihrer Arbeit über die armenische Diaspora in Griechenland ebenfalls, dass Diaspora dann zu einem sinnvollen Konzept für die Untersuchung von Identitätsprozessen wird, wenn wir uns auf eine Analyse der multiplen Beziehungen und Prozesse von Verortung einlassen, durch die der Diasporaraum konstituiert wird, und wenn wir dabei nicht aus den Augen verlieren, dass diese Beziehungen von Machtstrukturen geformt sind. Erst dann werde deutlich, so Schwalgin, dass Mobilität und Sesshaftigkeit, lokale und transnationale Identifikationen, Prozesse der Hybridisierung und Ethnisierung jeweils keine sich ausschließenden Kategorien seien, sondern ihr komplexes Zusammenspiel vielmehr die Gleichzeitigkeit multipler Beziehungen des Diasporaraums beschreibe.38 Für Judith T. Shuval gehört, ebenso wie für Ruth Mayer, eine Vielzahl von unterschiedlichen Gruppen zum Begriff Diaspora. Neben politischen Flüchtlingen, ausländischen Einwohnern und Gastarbeitern sind es Immigranten, Vertriebene, ethnische und rassische Minderheiten und Überseegemeinschaften. Ihnen allen ist gemein, dass sie eine reale oder eine imaginäre Verbindung zur alten Heimat pflegen, dass sie verstreut auf dem Planeten leben, dass Mythen und Erinnerungen an das Heimatland aktuell vorhanden sind, dass sie sich im Gastland der Heimat entfremden, dass sie eine eventuelle Heimkehr wünschen (eschatologisch oder utopisch), dass sie das Heimatland unterstützen, und dass sie eine – in bestimmten Aspekten faktische, in anderen eine fiktive bzw. imaginierte (DS) – kollektive Identität aufweisen.39 Ein Vorteil dieser drei Kategorien ,,Diasporagruppen“, ,,Heimatland“ und ,,Gastland“ ist, dass sie diverse Charakteristika vereinen und von den Forschenden um immer mehr einende Phänomene erweitert werden können; ob faktische oder vermeintliche, ist dann Forschungsgegenstand.40 Francesca Trivellato regt an, die diasporischen Identitäten in ihrer spezifischen kontextuellen und historischen Dimension zu betrachten. Für Susanne Schwalgin ist eine Analyse der multiplen Beziehungen und Prozesse der Verortung maßgeblich.41 Diesen Anregungen stellt sich dieses Buch und führt verschiedene Arten von Diasporagruppen mit dem Konzept der Netzwerke zusammen.

37 38 39 40 41

Im Gegensatz zu Cohen unterscheidet Mayer jedoch nicht zwischen Handels-, Opfer- oder Arbeitsdiasporen. Mayer: Diaspora, S. 13f. Schwalgin: ,,In the Ghetto“, S. 188. Shuval: Diaspora Migration, S. 43. Shuval: Diaspora Migration, S. 50f. Schwalgin: ,,In the Ghetto“; Trivellato: Les juifs d’origine portugaise.

1. Die Méditerranée als Kommunikationsraum

27

1.2 Netzwerke When I’m playful I use the meridians of longitude and parallels of latitude for a seine, and drag the Atlantic Ocean for whales.42

Die Essenz von Netzwerken sind menschliche Beziehungen; sie werden über Interaktionen geschaffen und aufrechterhalten, die weder an politische, noch geographische Grenzen gebunden sind. Diese Netze prägen die Handlungsmöglichkeiten und -zwänge der involvierten Individuen und Gruppen (cluster) zutiefst. In ihnen spielt vor allem das Gut des sozialen und symbolischen Kapitals (Bourdieu) eine große Rolle, das in der Folge in andere Kapitalarten, zum Beispiel wirtschaftlichen Gewinn, umgewandelt werden kann.43 Netzwerke sind in den Sozialwissenschaften definiert als ,,Knoten“ mit den sie verbindenden ,,Kanten“. Die Knoten stehen für die Akteure, Organisationen oder andere kollektive oder kooperative Zusammenschlüsse, die Kanten für die zwischen ihnen verlaufenden Beziehungen und Kooperationen.44 Diese Beziehungen sind die Essenz der Kanten, sie sind räumlich nicht 42 43 44

So ein von Huck Finn und Jim belauschter betrunkener Matrose. Twain: Life on the Mississippi, S. 242. Diaspora Entrepreneurial Networks; Jansen: Einführung in die Netzwerkanalyse; Trivellato: Juifs de Livourne. Jansen: Einführung in die Netzwerkanalyse, S. 58. Das Konzept des Netzwerkes entstammt der Soziologie wie der Ethnologie. Als Vorläufer, die sich für die Analyse von Formen von Vergesellschaftung interessierten, stehen Georg Simmel und Leopold von Wiese (Simmel: Soziologie; Wiese: Soziologie). Unter anderem wurde ein NetzwerkKonzept für die Soziologie bzw. Sozialpsychologie von Jacob Moreno and Alex Bavelas entwickelt (Bavelas: A Mathematical Model; Moreno: Who shall survive?). In der Ethnologie waren unter anderem John Barnes und James Mitchell die Vorreiter (Barnes: Networks and Political Processes; Social Networks. Hg. von Mitchell). Laut James Coleman sind soziale Netzwerke durch ein Set an Werten bestimmt, die dieses durchzusetzen im Stande ist. Dabei hob er vor allem die Pflege gemeinsam vertretener Normen, den Fluss von Informationen innerhalb des Netzwerkes, Strafen bei abweichendem Verhalten und gemeinsame Aktion hervor (Coleman: Social Capital). Inzwischen hat sich in den Sozialwissenschaften ein nahezu unübersichtliches Feld der Netzwerkanalyse gebildet, das sehr grob in folgende zwei Bereiche einzuteilen ist. Zum einen wird versucht, eine eigenständige Netzwerktheorie zu entwickeln, als Vertreter kann Harrison White stehen (White: Identity and Control; White: Markets from Networks). Zum anderen wird versucht, den Netzwerken aus der Perspektive existierender Theorien einen Platz zu geben; dies geschieht vor allem in der Systemtheorie. Bekanntester Vertreter ist Niklas Luhmann (Luhmann: Legitimation durch Verfahren u. a.). Im Folgenden geht es ausschließlich um Netzwerke, die durch menschliche Interaktionen geschaffen wurden; kulturtheoretische Betrachtungen von Netzen und Netzwerken von Wissen, Kulturtechniken, Artefakten bleiben außen vor (Gießmann: Netze und Netzwerke). Soziale Beziehung ist hier definiert als ein auf einander eingestelltes und dadurch orientiertes ,,Sichverhalten mehrerer“. Sie geht über flüchtige, unverbindliche Kontakte hinaus und beinhaltet meist ein mehr oder minder stabiles, bzw. erwartbares Muster (Holzer: Netzwerke, S. 9). Die Grundthese stammt von Max Weber (Weber: Wirtschaft, S. 13). Eine weitere knappe und fruchtbare Definition des Netzwerkes ist die der ,,collec-

28

I. Zwischen Lissabon und Istanbul

begrenzt, erfordern keine direkte oder stete physische Anwesenheit aller ihrer Mitglieder vor Ort, sondern können auch über große Entfernungen hinweg bestehen.45 Die im Netzwerk eingebetteten Akteure orientieren sich dabei nicht vorrangig an eng definierten Einzelinteressen, sondern richten sich nach den sozialen Kontexten des Netzwerkes aus. Derlei Netzwerke kanalisieren in asymmetrischer Weise den Zugang zu hoch bewerteten Ressourcen und prägen sowohl Kooperation als auch Konkurrenz zwischen den Akteuren.46 Zugleich ist ein Netzwerk mehr als nur die Summe seiner Bestandteile; es besitzt eine eigene Realität und eigene Qualität – ein eigenes Gesicht. Die Beziehungen und Interaktionen innerhalb des Netzwerkes verlaufen über strong ties der Familie,47 enger Freundschaften oder Religionszugehörigkeit, die emotionale Verankerung und soziale Unterstützung mit sich bringen,

45

46

47

tion of actors (. . . ) that pursue repeated, enduring exchange relations with one another and, at the same time, lack a legitimate organizational authority to arbitrate and resolve disputes that might arise during the exchange.” Podolny, Page: Network Forms of Organization, S. 59. Auf den ersten Blick konträr zu dieser Aussage vertreten Margrit Schulte Beerbühl und Jörg Vögele die Auffassung, dass ,,networks happen often not only in socially, economically and historically defined spheres, but also in geographically areas. They have a spatial as well as a hierarchal structure (. . . ) The focus is on the way in which individuals and groups created ties to facilitate the movement of commodities, money, information and people across shorter or longer distances.” (Spinning the Commercial Web, S. 17). Der zweite Blick erschließt jedoch, dass sie mit dieser Aussage die (selbstverständliche) Konzentration auf einen Raum meinen, jedoch in keiner Weise von nicht zu überschreitenden Mauern ausgehen, die eine Netzwerkausdehnung in periphere Gebiete von vornherein verunmöglichen. Trivellato verfolgt in ihrer Bearbeitung die sehr interessante und lohnende Präferenz des Begriffes ,,approche rétriculaire“, des netzartigen Ansatzes, vor dem gängigen der Netzwerkanalyse, da in letzterem immer die mathematische und damit quantifizierende Dimension mitschwingen würde (Trivellato: Juifs de Livourne, S. 583 Fn. 4). Jansen: Einführung Netzwerkanalyse, S. 22. In den Historischen Wissenschaften haben vor allem Wirtschafts- und Migrationsgeschichte die Netzwerkanalyse aufgegriffen. Daneben sind auch in der Historischen Geographie und Sozialgeographie Einflüsse zu erkennen (Cookson: Family, Firms and Business; Diaspora Entrepreneurial Networks; Haggett, Chorley: Network Analysis in Geography; Nähe in der Ferne. Hg. von Hillard von Thiessen, Christian Windler; Rose: Networks and Business Values). Darüber hinaus hat der Ansatz inzwischen Eingang in derart viele Forschungsgebiete und Fragestellungen gefunden, dass sie an dieser Stelle nicht aufführbar sind. Claude Lévi-Strauss konnte überzeugend darlegen, dass Verwandtschaft zwar auch ein biologisches Bindeglied ist, vor allem aber dazu dient, ein Beziehungs- und Austauschsystem herzustellen. Wirklich elementar sind nicht die Familienmitglieder als isolierte Bestandteile, sondern die Beziehungen zwischen diesen Bestandteilen. Die Gesamtheit dieser Beziehungen ergibt eine bestimmte Struktur. Grundsätzlich besteht jede Gesellschaft aus einzelnen Menschen oder Gruppen, die miteinander im Austausch stehen. Claude Lévi-Strauss: Die Strukturanalyse in der Sprachwissenschaft und in der Anthropologie. In: Strukturale Anthropologie. Frankfurt a.M. 1967, S. 43–67; Claude LéviStrauss: Der Strukturbegriff in der Ethnologie. In: Strukturale Anthropologie, S. 299– 346, hier 322.

1. Die Méditerranée als Kommunikationsraum

29

aber auch über sogenannte weak ties.48 Diese umfassen alle Arten entfernterer, nicht derart mit emotionaler und persönlicher Involviertheit beladener Beziehungen. Gerade diese garantieren nach Mark Granovetter den Zugriff auf einen weit größeren Pool an Informationen und Handlungsgrundlagen. Die auf strong ties basierenden Verflechtungen sind als ursprüngliche Form des Netzwerkes anzusehen; im Zuge der Moderne verschoben sie sich hin zu eher auf weak ties beruhenden Netzwerken.49 Vor allem im Rahmen der engen persönlichen Beziehungen, aber auch in den über die weak ties geknüpften Bindungen spielt für diesen Theorieansatz die Annahme eines für die grundsätzliche Reziprozität von Handlungen unabdingbare Vertrauen eine grundlegende Rolle. Denn nur wer vertraut, riskiert auch und ermöglicht die Vision einer gemeinsamen Zukunft. Unterschieden werden können Netzwerke grob in Kommunikations- und Einflussnetzwerke sowie Tausch- und Verhandlungsnetzwerke. Dazwischen gibt es natürlich zahlreiche Mischformen und Abstufungen. Auch die historischen Netzwerke der Neuzeit beruhten nicht ausschließlich auf den so genannten starken Bindungen, wie sie den mittelalterlichen Verbindungen so gern in aller Ausschließlichkeit zugeschrieben werden. Um eine mehr oder minder stabile Form sozialer Organisation zu ermöglichen, war zudem ein gewisses Maß an Dauerhaftigkeit und institutioneller Untermauerung vonnöten. Konstanz und Körper von Netzwerken werden in erster Linie durch Frequenz und Dauer von Interaktionen geschaffen. Die dadurch mögliche Ausdehnung und Dynamik kann sich natürlich auch umkehren. Jürgen Osterhammel betont, dass immer wieder das Zerreißen, Schrumpfen und Ausdünnen von Beziehungsnetzen und die Schwächung der sie stabilisierenden Institutionen festgestellt werden können.50

48

49 50

Ausführlich dazu: Granovetter: The Strength of Weak Ties. Strong ties sind neben positiven Grundlagen für Vertrauen und Solidarität auch Ausgangspunkt für Schließungsprozesse. Anna Lipphardt möchte das Diasporakonzept nicht mit Netzwerken verbinden, da letzteres Konzept ,,einseitig funktionalistisch“ sei und die emotionalen und kulturellen Komponenten nicht erfassen könne. Gerade über die strong ties sind diese Komponenten jedoch wesentlicher Bestandteil der Netzwerke. Zudem erscheint eine strikte Trennung in ,,emotional aufgeladen“ und ,,rational funktionalistisch“ als schwierig; menschliche Beziehungen tragen zumeist beide Aspekte in sich. Tändler: ,,Fremd im eigenen Land“. Fusaro: Les Anglais et les Grecs, S. 623. Osterhammel, Petersson: Geschichte der Globalisierung, S. 24. Die Interaktionen wiederum können nach Intensität und Geschwindigkeit von Kontakten unterschieden werden. Dabei spielen die verwendeten Kommunikations-, Reise- und Transportmedien die entscheidende Rolle.

30

I. Zwischen Lissabon und Istanbul

1.3 Habitus Das Individuum ist geprägt von Strukturen und Prozessen, zugleich gestaltet es diese aktiv mit und ist ein bestimmender Teil eines umfassenden Gefüges.51 Strukturen werden durch Handeln, aber auch durch Passivität geschaffen. Sie sind durchdrungen von sich überlagernden und überlappenden Identitäten und gestalten das Habitat. Diese Strukturen prägen sich dem Individuum so tief ein, dass sie Teil des Unbewussten und des Körpers werden, des Habitus (Bourdieu). Sie bestimmen das Handeln der Individuen, meist ohne dass ihnen bewusst wäre, dass ihr Handeln strukturell festgelegten Regeln folgt. Der Habitus bestimmt Wahrnehmungs-, Denk-, Erfahrungs-, Beurteilungs- und Bewertungsschemata von Menschen. Er entsteht als Folge der Sozialisation und ist sozusagen die verinnerlichte Gesellschaft, die darüber entscheidet, wie sich die condition humaine des Einzelnen konstituiert. Im Habitus zeigt sich die Grundhaltung des Individuums gegenüber der Welt. In ihm drückt sich eine bestimmte kollektive Mentalität,52 aber auch eine körperliche Verfassung aus, da im Körper die gesellschaftlichen Konflikte sichtbar sind. Mit ihren Denkmustern, Verhaltensweisen und Handlungen verändern Individuen und Gruppen die Strukturen ebenso wie diese die Innenwelt von Menschen prägen; im Habitus verstreben sich Außen- und Innenwelt. Der Habitus organisiert menschliches Zusammenleben und entscheidet über die Stellung eines Individuums in der Gesellschaft. Pierre Bourdieu unterscheidet mehrere Kapitalien, die einem Individuum je nach Herkunft zur Verfügung stehen: Neben dem wirtschaftlichen Kapital steht das kulturelle – Bourdieu meint damit vor allem die Qualifikationen, die man sich durch Bildung aneignet – und das soziale Kapital, das durch die Herkunft und Reputation der sozialen Gruppe bestimmt ist, der ein Individuum angehört oder entstammt. Durch das ,,symbolische Kapital“, die soziale Wahrnehmung schließlich, werden diese drei Kapitalwerte zueinander in Bezug gesetzt und organisiert. So entstehen die Werte einer Gesellschaft, Ehre und Lebensstile, die anzustreben sind. Mit dieser mehrdimensionalen Struktur 51

52

Wehler: Alltagsgeschichte, S. 142; Wehler: Was ist Gesellschaftsgeschichte?, S. 119. Walter Benjamin erkannte diese Wechselwirkung in seiner Auseinandersetzung mit dem Begriff ,,Charakter“. Das Außen, das der handelnde Mensch vorfindet, könne auf sein Innen, sein Innen auf sein Außen zurückgeführt werden. Charakter und Schicksal würden in dieser Betrachtung zusammenfallen. Benjamin: Illuminationen. Band 1, S. 43. Bei der Definition von Mentalitäten folgen wir František Graus, der mit diesem Begriff den ,,gemeinsamen Tonus längerfristiger Verhaltensformen und Meinungen von Individuen innerhalb von Gruppen“ beschrieb, die spezifische ,,verinnerlichte Muster (patterns)“ bildeten. Graus wies darauf hin, dass sie nie einheitlich seien, oft sogar widersprüchlich. Mentalitäten äußern sich sowohl in spezifischer Ansprechbarkeit auf Impulse als auch in Reaktionsformen. Unter Stereotypen verstehen wir überlieferte Charakteristiken, die auf der Grundlage von Mentalitäten oder auch vermeintlicher Mentalitäten entstanden sind. Graus: Mentalitäten im Mittelalter, S. 13f.

1. Die Méditerranée als Kommunikationsraum

31

zeichnet Bourdieu ein komplexes Gefüge der gesellschaftlichen Verhältnisse, der Beziehungen zwischen den Individuen und sozialer Ungleichheiten. Die treibenden Kräfte in der Bildung und Verschiebung dieser Strukturen sind die Wahrnehmung und die Kommunikation.53 Der Habitus ist kein einheitliches Gefüge, sondern hat verschiedene Ausprägungen, ist oft sogar widersprüchlich, mit zeitlich und räumlich determinierten Abweichungen.54 Diesen Gedanken formulierte bereits Rudolf Vierhaus mit seiner Feststellung, dass Menschen in verschiedenen Lebenswelten gleichzeitig leben können. Er versteht unter Lebenswelt die ,,wahrgenommene Wirklichkeit“, in der Individuen und soziale Gruppen agieren und ,,durch ihr Denken und Handeln wiederum Wirklichkeit produzieren“.55 Die Lebenswelten historischer Akteure sind selbstredend in einen übergreifenden historischen Kontext eingebettet. Martina Löw zeigt, wie Habitus und Raum sich gegenseitig formen. Raum wird in Übereinstimmung mit der relationalen Raumsoziologie als Dualität von Handlung und Struktur, als relationale (An)Ordnung von sozialen Gütern und Menschen, zugleich als prozesshafte Konstruktion einer Synthese dieser verschiedenen Elemente in Vorstellung, Wahrnehmung und Erinnerung wie der Verortung von Gütern und Menschen in diesem Raum betrachtet. Als soziales Phänomen ist der Raum von Bewegungen von Menschen und Objekten bestimmt, über transnationale oder translokale Netzwerke, sozioökonomische, kulturelle und religiöse Faktoren und natürlich Machtbeziehungen gegliedert. Löw sieht dabei hinter diesen primären Faktoren die ,,Atmosphäre“ des Raumes als maßgeblich, die emotional aufgeladen und vom jeweiligen Habitus vorstrukturiert ist. Diese Atmosphäre entscheidet über Gefühle der Zugehörigkeit und des Wohlbefindens, damit letztlich auch über In- und Exklusion von Individuen und Gruppen.56 Die Bourdieusche Verbindung von Habitus und Habitat wird hier erweitert bzw. mit dem Aspekt der (kollektiven) Imagination akzentuiert, der für die emotionale Aufladung, die Atmosphäre wie auch die Synthesemechanismen entscheidend 53

54 55 56

Bohn: Habitus und Kontext; Bourdieu: Die feinen Unterschiede; Bourdieu: Zur Soziologie der symbolischen Formen, insbesondere S. 125f.; Ellenberger: Die Entdeckung des Unbewussten; Froehlich, Moerth: Das symbolische Kapital der Lebensstile; Jurt: Bourdieu; Krais, Gebauer: Habitus; Papilloud: Bourdieu lesen; Reichardt: Bourdieu für Historiker? Norbert Elias nannte das Konzept dynamischer gesellschaftlicher Formationen von Verflechtungen der Menschen untereinander als auch mit strukturellen Vorgängen Figurationen. Elias: Die höfische Gesellschaft, S. 312f. Die Reduktion von Herrschaft auf sozioökonomische Prozesse wurde durch diese neuen Konzepte aufgebrochen, wie auch von Walter Benjamin in seiner Kritik am Fortschrittsoptimismus der marxistisch orientierten Wissenschaftler gefordert. Konersmann: Erstarrte Unruhe. Schwara: Unterwegs. Vierhaus: Die Rekonstruktion historischer Lebenswelten. Löw: Raumsoziologie.

32

I. Zwischen Lissabon und Istanbul

ist. Imagination und Phantasie sind untrennbar verbunden mit emotionaler Befindlichkeit, die weit über ein vages Empfinden hinausgeht. Imagination bestimmt Handlung wie Struktur, und ist beiden stets einen Schritt voraus. Sie entscheidet maßgeblich über Grade von Verortungen. Stereotype sind ein Teil solch kollektiver Phantasien und gut erforscht.57 Imagination erfasst jedoch noch viele weitere Bereiche von Gesellschaft, sie ist Grundlage jeder größeren Form von Gemeinschaft.58 Sie ist wahrhaft ,,entgrenzt“, füllt den leeren Raum der generellen Unmöglichkeit. Die Vorstellung in ihren Facetten ist Antrieb zur Handlung und Verortung, leitet das Kollektiv und die Einzelnen. Imagination hat weiter heterogene Aussagekraft darüber, wie eine Gruppe gern imaginiert würde und ist zugleich in differenzierter Form wirksam.59 Eine Möglichkeit, diesen Imaginationen auf die Spur zu kommen, bietet der Zugang über die kollektiv geteilten mental maps, die als strukturierte, höchst subjektiv eingefärbte Abbildungen eines Teils des Lebensraums Zugriff auf ihm zugrunde liegende Phantasien ermöglichen.60 Bei diesem anregenden Diskussionsstand setzen wir mit unseren vier Themenkomplexen ein.

57 58 59 60

Baudrillard, Guillaume: Figures; Bhabha: Location of Culture; Douglas: Ritual; Imaginationen des Anderen. Hg. von Schabert, Boenke; Kristeva: Pouvoirs. Anderson: Imagined Communities. Žižek: Sublime Object. Downs, Stea: Kognitive Karten. Einführung des Herausgebers, S. 7–14. Einen umfassenden Literaturbericht zu mental maps verfasste Frithjof Benjamin Schenk. Schenk: Mental Maps.

2. Die Suche nach dem Glück und Widrigkeiten auf dem Weg

2.1 Handel Die mobilen Kaufleute in Ancona und Livorno, egal ob fest oder temporär dort wohnhaft, pflegten multiple, persönliche und geschäftliche Beziehungen – ohne Rücksicht auf politische Grenzen oder andere Schranken – im gesamten Mittelmeerraum und darüber hinaus. Sie schlossen sich in ,,Nationen“ zusammen. Eine nazione (oder universitas) ist keine Nation im modernen Sinne. Es ist eine Institution, die aus dem Mittelalter stammt und vor allem im Mittelmeerraum, insbesondere in den Häfen der Levante, eine wichtige Rolle spielte. Die Kaufleute einer nazione definierten sich primär über gemeinsame Handelsinteressen und die gleiche geographische Herkunft, wobei Religion mitunter ebenfalls als Ein- oder Ausschlusskriterium verstanden wurde.1

2.2 Aktion, Präsenz, Interaktion Einmal in der Fremde angekommen und genötigt, sich in der neuen Heimat zu verorten, fanden viele Menschen Rückhalt in der Religion und Kultur, die sie von Zuhause mitgebracht hatten. Es ist kein Zufall, dass in der Diasporasituation sinnstiftende Einrichtungen für viele Menschen zum koordinierenden Strukturelement wurden und sie untereinander verbanden: Eigene Gotteshäuser, Schulen und Friedhöfe waren konstante Bausteine einer mobilen Identität. So vereinten beispielsweise Synagogen in Dubrovnik oder Belgrad die Juden nach der Flucht vor der spanischen Inquisition. Die Furcht vor Verfolgung ist allerdings nur eine von vielen Antriebfedern, das Glück in der Ferne zu suchen. Der von Krisen, Entwurzelung und Anpassung betroffenen victim diaspora kann eine selbstbewusste facts diaspora gegenübergestellt werden, die in der Lage ist, ihre Kultur gegen Fremdeinwirkungen zu schützen und weiter zu entwickeln.2 Die religiöse Kultur dient in jedem Fall als eine konstitutive Grundlage der Verortung von Diasporagruppen.

1 2

Filippini: Les nations à Livourne, S. 581f. Lipphardt: Sammelrezension Diaspora.

34

I. Zwischen Lissabon und Istanbul

2.3 Maritime Quarantäne Alle auf Schiffen einreisende Menschen mussten bei Ankunft in einem der Häfen der nördlichen Méditerranée das maritime Quarantänesystem durchlaufen. Dieses System sollte mögliche oder tatsächliche Seuchen abwehren und war sowohl essentieller Bestandteil der Ankunft von Reisenden wie des Handels. Die mit ihm verbundene Isolation und Reinigung brachte deutliche zeitliche Verzögerungen, finanzielle Einbußen sowie einen zumeist beengten, kontrollierten und unfreien Aufenthalt mit sich. Cádiz und Lissabon waren durch große diasporische Bevölkerungen gekennzeichnet. In ihren Häfen kreuzten sich drei der wichtigsten Schifffahrts- und Handelsrouten und bewegten sich zahlreiche Vertreter der Diasporagruppen ebenso wie Einheimische. Beide Kollektive mussten sich mit der maritimen Quarantäne arrangieren, sie erdulden oder eine Umgehungsmöglichkeit finden. Diasporavertreter hatten sich zudem mit der allgemein angenommenen Verknüpfung von Seuchenverantwortung und Fremde bzw. Mobilität von Menschen und Ware auseinanderzusetzen.

2.4 (Un)Freiheiten Bei Piraten, Soldaten oder Seeleuten, Verschleppten oder Sklaven, Herren oder Dienern, die freiwillig oder unter Zwang auf Malta landeten, stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien sie sich zu Gruppen zusammenschlossen. Bei Piraten oder Korsaren scheint es offensichtlich zu sein, dass sie, wie Kaufleute auch, über religiöse, sprachliche oder ethnische Grenzen hinweg das gemeinsame Ziel verfolgten, Profit aus ihren Aktivitäten zu schlagen. Sie bildeten eine Art funktionaler Gemeinschaft, um Beute zu machen. Die Sklaven dagegen wurden ihrer Welt durch die Gefangenschaft gewaltsam entrissen, sie mussten hoffen, dass sie die Solidarität ihrer Mitmenschen zurück in die Freiheit, in den heimatlichen Schoß oder den ihrer diasporischen Gemeinschaft, brachte. In dieser ,,Parallelwelt“ der Täter und Opfer war das Leben der Diasporagruppen vom Kampf um Freiheit, respektive von der Suche nach Profit aus der Unfreiheit geprägt.3 Dieses Buch gründet auf Archivmaterialien und Sekundärliteratur. Bei den Archivmaterialien kann es sich natürlich nur um eine Auswahl handeln. Die Studie ist auf wenigen Paradigmen aufgebaut, die exemplarisch für größere Zusammenhänge stehen und weit über diese Fallbeispiele hinaus 3

Zur Schattenwirtschaft in der Parallelwelt Livornos siehe: Fettah: Les consuls de France, S. 149.

2. Die Suche nach dem Glück und Widrigkeiten auf dem Weg

35

ihre Entsprechungen finden. Als Ankerpunkte für diese fragmentarische Multiperspektivität4 dienten die jeweiligen Themenkomplexe, verstrebt mit der diasporischen Lebensform der historischen Akteure. Konkret stützen wir uns auf Archivmaterial aus Lissabon, Cádiz, Livorno, Ancona, Malta, Ragusa (Dubrovnik) und Belgrad. Es handelt sich dabei hauptsächlich um die Bestände aus Polizei-, Verwaltungs- und Notariatsakten, Beschlüsse von Handelskammern oder Zollbestimmungen, Regierungserlasse, Regierungspläne und Bittschriften oder Beschwerdebriefe von Bürgern oder Ausländern an die Behörden. Diese Forschungsarbeiten wurden anhand der Sekundärliteratur um Städte erweitert, die in den Diaspora-Netzwerken ebenfalls eine wichtige Rolle spielten.5 Die überaus reichen Archivbestände erlaubten nur punktuelle Arbeit. Der Mut zu dieser Lücke ist aber Voraussetzung für eine Themenstellung, die Entwicklungen über größere Zeiträume und Territorien nachgehen will. Wir haben uns für die Einbettung intensiver Regionalgeschichte (Mikrogeschichte) in ihren umfassenden historischen Kontext (Makrogeschichte) entschieden. Akten entstehen erst, wenn die Behörden in Aktion treten oder zumindest dazu aufgefordert werden – und diese Aufforderungen erhalten geblieben sind. Der größte Teil des Lebens ist somit nicht dokumentiert. Zudem waren die Akten selbst Opfer der Zeit. Brände, Kriege, Naturkatastrophen wie auch die Archivare ließen viele Quellen verschwinden. Die Interpretation der Materiallücken ist ein Bestandteil historischer Arbeit. Indirekte Hinweise können auf fehlende Akten aufmerksam machen. Zeugnisse, die den Alltag dokumentieren, eine Kontinuität ohne sensationelle Brüche und spektakuläre Wendungen, gibt es kaum.6 Allein die Berührungspunkte mit Bevölkerungsgruppen, die Zeugnisse hinterlassen haben, ermöglichen einen Blick auf die nicht dokumentierte Welt. Ihre Berichte aber decken wiederum ihre Lebenswelten auf, vor allem ihre Sichtweise, eine der Hauptproblematiken der Postcolonial Studies. In den bearbeiteten Themenkomplexen der mental maps, Aktion, Präsenz und Interaktion, maritimen Quarantäne und (Un)Freiheiten geht es um Prozesse der Verortung im Spannungsfeld von Mobilität und Sesshaftig-

4 5

6

Ausführlicher dazu Schwara: Unterwegs, S. 31. Florenz zum Beispiel unterhielt intensive Handelsbeziehungen zu Ancona und Livorno. Darüber hinaus kontrollierten ab 1421 die Medici von Florenz Livorno über mehrere Jahrhunderte politisch. Auch die Geschichte des Kirchenstaates, der ab 1532 über mehrere Jahrhunderte hinweg die politische Hand über der Stadt Ancona hielt, wird über die Fachliteratur erschlossen. Zur Problematik der Anonymität großer Gruppen in der Geschichte, da sie kaum in historischen Quellen vertreten sind, siehe Graus: Mentalitäten im Mittelalter, S. 47. Die Sprache biete hier Möglichkeiten für historische Forschung, sowohl die Begriffsgeschichte als auch die verschiedenen Soziolekte. Auf die Problematik der Bevölkerungsgruppen, die kaum historische Zeugnisse hinterlassen haben, geht u. a. Alf Lüdke ein. Lüdtke: Stofflichkeit.

36

I. Zwischen Lissabon und Istanbul

keit, lokalen und transnationalen Identifikationen, Hybridisierungen und Ethnisierungen zwischen ,,roots“ und ,,routes“.

3. Die Méditerranée und ihre Glaubensbekenntnisse: Sinnstiftende Konzepte als strukturierende und rivalisierende Legitimierungen Bis zum Aufkommen moderner Nationalstaaten bestimmte zu einem wesentlichen Teil die Religion über den Lebensstil und kulturelle Ausdrucksformen. ,,Religion“ verstehen wir ,,als ein Stück Deutungskultur, die die ganze Wirklichkeit der Lebenswelt konstituiert, das Verhalten der Menschen und ihren Lebenshorizont, ihre Lebensinterpretationen prägt.“1 Diese weite Definition ermöglicht es, die vielfältigen Haltungen und Denkweisen, die von Religion bestimmt sind, in den Blick zu nehmen, die bei einer ideengeschichtlichen Analyse der Religionen als Glaubenskonzepte oder Institutionen unsichtbar bleiben. Gleichzeitig lenkt sie den Blick auf religiöse Symbolsysteme, die die interkulturellen Beziehungen in Diskurs und Praxis tief beeinflusst haben. Den Mittelmeerraum strukturierten religiöse Bekenntnisse weit über kulturhistorische Vorstellungen hinaus, sie legitimierten politische Bündnisse, Hoheitsansprüche, unterstützten Kontinuitäten und Brüche. Im Mittelmeerraum trafen die drei monotheistischen Weltreligionen aufeinander und rangen um die Vormachtstellung in diesem Gebiet. Sie sogen archaische, naturreligiöse Strukturen auf, erweiterten und überlagerten sie.2

3.1 Die muslimische Méditerranée Der Islam und das Mittelmeer standen sich von Anfang an nahe.3 Mit der Islamisierung der Arabischen Halbinsel und Nordafrikas rückte der Islam seit dem 7. Jahrhundert an die Küsten des Mittelmeers vor.4 Der ,,untere“ Mittelmeersaum war somit schon lange vor der Einung unter osmanischer Obrigkeit muslimisch beherrscht, auch wenn die Eroberungen von Beginn an von der Bereitschaft zu religiösen Kompromissen und Arrangements geprägt waren.5 So blieb beispielsweise die Bevölkerung Ägyptens bis ins 14. bzw. 1

Nipperdey: Religion im Umbruch, S. 7. So beispielhaft vertreten von Horden, Purcell: The Corrupting Sea, S. 548f. Weiterführend Taylor: Christians and the Holy Places. 3 Dies wird durch Karten verdeutlicht, die zeigen, wo muslimische Herrscher und ihre Reiche lokalisiert waren. Lewis: Stern, Kreuz und Halbmond, S. 501f. 4 Siehe dazu Rathjens: Die alten Welthandelsstrassen. 5 Albrecht Noth sieht darin einen der Hauptgründe für die erfolgreiche und rasante Verbreitung und Etablierung muslimischer Herrschaft. ,,Eine muslimische Ökumene (...) ist 2

38

I. Zwischen Lissabon und Istanbul

15. Jahrhundert überwiegend koptisch.6 Von einer homogen-religiösen Bevölkerung ist auch für die Frühphase nicht auszugehen, vielmehr zeichnete sich die muslimische Méditerranée durch religiösen Pragmatismus aus. Ihr Machtbereich überschritt in diesem Zeitraum die Wasserscheide bei Gibraltar und dehnte sich bis 750 im Königreich ,,al-Andalus“ auf beinahe der gesamten Iberischen Halbinsel aus.7 Erst mit der abgeschlossenen Reconquista Ende des 15. Jahrhunderts war der ,,obere“ Mittelmeersaum aus dem muslimischen Einflussbereich entfernt. Das Mittelmeer wurde nun zur flottierenden Trennwand zwischen Christentum und Islam.8 Das Osmanische Reich sicherte sich die Süd- und Ostküste des Mittelmeers und dehnte den muslimischen Einflussbereich nach der Eroberung Konstantinopels 1453 auch im Nordosten Europas aus, während an der Nord- und Westküste der Méditerranée das katholische Spanien die Oberhand gewann.9 Die Seeschlacht von Lepanto 1571 bekräftigte diese Trennungen des Mittelmeers und klärte die Aufteilung der Einflusssphären. Bis weit ins 17. Jahrhundert hinein war die osmanische Flotte eine wichtige Kraft im Mittelmeerraum, die von ihren vorderasiatischen und nordafrikanischen Häfen aus bis in den Atlantik und an die nordwesteuropäische Küste vordrang. Erst vom 18. Jahrhundert an konnte das christliche Europa seine Position in der Méditerranée weiter ausbauen, diesmal auch unter protestantischen Vorzeichen.10 Das Meer war in der skizzierten Zeit längst nicht nur Kriegsschauplatz, sondern ein wichtiger Vermittlungs-, Kommunikations- und Wirtschaftsraum. Selbst während der Zeit der Kreuzzüge wurden die Handelsbeziehungen der christlichen Hafenstädte wie Genua, Pisa oder Venedig nicht unterbrochen – auch wenn Papst, Kaiser oder Kalif Kontakte verboten.11 Noch für das 16. Jahrhundert gibt es zahlreiche Beweise dafür, dass Muslime die Wasserrouten nutzten, um ihre Waren in christlichen Gebieten zu verkaufen, etwa

6 7 8

9

10 11

wesentlich durch Vereinbarungen und Verträge zustande gekommen und nicht durch praktizierte Missionskriegs-Mentalität.“ Noth: Früher Islam, S. 63. Die Zusicherung der Religionsfreiheit für die Kopten war im Friedensvertrag von 642 festgelegt. Halm: Araber, S. 54. Zeitweilig waren im 8. Jahrhundert auch größere Teile Südfrankreichs unter muslimischer Kontrolle. Beginnend mit der Islamisierung sieht Bernard Lewis im Mittelmeer die Entstehung einer kulturellen, politischen und religiösen Barriere. Zuvor sei Nordafrika über das Mittelmeer mit Europa näher verbunden gewesen als mit den Gebieten südlich der Sahara. Lewis: Cultures in Conflict, S. 65f. Susan Rose erarbeitet die christlich-islamische Feindschaft anhand deren Beziehungen übers Wasser, vornehmlich natürlich übers Mittelmeer. Sie betont, dass die Seekonflikte nicht nur unter Religionsfeinden ausgeführt wurden. Genua, Venedig und Aragon waren in politischer und ökonomischer Hinsicht ebenso erbitterte Rivalen. Rose: Islam versus Christendom. Lewis: Stern, Kreuz und Halbmond, S. 150. Halm: Ayyubiden, S. 212.

3. Die Méditerranée und ihre Glaubensbekenntnisse

39

in Ancona.12 Die europäischen Häfen waren ihnen jedoch in den Folgezeiten verschlossen, so dass der intermediterrane Handel mit wenigen Ausnahmen von europäisch-christlichen Schiffen bedient wurde. Diese transkulturellen Handelswege wurden durch Piraten und Korsaren verschiedenster Glaubensbekenntnisse, die die Gewässer unsicher machten, gestört.13 Die zu Beginn des 17. Jahrhunderts aus Spanien verbannten ,,moriscos“, die sich im Maghreb niedergelassen hatten, nutzten den Korso gegen Spanien, um sich an den Herrschern ihrer verlorenen Heimat zu rächen und zugleich ihren Platz in der neuen maghrebinischen Gesellschaft zu finden. Glaubensaspekte wurden dabei als Legitimation eingesetzt, spielten in der Realität jedoch keine große Rolle. Vielmehr waren vor allem das Gebiet um Gibraltar und der umliegende atlantische Raum Schauplatz persönlicher bzw. kollektiver Rache und (erfolgreicher) Suche nach Möglichkeiten, ihre aus Spanien mitgebrachten maritimen Kenntnisse anzuwenden.14 Zugleich blieben sie der alten Heimat jedoch kulturell verbunden, noch im 18. Jahrhundert wurde vielerorts spanisch gesprochen.15 Der Lebensraum am Wasser war begehrt und deshalb umstritten. Die angrenzenden Religionsgemeinschaften hinterließen im Mittelmeer ihr Prägezeichen. Das Mittelmeer war immer Schauplatz multipler Kontakte wie Konflikte.

3.2 Die katholische Méditerranée Mit dem Abschluss der Reconquista mit dem Fall der Stadt Granada 1492 war die nördliche Mittelmeerküste durchgängig unter christlicher Herrschaft. Das ,,dazugehörige“ Meer, das Mittelmeer, wurde spätestens ab diesem Zeitpunkt als katholische Einflusssphäre propagiert. Die imaginierte Teilung des Mittelmeeres in eine christliche und eine muslimische Domäne hatte jedoch bereits im 12. Jahrhundert begonnen.16 Der Bau von Verteidigungs- und

12 13 14

15 16

Inalcik: Capital Formation, S. 113. Chipulina: Barbary Corsairs, S. 484. Dies trifft vor allem auf Salé zu. Die ,,moriscos“ brachten den zwar existenten, jedoch eher peripheren Korso der Stadt zur vollen Blüte und transformierten den Hafen in eines der Zentren muslimischen Korsos. Leïla Maziane betont, dass man ihnen jedoch in keinem Fall religiösen Fanatismus als Antrieb unterstellen soll. Vielmehr wollten die Seeleute Profit machen, ihre mitgebrachten nautischen Kenntnisse gewinnbringend einsetzen – und Vergeltung für ihre Vertreibung üben (Maziane: Salé, S.10). Zudem profitierten sie von ihren Ortskenntnissen: ,,...attacked their erstwhile homelands with the skill and knowledge that comes from familiarity with the land.“ Wolf: Barbary Coast, S. 104. Wolf: Barbary Coast, S. 30. Corrales: Comercio de Cataluña, S. 17.

40

I. Zwischen Lissabon und Istanbul

Wehranlagen entlang der Küsten gegen ,,die türkische Gefahr“,17 große militärische Auseinandersetzungen, kleinere Scharmützel, private Kaperfahrten und andere halb- bis ganz illegale private Unternehmungen zeugen von dieser Teilung und vom Versuch, ins ,,andere“ Gebiet vorzudringen und das ,,eigene“ zu schützen. Hierfür stehen exemplarisch die zeitweiligen Eroberungen der nordafrikanischen Hafenstädte Algier, Tunis und Tripolis durch Spanien im 16. Jahrhundert und die von ihnen gehaltenen ,,presidios“, Festungen an der nordafrikanischen Küste. Als letztes verirrtes Aufbäumen des christlichen Kreuzfahrtgedankens ist an dieser Stelle die katastrophale portugiesische Marokkoexpedition Sebastiãos 1578 zu nennen, die unter anderem zur Annexion Portugals durch Spanien führte. Fernand Braudel konstatiert für den anschließenden Zeitraum eine weitaus größere Fokussierung des christlichen Europa auf den Atlantik als aufs Mittelmeer. Der Atlantik – vor allem entlang der Passage in die Neue Welt – ist im 16. und 17. Jahrhundert weitaus mehr als ,,katholisches Meer“ anzusehen, als das mediterrane Binnenmeer.18 Die tatsächliche katholische Durchdringung ist am ehesten in den christlich beherrschten Küstenregionen der Neuzeit zu verorten, in denen die Machtinstrumente der sich zu Land ausbreitenden Herrschaftssysteme und der Kirche die größte Wirkungskraft entfalten konnten. Als ein solch gelungener Versuch, in der Brandung des Meeres den katholischen Glauben hoch zu halten und ihm damit seine Macht zu bewahren, sind die Einfahrtskontrollen der portugiesischen und spanischen Inquisition zu betrachten. Diese achteten darauf, dass einlaufende nichtkatholische Schiffe keine den ,,rechten Glauben“ bedrohenden Kultgegenstände oder Bücher an Land brachten oder sich ihre Besatzung an Land ungebührlich verhielt.19 Dieses Kontrollbedürfnis der großen katholischen Institution verweist jedoch einmal mehr darauf, dass das Meer nicht wirklich als durchdrungenes katholisches Einzugsgebiet betrachtet wurde. Zudem war dem Meer als Element grundsätzlich nicht zu trauen, als großes Wasser war es der Unvernunft verwandt, und somit nicht sonderlich vertrauenswürdig.20 Auf See konnte alles passieren, Kontrolle war nicht wirklich möglich. Ein Bollwerk des katholischen Mittelmeers stellte Malta unter der Herrschaft der Johanniter bzw. der Malteser Ritter dar. Sie verstanden sich als die Ritter des wahren Glaubens und legitimierten mit ihrer Aufgabe, den Katholizismus zu hüten, die Jagd auf muslimische Schiffe, um christliche auf ihren Seerouten zu beschützen.21 Darüber hinaus fungierten sie als Schirm17 18

19 20 21

Diese beschreibt Braudel eindrucksvoll für das 16. Jahrhundert. Braudel: Mittelmeer. Band 2, S. 664f. Diese Annahme wird auch durch die Rolle der spanischen Inquisition Sevillas in der Auswanderung Richtung Neue Welt unterstützt, die Siegert anschaulich beschreibt. Siegert: Passagiere und Papiere. Macaulay: They went to Portugal too, S. 78. Foucault: Das Wasser und der Wahnsinn, S. 365f. Diesen Begriff verwendet Platt. Platt: Korsaren, S. 95.

3. Die Méditerranée und ihre Glaubensbekenntnisse

41

herren christlicher Korsaren. Diese sollten sich laut ihrer Kaperbriefe zwar auf die nordafrikanische Küste und das östliche, von Muslimen dominierte Mittelmeer konzentrieren, standen aber natürlich als kommerzielle Unternehmungen unter stetem Erfolgsdruck. So ist es nicht verwunderlich, dass sie auch christliche Schiffe überfielen, im frühen 17. Jahrhundert zunächst venezianische, später vor allem griechische Schiffe. Legitimiert wurde der Kampf gegen die Griechen damit, dass sie als Christlich-Orthodoxe der römischkatholischen Kirche nicht angehörten; oder sich hinter dem christlichen Bekenntnis ein ,,muslimischer“ Grieche verberge.22 Im Verlauf des 17. und 18. Jahrhunderts beruhigten sich die Beziehungen auf dem Mittelmeer immer mehr.23 Neue ernst zu nehmende Akteure erschlossen sich das Mittelmeer und formten seine Charakteristika mit. Bei diesen handelte es sich vor allem um nordeuropäische, meist nichtkatholische Vertreter der neuen aufstrebenden Handelsmächte wie England oder die Niederlande. Mit ihren ,,neutralen“ Schiffen fungierten sie als verbindendes Element zu den ,,muslimischen“ Gebieten auf der anderen Seite des Mittelmeers und überflügelten schnell die katholischen Franzosen, Venezianer, Ragusaner und Genuesen, die bis dahin die Handelskontakte zur muslimischen Welt in Händen gehabt hatten. Dieser stete, wenn auch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts meist indirekte Handel wurde über die Häfen von Marseille und in geringerem Maße über diejenigen Venedigs, Ragusas, Livornos und Genuas abgehandelt. Doch auch direkter Handel verband die katholischen und muslimischen Mittelmeeranrainer durchgehend, wie es Corrales eindrucksvoll in seiner Studie zu Katalonien zeigt. Er bezeichnet die Region deshalb auch als ,,zona de intercambios“, Zone des Austausches, in der die ökonomischen Interessen nicht zugunsten von politischen, militärischen oder religiösen Zielen begraben würden, sondern diese ergänzten und sich in den meisten Fällen im Endeffekt gegen diese durchsetzten.24

22

23

24

Häufig hatten die griechischen Schiffe auch türkische Waren geladen, was als Anlass zur Kaperung genommen wurde (Platt: Korsaren, S. 99). Braudel beschreibt die bevorzugte Kaperung venezianischer Schiffe im historischen Kontext sehr anschaulich: ,,Denn die gesamte Kaperwelt hatte Ende des 16. Jahrhunderts eine Rechnung mit der Markusrepublik zu begleichen und bedient sich auf ihre Kosten.“ (Braudel: Mittelmeer, Band 2, S. 714). Er verweist in diesem Zusammenhang auf die Schadenfreude Spaniens angesichts der Schwächung des ungeliebten Konkurrenten. Von einer einenden christlichkatholischen Brüderlichkeit kann hier also nicht ausgegangen werden. Die osmanische Flotte war im 16. Jahrhundert über lange Zeiträume die überlegene Seemacht im Mittelmeerraum. Nach der Seeschlacht von Lepanto 1571 konnte sie ihre Verluste rasch wieder ausgleichen. 1574 unterwarf sich die Streitmacht Tunis. Das langfristige Ergebnis dieser Schlacht war jedoch die Entflechtung der Einflusssphären. Die osmanische Flotte blieb nun eher im östlichen Teil des Mittelmeers. Haarmann u. a.: Geschichte der arabischen Welt, S. 515; Veinstein: L’Empire, S. 20; Braudel: Mittelmeer, Band 2, S. 692. Corrales: Comercio de Cataluña, S. 571.

42

I. Zwischen Lissabon und Istanbul

3.3 Die christlich-orthodoxe Méditerranée Die christlich-orthodoxe Welt hatte der katholischen und muslimischen Dominanz im Mittelmeerraum zunächst nichts entgegenzusetzen. Nach dem Fall Konstantinopels grenzte ihre Einflusssphäre mit der Balkanhalbinsel und einigen vorgelagerten Inseln nach wie vor ans Mittelmeer, doch blieb dieser Einfluss religiös-kultureller Natur, während sich die politische Macht in diesen Gebieten in muslimischen Händen befand. Die Patriarchate in Istanbul, Peć und Ohrid bildeten keine einheitliche Kirche und konnten somit keinen gemeinsamen Raum beanspruchen.25 Der Zugang zum Mittelmeer war entlang der Adriaküste durch Venedig und Ragusa (Dubrovnik) katholisch dominiert, die Ägäis als Teil des Osmanischen Reichs der Orthodoxie nur religiös-kulturell verbunden, ebenso das Schwarze Meer als verlängerter Arm des Mittelmeers.26 Schon in Byzanz, das zwar über eine erfolgreiche Kriegsmarine verfügte, verpachtete der Kaiser Handelsprivilegien aus bündnistaktischen Gründen an die Kreuzfahrernationen.27 Ein ähnliches Muster zeigt sich vom 16. bis 18. Jahrhundert für den Fernhandel mit den Produkten aus den orthodoxen Siedlungsgebieten auf der Balkanhalbinsel: Während der Landhandel in christlich-orthodoxer Hand war, oft im Auftrag von jüdischen, ragusanischen, muslimischen oder armenischen Kaufleuten, übernahmen katholische Kaufleute aus Ragusa mit diesen Gütern den Fernhandel übers Meer. Das als bedrohlich empfundene Potential des christlich-orthodoxen und muslimischen Hinterlandes versuchte die katholische Küste mittels militärischer und seuchenabwehrender Dispositive in Schach zu halten.28 Die Konflikte zwischen der katholischen und muslimischen Welt erlebten die christlich-orthodoxen Akteure aus einer Zwischenposition des christlichen Glaubens unter muslimischer Herrschaft. Die griechischen Schiffe, die die ostägäische Klosterinsel Patmos im 16. Jahrhundert als ein Knotenpunkt der orthodoxen Schifffahrt besaß, profitierten im positiven Sinne von dieser Zwischenposition: Steuerprivilegien und Sicherheitsgarantien, die die orthodoxen Klöster, neben dem Johanneskloster auf Patmos vor allem diejenigen auf Athos, als nominelle Besitzer der Schiffe vom Sultan erhielten, förderten die Entstehung einer bedeutenden griechischen Flotte innerhalb des Osmanischen Reiches. Schiffe aus Patmos hatten zur gleichen Zeit aber auch Privilegien im Handelsverkehr mit Venedig.29 Diese Unterstützung von verschiedenen Seiten ermöglichte das stete Wachstum einer griechischen Handelsflotte, die im 18. Jahrhundert ihre Blütezeit erreichte. Die Kehrseite 25 26 27 28 29

Einführend Todt: Orthodoxie. Braudel: Mittelmeer. Band 1, S. 273. Schreiner: Byzanz, S. 44f. Ragusa erbaute die erste Quarantäneeinrichtung, auch für auf dem Landweg Einreisende. Braudel: Mittelmeer Band 1, S. 188. Zachariadou: Monks and Sailors, S. 140f.

3. Die Méditerranée und ihre Glaubensbekenntnisse

43

dieser hybriden Zugehörigkeit war die Möglichkeit, zur ,,falschen Seite“ gezählt zu werden: Griechische Schiffe wurden von maltesischen Korsaren gekapert, obwohl sie nicht zu den ,,legitimen“ muslimischen Angriffszielen gehörten.30 Die entscheidende Wende folgte im Zuge der großen militärischen Erfolge Russlands gegen das Osmanische Reich und als Konsequenz des Friedensvertrags von Küçük Kaynarca im Jahre 1774. Mit diesem Vertrag war ein wichtiges Ziel für den internationalen Handel erreicht worden, nämlich die ungehinderte Schifffahrt auf dem Schwarzen Meer und die freie Durchfahrt durch die Dardanellen. Er räumte Russland ein Schutzrecht über die Donaufürstentümer ein, und die Krim wurde dem Zarenreich zugesprochen.31 Das christlich-orthodoxe Russland war so zu einem der entscheidenden Akteure in Mittelmeer geworden. Die Bedeutung der christlichen Orthodoxie zeigte sich in der Annäherung Russlands und der katholischen Bastion im Mittelmeerraum, Maltas, die in der Bitte der Malteser Ritter um Russlands Beistand Ende des 18. Jahrhunderts gipfelte.32 Das Mittelmeer war kein Meer religiöser Eindeutigkeiten. Vielmehr kann es als andauernder Schauplatz sich beständig kreuzender, verschiebender und überlappender religiöser Einflusssphären betrachtet werden. Diese frühneuzeitliche Vorstellung eines religiös dominierten Mittelmeeres hatte spätestens mit dem Aufkommen der modernen Nationalstaaten, dem Bedeutungsverlust und der Entzauberung der Religion und ihrer Institutionen, den Friedensverträgen mit den nordafrikanischen Regentschaften und der anschließenden Welle der Kolonialisierung an Boden verloren und wurde durch Konzepte der Moderne ersetzt. An seine Stelle trat das koloniale, vor allem von Frankreich, Großbritannien und Russland dominierte Mittelmeer, das spätestens ab der Napoleonischen Besatzung Ägyptens 1798 die dichotomen Vorstellungen von Ost und West zementierte und wirtschaftliche, politische und militärische Vormachtstellungen in den Vordergrund rückte.33

30 31 32 33

Platt: Korsaren, S. 99. Curtin: Cross-Cultural Trade, S. 79, 184, 190f.; Schwara: Unterwegs, Kapitel ,,Beziehungen und Netzwerke“; Stoianovich: Conquering Balkan, S. 240. Malta and Russia. Hg. von Zolina. Borutta und Gekas verweisen weiter darauf, dass dieses moderne koloniale Mittelmeer sich grundlegend von Braudels mediterranem Konzept des 16. Jahrhunderts unterscheidet. Die von ihm angenommene Statik ist für dieses höchst mobile Meer nicht zu übernehmen. Borutta, Geka: Colonial Sea, S. 2f.

II. Italia felix für Händler: Maritimurbane Gravitationszentren auf der Apenninhalbinsel von Patrick Krebs

1. Ancona und Livorno1 Die Geschichte Anconas, einer Hafenstadt an der Ostküste der Adria, ist von griechischen, römischen, gotischen, byzantinischen, langobardischen und kirchenstaatlichen Einflüssen geprägt. Von 1532 bis Ende des 18. Jahrhunderts gehörte sie zum Herrschaftsgebiet des Kirchenstaates. Im Zuge der Napoleonischen Kriege kam sie in den Einflussbereich Frankreichs, nach dem Risorgimento wurde Ancona in den jungen italienischen Nationalstaat eingegliedert.2 Livorno – zunächst in der Einflusssphäre Pisas, dann Genuas und schließlich von Florenz – liegt auf demselben geographischen Breitengrad wie Ancona auf der gegenüberliegenden Küstenseite der Apenninhalbinsel, am Tyrrhenischen Meer. Die Hafenstadt war Teil des Großherzogtums Toskana, das von 1537 bis 1737 vom Haus der Medici, danach bis 1860 vom Haus Habsburg-Lothringen regiert wurde.3 Im Zentrum dieses Beitrags stehen merkantile Diasporagruppen und die Frage nach den von ihnen imaginierten Welten (mental maps), die sie nach Ancona und Livorno lockten. Wie gelang es Ancona und Livorno, sich über mehrere Jahrhunderte hinweg ins Rampenlicht zu stellen, was machte die Attraktivität dieser Städte aus? Warum konnte man dort felix – glücklich – sein? Welche mentalen Bilder wurden aufgemacht, welche Vorstellungen einer glücklich(er)en Zukunft auf die beiden Städte projiziert – und wie versuchten verschiedene Diasporagruppen, diese Projektionen vor Ort in die Realität umzusetzen? Visionen von künftigem Glück sind mit Vergangenheit und der jeweiligen Ausgangssituation eng verbunden; diese entscheiden darüber, ob Sicherheit, die Aussicht auf ein ruhiges und erfülltes Leben oder rasanter wirtschaftlicher Erfolg im Mittelpunkt der Wünsche stehen. Diese Imaginationen sind natürlich von blind spots durchzogen, da man sich vieles im Voraus einfach nicht vorstellen kann oder es in ferner Zukunft nur abstrakt und vage verortet ist.4 Die Eckdaten der Untersuchung bilden die Jahre 1591/93 und 1868. In Livorno wurde 1591/93 durch die Leggi Livornine – kurz Livornina – die Basis zum porto franco (Freihafen) gelegt, der 1676 umfassend eingeführt wurde.5 1 2

3 4 5

Ein Hinweis vorweg: Der Ausdruck Italia felix, ein glückliches und erfolgreiches Italien, ist dem Sammelband ,,Italia felix. Migrazioni slave e albanesi in Occidente“ entnommen. Zur Geschichte Anconas von den Anfängen bis heute siehe: Natalucci: La vita millenaria, S. 11f. ,,Italienisch“ steht in der Folge vereinfachend für historische Begebenheiten oder Phänomene auf der Apenninhalbinsel, auch wenn es noch kein Italien gab. Der Ausdruck Italia wurde allerdings durchaus schon vor der Vereinigung Mitte des 19. Jahrhunderts verwendet, wie u. a. eine Quelle aus dem Jahre 1739 zeigt. Siehe ASAN, A.C.AN, Commercio e marina, sec. XVIII, Nr. 1705/2, keine Blattnummern. Siehe dazu Baruchello: Livorno e il suo porto, S 11f. Gilbert: Ins Glück stolpern. Die Erlasse vom 30. Juli 1591 und 10. Juni 1593 sind praktisch identisch. Beide zusammen

48

II. Italia felix für Händler

Ancona wurde erst 1732 zur città franca (Freistadt) erklärt. Während der Freihafen in Livorno den wirtschaftlichen Aufschwung einläutete, war dieselbe Proklamation Anconas 1732 ein letzter Versuch, zu alter wirtschaftlicher Größe zurück zu finden. Diese Hoffnung musste spätestens mit der Einigung Italiens und endgültig 1868 mit der Konstitution eines italienischen Zollsystems begraben werden. Die Livornina wurde bereits 1847 abgeschafft.6 Ancona streckte ihre Fühler vor allem in Richtung Osten, an die multikulturell geprägte dalmatinische Küste aus. Vom Osten, vor allem aus Ragusa (Dubrovnik), kamen Slawen, aber auch Griechen und Albaner, osmanische Muslime mit unterschiedlichsten ethnischen Wurzeln und Armenier. Aus dem Westen strömten iberische Juden und Katalanen, aus der näheren Umgebung Menschen aus Florenz, Genua und Venedig, aus dem Norden Flamen, Engländer, Franzosen sowie Deutschsprachige aus München, Köln, Hamburg, Frankfurt und Wien in die Adriastadt. Auch am Tyrrhenischen Meer in Livorno trafen Menschen verschiedenster Herkunft aufeinander: Es gab eine griechische,7 eine armenische, eine siro-maronitische, eine englische, eine holländisch-deutsche, eine französische, eine korsische, eine portugiesische, eine jüdische und eine muslimische Gemeinschaft. Der Haupterwerbszweig vieler Diasporagruppen war der transnationale Handel. Mit ihren Arbeits- und Lebensvorstellungen, ihren wirtschaftlichen Beziehungen und ihren finanziellen Möglichkeiten trafen sie je nach Raum und Zeit auf unterschiedliche lokale Rahmenbedingungen. Die wichtigsten Pull-Faktoren waren speziell auf sie ausgerichtete einladende Gesetze und die Errichtung von Freihäfen. Doch waren Fremde nicht immer willkommen; Fremdenhass, Kriege, Armut, Epidemien oder wirtschaftliche Stagnation gehörten zu den wichtigsten Push-Faktoren.8

1.1 Mental Maps und Imaginationen von Glück Ausgehend von der Grundthese, dass Diasporagruppen als go-betweens, passeurs oder Mittler zwischen den Kulturen fungierten und ein wirtschaftlich

6 7 8

gelten als die verfassungsgebende Konstitution, die Livorno über Jahrhunderte hinweg geprägt hat. Die Originaltexte Privilegi de’ mercanti levantini et ponentini (30. Juli 1591) und Ampliatione de’ privilegi di mercanti levantini et ponentini (10. Juni 1593) sind abgedruckt in: Livorno crocevia di culture ed etnie diverse, S. 139–147, S. 153–161. Cini: La trajectoire de deux communautés marchandes à Livourne, S. 101. Die griechische Gemeinschaft in Livorno wird in der Fachliteratur oft zweigeteilt. Näheres dazu im Kapitel “aus dem Osten und Süden“. In der Regel wirken die Abwanderungs- und Zuwanderungsfaktoren interdependent zusammen. Siehe dazu die einleitenden Ausführungen in der Enzyklopädie über Migration in Europa: Hoerder: Terminologien und Konzepte in der Migrationsforschung, insbesondere S. 28, 32. Eine Übersicht über die Formen der Wanderungen bietet ebenfalls diese Enzyklopädie, S. 1134f.

1. Ancona und Livorno

49

erfolgreiches Bild der beiden Städte konstituierten, steht hier die Frage nach der Entstehung und den Eigenheiten dieser kosmopolitischen Lebenswelten im Mittelpunkt. Es wird untersucht, wie die jeweils spezifischen mental maps eine Orientierung und Ordnung im Raum ermöglichten. Diese mentalen oder kognitiven Landkarten sind strukturierte Abbildungen von Teilen der räumlichen Umwelt, die der Einzelne wahr nimmt und erinnert oder von Narrativen, durch andere tradierte Abbildungen, die er sich zu eigen macht – und erinnert, obwohl sie eigentlich lediglich einen fiktiven Teil seiner eigenen Vergangenheit ausmachen. Diese Fragmente eines realen Bildes sind von mental-psychischen Faktoren, Narrativen und Wünschen – nach einer positiven Zukunft, nach der richtigen Entscheidung, wo diese am besten zu verorten sei – gestaltet und ins Irreale verzerrt.9 So können die obrigkeitlichen Beweggründe für eine fremdenfreundliche Politik, die auf das Wohlergehen der Städte, nicht primär jenes der Immigranten abzielen, leicht übersehen werden. Ebenso wird die Wahrscheinlichkeit von sich negativ auswirkenden politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen und Umbrüchen ausgeblendet, der eigene Handlungsspielraum und mögliche Erfolgsaussichten dagegen überschätzt. Dieses subjektive innere Bild vom Lebensraum, der den Menschen umgibt, von seiner Welt, variiert.10 Im folgenden Beitrag geht es darum, die Wünsche, Träume und Vorstellungen von Diasporagruppen in Relation zu den geistigen Bildern der Obrigkeiten zu stellen. Die daraus entstandenen Übereinstimmungen und Unterschiede führten zu sinnbestimmenden und identitätsstiftenden eigenlogischen Strukturen, die ihren sichtbaren Ausdruck im wirtschaftlich produktiven und viel beachteten Hafen- und Stadtleben Anconas und Livornos fanden, die aber zugleich unsichtbar im Erinnerungsvermögen der Menschen als habituelle und routinisierte Prozesse haften blieben. Diese Eigenlogiken, einem veränderlichen Organismus gleich, schufen das von Individuum zu Individuum variierende Bild der Städte, waren Grundlage und Resultat der Imaginationen über sie und zugleich Ansatzpunkt, ein möglichst anziehendes Bild zu kreieren.11 Mentale Landkarten dienen als Orientierungsanker und entspringen dem menschlichen Bedürfnis nach Einordnung und Gewichtung von Eindrücken. Das internalisierte Bild repräsentiert die geographische Realität nur vage; kulturelle Erfahrungen und die phylogenetische Ausgangslage formen letztlich die Art und Weise, wie Raum wahrgenommen und in Bildern gestaltet wird. Markante und saliente Räume werden im Gehirn als Brennpunkte gespeichert: Sie sind die kognitiven Stützen, um die Eindrücke, Wahrnehmungen 9 10 11

Gilbert: Ins Glück stolpern, S. 224f, 247; Schwara: Unterwegs, Kapitel ,,Emotion, Intuition und Gruppenidentität: Die kollektiv erinnerte Erfahrung“. Schenk: Mental Maps, S. 494. Mit ,,Eigenlogik“, so Martina Löw, sind die verborgenen Strukturen der Städte als vor Ort eingespielte, zumeist stillschweigend wirksame Prozesse der Sinnkonstitution gemeint. Löw: Soziologie der Städte, S. 19.

50

II. Italia felix für Händler

und Erinnerungssequenzen angeordnet werden. Die Salienz kommt durch auffällige Merkmale wie Plätze, Türme oder Monumente und durch biographische Erinnerungen zustande. Die Wahrnehmung verläuft unterschiedlich intensiv. Die mentalen Prozesse laufen vom beiläufigen Sehen bis zur Identifikation, von der bloßen physischen Wahrnehmung bis zur Einprägung. Erinnert werden Orte, die mittels Logos und Widererkennungszeichen Lese- und Orientierungshilfen anbieten. Diese müssen immer wieder neu vergewissert werden, damit wegen gemiedener Raumerfahrungen entstandene Leerstellen auf den mentalen Landkarten nicht auftreten können.12 Wenn Wolf Singer in seinem Beitrag ,,Wahrnehmen, Erinnern, Vergessen“ schildert, dass nicht nur Taten, sondern auch die Geschichten, die Menschen erfinden, Geschichte machen, dann heißt das, dass diese mentalen und sozialen Realitäten – entstanden durch kognitive Prozesse – Wahrnehmungen, Berichte, Erinnerungen und Beurteilungen liefern, die es zu untersuchen gilt. Die Trennung zwischen Akteuren und Beobachtern ist nicht sinnvoll, weil die Beobachtung den Prozess beeinflusst, ja sogar Teil des Prozesses wird. Jede Art von Wahrnehmung ist selektiv; kausale Zusammenhänge konstruiert das humane Gehirn relativ unabhängig von objektiven äußeren Fakten. Für die Geschichtswissenschaft bedeuten diese Erkenntnisse der Hirnforschung, dass die menschlichen Schilderungen keineswegs darauf ausgerichtet sind, ein möglichst objektives Bild der Welt zu liefern. Aus der Flut von Signalen in seiner Umwelt wählt das menschliche Gehirn diejenigen aus, die für das Überleben notwendig sind. Entsprechend gefärbt sind von Menschen kreierte und vermittelte historische Quellen.13 Bereits 1948 befasste sich Edward C. Tolman mit der Frage nach der Bedeutung der kognitiven oder mentalen Landkarten bei der Konstruktion vergangener Welten. Seit den 1970er Jahren wächst die Einsicht, dass die Subjektivität – die persönliche Geschichte und Erfahrung des Beobachters – die Geschichtsschreibung entscheidend leitet. Sowohl die Entstehung der Quellen als auch die Auswahl des zu bearbeitenden Materials, Themenfelder, Fragestellungen, Beuteilungen, Konstruktion des Textes und Fazit sind Produkte individuell selektiver Vorgänge.14 Die mental map ist ein Produkt des menschlichen Gehirns, die strukturierte Abbildung eines Teils der räumlichen Umwelt, die das Individuum umgibt, wie Roger M. Downs und David Stea überzeugend zeigen konnten.15 Der subjektive Faktor spielt eine bestimmende Rolle; kognitives Kartieren variiert je nach Perspektive des Menschen und formt sein einzigartiges Bild von der Welt. Dieses verinnerlichte räumliche Bild von der klar definierten und begrenzten Umwelt konstituiert die

12 13 14 15

Frohnhofen: Jugendliche im ,,Raum ohne Eigenschaften“, S. 37f. Singer: Wahrnehmen, Erinnern, Vergessen; Schwara: Unterwegs, S. 217f. Tolman: Cognitive Maps. Downs, Stea: Kognitive Karten. Downs, Stea: Kognitive Karten, S. 24.

1. Ancona und Livorno

51

mentale Landkarte.16 Verzerrungen der wirklichen Gegebenheiten sind unumgänglich, da niemand seine Perspektive verlassen kann und ,,die Realität“ unendlich viele Gesichter hat. Während kognitive Landkarten die Umwelt nach dem Wo strukturieren,17 informiert das Image bestimmter Orte über das Was und Wie. Städte werden so kollektiv schematisiert wahrgenommen. Sie vermitteln ein oft realitätsfremdes und verzerrtes Bild, das durch Imagekampagnen noch verstärkt und erst durch die realen Lebensbedingungen berichtigt wird. In diesen Vorstellungswelten spielt die Symbolik eine wichtige Rolle. Dinge – Häuser, Brücken, Straßen – weisen individuell und sozial über sich selbst hinaus, sie vermitteln symbolisch nicht verbalisierte Gehalte. In der Umwelt werden Gefühle, Assoziationen und Einstellungen sichtbar. Das Befinden von Individuen und die sie umgebende Atmosphäre lassen sich nur schwer bestimmen, sie sind aber integraler Bestandteil der Art und Weise, wie Menschen ihre Umwelt wahr nehmen.18

1.2 Bewegungen an den äußersten Polen Europas: Der Kampf um Macht und seine Folgen Das 15. Jahrhundert, ein Wendepunkt in der mediterranen Geschichte, wurde von einschneidenden Ereignissen im Südosten und Südwesten Europas geprägt.19 Im Osten flohen viele Christen vor den Eroberungszügen der muslimischen Osmanen, im Westen sahen sich viele Juden und moriscos veranlasst, die Iberische Halbinsel im Zuge der christlichen Reconquista zu verlassen. Die Suche nach einer neuen Heimat führte Juden wie Christen in Städte, deren po16

17 18 19

Downs, Stea: Kognitive Karten, S. 41. Frithjof Benjamin Schenk untersuchte die Vorstellungen der Menschen über die vier Haupthimmelsrichtungen (Schenk: Mental Maps). Andere Forscher werden konkreter, wenn sie Images einzelner Städte betrachten: Zulmira Aurea Cruz Bomfim und Enric Pol Urrutia widmen sich kognitiven Karten von Barcelona und São Paulo. Bomfim, Urrutia: Affective Dimension in Cognitive Maps of Barcelona and São Paulo. Kevin Lynch suchte nach dem Bild der Städte Boston, Jersey City und Los Angeles. Lynch: Das Bild der Stadt. Einige einführende Worte über die kognitive Landkartenforschung und ihre Ziele finden sich bei García-Mira, Real: Environmental Perception and Cognitive Maps. Das Bild der modernen Großstadt bei Kevin Lynch wird laut Kirsten Wagner u. a. davon geprägt, dass sie im Gegensatz zur historischen Stadt keine Gestalt mehr besitzt. Sie frisst sich ungebremst in die sie umgebende Landschaft, die Grenzen und die Geschlossenheit der Stadt werden aufgehoben. Das ideale Gegenbild zeichnet Lynch in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen europäischen Stadt, wie es Venedig und Florenz waren. Wagner: Die visuelle Ordnung der Stadt. Ganz im Sinne von Karl Schlögel: ,,Alle Geschichte hat einen Ort.“ Schlögel: Im Raume lesen wir die Zeit, S. 71. Frohnhofen: Jugendliche im ,,Raum ohne Eigenschaften“, S. 41. Schwara: Unterwegs, S. 158.

52

II. Italia felix für Händler

litische und wirtschaftliche Strukturen eine Aufnahme ermöglichten, so auch nach Ancona und Livorno.20 Für die Bewohner der Apenninhalbinsel war die Eroberung von Otranto 1480 das Schlüsselereignis. Die Gefahr der osmanischen Besetzung kam näher und wurde fassbarer. Dass die Stadt wenige Monate nach der Annexion wieder frei wurde, konnte die Angst kaum mindern. In vielen Städten wurden Wachtürme gebaut, damit feindlicher Vormarsch sofort registriert werden konnte. Neben Städten und Dörfern wurden auch Kultstätten zu Festungen aus- und umgebaut, so die Marienwallfahrtskirche von Loreto, der katholische Vorposten gegen den Islam. Doch nicht alle fürchteten die Osmanen gleichermaßen. Boccolino Guzzoni aus Osimo in den Marken zum Beispiel war bereit, das osmanische Vordringen sogar zu begünstigen, solange der Sultan ihm die Herrschaft über seine Stadt garantierte. Ähnlich nüchtern sahen es viele Händler. Trotz der massiven Überfälle osmanischer Piraten und grausamer Morde blieben sie der wirtschaftsfördernden Auffassung treu: ,,gli affari sono affari,“ Geschäft bleibt Geschäft.21 Den Austausch mit der Levante konnte und wollte man nicht unterbrechen, ,,nur“ weil einige Piraten ein Fondaco verwüstet und einige Fischer umgebracht oder versklavt hatten. Die Behörden der Handelsstädte und der Papst waren nachsichtig, wenn es um die Wirtschaft ging. Levantinische Unternehmer waren an der Messe von Recanati, einige Kilometer südlich von Ancona, willkommen. Die osmanische Regierung autorisierte ihrerseits balkanische und levantinische Kaufleute schon vor 1500, Güter aus dem Nahen und Mittleren Osten über die Adria auf die apenninische Halbinsel zu bringen, wo sie auf die Märkte von Recanati und Lanzan gelangten, zwei bedeutende Messestädte.22 Die Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen 1453 hatte zur Folge, dass den italienischen Händlern, die im Byzantinischen Reich lebten, ihre Handelsprivilegien genommen und stattdessen neu-osmanischen Händlern – Griechen, Serben, Armeniern – zugesprochen wurden. So verließen die Italiener das östliche Mittelmeer, während sich vermehrt Untertane des Sultans auf der Apenninhalbinsel ansiedelten.23 Der ,,palatio della farina“ der Stadt wurde nach dem Vorbild Venedigs 1514 in ein ,,fondaco dei mercanti turchi ed altri musulmani“ umgewandelt, ein ,,Lagerhaus der türkischen Kaufleute und an-

20 21 22 23

Sori: Evoluzione demografica, S. 29f.; Dermigny: Escales, échelles et ports francs, S. 534. Moroni: La Marca pontificia, S. 83f. Stoianovich: The Conquering Balkan, S. 237. Siehe dazu das unveröffentlichte Paper von Molly Greene (Professorin am Historischen Institut der Princeton University) von der Konferenz ,,The Economic Performance of Civilizations: Roles of Culture, Religion, and the Law“, February 23–24, 2007, durchgeführt vom Institute for Economic Research on Civilizations an der University of Southern California: http://www.usc.edu/schools/college/crcc/private/ierc/conference_registration/ papers/Greene.pdf.

1. Ancona und Livorno

53

derer Muslime“, wo die Händler zudem residieren konnten.24 1522 schuf die Regierung in Ancona neue Wohn- und Lagermöglichkeiten für ,,türkische“ und andere muslimische Kaufleute.25 Erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts verdrängte die Achse Split-Venedig die Achse Ragusa-Ancona von der Wirtschaftslandkarte, zudem wählten viele Nordeuropäer neu Livorno als ihren Umschlaghafen.26 Das toskanische Großherzogtum befand sich in einer ähnlichen Situation. Die Toskana zeigte reges handelspolitisches Interesse am Orient. Mustafa Aga, ein Abgesandter des Sultans, besuchte Florenz (er kam über Ancona); wenig später erfolgte ein Gegenbesuch toskanischer Würdenträger in Istanbul. Doch die Verhandlungen scheiterten, wegen kultureller Differenzen, wie es scheint.27 Bei der Verschlechterung der toskanisch-osmanischen Beziehungen darf man die wichtige Rolle der Galeeren der Ritter des Ordens San Stefano nicht unterschätzen. In ihrem erklärten Bestreben, christliche Schiffe und Städte zu schützen, raubten und plünderten sie und schädigten osmanische Städte, Schiffe und Untertanen. Wegen des schlechten Verhältnisses zur Hohen Pforte in Istanbul suchte die Toskana neue Handelspartner, und fand sie in Marokko, auf Zypern oder im heutigen Syrien. Die neuen Partner, etwa der Drusenfürst Fakhr Ad-din, teilten mit der Toskana die Feindschaft zur Hohen Pforte. So entstanden neue Handelsbeziehungen, die jedoch durch den Tod Ferdinandos I. unterbrochen wurden. Ferdinandos Nachfolger, sein Sohn Cosimo II., verfolgte in den Beziehungen zum Orient die gleiche Politik wie sein Vater. Er organisierte mit Hilfe von rebellischen Untertanen der Osmanen, vor allem Persern und Drusen, eine anti-osmanische Front. Zudem unterstützte auch er den San Stefano Ritterorden, der von Livorno aus und mit Hilfe des geflüchteten englischen Katholiken Earl of Warwick (Conte di Varwich), der in Livorno eine schnellere Galeerenart konstruierte, den Osmanen schwere Verluste zufügte. Mit dem Tod Fakhr Ad-din’s – er wurde von der Hohen Pforte hingerichtet – riss die Verbindung der Toskana zur Levante fast völlig ab, erst unter Ferdinando II. intensivierten sich die Handelsbeziehungen erneut.28 Große politische Mächte wirkten nicht nur von Südwest (Iberische Halbinsel) und Südost (Osmanisches Reich) auf die beiden Städte ein. Die weit reichenden west- und nordeuropäischen Handelsnationen Frankreich, Eng24 25 26

27

28

Constable: Housing the stranger, S. 325, 330. Kafadar: A Death in Venice, S. 102, ausführlicher dazu Kapitel “Unauffällige Erfolgsgeschichten”. Diese Umstände versuchte die Stadt Pesaro gewinnbringend auszunützen, indem sie allen Ethnien gleiche wirtschaftliche Privilegien und politische Sicherheit versprach. Kafadar: A Death in Venice, S. 103f.; Moroni: La Marca pontificia, S. 89f. Bartl: Der Westbalkan, S. 67f. Beim Besuch des toskanischen Abgesandten in Istanbul kam es zum Eklat. Der Abgesandte verletzte die türkischen Sitten, indem er unerlaubterweise das Minarett einer Moschee bestieg. Bartl: Der Westbalkan, S. 7f.

54

II. Italia felix für Händler

land, Holland, aber auch die Habsburger Monarchie und Russland prägten ab dem 17. Jahrhundert die soziale, ökonomische und politische Entwicklung mit.29 Die Expansion der Engländer im Mittelmeer lässt sich in drei Phasen unterteilen. Die erste begann gegen Ende des 16. Jahrhunderts mit der generellen Eroberung des Südens, in der zweiten Phase, zu Beginn des 17. Jahrhunderts, konzentrierten sich die Engländer auf Livorno. Sie nutzten die freie Hafenstadt als Handelsbasis und als Kreditzentrum.30 Livorno stellte lange Zeit sogar Genua, den Hafen Mailands und der Lombardei, sowie die beiden Adriahäfen Ancona und Venedig in den Schatten. Livorno erfüllte alle architektonischen Voraussetzungen, damit Vorräte gelagert und Schiffe gewartet werden konnten. Kaum zu übersehen war zudem die Attraktivität Livornos für die Schattenwirtschaft. Die Gewissheit, Amnestie für vergangene Straftaten zu erlangen, lockte Banditen und Piraten aus aller Welt herbei, auch aus England. So wurde Livorno zu einem der größten Märkte für Diebesgut im Mittelmeerraum.31 Bankrotteure, Steuerhinterzieher, Schuldner, Gauner und Ganoven landeten in der Stadt.32 Die englische Krone unterstützte das englische Engagement im Mittelmeer. Zwei einschneidende Ereignisse beeinflussten nach 1588 nachhaltig die Zukunft des livornesischen Hafens. Königin Elisabeth I. annullierte alle ihre Kaperbriefe, so dass die englischen Kapitäne einer ehrlichen, aber weniger ertragreichen Beschäftigung nachgehen mussten. Außerdem erlaubte sie die Gründung der Compagnia del Levante, die den Wirtschaftsraum im Osten zu entdecken begann, zunächst im osmanischen Reich, später in Indien.33 Diese starke Präsenz Großbritanniens wuchs zusätzlich dadurch, dass die Engländer vielen Schiffen erlaubten, unter englischer Flagge zu verkehren.34 Dieser englischen Dominanz stellten sich die Holländer entgegen – die Rivalität dieser beiden Mächte um die Vorherrschaft im Mittelmeerraum nahm ihren Anfang. Nach dem ersten englisch-holländischen Seekrieg, mit der legendären Schlacht im Hafen von Livorno im Jahre 1653, führten die Engländer Verhandlungen mit dem toskanischen Großherzog: Livorno wurde zu ihrem Basishafen. Doch auch holländische Kaufleute nutzten weiterhin die Vorzüge der Stadt. Es kamen gleich viele englische wie holländische Ladungen im Hafen an, circa vierzig bis fünfzig pro Jahr. Erst nach dem Vertrag von Utrecht 1713, in dem Mallorca und Gibraltar England zugesprochen wurden, wurde England die Handelsmacht Nummer Eins, gefolgt von Frankreich 29 30 31 32 33

34

Filippini: Il porto di Livorno e il regno di Francia, S. 192. Pagano De Divitiis: Mercanti inglesi, S. 207f. Pagano De Divitiis: Mercanti inglesi, S. 131f. Dermigny: Escales, échelles et ports francs, S. 533. Hayward: Gli inglesi a Livorno, S. 269. Im 17. Jahrhundert errichteten die Engländer ihr Basislager für den Levanteverkehr in Livorno. Siehe dazu Inalcik: An Economic and Social History, S. 377. Inalcik: An Economic and Social History, S. 737.

1. Ancona und Livorno

55

und Holland. Der Freihafen von Livorno war direkt oder indirekt unter der Kontrolle der Mitglieder der British Factory. Man sprach sogar schon von Livorno als einem englischen Hafen.35 In der dritten Phase der englischen Expansion, Ende des 17. Jahrhunderts, konsolidierte England die Vorherrschaft im mediterranen Raum und dehnte sie auch in Richtung Asien und Amerika immer weiter aus.36 Zu Beginn des 18. Jahrhunderts öffnete König Karl VI. die Adria für den internationalen Handel, indem er Fiume (Rijeka) und Triest zu Freihäfen erklärte.37 Der Handel über die Adria erblühte erneut.

1.3 Zwischen Freihafenmentalität und fremden Einflüssen Ancona, seit dem Mittelalter eine Stadtgemeinde mit eigener Justiz, stand ab 1532 im Spannungsfeld zwischen lokaler Selbstverwaltung und kirchenstaatlicher Kontrolle, die ein governatore ausübte.38 Zwischen dem 11./12. und dem 18. Jahrhundert erlebte die Stadt turbulente Zeiten. Drei Mal gelang es ihr, sich ins wirtschaftliche Rampenlicht der Méditerranée zu katapultieren und für einige Jahrzehnte der Bedeutungslosigkeit zu entfliehen. Um 1100 markierte Ancona in der Adria einen Kontrapunkt zum mächtigen Venedig. Im frühen 16. Jahrhundert genoss die Stadt eine wichtige, vorher und nachher nie erreichte Stellung im transnationalen Handel. Diese Entwicklung verlief parallel zu anderen Handelszentren wie London, Antwerpen, Ragusa und Istanbul. Die dritte Blütephase kann auf das 18. Jahrhundert datiert werden, als Ancona zum Freihafen erklärt wurde.39 Die Gründe für den Erfolg im 16. Jahrhundert waren vielschichtig. Es gab exogene Faktoren, wie politische Veränderungen, die darüber entschieden, ob ausländische Kaufleute die Handelsroute durch Ancona wählten oder nicht.40 Insbesondere Ereignisse östlich Anconas bestimmten die Geschichte der Stadt. Mit der Expansion des Osmanischen Reiches wurden der Balkan und das östliche Mittelmeer unter einer Macht vereint. Diese politische Stabilität kam Ancona zugute.41 Darüber hinaus garantierten attraktive 35 36 37 38 39 40

41

Hayward: Gli inglesi a Livorno, S. 269f. Pagano De Divitiis: Mercanti inglesi, S. 206f. Stoianovich: The Conquering Balkan, S. 283. Mordenti: Vita quotidiana, S. 388. Diese Periodisierung stammt aus Earle: The Commercial Development of Ancona, S. 28. Zu dieser Periode, als sich die Apenninische Halbinsel in einer Übergangsphase befand, zwischen dem späten Mittelalter und der Renaissance mit Berücksichtigung der Rolle Anconas als Wirtschaftszentrum mit Ausrichtung gegen den Osten siehe den Tagungsbericht Ciriaco d’Ancona e il suo tempo; Earle: The Commercial Development of Ancona, S. 28. Earle: The Commercial Development of Ancona, S. 40.

56

II. Italia felix für Händler

städtische Strukturen den Erfolg. Neben dem Bau der Loggia dei Mercanti im 15. Jahrhundert, die bereits im Jahre 1392 ein Thema in der politischen Arena Anconas war,42 gehörten ein abfall-, schlamm- und geröllfreier Hafen, tiefe Zölle und Gebühren und die bereitwillige Aufnahme von Händlern ohne Rücksicht auf deren Ethnie, Religion oder ,,Nationalität“ (gemeint ist die politische Zugehörigkeit) zu den entscheidenden Pull-Faktoren.43 Diese großzügige Behandlung betraf auch Händler aus der Levante, darunter viele Juden, traditionell Garanten für die Prosperität einer Stadt. Auch für muslimische Kaufleute wurden einladende Wohn- und Lagermöglichkeiten zur Verfügung gestellt. Nach 1532 führte der Papst diese tolerante Politik weiter. Selbst Kaufleute, die zum Judentum zurückkonvertierten – was normalerweise auch auf der Apenninenhalbinsel die Inquisition auf den Plan rief, während sie Juden, die immer jüdisch gewesen waren, hier nicht verfolgte –,44 wurden eingeladen, sich in Ancona niederzulassen.45 Die politische Führung Anconas verfolgte diese fremdenfreundliche und fiskal-liberale Haltung als kontinuierliche Politikstrategie. Geographische Faktoren spielten ebenfalls eine wichtige Rolle. Waren aus dem Westen (London, Flandern, Lyon, Toskana) mussten die Adria überqueren, um ins östliche Mittelmeer zu gelangen. Ancona bot dafür den besten natürlichen Hafen und war durch die Kriege im 15. und 16. Jahrhundert kaum beeinträchtigt. Es kam hinzu, dass die große Konkurrentin Venedig wirtschaftlich stagnierte. Durch kürzere Distanzen zwischen Ancona und den südöstlichen Hafenstädten der Adria war die Stadt gegenüber Venedig im Vorteil. Ein weiterer wichtiger Aspekt, wie Peter Earle treffend feststellte, war das Glück.46 Doch das Glück währte nur kurze Zeit. Im 17. Jahrhundert ließ der wirtschaftliche Aufschwung Anconas nach. In einer anonymen Klage wird bedauert, dass es Ancona – im Gegensatz zu früher, als der Handel und der Handelsverkehr blühten – nicht mehr gut gehe. Nur noch ein Handelshaus aus Florenz, vier aus Ragusa und einige wenige anderer Nationen seien übrig geblieben.47 Vorboten dieser Misere können nachträglich bereits im 16. Jahrhundert ausfindig gemacht werden. Die 1532 abrupt verlorene Unabhängigkeit und die folgende direkte Abhängigkeit von päpstlicher Politik, die sich nicht immer als Ancona-freundlich herausstellte, waren ein zu schwacher Boden für eine nachhaltig erfolgreiche Wirtschaftsmacht.48 Die wieder erstarkte Konkurrenz aus Venedig, der direkte Handel zwischen 42 43 44 45 46 47 48

Moroni: Ancona città mercantile, S. 89. Earle: The Commercial Development of Ancona, S. 28f, 42. Arbel: Trading Nations, S. 6. Ausführlich zur Inquisition in Venedig siehe Pullan: The Jews of Europe and the Inquisition of Venice, S. 170f. Earle: The Commercial Development of Ancona, S. 43. Earle: The Commercial Development of Ancona, S. 40f. ASAN, A.C.AN, Commercio e marina, sec. XVII, Nr. 59, keine Blattnummern, 17. Jahrhundert, ohne genaues Datum. Caravale, Caracciolo: Lo Stato pontificio, S. 541f.

1. Ancona und Livorno

57

England, Livorno und dem Ostmittelmeer, die enge Verbindung zwischen Venedig und Split,49 der durch eine neue Papstpolitik verschuldete Wegzug osmanischer, jüdischer und ragusanischer Kaufleute und die englische, französische und holländische Durchdringung der Levantehäfen trugen dazu bei, dass Ancona bald wieder zu dem unbedeutenden Hafen verkam, der er im 15. Jahrhundert gewesen war.50 Die Lücke, die verschiedene Diasporagruppen hinterlassen hatten, konnte durch einheimische Kräfte nicht geschlossen werden.51 Anconas passive Rolle,52 eine zu kleine Industrie, die geringe Bevölkerungsdichte und die Abhängigkeit von ausländischen Händlern verhinderte weitere Fortschritte.53 Viele reiche Ragusaner kauften Land und Immobilien, was dafür spricht, dass sie sich vermehrt in das Leben außerhalb des Handelswesens einfügten. Die adeligen Kaufleute54 interessierten sich neben dem Handel für andere, sicherere und profitablere Geschäftszweige. 49 50 51

52

53 54

Paci: La rivalità commerciale, S. 277–286. Earle: The Commercial Development of Ancona, S. 44. Eine antivenezianische Bulle von Papst Clemens VIIII aus dem Jahre 1594, die zwar allen Händlern freien Handel in Ancona garantierte, aber gleichzeitig eine 12 %-Steuer auf alle Waren legte, die nicht direkt vom Ablaufhafen zum Anlaufhafen gelangten, was vor allem Venedig betraf, und andere kurzzeitig erfolgreiche Interventionen, wie die Einführung des porto franco-Systems 1609, erlaubten einige Jahrzehnte der Wiederlancierung des Handels. Nichtsdestoweniger lässt ein Brief des Rettore di Ragusa an die Stadtregierung in Ancona aus dem Jahre 1596 erahnen, dass die Lage ernst war. Er legte dar, wie sehr ihm Ancona am Herzen liege. Schon immer habe es diese transadriatische Zuneigung und Interessenübereinstimmung gegeben. Er wünschte Ancona alles Gute, vor allem in der jetzigen, schwierigen Zeit. Er sicherte zu, dass sich Ancona auch in Zukunft auf die Zusammenarbeit mit Ragusa verlassen könne. ASAN, A.C.AN, Lettere di privati al Comune di Ancona, 1536–1599, Nr. 668, keine Blattnummern. Jean-Claude Hocquet zeigt diese Passivität am Beispiel des Salzhandels. Ancona, der Passivhafen, ließ zu, dass sich ausländische Geschäftsleute, florentinische, spanische und jüdische Händler sowie ragusanische Bankiers, zwischen die Lieferanten und die Konsumenten zwängen konnten, um so durch Zölle und andere Gebühren reich zu werden. Die Händler mieteten ausländische Schiffe – dalmatinische, venezianische, ragusanische, sizilianische, katalanische, baskische und flämische – um Salz nach Ancona zu schiffen, von wo es in die Poebene gelangte. Die Mieten füllten ebenfalls die Taschen der Ausländer, Ancona ging dabei wiederum leer aus. Hocquet: Commercio e navigazione in Adriatico, S. 253. Das Salz stellte eine lebensnotwendige Ware und eine Steuerquelle dar, weshalb es von den politischen Mächten am Mittelmeer entsprechend eingesetzt wurde, als politische, wirtschaftliche und diplomatische Waffe gegen die feindlich gesinnten Mächte. Das allzu passive Ancona konnte von dieser Konstellation nicht profitieren. Hocquet: Les relations commerciales, S. 183. Earle: The Commercial Development of Ancona, S. 30. Zur Rolle des Adels im italienischen Handelswesen siehe: Angiolini: Nobles et marchands, S. 97–110. Angiolini kommt zum Schluss, dass die Adligen in Italien dem Handel nachgingen, um Profit zu erzielen. Dies heißt aber nicht, dass das Fehlen eines Handelsverbots für Adlige dazu führte, dass der Adel gezwungenermaßen Handel trieb. Der Gewinn diente ihnen lediglich dazu, das soziale Niveau zu halten, um sich von Anderen zu unterscheiden und abzuheben.

58

II. Italia felix für Händler

Dieser Prozess der Interessenverschiebung bei der anconitanischen und ragusanischen Aristokratie im 17. Jahrhundert, verbunden mit wirtschaftlichem Stillstand, leitete den langsamen Zerfall des Hafens von Ancona ein. Dass die Diasporagruppen neu andere Handelsrouten wählten, ohne in Ancona zu halten, lag nicht in Anconas Hand; wie ihr Aufschwung, war auch der Niedergang der Stadt fremd bestimmt.55 Weitere politische Faktoren, wie der Verlust Kretas 1645 an die Osmanen, das Erdbeben 1667 in Ragusa, die gerade in der Adria überaus florierende Piraterie und als Todesstoß das Erdbeben in Ancona von 1690 beschleunigten den Verfall. Von 1690 an verlor die Stadt praktisch alle Konsulate und alle ausländischen Kaufleute.56 Eine ,,piazza senza negozio“, nannte Renzo Paci Ancona treffend, ein ,,Handelsplatz ohne Geschäfte“, nachdem der Kampf um Kreta und die ebenfalls durch Kriege verursachte Verarmung des Balkans (vor allem Bosniens) und die Konkurrenz aus Saloniki das Adriatische Meer in eine Krise stürzten. Das, was an Handelsmasse übrig blieb, verschlangen die Engländer, Holländer und Franzosen, die mit ihren Schiffen vermehrt in Saloniki einliefen, während Venedig, Ragusa und Ancona nur noch Schatten ihrer selbst waren.57 Auf diese wirtschaftliche Krise reagierte Ancona 1732 mit der Einführung der Zollfreiheit.58 Die Stadt wollte sich so den Konkurrenten Triest (Freihafen ab 1719) und Istrien, vor allem Fiume (Rijeka), entgegenstellen.59 Es zeigt sich jedoch, dass die Einrichtung des Freihafens nicht alle Probleme Anconas lösen konnte.60 Im 19. Jahrhundert verlor Ancona den Anschluss an die

55 56 57 58 59

60

Earle: The Commercial Development of Ancona, S. 43. Pavia, Sori: Le città nella storia d’Italia, S. 31. Paci: La rivalità commerciale, S. 285f. Capuzzo: Portifranchi e comunità etnico-religiose, S. 43. Bereits im 17. Jahrhundert wünschten sich die Händler von Ancona, dass der Handel zu alter Blüte zurückkehren möge. Als Mittel dazu sahen sie die Steuerbefreiung. Entsprechender Brief der Händler an die Obrigkeit: ASAN, A.C.AN, Commercio e marina, sec. XVII, Nr. 59, keine Blattnummern. Die Rufe nach einer wirtschaftlichen Reform in Form eines Freihafens wurden seitens der Kaufleute vor Ort im 18. Jahrhundert immer lauter. Der Errichtung des Freihafens in Ancona 1732 gingen lange Debatten und zahlreiche Untersuchungen voraus. Die Vorbereitungen begannen bereits in den 1720er Jahren, als die Stadt im Verfall schien. Bereits am 12. November 1720 wurde zu Ehren des Beschützers der Stadt Ancona, San Cyriaco, im Rahmen eines Festes den Kaufleuten eine einmonatige Steuer- und Zollerleichterung gewährt, wie dies in den guten alten Zeiten der Fall gewesen war. ASAN, A.C.AN, Commercio e marina, sec. XVIII, Nr. 1705/2, keine Blattnummern. Auf Druck Österreichs, die über Ancona ihre Waren verkaufen wollten, stimmte Papst Clemens XII 1732 der Erklärung Anconas zum porto franco zu, was die Österreicher freute und deren Konkurrentin Venedig wirtschaftlich isolierte. Zur Genese des Freihafens Ancona siehe: Caracciolo: Le port franc d’Ancône, insbesondere Kapitel 2 und Caracciolo: Il dibattito sui ,,porti franchi“, S. 538–558. Ein Anstieg des Handelsvolumens bedeutete nicht automatisch einen authentischen Fortschritt, sondern lediglich eine steigende Abhängigkeit von schwachen zu fortgeschrittenen Wirtschaften, so das Fazit Caracciolos zur vermeintlich erfolgreichen Entwicklung Anconas nach 1732. Caracciolo: Il porto franco, S. 289f.

1. Ancona und Livorno

59

fortschreitende Industrialisierung und verschwand in wirtschaftlicher Bedeutungslosigkeit.61 Der politische Wille der Medici – die Schaffung eines Freihafensystems mit parallel verlaufender Städteplanung – führte Livorno zu wirtschaftlichem Ruhm. Während der blühende Handel Pisas im 16. Jahrhundert aufgrund der zunehmenden Versandung seines Hafens dahinwelkte, konnte Livorno Pisas Platz als Hafen- und Handelsstadt einnehmen. 1548 öffnete sich Livorno für die aus Portugal geflohenen Juden, 1565 wurde eine neue Zollverordnung eingeführt.62 Bereits in diesem Jahr kann man von einem Pseudo-Freihafen sprechen, der 1591 in der Livornina weiter ausgebaut und 1676 per Dekret voll eingeführt wurde. Mit dem von Ferdinando erlassenen Toleranzedikt gelang es, das Handelsnetz feiner aufzuziehen und Kaufleute für die Stadt zu interessieren, vor allem christliche (nicht katholische) Kaufleute aus dem Norden und jüdische aus aller Welt, zudem wurde der Handel mit Ragusa, Marseille und mit Nordafrika intensiviert.63 Die Gesetze der Livornina legten den Grundstein für Livornos Freihafen.64 Sie waren die Antwort der Medici auf die wirtschaftliche Konkurrenzsituation am Tyrrhenischen Meer, wo Genua 1590, Nizza 1613, Civitavecchia 1630, Napoli 1630, Messina 1634 und Villafranca 1667 ebenfalls den Freihafenstatus erlangten.65 Livornos Freihafen zog Kapital an, die Stadt wurde der Umschlag- und Lagerplatz Westeuropas für Getreide, Speiseöle und andere Produkte aus der Levante.66 Nicht nur der Hafen, die ganze Stadt wurde durch die Medici reformiert und umstrukturiert, auch in architektonischer Hinsicht.67 Den Medici gelang es, Livorno zum wichtigsten Hafen der Toskana zu machen und die Toskana als bedeutende wirtschaftliche Macht im Mittelmeer zu etablieren.68 Diese Eingriffe wirkten bis weit ins 17. Jahrhundert. Livornos große ökonomische Ausstrahlung beruhte auf importiertem Wissen und Kapital, interkultureller Zusammenarbeit und gebietsübergreifenden Netzwerken. Einen erheblichen Anteil an diesem Erfolg hatten die jüdischen Kaufleute. Sie organisierten den Handel zwischen Nordafrika und dem östlichen 61 62 63 64 65 66 67

68

Anselmi: Venezia, Ragusa, Ancona, S. 85f.; Moroni: Ancona città mercantile, S. 102f.; Pavia, Sori: Le città nella storia d’Italia, S. 36. 1565 lockte diese Zollvergünstigung viele Schiffe an, die ihre Waren eine gewisse Zeit lang vergünstigt lagern durften. Ciano: Navi mercanti e marinai, S. 116f. Braudel, Romano: Navires et marchandises, S. 28. Kirk: Genoa and Livorno, S. 8. Andere Autoren sprechen erst ab 1675 von einem Freihafen in Livorno. So etwa Sirago: Il sistema portuale, S. 54. Aufzählungen der Freihafenstädte siehe Sirago: Il sistema portuale, S. 54. Ebenfalls: Delgado Barrado: Puerto y privilegio en España, S. 266. Dermigny: Escales, échelles et ports francs, S. 545. Maria Sirago geht sogar so weit, Livorno als einzigartiges Beispiel zu bezeichnen, als eine Stadt, die unmittelbar mit der Errichtung der Hafenanlagen geboren wurde. Sirago: Il sistema portuale, S. 54; Nuti: Livorno, il porto, S. 326. Nuti: Livorno, il porto, S. 336.

60

II. Italia felix für Händler

Mittelmeerraum sowie zwischen der Apenninhalbinsel und dem Rest von Europa.69 Die Stadt galt als universale Karawanserei,70 in der Menschen aus aller Welt Schutz, Freiheit und Sicherheit genossen, was sie natürlich finanziell gewinnbringend ausschöpfte. Von den 150 Großhandelshäusern gehörten im Jahre 1765 dreißig toskanischen Kaufleuten, fünfzig jüdischen und siebzig anderen Ausländern. Zu den reichsten Familien im Handelswesen gehörten kaum toskanische, vielmehr bestimmten, neben den Juden, die Engländer, Griechen und Armenier das wirtschaftliche Geschehen.71 Nach dem Siebenjährigen Krieg (1756–1763),72 in dem die Stadt im Spannungsfeld von Neutralität und Zollfreiheit lag, änderte sich die Situation grundlegend. Livorno konnte nur noch reagieren, nie agieren. Der Hafen bekam nur, was ihm angeboten oder zugestanden wurde. Livorno hatte gehofft, durch den Krieg eine führende Rolle im östlichen Mittelmeer zu spielen. Doch die wirtschaftliche Konkurrenz aus Ragusa verdiente weitaus mehr am Krieg. Livorno war gefangen im Spannungsfeld zwischen politischer Zugehörigkeit und seinen wirtschaftlichen Interessen. Verloren war das (umfang)reiche Hinterland mit seinem wirtschaftlichem Potential, zu groß war die Abhängigkeit vom Ausland. Im Verlaufe des 18. und vor allem im 19. Jahrhundert verlor Livorno an Bedeutung, die Industriehäfen triumphierten über die Freihäfen, und Genua verdrängte Livorno endgültig aus dem Rampenlicht.73 69 70

71 72

73

Toaff: La nazione ebrea di Livorno, S. 272. Karawanserei (persisch, Karawanenhof): Unterkunft und zum Teil auch Handelsplatz und Warenlager, an Handelsstraßen oder in großen Städten, für durch Gebiete Asiens oder Afrikas ziehende Gruppen von Reisenden, Kaufleuten, Forschern o. ä. Diese Benennung verwendeten vor allem die Reisenden. Der Terminus funduq (arabisch, Lagerraum) war in Ägypten des 13. und 14. Jahrhundert üblich. Viele Handelsstädte im Mittelmeerraum, etwa Venedig oder Genua, besaßen zudem solche fondacos für die Unterbringung der ausländischen Kaufleute. Der Begriff khan, oft auch kan oder han geschrieben (persisch) wurde vor allem im persischen und osmanischen Raum gebraucht. TamdoganAbel: Les han, ou l’étranger dans la ville ottomane, S. 319, 331. Carrière, Courdurié: Les grandes heures de Livourne, S. 44. In diesem auch als Dritter Schlesischer Krieg benanntem Krieg kämpften Preußen und Großbritannien gegen Österreich, Frankreich und Russland. Damit waren alle europäischen Großmächte der Zeit in den Kriegshandlungen beteiligt. Carrière, Courdurié: Les grandes heures de Livourne, S. 65–80. LoRomer datiert den Bedeutungsverlust Livornos ebenfalls ins 19. Jahrhundert, die Zeit der politischen Einigung Italiens. Die Stadt blieb gefangen in althergebrachter Freihafenmentalität, dem Schock der 1848er Revolution, der Rückständigkeit Zentralitaliens und der Gleichgültigkeit des neuen Zentralstaates gegenüber den Problemen der Städte. Im 16. und 17. Jahrhundert lebte die Stadt noch davon, tüchtige ausländische Händler in die Stadt zu holen, die sich jedoch meist nur befristet in Livorno aufhalten wollten. Die toskanische Regierung wusste dies, weshalb sie den Fremden attraktive Privilegien zusprach. Diese lose, von der wirtschaftlichen Lage abhängige Verbindung stärkte sich im Laufe der Zeit, ein Reformprogramm sollte die beiden Parteien einander näher bringen, was gegen Ende des 18. Jahrhunderts teilweise und temporär gelang, indem die Mobilen immer mehr in die langfristige Sicherung der wirtschaftlichen Prosperität und in die Verfestigung der Stadt-

1. Ancona und Livorno

61

Die wirtschaftliche Entfaltung Anconas und Livornos gestaltete sich im Spannungsfeld von Öffnung und Abwehr gegenüber Fremden. Wenn eine Stadt ihre Tore durch fremdenfeindliche Regeln schloss, dann dauerte es nicht lange, bis eine andere gewinnbringende Fremde mit umfangreichen Rechten willkommen hieß.74

1.4 Versprochenes und erhofftes Glück Die wirtschaftlichen Netzwerke, in die Ancona und Livorno eingebunden waren, kannten kaum Grenzen.75 Besonders dicht geflochten waren sie zwar im Mittelmeerraum, doch die Produktevielfalt, die Herkunfts- und die Absatzmärkte für diese Produkte, die geographische Diversität der Händler und Kapitäne und deren Einkunfts- und Zukunftsmöglichkeiten schienen schier unendlich. Diese sichtbare Entgrenzung war das Resultat von Denkprozessen und mentaler Landkarten, die durch merkantile Diasporagruppen und politische Würdenträger real umgesetzt wurden. Ancona und Livorno sind charakteristische Beispiele für Städte, deren Blüte im symbiotischen Zusammenspiel von individuellen Strukturen entfaltet wurde. Wenn dieser Einklang der Meinungen nicht nur einmalig und punktuell, sondern routinisiert und habitualisiert Eingang in die Praxis erhält, dann bildet sich in den Städten eine eigenlogische Dynamik, die auf kulturelle, politische, soziale und ökonomische Figurationen zurückgreift.76 Anhand der These, dass die Vorstellungen der politischen Machthaber im Kirchenstaat und in der Toskana und der merkantilen Diasporagruppen wirtschaftlich miteinander harmonierten und so eine Eigenheit Anconas und Livornos bildeten, wird im Folgenden zuerst die Sicht der Obrigkeiten dargestellt. Diese wird anschließend mit den Beweggründen, Vorstellungen und Wünschen der Zugewanderten kontrastiert, um den Zusammenhang zwischen Angebot und Annahme zu untersuchen. Die Erfolgsmodelle Ancona und Livorno sind keine Momentaufnahmen, sondern historische Prozesse, durch Konzepte und Pläne der Entscheidungs-

74 75

76

Hinterland-Beziehung involviert wurden. Die Reformen, ein komplexes Zusammenspiel von ideologischen und institutionellen Faktoren, gepaart mit konservativen und progressiven Ansätzen, funktionierten als Abwehrsystem, das den demographischen Druck, die wirtschaftliche Unsicherheit und die ideologischen Unruhen kontern sollte, ohne langfristigen Erfolg letztlich, weil das Vertrauen in die Reformen nach dem Risorgimento verloren ging. LoRomer: Merchants and Reform in Livorno, S. 14f. Ravid: A Tale of Three Cities, S. 161f. Menschen aus Malabar (Südwestindien) oder Khorassan (Zentralasien) fanden den Weg nach Livorno genauso wie Genuesen, Venezianer oder Napolitaner. Dermigny: Escales, échelles et ports francs, S. 535. Löw: Soziologie der Städte, S. 77f.

62

II. Italia felix für Händler

träger geleitet.77 Die aktiv veränderten Strukturen formten die Realitäten in Ancona und Livorno neu. Das Ziel, beide als erfolgreiche Handelshäfen zu etablieren, wurde mit legislativen und infrastrukturellen Mitteln konsequent verfolgt. Die Machthaber Anconas und Livornos hatten klare Vorstellungen vom ,,idealen“ Immigranten, der ihre Handelsstädte bereichern und zu bedeutenden Wirtschaftszentren werden lassen sollte. Zum einen benötigten sie billige, unqualifizierte Arbeitskräfte. Diese strömten in großer Zahl in die Städte, waren austauschbar und daher als Individuen unwichtig. Sie sollten sich unauffällig verhalten, ihre Arbeit verrichten und keinerlei Forderungen stellen. Der Blick auf sie war funktional. Auf der anderen Seite standen die wohlhabenden Kaufleute, die als Individuen wie als Gruppen wegen ihres Kapitals, Wissens und ihrer Netzwerke bevorzugt behandelt und geschützt wurden. Idealerweise zahlten sie die ihnen gewährten Freiheiten mit wirtschaftlicher Leistung zurück. Sie wurden im Gegensatz zur Masse der Arbeiter aktiv in die Städte gelockt.78 Die einladende Basis bildeten Zusicherungen von Religionsfreiheit, Steuersenkungen und Immunität gegenüber Schuldeinforderungen von außerhalb.79 77

78

79

Die Hafenstädte im Mittelmeerraum galten als die Laboratorien der Moderne, die wirtschaftlich und kulturell federführend agierten. Sie bestimmten das Bild dieses geographischen Großraums. Seine Begrenzung dient hier dazu, Untersuchungsgebiete abzugrenzen und Vergleichseinheiten zu definieren. Schenk: Mental Maps, S. 514. 1514 erließen sie Zollvergünstigungen für levantinische Händler aus dem osmanischen Thessalien (heute Griechenland), mit der Gegenforderung, dass sie ihre Waren vornehmlich über Ancona in den Westen brächten. Ravid: A Tale of Three Cities, S. 140. 1532 garantierte Papst Clemens VII dieselben Sicherheiten und freie Durchfahrt durch die Stadt für Händler aus dem Westen, namentlich aus Spanien und Portugal, samt ihren Familien und Waren. Die Rechte der iberischen Einwanderer näherten sich Schritt für Schritt denjenigen der levantinischen Händler (orthodoxe Christen, Juden und Muslime) an. So kamen zu dieser Zeit die ersten jüdischen Händler aus Portugal an. Die Privilegien für Levantiner (aus dem Jahre 1514) wurden ebenfalls wieder bestätigt. Ein Jahr darauf legte der Papst fest, dass die zwangsgetauften Juden nicht zur christlichen Kirche gehörten. Er versuchte damit die Juden in Ancona zu halten. Birnbaum: The Long Journey of Gracia Mendes, S. 94. 1534 stellte Papst Paul III einen Schutzbrief für Kaufleute egal welcher Nationalität oder Religion aus. Sie bezahlten nur die üblichen Steuern und mussten keine besonderen Erkennungszeichen tragen. Ihr Recht auf eine Niederlassung in der Stadt war nicht befristet, sondern open-ended. Ravid: A Tale of Three Cities, S. 141; Birnbaum: The Long Journey of Gracia Mendes, S. 95. 1544 wurde allen levantinischen Händlern zugesagt, dass ihre vergangenen Missetaten unbestraft blieben. Zudem wurde den levantinischen Juden eine Synagoge versprochen, sowie der Schutz vor Verfolgung und Sondersteuern, und sie mussten keine Erkennungszeichen tragen. All dies, im Verbund mit tiefen Zollgebühren, forcierte den Zustrom jüdischer Händler weiter und führte die Hafenstadt an der Adria in den wirtschaftlichen Wohlstand, von dem die Einheimischen ebenso profitierten. Birnbaum: The Long Journey of Gracia Mendes, S. 95. Am 21. Februar 1547 legte die Bulle von Papst Paul III die franchigia portuale (Hafenzollfreiheit) fest. Dieser Schutzbrief lud Händler aus aller Welt ein, sich mit ihren Familien in der Stadt niederzulassen, egal woher sie kamen und welcher Religion sie angehörten. Viele folgten dem Aufruf, besonders Juden. Viele der-

1. Ancona und Livorno

63

1.4.1 La Livornina: Legislative Anregungen der Medici Die Herrschaftsdynastie der Medici hatte in der Toskana im 16. Jahrhundert den Ausbau der Hafenstadt Livorno als politisches Projekt auf der Agenda. Innerhalb von vierzig Jahren (1590–1630) entwickelte sich die Stadt aus dem Nichts zur zweiten Macht in der Toskana, gleich nach Florenz.80 Der Aufstieg Livornos wurde durch Großherzog Ferdinando I. (1587–1609) eingeleitet. Der erste Erlass von 1590 richtete sich an die Griechen, die vor allem als Schiffsbauer und Seeleute gebraucht wurden. Der zweite Erlass, ebenfalls aus dem Jahre 1590, lud ausländische Handwerker ein, während der dritte (1591–1593) an alle Händler aus der Ponente und Levante, insbesondere an jüdische Kaufleute, gerichtet war. Alle drei wandten sich explizit an Fremde, um deren technische Fähigkeiten und internationale Handelskontakte zu nutzen.81 Die großzügige Einwanderungspolitik der Medici war ein Grundpfeiler dieser Entwicklung. Die wichtigste Verordnung war die Livornina von 1591.82 Die Privilegien der Livornina von 1593 wurden 1737, beim Machtantritt von Franz Stephan von Lothringen, und 1764 noch einmal bestätigt und bekräftigt.83 Motivation für die Weiterführung der Politik ihrer Vorgänger war ihre Überzeugung, dass Livorno auch in Zukunft im Großherzogtum Toskana eine primäre Rolle spielen und die politische wie wirtschaftliche Potenz gegen außen demonstrieren sollte. So formulierten es jedenfalls die toskanischen Herrscher, als sie einige Regierungsgrundsätze gegen Ende des 18. Jahrhunderts zu Papier brachten.84

80 81 82 83 84

jenigen, die in Spanien und Portugal zum Christentum gezwungen wurden, kehrten in Ancona zum Judentum zurück. Den Juden wurden wie bereits zuvor alle Sondersteuern erlassen und sie wurden davon dispensiert, ein Erkennungszeichen zu tragen. Sogar die Gründung einer Bank wurde einer Gruppe portugiesischer Juden im Jahre 1549 erlaubt, obwohl sie damit zum einheimischen Monopol in Konkurrenz traten. Ravid: A Tale of Three Cities, S. 143. 1552 und 1553 bestätigte Papst Julius III die Erlasse seines Vorgängers. Doch nur wenige Jahre später kam das Unheil der Judenverfolgung. Durch die judenfeindlichen Erlasse von Paul IV verließen viele Juden die Stadt. Der Schaden für die städtische Wirtschaft war ernorm. Nichtsdestotrotz lief nach diesem Schock das Geschäft nach kurzer Unterbrechung praktisch unverändert weiter. Delumeau: Vie économique et sociale de Rome, S. 99; Wyrwa: Juden in der Toskana, S. 19. Der Gesetzestext findet sich in: Castignoli: La tolleranza, S. 35–39; ,,Wir beschließen, dass man die gleichen Portugiesen nicht einer Inquisition oder Durchsuchung ausliefern darf, sie nicht wegen Ketzerei, Blasphemie, Apostasie oder anderen kirchlichen Fragen anklagen darf “ In: Castignoli: La tolleranza, S. 28f. Fasano Guarini: Center and Periphery, S. 95. Frattarelli Fischer: La costruzione e il popolamento di Livorno, S. 89. Zur Livornina siehe: Kirk: Genoa and Livorno, S. 8f.; Frattarelli Fischer: La costruzione e il popolamento di Livorno, S. 90f. Motuproprio in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 268f. ,,Es ist unbestritten, dass Livorno der wichtigste Teil des Großherzogtums ist, wofür unzählige Beweise sprechen, wie etwa die Meinung der toskanischen Herrscher und ihrer Minister. Die Würde und der Ruhm des Souveräns zeigen, dass alle ausländischen

64

II. Italia felix für Händler

Die aus der Feder von Großherzog Ferdinando I (1549–1609) stammende Livornina erneuerte und ergänzte am 30. Juli 1591 und am 10. Juni 1593 von früheren Herrschern erlassene Privilegien für ausländische Händler. Die Livornina ist eine Verheißung des Glücks, sie dokumentiert, welche Bausteine das Fundament für ein glückliches Leben im 16. Jahrhundert bildeten. In der Präambel wurden der Absender (Großherzog), das Erscheinungsdatum (10.06.1593) und ausführlich die Adressaten benannt. Die Händler aus aller Welt wurden nach geographischen (Levantiner, Ponentiner), sprachlichen (Spanier, Portugiesen, Griechen, Deutschen, Italiener, Armenier, Perser) und religiösen (Juden, Muslime) Kriterien geordnet. Zwar richtete sich diese neue Verfassung nicht allein an Juden, doch spricht aus jeder Zeile, dass sie in erster Linie jüdische Kaufleute willkommen heißen wollte. Die Einladung wurde für Livorno und Pisa ausgesprochen, doch auch in Florenz siedelten sich vermehrt Juden und andere Geschäftsleute an.85 Das Hauptanliegen der Medici – die Ansiedlung von Kaufleuten mit ihren Waren (und Familien) in den Häfen von Pisa und Livorno – wurde explizit und direkt ausgesprochen. In den weiteren 44 Artikeln wurden die Vorteile, Freundlichkeiten, Sonderrechte, Immunitäten und Befreiungen näher erläutert.86 Alle zentralen Fragen des Lebens wurden berührt. Materielle Bedürfnisse deckten die Bestimmungen ebenso ab wie immaterielle. In Form von Willensäußerungen und Absichtserklärungen stellten die Behörden diverse Privilegien in Aussicht, verlangten aber im Gegenzug gewisse Leistungen. Die Livornina war also ein Vertrag, an den sich beide Seiten halten mussten, auch die nachfolgenden Herrschergenerationen wurden in die Pflicht genommen. Er war zunächst auf 25 Jahre beschränkt, wurde aber automatisch verlängert, wenn keine Kündigung vorlag.87 Als einzige, aber

85 86

87

Mächte Livorno als Teil der Toskana achten. In Bezug auf die Interessen des Staates gibt es keinen Zweifel, dass dieser Hafen die wichtigste Quelle allen Staatsglücks ist. Er verdient deshalb die volle Aufmerksamkeit des Herrschers und des Ministers, der als governatore eingesetzt wurde, um die Achtung und den Wohlstand des Staates, durch den Bau großartiger Gebäude in der Vergangenheit erreicht, zu erhalten.” Siehe ASL, Governo civile e militare di Livorno 1764–1860, Serie VIII, Nr. 958, Blatt 2. Die Aktenmappe 958 aus dem Bestand Governo civile e militare di Livorno 1764–1860, Serie VIII, im Archivio di Stato di Livorno hat keine Datumsangabe und keinen genau definierten Verfasser. Gemäß dem Archiv handelt es sich um eine Kopie, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts verfasst wurde. Dem Inhalt nach muss der Autor im Kreis der regierenden Habsburger-Lothringer oder ihrer Repräsentanten (governatore) in Livorno gesucht werden. Wyrwa: Juden in der Toskana, S. 19. Im Folgenden verwende ich hauptsächlich die Abschrift der Livornina (1593) in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 237–256, mit Zuhilfenahme der deutschen Übersetzung in: Treflicher Zustand der Juden. Hg. von Becker, S. 120–127, S. 209–222. Livornina, Artikel 36 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 252f.

1. Ancona und Livorno

65

ausdrücklich erwähnte Gegenleistung wurde verlangt, dass die Händler ihren festen Wohnsitz nach Livorno oder Pisa verlegten.88 Abschließend wird die Umsetzung der theoretischen Richtlinien in die Praxis betont. Es wird verlangt, dass die vorliegenden Artikel unversehrt und mit Verstand von den offiziellen Stellen umgesetzt werden sollten, ohne Wortklauberei und immer zugunsten der Händler. Allen politischen, juristischen, kirchlichen und militärischen Amtspersonen wurde befohlen, dass sie die genannten Bewilligungen, Begünstigungen und Privilegien beachten und dafür sorgen, dass sie beachtet werden. Die Verfassung wurde als unantastbar erklärt, alle bisherigen Gesetze, Statuten und Verfügungen wurden ihr untergeordnet und gegebenenfalls als nichtig erklärt.89 Verschiedene Artikel der Livornina machen klar, dass das räumlich enge Zusammenleben unterschiedlicher Menschen in einer Stadt zahlreiche Herausforderungen mit sich brachte, die durch die vielen Zuwanderer im 16. Jahrhundert noch zunahmen. Der Verfassungstext schuf existentielle Grundlagen und sicherte den Neuankömmlingen zu, sich in Livorno und Pisa frei niederlassen und darüber hinaus im ganzen Staate Toskana frei Handel treiben zu dürfen.90 Der Kauf von Immobilien war gestattet, wohl in der Absicht der Medici, die Neuen würden sich längerfristig niederlassen.91 Selbst das Leben nach dem Tode war geregelt. Die Diasporagruppen durften in Pisa und Livorno Land kaufen, um ihre Toten zu beerdigen. Jede Störung der Totenruhe durch andere Bevölkerungsgruppen wurde verboten.92 Sollte es den Neuankömmlingen schon vor ihrem Ableben in der Toskana nicht mehr gefallen, wurde ihnen die freie Weiterreise garantiert. Die eigenen unbeweglichen Güter durften frei verkauft, die ausstehenden Kredite in kurzer Zeit eingelöst und eingetrieben und die eigenen Waren, Geräte des Haushalts, Juwelen, Gold, Silber und Anderes zollfrei (außer die üblichen Zölle) ausgeführt werden. Die Fuhrleute und Kapitäne mussten die Abwanderungswilligen überall hinbringen und durften keine überhöhten Preise dafür verlangen.93 Doch unzählige wirtschaftliche Vorzüge sollten zum Bleiben anregen. Kaufmännische Initiative in der neuen Heimat wurde gezielt gefördert. Die Befreiung vom Register- und Katastereintrag, der Erlass von Steuern und Zöllen (außer jener, die auch Einheimische zahlen mussten), die Handelsfreiheit mit allen Gebieten (namentlich Levante, Ponente, Barberia und Alessandria) und die Zusicherung des sicheren Geleits durch toskanische Galeeren, die Möglichkeit, die Zollhäuser zu benutzen, die Aussicht, Vorschüsse (eine 88 89 90 91 92 93

Livornina, Artikel 35 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 252. Livornina, Artikel 43, 44 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 255. Livornina, Artikel 1 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 238. Livornina, Artikel 29 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 250. Livornina, Artikel 37 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 253. Livornina, Artikel 36 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 252f.

66

II. Italia felix für Händler

Art staatliches Darlehen) zu erhalten sowie die freie Ein- und Ausfuhr von Werkzeug, Hausrat, Schmuck, Perlen, Gold, Silber und anderen Sachen waren wichtige Anreize für innovative und entschlossene Unternehmer.94 Des Weiteren wurden Schutzmechanismen eingebaut, um den Handel existentiell zu sichern und zukunftstauglich zu machen. Falls jemand bankrott ging und seine Schulden nicht mehr bezahlen konnte, wurden die Waren und Wechselbriefe seiner Korrespondenten und Kommittenten nicht automatisch beschlagnahmt oder aufgehalten. Die Schuld eines Einzelnen sollte nicht zwangsläufig zu einer Kollektivschuld seiner Diasporagruppe führen, dem Generalverdacht wurde ausdrücklich abgeschworen. Die Beschlagnahmung von Waren musste generell innerhalb eines Monats begründet und die Schulden bewiesen werden, ansonsten war sie nicht rechtskonform. Außerdem wurde das Recht garantiert, bei Schiffsunglücken das Versicherungsgeld zu bekommen.95 Als Gegenleistung wurde von den Händlern verlangt, dass sie alle Käufe und Verkäufe innerhalb des Staates Toskana vertraglich regeln und mit Unterschrift des Käufers und des Verkäufers versehen, damit die Verträge Gültigkeit erhalten. Zudem mussten die Handelsbücher sorgfältig und genau geführt werden, genauso wie bei allen anderen Kaufleuten, wie bisher üblich und wie es der Richter vorgeschrieben hatte.96 Die Behörden strebten eine Gleichbehandlung und folglich die Gleichheit einheimischer wie diasporischer Kaufleute an. In religiösen Sachverhalten wurde dagegen die Andersartigkeit erstens konstatiert und zweitens anerkannt. Die meisten Einwanderer mit Kaufmannshintergrund waren Juden. Sie bekamen das Recht, eigene Zeremonien, Vorschriften, Riten, Gebräuche, Gebote und Sitten zu pflegen (nur der Wucher wurde als ein rein jüdisches Merkmal kategorisiert und verboten). Das religiöse jüdische Leben sollte in einer Synagoge Raum finden, und niemand durfte es mit Worten oder Taten stören. Allerdings drohte eine Strafe, sollten Christen zum Besuch des jüdischen Gottesdienstes überredet werden. Auf der anderen Seite gestattete es die Livornina, dass erwachsene Juden getauft werden konnten, Kinder unter 13 Jahren durften aber nicht zur Konversion überredet werden. Mischehen von Juden mit Christen und Muslimen waren verboten. An christlichen und an jüdischen Festtagen durfte nichts gegen oder für die Juden unternommen werden. Die jüdischen massari, die Vorsteher der jüdischen Nation in Livorno, fungierten als Richter in innerjüdischen Angelegenheiten und waren sogar ermächtigt, ,,skandalöse“ Glaubensbrüder ausweisen zu lassen. Über ihr Erbe durften Juden frei verfügen und mussten es

94 95 96

Livornina, Artikel 5–9, 39 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 240–243, 254. Livornina, Artikel 13, 15, 16 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 244f. Livornina, Artikel 22, 23 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 247f.

1. Ancona und Livorno

67

nicht versteuern. Fehlten Testament oder Erben, ging die Hinterlassenschaft an die jüdische Gemeinde.97 Der religiöse Sonderstatus wurde juristisch untermauert. Die Minderheiten wurden gezielt unter einen besonderen Schutz gestellt. Niemand durfte sie belästigen oder ihnen zu nahe treten. Zuwiderhandlungen wurden bestraft. Wenn jemand zu Unrecht angeklagt wurde, so musste der Ankläger als Verleumder bestraft werden, damit er nie wieder Unschuldige anklagen konnte. Der Schutz vor Denunzierung und der Inquisition wurden in eigenen Artikeln formuliert. Für diesen Schutz sorgte ein eigens dafür eingesetzter weltlicher Richter, der alle zivilen und öffentlichen Prozesse führte und der von der Diasporagemeinde finanziert werden musste. Der Vollzug seiner Entscheide oblag dann dem bargello, dem Polizeihauptmann von Pisa.98 Neben dem religiösen Schutz wurden weit reichende juristische Vorzüge vergeben. Artikel 4 erlaubte eine umfassende Amnestie für frühere Taten, seien es Schulden oder Verbrechen, die außerhalb der Toskana begangen worden waren. Nach einer gescheiterten Existenz wurde der Neuanfang ermöglicht, eine zweite Chance, das vorhandene Potential und Wissen auszuschöpfen, wurde durch die nachsichtigen Regelungen in der Livornina vergeben.99 Auch alltägliche Anliegen, die das Leben erleichterten und verschönerten, wurden bedacht. So durften die zugewanderten Fremden Christen einstellen, zum Beispiel als Ammen oder anderes Dienstpersonal. Dies war offenbar in Ancona, Rom und Bologna bereits erlaubt. Diese Angestellten mussten allerdings frei sein.100 Kaufleute hatten nebenbei auch Sklaven, die in Artikel 27 legitimiert wurden.101 Weiter waren sie nicht verpflichtet, Soldaten aufzunehmen und ihnen Haushaltgeräte, Pferde, Wagen oder andere Dinge zu leihen und allen Familienoberhäuptern war es erlaubt, legale Verteidigungswaffen zu besitzen, nur nicht in Florenz, Siena und Pistoia.102 Diskriminierungen jeder Art waren verboten. Die Juden mussten beim Fleischimport keine speziellen Zölle bezahlen.103 Die Livornina stellte den Fremden in Aussicht, sie würden wie Einheimische behandelt werden. Diese angestrebte Gleichheit wurde zudem durch den Verzicht auf ein Erkennungszeichen stark verankert.104 All diese Regelungen zeigen, wie jüdischer Alltag in einer christlichen Umgebung normalerweise aussehen konnte. Der persönlichen Entfaltung wurde ebenfalls Rechnung getragen. Die Zu97 98 99 100 101 102 103 104

Livornina, Artikel 3, 11, 20, 21, 24, 25, 26, in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 239f., 247f. Livornina, Artikel 2, 3, 10, 12, 32, 33, 34, 41 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 239, 243f., 251f., 254. Livornina, Artikel 4 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 240. Livornina, Artikel 42 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 255. Livornina, Artikel 27 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 249. Livornina, Artikel 40, 30 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 254, 250. Livornina, Artikel 28 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 249f. Livornina, Artikel 29 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 250.

68

II. Italia felix für Händler

wanderer erhielten das Recht, Bücher aller Art zu besitzen, egal in welcher Sprache; allerdings schmälerte in der Livornina-Version von 1591 ein Zusatzpassus dieses Recht, der besagte, dass alle Bücher durch den Inquisitor zu beglaubigen seien. Das Recht, zu studieren und zu promovieren, fand gleichfalls Aufnahme ins Dokument. Jüdische Ärzte und Chirurgen durften frei arbeiten und auch christliche Patienten behandeln.105 Die Livornina zeichnete aber auch ein sehr klares Bild des idealen und erwünschten Immigranten: In den Genuss all dieser Privilegien kamen nur die angesehenen Mitglieder der jüdischen Diasporagemeinde, also jene, die von den Vorgesetzten der Synagoge und den massari anerkannt wurden, in die Kanzleibücher eingetragen waren, Zweidrittel der Stimmen (der eigenen Gemeinde) für sich gewinnen konnten und sich mit dem Handel oder einem anderen gewinnbringenden Gewerbe beschäftigten – explizit ausgenommen waren Trödelhändler.106 Kaum ein Szenario des Glücks wurde ausgelassen. Jeder, der theoretisch ein Anrecht auf die Privilegien hatte, fand einen oder mehrere Artikel in der Livornina, die ihm zusagten und ihn womöglich veranlassten, die alte Heimat zu verlassen, um diese reelle Chance in Livorno oder Pisa zu nutzen. Die rasante Bevölkerungszunahme nach 1593 zeigt, dass die Botschaft der Medici offenbar in alle Winde gestreut wurde und Bilder von Wohlstand, Freiheit und Glück zu vermitteln verstand. 1.4.2 Kirchenstaatliche Maßnahmen: Gesetzgebende Erlasse der Päpste Die politischen und geistlichen Herrscher in Ancona lenkten ebenfalls durch politische Maßnahmen die Ein- und Auswanderung von Kaufleuten gezielt. 1514 erließen sie Zollvergünstigungen für levantinische Händler aus dem osmanischen Thessalien (heute Griechenland), mit der Gegenforderung, dass sie ihre Waren vornehmlich über Ancona in den Westen bringen.107 Viele Privilegien folgten im Verlauf des 16. Jahrhunderts. 1532 garantierte Papst Clemens VII. dieselben Sicherheiten und freie Durchfahrt durch die Stadt für Händler aus dem Westen, namentlich aus Spanien und Portugal, samt ihren Familien und Waren. Die Rechte der iberischen Einwanderer wurden Schritt für Schritt jenen der levantinischen Händler, orthodoxen Christen, Juden und Muslimen, angepasst. So kamen zu dieser Zeit die ersten jüdischen Händler aus Portugal an. Die Privilegien für Levantiner (aus dem Jahre 1514) wurden ebenfalls wieder bestätigt. Ein Jahr darauf legte der Papst fest, dass die zwangsgetauften Juden nicht zur christlichen Kirche 105 106 107

Livornina, Artikel 17–19 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 246. Livornina, Artikel 31 in: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 250f. Ravid: A Tale of Three Cities, S. 140.

1. Ancona und Livorno

69

gehörten, womit sie nicht mehr den Gefahren der Inquisition ausgesetzt waren.108 1534 stellte Papst Paul III. einen Schutzbrief für Kaufleute aus, egal, welcher Religion sie angehörten und woher sie stammten. Sie bezahlten nur die üblichen Steuern und mussten keine Erkennungszeichen tragen. Ihr Recht auf eine Niederlassung in der Stadt war zeitlich unbefristet.109 1547 legte die Bulle von Papst Paul III. die franchigia portuale fest, wiederum eine Einladung an Händler aus aller Welt, sich mit ihren Familien in der Stadt niederzulassen.110 1552 bestätigte Papst Julius III. die Erlasse seines Vorgängers.111 Ancona gewährte Kapitänen, Arbeitgebern, Händlern und Kaufleuten die Freiheit, sich in der Stadt niederzulassen, Waren zu besitzen, sie im Hafen zu (ver)kaufen und sie nicht besteuern zu müssen. Überdies regelte das Edikt die Höhe der Tarife für die Ankerung, je nach Gewicht und Herkunft, und gewährte nach dem Vorbild Livornos eine zehnjährige Steuerbefreiung für ausländische Händler, die mit ihren Familien in Ancona ansässig wurden.112 Vorbildcharakter für diese Maßnahmen übernahm Livorno, wo eineinhalb Jahrhunderte zuvor Ferdinando I. mit seiner Livornina eine Einladung an Händler aus aller Welt in Form eines Verfassungstextes von der Inquisition verfolgte Juden aufnahm und so die Händlerelite dieser Zeit für seine Stadt gewinnen konnte.113 Zwar hatten auch die Päpste erkannt – wie wir gesehen haben schon Jahrzehnte vor der Livornina –, dass handeltreibende Fremde Garanten für die Prosperität einer Stadt sind und auch, mit welchen Versprechen sie für eine Stadt zu gewinnen waren. Bei den Erlassen aus Rom war nie die Rede von einer eigenen Justiz für Juden oder von der Arbeitserlaubnis für jüdische Ärzte, um nur zwei Beispiele zu nennen. Zudem waren die Erlasse aus Rom nur kurze Zeit gültig und wurden bald durch andere Gesetze

108 109

110

111 112 113

Birnbaum: The long Journey of Gracia Mendes, S. 94. Ravid: A Tale of Three Cities, S. 141 und Birnbaum: The long Journey of Gracia Mendes, S. 95. 1544 wurde allen levantinischen Händlern zugesagt, dass ihre vergangenen Missetaten unbestraft blieben. Zudem wurde den levantinischen Juden eine Synagoge versprochen sowie der Schutz vor Verfolgung und Sondersteuern und sie mussten keine Erkennungszeichen tragen. All dies, im Verbund mit tiefen Zollgebühren, forcierte den Zustrom jüdischer Händler weiter und führte die Hafenstadt an der Adria in den wirtschaftlichen Wohlstand, von dem die Einheimischen ebenso profitierten. Birnbaum: The long Journey of Gracia Mendes, S. 95. Viele Juden, die in Spanien und Portugal zum Christentum gezwungen wurden, kehrten in Ancona zum Judentum zurück. Bereits zuvor waren sie von Sondersteuern befreit worden und mussten keine Erkennungszeichen tragen. Sogar die Gründung einer Bank wurde einer Gruppe portugiesischer Juden im Jahre 1549 erlaubt, obwohl sie damit das einheimische Monopol konkurrierten. Ravid: A Tale of Three Cities, S. 143. Ravid: A Tale of Three Cities, S. 143 und Birnbaum: The long Journey of Gracia Mendes, S. 96. Dermigny: Escales, échelles et ports francs, S. 576f. Capuzzo: Portifranchi e comunità etnico-religiose, S. 48.

70

II. Italia felix für Händler

verdrängt. So wurde der Erlass von 1547 bereits 1555 durch einen anderen Papst aufgehoben, die Verfolgung der Juden wieder legitimiert. Die Livornina war viel umfassender und detaillierter als die einzelnen Erlässe der Päpste, sie galt 25 Jahre und konnte immer wieder verlängert werden. Inhaltlich war sie zwar nur teilweise neu, doch der Umfang, die Umsetzung und die langfristige Wirkung dieser Verfassung waren einmalig und gaben ihr deshalb Vorbildcharakter, auch für Ancona im Jahre 1732 (Freihafen). Die Stadt garantierte den Zuwanderern persönliche Freiheiten, die ihnen das Leben erleichtern sollten. Vom Recht, sich frei zu bewegen, den Wohnort frei zu wählen, zu handeln, Immobilien zu besitzen, Verträge auszuhandeln, den Beruf zu wechseln bis hin zum Recht, seiner eigenen religiösen Tradition zu folgen, genossen die Neuankömmlinge umfassende Freizügigkeiten.114 Die Renaissance der Stadt gründete nicht nur auf der Schifffahrt. Unternehmer wie Francesco Trionfi bauten eine Komplementärindustrie auf. Trionfi eröffnete eine Bleifabrik, die Neapel, die Levante und Venedig versorgte, eine Zuckerraffinerie und eine Seifenfabrik, deren Produkte bis in die Türkei, Sizilien und die Region Emilia gelangten.115 Die steuerrechtlichen Maßnahmen und das Entgegenkommen in religiösen Belangen zeigten bald erste Resultate. Die Stadt konnte sich wirtschaftlich erholen.116 Abgesehen von den einladenden Privilegien musste Ancona ein stabiles und sicheres Handelsumfeld garantieren können. Die Gewährleistung der inneren Sicherheit stellte die Stadt zeitweise vor Herausforderungen, die sie nicht allein lösen konnte. Im dritten Viertel des 16. Jahrhunderts waren die anconitanischen Stadtbehörden wiederholt auf die Hilfe Roms angewiesen. Auch die Sicherheit nach Außen bedeutete angesichts des ständigen Seekriegs zwischen den Christen und den Muslimen eine große finanzielle Bürde, beispielsweise für den Bau von Festungsanlagen.117 Diese Herausforderungen musste Ancona meistern, um ein attraktives Ziel zu werden und zu bleiben. Hinzu kamen bauliche Maßnahmen, die das Wirtschaftsleben im Hafen beleben sollten. Der Architekt Luigi Vanvitelli baute 1732 ein neues, fünfeckiges Lazarett, die Straße Flaminia wurde instand gesetzt, der Hafen gesäubert, sprich entsandet, zusätzliche Straßen und eine weitere Mole erbaut. Man ließ das Hafengelände insgesamt vergrößern, die Ringmauer erweitern und neue Lager konstruieren, so dass immer mehr Menschen, Waren und Kapital in die Stadt strömen konnten.118 Außerdem war Ancona zum ersten Mal direkt mit Nordwesteuropa und den großen Seemächten verbunden.119 Die Handelsak114 115 116 117 118 119

Capuzzo: Portifranchi e comunità etnico-religiose, S. 49. Dermigny: Escales, échelles et ports francs, S. 580. Sori: Evoluzione demografica, S. 23. Delumeau: Vie économique et sociale de Rome, S. 99. Capuzzo: Portifranchi e comunità etnico-religiose, S. 48f. Pavia, Sori: Le città nella storia d’Italia, S. 35.

1. Ancona und Livorno

71

tivitäten, bisher auf die Adria und die Levante beschränkt, dehnten sich bis in die Ponente aus, auf Frankreich, Holland, Schweden, Dänemark und vor allem England. Wichtige englische Kaufleute wie George Cressner, Twyn Lloyd oder John Williams ließen sich hier nieder.120 Livorno und andere mediterrane Häfen waren schon lange offen für Schiffe aus dem Atlantik, die sie mit der lebhaften Wirtschaft in ganz Europa und den Gebieten in der Neuen Welt in Verbindung brachten. Diese Öffnung gelang Ancona erst mit dem Freihafenstatus im 18. Jahrhundert.121 1.4.3 Ein funktionales und behagliches Zuhause Neben der legislativen Werbung kamen weitere integrative Konzepte zum Einsatz. Große Investitionen in die städtische Infrastruktur zeugen von der obrigkeitlichen Absicht, den Diasporagruppen ein einladendes Heim zu präsentieren. Die Ausrichtung der Wirtschaft Anconas auf das Meer erforderte entsprechende bauliche Maßnahmen.122 Die im Verlauf der Jahrhunderte erschaffene Architektur – die Hafenmole, die Lazarette, die Loggia dei Mercanti, der Arco di Traiano, um nur einige Bauwerke zu nennen – formten nach den Worten Alessandro Mordentis die prachtvolle Gestalt Anconas, mit der sich die Stadt eine eigene Identität gab, ,,l’habito solenne inventato per la città“, das feierliche Kleid, das für die Stadt erfunden wurde.123 Von zentraler Bedeutung waren die Lazarette, die vor Seuchenimport schützen sollten.124 Personifizierte Feindbilder waren Vagabunden, Bettler, ,,Trödlerjuden“ und Zigeuner. Menschen, die ,,schmutzig wohnten“, konn120 121 122

123 124

Dermigny: Escales, échelles et ports francs, S. 581. Pavia, Sori: Le città nella storia d’Italia, S. 138. Mordenti weist darauf hin, dass das Meer zum Alltag in Ancona gehörte; die Herrschenden konnten davon ausgehen, dass die Bevölkerung mit dem Meer vertraut war. Siehe Mordenti: Vita quotidiana, S. 395. Mordenti: Vita quotidiana, S. 392. Aus dem Jahre 1499 datiert der erste Hinweis auf ein Gebäude, das in Ancona als Lazarett bezeichnet werden konnte. Es kam ab 1503 zum Einsatz. 1575 wurden zwei weitere von Papst Gregor XIII in Auftrag gegeben. Ab 1624 und 1630 wurden wieder neue Anlagen errichtet, bis schließlich 1732 – nicht zufällig im Jahr der Freihafenerklärung – Papst Clemens XII den Architekten Luigi Vanvitelli ermächtigte, ein letztes Lazarett zu bauen. Gemäß dem Lazarettbuch gab es vor der Amtszeit von Papst Gregor XIII in Ancona kein Lazarett, also keine Stelle für die Annahme und Reinigung verdächtiger Waren und für die Isolation in der Quarantäne. Erst 1575 wurde unter Gregor XIII ein solches errichtet. Es hieß ,,Lazzaretto di S. Agostino e del Casone del Colonnello“. Sowohl das alte Lazarett als auch das Neue wurden von der Gesundheit(sbehörde) wie von der Wirtschaft getragen und verwaltet. Laut authentischeren Quellen soll das alte Lazarett bereits 1562 und nicht erst 1575 aufgestellt worden sein. 1619 verfiel das alte Lazarett. 1630 wurde unter der Herrschaft von Papst Urban VIII ein neues Lazarett angefertigt. Die Fertigstellung dauerte fünf Jahre (1630–1635). Im neuen Lazarett befanden sich 26 Lagerräume, verteilt auf zwei Etagen, allesamt waren geräumig. Siehe ASAN, A.C.AN, Libro del Lazzaretto 1734, Nr. 36, Blatt 97f. Dabei galten osmanische Städte wie Alexandria, Izmir,

72

II. Italia felix für Händler

ten die öffentliche Gesundheit schädigen und das Bild der schönen Stadt trüben, so der einhellige Tenor.125 Der Freiheit des Handels wurden oft gesundheitstechnische Grenzen gesetzt.126 Während die Basis für diese Ausbreitung des anconitanischen Handelswesens bereits im Mittelalter gelegt wurde,127 wurde Livorno im 16. Jahrhundert von Grund auf neu geplant und aufgebaut. Das Dorf Livorno verdankte sein Werden zu einer Stadt dem Hafen und dem Handel.128 Die Medici in Florenz verfolgten das Projekt Livorno mit geradliniger Entschlossenheit. Auf ihrem Zukunftsentwurf nahm Livorno eine zentrale Position ein, um die Herausforderungen der Zeit (Handel, Kriege, Seuchen, Hungersnöte) zu meistern. In der durchorganisierten Seuchenabwehr sah man auch hier ein Instrument, um ökonomische Vorteile gegenüber Konkurrenten zu generieren. Die Lazarette waren dabei nur ein Teil in einem durchdachten Urbanisierungsprozess, der aus dem Fischerdorf die moderne, auf alle Gefahren (Krankheiten) und Chancen (Handel) vorbereitete Stadt Livorno machen sollte. Bereits 1512 beauftragte Kardinal Giulio de’ Medici den Architekten Antonio da Sangallo, Livorno in eine befestigte Stadt zu verwandeln, doch die

125

126

127 128

Istanbul, Mytilini (heutiges Griechenland) und andere Levantehäfen zu allen Zeiten als Orte, wo die Pest zuhause war. Orlandi: La gelosa materia, S. 105f. 1630 ließ Kardinal Barberini verlauten, dass keine dieser Personengruppen eine Stadt, ein Land oder Schloss des Kirchenstaates passieren, noch darin eintreten durfte; bei Missachtung drohten Geldstrafen. Orlandi: La gelosa materia, S. 22f. Die Interessen von Politik und Wirtschaft stimmten nicht immer überein. 1585 beschloss Papst Sixtus V, dass das Ufficio della sanità (Gesundheitsbehörde) wieder unter der Verwaltung Anconas eingesetzt werden durfte. Eine 1 %-Steuer auf eingeführte Waren wurde ebenso wieder zugelassen, um die Behörde zu finanzieren und so das körperliche Wohlbefinden der Stadtbewohner zu gewährleisten. Der Papst hatte die Steuer (und das Amt) einst aufgehoben, um ausländische Händler anzulocken und den internationalen Handel anzukurbeln. Doch jetzt schien die langfristige Gesundheit wichtiger zu sein als der kurzfristige Geschäftserfolg. Orlandi: La gelosa materia, S. 53f. In einigen Jahren fiel die Messe in Senigallia wegen der Pest aus. Die dortigen Händler versuchten dies mittels Geschenke an die Behörden zu verhindern, während Ancona, eifersüchtig der Prosperität Senigallias wegen, dies begrüßte und sich zum Teil verschwörerisch betätigte. Die Pest war also nicht nur ein humane, sondern auch eine ökonomische Katastrophe. Das einheimische Markttreiben ging zurück und durch die sanitären Blockaden wurden die Kommunikation und der Handel mit den ausländischen Märkten gelähmt. Nicht wenige Geschäftsleute wehrten sich gegen allzu radikale Schutzmassnahmen. 1629 wurde in Ancona trotzdem ein neues Lazarett erbaut, um die Quarantäne rigoroser durchführen zu können. Das Abwägen zwischen wirtschaftlichen Interessen und öffentlichen Gesundheitsanliegen gestaltete sich diskursiv. 1701 wurde Ancona monopolistisch zu dem Kirchenstaatslazarett ernannt, was der Stadt enorme geschäftliche Vorteile gegenüber dem Konkurrenten Senigallia brachte. Anselmi: Adriatico, S. 247f. Ancona galt im Mittelalter als eine italienische Hafenstadt mittlerer Größenordnung. Leonhard: Die Seestadt Ancona, S. 333. 1606 wurde Livorno offiziell von Ferdinando I zur Stadt erklärt. Ein governatore mit militärischen und zivilen Kompetenzen leitete die Regierung. Frattarelli Fischer: Lo sviluppo di una città portuale, S. 303.

1. Ancona und Livorno

73

Grundlagen für die ,,ideale Stadt“ wurden erst in den 1570er Jahren geschaffen. In der Amtszeit von Cosimo I. (1537–1574) wurden eine Zollstelle, ein Lazarett, ein Spital, ein Arsenal und eine Ankerfabrik gebaut.129 Unter seinem Nachfolger Francesco I., der ab 1574 das Großherzogtum Toskana führte, stockte der Ausbau des Hafens.130 Die Pestilenz aus dem Jahre 1582 bewirkte den Bau eines weiteren Lazaretts, in dem die verdächtigen Waren gelagert und gesäubert werden konnten. Auch die weiteren Nachfolger Cosimos’ I. setzten den Ausbau der Stadt fort. Ferdinando I. ließ einen Sumpf ausgraben, wo daraufhin ein neues Becken (la Nuova Darsena) für große Schiffe entstand. Weiter baute er einen Damm, einen Leuchtturm, ein Aquädukt, sowie 1590 bis 1595 das neue Lazarett S. Rocco, das dem steigenden Verkehrsaufkommen aus der Levante Rechnung trug. Zudem schuf er Lagermöglichkeiten für die Konservierung von Lebensmitteln und baute einen kleinen Hafen für die Schiffe vom Navicelli-Kanal. 1603 wurde das neue Arsenal eingeweiht, wo Kriegs- und Handelsschiffe produziert wurden. Daneben entstanden in dieser Zeit der Dom, der Säulengang auf der Piazza d’armi, der Palazzo della Doganetta für die Gäste der Medici, das Krankenhaus S. Antonio, das Bagno der Zwangsarbeiter, in dem zwei Krankenhäuser integriert waren, eines für die Christen, eines für die ,,Ungläubigen“, einige Kirchen und diverse Wohnungen. Das Ganze wurde abgerundet durch die Fertigstellung des zweiten Befestigungsgürtels, deren Mauer fünf Kilometer lang war und der durch sechs Tore unterteilt wurde. Ebenfalls unter der Regie von Ferdinando I. und Buontalenti wurde eine neue Festungsanlage errichtet, die Fortezza Nuova.131 Die Bautätigkeit florierte auch unter Ferdinando II. (1621–1670).132 Durch 129

130

131 132

Das Projekt wurde von Alessandro de’ Medici vollendet und beinhaltete die Fortezza vecchia, eine Festung in deren Innern sich die Mastio di Matilde, ein zylindrischer Wachturm, und die Quadratura dei Pisani, eine quadratische Bastion, befindet. 1567 wurden Molen errichtet, um dem Hafen und seinen Ankerplätzen Schutz zu bieten. Gleichzeitig kümmerte er sich auch um die Landwege. Durch den Arno konnten die Schiffe bis fast nach Florenz gelangen. Der Bau des Canale dei navicelli, der Livorno mit Pisa verband, begann bereits 1541, benötigte jedoch 30 Jahre bis zur Fertigstellung und wurde erst 1603 eröffnet. Nuti: Livorno, il porto, S. 332. Er widmete sich mehr der Innenstadt. Ab 1578 baute er an der neuen Stadt, die sehr funktional und ohne große Annehmlichkeiten vom Architekten Bernardo Buontalenti auf dem Reißbrett entworfen wurde. Sie fiel durch rechtwinklig angelegte Straßen auf und war von tiefen Wassergräben und dicken Mauern umgeben. Der zentrale rechteckige Exerzierplatz diente sowohl der Verwaltung als auch als Marktplatz. Dermigny: Escales, échelles et ports francs, S. 531f. Nuti: Livorno, il porto, S. 334f. Sein Sohn Cosimo II vollendete die Arbeiten an den Molen nach 1610, diesmal verlief der Damm in Richtung Nordwest. Er realisierte neue Quartiere, die notwendig wurden, um dem größeren Handelsaufkommen gerecht zu werden. So entstand das Quartier Venezia Nuova – schon der Name verrät die beabsichtigte Konkurrenz zu Venedig – das aus 23 Häuserblocks bestand, darunter Wohn- und Lagerräume. Weiter ließ er vier Kirchen, sieben Betriebe, ein Refugium und vieles mehr bauen. Diese Gebäude wurden durch insgesamt 25 Straßen, drei Plätze und sieben Brücken miteinander verbunden. 1634 schuf Ferdinando II zudem

74

II. Italia felix für Händler

die Aufschüttung und Trockenlegung von Gewässern wurden außerhalb der Stadtmauern neue Wohn- und Geschäftsräume geschaffen, im gesamten Hafenareal Tunnel gelegt und Lager gebaut. Die Möglichkeit, Waren ohne Transportkosten über den Wasserweg (Kanäle) direkt in die Lager zu transportieren, war für Kaufleute natürlich attraktiv.133 Die Häuser im neuen Stadtteil Venezia Nuova, ausgestattet mit Alkoven (Bettnischen), Arbeits-, Musikzimmern und Lagermöglichkeiten, ermöglichten den Händlern eine komfortable Verbindung von Wohn- und Arbeitsplatz. In das neue, auf das Handelswesen ausgerichtete Quartier zogen viele Konsuln und Händler. Der Zusammenhang zwischen baulichen Maßnahmen und der Zunahme der Bevölkerung in Livorno ist offensichtlich. Noch 1601 erschien Livorno primär als eine von Männern dominierte Garnisons- und Grenzstadt, die vor allem militärische Aufgaben erfüllte. Das änderte sich bald. 1604 wurden in der Via della Madonna eine unierte Kirche und eine Synagoge gebaut.134 Religiöse Gruppen erhielten Friedhöfe für ihre Verstorbenen, wobei die nichtkatholischen Gemeinschaften (Juden, Engländer, Holländer, ,,Türken“) ihre Toten außerhalb der Stadtmauer begraben mussten.135 Zentraler Treffpunkt war der Dom-Platz, der an der Via Ferdinanda lag, die die Verbindung zwischen dem neuen Hafenbecken und der Straße nach Pisa herstellte. Die neu errichtete Stadt füllte sich rasch mit Leben. Die großen Investitionen, verbunden mit religiöser Toleranz und einem offenen Bürgerrecht, ließen Livorno,

133

134

135

ein weiteres Arsenal und 1645 öffnete ein weiteres Lazarett seine Tore, das Lazzaretto di San Jacopo. Es sollte nicht das Letzte sein. 1781 nahm das Lazarett S. Leopoldo seine Arbeit auf. Nuti: Livorno, il porto, S. 336. Anstoß für dieses Projekt waren die Hungersnöte während des 30-jährigen Krieges (1618–1648), als Livorno zum Anlaufhafen für Getreide aus dem Osten wurde und so neue Lagerhäuser brauchte. Die großen Kellerräume waren die Zentren der Speicherung von Waren aus dem Mittelmeer, den Nordmeeren und den amerikanischen und asiatischen Gebieten. Frattarelli Fischer: Lo sviluppo di una città portuale, S. 308f. Diese Straße wurde so zum Zentrum der fremden Nationen, weil die eben genannte griechische Kirche selbst die orthodoxen Griechen aufnahm. Eine andere Kirche in der Straße bot den von der katholischen Kirche verfolgten Engländern, Holländern, Portugiesen (neue Christen), Franzosen und Armeniern Schutz. Frattarelli Fischer: Lo sviluppo di una città portuale, S. 300f. Die ersten Gräberanlagen waren schlichte offene Felder, ohne großen Bezug zur heiligen Bedeutung. Die Juden bekamen in der Zone Mulinacci ein Begräbnisfeld zugesprochen, bis gegen Mitte des 17. Jahrhunderts ein neues Territorium benutzt werden konnte. Die Muslime, das waren vor allem die Sklaven aus dem Bagno dei forzati, begruben ihre Leichen in einem für sie reservierten Gelände, ebenfalls in der Zone Mulinacci. Komplizierter gestaltete sich die Bestattung der nichtkatholischen Christen, die als Eindringlinge und Konkurrenten des Katholizismus wahrgenommen wurden. Wenn sie sich zu Katholiken erklärten, gab es keine Probleme beim Begräbnis, was viele nordeuropäische Korsaren dementsprechend praktizierten. Diejenigen Protestanten, die sich nicht diesem opportunistischen Nikodemismus hingaben, darunter zahlreiche Händler aus den östlichen christlichen Kirchen, mussten ihre Toten im Garten eines flämischen Ingenieurs begraben. Siehe I ,,Giardini“ della Congregazione Olandese-Alemanna. Hg. von Panessa, S. 3.

1. Ancona und Livorno

75

eine Stadt ohne autochthone Bevölkerung, zu einer Hafenstadt heranwachsen, die im Handelswesen mit den großen Konkurrenten Genua, Neapel und Venedig lange Zeit mithalten konnte.136 Die aus Rom und Florenz gesteuerten Urbanisierungsprozesse und einwanderungspolitischen Erleichterungen werden als sichtbare Ergebnisse einer anconitanischen und livornesischen Eigenlogik verstanden, die in den geistigen Bildern von einer idealen Hafenstadt mit idealen Immigranten ihre Wurzeln hatte. Eine derart aufwendige und systematische Aufwertung erfuhren nur wenige Städte in der Umgebung.

136

Frattarelli Fischer: Lo sviluppo di una città portuale, S. 319.

2. Wasserwelten: Der Hafen und die Stadt Ozeane, Küstengebiete und Hafenstädte – es sind immer wieder ,,Wasserwelten“ die sich als besonders attraktiv für diasporische Gemeinschaften erweisen.1 Die klar definierten Funktionen der Hafenstädte versprachen ihren Bewohnern eine sichere Zukunftsplanung. Sie wussten, was der Hafen zu bieten hatte und was nicht. Ein Jurist umriss die wichtigsten Funktionen, die ein Hafen ausübt und die seine Gestalt bestimmen, im 18. Jahrhundert so: Erstens ist er eine geschlossene Meeresbucht, wo Schiffe Zuflucht finden, zweitens werden im Hafen Menschen und Güter ein- und ausgeschifft und drittens dürfen sich alle, außer genau definierter Feinde, im Hafen aufhalten.2 Die Infrastruktur formte und belebte das Hafengelände und gab den Städten ihren spezifischen Charakter. Neben unmittelbaren Hafenanlagen, wie Anlegestellen und Lagerräumen, verfügte es über Geschäftshäuser, Verwaltungsgebäude, Vermarktungs- und Verarbeitungsstätten, Werften, Versicherungsgesellschaften, Handelskammern, aber auch Spitäler, diverse Unterkünfte und Treffpunkte für Seeleute. Durch diese Bauten bildeten praktisch alle Hafenstädte einheitliche Räume, die als wirtschaftliche, soziale und kulturelle Eckpfeiler ganzer Regionen dienten. Die umliegende Landwirtschaft profitierte davon, ebenso die lokale Industrie und das Handwerk.3 So ist es nicht verwunderlich, dass sie große Anziehungskraft auf Menschen aus aller Welt hatten. Hafenstädte gehörten im 18. Jahrhundert zu den bevölkerungsreichsten Städten in ganz Europa. Sie alle hatten ein ähnliches Erscheinungsbild, das neben der infrastrukturellen Einheit auch vergleichbare soziale Faktoren vereinte. Sozial schwache Immigranten übernahmen die niedrigsten und schwierigsten Arbeiten, Seeleute warteten auf die Einschiffung und das Hafenviertel war voll von kleinen Geschäften, Weinstuben, aber auch Gaunern, Abenteurern und Prostituierten. Diese Menschen gerieten ins Blickfeld der Polizei, die sich um die öffentliche Gesundheit und um die Bekämpfung der Wirtschafts- und der Kleinkriminalität kümmerte.4 Ohne Sanktionsmaßnahmen und die penible Eintreibung der Gebühren wäre der Waren- und Menschenkreislauf erheblich gestört worden, mit fatalen Folgen für die Wirtschaft.5 Die ökonomisch lukrative Ausstrahlung konnte 1 2 3

4 5

Mayer: Diaspora, S. 22. Angiolini: Der Hafen, S. 44. Ein Metzger aus Pisa z. B., Gio. Batt. Bianchi, zurzeit in Livorno heimisch, bat den governatore von Livorno um Erlaubnis, im Dienste des Hafens und zur Verwendung der Schiffe, die dort einliefen und Steuern zahlten, Würste aus Büffelfleisch herstellen zu dürfen (15. April 1655). In: ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2606, S. 14. Angiolini: Der Hafen, S. 48. Angiolini: Der Hafen, S. 44 und 47f.

78

II. Italia felix für Händler

nur dann wirken, wenn die Menschen im Hafen reibungslos miteinander harmonierten, notfalls unter Zwang. Eine weitere Eigenheit des Hafens betrifft seine integrative Gestalt. Er konstituierte eine offene Gesellschaft, in der Menschen, Dinge, Ideen und Bräuche aus verschiedensten Ländern zusammentrafen. Fremde wurden nicht ausgeschlossen oder diskriminiert, wenigstens nicht offiziell, da sich die Stadt sonst selbst wirtschaftlich geschadet und gelähmt hätte. Politiker passten ihre Gesetze und Institutionen entsprechend an. Die Ansiedlung von Fremden war konstitutives Element der Stadtplanung, Gestaltung und des urbanen Wohlergehens.6 In diesen neuen Heimaten führten die verschiedenen Diasporagruppen die eigene kollektive Lebensweise – Feste, Zeremonien und Rituale – weiter, ließen ihre kulturellen Eigenheiten in ihre Umgebung ausstrahlen und nahmen umgekehrt Neues und Unbekanntes auf. Der Grad der Abschottung oder Integration variierte je nach Raum und Zeit. Alles in allem verkörperten die Häfen das Bild von Orten, in denen sich das Fenster zur Welt öffnete.7 Neue Konsumwaren oder Verhaltensweisen – Tücher, Stoffe, Kleidung, exotische Gerichte, die englische Teekultur – breiteten sich von den Häfen aus. Hier verschmolzen Kulturen, was sich anhand von Sprache und Architektur am besten dokumentieren lässt. Arabische Wörter flossen in die Seemannssprache (Arsenal) und in die Handelssprache (Magazin) ein, zudem entwickelte sich eine gemeinsame, freie Misch- oder Pidginsprache, die den Seeleuten und Hafenstadtbewohnern im gesamten Mittelmeerraum als Verständigungsmedium diente. In der Architektur lassen sich stilähnliche Hafengebäude selbst in weit von einander entfernten Städten beobachten.8 Diese Wesensmerkmale, die kulturelle, soziale und wirtschaftliche Chancen für Neuankömmlinge versprachen, waren steten Änderungen unterworfen. Die Begehren der Diasporagruppen nach einer kontinuierlich gesicherten Zukunft wurden durch neue Rahmenbedingungen immer wieder in Frage gestellt. Nach dem Siegeszug der Industriellen Revolution wurden die Schiffe mechanisch angetrieben (Dampfschifffahrt), die Warenmengen nahmen zu und die Häfen spezialisierten sich auf bestimmte Produkte. Durch diese technologischen Fortschritte verminderte sich auch der kulturelle Austausch. Da sich die Löschzeiten verkürzten, hatten die Seeleute kürzere Landgänge. Durch die neuen Kommunikationstechnologien, beispielsweise die intensivere Nutzung des Telegraphen, brauchte es weniger ausländische Händler vor Ort. Je nach geographischer Lage und politischen Ereignissen in Europa und weit über Europa hinaus lösten die Hafenstädte einander als wirtschaftliche Vorreiter im Mittelmeer ab,9 bis im Verlauf des 19. Jahrhunderts die zu Haupt6 7 8 9

Protestanten, Juden und orthodoxe Christen handelten selbst zur Zeit der Gegenreformation in Livorno mit Waren. Angiolini: Der Hafen, S. 48. Angiolini: Der Hafen, S. 45 und 48f. Angiolini: Der Hafen, S. 49. Angiolini: Der Hafen, S. 45f.

2. Wasserwelten: Der Hafen und die Stadt

79

städten ernannten Zentren der meist noch jungen Nationalstaaten sie in ihrer Bedeutung ablösten. Im Europa der Nationen und Nationalismen gegen Ende des 19. Jahrhunderts sind die Häfen zwar noch ein ,,Fenster zur Welt“, aber sie lassen den Luftzug immer weniger herein, während die Hauptstädte und Metropolen immer mehr Menschen und Neuigkeiten anziehen.10

2.1 Merchant networks: Menschen, Orte, Waren Die merkantilen Diasporagemeinschaften zeugen von der fruchtbaren, transkulturellen und gebietsübergreifenden Zusammenarbeit unter den Unternehmen. Juden, Armenier und Griechen, ,,cohesive cultural groups“, wie Harlaftis sie nennt, waren über die Finanzzentren Venedig, Livorno, Genua, Wien, Amsterdam und Istanbul eng miteinander verbunden.11 In der Frühen Neuzeit verliefen die Handelsnetzwerke nicht entlang einer Monoidentität (Ethnie, Religion oder Sprache), sondern waren komplexer organisiert. Die vermehrte Arbeitsteilung und die Spezialisierung auf gewisse Produkte standen im engen Zusammenhang mit einer steigenden Durchmischung der einzelnen Gruppierungen.12 Ihre Lebenswelt organisierte sich entlang ökonomischer Kriterien. Zahlreiche Wirtschafts- und Kulturgeographien laufen im 18. Jahrhundert in Städten wie Izmir, Livorno oder Aleppo zusammen.13 Damit innerhalb dieser Kontaktnetze kommuniziert werden konnte, brauchte es Kommunikationsmittel. Je heikler die politische Lage und je länger die Distanzen zwischen den Geschäftspartnern waren, desto wichtiger wurden Geschäftsbriefe. Sie dienten als wichtige Informationsquellen für Preise und Qualität der Produkte oder die Reputation der Geschäftspartner. Da der gute Ruf das soziale Kapital des Händlers war, konnten Briefe diesen erheblich schädigen oder aufwerten. Private Geschäftsbriefe galten als die besten Quellen, zuverlässiger als offizielle Nachrichten seitens der Regierungen. Livorno fungierte als Informationszentrum – vermittelnd zwischen diversen Kontinenten und Kulturen.14 Die Kontakte waren nicht nur ökonomischer Natur. Die mobilen Diasporagruppen überwanden sowohl physische 10 11 12 13 14

Angiolini: Der Hafen, S. 50. Harlaftis: Mapping the Greek, S. 163; Schwara: Unterwegs S. 97f. Ramada Curto, Molho: Introduction, S. 14. Holdsworth, Rademacher: Die Worte und Welten des Handels, S. 125. Livorno war laut einer Studie von Deryck W. Holdsworth und Henry J. Rademacher vom Department of Geography an der Pennsylvania State University mit 38 Orten und vier Produkten verbunden: Koralle, Manna, Olivenöl und Seide. Wobei das Öl aus Livorno als Speiseöl deklariert wurde. Eine Karte mit den Handelsbeziehungen Livornos und eine Vorstellung der Studie findet man unter: http://www.geog.psu.edu/people/holdsworth/ linking, Stand 27.11.2008. Trivellato: Merchants’ letters, S. 98f.

80

II. Italia felix für Händler

als auch mentale Grenzen. Ab dem 12. Jahrhundert verbanden kulturelle, künstlerische und religiöse Kontakte die beiden Adriaseiten miteinander. Notare, Künstler, Beamte, Geisteswissenschaftler, Techniker, Ärzte, Kartographen, Soldaten, Bischöfe und Handwerker tauschten sich aus. Künstlerische Erfahrungen, religiöse Glaubensvorstellungen, technisches Wissen, mondiale Visionen, Elemente der materiellen Kultur und kollektive Formen der Hingabe wechselten die Seiten und vermischten sich.15 Drei Haupthandelsrouten der Méditerranée führten über Ancona und Livorno.16 Die Nordachse verlief über Ferrara, Mailand, Basel, Antwerpen (beziehungsweise Rouen oder Hamburg) und London; die Nordwestachse über Florenz, Genua, Lyon oder Marseille; die Ostachse: Ragusa, Castelnuovo oder Vlora (Albanien), Istanbul.17 15

16 17

Moroni: Rapporti culturali e forme devozionali, S. 183. Im 15. Jahrhundert wurden die Beziehungen durch die osmanischen Besetzungen östlich der Adria behindert. Als mit dem Tod von Papst Pius II 1464, der den Kreuzzug gegen die Osmanen abrupt beendete, übernahm vermehrt der Wallfahrtsort Loreto die Aufgabe, die osmanische Welle katholisch zu brechen. Die Ortschaft wurde zum Treffpunkt, wo sich balkanische Pilger (Katholiken) einfanden und Prominente aus Politik, Kultur und Kirche das adriatischdonauische Verhältnis pflegten. Darüber hinaus diente die christliche Wallfahrtskirche als sinnbildliche Festung gegen den vorpreschenden osmanischen Islam. Moroni: Le Marche e la penisola balcanica, S. 199f. Sori: Evoluzione demografica, S. 29. Sergio Anselmi beschreibt in seiner Erzählung eine Karawane, die von Ragusa nach Istanbul unterwegs war. Von Ragusa führte der Weg nach Slano, Foca, wo Waren aus Sarajevo und Belgrad dazu stießen, Pljevlja, Prijepolje, Novi Pazar, Prokuplje, Niš, Pirot, Dragoman, Sofia, Ithiman, Plovdiv, Edirne (Adrianopoli) bis nach Pera, einem Quartier in Istanbul. (Zwischen)Halte an diesen Stationen, wo sich zum Teil große Märkte befanden, konnten mehrere Tage dauern. Auf dieser Handelsreise 1673 war Bartolomeo di Marino Caboga, ein ragusanischer Händler, der Niederlassungen in Florenz, Venedig, Ancona, Belgrad und Skopje besaß, beteiligt. In Ragusa, von wo aus er seine Geschäfte leitete und überwachte, besaß er eigene Schiffe (sog. Caracche). Siehe Anselmi: Mercanti, corsari, S. 103f. Sori: Evoluzione demografica, S. 29. Auf der Liste der Städte, publiziert 1699 in Amsterdam in armenischer Sprache, mit denen Armenier aus Amsterdam Handel betrieben, tauchte auch Ancona auf (siehe dazu: Curtin: Cross-Cultural Trade, S. 193; Pavia, Sori: Le città nella storia d’Italia, S. 142; Earle: The Commercial Development of Ancona, S. 40). Fernand Braudel und Ruggiero Romano zeichneten drei Karten des livornesischen Handels, um die geographische Dimension aufzuzeigen. Die erste Karte in den Jahren 1547–1568 zeigte das Mittelmeer als archaischen Raum, der eine ökonomische Einheit bildete, recht unabhängig vom Norden. Braudel, Romano: Navires et marchandises, S. 31f. Auf der zweiten Karte wird deutlich, dass Livorno 1573–1593 hauptsächlich mit dem westlichen Mittelmeer in wirtschaftlicher Beziehung stand. Die Importe aus dem Hafen von Lissabon oder aus andalusischen Häfen nahmen gegen Ende dieser Periode jedoch stark ab. Das Eindringen nordeuropäischer Händler (Engländer, Holländer und Hanseaten) und Schiffe (aus Amsterdam, Hamburg und Danzig) wurde dafür verantwortlich gemacht. Sie nutzten die Missernten und den daraus folgenden Getreidemangel im Mittelmeer gekonnt aus und versorgten von Livorno aus die umliegenden Märkte mit Getreide. Braudel, Romano: Navires et marchandises, S. 39–53. Die dritte Karte (1594–1611) bringt eine weitere Erweiterung des livornesischen Handelswesens zum Vorschein. Schiffe aus Russland, Neufundland

2. Wasserwelten: Der Hafen und die Stadt

81

Eine grenzübergreifend gut vernetzte Diasporagemeinschaft waren die Armenier; levantinische, unter der Herrschaft der Osmanen, persische, Untertanen des persischen Schahs, vor allem aus Isfahan und georgische.18 Vom Reich der Safawiden aus, einer schiitischen Perserdynastie (1501–1722), organisierten sie den internationalen, eurasischen Seidenhandel.19 Reiche armenische Händler aus Neu Julfa gelangten nach Westen.20 Der Landweg führte sie entweder über das Osmanische Reich in den Mittelmeerraum, wo sie Schiffe charterten, um ihre Waren in Livorno, Venedig oder Marseille zu verkaufen oder über Russland via Wolga und Baltikum nach Amsterdam.21 Der Wasserweg hatte seinen Ausgangspunkt in Indien oder im Persischen Golf, von dort ging es weiter über das Kap der Guten Hoffnung bis in die europäischen Häfen des Mittelmeeres. Man fand armenische Niederlassungen sowohl in den großen Wirtschaftszentren des Osmanischen Reiches – Izmir, Aleppo und Istanbul – als auch in europäischen Städten wie Livorno.22 Die Handelsniederlassungen der griechischen Unternehmen verteilten sich über ganz Europa bis nach Nordafrika. Im 19. Jahrhundert erweiterten sie ihr Netz bis in die USA, nach Indien und Japan. Geschäftsleute aus Korfu segelten bereits gegen Ende des 15. Jahrhunderts von ihrer Heimat aus nach Peloponnes, Kreta, Thessalien, Zypern, Malta, Istanbul, Messina, Venedig, Apulien, Ancona, Ferrara, Dalmatien, und Nordafrika. Ein gutes Beispiel ist die RalliFamilie, die von Chios aus nach Izmir, Istanbul, Malta, Livorno (1817 Einrichtung einer Filiale) bis nach London expandierte. Später gründeten sie Filialen in New York, Russland, Indien und Japan.23 Das griechische Kontaktnetz stand zum Teil im Dienste anderer politischer Mächte. Eine bedeutende griechische Diaspora zog zum Beispiel im 18. Jahrhundert auf die Balearen. Nach der Übernahme Menorcas durch die Briten 1713 sorgten die neuen Herrscher dafür, dass zahlreiche griechische Händler und Seeleute auf die Insel gelockt wurden, die mit ihrer Flotte und ihren weit reichenden Beziehungen den Handel zwischen Menorca und dem englandtreuen Mittelmeerhafen Li-

18 19 20 21

22 23

oder Goa erreichten den Hafen am Tyrrhenischen Meer. Das blühende Leben in Livorno basierte auf den beständigen, guten Beziehungen in den Osten (Orient), kombiniert mit vermehrtem Kontakt in Richtung Westen und Ozean. Der Handel in Livorno nahm generell zu. Braudel, Romano: Navires et marchandises, S. 53–63. Ein Beispiel hierzu: Pfeffer aus den nordischen Häfen (Hamburg, Lübeck, Amsterdam) gelangte nach Livorno, um dort mit dem Pfeffer aus der Levante zu konkurrieren. Inalcik: An Economic and Social History, S. 357. Berti: Aspetti dell’attività commerciale di Livorno, S. 297f. Rocchi: Il primo insediamento della nazione armena a Livorno, S. 84. Harlaftis: Mapping the Greek, S. 162. Großes Quartier außerhalb der Mauern der neuen Hauptstadt des safawidischen Reiches Isfahan (heute im Iran gelegen). Siehe dazu Ghezzi: Livorno e il mondo islamico, S. 223. Ein armenischer Händler, seit langer Zeit in Livorno ansässig, schickte 1681 seinen Bruder nach Holland, um dort Waren zu verkaufen. Sein Weg führte über Spanien, mit Halt in Cádiz. ASL, governatore e Auditore, Nr. 2608, S. 420, 421. Ghezzi: Livorno e il mondo islamico, S. 223. Harlaftis: Mapping the Greek, S. 163f.

82

II. Italia felix für Händler

vorno aufrecht erhalten sollten. So konnte die englische Regierung mit Hilfe der Griechen die spanische Konkurrenz ausschalten und ihre Vorherrschaft im Mittelmeer festigen.24 Ein weiteres wichtiges Netzwerk bildeten die ,,Balkan orthodox merchants“. Diese Unternehmer aus dem Osmanischen Reich, aus der Habsburger Monarchie oder aus Russland hatten sich auf den Im- und Export mit dem Osmanischen Reich spezialisiert. Ihr Einzugsgebiet erstreckte sich von Nežin im Süden Russlands über Leipzig und Wien, Livorno und Neapel.25 Schon im 14. Jahrhundert entwickelten sie intensive Kontakte über die Adria hinweg. Kaufleute aus Ancona handelten mit Geschäftspartnern in Ragusa, Zadar, Trogir, Senj, Split und Šibenik. Insbesondere in Ragusa, der einzigen freien Stadt der ganzen Region (wenn auch im lockeren Abhängigkeitsverhältnis zum Osmanischen Reich), konzentrierte sich der Handelsverkehr Dalmatiens.26 Ancona, Venedig und Genua waren bis ins 18. Jahrhundert die Hauptabnehmer für Felle und Häute aus Ragusa, die Hauptimporteure für bulgarischen, serbischen und herzegowinischen Wachs, der in Ragusa verladen wurde, waren Ancona und Pesaro. Wolle aus Ragusa wurde zu Beginn des 16. Jahrhunderts in großen Mengen nach Nord- und Mittelitalien exportiert, insbesondere nach Ancona und Venedig.27 Vom frühen 17. Jahrhundert an erreichten auch Schiffe aus Russland, Neufundland oder Goa den Hafen am Tyrrhenischen Meer. Das blühende Leben in Livorno basierte auf den beständigen, guten Beziehungen in den Osten (Orient), kombiniert mit vermehrtem Kontakt in Richtung Westen und Ozean.28 Livorno war im 17. Jahrhundert eng mit der islamischen Welt verbunden, vor allem Weizen wurde von Nordafrika an die Tyrrhenische Küste exportiert.29 Tunesische Exporte von Wolle, Häuten, Datteln, Wachs und Olivenöl gelangten im 18. Jahrhundert ebenfalls vornehmlich nach Livorno. In Algier und Tunis von livornesischen, korsischen, genuesischen, französischen, flämischen, englischen, jüdischen und venezianischen Kaufleuten erworbene Raubwaren würden ebenfalls über Livorno verkauft, wusste ein Venezianer zu berichten.30 Ob geraubte oder gekaufte Ware – Livorno stand in engen Beziehungen mit den Wirtschaftszentren der muslimischen Welt wie Algier, Tunis, Tripolis, Alexandria, Kairo, Sidon (Libanon), Akkon (Israel), Tripoli (Libanon), Aleppo, Iskenderun (Türkei), Zypern, Izmir und Istanbul.31 24 25 26 27 28 29 30 31

Harlaftis: Mapping the Greek, S. 152f. Stoianovich: The Conquering Balkan, S. 234. Zu den vielschichtigen Beziehungen im Mittelalter über die Adria hinweg. Siehe: Leonhard: Die Seestadt Ancona, S. 309–322. Carter: The Commerce of the Dubrovnik Republic, S. 23f. Braudel, Romano: Navires et marchandises, S. 53f. Inalcik: An Economic and Social History, S. 509f. Berti: Aspetti dell’attività commerciale di Livorno, S. 298. Ghezzi: Livorno e il mondo islamico, S. 208f.

2. Wasserwelten: Der Hafen und die Stadt

83

Während dieses networking zugewanderten Händlern zu verdanken war, zeichneten die einheimischen Händler für die Schutzeskorten und die Bewaffnung der Schiffe verantwortlich. Ihre Waren wurden in der Regel unter fremder Flagge transportiert, vor allem unter französischer, englischer und holländischer.32 Florentinische Wollkleider wurden von Livorno aus über Chios nach Bursa geliefert,33 Seide aus Persien gelangte im 15. und 16. Jahrhundert aus Persien über Livorno nach England und Italien und konkurrierte so den Transithandel Venedigs.34 Die Engländer und die Franzosen konzentrierten sich zudem auf das Kabotagegeschäft, das heißt, sie transportierten Ware und Passagiere zwischen den osmanischen Häfen.35 Doch auch zu allen toskanischen Zentren, Florenz, Pisa, Lucca und Siena, unterhielt Livorno gute wirtschaftliche Beziehungen,36 und weit über die Toskana hinaus mit Bologna, Modena, Ferrara, Piacenza, Ancona, Senigallia, Parma, Verona, Mantova und Bolzano. Von hier aus war es nicht mehr weit nach Regensburg und Augsburg. Ob der Land- oder der Seeweg genommen wurde, hing von einigen Faktoren ab. Für den Landweg sprachen die kürzeren Distanzen (Venedig-Livorno ohne Umweg über Sizilien) und die weniger gefahrenreiche Strecke, während der Seeweg deutlich billiger war. Für den Weg Livorno-Pisa wurden die Waren auf dem Canale dei Navicelli verschifft, während für die Strecke Pisa-Florenz der Arno benutzt wurde. So wurde Livorno über Pisa mit Florenz verbunden. Der Landweg mit der Kutsche wurde nur für Eilsendungen und für den Postverkehr in Betrieb genommen. Im Transportwesen zeichnete sich eine Spezialisierung ab. Einige Unternehmen konzentrierten sich auf den Transport, andere auf den Handel.37 Von Livorno nach Frankreich flossen vor allem Rohstoffe, wie Seide, Manna-Eschen (Laubbaumart), Alaun aus Tolfa (Mineral zur Tuchherstellung) und Hanf aus Bologna. Diese Produkte stammten mehrheitlich aus Süditalien, einheimische (toskanische) Artikel gelangten nicht über Livorno in den Westen. Speisen, Getreide und handgefertigte Produkte spielten nur eine sekundäre Rolle.38 Den Weg von Frankreich nach Livorno nahmen der Wein, Tücher und Zucker aus den ursprünglich von Franzosen besetzten Gebieten in Amerika. Der Wein wurde nach England weiter verschifft.39 Griechische und slawische Seehändler von der Ostseite der Adria transportierten ungarisches Getreide von Fiume, Karlobag (Kroatien) und Triest nach 32 33 34 35 36 37 38 39

Ghezzi: Livorno e il mondo islamico, S. 423f. Inalcik: An Economic and Social History, S. 239. Inalcik: An Economic and Social History, S. 372. Inalcik: An Economic and Social History, S. 728. Berti: Aspetti dell’attività commerciale di Livorno, S. 297f. Berti: Aspetti dell’attività commerciale di Livorno, S. 30f. Filippini: Il porto di Livorno e il regno di Francia, S. 182. Filippini: Il porto di Livorno e il regno di Francia, S. 183.

84

II. Italia felix für Händler

Ancona, Venedig und Neapel. Auf dem Rückweg nahmen sie französische, italienische und englische Güter mit und versorgten so die österreichischen und ungarischen Märkte.40 Die Stadt unterhielt intensive Wirtschaftsbeziehungen zu den Städten an der Adriaküste, sowohl mit denen der Westküste (Venedig, Cesenatico, Pesaro, Senigallia, Ancona, Campomarino, Manfredonia, Barletta, Bisceglie, Bari, Monopoli) als auch mit denen der Ostküste (Zadar, mit der Insel Korčula, mit Ragusa oder Durres und Vlora) im Süden der Adria.41 Sogar noch im 18. Jahrhundert, als der Mittelmeerraum seine zentrale Position im weltweiten Handelsverkehr verlor, setzte sich der Ost-West-Handel fort. Osmanische Produkte aus der Levante, von Häuten bis Rosinen, Holz aus Deutschland, Getreide und handgefertigte Produkte sowie Rohstoffe für die moderne Industrie gelangten im 19. Jahrhundert von Venedig und Ancona nach Livorno, Genua, Spanien, England, Holland und Frankreich. Um diese großen Handelsnetzwerke herum verzweigten sich kleinere Handelsäste, die nach Cesenatico, Barletta, Gallipoli, auf der Ostseite der Apenninhalbinsel, und nach Genua, Napoli und Messina, auf der Westseite, reichten.42 Während des 18. Jahrhunderts wurden die Transporte über Land immer wichtiger, doch bot der Seeweg viele Vorteile. Der Getreidetransport von Ancona nach Rom zum Beispiel kostete per Schiff zwei- bis dreimal weniger als über Land quer durch die Apenninhalbinsel. Ein Schiff brauchte von Venedig nach Livorno zwischen 16 und 212 Tagen, mit dieser Ungewissheit und Unsicherheit mussten die Händler im Mittelmeer rechnen. Meteorologische Faktoren wie Wind und Stürme spielten im Geschäftsleben eine bestimmende Rolle, doch auch feindliche Überfälle verlangsamten die Fahrt bzw. gefährdeten das kaufmännische Unternehmen insgesamt. Der Hauptgrund für das moderate Tempo aber waren die vielen Zwischenstopps, um Waren aufzunehmen oder abzuladen.43 Ein großes immer wiederkehrendes Hindernis war die Pest. Die Furcht vor Ansteckung ließ die Behörden Handelswege schließen oder Messen verschieben.44

40 41 42 43 44

Stoianovich: The Conquering Balkan, S. 284. Ghezzi: Livorno e i porti adriatici, S. 102. Ghezzi: Livorno e i porti adriatici, S. 116f. Ghezzi: Livorno e i porti adriatici, S. 112f. Berti: Aspetti dell’attività commerciale di Livorno, S. 305.

2. Wasserwelten: Der Hafen und die Stadt

85

2.2 Diasporagruppen und der vitale merkantile Geist 2.2.1 Von der Apenninhalbinsel Bereits im 11. Jahrhundert liefen die Schiffe aus Ancona nicht nur inneradriatische Häfen an, sondern durchquerten die Straße von Otranto, um die Häfen der Levante zu erreichen. So kam es, dass sich vor allem toskanische, genuesische, lombardische, sizilianische, aber auch katalanische Kaufleute in Ancona aufhielten, um mit der Levante ins Geschäft zu kommen.45 Im transadriatischen Handelswesen lassen sich die Wege dieser italienischen Händler ebenfalls verfolgen. Auch auf den verschiedenen Messen in den Marken tauchten sie auf.46 Neben den großen Kaufmannsfamilien Torriglioni, Scacchi, Freducci, Benincasa und Trionfi aus Ancona, dem Mailänder Lampugnani und einer Reihe von florentinischen Kaufleuten spielten einige alteingesessene Juden sowie Händler aus den Städten der Romagna und der Marken, wie Fermo oder Fano eine wichtige Rolle.47 2.2.2 Aus dem Osten und Süden Sicherheit durch Kontinuität

Die Auswanderung der Slawen aus Südosteuropa nach Ancona gilt als eine über mehrere Jahrhunderte hinweg andauernde Konstante. Sie zogen durch die Armut und die Osmanen vertrieben nach Westen (Massenmigration) oder wanderten auf der Suche nach einem besseren Leben über die Adria (qualitative Migration). Es ist schwierig, diese Personen klar zuzuordnen. Oft sind die Wanderbewegungen von Ost nach West und der letzte Wohnsitz respektive der letzte Abfahrtsort die einzigen Indizien, während die politische Zuordnung, die religiöse Zugehörigkeit oder die ethnische Herkunft unklar bleiben. Slaven aus Cattaro (Kotor), Zara, Zagreb und Ragusa ließen sich in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts in Ancona nieder.48 Angst vor der muslimischen Herrschaft führte im folgenden Jahrhundert viele von ihnen nach Ancona,

45 46 47

48

Moroni: Ancona città mercantile, S. 90. Zu den Messen an der westlichen Adriaküste siehe: Moroni: Mercanti e fiere, S. 53–79. Moroni: Mercanti e fiere, S. 57f. Im Jahre 1551 waren von 397 Personen, die in den Akten auftauchen, 273 wahrscheinlich Italiener und 124 Nichtitaliener, wovon die Juden zusammen mit Händlern aus der Levante und dem Balkan die Mehrheit ausmachten (Delumeau: Un ponte fra oriente e occidente, S. 42). Durch diese Konkurrenzsituation wurden viele einheimische Händler verdrängt. Der Versuch der Stadtverwaltung, die Slaven 1487 zurück zu schicken, scheiterte. Stoianovich: The Conquering Balkan, S. 236f.

86

II. Italia felix für Händler

wo sie eine eigene Gemeinschaft, die Universitas Slavorum, bildeten.49 1478 gründete der Bischof von Ancona für die zahlreichen slawischen Gläubigen eine slawische Kirchgemeinde, untergebracht in der Kirche San Germano.50 Trotz der Eroberung Albaniens, Serbiens, Bosniens und Ungarns durch die Osmanen und der politischen Unsicherheit besuchten die Kaufleute aus Dalmatien und der Balkanregion die Messen an der Westküste der Adria. Handelsverträge sicherten Ancona zu, dass Ragusaner – außer zu Zeiten der Messen in Rimini, Pesaro und Recanati – ausschließlich mit Ancona Geschäfte abschließen würden. Ähnlich verpflichteten sich Händler aus Ioannina oder Arta (Griechenland) und Vlora (Albanien) zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Sie durften nur während der zollfreien Messe Recanati anlaufen, ansonsten war Ancona ihr obrigkeitlich bestimmtes Ziel. Im Gegenzug genossen sie Zollvergünstigungen. Kurze Zeit darauf wurde diese Bestimmung auf die griechischen Händler und alle Untertanen des osmanischen Reiches ausgedehnt.51 Im 15. Jahrhundert bewirkten weitere Handelsabkommen, die Ancona mit Ragusa und Florenz aushandelte, dass immer mehr dalmatinische, ragusanische und toskanische Händler den Weg nach Ancona fanden.52 Seit den 30er und 40er Jahren des 15. Jahrhunderts lässt sich eine albanische Flüchtlingskolonie in Ancona nachweisen, durch Armut, Hunger und muslimische Eroberungsfeldzüge vertriebene Menschen. Die Stadt an der Adria galt ihnen als Hort der Stabilität, der Sicherheit und einer durch den Katholizismus gesicherten kulturellen Homogenität.53 Die unqualifizierten Migranten übernahmen die härtesten und am wenigsten angesehenen Arbeiten als Träger, Diener oder Henker.54 Während zu Beginn des 15. Jahrhunderts die slawische Bevölkerung in Ancona hauptsächlich niedrigen Arbeiten auf dem Lande und in der Stadt nachging – als Schäfer, Prostituierte, Soldaten, Bodenroder, Landwirte oder Schweinehirten, abgesehen von einigen wenigen Handwerkern und kleinen Händlern –, stieg die Zahl der Ragusaner, Dalmatiner und Montenegriner, die sich für den maritimen Handel interessierten im Laufe der Zeit stetig an. In den 1430er Jahren wurden schon siebzig Slawen zur mehr oder weniger prominenten Schicht der Gesellschaft Anconas gerechnet, unter ihnen Prokuristen, Kirchenrektoren, Handwerker, Händler und Eigentümer von Häusern. Gegen Mitte des Jahrhunderts wurde die Migration zum Massenphänomen, wovon die nicht lateinisch sprechenden ungebildeten Tagelöhner zwar immer noch die Mehrheit bildeten, aber eine geglückte Integration und ein rascher sozialer Aufstieg 49 50 51 52 53 54

Diese taucht 1439, aber auch im 16. Jahrhundert auf. Gestrin: Le migrazioni degli slavi, S. 259. Gestrin: Le migrazioni degli slavi, S. 257. Moroni: Mercanti e fiere, S. 63. Daneben gab es Händler die nur für die Zeit der Messe, die siebzehn Tage dauerte, nach Ancona reisten. Moroni: Ancona città mercantile, S. 95f. Sori: Evoluzione demografica, S. 24f.; Bartl: Albanien, S. 62. Eine Auflistung der Berufe: Sori: Evoluzione demografica, S. 26.

2. Wasserwelten: Der Hafen und die Stadt

87

vieler Slawen in der Gesellschaft Anconas ließen sich beobachten. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts nahmen die Wanderungen über die Adria ab, sowohl von ungebildeten als auch von gebildeten Personen, gleichzeitig beteiligten sich die bereits Eingewanderten immer aktiver am Stadtleben. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts integrierten sich die reichen Slawen praktisch vollständig in die Lokalbevölkerung.55 Neben der Armutsmigration kamen auch viele reiche Händler und Adelige über die Adria.56 Die Präsenz dieser Kaufleute, vor allem aus Ragusa, charakterisierte in Ancona des 17. Jahrhunderts nicht nur das wirtschaftliche, sondern auch das soziale und kulturelle Leben.57 Doch auch albanische Kaufleute ließen sich in Italien nieder, um Baumwolle, Leder und Seide zu exportieren und Stoffe und Glaswaren für den Balkan zu importieren.58 Im Gegensatz zu den Albanern, die größtenteils als rebellische, waffentragende und gewalttätige Vagabunden wenig angesehen waren in den anconitanischen Bevölkerung und deshalb von den Behörden möglichst abgeschoben oder erst gar nicht aufgenommen wurden,59 waren die dalmatinischen Slawen quasi immer willkommene Gäste. Die menschliche, psychische, sittliche und kulturelle Eingliederung gelang aufgrund der kulturellen Nähe rasch.60 Viel dazu beigetragen haben die übergesiedelten Mitglieder der Bürger- und Adelsschicht, vor allem aus Ragusa. Sie belebten nicht nur den Handelsplatz Ancona, sondern bereicherten die Literatur- und Kunstszene der Stadt, blieben aber der alten Heimat verbunden. Nach dem Erdbeben von 1667, das enorme Schäden in Dalmatien und Albanien verursachte, beherbergten sie viele Flüchtlinge und halfen ihnen ihre Aktivitäten im Handel und in der Schifffahrt wieder aufzunehmen.61 Vor allem bekannte und wohlhabende ragusanische Geschäftsleute wählten Ancona mit dem Ziel, ihren Wohlstand zu mehren. Zu den bekanntesten unter ihnen gehörten Benedetto Gondola und Aloisio Gozzi, aber auch die Familien Pierizzi, Dondini, Marcelli, Bosdari, Draghi, Vodopich, Gradi, Menze, Lupi, Blasi, Zuzzeri, Allegretti, Ludovici, Nale, Luccari, Bianchi, Conversi, Resti, Stefani und Tommasi.62 Im 16. Jahrhundert hatten viele ragusanischen Händler ihren festen Wohnsitz in Ancona, einige von ihnen forderten das anconitanische Bürgerrecht. Diese aristokratische Emigration von Ragusa nach Ancona erreichte im 16. und 17. Jahrhundert infolge der intensiven Handels-

55 56 57 58 59 60 61 62

Anselmi: Adriatico, S. 100, S. 117f. Pavia, Sori: Le città nella storia d’Italia, S. 172. Pavia, Sori: Le città nella storia d’Italia, S. 30. Bartl: Albanien, S. 84. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts finden sich in den Quellen kaum mehr Spuren von Albanern in Ancona und Umgebung. Natalucci: Insediamenti di colonie, S. 111. Natalucci: Insediamenti di colonie, S. 109f. Natalucci: Insediamenti di colonie, S. 110. Moroni: Mercanti e fiere, S. 70.

88

II. Italia felix für Händler

beziehungen zwischen Ancona und Ragusa ihren Höhepunkt.63 Häufiges Indiz für eine definitive Ansiedelung war der Kauf von Immobilien (Wohn- und Lagerhäuser) und Grundstücken.64 Diese finanziellen Investitionen wurden mit dem sozialen Aufstieg – bis in die Aristokratie – belohnt. Viele Ragusaner, die der merkantile Geist angespornt hatte, sich in Ancona eine neue Heimat zu schaffen, erlagen nach und nach dem bequemeren Lebensstil des rentier und lebten von Renten. Die soziale Integration wirkte sich in diesem Fall negativ auf die Wirtschaft aus.65 Beispiele solcher Karrieren im Spannungsfeld zwischen sozialer Eingemeindung, betriebsamer Handelstätigkeit und unproduktiver Spekulation gab es etliche. Giovanni Palunci, geboren in Ragusa in einer Familie, die ursprünglich aus Belgrad kam, wohnte in diversen Zentren des Balkans, in Ragusa und auf der Insel Mljet vor der dalmatinischen Küste, bevor er in Venedig erste Erfahrungen mit dem Handelswesen machte. Ab 1611 ist seine Anwesenheit in Ancona gesichert, wo er zuerst als Prokurist im Dienste eines venezianischen Händlers stand, bevor er selbst Handel trieb. Er kam mit Leder und Lederwaren aus Dalmatien, Slowenien, Ungarn und aus Griechenland zu Wohlstand. Insbesondre der Handel mit Leder und Wachs erweiterte seinen kommerziellen Horizont. So suchten ihn in den 1620er und 1630er Jahren türkisch-osmanische Händler aus Sofia, Mostar, Sarajevo und aus der Narenta-Region Palunci auf. Meistens lieferten sie ungarisches oder slawisches Wachs und Leder, als Gegenleistung erhielten sie Geld oder Stoffe. Daneben vertrieb er Wolle, importiert aus Griechenland und der Levante, und handelte mit Getreide, das er aus Fermo in den Südmarken nach Goro nahe Ferrara transportieren ließ. Mit venezianischen Berufskollegen unterhielt er ebenfalls gute Beziehungen. Als seine Prokuristen nominierte er vor allem Slawen oder Juden. Palunci machte sich nicht nur als Händler in Ancona einen Namen, sondern auch als Prokurist für einen Kaufmann aus Lucca oder als Mitbesitzer eines Schiffes. Er kaufte den Palast Nappi, bekannt für seine Eleganz und Schönheit, und investierte in Agrarland. Nach seinem Tod 1639 übernahmen seine Kinder die Geschäfte und die Familie wurde noch im selben Jahr in den Adelsstand erhoben.66 Ähnlich verlief das Leben von Giovanni Sturani, geboren 1595 in Ragusa, der ebenfalls mit Leder und Getreide sowie mit Wolle, Leinen, Nutzholz, 63

64 65

66

Wirtschaftlich gut gestellten und daher privilegierten Händlern und Kapitänen aus Ragusa standen Menschen aus anderen Regionen Südosteuropas, insbesondere aus Albanien gegenüber, die aus schlechten sozioökonomischen Verhältnissen stammten und es ihnen entsprechend schwer fiel, in Ancona Fuß zu fassen. Niccoli: L’emigrazione aristocratica, S. 50. Niccoli: L’emigrazione aristocratica, S. 51f. Der Ragusaner Händler Giovanni Storani und fünfzehn weitere ausländische Familien wurden 1639 ins lokale Patriziat aufgenommen. Niccoli: L’emigrazione aristocratica, S. 49f. Piccinini: Un mercante anconitano, S. 289f.

2. Wasserwelten: Der Hafen und die Stadt

89

Fleischwaren, Seifen und Salz sein Geld verdiente. Zudem beschäftigte er sich in der Agrarwirtschaft, kaufte mehrere Landstücke und verlieh professionell Geld. Er war in Ancona, Venedig, Verona, Piacenza, Ferrara, Genua, Bologna, Florenz, Neapel und Ragusa aktiv. Die Geschäfte liefen derart gut, dass er es sich 1631 leisten konnte, zwei Boote zu kaufen. Weiter mietete er im selben Jahr drei Wohnungen in einem Palast an der Via della Loggia, dem Handelszentrum der Stadt.67 Beide, Sturani wie Palunci, wurden 1639 durch Papst Urban VIII post mortem in den Adelsstand erhoben. Die Stadtbehörden und der Kirchenstaat erhofften sich, sie, bzw. ihre Familien und ihr Vermögen, durch diesen Statusgewinn an die Stadt zu binden und weiteren Wohlstand für Ancona zu sicheren. Das Leben weiterer Kaufleute ragusanischer Herkunft, wie etwa Marino Gondola, Francesco Marcelli, Giacomo Dondini, Paolo Pierizzi oder Drago Draghi zeichneten Analogien zu Palunci und Sturani: Sie nutzten die Anstellung als Prokurist als Sprungbrett, den Handel mit Leder, Salz, Wolle und Getreide als fruchtbare Einkommensquelle, hatten weitere Standbeine im Agrarsektor als Viehvermieter, investierten in Landhäuser, Stadtpaläste, Lagerhäuser und Boden und heirateten innerhalb der ragusanischen Händlerelitefamilien oder in lokale Adelsfamilien ein, und erhielten das Bürgerrecht.68 Diese ragusanische Offenheit, sich in die neue Heimat einzugliedern, schloss ein enges Gemeinschaftsgefühl innerhalb der eigenen Gruppe nicht aus.69 Diese Verbundenheit funktionierte gebietsübergreifend. Das erfolgreiche ragusanische Wirtschaftssystem basierte auf einem familiären Netz, das sich von Ancona über Ragusa, Venedig und Belgrad bis nach Istanbul erstreckte.70 Mit dem Erdbeben 1667 in Ragusa folgte die letzte Welle ragusanischer Migration über die Adria. Danach nahmen die transadriatischen Handelbeziehungen kontinuierlich ab, was auch die flüchtige Intensivierung mit Hilfe des porto franco nicht aufhalten, sondern nur bremsen konnte.71 Alles in allem war die ragusanische Präsenz in Ancona eine konstante Erfolgsgeschichte. Die Ragusaner konnten dort ihre Imaginationen einer 67

68 69

70 71

Die ragusanische Familie Sturani, gegen Ende des 14. Jahrhunderts aus Serbien nach Ragusa eingewandert, erreichte Ancona gegen Ende des 16. Jahrhunderts. Mastrosanti: I notai nella storia, S. 132f. Niccoli: L’emigrazione aristocratica, S. 51f. Sie organisierten sich in Ancona in einer eigenen Kolonie, wobei Hochzeiten innerhalb der Gemeinschaft nicht selten waren. Sie lebten praktisch alle im selben Viertel, dem Parrocchia di Santa Maria della Piazza und bildeten in Bezug auf Gewohnheiten und religiöse Traditionen eine homogene Gruppe. Niccoli: L’emigrazione aristocratica, S. 53. In ihren Testamenten spendeten sie Geld für ihre Kirchen und Klöster. Mastrosanti: I notai nella storia, S. 132. Anselmi: Adriatico, S. 99. Niccoli: L’emigrazione aristocratica, S. 64.

90

II. Italia felix für Händler

besseren Zukunft konkret umsetzen. Die Nähe – geographisch wie kulturell – wurde gelebt, die Distanz überwunden. Ancona verkörperte das vertraute Eigene, erweitert um neue Möglichkeiten. Die kulturellen Übereinstimmungen – gründend auf der gemeinsamen katholischen Religion – waren die Basis einer raschen Integration. Wer zudem genügend Geld besaß und die italienische Sprache beherrschte, fühlte sich in Ancona bald zu Hause. Parallel zur Sprachenvielfalt diente die italienische Sprache als eine Verkehrssprache (lingua franca). Der ragusanische Geschäftsmann Benedetto Cotrugli (serbokroatisch: Kotruljič) schrieb in seinem Werk ,,Della mercatura et del mercante perfetto“, dass die italienische Sprache für die ragusanischen Händler geläufig und verständlich war, während die restliche Bevölkerung serbokroatisch sprach.72 Die ,,scelta occidentale“ (Wahl des Westens) versprach einen territorial relativ gesicherten Raum, und durch den fest verankerten Katholizismus ideologische Beständigkeit.73 Ragusa, die katholische Enklave umgeben vom muslimisch geprägten Osmanischen Reich, verlor an Attraktivität gegenüber Ancona, eine in die christliche Welt eingebettete Stadt. Der Okzident, dem sich die Ragusaner kulturell verbunden fühlten, repräsentierte in dieser Phase der wirtschaftlich-politischen Umbrüche auf dem Balkan und in der Levante die goldene Zukunft, die ihre Boten – die holländischen, englischen und französischen Geschäftsleute – in den Mittelmeerraum entsandte. Imaginationen von Stabilität, Sicherheit und Kontinuität nur wenige Kilometer von der Heimatstadt entfernt motivierten viele Ragusaner zu einem Ortswechsel.74 Ihre mentale Landkarte zeigte ihnen einen Lebensraum, ihrem eigenen gleich, in dem sie das gute Alte bewahren und das zukunftsträchtige Neue fördern könnten. Ancona war ein neuverpacktes Ragusa. Die Suche nach einer ungestörten Existenz

Eine besondere Stellung nahmen die ,,Griechen“ ein.75 Verschiedene Begriffe verdeutlichen die Komplexität einer klaren Bestimmung, um welche Personengruppen es sich bei der ,,griechischen Nation“ genau handelte. ,,Homogeneia“ steht für Griechen, die im osmanischen Reich im milletSystem lebten. Der Terminus ,,paroikia“ wird eher für griechische Kaufleute auf der Apenninhalbinsel eingesetzt.76 Als Griechen wurden oft generell jene bezeichnet, die griechisch sprachen, der griechisch-orthodoxen Religion angehörten und als Händler tätig waren. Dies mussten nicht unbedingt nur ethnische Griechen sein, sondern Bewohner der Balkanhalbinsel oder der Levante, die den griechisch-orthodoxen Glauben praktizieren. Auch christ72 73 74 75 76

Anselmi: Adriatico, S. 99; Anselmi: Venezia, Ragusa, Ancona, S. 62. Niccoli: L’emigrazione aristocratica, S. 63. Sori: Evoluzione demografica, S. 30. Harris: The Greek diaspora, S. 77. Harlaftis: Mapping the Greek, S. 149f.

2. Wasserwelten: Der Hafen und die Stadt

91

lich-orthodoxe romanischsprachige Aromunen oder Juden wurden gern als ,,Griechen“ bezeichnet. Diese Hellenisierung im 17. und 18. Jahrhundert betraf, ethnisch gesehen, Griechen, Vlachen, mazedonische Slawen und Bulgaren. Nur die Serben wurden in diese Kollektivbezeichnung nicht integriert. Stoianovich spricht von einer ,,inter-Balkan merchant class“, die sich selbst als ,,griechisch“ bezeichnete und von Außenstehenden ebenso klassifiziert wurde.77 Ancona wurde 380 v. Chr. vom Dorier Syrakus gegründet, ihren griechischen Namen ,,Ancona“ (Ellenbogen) verdankt sie wohl ihrer kecken Ausrichtung ins Meer.78 Die Stadt wuchs, als die Griechen im 15. und 16. Jahrhundert von den muslimischen Osmanen aus der Levante verdrängt beziehungsweise durch wirtschaftliche Reize nach Ancona gelockt wurden. Noch im 12. Jahrhundert bestand die Hälfte der Bevölkerung Anconas aus Griechen und bis zum Fall von Konstantinopel 1453 betrieben diese Geschäfte mit dem byzantinischen Imperium, in dessen Hauptstadt sie ein eigenes Quartier hatten. Danach flohen viele Griechen vor den Truppen Mehmeds II. in den Westen.79 Die meisten ethnischen Griechen, orthodoxe wie katholische, lebten und arbeiteten in ein und derselben Kirchgemeinde, Santa Maria della Piazza, die nahe am Hafen gelegen war und wo neben Griechen auch andere Diasporagemeinschaften zuhause waren. Die Griechen verdienten ihr Geld hauptsächlich als capottari, Mantelhändler. Sie besaßen zudem Schneiderateliers und Kaffeehäuser. Die ethnischen bzw. muttersprachlichen Griechen lassen sich in zwei religiös bestimmte Gruppen eingliedern. Hier zeigt sich – wie wir schon bei den katholischen Slaven gesehen haben –, wie wichtig die religiös-kulturelle Übereinstimmung für die Integration sein kann. Während die orthodoxen Griechen vorwiegend ledige Männer waren, die sich in einer geschlossenen 77 78 79

Domenichini: La piccola comunità greca, S. 103; Panessa: Le comunità greche, S. 19; Stoianovich: The Conquering Balkan Orthodox Merchant, S. 290f, 311. Harris, Porfyriou: The Greek diaspora, S. 77. Domenichini: La piccola comunità greca, S. 103; Leonhard: Die Seestadt Ancona, S. 322– 331; Panessa: Le comunità greche, S. 19. Um 1549 sollen etwa 200 Familien in Ancona gelebt haben, 1570 geschätzte 1’000 Griechen bei einer Gesamtbevölkerung von etwa 18’500 und 1589 150 orthodoxe Griechen und ein paar Dutzend katholische. Zahlen aus: Harris, Porfyriou: The Greek Diaspora, S. 69; Domenichini: La piccola comunità greca, S. 103, 109. Gemäß Domenichini waren die griechischen Katholiken den Orthodoxen quantitativ immer unterlegen. Nach einem missglückten Aufstand gegen die Osmanen 1532 in Koroni (heutiges Peloponnes) flohen die Griechen und gründeten eine Gemeinde in Neapel. Domenichini: La piccola comunità greca, S. 103. Viele Griechen verließen die Stadt gegen Ende des 17. Jahrhunderts, als die Adria an wirtschaftlicher Bedeutung verlor; sie kamen erst wieder, als Zollfreiheiten und der porto franco einen erneuten Aufschwung einleiteten. 1710 (vor dem Freihafen): 5 Griechen; 1791 (nach dem Freihafen): 75 Griechen. Diese bescheidene Zahl täuscht über die tatsächliche Bedeutung dieser Bevölkerungsgruppe für die Entwicklung der Stadt Ancona im 18. Jahrhundert hinweg. Domenichini: La piccola comunità greca, S. 104f, 109; Gekas: The Merchants of the Ionian Islands, S. 47.

92

II. Italia felix für Händler

Gruppe bewegten und meistens nur eine kurze Zeit in der Stadt verbrachten, lebten die katholischen Griechen mit Frau und Kindern in der frei gewählten Stadt. Die bessere Integration der Katholiken war kein Zufall, sondern eine historisch gewachsene Gegebenheit. Die orthodoxen Griechen genossen zwar wie andere Gemeinschaften auch gewisse Privilegien. 1524 schenkte ihnen Papst Clemens VII die Kirche Santa Anna, die vermutlich dem Patriarchat von Istanbul zugeordnet wurde. 1582 erließ Gregor XIII der griechisch-orthodoxen Gemeinschaft Teile der kirchlichen Grundgebühr. Als Dank für die Privilegien schenkten die Griechen, die Muslime, die Armenier und die Juden Papst Clemens VIII einen Triumphbogen, ein Zeichen der Ehrerbietung und der engen Zusammenarbeit unter den levantinischen Händlern. Ab 1622 existierte in der Stadt zudem eine griechische Schule. Schon vor 1550 bestand eine griechische Bruderschaft in Ancona.80 Doch herrschte nach dem Konzil von Trient (1545–1563), vor allem im 17. Jahrhundert, im Zuge der Gegenreformation, ein Klima der religiösen Intoleranz. Diese traf auch die orthodoxe Kirche, so dass viele Griechen nach Livorno oder in Orte emigrierten, wo die Päpste weniger Macht ausüben konnten.81 Im 19. Jahrhundert weiteten die Griechen ihre Aktivitäten aus. Neben Mantelhändlern und Wirten erschienen nun auch Garn- und Tuchhändler sowie Industrielle und Makler. Die meisten von ihnen kamen aus Arta und Ionnina, weitere aus Bosnien, Dalmatien und Albanien. Die Griechen integrierten sich nun auch stärker in die anconitanische Gesellschaft, was die wachsende Zahl gemischter Ehen zeigte, und konzentrierten sich nicht mehr nur auf ein Wohnviertel. Sie zogen bevorzugt in kulturell attraktive Begegnungszentren um, zum Beispiel in die Nähe von Theaterhäusern.82 Ancona blieb auch im 19. Jahrhundert ein wichtiger Bezugspunkt der griechischen Diaspora, woran die politische Situation im östlichen Europa, von Österreich bis Griechenland, nicht unschuldig war.83 Wie die Ragusaner verbanden auch die Griechen mit Ancona Szenarien einer besseren Zukunft. Die Stadt strahlte eine seit ihren Ursprüngen gewachsene griechische Atmosphäre aus. Händler fanden optimale Arbeitsbedingungen vor, Katholiken ein vertrautes Ambiente. Nur die Orthodoxen suchten oft 80 81 82 83

Domenichini: La piccola comunità greca, S. 103f. Harris, Porfyriou: The Greek diaspora, S. 67f. Panessa: Le comunità greche, S. 19. Domenichini: La piccola comunità greca, S. 110f. Im Jahre 1814 wanderten 1’500 Griechen, die unter den Einschränkungen ihrer religiösen Freiheit litten, aus dem österreichischen Galizien ein. Während der Griechischen Revolution 1821 flohen viele Griechen nach Ancona. In den Jahren 1820 bis 1830 bemühten sich die Griechen in Ancona, den Flüchtlingen beim Unterhalt finanziell zu helfen. Sie beanspruchten dabei die Hilfe ihrer Glaubensbrüder in Livorno. Weiter wurde in diesen kritischen Jahren des Kampfes um die Unabhängigkeit die griechische Schule auch für die Kinder der Vertrieben geöffnet. Von Ancona aus gelangte der erste Staatschef des freien Griechenlands Ioannis Kapodistrias 1827 in seine Heimat, wo er von 1828 bis 1831 regierte. Panessa: Le comunità greche, S. 19f.

2. Wasserwelten: Der Hafen und die Stadt

93

vergeblich nach einer optimalen Alternative zum muslimisch geprägten Osmanischen Reich. Anconas glänzendes Gewand, das vor allem Katholiken zu bezaubern wusste, präsentierte sich orthodoxen Christen etwas matter. Die propagierte Offenheit Anconas zeigte erste katholische Grenzen auf. Noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts gab es keinen Unterschied zwischen den unierten (rito latino) und den orthodoxen Griechen (rito bizantino), beide religiösen Gruppierungen besuchten die gleichen Kirchen. Erst in den kommenden Jahrhunderten, gestützt auf eine Verordnung von Franz Stephan aus dem Jahre 1757, wurden die Schismatiker aus der gemeinsamen Kirche ausgeschlossen. Sie spalteten sich ab und gründeten eine eigene Kirche mit eigenen Schulen.84 In Livorno fanden die ersten Griechen vor allem als Seefahrer lukrative Arbeitsplätze.85 Sie galten als aktive und erfahrene Seeleute und dienten hauptsächlich im Ritterorden San Stefano, 1561 von Cosimo I gegründet, und verteidigten die Küstengebiete gegen Piraten.86 Sie lebten im 1597 eigens für sie erbauten Quartier Borgo dei Greci, und besuchten den Gottesdienst in der von Cosimo I 1567 gestifteten Kirche San Jacopo in Acquaviva. Da diese bald zu klein wurde, ließ Ferdinando I an der Via della Madonna eine neue Kirche bauen, die Chiesa dell’Annunziata (1601). Die katholischen Griechen schlossen sich ab 1653 in einer Confraternita (Bruderschaft) zusammen. Schwieriger war die Situation der orthodoxen Griechen. Erst 1757 genehmigte der Großherzog nichtkatholische Gotteshäuser, so dass sich einige Griechen abspalteten.87 Ab dem 18. Jahrhundert, profitierend von den turbulenten Zeiten nach dem Siebenjährigen Krieg (1756–1763), der französischen Revolution und den napoleonischen Kriegen,88 emigrierten vorwiegend griechische Kaufleu84

85

86

87 88

Während Giancarlo Nuti zwischen greci uniti und greci scismatici unterscheidet, teilt Giangiacomo Panessa die griechische Gemeinschaft in die nazione greco-unita und die nazione greco-orientale. Nuti: Livorno, il porto, S. 344; Panessa: Nazioni e Consolati in Livorno, S. 137. Die Ankunft der Griechen in Livorno ging auf Cosimo I. zurück, der damit den toskanischen Handel mit dem Orient fördern, die Piraterie bekämpfen und die dünn besiedelten Gebiete seines Reiches bevölkern wollte. Dazu förderte er zahlreiche Eheschließungen zwischen den vor den osmanischen Truppen geflüchteten Griechen und Frauen aus Portoferraio und Livorno. Die ersten Griechen gelangten gegen Ende des 16. Jahrhunderts von Ancona nach Livorno. Nach Harris, Porfyriou: 1561–1567. Harris, Porfyriou: The Greek Diaspora, S. 70. Nach Panessa: 1572–1574. Panessa: Le comunità greche, S. 33. Doch nicht immer gelang der Schutz vor den Piraten. Der levantinische Grieche Caram di Michele da Caam verlangte am 11. November 1660 Schadenersatz für seine Ware, die von Korsaren gestohlen wurde. ASL, governatore e Auditore, Nr. 2607, S. 169. Panessa: Le comunità greche, S. 34f; Harris, Porfyriou: The Greek Diaspora, S. 76. Die Griechen bauten ihre Netzwerke übers Wasser aus. Die griechische Flotte verdoppelte sich in den Jahren 1786 bis 1813, wobei die Französische Revolution und die ihr folgenden Kriege für die neutralen Griechen von Vorteil waren, weil durch die Kriege die konkurrierenden Flotten Maltas, Venedigs und Frankreichs aus dem Spiel genommen wurden, jedenfalls für den levantinischen Raum. Ein lukrativer Geschäftsbereich, in dem die Griechen vornehmlich profitierten, war exemplarisch der Getreidehandel. Vom

94

II. Italia felix für Händler

te aus Kleinasien, Griechenland und dem Balkan in Richtung Mittelmeer und Westeuropa und bildeten in den wichtigsten Finanz- und Handelszentren ihre Gemeinschaften. Livorno war dabei eines der Hauptzentren griechischer Handelsbestrebungen, da sie dort auf bereits vorhandene familiäre und geschäftliche Verbindungen zurückgreifen konnten.89 Das 19. Jahrhundert gilt als das goldene Zeitalter der griechischen Diaspora, wobei Livorno als depot centre eine bedeutende Rolle einnahm.90 In Livorno konzentrierten sich nicht nur erhebliche Warenmengen. Die wirtschaftliche Stärke erlaubte es den griechischen Händlern auch großen Einfluss auf die internationale Politik auszuüben. Zugleich war die griechische Diaspora in einer Phase der Unruhe. Es galt zu entscheiden, ob die Zukunft im Exil fortgesetzt oder im neu entstandenen Nationalstaat Griechenland aufgebaut werden sollte. Das merkantile Lebensverständnis vieler Griechen, das große Mobilität verlangte, widersprach diesem statischen Staatsverständnis.91 Gleichzeitig war es aber gerade der rege Geist der Diaspora, der in eine griechische Revolution mündete.92

89

90

91

92

Schwarzen Meer über Venedig nach Cádiz und Frankreich versorgten sie Westeuropa mit Nahrung. Harlaftis: Mapping the Greek, S. 154. Durch den Freihafenstatus seit dem 16. Jahrhundert, verbunden mit der Möglichkeit, Waren und Getreide lange Zeit zu lagern, nahm die Stadt bis ins 19. Jahrhundert eine strategisch bedeutende Position im griechischen Handelsnetz zwischen dem Schwarzen Meer, dem Mittelmeer und dem Nordatlantik ein. Ab dem späten 18. Jahrhundert ließen sich immer mehr griechische Händler, Handwerker und Geschäftsinhaber in der Stadt am Tyrrhenischen Meer nieder und erlangten dieselben Rechte wie die anderen Diasporagruppen seit dem 16. Jahrhundert. Vlami: Commerce and Identity, S. 1f. Es gelang den griechischen Händlern den internationalen Handel an sich zu reißen. Ihre Stärke zeigte sich in ihrer Organisationsstruktur. Sie waren in Koalitionen vereint, wo das gegenseitige Vertrauen und Ansehen eine starke Bindung herstellte. Weiter waren sie in der Lage, die Geschäftskosten zu verringern, indem sie überall auf ihrer Handelsroute Agenten einsetzten, die vor Ort die Kontrolle über alle Geschäfte in der Hand hielten, weil sie sich in der lokalen Geschäftsgepflogenheiten gut auskannten. Pepelasis: Toward a Typology, S. 176f. Die Umwandlung der diasporisch-griechischen in eine nationale Identität verlief nicht automatisch. Die radikalen politischen Transformationen lösten zwar eine Heimwanderungswelle ins nun freie Griechenland aus. Doch die internationale Tätigkeit der Griechen nahm kaum ab und die kommunalen Organisationen außerhalb Griechenlands überlebten bis ins späte 19. Jahrhundert. Vlami: Commerce and Identity, S. 2f. Die Gemeinschaft der griechischen Kaufleute zeichnete sich dadurch aus, dass sie gemeinsame ökonomische Interessen und Strategien verfolgten. Der nationale Aspekt stand dabei im Hintergrund. Die Mobilität war ein Ausdruck von Profitstreben durch familiäre und wirtschaftliche Netzwerke im 18. und 19. Jahrhundert. Harlaftis: Mapping the Greek, S. 150f. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts adoptierten viele einflussreiche Griechen die Werte der Französischen Revolution, verbanden die griechische Identität mit der Sprache, Literatur, Geschichte und dem Territorium des antiken Griechenlands und wünschten sich eine erzieherische, kulturelle und nationale Revitalisierung, um die Herrschaft der Türken zu beenden. Etliche griechische Persönlichkeiten in der Diaspora arbeiteten intensiv daran. 1775 unterrichtete Panajiotis Thomas junge Griechen in Livorno in Griechisch, einerseits in der traditionellen Volkssprache und andererseits in der Hochsprache, und

2. Wasserwelten: Der Hafen und die Stadt

95

Griechische Seeleute zogen als maritime Fachkräfte, griechische Händler als Warenvermittler und Transporteure nach Livorno. Beide Berufsgruppen fanden dort einen fruchtbaren Boden für ihre beruflichen Tätigkeiten vor. Verfolgte Griechen, vor allem Mainotten (Bewohner der griechischen Halbinsel Peloponnes) wählten Städte wie Genua oder Livorno oder die genuesische Insel Korsika;93 Orte der Glückseligkeit und Freiheit, wie eine Bittschrift an den Großherzog aus dem Jahre 1663 anschaulich zeigt.94 Die griechische Diaspora befand sich im Spannungsfeld zwischen der alten Heimat (meist orthodoxe Religion, gemeinsame Vergangenheit, hellenische Kultur und Sprache) und dem neuen Zuhause (katholische Gesellschaft). 1775 gründeten sie, mit der Erlaubnis vom Großherzog Peter Leopold, die Confraternita della SS. Trinita,95 eine Symbolfigur für den starken Zusammenhalt unter den Griechen in Livorno.96 Eine ihrer Hauptaufgaben war die Verwaltung der Kirche. Die Kirche Santa Trinita galt als Referenz für die Orthodoxen auf der ganzen Halbinsel. Die Bruderschaft unterhielt gute Kontakte zu anderen orthodoxen Gemeinschaften in der Region, etwa zu Ancona, auch zu russisch-Orthodoxen wurden enge Beziehungen gepflegt.97 Finanziert wur-

93 94 95

96 97

in Arithmetik. 1806 wurde dort eine griechische Schule errichtet unter der Leitung des Händlers Mihail Zosimas. 1822 gab es bereits 42 Schüler, die in den Fächern griechische Kultur (Sprache und Literatur), Ethik, Geschichte und Religionsunterricht geschult wurden. Beeinflusst wurden die livornesischen Lehrpläne durch die Chios School of Philosophy. Die Ausgaben der Schule deckte die Bruderschaft, ebenso den Unterhalt einer Bibliothek. Zahlreiche Lehrer lehrten vor ihrer Tätigkeit in Livorno schon an anderen Schulen, etwa in Ancona. Die Auswahl der Lehrkräfte erfolgte nach einem gründlichen Verfahren. Die Bruderschaft vergab Stipendien an junge griechische Studenten, die gewisse Kriterien erfüllen mussten, damit sie später an den Universitäten Pisa und Florenz studieren durften. Die Auswahl schien nicht immer unbefangen vorgenommen worden zu sein. Zum Ausbildungsprogramm der Bruderschaft gehörte zudem das Sponsoring von Buchpublikationen. Reiche Kaufleute unterstützten die Verbreitung von Büchern, die in der Diaspora und in Griechenland die Gedanken der Aufklärung, die Geschichte des Landes, ihre Kultur und ihre Sprache bekannt machten, mit dem Ziel, das Wissen über die stolze Vergangenheit zu bewahren und die Sehnsucht nach Unabhängigkeit zu wecken. Die bekanntesten griechischen Händler auf diesem Gebiet waren die Brüder Zosimas, Thomas Spagniolakis und Alexandros Patrinos. Die Bücher sollten nicht nur die griechische Bibliothek in Livorno füllen, sondern auch nach Griechenland gesendet werden. Die Bruderschaft finanzierte also nicht nur livornesische Projekte, selbst nach der Unabhängigkeit 1833 sendeten Erziehungsinstitutionen und Schulen aus Griechenland finanzielle Bitten an die Bruderschaft in Livorno. Vlami: Commerce and Identity, S. 9; Harlaftis: Mapping the Greek, S. 148. Panessa: Le comunità greche, S. 93f. Panessa: Le comunità greche, S. 102f. Confraternita, Bruderschaft ist eine Vereinigung von Gleichgesinnten, meistens nur Männer, die politische, kulturelle, soziale oder religiöse Ziele verfolgten.Vlami: Commerce and Identity, S. 6. Bereits 1498 wurde in Venedig eine griechische Bruderschaft gegründet. Andere Städte folgten, so auch Ancona. Vlami: Commerce and Identity, S. 6.

96

II. Italia felix für Händler

de die Bruderschaft durch Besteuerung von Waren, die in Livorno eintrafen. Die Organe der Bruderschaft waren die Versammlung, der Rat (gewählt von der Versammlung) und der Gouverneur, ähnlich strukturiert wie die nazioni der Juden oder der Armenier.98 Sie vertrat die griechische Gemeinschaft gegenüber den lokalen Behörden zuerst in religiösen, später auch in zivilen Angelegenheiten. Ein sechzehnköpfiges Exekutivkomitee, durch die Generalversammlung gewählt, war die offizielle Vertretung der griechischen nazione in Politik, Erziehung, Wohlfahrt und Religion und vermittelte zwischen der Stadt und der Diasporagruppe. Dieses Engagement überdauerte selbst die griechische Staatsgründung in den 1830er Jahren, und nahm ihr Ende erst mit dem demographischen Verfall zu Beginn des 20 Jahrhunderts.99 Die offizielle Anerkennung der religiösen Autonomie der orthodoxen Kirche in Livorno vollzog sich als langsamer Prozess. Der Disput begann sich erst mit dem Edikt von 1757, in dem die toskanischen Behörden den Griechen die Ausübung der orthodoxen Religion mit allen Pflichten und Verbindlichkeiten gewährten, zu lösen. Zu den Auflagen gehörte, die Religion gegen außen nicht sichtbar werden zu lassen.100 Die orthodoxen Griechen wurden von den toskanischen Herrschern etwas despektierlich greci scismatici genannt, sie selber bevorzugten jedoch die Ausdrücke greci non-uniti oder greci di rito orientale. 1760 bestätigte ein weiteres Edikt die grundsätzliche religiöse Freiheit der Griechen, schränkte deren öffentliche Ausübung, insbesondere bei Beerdigungen, jedoch immer noch ein. Die Toten mussten nachts transportiert werden, ohne religiöse oder zivile Feierlichkeiten. 1770 forderten sie deshalb dieselben Rechte wie die Juden oder Protestanten. 1774 wurde es dann auch möglich, die Toten tagsüber zu transportieren.101 Einige Jahre zuvor hatten sich griechische Kaufleute erfolgreich für die Errichtung einer unabhängigen orthodoxen Kirche eingesetzt. Die Kirche Santa Trinita wurde 1760 fertig gestellt. Keine Aufschrift oder Zeichen durfte von außen andeuten, dass das Gebäude eine Kirche darstellte. Die Glocken zu läuten, um die Gläubigen in die Kirche zu rufen, war ebenfalls verboten. Für das religiöse Leben der griechisch-orthodoxen Gemeinde bedeutete das Gebäude jedoch einen großen Gewinn. Gegen Ende 18. Jahrhunderts und zu Beginn des 19. Jahrhunderts belief sich die Anzahl der Orthodoxen bereits auf 150. Eine eigene Spitalabteilung in einem bereits bestehenden Hospital wurde für sie eingerichtet und ein Friedhof erbaut. Um den Einfluss der katholischen Priester zu verhindern, wurden die Zimmer für orthodoxe Patienten von den anderen getrennt.102 Das 98 99 100 101 102

Cini: La trajectoire de deux communautés, S. 99. Vlami: Commerce and Identity, S. 2f. Die orthodoxen Priester durften sich in ihren prachtvollen Gewändern nicht öffentlich zeigen. Cini: La trajectoire de deux communautés, S. 98. Paolini: La Comunità Greco-Ortodossa, S. 64. Mit der Einigung Italiens und dem damit verbundenen Verlust des Freihafens zerfiel die griechische Gemeinde. Es blieben einige wenige Orthodoxe in Livorno und einige

2. Wasserwelten: Der Hafen und die Stadt

97

Gemeindeleben nahm im 19. Jahrhundert allerdings immer mehr politischen Charakter an.103 Wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten waren für die griechische Diaspora in Ancona wie auch in Livorno sicherlich gegeben. Katholiken und reiche Kaufleute wurden nicht enttäuscht, während orthodoxe Griechen um ihre Rechte kämpfen mussten. Mit einem Sinn fürs Wesentliche und pragmatischer Ausdauer arbeiteten die Griechen auf ihre wirtschaftlichen, soziokulturellen und im Zeitalter der Nationalstaatsbildungen in Europa politischen Ziele hin. Unauffällige Erfolgsgeschichten

Bereits 1551 lud Cosimo I Händler aus der Levante ein, auch Armenier und Perser, und bot ihnen Schutz und Arbeitsmöglichkeiten an.104 Die ersten kamen gegen Ende des 16. Jahrhunderts als Vermittler und Zwischenhändler nach Europa. Viele der Neuankömmlinge kamen aus osmanischen Hafenstädten (wie Izmir) oder aus Neu Julfa (Persien),105 aber auch aus anderen Städten der italienischen Halbinsel nach Livorno, während von Armeniern, Persern oder Arabern in der Literatur zu Ancona kaum die Rede ist.106 Die Armenier organisierten sich in einer nazione mit einem eigenen Konsul.107 1624 wurde Andrea Signorini zum Beschützer und Übersetzer

103 104

105 106

107

Studenten in Pisa. In der Ära des Faschismus wurde auch die griechische Kirche zerstört. Paolini: La Comunità Greco-Ortodossa, S. 65f. Vlami: Commerce and Identity, S. 3f. Luca Paolini geht davon aus, dass der toskanische Großherzog bereits vor der Livornina mittels armenischer Vermittler Handelskontakte mit Persien knüpfte, dass jedoch die armenische Ansiedelung in Livorno erst im zweiten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts anfing. Paolini: La Comunità Armena, S. 74. Die fruchtbaren Beziehungen zwischen Livorno und dem König von Persien, der als ein Freund der Christen, nicht aber der ,,Türken“ (Muslime) galt, werden in einem Dokument vom 31. März 1667 angeführt: ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2608, S. 314. Die Anzahl Armenier, die damals in Livorno lebten, stieg bald auf etwa schätzungsweise 1’000 Individuen, verteilt auf 200 Familien und 120 Unternehmen. Zekiyan: Les colonies arméniennes, S. 438. Curtin: Cross-Cultural Trade, S. 199. Bitte eines Armeniers aus Venedig, sich in Livorno niederlassen zu dürfen, um seine Erfahrung als Vermittler zwischen Armeniern, Türken und Mauren einbringen zu können. ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2602, Tomo II, S. 371 (507 = Original). ,,Sehr geehrter Großherzog, Piase di Giorgio, ein in Venedig mit Frau und zwei Töchtern lebender Armenier, ergebenster Diener seiner Durchlaucht, der in dieser Stadt viele Jahre als Vermittler zwischen Türken, Mauren und Armeniern tätig war, sich aber aufgrund mannigfacher und unglücklicher Vorkommnisse Verfehlungen hat zuschulden kommen lassen und sich daher wünscht, in diesen wunderbaren Staaten zu leben (Toskana, PK), ersucht seine Durchlaucht um die Gnade, ihm einen unwiderruflichen Schutzbrief für ihn und sein Eigentum, wie ihn der Großherzog üblicherweise erteilt, auszustellen. Durch diese Geste wäre der Gesuchsteller seiner Durchlaucht, die Gott überglücklich erhalten möge, auf ewig verpflichtet. Livorno, 3. Juni 1626.“ Die Antwort des Großherzogs war positiv. Rocchi: Il primo insediamento, S. 83.

98

II. Italia felix für Händler

der persischen und armenischen Nation nominiert, zwei Jahre später zum Konsul beider Nationen.108 Einige Jahre später spaltete sich die Gemeinschaft. Die osmanischen Armenier waren auf die Medici und toskanische Vermittler, das heißt Konsuln angewiesen, da sie im Osmanischen Reich keinen sicheren Status hatten. Sie waren entsprechend offener für katholische Missionsbestrebungen. Die persischen Armenier, oft sehr reich, genossen den vollen Schutz der safawidischen Schahs. Ihr Auftreten war denn auch ein ungleich selbstbewussteres. Der Kaufmann Safer di Gaspero aus Neu Julfa (Armenierviertel der Safawidenhauptstadt Isfahan) weigerte sich 1624, einen Toskaner als Konsul anzuerkennen.109 Die persischen Armenier, Untertanen des persischen Schahs Abbas II, verlangten nun ebenso wie die levantinischen Armenier, die unter der Herrschaft der Osmanen standen, einen eigenen Konsul. 1646 übernahm Antonio Borgi das Amt des Konsuls für die levantinischen Armenier und Diodato Armeno wurde Vizekonsul der persischen Armenier.110 Eine dritte ethnische Komponente in der armenischen Gemeinschaft waren die georgischen Armenier, die der persischen Fraktion zugeordnet wurden.111 Die armenisch-apostolische Kirche ist eine der ältesten unabhängigen christlichen Kirchen mit eigenem Ritus, die armenisch-katholische Kirche, ebenfalls mit eigenem Ritus, ist eine mit dem Papst von Rom unierte Ostkirche. Die Armenier besaßen keine eigenen Schiffe. Sie begleiteten ihre Waren auf fremden Schiffen persönlich oder ließen sie durch Landsleute geleiten, betrieben also keinen Handel mittels Fernkorrespondenz. Sie waren spezialisiert auf den Import von Waren aus dem Orient, wie Seide, Kaffee, Edelsteine, Wachs, Kamelfelle oder Moschusdrüsen112 und verkauften sie zusammen mit livornesischen und toskanischen Produkten, wie Korallen, über Livorno in andere europäische Hafenstädte weiter.113 Die iranischen Armenier machten Livorno zum Hauptmarkt für Seide im Europa des 17. Jahrhunderts114 und waren die direkten Konkurrenten der sephardischen Gemeinschaft, etwa im

108 109 110 111

112

113 114

ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2602, Tomo II, S. 552 (588 = Original). Cini: La trajectoire de deux communautés, S. 103. ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2603, S. 490 und 519. Rocchi: Il primo insediamento, S. 84. Sie tauchen in einer Bitte der persischen Armenier auf, die sie mit unterzeichneten. Diese verlangten, dass Silvestro di Lorenzo Cartoni ihr Konsul würde. Ihr Anliegen wurde am 21. Juli 1657 angenommen. ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2606, S. 249. Anzeichen für den armenischen Seidenhandel: Rechtsstreit zwischen Agamal di Savali, armenischer Händler in Livorno, und Giuseppe Armano wegen Lieferung von Seide (1659). In: ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2607, S. 118. Während die armenischen Händler im 17. Jahrhundert mit Luxuswaren handelten, übernahmen die Griechen den Getreidehandel. Cini: La trajectoire de deux communautés, S. 102. Rocchi: Il primo insediamento, S. 84f. Inalcik: An Economic and Social History, S. 245.

2. Wasserwelten: Der Hafen und die Stadt

99

Korallenhandel von Nordafrika über Livorno, London und Amsterdam nach Indien.115 Wie bei den anderen Diasporagruppen führte auch bei den Armeniern wirtschaftliche Potenz zu sozialer Integration und Prestige. Der osmanische Armenier Antonio Bogos Çelebi verzeichnete zunächst große Erfolge als Kaufmann, wandte sich dann dem Transportwesen zu, wurde Reeder, gonfaloniere (Bannerträger, d. h. hoher städtischer Beamter) und baute 1665 einen Palast, in das er ein öffentliches hamam (Dampfbad) integrieren ließ, das noch lange nach seinem Tod betrieben wurde.116 1642 gelangten auch armenische Typografen nach Livorno, erste armenische Kaffeebesitzer sind im Jahre 1678 belegt.117 Erste armenische Priester erreichten 1627 Livorno. In den ersten Jahren hielten sie als Gäste in fremden katholischen Kirchen ihren Gottesdienst ab, da noch kein eigenes Gotteshaus zur Verfügung stand.118 46 persische Armenier verlangten gegen Mitte des 17. Jahrhunderts die Absetzung eines levantinischen Priesters, der sie dominieren und führen wollte (von Zwangsbeichte und Zwangskommunion ist die Rede). Sie drohten, Livorno zu verlassen, wenn sie nicht die christliche Kirche ihrer Wahl besuchen durften – mit Erfolg.119 1692 konnte ein Grundstück für den Bau einer Kirche gekauft werden, der durch eine Abgabe auf Waren, die armenische Händler in Livorno an Land brachten, finanziert wurde.120 Erst nach langen und zähen Verhandlungen wurde 1701 die Bauerlaubnis unter strikter Beaufsichtigung der katholischen Behörden erteilt. Die Eröffnung der Kirche zog sich über mehrere Jahre hin, so dass erst am 1. Januar 1714 die Kirchentore geöffnet wurden.121 Die Einbindung in die lokalen religiösen Gegebenheiten funktionierte immer besser, war aber weiterhin von Hindernissen und Eingeständnissen begleitet. 1784 wurden die Taufe und die Firmung der armenischen Kinder erlaubt. Bis 1773 wurden die Toten in der Nähe der Kirche begraben, danach, trotz Protest der Armenier, auf einem Friedhof außerhalb der Stadt. Neben der Kirche und dem Friedhof besaß die armenische Gemeinde außerdem ein Krankenhaus für arme Pilger, das Arme und Reisende beherbergte.122 115 116 117

118 119 120 121 122

Israel: Diasporas Jewish, S. 7. Cini: La trajectoire de deux communautés, S. 104. 1642 eröffnete Vardapet Hovhannes aus Neu Julfa eine Druckerei in Livorno, in der die Davidpsalmen ins Armenische übersetzt wurden. Siehe Cini: La trajectoire de deux communautés, S. 103. Paolini: La Comunità Armena, S. 75f. Castignoli: Gli armeni a Livorno, S. 31f. Drohung auch abgedruckt in Salvini: Cenni storici. Band 2, S. 7. Nuti: Livorno, il porto, S. 344. Paolini: La Comunità Armena, S. 76f. Der governatore, der die Finanzen regelte, sowie seine beiden Helfer, der Schatzmeister und der Kirchendiener, bildeten im 18. Jahrhundert das Bindeglied unter den armenischen Gemeindemitgliedern. Paolini: La Comunità Armena, S. 79f.

100

II. Italia felix für Händler

Mit anderen Diasporagruppen standen die Armenier offenbar in engem Kontakt. Die ,,orientalischen Kulturen“ (Armenier, Griechen) vermischten sich mit der Gastgesellschaft, ihre Sitten und Gebräuche wurden dem livornesischen Kulturerbe einverleibt. Zwischen den Armeniern und den Griechen, wie auch den Maroniten – griechische Katholiken aus Syrien und dem Libanon –, bestanden enge Beziehungen. Durch den Bericht eines französischen Reisenden kann man das farbenfrohe Bild Livornos erahnen, das die Armenier mitgestalteten. Er beschrieb die armenische Präsenz in den Straßen der Stadt, Turbane und die charakteristische bunte Kleidung stachen ihm ins Auge. Sie waren berühmt für ihre Geselligkeit, Fest- und Feierkultur.123 Im Gegensatz zur griechischen Diaspora organisierten sich die Armenier nicht in einer nationalen Bewegung, die sich für ihre religiös-kulturell-politischen Rechte hätte einsetzen können. Sie wählten stattdessen den Weg der passiven Assimilation.124 Aus den Provinzen des Osmanischen Reiches kamen die ,,Araber“ nach Livorno – nach Ancona nur wenige. Muslime, katholische Christen aus Syrien und Umgebung und Juden aus der Levante und Nordafrika, die die gemeinsame arabische Sprache aus europäischer Perspektive zu ,,Arabern“ machte.125 Viele waren Kaufleute, die in Livorno ihrem Geschäft nachgingen, wobei sie während ihrer Aufenthaltsdauer (einige Tage bis mehrere Monate) im Viertel der Juden wohnten, dort Häuser mieteten oder sich in Herbergen einquartierten.126 Neben den Händlern waren noch andere arabischsprechende Muslime anzutreffen, die muslimischen Sklaven.127 Der wohl berühmteste ,,Araber“ in Livorno war der Druse Emir Fakhr ad-Din Ma’an, genannt Il Faccardino.128 Die ältere Forschung nahm an, dass osmanische Muslime das Handelswesen mieden, um nicht mit Nichtmuslimen in Kontakt zu kommen. Dieser Irrtum, der sich als Rückprojektion von Gegebenheiten des 19. Jahrhunderts auf frühere Zeitalter herausstellte, wurde unter anderem von Cemal Kafadar korrigiert.129 Selbst Kriege, Piraterie und religiös-kulturelle Vorbehalte machten 123 124 125

126 127

128

129

Paolini: La Comunità Armena, S. 81f. Cini: La trajectoire de deux communautés, S. 105. Erwähnung von türkischen Händlern, nicht aus den arabischen Provinzen, sondern aus der heutigen Türkei, aus Smirne (Izmir), gemeint sind hier auch Muslime, ihre Sprache wird nicht erwähnt. In: ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2608, S. 4, 5 und 6 (Blätter ohne Datum, doch sie sind eingebettet in Bittschriften aus dem Jahre 1667). Filippini: Les provinces arabes, S. 207. Bellatti Ceccoli: Tra Toscana e Medioriente, S. 34f. Erwähnung eines muslimischen (maometto) Sklaven im bagno der Galeeren (6. August 1657). In: ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2606, S. 250. Bekanntmachung von 260 türkischen Sklaven (31. März 1677). In: ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2609, S. 94. Dieser Emir des Libanon baute enge politische und wirtschaftliche Beziehungen zur Toskana auf und wurde wichtiger Bestandteil der antiosmanischen Front. Bellatti Ceccoli: Tra Toscana e Medioriente, S. 36f. Kafadar: A Death in Venice, S. 97–124. Weitere Hinweise auf diese Fehleinschätzung bei Faroqhi: Ottoman Merchants. und Faroqhi: Geschichte des Osmanischen Reiches,

2. Wasserwelten: Der Hafen und die Stadt

101

den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Kirchenstaat und muslimischen Städten kein Ende.130 Die osmanischen Händler lebten im 1514 für sie zur Verfügung gestellten fondaco dei mercanti turchi ed altri musulmani, einem Lagerhaus, in dem die Händler zudem residieren konnten.131 Muslimische (Galeeren-)Sklaven gehörten ebenfalls zum Stadtbild. Viele Anconitani zeigten Mitgefühl für sie, was die religiös-kulturellen Kontraste merklich nivellierte.132 Die Muslime waren in Ancona im Vergleich zu den Juden weniger zahlreich. Die Wenigen jedoch konnten zum Teil große kaufmännische Erfolge verzeichnen. In Ancona lebten sie im fondaco, während sie in Livorno in jüdischen Häusern Unterkunft fanden. Die katholischen Christen von der arabischen Halbinsel, insbesondere aus Damaskus, bildeten keine eigene Nation, weshalb sie sich der unierten griechischen Nation anschlossen. Obwohl sie nur wenige waren, gab es einige wichtige Persönlichkeiten unter ihnen, die große Vermögen nach Livorno brachten.133 Zu diesen arabischen Katholiken zählte man die Melchiten (arabischsprechende Griechen), die Maroniten und teilweise auch die Armenier. Im Jahre 1613 flohen viele Griechen aus der melchitisch-griechisch-katholischen Kirche (arabi Melchiti) aus Syrien nach Livorno. Sie entzogen sich damit der osmanischen Herrschaft.134 Sie praktizierten ihren Glauben gemeinsam mit den Orthodoxen, in der Kirche SS. Annunziata, da sie den unierten Kirchen nahe standen.135 Die Maroniten standen ebenfalls ab 1613 mit Livorno im Kontakt. In Begleitung des Drusenführers Fakhr, der intensive politische und wirtschaftliche

130

131 132 133 134 135

S. 53f. Die Handelsroute Bursa-Edirne-Ragusa-Ancona-Florenz gewann ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts an Bedeutung. Türkische und persische Händler bedrohten durch ihre Anwesenheit an Messen auf der apenninischen Halbinsel den Levantehandel Venedigs. Osmanische Quellen sprechen von muslimischen Händlern, die in Ancona Waren umtauschten. So schickte etwa ein Kaufmann aus Shirvan (heutiges Aserbaidschan) 1559 seinen Bediensteten nach Ancona, damit dieser dort Seide gegen andere Tücher eintauschte. Inalcik: Capital Formation, S. 113. Lepanto ist ein Ort im heutigen Griechenland, sein griechischer Name lautet Nafpaktos. 1529 und noch mehrere Male später im selben Jahrhundert schloss Ancona Handelsverträge mit Sultan Süleyman I (der Prächtige) ab, was dessen geschäftige Untertanen nach Ancona lockte und gleichzeitig Venedig beunruhigte. 1594 wurden diese Tendenzen verstärkt, als Papst Clemens VIII eine Serie von fiskalen Maßnahmen ergriff. Paci: Il turco, S.150f. Constable: Housing the Stranger, S. 325, 330. Paci: Il turco, S. 151. Einer von ihnen, Giuseppe Bochti, heiratete eine Frau aus Livorno und erhielt das livornesische Stadtbürgerrecht. Filippini: Les provinces arabes, S. 208. Panessa: Le comunità greche, S. 36. Bellatti Ceccoli: Tra Toscana e Medioriente, S. 233f.

102

II. Italia felix für Händler

Beziehungen zur Toskana pflegte, kamen die ersten, als Freunde des Drusen, im frühen 17. Jahrhundert nach Livorno.136 In den 200 Jahren ihrer Präsenz hinterließen sie wenige Spuren, sie galten als stille und bescheidene Zeitgenossen. Die toskanischen Herrscher setzten im 18. Jahrhundert ein ufficio di confessore degli arabi ein, das einen maronitischen Priester beschäftigte, der sich um alle arabisch sprechenden Katholiken kümmerte (Maroniten wie Melchiten). 1755 stiftete der Melchit Nicola Frangi aus Damaskus testamentarisch eine Kapelle für die arabischen Nationen. Die kleine Gemeinschaft schien gut ins römisch-katholische System integriert gewesen zu sein. Ein maronitischer Bischof besuchte die Stadt und hielt im Dom eine Messe nach maronitischem Ritus in Arabisch.137 Die arabischen Katholiken aus Syrien und dem Libanon prägten das wirtschaftliche, wie auch das soziale und kulturelle Leben Livornos vom 17. Jahrhundert an maßgeblich mit. Noch heute finden sich im livornesischen Dialekt Spuren der arabischen Sprache.138 Dies sind die Kernstücke der kosmopolitischen Mentalität und multilingualen Färbung der Stadt.139 Die dritte Gruppe schließlich, Juden aus Nordafrika, machten im 18. Jahrhundert einen großen Teil der jüdischen Bevölkerung in Livorno aus.140 Allen drei Gruppen war die arabische Sprache gemeinsam. Sie galten als Informationsträger von Neuigkeiten aus ihrer Heimat, für die sich sowohl die diasporischen Gemeinschaften als auch die toskanische Regierung interessierten. Besonders wichtig waren die Informationen über die Pest oder Piraten. Die Händler erkundigten sich nach den Marktpreisen und An- und Verkaufsbedingungen im Osmanischen Reich und Nordafrika.141 Armenier wie ,,Araber“ zogen in diese wirtschaftlich aufstrebenden Städte aufgrund der Vorstellungen, die sie sich von ihnen gemacht hatte, Städte, wie geschaffen für kleine, aber wirtschaftlich leistungsfähige Gemeinschaften, eine transkulturelle kaufmännische Einheit, deren Zuversicht alle Schwierigkeiten überstrahlte sprachliche wie religiöse Hürden zu nehmen half.

136 137

138

139 140 141

Bellatti Ceccoli: Tra Toscana e Medioriente, S. 58f. Im 19. Jahrhundert wurde die Kirche gewechselt, der neue maronitische Priester arbeitete nun in der Chiesa di Via della Madonna. Sein Nachfolger wechselte in die Chiesa di S. Caterina. Paolini: La Comunità Siro-Maronita, S. 121–123. Umgekehrt flossen italienische Wörter in die arabische Sprache nordafrikanischer Händler. So findet man die italienischen Ausdrücke kuntratu (contratto, Vertrag), nulu (nolo, Leihgebühr), kunsul (consul, Konsul), karantina (quarantena, Quarantäne), kummisyiun (commissione, Kommission), bulissiya (polizia, Polizei) und andere im Nachlass des libyschen Händlers Hasan al Faqih Hasan. Dieser hatte Kontakte zu den jüdischen Kaufleuten in Livorno. Lafi: La langue des marchands, S. 220. Bellatti Ceccoli: Tra Toscana e Medioriente, S. 321. Filippini: Les provinces arabes, S. 208. Nur auf Grundlage verlässlicher Informationen konnten rentable Geschäfte getätigt werden. Filippini: Les provinces arabes, S. 208f.

2. Wasserwelten: Der Hafen und die Stadt

103

2.2.3 Aus dem Westen und Norden Monetäre Lockungen und nautisches Können

Die Kaufleute aus Westeuropa – von Spanien bis Skandinavien – folgten vor allem finanziellen Reizen in die neuen Heimaten. Ab dem 14. Jahrhundert fanden sich Katalanen sowie Kaufleute aus Toledo und Mallorca in Ancona ein, um dort von den günstigen Zollbedingungen zu profitieren. Zur selben Zeit erweiterten sich die anconitanischen Handelskontakte in den nordalpinen Raum hinein, was zur Folge hatte, dass nun auch Kaufleute aus Regensburg, Wien, Köln, München, Brügge, Antwerpen und London im zollgünstigen Ancona geschäftlich unterwegs waren. Diese Tendenz steigerte sich rasant im 15. und 16. Jahrhundert.142 Im 17. Jahrhundert scheinen die Ponentiner aufgrund der wirtschaftlichen Krise kaum präsent gewesen zu sein. Erst wieder im folgenden Jahrhundert besuchten sie die Messe von Senigallia, Treffpunkt der europäischen Industrie mit der Levante, und den Freihafen Ancona. Die Ponentiner, die großen Seenationen des Atlantischen Ozeans – Frankreich, England und Holland – führten im 18. Jahrhundert vor allem Kolonialwaren ein,143 sie waren aber auch Bankiers.144 Sie kamen an die westliche Adriaküste, um Handelshäuser aufzubauen. Oft war der Anlass ihrer Besuche diplomatischer Natur, hatte die Aufnahme von Verhandlungen und Projekten zum Inhalt, die die Beziehungen zwischen dem Mutterland und der neuen Destination anbahnen sollten.145 Noch umfangreicher als in Ancona siedelten sich die westeuropäischen Geschäftsleute in Livorno an, allen voran die Engländer, aber auch Flamen, Deutschsprachige und Franzosen. Die Engländer begleiteten die Entwicklung Livornos – vom Dorf zur Stadt, von der Stadt zum Handelszentrum – und unterhielten einträgliche wirtschaftliche Beziehungen zur Toskana. Unter dem englischen König Heinrich VII entwickelte sich der Handel zwischen Livorno und den englischen Häfen ab 1485 weiter, obwohl der König sich vermehrt nach Westen, nach Nordamerika, orientierte und viele Engländer das Mittelmeer wegen der Pest und der Piraterie mieden. So kam es, dass 1537 vor allem die Holländer für den Warentransport zwischen dem Mittelmeer und Nordeuropa verantwortlich waren, auch für englische Güter. Mit der englandfreundlichen Herrschaft von Francesco I wurden die Handelsbeziehungen mit England intensiviert. Toskanische Händler wurden motiviert, vermehrt englische Schiffe für den Warentransport von und nach England zu nutzen. Beide Seiten senkten zudem ihre Importzölle. Spanien versuch-

142 143 144 145

Leonhard: Die Seestadt Ancona, S. 285 und 331f. Von Schweden und Dänemark ist hier oft die Rede, so auch bei Caracciolo: L’economia regionale, S. 157f. Caracciolo: L’economia regionale, S. 157. Caracciolo: L’economia regionale, S. 157.

104

II. Italia felix für Händler

te vergeblich, die guten Beziehungen zu stören.146 Die ersten Zuwanderer waren englische Seeleute. Ihr Wissen und ihr Engagement wurden direkt im Auf- und Ausbau der Stadt eingesetzt. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts gab es in Livorno nicht wenige englische Seeleute, die durch die Gastfreundschaft der Medici den Weg ins Mittelmeer gefunden hatten. Diese ersten Ankömmlinge waren hauptsächlich Kapitäne und Matrosen, die aktiv am Hafenleben teilnahmen. Sie halfen bei der Wahl der Standorte für Leuchttürme aktiv mit. Durch den Kauf von englischen Schiffen und die Nutzung der Dienstleistungen englischer Kapitäne und deren Schiffe wurden ihre Ressourcen für eigene (livornesische) Zwecke genutzt. Das Paradebeispiel ist die Einladung an Sir Robert Dudley, der in Livorno die Schiffswerft führte, wo neue Schiffstypen kreiert wurden. Zudem zeichnete er verantwortlich für das Flutbrechersystem, die Trockenlegung der Sümpfe zwischen Pisa und Livorno und für die Rekonstruktion der Festungsanlage auf dem Meer. Ein anderer Kapitän, Robert Thornton, leitete den Ritterorden San Stefano und 1608 eine Expedition nach Südamerika, um Metalle und Edelsteine zu suchen. Als Gegenleistung erhielt er ein Haus in Livorno und eine Rente.147 Als Beispiel für die zeitgleiche Ansiedelungs- wie Wirtschaftsförderung kann ein Erlass aus dem Jahre 1615 dienen. Cosimo II erließ eine Konzession für die Produktion und den Verkauf von Bier. Dieses Recht wurde ausschließlich einer Person und ihren Nachkommen zugebilligt, einem englischen Händler namens Humfrodo Aldington. Er erlangte dadurch eine Art Monopolstellung in diesem Gewerbe und die Fürsten der Toskana hofften, aus Livorno ein Zentrum für die Bierproduktion und Bierhandel zu machen.148 Die politische und wirtschaftliche Macht Livornos wurden durch die maritimen Engländer verstärkt. Englische Kapitäne boten nach dem englischspanischen Frieden 1604 dem toskanischen Großherzog ihre Dienste an. Auf dessen Rechnung und unter dessen Schutz verschifften sie Waren und bekämpften die gegnerische algerische Flotte. Am 22. Juli 1671 informierte der governatore von Livorno, dass ,,seine“ Korsaren, im Kampf gegen die ,,Ungläubigen“ (muslimische Osmanen), keine Katholiken angreifen durften. Die ersten Engländer in Livorno waren also halb Piraten, halb Händler. Auf der Suche nach Beute hatten sie in der Regel keinen festen Wohnsitz in der Stadt, benutzten sie aber als Basis um Munition und Lebensmittel zu kaufen, ihre Schiffe zu warten und ihre Prise zu verkaufen. Als Gegenleistung für die Amnestie und den Schutz vor Verfolgung verlangte der Großherzog der Toskana, am Gewinn wie auch am nautischen Know-how der Seeleute beteiligt zu werden. Einer der englischen Pioniere, der britische Konsul und Kapitän Morgan Read, versuchte 1633 von Livorno aus mit seinem Schiff auf der griechischen 146 147 148

Hayward: Gli inglesi a Livorno, S. 268. D’Angelo: Mercanti inglesi a Livorno, S. 34f. Dieser Erlass findet sich in den Atti del convegno ,,Livorno e il Mediterraneo nell’età Medicea”. Cipriani: Un privilegio livornese del 1615, S. 369–370.

2. Wasserwelten: Der Hafen und die Stadt

105

Inselgruppe Weizen für die hungernde Bevölkerung von Livorno zu besorgen. Doch die osmanischen Herrscher erlaubten es ihren Beamten nicht, Weizen an Christen zu verkaufen. Er drohte mit Gewalt und erhielt die gewünschte Ladung. 1655 stach der Engländer Ammiraglio Blake von Livorno aus in Richtung Nordafrika in See, wo er die ganze tunesische Flotte sowie deren Festungen zerstörte und die christlichen Sklaven befreite. Für die nächsten 200 Jahre fungierte der Hafen von Livorno als Basis, von wo aus die Engländer das Meer zwischen Gibraltar und der Levante kontrollierten.149 Zu Beginn des 17. Jahrhunderts zogen neben Kapitänen und Piraten auch Händler und deren Handelsvertreter nach Livorno. Sie waren nicht zahlreich, besaßen im Wirtschaftsleben der Stadt jedoch Einfluss und Macht und hatten die Absicht zu bleiben, was sich an ihren prächtigen Häusern zeigte.150 Der Großteil mietete Wohn- und Arbeitsräume an der Hauptstraße, in der Nähe des Hafens. Viele englische Händler pendelten zwischen Pisa und Livorno.151 Durch die großzügige Vergabe von Darlehen zu Beginn des 17. Jahrhunderts wollte der Großherzog die englischen Händler verstärkt ins Livornesische Geschäftsleben einbinden. So eröffneten schon bald zahlreiche Londoner Handelsunternehmen ihre ersten Agenturen in Livorno. Die Engländer agierten zusätzlich zum Handelswesen auch in anderen Gebieten der Wirtschaft durchaus erfolgreich. Sie betätigten sich als Handwerker und Unternehmer, eröffneten eine Schneiderei, lancierten das Brauereiwesen oder bauten eine Zuckerraffinerie auf. Die Neuankömmlinge aus dem Norden eröffneten Geschäfte aller Art, übernahmen bald politische Ämter, belebten den Schiffsbau und gründeten Ausbildungseinrichtungen.152 Parallel zur wirtschaftlichen Integration erfolgte die politische Anerkennung. Schon 1603 erhielt Thomas Hunt, der englische Konsul, die livornesische Stadtbürgerschaft. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts entwickelte sich Livorno vom Anlegeplatz für englische Schiffe zum beliebten Handelsplatz, was sich explizit am Machtwechsel von den Kapitänen zu den Kaufleuten zeigte. Die ersten Konsuln waren Vertreter der Kapitäne, beglaubigt durch die Lotsenbehörde Trinity House. Doch in kurzer Zeit änderte sich die Lage. Die Konsuln nahmen nun vornehmlich die Interessen der Händler wahr. Nach dem Tod des englischen Konsuls Hunt 149 150

151 152

ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2608, S. 233. D’Angelo: Mercanti inglesi a Livorno, S. 36f. Hayward: Gli inglesi a Livorno, S. 270f. D’Angelo: Mercanti inglesi a Livorno, S. 40. Daniela Pierotti stellt dagegen die These auf, dass nur wenige englische Händler, die in Livorno lebten, die Absicht hatten immer dort zu bleiben. Sie nimmt an, dass viele von ihnen in die alte Heimat zurückkehrten, sobald sie genügend Vermögen gemacht hatten. Diese Annahme beruht auf ihrer Beobachtung, dass nur einzelne Engländer Immobilien kauften. Pierotti: Annotazioni sulle proprietà, S. 69. D’Angelo: Mercanti inglesi a Livorno, S. 41. Die englische Bevölkerung in Livorno nahm stetig zu und am Ende der Dynastie der Medici (Anfang 18. Jahrhundert) könnte die Anzahl der Händler und weiterer Geschäftsleute mit ihren Familien etwa 500 betragen haben. Hayward: Gli inglesi a Livorno, S. 272f.

106

II. Italia felix für Händler

1621 bewarben sich zwei Landsleute um das Amt. Der alte Kapitän Robert Thornton, vom Trinity House vorgeschlagen, und der junge Händler Richard Allen, Kandidat der Levant Company. Der englische König Jakob I. entschied sich für den Kandidaten der Levant Company, den protestantischen Händler Allen und gegen den katholischen Kapitän Thornton. Die Lösung des Disputs durch den Monarchen zugunsten des Händlers zeigt die Bedeutung, die Livorno als Handelsplatz für die Engländer hatte. Zugleich handelte es sich um eine Machtdemonstration, da er sich erlaubte, einen Protestanten einem Katholiken vorzuziehen.153 Die British Factory war eine Gemeinschaft von Händlern, die gemeinsame Interessen verfolgten und Konkurrenten bekämpften. Manchmal waren um die zwanzig englische Handelshäuser in der British Factory vertreten, manchmal fünfzig, je nach Wirtschaftslage und politischen Konflikten. Erstmals ist ihre Existenz 1704 bezeugt. Die Mitglieder organisierten – ähnlich den nazioni anderer Diasporagemeinschaften, Hinterbliebenenhilfe, Hilfe bei Gefangenschaft, juristischen und medizinischen Beistand. Finanziert wurde die Gemeinschaftskasse durch Mitgliederbeiträge, Sammlungen und eine Steuer auf englische Schiffe, die in Livorno anlegten. In der Ära Stuart dominierten die Katholiken, später diskriminierten die Protestanten katholische Engländer. Die Macht der englischen Kaufleute nahm nach dem Vertrag von Utrecht 1713 rapide zu. In der Mitte des 18. Jahrhunderts passierte jede dritte Tonne Ware den Freihafen unter englischer Flagge. Um die eigenen Schiffe zu beschützen, besaß die Factory sogar eigene Kriegsschiffe. In der napoleonischen Zeit, ab 1796, ging die Gemeinschaft (nach 150 Jahren Bestehen) unter, da die englischen Waren beschlagnahmt und auf einer Auktion verkauft wurden. Einige Alteingesessene, mit dem toskanischen Bürgerrecht und einer grazia (Begnadigung) versehen, blieben, andere verließen die Stadt. Nach 1815 erlebte die British Factory eine Neugeburt. Sie operierte fast wie in alten Zeiten, bis zu ihrer Auflösung 1825.154 Das englisch-livornesische Zusammenleben funktionierte im Großen und Ganzen ohne größere Konflikte, die Beziehungen zwischen dem englischen und dem toskanischen Hof waren freundschaftlich. Immer mehr unternehmungslustige Engländer wählten die Stadt am Tyrrhenischen Meer als neuen Wohnort. So entstand eine vielfältige Gemeinschaft, die allen Arten von Geschäften nachging und die englische Kultur im Mittelmeerraum verbreitete.155 Das System porto franco war dessen Voraussetzung. Als dieses im 19. Jahrhundert zerbrach, verließen die englischen Händler die Stadt. Was

153 154 155

D’Angelo: Mercanti inglesi a Livorno, S. 42f. Hayward: The British Factory, S. 261f. 1660 wurde auch in Livorno die Wiedereinführung des englischen Throns durch Karl II mit Paraden und Feuerwerk gefeiert, so wie der 50. Geburtstag von Großherzog Ferdinando II ebenso prachtvoll zelebrierte wurde. Hayward: Gli inglesi a Livorno, S. 271.

2. Wasserwelten: Der Hafen und die Stadt

107

blieb, war das liberale englische Gedankengut und die englischen Poeten, denen Livorno nach wie vor als Inspirationsquelle diente.156 Während im Wirtschaftsleben rasch Synergien gefunden waren, schufen konfessionelle Differenzen doch auch Probleme. Die nordwesteuropäischen Diasporagruppen trafen in Livorno (und Ancona) auf eine stark katholisch geprägte Gesellschaft.157 Um 1600 schien es noch undenkbar, dass die religiöse Toleranz, die in der Livornina den Juden zugesichert wurde, auf andere Religionsgemeinschaften ausgedehnt werden könnte. Nicht wenige englische, holländische und deutsche Händler wie Schiffskapitäne, die in ihrer alten Heimat Anglikaner, Calvinisten oder Lutheraner waren, erklärten sich deshalb in Livorno zu Katholiken und assoziierten sich in den lokalen Bruderschaften. Natürlich drängt sich die Frage auf, ob diese Konversionen religiös motiviert waren oder doch eher vom Wunsch geleitet, in Livorno nicht nur beruflich ein Zuhause zu finden. Dank geschickter Anpassungsstrategien finden sich ab 1604 Engländer, Deutsche, Griechen, Flamen und persische Armenier als Livorneser Bürger, die hohe politische Ämter bekleideten. Doch waren sie alle Katholiken, die Zugehörigkeit zur Religion der Stadt war Voraussetzung für die Nominierung. Livornos Offenheit und Toleranz erstreckte sich nicht auf Protestanten. Wenn sie ihren Glauben offen zeigten, gerieten sie in die Mühlen der Inquisition, da sie als Abtrünnige vom wahren christlichen Glauben galten, als Ketzer. Einige englische Protestanten wurden bestraft, weil sie die katholische Kirche kritisierten, ihre Freunde nach protestantischem Ritus beerdigten oder weil sie weder an Gott noch an den Teufel, weder an den Himmel noch an die Hölle glaubten. Einige entgingen der Strafe, indem sie zum Katholizismus konvertierten, andere erfuhren Gnade, die der Großherzog auf der Bitte des englischen Königs aussprach.158 Erst im 18. Jahrhundert verbesserte sich auch ihr Status. 1707 wurde ein anglikanischer Pastor zugelassen. Die englische und die deutsch-flämische Nation stehen exemplarisch für das Spannungsfeld innerhalb der christlichen Kirchen. Die ersten Engländer in Livorno waren aller Wahrscheinlichkeit nach, wenn auch nicht alle, Angehörige der römisch-katholischen Kirche. Einige von der Königin Elisabeth verfolgte Katholiken suchten in Livorno Zuflucht und genossen das fremdenfreundliche Klima, das Cosimo I. schuf.159 Ein englischer katholischer Pfarrer, Edmond Tornell, wurde um 1600 nach Livorno geholt, und englische Kapitäne und Händler versammelten sich in der Confraternita della Misericrdia (Bruderschaft der Barmherzigkeit). Trotz der steigenden Zahl der in Livorno ankommenden Schiffe aus England während des 16. Jahrhunderts blieb die Anwesenheit der englischen Händler verhalten. Grund dafür war 156 157 158 159

Castignoli: Aspetti istituzionali, S. 115. Großzügige Spenden erlaubten den Aufbau von Bibliotheken und Schulen. Hayward: Gli inglesi a Livorno, S. 269f. Castignoli: La tolleranza, S. 27. Castignoli: La tolleranza, S. 30f. D’Angelo: Mercanti inglesi a Livorno, S. 48f. Hayward: Gli inglesi a Livorno, S. 268.

108

II. Italia felix für Händler

die katholische Übermacht, vertreten durch den Papst und den Kaiser, die trotz der Livornina dafür sorgte, dass es auch zu Beginn des 17. Jahrhunderts nur wenige protestantische Engländer riskierten, in Livorno zu bleiben.160 Die in der Livornina zugesicherte Toleranz bezog sich explizit nur auf Juden, die Protestanten wussten nicht, was sie in Livorno erwartete. Diejenigen, die es dennoch wagten und ihren Glauben öffentlich praktizierten, lebten gefährlich. Enrich Bertie und Randolph Godwin gerieten in die Hände der Inquisition.161 Erst gegen Mitte des 17. Jahrhunderts setzte sich die religiöse Freiheit durch.162 Die handelsaktiven Piraten wurden durch Händler ersetzt, die Katholiken durch Protestanten. Infolge der nun auch auf protestantische Gemeinschaften ausgeweiteten toleranten Politik Ferdinandos I., damals einmalig für einen katholischen Regenten, lebte das protestantische Element der Stadt auf. Im 18. Jahrhundert, unter der Herrschaft von Habsburg-Lothringen, wurde die religiöse Freiheit weiter gepflegt. Zeugnis davon ist ein Brief des florentinischen Hofes an die Stadtverwaltung von Livorno aus dem Jahre 1745. Darin wurde bekräftigt, dass die anglikanischen Engländer nicht der Ketzerei angeklagt werden konnten und es deshalb möglich war, dass ein Anglikaner das Erbe eines Katholiken annehmen durfte.163 „Levant rapproché“, Luxusgüter und Getreide

Auch die Kongregation der Flamen, Holländer und Deutschen war religiös stets heterogen, selbst wenn sie nach außen katholisch gefärbt schien. 1607 ersuchte die Nation um den Bau einer eigenen Kapelle mit Altar, was ihr im selben Jahr gestattet wurde. In ihr versammelten sich trotz Verbots beide Religionsrichtungen, Katholiken wie Protestanten, was in dieser Zeit religiöser Engstirnigkeit in Europa selten war. Zahlreiche flämische Kaufleute folgten in Livorno offiziell dem katholischen Ritus, obwohl ihr familiärer und sozialer Hintergrund ein reformierter war. Es ist davon auszugehen, dass viele dieser nur der Form nach dem katholischen Glauben folgten, um nicht öffentlich aufzufallen und sich so vor der Inquisition zu schützen. Der Inquisitor von Pisa, auch für Livorno zuständig, verlautbarte im Jahre 1644, dass der Kirchenbann über jeden verhängt werde, der ,,Häretiker“ kannte, ohne sie anzuzeigen. Aus Angst, dass reiche Juden und reformierte Engländer und Holländer die Stadt verlassen könnten, griffen die weltlichen Behörden daraufhin vermittelnd ein. Die Kirche lenkte insofern ein, als sie bekannt gab, dass nur der öffentlich praktizierte Protestantismus bestraft werde. So entstand ein fragiles Gleichgewicht zwischen den katholischen Vorstellungen und dem wirtschaftlichen 160 161 162

163

D’Angelo: Mercanti inglesi a Livorno, S. 46f. Castignoli: Aspetti istituzionali, S. 103. Zu den englischen Initiativen und den katholischen Reaktionen bezüglich der Beschäftigung eines protestantischen Pfarrers siehe Castignoli: Aspetti istituzionali, S. 106; Castignoli: La Comunità Inglese a Livorno, S. 110f. Collezione degl’ordini municipali di Livorno. Hg. von Giorgi, S. 267f.

2. Wasserwelten: Der Hafen und die Stadt

109

Interesse der Stadtbehörden, die Ausländer nicht zu verärgern. Diese Balance wurde in Folge immer wieder gefährdet. So als die Inquisition 1686 Einspruch gegen den Bau der Einfriedungsmauer des holländisch-deutschen Friedhofes erhob. Motivation für dieses Veto war die Befürchtung, die katholische Tradition könnte bei den Gläubigen an Sinn und Wert verlieren. Es sollte kein Präzedenzfall geschaffen werden.164 Die kurzfristige Präsenz eines protestantischen englischen Priesters in Livorno um 1643 heizte die Stimmung weiter an.165 Von katholischer Seite her wurde von Irrlehre gesprochen, die sich von Livorno aus in ganz Italien weiter verbreite. Wieder standen der Großherzog und die livornesische Stadtregierung im Spannungsfeld zwischen den Wünschen der Reformierten und den Warnungen des Heiligen Uffiziums. 1668 gelang ein einstweiliger Durchbruch für die englischen Protestanten, als die Erlaubnis erstritten wurde, doch noch einen Seelsorger nach Livorno schicken zu dürfen. Einschränkend durfte dieser nur in englischer Sprache und vor Engländern predigen. Die Angelegenheit lief nicht lange reibungslos, schon bald schritt der Nuntius ein. Die Spannungen zwischen der Toskana und England dauerten an, selbst wenn die Regierung in Florenz nachgeben wollte, wusste die Inquisition dies zu verhindern.166 Die Protestanten der holländisch-deutschen Nation, die im 17. Jahrhundert wuchs, versuchten ebenfalls eigene Seelsorger zu institutionalisieren, lange erfolglos. 1661 verlangte die katholische Kirchenbehörde die Ausweisung eines reformierten Priesters, der von den Flamen besoldet und unterstützt wurde.167 Die Frage der Bestattung beschäftigte die Kongregation der Holländer und Deutschen immer wieder. Bereits im zweiten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts stellte ein Ingenieur aus Lüttich einen Garten als Friedhof für Nichtkatholiken zur Verfügung. Doch als dessen Nachfolger für diese Nutzung Geld forderte, suchte die Kongregation nach neuen Optionen. 1683 kaufte sie ein Gelände, dessen Einfriedungsmauer 1695 nach heftigen Disputen genehmigt wurde. Der Friedhof entwickelte sich anschließend zu einer Attraktion für ausländische Reisende, da er einem botanischen Garten glich.168 Das 18. Jahrhundert läutete die allmähliche Wende in Bezug auf religiöse Toleranz ein. Die livornesischen Protestanten konnten am Gottesdienst des ab 1707 endgültig gestatteten englischen Seelsorgers teilnehmen. Sie verfolgten den Plan einer eigenen Kirche und eines eigenen Seelsorgers jedoch weiter. 1761 schließlich entstand auf Initiative des preußischen Konsuls eine erste 164 165 166 167 168

Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni, S. 17f. Dieser protestantische Priester wurde bereits 1644 wieder ausgewiesen. Auch dieser protestantische Priester musste Livorno wieder verlassen. Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni, S. 21f. Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni. Hg. von Panessa, S. 29f. Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni. Hg. von Panessa, S. 49f.

110

II. Italia felix für Händler

protestantische Kapelle. Schulthesius war deren erster Pastor, der reformierte Gottesdienste vor der lutheranisch-kalvinistischen holländischen und deutschen Gemeinde abhielt. Diese Kapelle folgte zeitlich auf die Einweihung der griechisch-orthodoxen Kirche, die somit als Wegbereiterin für die Protestanten galt. Diese beiden nichtkatholischen christlichen Gotteshäuser machten Livorno in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zum Pionier der Glaubensfreiheit.169 Trotz dieser aus religiös-kultureller Perspektive schwierigen Situation suchten viele Flamen, hauptsächlich aus Amsterdam, Livorno bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts auf: Händler, Seeleute, Handwerker, Künstler und Industrieunternehmer. Bis zum Verkauf der toskanischen Flotte des Ritterordens San Stefano an Frankreich im Jahre 1649 arbeiteten viele Holländer und Deutsche im militärischen Bereich. Beispiele sind der Navigationsfachmann Ercole Rusca und der spätere livornesische Hafenkommandant Niccolo Van der Steen. Viele waren aber auch Händler, bereits 1599 kam der erste jüdische Kaufmann aus Amsterdam nach Livorno, Isaac Lus, der von der Iberischen Halbinsel geflüchtet war. Gemeinsam mit seinem Bruder lancierte er den Handel zwischen Russland und Holland via Livorno.170 Ihre Aktivitäten erstreckten sich dabei sowohl auf Geschäfte mit Luxus- als auch mit Massenwaren. Die ersten Flamen kamen nach Livorno, als sich um 1600 der Handel mit Luxuswaren zwischen der niederländischen Republik und der Levante, resp. Asien und den beiden Amerikas entwickelte. Viele dieser Händler hatten Bekannte in Holland, die mit Russland Geschäfte machten. So gelangte Kaviar und russisches Leder auf den toskanischen Markt. Durch gute Kontakte in Ostindien brachten sie zudem rare und teure Gewürze in die Städte der italienischen Halbinsel. Bis 1620 überwog die flämische Aktivität in Genua und Venedig, doch Livorno wurde immer beliebter. Vor allem in den Jahren des Getreidemangels waren die holländischen Schiffe gefragt. Bei Getreideüberfluss konzentrierten sich die Flamen auf das Fischgeschäft.171 Viele investierten daneben in Schiffe und Banken oder gingen – ebenso lukrativen – illegalen Geschäften nach. Diebesgut nordafrikanischer Piraten, wie etwa Zucker, wurde in Livorno gelagert, bevor es weiter verfrachtet wurde. Die flämischen Seeleute übernahmen auch die Lieferung dieser heißen Waren.172 Als Musterbeispiel für ein flämisches Handelsunternehmen in Livorno kann die ,,Van den Broecke Kompanie“ betrachtet werden. Der holländische Kaufmann Bernard Van den Broecke arbeitete unter anderem ab 1622 als

169 170 171

172

Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni. Hg. von Panessa, S. 73f. Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni. Hg. von Panessa, S. 32f. Die flämischen Händler lagerten Produkte aus Nordeuropa, Asien, Nord- und Südamerika und aus dem Mittelmeer in Livorno, da die Lager- und Niederlassungsbedingungen in Genua schlechter waren. Engels: Merchants, Interlopers, Seamen and Corsairs, S. 219f. Engels: Merchants, Interlopers, Seamen and Corsairs, S. 219f.

2. Wasserwelten: Der Hafen und die Stadt

111

Schatzmeister seiner Kongregation, half bei der Restaurierung der Kirche in Livorno und beschenkte sie mit einer Orgel und Kirchbänken. Für die Erhaltung des Doms engagierte er sich persönlich, was ihm 1623 das öffentliche Amt des Domarbeiters einbrachte, eine prestigeträchtige Funktion, die ihm die Einbindung in alle Zweige des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens der Stadt ermöglichte. Van den Broecke betätigte sich zudem als Vermittler zwischen den Händlern und Seefahrern aus Holland, Deutschland und der Toskana auf der einen und den Piraten aus Nordafrika auf der anderen Seite. Er war bei der Gefangenenbefreiung das Bindeglied zwischen der niederländischen Regierung und dem Konsul von Tunis.173 Bernard Van den Broecke und seine Kompagnons konzentrierten ihre Aktivitäten auf Nordeuropa und das Mittelmeer. Ihre Wirtschaftskontakte konzentrierten sich auf flämische Händler in Holland und Italien und auf lokale italienische Kaufleute. Sie importierten Waren aus aller Welt, hauptsächlich aber aus Amsterdam, wohin sie die besten Verbindungen, auch politische, besaßen. Auch sie handelten nicht nur mit Luxuswaren, sondern auch mit Getreide und Fisch. Vor allem südholländische Händler führten teure Gewürze, Zucker und Zimt via Portugal und Antwerpen nach Italien ein. Doch die wichtigsten Partnerschaften wurden nicht mit Landsleuten in der alten Heimat, sondern mit Flamen im Handelswesen auf der Apenninhalbinsel gepflegt, aber auch mit dort ansässigen Deutschen, Italienern, Engländern, Franzosen und sephardischen Juden. Mit Hilfe des bekannten und einflussreiche Kaufmannes Jacopo Ricciardi aus Pisa gelang es Van den Broecke, Kontakte mit dem Haus der Medici zu knüpfen. Sie beide waren für die illegale Ausfuhr von Getreide aus der Levante und für den Handel mit Spanien und Portugal zuständig, eine Sparte, die toskanische Händler gern übernommen hätten. 1630 war Van den Broecke immer noch einer der führenden Händler Livornos, obwohl die italienische, flämische und englische Konkurrenz stärker wurde, was in Verbindung mit der allgemeinen wirtschaftlichen Krise letztlich zum Untergang seines Unternehmens führte. Er kooperierte zwar mit den Engländern beim Handel mit England oder mit den Italienern bei der Aufgabe, die Getreidearmut in Livorno durch Importe aus der Levante zu kompensieren. Dabei ging er ein großes Risiko ein, denn seine Schiffe hätten von den Türken beschlagnahmt werden können. 1631–1632 war seine Kompanie immer noch eine der bedeutendsten in Livorno. Er spezialisierte sich auf den Transport von Nahrungsmitteln. Generell hatte sich jedoch die ökonomische Lage in der Toskana verschlechtert, der Getreidemarkt war übersättigt und der Handel wurde immer gefährlicher. Mehr als fünfzehn Jahre hatte er jedoch eine wichtige Rolle in der livornesischen Gesellschaft gespielt.174 Die Flamen integrierten sich relativ schnell ins livornesische Stadtleben. Die Eingliederung konnte durch eine Konversion zum Katholizismus, durch 173 174

Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni. Hg. von Panessa, S. 37f. Engels: Merchants, Interlopers, Seamen and Corsairs, S. 222f.

112

II. Italia felix für Händler

politisches Engagement oder durch die Heirat mit einheimischen Frauen vereinfacht werden.175 Andererseits lebten viele dieser Flamen, selbst wenn sie Mitglied in der Kongregation und gut ins Stadtleben integriert waren, lediglich einige Jahre in Livorno, die meisten von ihnen an der Hauptstraße, der Via Ferdinanda.176 Die Flamen schlossen sich in Livorno mit den Deutschsprechenden zu einem Verband zusammen. Im letzten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts, besonders nach der mediterranen Hungersnot 1587, verfestigten sich die Beziehungen zwischen Livorno und der nordischen Welt. Diese versorgte die Apenninhalbinsel mit Getreide und weitete die Geschäfte bis auf die Levante aus, deshalb die Bezeichnung Levant rapproché für Livorno. Einer der Seekriegsfachleute aus dem Norden war der Wiener Korporal Matheus Bonat/Bonade, der später zum Konsul der flämischen Nation, ab 1679 holländische Nation, ernannt wurde, einer Vereinigung von Händlern und Schiffskapitänen, die die so genannte Versammlung durchführten. Der Name der Organisation schwankte zwischen ,,flämisch und deutsch“ und ,,holländisch und deutsch“. Aufgenommen wurden vor allem Menschen aus den Gebieten zwischen Amsterdam, Antwerpen, Hamburg und Wien. Aber auch flämische Handelsherren aus dem ganzen Mittelmeerraum, so aus Aleppo oder Zypern, fanden in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts den Weg nach Livorno.177 Als Dachorganisation der reformierten Christen wurde am 1. Mai 1622 ein flämisch-deutscher Hilfsverein gegründet. Die Gründung erfolgte im katholischen Kontext. In der Gründungsurkunde Rotes Buch beschlossen sechs Flamen (aus Holland) und zwei Deutsche (aus Wien), dass ihre Religions- und Bestattungsgemeinschaft eine Hilfseinrichtung sein sollte, wo für die Bestattung, die Pflege der Erkrankten, die Betreuung der Gefangenen (inklusive Lösegeldbezahlung), den Rechtsbeistand und die Pflege der flämischen Identität gesorgt wurde. Letzteres wurde mit Festen, etwa am 30. November, dem Nationalfeiertag des Heiligen Andreas (Schutzpatron der Niederlande), in die Tat umgesetzt. Dieses vielfältige kulturelle und karitative Programm war kostenintensiv. Deshalb enthielt das Rote Buch auch 175

176 177

Der Kapitän Niccolo Van der Steen beispielsweise erwarb schon 1623 das Bürgerrecht der Stadt Livorno. Weitere rasch Eingegliederte waren der Kapitän Ercole Rusca, der Handelsvertreter Benjamin Speron oder der mit einer Frau aus Livorno vermählte Simon Le Maire. Im Bereich der livornesischen Politik trifft man auch auf holländische Exponenten. Die beiden Kongregationsmitglieder Wiert und Sproon rückten durch ihr Amt des Bürgermeisters an die Spitze der Gesellschaft. Der Kaufmann Filippo Guglielmo Huigens verfasste einen wirtschaftspolitisch bedeutenden Bericht, in dem er vorschlug, Livorno an sein natürliches Hinterland anzubinden, um die Freiheit der Produktion und des Handels in der ganzen Toskana zu verbreiten. Außerdem empfahl er die Einführung von Waagen für die genaue Warenwiegung. Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni. Hg. von Panessa, S. 66f. Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni. Hg. von Panessa, S. 38f. Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni. Hg. von Panessa, S. 15f. Castignoli: La Comunità Olandese-Alemanna, S. 93.

2. Wasserwelten: Der Hafen und die Stadt

113

Angaben über die Finanzierung. Es mussten Abgaben auf die Schiffsfracht, auf die ankommenden Schiffe und auf die Charterung von Schiffen bezahlt werden. 1666 wurde das Abgabesystem vereinfacht und die Hilfsmassnahmen auf Matrosen, die Schiffbruch erlitten oder der Sklaverei zum Opfer gefallen waren, ausgedehnt. Die Kongregation wurde von einem Gouverneur geleitet, dem als Assistenten ein Schatzmeister und ein Administrator zur Seite standen. Alle Männer flämischer und deutscher Herkunft konnten ihr durch Eintrag in das so genannte Rote Buch, eine einmalige Eintrittsgebühr und die Bezahlung eines Jahresbeitrages beitreten.178 Zwischen 1628 und 1775 verzeichnete die Gemeinde 162 neue Beitritte. Darunter waren viele Konsuln, wohlhabende Kaufleute und ab dem 18. Jahrhundert immer mehr Hamburger. In der Kirche Della Madonna sicherte man sich einen Platz für den Altar des Heiligen Andreas und für die Bestattungen.179 Bis weit ins 18. Jahrhundert wurde die offiziell katholische Form gewahrt, obwohl der Anteil der Reformierten ständig zunahm. Seit Beginn wurde die interkonfessionelle Zusammensetzung konsequent beibehalten, die Mitglieder stammten ohne Ausnahme aus dem Norden und folgten entweder dem Katholizismus oder dem Protestantismus.180 Gegen Ende des 18. Jahrhunderts verstärkte sich die deutsche Komponente der Kongregation, was zu Spannungen führte, die aber durch die politischen Obrigkeiten vor Ort entschärft wurden. Die beiden Hamburger Enrico Nolte und Adolfo Koster forderten die Segregation. Sie schrieben dem holländischen Konsul Diederigo Kersbyl, dass sie sich von den Holländern trennen, einen eigenen Verband gründen und nur noch die Deutschen vertreten wollten. Dieser antwortete mit der Sperrung des gemeinsamen Vermögens. 1784 kam es zum Rechtsstreit. Großherzog Peter Leopold löste die Angelegenheit, indem er 1790 beiden Parteien Zugeständnisse machte.181 Die Kongregation konnte sich weiterhin etablieren. Zudem wurde sie durch schweizerische, dänische, norwegische und schwedische Elemente bereichert.182 Erst mit der Angliederung der Toskana an das französische Kaiserreich zu Beginn des 19. Jahrhunderts kam das Handelswesen in Livorno ins Stocken. Die holländisch-deutsche Nation litt wie die anderen Stadtbewohner unter der Besatzung. Zwischen 1808 und 1814 traten der Kongregation keine neuen Mitglieder bei, was den protestantischen Gottesdienst gefährdete, da das Geld für den Unterhalt des Geistlichen fehlte.183 Die mehrsprachige, multireligiöse und überstaatliche, überwiegend kaufmännische holländisch-flämisch-deutsche Gemeinschaft lebte in der Regel in 178 179 180 181

182 183

Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni. Hg. von Panessa, S. 11f. Castignoli: La Comunità Olandese-Alemanna, S. 96. Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni. Hg. von Panessa, S. 16. ASL, Capitano poi Governatore poi Auditore Vicario 1550–1808, Serie XI, Nr. 3076, Atti criminali dell’Auditore: processo contro il Console d’Olanda (1787). Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni, S. 77f. Castignoli: La Comunità Olandese-Alemanna, S. 94. Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni. Hg. von Panessa, S. 79f.

114

II. Italia felix für Händler

friedlicher Koexistenz; heftige Auseinandersetzungen blieben aus, selbst als die Protestanten in die Mehrheitsposition kamen.184 Prunk, Lärm und Farbe

Primär katholisch waren dagegen die Franzosen, neben den Engländern und Deutsch-Holländern die dritte bedeutende Gemeinschaft aus dem Norden respektive Westen. Sie stammten vor allem aus der Provence und aus Languedoc, wo die Religionskriege tobten.185 Während in den levantinischen und nordafrikanischen Hafenstädten, vor allem Alexandria und Jaffa, die französischen Händler alle im selben Quartier oder in derselben Straße lebten, war im katholischen Livorno kein französisches Viertel nötig. Ein Element der französischen Existenz in Livorno bildete die Kapelle Saint-Louis in der Kirche der Kapuziner (Chiesa dei Capuccini). Das Recht auf eine eigene Grabstätte wurde weder von den Medici noch vom Habsburger Regenten Peter Leopold in Frage gestellt.186 Die französische Nation trat an Jahrestagen und nationalen Feiern selbstbewusst in der Öffentlichkeit auf.187 Das Fest par excellence war Saint Louis gewidmet, begleitet von Feuerwerk, Schiffskanonen, Trommeln und Trompeten. Ebenfalls Anlass zu feiern gab der Geburtstag des Königs. Doch auch Trauerfeiern wurden abgehalten, etwa als Louis XIV starb. Mit diesen Festlichkeiten bezeugte die Nation auf der einen Seite ihre Treue zum König, auf der anderen Seite wurde darauf geachtet, die eigene Nation dem Großherzog möglichst mächtig und potent darzustellen. Mit viel Prunk, Lärm und Farbe zeigte sich die barocke Gesellschaft. Die Feste dienten zugleich der Anerkennung der lokalen Herrschaft, aus Dank für die Privilegien, als auch der Präsentation der eigenen Stärke.188 Der erste französische Konsul amtete ab 1603.189 Seine Macht führte des Öfteren zu Auseinandersetzungen zwischen ihm und der Nation.190 Wie die toskanische Regierung gliederte auch der Konsul die französische Nation in die Kategorie der Großhändler (negociant), die Einsitz in der Versammlung (assemblée) nahmen, und bescheidenere Personen, wie Kleinhändler (marchand), Handwerker oder Ladenbesitzer.191 Die bildeten die Mehrheit der französischen Nation, auf der Suche nach besserem Verdienst und einem besseren Schicksal aus der Provence, aus Languedoc oder aus dem Norden und Westen Frankreichs zugezogen. Die Versammlungen, vom Konsul einbe184 185

186 187 188 189 190 191

Castignoli: La Comunità Olandese-Alemanna, S. 97. Es kam auch vor, dass französische Kaufleute nicht persönlich vor Ort präsent waren, sondern Bevollmächtigte nach Livorno sendeten. Beispiel eines Pariser Kaufmanns aus dem Jahre 1667: ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2608, S. 37. Filippini: La nation française de Livourne, S. 236f. Altomare: Contributo allo studio della comunità francese, S. 7. Filippini: La nation française de Livourne, S. 237f. Altomare: Contributo allo studio della comunità francese, S. 8. Filippini: La nation française de Livourne, S. 245. Altomare: Contributo allo studio della comunità francese, S. 9.

2. Wasserwelten: Der Hafen und die Stadt

115

rufen, wurden autonom durchgeführt, ohne dass die toskanischen Behörden davon in Kenntnis gesetzt wurden.192 Bei dieser Gemeinschaft handelte es sich um eine Art aristokratischer Händlerelite, an ihrer Spitze der Konsul, die sich aber durch große Solidarität gegenüber den schlechter gestellten innerhalb der Nation auszeichnete, was wiederum ein Zeichen für die Stärke und die wohlwollende Grundstruktur der Gemeinschaft war.193 Viele französische Junggesellen und Witwer heirateten Toskanerinnen und bekamen so das Livorneser Bürgerrecht.194 Gegen Ende des 18. Jahrhunderts genoss die französische Nation in Livorno kaum mehr als die kommerziellen Vorteile, die die Edikte von 1593 und 1676 allen anderen Nationen in der Stadt auch gewährte. Die Autorität der Konsuln beschränkte sich auf wirtschaftliche Angelegenheiten.195 Aus dem Norden und Nordwesten wanderte weitere kleine Diasporagemeinschaften auf der Suche nach Einkommensmöglichkeiten in Richtung Süden, so zum Beispiel die Schweizer und die Waldenser. Auch sie organisierten ein gemeinschaftliches Leben in eigenen Vereinen, schlossen sich zu Kirchgemeinden zusammen Kirchen und regelten die Bildung ihrer Kinder.196 2.2.4 Aus aller Welt Die sephardischen Juden Livornos waren in 17. und 18. Jahrhundert führend im interkontinentalen Handel mit mediterranen Korallen und indischen Diamanten und unterhielten ein Korrespondenznetz von Indien über Europa bis Mexiko und in die Karibik. Sie arbeiteten sowohl mit den Italienern aus Lissabon, Zwischenhändlern in Portugal, als auch mit den hinduistischen Händlern aus Goa zusammen.197 Mitglieder der jüdischen Diaspora arbeiteten aber auch in der Verwaltung, als Übersetzer, als Unternehmer in der 192 193

194 195 196 197

Filippini: La nation française de Livourne, S. 239. Der Doktor Gio. Francesco Farisiani, Franzose, in Livorno lebend, setzte sich im Jahre 1662 für seinen Sohn, den Kapitän Antonio, ein, damit dieser nach Livorno zurückkehren konnte und einen realen, unwiderrufbaren und persönlichen salvocondotto bekam, der diesen vor den Belästigungen der Piraten (,,bregantini“) schützte. ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2607, S. 489. Filippini: La nation française de Livourne, S. 242f. Filippini: La nation française de Livourne, S. 248. Nuti: Livorno, il porto, S. 344. Francesca Trivellato hebt besonders die Zusammenarbeit heraus, die die sephardischen Juden sowohl mit Glaubensbrüdern, vor allem Verwandten, mit Vertretern anderer Kulturen und Religionen als auch mit öffentlichen, staatlichen Institutionen pflegten. So gelang es der Gemeinschaft, den Mittelmeerraum im 17. und 18. Jahrhundert sogar gegen die atlantischen Expansionsbestrebungen wirtschaftlich weiterhin vital und attraktiv zu halten. Trivellato: Les juifs d’origine portugaise, S. 181. Trivellato: Juifs de Livourne, S. 584f. Nuti: Livorno, il porto, S. 343. Näheres zum bagitto: Fornaciari: Fate onore al bel Purim.

116

II. Italia felix für Händler

Produktion oder als Handwerker.198 Der Alphabetisierungsgrad war relativ hoch, es gab jüdische Schulen, Bibliotheken und wissenschaftliche Akademien, die sowohl die Publikation religiöser Traktate als auch poetischer Werke förderten.199 Die Symbiose der Juden mit der Stadt schien in allen Bereichen vollkommen. Sie waren Ärzte, Anwälte, Notare, Journalisten, Lehrer, Künstler, Beamte oder Arbeiter. Sie gründeten zahlreiche Versandhäuser und ein Leihhaus.200 Neben dem Handel und dem Bankwesen besaßen und entwickelten wohlhabende Juden diverse Produktionsfirmen, etwa im Glas- und Seidensektor oder sie investierten ihr Geld in industrielle Anlagen. Zudem konzentrierte sich durch die Juden die Korallenproduktion in Livorno. Arme Juden arbeiteten oft als Korallenpoliere.201 Sie organisierten sich in einem Verband, der aus einer sechzigköpfigen Versammlung und einer fünfköpfigen Exekutive (massari) bestand.202 Zusätzlich zu den üblichen sozialen Einrichtungen jeder jüdischen Gemeinde gründeten sie 1606/07 eine Gesellschaft für den Freikauf von Sklaven.203 Die Livorneser Juden entwickelten einen eigenen Dialekt, das so genannte bagito (oft bagitto geschrieben), eine Mischsprache, bestehend aus italienischen (toskanischen), hebräischen, spanischen und portugiesischen Elementen. Die jüdische Diaspora brachte sich aber auch in das öffentliche Leben der Stadt ein. Nicht wenige sind überzeugt, dass die offene, lebendige, rege und demokratisch gesinnte Art und der Wunsch nach Innovation von der jüdischen Bevölkerung in die Stadt gebracht wurde.204 Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts – drei Jahrhunderte nach der Einführung der Livornina – zog es Juden nach Livorno. Menschen aus Bagdad, Saloniki, Iraklio (Kreta), Izmir, Algier, Tripolis, Kairo, Alexandria, Aleppo, Tunis, Marokko (Tanger, Mogador), Gibraltar, Ancona, Florenz, Rom, Verona, Triest, Marseille, Voralberg, Amsterdam, London stellten bei der jüdischen Gemeinde Anträge, sich in Livorno niederlassen zu dürfen. Die Kanzlei der jüdischen Gemeinde in Livorno schrieb sodann an die Stadtverwaltung, um die Bestätigung einzuholen, dass die intern gewählten Gemeindemitglieder auch offiziell anerkannt wurden und so dieselben Privilegien und Zugeständnisse wie ihre Glaubensbrüder in Anspruch nehmen konnten.205 Erst mit der Wirtschafts198

199 200 201 202 203 204 205

Dieses Bild darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Armut auch unter Juden ein Thema war, das mit Wohlfahrtsinstitutionen aufgefangen werden sollte. Bedarida: Gli Ebrei a Livorno, S. 44. U. a. ein armer Jude aus Pisa (17. Mai 1652): ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2606, S. 321. Bedarida: Gli Ebrei a Livorno, S. 44f. Nuti: Livorno, il porto, S. 343. Hinweis dafür bei: Israel: Diasporas Jewish, S. 23. Bedarida: Gli Ebrei a Livorno, S. 42. Nuti: Livorno, il porto, S. 344. Bedarida: Gli Ebrei a Livorno, S. 46. ASL, Governo civile e militare di Livorno 1764–1860, Serie VI, Suppliche e informazioni, Nr. 942, Istanze e suppliche per “livornine” 1816–1831.

2. Wasserwelten: Der Hafen und die Stadt

117

krise Livornos und der Einigung Italiens im 19. Jahrhundert nahmen ihre Aktivitäten ab.206 Anders als Ancona bot Livorno nicht nur kommerziell vorteilhafte, sondern auch religiös und kulturell einladende Rahmenbedingen.207 Die politischen Strukturen Livornos waren über viele Jahrzehnte stabil, entsprechend groß war das Vertrauen der jüdischen Diaspora in die Stadt.208 Etwas ambivalenter war die Lage in Ancona. Aus wirtschaftlicher Perspektive waren jüdische Kaufleute in der Stadt willkommen, die politische Lage konnte sich aber je nach Papst oder bestimmten globalen politischen Entwicklungen, in die die römisch-katholische Kirche in der einen oder anderen Weise involviert war, rasch ändern. Wie die Griechen waren die Juden seit langer Zeit in der Stadt präsent.209 Im 16. Jahrhundert teilte sich die jüdische Gemeinde nach ihrer ursprünglichen Herkunft in drei Untergruppen auf: Italienische – die università d’hebrei italiani –, levantinische und portugiesische Juden – universitas hebraeorum portugallensium – besaßen jeweils eine eigene Synagoge.210 206 207

208

209

210

Bedarida: Gli Ebrei a Livorno, S. 45f. Die toskanischen Werte – Wirtschaftseifer und gemäßigter Katholizismus – schlossen die jüdischen Wurzeln, Konversionsbestrebungen und lusitanisch-nationale Gefühle nicht aus. Ramada Curto, Molho: Introduction, S. 12. Neben 1’000 Griechen befanden sich unter den 23’000 Einwohnern in Ancona um 1580 2’700 Juden. 1708 waren es auf eine Einwohnerzahl von etwas über 8’000 immer noch über 1’000 Juden und 1763 sollen es 1’290 Personen gewesen sein (Pavia, Sori: Le città nella storia d’Italia, S. 24; Ashtor: Gli Ebrei di Ancona, S. 339; Milano, Rocca: Ancona (Marche), S. 141). Die Kanzlei (la Cancelleria) der jüdischen Gemeinde in Livorno schrieb an die Stadtverwaltung (Auditore del Governo di Livorno), um die Bestätigung einzuholen, dass die von der jüdischen Gemeinde (Massari e Governanti della Nazione Israelitica) neu gewählten Gemeindemitglieder auch von der Stadtverwaltung anerkannt wurden und so an die selben Privilegien und Zugeständnisse wie ihre Glaubensbrüder kamen. Dies geschah im Mai 1818 mit den beiden Juden Isache di Leon Provenzal nativo d’Amsterdam e Salomon di Jehazchel Coen nativo di Bagdad. ASL, Governo civile e militare di Livorno 1764–1860, Serie VI, Suppliche e informazioni, Nr. 942, Istanze e suppliche per “livornine” 1816–1831. Ab dem 10. Jahrhundert gibt es jüdische Spuren in Ancona. 1279 wurde bei einem Erdbeben eine Synagoge zerstört. Um 1300 kann von einer organisierten jüdischen Gemeinde in Ancona gesprochen werden, die überwiegend aus dem muslimischen Osten nach Ancona gelangte und im Geldleihgeschäft oder im Handel berufstätig war. Milano, Rocca: Ancona (Marche), S. 140. Weitere Juden kamen von Venedig. Nach ihrer Vertreibung aus der Serenissima Ende des 14. Jahrhunderts nahmen sie ihre Waren mit nach Ancona, was vor allem die venezianische Seidenindustrie schmerzte. Müller: The Jewish Moneylenders, S. 214. Gegen Ende des 15. und Anfangs des 16. Jahrhunderts gesellten sich die portugiesischen Juden dazu, die vor der Inquisition und den Zwangstaufen geflohen waren. Sie wurden vom Papst Paul III offiziell als universitas hebraeorum portugallensium anerkannt. 1552 gab es bereits um die 100 Juden aus Portugal. Toaff: ,,Universitas Hebraeorum Portugallensium“, S. 128. Die Nation der italienischen Juden, die università d’hebrei italiani, findet sich u. a. zu Beginn des 17. Jahrhunderts erwähnt, als einer der Gemeinschaft, Moise Zippillo, ein Händler, offenbar unschuldig im Gefängnis von Rom saß. Die università d’hebrei italia-

118

II. Italia felix für Händler

Die Zugeständnisse der anconitanischen Kommune an die jüdischen Bankiers im Jahre 1494, die weit mehr als finanzieller Art waren (Kultusfreiheit, Bewegungsfreiheit, kein Erkennungszeichen, Recht auf Wohneigentum), stellten den Juden eine Gleichberechtigung mit den Einheimischen in Aussicht. Doch mit dem Konzil von Trient und der Gegenreformation musste sich auch Ancona den neuen Bestimmungen fügen, ein Ghetto errichten und Erkennungszeichen für die jüdische Bevölkerung einführen.211 Nach den blutigen Ausschreitungen 1556212 wollten jüdische Kaufleute einen Boykott gegen die Stadt organisieren, doch während die nach Pesaro im Herzogtum Urbino geflüchteten Juden und der osmanische Sultan den wirtschaftlichen Ausschluss Anconas unterstützten, sprachen sich die in Ancona gebliebenen Juden dagegen aus,213 ebenso die meisten jüdischen Gemeinden im Osmanischen Reich. Zudem war der Hafen Pesaro nicht in der Lage, das Warenvolumen Anconas vollständig zu übernehmen und der Druck des päpstlichen Kirchenstaates auf den Herzog von Urbino wurde zu groß. Um den Schaden zu begrenzen, wurde der Boykott der östlichen Hafenstädte bald aufgehoben. Bursa war die erste Stadt, die den Warenverkehr wieder

211

212

213

ni forderte nun seine Freilassung, mit Erfolg. ASAN, A.C.AN, Suppliche 1608–1613, Nr. 44/2, S. 42; Pavia, Sori: Le città nella storia d’Italia, S. 171. Die Gemeinschaft der levantinischen Juden wollte gegen Ende des 17. Jahrhunderts eine Strebemauer bei ihrer Synagoge bauen. Hinweis darauf in: ASAN, A.C.AN, Suppliche 1690–1700, Nr. 70, keine Blattnummern. Attilio Milano und Samuel Rocca führen zudem noch deutsche Juden auf, die ebenfalls im 16. Jahrhundert nach Ancona gelangten. Milano, Rocca: Ancona (Marche), S. 140. Es gilt zu bedenken, dass viele Juden in den Quellen ohne Ortszugehörigkeit angegeben wurden. Delumeau: Un ponte fra oriente e occidente, S. 43. Zur Komplexität der Zugehörigkeit siehe Schwara: Unterwegs. Zu den bekanntesten portugiesischen Juden in Ancona zählte Francisco Barbosio, ein Arzt und Händler, der das Abkommen von 1549 als Vertreter der ,,Marranen“ unterschrieb. Zuvor verbrachte er 18 Jahre in Indien, wo er medizinische Erfahrungen sammelte. Von dort brachte er Heilwurzeln mit, die er seiner neuen Kundschaft im Kirchenstaat, die sehr prominent war, verabreichte. Ebenfalls ein berühmter Arzt war Amato Lusitano, der nach den ersten Anzeichen von Judenfeindlichkeit 1555 die Stadt in Richtung Pesaro verließ, von wo er nach Ragusa weiterging. Barbosio dagegen genoss dank seinen Beziehungen als einziger ,,Marrane“ einige Zeit den Schutz der politischen und kirchlichen Würdenvertreter. Doch auch er verließ bald daraufhin die Stadt in Richtung Saloniki. Siehe Delumeau: Vie économique et sociale de Rome, S. 99. 1555/6 wurde die Zwecksgemeinschaft heftig gestört. Paul IV brauchte Geld, um den Krieg gegen Spanien wieder aufzunehmen, weshalb er die Enteignung reicher Juden anordnete. Zuerst verkündete er 1555 die Bulle Cum nimis absurdum (Juden nur noch in Rom, Ancona und Avignon erwünscht; Separierung in Ghettos; Verbot von Besitz; Handelsverbot bei Gebrauchtkleidern) und 1556 ließ er die Juden verfolgen, verhaften und töten. Toaff: L’,,Universitas Hebraeorum Portugallensium“, S. 138f. Die Händlerelite, die die möglichen Folgen des Boykotts mit Angst voraussah, versuchte vergebens, den Papst umzustimmen. Er führte seine antijüdische Politik weiter. Caravale, Caracciolo: Lo Stato pontificio, S. 288.

2. Wasserwelten: Der Hafen und die Stadt

119

aufnahm, bald folgten weitere.214 Schon 1558 blühte der Handel mit Ancona wieder auf.215 Durch diese Ereignisse geprägt, entwickelten die reichen jüdischen Kaufleute eine eigene Lebensphilosophie. Sie identifizierten sich nicht primär mit der Stadt oder der jüdischen Religion und Tradition, sondern mit ihrer Tätigkeit im internationalen Handel, unabhängig von Zeit und Ort. Ancona galt ihnen lediglich als Lebensstation bzw. als eine mögliche Aktionsbasis, die aber jederzeit für eine andere eingetauscht werden konnte.216 Ein Vertrauen, wie es die jüdische Diaspora in die Strukturen Livornos entwickelte, blieb in Ancona verständlicherweise aus. Die Juden waren das Spiegelbild der ambivalenten Gesellschaft Anconas, auf der Gratwanderung zwischen wirtschaftlichen und ideellen Werten.

214 215 216

Caravale, Caracciolo: Lo Stato pontificio, S. 288. Näheres zum Scheitern des Boykotts. Birnbaum: The Long Journey of Gracia Mendes, S. 100f. Toaff: L’,,Universitas Hebraeorum Portugallensium“, S. 134.

3. Mental Maps und Pragmatic Facts: Imagination und Wirklichkeit Eine Symbiose von Angebot und Nachfrage bildete die Eigenlogik dieser aufstrebenden Städte. Was sie an fremden Ressourcen brauchten, wurde importiert. Was die Kauf- und Seeleute sich erträumten, wurde ihnen erfüllt oder zumindest in Aussicht gestellt. Die Behörden erstellten eine Analyse eines möglichen glücklichen Lebens für Fremde und setzten ihre Vorstellungen in gesetzgebenden Bestimmungen um. Diese Bestimmungen, seien es die Dekrete der Päpste oder die Livornina, sind eine Quelle diasporischer Imaginantionen, mental maps und Vorstellungen von Glück, zumal sie erfolgreich waren und tatsächlich Fremde in die beiden Städte zogen. Der Kosmopolitismus Livornos und Anconas fußte auf dem Primat des pragmatisch wirtschaftlichen Miteinanders, eingebettet in glück- und friedensversprechende Strukturen.

3.1 Der Traum vom schuldenfreien Neuanfang Dieser Pragmatismus trug einige spezifische Züge.1 In Livorno wurden Schulden getilgt und Wechsel eingelöst.2 Livorno wurde berühmt als die Stadt erfolgreicher Schuldner, die als Importeure und Exporteure riesige Mengen Ware umsetzten.3 Die Schattenwirtschaft trug zur Prosperität der Stadt wesentlich bei. Sklavenhändler spielten oft eine aktive Rolle in der Piraterie. Die Geschichte des Freihafens von Livorno kann deshalb nicht auf den offiziellen Handel, der durch die Hafenbehörden kontrolliert wurde, beschränkt werden. Betrug, Schmuggel und Raub waren integrale Elemente des Handelsvolumens, auf dem Livornos Reichtum fußte, andererseits war die Stadt auch Leidtragende dieser kriminellen Entwicklungen im mediterranen Raum.4 Es gab weitere Krisenmomente. Die Stadt versuchte zwar ihre Bürger so gut wie möglich zu schützen, doch gegen ein Unbill fand sie kein Immunmittel: die Pest, die in Livorno 1630 bis 1632 besonders stark wütete.5 Es landeten nur noch wenige Schiffe, viele Handelshäuser machten Bankrott.6 In Beschwerde1

Zu Livornos Rolle in der Finanzwirtschaft. die übersichtlichen Tabellen bei Fukasawa: Les lettres de change, S. 78f. 2 Fukasawa: Les lettres de change, S. 64f. 3 Fukasawa: Les lettres de change, S. 75f. 4 Fettah: Les consuls de France, S. 149; ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2608, S. 239. 5 Dermigny: Escales, échelles et ports francs, S. 540. 6 Ghezzi: Livorno e il mondo islamico, S. 226.

122

II. Italia felix für Händler

briefen kommt oft zum Ausdruck, dass nicht alle behördlichen Glücksversprechen in die Tat umgesetzt worden waren. Ohne Scheu äußerten Händler ihr Missfallen – was wiederum für die freiheitlichen Strukturen einer Stadt spricht –, so beklagten sich zum Beispiel 1663 Händler von Livorno über zu hohe Gebühren und andere Schwierigkeiten bei der Abwicklung ihrer Geschäfte. Ihrer Klage ist eine Unterschriftensammlung angefügt, was für die kollektive Umsetzung ihrer Interessen spricht.7 Im Jahre 1678 ergaben sich zudem Engpässe bei der Nahrungsmittelversorgung in der Toskana. Als Gegen- und Steuerungsmaßnahme befahl die toskanische Regierung am 4. Februar 1678, dass sofort Getreide verkauft werden müsse. Jede Woche sollte am Markttag oder auf öffentlichen Plätzen ratenweise das Getreide abgegeben respektive verkauft werden. Jede Person hatte eine bestimmte, rationierte Menge zugute. Es wurde nur so viel abgegeben, dass die Vorräte bis zur nächsten Ernte ausreichten.8 Ein Gesetz vom 19. Juli 1678 verbot Vorräte aller Art, vor allem Getreide, abzubauen. Die toskanische Regierung wollte damit Schmuggler und verantwortungslose Händler in die Schranken weisen. Diese könnten mit unerlaubten Gewinnen die Gemeininteressen hinter die Privatinteressen stellen und so leicht einen Mangel (an Nahrung) provozieren. Wer Getreide und andere lebensnotwendige Güter an Ausländer verkaufte, die nicht in der Toskana lebten, wurde mit Galeerenarbeit bestraft, die Güter wurden beschlagnahmt.9 Einige Tage später (23. Juli 1678) wurde festgesetzt, dass der Preis für alle Arten und Qualitäten von Getreide, Kastanien, Kastanienmehl, Öl und Hafer (Futtergetreide) Woche für Woche von der Obrigkeit festgelegt werde, und dass dieser auf den Märkten der Toskana zu gelten habe. Nachlässigkeit sollte auch hier bestraft werden.10 Eine Spezialität Livornos war etwa die Möglichkeit, Altlasten zu ignorieren. Gestützt auf den Artikel 4 der Livornina aus den Jahren 1591 und 1593 genossen alle eingewanderten Händler rechtlichen Schutz vor Verfolgung wegen Straftaten oder Schulden, die außerhalb der Toskana vor ihrem Zuzug begangen bzw. gemacht hatten. Der Großherzog gewährte diese Amnestie vor ausländischen Gläubigern, nicht aber für Schulden, die in der Toskana oder bei Toskanern gemacht worden waren.11 Sie konnten in Pisa und Livorno leben – neu beginnen, ohne dass sie ein Gericht belangen durfte.12 Die Gläubiger verzichteten für die Zeit des salvocondotto o sia Livornina auf eine Schuldeneintreibung, was sie mit Unterschrift beglaubigten.13

7 8 9 10 11 12 13

ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2608, S. 172. ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2609, S. 397. ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2609, S. 209. ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2609, S. 351. ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2606, S. 145. Artikel 4 der Livornina: Collezione degl’ordini municipali di Livorno, S. 240. Bei diesem Schutzbrief (salvocondotto) handelte es sich um ein Dokument, das eine rechtliche Verfolgung verunmöglichte.

3. Mental Maps und Pragmatic Facts: Imagination und Wirklichkeit

123

In Bittschriften ersuchten auswärtige Händler immer wieder um die Anwendung dieses Gesetzes für ihre Personen. Sie schlugen im Ausgleich vor, sich permanent in der Stadt Livorno niederzulassen und dort Handel zu treiben. Weiter machten die Antragsteller Angaben über ihr verfügbares Kapital und über Persönlichkeiten, die sie bereits in Livorno kannten (Referenzen).14 Insolvente Diasporamitglieder suchten im 17. Jahrhundert im toskanischen Livorno Schutz vor Geschäftspartnern, bei denen sie Geld geliehen oder Waren gekauft hatten.15 Der aufzuhebende Schuldnerraum reichte bis an die unmittelbaren Grenzen Livornos heran, wirkte nicht nur in der Ferne. Konflikte um Geld existierten dabei auch gemeinschaftsübergreifend, so im Jahre 1656 zwischen Juden und Christen oder zwischen einem flämischen Händler und einem Franzosen im Jahre 1627.16 Die Bitte nach einem Schutzbrief vor ausstehenden Schulden kam zumeist aus einer wirtschaftlich schwierigen Lage heraus zustande. Für verarmte Kaufleute war es der Weg zu einem Neuanfang. Livorno sollte dabei das Startbrett bilden. Der französische Kaufmann Giovanni di Domenico Bianchi zum Beispiel hatte die Absicht, nach wenigen Monaten in die Levante zurückzukehren. Zuvor hatte er etwa 20 Jahre ununterbrochen in Livorno gelebt hatte. Er blieb jedoch aus finanziellen Gründen neun Jahre dort. Seine Schuldner machten Konkurs, er verlor dabei ein Vermögen. Er wollte zurückkehren und ersuchte deshalb am 4. August 1661, wieder in Livorno leben und arbeiten zu dürfen, weiter begehrte er die Sicherheit und einen einjährigen salvocondotto für seine Person.17 Die Notlage, aus der heraus der Schutzbrief beantragt wurde, war häufig das Ergebnis individuellen Unglücks. Der griechische Händler Dimitrio Anastago, von Pech verfolgt, war durch Schiffbruch und Konkurse seiner Partner in Ungnade gefallen und hatte viel Geld und Waren verloren. Daraufhin wurde er der Flucht verdächtigt. Als einzigen Ausweg erflehte er am 15. Juni 1667 Gnade und Stundung seiner Schulden.18 Antonio Mathieu aus Lyon musste 14

15

16 17 18

Weiter gaben sie das Alter, den Zivilstand (Ehepartner, Kinder) und die weiteren Absichten in Livorno (z. B. Eröffnung eines Ladens, Handel) an. Ebenfalls beschrieben sie, wie lange sie schon in Livorno waren (meist einige Tage) und wo sie wohnten. Die Anträge sind nicht vom Antragsteller geschrieben worden (Rapporto dell’ispettore/del capitano di polizia di Livorno). Sie sind an den auditore di governo gerichtet. ASL, Governo civile e militare di Livorno 1764–1860, Serie VI, Suppliche e informazioni, Nr. 942, Istanze e suppliche per “livornine” 1816–1831. Der Franzose Giovanni di Pietro Martino begehrte am 30.9.1641 einen Schutzbrief für seine Person und seine Waren vor seinen auswärtigen Gläubigern. Schuldner aus der nahen Umgebung, die aber in Livorno lebten, verlangten genauso Schutzbriefe wie Mitglieder weit gereister Diasporagruppen. Leono (mit seinen Kindern) aus Ancona tat 1658 diesen Schritt. Er brauchte sechs Monate Ruhe vor seinen Gläubigern. ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2606, S. 367, 368. ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2606, S. 179, 180. ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2592, S. 38. ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2607, S. 225. ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2608, S. 319.

124

II. Italia felix für Händler

feststellen, dass in seiner Abwesenheit von Livorno sein Geschäft dem Ruin entgegensteuerte. Er erbat 1798 einen salvocondotto sowie die Suspendierung aller gegen ihn gerichteten Justizmaßnahmen. Seine Gläubiger ließen Milde walten und verzichteten für die Geltungszeit des Schutzbriefs auf eine Eintreibung der Schulden. Dieser Aufschub für Antonio Mathieu und Antonio Montalan, seinen Mitteilhaber, wurde von den Livorneser Behörden gestattet.19 Roberto Farar, englischer Kaufmann, seit Jahren in Livorno lebend, hatte aufgrund unglücklicher Umstände große Verluste erlitten. Er bat daher um einen Freibrief, damit er sein zerstörtes Vermögen liquidieren konnte. Die Gläubiger und die Behörden stimmten dem 1798 zu.20 Gläubiger wandten sich gleichermaßen an die Herrscher, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Giovanni Grego, Kaufmann aus Izmir war seit zehn Monaten in Livorno und wartete auf die Begleichung von Geschäftsschulden durch den Juden Moise Sulema. Er brauchte das Geld, um seine von den ,,Türken“ gefangen genommene Familie zu befreien. Daher bat der katholische Christ 1667 um Unterstützung beim Großherzog.21 Auch noch im späten 18. Jahrhundert wandten sich verschuldete, in Livorno ansässige Geschäftsleute an die Obrigkeit, um Zahlungsaufschub zu erhalten. Der Jude Benedetto Soschino war bei Glaubensbrüdern verschuldet. Deshalb konnten die massari 1796 über den Zahlungsaufschub entscheiden. Der Jude Leone Accicrioli verschuldete sich ebenso. Ein salvocondotto über zwei Monate sollte ihm weiterhelfen. Die Gläubiger gewährten 1796 die Frist, was sie mit ihrer Unterschrift bezeugten. Der Jude Raffaello Abeniacar verlangte 1797 einen salvocondotto für ein Jahr, damit er seine Schulden, die sich in schlechten Geschäften mit der Levante (Izmir und andere Städte) angesammelt hatten, bezahlen konnte. Der verschuldete Jude Abram Acris schließlich bekam 1797 von den Gläubigern den salvocondotto für sechs Monate. Da diese zustimmten, war auch der Auditore Vicario (Vertreter der toskanischen Regierung in Livorno) bereit, diesen zu billigen.22 Gleiches gilt für andere in Livorno ansässige Diasporamitglieder. Die englischen Händler Abramo und Daniel Ragueneau sahen sich aufgrund großer Verluste und Schulden gezwungen, Livorno zu verlassen. Sie wollten 1797 zurückkehren, um ihre Geschäfte in Ordnung zu bringen. Dazu begehrten sie, dass sie von den Gläubigern nicht gestört würden. Sie wollten einen salvocondotto personale e reale für sechs Monate. Die meisten Gläubiger willigten ein. Der Schutz sollte auch für ausländische Gläubiger gelten. Die Behörden genehmigen den Antrag, ganz im Sinne der Tradition der Livornina.23 Der 19 20 21 22 23

Er war in Handelsgeschäften unterwegs gewesen. ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2610, S. 64, 65. ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2610, S. 71. ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2608, S. 3. ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2610, S. 7–13. ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2610, S. 27.

3. Mental Maps und Pragmatic Facts: Imagination und Wirklichkeit

125

Schweizer Händler Giacomo Tobler in Livorno steckte in wirtschaftlichen Schwierigkeiten und konnte seine Schulden nicht bezahlen. Viele seiner Gläubiger lebten in Livorno. Da diese es als angemessen befanden, ihm noch eine Chance zu geben und einen persönlichen salvocondotto zu gewähren, riefen sie den Cittadino Commissario an, einen Schutzbrief auszustellen. Der Commissario Carlo Reinhard folgte dem Anruf.24 Ein Schutzbrief konnte also auch von Gläubigern beantragt werden. Nicht immer war die Schuldnerflucht nach Livorno erfolgreich. 1797 verlangte der Übersetzer (dragomanno) der Regierung von Zypern (unter Osmanischer Herrschaft), Caggi Georgachi, vom in Livorno verstorbenen Michele Zandi, respektive seinen Hinterbliebenen, die Rückzahlung seiner auf Zypern anerkannten Schulden. Die livornesischen Behörden befürworteten den Antrag.25 Es kam sogar vor, dass Schuldner in den Genuss eines Schutzbriefes kamen, wenn sie nicht dauerhaft in der Toskana lebten. Der Geschäftsmann Pietro Gamelin aus Palermo weilte eine kurze Zeit in Livorno, um Geschäfte zu tätigen. In dieser kurzen Zeitspanne geriet sein Geschäft in Palermo in Schwierigkeiten. Er ersuchte daher um einen salvocondotto. Die Gläubiger sagten schriftlich zu. Die Behörden in Livorno genehmigten 1798 ebenfalls Schutz, obwohl es unüblich war, Ausländern, die nicht in der Toskana sesshaft waren, einen solchen auszustellen.26 Die Diasporagruppen nutzten in Livorno und Ancona lange Zeit die politischen Freiräume, indem sie sich von Konsuln vertreten ließen. Sie deuteten das offene Klima der Städte als Einladung; durch Freibriefe sollte der Weg zu Glück und Wohlstand wieder geebnet werden. Geschäftstüchtige Diasporamitglieder suchten im 17. Jahrhundert im toskanischen Livorno den Schutz vor Geschäftspartnern, bei denen sie Geld geliehen oder Waren gekauft hatten. Der Franzose Giovani di Pietro Martino begehrte am 30.9.1641 einen Schutzbrief für seine Person und seine Waren vor seinen auswärtigen Gläubigern. Der Großherzog gewährte diese Amnestie vor ausländischen Gläubigern, nicht aber für Schulden, die er in der Toskana oder bei toskanischen Untertanen gemacht hatte.27 Schuldner aus der nahen Umgebung, die aber in Livorno lebten, verlangten genauso Schutzbriefe. Leono (mit seinen Kindern) aus Ancona tat 1658 diesen Schritt. Er brauchte sechs Monate Ruhe vor seinen Gläubigern.28 Konflikte um Geld existierten gemeinschaftsübergreifend, so im Jahre 1656 zwischen Juden und Christen29 oder zwischen einem flämischen Händler und einem Franzosen 24 25 26 27 28 29

ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2610, S. 126. ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2610, S. 48. ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2610, S. 69. ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2606, S. 145. ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2606, S. 367, 368. ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2606, S. 179, 180.

126

II. Italia felix für Händler

im Jahre 1627.30 Der Ruf nach einem Schutzbrief kam oft aus der wirtschaftlich bedrohenden Lage heraus zustande. Für verarmte Kaufleute war es der Weg, einen Neuanfang zu starten. Livorno sollte dabei das Startbrett bilden. Giovanni di Domenico Bianchi von der französischen Nation, nachdem er etwa 20 Jahre ununterbrochen in Livorno gelebt hatte, ging in die Levante, um seine kaufmännischen Interessen zu verfolgen, mit der Absicht, nach wenigen Monaten zurückzukehren. Er blieb aber neun Jahre, weil seine Schuldner nicht zahlten, sie machten Konkurs, wobei er ein Vermögen verlor. Er wollte nun zurückkehren und ersuchte deshalb am 4. August 1661, in Livorno leben und arbeiten zu dürfen, weiter begehrte er die Sicherheit und einen Salvocondotto für seine Person für ein Jahr.31 Als Gründe für die Notlage wurden irrationale Gesichtspunkte miteinbezogen. Der griechische Händler Dimitrio Anastago war, gemäß Beschreibung im Gesuchsschreiben, durch Unglück, Pech auf dem Meer und durch Konkurse seiner Partner in Ungnade gefallen und hatte viel Geld und Waren verloren, weshalb er der Flucht verdächtigt wurde. Er bemühte sich am 15. Juni 1667 um Gnade.32 Antonio Mathieu aus Lyon musste feststellen, dass in seiner Abwesenheit von Livorno, zwecks Handelsgeschäfte, sein Geschäft Pech und Unglück hatte. Er brauchte 1798 einen salvocondotto gegen die Gläubiger und die Suspendierung aller Justivollzüge gegen ihn. Die Gläubiger verzichteten auf eine Schuldeneintreibung für die Zeit des salvocondotto, was sie mit Unterschrift beglaubigten. Der Aufschub für Antonio Mathieu und Antonio Montalan, sein Mitteilhaber, wurde von den Behörden gestattet.33 Roberto Farar, englischer Kaufmann, seit Jahren in Livorno lebend, hatte aufgrund unglücklicher Umstände große Verluste gemacht. Er bat daher um einen Freibrief, damit er sein zerstörtes Vermögen liquidieren konnte. Die Gläubiger und die Behörden stimmten dem 1798 zu.34 Gläubiger wandten sich gleichermaßen an die Herrscher, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Giovanni Grego, Kaufmann aus Esmirne (Izmir) war seit zehn Monaten in Livorno, um vom Juden Moise Sulema bezahlt zu werden. Es kam hinzu, dass seine Familie von den Türken gefangen genommen wurde. Daher bat der katholische Christ 1667 um Unterstützung beim Großherzog.35 Noch im 19. Jahrhundert wirkte die Livornina als anziehender Magnet. Schuldner aus Frankreich (Marseille, Lyon, Korsika), Spanien (Gibraltar, Valencia, Barcelona), der Schweiz (Neuenburg, Zürich), Italien (Insel Tino, Sizilien, Genua, Piemont, Neapel, Ancona, Verona, Sardinien Rom, Venedig, 30 31 32 33 34 35

ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2592, S. 38. ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2607, S. 225. ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2608, S. 319. ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2610, S. 64, 65. ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2610, S. 71. ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2608, S. 3.

3. Mental Maps und Pragmatic Facts: Imagination und Wirklichkeit

127

Triest, Florenz, Bologna), England (Glasgow, London), Irland, Griechenland (Chios, Zante, Mazedonien ), Preußen, Tunis, Malta und Izmir ersuchten um einen Freibrief (salvacondotto o sia Livornina), damit sie in Ruhe leben konnten, ohne Angst zu haben, von den Gläubigern in der alten Heimat belästigt zu werden. Noch im 19. Jahrhundert wirkte die Livornina in diesem Kontext als anziehender Magnet. Schuldner aus Frankreich (Marseille, Lyon, Korsika), Spanien (Gibraltar, Valencia, Barcelona), der Schweiz (Neuenburg, Zürich), Italien (Insel Tino, Sizilien, Genua, Piemont, Neapel, Ancona, Verona, Sardinien Rom, Venedig, Triest, Florenz, Bologna), England (Glasgow, London), Irland, Griechenland (Chios, Zante, Mazedonien), Preußen, Tunis, Malta und Izmir ersuchten um einen solchen Freibrief (salvacondotto o sia Livornina), um ihren Gläubigern zu Hause zu entfliehen.36 Diese Bittschriften machen die kaufmännische Präferenz sichtbar, den eigenen Geschäften an dem Ort nachzugehen, wo man den Schulden entkommen konnte. Dieser spezifische Aspekt der mentalen Landkarte der Händler erklärt einen Großteil der Attraktivität Livornos. Der Wunsch und die Möglichkeit, in Livorno ohne Altlasten neu anzufangen, war einer der Hauptantriebe für die Stadtwahl. Das Aufnehmen risikobereiter Geschäftsleute mit Geldsorgen, mit dem Ziel, die eigene Ökonomie in Schwung zu bringen, zahlte sich offenbar für beide Seiten aus. Die Diasporagruppen bekamen eine neue Chance, die Stadt erreichte eine neue wirtschaftliche Dynamik. Livorno wurde zur Stadt des Neuanfangs. Einmal mehr zeigt sich die Eigenlogik Livornos in der Kongruenz diasporischer und obrigkeitlicher Zukunftsvorstellungen.

3.2 Kollektive Interessen: nazioni und Vermittler Viele fremde Händler und Seeleute beherrschten die Sprachen und kannten die Gepflogenheiten Livornos nicht, was Vermittler, Übersetzer und Konsul zu wichtigen Persönlichkeiten machte, die sie in wirtschaftlichen und juristischen Angelegenheiten beraten und in Verhandlungen mit den lokalen Behörden und Händlern vertreten konnten. Die diasporischen Gemeinschaften organisierten sich in nazioni, an deren Spitze ein Konsul stand. Die Nationen entstanden ab 1593, als die Livornina Privilegien für Mensch und seine Ware garantierte. Eines dieser Rechte war die Berufung eines Konsuls. In Ancona gab es seit dem Jahre 1528 einen ragusanischen Konsul, vielleicht auch schon früher.37 Doch im 17. und 18. Jahrhundert war das Konsularwesen zahlreichen Veränderungen unterworfen. Am Anfang wurden die 36 37

ASL, Governo civile e militare di Livorno 1764–1860, Serie VI, Suppliche e informazioni, Nr. 942, Istanze e suppliche per “livornine” 1816–1831. Anselmi: Venezia, Ragusa, Ancona, S. 84.

128

II. Italia felix für Händler

Konsuln durch die lokalen Behörden, sprich in Livorno durch die toskanischen Herrscher berufen, und sie setzten sich für das Handelswesen ihrer Nation ein, wie zum Beispiel die jüdischen massari oder auch die Konsuln, die sich für die Anliegen der armenischen Nation einsetzten. Hinter dem Konsul stand normalerweise eine Versammlung, die über die Probleme der Nation tagte. Dabei mussten die lokalen Gesetze, die Verordnungen des Herrschers und die Bestimmungen der Seefahrtverantwortlichen eingehalten werden. Bei den Tagungen ging es primär um die Ausgaben und Einkünfte, die die Nation zu tätigen hatte.38 Die Basis bildete die Nation selber. Ihr gehörten vor allem Händler an, während die ärmeren Personen, die Ladeninhaber, die Gastwirte, die Handwerker, die Matrosen und die Vagabunden kein Mitspracherecht hatten. Über die Anzahl der Mitglieder der einzelnen Nationen wissen wir wenig. Viele Kaufleute gehörten keiner spezifischen Nation an. Die Stärke der Nation lag nicht in ihrer Quantität, sondern in ihrer Qualität. Sie traten nachhaltig in das Hafenleben ein, indem sie als Verband der Handelshäuser amteten, Steuern und Zölle auf Schiffe der eigenen Nation, die den Hafen von Livorno verließen oder anfuhren, und deren Waren erhoben und gewerkschaftliche Aufgaben erledigten, die die Interessen der Händler der eigenen Nation verteidigten, etwa in Form von Boykotten..39 Gegen Ende des 17. Jahrhunderts versuchte der Konkurrenzhafen Genua die tüchtigen Händler aus Livorno abzuwerben, besonders die Juden, und die schlechte Konjunktur veranlasste den Großherzog, die Steuern zu erhöhen oder sogar neue Steuern zu erheben. Mit der habsburgisch-lothringischen Machtübernahme vollzog sich der negative Trend. Die neuen Herrscher, Großherzog Franz Stephan von Lothringen und sein Minister Botta Adorno, distanzierten sich vom Merkantilismus und definierten die Rolle der Nationen respektive der Konsuln neu. Sie wurden von der Heimatregierung gewählt und besaßen kaum mehr Macht, lediglich als Berater ohne Entscheidungsbefugnis konnten sie sich in die toskanische Wirtschaftspolitik einbringen. Die Nationen in Livorno zeichneten sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts nicht mehr als Gewerkschaft aus, die für die Händler Lobbying betrieb. Vielmehr bildeten sie bloß noch kaufmännische Zusammenschlüsse mit losen Bindungen.40 Folgende Nationen stellten 1782 noch einen Konsul in Livorno:41 Hamburg, Österreich, Dänemark, Frankreich, Genua, England, Massa, Malta, Napoli, Holland, Preußen, Ragusa, Rom, Russland, Sardinien, Spanien, Schweden, Venedig. Exemplarisch für diese Einwicklung steht die deutsch-holländische Kon38 39

40 41

Filippini: Les nations à Livourne, S. 584. Einen Beleg für deren Existenz gibt es nicht. Dass es Kaufleute gab, die keiner Nation angehörten, ist für die Levante unvorstellbar. In diesem Punkt unterscheidet sich das sonst levantenahe Livorno von der Levante. Filippini: Les nations à Livourne, S. 585f. Filippini: Les nations à Livourne, S. 590f. ASL, Governo civile e militare di Livorno 1764–1860, Serie VIII, Nr. 958, Blatt 204.

3. Mental Maps und Pragmatic Facts: Imagination und Wirklichkeit

129

gregation. Die deutschen und flämischen Händler und Seeleute in Livorno ließen sich, wie bereits erwähnt, ab 1597 durch einen Wiener vertreten. Es sieht so aus, dass er durch die Wirtschaftsleute vor Ort gewählt und nicht durch den deutschen Kaiser ernannt wurde. Im 17. Jahrhundert war es immer noch nicht notwendig, von der Heimatregierung anerkannt zu werden, die Wahl durch die Klienten und die Annerkennung durch die lokalen Behörden genügte vollends.42 Es missfiel der holländischen Regierung in Den Haag zunehmend, dass die immer zahlreicheren holländischen Händler im Mittelmeerraum von ausländischen Konsuln vertreten wurden. Sie entwickelten folglich um 1611 die Idee, eigene Repräsentanten in die Toskana zu senden.43 1612 wurde Johan Van Daelhem von der Regierung in Den Haag in das Amt des Konsuls eingesetzt und vom toskanischen Großherzog anerkannt, worüber die flämischen und deutschen Anhänger von Bonade nicht erfreut waren. 1618 wurde auch Bonade von den toskanischen Behörden als Konsul anerkannt. Doch zwei Mal scheiterten seine Bemühungen, von der holländischen Regierung anerkannt zu werden.44 Die Erfolgsgeschichte der Konsuln endete mit der Amtsübernahme durch Peter Leopold im 18. Jahrhundert. Er initiierte eine Reform, die die Kompetenzen der Konsuln massiv einschränkte. Livornos Funktion als Handelsplatz zwischen Orient und Okzident zeigte sich auch im Wesen der Konsulate. Während im Orient den Konsuln neue Geschäftsbereiche und neue Garantien zugesichert wurden, befand sich das Konsulwesen im Westen im Niedergang begriffen. In Livorno prallten diese beiden Tendenzen im 16. und 17. Jahrhundert aufeinander. Einerseits beharrte man darauf, dass die Konsulate privatwirtschaftlich organisiert blieben, andererseits versuchte man diese Institution zu verstaatlichen und ins öffentliche Recht zu übertragen. 1612 kam es wie oben erwähnt zu einer Polemik im flämischen Konsularwesen. Dieser Fall stand exemplarisch für diese Phase des Übergangs. Auf der einen Seite arbeitete ein Konsul seit 1597, der von den flämischen Händlern frei gewählt wurde. Auf der anderen Seite stand da ein von der niederländischen Regierung eingesetzter Abgesandter. Der Disput begann, als der Großherzog beide anerkannte und so eine Konkurrenzsituation schuf, die ihm und seinem Freihafen zugute kam. Der Streit endete einige Jahre später mit dem Rückzug des Konsuls durch die niederländische Regierung. Die Flamen waren in Livorno nicht nur durch die zwei Konsuln vertreten, sondern zusätzlich noch durch einen governatore und einen Schatzmeister, die dem Konsul halfen Steuern und Gebühren einzuziehen und die Rechte der Flamen in Livorno zu 42 43

44

Engels: Merchants, Interlopers, Seamen and Corsairs, S. 125f. Vorangehend setzten Genua (1597) und Frankreich (1603) Konsuln in Livorno ein. Der Konsul der englischen Regierung amtete erst ab 1634, obwohl bereits gegen Ende des 16. Jahrhunderts englische Händler und Seefahrer ihre eigenen Konsuln wählten. Engels: Merchants, Interlopers, Seamen and Corsairs, S. 126f.

130

II. Italia felix für Händler

garantieren. Weil die flämische Gemeinde gewillt war, eine Kapelle zu kaufen und darin eine Orgel zu bauen, brauchte sie wirtschaftlich aktive Mitglieder und gute Beziehungen zwischen den beiden Regierungen. Hier spielten die Konsuln und die nazione eine entscheidende Rolle. Die Konsuln galten als Vorsteher und Beschützer ihrer Kaufleute, obwohl sie einige Male wie öffentliche Minister auftraten. Doch sie wurden in Streitfällen auch übergangen, so etwa im Falle von zwei flämischen Piraten, die sich zu Beginn des Konfliktes zwischen den beiden Konsuln im 17. Jahrhundert mit Erfolg direkt an den Großherzog wandten, um ihm ihre Kapitulation zu erklären. Dieser gewährte ihnen Schutz vor Forderungen seitens einiger Versicherer und florentinischer Kaufleute, die sie geschädigt hatten.45 Doch im Zeitalter der aufstrebenden Nationalstaaten interessierten sich auch die ursprünglichen Heimatländer für diese wichtige Funktion. Der Konsul übernahm immer mehr diplomatische Aufgaben. Im 18. Jahrhundert gab es viele Konsuln ohne eine lokale nazione im Rücken, so zum Beispiel die Konsuln aus Spanien, Genua, Venedig, Neapel, Schweden, Malta, Dänemark, Ragusa, Piemont, Russland, Preußen und dem Kirchenstaat. Dementsprechend sah die toskanische Regierung mit der Zeit im Konsul lediglich den Stellvertreter seiner Heimatregierung.46

3.3 Störungen und Ungastlichkeiten: Die Schattenseiten freiheitlicher Strukturen Die freiheitlichen Rahmenstrukturen und der wirtschaftliche Aufschwung hatten auch ihre Schattenseiten: Livorno zählte neben Malta, Messina und Genua zu den wichtigsten Umschlagplätzen für Sklaven. Die französische Marine gehörte im 17. Jahrhundert zu den besten Kunden für muslimische Galeerensklaven.47 Durch die Rekrutierung von Zwangsarbeitern aus der Toskana und die Versklavung von Menschen, die auf Malta oder in Fiume gekauft wurden, wurde der Hafen- und Stadtbau kostengünstig vorangetrieben. Die Sklaven arbeiteten jeden Tag auf der Werft, angekettet an den Füßen, und wurden nachts ins Bagno (Straflager) eingesperrt. Dieses Bagno der Sklaven und Zwangsarbeiter wurde erst 1750 geschlossen, als die Sklaverei (offiziell) abgeschafft und Frieden mit dem Osmanischen Reich respektive mit den Barbaresken-Staaten geschlossen wurde.48 Die protestantischen Diasporagemeinschaften erfuhren lange keine religiöse Toleranz. 45 46 47 48

Biagi: I Consoli delle Nazioni a Livorno, S. 361f. Filippini: Les nations à Livourne, S. 583. Bono: Achat d’esclaves turcs, S. 79f. Frattarelli Fischer: Presentazione, S. 6.

3. Mental Maps und Pragmatic Facts: Imagination und Wirklichkeit

131

In eine unangenehme Lage gerieten die Juden bei der französischen Besatzung Livornos Ende des 18. Jahrhunderts. Sie wurden von Einheimischen angegriffen und als jakobinische Verräter diffamiert.49 Die jüdische Nation beklagte sich am 30. Juli 1800 bei Doktoren, Rabbinern und Händlern, sie seien überfallen worden und man habe ihre Häuser durchsucht. Es war von ,,attentati“ und ,,terrore“ die Rede. Sie baten die Behörden um sofortige, solide, effiziente und radikale Maßnahmen, um diesem Leid (,,mali“) ein Ende zu machen.50 Ein Franzose berichtet in seinen Memoiren im Jahre 1699, dass von den Privilegien, den Häusern, dem Boden, den Freiheiten und der Amnestie die unterschiedlichsten Menschen Gebrauch machten: Kriminelle, Bankrotteure, Juden, Franzosen, Italiener, Engländer, Holländer und Armenier. Die Juden waren derart dominant im Geschäftsleben (Handel und Produktion), dass an den Samstagen, ihrem freien Tag, die Marktplätze leer blieben und die Geschäfte ruhten. Die Franzosen waren entweder reiche Händler oder Kleinkrämer und Handwerker. Die Italiener seien kaum im Handelswesen integriert, wenn doch, dann vor allem Florentiner. Die Engländer, die Holländer und die Armenier beteiligten sich ebenfalls am Handel, wobei sie von jüdischen und italienischen Mittlern unterstützt würden. Er berichtet vom multilingualen Ambiente der Stadt, dem sich auch die höchsten Würdenträger der Stadt anpassten. Monsieur le marquis Del Borro, italienischer Muttersprache, beherrschte Spanisch und Deutsch und verstand Lateinisch und Französisch. Doch gleich rücken wieder negative Aspekte des Kosmopolitismus in den Vordergrund: die korrupte Justiz, die von ,,Türken“, Zwangsarbeitern und Freiwilligen betriebenen Galeeren, der durch ein rigoroses Lazarett- und Quarantänesystem gestützte Zoll mit seinen diversen Abgaben (Ankergebühren, Hafengebühren, je nach Warengröße und Herkunft, Kapellengebühren, Zollgebühren, Konsulgebühren). Das Leben eines Konsuls schien durchaus angenehm gewesen zu sein. Der holländische Vertreter galt als ,,ein guter Mann, der sich am Morgen seinen Geschäften widmet und den Rest des Tages mit Trinken und Rauchen verbringt.“51 Einen noch profunderen Bericht über die Stadt Livorno, ihre Bewohner und ihre wirtschaftlichen und politischen Leistungen verfasste der governatore Filippo Bourbon del Monte 1765. Er vertrat also gewissermaßen die Gegenseite, nicht die ausländischen Händler, die Gäste, sondern er war der Gastgeber. Auch er stellte fest, dass der zeitgenössische Handel von Livorno voll und ganz ausländisch war, sprich vom Willen der Ausländer abhängig, und dass die Waren sich nur auf der Durchreise befanden. Es ist deshalb kaum verwunderlich, dass beim Consiglio di Commercio, der Behörde für Angelegenheiten 49 50 51

Näheres zur antijüdischen Viva-Maria-Bewegung in der Toskana siehe Wyrwa: Juden in der Toskana. S. 167f. ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2610, S. 155. Mémoire de l’état présent de Ligourne et de son commerce, année 1699, S. 15f.

132

II. Italia felix für Händler

des toskanischen Güteraustauschs, ein Dolmetscher für orientalische Sprachen angestellt war.52 Im Umgang mit den Neuen ging es für die Behörden darum, den goldenen Mittelweg zu finden zwischen der Sicherung der eigenen herrschaftlichen Rechtsprechung und der Freiheit der ausländischen Mitbewohner. Dazu brauchte es einen aufgeklärten und weisen Vikar, der Querelen und Verstimmungen unter den verschiedenen Religionsgruppen zu verhindern wusste.53 Zu Beginn schien es nicht möglich, dass die für die Juden erbrachten Anstrengungen (Livornina) auf die anderen Andersgläubigen ausgedehnt werden. Nicht wenige englische, holländische und deutsche Händler und Schiffskapitäne, die in ihrer alten Heimat Anglikaner, Calvinisten oder Lutheraner waren, erklärten sich deshalb in Livorno zu Katholiken und assoziierten sich in lokalen Bruderschaften. Es sieht so aus, als habe eine rasche und unproblematische Integration stattgefunden. Es stellt sich allerdings die Frage, ob es sich bei diesen kulturell-religiösen Konversionen nicht einfach um notwendige bzw. bequeme Anpassungsstrategien handelte. Ab 1604 übernahmen Engländer, Deutsche, Griechen, Flamen und persische Armenier als Stadtbürger hohe politische Ämter, doch die Voraussetzung für eine Nominierung war das Bekenntnis zum römisch-katholischen Glauben. Die Offenheit und religiöse Toleranz galt für Protestanten nicht, da sie als abtrünnige Christen galten und sich selbstredend die Inquisition mit Inhalten und Formen ihres Glaubensbekenntnisses zu befassen hatte. Erst im 18. Jahrhundert verbesserte sich ihre Lage, aber auch die anderer Glaubensgemeinschaften. 1747 wurden Abkommen mit Tripolis, Algier und Tunis unterzeichnet, 1762 ein muslimischer Friedhof erbaut. Die schismatischen Griechen zogen ebenfalls Vorteile aus der entspannten Lage und eröffneten Mitte des 18. Jahrhunderts zahlreiche Geschäfte. Das Gefüge der Christenheiten wurde neu geordnet, viele Orthodoxe standen nun wenigen Katholiken gegenüber. 1757 regelte ein Erlass von Franz Stephan von Lothringen (Großherzog der Toskana) die Rechte und Pflichten der Orthodoxen bei der Kultausübung, 1760 wurde ihre Kirche SS. Trinità eingeweiht. Das System der Toleranz basierte auf normativen Privilegien. Diese Philosophie verfolgten die Lothringer bis Ende des 18. Jahrhunderts.54 Dieser Emanzipationsprozess wurde in der französischen Phase (1808– 1814) fortgesetzt und am 1848 mit dem Statuto toscano endgültig festgenagelt.55 Unierte (Katholiken), Griechen (Orthodoxe), Anglikaner, Lutheraner, Calviner, Muslime und Juden besaßen in Livorno ihre eigenen Gotteshäu52

53 54 55

Relazione del governo civile, del commercio e della marina mercantile di Livorno. In: Fonti per la storia di Livorno. Fra Seicento e Settecento. Hg. von Frattarelli Fischer, Mangio, S. 55f. Relazione del governo civile, S. 63f. Castignoli: La tolleranza, S. 27f. Artikel 2 des Statuts: ,,Die Toskaner, welcher Religion auch immer sie angehören, sind vor dem Gesetz alle gleich. Sie beteiligen sich an den Aufwendungen des Staates je nach

3. Mental Maps und Pragmatic Facts: Imagination und Wirklichkeit

133

ser.56 Diese religiösen Freiräume bildeten das Fundament, auf dem weitere Freiheiten gefordert, aufgebaut und verhindert wurden.

3.4 Polarisierende Reiseeindrücke: Der flüchtige fremde Blick Psychische Momente spielen beim mental mapping eine zentrale Rolle. Zukunftsängste und Lebenswünsche sind tiefe und sehr subjektive Empfindungen. Wo man die eigene Zukunft temporär oder dauerhaft verortet sieht, hängt von vielen Faktoren ab. Veranschaulichen lässt sich dies etwa am Beispiel der Italienreisenden und dem Bild, das sie von der Apenninhalbinsel entwarfen. Einige fanden auch den Weg nach Ancona und Livorno.57 Da sie sich nur kurz in den Städten aufhielten, handelt es sich um interessante Momentaufnahmen, sie schildern mit einem unbelasteten Blick, was Zugereisten als erstes ins Auge fiel und was sie als Besonderheit wahrnahmen. Diese Fremden waren weder auf der Flucht, noch auf der Suche nach einer neuen Heimat. Die punktuellen Eindrücke dieser Reisenden vervollständigen das Mosaik der Imaginationen und mental maps. So unbelastet ihr auch Blick war, da sie die Bedingungen vor Ort nicht auf Existenzmöglichkeiten überprüfen mussten, zeigt sich auch bei diesen Reiseeindrücken, wie persönlich gefärbt und

56

57

Reichtum. Sie sind alle gleichberechtigt bei der Vergabe von zivilen und militärischen Posten.“ In: Castignoli: La tolleranza, S. 34. Bartl: Der Westbalkan, S. 68. ,,Verschiedene der ausländischen Nationen haben in Livorno eine Kirche oder einen anderen Ort, wo sie ihre Religion ausüben können. Von jenen, die die mit dem lateinischen Ritus vereint sind, haben die Armenier und die Griechen eine Kirche, die, obwohl als Bruderschaften organisiert, Pfarrer haben, die sie vertreten und ihnen die Sakramente spenden. Während sie allerdings der säkularen Gerichtsbarkeit unterstehen, und darüber hinaus, steht den zuvor genannten Kirchen der governatore vor, wie es das Amt des Statthalters vorsieht. Nationen, die dem römisch-katholischen Ritus folgen, haben keine separate Kirche in Livorno, und nur die Franzosen und die Holländer haben eine Kapelle für ihre Nationen in der Kirche der ,Madonna dei PP. Francescani’. Die Engländer haben eine Kapelle im Haus des Konsuls und einen Minister. Aber sie sind die einzigen Protestanten, die diese Annehmlichkeit genießen, der sich im Haus des englischen Konsuls auch die Genfer und die anderen Reformierten bedienen. Die Griechen, die dem schismatischen Ritus folgen, haben ebenfalls eine Kirche und einen Pfarrer, der dem governatore untersteht. Dieser ist dafür zuständig, dass die gute Ordnung aufrechterhalten und Stetigkeiten zwischen den beiden griechischen Kirchen vermieden werden. Schließlich haben die Juden ihre Synagoge.“ ASL, Governo civile e militare di Livorno 1764– 1860, Serie VIII, Nr. 959, Blatt 236 f. Livorno war im 17. und 18. Jahrhundert eine der Hauptstationen der Italienreisenden, die die grand tour (Ritual der ausgedehnten Bildungsreise von jungen und reichen Europäern in diverse Länder) in Angriff nahmen. Hinweis von Ultimieri: Livorno descritta dai viaggiatori francesi, S. 5.

134

II. Italia felix für Händler

von psychischen Befindlichkeiten abhängig jede Art von Wahrnehmung ist. Von Anmut, Pracht und lebhafter Schönheit berichten die einen, entstellte Orte, Schmutz und Kriminalität sahen die anderen. Christian Joseph Jagemann verstand beide Städte als wichtige Metropolen und nannte sie in einem Atemzug mit Venedig, Mailand, Turin, Florenz, Bologna und Verona. Lediglich Rom, Neapel und Genua stufte er höher ein.58 Wie beliebt Ancona im 16. Jahrhundert war, zeigt die Tatsache, dass nicht nur Kaufleute sondern auch viele Künstler und Intellektuelle aus aller Welt hier lebten. Lorenzo Lotto, ein Maler der Hochrenaissance, gebürtiger Venezianer, fühlte sich in seiner Heimatstadt in seinem künstlerischen Schaffen blockiert und suchte Inspiration in Ancona.59 Der Philosoph Michel Eyquem de Montaigne erkannte auf seiner Reise durch Italien im 16. Jahrhundert in Ancona eine Stadt mit vielen Einwohnern, namentlich Griechen, Türken und Slawoniern, und mit regem Handelsverkehr. Er genoss während seines Aufenthaltes die Schönheit der Stadt, insbesondere jene der Kirchen und der Frauen, wie auch die Betriebsamkeit auf dem Hafengelände.60 Der Ratsherr der Altstadt Königsberg i. Pr. Reinhold Lubenau besuchte auf seiner Reise in den Süden im 16. Jahrhundert Ancona ebenfalls. Ihm fielen sofort die schönen Türme, die prächtigen Paläste und Kirchen ins Auge, die überraschend vielen Schiffe, die im Hafen vor Anker lagen und die Börse. ,,Unus portus in Ancona, Unus turris in Cremona, Unus Papa in Roma“ – ,,ein Hafen in Ancona, ein Turm in Cremona, ein Papst in Rom“, schrieb er in sein Reisetagebuch.61 Während Ancona als Hafenstadt bekannt war, glänzte Cremona mit seinem Turm und Rom als Papstresidenz. Ein ähnliches Bild zeichneten deutsche Italienreisende auch im 18. Jahrhundert. Der Publizist Johann Wilhelm von Archenholtz (1741–1812) meinte zu Ancona, die Stadt sei unter der Regie einer weisen Regierung zur größten italienischen Handelsstadt gereift. Obwohl die Stadt zum konservativen Kirchenstaat gehörte, konnten durch die Erklärung der Stadt zum Freihafen zahlreiche Manufakturen entstehen.62 Dem wohlhabenden Frankfurter Juristen und Kaiserlichen Rat Johann Caspar Goethe (1710–1782) gefiel die Stadt ebenfalls, er genoss auf der Zitadelle stehend die Aussicht und wünschte sich, er hätte seine traurige Zeit in der Quarantäne in Palmada lieber im wunderbaren Lazarett von Ancona verbringen können. Doch er erfuhr, dass Ancona ihre Glanzzeiten bereits hinter sich hatte. Offenbar trug die Konkurrenz Senigallia Schuld an dieser

58

59 60 61 62

Sandra Bader untersuchte in ihrer Dissertation das Italienbild deutscher Reisender im 18. Jahrhundert. Zentral sind dabei die Berichte von Johann Wilhelm von Archenholtz und von Christian Joseph Jagemann. Bader: Illusion und Wirklichkeit, S. 118, 162. Davidson: ,,As Much for its Culture as for its Arms“, S. 210. Montaigne: Tagebuch der Reise nach Italien, S. 212f. Lubenau: Beschreibung der Reisen des Reinhold Lubenau, S. 339. Bader: Illusion und Wirklichkeit, S. 48.

3. Mental Maps und Pragmatic Facts: Imagination und Wirklichkeit

135

Entwicklung. Goethe selber wies die Verantwortung dem ,,lieben Gott“ zu, ,,der allem seine Zeit bestimmt hat.“ Weiter berichtete er vom schlecht vor Wind geschützten Hafen, den geraden und engen Straßen mit den vielen Winkeln und Ecken, den vielen Türmen, dem kleinen Stadtplatz, diversen Kirchen, dem Rathaussaal und der Halle der Kaufleute, wo sich die Geschäfte für Galanteriewaren (Schmuck und Accessoires) befanden.63 Die magische Anziehung Livornos für Fremde ist ebenfalls in ihrer charakteristischen Wesensart zu finden. Die Stadt strahlte eine vitale Leidenschaft aus, die ansteckte und wenig Berührungsängste kannte, solange ihre Bewohner über die finanziellen Mittel verfügten, die sie ihnen abverlangte. Zwischen 1590 und 1604 suchten sich die Bewohner ihr Zuhause ihrem sozialen Status entsprechend aus, ethnische oder religiöse Zugehörigkeiten ignorierend. Auf der Via Ferdinanda, in der sich das Handelswesen hauptsächlich abspielte, wohnten vor allem Händler und Beamte. Engländer, Franzosen, Griechen, Toskaner und Juden lebten Tür an Tür.64 Das alltägliche Leben war vom Zusammensein geprägt. Man traf sich täglich und sprach miteinander, zum Teil lebten verschiedene Gruppen unter demselben Dach. Männliche Immigranten integrierten sich durch Heirat von Frauen aus Livorno in die livornesische Gesellschaft.65 Eine Heirat konnte auch innerhalb der eigenen diasporischen Glaubensgemeinschaft Vorteile mit sich bringen.66 Das Einkommen fungierte als soziales Zuordnungskriterium. Es war üblich, die Livorneser Weltoffenheit auch im Privatleben zur Schau zu stellen. Inventarlisten lassen erahnen, wie die Häuser wohlhabender Einwohner ausgesehen haben könnten: Möbel, Porträts und Geschirr aus aller Welt, neue Produkte, wie Biergläser oder Kakaotassen gehörten zu den Wohnungseinrichtungen. Mode wie Schmuck strahlten Weltgewandtheit aus. Cafés, Konditoreien und Gasthäuser, die Leckereien aus aller Welt anboten, sowie Orte, wo dem Spiel und der Körperertüchtigung nachgegangen werden konnte, zeugen von dieser Vitalität.67 Diese alltägliche soziale Integration im Privatbereich, ermöglicht durch den Erfolg im Handelswesen, setzte sich im öffentlichen Sektor fort. Viele der Händler, die in Livorno dauerhaft lebten und dort Immobilien erwarben,68 erhielten das Stadtbürgerrecht und waren anschließend in der Stadtregierung tätig.69 63 64 65 66

67 68

69

Goethe: Reise durch Italien, S. 121f. Frattarelli Fischer: Lo sviluppo di una città portuale, S. 294f. Frattarelli Fischer: Lo sviluppo di una città portuale, S. 305f. Salomone Ambron, gebürtig in Rom, erhielt 1800 durch Heirat die Privilegien der jüdischen Nation von Livorno, wo er und seine Familie nun auch lebten. ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2610, S. 196. Bewilligung für ein Kaffeehaus und einen Billiardsalon 1749 und 1780: ASL, Governo civile e militare di Livorno 1764–1860, Serie VIII, Nr. 961/35, Blatt 181, 182. Der jüdische Hauskäufer Menahem de Daniel Ferro forderte 1660, keine gabella – eine Steuer – beim Kauf seines Hauses in Livorno bezahlen zu müssen. Siehe ASL, Governatore e Auditore, Nr. 2607, S. 121, 130. Der Besitz von Wohneigentum wurde im 17. Jahrhundert zum Eingangstor in das po-

136

II. Italia felix für Händler

Auch Livorno wurde von Italienreisenden geschätzt. Der deutsche Schriftsteller Johann Georg Keyssler (1693–1743) beschrieb die Stadt als ,,Paradies der Juden“, von Archenholtz stellte ebenfalls fest, dass die Juden dort außerordentliche Freiheiten genossen. Auch vom jüdischen Aufklärer Isaak Euchel erfahren wir, dass Juden und Nichtjuden in Livorno ohne Ghettomauern friedlich Seite an Seite lebten.70 In der deutsch-jüdischen Öffentlichkeit wurde die Stadt noch Mitte des 19. Jahrhunderts als ,,Eldorado“ bezeichnet.71 Im 18. Jahrhundert sprachen die berühmte und viel gelesene Encyclopédie, ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers und der toskanische Ökonom Gian Ronaldo Carli in lobenden Worten von Livorno. Sein Hafen sei einer der bekanntesten, größten, sichersten und mit subtiler, ökonomischer Raffinesse geführter Häfen im Mittelmeer. Viele Beobachter werteten positiv, aber zugleich nichts sagend allgemein.72 Jagemann, der die Stadt im 18. Jahrhundert besuchte, sind auch die Schattenseiten dieses lukrativen Geschäfts mit toskanischen Waren wie Öl, Wein und Marmor aufgefallen. Viele Handelsrouten gehörten zum Einzugsgebiet von Seeräubern, derer Übergriffen sich mit Livorno handelnde Schiffe mit Gewalt erwehren oder Schutzgelder zahlen mussten.73 Das Primat des Hafens und des dortigen Handelsaufkommens sowie die innovative Urbanisierung sicherten der Stadt vorbild- und modellhaftes Wachstum und Wohlstand. Obwohl andere Städte im Innern des Landes eine ruhmreichere Vergangenheit und eine attraktivere Architektur vorzuweisen hatten, zeigte sich die europäische Kulturelite begeistert von der Dynamik Livornos. Diese Aufwertung basierte laut der Enzyklopädie auf dem politischen Willen der Machtzentrale. Die Regierung um Cosimo I. wurde hoch gerühmt. Die Rede war von einem gouvernement éclairé, der laut Montesquieu durch Genialität aus einer Sumpflandschaft die florierendste Stadt Italiens

70 71 72 73

litische und juristische Leben der Stadt, nur so konnte man an die Vorrechte der Stadtbürgerschaft gelangen. Frattarelli Fischer: Lo sviluppo di una città portuale, S. 318f. Dubin: The Port Jews, S. 134. Wyrwa: Juden in der Toskana, S. 5. Die Enzyklopädie wurde von Diderot und d’Alembert herausgegeben. Fettah: Du modèle au contre-modèle, S. 12. Jagemann sah nicht, dass Hafenstädte durch die Piraterie auch finanziell profitierten, indem sie als Schutzmacht Teile der Beute erhielten. Positiv bewertete er die Politik Peter Leopolds. Er habe seiner Meinung nach die Toskana wirtschaftlich weit nach vorne gebracht, indem er zukunftsweisende Gesetze auf dem Gebiet der Landwirtschaft, der Politik, der Kirchendisziplin und des Rechts erlassen hatte. Konkret meinte er die Abschaffung der Zunftgesetze und die Lancierung der Freiheit des Weizenanbaus. Durch diese Neuerung konnte jedes Individuum selbst entscheiden, in welcher Form es Handel treiben wollte. Der Handel war nun nicht mehr bestimmten Klassen vorbehalten. Die Weizenanbaufreiheit erlaubte den toskanischen Bauern, soviel Weizen anzubauen, wie sie glaubten, verkaufen zu können. Von ebenso großer Bedeutung war die Unterstützung Leopolds bei der Ausweitung des Handels nach Asien. Bader: Illusion und Wirklichkeit, S. 115, 168, 177, 180, 209f.

3. Mental Maps und Pragmatic Facts: Imagination und Wirklichkeit

137

erschaffen hatte.74 Das erfolgreiche Hafenkonzept stand so ganz im Dienste eines politischen Ideals, der durch die Vernunft aufgeklärten Monarchie. Von Archenholtz greift diese Verbindung von Politik mit Wirtschaft auf. Trotz der Nähe zum Konkurrenten Genua hätten die politischen Entscheidungsträger durch eine tolerante und merkantilistische Politik den Reichtum vermehrt. Es würden zwar Altertümer oder Galerien fehlen, was man von einer so jungen Stadt nicht erwarten könne, doch die Industrie, sprich die Fabriken, und der Hafen seien primär wichtig. Allein die Gastfreundschaft bzw. ihr Fehlen ist von Archenholtz negativ aufgefallen. Er beklagt sich darüber, dass ein Fremder wie er im Schauspielhaus den doppelten Eintrittspreis bezahlen müsse.75 Johann Caspar Goethe bereiste Livorno im Frühling 1740. Dort fiel ihm die Reinlichkeit der Straßen auf. Die städtische Architektur bezeichnete er als bescheiden, was nach ihm für eine reine und junge Handelsstadt nicht unüblich war. Während es an schönen Kirchen und Altertümern fehlte, konnte man dagegen in Livorno mit den ,,unterschiedlichsten Völkern“ der Welt und mit ,,gesitteten Menschen“ in Kontakt kommen. Er beschreibt die Existenz diverser Religionsgruppen und ihrer Kulthäuser (Kirchen, Moscheen, Synagogen). Besonders die Juden haben sich laut Goethe wohl gefühlt, Livorno galt als jüdisches Paradies, ohne Ghettotore. Seiner Beschreibung nach erfuhren nur die Protestanten Benachteiligungen. Eine weitere Folge des Kosmopolitismus, bzw. des Umstands dass viele Junggesellen vor Ort waren und Männer ohne ihre Familien – waren die vielen öffentlichen und privilegierten Prostituierten. Viele Kaufleute hielten sich zudem in ihren Haushalten dunkelhäutige Sklaven als Knechte und Mägde.76 Im 19. Jahrhundert scheint sich die Stadt verändert zu haben, vielleicht auch nur die Perspektive der Beobachter. Livorno verlor seine Beispielhaftigkeit. Dies wurde im Verlauf der französischen Besatzungszeit deutlich sichtbar. In den französischen Rapporten wurde bemängelt, dass dem Handel alles untergeordnet, ja sogar geopfert wurde und dass eine rege Handelstätigkeit alleine nicht ausreiche, um Weltformat zu erreichen. Es fehle an Annehmlichkeiten wie Brunnen, Spazierpromenaden und Spitälern.77 Die einst positiv bewertete Funktionalität hatte nun einen umgekehrten Effekt. Die veränderten Empfindungsmuster der europäischen Elite im 19. Jahrhundert machten aus dem früheren Vorteil einen Nachteil. Gerade in diesem Jahrhundert der großen technischen Errungenschaften rückten viele, die den Süden Europas bereisten, kulturelle Entwicklungen und die landschaftliche wie architektonische Schönheit in den Mittelpunkt, während sie wirtschaftlich-pragmatische Errungenschaften übersahen oder als Nachteil 74 75 76 77

Fettah: Du modèle au contre-modèle, S. 14. Bader: Illusion und Wirklichkeit, S. 50. Goethe: Reise durch Italien, S. 328f. Fettah: Du modèle au contre-modèle, S. 15.

138

II. Italia felix für Händler

wahrnahmen. Stendhal zum Beispiel stellte fest, dass die Stadt alles habe, was es zum Handeln brauche, mehr aber auch nicht. Das Meer sei traurig und die Straßen breit und gerade. Ähnlich attestierte der Reiseführer Baedeker der Stadt, modern zu sein, doch es fehle ihr an Kunstdenkmälern. Auch lokale Eliten bemängelten die kulturellen Schwächen der Stadt. Dieser Verfall konnte nicht mehr durch die wirtschaftliche Stärke kompensiert werden, denn diese hatte sich längst in die Konkurrenzstädte wie London, Liverpool und Genua verlagert.78 Auf der politischen Ebene hatte sich das Image der Stadt ebenso verändert. Die toskanischen Herrscher regierten nach der Französischen Revolution despotischer, wie wiederum Stendhal beobachtete. Ihre Modellfunktion verschwand, aufklärerische Werte traten in den Hintergrund. Einen Werteverlust glaubten auswärtige Beobachter auch in der Bevölkerungsstruktur festzustellen. Livorno galt als Sammelbecken von Räubern, wie es Dickens formulierte oder als schmutziges Hafenquartier, so die Aussage von Edmond de Goncourt. Diese Anschuldigungen galten vor allem der Hafenbevölkerung, die sich im Viertel Nuova Venezia konzentrierte.79 Der französische Konsul beschrieb diesen Teil der Stadt, in dem viele Ausländer lebten, als Ort des Schmuggels, des Diebstahls und der Morde.80 Auch Marie StaehelinVischer glaubte im Hafenareal nur Sträflinge, Mörder und Diebe gesehen zu haben.81 Diese (Vor)urteile führten zu einer weiteren Abwertung des Hafens und somit der ganzen Stadt. Das urbane Flair einer erfolgreichen Stadt war verflogen, der Hafen galt nur noch als verdorbener Hort krimineller Ausländer. Das Interesse der reichen Elite verschob sich an die Südküste, weit weg vom Hafen. Für diesen interessierte sich niemand mehr, die Landschaft und die Schönheiten der Küste rückten in den Mittelpunkt.82 Der Hafen wurde stigmatisiert, Adjektive wie ,,gefährlich“ und ,,ungeordnet“ wurden mehr und mehr mit ihm in Zusammenhang gebracht. Diesen Ruf sollte er bis ins 20. Jahrhundert behalten, als die Stadt erneut zum Brennpunkt revolutionärer Arbeiter wurde.83 78 79 80

81

82 83

Fettah: Du modèle au contre-modèle, S. 16. Fettah: Du modèle au contre-modèle, S. 17. Die Baslerin verbrachte aus Gesundheitsgründen ein Jahr im milden Klima Livornos und Pisas. Sie schrieb ihre Eindrücke in einem Tagebuch nieder. Staehelin-Vischer: Il mio viaggio in Italia. ,,Um sechs trafen wir im Hafen ein. Ich kann nicht beschreiben, welchen Eindruck diese Stadt auf mich gemacht hatte. Ich glaubgte, in Algier zu sein. Alles schien mir so fremd, so schmutzig; verschiedene Gruppen von Zuchthäuslern, rot gekleidet die Mörder, gelb die Diebe, waren mit der Reinigung des Hafens beschäftigt. Mit ihren Besen kamen sie uns so nahe, dass sie uns ihre Hände entgegenstreckten, um uns um ein Almosen zu bitten. Es war wirklich ein widerwärtiges Schauspiel.“ Staehelin-Vischer: Il mio viaggio in Italia, S. 27f. Fettah: Du modèle au contre-modèle, S. 18. 1921 wurde im Hafenviertel Livornos die kommunistische Partei Italiens gegründet. Fettah: Du modèle au contre-modèle, S. 19.

3. Mental Maps und Pragmatic Facts: Imagination und Wirklichkeit

139

Das Leben in Livorno war nicht einfach wegen der schlechten Luft, der Knappheit der frischen Lebensmittel und der starken Präsenz von Soldaten in der Stadt. Diese Nachteile versuchte die Stadt zu kompensieren, indem sie die produktive Geschäftigkeit und die Zuteilung der Häuser amtlich förderte. Die Häuser wurden zu guten Konditionen vermietet oder sogar teilweise gratis zur Verfügung gestellt. Bei den unterschiedlichen Häusertypen sah man deutlich die Hierarchie, die in der Stadt vorherrschte: Die Reihenhäuser für die Handwerker waren kleiner als die Einzelhäuser der Händler und der Beamten des Großherzogtums, zudem lagen Letztere an der Hauptstraße und wurden nicht nach Ethnien unterteilt. Die Händler (mercanti) mit ihren Lagerhallen waren weniger zahlreich als die Handwerker, Hafenarbeiter und Kleinhändler (commercianti) in den kleinen Betrieben. Später stieg die Anzahl der Händler stetig an. Zeitgleich zog das Konsularwesen an. So zog 1592 der spätere französische Konsul an die Via Ferdinanda. Drei Jahre später wurde in derselben Straße die erste Synagoge eingerichtet, womit auch die Zahl der unternehmerisch tätigen Juden anstieg. Aus Wien gelangte Mattias Bonnedt 1597 nach Livorno, wo er das deutsch-alemannische Konsulat übernahm. Im selben Jahr eröffnete das englische Konsulat. So erreichte die Stadt in kurzer Zeit eine Wichtigkeit und Zentralität, die man im Jahre 1590 – vor der Livornina – kaum erwartet hätte. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurde die Eingliederung der Griechen, später der Armenier, und der Juden durch die Errichtung einer griechischen Kirche und einer Synagoge unterstützt. Trotz der Bestrebungen Roms, die Juden auch in Livorno auf ein Ghetto beschränken zu lassen, konnten sie ihr Zuhause frei wählen, sogar in der Nähe des christlichen Zentrums der Stadt, des Doms. Die Bevölkerung war hauptsächlich männlich, Soldaten und Junggesellen, was nicht unüblich war für eine Stadt am Meer bzw. Grenzstadt (città di frontiera). Um das handwerkliche und kleinhändlerische, ökonomische Zentrum herum bildeten sich Back- und Sägewerke sowie Piraterie- und Waffenschmuggelbetriebe. Am Anfang des 17. Jahrhunderts gab es Pläne, um die Stadt herum Wassergräben anzulegen. Für diese Arbeit kamen viele Arbeiter auf der Suche nach Beschäftigung und Verdienst nach Livorno. Das System der Wassergräben wurde 1604 eingeführt und machte aus Livorno 1606 endgültig eine Stadt. Im selben Zeitraum suchte die Stadt nach Bürgern, die ihr zusätzlich neue Impulse in der Verwaltung und dem Sozialwesen gab. Da man jedoch kaum geeignete eigene Personen fand, wurden ausländische Vertreter ausgewählt. Es handelte sich um katholische Kaufleute oder Konsuln aus dem Ausland, so etwa aus Irland, Holland, Genua, England, Frankreich, Griechenland, Österreich oder Portugal. Sie wurden Bürger der Stadt und gehörten so bald der lokalen Elite an. Sie übernahmen die Aufgabe, zwischen den nichtkatholischen Ausländern, dem Großherzog und den Händlern zu vermitteln. Dieser Prozess der Urbanisierung und der Integration der Fremden war langsam und komplex.84 84

Frattarelli Fischer: La costruzione e il popolamento di Livorno, S. 93f.

140

II. Italia felix für Händler

Grundsätzlich kann konstatiert werden, dass die Sicht der Reisenden auf Livorno je nach Zeit sehr unterschiedlich war. Während die Einen die dominante wirtschaftliche Ausrichtung bemängelten und sich mehr Kulturgüter wünschten, störte diese Tatsache Andere kaum. Hafen und Handel waren die prägenden Faktoren der Stadtbilder. Für beide Städte gilt, dass niemand sie teilnahmslos verließ, sie wirkten polarisierend. Man mochte oder verachtete das kosmopolitische und ökonomische Treiben, eindeutig positive wie negative Kritik war die Folge. Langeweile spielte in den Reisebeschreibungen über Ancona und Livorno keine Rolle. Die Reisenden stillten ihre Abenteuerlust, selbst wenn das Gesehene nicht gefiel. Während sie also das Spezielle an den Städten prinzipiell faszinierte, wählten die Kaufleute die Städte nach fallspezifischen Kriterien aus. Nur wer aus ihrer Sicht mehrheitlich positive Signale ausstrahlte, wurde als Arbeitsplatz und Lebenswelt ausgewählt.

4. Stadt der Zukunft oder Inbegriff der Hässlichkeit: Ancona und Livorno – Italia felix? Viele Städte bildeten im 16. Jahrhundert die ,,Knoten“ des mediterranen Handelsnetzwerks, verbunden durch die ,,Kanten“, die agierenden, mobilen Kaufleute bzw. den zwischen ihnen bestehenden Beziehungen. Ancona und Livorno gelang es im Wechselspiel zwischen Fremdbestimmung und Eigeninitiative kreativ Akzente zu setzen und aktiv Migranten auf der Flucht vor politischen Neuordnungen oder auf der Suche nach neuen Wirkungsfeldern für ihre Städte zu gewinnen. Die Reconquista auf der Iberischen Halbinsel und der territoriale Vormarsch der Osmanen gegen Nordwesten hatten große Migrationsbewegungen zur Folge. Kleine, unbedeutende Städte – bei Livorno kann im 16. Jahrhunderts von einem Dorf gesprochen werden – sahen hier ihre Chance für eine Entwicklung der eigenen Wirtschaft und Kultur. Angetrieben durch die Zentren der politischen Verwaltung, Rom und Florenz, wurde der Raum auf Zuwanderer ausgerichtet. Priorität genoss eine kleine Gruppe von Händlern, da sie über große Vermögen, nützliches Wissen und weit reichende Verbindungen verfügten. Die vielen ungebildeten Migranten wurden als einfache Arbeiter und Angestellte geschätzt, aber kaum gefördert oder gezielt angeworben. Die Erlasse der Päpste im Verlauf des 16. Jahrhunderts und die Livornina der Medici aus den Jahren 1591/1593 waren Einladungen an Händler aus aller Welt. Diese zu Papier gebrachten Ideen – die Aussicht auf wirtschaftliche wie religiöse Freiheiten – wurden in der Regel auch in die Tat umgesetzt. Ancona und Livorno bauten eine primär auf den Handel ausgerichtete Infrastruktur auf. Der Ausbau des Hafens, die Bereitstellung von Lager-, Büro- und Wohnräumen sowie die seuchenkontrollierenden Lazarette waren die sichtbaren Resultate. Doch auch religiöse Bedürfnisse wurden architektonisch umgesetzt. Synagogen und weitere Gotteshäuser wurden errichtet, Grundstücke für Friedhöfe freigegeben. Diese Phase des Aufschwungs dauerte das ganze 16. Jahrhundert. In den folgenden Dekaden mussten die beiden Städte mehrmals Krisen überwinden. Die starke Konkurrenz aus Venedig und Nordwesteuropa (Frankreich, Holland, England), die Pest, die Piraten und politische Auseinandersetzungen machten beiden zu schaffen. Während Ancona darunter fast zugrunde ging, konnte sich Livorno besser halten. Das antijüdische Verhalten der Päpste, der zunehmende Rückzug einflussreicher ragusanischer Händler aus dem Wirtschaftsleben und weitere Faktoren wie die adriatische Piraterie oder die Erdbeben in Ancona und Ragusa hallten lange nach. Erst wieder mit der Ein-

142

II. Italia felix für Händler

führung des Freihafens 1732 erreichte Ancona eine kurze Wiederbelebung. Livorno dagegen konnte dank der Politik der Medici seinen Aufschwung konservieren. Die fremdenfreundliche und auf tiefe Steuern und Zölle basierende Politik hatte lange Zeit Erfolg. Im späten 18. und schließlich im 19. Jahrhundert verloren beide Städte vermehrt an Bedeutung. Immerhin gelang es Ancona und Livorno, sich über mehrere Jahrhunderte hinweg im positiven Scheinwerferlicht zu präsentieren. Die Investitionen in die urbane Wirtschaft, der Wechsel von Machthabern und die Verwirklichung von neuen Planungskonzepten waren nur die Auswüchse an der Oberfläche. Die grundlegenden Ideen, die in einer Stadt erschaffen, umgesetzt und akzeptiert werden, die Kennzeichen eines ,,praktischen Sinns für eine Stadt“,1 werden erst in den mentalen Landkarten erkennbar. Im 16., zum Teil auch noch im 17. und 18. Jahrhundert deckten sich in Livorno und Ancona die herrschaftlichen Bilder vom idealen Immigranten, der seine Funktion – entweder als Kapital kumulierender und Abgaben zahlender Händler oder fleißiger Arbeiter – in der für ihn ausgerichteten und geformten Stadt erfüllte, mit den Vorstellungen verschiedener Diasporagruppen, wo und wie sie ihre erfolgreiche Zukunft gestalten wollten, weitgehend. Als die Wünsche und Hoffnungen durch legislative und infrastrukturelle – seitens der Gastgeber – sowie unternehmerische und kaufmännische – durch die diasporischen Händler – Investitionen ins Reale begleitet wurden, blühten die Städte auf. Die einfachen Arbeiter konnten nur ihre Arbeitskraft einbringen, sie waren deshalb austauschbar und kaum in die Stadtentwicklung involviert. Die sinnkonstituierenden Strukturen, die die kosmopolitischen Städte innerlich zusammenhielten, entstanden aus der offenbaren Kongruenz der Imaginationen der sozial dominanten Köpfe. Sowohl die Entscheidungsträger in Florenz respektive Rom als auch zahlreiche einflussreiche Geschäftsleute aus aller Welt waren davon überzeugt, dass der Weg zum glücklichen Leben in Ancona und Livorno über den finanziellen Erfolg führen müsste. So entstand der gemeinsam getragene, arme Mitbürger ausschließende, merkantile Geist, der davon ausging, dass der Partner durch seine Arbeitsfunktion dieselben Ziele verfolgte, die man selbst anstrebte. Es entstand eine trügerische, auf scheinbar identischen Vorstellungen aufgebaute Eigenlogik. Diese bestand in Ancona und Livorno in der Frühen Neuzeit darin, dass sich die Protagonisten der Städte stillschweigend einig waren, wie die Zukunft zu gestalten war: Beide Seiten strebten den ökonomischen Erfolg gezielt und konsequent an. Doch die Umsetzung der Vorstellungen klappte nicht immer und sofort. Während die Steuer- und Gebührensenkungen rasch und ohne Zwischentöne für alle verwirklicht wurden, gestaltete sich die Konkretisierung religiöser Toleranz umständlicher. Die antijüdischen Agitationen von Papst Paul IV. in Ancona 1555 und der schwierige, lange Weg zur Anerkennung der Protestanten

1

Löw: Soziologie der Städte, S. 18.

4. Stadt der Zukunft oder Inbegriff der Hässlichkeit

143

in Livorno waren die Speerspitzen eines Kosmopolitismus ohne wirkliche religiöse Freiheit. Daraus lässt sich schließen, dass das städtische Leben mehr ein Nebeneinander denn ein Miteinander war. Die ausländischen Kaufleute waren als Geld- und Arbeitgeber willkommen, als Menschen mit religiös-kulturellen Eigenheiten geduldet. So ist es nicht verwunderlich, dass viele merkantile Diasporagruppen Ancona und Livorno verließen, als sich die konjunkturelle Lage verschlechterte; oder ihr Geld in sichere Anlagen (etwa Immobilien) investierten, was den Handel hemmte, ihre soziale Integration in die Stadt jedoch förderte. Es ist weiter keine Überraschung, dass es die ragusanischen Händler waren, die sich am besten integrierten. Einige ihrer Mitglieder wurden sogar in den anconitanischen Adelsstand berufen. Ihre Attribute – reich, katholisch und kulturell verwandt – passten perfekt ins Bild des idealen Immigranten. Zentral für die Attraktivität einer Stadt ist das Zusammenspiel zwischen Image und kognitiver Landkarte. Wenn es Orten gelingt, nachhaltige positive Marken im Vorstellungsvermögen der Menschen festzusetzen, dann ist die Chance groß, dass die dabei entstandene Identifikation mit einer möglichen positiven Zukunft dazu führt, dass Menschen ihre gewohnte Umwelt verlassen und ihr Glück anderswo suchen.2 Doch kann die gewünschte sorglose Zukunft nicht wirklich geplant werden. Die offensichtlichen Flucht- (Kriege, Seuchen, Armut, Vertreibungen) und Anziehungsgründe (Toleranz, Reichtum, Sicherheit) waren Anhaltspunkte der Migration, doch eine Garantie, dass in Ancona und Livorno alles besser wird, gab es nicht. Einerseits wussten die Stadtherren nie genau, wie ihre Imagekampagnen ankamen, wer sich davon angezogen fühlen würde, und wie lange damit die nicht immer paradiesische soziale Realität überdeckt werden konnte. Andererseits konnten sich die Kaufleute kaum auf ihre mental maps verlassen. Die Diskrepanz zwischen Vorstellung und Wirklichkeit konnte groß sein, die Enttäuschung demzufolge auch. Doch offenbar waren die rosigen Aussichten vielen Menschen die Reise wert – sie glaubten an das Glück in Ancona und Livorno. Die Imaginationen, die fremde Kaufleute in diese Städte zogen, ihre mental maps von Ancona und Livorno, deckten sich in vielerlei Hinsicht mit den obrigkeitlichen Ideen. Die Realität sah mitunter anders aus. Italia felix war ein futuristischer Motivationsblock, der eine große Eigendynamik entwickelte. Die diasporischen Vorstellungen waren verzerrt, übersahen negative Strukturen oder mangelnde Einflussnahmemöglichkeiten. Die kurzfristigen Erfolgsaussichten überblendeten die möglichen Mängel. Denn ihre Suche nach Glück war auf die Zukunft ausgerichtet – im Moment ist das Glück so flüchtig, dass es schwer zu benennen und zu fassen ist. Die Unsicherheit bezüglich der eigenen Zukunft machte sie anfällig für Bilder und Träume, die sie in einer Art Tunnelblick verfolgten und die Nebenspuren übersahen. Diese Verzerrungen und Einengungen waren ihnen im Voraus nicht bekannt und deshalb

2

Bruni: The ,,Technology of Happiness“, S. 40; Gilbert: Ins Glück stolpern, S. 357f.

144

II. Italia felix für Händler

erst im Nachhinein steuer- und korrigierbar. Sie erleichterten aber die mentale Übereinstimmung mit den Stadtarchitekten (Medici und Papst), da das kritische Denken der Kaufleute gegenüber den oft eigennützlich agierenden Herrschern noch nicht ausgeprägt war – wenn überhaupt – dann erst nach negativen Erfahrungen wie den Judenverfolgungen zogen die Händler ihre Lehren daraus und verließen die Städte. Die vereinte Ansicht, dass das Primat der Wirtschaft und die damit einhergehende Fokussierung auf das finanzielle Wohl zentrale Punkte der Lebensgestaltung seien, hielt lange Zeit an. Die politischen und die kaufmännischen Eliten waren zwar eine Minderheit, doch mit ihrem Geld und ihrem Einfluss trafen sie sich in ihren dominierenden Bildern. Die Anderen fielen hintenüber, formten das Bild nicht mit. So entstand das herrausstechende Handelsprimat. In der jeweiligen Gegenwart bedeutete Glück häufig einfach nur ein normales Leben und relative Sicherheit. Mit dieser Dualität von mental maps und pragmatic facts standen Ancona und Livorno nicht allein. Viele Städte im Mittelmeerraum folgten einer ähnlichen inneren Gesetzmäßigkeit. Dies wird durch die Konkurrenz von Venedig, Triest und anderen Städten und Freihafenmodellen zu Ancona und Livorno klar erkennbar. Diese von hohen sozialen Schichten getragene und verinnerlichte Haltung, durch welche Umstände Ancona und Livorno ins Glück stolpern könnten, trug habituelle Züge. Ein merkantiler Habitus dominierte die mentalen Landkarten, das Kapital und der Handel prägten das reale Stadtbild. Italia felix wurde gedacht und – manchmal – gelebt.

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion im öffentlichen Raum der Balkanhalbinsel von Ivo Haag, Desanka Schwara und Marcel Gosteli

1. Ragusa und Belgrad1 Spatial turn und cultural geography setzten neue Akzente beim Blick auf die Orte menschlicher Präsenz.2 Neuere Forschungen betonten vor allem die fließenden Grenzen zwischen privat, öffentlich und halbprivat und erweiterten geographische Räume um die mentale Symbolik menschlicher Vorstellungswelten:3 Orte der Arbeit (der Acker, das Bergwerk, die Mühle, der Hafen, das Kontor, der Laden, die Werkstatt, die Fabrik, der Hof), Orte der Begegnung (der Salon, der Verein, das Kaffeehaus, der Brunnen), Orte der Privatsphäre (das Wohnzimmer, die Küche, das Kinderzimmer), Orte der Planung, Verwaltung und Repräsentation (die Kanzlei, das Rathaus), Orte der Bildung, Darstellung und Geselligkeit (der Lesezirkel, das Theater, das Fest, die Schule, die Universität), und die mit besonderen Lebenssituationen verknüpften Orte: die Kaserne, das Gericht, das Gefängnis, das Krankenhaus, und schließlich der Friedhof.4 Dies alles waren Orte der Präsenz, der Aktion und Interaktion von praktischer wie auch symbolischer Bedeutung. 1

2

3 4

Ivo Haag begleitete unser Projekt während der ersten beiden Jahre. Da viele seiner Quellen und Textfragmente hier integriert sind, wird er mit seinem Einverständnis als Co-Autor genannt, obwohl er für die Endfassung des Beitrags nicht verantwortlich zeichnet. Jérôme Brugger begleitete das Projekt während eines Jahres. Ihm danken wir insbesondere für einen Teil der Quellen aus den Archiven Belgrads, die er uns freundlicherweise zur Nutzung anvertraut hat. Zu ,,spatial turn“ und zur ,,cultural geography“ gibt es unzählige Handbücher, Einführungen und Monographien vor allem aus dem angelsächsischen Raum, hier eine Auswahl: Bachmann-Medick: Spatial Turn. In: dies.: Cultural Turns, S. 284–328; Raumparadigma. Hg. von Döring; Löw: Raumsoziologie; Schlögel: Im Raume lesen wir die Zeit. Zur ,,cultural geography“ u. a.: Anderson: Understanding Cultural Geography; Cultural Geography in Practice. Hg. von Blunt u. a.; Norton: Cultural Geography. Zum Beispiel Crang: Cultural Geography, und viele andere. Orte des Alltags. Hg. von Haupt. Religion und Religiosität, die bis zum Aufkommen moderner Nationalstaaten das öffentliche wie auch das private Leben ganz wesentlich strukturierten, spielen in diesem Werk eine sehr untergeordnete Rolle. Zwar schneiden die Kapitel ,,das Fest“ oder ,,der Friedhof “ das Thema an, jedoch wird zum einen dargelegt, wie der nationale oder politische Feiertag die kirchlichen Feste allmählich verdrängt, und zum anderen wird ein magischer und ,,unzivilisierter“ Ort der Gemeinsamkeit (Tiere streifen dort ungehindert herum, zwielichtige Geschäfte werden abgewickelt) und der Ausschließung beschrieben (totgeborene Kinder oder Frauen, die im Kindbett starben, wurden an der Peripherie begraben). Heidnische und volksreligiöse Begräbnisformen, etwa die Tradition des Begräbnisses unter einem Baum in den slawischen Ländern Zentraleuropas und im Mittelmeerraum wurden im Laufe der Christianisierung nur teilweise symbolisch durch das Kreuz verdrängt, das auf die Gräber gesetzt wurde; ein Brauch, den die Reformation wieder zu nivellieren versuchte. Die von Prälaten und religiösen Orden initiierte Bestattung ad sanctos in den Kirchen selber bewirkte, dass das Gleichgewicht zwischen Kirche und Friedhof aus dem Lot geriet (insbesondere im Mittelmeerraum), in der Folge die ausgelagerten Nekropolen und Zentralfriedhöfe entstanden und die Gemeinde sich um die Verwaltung zu kümmern begann.

148

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

Der öffentliche Raum wird von Individuen wie Machtverhältnissen strukturiert. Die politischen Rahmenbedingungen, soziale und wirtschaftliche Gegebenheiten beeinflussen und gestalten den Umgang mit der Kategorie Raum mit.5 Daran anknüpfend untersuchen wir im Folgenden, wie die Mitglieder von Diasporagruppen oder verschiedener sozialer Systeme miteinander umgegangen, wo, wie und weshalb sie miteinander in Berührung gekommen sind. Ragusa war als wichtiger Übergang von See- und Landhandel sowohl ökonomisch als auch in den zeitgenössischen mental maps von zentraler Bedeutung.6 Belgrad galt als wichtiger Knotenpunkt der Verkehrswege zu Land und auf der Donau, insbesondere seit der osmanischen Eroberung der Stadt 1521 und der kurz darauf folgenden Integration der gesamten Heeresstraße von Buda nach Konstantinopel bzw. Istanbul ins Osmanische Imperium.7 Wenngleich das Handelsnetz der Ragusaner deutlich zeigt, dass die wirtschaftlichen Verflechtungen einen Raum (mit)konstituieren, haben auch militärische Fronten und politische Grenzen in ihren wechselnden Verläufen den Raum wesentlich geprägt. So durchdringend die Grenzerfahrung für die Bewohner beider Städte auch war, so emblematisch entwickelte sich in ihren wirtschaftlichen und verkehrstechnischen Netzwerken eine Dynamik in religiöser, sprachlicher, ethnischer und sozialer Hinsicht.8

1.1 Ragusa Die Siedlung Rausium, später Ragusium und Ragusa genannt, soll um 614 n. Chr. von romanischen Flüchtlingen aus den von Awaren und slawischen Stämmen zerstörten römischen Städten Dalmatiens auf einer kleinen felsigen Insel gegründet worden sein. Diese neue Siedlung wurde von einem unmittelbar miteinander verschmelzenden romanischen und einem slawischen Teil gebildet. Durch die strategische Bedeutung profilierte sich Ragusa zu ei-

5

6

7

8

Hunt: Psychologie, Ethnologie und ,,linguistic turn“; Iser: Das Fiktive und das Imaginäre; Sarasin: Diskurstheorie. Zur Bedeutung und Funktion von Alltagsnormen siehe: Rules and Meaning. Hg. von Douglas Hull. Braudel: Mittelmeer, S. 464. Einen Überblick über die ökonomische Situation bietet: Carter: Commerce. Kreiser: Staat, S. 20. Einführend in die Geschichte Ragusas siehe Gozzi: Libera e Sovrana Repubblica; Rheubottom: Age, Marriage, and Politics; Von Mettenheim: Republik Ragusa. Zu ,,mental maps“ siehe den Beitrag von Patrick Krebs in diesem Band. Zur Heeresstraße: Jireček: Heerstraße. Zur Bedeutung Belgrads im Verkehrsnetz: Heppner: Große Wasserstraßen; Mehlan: Handelsstraßen des Balkans; Popović: Von Budapest nach Istanbul. Das Leben an der Grenze zwischen Ragusa und dem Osmanischen Reich behandelt die Untersuchung: Miović: Na razmeđu.

1. Ragusa und Belgrad

149

ner einflussreichen Befestigungsstadt und einem Flottenstützpunkt. Zu ihrem Schutzpatron wurde schon sehr früh der Heilige Blasius auserkoren.9 Ragusa war stets in mehrfacher Hinsicht bedrängt. Die sich ab dem 8. Jahrhundert unter den Dogen zu einer starken Seemacht entwickelnde Lagunenrepublik Venedig, die sich für lange Zeit als die große Konkurrentin der ,,Blasiusrepublik“ herausstellen sollte, expandierte bis auf die Inseln Istriens, Illyriens und Dalmatiens. Die Ostkirche weitete ihrerseits ihre Einflusssphäre auf dem Balkan aus. Aus diesen kriegerischen Auseinandersetzungen vermochte sich Ragusa meist herauszuhalten, ohne zwischen den Rivalitäten Venedigs und Byzanz’ zerrieben zu werden und expandierte ebenfalls in die nahe Umgebung, allerdings gewaltlos. Im Zuge des ab 1356 zerfallenden serbischen Reichs gelang es der nun als Republik Ragusa auftretenden Stadt, ihr zuvor zersplittertes Staatsgebiet durch Ankauf derart zu erweitern, dass sie mit 150 Kilometern Küstenland und einigen Inseln über eine geschlossene Gestalt verfügte. Als Reaktion auf die konkurrierenden Machtansprüche Venedigs, Ungarns und verschiedener Fürstentümer nördlich und nordöstlich von Ragusa bemühte sich die Stadtrepublik – sehr zum Unwillen der christlichen Welt – um gute Beziehungen mit den aufstrebenden muslimischen Osmanen. Diese diplomatischen Kontakte legten den Grundstein für den Fortbestand der Republik und des Handelsverkehrs zwischen Orient und Okzident in den folgenden Jahrhunderten. Mitte des 15. Jahrhunderts wurde in einer Reihe von Fermanen (Erlass, Dekret) bekräftigt, dass allein ragusanischen Schiffen, als einzigen christlichen, die osmanischen Häfen offen stünden. Ragusaner konnten in den Gebieten des Sultans Handel treiben, mussten im Gegenzug aber einen jährlichen Tribut entrichten.10 Obrigkeitlicher Austausch und diplomatische Freundlichkeit hatten schon früh den Weg Ragusas in die verschiedenen Handelszentren des Osmanischen Reichs geebnet. Die ragusanischen Offiziellen hatten im Laufe der Zeit und der Auseinandersetzung mit der Pforte ein gutes Gefühl für die passenden Aufmerksamkeiten, Geschenke und Ehrbezeugungen für den Sultan und seine Beamten entwickelt. Das diplomatische Geschick war für Ragusa wichtige Voraussetzung, um das wirtschaftliche und politische Überleben sichern zu können. Eine wichtige vermittelnde Aufgabe erfüllten die ragusanischen Botschafter (poklisari), die jährlich mit dem Tribut nach Istanbul entsandt wurden. Man verpasste 1530 auch nicht die Gelegenheit, den Festlichkeiten zur

9

10

Während die Bezeichnung ,,Ragusa“ griechischen Ursprungs (,,Lausa“ = Felsen) ist und für die schroffe Beschaffenheit der Insel steht, geht der später gebräuchliche Name ,,Dubrovnik“ wohl auf das soviel wie ,,Wald“ oder ,,Hain“ bedeutende slawische ,,dubrava“ zurück. An der Stelle eines Eichenhains auf dem Festland direkt gegenüber der Insel wurde der slawische Teil gegründet. Caboga: Geschichte der Republik Ragusa, S. 15; Carter: Ragusa; Harris: Dubrovnik, 23f.; Von Mettenheim: Republik Ragusa, S. 22.. Miović: Dubrovačka diplomacija u Istambulu, S. 10–16. Der Tribut war in Form einer pauschalen harač zu entrichten.

150

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

Beschneidung der drei Söhne Süleymans des Großen beizuwohnen. Eigens zu diesem Anlass sandte Ragusa seine poklisari nach Istanbul. Der ,,Ceremoniale“, der Leitfaden für die Abwicklung der offiziellen Anlässe, legte zu Beginn des 18. Jahrhunderts das Zeremoniell zur jährlichen Entsendung der Botschafter fest: Hier wurde eine ausgefeilte Form ausgearbeitet, die sich auch auf ältere überlieferte Traditionen stützte. Alles war bis ins Detail festgeschrieben: der Empfang beim rector und beim Kleinen Rat, deren Ermahnung, den Interessen der Republik getreulich zu dienen, das Entgegennehmen der Instruktionen des Senats, und schließlich die Kleidung gemäß ungarischer Tradition und die offizielle Prozession zum Ploče-Tor. An der Spitze der Prozession gingen zwei Janitscharen in Grün, die die offizielle Mission zum Sultan und dessen Schutz symbolisierten, in Rot gekleidet folgten ragusanische Soldaten und die Dragomane mit ihren Studenten. In der Mitte kamen dann die zwei Gesandten, der ältere rechts, mit weiteren Soldaten, einem Kaplan und einem Chirurgen (sic!). Die Standartenträger beschlossen die Prozession, die die Gesandten an diesem Tag nur bis in die Vorstadt führte, wo weitere Instruktionen – auch die geheimen – und der harač übergeben wurden. Die Route führte die poklisari auf ihrem Weg nach Konstantinopel auch zu den ragusanischen Kolonien in Novi Pazar, Prokuplje, Priština, Sofia und Plovdiv. Auch diese Route war traditionell jedes Jahr dieselbe. Sie führte die Gesandten zu ihrem Aufenthaltsort während der Mission – zum Stadtteil Phanar in Konstantinopel bzw. Istanbul.11 Regiert von einem katholischen Patriziat hatte die Stadtrepublik andererseits eine starke kulturelle Bindung an das katholische Europa und erhielt sogar das Einverständnis des Papstes, mit den ,,Ungläubigen“ Handel zu treiben.12 Die päpstliche Bulle erlaubte nicht nur den Handel im Heiligen Land und in muslimischen Häfen, sondern auch den Transport von Pilgern. Darüber hinaus erhielt Ragusa die Erlaubnis, in Handelskolonien im Osmanischen Reich Konsuln zu beschäftigen, Kirchen zu erbauen und Friedhöfe anzulegen.13 Diese mehrfache östlich-westliche Verortung ist die Grundlage der herausragenden Bedeutung als Handelsmacht und bezeugt – zumindest bis ins 17. Jahrhundert – einen erfolgreichen Umgang der Republik mit den sich verschiebenden Grenzen der Imperien. Die Konzentration von Kenntnissen über den osmanischen Raum und der entsprechenden Infrastruktur für den Handel machte die Stadt zur Schnittstelle zwischen Mittelmeer und dem weiten Hinterland. Ragusa verfügte sowohl an den Landrouten der Balkanhalbinsel als auch in vielen Hafenstädten rund ums Mittelmeer über

11 12 13

Harris: Dubrovnik, S. 107f. Harris: Dubrovnik, S. 220. DAD, 22/XII/1433. Actae Sanctae Mariae Maioris, facs. XV. Jahrhundert (Briefe und Korrespondenz von außerhalb der Republik); Diversa Notaria, 18, Ordner 215–217 (Zivilverträge).

1. Ragusa und Belgrad

151

zahlreiche Niederlassungen und Handelskolonien.14 Bei den alten ragusanischen Kolonien gab es solche, die mit den osmanischen Eroberungen einen Niedergang erlebten wie Visoko, Srebrenica, Novo Brdo und Rudnik, aber auch solche, die unter osmanischer Herrschaft erst richtig erblühten, wie Sarajevo, Novi Pazar, Prokuplje, Travnik und Mostar. Die wirtschaftlich wichtigsten ragusanischen Kolonien befanden sich in Belgrad, Novi Pazar und Skopje, und noch weiter östlich, auf dem Gebiet des heutigen Bulgarien. Sie stützten sich vor allem auf die Landwirtschaft, aber auch auf den Bergbau, und hoben sich als Kommunikations- und Handelszentren an der Donau hervor: die älteren Kolonien in Sofia und Plovdiv, neuere Kolonien aus dem 16. und 17. Jahrhundert in Varna, Vidin, Silistra oder in Čiprovica. Ferner existierten wichtige ragusanische Kolonien in Konstantinopel, Saloniki, Alexandria und Candia in der Levante, in Venedig, Ancona, Sizilien und etwas später in Livorno auf der Apenninischen Halbinsel sowie in Valencia, Tortosa, Cádiz und Barcelona auf der Iberischen Halbinsel. Diese etablierten sich wohl erst im 16. Jahrhundert, obwohl schon im Jahre 1494 ein Handelsvertrag mit Spanien zustande kam, der eine enge, lang andauernde Verbindung zwischen beiden Staaten einleitete. Auch Fez in Marokko hatte eine ragusanische Kolonie. Das Handelsnetz Ragusas prägte die interne Struktur der Stadt maßgeblich. Neben der Präsenz vieler kleiner Handelskolonien verbündeter westeuropäischer Mächte15 war Ragusa für die jüdischen Emigranten nach deren Vertreibung aus Spanien und Portugal das Tor zur Balkanhalbinsel.16 Die ragusanischen Schiffe verloren allerdings nach der Seeschlacht von Lepanto 1571 ihre Monopolstellung im osmanischen Herrschaftsgebiet, als Frankreich im Einvernehmen mit der Pforte das Protektorat über die Christen im Osmanischen Reich übernahm.17 Der allmählich aufkommende und zunehmend die europäischen Märkte beherrschende Amerika- und Fernostseehandel schmälerte die Bedeutung der Levantehäfen als Umschlagplätze. Obwohl die Seehandelsrepublik von diesem Bedeutungsverlust massiv betroffen war, konnte Ragusa doch den wirtschaftlichen Status und in der Frühen Neuzeit de iure ständige Unabhängigkeit bewahren, wenn sie auch viele Einschränkungen in Kauf nehmen musste.18 Das Erdbeben vom 6. April 1667 erschütterte das Stadtbild mit seinen Renaissancegebäuden stark und leitete den schleichenden Niedergang der Republik ein. 1806 besetzten napoleonische Truppen die Stadt. 1808 14 15 16 17 18

Carter: Ragusa, S. 148f. Die internationalen Verbindungen und diplomatischen Missionen untersucht Mitić: Dubrovačka država. Burđelez: Role of Ragusan Jews, S. 190. Caboga: Geschichte der Republik Ragusa, S. 84f. Ob die Tributzahlungen Anzeichen genug für eine rechtliche Abhängigkeit waren, kann durchaus bestritten werden. Eine detailliertere Analyse von Rechten und Pflichten Ragusas gegenüber dem Osmanischen Reich für das 16. Jahrhundert nimmt Biegman vor: Biegman: Turco-Ragusan Relationship.

152

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

wurde Ragusa durch die Auflösung der Republik und die Einverleibung in die von Napoleon künstlich kreierten ,,Illyrischen Provinzen“ erstmals seiner Freiheit beraubt.

1.2 Belgrad Belgrad war zentraler Knotenpunkt verschiedener Handelswege in Südosteuropa. Seit 1521 gehörte die Stadt zum Osmanischen Reich und beheimatete verschiedene Religionsgemeinschaften: In Belgrad lebten mehrheitlich christlich-orthodoxe Serben und andere christliche Gemeinschaften sowie Muslime, Juden und andere Minderheiten. Seit den Regierungsjahren Sultan Mehmeds II., der 1453 Konstantinopel eroberte, war die christlichorthodoxe Kirche in das System der osmanischen Herrschaft eingebunden. Er hatte neue Richtlinien für die Verwaltung seiner zu beschützenden Christen und Juden im Rahmen des millet-Systems eingeführt. Durch eine verschärfte Kontrolle über die Gemeinschaft der Gläubigen hatte das ökumenische Patriarchat jene Grundlage gelegt, die mit den neuen Reformen zu einer gewissen Selbstverwaltung der Christen führte.19 Nicht zufällig kam es zur Herausbildung des Handelszentrums Belgrad an diesem nördlichen Grenzpunkt Serbiens, in gewisser Entfernung zum serbischen Herrschaftsgebiet am Rande der Pannonischen Tiefebene, wo sich die Flüsse Donau und Save vereinigen.20 Die Geschichte der Stadt war bestimmt vom Ringen fremder Mächte um sie und innerer um die Selbstbestimmung, was in den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Habsburgern, den Osmanen und der slawischen Mehrheitsbevölkerung seinen Ausdruck fand. Eine markante Zäsur bedeute die Eroberung Belgrads 1521 durch Süleyman I. im Rahmen der Expansion des Osmanischen Reiches, die den Charakter der Stadt nachhaltig veränderte. Mit ihrer Festung, die nun weiter ausgebaut wurde, erlangte die Stadt als Grenzstützpunkt entscheidende militärische Bedeutung und bot gute Voraussetzungen für zukünftige osmanische Eroberungszüge in Richtung Buda, das 1541 ebenfalls unter osmanische Herrschaft fiel. Belgrad entwickelte sich zu einer florierenden ,,orientalischen“ Stadt,21 die eine wichtige Rolle als Zentrum der Verwaltungseinheit des Sandžaks von Smederevo (Paschaluk von Belgrad) spielte,22 ebenso durch 19 20 21

22

Mazower: Der Balkan, S. 107f. Mazower: Der Balkan, S. 159f. ,,Etant donné que la frontière avait été déplacée loin vers le nord en l’an 1541, Belgrade est devenu donc, d’une ville frontalière fortifiée, une cité orientalement riche, abandonnée aux marchands, aux artisans, aux bateliers aux pêcheurs et aux hommes de plume, qui y trouvaient un tranquil ‘mont de méditation’.“ Samardžić: Belgrade, centre économique, S. 36. Die osmanische Verwaltungsstruktur brachte die Bedeutung Belgrads darin zum Aus-

1. Ragusa und Belgrad

153

ihre Verkehrslage als wichtige Station auf der Handels- und Heeresstraße von Buda nach Istanbul, sowie als Endstation für Schiffsreisen der großen Gesandtschaften auf der Donau.23 Die erfolgreichen osmanischen Vorstöße, die die Grenze des Osmanischen Reiches weit über Belgrad in Richtung Norden und Osten ausdehnten, stellten einen weiteren Faktor für die Stabilität und Prosperität der Stadt bis 1688 dar, als Österreich die Festung und die Stadt einnahm.24 Belgrad machte nach der ersten osmanischen Periode intensive Erfahrungen als Grenzstadt und als Stadt zwischen sich verschiebenden Grenzen. Dreimal, 1688–1690, 1717–1739 und 1789–1791 war die Festung in österreichischer Hand. Während die erste und dritte Änderung der Machtverhältnisse im Zuge andauernder kriegerischer Auseinandersetzungen nur für kurze Zeit anhielt, steht die zweite Phase für eine eigentliche österreichische Herrschaft und eine Neuausrichtung von Wirtschaft und Kultur.25 Österreich forcierte die Erneuerung des Stadtbilds und ließ alle sichtbaren Spuren osmanischer Präsenz entfernen. Die neuen Machthaber wiesen die muslimische Bevölkerung mit dem erklärten Ziel, möglichst viele Christen – insbesondere Katholiken – anzusiedeln, kurzerhand aus.26 Auch die Juden wurden in den Jahren der österreichischen Herrschaft strengeren Gesetzen unterworfen als unter den Osmanen. Selbst die katholischen Ragusaner hatten mit Restriktionen der österreichischen Verwaltung zu kämpfen.27 Mit dem Belgrader Frieden von 1739 fiel Belgrad wieder an das Osmanische Reich. Die Habsburgermonarchie behielt ihr Territorium bis an die Save. Damit entstand jene Grenzsituation, die bis 1918 das Leben in Belgrad prägte. Viele Bewohner – Katholiken, sefardische Juden und orthodoxe Christen – begaben sich auf das

23

24 25 26

27

druck, dass sie den Posten des sandžak-bey von Smederevo in der Regierungszeit von Suleiman dem Prächtigen zum vierthöchs dotierten Posten in Rumelien machte. Ursinus: Sancak, S. 595. Die Donau war im Bereich des Eisernen Tors erst nach Meliorationen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchgehend schiffbar. McGowan: Middle Danube cul-desac, S. 175f. Diese Blütezeit des osmanischen Belgrads nimmt auch Fotić als Rahmen für seine Untersuchung. Fotić: Belgrade. Am ausführlichsten zum österreichischen Belgrad Popović: Beograd pre 200 godina. Lebl: Do ,,konačnog rešenja“, S. 56f. So wurde der türkische Friedhof im Zentrum der Stadt durch neue öffentliche und private Bauten ersetzt. Mit der Errichtung des Smederevoer Bistums mit Sitz in Belgrad kam es auch zu verstärkter katholischer Mission. Anlässlich der Taufe einer Jüdin 1729 stand Prinz Karl Alexander selbst Pate. Juden bezahlten wie die ,,Zigeuner“ ein Kopfgeld und Gebühren für die Herstellung von Wein und die rituelle Schlachtung von Vieh. Zudem war ihnen der Erwerb von Immobilien untersagt. Ihre Ansiedlung wurde auf den Donauer Stadtteil beschränkt. So gab es zu diesem Zeitpunkt zwei jüdische Gemeinden in Belgrad, eine aschkenasische und eine sefardische, jede mit ihrem eigenen Rabbiner (Lebl: Do ,,konačnog rešenja“, S. 57). Zur Schwächung der Konkurrenz und aufgrund verschiedener Klagen wurde den Juden nur noch der Handel mit Glaubensgenossen gestattet. Popović: Srbija i Beograd, S. 104; Vinaver: O Jevrejima u Ragusau, S. 74.

154

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

andere Ufer der Save und der Donau, sofern sie von Österreich die entsprechende Erlaubnis bekamen.28 Armenier und Juden ließen sich hauptsächlich in Semlin (Zemun) und Novi Sad nieder.29 Semlin, nach der Eroberung 1717 die Grenzstadt Österreichs, lag auf der anderen Seite der Save, in guter Sichtweite der Belgrader Festung Kalemegdan30 und spezialisierte sich auf den Transithandel zwischen der Habsburgermonarchie und dem Osmanischen Reich. Die Kontakte zwischen Semlin und Belgrad waren intensiv, und beide Städte erweiterten gegenseitig den Handlungsspielraum. Die direkte Anbindung dieser Region an die Adria über Ragusa war längst Vergangenheit, der Landweg nach Wien war zu einer einträglichen Einnahmequelle geworden. Aber das Bewusstsein, über die Donau mit den Weltmeeren verbunden zu sein, war auch im 19. Jahrhundert durchaus vorhanden. Es entstand gar die Idee – die aus finanziellen Gründen verworfen werden musste –, Semlin zu einem Freihafen zu erklären. Die Vision, Semlin könnte ein riesiger Bazar zwischen Ost und West bzw. Nord und Süd werden, nährte sich aus dem Glauben an die unendliche Schöpferkraft des Menschen des technischen 19. Jahrhunderts und den geplanten Rhein-Donau-Kanal, der Semlin und Belgrad zum Zentrum und wichtigstem Treffpunkt zwischen der Nordsee und dem Schwarzen Meer machen würde.31 Die skizzierte Situation Belgrads an der Grenze zu Österreich wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch eine verworrene Konstellation innerhalb der Stadt verschärft. Zwischen der Eroberung Belgrads durch die serbischen Aufständischen unter Karađorđe 1806 und dem definitiven Auszug der osmanischen Garnison aus der Belgrader Festung Kalemegdan 1867 stand Belgrad einerseits unter der Befehlsgewalt des Sultans über die Festung und andererseits unter der Herrschaft des autonomen serbischen Fürsten über die Stadt. Belgrad war aber keine geteilte Stadt, sondern vielmehr ein Ort der sich überlagernden Wirklichkeiten, lavierend zwischen friedlicher Koexistenz verschiedener Bevölkerungsgruppen und blutigen Konflikten, Übergang und Bindeglied zwischen Österreich und dem Osmanischem Reich.32 Mit dem Ende der osmanischen Herrschaft 1867 wurde auch das Schicksal 28

29

30

31 32

Das Taufbuch der orthodoxen St. Nikolauskirche weist für 1761–1763 die Herkunft der Väter der getauften Kinder aus: 4 aus Kroatien, 16 aus Bulgarien, 13 aus Makedonien und Griechenland, 10 aus Sirmien (Gebiet zwischen Save und Donau), 38 aus der Walachei, 2 aus der Herzegowina, 35 aus Serbien, 4 aus Ungarn, 2 aus Albanien, 26 aus den umliegenden Dorfschaften, 25 gebürtige Semliner. Soppron: Monographie von Semlin, S. 270f. Popović: Srbija i Beograd, S. 389f. Stoianovich verzeichnet mit Hinweis auf Popović eine massive Abnahme der jüdischen Einwohnerzahl in Zemun: von 1000 1680 auf weniger als 100 Juden 1750. Stoianovich: Conquering Balkan Orthodox Merchant, S. 247. Zemun ist heute ein Stadtteil Belgrads, hat aber einen gewissen dörflichen Charakter beibehalten. Zur Geschichte des österreichischen Zemuns einführend: Ćelap: Zemunski vojni komunitet. Soppron: Monographie von Semlin, S. 549f. Die Aufzählung des ersten serbischen Ethnologen Tihomir Ðorđević zeigt auch für Ser-

1. Ragusa und Belgrad

155

Belgrads als orientalische Stadt der ethnischen Vielfalt besiegelt: Belgrad wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer ,,europäischen“ Stadt.33 Auffallend ist aber, dass sich gerade in diesen wirtschaftlichen Gründerjahren eine Vielzahl von erfolgreichen Unternehmern griechischen, zinzarischen und jüdischen Ursprungs bewährt hat. Grundlage dafür bildete die Akzeptanz des neuen Strukturprinzips des öffentlichen Raums, die des Nationalstaats; der allerdings auch diese Belgrader Einwohner ohne ethnisch-serbische Wurzeln oder die Bekennung zur christlichen Orthodoxie gern in die Rechte und Pflichten einer Staatsbürgerschaft aufnahm.34

1.3 Das Gebiet der geteilten Christenheit: Maritime und terrestrische Verbindungsmuster In Bezug auf Ragusa und Belgrad überschneiden sich verschiedene Raumkonzepte.35 Einerseits ist Belgrad keine Mittelmeerhafenstadt, aber wichtiges Verbindungsglied beziehungsweise ein wichtiger Umschlagplatz im Landhandel von Ost und West und von Süd und Nord.36 Andererseits bildete das Osmanische Reich in der Frühen Neuzeit geographisch und politisch nicht nur ein wichtiges Element auf dem Balkan,37 sondern war gleichzeitig zentraler Akteur und Vertragspartner im östlichen Mittelmeerraum. Die beiden urbanen Zentren Ragusa und Belgrad, die sich je nach Blickwinkel und Zeitraum unterschiedlichen politisch-kulturellen Struktureinheiten zuordnen lassen, sind in vielen Punkten sehr verschieden. Was sie verbindet und ihre Vernetzung erleichtert, ist die gemeinsame slawische Sprache eines Teils der Bevölkerung

33

34

35 36 37

bien unter dem Fürsten Miloš Obrenović das Bild einer vielfältigen Stadt. Ðorđević: Iz Srbije Kneza Miloša, S. 90–189. Ausführlich dazu Mišković: Basare und Boulevards. Über diese Veränderungen berichtet neben der serbischen Historiographie aus der Sicht der türkischen Bevölkerung ein osmanischer Beamter in Dialogform. Rašid-Beja: Istorija čudovatnih događaja u Beogradu u Srbiji. Eine Sammlung von Unternehmerbiografien aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert zeigt dieses Verhältnis zwischen dem jungen Staat und den aufstrebenden Unternehmern. Kostić: Uspon Beograda. Zur Raumproblematik Südosteuropas im europäischen Kontext siehe Schwara: Rediscovering the Levant. Frejdenberg: Ragusa i Osmanskaja Imperija, S. 128f. Die Ragusaner fürchteten gegen Ende des 17. Jahrhunderts (1699 Srijemski Karlovci) und zu Beginn des 18. Jahrhunderts (1718 Požarevac), durch eine venezianische ,,Brücke“ vom Osmanischen Reich abgeschnitten zu werden. Dies konnte in den Friedensverhandlungen jeweils verhindert werden. Harris: Dubrovnik, S. 344f.

156

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

der beiden Städte.38 Dieser Umstand gestaltete auch die ragusanischen Beziehungen zu den Katholiken in Bosnien in ihrer einzigartigen Ausformung. Geographische ,,Regionen“ und ,,Kulturlandschaften“ sind keine festen und eindeutig abgrenzbaren Bezugsgrößen, sondern komplexe Einheiten, die in den jeweiligen zeitgeschichtlichen Kontext eingebunden sind und in ihren raumzeitlichen Koordinaten einem ständigen Wandel unterliegen. Ragusa und Belgrad sind in dem in der wissenschaftlichen Diskussion umstrittenen Raum des Balkans bzw. Südosteuropas angesiedelt. Mit einem differenzierten Blick können diese konstruierten Grenzen und die mit ihnen einhergehenden Differenzen und Stereotypisierungen überwunden, der Begriff ,,Balkan“ emanzipiert und historiographische Kategorien gleich angewendet werden, wie bei anderen Regionen oder Themenkomplexen auch.39 Gerade an den Rändern, beziehungsweise an den Grenzen, findet die Unterscheidung der Entitäten statt: Da Identität und Veränderlichkeit eine symbiotische Beziehung bilden, sind ihre am klarsten definierten Eigenschaften an diesem Zusammentreffen von Grenzen am deutlichsten sichtbar.40 Jede Grenze, nicht nur herrschaftliche, ist Verschiebungen und Veränderungen ausgesetzt. So

38 39

40

Zur Slawisierung Ragusas: Medini: Starine dubrovačke; Hösch: Kulturgrenzen in Südosteuropa, S. 607. Holm Sundhaussen plädiert beispielsweise für einen ,,engen Südosteuropabegriff “, das heißt einen Raum ohne Ungarn, Rumänien, Kroatien und Slowenien mit der SaveDonau-Linie als Nordbegrenzung. Dieser ist nach ihm mit dem ,,Balkan“ oder der ,,Balkan-Halbinsel“ deckungsgleich. Zugleich betont er, dass Südosteuropa als historische Region nicht ,,die gleiche strukturgeschichtliche Konsistenz beanspruchen könne“ wie andere Teile Europas. Neben acht anderen ,,langfristig strukturprägenden Merkmalen“ bezeichnet er den ,,balkanischen Synkretismus“ (nicht nur religiöser Art) als ein ,,spezifisches Kultur- und Institutionenmuster“ dieser Region. Stefan Troebst hat in seinem Beitrag zum Themenschwerpunkt ,,Europäizität des östlichen Europa“ einen Definitionsvorschlag zum Begriff ,,Geschichtsregion“ gemacht und zugleich den Zweck dieses ,,Kunstgriffes“ beschrieben, ,,mittels dessen nicht-territorialisierte und zeitlich eingegrenzte historische Mesoregionen, -staaten, -gesellschaften, -nationen, gar zivilisationenübergreifender Art zur Arbeitshypothese komparativer Forschung genommen werden, um dergestalt spezifische geschichtsregionale cluster von Strukturmerkmalen langer Dauer zu ermitteln und voneinander abzugrenzen“. Gerade dieser Kunstgriff birgt jedoch die Gefahr, dass sich die gewählten Geschichtsregionen im Stile einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung mit den vorgestellten Regionen decken (,,mental maps“). Dies bedeutet nicht, dass die eine Region bestimmenden Merkmale falsch oder regionenspezifisch und exklusiv sind. Das Bündel an Merkmalen sei konstituierend. Zudem seien Geschichtsregionen keineswegs ewig, sondern Manifestationen von Entwicklungen langer Dauer sowie der Wahrnehmung. Hösch: Kulturgrenzen in Südosteuropa, S. 607; Sundhaussen: Osteuropa, Südosteuropa, Balkan, S. 5f.; Todorova: Balkan als Analysekategorie, S. 482, 486f.; Troebst: Region und Epoche statt Raum und Zeit, S. 2f. Zu Recht betont Todorova, dass das Konzept ,,Grenze“ zu viel Gewicht auf Differenz und Unterscheidung legt. Hier zitiert aus Todorova: Balkan als Analysekategorie, S. 474f.; Ethnic Groups and Boundaries. Hg. von Barth; Alterity, Identity, Image. Hg. von Corbey, Leerssen.

1. Ragusa und Belgrad

157

sind beispielsweise ,,Grenzen des Glaubens“41 äußerst schwierig zu fassen – insbesondere in einem Raum mit starken synkretistischen Tendenzen –, sie erlauben aber trotzdem spannende Blicke auf das religiöse Selbstverständnis der Menschen. Denn hier werden auch vermeintliche Grenzen überschritten. So bedürfen Studien, die Grenzen untersuchen, zwingend der Grenzüberschreitung. Stefan Troebst betont, dass ,,die Dynamisierung und Flexibilität solcher Konzeptionen entlang der Zeitachse“ gewährleistet sei. So bleiben die Prozesshaftigkeit und dadurch die Zeitdimension solcher Raumkonzepte unübersehbar, und dies trotz Konzentration auf die konkreten und strukturellen Raumbezüge.42 Die Freiheit und Unabhängigkeit der Republik Ragusa bis zu ihrer Einverleibung in die Illyrischen Provinzen zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch Napoleon galt zwar de iure, de facto aber nur mit vielen Einschränkungen. Ragusas geographische Lage zwischen Ponente und Levante, zwischen den Reichen der Katholiken, der christlichen Orthodoxie und der Muslime verlangte der ragusanischen Diplomatie ständig alles ab. Der Mittelmeer- und der Balkanhandel, das Lebenselixier der Republik, wurde natürlich stark durch die Beziehungen zur Pforte bestimmt. Gerade aus der Mittlerrolle der Republik erwuchsen immer wieder Gefahren, aber auch Chancen und Auswege. Spiegel dieser Geschichte sind beispielsweise die diplomatischen Beziehungen zwischen Ragusa und den anderen Mächten Europas. Die Stadt Belgrad wiederum verdankt ihre Stellung der guten geographischen Lage in der Nähe von Bergwerken und an der Schnittstelle von Donau, Theiß und Save, und gewann so ihren Status als wichtiger Umschlagplatz und Knotenpunkt verschiedener Handelswege auf dem Balkan.43 Eine Landverbindung von Ragusa nach Istanbul führte über Belgrad. Belgrad verband den Seehandel im Mittelmeer mit dem Landhandel über den Balkan: Je nach Gefahrenlage wurden die Routen angepasst, beziehungsweise die Transportmittel gewählt. Als sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Transportwege verstärkt vom Wasser auf das Festland verlagerten, profitierten einerseits Ragusa und Belgrad, sowie andere Städte im Landesinnern: Piraterie und Kriegshandlungen erhöhten das Risiko für Ware wie Händler, so dass im 18. Jahrhundert der Karawanentransport von Ragusa aus zur bevorzugten Alternative wurde.44

41 42 43

44

Frontiers of Faith. Hg. von Andor, Tóth. Troebst: Region und Epoche statt Raum und Zeit, S. 9. Dies vor allem im Verlaufe der Eroberungen ungarischer Gebiete durch die Osmanen. Die Magistrale von Ungarn nach Istanbul führte über Belgrad. Eine Karte mit dem ,,carigradski drum“ enthält Miljković-Bojanović: Smederevski sandžak, S. 163. Frejdenberg: Ragusa i Osmanskaja Imperija, S. 130f. Die direkte Hauptmagistrale von Ragusa nach Istanbul führte allerdings nicht über Belgrad, sondern passierte auf der Höhe von Niš.

158

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

1.4 Religiöse Bekenntnisse als raumformendes Prinzip Das Christentum ist im südöstlichen Europa seit apostolischer Zeit verankert. Die Spaltung von Ost- und Westkirche in unterschiedlichen Kult- und Frömmigkeitsformen zeichnete sich schon vor dem Schisma (1054) ab. Einerseits wirkte die Grenze zwischen ost- und weströmischem Reich nach, andererseits gab es aber auch verschiedene Vorstöße der jeweils anderen Konfession, die byzantinische bzw. die katholische Mission.45 Von den orientalischen Kirchen, die sich schon in der ausgehenden Antike abspalteten, war im Osmanischen Reich vor allem die armenische Kirche stark vertreten. Die Armenier, insbesondere durch Händler repräsentiert, bildeten, wie die sefardischen Juden, auf Städte beschränkte religiöse Gemeinschaften. Schon im mittelalterlichen Byzanz entstanden außerdem häretische Gruppen: Messalianer, Paulikianer oder die Bogumilen. Die Reformation hat das religiöse Bild im südöstlichen Europa nur wenig beeinflusst, vor allem in Siebenbürgen. Vereinzelte Gemeinden entstanden im 19. Jahrhundert durch Mission, so zum Beispiel die reformierte Gemeinde in Belgrad Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Religion der herrschenden Schicht im Osmanischen Reich war während mehrerer Jahrhunderte der Islam. Dennoch hat dies zu keiner flächendeckenden Islamisierung geführt. Geprägt wurde die Vorstellung von einem alles dominierenden Islam durch die Migration, durch die tendenziell stärkere Islamisierung in den Städten und die Konversionen ganzer Stammesverbände in peripheren Gebieten des Balkans. Als Gründe für die Konversionen erscheinen die entsprechenden Privilegien der muslimischen Untertanen gegenüber den dhimmi, wie das Recht auf Grundbesitz, die juristische Stellung oder die Befreiung von Kopfsteuer und devşirme, der ,,Knabenlese“. Interessanterweise schritt im 15., 16. und 17. Jahrhundert die Islamisierung in ländlichen Gebieten intensiver voran als in Handelszentren und Hafenstädten, die von devşirme ausgenommen waren.46 Auch war der Islam in sich keineswegs homogen. So bildeten sich in der Populärkultur des Islams ebenfalls viele verschiedene religiöse Erscheinungsbilder heraus. Vereinheitlichende Funktion hatten die Derwischorden, wobei dem Bektaschiorden auf dem Balkan eine besondere Rolle zukommt.47 Möglicherweise wurden aber die Konversionen auch durch eine Art ,,hybride“ Religion der Bektaschi Derwische begünstigt. Mystische Riten, eine nicht klar formulierte Theologie und ein dadurch relativ flexibler Umgang mit Dogmen machten diese Orden durchaus attraktiv für die Massen. Unterstützend wirkte auch eine zentrale Glaubensvorstellung, die sogenannte 45 46 47

Mitterauer: Religionen, S. 346. Arnakis: The Role of Religion, S. 121. Mitterauer: Religionen, S. 347.

1. Ragusa und Belgrad

159

taqiyya. Die Verheimlichung des eigenen religiösen Bekenntnisses wird dadurch bei Zwang oder drohendem Schaden als legitim betrachtet.48 Die dominierenden Religionsgemeinschaften in den verschiedenen Territorien des Osmanischen Reichs begünstigten Sonderentwicklungen und eine Vielfalt von Glaubensrichtungen, da im Vergleich zu anderen christlichen Kirchen die orthodoxe zwar auch als hierarchisch, aber nicht als zentralistisch erscheint. In jüdischen und muslimischen Gemeinschaften fehlen vergleichbare hierarchische Strukturen vollends. So gestalteten nicht nur religiöse Bekenntnisse den Raum, seine Strukturen und die Lebenswelten der Bevölkerung, sondern umgekehrt wurden auch die religiösen Bekenntnisse vom Raum mit seinen Eigenheiten geformt und verändert.

48

Arnakis: The Role of Religion, S. 125.

2. Gestaltende Präsenz: Die Erweiterung der städtischen Farbpalette 2.1 Ragusas Straßen: Buntes Leben als Spiegelbild geographisch-kultureller Verortung Auf Tabor, in Ploče, kam alles das zusammen, was irgendeine Verbindung mit der Türkei oder den Türken hatte, und das heißt nicht nur mit den Türken, sondern auch mit diesem Gemisch von Herzegowinern, Bosniern, Serben, Griechen, Armeniern, Albanern, Zigeunern und anderen, die als Händler, Fuhrleute, Gefolge oder Bewachung aus allen türkischen Städten von Istanbul und Budapest bis zur Adria nach Ragusa kamen. Hier versammelten und sahen sich alle Völker der Türkei und man hörte alle Sprachen des Balkans und Vorderasiens.1

Dieses bunte Leben in Ragusas Straßen spiegelt die geographische Lage der Stadt und die politisch-wirtschaftliche Offenheit des ragusanischen Senats. Die Bevölkerung der Republik Ragusa war durch die Grenzen mit dem Osmanischen Reich, durch die in Bosnien, in der Herzegowina und in Montenegro lebende christlich-orthodoxe Bevölkerung, die jüdische Gemeinde auf dem Stadtgebiet und die anwesenden Händler aus dem ganzen Mittelmeer- und Balkanraum, nicht nur im Umgang mit verschiedenen Sprachgruppen geschult,2 sondern musste sich auch in diesem multikulturellen Umfeld positionieren.3 Als Ausgangspunkt bzw. Zwischenstation für Handels- und Pilgerreisen erhob sich die Stadt zu einem Kristallisationspunkt des interregionalen Handels und einer Stütze eines ,,hybriden“, multireligiösen Raums, der durch die Händler und die Reisenden zwischen den kosmopolitischen Handelszentren, den größeren Städten und entlang der Handelswege konstituiert wurde.4 Wie wir schon in anderen katholischen Gebieten gesehen haben, nahm auch die Republik Ragusa gegenüber christlich-orthodoxen Gläubigen eine restriktivere Haltung ein als zum Beispiel gegenüber den Juden. Die öffentliche Ausübung der orthodoxen Religionspraxis war auf dem Gebiet der Republik untersagt. Auch durfte sich beispielsweise der Pope nur kurz in der Stadt aufhalten, um einen verstorbenen orthodoxen Gläubigen hinaus1 2

3 4

Tadić: Jevreji u Dubrovniku, S. 372 (Übersetzung Ivo Haag). Die Sprachausbildung hatte für die ragusanische Administration einen zentralen Stellenwert. Die sogenannten Dragomane und die Übersetzungsbüros waren für Diplomatie und Politik unabdingbar. Miović: Dubrovačka diplomacija. Ausführlich dazu Janeković-Römer: Okvir Slobode; Malz: Der heilige Blasius. Schwara: Hybridität, S. 63.

162

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

zubegleiten. Erst nach einigen Interventionen von Seiten Russlands wurde im 18. Jahrhundert als erstes dem russischen Gesandten die Errichtung einer eigenen Kapelle in der Stadt gewährt. Die Angst vor einer orthodoxen Zuwanderungswelle nach einer ,,Willkommensgeste“ wie dem Bau einer orthodoxen Kirche ist nur scheinbar ein plausibler Grund für diese Haltung. Es gilt vielmehr, die konkurrierenden und um Gläubige werbenden Kirchen bei derartigen restriktiven Regelungen im Auge zu behalten, auch wenn sich dies aus einer säkularen Perspektive des 21. Jahrhunderts und angesichts der über die Jahrhunderte inhaltlich wie räumlich relativ etablierten Glaubensbekenntnisse nicht als erstes anbietet. Der aktuellen westeuropäischen Sichtweise liegt die ,,Angst“ vor Immigranten näher, und es wird gern übersehen, wie viele Städte – auch und dezidiert Ragusa – infolge der enormen Bevölkerungsverluste im Zuge der Pest um neue Zuwanderer aktiv warben, auch wenn die Einbürgerungsbestimmungen in der Regel eher restriktiv anmuteten. Eine wichtige Rolle im religiösen und sozialen Leben der Stadtrepublik spielten die Bruderschaften.5 Die wichtigsten Bruderschaften, die sich der Förderung der Frömmigkeitspraxis, der Barmherzigkeit und der Wohltätigkeit verschrieben hatten, waren die dem Heiligen Antonius geweihten Antunini und die 1531 mit der offiziellen Bestätigung des Großen Rates gegründete Bruderschaft der Lazarini – als Bruderschaft der Händler der Levante, ,,geleitet von Nächstenliebe und Barmherzigkeit“.6 Die Kirche und zugleich der Sitz der Lazarini lag in Ploče, in der Nähe der Leprakolonie, was auf den Schutzheiligen der Leprösen hinweist, zudem nahe beim Tabor, wo die Karawanen aus dem Osmanischen Reich ankamen und wo später die Quarantänestation eingerichtet wurde. 1536 wurden die Privilegien der neuen Bruderschaft feierlich bestätigt und in einem formalen Statut festgelegt. Der Erzbischof von Ragusa und der Bischof von Mrkan gehörten zu den Gründungsteilnehmern der Lazarini. Die meisten Lazarini waren reiche Händler aus Bürgerfamilien, die in den Levantehandel involviert waren, während sich die Ponentehändler in der Bruderschaft der Antunini zusammengeschlossen hatten.7 Ebenfalls eine wichtige Stellung im öffentlichen Raum Ragusas nahmen die Benediktinerkonvente für Frauen und Männer ein. Auf verschiedenen Inseln auf dem Territorium der Republik gab es Benediktinerkonvente für Mönche, die mit der Republik 1808 aber aufgelöst wurden.8 Dominikaner und Franziskaner ließen sich ebenfalls im Gebiet der Stadtrepublik nieder. Beson5 6 7 8

Die Aufgaben und die Bestimmungen, sowie die Mitglieder der Bruderschaften (fraternita, confraternita) sind in den sogenannten ,,matricole“ erfasst. Harris: Dubrovnik: ,,merchants of the Levant, inspired by love and charity“, S. 192. DAD, Fratrie, 22/1, Nr. 15, Matrikula lazarina, fol. 1r, Platten 10 und 11. Harris: Dubrovnik, S. 193. Das älteste Kloster, der Heiligen Maria geweiht, war dasjenige auf Lokrum. Im 16. Jahrhundert wurde es von Türken und Uskoken geplündert, im 17. Jahrhundert beim großen Erdbeben schwer beschädigt. Harris: Dubrovnik, S. 230f.

2. Gestaltende Präsenz: Die Erweiterung der städtischen Farbpalette

163

ders wichtig waren die Franziskaner, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, christlich-orthodoxe Bewohner zum Katholizismus zu bekehren. Die Politik gegenüber den Orden lässt sich nicht allein mit religiösem Enthusiasmus der Republik erklären. Auch hier spielten Vernunft und Kalkül eine wichtige Rolle. Die Klöster, Konvente und Bruderschaften sollten in ,,zuverlässigen“ Händen sein. Eine mögliche Maßnahme war, die Konvente auf dem eigenen Territorium von ihren Bruderkonventen außerhalb der Republik unabhängig zu machen. Grundsätzlich versuchte die Republik, Ausländer aus den örtlichen religiösen Institutionen fern zu halten. Einen tiefen Einschnitt in das religiös-politische System bedeutete die Ankunft der Jesuiten in Ragusa. Die Spaltung der Fraktionen innerhalb der regierenden Gruppen in Bezug auf die Ziele, Aufgaben und Pläne der Jesuiten auf der einen Seite, und in Bezug auf die antiosmanischen Bestrebungen verbunden mit der Gegenreformation auf der anderen, gestaltete den Umgang mit diesem Orden für die Stadt ziemlich schwierig.9

2.2 Diasporagruppen: Ragusas Fenster zur Welt In Ragusa gab es eine französische, eine spanische, englische, flämische und gar eine deutsche Kolonie. Die Stellung der ,,ausländischen“ Bewohner der Republik war Teil der ragusanischen Diplomatie und bewegte sich vage zwischen kulturellen Selbstverständnissen Ragusas, wirtschaftlichen Überlegungen und politischen Zwängen von außen. Dieses Selbstverständnis gründete auf Facetten, die im Grunde nicht zu vereinen waren. Gegenüber der starken (katholischen) Konkurrentin Venedig galt es in erster Linie, die territoriale wie politische Unabhängigkeit Ragusas zu verteidigen und zu betonen. Um die freundschaftlichen Beziehungen zu den (muslimischen) Osmanen in Grenzen zu halten oder eine ausufernde Zuwanderung orthodoxer Christen zu begrenzen, bot sich der Verweis auf das starke katholische Element der Stadt als unabhängigkeitsstiftendes Moment an, daher die immense Bedeutung religiöser Institutionen, des katholischen Rückgrats der Stadt.10 Ragusa schwebte in ihrer Selbstverortung zwischen politischem Opportunismus (in alle Himmelsrichtungen), wirtschaftlichen Interessen und kulturellen Eigenheiten der Stadt. So war es durchaus möglich, dass lokale osmanische Offizielle ins Theater eingeladen wurden oder gar die Kathedrale besichtigen konnten, während die Orgel Tanzmusik spielte.11 9 10 11

Ausführlicher zur Bedeutung der Jesuiten siehe Kapitel ,,Die Wirrnisse der Sprachen, Schriften und religiöser Welten“ in diesem Beitrag. Harris: Dubrovnik, S. 202. Arié Malz spricht für Dubrovnik von einem staatlichen, alles durchdringenden Heiligenkult, der als Kommunikationsmedium für alle Schichten der Republik dienen sollte. Arié Malz: Der heilige Blasius als Kommunikationsfigur; Harris: Dubrovnik, S. 351f.

164

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

Unter den Zuwanderern waren zahlreiche Bewohner anderer dalmatinischer Städte, die in den Dokumenten häufig mit ihrer Herkunftsstadt vermerkt sind. Die Chancen, auf Dauer in der Republik bleiben und mit der Zeit ihre Untertanen werden zu dürfen, stiegen in Relation mit dem mitgebrachten Kapital. Die Einwohner der Republik gliederten sich in der mittelalterlichen Stadt in drei Gruppen: die Bürger (cives), die Bewohner (habitatores) und die Fremden (forentes). Als ,,Raguseus“ wurde jeder Bürger und Untertan der Republik bezeichnet. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts waren eine gewisse Aufenthaltszeit in der Republik mit der Familie und entweder eine Geldgarantie oder der Kauf einer Immobilie auf dem Territorium Bedingung für eine offizielle und dauerhafte Aufnahme in die Stadt. Der Kleine Rat entschied über den Einbürgerungsantrag. Mitte des 18. Jahrhunderts wurde eine Kontrollinstanz geschaffen, die die Zuwanderung der ,,Fremden“ verwalten sollte, das sogenannte ,,Magistrato sopra i fuorestieri“. Rechtlich fielen alle fremden Untertanen, deren Staaten keine offizielle Vertretung in der Republik hatten, unter die ragusanische Gerichtsbarkeit. Alle Schiffe unter osmanischer Flagge, wie auch die osmanischen Reisenden muslimischen Glaubens, die über See oder Land in die Republik kamen, mussten den emin als offiziellen Vertreter des Sultans auf dem Boden der Republik anerkennen. Auch die griechisch-orthodoxen und die katholischen Untertanen des osmanischen Sultans, die nur kurz in der Stadt weilten, hatten nach ragusanischem Beschluss den osmanischen emin als ihren Konsul anzuerkennen. Bei einem langen Aufenthalt auf dem Territorium der Republik fielen die osmanischen Untertanen unter ragusanische Obrigkeit und Gerichtsbarkeit, wobei katholische Osmanen nach rund zehn Jahren Aufenthalt ragusanische Untertanen wurden, den in der Stadt geborenen katholischen Ragusanern gleichgestellt. Diesen Status konnten christlichorthodoxe Untertanen des Osmanischen Reichs in Ragusa nie erreichen.12 Eine starke Gruppe, die sich schon im Mittelalter in Ragusa niederließ, waren Zuwanderer aus Venedig, Florenz oder Apulien, die im Wirtschaftsleben der Republik eine wichtige Rolle spielten, wie auch die jüdischen Zuwanderer aus verschiedenen europäischen Gebieten.13 Zahlreiche Staaten hatten ihre Händler und ihre offiziellen Vertreter in der Stadt. 1449 wurde vom Senat beschlossen, dass kein Ragusaner fremde Interessen vertreten dürfe. Innerhalb von acht Tagen mussten die ragusanischen Vertreter Kataloniens, Anconas, Genuas, des aragonesischen Königs, Messinas, Saragossas und Venedigs ihre Posten aufgeben. 1501 wurde der Katalane Torella als Konsul Siziliens, Kalabriens und Apuliens anerkannt.14 Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Spanien und Ragusa gehen auf

12 13 14

Mitić: Dubrovačka država u međunarodnoj zajednici, S. 34f. Mitić: Dubrovačka država u međunarodnoj zajednici, S. 45f. Mitić: Dubrovačka država u međunarodnoj zajednici, S. 161f.

2. Gestaltende Präsenz: Die Erweiterung der städtischen Farbpalette

165

das 14. Jahrhundert zurück, wobei der Handel besonders im 15. Jahrhundert lebhafter wurde. So befanden sich schon im 15. Jahrhundert katalanische Händler in Ragusa, die einen eigenen Konsul hatten. Insbesondere Schafwolle wurde von der Iberischen Halbinsel nach Ragusa exportiert, wo sich auch die Weberei entwickelte. Viele Webereiwerkstätten wurden in Ragusa von Katalanen geführt. Die engen wirtschaftlichen Beziehungen mit Spanien und Privilegien für spanische Händler führten dazu, dass zahlreiche ragusanische Schiffe in spanischen Diensten standen. Erst Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts nehmen die wirtschaftlichen Kontakte deutlich ab und das spanische Konsulat verschwindet ganz aus den offiziellen Dokumenten Ragusas.15 Florenz und Ragusa tauschten sich bereits Ende des 13., Anfang des 14. Jahrhunderts aus. Florentinische Goldschmiede, Weber und andere Handwerker ließen sich in Ragusa nieder. Im 16. wie auch im 17. Jahrhundert finden sich Akten über florentinische Konsuln in Ragusa – der erste ist im Jahre 1495 belegt –, während im Laufe des 18. Jahrhunderts die Interessen des Großherzogtums Toskana vom österreichischen Konsul vertreten wurden. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts hatte auch Neapel einen Konsul in der Republik. Ab dem folgenden Jahrhundert wurden die Interessen Neapels durch den spanischen Konsul vertreten.16 Die ersten Beziehungen zwischen Frankreich und Ragusa sind für das 14. Jahrhundert belegt. Die Franzosen machten – nach Einwanderern von der Apenninenhalbinsel – die zweitgrößte Ausländergruppe zu dieser Zeit aus. Auch unterhielten die Franzosen schon relativ früh Beziehungen mit den Osmanen. In der Regel reisten sie über Venedig und Ragusa weiter in den Osten. Als erster Konsul Frankreichs ist wiederum der Katalane Torella für 1511 verzeichnet. Während beinahe drei Jahrhunderten unterhielt Frankreich in Ragusa einen Konsul, außer während einer kurzen Unterbrechung in der Zeit nach dem großen Erdbeben von 1667. Eine wichtige Aufgabe der französischen – bzw. der für Frankreich arbeitenden – Konsuln in Ragusa war die Aufsicht und die Kontrolle des sicheren und schnellen diplomatischen Kurierdienstes zwischen Istanbul und Venedig, der die französische Herrschaft über die Vorgänge im Osmanischen Reich unterrichtete. 1766 baten die ständig in Ragusa lebenden französischen Händler die Obrigkeit, ihren Status neu zu bestimmen. Sie beklagten sich über ihren ragusanischen Konsul, der ihre Interessen nur ungenügend vertreten würde und forderten einen Konsul französischer Herkunft. Die französischen Händler führten nach Ragusa vor allem Kolonialwaren, Tuch und Leinen, verarbeitetes Leder und Porzellan ein, während sie Talg, Wolle, Öl oder unbearbeitete Seide nach Frankreich exportierten. Die Interessen Österreichs vertrat Mitte des 18. Jahrhunderts ein Ragusaner 15 16

Mitić: Dubrovačka država u međunarodnoj zajednici, S. 162f. Mitić: Dubrovačka država u međunarodnoj zajednici, S. 164f.

166

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

namens Vlaiki, der auch als spanischer und neapolitanischer Konsul amtierte. Auch die folgenden Konsuln Österreichs waren Einheimische. 1783 wurden die Kontakte zwischen Ragusa und Wien durch eine Postverbindung zwischen Rijeka und Ragusa intensiviert. Eine Ausnahme bildete England, das keinen offiziellen Vertreter in Ragusa hatte.17 Nach dem russisch-türkischen Friedensvertrag von 1774 wurden auch die diplomatischen Beziehungen zwischen Russland und Ragusa neu geregelt. Ragusa verpflichtete sich zu absoluter Neutralität in möglichen Konflikten, in die Russland involviert war, zudem wurde ein russisches Konsulat in Ragusa eröffnet. Der zukünftige Konsul Russlands erhielt dieselben Rechte und Pflichten wie die Konsuln der anderen Staaten, musste aber russischer Bürger sein. Der erste russische Konsul war seiner Herkunft nach Albaner und soll sich eher mit nachrichtendienstlichen als mit konsularischen Angelegenheiten befasst haben. Mit Charles Fonton trat 1801 ein Angehöriger einer Dragomanenfamilie in Diensten Russlands den Posten des Generalkonsuls in Ragusa an. Die Beziehungen zwischen Fonton und der Obrigkeit der Republik waren mehr als einmal höchst angespannt.18 Das Osmanische Reich hatte keinen diplomatischen oder konsularischen Vertreter in der Republik Ragusa. Allerdings hatte es mit dem emin, einem osmanischen Offizier, der unter Aufsicht des Paschas in Bosnien stand, einen offiziellen Repräsentanten in der Stadt, der berechtigt war, von osmanischen Schiffen eine bestimmte Taxe für die Hohe Pforte einzuziehen, andererseits vertrat er die Interessen der osmanischen Händler, Reisenden und Pilger auf dem Gebiet der Republik. Einen offiziellen Vertreter mit der Bezeichnung ,,Konsul“ hatte auch die jüdische Gemeinde Ragusas (,,consul hebraeorum“). 1558 beschloss der Senat, dass der jüdische Konsul für das Einsammeln und Begleichen der Mieten für das ganze Ghetto verantwortlich zeichnen solle. Normalerweise wurde er von der jüdischen Gemeinde gewählt und von der ragusanischen Regierung bestätigt. Er vertrat die Interessen der Juden gegen außen, verteidigte ihre Rechte und vermittelte bei Konflikten zwischen jüdischen Händlern.19 Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurde Ragusa als katholischer Staat angehalten, im Geist der Gegenreformation auf der Hut auch vor dem Judentum zu sein und Christen und Juden rigoroser zu trennen. Doch die Regierung wollte weder den kirchlichen Forderungen nachgeben, noch wichtige Einwohner der Not aussetzen. 1622 folgten allerdings ein Prozess und eine Verurteilung gegen einen Juden wegen eines angeblichen Ritualmordes, worauf viele Juden die Stadt verließen. Sie wurden aber schon nach kurzer Zeit von der Obrigkeit gebeten, zurückzukehren. Nach dem verheerenden Erdbeben von 1667 hat17 18 19

Mitić: Dubrovačka država u međunarodnoj zajednici, S. 175f. Mitić: Dubrovačka država u međunarodnoj zajednici, S. 173f. Mitić: Dubrovačka država u međunarodnoj zajednici, S. 175.

2. Gestaltende Präsenz: Die Erweiterung der städtischen Farbpalette

167

te die Stadtrepublik einen erneuten Zuwachs an jüdischen Siedlern Mitte des 18. Jahrhunderts, wobei gegen Ende des Jahrhunderts mehr Juden außerhalb des Ghettos lebten als innerhalb, obwohl sie offiziell keinen Boden erwerben durften – abgesehen von der Erlaubnis 1652, als Kollektiv Land für einen Friedhof bei Ploče zu kaufen. Nach dem Erdbeben 1667, als alle Bürger gebraucht wurden, erhielt auch die jüdische Gemeinde einen offizielleren Status. 1699 wurde eine Schola Hebraeorum gegründet, mit den Bruderschaften ähnlichen Strukturen. Alles in allem scheinen die Juden in der Stadtrepublik eine Art ,,fragile Toleranz“ genossen zu haben. Bis die ragusanischen Juden ab Mitte des 18. Jahrhunderts Bürger (cives) werden konnten, besaßen sie mehr oder weniger den Status von ,,Einwohnern“ (habitatores).20 Es scheint, als sei auch die Haltung Ragusas gegenüber den hier wohnenden Juden von der Brückenstellung der Republik zwischen der katholischen und der muslimischen Welt abhängig gewesen. 1782 lebten etwa 41 jüdische Familien mit 218 Personen in der Stadt, was etwa 3,6 Prozent der Bevölkerung ausmachte.21 Dies ist bemerkenswert, da zu diesem Zeitpunkt deutlich weniger orthodoxe Christen (etwa 108) in der Stadt lebten. Auch sie waren offiziell diskriminiert und zahlreichen Einschränkungen unterworfen.22 Das Ghetto war zudem lange Zeit der einzige Ort in der Republik, wo nichtkatholische religiöse Riten erlaubt waren.23 Was in Ragusa immer wieder auffällt, ist eine offensichtliche Diskrepanz zwischen schriftlicher Verordnung und gelebter Praxis. 1783 untersagte der Senat ragusanischen Bürgern erneut, fremde Staaten auf dem Gebiet der Republik zu vertreten. Die übliche Praxis, an den Haustüren der offiziellen Vertreter das eigene Wappen zu befestigen, wurde 1762 eingeschränkt. Allen offiziellen Vertretern anderer Staaten, die ragusanische Bürger waren, wurde vom Senat untersagt, das Wappen des vertretenen Staates zu befestigen.24 Dies ist eine Eigenheit Ragusas, die immer wieder ins Auge fällt und auch bei der Quellenarbeit zu anderen Städten oder Staaten im Auge zu behalten ist: Gesetze und Beschlüsse sind eins. Wie und ob sie aber von der Bevölkerung angenommen und umgesetzt werden, ist etwas anderes. Ragusa und Malta haben erst Mitte des 18. Jahrhunderts gegenseitig Konsulate eingerichtet.25 Dies ist aus wirtschaftlicher Perspektive relativ spät, aus politischer Sicht aber mehr als verständlich. Sowohl das Osmanische Reich als auch die Malteser Ritter – die erklärten Hauptfeinde in der Méditerranée 20 21 22 23 24

25

Harris: Dubrovnik, S. 199f. Stulli: Židovi u Dubrovniku, S. 55. Frejdenberg: Židovi na Balkanu, S. 111f. Harris: Dubrovnik, S. 200. Offensichtlich hatte ein Mangel an genügend ausgebildetem, ständig anwesendem Personal in Staatsdiensten zu diesem Verbot geführt. Auch dem Aufstieg eines illoyalen Bürgers in eine solch verantwortungsvolle und einflussreiche Position sollte vorgebeugt werden. Mitić: Dubrovačka država u međunarodnoj zajednici, S. 177. Mitić: Dubrovačka država u međunarodnoj zajednici, S. 167f.

168

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

– waren zu diesem Zeitpunkt sichtlich geschwächt. Ragusa brauchte die Osmanen nicht mehr zu fürchten, wie in den Jahrhunderten zuvor, andererseits musste die Stadtrepublik nicht besorgt sein, sich mit der Intensivierung der wirtschaftlichen Beziehungen mit Malta im Machtbereich der Malteser Ritter zu verlieren. Die Kontakte wurden schon wenige Jahrzehnte später mit der Eroberung Ragusas wie auch Maltas durch die Franzosen und kurz darauf Ragusas durch Österreich und Maltas durch England beendet. Ragusa versuchte sich über Jahrhunderte in der heiklen Gratwanderung zwischen ihren wirtschaftlichen Interessen und ihren politischen, bei denen es zunächst galt, weder die muslimischen noch die katholischen Regenten zu verärgern. Erst seit der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts war es wichtig, auch dem christlich-orthodoxen Russland mit diplomatischer Höflichkeit zu begegnen und russischen Wünschen entgegen zu kommen. Den Siegeszug der protestantischen Wirtschaftsmächte in die Méditerranée erlebte Ragusa nur noch am Rande.

2.3 Gedachter und gelebter Belgrader Raum Es wohnen Turcken, Juden, Griechen, Raguseer, Dalmaten, Crabaten [Kroaten], Italiener und allerlei Nationen drein. Die ganze Stadt ist voller Krambuden, Carabatzereien [Karawansereien] und schöner Moskeen und turckischer Kirchen, wie auch allerlei Christenkirchen und judische Sinagogen, desgleichen vol herlicher Brun und Beder, und ist alles, was der Mensch begehret, in den Laden zu bekomen, gleich in den vornehmesten Steten Italiae oder Deutschlandes, sonderlich bei den Raguseern, welche sonderliche Freiheitten von turckischen Keiser haben.26

Der wichtigste öffentliche Ort und das Herzstück der prosperierenden Stadt war die čaršija, das Marktviertel des osmanischen Belgrads (1521–1688), im Gegensatz zu den nicht-öffentlichen Wohnquartieren, den mahalle.27 Die mahalle waren meist religiös und sozio-professionell homogene Wohneinheiten und als Kooperationen organisiert, die das Leben und die Steuererhebung nach bestimmten Stadtabschnitten regelten.28 Die mahalle waren aber nur eines von drei sich überlappenden und auf Differenzen beruhenden Ver26

27

28

Die Prosperität der Stadt und deren Vielfalt beschrieb der Apotheker und 1587 als Mitglied einer diplomatischen Mission Rudolphs II. nach Istanbul reisende Reinhold Lubenau (Lubenau: Beschreibung der Reisen des Reinhold Lubenau). Zur Bedeutung der frühneuzeitlichen Reiseberichte als Quelle: Stagl: Das Leben der nichtmuslimischen Bevölkerung. Die čaršija ist Nachrichtenbörse, eine öffentliche Sphäre mit konak, Gerichtsgebäude – ein in religiöser wie politischer Hinsicht bedeutender Standort. Ihm stehen die Wohnquartiere (mahalle) der Stadt als nicht-öffentlicher Bereich gegenüber. Ursinus: Čaršija, S. 162. Neben den ständigen Märkten in der Stadt bildeten die temporären Messen einen wichtigen Teil des Handels. Faroqhi: The Early History. Stagl: Das Leben der nichtmuslimischen Bevölkerung, S. 379.

2. Gestaltende Präsenz: Die Erweiterung der städtischen Farbpalette

169

waltungsinstrumenten, neben den Berufskooperationen (esnafi) und den religiösen Gemeinschaften.29 Die verschiedenen Gruppen hatten, gerade was die religiösen Gemeinschaften anbelangt, einen hohen Grad an Autonomie und können als Teilöffentlichkeiten gesehen werden, deren Angelegenheiten nicht im öffentlichen Raum präsent waren.30 Die čaršija hingegen steht für den Ort, an dem Unterschiede in Sprache, Kleidung oder gruppenspezifischen Tätigkeiten sichtbar waren, zugleich aber auch ignoriert werden mussten. Hier wickelten die verschiedenen Gruppen miteinander ihre Geschäfte ab und standen damit in direktem Kontakt. Die Ausmaße des Belgrader Marktviertels, das sich als Vorstadt auf der Donau-Seite der Stadt befand, beschreibt der osmanische Gelehrte und Reisende Evlija Čelebi als System verschiedener Plätze, zu dem es nichts in vergleichbarer Größe gäbe.31 Die Unvergleichbarkeit war schon im Prinzip angelegt. So konnte dieser Ort nicht mit dem lateinischen forum bezeichnet werden. In ragusanischen Urkunden in lateinischer Sprache findet man deshalb ebenfalls den Terminus čaršija.32 Die čaršija war der vielfältige Ort des Austauschs im Alltag. Aus der Sicht der Reisenden ließen sich die verschiedenen Gruppen im Marktviertel deutlich zuordnen und aufgrund der beschriebenen Struktur des Marktes auch verorten. Diese deutliche Zuordnung bezieht sich aber bevorzugt auf die männlichen Akteure im Marktviertel, Frauen hatten keine festen Plätze im Zuordnungssystem. Aus der erstaunten Beobachtung Evlijas, in Ragusa sei es keine Schande, wenn Frauen an den Marktständen arbeiten, ist zu schließen, dass dies in Belgrad undenkbar war.33 Frauen waren wohl auch im Marktviertel präsent, allerdings ohne klar zugewiesenen Ort. Diese Zuteilung oder Verweigerung eines Ortes ließ sich im osmanischen Belgrad offensichtlich nur beschränkt aushandeln. Daraus ergibt sich gerade für die Diasporagruppen in Belgrad die große Bedeutung der Teilöffentlichkeit der Gruppe, die nach den eigenen Bedürfnissen strukturiert war.34 Zu den Institutionen des Marktviertels gehörten zwei gedeckte Markthallen (bedesten/bezistan), zwei Karawansereien und vier Hane – Institutionen für die Unterkunft von Fremden – sowie weitere Gebäude mit öffentlichen Funktionen, wie das Gericht. Als einzige religiöse Gebäude waren Moscheen und kleinere Gebetshäuser, sogenannte mesdžid im Marktviertel präsent. 29 30

31

32 33 34

Shmuelevitz: The Jews of the Ottoman Empire, S. 27. Dazu den Begriff des millet, der aber sorgfältig im jeweiligen zeitlichen Kontext verwendet werden muss. Grundlegend zu den Einschränkungen Braude: Foundation Myths of the Millet System. Čelebi: Putopis, S. 88. Die Angabe von 3700 Verkaufsläden ist entsprechend Evlijas literarisch-fiktionalem Umgang mit Zahlen nicht als genaue Angabe, sondern als allgemeiner Ausdruck von Größe zu lesen. Popović: La ,,Čarši“ balkanique, S. 59f. Čelebi: Putopis, Kapitel ,,Ragusa“. Ausführlich behandelt dies der Sammelband von Aleksandar Fotić: Privatni život u srpskim zemljama.

170

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

Das regelmäßige Gebet der Muslime musste in entsprechenden Gebäuden stattfinden können. Die städtebauliche Planung besiegelte die architektonische Präsenz der anderen Religionen im Herzen der Stadt: Für den Bau eines Bedesten und einer Karawanserei mussten 1567 die Synagoge und die serbisch-orthodoxe Kirche weichen.35 Nicht die gesamte kommerzielle Infrastruktur befand sich in der čaršija, ein kleiner Teil der Institutionen war innerhalb der Festung angesiedelt.36 Ein Aspekt, der das Marktviertel zu einem öffentlichen Ort machte, waren die fiskalischen Interessen des sandžak-bey und seiner Beamten. Wer immer Waren verkaufte, musste eine badž genannte Verkaufssteuer entrichten, und die Läden wurden nachts gegen eine Gebühr bewacht.37 Handel konnte somit, zumindest theoretisch, nicht in den Teilöffentlichkeiten der religiösen Gemeinschaften stattfinden, sondern war dem örtlichen Prinzip nach allgemein zugänglich. Der Marktplatz war aber nicht für alle der Ort, wo sie ihre Güter und ihr Können feilbieten konnten. Eine Gruppe Roma war etwa für den militärischen Schiffsbau in der Festung angestellt, vermutlich in ihrem traditionellen Schmiedehandwerk, ebenso verfügte eine Gruppe spanischer Juden über spezifische Kenntnisse für das Gießen von Kanonen. Ihre Arbeit verrichteten sie nicht in der öffentlichen čaršija, sondern in den militärischen Anlagen der Festung.38 Der Ort des Handels und Handelns unterlag nicht nur der Abgabepflicht an den sandžak-bey, sondern auch den klaren Regeln des Islams. Diese galten zwar auch für die mahalle, doch die Umsetzung im religiös durchmischten Raum des Marktes war unmittelbarer. Während sich in den Wohnquartieren die verschiedenen Bevölkerungsgruppen selbst organisierten, war jeder, der im Marktviertel handeln und arbeiten wollte, Bestimmungen unterworfen, die für alle Nicht-Muslime (dhimmi) galten, was den Charakter des Marktviertels als öffentlicher Ort unterstreicht. Diese Regelungen verlangten gewisse Einschränkungen im Verhalten, untersagten beispielsweise das Waffentragen und bestimmten die Kleidung.39 Vielfach belegte Ausnahmen in verschiedenen Städten des Osmanischen Reichs zeigen aber die teilweise flexible bis laxe Handhabung der Bestimmungen.40

35 36

37 38

39 40

Lebl: Do ,,konačnog rešenja“, S. 8. Detailliert verzeichnet sind die Standorte gemäß einem italienischen Plan von Belgrad von 1696. Trotz der Zerstörungen während des österreichisch-türkischen Krieges dürfte diese Aufteilung auch dem Stand gegen Ende des 16. Jahrhunderts entsprechen. ÐurićZamolo: Beograd kao orientalna varoš, Abbildung 92. Čubrilović: Istorija Beograda, S. 340. Zu den jüdischen Schusswaffenexperten Ágoston: Guns for the Sultan, S. 45. Steuerbefreite Arbeiter im Hafen von Belgrad erwähnt: Miljković-Bojanović: Smederevski sandžak, S. 147. Ausführlicher behandelt im ersten Kapitel von Lewis: Die Juden in der islamischen Welt; Masters: Christians and Jews, S. 22. Gradeva: Towards a Portrait of ,,the Rich“, S. 198; Miljković-Bojanić, Smederevski sandžak, S. 269.

2. Gestaltende Präsenz: Die Erweiterung der städtischen Farbpalette

171

Das Prinzip des öffentlichen Raumes kam zusätzlich dadurch zum Ausdruck, dass alle Interaktionen zwischen Angehörigen der verschiedenen Gruppen der Jurisdiktion des kadi unterworfen waren und so Verstöße und Streitigkeiten öffentlich verhandelt wurden. In die Privatsphäre bzw. innerdiasporische Halböffentlichkeit verwiesen waren gruppeninterne Auseinandersetzungen, die von den religiösen Autoritäten jeder Gemeinschaft entschieden und damit einer allgemeinen Aufmerksamkeit entzogen wurden.41 Aber auch im öffentlichen Raum bemühten sich die muslimischen Herrscher um religiöse Toleranz; so wurden Gerichtsverfahren, an denen Juden beteiligt waren, am Sabbat ausgesetzt.42 Der Markt war nach angebotenen Waren und Dienstleistungen räumlich so strukturiert, dass sich die unterschiedlichen Zünfte, Produkte und oft auch Gruppen, die eine bestimmte Tätigkeit ausübten, am selben Ort befanden. Deutlich sichtbar macht dies die Existenz eines christlichen Marktplatzes der Ragusaner, wobei keine klare Trennung zwischen der ragusanischen Kolonie und bosnischen Katholiken bestand.43 Als Geldverleiher und Seidenhändler scheint eine armenische Gruppe ihren besonderen Ort gehabt zu haben.44 Wenngleich diese gruppierte Präsenz im Detail nicht mehr rekonstruiert werden kann, so zeigen die Reiseberichte der Zeit deutlich, dass auf dem Markt und in der Stadt verschiedene Gruppen auch nach ihrer räumlichen Zuordnung erkennbar waren.45 Die temporäre Anwesenheit fremder Gruppen und anderer Reisender konzentrierte sich auf die zwei ähnlichen Institutionen, die ebenfalls im Marktviertel anzutreffen waren: die Karawansereien und Hane als Orte für Fremde, die gegenseitig die Stadt und den Fremden von einander trennten und vor einander schützten. Der Unterschied zwischen den beiden Typen von Unterkünften kann am besten nach ihrer Funktion festgelegt werden: Die Karawanserei diente kurzen Aufenthalten von Reisenden, der han war auch für längeren Aufenthalt von Gesandten und Händlern angelegt. Die Grenzen waren auch hier oft fließend.46 Unterschiedlich war vor allem das Betriebsmodell der Unterkünfte in der Stadt. Elvija Čelebi spricht für den Fall Belgrads davon, dass bei einer Unterkunft im han des Mehmed-Paša Jahjapašić selbst nach einem Monat kein Geld außer einem Gebet für den Wohltäter fällig sei.47 Diese kostenlose Unterbringung ist weder einem der beiden Begriffe für Unterkunft zuzuordnen, noch ist sie die Regel. Als reli41 42 43 44 45 46 47

Am Beipiel der jüdischen Praxis, “eigene” oder “fremde” Richter herbeizuziehen, zeigt dies Shmuelevitz: The Jews of the Ottoman Empire, S. 68f. Shmuelevitz: The Jews of the Ottoman Empire, S. 45. Hertz: Muslims, Christians and Jews, S. 159. Čubrilović spricht für 1630 von 60 000 Einwohnern. Čubrilović: Istorija Beograda, S. 426. Ovakimjan: Armenske kolonije u srpskim zemljama, S. 54f. Stephan Gerlach des Aelteren Tage-Buch, S. 15. Čubrilović: Istorija Beograda, S. 380. Čelebi: Putopis, S. 88.

172

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

giös motivierte Gastlichkeit kam diese Unterbringung nicht nur Muslimen zugute, wie zum Beispiel Lubenau über einen anderen han seiner Reiseroute zu berichten wusste: In diesem Hospital wirdt einem jeden, ehr sei Turck, Christ oder wehr er wolle, eine Malzeit, ein Stuck Schaffleisch, ein rundes Brot, eine Schussel mit Czorba, das ist gekochter Reis aus der Suppen von Schaffleisch und seinem Pferde eine Malzeit Futter gegeben, davor er, so es im reichen, nicht ein Tranckgeldt geben darb; den sie es auch nicht annehmen, hiltens vor grose Sunde.48

Diese Infrastrukturbauten waren also, zumindest zu einem großen Teil, als religiöse Stiftung (vakf, vakuf ) angelegt.49 Damit erhielten auch diese einen öffentlichen Charakter, denn sie waren dem Handel entzogen. Gleiches galt für den Boden, auf dem die Häuser der Ragusanerkolonie standen.50 Die Hane und Karawansereien lassen sich nicht nur aufgrund ihrer Trägerschaft als Gegenteil eines privaten Ortes sehen, sondern auch durch ihre Architektur. Analog den vergleichbaren Institutionen in Venedig und der Levante, da als fondaco oder funduq bezeichnet, sind sie immer um einen Innenhof herum angeordnet, der als Markt im Markt dem Handel diente.51 Die Diasporagruppen waren auf der čaršija von Belgrad als Kunden, Händler oder Gäste in han oder Karawanserei präsent. Sie hatten zugeteilte Räume für ihre Arbeit und als Wohnquartiere und waren damit, zumindest für Kundige, durch ihre Position einer Gruppe zugewiesen. Charakteristisch für einen Teil der Roma hingegen war gerade der Umstand, dass sie keinen zugeteilten Raum hatten, jene, die sich als Musiker, Tänzer oder Prostituierte ihren Erwerb sicherten.52 Doch auch wenn Individuen ihren zugeteilten Raum in der Stadt verließen oder keinen festen Raum hatten, waren sie weiterhin als Mitglied einer Gruppe erkennbar. Die Sprache konnte ein zentrales Erkennungsmerkmal sein. Das Marktviertel ist als polyglottes Zentrum der Stadt zu denken, in dem in den verschiedenen Sprachen des Balkans Geschäfte abgewickelt wurden. Allerdings erforderte der Umgang mit den behördlichen Vertretern Kenntnis des Türkischen, insbesondere die zaptiye (Gendarmen) kamen vielfach aus entfernten Gebieten des Reiches.53 Griechisch war eine der gesprochenen Sprachen unter vielen. Erst Mitte des 18. Jahrhunderts wurde Griechisch die lingua franca des Handels auf dem Balkan, in Ragusa blieb Italienisch zentral.54 48 49 50 51 52 53

54

Lubenau: Beschreibung der Reisen des Reinhold Lubenau, S. 101f. Tamdogan-Abel: Les han, ou l’étranger dans la ville ottomane, S. 321. Čubrilović: Istorija Beograda 1 – stari, srednji i novi vek, S. 428. Concina: Fondaci; Constable: Housing the Stranger in the Mediterranean World; Tamdogan-Abel: Les han, ou l’étranger dans la ville ottomane. Marushiakova, Popov: Gypsies, S. 41f. Diese Feststellung Lorys für das 19. Jahrhundert lässt sich auch auf frühere Zeiten übertragen, wobei gar der Anteil von Menschen türkischer Muttersprache höher war. Lory: Parler le turc dans les Balkans ottomans au XIXe siècle, S. 242. Stoianovich: Conquering Balkan Orthodox Merchant, S. 91.

2. Gestaltende Präsenz: Die Erweiterung der städtischen Farbpalette

173

Die Kleidung, die sowohl gruppenspezifischen Idealen und Geboten sowie den oben erwähnten gesetzlichen Regelungen folgte, bildete eine der zentralen Differenzierungsmöglichkeiten.55 Der Reisende Otto von Pirch berichtete 1829, die verschiedenen religiösen Gruppen in Belgrad anhand der Kleidung auseinander halten zu können.56 Kleidung als kultureller Code ist direkt sichtbar und scheint einfach entziffert werden zu können.57 Allerdings konnten Reisende auch unterschätzen, dass ein stimmiges Bild von Identität nicht nur über die Kleidung hergestellt werden konnte: Im Reisebericht des Abenteurers A. Poullet findet sich dazu eine Geschichte aus dem Jahr 1658. Der Franzose wird in einem bosnischen han Zeuge davon, dass Soldaten einen ,,türkischen“ Händler bestehlen. Der Geschädigte soll sich aber aus Angst davor, selbst zum Angeklagten zu werden, nicht gewehrt haben. Die Angst vor Willkür bringt diesen Reisenden dazu, sich zu verkleiden und mit Turban und gesenktem Kopf durch die Straßen Belgrads zu gehen. Die Ragusaner hätten ihn dadurch aber für einen entlaufenen Sklaven gehalten. Als ich aber die Wahrheit erkannte und merkte, dass es mir ziemlich gut gelang, mich auf diese Weise zum Idioten zu machen, habe ich begonnen, die Methode zu ändern und ziemlich schöne Kleider nach französischer Mode unter meinem Gewand zu tragen, das ich zu gewissen Zeiten an Orten, wo ich Eindruck schinden wollte, lässig und wie aus Versehen abstreifte.58

Am Beispiel des hamam wird nochmals deutlich, welche Bedeutung die Kleidung der verschiedenen Gruppen hatte.59 Obwohl Analogieschlüsse für verschiedene Regionen und Städte des Osmanischen Reiches überaus problematisch sind, lässt sich anführen, dass in Aleppo, Kairo und Jerusalem Bestimmungen existierten, die das Tragen von religiösen Erkennungszeichen beim Besuch des Bades festschrieben, die Präsenz in der Öffentlichkeit also immer kulturelle Unterscheidung verlangte – und, wie die Geschichte des sich verkleidenden Franzosen zeigt, Konsequenzen hatte.60 Die osmanische Besiedelung der Städte spielte auf dem Balkan beinahe keine Rolle. Die Bevölkerung war mehrheitlich einheimisch und christlich, beschäftigte sich mit Handwerk, im Bergbau, in der Landwirtschaft und im Handel. Einen relativ starken Einfluss auf diese städtischen Zentren hat-

55

56 57

58 59 60

Gradeva: Towards a Portrait of ,,The Rich“, S. 193; Masters sieht darin gar die einzige visuelle Möglichkeit der Unterscheidung, neben dem Namen als auf den ersten Blick verborgenes Merkmal. Masters: Christians and Jews in the Ottoman Arab World, S. 43. Von Pirch: Reise in Serbien im Spätherbst 1829, S. 73–74. So auch die klare Unterscheidung nach der Farbe des Turbans, wie sie einige Reisende beschreiben. Stagl: Das Leben der nichtmuslimischen Bevölkerung im Osmanischen Reich, S. 382f. Samardžić: Beograd i Srbija u spisima francuskih savremenika, S. 448. Übersetzung: Marcel Gosteli. Andrejević: Typologie des hammams turcs en Serbie. Masters: Christians and Jews in the Ottoman Arab World, S. 6.

174

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

ten die Ragusaner.61 Ema Mil’ković-Bojanović teilt so die Bevölkerung des Balkans in drei Gruppen: städtische, dörfliche und die Ansiedlungen der Bergbauzentren.62 Die Bergbauzentren, insbesondere Rudnik oder Železnik, unterscheiden sich aufgrund ihrer Bedeutung und ihrer dichten Ansiedelung von anderen städtischen Zentren.63 Die Besiedelung der Städte durch muslimische Einwanderer endete schon in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, als der Prozess der Konversionen der einheimischen Bevölkerung einsetzte. Zuvor waren die muslimischen Zuwanderer hauptsächlich Angehörige der Kriegsverwaltung, religiöse Würdenträger oder Handwerker.64 In Belgrad gab es in den Sechzigerjahren des 16. Jahrhunderts etwas über hundert christliche Häuser (zivile Haushalte) – etwa dreimal weniger als muslimische. Diese christlichen Familien hatten wie die anderen nicht-muslimischen Untertanen des Sultans die Kopfsteuer und zahlreiche weitere spezifische Abgaben zu entrichten. Spuren der vertriebenen Belgrader in Istanbul deuten auf eine nicht geringe Anzahl von umgesiedelten Familien hin. Bekannt ist ebenfalls, dass sie die Reliquien der Heiligen Petka und Ikonen der Muttergottes mit sich nach Istanbul trugen. In Istanbul wurden die Umgesiedelten beispielsweise für den Unterhalt der Wasserleitungen eingesetzt.65

2.4 Diasporagruppen: Belgrads langer Arm an die Küsten der Méditerranée und des Schwarzen Meeres Belgrad verband die nördlichen Provinzen des Osmanischen Reiches mit den Häfen der Adria, der Ägäis und des Schwarzen Meeres, von wo die Waren nicht nur bis Ancona oder Venedig, sondern bis Brügge oder London transportiert wurden. Im spätmittelalterlichen Belgrad lebten hauptsächlich Serben, das heißt Untertanen Stefans, aber auch Siedler aus Bosnien und Ungarn sowie ragusanische und venezianische Händler. Die Anwesenheit ragusanischer Händler kann grundsätzlich als Barometer für die wirtschaftlichen Verhältnisse einer serbischen (Bergbau-)Stadt gelten. Sie waren für den Fürsten interessant, 61

62 63 64 65

Die befestigte Ortschaft Ostrovica wird zum Beispiel das erste Mal 1323/1324 in den Quellen erwähnt, als sich ragusanische Händler aus dem nahe gelegenen Rudnik dort niederließen. Zdavković: Srednovekovni gradovi u Srbiji, S. 41f. Miljković-Bojanović: Smederevski sandžak, S. 116. Miljković-Bojanović: Smederevski sandžak, S. 1. Miljković-Bojanović: Smederevski sandžak, S. 17. In Istanbul sind keine Nachkommen dieser Vertriebenen mehr zu finden, aber einige Namen, die auf Belgrad hinweisen. Ehemals bestand eine von ihnen erbaute Kirche. Miljković-Bojanović: Smederevski sandžak 1476–1560. Miljković-Bojanović: Smederevski sandžak, S. 270f.

2. Gestaltende Präsenz: Die Erweiterung der städtischen Farbpalette

175

da sie über Kapital und Beziehungen verfügten und für sein Fürstentum entsprechend lukrativ waren. Die Handelsreisen der Ragusaner führten oft nach Belgrad, über Belgrad oder kreuzten sich in Belgrad. Diese Handelsleute verbanden Belgrad mit den wichtigsten Zentren des Balkans und mit Ungarn. Geschäftliche Angelegenheiten wickelten sie in ihren Privathäusern ab, wiederum eine Überschneidung von öffentlich und privat. Die Handelsware entstammte meist dem Bergbau: Metalle, Silber, Kupfer und Blei. Aber auch Seide oder Brokat oder auch Stoffe einfacherer Qualität wurden gehandelt. Weiter wurden Tierprodukte wie Leder oder Käse, wie auch handwerkliche Produkte angekauft und vertrieben. Auch der Waffenhandel scheint ein lohnendes Geschäft gewesen zu sein. Die katholischen Gemeinden konzentrierten sich grundsätzlich auf die Bergbausiedlungen und die Handelszentren, wobei die Händler von der Küste, insbesondere die Ragusaner, den größten Anteil ausmachten. Vor der Mitte des 15. Jahrhunderts hatten Rudnik und Srebrenica die größten katholischen Gemeinden.66 1516 wurde in einem osmanischen Register die ragusanische Kolonie in Smederevo erwähnt, die aus 23 Personen bestand und die als ,,džemat (Gemeinde) der Franken aus Ragusa“ bezeichnet wurde. 1535 wird ein Kaplan der ragusanischen Kolonie in Smederevo erwähnt.67 Aber auch in Belgrad ist vom Jahre 1532 an ein Kaplan der Ragusaner vermerkt, und als die erste sichere Handelsherberge – die Karawanserei des Sultans Sülejman – eröffnet wurde, ließen sich in Belgrad auch wieder einige wenige Ragusaner nieder.68 1536 wurde die erste ständige Gesellschaft von ragusanischen Händlern in Belgrad gegründet. Aber schon ab 1541, nach der osmanischen Eroberung Budas, nahm die Zahl der ragusanischen Händler stark zu, wobei sich nun auch Angehörige der Patrizierfamilien in der Stadt niederließen.69 In der Regel siedelten bis zum Ende des 16. Jahrhunderts die Ragusaner nicht auf Dauer in Belgrad, sondern nur für einige Jahre. Ab 1541 arbeiteten in Belgrad etwa 30 bis 50 selbständige ragusanische Kaufleute, von denen jeder zwei bis drei Burschen, Gesellen oder Kinder bei sich hatte, während die Familie normalerweise in Ragusa blieb. In den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts änderte sich auch die Struktur der ragusanischen Kolonie. Durch die erhöhte Frequenz und den größeren Umfang der Geschäfte wuchs die ragusanische Kolonie in Belgrad; neue Geschäftsleute ließen sich mit ihren Familien auch auf Dauer in der Stadt nieder. Die Stagnation des ragusanischen Handels im Osmanischen Reich insgesamt reduzierte allerdings wieder die Zahl der 66 67 68 69

Miljković-Bojanović: Smederevski sandžak, S. 270. Mit ,,Franke“ wird vor allem in Volksliedern der Region ein ,,Westler“ oder einen Westeuropäer bezeichnet. Klaić: Rječnik stranih riječi. Besonders Rechnung getragen wurde den Bedürfnissen der osmanischen Truppen, was durchaus Gewinn versprechend war. Čubrilović: Istorija Beograda, 360f. Miljković-Bojanović: Smederevski sandžak, S. 270f. Allerdings scheinen die ersten ragusanischen Kaufleute in Belgrad vor allem den ärmeren Schichten der Republik zu entstammen und reisend unterwegs gewesen zu sein.

176

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

Kaufleute auch in Belgrad. Die Gesamtzahl der anwesenden Ragusaner war dennoch recht bedeutend. Nach einer apostolischen Visitation des Barer Erzbischofs von 1632 und 1633 hielten die Ragusaner in Belgrad etwa dreißig Läden, was einer Kolonie von etwa 200 Leuten entsprechen dürfte. Die Zahl der bosnischen Katholiken, die hauptsächlich als Kaufleute und Handwerker arbeiteten, lag zu diesem Zeitpunkt von insgesamt 60 000 Einwohnern bei etwa 1 500.70 Die Kolonie befand sich im 16. und 17. Jahrhundert in der Vorstadt, die sich gegen die Donau neigte, in der Nähe des großen Besistan und des Belgrader Hauptmarktplatzes. Beim ragusanischen Quartier befand sich ein kleiner Platz, der als ,,Ragusaer“, ,,christlicher“ oder ,,lateinischer“ Marktplatz bezeichnet wurde. Reisende dürften erstaunt gewesen sein, als sie die Überschrift an einem Brunnen im Hof eines Belgrader Hauses lesen konnten: ,,Qui crediderit et baptisatus fuerit salvus erit. Anno 1538.“71 Das interne Verwaltungsorgan der Kolonie war die Versammlung aller volljährigen männlichen Angehörigen, die selbständig im Handel tätig waren. Allerdings bedurften die Entscheidungen oder Vorschläge zur Organisation des Handels, der Preispolitik oder zu den Angelegenheiten in der Kolonie der Bestätigung aus Ragusa. Alle Entscheidungen der Versammlung wurden von allen Anwesenden auf die Bibel vereidigt. In den größeren Kolonien war zudem immer ein Kaplan anwesend, der für das religiöse Wohlergehen und für die Ausbildung der Kinder zuständig war. Er erfüllte eine ganze Zahl an administrativen Aufgaben der Kolonie und war der Vermittler zwischen Heimatstadt und Kolonie. Er war verpflichtet – allerdings nur bei Aufforderung – eine Kopie des Protokolls oder eines Beschlusses der Versammlung nach Ragusa zu senden. Auch die Wahl des ,,capo di colona“, des Vorsitzenden der Kolonie, musste von Ragusa bestätigt werden. Die Akten und Briefe der Kolonien trugen das Siegel mit dem Gesicht des Heiligen Lazarus, des Schutzpatrons der ragusanischen Händler im Osmanischen Reich. Von Belgrad aus wurden ab Mitte des 16. Jahrhunderts auch andere Städte der pannonischen Ebene durch die ragusanischen Kompagnons erschlossen. Im Ragusaner Quartier ließen sich gelegentlich auch andere Kaufleute nieder, zum Beispiel bosnische Katholiken oder Kaufleute aus Prizren, die aber beruflich mit den Ragusanern in Verbindung standen. Als gegen Ende des 16. Jahrhunderts eine größere Zahl von bosnischen Katholiken nach Belgrad

70 71

Čubrilović: Istorija Beograda, S. 426. ,,Wer glaubt und getauft ist, wird gerettet werden. Im Jahre 1538.“ Jireček: Die Heerstraße, S. 123; Lebl: Do ,,konačnog rešenja“, S. 6. Die Ordnung der ragusanischen Kolonie Belgrads von 1670 trug die Unterschrift: SIGIL.COLO.MERC.RAGVSI.BELGRAD. – S.LAZARUS. Um Unstimmigkeiten oder Einzelvorstößen vorzubeugen, forderte die ragusanische Verwaltung mehrmals, dass alle in der Versammlung Anwesenden die zu versendenden Briefe zu unterschreiben hätten. Bei schweren Verstößen gegen die Ordnung der Kolonie oder der ragusanischen Obrigkeit drohten Boykott oder gar der Ausschluss aus der Gemeinschaft.

2. Gestaltende Präsenz: Die Erweiterung der städtischen Farbpalette

177

kam, siedelten sie in unmittelbarer Nähe zu den anderen Händlern des römischen Ritus. Da die Kolonien Ragusas die ökonomische Basis der Republik darstellten, bemühte sich die ragusanische Obrigkeit, das wirtschaftliche Netz einheitlich zu organisieren. Die Kolonien, die man so auch zur Republik zählen kann, unterlagen denselben rechtlichen Grundlagen der Stadtrepublik, außerdem hatten alle Kolonien im Osmanischen Reich denselben rechtlichen Status. Sie waren von den Zollabgaben befreit, die im jährlichen Tribut an den Sultan entrichtet wurden. In privatrechtlichen Beziehungen untereinander waren die ragusanischen Untertanen den heimischen staatlichen Rechtsnormen unterworfen. In Besitzfragen, wie zum Beispiel in der Frage des Grundbesitzes, behielt sich der osmanische Staat seinen Einfluss vor. 1552 erlaubten die Osmanen die Einrichtung von Druckereien, in denen auch Bücher für Christen oder Juden gedruckt werden konnten – so in verschiedenen orthodoxen Klöstern. Die Belgrader Druckerei war im Besitz von Ragusanern, die aufgrund ihrer Privilegien große Teile des Handels beherrschten. Der vitalste Teil des ragusanischen Handelsnetzes bestand zwischen Belgrad, Novi Pazar, Vučitrn, Prokuplje und Sofia. Schon gegen Ende des 16. Jahrhunderts kündigten sich erste Schwierigkeiten für den ragusanischen Handel an. Die venezianische Konkurrenz versuchte nach dem Verlust von Zypern an das Osmanische Reich 1571 mit der Eröffnung des Hafens von Split in die Märkte des europäischen Teils des Osmanischen Reiches vorzudringen und mit Venedig zu verbinden. Auch das verstärkte Engagement Frankreichs, Hollands und Englands im Mittelmeer und ihre Annäherungen an das Osmanische Reich stärkten die ragusanische Konkurrenz. Ragusa verlor in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts seine Vorrangstellung in Belgrad, die Bedeutung griechischer, armenischer und jüdischer Händler wuchs. Gänzlich zerstört wurde die ragusanische Kolonie 1688 und 1690 während der österreichisch-türkischen Kämpfe um Belgrad.72 2.4.1 Muslime Die muslimischen Händler bildeten aufgrund ihrer unterschiedlichen Herkunft mehrere Netzwerke. Sie kamen aus südlicheren Gebieten des Balkans mit den Zentren Istanbul und Saloniki, aus Kleinasien, vor allem aus Smyrna und Bursa, von den Küsten des Schwarzen Meeres, von den Häfen und Märkten des muslimischen Ostens, aus Damaskus, Beirut, Kairo, Aden oder Bagdad. Unabhängig von ihrer Herkunft galten sie schon in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts als die reichsten und vornehmsten Kaufleute des Belgrader Marktes. Gleichzeitig traten sie auch in westlichen Städten, wie in Ancona oder Venedig auf den Plan. Die ,,einheimischen“ muslimischen Händler wa72

Čubrilović: Istorija Beograda, S. 365, 369, 427f., 443f.

178

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

ren vornehmlich im Handel auf kürzere Distanzen tätig. Sie beschäftigten sich hauptsächlich mit dem An- und Verkauf von Leder und Wolle und pflegten dadurch den Kontakt mit den Glaubensgenossen in Sofia, Novi Pazar und häufig mit Muslimen in Sarajevo, mit denen sie auch nach Italien reisten.73 Die meisten Muslime lebten in den Zentren Smederevo und Belgrad, die beide Sitze des sandžak-begs, des Vorsitzenden eines Verwaltungsbezirks im Osmanischen Reich, waren. Exemplarisch für den Wandel eines serbischen Ortes zu einem orientalischen Handelsplatz veränderte sich die Stadt Valjevo, die sich vom kleineren mittelalterlichen Marktplatz zu Beginn des 16. Jahrhunderts mit einigen muslimischen Haushalten zu einem Handelszentrum mit einer großen Mehrheit an muslimischen Einwohnern schon 1560 und einer sich stetig entwickelnden ,,orientalisch“ geprägten Infrastruktur entwickelte.74 Neben der muslimischen Zuwanderung spielten auch die Konversionen eine gewisse Rolle. Dieses Phänomen muss jedoch als Prozess gesehen werden. Die Islamisierung beeinflussten verschiedene Faktoren. So intensivierte sich diese in den städtischen Zentren des sandžaks Smederevo ab den Dreißigerjahren des 16. Jahrhunderts, als sich auch die Grenze des Osmanischen Reiches weiter nach Norden verschob und eine allmähliche Stabilisierung und Festigung der osmanischen Herrschaft stattfand. Die sich etablierenden religiösen, bildenden, kulturellen und wohltätigen Institutionen beeinflussten die Islamisierung positiv. Auch die Anwesenheit muslimischer geistlicher und weltlicher Würdenträger trug dazu bei. Zudem bestand für die Christen kaum die Möglichkeit, ein ähnliches Netz zu schaffen, das sie stärker an die Religion der Vorfahren gebunden hätte. Wer konvertierte, erlangte zudem die osmanischen ,,Bürgerrechte“ und kam in den Genuss materieller Vergünstigungen. Allerdings muss dabei beachtet werden, dass die grundsätzlich fehlende gewaltsame Bekehrung oder aggressive Mission auch auf die Steuerleistungen der nichtmuslimischen Untertanen zurückzuführen ist. Der Verlust an Einnahmen wäre immens gewesen.75 Neben der christlichen Zigeuner-Gemeinde gab es in Belgrad ab 1536 eine Gruppe von muslimischen Zigeunern. Sie zählte 1536 elf und 1560 achtzehn Haushalte.76 Ihre Berufsstruktur hatte sich ihrer nomadischen Lebensweise 73 74

75

76

Čubrilović: Istorija Beograda, S. 369. Miljković-Bojanović: Smederevski sandžak, S. 297f. Erwähnt sind Moscheen und eine große Moschee, zahlreiche Läden, Grundschulen, zwei Unterkünfte für Reisende (han) oder ein hamam. Miljković-Bojanović: Smederevski sandžak, S. 299f. Die Kompaktheit und die Homogenität der Dorfgesellschaften führten dazu, dass die Islamisierung geringer war. Auch die nicht Geflüchteten aus der ehemaligen serbischen Herrschaftsschicht konvertierten nur selten zum Islam. Sie übernahmen beispielsweise neue Funktionen im Kriegsdienst. Aber in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts kam es auch zu Konversionen unter der ,,Dorfaristokratie“. Miljković-Bojanović: Smederevski sandžak, S. 307. Aufgrund der Namensgebung in den Registern konnte darauf geschlossen werden, dass diese Zigeuner schon vor mehr als einer Generation konvertiert waren. Zudem scheinen sie auch ein Faktor der osmani-

2. Gestaltende Präsenz: Die Erweiterung der städtischen Farbpalette

179

angepasst: Sie verdienten ihr Auskommen als Landarbeiter, Musiker, Puppenspieler und mobile Handwerker.77 Trotz dieser relativen religiösen Toleranz darf die Lage der nichtmuslimischen Bevölkerung unter muslimischer Herrschaft keinesfalls verharmlost werden. 2.4.2 Juden Die Bedeutung und Vernetzung der Belgrader Juden sticht aus verschiedenen Gründen hervor. Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts etablierte sich das jüdische Handelsnetzwerk im Osmanischen Reich. Dieses Netzwerk unterschied sich von anderen in erster Linie durch den Umstand, dass es fast die ganze Welt umspannte. Die osmanischen Juden verbanden sich über Ragusa insbesondere mit den Glaubensgenossen in Ancona und Venedig, Ende des 16. Jahrhunderts auch über Sarajevo und Split. Die jüdischen Kaufleute im Osmanischen Reich waren am engsten zwischen Saloniki, Istanbul, Bursa und Smyrna untereinander vernetzt. Diese Verbindungen und Kontakte nach ganz Europa, das heißt in Städte wie Krakau, Leipzig, Hamburg, Rotterdam, London, Lyon, Venedig, Ancona oder Städte im Nahen Osten, gab den jüdischen Unternehmen eine gewisse Sicherheit bei ökonomischen Erschütterungen. Die Juden Belgrads vernetzten Istanbul, Saloniki und Smyrna (Izmir) mit polnischen, litauischen, deutschen und niederländischen Gebieten, dies auch in enger Zusammenarbeit mit muslimischen und christlichen Händlern.78 Die Aus- und Ansiedlungspolitik des Sultans betraf nicht nur Christen, sondern auch Juden und Muslime. So wurde die Umsiedelung der Belgrader Bewohner nach Istanbul auch weiter von Ansiedelungen von Juden und Griechen in der Hauptstadt begleitet, wie auch von der Neuansiedelung von osmanischen Untertanen in Belgrad.79 1542 baten – sich auf ältere Privilegien von 1532 berufend – der Jude Salomon aus Belgrad und sein Freund Juda Calderon die ragusanischen Obrigkeiten, dass sie weiterhin den florentinischen

77 78

79

schen urbanen Siedlungspolitik gewesen zu sein. Milković-Bojanović verweist in diesem Zusammenhang auch auf die erfolgreichere Islamisierung in den Gebieten Bosniens. Sie führt dies auf die instabilere (im Vergleich mit der orthodoxen serbischen Kirche) religiöse Situation zurück, in der das bosnische Königreich im Mittelalter steckte. Marushiakova, Popov: Gypsies in the Ottoman Empire. Čubrilović: Istorija Beograda, S. 371f. Wichtiger Nachweis für die engen Kontakte der Belgrader Juden mit Ragusa sind die im Ragusaer Archiv erhaltenen Wechselpapiere. Es finden sich über 50 Belgrader Juden, die mit Ragusa Handel trieben. Lebl: Do ,,konačnog rešenja“, S. 27f. 1477 waren die Juden nach den Muslimen und den Griechen die drittgrößte Gruppe in Istanbul. Lebl: Do ,,konačnog rešenja“, S. 4f.

180

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

Händlern gleichgestellt blieben, insbesondere, da sie bereit wären, nur über Ragusa zu handeln.80 Im Jahr 1560 wurden die Juden in den Registern für die Stadt Belgrad gesondert geführt und zwar als ,,die Juden der Stadt Belgrad“. Die Gemeinde zählte fünf ganze Haushalte und zwei Junggesellenhaushalte. Wahrscheinlich lebten sie in einem gesonderten Viertel der Stadt. Stefan Gerlach spricht 1578 von ,,vielen spanischen, italienischen und deutschen Juden“ auf dem Markt in Belgrad.81 Die jüdische Bevölkerung konzentrierte sich auf den Stadtteil Dorćol am Donauufer, in dessen Nähe sich auch die Anlegestelle befand. Nach der osmanischen Eroberung ließen sich die Serben am Ufer der Save nieder, wobei in Dorćol neben den Juden und Türken auch andere Ausländer wie Ragusaner, Armenier, Zinzaren, Griechen und Albaner lebten, jede Gruppe angeblich im eigenen Quartier. Verschiedene Reisende vermeldeten während des 16. Jahrhunderts beispielsweise ,,türkische, ragusanische, christliche und jüdische Händler“. Für das Jahr 1567 wurde das Niederreißen von serbischen Kirchen und Synagogen beschrieben, da in diesem Stadtteil ein Besistan (überdachter Basar) und eine Karawanserei gebaut werden sollten. 1572 und 1573 werden Türken, Juden, Serben, Ragusaner als Bewohner Belgrads aufgezählt. Die schönsten Läden hätten allerdings die Ragusaner gehabt.82 Mit der Eroberung Belgrads durch Österreich im September 1688, die Besetzung der Stadt dauerte bis im Oktober 1690, verließen wie die Ragusaner auch viele Juden die Stadt.83 Die Mehrzahl der Juden Belgrads verblieb trotz 80

81

82 83

Tadić: Jevreji u Dubrovniku, S. 143. Und Lebl: Do ,,konačnog rešenja“, S. 11f. Der Baubeginn des jüdischen Quartiers an der Donau wird in die 30er Jahre des 16. Jahrhunderts datiert. Miljković-Bojanović: Smederevski sandžak, S. 272. Die genaue Zahl der Juden um 1560 lässt sich in der Literatur nicht genau bestimmen. Genannt werden 5 Haushalte, mit verheirateten Juden, erwähnt wird natürlich auch, dass nicht alle in den Registern erscheinen, da sie entweder privilegiert oder sich nur für kürzere Zeit in Belgrad aufhielten und so nicht steuerpflichtig wurden. Lebl: Do ,,konačnog rešenja“, S. 22f. Ein Register der Stadt Belgrad zählt 1570 1654 Steuerpflichtige. Hochgerechnet auf Haushalte mit rund fünf Familienmitgliedern und den zugezählten Angehörigen der Garnison kommt Lebl auf 7106 Einwohner in steuerpflichtigen Haushalten mit 4503 Muslimen, 1543 Christen, 960 Zigeunern und etwa 100 Juden. Wieder muss betont werden, dass Frauen und Kinder und die steuerbefreiten Bewohner, wie die Ragusaner oder die privilegierten Juden, wie auch eine große Anzahl von Muslimen nicht in den Registern erschienen. Fast gleich viele Juden leben 1570 auch in Smederevo (80). Das Verhältnis zwischen der Anzahl an Muslimen, Christen und Juden ist in beiden Städten dasselbe. Es sticht aus der Rechnung von Lebl heraus, dass in Belgrad eine verhältnismäßig viel größere Zahl an Zigeunern lebte als in Smederevo (Smederevo insgesamt 4496 Bewohner, davon 80 Zigeuner). 1620 zählt ein englischer Reisender zwischen 60 und 70 jüdische Haushalte, bei einer Anzahl von 2000 Haushalten insgesamt. Lebl: Do ,,konačnog rešenja“, S. 12f. Lebl: Do ,,konačnog rešenja“, S. 8f. Der Gesandte von Maximilian II. spricht 1572 auch noch von ,,anderen“ Bewohnern. Lebl: Do ,,konačnog rešenja“, S. 41. Zu diesem Zeitpunkt lebten in Belgrad etwa 800 Juden. Schon 1663 waren es etwa 800 türkische oder spaniolische Juden in Belgrad gewesen, wobei die Anzahl an Aschkenasim nicht bekannt ist. Die meisten fliehenden Juden bega-

2. Gestaltende Präsenz: Die Erweiterung der städtischen Farbpalette

181

der Gefahren in der Stadt und kam nach den Kampfhandlungen kollektiv in österreichische Gefangenschaft. Die gefangenen Juden wurden zum Ver- oder Loskauf angeboten.84 Mit der Rückeroberung Belgrads durch die Osmanen im Jahre 1690 kamen auch langsam wieder Juden nach Belgrad. Aber nur wenige schon vor 1688 ansässige jüdische Familien kehrten nach Belgrad zurück, da der Großteil der befreiten Juden sich nicht mehr in Belgrad ansiedelte. Erneut fiel Belgrad nach dem Sieg Eugens von Savoyen über die Osmanen 1717 in österreichische Hände. Die Habsburger Herrschaft dauerte diesmal bis 1739. Der große Teil der Anwohner im Jahre 1717 mit 333 Familien waren deutschsprachige Christen. Daneben lebten zu diesem Zeitpunkt im Stadtteil 29 armenische Familien, 39 serbische, 11 ungarische und 47 jüdische (von diesen waren rund drei Viertel ,,türkischer“ und ein Viertel ,,deutscher“ Herkunft, also sefaradim und aškenazim). Es gab somit zu diesem Zeitpunkt zwei jüdische Gemeinden in Belgrad, eine aschkenasische und eine sefardische, jede mit ihrem eigenen Rabbiner.85 Mit dem Belgrader Frieden von 1739 fiel die Stadt wieder an das Osmanische Reich. Viele Bewohner, vor allem Katholiken, begaben sich auf das andere Ufer der Save und der Donau. Armenier und Juden ließen sich hauptsächlich in Zemun und Novi Sad nieder.86 Erst nach dem Berliner Kongress 1878 und mit der neuen Verfassung des Königreiches Serbien 1888 wurden die zivilen Rechte der Juden anerkannt, eine endgültige Gleichstellung erfolgte 1918.87 Einige Male in Belgrad aufgehalten hatte sich auch Evlija Čelebi. Er sprach von einer Einwohnerzahl von 98 000 im Jahr 1660, ohne die stationierten Truppen! 21 000 Menschen bezahlten nach seinen Angaben die Kopfsteuer, das heißt, waren keine Muslime. Neben der Festung, mit Blick Richtung Donau, Save und Zemun lebten die Juden. Čelebi gab an, in Belgrad habe es 270 Moscheen gegeben, zugleich ordnete er auch die neun anderen Gotteshäuser zu: griechisch, armenisch, serbisch, bulgarisch und jüdisch.88

84

85 86

87 88

ben sich nach Nikopolis, Saloniki oder Istanbul. Eine jüdische Belgrader Familie erhielt von der jüdischen Gemeinde von Ancona Unterstützung, um anschließend nach Istanbul weiterziehen zu können. Unter der österreichischen Besetzung hatten nach Lebl auch andere Gruppen zu leiden, die angeblich vom Schutz der Osmanen profitierten, wie beispielsweise für die ragusanischen Bewohner und Händler Belgrads, die Belgrad für die Zeit bis 1690 verlassen mussten. Lebl: Do ,,konačnog rešenja, S. 41f. Lebl: Do ,,konačnog rešenja“, S. 55f. Popović: Srbija i Beograd, S. 389f. Stojanović verzeichnet mit Hinweis auf Popović (O Cincarima) eine massive Abnahme der jüdischen Einwohnerzahl in Zemun: von 1000 1680 auf weniger als 100 Juden 1750. Stoianovich: Conquering Balkan Orthodox Merchant, S. 247. 1890 lebten in Belgrad 2 599 Juden, 1921 4 844, 1931 7 906. Dieser Bevölkerungszuwachs ging gleich schreitend mit dem Wachstum der Stadt Belgrad. Am Vorabend des Zweiten Weltkrieges zählte die Stadt mehr als 10 000 Juden, der überwiegende Teil war sefardisch. Benbassa, Rodrigue: Histoire des Juifs sépharades, S. 220f. Lebl: Do ,,konačnog rešenja“, S. 9f.

182

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

Durch gut sichtbare – große, schöne – Gotteshäuser Präsenz im öffentlichen Raum zu demonstrieren, war stets ein wichtiger und umstrittener Punkt. Alle Religionsgemeinschaften in den von uns untersuchten Städten bemühten sich um diese Öffentlichkeit; ob sie ihnen gewährt oder verweigert wurde, war Verhandlungsmasse und Teil der ein- bzw. ausladenden Strukturen. Aussagekräftig sind auch Bestimmungen über Größe und Gestalt bewilligter Bauten. Die generelle Tendenz, die wir beobachten konnten, weist auf eine Konkurrenz der Glaubensbekenntnisse, insbesondere – dies ist vielleicht das unerwartete Moment – gerade zwischen den verschiedenen christlichen Glaubensbekenntnissen; während man völlig andere Glaubensbekenntnisse eher tolerierte, sie gleichsam als weniger bedrohlich empfand. Alle Obrigkeiten in Ost und West waren jedenfalls bestrebt, fremde Religionen (falls überhaupt geduldet) in den privaten Raum zu verweisen; wurde ihnen Öffentlichkeit gestattet, zeugen aber unzählige Bestimmungen davon, dass ihre Baulichkeiten jene der herrschenden Religionsgemeinschaft an Schönheit, Pracht und Größe nicht überragen durften. Umgekehrt waren Diasporagemeinschaften stets bestrebt, mit ihrem Glaubensbekenntnis öffentlich sichtbar sein zu dürfen, wie zahlreiche Bittschriften in allen Archiven zeigten. Große Bedeutung hatte auch die akustische Präsenz in der Öffentlichkeit: Der muezzin rief die einen Gläubigen zum Gebet, Kirchenglocken die anderen. Wiederum andere orientierten sich nach dem Sonnenuntergang und trafen sich zu gemeinsamem Gebet. Gotteshäuser waren sichtbare Orte, wo man sich erhoffen konnte, auf seinesgleichen zu treffen. Auch in den Wohnquartieren blieben die verschiedenen Gruppen offensichtlich gern unter sich. Heinrich Ottendorf erwähnte auf seiner Reise eine eigene ,,jüdische“ Straße, wo die Juden verschiedene Waren verkauft hätten. Zudem besaßen sie ein riesiges Haus, das sich bei der Fähre nach Temischwar befunden haben soll.89 1680 gab es neben den ragusanischen und ,,deutschen“ Händlern rund 170 Juden in Belgrad.90 Ende des 17. Jahrhunderts besaß Belgrad den Ruf, nach Istanbul und Saloniki das dritte Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit zu sein.91 Auch die Belgrader Rabbiner des 18. Jahrhunderts kamen aus verschiedenen Städten Europas und des Osmanischen Reiches.

89

90

91

Dieses Gebäude hätte nach dieser Beschreibung Platz für nicht weniger als 800 Juden gehabt. Diese Beschreibung träfe eher auf das ,,Ausländerasyl“ zu, das gelegentlich erwähnt wird. In den Belgrader Quellen ist in der Regel von ,,Deutschen“ die Rede, doch ist schwer zu bestimmen, woher sie stammten, wenn ihr Herkunftsort nicht explizit genannt wurde. Meist handelte es sich um Untertanen Habsburgs. Lebl: Do ,,konačnog rešenja“, S. 10. Diese Zahl unterscheidet sich wesentlich von den 800 Juden, die zum Ende des Jahrhunderts für Belgrad gezählt wurden. Die Zahl würde eher der Anzahl jüdischer Familien entsprechen. Benbassa, Rodrigue: Histoire des Juifs sépharades, S. 89. Benbassa, Rodrigue: Histoire des Juifs sépharades, S. 89.

2. Gestaltende Präsenz: Die Erweiterung der städtischen Farbpalette

183

2.4.3 Griechen, Aromunen und Zinzaren Da sich die Aromunen in den Quellen häufig schwer von den Griechen unterscheiden lassen – die Muttersprache wird aus den Quellen nicht ersichtlich, die Zinzaren sprachen neben dem Aromunischen in der Regel auch Griechisch – erscheinen diese drei Gruppen in der Regel auch zusammen. Auch die Identifikation nach Namen ist schwierig. So ergänzten sehr viele Migranten und Händler ihren Namen mit dem slawischen Suffix ,,-ić“, so dass die ethnische Herkunft nicht mehr erkennbar ist. Diese Namensänderung scheint ausschließlich berufliche Gründe gehabt zu haben.92 Dennoch kann angenommen werden, dass die ,,sogenannten griechischen Kaufleute in den östlichen und südöstlichen Gebieten Mitteleuropas größtenteils aromunischer Herkunft“ waren.93 Die griechische ,,Schulbruderschaft“ in Zemun nannte sich ,,Društvo Romeja i Mekedonovlaha“. Die Gesellschaft der griechischen Bruderschaft in Novi Sad nannte sich ,,Communitas Hellenica“ oder ,,Graeca“.94 Bei der Bezeichnung ,,Grieche“ taucht eine weitere Problematik auf. Popović weist darauf hin, dass nicht nur im heute serbischen Gebiet seiner Untersuchung die Bezeichnung Grieche auch als Synonym für ,,Händler“ verwendet werden konnte. Der ,,Grieche“ konnte wie Aromune auch Serbe, Deutscher, Jude, Albaner, Mazedonier oder Armenier sein.95 Mit einigen Zugeständnissen an die osmanischen Händler in Ancona wurde 1514 ein fondaco für die ,,mercanti turchi et altri Maumetani“, die mit Getreide und anderen Waren handelten, eingerichtet. Diese Privilegien schlossen auch die griechischen Untertanen des Osmanischen Reiches mit ein.96 Die Mobilität der Aromunen lässt sich mit den politisch und wirtschaftlich motivierten Bevölkerungsbewegungen erklären. Sie prädestinierte diese Gruppe zur Beschäftigung als Händler und als Transportunternehmer. Auch die meisten Gasthöfe an den Handelsstraßen wurden von Aromunen geführt. In den Städten der Balkanhalbinsel arbeiteten die aromunischen Handwerker vor allem als Baumeister und Zimmerleute wie auch Silberschmiede und Holzschnitzer.97 Im überregionalen Bereich verbanden die ,,Griechen“ Belgrad und Buda mit Saloniki und Istanbul.98 In Belgrad scheint ihre Zahl und ihre Bedeutung nicht jene der Ragusaner erreicht zu haben.99 ,,Griechische“ Händler waren in verschiedenen Geschäftsbereichen tätig. Im Transithandel, als Großhan92 93 94 95 96 97 98 99

Papadrianos: Grci na srpskom tlu, S. 19. Peyfuss: Aromunische Frage, S. 25. Papadrianos: Grci na srpskom tlu, S. 12f. Popović: O Cincarima, S. 111. Stoianovich: Conquering Balkan Orthodox Merchant, S. 237. Peyfuss: Aromunische Frage, S. 15. Čubrilović: Istorija Beograda, S. 365. Čubrilović: Istorija Beograda, S. 372.

184

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

delsleute oder aber auch im Kleinwarenhandel auf lokaler und regionaler Ebene. Als Spediteure und Transithändler kümmerten sich die Zemuner ,,Griechen“ um den Weitertransport der Waren aus dem Osmanischen Reich, die in Karawanen, normalerweise mit Maultieren und Pferden, von Belgrad über die Save nach Zemun gelangten. Griechische Großkaufleute fanden sich vor allem in Belgrad. Mit dem Passarowitzer Frieden 1718 wurde auch ein neuer Handelsvertrag zwischen Österreich und dem Osmanischen Reich unterzeichnet, der für die Händler Zollerleichterungen und Bewegungsfreiheit vorsah.100 Der größte Teil des Handels zwischen dem Osmanischen Reich und Österreich lag in den Händen der griechischen Kaufleute unter osmanischer Herrschaft.101 Eine wichtige Rolle spielte mit dem Aufstieg Zemuns zum Handelszentrum der Getreideexport auf der Donau bis zum Schwarzen Meer und weiter. Exportiert aus dem Osmanischen Reich haben diese Kaufleute vor allem Holzmaterialien, Baumwolle, Vieh und Seide. Die griechischen Kleinhändler hatten ihr Haupteinzugsgebiet vor allem in den Gebieten südlich von Belgrad aber auch in der Vojvodina. Sie verbanden auch Belgrad und Zemun.102 In Belgrad lebten die ,,Griechen“ während der österreichischen Herrschaft (1717–1739) beim zentralen Markt und im serbischen Stadtteil. 1721 waren es wohl rund 167 Händler. Sie galten vor dem Ende des 18. Jahrhunderts als die wichtigsten Kaufleute in Belgrad.103 Einen wirtschaftlichen Niedergang erlebten die zinzarischen Händler Belgrads erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.104 Sehr früh finden sich Griechen auch an den östlichen Küsten des Mittelmeers unter venezianischer Herrschaft in Istrien, Dalmatien und an der albanischen Küste, wohin sich seit der Mitte des 16. Jahrhunderts Griechen aus den Balkan-Gebieten des Osmanischen Reiches begaben und bedeutende

100

101

102 103 104

Der Handelsvertrag sah das ungehinderte Reisen von Handelsleuten im jeweiligen anderen Territorium vor. Die Zollgebühren wurden bei 30 % festgelegt. Noradounghian: Recueil d’actes internationaux de l’Empire Ottoman. Band 1, S. 220f. Die Bruderschaft der osmanischen griechischen Händler in Wien trug den Namen des Heiligen Georg. Verschiedene Gebäude in Wien beherbergten zu verschiedenen Zeiten die Kapelle der orthodoxen Griechen. Die Gemeinde scheint häufig in Auseinandersetzungen mit dem serbischen Erzbistum von Karlowitz verwickelt gewesen zu sein. Homepage der Kirchgemeinde: http://www.agiosgeorgios.at/istoriko13.htm. Zum Handel und anderen beruflichen Tätigkeiten der Griechen und Aromunen Papadrianos: Grci na srpskom tlu, S. 39f. Popović: O Cincarima, S. 119f. Mitte des 19. Jahrhunderts lebten in Belgrad noch wohl etwas mehr als 100 Familien aromunischer oder griechischer Herkunft. In Zemun lebten 1736 etwa 15 bis 20 griechische oder aromunische Familien, 1764 80 bis 100, 1774/1775 etwa 120 bis 150. Papadrianos geht von etwas höheren Zahlen ,,des griechischen Elementes“ in Zemun aus: 1747 200 bis 250 Personen, 1823 schon 1 000, was zu diesem Zeitpunkt etwa jeder neunte Einwohner Zemuns gewesen wäre. Papadrianos: Grci na srpskom tlu, S. 30f.; Popović: O Cincarima, S. 128; Zahlen aus Popović: O Cincarima, S. 54f.

2. Gestaltende Präsenz: Die Erweiterung der städtischen Farbpalette

185

Körperschaften bildeten.105 Mit dem 18. Jahrhundert nahm die Anzahl der Griechen in Dalmatien weiter zu. Die Griechen siedelten hauptsächlich in den Hafenstädten von Zadar, Šibenik, Knin und Trogir (dt. Trau, ital. Traù) und kamen hauptsächlich vom Peloponnes, von Kreta, Zypern und den ägäischen und ionischen Inseln.106 Auf dem österreichischen Territorium wurden die Waren dann nach Budapest oder Wien weitertransportiert. Persische Teppiche, Paprika, Wein, Pelze oder Baumwolle, Stoffe oder Leder, Tabak oder Salz waren wichtige Exportprodukte aus dem Osmanischen Reich. Fertigprodukte aus Zentral- und Westeuropa fanden ihren Weg über die Spediteure auch in die osmanischen Gebiete des Balkans oder auch nach Kleinasien.107 Für die Griechen des Osmanischen Reiches war das griechische Patriziat in Diensten der Hohen Pforte und das orthodoxe Patriarchat in Istanbul, das ebenfalls in griechischen Händen war, von großer Bedeutung.108 Mit dem Frieden von Belgrad (1739) begaben sich viele griechische Händler in Richtung Norden, das heißt aus den wieder eroberten osmanischen Gebieten auf das Territorium Österreichs. Auf lokaler Ebene waren die Händler dennoch immer wieder österreichischen Restriktionen unterworfen. So konnte aufgrund von Seuchengefahr der Hausierhandel eingeschränkt oder ganz unterbunden werden. Das Misstrauen gegenüber türkischen Untertanen zeigte sich in der häufigen Registrierung durch die österreichischen Behörden. So wurden in Temischwar 1739 die Griechen, ,,Arnauten“ und die deutschen und spanischen Juden mit dem Zeitpunkt ihrer Ankunft und ihrer Tätigkeit erfasst.109 Mit dem Belgrader Frieden wurden der freie ,,Handel und Wandel“ der osmanischen Untertanen in Österreich bestätigt. Die Banater Verwaltung forderte die Kleinhändler aber schon 1740 auf, ihre Familien nach Österreich nachzuziehen, da sie ansonsten ihrem Gewerbe nicht mehr nachgehen dürften und wegziehen müssten. Für den Großhandel wurde die Erlaubnis nur für bestimmte Orte vergeben. Mit Handelspass und Handelserlaubnis war es den reicheren osmanischen Händlern erlaubt, in Österreich Handel zu treiben, allerdings nur mit türkischen Waren. Der Pass musste jeweils nach sechs Monaten erneuert werden.110 Diese

105 106 107 108 109 110

Papadrianos: Grci na srpskom tlu, S. 20 (udružen’e / društvo = Körperschaften, Gesellschaften). Papadrianos: Grci na srpskom tlu, S. 33. Zum Handel und anderen beruflichen Tätigkeiten der Griechen und Aromunen Papadrianos: Grci na srpskom tlu, S. 39f. Čubrilović: Istorija Beograda, S. 372. Popović: O Cincarima, S. 93. Popović: O Cincarima, S. 91f. Eine weitere Einschränkung betraf die Angestellten: die Händler durften keine türkische Dienerschaft beschäftigen. Zudem war der Zahlungsverkehr über die Grenzen massiv eingeschränkt. Es stellte auch ein großes Risiko dar, seine Frau aus dem Osmanischen Reich bringen zu wollen. So floh die Frau von Dimitrij Karamate mit einem Mädchen und als Mann verkleidet aus Istanbul nach Zemun.

186

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

Maßnahmen sollten dazu dienen, das wirtschaftliche Potential der Händler auf dem eigenen österreichischen Territorium zu konzentrieren. Während des russisch-osmanischen Krieges kam es 1769 zu einer Massenflucht der Bevölkerung aus der ,,Aromunenstadt“ Moschopolis (Voskopojë in Albanien) und zu deren Zerstörung. Moschopolis, ein über Bosnien mit Venedig und Österreich verbundenes Handelszentrum zwischen Mazedonien, Albanien und Epirus, erlebte seine wirtschaftliche Blüte zwischen 1750 und 1769. Die Handelsverbindungen der Stadt mit Venedig, Brindisi und Wien waren bedeutend, wenn nicht gar dominierend.111 Häufig werden Einwohnerzahlen von mehreren 10 000 Einwohnern in Moschopolis angenommen, was für diese Zeit im Vergleich sehr hoch ist.112 An der Akademie in der Stadt wurde in Griechisch unterrichtet und die Druckerei verschrieb sich der Verbreitung von Literatur in griechischer Sprache.113 Die osmanischen militärischen Maßnahmen gegen die Griechen und die Zerstörung der Stadt waren eine Reaktion auf die russischen Interventionen auf dem Peloponnes und auf den misslungenen Aufstandsversuch der Griechen. Ein großer Teil der aromunischen Bevölkerung zerstreute sich im Osmanischen Reich, zum Beispiel in Bosnien. Viele Aromunen wichen auf das Gebiet Österreichs aus, wo sie sich insbesondere an den neuralgischen Punkten an der Save und der Donau niederließen.114 Beispiele dafür sind Niš, Kragujevac, Kruževac, Belgrad, Šabac, Passarowitz (Požarevac), Smederevo, wobei Belgrad die wichtigste dieser Kolonien war. Die Aromunen und Griechen Belgrads waren unterschiedlicher Herkunft: so aus Adrianopolis (Edirne), Saloniki, Moschopolis, Kastoria und anderen Städten.115 Von drei zinzarischen Brüdern aus Katranica ließ sich 1773 zum Beispiel einer in Zemun, einer in Bratislawa und einer in Leipzig nieder. Die Fami111 112

113 114

115

Peyfuss: Aromunische Frage, S. 16. Popović: O Cincarima, S. 36. Die Berechnungen, aufgelistet bei Popović, gehen von Zahlen von 50 000 bis 80 000 aromunischen Bewohnern in Moschopolis aus! Weigand schätzte die Zahl der Voskopojaren in Europa und dem Orient auf 20 000. Weigand: Aromunen, S. 100. Die Frage der Identität und des Zugehörigkeitsgefühls zur Zeit der aromunischen Nationalbewegung im 19. Jahrhundert beurteilt Wolfgang Dahmen ebenfalls kritisch: So identifizierten sich vor allem die sozial höheren Schichten weniger mit dem Gedankengut aus Rumänien, als vielmehr mit Griechenland! Deshalb gingen ihre Kinder, in Erwartung wirtschaftlicher Vorteile, auf griechische Schulen. Dahmen: Die Aromunen heute, S. 70. Peyfuss: Aromunische Frage, S. 23. Popović: O Cincarima, S. 37. Die größte Anzahl an Aromunen zählten Zemun und Novi Sad. Die ,,zerstreuten“ Aromunen stammten allerdings nicht nur aus Moschopolis, sondern auch aus anderen aromunischen Siedlungen. Weitere Zerstörungen erlebte die Stadt Moschopolis 1788 und 1821. Verschiedene Siedlungsorte siehe S. 41. Auch in Gebieten wie Schlesien, Preußen, Böhmen, Mähren oder Sachsen ließen sie sich nieder. In der Regel da, wo schon Niederlassungen und Handelspartner bestanden. Peyfuss: Aromunische Frage, S. 16. Papadrianos: Grci na srpskom tlu, S. 30.

2. Gestaltende Präsenz: Die Erweiterung der städtischen Farbpalette

187

lie Konstantinović in Šabac hatte Verwandte in Kragujevac, Belgrad, Ohrid, Athen, Smirna, Sofia, Saloniki und Larisa. Die Familienmitglieder Bogović (Bog) waren in verschiedenen rumänischen Orten anzutreffen, wie auch in Saloniki, Skopje, Bitola und gar auf Madagaskar.116 Schon früher waren Griechen und Zinzaren als Händler überall anzutreffen. Im 16. und 17. Jahrhundert waren sie – wie daneben auch die ,,Raizen“ (Serben), Armenier und Türken – in Ungarn zu finden. Sie transportierten Getreide nach Italien, schmuggelten Waffen aus Kärnten in die Türkei und in Nordungarn dominierten sie im Weinhandel. Handelskontakte gab es nach Wien, Istanbul, Leipzig, Hamburg oder Triest.117 1582 war den mercatores graeci in Antwerpen der Handel mit osmanischen Waren gestattet worden. Um 1600 lag ein großer Teil des Handels der östlichen Hälfte des Balkans in griechischen Unternehmerhänden.118 Der Marktplatz Zemun nahm in diesem Zusammenhang eine zentrale Stellung ein. Schon Mitte des 18. Jahrhunderts hielten die Griechen und Zinzaren auch hier den großen Teil des Handwerks und Handels in ihren Händen, in diesem ,,geschützten Zugang zum Balkan“, im Gebiet der Militärgrenze.119 Die Niederlassung von Griechen und Zinzaren wurde erst mit dem Toleranzedikt Josephs II. (1781) erleichtert. Und einige reiche Zinzaren erlangten das Recht, orthodoxe Kirchen in katholischer Umgebung erbauen zu lassen. Besonders der aromunische Händler Teodor Apostolović profilierte sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts als Wohltäter in Zemun. Auch zahlreiche andere aromunische Familien taten sich durch fromme und wohltätige Stiftungen und Mäzenatentum hervor und kamen so in der neuen Heimat oft zu Ansehen und gar zu Nobilität.120 Die Griechen und Zinzaren waren aber immer noch dazu verpflichtet, den 116 117 118 119

120

Popović: O Cincarima, S. 83f. Popović: O Cincarima, S. 122. Stoianovich: Conquering Balkan Orthodox Merchant, S. 238f. Mit der Niederlassung von Griechen, Zinzaren und auch Juden wurde Zemun zu einem wichtigen Umschlagsplatz für deutsche und türkische Waren. Dies drückt sich auch im Bau der Zemuner Quarantäne 1730 aus. Popović: O Cincarima, S. 110f.; Fotić: Privatni život, S. 496f. Peyfuss: Aromunische Frage, S. 17f. Die Nationalität wird von Peyfuss als gegebenes Element betrachtet, das verloren gehen kann. Dennoch wurden die Aromunen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Politikum, als gewisse ,,nationale Aspirationen“ auf Widerstände stießen. Das ökumenische Patriarchat in Istanbul unterstützte die griechischen Aspirationen. Es muss beachtet werden, dass sich ein Teil der Aromunen selbst gegen die nationalen Bemühungen stellte, da ihre religiösen Bindungen ans Patriarchat stärker waren als eine propagandistisch hervorgehobene Bindung der Aromunen an ein mögliches Rumänien. Zudem übte auch die Existenz eines christlichen Staates Griechenland eine große Anziehungskraft auf viele Aromunen aus. Von griechischer Seite wurde betont, dass die Anhänger der aromunischen Nationalbewegung nur in den ärmeren Schichten zu finden waren. Auch nicht zu vergessen ist, dass auch die Anzahl von Aromunen, die sich zur Zeit der nationalen Bewegungen für das Serbentum begeisterten, ebenso groß war.

188

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

Eid auf den österreichischen Kaiser zu leisten, mit dem sie ihm Loyalität gelobten. Mit dem Ende des 19. Jahrhunderts fanden sich beispielsweise im Gebiet der Bačka121 keine Händler mehr, die türkische Untertanen waren.122 Mit einem Dekret von 1789 hatte Wien von allen osmanischen Untertanen, die sich auf dem Territorium niederließen, diese Eidesleistung und die Steuerpflichten als österreichische Bürger verlangt.123 Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war die Anzahl Griechen oder Aromunen in Zemun beträchtlich (etwa 800), gegen Ende des Jahrhunderts verschwindend. Viele Zinzaren kamen nach dem griechischen Aufstand von 1821 nach Serbien und nach Belgrad.124 Die Schreibkenntnisse und die Kenntnisse des Griechischen waren für die Aromunen zentral für ihre Handelstätigkeit. Selten kam es vor, dass Aromunen, Frauen wie Männer, nur die romanische Muttersprache beherrschten. Dennoch blieb das Aromunische im privaten Rahmen die Umgangssprache.125 Als erste griechisch-orthodoxe Kirche in Zemun wurde die Nikolauskirche 1752 fertig gebaut. Diese Kirche hatte zu diesem Zeitpunkt noch keinen Glockenturm. Eine zweite Kirche, dem orthodoxen Feiertag Mariä Geburt (Roždestvo Bogorodice) geweiht, wurde bis 1780 errichtet.126 Hervorgetan hat sich in Zemun besonders der aromunische Seifenmacher Teodor Apostolović aus Saloniki. Er erhielt von den österreichischen Obrigkeiten die Bewilligung, in der Quarantäne eine Kapelle zu erbauen, die nach dem Heiligen Erzengel (Sveti Arhangel) benannt wurde. Auch für die liturgische Versorgung, das heißt für einen Diakon, und für einen wöchentlichen Gottesdienst und den Feiertagsgottesdienst in der Quarantäne kam Apostolović auf.127 Gegen Ende des 18. Jahrhunderts kam es im Zuge der neuen nationalstaatlichen Bestrebungen beider Gruppen vermehrt zu Auseinandersetzungen zwischen griechischen und serbischen orthodoxen Gemeinden. Die Streitigkeiten drehten sich vor allem um die Sprache der Liturgie in der Nikolaikirche. Man einigte sich schließlich auf unterschiedliche Gottesdienste.128

121 122 123 124 125 126 127

128

Heutiges Gebiet in der Vojvodina und des angrenzenden südlichen Ungarns (z. B. Subotica, Novi Sad). Popović: O Cincarima, S. 103. Papadrianos: Grci na srpskom tlu, S. 25. Popović: O Cincarima, S. 55; Papadrianos: Grci na srpskom tlu, S. 26. Popović: O Cincarima, S. 75. Papadrianos datiert die Vollendung des Baus auf 1790. Papadrianos: Grci na srpskom tlu, S. 53. Zahlreiche Dokumente aus dem Zemuner Magistrat weisen Apostolović über mehrere Jahre als Stifter aus. Hier: IAB, Fd.1, kut. 1416 (1787), F II br. 302. IAB, Fd. 1, kut. 1511 (1793), F XXI br. 12. IAB, Fd. 1, kut. 1511 (1793), F XXI br. 12. Im Namen der griechischen Gemeinde beklagten sich fünf Händler 1795 über die ungenügenden Sprachkenntnisse des neuen Priesters. IAB, Zemuner Magistrat, Fd 1, kutija 1556 (1795), F XXXIV br. 108.

2. Gestaltende Präsenz: Die Erweiterung der städtischen Farbpalette

189

2.4.4 Armenier Der Handel zwischen Persien und Europa, Russland und Indien lag in Händen von armenischen Handelsgesellschaften, die mit ostindischen, levantinischen und moskowitischen Kompanien wetteiferten. Die Armenier etablierten Geschäfte von Kabul bis Marseille, unter anderem in Venedig, Genua, Moskau oder Amsterdam. Besonders der Seidenhandel wurde von den armenischen Händlern dominiert.129 Sie, die praktisch nur in den großen Städten lebten, verbanden durch ihre Vernetzung die wichtige Achse Wien–Venedig mit den persischen Zentren im Osten.130 In Bulgarien etablierten sich wichtige armenische Gemeinden in Burgas, Varna und Sofia. Mit der osmanischen Eroberung der Gebiete wurden die Armenier in die millet integriert. Die Missionsbemühungen der Gegenreformation in Polen trieben mehr und mehr Armenier, die sich weigerten, sich zum Katholizismus zu bekennen, ins Osmanische Reich. Auch Rumänien zählte eine Anzahl von armenischen Gemeinden, die sich auf den Handel zwischen dem Osmanischen Reich und Nordeuropa konzentrierten. Im frühen 17. Jahrhundert wurde in Bukarest eine armenische Kirche erbaut. Insbesondere im Handel, der Lederverarbeitung und der Kerzenherstellung waren die Armenier in Ungarn tätig. Auch in Ungarn, vor allem in Transsylvanien, folgten mit den habsburgischen Eroberungen verstärkte Bekehrungsbemühungen von katholischer Seite.131

2.5 Verwaltete diasporische Präsenz Nach der Eroberung von Konstantinopel wurden die nichtmuslimischen Glaubensgemeinschaften auf dem Gebiet des Osmanischen Reiches neu in die Verwaltungsordnung integriert. Den offiziellen nichtmuslimischen Verwaltungseinheiten (millets), dem Oberrabbinat sowie dem armenischen und griechischen Patriarchat, wurde eine gewisse Verantwortung übertragen.132 Zu diesem Zeitpunkt gab es kaum Katholiken auf dem Gebiet des Osmani129

130 131 132

Bournoutian: A Concise History of the Armenian People, S. 209. Der Autor macht die Unterteilung der verschiedenen christlichen Glaubensrichtungen im Osmanischen Reich entsprechend der jeweiligen Patriarchate: So fielen die sogenannten Monophysiten (besser: Nicht-Chalkedonier) unter die Jurisdiktion des armenischen Patriarchen. Dadurch gehörte auch die koptische, äthiopische und syrische Kirche zum armenischen Patriarchat. Die chalkedonischen Kirchen (Konzil von 451), die die Zwei-Naturen-Lehre Christi, das heisst eine göttliche und eine menschliche, vertraten, fielen wie die serbische Kirche unter das griechische Patriarchat. Čubrilović: Istorija Beograda, S. 365. Bournoutian: A Concise History of the Armenian People, S. 249f. Beispielsweise steuertechnische Verwaltungsautonomie oder autonome Rechtsprechung innerhalb der Glaubensgemeinschaft. Genauere Hinweise siehe im Folgenden.

190

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

schen Reiches. Erst mit der Eroberung Bosniens und einigen venezianischen Gebieten auf dem Balkan und der Ägäis nahm die Zahl der katholischen Untertanen zu. Dennoch bildeten die Katholiken nie eine eigene millet. Dies hatte zur Folge, dass die türkische Regierung sich an die jeweils verfügbaren lokalen Institutionen wandte: wie zum Beispiel die bosnischen Franziskaner. Der Franziskanerorden erreichte so auch einige Sicherheiten von Sultan Mehmed II. in Bezug auf Unversehrtheit von franziskanischem Leib und Gut. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts gab es etwa 20 Franziskanerklöster auf bosnischem Gebiet.133 Administrativ fiel Belgrad dem sandžak Smederevo, der ehemaligen Hauptstadt Serbiens, zu. Der sandžak unterteilte sich politisch in neunzehn Gebiete, unter anderen Niš, Belgrad, Užice oder Rudnik.134 Die Gerichtsbezirke (Kadiluk) wie Rudnik, Užice, Belgrad, usw. waren entsprechend eingeteilt. Seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts lebten im Smederevoer sandžak Angehörige von vier Konfessionen: Orthodoxe, Katholiken, Muslime und Juden. Die orthodoxen Gläubigen fielen mit der Wiedererrichtung des Patriarchates von Peć (1557) unter dessen kirchenrechtliche Jurisdiktion. Die Basis für die Regierungsweise der osmanischen Sultane scheint generell pragmatischer Art gewesen zu sein. Es mussten so viele nichtmuslimische Untertanen vorhanden sein, dass das Wirtschaftsleben weiter funktionierte und auch die nötigen Steuern (insbesondere der harač) entrichtet wurden. Nichtmuslime waren Bürger zweiten Ranges und soweit toleriert, als es den muslimischen Bürgern nicht zum Schaden gereichte: insofern war auch das öffentliche Leben mit Einschränkungen geregelt. Der sogenannte Omarvertrag aus dem achten Jahrhundert regelte die Stellung und das Verhalten der dhimmi im muslimischen Staat. Neben den religiösen, rituellen Unterschieden kam im Osmanischen Reich auch öffentliche, rechtliche Segregation zwischen Muslimen und den nichtmuslimischen Untertanen zum Tragen, wie sich dies in öffentlichen Anstalten wie Bädern oder Barbierstuben oder den Kleidern zeigte.135 Die Ausübung des eigenen Glaubens wurde erlaubt, aber nur so weit, wie die rechtgläubigen Muslime nicht durch öffentliche Zeremonien in ihren Gefühlen verletzt würden. So wurde beispielsweise das Läuten der Kirchenglocken allgemein verboten. Im Besonderen gab es Ausnahmen, zum Beispiel wenn keine Muslime in der Nähe lebten oder wenn dies politische Gründe geboten. In dieser Form der religiösen Strukturierung waren katholische Geistliche nicht erfasst und fielen im Osmanischen Reich dadurch in den Zuständigkeitsbereich der orthodoxen Würdenträger. Diese 133 134 135

Biegman: Turco-Ragusan Relationship. Čubrilović: Istorija Beograda, S. 336. Eine Auflistung dieser Punkte findet sich in Srećko M. Džaja: Katolici u Bosni i zapadnoj Hercegovini na prijelazu iz 18. u 19. stoljeće. Doba fra Grge Ilijića Varešanina (1783– 1813). Zagreb 1971, S. 20f. An dieser Stelle finden sich noch weitere Erläuterungen zu Begriffen wie ,,kanun“ oder ,,Scharia“.

2. Gestaltende Präsenz: Die Erweiterung der städtischen Farbpalette

191

orthodoxe Jurisdiktion galt für die Katholiken in Serbien, wie für die Katholiken in Istanbul oder auf den Inseln unter osmanischer Herrschaft. Interessant erscheint die Politik der Hohen Pforte gegenüber der orthodoxen und der katholischen Kirche. Einerseits wurde mit den Ernennungsurkunden (berat) für die orthodoxen Metropoliten auch das Recht auf Steuereinzug bei Katholiken oder bei den Franziskanern vergeben, andererseits sollten Fermane des Sultans gerade dies verhindern. Natürlich wurden diese Fermane auf Klagen hin ausgestellt.136 Die Katholiken Sarajevos lebten im offiziell frenkluk und populär latinluk genannten Stadtviertel. Dieses Quartier wurde auch hauptsächlich, aber nicht ausschließlich von Katholiken bewohnt. Bis zum Großbrand von 1697 existierte an selbem Ort eine katholische Kirche, die erst 1855 erneuert wurde. Sowohl 1785 als auch 1800 war jeweils ein für die katholische Gemeinde zuständiger Priester verzeichnet.137 Eine Veränderung beeinflusste auch die Bevölkerungs- beziehungsweise die Berufsstruktur in Sarajevo. Im 18. Jahrhundert nahm die Zahl an christlich-orthodoxen sowie jüdischen Kaufleuten deutlich zu. Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts sind keine einheimischen katholischen Familien unter den bedeutendsten Handelshäusern Bosniens. Die Anwesenheit katholischer Händler und Handwerker beschränkte sich hauptsächlich auf kleinere bosnische Städte.138 Auch wenn die wirtschaftliche Struktur im Osmanischen Reich religiöse Züge trug (man vergleiche die innere Struktur der esnafi), fand die Diskriminierung der nichtmuslimischen Untertanen vor allem auf gesellschaftlicher Ebene ihren Niederschlag – dies auch beeinflusst von den äußeren und inneren politischen Gefahren. So wurden beispielsweise Bestimmungen zum Tragen bestimmter Kleider und Waffen durchgesetzt, wie 1768 den Christen und Juden das Tragen von gelben Lederstrümpfen und Pantoffeln untersagt wurde. 1778 wurde den Juden Sarajevos verboten, rote Hosen zu tragen. Weitere Kleidervorschriften sollten 1794 in Kirchen und anderen religiösen Versammlungsstätten bekannt gemacht werden.139 Die Wiederherstellung des Patriarchats von Peć 1557 unter osmanischer Herrschaft hatte für die orthodoxe serbische Bevölkerung große Bedeutung. So wurde ein geistliches Zentrum zurück erworben, das als einzige Institution des mittelalterlichen serbischen Staates überlebte. Die mittelalterliche serbi136 137

138 139

Miljković-Bojanović: Smederevski sandžak, 1476–1560, S. 270. Džaja: Katolici u Bosni i zapadnoj Hercegovini, S. 54. In diesem Quartier lebten die christlichen Händler, zum Beispiel auch die Ragusaner. Als Franzosen wurden in Sarajevo alle bezeichnet, die ,,fränkische“ Kleidung trugen. Wobei offensichtlich die französischen Händler selbst mit dem heutigen ,,deutsch“ bezeichnet wurden. Im Vergleich zu Travnik und Visoko, die ausschließlich muslimische Städte waren, hatten Mostar und Banja Luka mehr christliche Einwohner – vor allem orthodoxe – als Sarajevo. Džaja: Katolici u Bosni i zapadnoj Hercegovini, S. 62. Džaja: Katolici u Bosni i zapadnoj Hercegovini, S. 63.

192

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

sche Kultur verteilte sich auf eine Vielzahl von Klöstern, wodurch es nicht möglich ist, ein kirchliches Zentrum neben dem Patriarchat von Peć auszumachen. Der Umstand, dass eine gewichtige serbische städtische Bevölkerung fehlte, hatte die serbische Gesellschaft stark beeinflusst. Andererseits führten ständige Bewegungen von Grenzen und Bevölkerungen auf dem Balkan auch zu einer Annäherung an die mittelalterliche mediterrane Kultur, die unmittelbar von den alten Kommunen des adriatischen Küstenlandes ausging.140 Gegen Ende des 17. Jahrhunderts kam es in kirchlich-institutioneller Hinsicht zu einem tiefgreifenden Einschnitt: Klöster wurden zerstört und 1690 floh der Patriarch auf österreichisches Territorium. Es folgte ein gesellschaftlicher Wandel: Nach der Gründung des Erzbistums Karlowitz konnte eine neue bürgerliche Klasse entstehen, die barocke Elemente in die Kultur der Serben integrierte. So entwickelte sich schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts neben Sremski Karlovci eine Anzahl von Städten im Habsburgerreich, die die Blüte der bürgerlichen serbischen Kultur widerspiegelten.141 Der ökonomische Aufstieg durch den Handel unterstützte das neue Selbstbewusstsein und das entstehende Nationalgefühl. Ein interessanter Hinweis auf diese Entwicklung ist der verstärkte Kult um serbische Herrscher und Heilige.

140

141

Dejan Medaković: Der Aufstieg Belgrads zur Residenz- und Hauptstadt. In: Hauptstädte in Südosteuropa. Geschichte – Funktion – Nationale Symbolkraft. Hg. von Harald Heppner. Wien 1994, S. 185–194, hier: S. 186. Medaković: Der Aufstieg Belgrads zur Residenz- und Hauptstadt, S. 186. Beispiele dafür sind Szentendre, Buda, Novi Sad, Zemun, Timişoara, Sombor Pančevo, Osijek oder Triest.

3. Diasporische Aktion: Die Verstrebung der Räume Der Dorćol – mit den Moscheen, den Minaretten, den Brunnen mit türkischen Inschriften und Widmungen, den Schenken mit großen Terrassen, den schiefen Baracken mit ihren Läden, wo für alle sichtbar ,,schmutzige“ Geschäfte gemacht wurden – charakterisierte für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts die ,,türkische“ Welt der Stadt.1 Träger, laute Ausrufer, bunte Menschenmengen von Zigeunern und Frauen, die sich nur mit Mühe auf dem unebenen Pflaster bewegten, prägten das Bild dieses Stadtteils.2 Einen visuellen Gegensatz dazu bildeten Terazije und Vraćar mit ihren breiten Straßen, Monumenten, Parkanlagen, Schulen und Gebäuden der serbischen Administration, die in ,,westlicher“ Weise geplant und gebaut wurden. Hier lebten höhere Beamte, Professoren und andere wichtige Persönlichkeiten. Die Händler hatten ihr Zuhause in der Nähe ihrer Läden in der čaršija (Marktviertel) und an der Save; Handwerker, Wäscher oder Fuhrleute lebten eher vom Zentrum entfernt. Im heutigen Teil Palilula wohnten die Landarbeiter, im Dorćol Juden und einige Serben, die als Händler tätig waren. Tagelöhner, mobile Handwerker, Fischer, Zigeuner, Ausländer, die vorübergehend in der Stadt waren, und Siedler, die bleiben wollten, arme Schüler oder einfache Beamte.3 Die soziale Differenzierung erwies sich als ein eindrücklicher und gut sichtbarer Aspekt öffentlicher Präsenz.

3.1 Kult und Raum Kultorte wurden bei den verschiedenen Religionsgemeinschaften im südosteuropäischen Raum grundsätzlich nicht an der Natur orientiert. Wenn dennoch eine Grotte, ein Baum, eine Quelle oder ein Berg als ,,heilige“ Orte galten, dann ist dies wahrscheinlich auf das Fortleben paganer Vorstellungen zurückzuführen.4 Die Synagoge gilt seit der Zerstörung des Tempels nicht wie die christliche Kirche als besonders geweihter Ort und wird auch nicht als Wohnstätte Gottes gedacht. Der Gottesdienst ist im Judentum raumunabhängig, rituelles Gebet überall möglich. Deshalb dient die Synagoge dem gemeinsamen 1 2 3 4

Dorćol ist ein Stadtteil Belgrads, an der Donau gelegen, der als Handelszentrum in der Stadt galt. Kanic: Srbija, zemlja i stanovništvo, S. 19. Rovinski: Zapisi o Srbiji, hier aus: Vuletić: Porodica u Srbiji, S. 107f. Dies gilt nicht für den Berg Athos, der seine Heiligkeit durch die dort lebenden Menschen gewann.

194

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

Gebet, wie auch als Schule und Versammlungsort. Da für die Grundausstattung nur ein Schrein für die Torarollen und ein Lesepult erforderlich sind, ist das jüdische Gotteshaus relativ mobil und in Größe, Prunk oder Bescheidenheit anpassungsfähig. Dasselbe gilt für die Moschee, was aber dazu führte, dass die muslimischen Eroberer viele kirchliche Bauten zu muslimischen Gotteshäusern machten.5 Sie entfernten die Bilder, errichteten Minarette, damit die Gläubigen zum Gebet aufgerufen werden konnten, und ließen Anlagen zur Körperreinigung errichten. Im Innern kam der minbar, die Kanzel für die Freitagspredigt hinzu. Auch die Moschee ist zugleich Bethaus, Predigthalle und Versammlungsstätte, wobei das Gebet in der Moschee als besonders wertvoll gilt. Die täglichen Gebete können auch an anderen Orten verrichtet werden, wobei die Reinheit und Besonderheit des Ortes durch den Gebetsteppich gewährleistet werden kann.6 Die christliche Kirche hat als Kultraum einen anderen Charakter als die Synagoge und die Moschee. Sie ist Bethaus, aber auch Ort des Opfergottesdienstes und der Sakramentenspendung. Sakraler Bezugspunkt ist der Altar. Aber auch die Verbindung von Altar und Heiligenreliquien ist ein Faktor der Heiligung: Der Altar bezieht seine Heiligkeit aus der Weihe und den in ihm verwahrten Reliquien.7 Die besondere Heiligung des Altarraumes, zu dem die Laien keinen Zutritt haben, ist der Ost- und der Westkirche gemeinsam. Zu einer Sonderentwicklung kam es in der Ostkirche durch das Einfügen einer Trennwand – der Ikonostase. Sie ist nicht zuletzt ein Resultat des Bilderstreites und richtete sich gegen die Auffassung, die Eucharistie als Bild Christi zu deuten. So verbarg man nun das Mysterium und bot ein Programm von sinndeutenden Bildern. Eine Sonderentwicklung in den Westkirchen ist die Entstehung von weiteren Altären im selben Kirchenraum. Das Abhalten von Totenmessen und anderen Spezial- und Privatmessen führte zu einer Vervielfachung der Altäre. Eine weitere spezielle Entwicklung in der Ostkirche im Zusammenhang mit der Ikonenverehrung stellt das Kerzenopfer dar. Auch in der häuslichen Ikonenverehrung stehen Licht und Bild zueinander in Beziehung. Ein weiterer besonders geheiligter Ort ist der Friedhof. Er wird in der Ost- wie auch in der Westkirche wie eine Kirche geweiht. Dies allein macht nicht seine sakrale Bedeutung aus. Die Sakralität des Friedhofs hat in der Volkskultur viel mit vor- und außerchristlichen Vorstellungen und Bräuchen zu tun. So hat sich in Gebieten des südöstlichen Europa die Sitte des Totenmahls am Grab des Verstorbenen noch erhalten.8 Es ist auch bis heute eine Tradition geblie-

5 6 7

8

Die Kirche des Heiligen Nikolaus in Niš soll sechs Mal den Glauben gewechselt haben. Miljković-Bojanović: Smederevski sandžak, S. 291f. Mitterauer: Religionen, S. 363. Aus diesem Grund wurden Kirchen über Gräbern von Heiligen gebaut oder Reliquien in Kirchen transferiert. Die Debatte, ob der Altar nicht seine Heiligung durch die Feier der Eucharistie erhält, wurde auch während des Zweiten Vatikanums geführt. Mitterauer: Religionen, S. 363f.

3. Diasporische Aktion: Die Verstrebung der Räume

195

ben, den Verstorbenen ihr Lieblingsmahl oder Getränk zu bringen; eine ganz besondere Form der Armenverpflegung.

3.2 Konversion und Flucht als dezidierte Aktionen der Neuorientierung Um eine signifikante Aktionsform handelt es sich bei der Konversion. Hier geht es um eine aktive Entscheidung – die erst noch öffentlich kund getan wird –, die eine Gruppe zu verlassen und sich einer anderen anzuschließen. Die Anzahl von Konversionen ist in den ersten Jahrzehnten des sandžaks Smederevo klein. Das Interesse der neuen Herren an einer muslimischen Mehrheit zeigte sich allein in den Zentren der Verwaltung. Die gewaltsame Islamisierung zeitigte nicht den gewünschten Effekt und war mit großen Abwanderungsbewegungen verbunden. In den Registern der Dörfer des sandžaks tauchen nur selten neue Muslime auf. Die hier lebenden Muslime waren in der Regel aus anderen Gegenden des Osmanischen Reiches zugewandert. Das Bekennen zu einem neuen Glauben konnte ein ganzes Dorf erfassen, wenn beispielsweise der privilegierte Status der Einwohner bedroht war. Der Islam verbot zwar Muslimen, zu anderen Religionen zu konvertieren, bestand aber nicht auf einer Konversion zum Islam. Man hatte vielmehr zu beweisen, dass der Wunsch zur Konversion nicht materiellen Interessen entsprang. Zudem war für die christliche Orthodoxie die muslimische Herrschaft häufig nicht so nachteilig wie die einer nicht orthodoxen christlichen. So hatten die Kreuzzüge Zerstörung gebracht und die venezianische Herrschaft auf Kreta und dem Peloponnes war hart und repressiv gewesen. 1641 soll ein orthodoxer Mönch zu einem katholischen Missionar gesagt haben: Ich würde eher zum Türken werden, als mich euch Lateinern anzuschließen, die ihr uns hasst und uns verfolgt.9

Die katholisch-orthodoxen Beziehungen waren innerhalb des Osmanischen Reichs oft besser als außerhalb. Auf den Kykladen gab es im 17. Jahrhundert zum Beispiel eine kleine katholische Bevölkerung und katholische und orthodoxe Inselbewohner besuchten oft gegenseitig ihre Gottesdienste und bauten benachbarte Kirchen. Noch 1749 rügte das orthodoxe Patriarchat die Menschen auf Syfnos und Mykonos, weil sie die beiden Riten nicht klar trennten. Nur einige wenige Bauern konvertierten von der Orthodoxie zum Katholizismus. Eng verbunden mit der Islamisierung ist auch die ,,Knabenlese“. Von der Abgabe des Blutzolls ausgenommen waren nur Familien mit nur einem Sohn, Kinder aus Städten und Kinder aus Ortschaften mit militärischen Zudienst9

Mazower: Balkan, S. 107.

196

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

verpflichtungen. Die jüdische Bevölkerung musste keine Kinder abgeben, da sie in Städten lebte. Dies war eines der vielen einladenden Privilegien, mit denen die Sultane ihre Untertanen dazu bewegen konnten, in die Städte zu ziehen und zu ihrem Aufbau und Wohlstand beizutragen. Doch der größte Teil der Bevölkerung lebte nach wie vor auf dem Land. 1 000 bis 3 000 Kinder mussten sie an Istanbul für ihre Ausbildung und ihren Dienst abgeben. Viele Eltern suchten nach Auswegen, wenn eine Knabenlese bevorstand. Ihre Aktionen verraten ihre Verzweiflung und Ohnmacht. Kinder im Alter von acht oder neun Jahren wurden verheiratet, versteckt, weggeschickt oder gar verstümmelt. Doch gab es auch weniger ablehnende Reaktionen. Sehr arme Familien sahen in dieser Tributpflicht auch eine Chance, das Überleben und möglicherweise gar ihren sozialen und finanziellen Aufstieg zu sichern; dem Jungen, den sie als Tribut abgaben, gar eine Karriere in Sultans Diensten zu ermöglichen. Es soll sogar vorgekommen sein, dass muslimische Jungen in der Hoffnung, dass sie zwangsrekrutiert würden und so die Chance auf eine berufliche Karriere bekommen könnten, getauft wurden.10 Hier ist allerdings zu bedenken, dass es für muslimische Eltern sogar eine Ehre sein konnte, ihre Jungen im Dienste des Sultans zu wissen, es sich bei dieser Art der Konversion zum Christentum somit lediglich um eine vorübergehende Ausflucht handelte. Es gibt weitere Formen der Aktion, die gelegentlich auch in verweigerte Interaktion mündeten. Nicht nur die Händler waren unterwegs, sondern auch die Landbevölkerung. Saisonale Landarbeit oder der Eintritt in fremde private Dienste waren Möglichkeiten, über kürzere oder längere Zeit ein Auskommen zu sichern. Insbesondere junge, nicht verheiratete Frauen und Männer aus armen Familien versorgten sich so selbst.11 Junge Männer wurden gelegentlich in Patrizierfamilien der Republik Ragusa erzogen und danach zur See geschickt. Mit Glück und Talent konnten sie gar als Kapitäne Erfolg haben. Junge Mädchen wurden in adligen Haushalten angestellt, wo sie sich neben Kost und Logis die Mitgift verdienten, um heiraten zu können, wenn sie nach zehn Jahren wieder in ihr Dorf zurückkehrten. Dies wurde mit einem Fest, der sogenannten sprava gefeiert.12 Probleme, die aus solchen Arbeitsverhältnissen erwuchsen, finden sich in den Akten dokumentiert: Viele der jungen Angestellten wollten ihre Dienstzeit nicht erfüllen und flohen. Der Herr und Arbeitgeber wollte den Bediensteten nicht entlassen, oder Angehörige bemühten sich um die Habe eines außerhalb des Territoriums verstorbenen Verwandten. Die ragusani10

11 12

Miljković-Bojanović: Smederevski sandžak, S. 302f., Fußnoten S. 304. In diesem Zusammenhang ist möglicherweise auch die Aufforderung von Mehmed dem Eroberer (1451– 1481) an Ragusa zu sehen, die Rückweisung von flüchtigen Kindern an der Grenze zur Republik sicherzustellen. Siehe auch Papoulia: Ursprung und Wesen der ,,Knabenlese“. Miović: Na Razmeđu, S. 97. Frejdenberg: Osmanska Imperija, S. 44f.

3. Diasporische Aktion: Die Verstrebung der Räume

197

sche Regierung wehrte sich nicht gegen diese Praxis der Arbeitssuche, da die Auswanderung wohl kaum ein besorgniserregendes Ausmaß annahm. Erst 1798 entschied der Senat, dass Ragusaner, die sich auf fremdem Territorium aufhielten, nach einem Jahr die Bürgerschaft und ihren Besitz verlieren sollten.13 Im Gegensatz dazu hatte jeder Ausländer, der länger als ein Jahr auf dem Territorium des Osmanischen Reiches lebte, nach dieser Frist die vorgesehene Abgabe der raya zu bezahlen. Wenn ein ragusanischer Untertan gar zum Islam konvertierte, wurde er zum osmanischen Schutzbefohlenen und Bürger. Die Republik Ragusa verlor die Verfügungsgewalt über ihn. Die ersten Konversionen zum Islam sind für den Beginn des 15. Jahrhunderts verzeichnet. Sie betreffen jedes Geschlecht und jedes Alter und wurden freiwillig oder unter Druck vollzogen. Der Übertritt zum Islam war zudem gelegentlich ein Mittel ragusanischer Untertanen, sich der Strafverfolgung zu entziehen. Einige verurteilte Flüchtlinge erhofften sich Nachsicht und eine Rückkehr in die Republik, indem sie vorgaben, andernfalls gezwungen zu sein, den muslimischen Glauben anzunehmen.14 Natürlich gab es auch Zwangsbekehrungen oder Konversionen unter Druck: ausgesetzte Mädchen, Bedienstete, die dann im Osmanischen Reich weiterverkauft werden konnten, oder Gefangene, die als Sklaven weitergehandelt wurden. Die Zugehörigkeit zu einer Glaubensrichtung war nur ein Teil der persönlichen Identität, der bei einer Versklavung ins Osmanische Reich aufgegeben werden musste. So waren auf jeden Fall mit diesem Schritt weitere Teilaspekte der eigenen Zugehörigkeit betroffen: so zum Beispiel der Verlust des sozialen und familiären Umfeldes oder der ökonomischen Existenz. Dennoch bestimmte in der Frühen Neuzeit die Religion die eigene Identität zu einem großen Teil, sowohl im Osmanischen Reich als auch in Europa. Mit einem Verkauf in die osmanische Sklaverei verbunden war auch die Aufgabe des eigenen christlichen Namens. Die neuen Namen der Frauen hatten ihren Ursprung meistens nicht im Koran, sondern entsprangen in der Regel den Schönheiten der Natur und allen Lebens. Häufig waren Blumennamen, während slawische Namen für Sklaven aus dem Balkanraum nur selten bezeugt sind.15 Auch die Aufgabe des eigenen Namens, der deutlich und bewusst in Verbindung mit der eigenen religiösen Tradition stand, war Teil dieses oft traumatischen Erlebnisses der Versklavung mit all seinen Folgen. Die osmanischen Behörden reagierten auf Versuche neu konvertierter Muslime, nach Ragusa zurückzukehren, mit sofortiger Forderung nach Auslieferung. Die Bemühungen von Seiten der ragusanischen Behörden, diesen 13 14

15

Miović: Na Razmeđu, S. 97f. Miović: Na Razmeđu, S. 100, Quelle Anhang 56. 1706 wendet sich ein verurteilter und flüchtiger Ragusaner an die ragusanische Regierung und bittet, nach Hause kommen zu dürfen. Er arbeite momentan bei einem Türken, der ihn täglich bedränge, zu konvertieren. Man solle ihn doch vor dem Verlust seines Glaubens und seiner Seele retten. Faroqhi: Quis custodiet custodes?, S. 123.

198

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

Forderungen entgegenzutreten oder diese Untertanen später gar zu befreien, waren wohl ziemlich halbherzig, wenn sie sich in der Zwischenzeit tatsächlich zum Islam bekannt hatten.16 Denn grundsätzlich war die Bekehrung zum Islam irreversibel, wie jene zum Katholizismus auch. Somit erfolgten Lösegeldzahlungen auch nur bei nicht konvertierten Sklaven oder Bediensteten. Es gibt gelegentlich Beispiele von Rückkehrern, die sich aber meistens über ihre Zeit als Muslime wohlweislich ausschwiegen – möglicherweise plagte sie auch ihr Gewissen. Reformation und Gegenreformation hatten den Stellenwert eines frommen Lebens in jedem Bereich des Alltags bis in die entlegenen Dörfer verbreitet.17 Mit der endgültigen Aneignung des Territoriums in Bosnien und in der Herzegowina durch das Osmanische Reich verringerten sich auch die Fluchtbewegungen auf das Gebiet der Republik Ragusa, sobald sich die türkische Herrschaft allmählich etablieren konnte. Bis anhin hatten die osmanischen Eroberungen viele Flüchtige auf das Gebiet Ragusas getrieben. Aber schon in der zweiten Hälfte des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts führten diverse kriegerische Auseinandersetzungen (Krieg um Candia 1645–1669, um Morea 1684–1699 und der venezianisch-osmanische Krieg) zu weiteren großen Fluchtbewegungen auf das Gebiet Ragusas. Ein großer Teil dieser Flüchtlinge waren ,,Walachen“.18 Mit den Menschen verschob sich auch deren Habe nach Ragusa. So beschwerten sich die osmanischen Machthaber auch, wenn in Kriegszeiten die Abwanderung von Waren und Kapital zu sehr schmerzte.19 Zudem bedeutete jeder Emigrant auch den Verlust von Steuern (harač). So kam es nicht selten vor, dass osmanische Untertanen für ihre ausgewanderten Verwandten belangt wurden (Kollektivhaftung). 1761 beklagte ein Priester namens Frano, der angeblich schon lange auf ragusanischem Boden lebte und gar die Bürgerschaft erhalten hatte, dass sein Bruder, der im Stolacer kadiluk 16

17

18 19

Miović: Na Razmeđu, S. 100f. Im April 1705 wird gemeldet, dass Boška, der Sohn von Miloš Boškov aus Mravrinjca, der bei einem Vlachen bedienstet war, von einigen Türken entführt wurde. In der Annahme, dass der Junge zum Islam überredet oder gar gezwungen würde, wandten sich die ragusanischen Behörden an den Kadi von Stolac, der dann auch bestätigte, dass der Junge freiwillig zum Islam übergetreten sei. Im Mai hakten die Ragusaner nach, worauf der Kadi wieder versicherte, dass der Junge freiwillig seinen Glauben gewechselt hätte und man sich auch ohne weiteres direkt bei ihm überzeugen könne, um Gewissheit zu erlangen und ,,[...]wir werden Wohlgefallen erhalten, und werden es uns nicht nehmen lassen, Ihnen bei jeder Gelegenheit Dankbarkeit auszudrücken,[...]“. DAD, DA 18, 181 / 2, 59 (Brief in Italienisch) und DAD, AT, B 126, 48. Siehe auch Miović: Na Razmeđu, S. 314f. Faroqhi: Quis custodiet custodes?, S. 123; eines der eindrücklichsten Werke zum Thema der Konversion und Rückkonversion hat Natalie Zemon Davis mit ,,Leo Africanus“ vorgelegt. Vlah, Walache, wird aber auch übersetzt mit ,,Andersgläubiger“, möglicherweise hier ein Sammelbegriff für orthodoxe Slawen. Jakić, Hurm: Hrvatsko-njemaćki rjećnik. Miović: Na Razmeđu, S. 101f. Gelegentlich wurde Ware zurückerstattet oder es wurde der Transit über den Hafen ermöglicht.

3. Diasporische Aktion: Die Verstrebung der Räume

199

lebte, für ihn immer noch Steuern bezahlen sollte. So kam es auch zu temporärer Steuerflucht aus dem Osmanischen Reich in die Republik, sobald der harač eingezogen wurde. 1759 wurden die Ragusaner Behörden darüber unterrichtet, dass mehr als 500 ,,steuerflüchtige“ Vlachen auf ihr Territorium entflohen seien.20 Dennoch ist es falsch anzunehmen, die Zuwanderung hätte völlig unkontrolliert stattgefunden. Verantwortlich für die kontrollierte Zuwanderung waren prinzipiell die Sanitätsbehörden; dies natürlich im Zusammenhang mit der Seuchenprävention. Für die innere Sicherheit wurden aber je nach Bedürfnis weitere Instanzen geschaffen. In Bezug auf die Einbürgerung machte die Republik einen großen Unterschied zwischen orthodoxen und katholischen Zuwanderern. Während orthodoxe Christen nach zehn Jahren Aufenthalt zu Untertanen werden konnten, war es Katholiken nach zehn Jahren möglich, die Bürgerschaft zu erlangen. Die Annahme eines anderen Glaubens oder einer anderen Konfession war häufig verbunden mit einer gemischten Eheschließung auf einem bestimmten Territorium. So kam es auch vor, dass muslimische Gläubige in Ragusa zum Christentum konvertierten.21

3.3 Das Ringen um Präsenz und Sichtbarkeit im öffentlichen Raum Die Kirchen der Städte hatten einen schwierigeren Stand als die ländlichen Klöster. Nicht selten wurden orthodoxe Kirchen niedergerissen oder in Moscheen umfunktioniert. In diesem Fall wurden die großen Kirchen zu Moscheen und die kleineren blieben den Christen. Der symbolische Wert der Moscheen bei der Eroberung einer Stadt muss auch in Betracht gezogen werden. Zudem bedurfte der Bau einer Moschee einiger Zeit, wohingegen die 20

21

Miović: Na Razmeđu, S. 106. Natürlich kam es im Zusammenhang mit “ordentlich” eingereisten osmanischen Untertanen gelegentlich zu Problemen; zum Beispiel, wenn sie verstarben und Ware oder gar Immobilien hinterließen: 1591 verstarben drei osmanische Untertanen in Ragusa; ein Armenier und zwei andere Osmanen. Die Rückerstattung verlief nicht ohne größere Schwierigkeiten. Biegman: Turco-Ragusan Relationship, S. 163f. Die im Lazarett Verstorbenen konnten durchaus noch Schwierigkeiten bereiten. Siehe bei Miović: Na Razmeđu, S. 325. Allerdings konnten orthodoxe Christen einige Privilegien erlangen, die nur den Bürgern Ragusas vorbehalten waren (z. B. Beteiligung an ragusanischen Schiffen). Miović: Na Razmeđu, S. 109f. Man beachte auch die Fußnoten und Quellenangabe. 1724 wird aus dem Dorf Osojnik berichtet, dass eine ,,schismatische“ (orthodoxe) Frau zum Katholizismus übergetreten sei. Sie sei mit einem Katholiken verheiratet und vor etwa fünf bis sechs Jahren hierher gezogen. Ihre Kinder seien ,,richtige“ Katholiken, da sie getauft seien. Sie selbst allerdings nicht. Im selben Bericht ist auch von magischen Heilungspraktiken und Versuchen der orthodoxen ,,Vlachin“, die Dorfbewohner vom orthodoxen Glauben zu überzeugen, die Rede.

200

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

Nutzung einer ehemaligen Kirche schneller zu bewerkstelligen und billiger war. In Belgrad wurde die Maria Himmelfahrtskathedrale zu einer Moschee. Der Bau von neuen Kirchen wurde Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts in einigen fetawa22 ausnahmsweise als rechtens angesehen, vorausgesetzt, dass in der näheren Umgebung keine Muslime lebten. Andere fetawa erlaubten die Vertreibung der Nichtmuslime aus gemischten Wohnvierteln, wenn die Besucherzahl in den Moscheen abnehmen sollte. War eine Kirche erst einmal zu einer Moschee geworden, durfte sie nicht wieder als christliches Gotteshaus verwendet werden. Andererseits wurde es den Nichtmuslimen erlaubt, in Vierteln wohnen zu bleiben, in denen eine neue Moschee gebaut wurde. Die Renovation oder Ausbesserung von Kirchen und Klöstern war erlaubt, wenn diese schon vor der osmanischen Eroberung bestanden hatten. Voraussetzung dafür war in jedem Fall eine offizielle Bewilligung. Im Sandschak Smederevo scheinen auch einige Klöster nach der osmanischen Eroberung entstanden zu sein. Die Wiederherstellung des Patriarchats von Peć war für die orthodoxe Kirche auf jeden Fall ein wichtiger Wendepunkt in ihrer Geschichte und ihrem Selbstverständnis.23 Die Ausübung der Religion im öffentlichen Raum konnte mit den Sanktionsmöglichkeiten, die dem Magistrat zur Verfügung standen, geschützt werden. Als Kosta Živković aus einem Kaffeehaus heraus eine orthodoxe Prozession zum Dreikönigstag mit den Worten kommentierte ,,Schau, schau! Wie viel Volk diese drei Esel anführen!“, wurde er wegen Verbalinjurien angeklagt.24 In einigen Fragen der Religionsausübung im öffentlichen Raum musste der Stadtmagistrat aber auch einschränkende Anweisungen aus Wien umsetzen: Im Sommer 1811 ordnete Franz I. an, dass Begräbnisse nur noch mit geschlossenem Sarg durchgeführt werden sollten. Damit verletzte er die religiösen Gefühle der orthodoxen Bevölkerung derartig, dass offener Widerstand der Bevölkerung ausbrach, gegen den die Polizei einschreiten musste.25 In Semlin lebten im Jahre 1754 laut Soppron 1900 Orthodoxe, begrifflich unter ,,Griechen“ gefasst, 600 Katholiken, 76 Juden sowie 100 Zigeuner, für die er keine Religion spezifiziert.26 Die Präsenz der verschiedenen Religionen 22

23 24 25

26

Eine fetwa (auch fatwa, Pl. fatawa, arab.), ist ein muslimisches Rechtsgutachten, das in der Regel von einem mufti verfasst wird; eine förmliche, auf Anfrage erstellte schriftliche Auskunft über Fragen des muslimischen Rechts und Kultus. Miljković-Bojanović: Smederevski sandžak, S. 292f. IAB ZM, Fd. 1, kut. 1720 F. V br. 40. Soppron: Monographie von Semlin und Umgebung, S. 536. Der Widerstand gegen diese Anordnung war vermutlich auch durch den Volksglauben an Vampire als Folge von ,,unkorrekten“ Beerdigungen angetrieben. Ćelap: Zemunski vojni komunitet (1718–1881), S. 34–40. Die Stadt ist beständig gewachsen, für 1799 werden 6721 Einwohner ausgewiesen. Um 1785 wurde die Erschließung der Josephsstadt vor den Palisaden in Angriff genommen. Soppron: Monographie von Semlin und Umgebung, S. 388.

3. Diasporische Aktion: Die Verstrebung der Räume

201

im öffentlichen Raum der Habsburgermonarchie richtete sich jedoch nicht nach den Bevölkerungszahlen, sondern stellte die katholische Kirche ins Zentrum, gefördert durch die staatliche Unterstüzung und Finanzierung katholischer Kirchenbauten und Pfarrstellen.27 Räumlich befand sich die katholische Pfarrkirche unmittelbar am Marktplatz und hatte damit eine dominante Stellung im Stadtbild. Daneben war der Franziskanerorden mit Kirche und Konvent präsent.28 Für die orthodoxe Gemeinde gab es in Semlin ab 1740 eine Kirche. Aufgrund des geltenden Rechts war die Kirche eine Holzkonstruktion, erst zehn Jahre später wurde die St. Nikolauskirche als Steinbau bewilligt und unverzüglich errichtet.29 Damit wurde die orthodoxe Kirche in ihrem Erscheinungsbild gleichberechtigt und erstritt eine dauerhafte Präsenz der Ostkirche im Grenzort. Der Platz in diesem Gotteshaus war aufgrund der rasch ansteigenden Bevölkerungszahl bald nicht mehr ausreichend, allerdings musste eine zweite Kirche in einem religiös gemischten Ort zuerst von der Hofdeputation genehmigt werden. Nach Erteilung dieser Bewilligung konnte 1775 mit dem Bau der Muttergotteskirche begonnen werden.30 Die jüdische Gemeinde in Semlin, die sich zumeist aus Emigranten aus Belgrad zusammensetzte, wurde 1746 anerkannt und baute bald eine Synagoge.31 Die rechtliche Situation aller nicht-katholischen Glaubensgemeinschaften wurde durch das ,,Toleranzpatent“ von Joseph II. zum Jahreswechsel 1782 verbindlich geregelt.32 Zuvor hatte unter Berücksichtigung der gemischtreligiösen Realität in der Grenzstadt eine relative religiöse Freiheit bestanden, die sich auf eine Sammlung einzelner Bewilligungen und Sonderregelungen stützte. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts verfügten die orthodoxe und die jüdische Glaubensgemeinschaft über einen festen Ort im öffentlichen Raum.

27 28 29 30 31 32

Ćelap: Zemunski vojni komunitet (1718–1881), S. 58. Das Kloster und die Kirche wurden 1752 bezogen. Marković: Zemun – Od najstariji vremena pa do danas, S. 83. Soppron: Monographie von Semlin und Umgebung, S. 297. Soppron: Monographie von Semlin und Umgebung, S. 385. Loker: Zemun, S. 507. Soppron: Monographie von Semlin und Umgebung, S. 358f.

4. Anregende Interaktion: Wirklichkeiten und Imaginationen 4.1 Das koordinierte Mit- und Nebeneinander Machtverhältnisse bestimmen einschneidend über die Strukturierung des öffentlichen Raums. Unklare und wechselhafte politische Situationen, wie sie die Geschichte Belgrads über die Jahrhunderte geprägt haben, führen zu sich überlagernden rechtlichen wie architektonischen öffentlichen Strukturen. Als Folge der serbischen Aufstände 1804 und 1815 und wechselnden Prämissen im europäischen Raum nach der Niederlage Napoleons und dem Wiener Kongress zu Beginn des 19. Jahrhunderts anerkannte der Sultan 1830 Serbien als autonomes Fürstentum und garantierte 1833 die Unantastbarkeit der Grenzen.1 In der Festung Kalemegdan war aber nach wie vor eine osmanische Garde unter dem Kommando des Paschas von Belgrad stationiert. Im angrenzenden Viertel Dorćol am Donauufer lebte bis 1862 eine gemischte Bevölkerung, neben einer jüdischen Gemeinde viele ,,Türken“. Dieser Begriff aus den Quellen ist aber nicht im Sinne einer ethnischen Herkunft zu lesen. Die muslimische Bevölkerung, die damit gemeint ist, stammte größtenteils aus Serbien, Bosnien oder Albanien.2 Auf der Save-Seite der Stadt lagen die Patriarchenkirche und der fürstliche konak (Residenz), die wichtigsten Symbole im serbischen autonomen öffentlichen Raum. Vor der alten Stadtbegrenzung entstand nach 1833 eine neue serbische Stadt, nachdem die Palisaden und Schanzen geschleift worden waren, zu der auch der 1841 erbaute Königspalast gehörte.3 Der türkische Stadtteil wie auch die Festung waren in einem schlechten baulichen Zustand.4 Nach der Verfügung des Sultans von 1833 wurde dieser alte Stadtteil noch mehr dem Verfall anheim gegeben, da den türkischen Bewohnern nur gestattet war, ihre Häuser an Serben zu verkaufen und sie keine Reparaturen oder Umbauten an ihren Häusern ausführen durften.5 Ziel dieser Bestimmungen war, die ,,türkische“ Bevölkerung dieses Stadtteils langsam zum Wegzug zu veranlassen. Die zweifache Konstituierung der Stadt hatte nur in kleinen Teilen eine klare räumliche Beschränkung; Belgrad war keine klar geteilte Stadt. Die juristische und symbolische Oberhoheit des Sultans über das autonome fürstliche Gebiet war durchaus im öffentlichen Raum präsent und wurde weitgehend re1 2 3 4 5

Sundhaussen: Geschichte Serbiens, S. 65–69. Ðorđević: Iz Srbije Kneza Miloša, S. 133, 164–168. Der Plan der Stadt Belgrad ,,Beograd u prvoj polovini 19. veka (1815–1862)“ findet sich in Čubrilović: Istorija Beograda, o. S. Ðorđević: Iz Srbije Kneza Miloša, S. 139. Ðorđević: Iz Srbije Kneza Miloša, S. 149.

204

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

spektiert. So wurden aus Anlass der Geburt einer Tochter des Sultans für ganz Belgrad vom Fürsten eine Festbeleuchtung und Salutschüsse verordnet.6 Die symbolische Koexistenz nahm auch der englische Reiseschriftsteller Andrew Archibald Paton wahr: Er beschreibt, wie an einem Empfang beim Pascha aus Anlass eines nicht weiter definierten Festtages (bairam?) 1843 oder 1844 neben dem Sultan ganz selbstverständlich auch der serbische Fürst Alexander Karađorđević teilgenommen habe.7 Muslimische Feiertage und offizielle osmanische Anlässe strukturierten den öffentlichen Raum maßgeblich. Aber nicht nur im Hinblick auf außergewöhnliche Feierlichkeiten blieb Belgrad eine sich in Präsenz, Wirklichkeiten und Vorstellungen überlagernde Stadt, auch der Alltag war vielschichtig geprägt. Das erste gedruckte Plakat in Belgrad lud 1832 zur Besichtigung eines Elefanten auf einem Schaustellerschiff auf der Save ein. Das Plakat ist in serbischer Sprache verfasst und verweist auf die Erlaubnis durch die serbischen Autoritäten. Die Öffnungszeiten hingegen waren in türkischer Zeitrechung vermerkt.8 Immer wieder zeigen sich fließende Grenzen zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen, sogar zwischen den aufgrund historischer Entwicklungen grundsätzlich verfeindeten. Siegfried Kapper, der jüdische Schriftsteller aus Prag, beschreibt das Verhältnis von Türken und Serben in Belgrad in seinen ,,Südslawischen Wanderungen“. Diese Schilderungen sind im Lichte seines eigenen Einsatzes für eine ,,jüdisch-tschechische Symbiose“ als Plädoyer für friedliches Neben- und Miteinander zu lesen, das Züge von Idealisierung trägt. Kapper berichtet von seinen Begegnungen in den Gassen von Dorćol um 1850. Dort machte der Reisende Bekanntschaft mit einem Pfeifenmacher Hassan, dessen Vater noch als Großgrundbesitzer in Belgrad lebte. Der ältere Mann zeigte keinen Groll über die Umwälzungen im Land, denn Allah habe es so gewollt. Die sich überschneidenden Wirklichkeiten im öffentlichen Raum erklärte er als einleuchtende Aufteilung der Jurisdiktion: ,,Uns richtet der Pascha auf der Burg, sie [die Serben] der serbische Fürst“.9 Der türkische Gewährsmann machte den Reisenden gar mit dem Sohn des Paschas von Rumelien bekannt, der um 1850 als Schuhflicker in Belgrad lebte, so die Beschreibung von Kapper.10 Die Beziehungen zwischen den Stadtbewohnern bezeichnet Ðorđević als 6

7

8 9 10

AS MUD-P 1840 F. IV r. 17, auch im IAB, UGB 1840 K. 10 F. IV 567 Publiziert in: Istoričeski Arhiv Beograda und Branka Prpa, Živeti u Beogradu – 1837–1841 Dokumenta uprave grada Beograda, 5 Bde., Beograd 2003, Bd. 1, S. 167. “At the Bairam reception, the Pasha wore his great nishau of diamonds. Prince Alexander wore a blue uniform, with gold epaulettes, and an aigrette of brilliants in his fez. His predecessor, Michael, on such occasions, wore a cocked hat, which used to give offence, as the fez is considered by the Turks indispensable to a recognition of the suzerainty of the Porte.” Paton: Servia – Youngest Member of the European Family, S. 58. Abgebildet in: Sundhaussen: Geschichte Serbiens, S. 169. Kapper: Südslawische Wanderungen, S. 124. Kapper: Südslawische Wanderungen, S. 127.

4. Anregende Interaktion: Wirklichkeiten und Imaginationen

205

,,korrekt“11 . Ein pragmatischer persönlicher Umgang prägte den Alltag.12 Die serbischen Behörden bemühten sich, auch die religiösen Gefühle und die öffentlichen Orte der muslimischen Bevölkerung zu schützen.13 Dennoch tauchen in den Quellen immer wieder Konflikte auf, die beim Aufeinandertreffen dieser beiden großen Bevölkerungsgruppen Belgrads im öffentlichen Raum entstanden. Die Präsenz zweier Herrscher und Herrschaftssysteme auf engstem Raum einer Stadt, des Befehlshabers der osmanischen Truppen in Belgrad und des serbischen Fürsten, die zwei Prinzipien der Zugehörigkeit, die die Identitäten der Stadtbewohner zu strukturieren versuchten – eine religiöse und eine staatspolitische –, schufen im Alltag Unsicherheiten. Ähnlich wie in Semlin wurden die Fragen der Zugehörigkeit und Identität nicht mehr im kleinen städtischen Raum verhandelt. Die Frage einer serbischen Nation wurde in den Politikerkreisen ausführlich diskutiert, denn das Ende der osmanischen Herrschaft in Serbien zeichnete sich ab.14 Der osmanische Rückzug aus Belgrad bedeutete nicht das Ende aller muslimischen öffentlichen Orte. Obwohl Reisende von verfallenen Moscheen berichteten, die aufgrund der Abzugsvereinbarung nicht zerstört werden durften, findet sich ein Beleg, dass die Bajrakli-Moschee weiter in Betrieb war. Der serbische Fürst verfügte zudem, dass das Bildungsministerium die Kosten für den hodža und den muezzin übernehmen sollte.15 Die politische Veränderung der Situation veranlasste Diasporagruppen, aktiv zu werden. Sie ließen ihre aktuelle Position durch den Fürsten bestätigen oder versuchten sogar, eine Verbesserung zu erwirken. Eine Gruppe evangelischlutheranischer Christen, zumeist deutscher Handwerker, konstituierte sich 1854 zu einer Kirchgemeinde.16 Der Fürst förderte das Wohlergehen der Gemeinde dadurch, dass er ihr eine ursprünglich für Katholiken bestimmte Kapelle schenkte.17 Die Zubilligung eines spezifischen Ortes im öffentlichen Raum für die evangelische Gemeinde war mit einigen Rechten und Pflichten verbunden, die der Fürst am 5. Juni 1858 dekretierte.18 Zu den Pflichten gehörte, dass die Mitglieder der Gemeinde sowie der Pfarrer serbische Untertanen werden und die Zeitrechnung nach Julianischem Kalender einführen mussten. Zugang zum öffentlichen Raum führte über Loyalität, sowohl ge11 12 13 14 15 16

17 18

Ðorđević: Iz Srbije Kneza Miloša, S. 142f. IAB, UGB, 1838, K.2, 182, gedruckt in: Istoričeski Arhiv Beograda, S. 158. IAB, UGB, 1844,. K. 30, F. II, 375, 9.3.1844, abgedruckt in: Ebd., S. 223. Sundhaussen: Geschichte Serbien, S. 81f. AS PO 2274, 18.5.1868. Die Gustav-Adolf-Stiftung wurde 1832 in Leipzig gegründet und trägt den Namen des 1632 verstorbenen Schwedischen Königs. Zweck der Stiftung war die Unterstützung evangelischer Gemeinden in Not. Heute besteht die Stiftung unter dem Namen GustavAdolf-Werk. Gedenkschrift an die Gründung und Entwicklung der Evangelischen Kirche und Schulgemeinde zu Belgrad, Serbien, S. 10. Gedenkschrift an die Gründung und Entwicklung der Evangelischen Kirche und Schulgemeinde zu Belgrad, Serbien, S. 14. AS, MUD-p 1858 V.59, publiziert in: Zbornik zakona i uredaba (ZZU), Bd. 11, S. 85–86.

206

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

genüber dem Fürsten (durch politische Zugehörigkeit zu seinem noch jungen Reich), als auch mittels angepasster Zeitrechnung der religiösen Gewalt in Serbien gegenüber der christlich-orthodoxen Kirche. Diese zentralen Strukturmerkmale des öffentlichen Raumes waren zugleich politisch-religiöse Abgrenzungen gegen Muslime und Katholiken. Die Kleidung der Stadtbewohner spiegelte die Vermischung von östlichem und westlichem Stil wider. Die Bekleidung war zudem ein Indikator für den jeweiligen Besitzstand, den gesellschaftlichen Status und die berufliche Zugehörigkeit. In der Beschreibung eines Festtages in Belgrad unterschieden sich verschiedene Gruppen durch ihre Kleidung. Die Beamten in Uniform und Mantel mit einer Beamtenmütze, die Angehörigen der Zünfte (esnafi) in Tuchhosen, ihren Westen und dünnen Hemden oder die Zinzaren in langen Unterkleidern mit Längsstreifen, einer engen Pelzjacke, einem Fes auf dem Kopf, Strümpfen unter den Hosen, mit dem Rosenkranz oder einem Stängel Basilikum in den Händen sowie mit der Schnupftabakdose am Gürtel; die vornehm gekleideten Damen und die einfach, ,,türkisch“ angezogenen Handwerker und Meister.19 Diese Mischformen sind nicht zuletzt auch der zunehmenden Zuwanderung von Serben in die Hauptstadt seit der wachsenden Bedeutung des Fürsten in der Stadt zuzuschreiben. Sie brachten ihre kulturellen Gewohnheiten mit, die zu einer interessanten Symbiose mit jener Vielfalt führte, von der die Stadt seit langem geprägt war. Die Akzeptanz dieser Symbiose durch die Bewohner der Stadt wurde durch das Bewusstsein bzw. die Hoffnung favorisiert, dass die neue gesellschaftliche Schichtung politische und ökonomische Vorteile mit sich bringen würde. Daher kam es in Belgrad zur Herausbildung einer eigenartigen Stadtkultur, die zuerst von einer Mischung zwischen Ost und West, und danach, besonders seit der Zeit der zweiten Regierung des Fürsten Mihailo (1860), von einer beschleunigten Europäisierung geprägt war. [. . . ] Schließlich trugen zur Kultur von Belgrad erheblich auch verschiedene Fremde bei, besonders die Juden, die als alt eingesessene Einwohner Belgrads mit der Abschottung auf ihren Dorćulraum ihre ursprünglichen Werte konserviert haben.20

In serbischen Städten bildeten die Händler in der Mitte des 19. Jahrhunderts die reichste städtische Schicht. Sie machten durchschnittlich fünf bis fünfzehn Prozent der Bevölkerung aus, besaßen aber einen Fünftel bis einen Drittel des Vermögens in der Stadt. Es muss aber zwischen einer kleinen Zahl an sehr vermögenden Händlern und einer großen Zahl von ,,kleinen“ Händlern, die meistens keine lange Händlertradition mitbrachten, unterschieden werden.21 Eine Anzahl von wohlhabenden Kaufleuten schickte ihre Kinder in 19 20

21

Christić: Zapisi starog Beograđanina, S. 176f. Hier aus: Vuletić: Porodica u Srbiji, S. 112. Medaković: Der Aufstieg Belgrads zur Residenz- und Hauptstadt, S. 189. So erscheint dadurch der Begriff ,,Fremder“ in einem differenzierten Licht: ein gewisses ,,Fremdsein“ schließt keine äußere Vertrautheit aus. Vuletić: Porodica u Srbiji, S. 130.

4. Anregende Interaktion: Wirklichkeiten und Imaginationen

207

ungarische Handelsschulen. Die entsprechenden Schulen gab es zum Beispiel in Mitrovica, Novi Sad oder auch Temischwar.22 Diese Symbiose verschiedener Bevölkerungsgruppen und -schichten zeigte sich auch in anderen osmanisch dominierten Städten im südosteuropäischen Raum an alltäglichen Banalitäten und Verhaltensweisen. So war zum Beispiel der Besuch der Schenken Sarajevos bei Angehörigen aller Konfessionen beliebt, ebenso die Gewohnheit, sich daselbst zu betrinken. 1784 gab es 21 Wirtshäuser in der Stadt, obschon auf Trunkenheit die Prügelstrafe folgte. Selbst Franziskaner Mönche sollen dem Rauschtrinken nicht abgeneigt gewesen sein.23 Die Präsenz verschiedener Religionen auf engstem Raum manifestierte sich unter anderem in der Volksreligiosität, dies auch im gesamten dalmatinischen Raum. Eine besondere konfessionsübergreifende Bedeutung hatten die Schutz und Glück bringenden Zeichen, Schriften oder Talismane. Alberto Fortis beschrieb, dass diese Zeichen auf Kappen aufgenäht wurden oder dass gar die an der Grenze wohnenden Türken sich bei christlichen Priestern solche Schutzzeichen beschafften. Das Kupfergeld, aus dem die Medaillen der Heiligen Helena geschmiedet wurden, besaß in der Vorstellung große Bedeutung für das Heilen von Epilepsie und anderen Krankheiten. Der ungarische Fünfer war besonders beliebt, wenn auf dem Avers (Vorderseite) der Münze die Muttergottes mit Jesus abgebildet war.24 Die drei Übel, vor denen man im Gottesdienst Verschonung erbat, waren Pest, Hunger und Krieg.25

4.2 Die Wirrnisse der Sprachen, Schriften und religiöser Welten Auch in Ragusa zeichneten sich Veränderungen ab. Trotz der kulturellen Vielfalt der Stadt erwirkte die slawische Bevölkerung im Verlaufe des 15. Jahrhunderts eine Verlagerung hin zur Slawisierung des Sprachgebrauchs. Latein scheint zu dieser Zeit nur noch in der regierenden Klasse und im Adel verbreitet gewesen zu sein (allerdings waren die meisten Menschen zweispra22

23 24

25

Vuletić: Porodica u Srbiji, S. 131. Die Brüder Popović, die in Belgrad ein Juwelier- und Uhrengeschäft hatten, schickten ihre Söhne nach Wien und in die Schweiz, um das Handwerk zu erlernen. Džaja: Katolici u Bosni i zapadnoj Hercegovini, S. 51. Stanojević: Dalmatinske krajine u XVIII vijeku, S. 82f. Zitiert wird Alberto Fortis, dessen Viaggio in Dalmazia 1774 in Venedig veröffentlicht wurde. Besonders die Morlaken, ihre Lebensweise und Gebräuche hatten bei ihm das Interesse geweckt. Für eine neue Übersetzung in Serbokroatisch: Fortis: Put po Dalmaciji. ,,A peste, a fame e bello, libera nos Domine“. Stanojević: Dalmatinske krajine u XVIII vijeku, S. 97.

208

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

chig).26 Es ist zudem zu beachten, dass nicht nur zwei Sprachen in Ragusa gebräuchlich waren, sondern mindestens vier: Serbokroatisch als Sprache der Frauen, das heißt der Erziehung und der Familie und Serbokroatisch als allen bekannte Sprache der Priester. Die Heirats-, Geburten- und Sterberegister wurden von den Priestern in Serbokroatisch geführt. Latein war die Sprache der Verwaltung, der Notare und der Wissenschaft. Italienisch war die Sprache des Hafens, des Handels und internationales Kommunikationsmedium im Mittelmeerraum. Italienisch wurde im 16. Jahrhundert im Gebrauch gar modisch. Und die vierte Sprache, die sich bis ins 16. Jahrhundert hielt, war das Dalmatinische, eine romanische Sprache, von der eine Variante das sogenannte Ragusäisch war. Die Sprache ist aus Ragusa nur in wenigen Dokumenten bekannt.27 1472 traf der Senat mit 19 zu 15 Stimmen die Entscheidung, nur noch das Ragusäische zu verwenden, wobei die Gegnerschaft aus den Befürwortern des Italienischen bestand. Diese Regelung hielt sich nicht lange. Auch Frejdenberg zählt Faktoren auf, die zur allmählichen Slawisierung Ragusas führten: die ständige Zuwanderung in die Stadt, die jungen Bediensteten und Angestellten sowie junge Mädchen, die mit Ragusanern verheiratet wurden. Im 16. Jahrhundert berichteten einige Reisende, dass die vorherrschende Sprache in Ragusa das Slawische war.28 Dennoch brachte die allmähliche Slawisierung Ragusas keine Tolerierung des christlich-orthodoxen Glaubens mit sich. Die Sprache verbindet Präsenz, Aktion und auch Interaktion. Arnakis sieht aufgrund mehrerer südosteuropäischer Beispiele in der Sprache kein Kriterium für ,,Nationalität“.29 Die Verwendung des Alphabets der jeweiligen Ritussprache für die eigene Sprache findet sich einige Male: Türkisch sprechende Griechen, die das griechische Alphabet verwendeten (Karamanlı, Karamanen), griechische Katholiken von den Ägäischen Inseln, die das Lateinische verwendeten (Frango-Chiotika oder Frango-Syriana), dasselbe Phänomen kann bei den Kroaten beobachtet werden, die trotz fast identischer Sprache das lateinische Alphabet verwenden, im Gegensatz zu den Serben oder den Bulgaren; das Alphabet dient gleichsam als Unterscheidungsmerkmal, insbesondere wenn man sich die vielen Idiome des gesamten südslawischen Raums vor Augen hält, die andere sprachlich-,,nationale“ 26

27 28 29

Carter: Ragusa, S. 24. Frejdenberg verweist auf Untersuchungen von Jireček (Jireček: Die Romanen) und Jakic-Cestaric (Jakic-Cestaric: Etnicki odnosi u srednjovjekovnom Zadru), die darauf schließen lassen, dass die Slawisierung in den dalmatinischen Städten allgemein schon relativ früh eingesetzt habe. Diese Untersuchungen gelten nicht für Ragusa allein, bestätigen aber den Trend der Slawisierung. Carter setzt die Wende hin zur vollständigen Slawisierung Ragusas im 15. Jahrhundert an. Bartoli: Il Dalmatico. Frejdenberg: Dubovnik i Osmanskaja Imperija, S. 24f. Arnakis: Role of Religion, S. 119. Er erwähnt im Zusammenhang mit der griechischen Nationalbewegung Ioannis Kolettis (1774–1847), ein Zinzare, der Ministerpräsident wurde.

4. Anregende Interaktion: Wirklichkeiten und Imaginationen

209

Unterscheidungsmerkmale verwischen. Vor der Verbreitung des lateinischen Alphabets schrieben die orthodoxen Albaner in griechischen Buchstaben, die Katholiken in lateinischen und die Muslime in arabischen. Die Rumänen, in ihrer Nationalbewegung gegen Italien und Frankreich orientiert, wählten dennoch das lateinische Alphabet, was eine weitere Ausnahme darstellt. Etwas überspitzt zeigt Arnakis, wie gleich die ganze ethnische und soziale Zugehörigkeit in Frage gestellt war, sobald den Untertanen des Sultans auf dem Balkan die christliche Religion als identitätsstiftendes Element verloren ging. (...) if one became a Muslim, he became a Turk; while a Christian who remained a Christian could also call himself a Greek, a Serb, a Vlach, a Bulgar, a Croat. The case of the Albanian nation, with its Orthodox, Catholic, and Muslim community, deserves special treatment.30

Der verpflichtende Gottesdienstbesuch am Sonntag, mit der Absicht, den nötigen Einfluss und die Kontrolle über die Pfarreien zu erlangen, konnte nicht im ganzen südöstlichen Raum durchgesetzt werden. So gelang dies in Kroatien und Dalmatien durchgehend, in Bosnien, in der Herzegowina und in Albanien bis ins 20. Jahrhundert nur ausnahmsweise.31 Eine ganz deutliche Form der Aktion waren christliche Missionsbestrebungen. Hier dominierten zwar die Franziskanermissionen, die die Bevölkerung unregelmäßig und wenig intensiv erfassen konnten.32 So zeigen Visitationsberichte, dass es ,,in diesen Regionen“ in vielen Formen zu Abweichungen von den römischen Vorschriften gekommen ist. Solche Kontrollen – wie beispielsweise die Zählung der Sakramente in den sogenannten libri status animarum in den katholischen Pfarreien – gibt es in den orthodoxen Gemeinden im südöstlichen Europa nicht. Ein wichtiges Beispiel für den Versuch, die katholische Durchdringung zu stärken, die Gläubigen auf ,,nicht-katholischem“ Gebiet zu erreichen und die Mission zu forcieren, sind die jesuitischen Sendungsbemühungen auf dem Balkan. Das von Papst Gregor XIII. 1580 in Loreto gegründete und 1627 durch Papst Urban wiedererneuerte ,,Collegio Illirico“ hatte sich der Ausbildung von Priestern im Osmanischen Reich verschrieben. Loreto war nicht überraschenderweise als Bildungszentrum für die Mission auf dem Balkan ausgewählt worden: seine geographische Lage, die ökonomisch guten Bedingungen aufgrund der Spenden und das Selbstverständnis des berühmten Wallfahrtsortes als Bollwerk gegen den Protestantismus und 30 31

32

Arnakis: Role of Religion, S. 120. Mitterauer: Religionen, S. 349. Der Einfluss Roms muss für Ragusa in einigen Bereichen wohl etwas differenzierter betrachtet werden. Allfällige Abweichungen von der Linie des Konzils von Trient dürften auszumachen sein. Der Erzbischof von Ragusa – immer ein Italiener – beklagte sich wiederholt in Rom über die mangelnde Umsetzung der Konzilsbeschlüsse. Unter anderem waren die Ragusaner offensichtlich nicht bereit, ein Heiratsregister von der Kirche führen zu lassen. Man beachte hier den Ferman, den die ragusanischen Gesandten für die Franziskanerklöster in Bosnien zu erneuern versuchten. DAD LL 33 (1575).

210

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

die ,,Türken“ waren ausschlaggebend. Diese Stellung Loretos wurde wohl auch durch die Nähe zu Ancona und durch die engen Verbindungen mit Ragusa und deren Nähe zum Osmanischen Reich gestärkt. Einer der ersten Jesuiten in Ragusa war der ragusanische Händler Mancinelli, der sich ebenfalls der Mission verschrieben hatte. Ein Ziel war, ein passendes Wörterbuch für die Mission auf dem Balkan zu kreieren. Etwas schwieriger war die Rekrutierung von Kandidaten für das Priesteramt und die Mission aus den inneren Gebieten des Balkans. So wurden im Collegio Illirico vor allem junge Männer von der Küste ausgebildet, wobei gerade ein Ziel die Verpflichtung von ,,einheimischen“ Priestern gewesen wäre. Der Wunsch, ein zweites Kollegium in Ragusa zu gründen, scheiterte, wohl aufgrund der Angst vor einer osmanischen Reaktion. Eine Grundvoraussetzung für die Durchdringung des Lebens der katholischen Gläubigen war die zentralistische Führung der Kirche als Institution. Das enge Nebeneinander verschiedener religiöser Gruppierungen lässt sich auch mit den geographischen Gegebenheiten erklären: So konnte es in abgelegenen Gebirgsregionen leicht zu separatistischen und partikularistischen Entwicklungen kommen. Aber auch durch Migration, unter anderem durch die Weidewirtschaft, kam es zu einer Durchmischung vielfältiger religiöser Gruppen.33 Dennoch bildeten diese Kontakte zwischen Ragusa und Ancona (Loreto) in gewissem Sinne eine Brücke zwischen zwei Rivalen Venedigs. So gab es aber noch weitere ,,kulturelle“ Brücken: im 16. Jahrhundert gab es eine Druckerei mit den ersten Werken in ,,illyrischer Sprache“. Insbesondere die Jesuiten aus den Marken pflegten diese nicht unbedingt selbstlosen Kontakte: Der Jesuit Marino Temparizza soll am Kollegium neben dem Illyrischen auch das ,,Vallacha“ und das Albanische gelehrt haben. Auch familiäre Beziehungen gab es zwischen Ancona und Ragusa. Marino Gondola zum Beispiel erbte einen Teil des Besitzes der Familie Gozzi, was zu seiner zeitweiligen Niederlassung in Ancona führte. Sein Sohn vermachte einen großen Teil des Erbes wiederum den Jesuiten, worauf es in der Mitte des 17. Jahrhunderts zur Gründung eines Jesuitenkollegiums in Ragusa kam. Die jesuitischen Missionare in Bosnien waren nicht nur mit Muslimen und christlich Orthodoxen konfrontiert, sondern auch mit Franziskanermönchen, die in den Klöstern im Osmanischen Reich und in den Kolonien der katholischen Händler lebten. Allerdings war der Niedergang der franziskanischen Präsenz stetig fortschreitend. So gab es zu Beginn der osmanischen Eroberungen in Bosnien-Herzegowina rund dreißig Franziskanerkonvente, 1629 noch siebzehn und Mitte des 18. Jahrhunderts lediglich noch drei. Loreto scheint 33

Mitterauer: Religionen, S. 349f. Die Abgeschiedenheit der Berge und der Bergdörfer bot einige andere Möglichkeiten der Unabhängigkeit von Zentralstaat und anderen Gefahren der Niederungen (Piraten, Malaria, usw.). Gelegentlich anerboten sich die Bergbewohner als Beschützer von Passwegen.

4. Anregende Interaktion: Wirklichkeiten und Imaginationen

211

Basis und Ausgangspunkt für eine intensivierte Mission auf dem Balkan gewesen zu sein. Nicolo Bobadilla (1559–1561) besuchte Dalmatien, Slawonien, Istrien und auf Einladung des Bischofs Ludovico Beccadelli Ragusa, während der Wunsch der ragusanischen Nobilität zu dieser Zeit noch anders aussah: Der Schutz Ragusas durch die Jesuiten ist notwendig, da die Stadt durch ihre Lage mit ihren Randgebieten sozusagen die Grenze der christlichen Religion bildet und jene Orte, die von den Feinden am unmittelbarsten bedrängt sind, gewöhnlich die angesehensten und tapfersten Soldaten einsetzen. Daher geschieht es aus gutem Grund, dass unsere Stadt unter das Heer Christi gestellt wird, dem die würdigsten und herausragendsten Personen angehören.34

Auf alle Fälle stießen Meldungen über die schlechte Verfassung der Christen auf dem Balkan in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts auf offene Ohren. So gab es Berichte über Christen, die seit Jahren wohl keinen Priester mehr zu Gesicht bekommen hätten. In verschiedenen Aussagen der Verantwortlichen der jesuitischen Missionsbemühungen schienen auch die katholischen Händler für die Pläne der Missionare eine Rolle gespielt zu haben. So sollte die Evangelisierung mit ,,Hilfe einiger Händler“ vorangetrieben werden.35 Diese Verteidigung des Katholizismus, wenn möglich Mission mit dem Ziel, Andersgläubige zu bekehren, nicht zuletzt auch Raumbesetzung, sei es physisch oder symbolisch, durch die Beherrschung religiöser Imagination im konkreten Raum, stellt eine der dezidiertesten Aktionsformen dar. Die geographische Lage Ragusas und die territorialen Verschiebungen auf dem Balkan brachten es mit sich, dass sich die Republik als eine Art ,,Außenposten“ des Katholizismus verstand, in einer Region, die von ,,ungläubigen“ Muslimen und ,,schismatischen“ orthodoxen Christen dominiert war. Die Hoffnung des Westens auf eine Wiederherstellung des katholischen Einflusses auf dem Balkan war abhängig von der katholischen Stütze Ragusa. Die geographische Position Ragusas konnte in den Auseinandersetzungen mit Venedig immer wieder als Trumpfkarte ausgespielt werden.36 Kurz vor der französischen Besetzung Ragusas trat Charles Fonton die Stelle als russischer Gesandter in der Republik an und bekämpfte den Ausschluss der christlich-orthodoxen Kirchen in Ragusa. Neben der Kapelle zum privaten Gebrauch erlaubte die Regierung nur zwei Besuche eines orthodoxen Priesters pro Jahr, wobei er nur eine Woche bleiben durfte. Wenn ein orthodoxer Gläubiger in Ragusa verstarb, konnte der orthodoxe Priester in die Stadt kommen und den Leichnam aus der Stadt zum Begräbnis begleiten. Allerdings durfte er innerhalb der Stadtmauern keine Liturgie singen, noch konnte er ein Hospital betreten, da dies als katholische Institution betrachtet wurde. Fonton wies auf die Diskriminierung im Vergleich zu den Juden hin und auf 34 35 36

G. Basić: Elogia Iesuitarum ragusinorum. In: Vrela i Prinosi 2 (1933), S. 4f. Zitiert nach Moroni: Le Marche e la penisola balcanica, S. 104f. Übersetzung von Marcel Gosteli. Moroni: Le Marche e la penisola balcanica, S. 207. Harris: Dubrovnik, S. 220.

212

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

die Freiheiten der Ragusaner im Handel im Schwarzen Meer. Erst 1804 wurde dem orthodoxen Priester die Rückkehr nach Ragusa gestattet und über dem Eingangstor zur russischen Kapelle konnte ein russisches Kreuz befestigt und somit der russischen Protektion Geltung verliehen werden.37

4.3 Interferierende Glaubensbekenntnisse Zwischen Ragusa und Belgrad waren Händler mit ihren Karawanen, muslimische Pilger auf dem Heimweg nach Bosnien, ragusanische Gesandte, die nach Istanbul aufgebrochen waren, oder ,,Grenzgänger“ auf der Suche nach Arbeit unterwegs. Ihre Erfahrungs- und Lebenswelt war geprägt durch Heterogenität und Vielseitigkeit; natürlich auch durch den scharf erfahrenen Gegensatz von Stadt und Land, von Zentrum und Peripherie in vielen Bereichen.38 Es bildeten sich Grenzräume des Glaubens.39 In welchem Verhältnis stehen christlich-muslimischer Doppelkult zu Ehren des Heiligen Polycarp in Smyrna (Izmir)40 und die staatlich verordnete und kontrollierte Blasiusverehrung in Ragusa zueinander? Oder welche Bedeutung hatten die Feiern zu Ehren des neugeborenen Sultanskindes sowie die Gottesdienste in der Zemuner Quarantäne?41 Religiöse Imagination war Teil religiöser Praktiken, diese wiederum Teil religiös geleiteter Präsenz im öffentlichen Raum. Religion ist immer aufs engste mit Imagination verbunden, die in den unterschiedlichsten Feldern einsetzt. 37 38

39

40 41

Foretić: Povijest Dubrovnika. 2. Band, S. 434f. Die unterschiedliche Intensität der Islamisierung in der Stadt und auf dem Land, sowie das ,,gemischte“ Antlitz von wirtschaftlichen Zentren standen in enger Wechselwirkung mit der religiösen Lebenswelt und ihren Möglichkeiten. Man vergleiche für die muslimischen, jüdischen und christlichen Beziehungen Lewis: Juden in der islamischen Welt, S. 58f. Diese vermeintlichen religiösen Grenzen scheinen gelegentlich und in unterschiedlicher Weise überschritten worden zu sein. Herrschaftliche Grenzen werden mit der physischen Überschreitung insofern überwunden, als die Identität und die religiöse Zugehörigkeit nicht abgeschüttelt werden können. Da in solchen Fällen kaum von ,,Übergangszonen“ oder eben ,,Grenzräumen“ gesprochen werden kann, sondern diese Vielfältigkeit als Merkmal für den zu untersuchenden Raum Geltung haben soll, hat der Begriff ,,Grenze“ primär politische Bedeutung. In dieser Untersuchung wird die physische Grenzüberschreitung zur Regel: Aromunen, ragusanische Händler oder Segner Uskoken konstituieren einen anderen Raum. Dadurch wird aber auch deutlich, dass herrschaftliche Strukturen nicht vernachlässigt werden können, aber nicht allein Raum bildendes Element darstellen. Hasluck: Christianity and Islam, S 406f. Die 1733 errichtete Zemuner Quarantäne beherbergte eine katholische und eine orthodoxe Kapelle. Die beiden Gebäude waren durch die Latrinen und das Quarantänegefängnis voneinander getrennt. Fotić: Privatni život, S. 497; Katić: O pojavama bolesti, S. 149.

4. Anregende Interaktion: Wirklichkeiten und Imaginationen

213

Religiöse Praktiken geben diesen Imaginationen Gestalt und machen sie im realen Leben erfahrbar. Religiöse Praxis war in der Frühen Neuzeit alltäglich und in der ,,realen“ Lebenswelt des Menschen fest verankert.42 Die Wirkkraft des Heiligen Nikolaus war so real, wie es Stürme und Seenot sind. Der Talisman bewies täglich seine Effizienz. Der ,,homo religiosus“ lebte in einem anderen ,,Kosmos“ als der moderne Mensch in seinem entsakralisierten Umfeld.43 Die Welt des 16., 17. und 18. Jahrhunderts war strukturiert durch heilige Zeiten, Orte, Handlungen, Worte und Gegenstände.44 Dalmatien war ein Gebiet, auf dem Katholizismus und christliche Orthodoxie stets aufeinander trafen. Wenn auch der politische Einfluss des Klerus im 18. Jahrhundert gering gewesen sein mag, so war seine Bedeutung, unabhängig von der Konfession, im gesellschaftlichen Leben groß.45 In Zadar, Šibenik und auf Hvar lebten auch Griechen. Auf Hvar hielt 1672 ein griechischer Priester die Messe in der Muttergotteskirche, wo auch den Katholiken ein Altar zugestanden wurde.46 In den Gebieten mit einer christlich-orthodoxen Minderheit hegte diese gegenüber den Katholiken keine Feindseligkeiten. Im Bistum Trogir gab es nur eine kleine christlich-orthodoxe Minderheit, die keine eigene Kirche besaß. Ein Priester hatte daher mehrere Dörfer in seiner Obhut. Aber auch die katholische Visitation brachte im 18. Jahrhundert keine schwerwiegenden Klagen über die orthodoxen Christen vor. Allerdings sei es quälend zu beobachten, wie sie an katholischen Feiertagen auf dem Feld arbeiten und sich in der katholischen Kirche niemals niederknien, sondern immer stehen würden. So kam es auch vor, dass orthodoxe Christen katholische Priester zur Segnung des Bodens und des Viehs beizogen und der Erzbischof Karaman erklärte gar, dass sich Serben in Šibenik zu katholischen Priestern zur Beichte begaben.47 Auf jeden Fall aber war die christlich-orthodoxe Minderheit schlechter gestellt als die katholische Mehrheit. So schien die venezianische Obrigkeit in der Regel wenig für tolerante Gesten gegenüber den orthodoxen Untertanen übrig gehabt, beziehungsweise gar Repressionen zugelassen zu haben. Dennoch wurde um 1720 ein Gesuch des Pfarrers um die Erweiterung der christlichen orthodoxen Kirche im Dorf Dragaš vom General Provveditore gut geheißen. Ein anderes Gesuch zu Beginn des 18. Jahrhunderts galt der Errichtung einer orthodoxen Kirche an der Neretva.48 Die These, wonach sich mit der Abwesenheit von örtlichen Verbindungen (im Sinne eines gemeinsamen Lebens am selben Ort) eine Hinwendung zu 42 43 44 45 46 47 48

Mitterauer: Dimensionen des Heiligen, S. 7f. Eliade: Heilige und das Profane, S. 18f. Mitterauer: Dimensionen des Heiligen. Stanojević: Dalmatinske krajine u XVIII vijeku, S. 78. Jačov: Spisi tajnog vatikanskog arhiva XVI–XVIII veka, S. 79 und 142f. Zitiert nach Stanojević: Dalmatinske krajine u XVIII vijeku, S. 17. Stanojević: Dalmatinske krajine u XVIII vijeku, S. 17f. Stanojević: Dalmatinske krajine u XVIII vijeku, S. 81.

214

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

gemeinsamen Kultterminen verstärkte, scheint in Anbetracht der Vielfältigkeit der religiösen Erscheinungen und heiligen Orte im südöstlichen Europa ein sehr interessanter Ansatzpunkt zu sein. So könnten die Feiern zu Ehren des Heiligen Blasius in der levantinischen Kolonie ein Hinweis auf identitätsstiftende Kraft der Feierlichkeiten sein, die nicht nur mit der Person des Schutzpatrons der Heimatstadt zusammenhängt, sondern auch mit der Bedeutung der alljährlich wiederkehrenden Termine für die in der Kolonie lebenden ragusanischen Katholiken. Systeme heiliger Orte und heiliger Zeiten stehen insofern im Zusammenhang, als sich mit der Lösung von örtlichen Bindungen Tendenzen zu vereinheitlichten Kultterminen zeigen. ,,Heilige Zeiten“ schufen imaginierte (gedankliche und empfundene) Brücken zwischen Menschen unterwegs und in der Heimat. Gerade das Nichtvorhandensein von diesen örtlichen Verbindungen scheint möglicherweise eine Ursache für die deutliche Konzentration auf heilige Tage, das heißt auf gemeinsame Kulttermine, beim Judentum gewesen zu sein. Die Sabbatfeier blieb neben der Beschneidungsfeier die wichtigste rituelle Gemeinsamkeit der Juden in der Diaspora. Der Freitag und der Sonntag im Islam und im Christentum erlangten keine solch durchdringende Reglementierung in seiner Gestaltung wie die Sabbatfeier, auch wenn die sonntägliche Gottesdienstpflicht in der Westkirche natürlich eine wichtige Rolle im Alltagsleben spielte.49 Es war durchaus üblich, dass man sich an religiöse ,,Spezialisten“ einer anderen Religionsgemeinschaft wenden konnte: Muslime, die sich vom ,,Tempelschlaf “ in einem christlichen Kloster Heilung erhofften, oder besorgte Mütter, die den Hodscha um einen Talisman für die Kinder baten. Magische Praktiken zur Abwehr von Dämonen und die Vorstellung von der Wirkkraft vom Heiligen als Gegenspieler der Dämonen sind im südosteuropäischen Raum tief verwurzelt, auch an der dalmatinischen Küste, obwohl sie von den christlichen Kirchen und dem Islam offiziell abgelehnt wurden. Auch das Wallfahrtswesen bietet solche Erscheinungen: Christen an Mausoleen muslimischer Heiliger oder Pilgerfahrten von Muslimen zu den Reliquien eines christlichen Heiligen oder einem Gnadenbild Muttergottes. Gemeinsame religiöse Feste von Katholiken, Orthodoxen und Muslimen sind vor allem von der westlichen Balkanhalbinsel überliefert, insbesondere von Orten mit vorchristlichen Heiligtümern. Gemischtreligiöse Ehen zeugen von einer gewissen Durchlässigkeit der religiösen Grenzen. Viele Gemeinsamkeiten gab es auch im Volksglauben, besonders in den familienbezogenen ,,rites de passage“. Konfessionalisierung im Sinne der Ausgrenzung anderer Frömmigkeitsformen (wie zur Zeit der Reformation und Gegenreformation) hat es in den südosteuropäischen Ländern nicht gegeben. Dies sicherte die volksreligiösen, synkretistischen Erscheinungsformen.50 49 50

Mitterauer: Religionen, S. 365. Mitterauer: Religionen, S. 353.

4. Anregende Interaktion: Wirklichkeiten und Imaginationen

215

Das Wallfahrtswesen spielte eine wichtige Rolle in der Heiligenverehrung. Begräbnisstätten von Heiligen, Scheichs oder wundertätiger Persönlichkeiten entfalteten in allen drei Religionen ihre Wirkung. Bildverehrung und materieller Opferkult haben auch in der Wallfahrtspraxis der Westkirche Eingang gefunden. Christliche Wallfahrtsorte wurden auch von Muslimen aufgesucht, während umgekehrt christliche Pilger, die Jerusalem besucht hatten, sich mit dem (eigentlich muslimischen) Ehrentitel ,,Hadschi“ schmückten. Ein christlich-muslimischer Wallfahrtsort war Izmir, ein osmanisches Handelszentrum mit zahlreichen Diasporagemeinschaften, wie den Griechen, den Juden oder den Ragusanern. Der Ort eines gar ,,von Derwischen geförderten Doppelkultes“51 war das Grab des Heiligen Polycarp (im 2. Jahrhundert Bischof von Smyrna und Märtyrer), der als apostolischer Vater und als Patron gegen Ohrenleiden in der orthodoxen wie auch in der katholischen Kirche anerkannt und verehrt wird. Das Grab wurde wohl erstmals 1622 von einem französischen Geistlichen erwähnt. 1657 wurde die Aufsicht über das Grab von den Derwischen auf griechische Mönche übertragen, was eine politische Maßnahme, die sich gegen die Derwische richtete, gewesen sein mag. 1739 erscheint das Grab als eine Folge von Streitigkeiten zwischen Muslimen und Christen wiederum unter Kontrolle der Osmanen an einem anderen Ort. Offensichtlich hatten sich die Christen geweigert, eine bestimmte Summe für den Unterhalt zu zahlen. So beherbergte seit dem 18. Jahrhundert die Pilgerstätte nicht mehr nur den Heiligen Polycarp, sondern ab einer gewissen Zeit auch einen muslimischen Krieger namens Yusuf Dede, der an derselben Stelle gefallen sein soll. Die echten Reliquien Polycarps sollen sich auf Malta befinden.52 Die dichte Verstrebung der Glaubensvorstellungen sticht im Süden Europas immer wieder ins Auge. Da die muslimische Heiligenverehrung einen Reliquienkult kennt, kommt dem Grab eines Heiligen wie im Christentum besondere religiöse Bedeutung zu. Im Islam gibt es eigentlich keine Heiligen, doch wurden Gräber von ,,Pirs“ oder ,,Walis“, die durch Wundertaten oder ein besonders asketisches Leben hohes Ansehen erlangten, ebenfalls verehrt. Sefardische Juden pilgerten jedes Jahr am Todestag von Mose Danon – eines berühmten Rabbiners von Sarajevo – zu seinem Grab nach Stolac. Offenbar verehrte man jenen Ort noch bis ins 20. Jahrhundert, wie religiöse Veranstaltungen von Juden und Nichtjuden bezeugen.53 In der Festtagskultur hatte die Partizipation der Diasporagemeinden oft einen festen Platz, natürlich in einem bestimmten Rahmen. Juden nahmen an Festumzügen teil,54 Christen besuchten die Synagoge im Ghetto Venedigs, um der Predigt eines bekannten Rabbiners zu lauschen, die ragusanischen Behörden ließen den Juden im Ghetto zum 3. Februar (Patronatsfest des Heiligen 51 52 53 54

Kriss: Volksglaube, S. 328. Hasluck: Christianity and Islam under the Sultans, S. 412f. Levy: Die Sefardim in Bosnien, S. 78. Wyrwa: Juden in der Toskana, S. 111f.

216

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

Blasius) einige Karaffen Wein als Geschenk zukommen, oder die ragusanischen Vertreter beteiligten sich an den Festlichkeiten zur Geburt des Sultansohnes.55 Bei osmanischen Handwerkern war es üblich, die Gilde und ihre Arbeit einem heiligen Patron anzuvertrauen. Durch die Verehrung und Lobpreisung sollte dem Handwerker, wie auch dem Sklavenhändler in Istanbul der entsprechende Schutz zukommen. So beschreibt Çelebi die Loblieder auf die Schutzpatrone der Sklavenhändler aus dem han in Istanbul. Zwei ,,Schutzheilige“ wurden in der Erzählung angerufen. Der erste Patron ,,Hamnesim“ – er galt im Sklavengeschäft als der erste Sklavenhändler – war eine biblische Figur aus dem Alten Testament, also eine Figur mit jüdischem Hintergrund. Im Loblied verkaufte dieser Hamnesim den biblischen Helden Yusuf in die Sklaverei. Anschließend tritt ein zweiter Patron in die Geschichte der Istanbuler Sklavenhändler ein: ein Begleiter des Propheten Mohammed namens Bedil bin Varta. Dieser soll einen ungläubigen Onkel des Propheten verkauft haben. Weitere Beispiele für Gleichsetzungen von verehrten Personen in muslimisch-christlichen Mischgebieten sind der Bektaši-Heilige Sary Saltyq und der Heilige Nikolaus, die Heiligen Karaga Ahmad und Georg in Aleksandrovo in der Nähe von Skopje, oder die von Franziskanern betreute Wallfahrt zu einer Johannes-Kirche beim Städtchen Jajce in Bosnien, die auch von Muslimen besucht wurde.56 Die Reliquien des Heiligen Simeon von Zadar wurden von weither besucht. Eine Inschrift bezeugt die Verehrung durch den serbischen Despoten Georg Branković. 1598 stellte die Diözesansynode gar deren Verehrung durch türkische Pilger fest.57 Die Legende des muslimischen Heiligen ist eng verbunden mit angeblichen Missionsbestrebungen des Sultans Orhan. In Kaliakra (heute Badeort in Bulgarien) wurde ein Grabmal von Muslimen und Christen gleichzeitig verehrt. Vermutet wird, dass dort früher eine christliche Kirche zu Ehren des Heiligen Nikolaus gestanden hatte. So erscheinen auch an anderen Orten christliche Kulte islamisiert. Hasluck schreibt die jeweiligen Legenden den bektašitischen Missionsbemühungen zu.58 Der wohl populärste Heilige, der den Weg in die westkirchliche Heiligenverehrung gefunden hatte, ist der Heilige Nikolaus (Reliquien in Bari und Freiburg), der auch der Schutzpatron der Seeleute ist und in dieser Funktion überkonfessionelle Bedeutung entfaltete. Die ragusanischen Schiffe trugen 55

56 57 58

Navè: Konflikt und Toleranz, S. 318. DAD, Detta 24, f. 80, mit Dank an Vesna Miović für den Hinweis. Dieses Geschenk ist durchaus von Bedeutung. Denn der Konsum von Wein, der von Nichtjuden hergestellt wurde oder nur durch ihre Hände ging, kann durchaus als Indikator für eine nicht allzu strenge Befolgung der orthodoxen religiösen Vorschriften betrachtet werden. Kriss: Volksglaube, S. 336f. Kapitanović: Santuari in Dalmazia Veneta, S. 95–116, hier S. 101f. Hasluck: Christianity and Islam under the Sultans, S. 433; Kriss: Volksglaube im Bereich des Islam, S. 336f.

4. Anregende Interaktion: Wirklichkeiten und Imaginationen

217

vornehmlich die Namen des Stadtpatrons Blasius, des Heiligen Nikolaus oder der Muttergottes. Eine ganze Anzahl von ragusanischen Schiffen ist ferner der Heiligen Maria von Loreto geweiht.59 Unterschiede gibt es in den christlichen Kirchen bezüglich der Kanonisation: Während in der römischen Kirche die Kanonisation Bedingung für offizielle Verehrung ist, musste in den Ostkirchen die Heiligkeit erst durch kontinuierliche Verehrung erwiesen sein.60

4.4 Der Kampf um Dominanz und Unabhängigkeit Viele Quellen belegen, dass Interaktion zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen negativ konnotiert war. Dieser Umstand lässt sich sicherlich auch damit begründen, dass friedliches Mit- und Nebeneinander keine Quellen generierte, da keine Bitt- und Beschwerdebriefe nötig waren, somit in den Archiven auch keine Dokumente erhalten geblieben sind. Dennoch sind die Dokumente aufschlussreich und geben Auskunft über mögliches Konfliktpotential. Der katholische Feiertagskalender strukturierte den Rhythmus in Semlins öffentlichem Raum. Vorschriften bezüglich der Öffnungszeiten von Läden, Schankstuben und Kaffeehäusern wurden 1772 und 1773 erlassen, teils zweisprachig in Serbisch und Deutsch.61 Allerdings wurden diese Bestimmungen zumindest aus der Sicht des Generalvikars Britner ungenügend beachtet: Er klagte 1774, dass die Jugend und offene Läden die Sonntagsruhe stören würden.62 Der Feiertagskalender als Strukturierung der Zeit im öffentlichen Raum bereitete in der Stadt weitere Probleme und Anpassungsschwierigkeiten: Das Generalkommando in Peterwardein wies 1787 an, dass die orthodoxen Priester jeweils anzukündigen hätten, welche Feiertage in der kommenden Woche einzuhalten seien, weil sich ein Teil der Orthodoxen weigerte, an Tagen zu arbeiten, die bis dahin noch als orthodoxe Feiertage galten.63 Die Zeit im öffentlichen Raum war nun der katholischen Dominanz unterworfen und konkurrierte mit dem traditionellen Jahresrhythmus von Diasporagruppen. Die Aushandlung von derartigen Differenzen fand im Rahmen einer Gemeinschaft statt, in der die Stadtbehörden in ihrem Selbstverständnis die Vielfalt repräsentierten. Der erste Stadtrichter namens Marko Nikolić 59 60 61 62 63

Mitterauer: Religionen, S. 355f.; Moroni: Rapporti culturali e forme devozionali, S. 195f. Mitterauer: Religionen, S. 365. IAB, ZM, Fd. 1, kut. 1366 (1772), F. I, br. 16.; kut. 1367 (1772) F II br. 66 sowie kut. 1368 (1773) F II br. 21. IAB, ZM, Fd. 1, kut. 1370 (1774), F. II, br. 22. IAB, ZM, Fd. 1, kut. 1419 (1787), F. IV, br. 552.

218

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

ließ sich in einem lokalen Kostüm porträtieren und unterschrieb, obwohl er Deutsch sprach, stets in kyrillischer Schrift.64 Unter diesen Voraussetzungen erstaunt es nicht, dass die verschiedenen Gruppen und die Behörden als ,,Militär-Communität“, so die Bezeichnung Semlins zu der Zeit, als Gemeinschaft mit gegenseitigen Verpflichtungen und Rechten über Ansprüche der einzelnen Gruppen diskutierten. Dieser Umgang lässt sich am Beispiel der Argumentation in einem wichtigen Beschwerdebrief belegen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstand aus dem wachsenden kulturellen Selbstverständnis der slawischen Bevölkerung Semlins die Forderung nach dem Gottesdienst in slawischer Sprache. In diesem Konflikt wurde der Stadt-Magistrat um Vermittlung angefragt: Es wird seinem Löbl. Stadt-Magistrat wohl nicht unbekannt seyn, dass wir Griechen und Wallachen k. k. Untherthanen und Bürger zu Semlin einen betrachtlichen Theil der Inwohner dieser Stadt ausmachen, die auch angemessene Steuer und Abgaben zur allgemeinen Wohlfahrt des Staates immer willig entrichten, die öffentlichen Lasten mittragen, und zur Erbauung der Kirchen, zur Haltung des Gottesdienstes, und zur Unterhaltung der Geistlichkeit sehr vieles und verhältnismäßig mehr als unsere Religions Verwandte Illyrier beygetragen haben, und auch beytragen. Gleichwohl sehen wir uns von denselben äußerst gekränckt und beleidiget: indem sie uns nicht diejenigen Rechte genießen lassen, die sie selbst genießen, sondern uns die Schule und Kirche verwehren und allerley Chicanen machen, so dass wir uns entlich von den selben ganzlich trennen mussen. Da aber dieses ihr Betragen gegen uns Religionsgenossen höchst unbillig, anstößig, und den allgemeinen Wohl des Staates sehr nachtheilig, und leicht Anlass zu einer Spaltung geben kann, wie, leider, schon an manchen Orten geschehen ist, so haben wir seinem Löbl. Stadt-Magistrat untertanigst bitten sollen, diesem Übel vorzubeugen, eine zweckmäßige Vermittlung und Anordnung in der Sache treffen zu wollen. Semlin den 17. May 1793.65

Dieser Vermittlungsaufruf zeigt, dass, obwohl die Finanzierung der orthodoxen Kirche und der Pfarrstellen nicht über die Stadtkasse erfolgte, die Auseinandersetzung über den Zugang einer sich neu konstituierenden Gruppe zum öffentlichen Raum nicht in der Teilöffentlichkeit der Gemeinschaft ausgetragen, sondern dafür die Öffentlichkeit in Anspruch genommen wurde. Zur Rechtfertigung dieser Präsenz im kommunikativen Raum machten die vier Bittsteller die Größe und die geleisteten Steuern der griechischsprachigen Gruppe geltend. Die Idee der Stadtgemeinschaft erhob den religiösen Frieden zu einer Frage des öffentlichen Raumes. Der Vermittlungsaufruf führte 1794 zu einer paritätischen Lösung: Die Repräsentanz der orthodoxen Kirche bestand nun aus achtzehn Personen, aus zwölf Serben und sechs Griechischsprachigen. Für den Gottesdienst wurde eine Sprachregelung vereinbart, die jeden zweiten Sonntag einen griechischen Gottesdienst in der Muttergotteskirche vorsah. Dafür zahlten die Griechen einen Drittel der

64 65

Soppron: Monographie von Semlin und Umgebung, S. 382 und 474. IAB, ZM, Fd I, kutija 1511 (1793), F XXI br. 23.

4. Anregende Interaktion: Wirklichkeiten und Imaginationen

219

Kirchenausgaben.66 Diese Ordnung erhielt sich bis zum Ersten Weltkrieg und zur Aufhebung der griechischen Liturgiesprachen in Zemun. In der Kirche war die linke Seite die ,,serbische“ und die rechte die ,,griechische“. Auf der einen Seite wurde das ,,Gospodi pomiluj“ und auf der anderen Seite das ,,Kyrie eleison“ (,,Herr, erbarme Dich“) gesungen. Dieselben Auseinandersetzungen um die Kultussprache gab es gegen Ende des 18. Jahrhunderts auch in Budapest und Novi Sad. Verschiedene Aspekte spielten dabei eine Rolle: Beschränkungen der kirchlichen Bauten erlaubten keine beliebige Trennung der orthodoxen Gläubigen, vor allem da die Kirchen nur zu Zeiten des Marktes wirklich übervoll gewesen seien, die Anzahl der Geistlichen war ebenfalls durch die Kosten und die obrigkeitlichen Regelungen eingeschränkt und die Sprachkenntnisse der Kirchenbesucher variierten sowieso. Zudem spielten die Herkunft und die Loyalitäten des jeweiligen Bischofs beim Ausgang solcher Auseinandersetzungen durchaus eine Rolle.67 Dass die orthodoxen Gläubigen auch in der Kirche in Belgrad den Fes trugen, ließ sich Fürst Miloš nicht mehr gefallen und unterband diese Praxis durch die Androhung harter körperlicher Strafen. Die räumliche Trennung von Serbinnen und Zinzarinnen innerhalb der orthodoxen Kirche in Belgrad wurde noch bis in die 70er Jahre des 19. Jahrhunderts praktiziert. Mit dem 19. Jahrhundert wurde das Griechische immer mehr durch das Serbische aus dem orthodoxen Gottesdienst verdrängt. 1827 wurden alle Sprachen außer des Serbischen von Miloš aus dem gemeinsamen orthodoxen Gottesdienst verbannt, den Bulgaren, Griechen oder Zinzaren standen jedoch Alternativen offen: Es wurden ihnen eigene Kapellen mit eigenen Priestern bewilligt. So kam es durchaus auch vor, dass die nicht Slawisch sprechenden orthodoxen Gläubigen in der Kirche, allerdings außerhalb des offiziellen Gottesdienstes, auf Türkisch, das allen verständlich war, verabschiedet oder um Spenden gebeten wurden. Auch in Istanbul kam es in christlich-orthodoxen Kirchen gelegentlich vor, dass jenen Gläubigen, die kein Griechisch verstanden, in Türkisch gepredigt wurde.68 Selbst im Tod hinterließen religiös-sprachliche Interaktionen noch ihre Spuren: Die Kürze dieser eitlen Welt wie einer zarten Blume so widerfuhr es diesem Bruder mit dem Namen Anastasij, geboren in Epirus der Kaufmann war auf der ganzen Welt.69

Es handelt sich um das Epitaph von Anastasij Dimović, der am 10. März 1789 in Zemun verstarb. Die Inschriften wurden in der Regel auf Griechisch und daneben in Serbisch verfasst. 66 67 68 69

Soppron: Monographie von Semlin und Umgebung, S. 538. Popović: O Cincarima, S. 205f. Popović: O Cincarima, S. 213f. Popović: O Cincarima, S. 76f. Übersetzung Ivo Haag.

220

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

Die Position der jüdischen Bevölkerung in Belgrad war ungleich schwieriger. Zwar hatte sie ihren Platz im öffentlichen Raum; Synagoge, Friedhof und Schule blieben auch in den Zeiten der sich wandelnden Herrschaft erhalten. Ihre Position war aber unter serbischer Obrigkeit heikel: Es handelte sich hauptsächlich um sefardim, die über das Osmanische Reich nach Belgrad gelangt waren und osmanische Untertanen waren. Viele von ihnen arbeiteten zuvor in der osmanischen Administration, auch zu Zeiten der Aufstände; aus serbischer Sicht auf der Seite des Feindes.70 Wollten Sie ihrem jüdischen Ritus weiterhin treu bleiben, mussten sie aktiv werden. Aus zahlreichen Bittbriefen an den neuen Fürsten gehen ihre religiös-traditionellen Anliegen – beispielsweise ein Gesuch, eine koschere Metzgerei führen zu dürfen – hervor.71 Einem Exponenten der jüdischen Gemeinde gelang es besonders gut, sich in der verändernden Stadt prominent zu positionieren. Haim Davičo, ein sefardischer Jude, wurde zu einem der wohlhabendsten Einwohner Belgrads. Er war Hoflieferant des Paschas und des Fürsten Miloš zugleich. Für den Fürsten übernahm er administrative Arbeiten und organisierte Wechselgeschäfte.72 Die Heiligung unterschiedlicher Tage der Woche und die damit verbundene Ruhe- und Gebetszeit führte immer wieder zu Auseinandersetzungen in den Beziehungen zwischen den verschiedenen Religionsgemeinschaften.73 Zahlreiche Klagen in Belgrad und Zemun zeugen von Unzufriedenheit wegen ungenügender Feiertagsheiligung. Heilige Zeiten74 kommen und gehen – regelmäßig, unregelmäßig, für die einen oder für die anderen. Manchmal sind Momente für die einen Menschen besonders oder ,,heilig“, während die Nachbarn nicht oder nur indirekt davon betroffen sind. Die Sonntagsheiligung war in Belgrad ein ständiger Anlass für Auseinandersetzungen. Türkische Ladenbesitzer hatten auch im 19. Jahrhundert durchaus die Möglichkeit, an christlichen Feiertagen zu arbeiten. Dies bezeugen Beschwerdebriefe, die Maßnahmen gegen diese liberale Praxis forderten.75 In den 1870er Jahren finden sich auch in den Akten der österreichischen Administration Beschwerden und Bestimmungen über die Heiligung der Feiertage, wie beispielsweise

70 71

72 73

74 75

Ðorđević: Iz Srbije Kneza Miloša, S. 161. MUD-p 1839 II.66. Entwurf eines Briefes des Ministeriums an das Načalničestvo Belgrad vom 20.5.1839 betreffend der Anfrage der jüdischen Gemeinde für den Betrieb einer koscheren Metzgerei. Ðorđević: Iz Srbije Kneza Miloša, S. 158. Diverse Klagen über Missachtung der Sonntagsheiligung durch die Juden, die am Sonntag zu arbeiten pflegten, zeigen sich in den Quellen der serbischen Verwaltung in der Zeit nach den serbischen Aufständen. Der Begriff ,,Heilige Zeiten“ stammt aus Michael Mitterauer: Dimensionen des Heiligen. AS, MUD, 1852, 709 F. VIII.

4. Anregende Interaktion: Wirklichkeiten und Imaginationen

221

bezüglich ungenügenden Gottesdienstbesuchs, Ladenschließungszeiten an Feiertagen oder Verordnungen über Musik in den Schenken.76 Auch am Rande Belgrads, in der österreichischen Grenzstadt Zemlin, war Ende des 18. Jahrhunderts die religiös-kulturelle Ausrichtung der Einwohner das zentrale Differenzierungsmerkmal. Ignaz Soppron, Lokalhistoriker und Druckereibesitzer aus Semlin, beschreibt 1890, durch das Prisma seiner Erfahrungen mit dem serbischen Nationalstaat, die Situation rund hundert Jahre vorher: Die neuen Ansiedler Semlins waren also ziemlich bunt gemischt bezüglich ihrer Abstammung, es verband sie aber die gemeinsame griechische Religion, und dieses Band war zu jener Zeit weit stärker als die Racengemeinschaft.

Diese Einschätzung widerspiegelt sich in der Art und Weise, wie die Identität eines Individuums im behördlichen Umgang und damit im öffentlichen Raum festgestellt wurde: Verhörprotokolle begannen immer mit einer Formel, die Namen, Alter, Geburtsort und Religionszugehörigkeit beinhaltete.77 Natürlich hatte auch in Semlin der Markt eine zentrale Bedeutung als öffentlicher Raum, die Quarantänestation sowie die Gasthäuser könnten ebenfalls unter diesem Vorzeichen betrachtet werden. Der Fokus liegt in diesem Teil aber auf den religiösen Institutionen, denn die Präsenz der verschiedenen Religionen im öffentlichen Raum ist ein entscheidender Unterschied zur Situation auf der čaršija in Belgrad, wo christliche oder jüdische religiöse Bauten keinen Platz im Marktviertel hatten. Die verschiedenen religiösen Institutionen von Semlin werden zwar als eine Teilöffentlichkeit von den jeweiligen Religionsgemeinschaften verwaltet, nehmen aber architektonisch einen definierten Platz im öffentlichen Raum ein. Am Beispiel Semlins lässt sich zeigen, dass Fragen der Finanzierung oder Konflikte über die sprachlich-kulturelle Ausrichtung nicht innerhalb der Religionsgemeinschaften in einem begrenzten Raum beigelegt wurden, sondern rasch in den öffentlichen Raum ausstrahlten. Einige Quellen betonen die Konflikte, die beim Aufeinandertreffen der beiden Gruppen im öffentlichen Raum entstanden.78 Am öffentlichen Ort des Brunnens entzündete sich 1862 ein Streit, der wegen des Totschlags eines serbischen Jungen durch einen Türken zu stadtweiten Ausschreitungen führte.79 76 77

78

79

Zum Beispiel IAB, ZM Fd.1, kutija 1366 (1772), F I br. 16; Fd. 1, kutija 1367 (1772) F II br. 66; Fd. 1, kutija 1368 (1773), F II br. 21; oder Fd. 1, kutija 1370 (1774), F II br. 22. Zum Beispiel ,,Costa Mihailovich von Woscolpoli [Moscopolis] aus Griechenland gebürtig, 60 Jahre alt, gr. n. u. r. (griechisch nicht unierter Ritus), verheuratet, Vater eines Kindes, hiesiger Contribuent (Rechtsform des Aufenthaltsstatuts)“. IAB, ZM, 1810, J. 1821 [alte Archivnotation], in: Ilić: Građa iz zemunskih arhiva za istoriju prvog srpskog ustanka, S. 141. Zum Beispiel ein Angriff eines 10-jährigen türkischen Jungen mit einem Messer auf eine 19-jährige serbische Dienerin an einem Brunnen am 1.4.1842, IAB, UGB, 1842, K, 17 F. II, 450, publiziert in: Istoričeski Arhiv Beograda und Prpa: Živeti u Beogradu, Bd. 2, S. 218–220. Čubrilović: Istorija Beograda, Bd. 2, S. 148.

222

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

Als Reaktion darauf bombardierten die osmanischen Truppen die Stadt Belgrad von der Festung aus. Nach diesem Vorfall, der internationale Reaktionen hervorrief, musste die türkische Zivilbevölkerung die Stadt verlassen, 1867 dann wurde der Schlüssel der Festung an den Sohn des abgedankten Fürsten Miloš, Mihailo Obrenović, übergeben und die osmanische Präsenz in Belgrad beendet.

4.5 Kontrollierte und begrenzte Interaktion: Krankheit, Schutz und Angst80 4.5.1 Die Gefahr aus der Ferne: Quarantäne als Abgrenzung in mediterranen Hafenstädten Eine Arbeit, die sich mit Be- und Entgrenzungen befasst, richtet ihr Augenmerk natürlich auch auf Maßnahmen der maritimen Sanitätsbehörden und die Frage, wie sie Grenzen konstruierten, formierten, etablierten und faktisch zu setzen und zu legitimieren versuchten. Im Zuge dieser Begrenzungsversuche entstanden neue staatsrechtliche Strukturen, wie sie heute eine Selbstverständlichkeit geworden sind. Doch selbst in jüngster Vergangenheit erinnerte vieles in den Reaktions- und Verhaltensnormen von Behörden wie Bevölkerung an die Zeiten der Pest, als man hilflos ausgeliefert versuchte, dieser Pandemie Grenzen zu setzen.81 Die Gratwanderung zwischen beruhigenden Worten, Schuldzuweisungen, notwendigen Maßnahmen und beschwichtigenden Ersatzhandlungen zeigt die Spannweite der möglichen 80

81

Dieser Teil gründet auf meinem öffentlichen Habilitationsvortrag im Jahre 2006 in Basel (Desanka Schwara: Die Gefahr aus der Ferne: Quarantäne als Schutz und Abgrenzung in mediterranen Hafenstädten). Es freut mich sehr, dass ich Luise Müller für diese Thematik begeistern konnte, siehe Teil 4 in diesem Buch, wie auch ihre Dissertation ,,Die Bedrohung kommt übers Meer. Maritime Quarantäne und der konstituierende Verdacht in Lissabon und Cádiz zu Beginn des 19. Jahrhunderts“, die voraussichtlich 2011 publiziert wird. Die europäischen Staaten reagierten angesichts der Vogelgrippe in jüngster Vergangenheit divergent. Die einen handhabten ihre Bestimmungen streng, andere großzügiger und lockerer. Diese markanten Unterschiede führten zum Verdacht, dass die Stallpflicht, die über Hühner, Gänse und Enten verhängt worden war, – oder gar deren Tötung – unsinnig sein könnte und pure Tierquälerei, mit dem einzigen Zweck, die Bevölkerung in vermeintlicher Sicherheit zu wiegen. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Harald Ringstorff verordnete im März 2006 die Stallpflicht für Hausgeflügel und setzte in Aussicht, dass die deutsche Regierung möglicherweise die Jagd auf streunende Katzen zur Pflicht machen werde. Schon jetzt dürften Katzen, die mehr als 200 Meter von menschlichen Siedlungen angetroffen würden, gejagt werden. Die Vogelgrippe und verschiedene Quarantänemaßnahmen wurden im Februar und März 2006 in der Tagespresse, Radio und Fernsehen ausführlich diskutiert, konkret zu streunenden Katzen auf Rügen u. a. ARD-Tagesschau vom 3.3.2006. Siehe zum aktuellen Stand der Dinge Fußnote 188.

4. Anregende Interaktion: Wirklichkeiten und Imaginationen

223

Reaktionen und Verhaltensweisen angesichts der Unmöglichkeit, wirksame Grenzen zu setzen.82 Diese Spielarten menschlichen Handelns führen zur Frage nach dem Ursprung der Annahme, dass man sich mit Ausgrenzungen bzw. Eingrenzungen schützen könne. Die Idee, man könne ein Schutzschild zwischen sich und mögliche Krankheiten stellen, geht davon aus, dass man selbst gesund ist und die Gefahr selbstredend vom anderen, vom Unbekannten droht. Die folgenden Überlegungen gehen mit einem entgrenzten und transnationalen Ansatz der Komplexität möglicher Erklärungsmodelle und Verhaltensweisen angesichts pandemischer Katastrophen im Mittelmeerraum, der Wiege der Quarantäne, nach. 4.5.2 Die Suche nach einem Kompromiss Die Geschichte der Quarantäne geht auf das 14. Jahrhundert zurück, obwohl man schon in Thora und Bibel Weisungen findet, wie ansteckende Krankheiten festgestellt werden könnten, wie lange Kranke von Gesunden getrennt werden müssten, und wie mit kontaminierten Gegenständen oder von Pilz befallenen Häusern umzugehen sei.83 Pandemien bilden ein regelmäßig wiederkehrendes Phänomen in der Geschichte.84 Ebenso handelt es sich bei 82

83

84

Es gab große Unterschiede zwischen der Schweiz, Frankreich, Italien und Deutschland, obwohl es sich überall um die gleiche Vogelgrippe handelte. Die Presse in weiteren Ländern konnte aus arbeitstechnischen Gründen nur punktuell verfolgt werden. Überall fanden sich selbstredend Befürworter und Gegner von Quarantänemaßnahmen. Die einen betonten, dass die Tiere unter der Stallpflicht zu sehr leiden würden, die anderen hielten diese Art der Isolation für nutzlos, daher unsinnig, die dritten sahen in dieser Form der Isolierung eine Möglichkeit, die Übertragungskette zwischen Tier und Mensch zu unterbrechen. Die schweizerischen und französischen Behörden zeigten sich eher moderat. Eine Stallpflicht sei nicht in jedem Fall zwingend und werde je nach Entwicklung der Dinge ins Auge gefasst. In Deutschland versuchten die Behörden ebenfalls, Panik der Bevölkerung zu vermeiden; allerdings gerade dadurch, dass sie die Stallpflicht zwingend verordneten und die Tötung von Tieren in Aussicht stellten. Diese Drohungen wurden inzwischen in die Tat umgesetzt. 3 Mose/Levitikus 13–15. Die Akribie, mit der die Wunden beschrieben oder die Vernichtung infizierter Gegenstände angeordnet werden, zeigt einen relativ hohen medizinischen Wissensstand. Eindrücklich sind ferner die genauen Weisungen, woran eine Genesung erkannt werden kann und wie der Genesene wieder in die Gemeinschaft einzugliedern sei, d. h. es handelt sich hier um pragmatische Verfahren, um die Gemeinschaft gesundheitlich zu schützen, nicht um religiöse Erklärungsmodelle oder die Suche nach Sündenböcken. Die Idee, dass die Gesunden vor den Kranken optisch und akustisch gewarnt werden müssten, geht ebenfalls auf Mose/Levitikus zurück. Es handelt sich um klare Regeln, wie die Kranken sich zu verhalten haben: ,,Wer von Aussatz befallen ist, muss zerrissene Kleider tragen, sein Haar ungepflegt hängen lassen, seinen Bart verhüllen und jedermann mit dem Ruf ,Unrein, unrein!’ warnen. Solange der Aussatz anhält, bleibt er unrein. Er soll abgesondert leben und sich außerhalb des Lagers aufhalten.“ (3 Mose/Levitikus 13, 45–46). Eine gute Einführung geben Baldwin: Contagion and the state in Europe; Bergdolt: Die Pest 1348 in Italien; Bergdolt: Die Pest. Geschichte des Schwarzen Todes; Bergdolt: Pest,

224

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

Abwehrversuchen und Schutzhandlungen um anthropologische Konstanten. Die entscheidende Zäsur in der Geschichte der Ausgrenzungen lässt sich im Zusammenhang einer der verheerendsten Pandemien, die jemals über Asien und Europa hereingebrochen waren, setzen: die Pest der Jahre 1347 und 1348. Besonders betroffen war Mitte des 14. Jahrhunderts der Mittelmeerraum. Schiffe galten als Haupttransportmittel nicht nur von Waren, sondern auch von Krankheiten aus aller Welt. An der Nordküste der Méditerranée reagierten viele Hafenstädte auf die drohende Gefahr mit Abgrenzungen und bauten Quarantäneanstalten als Schutzwall zwischen der See und dem Festland. Die Stadt Ragusa suchte schon im Jahre 1377 nach einem Kompromiss. Direkt an das Osmanische Reich grenzend war Ragusa eine der wichtigsten Pforten des christlichen Europa zu diesem mächtigen muslimischen Imperium, Transitstadt für Pilgerreisende ins Heilige Land und Zufluchtsstätte für die vielen Flüchtlinge der zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen in Ost und West. Die Stadt lebte ausschließlich vom Handel, vor allem vom Handel gerade mit dem Osmanischen Reich, in dem die ,,occidentale Pest“ wütete. Wegen Ragusas weit gereister Seeleute gehörte die Stadt zu den ersten Pestopfern. Verschiedene Ragusaner Chronisten hielten den 15. Dezember 1347 als den Beginn der Epidemie fest, die sieben Monate dauerte und über zwanzig Tote täglich forderte.85 Der Stadtrat kam nach leidenschaftlichen Diskussionen zum Schluss, man müsse eine innovative Lösung finden. Wenn einfach nur die Tore Ragusas vor Fremden verschlossen würden, könne man ebenso gut Selbstmord begehen. Es galt ein System zu entwerfen, mit dem man sich zwar schützen konnte, das Ragusa aber dennoch nicht völlig von der Außenwelt isolieren würde: Die Quarantäne war geboren, eine Isolation auf Zeit.86 Am 27. Juli 1377 beschloss der Große Rat von Ragusa, dass weder Einheimische noch Fremde, die sich in verseuchten Gebieten aufgehalten hatten, in die Stadt oder ihre Umgebung einreisen dürften, ohne dass sie sich zuvor einen Monat lang auf der Insel Mrkan (Schiffe) oder im benachbarten Städtchen

85

86

Stadt, Wissenschaft; Biraben: Das medizinische Denken; Biraben: Les hommes et la peste; Bulst: Der ,,Schwarze Tod“ im 14. Jahrhundert; Carrière: Marseille ville morte; Cipolla: Fighting the plague; Grmek: History of AIDS; Eckart: Geschichte der Medizin; Feldman: Plague Doctors Responding to the AIDS Edpidemic; Jankrift: Krankheit und Heilkunde im Mittelalter; Katić: O pojavama i suzbijanju zaraznih bolesti kod Srba; Mauelshagen: Pestepidemien im Europa der Frühen Neuzeit; Scott, Duncan: Return of the Black Death; Speziale: Oltre la peste; Western Medical Thought. Hg. von Mirko Dražen Grmek; Stefan Winkle: Geißeln der Menschheit. Kulturgeschichte der Seuchen. 3. Aufl. Düsseldorf 2005, S. 422f. Tadić: Prilozi, S. 65f. Besonders intensiv waren die wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Osmanischen Reich, dazu ausführlich Biegman: The Turco-Ragusan Relationship; Bojović: Dubrovnik et les Ottomans; Frejdenberg: Dubrovnik i Osmanskaja Imperija; Kekić: Dubrovnik, a Mediterranean Urban Society; Kreiser: Der osmanische Staat. Es überrascht nicht, dass ,,isolieren“ vom italienischen Wort isola, Insel, abstammt, wurden doch wo immer möglich Inseln als Quarantänestationen eingesetzt.

4. Anregende Interaktion: Wirklichkeiten und Imaginationen

225

Cavtat (Karawanen) einer Reinigung unterzogen hätten.87 Zugleich wurde der Bevölkerung von Ragusa strengstens verboten, die Internierten ohne besondere Erlaubnis der Gesundheitsbehörden zu besuchen. Wer sich dem Verbot widersetzte, wurde ebenfalls während eines Monats isoliert. Ragusas Beispiel folgten 1383 Marseille, 1403 Venedig, 1464 Pisa, 1467 Genua, 1471 Mallorca – ebenfalls 1471 die Stadt Hamburg, die in regem Kontakt mit den Hafenstädten des Mittelmeers stand – und 1524 Malta. Auch noch im 17. Jahrhundert zählte das Lazarett von Ragusa – neben jenen von Malta und Marseille – zu den modernsten Isolationsanlagen weltweit.88 Abgesehen von schwindenden Bevölkerungszahlen drohte Ragusa eine weitere Gefahr. Die Stadt galt neben Venedig als eine der reichsten Städte des gesamten Mittelmeerraums. Die Schätze Ragusas waren trotz Pestgefahr verlockend, gerade für die unmittelbar an die Stadt grenzenden muslimischen Nachbarn. Die Ragusaner fürchteten die Übernahme durch osmanische Truppen, die nicht zuletzt aufgrund des muslimischen Blicks auf Pandemien Pestherde nicht scheuten. Während die Ragusaner die Bevölkerung aus ihrer Stadt evakuierten (abgesehen von den wenigen Adeligen, die durch das Los dazu bestimmt wurden, zu bleiben und die Geschicke Ragusas vor Ort zu regeln), formierten sich ragusanische Soldaten zu einem Schutzring weit vor den Mauern der verseuchten Stadt, um möglichen Eindringlingen den Zutritt zu verwehren; ragusanische Schiffe versperrten den Zugang übers Meer.89 Im Gegensatz zu den städtischen Systematisierungen und Eingrenzungen bestimmter Bevölkerungsgruppen ging es in den Quarantäne-Anstalten am Mittelmeer allerdings nicht um die Ausgrenzung kulturell anders gearteter Menschen, sondern gerade um die Suche nach einer Möglichkeit, sie – vor allem ihre Handelsgüter – aufnehmen zu können, die Städte aber gleichzeitig vor möglichen Krankheiten zu schützen. Dies zeigt explizit die Anordnung Ragusas aus dem Jahre 1377, Fremde und Einheimische nicht zu unterscheiden, sondern ausschließlich nach der Herkunft ihres Schiffes oder ihrer Karawane und der Vorfälle unterwegs einzuteilen.90 Dieses Bewusstsein, mit der Gefahr aus der Ferne eng verwoben zu sein, gehörte in Ragusa zum Alltag. Pragmatische Gründe entschieden über die Art und Dauer der Isolation. Neben dem Senat oder kirchlichen Einrichtungen kümmerten sich einheimische Bruderschaften um Menschen, die ihrer Hilfe bedurften. Interessanterweise schlossen sie sich nach Kriterien zusammen, die in der Ferne verortet waren

87 88

89 90

Frati: Quarantine, S. 118. Çelebij: Putopis, S. 191f., 424f.; Frati: Quarantine; Galea: The Quarantine Service and the Lazzaretto of Malta, S. 185; Glesinger: Der Ursprung der Pestepidemien; Grmek: Le concept d’infection; Grmek: Les débuts; Grmek: Quarantäne in Dubrovnik; Harris: Dubrovnik, S. 167f.; Janeković-Römer: I lazzaretti di Dubrovnik; Hildesheimer: Le bureau de la santé de Marseille; Labat Saint Vincent: Les Français à Malte; Tadić: Prilozi. Tadić: Prilozi, S. 68f. Tadić: Prilozi, S. 104.

226

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

– nämlich ihrer Handelstätigkeit entweder in der Ponente oder der Levante –, um zu Hause mildtätig und gesundheitstechnisch konstruktiv zu wirken.91 4.5.3 Die Systematisierung des Gesundheitswesens und der urbanen Hygiene Während Mitte des 14. Jahrhunderts die Maßnahmen gegen die Pest im Schock und eher chaotisch ergriffen wurden – es handelte sich um wenige isolierte Aktionen, hauptsächlich um humanitäre Interventionen karitativer Institutionen –, hatten die Pestwellen um 1630 in vielen Städten eine kollektive Systematisierung des Gesundheitswesens und der urbanen Hygiene zur Folge. In einigen mediterranen Stadtstaaten war es im Zuge der Pestwelle Mitte des 14. Jahrhunderts üblich geworden, Pestgutachten erstellen zu lassen; von der Regierung in Auftrag gegebene Stellungnahmen prominenter Ärzte über Ursache, Prophylaxe und Therapiemöglichkeiten. Bereits 1435 verfassten Experten der venezianischen Staatsuniversität im Auftrag des Dogen von Venedig ein Gutachten und stellten – der damals aktuellen Miasmenlehre folgend – die ,,verseuchte Luft“ als Hauptursache für die Pest in den Mittelpunkt. Klaus Bergdolt fiel diese Kontroverse auf, die über mehrere Jahrhunderte die Medizingeschichte prägen sollte: Die medizinischen Koryphäen bestanden auch in einem Gutachten 1576 darauf – entgegen der Meinung anderer, aber weniger berühmter Ärzte – es könne sich keinesfalls um Pesttote handeln, da die Luftqualität in Venedig hervorragend sei. Demonstrativ besuchten sie weiterhin die Kranken und verteidigten ihre Ansicht auch dann noch, als ihre eigenen Helfer starben. ,,So gebot es am Ende die öffentliche Meinung wie das Interesse der Herrschenden, dass die Universität stets Rat wusste, auch dann, wenn sie damit überfordert war“, wie Bergdolt treffend formulierte. Die Schutzkleidung der Pestärzte, der lange, wachsgetränkte Mantel und die schnabelförmige Maske, in der sich ein mit Essig getränkter Schwamm befand, sollten vor dem Pesthauch schützen.92 Die Theorie der aria corotta 91

92

Die Antunini, die sich bereits 1431 konstituierten – wie die meisten Bruderschaften in Ragusa, die sich die Aufgabe gestellt hatten, fromm und mildtätig zu wirken – setzten sich aus Kaufleuten zusammen, die mit der Ponente Handel betrieben. Aufgenommen wurde, wer sich durch Mildtätigkeit und besonderen Beitrag zum Allgemeinwohl ausgezeichnet hatte. Bei der Bruderschaft der Lazarini, die genau einhundert Jahre später ,,von Liebe und Mildtätigkeit inspiriert“ gegründet wurde, also 1531, handelte es sich um wohlhabende Kaufleute aus Handelsdynastien, die dem Levante-Handel ihr Vermögen verdankten. Beide Bruderschaften waren sehr angesehen und galten als wichtige öffentliche Institutionen. Harris: Dubrovnik, S. 192f. Klaus Bergdolt: Pest, Stadt, Wissenschaft, S. 205, 207f.; Le Guérer: L’odeur de la peste; Rodenwaldt: Die Gesundheitsgesetzgebung des Magistrato della Sanità Venedigs; Tadić: Prilozi, S. 67; Ausführlich zu Pestgutachten siehe Cipolla: Faith, Reason, and the Plague; Cipolla: Miasmas and Diseases; Cipolla: Public Health and the Medical Profession in the Renaissance. Cipolla kommt zum Schluss, dass die Toskaner Ärzte, die Berichte bzw. Gut-

4. Anregende Interaktion: Wirklichkeiten und Imaginationen

227

war auch noch im 19. Jahrhundert wegweisend für die Quarantänepraktiken, deshalb wurden Schiffe, Passagiere und Ware gelüftet bzw. durch Rauch gezogen oder mit Essig gereinigt. Es roch nach Öl, Schwefel, Salpeter, Terpentin, Kampfer und Kalk;93 alles Maßnahmen, die die Luft verbessern sollten, die aber vor allem geruchsverändernd wirkten. Abgesehen von dieser umweltbedingten Bedrohung der menschlichen Gesundheit gab es schon im Mittelalter und in der frühen Neuzeit sowohl unter christlichen als auch unter muslimischen Gelehrten die Auffassung, dass die Konstitution des Menschen für seinen Gesundheitszustand entscheidend sei. Diese sollte durch angemessene Ernährung – empfohlen wurden kalte saure Milch, Hühnerbrühe, Safran u.ä. – optimiert werden. Einige Gelehrte waren davon überzeugt, dass auch die Gemütsverfassung eine große Rolle spielte und daher auf eine innere Ausgeglichenheit zu achten sei, ebenso auf die Ausgewogenheit der Körpersäfte. Gute Luft galt als wichtigstes Element; schlechte Dünste, Bewegung, Bäder, Alkohol und Geschlechtsverkehr hingegen seien zu vermeiden.94 Abweichende Reaktionsmuster in muslimischen und christlichen Gebieten waren durch unterschiedliche religiöse Konzepte motiviert (wie wir noch sehen werden), während die Grenzen zwischen den Erklärungsmodellen der Wissenschaftler fließend sind und sich überschneiden.95 Ragusa übernahm auch hygienetechnisch eine Vorreiterrolle. Der Senat ließ bereits vor 1390 Kopfsteinpflaster legen. Dies zeigt ein Schriftstück aus

93

94 95

achten verfassten, durch mehrere Faktoren behindert wurden. Es gab keine systematische Klassifizierung von Krankheiten; irreführende Paradigmen und verwirrende Symptome beherrschten die wissenschaftlichen Diskurse. Allerdings lieferten diese Pestberichte konkrete Beschreibungen des Krankheitsverlaufs und der Symptome, die es nachträglich erlauben, generelle Strukturen der Krankheit zu identifizieren, um die es sich im florentinischen Staat zu Beginn des 17. Jahrhunderts gehandelt haben muss. Cipolla: Health, S. 74f. Bergdolt: Pest, Stadt, Wissenschaft, S. 204: Die Theorie der aria corotta, der ,,verdorbenen Luft“ fand schon Mitte des 16. Jahrhunderts Kritik. So fragte der Philosoph Bernardino Tomitano (1517–1576), wie es möglich sei, dass bei allgemeiner Luftverpestung in einer Region (sei sie durch Erdbeben, Sümpfe, schwüle Wetterperioden oder ungünstige Windverhältnisse bedingt) eine Stadt verschont bleibe, eine andere nicht. Der französische Chirurg Ambroise Paré (1510–1590) hatte sich nahe an die Pestursache herangetastet, auch wenn ihm mit seiner Theorie kein Durchbruch gelang und die Theorie der aria corotta bis ins 19. Jahrhundert den wissenschaftlichen Diskurs beherrschte. Paré vermutete, dass eine Erkrankung Ratten dazu veranlasste, ihre übliche Scheu vor dem Menschen zu verlieren, sie sozusagen Vorboten der Pest waren. Galea: The Quarantine Service, S. 199. Bergdolt: Pest, Stadt, Wissenschaft, S. 207; Frati: Quarantines, S. 119; Park, Henderson: The First Hospital among Christians, S. 173; Tadić: Prilozi, S. 65. In seiner Schrift (11. Jahrhundert) geht der ägyptische Arzt Ali Ibn Ridwan ebenfalls von verdorbener Luft als Hauptursache für Krankheiten aus; verschmutztes Wasser, Hungersnot und psychische Belastung würden den menschlichen Organismus zusätzlich schwächen. Den Erklärungen anderer Ärzte zufolge konnte auch ein böser Geist oder Dämon, ein Dschinn, eine Epidemie verursachen. Jankrift: Die Pest im Nahen Osten, S. 231.

228

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

diesem Jahr, in dem es um Ausbesserungen des Pflasters geht. Weiter gab er genaue Weisungen, wie mit Unrat umzugehen sei, und 1415 wurden die ersten voll beschäftigten Straßenreiniger angestellt: Milutin Krančić, Novak Vokojević, Budislaw Bogavčić und Milat Milcinić.96 Die Ragusaner erkannten auch den engen Zusammenhang zwischen Armut und Krankheiten relativ früh. Zum einen wurde durch einen pragmatischen, nicht sonderlich humanitären Entscheid Abhilfe geschaffen: Man verbot Landstreichern und Bettlern schlichtweg, sich in Ragusas Straßen aufzuhalten.97 Andererseits traf der Senat kluge Vorsorge, um Armut und Hunger von vornherein auszuschließen. Hier konnten die Ragusaner aus ihrem reichen Erfahrungsschatz schöpfen. Da ihr eigenes Umland relativ klein und karg war und ausschließlich an das Osmanische Reich und das Meer grenzte, mussten sie seit jeher auf gute Beziehungen zu nahen und fernen Ländern bauen. Dies war der wichtigste Antriebsmotor für die regen Handelsbeziehungen Ragusas.98 Die Stadt war ernährungstechnisch vollkommen auf fremde fruchtbare Gebiete angewiesen. Das Getreide wurde meist im Osmanischen Reich eingekauft. Wenn Dürre oder Pandemien weite Gebiete des Osmanischen Reichs heimgesucht hatten, wichen die Ragusaner auf Sizilien oder Marseille aus und kauften ihr Getreide dort. Der Transport dieser Grundnahrungsmittel für die ragusanische Bevölkerung war natürlich weniger lukrativ als der Handel mit wertvollen Gütern aus fernen Ländern, die die Schiffe normalerweise geladen hatten. Zudem war kluge Planung zwingend, da die Schiffe oft monatelang unterwegs waren. Der Senat bestimmte daher, dass sich die Schiffe dieser ernährungstechnischen Aufgabe abwechselnd stellen mussten. Jeweils ein Jahr im Voraus wurde durch das Los entschieden, welche Schiffe für die Grundernährung Ragusas zu sorgen hatten. Fügte sich ein Schiff diesem Beschluss nicht, wurde nicht nur der Schiffseigner bestraft, sondern mit ihm die ganze Besatzung. Für die Einhaltung der Lieferfristen setzte man Prämien aus und befreite Weizenlieferungen von Zollgebühren. So gelang es der Stadt, ihre Versorgung sicherzustellen.99 Zu Zeiten der Not verkaufte man gelagerte Vorräte zu moderaten Preisen an die Bevölkerung und zu weniger moderaten an nicht ragusanische Gebiete, die ebenfalls Hunger litten, aber keine Vorsorge getroffen hatten.100 Erst im 16. Jahrhundert koordinierte und kodifizierte man gesund96 97

98 99 100

Tadić: Prilozi, S. 52. Tadić: Prilozi, S. 48f. Solche Regelungen sind im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den meisten Städten Europas bezeugt, auch wenn meist zwischen einheimischen und fremden Bettlern unterschieden und lediglich fremden Bettlern der Zutritt verwehrt wurde. Ausführlich zum Wandel der Formen von Mildtätigkeit siehe Schwara: Luftmenschen. Tadić: Prilozi, S. 27. Schon 1410 ließ man riesige Lagerhallen von eigens hierfür eingereisten Experten – Vater und Sohn aus Apulien – bauen. Tadić: Prilozi, S. 28f. Tadić: Prilozi, S. 30.

4. Anregende Interaktion: Wirklichkeiten und Imaginationen

229

heitstechnische Regelungen in vielen größeren Städten im nördlichen Mittelmeerraum, auch wenn sich die meisten Bestimmungen auf wenige Grundelemente der Hygiene beschränkten. Mitte des 16. Jahrhunderts entstand eine besondere Organisation, das Gesundheitsamt und die Gesundheitsinspektoren, die drastische Maßnahmen ergriffen, um die Regelungen im Kampf gegen die Pest durchzusetzen: Sie ordneten die Isolation von Kranken an und stellten verdächtige Personen unter Quarantäne.101 Um die Städte besser kontrollieren und gesundheitlichen Regeln unterwerfen zu können, wurden sie in Stadtbezirke eingeteilt, die Häuser nummeriert und infizierte Bezirke mit roter Farbe, Häuser, in denen Tote oder Infizierte lagen, mit einem roten Holzstück markiert.102 Das christliche Europa kannte schon vor der ersten Quarantäne-Anstalt in Ragusa die Farben der Quarantäne – Rot und Gelb –, um vor Gefahr oder unerwünschter Berührung zu warnen. Man kennzeichnete Fremde oder machte Einheimische durch diese Kennzeichen zu Fremden; jedenfalls zu Menschen, mit denen jede Berührung zu vermeiden war.103 Farben wiesen auf Randständige der eigenen Gesellschaft hin (Rotlichtbezirke, rote Schuhe von Prostituierten) und grenzten Kranke aus (wiederum Gelb bei Leprakranken). Es überrascht nicht, dass auch die räumliche Beschränkung bestimmter Bevölkerungsgruppen in diese Periode städtischer Systematisierungen fällt. Die ersten Ansätze dieser Art der Segregation finden sich in deutschen Städten seit Mitte des 14. Jahrhunderts. Die reglementierte Ausgrenzung der Juden erfolgte zur gleichen Zeit, als man begann, auch andere Gruppen (Lepröse, Prostituierte und Bettler) in gesonderten Räumen (in Leprosorien, Bordellen und Armenherbergen) zwangsweise zusammenzuführen, ,,um die zunehmende obrigkeitliche Kontrolle allen abweichenden Verhaltens zu ermöglichen“.104 Die Ergebnisse der Forschung zur Systematisierung mediterraner Städte im Zuge der Pestkatastrophen105 rücken die Angst vor der Pest als treibenden Motor dieser Abgrenzungsbestrebungen ins Blickfeld; als Versuch, die obrigkeitliche Kontrolle über Personengruppen zu gewinnen, die unterschiedlich klassifiziert, markiert und nach Bedarf ausgegrenzt werden können. Völlig verzerrt setzten diese Idee in den 1930er und 1940er Jahren die deutschen 101

102 103 104 105

Brogi: La peste, S. 49. Die Anfänge dieser gesundheitstechnischen Systematisierungen gehen allerdings auf die erste große Pestwelle zurück, wie Klaus Bergdolt für Venedig nachweisen konnte. Beamte ergriffen bereits 1348 Isolierungs- und Hygienemaßnahmen, Florenz regelte in ihren ,,statuti sanitari“ sogar schon 1321 die Kontrolle der Lebensmittelbeschaffung, Trinkwasserversorgung, Beerdigung der Toten, Verteilung von Hilfsgütern bei Notfällen (Bergdolt: Pest, Stadt, Wissenschaft, S. 205). Brogi: La peste, S. 61f. Encyclopédie de l’Islam, Band 2, S. 1100; Enzyklopaedie des Islam, Band 2, S. 169. Gilomen: Spätmittelalterliche Siedlungssegregation und Ghettoisierung, S. 99, 101. Die Quarantäne in Venedig geht auf die Ausgrenzung Lepröser zurück, verbunden mit der Idee, die Pestinfizierten zu behandeln, als wenn es sich um temporäre Lepröse handeln würde. Rosen: A History of Public Health, S. 67.

230

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

Nationalsozialisten ein, die als ersten Schritt Personengruppen bestimmten, sie dann kennzeichneten, ausgrenzten und unter menschenunwürdigen Bedingungen auf engstem Raum unter Quarantäne stellten und diese abgegrenzten Räume als Seuchenbezirke kennzeichneten (z. B. das Warschauer Ghetto); Bezirke, in denen erst zu einem späteren Zeitpunkt aufgrund der desolaten Zustände in der Tat Seuchen ausbrachen, von den Erfindern dieser Idee bewusst herbeigeführt. 4.5.4 Selbstverständlicher Alltag der Quarantäne Die Quarantäne dauerte trotz ihres Namens nicht immer vierzig Tage, sondern von Hafenstadt zu Hafenstadt unterschiedlich lang. Bei der Bestimmung der Isolationsdauer spielten das Herkunftsland und die Fracht des Schiffes eine wichtige Rolle. Kein Schiff, das aus einem ,,verdächtigen“ Hafen, insbesondere aus der ,,Levante oder Barbarei“, kam (gemeint sind die Länder in Nordafrika und im Nahen Osten), durfte in einen Hafen des nördlichen Mittelmeeres einlaufen, ohne vorher sein Patent bzw. seinen ,,Gesundheitspass“ oder ,,Pestbrief“ vorgezeigt zu haben. Von diesem Gesundheitspass hing die Dauer der Quarantäne ab. Man stellte eine patente nette aus, wenn der Ort, von dem das Schiff ausgelaufen war, als völlig gesund galt; touchée, wenn zwar die Gesundheit des Ortes versichert wurde, man ihn aber als verdächtig einschätzte; soupçonnée, wenn das Gesundheitsattest vermerkte, dass im Herkunftshafen eine epidemische Krankheit herrschte; und schließlich patente brute (von italienisch brutto, ,,hässlich, schlecht“), wenn das Schiff aus einem Hafen ausgelaufen war, in dem oder in dessen Nähe wirklich die Pest wütete. Für die Richtigkeit dieser Patente haftete sowohl der unterzeichnete Konsul des Herkunftsortes als auch der Kapitän des Schiffes. Je nachdem, wie die Patente lauteten, durften die Schiffe im Hafen der Quarantäne-Anstalt vor Anker gehen. Diese Quarantäne-Anstalten befanden sich stets außerhalb der Stadt, wenn möglich, sogar auf einer Insel.106 Die Gesundheitspatente wurden genauestens geprüft, der Kapitän musste die Wahrheit seiner Aussagen beschwören, danach bestimmten die Gesundheitsbehörden die Art und Dauer der Quarantäne. Hatte der Kapitän Briefe oder andere Papiere bei sich, so musste er sie abgeben. Diese wurden durch Rauch und durch Essig gezogen. Abgesehen von den Patenten richteten sich die Bestimmungen der Quarantäneanstalt auch nach der Beschaffenheit der geladenen Waren. Als besonders empfänglich für den Peststoff galten alle Arten von Wolle, Hanf und Flachs, Pelze, Federn und ähnliche Ware. In die Kategorie der nicht empfänglichen Waren fielen Gewürze, Tabak, nasse Häute, Wein und 106

Die Quarantäneanstalten unterschieden zwischen den Herkunftsgebieten der Schiffe und passten die gesundheitlichen Maßnahmen und die Dauer der Isolation entsprechend an. Hildesheimer: Protection sanitaire, S. 467.

4. Anregende Interaktion: Wirklichkeiten und Imaginationen

231

andere Flüssigkeiten.107 Bei der Kategorisierung der Ware stand wiederum die Theorie der aria corotta mit der Frage im Zentrum, ob die Beschaffenheit der Stoffe den Pesthauch, Gestank, die ,,verdorbene Luft“ absorbierte oder nicht, oder ob gar ein Wohlgeruch – bei Gewürzen oder Tabak – zu den Grundeigenschaften eines Produktes gehörte. Die Herkunftshäfen wurden in Klassen unterteilt und spielten bei der Bestimmung, wie die Ausgrenzung aussehen und wie lange sie dauern sollte, eine wichtige Rolle. Man war nicht nur davon überzeugt, dass die Gefahr von außen importiert wurde, sondern teilte dieses Außen nach Gefahrenzonen schematisch ein.108 Zur ersten Klasse gehörten die Häfen von Dalmatien bis Ägypten und Marokko, in die zweite die Küste von Tripolis bis Algier, in die dritte Istanbul, die Küste um das Schwarze Meer und andere entferntere Orte.109 Als sich die ,,occidentalische Pest“ bzw. das ,,gelbe Fieber“ sogar in Westindien und Nordamerika ausbreiteten, wurden auch die Schiffe aus diesen Ländern der Quarantäne unterworfen. Auf dem Festland fanden ähnliche Abgrenzungsmaßnahmen statt.110 Ragusa begnügte sich mit dieser schematischen Einteilung der Gefahrenzonen nicht, sondern sandte regelmäßig Kundschafter aus, die über die tatsächlichen Pestherde berichteten. Die Chronisten Ragusas nannten die jeweiligen Gefahrenzonen sehr präzise: Das muslimische Hinterland barg Krankheitserreger ebenso wie die Pilger aus Rom.111 Schließlich entscheidend waren die Vorfälle während der Reise; ob Menschen an Bord erkrankt waren, wo das Schiff unterwegs gelandet war oder wen es wo an Bord genommen hatte. Alle diese Dinge wurden in den Papieren des Schiffskapitäns genau festgehalten und die Dauer der Quarantäne entsprechend bestimmt. Nun ging das Schiff in jenem Teil des Hafens vor Anker, welcher ihm laut Gesundheitspass zugewiesen wurde. Es erhielt Wachboote zur Seite und Wachen an Bord, die jegliche Kommunikation außerhalb des Schiffes verhinderten. Das Schiff wurde gelüftet, die Mannschaft und die Pas107 108 109

110

111

Carnévalé-Mauzan: La purification des lettres en France et à Malte; Bazala: Della peste e dei modi di preservarsene nella Repubblica di Ragusa. Hildesheimer: Protection Sanitaire des côtes françaises, S. 443f.; dazu auch Hildesheimer: Prévention de la peste; Panzac: Crime ou délit?, S. 42. Die Pest im Osmanischen Reich bezeichnete Daniel Panzac als eine Konstante, wobei er permanente Pestherde (z. B. Kurdistan oder Assyr) und temporäre Pestherde unterschied: Balkan, Istanbul, Anatolien oder Ägypten (Panzac: La peste dans l’Empire ottoman, S. 103f.); ausführlich zur maritimen Ausbreitung der Pest und der Verschleppung der Pandemie über Land S. 134f., 154f., noch ausführlicher Panzac: La caravane maritime. Quarantäne-Anstalten bzw. ,,Contumaz-Anstalten“ nannte man Orte, an denen Schiffe oder Reisende für eine bestimmte Zeit aus- bzw. eingegrenzt wurden. Der Begriff ,,Contumaz“ entwickelte sich aus dem lateinischen ,,contumacia“ und bedeutet ,,Widerspenstigkeit“. Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Band 19, S. 464; Haberkern, Wallach: Hilfswörterbuch für Historiker, S. 503. Tadić: Prilozi, S. 68.

232

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

sagiere mussten an Bord bleiben, niemand durfte in ihre Nähe kommen. Alles, was sie benötigten, wurde mit langen Stangen an Bord gereicht. Täglich musste ein genauer Bericht über den Gesundheitszustand der Mannschaft verfasst und den Behörden übergeben werden. Die Arbeiter, die die Ware lüften und durch Rauch ziehen mussten, arbeiteten meist mit bloßen Händen und Armen. Steckte sich ein Arbeiter an, galt die Ware als verseucht, blieb er gesund, bekam die Ware den Stempel nette. In Marseille, Livorno oder Triest verfügten diese Männer über Einzelzimmer, in Genua, Malta oder Venedig schliefen sie in den Hallen, wo die Entlüftungsprozedur durchgeführt wurde.112 Passagiere, die nicht an Bord bleiben wollten, kamen in das Lazarett, das ebenfalls einen Teil der Quarantäne-Anstalt bildete; die Gesunden in das große Lazarett, die Kranken in das kleine oder eigentliche Lazarett. Den gesamten Gebäudekomplex umschloss eine hohe Mauer, um die ständig eine Wache patrouillierte. Im Lazarett bekam der Passagier ein eigenes Zimmerchen, das Tag und Nacht bewacht wurde. Ohne schriftliche Erlaubnis des Lazarett-Kapitäns durfte niemand hinein oder hinaus. Lediglich Passagiere von Schiffen mit dem patente nette durften sich tagsüber auf dem öffentlichen Platz ihrer Abteilung aufhalten oder auf einer von einem Gitter umschlossenen Galerie. Sobald sich bei einem der Passagiere oder der Mannschaft Spuren eines Fiebers zeigten, wurde er in das eigentliche Pest-Lazarett gebracht und gänzlich isoliert. Ein Arzt, der durch ein Gitter von ihm getrennt blieb, untersuchte ihn. Wurde die Krankheit als Pest identifiziert oder wenn auch nur ein Pestverdacht bestand, so musste die Wache des Patienten jeglichen Kontakt mit ihm vermeiden. Arzneien, Speisen und Getränke reichte man ihm mit einer langen Stange. Er konnte beichten und sein Testament machen. Allerdings mussten der Notar und der Geistliche ebenfalls durch das Gitter von ihm getrennt bleiben. Starb er, so wurde er mit eisernen Haken auf einen kleinen Rollwagen gebracht, zu einer tiefen Gruft gefahren und mit Kalk zugeschüttet. Die Gruft durfte dreißig Jahre lang nicht geöffnet werden. Alles aus seiner Zelle wurde verbrannt, die Wände wurden abgekratzt und frisch gestrichen, Boden und Fenster mit Essig abgewaschen. Genas er, so wurde er erst für gesund erklärt, wenn alle Pestbeulen völlig vernarbt waren. Nach jeder Krankheit, selbst wenn es sich nicht um die Pest handelte, fing die Quarantänezeit für alle Passagiere und das ganze Schiff von neuem an und wurde um zehn Tage verlängert. Nach Ablauf der Quarantäne wurde der Passagier nochmals vier bis fünf Minuten lang geräuchert und dann vom Lazarettkapitän freigelassen. Sogar die Garde und die Lastträger setzte man auf eine achtzigtägige Quarantäne, bevor sie entlassen wurden. Sobald ein Pestkranker im Lazarett lag, durfte auch kein anderer Passagier seine Zelle verlassen, ohne Rücksicht auf das Patent seines Schiffes.113 Die aus Ragusa stammenden Reinigungsbestimmungen aus dem 14. Jahrhundert, die wir in der Marseiller Quarantäne-Anstalt bestätigt finden, galten auch 112 113

Panzac: Quarantines et lazarets, S. 48. Conversationslexikon, Band 2, S. 695–698.

4. Anregende Interaktion: Wirklichkeiten und Imaginationen

233

noch im 18. und sogar noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts, nachweislich in der Habsburgermonarchie, an der Grenze zum Osmanischen Reich, aber auch immer noch in vielen mediterranen Hafenstädten.114 Die über vier Jahrhunderte in allen wichtigen Handelszentren Europas fast gleich gebliebenen Quarantänemaßnahmen zeigen einerseits, wie erfolglos die Medizin angesichts dieser flächendeckenden Seuchen lange Zeit geblieben ist, andererseits wie gut vernetzt diese Handelszentren waren.115 Offenbar kommunizierte und vertraute man einander, war jedenfalls gewillt, vom Erfahrungsschatz des anderen zu profitieren, unbesehen des Umstands, dass man nicht den gleichen Herrschaftsstrukturen unterlag und sich auch wirtschaftlich in Konkurrenz zueinander befand.116 Belegt ist auf jeden Fall, dass Quarantäne und Handel eng verbunden waren. Françoise Hildesheimer weist darauf hin, dass der Weg zur wirtschaftlichen Blüte Marseilles vor allem nach 1669 von der erfolgreichen Marseiller Quarantäneanstalt bereitet wurde.117 Ein vorbildliches und zuverlässiges Isolationssystem war die Voraussetzung für den guten Ruf einer Stadt und die wirtschaftliche Interaktion mit anderen. Venedig, Ragusas große Rivalin, streute wiederholt Gerüchte – namentlich 1623 der venezianische Konsul im Auftrag seiner Regierung in Ancona –, Ragusa würde es nicht gelingen, die wertvolle Ware aus dem Osmanischen Reich zu entgiften. Doch so sehr Venedig auch murrte, Ragusas System scheint relativ gut funktioniert zu haben. Die Stadt soll von Pandemien weitgehend verschont geblieben sein.118 Diese Einschätzung von Robin Harris widerlegen allerdings die Arbeiten Jorjo Tadićs, der auf die großen Bevölkerungsverluste hinweist, die über die Jahrhunderte von ragusanischen Chronisten im Zusammenhang mit der Pest festgehalten wurden.119 Die Quarantänebestimmungen der mediterranen Handelsmetropolen waren eine Gratwanderung zwischen Vorbildlichkeit und Wirtschaftlichkeit. Garanten für den guten Ruf eines Hafens waren Genauigkeit und lange Quarantänezeiten; aus wirtschaftlicher Perspektive waren ein etwas salopperer Umgang mit dem Gesetz und ein beschleunig114

115 116

117 118 119

Die Lüftung des Schiffes und der Ware kannten alle Quarantäneanstalten, ebenso Essig und Rauch, während Parfüm eher unbekannt war (Hildesheimer: Protection sanitaire, S. 445, 467). Die Quarantäneregelungen, Reinigungsbestimmungen und Gesundheitsempfehlungen der Habsburgermonarchie aus dem Jahre 1738 finden sich ausführlich in Gavrilović: Građa za istoriju Vojne granice, S. 324f. Zur Handhabung von Briefen beim Transport von Quarantäne zu Quarantäne siehe Arhiv Srbije, Ministarstvo unutrašnih dela (MUD) 1838–1918, 1840 446 F. I r. 4, zum Umgang mit Schriftstücken, die aus der Quarantäne kommen 1841 477 F. V. Galea: The Quarantine Service, S. 201f.; Panzac: La caravane maritime; Schwara: Rediscovering the Levant. Alle Quarantäneanstalten wandten fast gleiche Methoden an und tauschten Informationen aus. Darüber gibt in den Archiven dieser Hafenstädte ein umfangreicher Korrespondenzkorpus Aufschluss. Siehe auch Panzac: la caravane, S. 63. Hildesheimer: Protection sanitaire, S. 444. Harris: Dubrovnik, S. 167. Tadić: Prilozi, S. 68, 70f., 75, 89, 99, 102.

234

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

tes Tempo des Verfahrens natürlich lohnender. Mitte des 19. Jahrhunderts belegen Akten aus Triest die Konkurrenzsituation, die aufgrund unterschiedlicher Quarantäneregelungen entstehen konnte, wie Ronald Coons in seinem Aufsatz über Dampfschiffe und Quarantäne zwischen 1837 und 1848 in Triest zeigte. Triest, das Habsburger Tor zum Mittelmeer, beklagte die von Wien verordnete vorbildliche Quarantäne für Schiffe – obwohl sie durchaus den mediterranen Normen entsprach: Die Konkurrenz konnte zeitgleich die Istanbuler Waren mit Karawanen über Land nach Wien bringen, wo viel laschere Quarantänebestimmungen herrschten.120 Eine einzigartige Marktlücke nutzte Livorno. Die Stadt setzte ausdrücklich auf Quarantänebrecher bzw. verzichtete bewusst auf gesundheitstechnische Vorsichtsmaßnahmen. Livorno nahm sogar Ware mit patente brute auf, womit sie sich eine Monopolstellung für den Handel mit bestimmten Gebieten sicherte.121 Die ,,hässliche“ Luxusware loszuschlagen stellte offensichtlich kein Problem dar. 4.5.5 Erklärungsmodelle und Schutzhandlungen Der Ursprung: Die Idee des verseuchten Ostens

Sowohl die Idee, dass die Gefahr aus dem Osten komme, als auch diejenige, Fremde, Feinde oder ,,Ungläubige“ wollten einen vergiften, brachten die Kreuzritter aus Palästina mit zurück.122 Dort hatten sie schon die Muslime verdächtigt, die Brunnen vergiftet zu haben. Zwischen ihrer eigenen Eroberung Jerusalems, dem Massensterben einerseits und dem Aufkommen von Seuchen andererseits sahen sie dagegen keinen Zusammenhang. Angesichts der großen Pestwelle Mitte des 14. Jahrhunderts bediente man sich eines ähnlichen Narrativs. Es handelt sich um die Geschichte, dass die Tataren in die Stadt Kaffa auf der Krim (das heutige Feodosia) im Jahre 1347 mit Katapulten Pesttote geschleudert hätten, um sie nach einer erfolglosen Belagerung einnehmen zu können. Für den Ursprung dieser vermeintlich allerersten Pesttoten, die als Giftbomben eingesetzt worden sein sollen, bediente man sich mythologischer Vorstellungen. Die Pest sei als Giftregen irgendwo im fernen Asien vom Himmel gefallen.123 Einig waren sich alle nur in einem Punkt: ,,La peste a du commencer quelque part“, wie Daniel Panzac pragmatisch fest120 121 122

123

Coons: Steamships and Quarantines at Trieste. ASL, Governo civile e militare di Livorno 1764–1860, Serie VIII, Nr. 958, Blatt 10. Ich danke Patrick Krebs für den Hinweis, DS. Angesichts der Vogelgrippe im Frühjahr 2006 prägte das deutsche Fernsehen interessanterweise den Begriff ,,Ostfrankreich“ zur Bezeichnung einer der aktuellen Gefahrenzonen – auf der Karte wurde die Gegend um Colmar gezeigt –, während die norddeutschen toten Vögel und Katzen in ,,Ostfriesland“ gefunden wurden (MDR u. a. 22. April 2006). Jankrift: Die Pest im Nahen Osten, S. 231. Auch noch Ende des 18. Jahrhunderts galten vor allem Nordafrika und das gesamte Osmanische Reich in der Wahrnehmung der

4. Anregende Interaktion: Wirklichkeiten und Imaginationen

235

stellte; wo sie ausgebrochen war und welche Wege sie danach genommen, fiel je nach Perspektive unterschiedlich aus.124 Die ersten Pesterkrankungen scheinen unter Nagetieren in den Berghöhlen Chinas, Indiens und Burmas aufgetreten zu sein, auch dies möglicherweise ein Grund, weshalb Pandemien in Europa bis auf den heutigen Tag vorzugsweise eine östliche Provenienz zugeschrieben wird. Ob Kaffa wirklich gezielt mit der Pest infiziert wurde oder nicht, wird ein Geheimnis bleiben. Es lässt sich aber historisch rekonstruieren, dass in der Stadt tatsächlich die Pest und Panik ausgebrochen waren, die Bevölkerung in alle Richtungen floh und diese Geschichte und die Pandemie in alle Winde streute. Genueser Kaufleute exportierten die Pest (und die Geschichte) aus Kaffa in den Mittelmeerraum und von da in alle wichtigen Handelszentren der Welt. Zunächst flohen sie nach Messina. Als die Einheimischen die von den Schiffen drohende Gefahr erkannten, vertrieben sie diese aus dem Hafen. Die Bevölkerung Messinas pilgerte zu Tausenden betend zu den Reliquien der Heiligen Jungfrau Agatha von Catania, von der sie sich Hilfe erhoffte. So wurde die Seuche in die Nachbarschaft verschleppt. Die genuesischen Schiffe aus Kaffa hatten inzwischen ihren Heimathafen erreicht, der ihnen aber mit brennenden Pfeilen verwehrt wurde. Vom heimischen Hafen ausgeschlossen, trugen die einen die Pest nach Pisa, die anderen nach Marseille. Die Seuche breitete sich unaufhaltsam über die Apenninenhalbinsel und ganz Süd- und Mitteleuropa aus. Auf den Meeren trieben herrenlose Schiffe, da ganze Mannschaften der Seuche erlagen.125 Nicht nur diese erste große Pestwelle, sondern alle Pestepidemien in Europa zwischen 1660 und 1720 stammten gemäß europäischen Quellen aus muslimischen Gebieten.126 Das verseuchte Gebiet war für Europa stets das Osmanische Imperium, daher wohl auch der Begriff ,,der kranke Mann am Bosporus“, auch wenn er symbolisch für die seit dem 18. Jahrhundert schwindende politische Macht der Osmanen eingesetzt wurde.127 Doch Europa krankte ebenfalls über Jahrhunderte an der Pest, so sehr, dass es müßig ist, über die Herkunft der Pest zu spekulieren; die Pest ist nie verschwunden, sondern es kann lediglich von ruhigeren und akuteren Zeiten und Orten die Rede sein. Diese These sei mit der ,,pestfreiesten“ Hafenstadt illustriert, mit Ragusa. Trotz der vorbildlichen Quarantäne und des guten Rufs der Stadt berichteten die Ragusaner Chronisten von der Heimsuchung durch die Pest in den Jahren 1347, 1357, 1358, 1361, 1397, 1399, 1400, 1401, 1416 (,,maxi-

124 125 126 127

Europäer als Pestherde. Eine anschauliche Graphik findet sich bei Panzac: Quarantines, S. 80. Panzac: Quarantaines, S. 142, 147. Farrell: Invisible Enemies, S. 95; Jankrift: Die Pest im Nahen Osten, S. 232; Tadić: Prilozi, S. 65. Daniel Panzac befasste sich eingehend mit der Quellenproblematik und dem westeuropäischen Blick auf osmanische Quellen. Panzac: La peste dans l’Empire ottoman, S. 17f. Panzac: La peste 1985, S. 19.

236

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

ma mortalitas“, bei der 3 800 Menschen gestorben sind), 1419, 1422, 1427, 1428, 1430, 1431, 1436, 1437, 1456, 1458, 1459, 1464 (dauerte drei Jahre), 1465, 1466, 1467, 1468, 1481, 1482, 1483 (dauerte drei Jahre), 1486, 1491 (dauerte sechs Jahre), 1500, 1503, 1506 (dauerte drei Jahre), 1516, 1526, 1527, 1528, 1533, 1539, 1543, 1545, 1647, 1666, 1690, 1691 und 1784. Letztmals tauchte die Pest in den Chroniken Ragusas 1785 auf.128 Die Pandemien dauerten mehrere Monate oder gar Jahre – es handelte sich eigentlich um einen Dauerzustand. Im 19. Jahrhundert vermuteten auch die Beamten in den USA, dass die Gefahr aus dem Osten kam, nämlich gemeinsam mit den Einwanderungsströmen aus Europa. Die dicht gedrängten Menschenmengen auf den großen Schiffen bildeten einen idealen Nährboden für Krankheiten.129 Interessant ist der Umstand, dass in Amerika Ost- und Westeuropa nicht unterschieden wurde, zumindest Ende des 19. Jahrhunderts offensichtlich nicht. Die Zäsur, die die amerikanischen Behörden in ihrer Abgrenzungs- und Schutzbestrebung zu ziehen versuchten, war klar die zwischen Amerika und dem Rest der Welt, namentlich ganz Europa.130 Die Ursachen: Ungünstige Konstellationen oder das Wirken des Unfassbaren?

Im christlichen Europa waren die Isolations- und Reinigungsmaßnahmen von der Suche nach den Ursachen der Pest begleitet. Die Erklärungsmodelle decken ein breites Spektrum an Möglichkeiten ab, ebenso die Ratschläge, wie dem Übel beizukommen sei. Ärzte machten ,,natürliche Ursachen“ für diese schreckliche Krankheit verantwortlich: die ,,ungünstige Konstellation der Planeten“ oder Erdbeben.131 Mit Erdbeben waren sie der eigentlichen Ursache 128 129

130

131

Tadić: Prilozi, S. 68, 70f., 75, 89, 99, 102. Siehe zum Beispiel: Markel: Quarantine!, Umschlagsabbildung. Barbara Lüthi wirft ein neues Licht auf die Einwanderung in die USA. Die forschungstechnisch traditionell im Vordergrund stehenden einwandernden ,,Menschen“ oder ,,Arbeitskräfte“ treten in ihrer Bedeutung zurück, ins Zentrum gerückt werden die einwandernden ,,Körper“; angesichts der Verfahrensweise auf Ellis Island eine sich geradezu aufdrängende Perspektive, die neue Fragen aufwirft. Lüthi: Invading Bodies. Eine Karikatur aus dem Jahre 1892 zeigt einen Holländer in Holzschuhen und einen osteuropäischen Juden mit langem Bart und Kaftan Arm in Arm, wie sie mit ihrem bescheidenen Gepäck entschlossenen Schrittes Richtung Amerika marschieren. Als dritte Person, mit und zwischen ihnen und sie beide an Größe weit überragend, betritt der Sensenmann Amerika. An der geschlossenen Tür findet sich ein Verbotsschild: ,,American Ports. Closed to emigrants from Cholera stricken countries“. Ihr Herkunftsort ist mit dem Schild ,,Europe“ versehen. (,,They come arm in arm, 1892“. In: Markel: Quarantine!, S. 89; Bashford: Imperial Hygiene; Contagion. Hg. von Alison Bashford u. a.; Kraut: Silent Travelers; Medicine at the Border. Hg. von Alison Bashford; Oleg P. Schepin, Waldemar V. Yermakov: International Quarantine. Madison, Ct 1991. Panzac befasste sich intensiv mit der Verstrebung von Erdbeben, Feuersbrunst, Klimaschwankungen, Hungersnot und der Pest. Zeitzeugen berichteten oft, dass Erdbeben und Hitze die Pest begleiteten. Panzac: La peste 1985, S. 29f.

4. Anregende Interaktion: Wirklichkeiten und Imaginationen

237

schon relativ nahe, da sich durch viele Tote, Chaos und zusammengebrochene Ordnungssysteme Seuchen rasch ausbreiten. Diesem Chaos ordnende Regelungen entgegenzusetzen, gehörte zu den wichtigsten beruhigenden und dadurch machterhaltenden Aktivitäten von Behörden und Regierungen.132 Andere Erklärungen für diese Heimsuchung waren religiös motiviert: Die europäische Christenheit verstand diese alles überschattenden Pandemien als eine Strafe Gottes, als Gottes Antwort auf die Sünde. Die üblichen Empfehlungen waren Flucht und Gebet. Mit dieser Interpretation begann die Suche nach der Schuld. Wie in vielen Städten Europas war auch in Ragusa die Annahme verbreitet, dass Juden die Brunnen vergiftet hätten. Als alternatives Erklärungsmodell führten die Ragusaner Chronisten das große Sterben auf die Sterne zurück, als besonders verdächtig galt der Mondwechsel.133 Andere wiederum waren der Meinung, dass es sich um eine natürliche Kalamität handle, ein neutrales Ereignis, das über die Menschheit hereingebrochen war.134 Im christlichen Europa aktivierten Angst und Bestürzung stereotyp kollektive Emotionen, die in Messianismus, Antijudaismus oder den Glauben an den sündigen Menschen mündeten. Die jüdische Bevölkerung, die von den Seuchen ebenfalls betroffen war, musste zudem fürchten, verfolgt zu werden. Das Gerücht, sie seien für die Toten verantwortlich, erreichte eine christliche Stadt nach der anderen. Geißler zogen von Stadt zu Stadt, um durch Bußprozessionen die Pest abzuwehren – und verschleppten sie so von Stadt zu Stadt. Mehr als 350 jüdische Gemeinden vom Bodensee bis nach Preußen und von Flandern bis Schlesien wurden im Zuge der ersten großen Pestwelle Mitte des 14. Jahrhunderts durch Morde und Vertreibungen vernichtet.135 Glikl bas Judah Leib berichtet in ihren Memoiren eindrücklich von der Pest in Hamburg, als sie ungefähr 25 Jahre alt gewesen sei (das heißt, ungefähr im Jahre 1670), von der Flucht der Familie nach Hannover zu Verwandten, vom Pestverdacht bei ihrer kleinen Tochter und der großen Angst der jüdischen Gemeinde, sowohl vor der Pest als auch vor den Behörden. 132 133 134

135

Pastore: Tra Giustizia e politica. Ausführlich zur Funktion von Chaos und Disziplinierung siehe Sarasin: ,,Anthrax“; Sarasin: Reizbare Maschinen. Dols: The Black Death, S. 272; Tadić: Prilozi, S. 83. Dols: The Black Death, S. 277; Fabre: Epidémies et contagions; Pest – Geißler – Judenmorde. Ludwik Fleck bot als einer der Ersten ein alternatives Erklärungsmodell zu den positivistischen Rekonstruktionsversuchen der frühen Geschichte bakteriologischer Theorien an und widmete sich dem soziokulturellen Hintergrund der Entwicklung des modernen Wissens über Infektionen. Brorson: The Seeds and the Worms. Dols: The Black Death, S. 273f.; František Graus hat eine ausführliche Studie über die Pest, die Geißler und Judenmorde vorgelegt. Allerdings ist der Titel des Buchs irreführend. In allen Städten, die er untersucht hatte, konnte er den umgekehrten Verlauf der Geschehnisse nachweisen. Die Geißler konnten die Bevölkerung nicht gegen die Juden aufgewiegelt haben, da sie meist erst nach den Morden und Vertreibungen in den besagten deutschen Städten auftauchten; die Pest folgte chronologisch als letzte: Judenmorde – Geißler – Pest. Graus: Pest – Geißler – Judenmorde.

238

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

Kurz, bald haben sich mein Schwager Reb Abraham, mein Schwager Reb Lipmann und mein Schwager Reb Loeb mit ihren Frauen ins Konsilium zusammengesetzt, was zu tun ist, wo man die Magd mit dem Kind hintut und dass alles im Geheimen bleibt vor der hohen Behörde. Denn es stände uns, Gott behüte, große Gefahr darauf, wenn, Gott behüte, der Herzog etwas gewahr werden sollte. Also ist es dabei geblieben, man sollte dem Kind und der Magd alte, zerrissene Kleider antun und sie sollten auf ein Dorf gehen, das nicht weiter als die am Sabbath erlaubte Distanz von Hannover weit ist.

Die Lage in Hamburg verschlechterte sich. Glikl berichtet, wie ungern ihre Schwiegereltern jegliche Art Kontakt mit Hamburg gesehen hätten. Sie haben sogar nicht leiden wollen, dass wir einen Brief annehmen sollten. Wenn wir ja einen Brief bekommen haben, hat man ihn zwei-, dreimal beräuchern müssen. Und wenn wir ihn kaum gelesen haben, hat man ihn in das Wasser, die Leine geheißen, geworfen. (...) Wenn meine Schwiegereltern gewusst hätten, dass einer von Hamburg zu uns gekommen wäre, so hätten sie uns mit ihm hinweggejagt. Wirklich ist es eine große Gefahr vor der Behörde gewesen, fast war es eine Lebenssache, wenn man einen von Hamburg bei sich aufgenommen hat. An allen Plätzen und unter allen Toren sind alle reisenden Leute scharf examiniert worden.

Trotz dieser strengen Verordnungen obsiegten pragmatischere Überlegungen: Die Schwiegereltern wurden über einen Hamburger Besucher informiert, mehr noch, Glikls Mann machte sich aus geschäftlichen Gründen selbst auf die Reise in die verseuchte Stadt.136 Dies ist eines der wenigen Zeugnisse, die die Alltagssituation von Juden zu Zeiten der Pest im 17. Jahrhundert schildern. Es zeigt anschaulich, wie durchlässig alle Abgrenzungssysteme waren. Christen wie Juden durchbrachen die Quarantäne-Schranken, Wohlhabende wie Arme gingen Risiken ein, um ihr Auskommen zu sichern. Glikl schildert aber auch eindrücklich, welche Angst sie ergriff, als sie bei ihrer Tochter Beulen fand (die sich glücklicherweise als harmlos erwiesen). Die Angst um ihre Tochter konkurrierte mit der Angst, jemand könnte die Beulen entdecken. Ein vergleichender Blick auf die ebenfalls verseuchte muslimische Méditerranée verdeutlicht Übereinstimmungen und Unterschiede humaner Vorstellungswelten.137 Im Gegensatz zum christlichen Europa beherrschte die Theorie der aria corotta die muslimischen Gebiete nicht, was viele Konsequenzen nach sich zog. Alle ,,luftreinigenden“ Maßnahmen erübrigten sich, es roch nicht nach Schwefel, Kampfer oder Essig. Die Menschen richteten ihre Aufmerksamkeit auf ihre Beziehung zu Gott. Prozessionen und Gottesdienste wurden von Gesetzgebung und Verwaltung nicht nur nicht verboten, sondern gewünscht und aktiv organisiert oder unterstützt. Da die Entscheidung

136 137

Von Hameln: Die Memoiren der Glückel von Hameln, S. 76f., Zitate S. 81, 90. Michael W. Dols legte einen überzeugenden Aufsatz über die extrem auseinanderstrebenden Vorstellungswelten von Muslimen und Christen, die zu entsprechend unterschiedlichem Umgang mit Katastrophen führten und ein Licht auf die verschiedenen Kulturen und die Wesensmerkmale ihrer Identität warfen, vor (Dols: The Comparative Communal). Jüngere Arbeiten zu dieser spannenden Thematik liegen bislang nicht vor.

4. Anregende Interaktion: Wirklichkeiten und Imaginationen

239

über Leben und Tod, Krankheit und Gesundheit bei Gott allein lag, fehlte konsequenterweise der Glaube an die Schuld. Fremde wurden nicht ausgegrenzt oder verfolgt, sondern sogar offiziell eingeladen, an den verschiedenen religiösen Feierlichkeiten teil zu nehmen. So folgten Muslime wie dhimmi – Juden, Samaritaner, Christen – Männer, Frauen und Kinder, Arme und Reiche, Emire und Beamte den langen Prozessionen, in denen die Menschen die Nähe zu Gott suchten. Drei religiös-rechtliche Prinzipien regelten die muslimischen Vorstellungs- und Verhaltensweisen: Krankheiten waren eine Gnade Gottes und ein Märtyrium für fromme Muslime; Pestgebiete sollten weder betreten noch verlassen werden; es gab keine Ansteckungstheorie, da Krankheiten direkt von Gott kamen. Die zentralen Unterschiede zu christlichen Wahrnehmungswelten waren die fehlenden Komponenten: Die Muslime glaubten nicht, dass es sich bei Pandemien um eine Strafe Gottes handelte, sie ermutigten die betroffene Bevölkerung nicht zur Flucht, und sie glaubten nicht an den ansteckenden Charakter von Krankheiten. Michael W. Dols kommt zum Schluss, dass derlei Phänomene in muslimischen Gedankenwelten fehlten, da der orthodoxe Islam nie eine Doktrin der Apokalypse entwickelt hatte. Solche Vorstellungen fanden sich bestenfalls in den Randzonen der muslimischen Zivilisation und charakterisierten eine hybride muslimische Populärkultur. Es ist kein Fall überliefert, in dem eine Verbindung zwischen der Pest und der Grundhaltung gegenüber Minderheiten oder deren Verfolgung nachgewiesen werden konnte, wie im christlichen Europa. In der muslimischen Theologie gibt es keine Doktrin einer Erbsünde. Diese grundsätzlichen theologischen Ansichten bildeten den Rahmen für normative Einstellungen und Verhaltensweisen, die die kollektiven Reaktionsmuster leiteten. Gebete waren ein Flehen an Gott, keine Buße. Die muslimische Gesellschaft betrachtete die Pest als eine weitere Naturkatastrophe unter anderen, ein ebenso unberechenbares Ereignis wie Dürre, Erdbeben, Überschwemmungen oder andere Krankheiten und Todesursachen; vom Menschen wurde erwartet, sich Gottes Plan zu unterwerfen.138 Christliche wie muslimische Erklärungsmodelle waren verwoben mit archaischen Konzepten, die Krankheiten als Wesen, als Dämonen und Geister verstanden, die in den Organismus eintreten und sich des Körpers bemächtigen. Dieses Denken begleitete die Auffassung, dass es sich bei Krankheiten um einen Prozess handelte, dass Krankheit einen festen Bestandteil des menschlichen Organismus bildete, ,,une façon de vivre“, wie Mirko Grmek sie treffend nannte, und nicht mehr eine Sache oder ein Wesen eigenen Rechts.139 Der Glaube an übersinnliche Kräfte, an Dämonen, die bei Krankheiten die Hand 138

139

Diese zentralen Kriterien sind Michael W. Dols bei der Durchsicht von behördlichen Reaktionen auf pandemische Katastrophen in größeren Städten an der östlichen Küste des Mittelmeers aufgefallen. Dols: The Comparative Communal, S. 283, 285. Nach Hyppokrates (460–377 v. d. Z.) war Krankheit auf den Verlust einer natürlichen Harmonie zurückzuführen. Grmek: La vie, les maladies et l’histoire, S. 21f.

240

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

im Spiel hatten, lässt sich an der Ostküste der Méditerranée ebenso nachweisen wie an ihrer Südküste, selbst noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts, wie Michael Dols Zauberformeln und magischen Praktiken entnehmen konnte, wie aber auch Amulette, die vor dem bösen Auge schützen sollen, zeigen. Der Glaube, ein Dämon würde die Krankheit verbreiten, war tiefer als die Überzeugung, verdorbene Luft habe diese Macht.140 Natürlich gab es auch unter Muslimen abweichende Erklärungsmodelle: Alkoholkonsum, moralische Nachlässigkeit könnten die Krankheit verschuldet haben. Anders als die Christen suchten die Muslime den Ursprung der Seuchen allerdings nicht bei Fremden.141 Interessanterweise gehörte gerade der berühmte andalusische Gelehrte Ibn al-Khatib zu den ersten Verfechtern der Idee des ansteckenden Charakters der Pest.142 Die Maßnahmen: Übersinnliche Kraft und beruhigender Aktivismus

Diffusen Vorstellungen über Herkunft, Ursache und Verbreitung folgte eine Varietät beliebiger Maßnahmen. Unkenntnis der wirklichen Krankheitsursache und eine optimistische Einschätzung der Lage veranlasste Ärzte, drohende Staatskrisen durch verharmlosende Diagnosen zu verschleiern.143 Um Panik zu vermeiden, verboten viele Stadtverwaltungen schon Mitte des 14. Jahrhunderts kulturelle Codes, die Sterben ankündigen oder begleiten: Sterbeglocken sollten nicht geläutet werden, auf Trauerkleidung sollte man verzichten. Auf ihrem Ägyptenfeldzug wurden 1799 auch die Truppen von Napoleon Bonaparte von der Pest heimgesucht. Um den Soldaten die Angst zu nehmen, besuchte er sie im Pestlazarett in Jaffa. Er ordnete an, dass niemand die Krankheit bei ihrem Namen nennen dürfe, um die Soldaten nicht zu demoralisieren.144 Das Übel beim Namen zu nennen, hieß, es herbei zu rufen. Die vielen Namen der Pest legen das Verhältnis der Bevölkerung zur Krankheit offen, sie zeigen, welcher Aspekt der Pandemie jeweils in den Mittelpunkt gerückt wurde: das Sterben, die geographische Herkunft des Sterbens, die Symptome, die Gründe für die Heimsuchung oder die personifizierte Zuständigkeit. ,,Gottes Befehl“, ,,Schicksal“, ,,Bestimmung“ oder ,,Märtyrium“ sind die Synonyme, die zeitgenössische muslimische Poeten für die Pest einsetzten.145 Eine weitere Eigenheit im muslimischen Raum ist die Personifizierung der Pest. Während die Namen im christlichen Europa ,,gelbes Fieber“, ,,occidentalische Pest“ oder ,,Schwarzer Tod“ etwas über die 140 141

142 143 144 145

Dols: The Comparative Communal, S. 282. Für eine solche Interpretation spricht der Umstand, dass zu Zeiten von Pandemien Verstöße gegen das Alkoholgesetz oder moralische Vergehen schärfer geahndet wurden. Panzac: La peste dans l’Empire ottoman, S. 279f. Dols: The Comparative Communal, S. 275f. Bergdolt: Pest, Stadt, Wissenschaft, S. 205. Winkle: Geißeln der Menschheit, S. 500f. Panzac: La peste dans l’Empire ottoman, S. 283.

4. Anregende Interaktion: Wirklichkeiten und Imaginationen

241

Auswirkungen oder Herkunft der Pandemie aussagten, wurden die ersten großen Pandemien von muslimischen Chronisten nach den Machthabern benannt, die in den betroffenen Gebieten herrschten: die ,,Pest des Shirawayh“, ,,Pest des Yezdigird“ usw.146 Die Ragusaner stellten das Sterben in den Mittelpunkt: ,,grande mortalitas“.147 Aktivismus – welcher Art auch immer – war äußerst wichtig, da selbst noch im 19. Jahrhundert vor allem der Fatalismus, die Lethargie und Schicksalsergebenheit der einfachen Bevölkerung als die größte Schwierigkeit bei der Bekämpfung von Seuchen galt. Mit gesundheitstechnischen Maßnahmen, den vielen Bemühungen, der ,,verseuchten Luft“ beizukommen, mit Verfolgung von Minderheiten, Prozessionen, Gebeten oder mit Flucht – agierend unternahm man aktiv etwas gegen die Angst.148 Obwohl auch die einflussreiche christliche Geistlichkeit von der übernatürlichen Herkunft der Pest überzeugt war, setzten sich in vielen Städten die pragmatisch denkenden Gesundheitsbeamten durch und verboten öffentliche Versammlungen jeder Art, Gottesdienste und Prozessionen, öffentliche Feste und Predigten und schlossen die Märkte. Natürlich wurden diese Verordnungen aus seelischer oder materieller Not oft durchbrochen, Schutzpatrone und die Jungfrau Maria um Hilfe angefleht.149 So unsicher man auch noch anlässlich der großen Pestwelle in den 1630er Jahren war, so beliebig waren die Maßnahmen, die man dagegen ergriff. Auf Malta kam man zum Schluss, Hunde seien Seuchenträger – worauf man in Valletta alle Hunde erschoss. Katzen hingegen galten als ungefährlich. Man schätzte sie sogar, da sie halfen, der Rattenplage beizukommen, auch wenn die Ansteckungskette unbekannt war.150 146 147 148

149 150

Jankrift: Die Pest im Nahen Osten, S. 228. Tadić: Prilozi, S. 68. Die Idee vom Sündenbock, der im christlichen Europa zum ,,Angst-“ und ,,Schuldbock“ wurde, stammt paradoxerweise aus dem jüdischen Kulturkreis. Am jüdischen Versöhnungstag, jom kipur, wurden dem Sündenbock symbolisch die Sünden der Israeliten auferlegt, damit er sie in eine unbewohnte Gegend trage. Bei Vertreibung, Verfolgung und Mord bestimmter Bevölkerungsgruppen im christlichen Europa ging es hingegen nicht um das Ableiten von Sünden – wie in der klassischen Geschichte des Sündenbocks –, sondern um ein Ableiten der Angst. Mit der Vertreibung bestimmter Bevölkerungsgruppen wurde der ,,Angstbock“ vertrieben (in der Regel in bewohnte Gegenden, in die er die Ängste mitnahm, und wo sie sich ungehindert ausbreiteten) oder gar ermordet (in diesem Fall blieb die Angst vor Ort, auch wenn der Aktivismus sie für kurze Zeit zu neutralisieren vermochte). Etwas ausführlicher zu Emotionen siehe Schwara: Unterwegs, S. 217f. Zu symbolischen Handlungen angesichts der Pest siehe Calvi: The Florentine Plague. Bergdolt: Pest, Stadt, Wissenschaft, S. 206f. Galea: The Quarantine Service, S. 186; Freller: Der Kampf gegen den ,,Schwarzen Tod“, S. 126. Hunde galten als besonders empfänglich für die Pestepidemie, wenn auch die zu Beginn des 18. Jahrhunderts durchgeführten wissenschaftlichen Versuche zu keinem überzeugenden Durchbruch führten (Farrell: Invisible Enemies, S. 83, 89). Die Unterscheidung zwischen Hund und Katze ist m.E. nicht schlüssig, da beide Flohträger sein

242

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

Als eine Folge der Pest entwickelte sich die Duftindustrie mit Kreationen wie dem Kölnisch Wasser. In der Pestbekämpfung im Mittelalter spielten Perlen und kostbare Steine eine wichtige Rolle. Im 15., 16. und auch noch 17. Jahrhundert finden sich Ratschläge sowohl in Florenz als auch in Venedig, die Perlen, rote und weiße Korallen oder Smaragde als wirksame Arznei vor allem gegen das Fieber empfahlen. Der berühmte Dino del Garbo riet 1576 zu Smaragden; sie seien ein besonders wirksames Mittel gegen die Pest ,,... sia ridotto in polvere e bevuto in una pozione, sia tenuto in bocca o portato al collo o semplicemente toccato“ – d. h. zu Pulver zerstampft eingenommen, im Mund gehalten, am Hals getragen oder auch einfach nur berührt. Es ist verständlicherweise bis heute nicht gelungen, einen entsprechenden medizinisch-wissenschaftlichen Nachweis zu führen. In der Tat aber waren Besitzer von Smaragden weniger gefährdet als mittellose Hungerleider. Bestimmte Handlungen konnten ebenfalls helfen, war man im 17. Jahrhundert überzeugt: Es genüge, einige Gebete zu rezitieren, sich zu bekreuzigen und seltsame Geräusche und unverständliche Worte von sich zu geben.151 Der Glaube, Smaragde, Korallen, rote Bändchen, Amulette oder Zauberformeln könnten Hilfe bringen, war weit über den mediterranen Raum hinaus verbreitet. Nicht nur Pandemien sind ständige Begleiter der Menschheit, sondern auch bei den Reaktionsmöglichkeiten des Menschen scheint es sich um anthropologische Konstanten zu handeln: Pragmatische Abwehrhandlungen waren stets begleitet vom Glauben an übersinnliche Mächte, die sowohl schaden als auch helfen konnten. Böse Geister und Dämonen ließen sich vom Menschen ablenken, wenn sie mit entsprechenden Reizen gelockt wurden, weshalb es ein weit verbreiteter Brauch war, gerade Kinder mit roten Bändchen, Amuletten und ähnlichem vor dem bösen Blick und neidischen Dämonen zu schützen.152 In christlich-mediterranen Städten lässt sich eine Art ,,Autoquarantäne“ feststellen. Adelige erkrankten nur selten an Pest, da sie in der Regel den Kontakt mit Armen vermieden. Da sie auch mit Unrat, Mäusen und Ratten kaum in Berührung kamen, war die Ansteckungsgefahr natürlich gering. Oft blieben Reiche verschont, weil sie Mittel und Wege zur Flucht fanden und sich auf ihren abgeschiedenen Landgütern niederlassen konnten. Ebenfalls verschont geblieben sind Klöster, während Bruderschaften, die aktiv in Armenvierteln wirkten, viele Tote zu beklagen hatten, ebenso Priester und Mönche. Am stärksten betroffen waren die Franziskaner, da sie in ärmeren Stadtteilen

151 152

können, andererseits aber auch beide Mäuse und Ratten fangen. Hier sei explizit an den altdeutschen bzw. österreichischen Pinscher alias ,,Rattler“ erinnert. Diese Unterscheidung verweist eher auf die Zuflucht zu mythologischen Vorstellungen (und den dort hohen Stellenwert der Katze) als auf frühe wissenschaftliche Erkenntnisse möglicher Ansteckungsformen. Brogi: La peste del 1630 a Firenze, S. 50f. Schwara: Jüdische Kindheit und Jugend, S. 276f.

4. Anregende Interaktion: Wirklichkeiten und Imaginationen

243

lebten und auf milde Gaben der Bevölkerung angewiesen und bei der Abnahme von Beichten, Spendung von Sakramenten, bei der Krankenpflege und Leichenbestattung gefährdet waren. Lebensbedingungen und physische Konstitution des Menschen spielten eine wichtige Rolle: Es starben am meisten Arme, Kinder und Frauen. Im Gegensatz zu den Reichen fanden die ärmeren Bevölkerungsschichten keine Mittel und Wege zur Flucht, zudem konnten sie auf das karge Einkommen, das ihnen die Arbeit in Quarantäneanstalten oder bei der Reinigung verseuchter Häuser einbrachte, nicht verzichten. In den meisten christlichen mediterranen Städten entwickelten sich die rigiden Quarantänemaßnahmen nach dem gleichen Muster. Zu Beginn wollte man die Gefahr isolieren, als nächsten Schritt sich selbst. Dazwischen befanden sich jene, die in diesem luftleeren Raum zwischen der Gefahr aus der Ferne und dem sicheren Zuhause arbeiteten und ihre Existenz auf diese Isolationsanstalten begrenzen mussten.153 Im osmanischen Herrschaftsbereich, wo sich viele diese Geißeln der Menschheit ebenfalls als Gottes Wirken erklärten, galt Flucht hingegen nicht als Option. Da nach muslimischer Auffassung alle Krankheiten von Gott stammten, galten auch Pandemien als gottgegeben und deshalb als eine Gnade. L’oeuvre est venue de Dieu. D’ailleurs, mourir de peste n’est pas une malédiction, au contraire, c’est une des voies qui mènent au salut. Ceux qui succombent à cette maladie sont considérés comme des martyrs de la foi.154

Dieses Erklärungsmodell zog allerdings ebenfalls Grenzen zwischen Krankheit und Gesundheit, da man als logische Konsequenz ein Seuchengebiet weder mutwillig verlassen – da man sonst Gottes Vorsehung verlassen hätte –, noch betreten durfte. Diese Art der religiösen Auslegung entsprach in ihrer Konsequenz den pragmatischen Maßnahmen der Gesundheitsbehörden vieler Stadtstaaten der nördlichen Mittelmeerküste. Es kam zu einer Art ,,Autoquarantäne“ – einer automatischen, selbst gewählten Isolation.155 Mit diesem einzigartigen Quarantänesystem – dem Gebot, jeder müsse

153

154 155

In nur wenigen Jahren sollen etwa 25 Millionen Menschen, ein Viertel der europäischen Bevölkerung, der Pest zum Opfer gefallen sein. Marisa Brogi zeigte in ihrer Studie über Pest-Todesfälle in Venedig, dass in der Pestwelle der 1630er Jahre fast keine Adeligen an der Pest gestorben sind (Brogi: La peste, S. 63). Die Zusammenhänge zwischen Armut und Pandemien zeigt unter anderem auch Ann G. Carmichael in ihrem Buch über die Pest in Florenz auf (Carmichael: Plague and the Poor in Renaissance Florence, insbesondere S. 127f.; siehe auch Pullan: Plague and Perceptions). Armenhäuser, Spitäler und Arbeitshäuser lagen in der Regel nahe nebeneinander oder waren sogar identisch. Reiche Kranke ließen sich zu Hause pflegen. Schwara: Luftmenschen. In: Luftmenschen und rebellische Töchter. Hg. von Heiko Haumann, S. 152f., Kapitel ,,Armut und Mitleid“. Panzac: La peste dans l’Empire ottoman, S. 282. Dols: The Black Death, S. 275f.; Dols: Plague in Early Islamic History; Jankrift: Die Pest im Nahen Osten, S. 227.

244

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

bleiben, wo er war – hätte eine Übertragung in andere Gebiete automatisch unterbunden werden können, wenn es konsequent eingehalten worden wäre. Mit der Überzeugung, der Mensch könne seinem Schicksal nicht entrinnen, betrachteten viele osmanische Untertanen die Vorsichtsmaßnahmen, die die Europäer gegen die Pest trafen, nicht nur als nutzlos, sondern als verbrecherisch (...) et lorsque la morte les frappe de tous les côtés, ils montrent une grande tranquilité et une entière résignation. Aucun d’eux ne paraît avoir de la répugnance à soigner les malades qui lui sont chers; il ne pourrait pas non plus se résoudre à les abandonner.

Doch reduzierte sich die muslimische Pietät nicht auf die passive Akzeptanz göttlicher Fügung, (...) elle se doit aussi d’être active, particulièrement en période calamiteuse. L’aide à apporter aux malades, les devoirs à rendre aux défunts font partie des obligations des hommes pieux et ceux-ci ne s’y dérobent point.

Diese passive Hinnahme des Schicksals und aktive Umsorgung der Kranken stellten alle der vielen Europäer fest, die über ihre Eindrücke angesichts der Pest in der Levante berichteten. An die Armen wurde Fleisch verteilt, wie in vielen mediterranen Hafenstädten an der Nordküste des Mittelmeers auch.156 Die Heftigkeit der Pest und der Umstand, dass sie die Jüngsten traf, jene ,,les plus attachés à la vie“, veranlasste schließlich auch in muslimischen Gebieten viele zur Flucht.157 Parallel zu vielen willkürlichen und aus einer entzauberten westeuropäischen Perspektive des 21. Jahrhunderts nicht begründeten Maßnahmen entwickelte sich in christlichen Städten des 17. Jahrhunderts ein immer besser funktionierendes Gesundheitswesen. Die Beamten der Gesundheitsbehörden sahen die tatsächlichen Ursachen für Pandemien immer deutlicher: Armut, Hungersnot, mangelnde Hygiene, Ratten, Mäuse, Flöhe:158 alles Begleiterscheinungen von Naturkatastrophen und Kriegen. Besonders gefährdet waren Orte, an denen Menschen eng gedrängt lebten: auf Schiffen, in Städten und Elendsbezirken. Einen Zusammenhang zwischen Hygiene und der Eindämmung von Epidemien hatte man offenbar erkannt. Es zeigt sich aber an den hier paradigmatisch vorgeführten Verhaltensweisen, dass die Behörden der Hafenstädte, gerade weil sie durch die rege Interaktion mit Menschen aus aller Welt erfahrener waren, die Zeichen der Epidemien und ihrer Erreger 156 157

158

Dols: The Black Death, S. 281. Panzac: La peste dans l’Empire ottoman 1700–1850. Leuven 1985, S. 283; Olivier G. A.: Voyage dans l’Empire Ottoman, l’Egypte et la Perse fait par ordre du Gouvernement pendant les six premières années de la République, Paris, 6 vol (o. J.), zitiert nach Panzac: La peste dans l’Empire ottoman, S. 283. Bis Ende des 19. Jahrhunderts war die Bedeutung der Flöhe als Krankheitsträger in Europa nicht bekannt (Brogi: La peste, S. 50). Auch wenn der Kausalzusammenhang zwischen Ratten bzw. Flöhen und der Ausbreitung der Seuche noch unbekannt war, versuchte man im Zuge der Hygienemaßnahmen, sich auch der Ratten zu entledigen.

4. Anregende Interaktion: Wirklichkeiten und Imaginationen

245

kannten und ein ausgeklügeltes Isolationssystem entworfen hatten und offensichtlich die Erfahrungen, die sie mit diesen Schutzmaßnahmen machten, mit anderen Hafenstädten teilten.159 Den Übertragungsweg hatte man bis Ende des 19. Jahrhunderts immer noch nicht wissenschaftlich entschlüsselt. Neben dieser Suche nach den Ursachen war es den Behörden wichtig, Panik zu vermeiden und die Bevölkerung entsprechend in vermeintlicher Sicherheit zu wiegen, um so die Kontrolle zu behalten und die Machtverhältnisse zu zementieren. Diese Beschwichtigungsversuche standen natürlich oft in Widerspruch zu notwendigen Maßnahmen, da man sich bemühte, das Übel zu tarnen, wie das Beispiel der venezianischen Pestgutachten zeigt.160 4.5.6 Begrenzungsbestrebungen in Belgrad und Zemun Die Zustände auf den Straßen Zemuns waren noch im 18. Jahrhundert äußerst unhygienisch: Neben Schmutz gab es auch streunende Hunde, und Tierkadaver lagen auf der Straße. Zugleich beherrschte sogar den Belgrader Hof des Pascha der Schmutz, wobei es in der Stadt selbst wohl noch schlimmer ausgesehen haben mag. Wasserleitungen jedenfalls wurden erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts angelegt.161 Als 1795 in Belgrad die Pest auftauchte, ergriffen die österreichischen Behörden strenge Maßnahmen auch gegen den verdeckten Handel zwischen Zemun und Belgrad. Besonders die Fischer aus Zemun wurden massiven Einschränkungen unterworfen. Noch vor Sonnenuntergang musste jeweils die Fischerei eingestellt werden. Flüchtige Serben aus dem Belgrader Paschaluk sollten sich nach einer Verordnung im Innern Österreichs ansiedeln, um zu verhindern, dass ständige Familienbesuche über die Grenze stattfänden. Bei Verdacht auf einen Pestausbruch in einem Haus wurde sofort eine Untersuchung angeordnet und nach Bestätigung dieses Verdachts das ganze Haus isoliert. Erhärtete oder bestätigte sich der Verdacht nicht, wurden einige Formalitäten erledigt und die Leiche zum Begräbnis freigegeben. 1816 herrschte die Pest wieder im gesamten Osmanischen Reich. Gegen 159 160

161

In the National Archives of Malta in Rabat zum Beispiel finden sich immer wieder Belege über die Schutzbestimmungen in Livorno, Ancona, Ragusa, Marseille usw. Pandemien waren stets auch ein Politikum, wie Klaus Bergdolt unterstreicht, da sie eine Bedrohung für die staatliche Ordnung darstellten. Zudem musste das Hab und Gut der Verstorbenen verwaltet bzw. neu verteilt werden. 1450 gehörten in Mailand dem Ufficio sanitario zwei Adlige, drei Juristen, ein Notar, ein Vertreter der Fuhrleute und der Totengräber, ein Arzt, ein Chirurg und ein Barbier an (Bergdolt: Pest, Stadt, Wissenschaft, S. 201, 206). Firoozeh Kashani-Sabet zeigt am Beispiel Irans, wie bedeutend eine (vermeintliche) Kontrolle von Grenzen und das aktive Bestreben, Seuchen auszugrenzen als erstarkendes Mittel in Nationalisierungsprozessen eingesetzt werden und eine wichtige Funktion bei der Ablenkung bzw. Überwindung politischer Instabilität eines Staates übernehmen können. Kashani-Sabet: City of the Dead. Katić: O pojavama i suzbijanju zaraznih bolesti kod Srba, S. 42f.

246

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

Ende des Jahres kam die Nachricht nach Österreich, dass die Krankheit auch auf Korfu aufgetaucht sei, sowie später in Portugal. Im Dezember wurde den Schiffen der Adriaküste untersagt, in die portugiesischen Häfen zurückzukehren. Solche Maßnahmen wurden für die Gebiete unter osmanischer Herrschaft erst unter der Herrschaft der Karađorđevići zu Beginn des 19. Jahrhunderts und unter der Herrschaft von Fürst Miloš getroffen. Das Gebiet der Militärgrenze stand unter militärischer Gesundheitskontrolle. Dementsprechend waren die verantwortlichen Personen Militärärzte. Die Erfahrungen, die die österreichischen Behörden von 1718 bis 1739 im Umgang mit aus dem Osmanischen Reich eingeschleppten Krankheiten machten, hatten im 18. und 19. Jahrhundert eine strenge militärische Gesundheitskontrolle zur Folge. Die ersten Maßnahmen des neu zu errichtenden Quarantänekordons zwischen Österreich und dem Osmanischen Reich waren einfache Isolationsstationen mit Abteilungen für Mensch und für Vieh. Im Grenzgebiet gab es viele solcher Quarantänestationen, die unter der Leitung und Kontrolle eines sogenannten ,,Kontagionsphysicus“ standen, der wiederum der ,,Sanitäts-Hofkommission“ in Wien unterstellt war. Für die Bekanntmachung allfälliger Gefahren wurden die Kanäle der militärischen und der kirchlichen Instanzen genutzt.162 Die Sicherheitsstufen unterschieden sich je nach Bedrohungslage. Die Anzahl der dienstleistenden Grenzsoldaten wurde bei ersten Verdachtsmomenten, und noch einmal bei faktischen Krankheitsfällen im Grenzraum erhöht. In solchen Fällen wurde Austausch und Verkehr zwischen dem Osmanischen Reich und Österreich eingeschränkt. 1740 legten die Behörden in Wien fest, dass jede Person, die aus dem Osmanischen Reich kam, mindestens vierzig Tage in der Quarantäne verbringen musste; doch variierten diese Zeiten.163 Zu solchen Zwecken wurden die Quarantänen in Sremska Mitrovica, in Bela Crkva, in Pančevo und eben in Zemun durchgeführt. Aufgrund seiner Lage auf der Hauptverkehrsachse Istanbul – Wien hatte die Zemuner Quarantäne eine herausragende Bedeutung. Jeder Reisende aus der Türkei wurde in die Quarantäne geführt. Herrschte keine Seuche, wurden die Reisenden nicht weiter aufgehalten und nach einer Reinigung der Kleider auf die Weiterreise entlassen. Gab es Anzeichen einer Seuche, wurden auch die Waren gereinigt und die Quarantäne dauerte zehn Tage. Bei herrschender Epidemie dauerte die Quarantäne für die Menschen einundzwanzig Tage, für die Ware zweiundvierzig. Die Stadt Kotor hatte offensichtlich schon in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine

162 163

Katić: O pojavama i suzbijanju zaraznih bolesti kod Srba, S. 136f. In einer Anordnung von 1760 wurde die Quarantäne zu Pestzeiten auf 84 Tage festgelegt, in ,,verdächtigen“ Zeiten auf 42 und in Zeiten ohne Pest auf 21 Tage. Die Verordnung von 1770 sah noch maximal 42 Tage vor, neben 28 und 21 Tagen. 1785 konnte weiter reduziert werden: in Pestzeiten noch 21 Tage, sonst 10 Tage. Im tiefsten Gefahrenstatus musste man ab 1785 nicht mehr in die Quarantäne. Katić: O pojavama i suzbijanju zaraznih bolesti kod Srba, S. 144.

4. Anregende Interaktion: Wirklichkeiten und Imaginationen

247

Quarantänestation, die auf der Insel Scoglio (,,Klippe“) di S. Gabriele lag. Im 18. Jahrhundert scheint Kotor wohl zwei Quarantänen gehabt zu haben: eine für die Zugänge vom Meer und eine für den Landweg. In Herceg Novi wurde 1700 eine Quarantänestation errichtet, 1729 erneuert, und ist auch noch ein Jahrhundert später bezeugt. Auch diese Anlage verfügte über eine eigene Kapelle. Auch in Petrovac soll schon früh eine Isolationsanlage eingerichtet worden sein.164 Mit dem Vorrücken Österreichs gegen Süden wurde das sogenannte Pestpatent 1720 auf die eroberten Gebiete ausgedehnt. Die relativ schlechte Infrastruktur der ersten Quarantäneeinrichtungen scheint zu vielen Klagen Anlass gegeben zu haben. Die Zemuner Quarantäne erfüllte nicht nur eine wichtige Gesundheitsmission, sondern diente auch als österreichisches Nachrichtenzentrum für die gesamte Region. Die Schilderung eines preußischen Offiziers von 1829 lässt darauf schließen, dass die Quarantäne auch von vielen Menschen aus Belgrad – Serben, Bulgaren, Griechen, Albaner und ,,Türken“ – besucht wurde, die lediglich ihre Geschäfte abwickeln oder den Transport der Waren organisieren wollten.165 1788 arbeiteten hier 62 Angestellte: die Leitung, ein Kontrolleur, ein erster und zweiter ,,Chirurg“ (Arzt), Prüfer der Waren, ein Begutachter mit einem Helfer für die Prüfung der Baumwolle, verschiedene Leute für Verpflegung und Unterkunft, sowie ein katholischer Priester. In der Quarantäne gab es sechs Unterkunftsgebäude mit je vier Zimmern und je zwei Herdstellen, ein Parlatorium, ein Spital, ein Totenhaus, zwei Räume für das Dampfen der Briefe und zwei Lager für die Waren und deren Reinigung. 1817 gingen 13 717 Zentner Wolle und Baumwolle, 72 811 Leder und 37 830 Stück Vieh durch die Zemuner Quarantäne.166 1795 wurde die Pest zunächst in die Quarantäne und von hier aus in die Stadt Zemun getragen. Die Flucht vieler Bewohner verbreitete die Krankheit weit übers Land. Zur Zeit der Pest in Belgrad in den Jahren 1796 und 1797 waren Reisende aus dem Osmanischen Reich nicht zur Isolationsstation zugelassen, sondern in zwei Baracken außerhalb der eigentlichen Anlage untergebracht, wo sie eine bestimmte Zeit zu verbringen hatten, bevor sie die ,,richtige“ Quarantäne durchlaufen durften. 1795 wurde den Bewohnern aus der Nachbarschaft der Quarantäne erlaubt, in der Quarantänekapelle den Gottesdienst zu besuchen, obwohl diese nur für die reisenden Gläubigen gebaut worden war.167 Die erste schriftliche Anordnung mit klaren Verhaltensregeln stammt 164 165 166 167

Katić: O pojavama i suzbijanju zaraznih bolesti kod Srba, S. 142f. Katić: O pojavama i suzbijanju zaraznih bolesti kod Srba, S. 149. Katić: O pojavama i suzbijanju zaraznih bolesti kod Srba, S. 149. Man vergleiche zwei Abbildungen der Quarantäneanlagen auf den Seiten 150 und 151. IAB, Fd. 1, F. XXI, 34, 107 (1795) und Katić: O pojavama i suzbijanju zaraznih bolesti kod Srba, S. 152.

248

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

von 1713 aus Österreich. In den Zehn-Punkte-Anweisungen ist u. a. zu lesen, dass die Isolationsanlage groß genug sein müsse, damit alle Reisenden untergebracht und verschiedene Gruppen voneinander getrennt werden könnten. Erkrankte durften nicht aufgenommen werden, sondern waren an der Grenze abzuweisen. Es bedurfte medizinischen Fachpersonals. Eine Gruppe von ,,Reinigungsknechten“ solle die Reinigung unter Aufsicht ausführen. Briefe seien über Essigdampf zu reinigen, wobei ausländische Briefe nicht geöffnet, sondern mit der Formel ,,Netto di fuori, sporco di dentro“ – außen sauber, innen schmutzig – gekennzeichnet werden sollten. Geld, das als gefährlichstes Übertragungsmedium betrachtet wurde, musste mit Seife oder Salz gereinigt werden. Mit der erfolgten Quarantäne erhielten Briefe und Waren den Stempel ,,Sigillum Sanitatis“ als Bestätigung. Für die Desinfektion der Räumlichkeiten wurde ein bestimmtes Gemisch aus einer Anzahl verschiedener Stoffe verwendet. Ab 1837 wurde Chlor für die Desinfektion in der Quarantäne eingesetzt.168 Belgrad und Semlin standen in regem Austausch, der allerdings reglementiert, kontrolliert und je nach Situation begrenzt wurde. Die Quarantäneanstalt galt gleichsam als Vorraum des anderen Imperiums. Während westeuropäische Reisende dieser Trennlinie mit Abscheu und einer ängstlichen Ehrfurcht begegneten,169 nahm die lokale Bevölkerung diesen Raum als den ihren wahr und bewegte sich frei über Kontrolle und Grenze hinweg.170 4.5.7 Hilflosigkeit Selbst im 19. Jahrhundert war man angesichts der Pest immer noch völlig hilflos und mutmaßte über ihre Herkunft und die Art der Verbreitung. Der englische Civil Commissioner auf Malta, Sir Hildebrand Oakes, schrieb während der Pestwelle 1813 an seinen Vorgesetzten: (...) according to the opinion of persons who have seen much of the plague in the Levant, there seems reason to expect that excessive heat, as I have previously observed, may be attended with a considerable mitigation of the disease, if not with its complete extinction. In this respect Malta has been this year peculiarly unfortunate, as the temperature of the air has hitherto been cool to a degree quite unprecedented here at this advanced period of the summer.171

Die Notizen der Ragusaner Chronisten zeigen dagegen über Jahrhunderte, dass am ehesten die Wintermonate pestfrei blieben, folglich Hitze die Pest be168 169 170

171

Katić: O pojavama i suzbijanju zaraznih bolesti kod Srba, S. 155. Von Pirch: Reise in Serbien im Spätherbst 1829, S. 38. AGB ZM, 1784-2-59 (alte Archivsignatur), Bericht vom 17.8.1784, abgedruckt in: Ilić: Beograd i Srbija u dokumentima archive zemunskog magistrata od 1739 do 1804 god, S. 549–552. NAM, GOV 1/1/7 Oakes ,,out“ Despatches 1810–1813, 21. Juli 1813, fol. 231–243.

4. Anregende Interaktion: Wirklichkeiten und Imaginationen

249

günstigte.172 Der tatsächliche Zusammenhang zwischen der Pest und Wärme konnte wissenschaftlich erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts nachgewiesen werden.173 Auch die strengsten Isolationsmaßnahmen und vorbildlichsten Quarantäneeinrichtungen konnten die Ausbreitung der Pest nicht verhindern, wie sich auch noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf Malta zeigte.174 Diese Korrespondenz zeigt darüber hinaus, dass die Pest des Jahres 1720 in Marseille, die als die letzte große Pestwelle in Europa gilt,175 aus Europa nicht verschwunden war. In den Ragusaner Chroniken findet sich die Pest 1785 letztmals erwähnt, in den Dokumenten Triests ist im Jahre 1732, in jenen Maltas ist 1813 von ihr die Rede, vermutlich existieren sogar noch spätere Zeugnisse.176 Die Jahreszahl 1813 – wie auch der Hinweis auf die französischen Gefangenen, von denen Oakes in seinem Bericht ebenfalls spricht,– deutet einmal mehr auf Krieg und Verwüstung als Pestherde hin. Ein endgültiges Urteil, wie erfolgreich die Isolationsbestrebungen wirklich waren und welches Ausmaß die Pandemien ohne Quarantäne erreicht hätten, ist unmöglich. Während Robin Harris zum Schluss kommt, dass die Quarantäneregelungen Ragusa vor Pandemien erfolgreich geschützt hätten, zeigen Jorjo Tadićs Arbeiten, dass sich die Pest immer wieder in Ragusas Chroniken schlich und offensichtlich weder durch die dicken Stadtmauern noch die rigiden Quarantänebestimmungen vor den Stadttoren aufgehalten werden konnte. Der Erfolg des langen militärischen Sanitäts-Cordons, den Habsburg 1770 an seiner Grenze zum Osmanischen Reich zog, ist ebenfalls umstritten. Georg Sticker argumentierte überzeugend, Quarantänemaßnahmen könnten nicht wirklich effektiv gewesen sein, da Nagetiere – die eigentlichen Pestträger – nicht aufzuhalten seien. Tatsächlich hatte die österreichische Regierung 1871 festgestellt, dass dieser Schutzgürtel zu keinem Zeitpunkt in der Lage gewesen sei, die Pest von habsburgischem Territorium fern zu halten. Erna Lesky kommt dagegen zum Schluss, dass die sanitären Bestimmungen im Kampf gegen die Pest ausgesprochen hilfreich gewesen seien, da die gefähr172 173

174 175 176

Tadić, Prilozi, S. 83. Die Ragusaner Chronisten erwähnten ausdrücklich, wenn die Pest sogar den Winter über dauerte. Die Pest ist eine durch Flöhe übertragbare akute Septiekämie bei Ratten oder anderen Nagetieren. Solche Tierseuchen kommen nur in wärmeren Monaten vor und decken sich jahreszeitlich mit dem Vermehrungsmaximum der Flöhe und der Wurfzeit des betreffenden Nagetiers. Winkle: Geißeln der Menschheit, S. 422. Siehe Kapitel ,,5.4.1 Malta, Korfu und die Anfänge der britischen Méditerranée“ in diesem Band. Bergdolt: Pest, Stadt, Wissenschaft, S. 204; Carrière: Marseille ville morte. La peste de 1720. Marseille 1988. Tadić: Prilozi, S. 102; Archivio di Stato, Triest, C.R.S. Intendenza Commerciale per il Litorale in Trieste 1748–1776, Rubrica II, Commerciale, Nr. 478f.; Archivio di Stato, Triest, C.R.S. Intendenza Commerciale per il Litorale in Trieste 1748–1776, Rubrica II, Commerciale, Nr. 491 (,,Sanità: peste in Trieste 1601“), Nr. 492 (,,Sanità: pestilenza in Italia 1630–1631“), Nr. 493, 496, 497, 498, 596 (,,Sanità marittima 1719–1743“), Nr. 494 (,,Sanità marittima: peste in Turchia 1719“) u. a.

250

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

lichsten Träger des Pesterregers Menschen, ihre Kleidung und mitgeführte Güter gewesen seien. Sie weist darauf hin, dass zum Beispiel 1765 Serbien, Bosnien und Dalmatien von der Seuche heimgesucht worden waren, die angrenzenden habsburgischen Gebiete aber verschont geblieben seien.177 Was aber zuverlässig festgestellt werden kann, ist der Umstand, dass mit den Quarantänemaßnahmen eine allgemeine Verbesserung der Hygiene einher ging und diese selbstredend die beste Prophylaxe gegen die Pest darstellte. 4.5.8 Entgrenzung, Diffusion und Begrenzungsversuche Zwei entgegengesetzte Stränge ziehen sich durch die Geschichte der Quarantäne. Einerseits Entgrenzung der Krankheit durch Diffusion und Verschleppung der Krankheitsträger durch Seeleute, Kaufleute, Pilger, Prozessionen, Flucht, Plünderung der verseuchten Häuser, Handel mit verseuchter Ware über alle Quarantäneschranken hinweg; andererseits Begrenzung der Krankheit durch Isolierung der Krankheitsträger und ihre Beschränkung auf bestimmte Räume, auch wenn die Ansteckungskette bis Ende des 19. Jahrhunderts unbekannt war. Ein Geflecht von religiösen, weltanschaulichen und politischen Wahrnehmungs- und Deutungsmustern prägte die Reaktionen der Menschen. In Europa beherrschte ein theoretisches und praktisches Chaos die Versuche, dem Wesen der Krankheit und ihrer Übertragungswege auf die Spur zu kommen und Therapien zu entwickeln. Erst mit der Bakteriologie Ende des 19. Jahrhunderts wurden die alten multikausalen und multifunktionalen Beziehungsgefüge durch bakteriologisch-wissenschaftliche Erklärungsmodelle ersetzt. Auffallend ist die kulturelle Varianz der einzuschlagenden Verhaltensmodi. Die Bestimmungen der Quarantäneanstalten zeigen, wie die Gefahrenzonen in der Praxis klassifiziert wurden. Aufgrund der vielen Seuchenwellen, die sich über die Jahrhunderte kreuz und quer durch die Welt ausbreiteten, ist m. E. (DS) davon auszugehen, dass diese Pandemien gar nicht aus einer bestimmten Gegend stammten, sondern an verschiedenen Orten ausgebrochen sind, die einen guten Nährboden für sie bildeten. Von da aus verbreiteten sie sich selbstredend in alle Richtungen und wurden aus bestimmten Gebieten in andere übertragen. Die Grundidee der Quarantäne aber fußt auf der Annahme, dass die Krankheit aus der fernen Fremde kommen muss. Nur so lässt sie sich aus- und die heimische Gesundheit eingrenzen und behüten. Die Schuldzuweisung, die Bestimmung, wer als Krankheitsträger Tod und Elend verbreitet, ist eng verknüpft mit der Angst, mit dem Bestreben, sie in Aktivismus zu ersticken, mit Feindzuschreibungen und der 177

Harris: Dubrovnik; Erna Lesky: Die österreichische Pestfront an der k. k. Militärgrenze. In: Saeculum 8 (1957) S. 102–105. Zitiert nach Rothenberg: The Austrian Sanitary Cordon, S. 16; Sticker: Abhandlungen aus der Seuchengeschichte; Tadić: Prilozi.

4. Anregende Interaktion: Wirklichkeiten und Imaginationen

251

in vielen Kulturen vorherrschenden Grundannahme, der Fremde sei unrein und dürfe aus diesem Grund vor allem heilige Räume nicht betreten.178 Tatsächlich bietet es sich an, Reisende für die Übertragung von Krankheiten verantwortlich zu machen, zumal jener Krankheiten, die in bestimmten Gebieten zuvor völlig unbekannt waren. Allerdings ist aus historischer Sicht schwer zu bestimmen, wie lange eine Krankheit schon existiert und woher sie letztlich stammt. Die Chronisten pflegten lange jedes Massensterben als ,,Pest“ zu bezeichnen, auch wenn es sich im heutigen bakteriologischen Sinn nicht um Pest handelte.179 Cholera zum Beispiel mag es schon seit Urzeiten geben, doch wusste bis Robert Kochs Entdeckung des Choleraerregers 1883 niemand wirklich, worum es sich bei diesen Krankheitsbildern handelte.180 Auch die Krankheitsbilder selbst – Durchfall und Erbrechen – wusste man in bestimmten Gegenden Europas erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts dem Begriff ,,Cholera“ zuzuordnen.181 Neben ernsthaften Bemühungen, den Pandemien beizukommen, versuchten weltliche und religiöse Autoritäten, die gesetzgebenden Behörden und die Exekutive, die Bevölkerung zu beschwichtigen, indem sie die Gefahr herunterspielten. Im christlichen Europa wurden Feindbilder konstruiert, um die Menschen in vermeintlicher Sicherheit zu wiegen bzw. den Glauben zu suggerieren, diese könne durch Eliminierung der angeblichen Feinde wieder hergestellt werden. Abgesehen von pragmatischen hygienetechnischen Maßnahmen und dem Versuch, auf die Psyche der Bevölkerung einzuwirken, 178

179 180 181

Zur Verbindung von Pandemien und Juden siehe Graus: Pest – Geißler – Judenmorde; zu ,,unreinen“ Fremden u. a. Höfert: Ist das Böse schmutzig?; zu den unterschiedlichen Reinheitsvorstellungen Scheidegger: Perverses Abendland – barbarisches Russland, S. 68f. Winkle: Geißeln der Menschheit, S. 422. Bochalli: Robert Koch; Brockhaus, Band 4, S. 523 und Band 12, S. 143. Winkle: Geißeln der Menschheit, S. 137f. Daniel Panzac zeigt die fließenden Grenzen zwischen Pest und anderen Krankheiten und widmet sich der Problematik, Krankheiten von einander zu unterscheiden und zu klassifizieren (Panzac: La peste dans l’Empire ottoman, S. 47f.). Wie unzuverlässig historische Zeugnisse über Krankheiten in der Vergangenheit Aufschluss geben, zeigt sich u. a. in Matrikelbüchern. Darüber, woran jemand gestorben war, entschied nicht nur der Umstand, ob eine Krankheit bereits bekannt war oder nicht. Der Arzt, der die Totenscheine ausstellte, beeinflusste die Todesursachen maßgeblich. Hierbei spielte eine wesentliche Rolle, ob er mit den aktuellen Errungenschaften der Medizinwissenschaften vertraut war oder nicht. Wechselte nach einem bestimmten Zeitraum die Handschrift auf den Totenscheinen, d. h. der zuständige Arzt wurde von einem Kollegen abgelöst, starben die Menschen von heute auf morgen plötzlich an viel mehr und ,,moderneren“ Krankheiten, während zuvor über viele Matrikelseiten alle an ,,Altersschwäche“ oder ,,Grippe“ gestorben waren. Aufgefallen ist mir (DS) dies zum Beispiel in Vilnius, wo ich mich ausführlich mit Matrikelbüchern beschäftigt habe; dies dürfte aber in anderen Gebieten ähnlich verlaufen sein. Aufgrund dieser Eintragungen kann man zum Beispiel feststellen, wo und wann bestimmte medizinische Erkenntnisse bereits bekannt waren (LVIA f. 728, Vilenskij evrejskij ravvinat 1837–1939, Matrikelbücher, op. 3 o smerti 1846–1850).

252

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

spielten wirtschaftliche Interessen bei den Quarantänemaßnahmen eine zentrale Rolle. Wirtschaftlich interessant war der Umstand, dass vorbildliche Quarantäneanlagen mit einem guten Ruf Schiffe aus aller Welt anzogen und so der internationale Handel in diesen Hafenstädten konzentriert werden konnte. Bei all diesen Isolationsbemühungen, erfolgreichen oder erfolglosen, wird eines deutlich: Quarantäne ist nur an Grenzen möglich; an Staats- oder Naturgrenzen, an Stadttoren oder zwischen der See und der Küste.182 Die rigorosen Maßnahmen Maltas, die bei Zuwiderhandlung sogar die Todesstrafe vorsahen,183 zeigen, wie schwierig eine konsequente Grenzziehung selbst bei einer vorbildlich organisierten Insel sein konnte. Obwohl die Wachsoldaten mit einem Schwur an ihre Isolationsaufgabe gebunden wurden, gelang Kaufleuten und Schmugglern immer wieder der Durchbruch.184 Bei Quarantänemaßnahmen handelt es sich um kollektiven Kampf gegen andere Kollektive, Personengruppen, Tierarten oder Warensortimente.185 Wer welcher Seite der Begrenzungen zugeordnet wird und welche Formen sie konkret annehmen, gilt es immer neu zu verhandeln. Bei den Quarantänemaßnahmen bis ins 19. Jahrhundert ging es nicht eigentlich darum, die Ansteckung zu vermeiden: Die Ansteckungskette war nicht bekannt, wenn auch von einzelnen Wissenschaftlern bereits seit dem 15. Jahrhundert erahnt. Es wurde vielmehr alles unternommen, ganz der Miasmenlehre entsprechend, um dem GESTANK beizukommen, den man für den eigentlichen Krankheitsträger und -verursacher hielt. Quarantäneregelungen sollten Menschen oder Waren isolieren, die dem Gestank zum Opfer gefallen sind. Dass durch diese Maßnahmen gleichzeitig die Ansteckungsgefahr reduziert wurde, war ein Nebeneffekt der Bemühungen, die Luftqualität zu verbessern, so hier die These. Die Quarantäne sollte den Gestank ausgrenzen, eingrenzen und fernhalten; die Reinigungsmaßnahmen – bei denen es sich hauptsächlich um ,,Überstinkungsmaßnahmen“ handelte – ihn neutralisieren und besiegen.186 182 183 184

185 186

Brogi: La peste, S. 48; Kashani-Sabet: Frontier Polemics of Quarantines. Galea: The Quarantine Service, S. 185, 186, 194, 197. Galea: The Quarantine Service, S. 189, 195. Ein ähnliches Bild entwirft Claudia Fascione Toniolo aufgrund der Prozesse, die die Zoll- und Gesundheitsbehörden von 1663 bis 1669 geführt hatten, für Livorno. Toniolo: I processi di Dogana e di Sanità a Livorno. Brogi: La peste del 1630 a Firenze, S. 48. Auf die begrenzten Quarantänemöglichkeiten weisen jüngere Arbeiten hin, die sich mit Bioterrorism, Aids und SARS befassen. Die Isolationsmöglichkeiten sind nicht nur unrealistisch, da die Menschheit weltweit unwiderruflich miteinander verwoben ist, sondern auch weil sie aus ethischer und rechtlicher Sicht nicht vertretbar wären. Auch diese Studien kommen aber zum Schluss, dass das Grundkonzept der Quarantäne immer noch volle Gültigkeit habe und die Anwendung korrekter Maßnahmen – wo eine gezielte Impfung nicht möglich ist – situativ angepasst integraler Bestandteil des internationalen Gesundheitswesens bleiben müsse. Gensini u. a.: The Concept of Quarantine in History; S. 261 findet sich eine Literaturauswahl zu Pandemien der letzten Jahrzehnte und der Quarantäneproblematik; weiter Musto: Quarantine and the Problem of AIDS.

4. Anregende Interaktion: Wirklichkeiten und Imaginationen

253

Was bleibt, ist die Suche nach Begrenzungsmöglichkeiten und die Scheu, dem Übel verständliche Namen zu geben; ein Szientismus, der unbewusst auf vormoderne Beobachtungen zur Multikausalität zurückgreift. Um die Krankheit nicht herbei zu rufen, sucht selbst das pragmatische, entzauberte Europa des 21. Jahrhunderts Zuflucht in mystischen Codes, abstrakten Zahlen und nichtssagenden Buchstaben, sinn–los, mit nichts assoziiert, doch längst zu aussagekräftigen Morphemen geworden, die klare Krankheitsbilder enthüllen: HIV, SARS, Aids, und jüngst COPD mit ihren AHA-Symptomen; ebenso verbergen sich die Hilfe versprechenden Maßnahmen hinter geheimnisvollen Namen, so etwa die FFP2-EN149:2001-Masken, die Schutz vor dem H5N1Virus versprechen. Insbesondere die Vögel lassen den Menschen in ihrem ungehinderten Flug und grenzenlosen Habitat mit ihrer Vogelgrippe trotz seiner jahrhundertealten Quarantäneerfahrung in einer Isolationshilflosigkeit, wie kein anderer Pandemie-Träger jemals zuvor.187

187

Inzwischen haben die Forschungsprogramme ,,Constanze“ und ,,Wildvögel und Vogelgrippe“ die 2006 diffus im Raum stehenden Bedenken bestätigt: Unser Hausgeflügel unter Quarantäne zu stellen, ist sinnlos, da Wildvögel und Hausvögel keinen Umgang mit einander pflegen (Medieninformationen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Bundesamt für Veterinärwesen, Bern, 12. Juni 2008: ,,Zwischen wildlebenden Enten und gehaltenen Hühnern, Enten und anderem Hausgeflügel gibt es kaum direkte Kontakte. Dies ist eines der Resultate, welche Forschende an der Tagung ,Die Vogelgrippe – Wissen ist der beste Schutz’ am 12. und 13. Juni in Bregenz präsentierten. Insgesamt über 80 Forschende aus Deutschland, Österreich und der Schweiz der beiden Forschungsprogramme ,Constanze’ und ,Wildvögel und Vogelgrippe’ (WuV) diskutierten die neuesten Erkenntnisse zur Vogelgrippe.“; zu COPD siehe u. a. www.lung.ch/de/ krankheiten/copd. html, 16.2.2011. Auch heutige Quarantänemaßnahmen können somit der pragmatischen Seite des Experimentierens zugeordnet werden, zugleich dem übersinnlichen Feld von Ersatzhandlungen, um auf die Psyche der Bevölkerung einzuwirken und sie in vermeintlicher Sicherheit zu wiegen, indem ihr angebliche Kontrolle über den H5N1-Virus suggeriert wird. Es handelt sich bei der Varietät an Maßnahmen um kulturell bedingte Codes, die mehr über die verschiedenen Regierungen und die zu beruhigenden Bevölkerungen aussagen als über die Vögel und ihre Grippe.

5. Moderne Angebote der Verortung Sie (die Religion) steht einmal allen Inhalten unsrer Existenz gegenüber, ist das Gegenstück und Äquivalent des Lebens überhaupt, unberührbar seinen säkularen Bewegungen und Interessen; und ein andermal nimmt sie doch wieder Partei unter den Parteien dieses Lebens, über das sie sich prinzipiell erhoben hatte, wird ein Element neben all seinen andern Elementen, verflicht sich in Vielheit und Wechsel von Beziehungen innerhalb seiner, die sie soeben noch abgelehnt hatte. So tritt hier diese merkwürdige Verschlingung ein: die Abweisung aller soziologischen Bindung, wie sie sich in der tieferen Religiosität findet, ermöglicht dem Individuum die Berührung seines religiösen Interessenkreises mit allen möglichen andern Kreisen, deren Mitglieder jene sonstigen Gemeinsamkeitsinhalte nicht mit ihm teilen; und die so entstehenden Kreuzungen dienen wiederum zur soziologischen Heraushebung und Determinierung der Individuen wie der religiösen Gruppen.1

Imaginationen, Sinnkonstruktionen und Vorstellungswelten zogen die Menschen in bestimmte Städte; vor Ort stand die Aushandlung des Konkreten an. Dieses Konkrete drehte sich um die Sicherung der Existenz, die Bewältigung des Alltags und die Durchsetzung, religiös-traditionelle Präsenz im öffentlichen Raum zeigen zu dürfen: Das Recht auf Gotteshäuser, Gottesacker, Prozessionen und unterscheidende Kleidung versuchten Diasporagruppen in der Regel in der Fremde zu gewinnen. Das Einheit stiftende Prinzip aller Formen von lebensgestaltender Praxis ist der ,,Habitus“, der die verschiedenen Eigenschaften und Praktiken systematisiert, mit denen sich Einzelne und Gruppen sinnstiftend und -bestimmend organisieren. In diesem Kontext ist auf die Konkurrenz um die religiöse Herrschaft hinzuweisen, die deshalb so bedeutsam ist, weil es um das Monopol der Macht geht, dauerhaft und tief greifend Einfluss auf die lebensgestaltende Praxis und die Weltsicht zu nehmen, indem der Bevölkerung ein religiöser bzw. gruppenkonformer Habitus aufgezwungen und eingeprägt wird. Die religiösen Institutionen stehen ebenfalls in diesem Wettstreit, in dem sie durch Gründung der Institution für ihre Botschaft Dauerhaftigkeit zu erlangen versuchen. Aus Prophetien und religiösen Imaginationen werden lebensgestaltende und -bestimmende Institutionen.2 Um dieses Machtmonopol zu sichern, drängen religiöse Autoritäten auf eine Ritualisierung religiöser Praxis und Vereinnahmung magischer Vorstellungen, auf ein ,,einheitliches und vereinheitlichendes Handeln“, einen religiös begründeten normativen Habitus.3 Die anthropologischen Deutungsmuster religiöser Erfahrungen und Handlungen, wie beispielsweise kryptoreligiöses Verhalten in der industriellen Welt, die Verbindung von Raum und Hierophanie, die Konstituierung von 1 2 3

Simmel: Soziologie, S. 481f. Bourdieu: Das religiöse Feld, S. 23f. Bourdieu: Das religiöse Feld, S. 36f.

256

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

Heiligen Orten und die Eroberung von Räumen und die Abwehr von Chaos durch religiöse Handlungen, bilden natürlich einen Pfeiler der Interpretation menschlichen religiösen Handelns. So lässt sich religiöses Verhalten nicht auf Institutionen, Gesetze, Regeln, äußere Einflüsse und Traditionen reduzieren. Das Zusammenspiel von Mensch und Lebenswelt gestaltet die Form. Das religiöse Interesse ist insbesondere bei Unterschichten durch ein magisches Interesse und das Bedürfnis nach einer Botschaft, die dem Leben einen alles umspannenden Sinn gibt, geprägt. Sowohl für die einfache Bevölkerung als auch für privilegiertere soziale Schichten ist es wichtig – im ersten Fall, um eine Akzeptanz der Gegebenheiten zu gewährleisten, im zweiten, um den status quo zu legitimieren und zu schützen –, eine Erklärung und Rechtfertigung für die Existenz und die soziale Position anzubieten, eine durchgehende Sicht der Welt, wie auch Orientierungshilfen und klare Weisungen für die alltägliche Lebensführung.4 Im Raum dieser Bedürfnisse und der von der Prophetie und den religiösen Institutionen zur Verfügung gestellten Angebote gestalten sich der religiöse Habitus und die in seinem Rahmen möglichen Handlungsformen in Interaktion.5 Markante Merkmale des diasporischen Habitus – nicht nur in diesem eng verflochtenen Raum des Synkretismus, der Vermischung verschiedener religiöser Ideen und Vorstellungswelten zu einem neuen Weltbild bzw. imaginativen Erklärungsmodell allen Seins – sind Angleichungsstrategien. Eine dieser Strategien ist beispielsweise die Assimilation des Namens an den sprachlichen Usus der dominanten Bevölkerungsgruppe. Diese Anpassung kann so weit gehen, dass der eigene Name vollends aufgegeben und durch einen neuen ersetzt wird; oder es kann sich um nur eine teilweise Angleichung handeln, die entweder phonetisch angepasst wird (etwa durch den Suffix –ić, so wird Ibrahim zu Ibrahimović, ein Vorname zu einem Nachnamen umgestaltet) oder durch die Wahl der Schrift. Diese Akkulturation konnte freiwillig erfolgen, es konnte sich aber auch um einen obrigkeitlich erzwungenen Habitus diasporischer Bevölkerungsgruppen handeln. Historiographisch wesentlich ist hier der Umstand, dass die Unterscheidung von religiös-kulturellen Gruppen, ihre ethnische oder geographische Herkunft oft nicht mehr zuverlässig – oder auch gar nicht mehr – bestimmt werden kann. Die Fremden werden durch die Neigung zu Akkulturation zunehmend unsichtbar und verlieren ihre dezidiert diasporische Präsenz im öffentlichen Raum – wie auch ihre Geschichte. Eine dezidierte Wahl der Sichtbarkeit, der manifestierten Präsenz im öffentlichen Raum äußerte sich im Mäzenatentum. Freigebige Gönner waren durch große Gesten nicht nur öffentlich sichtbar, sondern nutzten so die oft vom wirtschaftlichen Status abhängige Möglichkeit eines sozialen Aufstiegs. Indem die Obrigkeiten Geschenke an die Gesellschaft gebührend würdigten, 4 5

Bourdieu: Das religiöse Feld, S. 19f. Das religiöse Feld muss in seiner Gestalt stets den Ansprüchen der Laien Opfer bringen. Bourdieu: Das religiöse Feld, S. 57.

5. Moderne Angebote der Verortung

257

wurden sie gleichsam Teil der positiven Sichtbarkeit und des öffentlichen Glanzes. Zugleich förderten sie mit dieser Würdigung die Freigebigkeit. Die Beziehungen zwischen weltlichen und religiösen Vorstellungen der Lebenswelten, die sich zu etablieren vermögen, gestalten sich als besonders eng verknüpft und abhängig.6 Ein System von Praktiken und Glaubensinhalten ist immer dann dazu bestimmt, ,,Magie“ abzulehnen oder als eine minderwertige, nicht zulässige Religion anzusehen, wenn es eine beherrschte Stellung innerhalb der Struktur der symbolischen Kräfteverhältnisse einnimmt.7 Das religiöse Feld hat eine wichtige externe Funktion bei der Legitimation der etablierten Ordnung, da die symbolische und politische Ordnung direkt in einander greifen und die eine den Boden für die andere bereitet. Besonders religiöse Institutionen wirken an dieser Legitimation der Ordnung mit. So erfüllt die Zusammenführung der Ordnungen – beispielsweise, dass jede Art Hierarchien, weltlicher oder kirchlicher Art nur ein Abbild der von Gott eingerichteten unverrückbaren Ordnung sei – auch Funktionen zur Wahrung politischer Ordnung, was aber Konflikte zwischen politischer und religiöser Macht nicht ausschließt. Mit solchen Krisen geht die Beobachtung einher, dass zum Beispiel Messias-Figuren in Krisenzeiten auftauchten (die Menschen sich politisch-wirtschaftlichen Wandel wünschten und diesen forcierten, indem sie sich religiös neu orientierten) und messianische Hoffnungen schwanden, sobald die Krise überwunden war.8 Die neue Zeit der Machtverhältnisse seit Beginn des 19. Jahrhunderts brachte eine neue Frage der Verortung auf und mit ihr eine neue Präsenzkategorie: die Staatsbürgerschaft. Obwohl der wohlhabende Belgrader Bürger Davičo sefardischer Herkunft war, hatte er einen österreichischen Pass, was ihm Vorteile im nun wichtigen Handel in Richtung Wien brachte. Der Pascha von Belgrad als Repräsentant der alten Ordnung soll ihn an die alte Logik der Zugehörigkeit gemahnt haben: Da sein Vater kein deutscher Untertan gewesen sei, sondern raya des Sultans, müsse auch er ein Untertan des Sultans sein.9 Im öffentlichen Raum der doppelt konstituierten Stadt Belgrad entschieden zwei sich überlappende Prinzipien – das neue der Staatsbürgerschaft und das alte der Religionsgemeinschaft – über den Platz seiner Bewohner im öffentlichen Raum. Die zünftische Ordnung der esnafi behielt im untersuchten Zeitraum ihre Gültigkeit, die Berufskooperationen waren zu einem großen Teil ethnisch-religiös gegliedert.10 Berufe waren nach dem alten Gliederungssystem mit religiösen Zuweisungen verknüpft. ,,Türkische“ Berufe, wie zum Beispiel Hufschmied, Gerber, Sattler, Kesselflicker, Barbier und Pantoffelmacher waren örtlich 6 7 8 9 10

Bourdieu: Das religiöse Feld, S. 21. Bourdieu: Das religiöse Feld, S. 65f. Bourdieu: Das religiöse Feld, S. 96f., S. 158f. Ðorđević: Iz Srbije Kneza Miloša, 158. Zum System der Esnafi im 19. Jahrhundert grundlegend: Vučo: Raspadanje esnafa.

258

III. Das Spiel mit der Sichtbarkeit. Präsenz, Aktion und Interaktion

im ,,türkischen“ Viertel konzentriert, selbst wenn sie auch von Juden oder Roma ausgeführt wurden.11 Belgrad wollte sich in den 1830er Jahren explizit für Spezialisten aller möglichen Berufe öffnen.12 Das moderne Prinzip der Staatsbürgerschaft entschied zugleich zunehmend über die eigene Position im Raum. Wirtschaftliche Freiheiten und freie Wohnsitznahme waren die wichtigsten Möglichkeiten, die mit der neuen Zugehörigkeitskategorie der serbischen Staatsbürgerschaft verbunden waren. So bemühten sich jene, die nicht aufgrund ihrer serbischen Herkunft und ihres christlich-orthodoxen Glaubens automatisch in den neuen autonomen Staat eingebunden wurden, um einen entsprechenden Pass.13 Die Herausbildung des Handelsnetzes durch die Kolonien in den verschiedenen Zentren des Warenumschlags und der Produktion führte nicht nur zu einer den jeweiligen nach Konfessionszugehörigkeit und Herkunft strukturierten Kolonien entsprechenden Praxis und Loyalität untereinander, sondern wohl auch zur Bildung einer Mentalität, die auf der beruflichen Praxis fußte.14 Neben religiös definierter Zugehörigkeit bestimmten Kultur, Wirtschaftstätigkeit und neu die Staatsbürgerschaft den Habitus der einzelnen Bevölkerungsgruppen und Individuen wesentlich mit, typisch für diesen Raum der elastischen Grenzen, die sich gelegentlich nicht nur verschoben, sondern gar überlagerten, wie wir im Falle Belgrads gesehen haben, wo der serbische Fürst und der osmanische Sultan sich – wenn auch für kurze Zeit – die Stadt, die Bevölkerung und die Zuständigkeiten teilten. Die Erfahrung der Fremde, die Konfrontation mit dem Fremden beeinflusste den diasporischen Habitus insbesondere im Spiel mit der Sichtbarkeit. Zu bestimmten Zeiten war an bestimmten Orten eher eine Unsichtbarkeit bestimmter Diasporagruppen angezeigt, zu anderen Zeiten und an anderen Orten wagten sie sich vor, um den Grad der möglichen Sichtbarkeit und Präsenz in der Öffentlichkeit auszutesten. Die politisch-rechtlichen Formen – in Kongruenz mit den Befindlichkeiten und Meinungen bestimmender Bevölkerungsgruppen, die in Bitt- und Beschwerdebriefen an die Obrigkeiten deutlich werden – entschieden über Akzeptanz, Ausgrenzung, Integration und Solidaritäten und bestimmten somit die Präsenz, Aktion und Interaktion verschiedener Bevölkerungsgruppen im öffentlichen Raum erheblich mit. Die Faktoren des diasporischen Habitus wandelten sich vor allem durch die Angebote der Moderne, die religiös definierte Zugehörigkeiten mit ihren Emblemen mehr und mehr durch ,,nationale“ verdrängten.

11 12 13 14

Ðorđević: Iz Srbije Kneza Miloša, S. 154. IAB, UGB, 1838, K.2, 276 vom 29.4.1838, gedruckt in: Prpa: Istoričeski Arhiv Beograda, S. 178; Ðorđević: Iz Srbije Kneza Miloša, S. 188f. AS, ZMP, 1327. 20.3.1822. Čubrilović: Istorija Beograda, S. 365f. So fand sich im Belgrader “Einzugsgebiet” eine Anzahl von kleineren Städten, die von der ökonomischen Entwicklung profitierten und eingebunden wurden (z. B. Valjevo, Šabac, Mitrovica oder Zvornik).

IV. Formen der Abgrenzung und ihre Funktion: Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel von Luise Müller

1. Cádiz und Lissabon Die maritime Quarantäne gehörte auch noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu den ,,normalen“ Erfahrungen der Seereise für Besatzungen, Passagiere oder Kaufleute, die ihre Waren auf Schiffen, den nach wie vor schnellsten Verkehrsmitteln der Zeit, transportierten. Wenn ein Schiff einen südeuropäischen Hafen anlief, wurde es vor allen anderen Grenzadministrationen von Sanitätsbeamten besucht, die die Papiere prüften, sich über Herkunft und Ereignisse auf der Fahrt erkundigten und auf dieser Grundlage über den zu vermutenden Gefährlichkeitsgrad des Schiffes, seiner Insassen und transportierten Objekte entschieden. Auf Grundlage dieser Einschätzungen wurde in Verbindung mit mannigfaltigen Informationen über den Gesundheitszustand der Herkunftshäfen, sodann über die abzuleistende Quarantäne, deren Grad und Dauer entschieden. Der Seucheneinschleppung verdächtige Personen kamen zu Land oder auf dem Schiff in Isolation. Sie wurden in ihrer Bewegung aufgehalten, konnten ihr Ziel nicht betreten und ihren Geschäften nicht nachgehen. Stattdessen verharrten sie gezwungenermaßen ein- und weggesperrt in beengten bis prekären Bedingungen und waren, zumindest theoretisch, der zwanghaften, filternden Kontrollmacht der Quarantänebehörden ausgesetzt.1 Dem kontrollierend ordnenden, verzögernden oder gar abweisenden Zugriff der maritimen Quarantäneinstitutionen lag die Vorstellung zugrunde, dass die gefürchteten Seuchen aus fremden Bereichen eingeschleppt wurden. Man hatte keine schuldhafte Beziehung zur hereinbrechenden Epidemie, die Seuche war grundsätzlich fremd. Damit einhergehend existierte meist – zumindest in der kollektiven Vorstellung – ein mit der inneren oder äußeren ,,Fremde“ in Verbindung stehender Verursacher. Ins Irrationale übersteigert konnte diesen Personen die mutwillig und künstlich erzeugte Seuche, die 1

Dieser Beitrag basiert in großen Teilen auf meiner Dissertation ,,Die Bedrohung kommt übers Meer. Maritime Quarantäne und der konstituierende Verdacht in Lissabon und Cádiz zu Beginn des 19. Jahrhunderts“, die voraussichtlich 2011 erscheinen wird und im Rahmen der SNF-Förderungsprofessur ,,Entgrenztes Europa: Diasporagruppen als transkulturelle und gebietsübergreifende Verbindungselemente, 1492–1918“ entstand. Zu Beginn meiner Auseinandersetzung inspirierte mich auch der öffentliche Habilitationsvortrag ,,Die Gefahr aus der Ferne: Quarantäne als Schutz und Abgrenzung in mediterranen Hafenstädten“ von Desanka Schwara im Jahre 2006 in Basel (siehe Teil 3, Kapitel ,,Kontrollierte und begrenzte Interaktion: Krankheit, Schutz und Angst“ in diesem Buch). Michel Foucault verweist in ,,Überwachen und Strafen“ auf die Disziplinierungsgewalt über und auf den Körper auf die absolute Disziplinierung und Kategorisierung, die die verpestete Stadt ermöglicht. Zugleich streicht er die ordnende Rolle des Hafenspitals heraus. ,,Das Hafenspital muss darum nicht nur heilen, sondern auch filtern, festsetzen und ausgliedern. Es muss dieser beweglichen und wimmelnden Masse Herr werden, indem es das Durcheinander von Gesetzwidrigkeit und Krankheit entwirrt.“ Foucault: Überwachen und Strafen, insb. S. 184f, 267.

262

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

pestis manufacta, zugeschrieben werden.2 Gingen die Vertreter der Hafenbehörden mit den Menschen aus aller Herren Länder, die die großen Häfen bevölkerten und ihre Einzigartigkeit formten, anders um? Erfuhren diese eine andere Behandlung als der eigenen Gruppe zugeordnete Reisende? Legten Reglemente und Ordnungen, die die Quarantäne strukturierten, ihnen gegenüber einen distinkten Grundverdacht an den Tag? Erlebten die sich im Raum und auf dem Meer bewegenden Diasporamitglieder eine andere alltägliche sanitäre Praxis als die einheimische Bevölkerung, erfuhren sie Benachteiligung? Wie war ihre Reaktion auf das erzwungene Verharren in der prophylaktischen Isolierung? Unterschied sie sich von den Verhaltensmustern der einheimischen Ankommenden? Lässt sich ein Unterschied im Umgang mit fremder Krankheit und Tod im städtischen und maritimen Kontext bestimmen, der auf eine mögliche entscheidende Komponente der Bewegung und Beweglichkeit verweist? Lissabon und Cádiz implementierten das vollständige System der maritimen Quarantäne erst vergleichsweise spät, übernahmen jedoch seine für ganz Europa nach wie vor gültigen klassischen Strukturen und Vorannahmen.3 Gerade ihr ,,Nachzüglertum“ bietet die Gelegenheit, die Strukturen 2

3

Siehe Teil 3, Kapitel ,,Kontrollierte und begrenzte Interaktion: Krankheit, Schutz und Angst“ in diesem Buch. František Graus führt in seiner grundlegenden Untersuchung zur ,,Krise des Spätmittelalters“ die Katalysatorwirkung der ersten Pestwelle 1347–1352 auf die mit diesen nur im losen Zusammenhang stehenden Judenpogrome vor. Die Szenarien für diese Pogrome waren schon lang zuvor gelegt, die Juden als schuldhafte Verursacher vorgesehen. Graus: Pest – Geissler – Judenmorde. Weiteres prominentes Beispiel für eine solche hysterische Seuchensündenbocksuche sind die Brunnenvergifter oder Pestschmierer, die untori, die beispielsweise bei der Pestepidemie 1630 in Mailand verfolgt wurden. Canosa: Tempo di peste; Nicolini: Peste e untori. Beide Länder setzten ab dem 14./15. Jahrhundert lokal verankerte provisorische und/oder punktuelle Quarantänestrukturen ein. Erst im 18. Jahrhundert, im Angesicht des Pestausbruchs von Marseille 1720 und im Rahmen der absolutistischen Reformen, veränderte sich der staatliche Fokus hin zu einer langfristigen, koordinierten mit dauerhaften Institutionen und Reglementen bestückten zentralistischen Sanitätsabwehrstruktur. Bis dahin hatten Spanien und Portugal ihre sanitäre Abwehr aus wirtschaftlichen und politischen Interessen bevorzugt in fremde Häfen mit elaborierten Quarantänestrukturen ausgelagert – auch wenn die Systematisierung der Seuchenabwehr in Lissabon bereits Ende des 17. Jahrhunderts angegangen wurde. Dieses Nachhinken kann zum einen mit der entscheidenden Rolle der Kirche im Bereich der Gesundheits- und Sanitätspolitik in beiden Ländern zusammengebracht werden, die den Staat von vielen Aufgaben entband. Zugleich ist die beginnende Sanitätsfokussierung im 18. Jahrhundert als Teil des absolutistischen Projekts einer Nationalwerdung zu sehen. Ein Stück weit sind die vielen nicht in die Tat umgesetzten ehrgeizigen Pläne des 18. Jahrhunderts durch missliche äußere Umstände zu erklären – die Fertigstellung des schmutzigen Lazaretts auf Menorca verzögerte sich auch deshalb massiv, weil die Insel unter fremder Besatzung stand. Dass die Etablierung beständiger Seuchenabwehrstrukturen und die iberischen Krisenjahre zu Beginn des 19. Jahrhunderts zusammenfallen, lässt darüber hinaus vermuten, dass eben gerade gegen die profunde wirtschaftliche und politische Krise eine ausgefeilte Sanitätsstruktur gestellt werden sollte. Die staatliche Fürsorgeverantwortung für die Gesundheit der Be-

1. Cádiz und Lissabon

263

wie Praktiken ohne zeitlich bedingte Verschleifungen zu betrachten. Ihre Lage auf der Iberischen Halbinsel, abseits des mediterranen Geburtsmeers der Quarantäneinstitution und doch eng mit diesem durch mannigfaltige Kontakte verbunden, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Nordafrika, ermöglicht es, Grundsätzlichkeiten wie mögliche regionale Besonderheiten heraus zu filtern. Zugleich waren beide Orte grundlegend auf Handel und Bewegung in ihrem Hafen angewiesen, mussten einen Mittelweg zwischen Handelsunterstützung und Seuchenabwehr finden. Beide Hafenstädte liegen nicht im engen geographischen Sinn am Mittelmeer, sondern öffnen Europa gen Atlantik, dem großen Bruder des Binnenmeers. Beide Städte waren jedoch durch Handelsrouten und menschliche Kontakte, Reisende und Kommunikation aufs engste mit dem Mittelmeerraum verbunden. Diese beiden iberischen Hafenstädte stellten in der Neuzeit neuralgische Knotenpunkte dar; sie waren die europäischen Einfallstore für die begehrten Güter aus den amerikanischen Kolonien. Zugleich verbanden sie die großen Seerouten des Mittelmeers, Atlantiks, der ,,Übersee“ und des afrikanischen Kontinents. Ihre große Zeit war – nach einer ersten Hochphase direkt nach der Entdeckung der Amerikas – in beiden Fällen das 18. Jahrhundert. Eine starke Orientierung in Richtung Meer, eine bunte kosmopolitische Einwohnerschaft aus allen Ecken der Welt und die damit verbundene große Offenheit und Toleranz gegenüber Fremden prägten die Gesichter beider Städte. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren die rosigen Zeiten beendet. Beide Städte mussten sich in mannigfaltigen Krisen behaupten und gegen den drohenden Bedeutungsverlust ankämpfen. Durch die Loslösung der amerikanischen Kolonien, napoleonische Fremdbesatzung, Seucheneinfälle, innenpolitisch und wirtschaftlich desaströse, verwirrende Zustände mussten beide Städte um ihre Position kämpfen. Dies gelang ihnen unterschiedlich gut. Zugleich verlor das Mittelmeer an Bedeutung, die wichtigen Routen und Handelskontakte verlagerten sich in die großen Ozeane, allen voran in den Atlantik und den Pazifik. Damit lagen die neuen neuralgischen Hafenstädte in Europa nördlich der Iberischen Halbinsel. Großbritannien besaß die maritime wie kommerzielle Hegemonie über den Atlantik.4

4

völkerung setzte sich erst spät durch und war mit kapitalistischen Ansätzen verknüpft. Crespo: História do corpo, S. 22, 163. Außerdem sieht Jorge Crespo einen Teil der Erklärung für die späte vollständige Implementierung im kollektiven Fatalismus gegenüber der Seuchenbedrohung, der erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts allmählich überwunden wurde. Ebd., S. 146. Weiter: Bebiano: Porto de Lisboa; Corrales: Proyección mediterránea; Corrales: Lazzaretti marittimi in Spagna; Lemos: História; Nadal: Estructuras; Néu: Torre de Belém, S. 192–222; Ocaña: Resguardo; Tolós: Ciencia, sociedad y planificación territorial; Viñes: La sanidad española. Butel: The Atlantic, S. 258. Zugleich hatte sich ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts auch das Warenvolumen, das über diesen Ozean transportiert wurde, deutlich vergrößert, was wiederum auf die herausragende Position dieses Gewässers hindeutet. Auch verschoben

264

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

1.1 Lissabon Lissabon war das Herz Portugals; nicht nur politische Hauptstadt, sondern darüber hinaus der Ort, an dem die wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Fäden des Landes zusammenliefen. Die Stadt war geprägt durch die portugiesischen überseeischen Kolonien und den damit verbundenen Handel, schöpfte aus diesem ihre Bedeutung und ihren Reichtum. Aufgrund ihrer unschlagbaren strategischen Lage am südlichen Ende der europäischen Westküste war Lissabon Knotenpunkt für mehr oder minder alle Handelswege Richtung Nordeuropa, Mittelmeer, Afrika und den amerikanischen wie den asiatischen Kontinent. Wenn die Reise die Stadt nicht als Ausgangs- oder Zielort hatte, war sie doch beinahe unerlässlich als Zwischenstopp, während dem Vorräte aufgefüllt, Reparaturen durchgeführt, Informationen ausgetauscht und Handel getrieben wurde. Die Stadt lag, wie es ein Zeitgenosse treffend beschrieb, im Zentrum des maritimen Europa.5 Die Weiterverteilung der ,,exotischen“ Waren aus den außereuropäischen Gebieten lief über diese Drehscheibe. Deshalb blieb die portugiesische Metropole auch nach dem allmählichen Verlust der portugiesischen Hoheit über die Seewege und Handelsrouten an die Nordeuropäer, allen voran an die Briten, ab dem 17. Jahrhundert weiterhin ein wichtiger Hafen. Der über diesen Hafen laufende Seehandel setzte sich aus drei Bereichen zusammen. Zum einen wurde ein Großteil des inländischen Handels über Lissabon abgewickelt, die Stadt diente als Marktplatz, als Produktionszentrum und als Zwischenlager. Daneben war Lissabon durch intereuropäischen Handel mit dem Rest des europäischen Kontinentes eng verbunden. Den dritten Teil des über Lissabon laufenden Handels und sein so genanntes Kronjuwel machten Afrika, Asien und für den gesamten Verlauf des 18. Jahrhunderts zu einem überwiegenden Teil Brasilien aus. Lissabon empfing fast den gesamten portugiesischen Handel mit Brasilien und Asien in seinem Hafen, für die anderen portugiesischen Häfen fiel nicht viel ab.6 Die Entdeckung des brasilianischen Goldes Anfang des 18. Jahrhunderts bescherte ihr nach dem Einbruch des Gewürzmarktes den Wiederaufstieg unter die bedeutsamen Metropolen und Hafenstädte Europas – zu dieser Zeit nur übertroffen von London und Amsterdam.7

5 6 7

sich die neuralgischen Hafenpunkte auf der europäischen Seite, Liverpool, London, Le Havre und Hamburg schoben sich vor Cádiz, Amsterdam oder Bordeaux, die einen mehr oder minder starken Niedergang erlebten. Ebd., 213f. Die Öffnung der brasilianischen Häfen für die Briten 1807 und die Unabhängigkeit Brasiliens 1822 beendeten den maritimen Gewinn Portugals und beförderten das Land an den Rand der Geschäfte. C.F. Duperrier – Dumuriez: Etat Présent du Royaume de Portugal en L’Année MDCCLXVI. Lausanne 1775, S. 33. Nach: Fisher: Lisbon as a Port Town, S. 15. Fisher: Lisbon, its English Merchant Community, S. 24. Fisher: Lisbon as a Port Town, S. 15.

1. Cádiz und Lissabon

265

Auf der anderen Seite konnte Portugal die Versorgung des Landes mit Getreide nicht gewährleisten und war auf Importe angewiesen. Le ,,blé de la mer“, das ,,Mehl des Meeres“, das hier auch verschiedene Getreidesorten mit einschließt, kam im 18. und 19. Jahrhundert vor allem aus dem Maghreb, Griechenland und dem Schwarzmeerraum, aber auch aus Sizilien, Nordeuropa und Nordamerika.8 Dieses Grundnahrungsmittel machte einen der wesentlichen Importzweige aus; Getreideschiffe entluden vor allem in Lissabon. Der im Folgenden näher betrachtete Zeitraum zu Beginn des 19. Jahrhunderts zeichnete sich für die Stadt – sozusagen als verdichteter Brennpunkt der allgemeinen portugiesischen Zustände – durch Bedeutungsverlust und eine allgemeine Krise aus.9 Sie war nicht immer der Ausgangspunkt gesellschaftlicher Eruptionen – der liberale Aufstand von 1820 begann in Porto –, im weiteren Verlauf der Ereignisse aber wichtiger Austragungsort und umkämpft, da symbolisch aufgeladen. Diese schwierige Situation ließ das Wachstum Lissabons stagnieren, nahm der Stadt jedoch nicht ihre schillernde kosmopolitische Einfärbung.10 Die Stadt durchlebte die portugiesische Krise, zog dennoch nach wie vor Menschen aus verschiedenen Himmelsrichtungen an, hielt sie und wurde von diesen geprägt.

1.2 Cádiz Die andalusische Stadt ist in der Geographie Spaniens wie eine Insel angesiedelt.11 Sie ragt auf felsigem Untergrund am Ende einer schmalen Halbinsel ins Meer hinein und kann auf keinerlei landwirtschaftliche Ressourcen oder Bodenschätze zurückgreifen. Selbst Wasser ist ein knappes Gut. Deshalb war Handel für Cádiz fast die einzige Möglichkeit, um zu florierender Größe zu gelangen.12 Die Stadt verschrieb sich diesem Treiben in den neuzeitlichen Jahrhunderten nahezu vollständig. Cádiz lebte im Rhythmus der Schiffspassagen und war durch den Seehandel geformt.13 8

9 10 11 12 13

Godinho: Prix et Monnaies, S. 8. Die Bezeichnung Maghreb wird aus Gründen der lesbaren Abwechslung synonym mit Nordafrika gebraucht. Dabei ist aber deutlich bewusst, dass Maghreb, der ,,Westen“ die Eigenbezeichnung dieses Gebietes, eine deutlich konträre Konnotation zu ,,Nordafrika“ hat, die als Fremdbezeichnung von den Franzosen während der Kolonialzeit geprägt wurde. Herzog: Der Maghreb, S. 7. Vor allem die Periode von 1810–1820 kann für Portugal als britisches Protektorat und zugleich brasilianische Kolonie beschrieben werden. Marques: Histoire du Portugal, S. 309. Couto: Histoire de Lisbonne, S. 219. Solís: El Cádiz de las Cortes, S. 23. F.M. Herrera: Regals del comercio lícito. Madrid 1735. Nach: Carrasco González: Comerciantes, S. 13. Garcia-Baquero: Cádiz y el Atlantico, S. 265. Dabei konzentrierte sich die Stadt vor allem auf den Seehandel, denn die terrestrischen Verbindungen waren auch bis ins 19. Jahrhundert hinein eher mangelhaft. Weiter: Ruiz Rivera u. a.: Cargadores a Indias.

266

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

Die spanische Hafenstadt war bereits vor der Entdeckung der Amerikas durch ihre Lage im Fadenkreuz der Mittelmeer-Atlantik-Routen, durch die Nähe zur Meerenge von Gibraltar, wie auch der Europa-Afrika-Verbindungslinien, wichtiger Transithafen.14 Cádiz funktionierte analog zu Lissabon als Dreh- und Verbindungsglied der unterschiedlichen Routen und Warenströme. Nach Aufnahme der Handelsrouten mit den spanischen Kolonien konkurrierten Sevilla und Cádiz um das Handelsmonopol mit den beiden Amerikas. Zuerst entschied Sevilla das Rennen für sich, während Cádiz den Handel mit Europa, Nordafrika und Indien zugesprochen bekam. Die Verlagerung der Casa de Contratación de Indias, der Behörde für die Handels-, Auswanderungs- und weiteren Belange der spanischen Kolonien, und damit verbunden des Handelsmonopols mit den spanischen Amerikakolonien 1717 nach Cádiz, markierte den Beginn des goldenen Jahrhunderts der Stadt. Sie stieg zur fünftgrößten Stadt Spaniens auf. Der Verlust eben dieses Monopols 1788 läutete denn auch den allmählichen Niedergang der Stadt ein. Die sich ab 1800 intensivierenden Krisenmomente und -zeiten – durch Blockaden, Belagerung durch die napoleonischen Truppen, allmähliche Verluste der spanischen Kolonien und verheerende Gelbfieberepidemien – ließen den Glanz und die Anziehungskraft der Stadt schwinden.15 Cádiz war zum Opfer der Modernisierung geworden, sie war abhängig vom klassischen Kolonial- und Zwischenhandel, der zu großen Teilen wegbrach.16 1820 hatte Cádiz ein Drittel seiner Einwohner und den größten Teil des Atlantikhandels verloren.17 Das Bild einer Geisterstadt mag übertrieben sein. Von einer kosmopolitischen Weltstadt war sie jedoch auf den Stand einer Provinzstadt zurückgefallen. Dabei hatten auch viele Ausländer Cádiz verlassen – teils von Konkursen begleitet und damit ihrer Handelsgrundlage beraubt. Am Bedeutungsverlust und der Abwanderung konnte auch die Einrichtung eines Freihafens 1829 nichts mehr ändern. Bis zu diesem Fall aus den Höhen des Olymp war Cádiz eine extrem vom Handel bestimmte und definierte Stadt, die sich zum Teil aus den traditionellen südspanischen Gesellschaftsmustern herausgelöst hatte. Die Stadt war durch einen zumeist sehr toleranten Umgang mit Religionszugehörigkeiten geprägt.18 Sie war – ebenso wie Lissabon – durch eine große Anzahl von Frem-

14 15 16 17 18

Molina Martinez: De propios y extraño, S. 37. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die erste spanische Verfassung der Cortes de Cádiz 1812 in der belagerten Stadt verabschiedet und erschaffen wurde. Ringrose: Spain, S. 127, 139. Ringrose: Spain, S. 302. Manuel Bustos Rodriguez macht dies in seiner Lokaluntersuchung deutlich, ebenso wie er auf die vergleichsweise wichtigere soziale Zugehörigkeit als Distinktionsmerkmal verweist. Bustos Rodriguez: Cádiz en el sistema altántico, vor allem S. 542.

1. Cádiz und Lissabon

267

den bestimmt, die insbesondere im Handel tätig waren und über erheblichen Einfluss auf die Entscheidungen der Stadt verfügen konnten.19

1.3 Ständige Begleiter: Seuchen und der konstitutive Verdacht Das System der Quarantäne baut grundsätzlich auf Verdacht auf, ohne diesen hat es keine Existenzberechtigung, keine Notwendigkeit für seine Errichtung oder seinen Erhalt. Zugleich ist Verdacht der Abgrenzung grundsätzlich innewohnend. Wenn die Abgrenzungs- und damit Verdachtsmechanismen, die Behandlung und Wahrnehmung von Kollektiven innerhalb der maritimen Quarantäne untersucht werden sollen, ist eine vorherige Ein- und Verortung dieser zentralen Begrifflichkeiten im Kontext der Seuchen notwendig. 1.3.1 Der Charakter der Seuche Seuchen sind – wie Krankheiten im Allgemeinen, jedoch mit weitaus größerer Durchschlagskraft und Chaospotential – durch die Zeiten hindurch stete Begleiter jeder größeren menschlichen Gemeinschaft gewesen, die sie unerwartet und doch regelmäßig heimsuchten. Sie sind mehr als nur die Nachtseiten des Lebens, sie sind dessen Alpträume.20 Seuchen können als die ,,wahrhaften“ globalen und zeitlosen Akteure bezeichnet werden, da sie für ihre räumliche wie zeitliche Verbreitung, ihr Weiterbestehen oder Wiederauftauchen nicht mehr benötigen als Mobilität bzw. Kommunikation und menschliche ,,Ballung“. Zugleich ist die unmittelbare und grundlegende Bedrohlichkeit eines ihrer Hauptcharakteristika. Sie waren und sind imstande, große Teile einer Bevölkerung ohne Vorwarnung sterben zu lassen. Für den Siegeszug des Schwarzen Todes 1347–1352 wird geschätzt, dass ihm ein Drittel der europäischen Bevölkerung zum Opfer fiel.21 Die gesellschaftlichen Auswirkungen und Bedrohungspotentiale einer Epidemie sind beträchtlich: Seuchen haben Katastrophenpotential.22 Deshalb ist 19 20 21

22

Der Anteil der ,,Fremden“ stieg im Verlauf des 18. Jahrhundert von 10 auf circa 20 % an. Danach sank die Zahl durch Wegzug erheblich. Manz: Fremde und Gemeinwohl, S. 43. Susan Sontag vergleicht Krankheit mit der Nachtseite des Lebens. Sontag: Krankheit als Metapher, S. 5. Wilderotter: Alle dachten, S.14; Sousa: Condicionamentos básicos, S. 341; Bulst: Der schwarze Tod. Andere sprechen von einem Viertel der europäischen Bevölkerung, die der Pest erlag. So z. B. Winkle: Geisseln der Menschheit, S. 448; Hildesheimer: Fléaux et société, S. 143. ,,Katastrophale Qualität gewinnen (. . . ) Ereignisse, wenn sie nicht nur ruckartig erfolgen, sondern darüber hinaus eine Verlaufskurve durchbrechen, auf schlimmste Weise,

268

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

ihnen auch ohne aktuelle Präsenz eine nachhaltige gesellschaftliche Wirkung eigen. In ihnen tritt noch deutlicher als für andere Krankheiten ihre phantasmatische Besetzung hervor. Der Begriff der Seuche oder Epidemie ist hier nicht ausschließlich als biologisches, sondern als gesellschaftliches Phänomen verstanden, das von fundamentaler lebensbedrohender und häufig auch lebensvernichtender Art ist. Als identitätsgefährdendes Moment bedroht sie grundlegende gesellschaftliche Verlässlichkeiten wie die Konstruktionen von Sinn, Verhaltenssicherheit, Normalität und Realität.23 Seuchen verbleiben auch nach dem Verschwinden oder (vorübergehendem) Abtauchen in der Marginalität im kollektiven Gedächtnis der betroffenen Gesellschaften.24 Die grundsätzlichen Seuchencharakteristiken der rasenden Verbreitungsgeschwindigkeit, der grundsätzlichen Unkalkulierbarkeit und damit einhergehend der Unkontrollierbarkeit, die von ihr fast zwangsläufig ausgelösten gesellschaftlichen und/ oder kollektiven Krisen machen sie zu einem grundsätzlichen Störmoment, das nicht allmählich im gesellschaftlichen Netz verwaschen und so grundlegend entschärft werden kann. Sie hinterlassen eine tiefe Ohnmacht, die einer klaren Einordnung des Geschehenen, der aktuellen wie künftig möglichen Gefahr bedarf. Es wird versucht, einen Sinn für ihre blinde Zerstörungskraft zu finden, sie mit gesellschaftlich anerkannten Interpretationsmustern verständlich(er) werden zu lassen. Gerade in ihrer Eigenheit als gesellschaftliche Anomalie, Verkörperung des grundlegend Archaischen und potentielle Zerstörerin gesellschaftlicher Gewissheiten und Strukturen löst die Seuche über Grenzziehungen nach Außen und einen damit möglichen Zusammenschluss nach Innen eine Klärung von Verortung und Zugehörigkeit aus.25 Diese als zutiefst anthropologisch anzusetzende Umgangsweise des Gefahrenhändelns und -verstehens ist bereits in den antiken Beschreibungen von Seuchenausbrüchen zu finden, in ihnen wurde schon auf die Einschleppung der Athenischen Pest aus der Fremde hingewiesen.26 Neben der Zuschreibung der Anomalie ins äußere Außen ist sie

23 24

25 26

und wenn die Ereignisse den Betroffenen keine Möglichkeit der Gegenwehr lassen, keinen Ausweg, keinen Fluchtweg, wenn die betroffene Gruppe sich bloß noch als passiv Erleidende wahrnimmt.“ Flaig: Eine Katastrophe definieren, S. 42. Der Autor verweist weiter auf den grundlegenden Aspekt des drohenden Sinnverlusts in einer katastrophalen Situation wie auf die Verarbeitung durch anschließendes Erzählen. Ritter: Krankheit und Gesundheit, S. 40. Auch andere, nicht mit dem Seuchennimbus umflorte Krankheiten haben dort ihren Platz, wie Susan Sontag in ihrem Essay zur gesellschaftlichen Verortung von den Zivilisations- vielleicht auch Modeerkrankungen Tuberkulose und Krebs zeigt. Sontag: Krankheit als Metapher. Douglas: Purity and Danger. S. 140. Bereits die Beschreibung der Athener Pest durch Thukydides, die zugleich die erste (überlieferte) Beschreibung einer wahrscheinlichen Pest darstellt, betont deren Herkunft aus der Fremde. Auch 1347/48 intensivierte und beschleunigte das Einbrechen des ,,schwarzen Todes“ die Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden. Der Verdacht der

1. Cádiz und Lissabon

269

zugleich dem inneren Außen zugeordnet, auf marginalisierte Gruppierungen bezogen. Diese Konkretisierung der Seuchengefährdung dient als beruhigendes Erklärungsmodell.27 1.3.2 Die Gestalt des Verdachts Dieser bereits knapp angerissenen Vorgehensweise lässt sich ein Begriff zuordnen, der des Verdachts. Dieser umschließt die Annahme oder Vermutung, dass ein bestimmter Sachverhalt gegeben ist, ohne dass man darüber abschließende Kenntnis hat.28 Der Verdacht hat meist bereits eine negative Konnotation, man argwöhnt. Der Verdacht ist ein Gegenpart zur Gewissheit, er vermutet, hat aber keine abschließenden Beweise. Er ist vielmehr die Vorstufe, die verschiedene Handlungsweisen und Kreierung von ,,Wissenscontainern“ ermöglicht und erschafft, die vom repressiv-reglementierenden bis zum normalisierend-regulierenden Spektrum reichen können. Der Verdacht schafft Ordnung, er macht komplexe oder unübersichtliche Zusammenhänge wieder übersichtlich und einfach nachvollziehbar. Er bewegt sich dabei in einem Dreieck aus Bedrohungsgefühl und Risiko. Je größer diese beiden angenommen und empfunden und zugleich als nur schwerlich fassbar, diffus erlebt werden, desto mehr verstärkt sich der Verdacht. Er kommt verstärkt in Zeiten gesellschaftlicher Erschütterung, des gefühlten Angriffs zum Tragen.29 Ab einer gewissen Verdachtsgröße formt er eine

27 28

29

Brunnenvergiftung wurde durch den Verdacht der Pestverbreitung ersetzt. Naphy, Spicer: Der schwarze Tod, S. 66–70. Dies sind nur zwei von vielen Beispielen des Zusammenspiels von Seuche und Generalverdacht. Siehe Teil III in diesem Band. Begriffsdefinitionen des Verdachts finden sich außer dieser sehr allgemeinen Formel fast nur im juristischen Kontext und beschreiben den strafrechtlichen (Tat)Verdacht. Im Meyers Lexikon findet sich hierzu die Beschreibung: ,,Im Recht auf konkrete Anzeichen (Indizien) oder Beweise gegründete Wahrscheinlichkeit, dass jemand als Täter oder Teilnehmer einer Straftat in Frage kommt.“ Nach: Meyers Lexikon, S. 436. Einzig das etymologische Wörterbuch verweist auf die breitere Bedeutung und auf die Verbindung zum Argwohn im Sinne von ,,Übles von jemandem denken, jemanden in Verdacht haben“. Siehe: Duden Herkunftswörterbuch, S. 889. Es finden sich außerhalb der juristischen oder (sozial)psychologischen Beschäftigung wenig bis keine expliziten geistes- oder kulturwissenschaftlichen Auseinandersetzungen unter historischem Fokus mit diesem Begriff an sich, auch wenn er in den Arbeiten zu Diskriminierung, Stigmatisierung und Abgrenzung immer mitschwingt und teilweise auch benutzt wird. Dies ist zum Beispiel eindeutig dann der Fall, wenn frühneuzeitlichen Armen von ihren Zeitgenossen abweichendes Verhalten unterstellt wurde, dies ist eine klare Verdachtsform, auch wenn sie nicht mit diesem Wort beschrieben wird. Siehe beispielhaft herausgegriffen: Jütte: Arme, Bettler, Beutelschneider, S. 214f. Dies ist auch in den nach dem 11. September 2001 geführten Diskussionen und Aktionen gegen den ,,neuen Terrorismus“ nachzuvollziehen, in denen der Begriff des Verdachts eine Schlüsselrolle für Entscheidungen und Bewertungen spielt(e). Dazu: The Social Life of Anti-Terrorism Law.

270

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

kontrollierende Kultur des Verdachts. In einem solchen Fall bestimmt der Verdacht die betreffende Gesellschaft. Das mit ihm verbundene Handeln ist häufig ein obrigkeitliches, das Vermögen zur Handlung ist jedoch in keiner Weise nur kollektiv oder herrschaftlich. Ebenso gut kann ein einzelnes Individuum seinen Verdacht ausleben. Verdacht ist zudem system- und damit gesellschaftsstabilisierend. Er wurde durch die Jahrhunderte hindurch benutzt, um Bevölkerungen durch Angebote der Denunziation und anderer verdachtsäußernder Praktiken an sich zu binden und ruhig zu stellen.30 Verdacht ist derart vielseitig einsetzbar, da er nicht an eine bestimmte Macht- oder Aktionsform gebunden ist.31 Zugleich besitzt Verdacht eine starke Eigendynamik, ist in seinem Verlauf, wenn einmal in die Welt gesetzt, fast nicht aufzuhalten und erweist sich als extrem langlebig. Er ist dem Vorurteil eng verwandt.32 Eine Weiterführung des Verdachts auf höherer Stufe ist der Generalverdacht, der, wie der Name bereits sagt, den Verdacht ausdehnt und verallgemeinert. Empfänger dieses Generalverdachts ist zumeist eine soziale Gruppe, die aufgrund ihrer Zugehörigkeit oder anderer kollektiv zugeschriebener Kategorien in entindividualisierender Weise verdächtig und somit Risikoträger ist.33 Der Generalverdacht trennt die zu Schützenden von den potentiell Bedrohenden anhand dichotomer Maßstäbe. Für die Gruppe, der potentielle Gefährdung zugesprochen wird, gilt die Unschuldsvermutung nicht. Diese wird nur für die zu Schützenden angenommen. Die Gefährdenden müssen hingegen ihre Harmlosigkeit beweisen. Das aktuelle juristische Verständnis dieses Begriffes gibt zudem einen Hinweis auf das paranoisch-präventive Moment, das diesen ausgeweiteten Verdacht formt.34 30

31

32

33

34

Im Zusammenhang mit Seuchen sei an dieser Stelle auf die Venezianischen Denunziationsbriefkästen, die bocche di sanità, die neben anderen, thematisch geordneten Denunziationsbriefkästen in der Öffentlichkeit angebracht waren, verwiesen. Weiter: Preto: Lo spionaggio sanitario. An dieser Stelle sind die Foucaultschen Machtformen gemeint, die das Andere im Blick haben. Auch wenn Verdacht sich im Allgemeinen ab einem gewissen Zeitpunkt so gebärdet, als ob er auf objektivem Wissen aufbauen würde, steht er doch konträr dazu und hat keine Beziehung. Interessanterweise sieht er Aus- und Einschließung als zwei Seiten derselben Medaille – auch wenn er mit der absoluten Absonderung der Leprosen ein überspitztes Bild zeichnet. Begünstigend für Stereotype, Vorurteile und Verdachtssetzungen ist die mit ihnen verbundene illusory correlation, die Neigung Korrelationen zwischen auffälligen, meist negativen Ereignissen und fremden Gruppen herzustellen. Otten: Vorurteil, S. 440. Diese Verdachtskategorien haben keine Verbindung zu tatsächlichen Aktivitäten der Betroffenen. Vielmehr machen sie sich an schwer fassbaren Einordnungen der religiösen oder nationalen Zugehörigkeit beziehungsweise des Backgrounds, der Ethnizität fest. Eckert: Law for Enemies, S. 15. Der Generalverdacht im juristischen Sinn besagt, dass der Staat das Prinzip der Unschuldsvermutung aufgibt und grundsätzlich davon ausgeht, dass jeder Bürger potentiell Straftaten begeht. Dieses Vorgehen führt zu präventiver verdachtsunabhängiger Ermittlung. Schulz: Normiertes Misstrauen.

1. Cádiz und Lissabon

271

Der Generalverdacht braucht keinen konkreten Anlass mehr, er hat sich von Anhaltspunkten emanzipiert. Gerade die Nichtsichtbarkeit der vermuteten Gefahr erweitert den generalisierenden Verdacht und dessen Aktionsformen ins Unermessliche.35 In diesem Kontext sind es paradoxerweise eben die nicht Fassbaren, die als größter Risikofaktor angesehen werden und den Generalverdacht nochmals weiter essentialisieren. Der Verdacht hat zugleich eine enge Verwandtschaft zur Dämonisierung, die auf Verdächtigungen aufbauend eine Negativspirale der Essentialisierungen wie ,,Alle . . . sind hinterhältig und nicht vertrauenswürdig“ auslöst und so grundlegende Asymmetrien aufmacht. Entscheidender Aspekt der Dämonisierung für die hiesige Bearbeitung ist die in ihr enthaltene Suche nach einfachen Antworten auf die ,,Rätsel des Leidens“.36 An dieser Stelle bietet die Verdächtigung und Stereotypisierung die Möglichkeit, das durch die Seuche produzierte Leid und die gefühlte Bedrohung zu verkleinern und zu erklären. Die Verdächtigung errichtet die Suggestion von Macht, den vermeintlichen Ausweg aus der erlittenen Ohnmacht. Ein weiteres wichtiges Kriterium der Verbindung von Seuche und Verdacht besteht in ihrer Differenzierungsmacht. Seuchen bieten durch ihre unmittelbare Körperlichkeit – bereits vor dem Durchbruch der imperialistischen Rassenlehre – das Instrumentarium wie den Hintergrund für jedwede Form von Separierung, Abgrenzung und Stigmatisierung.37 Inklusion oder Exklusion unter Verweis auf eine Seuche ist wenig entgegen zu setzen, schließlich geht es um unmittelbare Bedrohungen für Leib und Leben. Imaginierte Grenzen werden mit dem Verweis auf die Existenz oder Bedrohung durch Seuchen entlang von realen Grenzziehungen der Küstenlinien, Staatsgrenzen, Sanitärkordons, teils auch entlang symbolischer Grenzen, die vor allem Zugehörigkeiten setzen, gezogen. Diese imaginierten Grenzen überlagern dabei bereits bestehende Grenzen und geben ihnen ein von Krankheit durchzogenes Gesicht. Die Verdachtsgrenzziehung im Seuchenfokus bezieht sich immer auf einen Verdacht des Ursprungs oder des Trägers einer mit Vernichtungspotential besetzten Krankheit. Deshalb richtet sich der Seuchenverdacht in seiner konkreten Formulierung stets 35 36 37

Deren aktuelle Ausprägung stellt z. B. der terroristische sleeper als das nicht endeckte und nicht entdeckbare gefährliche ,,Andere“ dar. Eckert: Law for Enemies, S. 17. Omer: Feindbilder, S. 18. Bashford: Imperial Hygiene, S. 2; Fabre: Épidémies et contagions, S. 87–95; Graus: Pest – Geissler – Judenmorde; Kinzelbach: Gesundbleiben, Krankwerden. Alison Bashford verweist weiter auf den wichtigen Zusammenhang der imaginären Geographie der Ausgrenzung, die die Anderen schon immer außerhalb angesiedelt hat, wie auf die enge (imaginäre) Bindung zwischen Nationen und Körpern – die zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf der Iberischen Halbinsel freilich noch in den ,,Kinderschuhen“ steckte. Doch begann dieser körperlich festgemachte Ausschluss von Kollektiven bereits ihre Wirkungsmächtigkeit zu zeigen und sich im Rahmen der Seuchenabwehr auszudehnen. Bashford: Imperial Hygiene, S. 5.

272

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

gegen fassbare Räume als Ursprung, konkrete Objekte oder Menschen als Träger. Jede Form von Seuchenabwehr oder -prävention baut als mehr oder minder stark institutionalisierte Aktionsform der Seuchenfurcht auf Verdacht auf. Die Verdachtsvorstellung ist die Grundvoraussetzung für das Entstehen des Quarantänesystems. Das Festsetzen des Verdachts in konkreten Trägern hat eine ordnende und beruhigende Wirkung; gesellschaftliche Eckpfeiler werden durch die klare Hierarchisierung der Zuschreibungen wieder klar erkennbar, dem Nebel der Auflösung und Ambiguität entrissen.38 Die Verortung des Unreinen, des Bösen außerhalb birgt einen Akt der Selbstvergewisserung für das definierende Kollektiv, das sich als frei von diesem betrachten kann. Sie ist zugleich charakteristisch für den Umgang mit Seuchen. Nur kollektive Krankheiten können in diesem Maß nach außen geschoben werden. Der oder das Fremde, der sich auch in marginalisierter Position in der eigenen Gesellschaft befinden kann, brütet nach dieser Vorstellung die Seuche aus. Die Verantwortung wird weg geschoben – die im religiösen Sündendiskurs zum Teil noch auf die eigenen Schultern genommen wurde. Im Rahmen eines aufkommenden Generalverdachts kann sich die Seuchenzuschreibung im Außen verewigen, ist nicht mehr auf konkrete Anlässe angewiesen. Dabei formt der Verdacht das Potential zur Kreation der Figur des ambivalenten Dritten und nicht nur des Fremden aus.39 Das Moment der Herabwürdigung des inneren oder äußeren Außen ist als nächster Schritt sehr nah und dementsprechend häufig – fast schon zwangsläufig – die Folge. Stigmatisierung und die daraus folgende Repression sind nicht unbedingt die Absicht, häufig jedoch das Ergebnis. Der Verdacht ist ein nur zu menschlicher Erklärungsversuch für das Nichtzuverstehende und ein gewaltsames Herunterbrechen auf einfache, eindimensionale Erklärungsmuster. Er bietet durch seine Simplizität Tür und Tor, um für beinahe jede reglementierende, kontrollierende oder in anderer Form eingreifende ideologische Aktion als Begründung zu dienen. 1.3.3 Konkretisierung in Raum und Zeit: Iberischer Seuchenverdacht zu Beginn des 19. Jahrhunderts Die untersuchte Zeitspanne des frühen 19. Jahrhunderts wird vor allem von zwei großen Vertretern der Seuchen, auch als Leitseuchen benennbar, dominiert: Zum einen handelt es sich um die Pest, die das neuzeitliche Europa wie 38

39

Mary Douglas zeigt dieses Grundmuster von Vergesellschaftung am Beispiel von Verunreinigung auf, einem Vorstellungskomplex, der sehr eng mit der Seuche und ihrer Verseuchung zusammenhängt. Douglas: Purity and Danger, S. 2. Die dichotome Paarbildung entlang einer Grenze kann nicht vom Außen verwendet und in der Besetzung umgewandelt werden, à la ,,black is beautiful“. Die Zuschreibung von Seuche ist in keinem Umkehrschluss positiv besetzbar. Holz: Die antisemitische Konstruktion des ,,Dritten“.

1. Cádiz und Lissabon

273

auch die Levante durch wiederkehrende Epidemiezüge prägte. Sie zirkulierte im 18. wie zu Beginn des 19. Jahrhunderts vor allem im östlichen Bereich des Mittelmeers und war nach wie vor Angst und Panik auslösend. Von der Levante ausgehend suchte die Pest die nordafrikanische Küste zwischen 1816 bis 1822 heim.40 Ihr Auslöser war nach wie vor nicht bekannt, ihre Identität wurde nach wahrgenommenen Symptomen und angenommenen Übertragungswegen bestimmt.41 Zum anderen war das Gelbfieber hinzugetreten, das vor allem zwischen 1800 und den 1820ern Andalusien mit wiederkehrenden Ausbrüchen beherrschte und das restliche Europa in Angst versetzte. Es war ein ,,Geschenk“ der europäischen Expansion, wurde aus der Karibik, aus Mittel- und Südamerika per Schiff mitgebracht, war nicht nur, aber doch verstärkt eine Seuche der Hafenstädte.42 Diese seit einem knappen Jahrhundert ,,vertraute“ 40

41 42

Panzac: La peste dans l’Empire ottoman, S. 11. Daniel Panzac sieht das Osmanische Reich im 18. wie auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts konstant im Griff der Pest. Er verortet in diesem Territorium beständige wie temporäre regionale Pestfoyers, die für ein ständiges Wiederaufflammen der Pest sorgten. Der ewige Pestherd liegt für ihn vor allem im anatolischen Bereich des osmanischen Reiches. Bereits 1792–1801 war die Maghrebregion nach längerer Pause wieder von der Pest befallen, wenn sie auch generell längst nicht in dem Maß getroffen wurde, wie die Levanteregion. ,,Auslöser“ war die die Levante und den Balkanraum verwüstende Pest, die ihre größte Ausdehnung zwischen 1784–1787 hatte und die von Ägypten aus nach Nordafrika transportiert worden war. Anfang des 19. Jahrhunderts erfolgte ein weiterer “Pestschub”, der zwischen 1812–1818 mehr oder minder den gesamten Bereich des Osmanischen Reiches in den Klauen hielt und auch an einigen Stellen trotz angeblich effizienter Seuchenabwehrsysteme in den europäischen Raum eindringen konnte, so 1813/14 auf Malta bzw. Gozo, 1815 an der dalmatinischen Küste, 1815–1816 in Korfu und auf Kefalonia und 1820 auf Mallorca. Tunis war von 1817–21 von der Pest befallen, Algerien von 1817–22, das vom Osmanischen Reich unabhängige Marokko von 1817 bis 1820, Tripoli hatte auch darüber hinaus vereinzelte Ausbrüche, Ägypten 1813–1825. Panzac: La peste dans l’Empire ottoman; Ders.: Barbary Corsairs, S. 305f; Speziale: Oltre la peste, S. 48, 221. Für die historische Pest, die von den Zeitgenossen als solche benannt wurde, wird an dieser Stelle nicht die heutige, klar epidemiologisch definierte Krankheitseinheit angesetzt, sondern die historische Benennung als Plage oder Seuche, die einen weiteren Blick auf Ängste, Handlungsmuster und Zuordnungen zulässt. Es zählt, wie die betroffenen oder bedrohten Gemeinschaften die Krankheiten empfanden und bewerteten. Derart können auch Hungerkrisen oder so genannte Zivilisationskrankheiten mit einbezogen bleiben. Chronisten tendierten häufig dazu, jede Form von infektiöser Krankheit als Pest zu bezeichnen. Die heutige medizinische Definition ist daher eher nebensächlich für die Analyse, ein weiterer kulturwissenschaftlicher Rahmen wird gewählt. Für diese Ansicht beispielhaft: Meier: Vorwort, S. 8. Zur Problematik der retrospektiven Diagnose: Leven: Von Menschen und Ratten, S. 25f. Der Pesterreger, das Bakterium Yersinia (pasteurella) pestis wurde erst 1894 entdeckt und beschrieben. Das erste bekannte Auftreten des Gelbfiebers auf europäischem Boden fand 1700 in Cádiz statt. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts hatte die Epidemie weitere Auftritte im iberischen, insbesondere im andalusischen Raum. Die beiden am schwersten betroffenen Städte, Lissabon 1723 und Malaga 1741 waren denn auch eng in den Amerikahandel involviert. Ihre Blütezeit waren jedoch die ersten zwei Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts, in denen sie

274

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

Epidemie, deren Übertragungswege ebenfalls noch nicht bekannt waren, löste in den betroffenen Städten wie auch weiterem Herrschaftsgebiet und den Nachbarstaaten Panik aus. Die spanische Regierung befürchtete, dass die andalusische Epidemie auch Madrid heimsuchen könnte und errichtete 1804 einen innerspanischen Sanitärkordon; die gleiche Vorgehensweise legten 1819 die portugiesischen Behörden gegenüber Spanien an den Tag.43 Daniel Panzac beschreibt anschaulich, wie die Pest ab dem Ende des 18. Jahrhunderts die Beziehungen zwischen Europa und dem Osmanischen Reich immer ausschließlicher besetzte. Die europäischen Mächte versuchten, den Orient und den Okzident von einander zu scheiden und verstärkten alle sanitären Abwehrbestrebungen und -vorschriften. Argwohn und Verdacht waren zur Regel geworden, hatten sich zum Generalverdacht ausgeweitet.44 Die europaweit kohärente Vorstellung besagte, dass die Pest mit den Räumen der Levante und der nordafrikanischen Regentschaften eins war und ihre Ursprünge immer in eben diesen Gebieten habe.45 Kehrseite dieser Vorstellung war, dass auf europäischem Boden kein genuiner Pestausbruch möglich sei, diese nur von außen eingeschleppt werden könne. Religiöse Erklärungsmuster waren durch vordergründig geographische, die sich meist auch auf die jeweilige Atmosphäre bzw. Klima, hygienischen Mangel oder fatalistisches Desinteresse beriefen, abgelöst worden.46 Natürlich spielte die den ,,Orientalen“ zugeschriebene grundsätzliche Alterität nach wie vor eine wichtige Rolle. War sie zuvor vor allem religiös besetzt gewesen, war im Untersuchungszeitraum das Argument des puren Fatalismus ausreichend. Zugleich schlich sich ein neues Credo ein, das über die Pestgefahr herrschaftssichernd und ausbauend wirtschaftliche und kolonialistische Durchdringung beschleunigte und legitimierte. Die Seuche bot ein abwertendes Deutungsmuster, das die kolonialen oder kurz vor der Kolonialisierung stehenden Räume kartogra-

43

44 45 46

in Andalusien als endemisch angesehen werden kann. Rodríguez: La epidemia gaditana, S. 21–27. Insgesamt zur Geschichte des Gelbfiebers: Winkle: Geisseln der Menschheit, S. 965–1003. ANTT, Junta da Saúde Publica, Maço 46, 15.9.1819, ohne Nr. Die Angst war nicht gänzlich unbegründet, war das Gelbfieber doch übers Meer bis nach Livorno weiterverbreitet worden. Doch auch die mittel- und nordeuropäischen Staaten waren in Panik vor einer möglichen Einschleppung. Das Gelbfieber und die Gegenmaßnahmen isolierten Cádiz und fügten ihr im Handelsgeflecht schweren Schaden zu. Corrales: La flota greco-otomana, S. 393. Panzac: La peste dans l’Empire ottoman, S. 516. Panzac: Pratiques anciennes, S. 54. Muslimen wurde, vereinfacht gesagt, ein fatalistisches Ausharren und stumpfes Erdulden der Seuchen zugesprochen, da der Islam die Seuche nicht mit Schuld- und Sühnevorstellungen belud, sie eine Katastrophe wie andere auch blieb. Zugleich wurde dem osmanischen Raum aus europäischer Sicht ab dem 18. Jahrhundert das Interesse an der Seuchenabwehr und -prophylaxe abgesprochen und derartige Aktivitäten übersehen. So konnte man aus europäischer Sicht diese Regionen als vormodern und nicht entwicklungsfähig ansehen. Dols: The Comparative Responses, S. 275; Ders.: Black Death; Panzac: La peste dans l’Empire ottoman.

1. Cádiz und Lissabon

275

phierte und sie von der eigenen (,,höherstehenden“) Kultur absetzte, die sich über Wissen(schaft)saufschwung und Hygieneorientierung definierte.47 Der geo-Körper der Nation begann sich allmählich herauszuschälen und agierte in den bereits lang vorhandenen Linien der Abgrenzung und des Verdachts, die bislang gegen Minderheiten angewendet wurden und die nun allmählich der Staat übernahm, auch wenn Biopolitik und die Argumentationslinie über den so genannten Volkskörper noch nicht als Leitdiskurse auffielen.48 Nationale Rasterungen der Welt standen noch am Anfang ihres Siegeszuges und wurden vor allem für Spanien, aber auch für Portugal, noch nicht als zentrales Zugehörigkeitskriterium im modernen Sinn wahrgenommen. Die Pest stellte auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine reale Gefahr dar; sie war keine eingebildete Chimäre. Die Menschen hatten realen Grund, sie zu fürchten. Zugleich war es unmöglich, ihrer grundlegend Herr zu werden. Der an der Pest festgemachte Verdacht besass ein besonderes Fundament, weil er sich aus tatsächlich existenten Risiken nährte. In Folge schuf er in Verbindung mit der massiven symbolischen Aufgeladenheit der Seuche als ,,Tatsachen“ wahrgenommene verhärtete und sich ausgebreitete Verdachtsmomente. Gegen das in Europa eingedrungene Gelbfieber konnte man nicht dieselbe Argumentation aufbauen. Es brach in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts wiederholt in den eigenen Reihen, wenn auch am Rand der geographischen Zugehörigkeit, vor allem in Südspanien, aus. Der Verdacht wurde aufgeteilt zwischen der andalusischen Herkunft und der überseeischen Kolonie. Im konkreten Fall erweiterte man den Verdacht über die tatsächlich betroffene spanische Region hinaus auf die nichteuropäische, nordafrikanische Nachbarküste.49 Dennoch drehte sich auch hier die Frage der alltäglichen Positionierung und Aktion um die Konkretisierung und Festsetzung des Verdachts. Seuche und Verdacht sind nicht zu trennen. Wo eine Seuche wütet, taucht schnell ein Verursacher- oder Überträgerverdacht auf. Diese Vorstellung des Verdachts auf Seuchenherkunft oder -trägerschaft war für den betrachteten Zeitraum im abendländischen Denken zu einem derartigen Allgemeinplatz geworden, dass er nicht (mehr) angezweifelt wurde. Der Pestverdacht hatte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts nochmals verhärtet. Der Gelbfieberverdacht blieb hingegen konkreter, da im eigenen Raum epidemisch existent. Die Betrachtung von kollektiven Abgrenzungsmechanismen erfordert immer auch ein Betrachten der Verdachtsmechanismen, die der Abgrenzung vorausgehen und diese begründen. Im spezifischen Fall des auf Pathologi47

48 49

Für die britische Kolonialherrschaft in Indien in den 1890ern angesichts der Pestkrise: Kessel: Gebannte Gefahr, S. 270–275. Auch die europäisch dominierten Sanitätsräte in den nordafrikanischen Regentschaften können durchaus als Vorreiter der europäischen Kolonialisierung angesehen werden. Panzac: La peste dans l’Empire ottoman, S. 516f. Winichakul Thongai nach Bashford: Imperial Hygiene, S. 115. AHPC, Junta de Sanidad, Correspondencia, L. 2995, f. 425 (1814).

276

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

sierungsideen basierenden Seuchenverdachts kreiert der Verdacht, neben Zuschreibungen für Kollektive und Grenzen, konkrete Schutzräume und Einschlussräume. Die Quarantäneinstitutionen, diese fassbaren Orte des Verdachts auf eigenem Boden, mit ihren Abgrenzungsmechanismen gegenüber verdächtigen Menschen, Objekten und räumlicher Herkunft stehen im Mittelpunkt dieses Beitrags. Ihrer Reich- und Tragweite, Funktionsweise, aber auch Begrenzung der Kultur des Verdachts soll im Folgenden nachgegangen werden.

2. Die Zerstreuten – die Schwebenden Beide Städte waren aufgrund ihrer vorrangigen Orientierung gen Meer und der damit verbundenen Fixierung auf den Handel grundlegend geprägt von einem bunten Gemisch von Fremden. Diese aus allen Himmelsrichtungen herbeigeströmten Angehörigen von Minderheiten oder Diasporagruppen waren aus höchst unterschiedlichen Gründen in den Hafenstädten. Die einen verlagerten ihren Lebensmittelpunkt vollständig in diese Städte und suchten dort eine neue Existenz aufzubauen. Oder sie waren gar dort geboren und aufgewachsen, gehörten einer der etablierten ,,Fremdenkolonien“ an, die teilweise über Jahrhunderte ansässig waren und das Bild der Stadt entschieden mitprägten. Andere kamen zu Ausbildungszwecken beziehungsweise aufgrund besserer Verdienstmöglichkeiten für mehrere Jahre in die Stadt, um anschließend mit den erworbenen Kenntnissen, Kontakten, Ersparnissen und Netzwerken zurückzukehren oder als Außenposten des heimatlichen Handelshauses vor Ort zu verweilen.1 Häufig blieben die Rückkehrer aus der Ferne der Stadt ihrer Ausbildung weiter verbunden, schickten eventuell ihre Söhne ebenfalls für ihre Lehrjahre dorthin. Schließlich wurden Menschen aus Not in die Städte ,,gespült“, die meist eine Binnenmigration hinter sich hatten und nun in den iberischen Hafenstädten ihre Haut als Tagelöhner zu Markte trugen oder gar bettelten. Unter die Fremden sind auch diejenigen zu zählen, die sich nur für kurze Zeit in der Stadt aufhielten, sie nur streiften. Für diese flüchtig Anwesenden sind die Seeleute das Paradebeispiel, die mit ihrem Schiff manchmal nur wenige Stunden, meist jedoch mehrere Tage oder vielleicht sogar Wochen im Hafen lagen und – so ihnen gestattet – natürlich an Land gingen. Die Fremden brachten sehr unterschiedliche Motivationen, soziale Hintergründe aber auch sehr verschiedene Zeitspannen des Aufenthalts und damit auch des Einlassens und Kontaktes mit. Dieser farbige Fächer der Fremden führte generell, aber vor allem in Verbindung mit Krankheits- oder Seuchenverdacht, zu unterschiedlichen Wertungen durch die Gastgesellschaften. Den im Simmelschen Sinne Wanderern, denen, die kommen, um morgen zu gehen, und den Fremden, die heute kommen, um morgen zu bleiben, wurde ein sehr unterschiedliches Gefahrenpotential zugeschrieben.2 Zu einem gewissen Grad in die ,,Gast“Gesellschaft 1

2

Als Motivation für die britische/irische Gemeinde in Cádiz: Lario de Oñate: La colonia mercantil británica, S. 120; Vassallo: The Maltese Entrepreneurial Networks. Klaus Weber beschreibt in seiner Untersuchung gegenteilig dazu, dass die Hanseatischen Familien ihre Söhne im jugendlichen Alter nach Cádiz schickten, damit diese sich dort auf Dauer einleben konnten. Er weist den Aufenthalt als ,,Übungsfeld“ für den Geschäftsnachwuchs zurück. Weber: Deutsche Kaufleute im Atlantikhandel, S. 114. Ebenso: García-Baquero, Collado Villalta: Les Français à Cadiz, S. 190. Simmel: Soziologie, S. 764.

278

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

integrierte ,,Fremde“ waren vertrauter und vertrauenswürdiger, als plötzlich aufgetauchte und genauso schnell wieder verschwindende Fahrende. Mit ersteren teilte man das Leben in der Stadt, wenn vielleicht nicht unbedingt miteinander, so doch neben einander. Man war der gleichen Bedrohung durch aufziehende Krankheiten ausgesetzt. Die Mobilen hingegen waren nicht greifbar. Sie verband mit der Seuche die Ortsungebundenheit wie die generelle mangelnde Greifbarkeit. Die Zeit der Anwesenheit war der entscheidende Faktor für die Beurteilung von Diasporaangehörigen.

2.1 Die Bleibenden Diese Fremden gehörten zum Alltagsleben Lissabons und Cádiz’. Sie hatten ihre Koffer ausgepackt, lebten teilweise bereits seit Generationen in ihren neuen Heimaten. Meist hatten sie sich in mehr oder minder formellen Gruppenverbandsstrukturen zusammengeschlossen, die häufig auf familiären Bindungen basierten. Zudem kreierten sie, wenn möglich, einen teilweise geschützten Raum, in dem sie ihre distinkte Identität leben und ihren Gruppenzusammenhalt beschwören konnten. In der fokussierten Untersuchungszeit des beginnenden 19. Jahrhunderts waren viele bereits wieder am Gehen, das bunte Feld verkleinerte sich zugunsten der großen Gruppen, die eine explizite Nische der Beschäftigung besetzt hatten und zumeist aus den mittel- oder nordeuropäischen Bereichen stammten. Es waren die Bleibenden, die sich im Gegensatz zu den Bewegten mit Fragen der Zugehörigkeit und deren verschiedenen Abstufungen auseinandersetzen mussten. Dies war zum einen die Frage der Religion, die angesichts der massiven identitätsstiftenden, neuzeitlichen Bedeutung des Katholizismus und der sich bis ins 19. Jahrhundert ziehenden Existenz der Inquisitionen großen Einfluss hatte. Natürlich änderten sich die Wertigkeit und der Umgang mit Religion im Verlauf der Frühen Neuzeit. Nichtkatholische Religionszugehörigkeit war jedoch lange Grund für das Erleiden von Nachteilen und Diskriminierung.3 Klaus Weber zeigte in seiner Untersuchung zu Cádiz auf, dass eine zunehmende religiöse Toleranz ab dem Ende des 18. Jahrhunderts zu verzeichnen war, ähnliches ist auch für Lissabon zu konstatieren.4 Nichtsdestotrotz blieb in beiden Ländern auch während der liberalen Intermezzi 3 4

Ribeiro: Anglicanismo, S. 353. Weber verweist darauf, dass die deutschen Kaufleute in den beiden von ihm untersuchten Städten Cádiz und Bordeaux sowohl geschäftlich, als auch sozial wesentlich besser integriert waren, als beispielsweise Franzosen in Hamburg, das sich stark gegen nichtlutheranische Zuwanderer abschottete. Weber: Deutsche Kaufleute im Atlantikhandel, S. 304. In Portugal verbesserten sich die portugiesisch-britischen Beziehungen eklatant als Kehrseite der sich verschlechternden französisch-englischen Beziehungen. Auch wenn es zu keiner offiziellen Anerkennung der nichtkatholischen Kulte kam, war das

2. Die Zerstreuten – die Schwebenden

279

der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die katholische Konfession entweder Staatsreligion oder doch zumindest in dominanter Position.5 Völlige soziale Eingliederung war ohne katholische Zugehörigkeit nicht möglich. Im Spanien des 18. und frühen 19. Jahrhunderts stellte sich zudem noch sehr viel stärker als in Portugal die Frage des Rechtsstatus, die Frage der Naturalisierung, des Erwerbs des Bürgerrechts, des befristeten Bleiberechts oder der Beibehaltung des vollständigen Fremdenstatus.6 Die Frage der Nationenzugehörigkeit gewann vor allem nach den Napoleonischen Kriegen an Bedeutung – der Wechsel von der Religion zur ,,Staatsangehörigkeit“ als ausschlaggebendem Kriterium hatte begonnen. Die betrachtete Zeit fällt genau in diesen Übergang, das alte Zugehörigkeitsmerkmal war noch nicht ganz verabschiedet, das neue erst im Kommen. 2.1.1 Große Geschäfte und kleine Tagelöhner: Nahe Heimaten Der größte Teil der ausländischen Bevölkerung in beiden Städten kam aus dem territorialen Dreieck, dessen Ecken die Iberische Halbinsel, Skandinavien und Italien darstellen. Dies kann zum einen mit der geographischen Nähe, dem kulturellen Kontext und den ökonomischen Interessen bzw. Vormachtstellungen in Zusammenhang gebracht werden.7 Zum großen Teil waren die europäischen, vor Ort lebenden Diasporagruppen in beiden Städten im Handel tätig und unmittelbar mit dem Hafen verbunden. Sie waren schon ab dem 12. Jahrhundert in Lissabon und Cádiz zu finden, kamen im ausklingenden Mittelalter vor allem aus dem mediterranen Raum, bevorzugt den italienischen Stadtstaaten. Diese geographische Zuordnung verschob sich, im 18. Jahrhundert noch einmal verstärkt, in Richtung Nordeuropa und folgte damit den sich in den Vordergrund schiebenden Do-

5

6

7

19. Jahrhundert doch eine von religiöser Toleranz geprägte Epoche. Ribeiro: Anglicanismo, S. 353. In der Cádizer Verfassung von 1812 war sie als Staatsreligion festgehalten. In dominanter Stellung taucht sie auch in den spanischen Verfassungen von 1837 und 1845 auf. In den restaurativen Phasen wurde sie selbstverständlich als grundlegend hochgehalten. Vgl. Manz: Fremde und Gemeinwohl, S. 179. Diese verschiedenen rechtlichen Kategorien, ihre Vorbedingungen, Überlappungen und Auswirkungen sind beschrieben bei: García-Baquero: Cádiz y el Atlantico, bes. S. 138; Weber: Deutsche Kaufleute im Atlantikhandel, S. 96f. Auch in Lissabon wurde die Nationenzugehörigkeit in akuten Krisenmomenten zum entscheidenden Moment. Vor allem während der ersten französischen Invasion nutzten die Franzosen diese Kategorie, um die Briten in Lissabon aufzugreifen, teilweise festzusetzen. Zuvor hatte der portugiesische König, noch wenige Tage vor dem Einmarsch der Franzosen, den Befehl gegeben, alle britischen Residenten in Portugal zu erfassen, Naturalisierte wurden davon ausgenommen. Auch ihre Besitztümer und Waren waren zu erfassen und anschließend zu konfiszieren. Ribeiro: Comunidade britânica do Porto, S. 118. Bustos Rodríguez: Cádiz en el sistema atlántico, S. 114f.

280

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

minanzen im europäischen Wirtschafts- wie politischem Machtkonzert. Auch wenn Ausländer aufgrund protektionistischer Bestimmungen bis Ende des 18. Jahrhunderts vom direkten Kolonialhandel ausgeschlossen waren, fanden sie genügend Schlupflöcher der gewinnorientierten Teilhabe, und beherrschten im 18. Jahrhundert den Handel der beiden Städte zu großen Teilen.8 Diese wichtigen fremden (Groß)Handelseliten schlossen sich bereits früh und in Analogie zum Vorgehen im mediterranen Raum in ,,Nationen“ zusammen, die ihnen als kooperative Interessenvertretung dienten. Diese Vereinigungen verstanden sich nicht unbedingt an Anweisungen aus dem Heimatland gebunden, wie die Konflikte um die Vorherrschaft in der Lissaboner ,,französischen Nation“ im 18. Jahrhundert zwischen französischer Krone und örtlichen Mitgliedern anschaulich zeigen.9 Parallel zu diesem den Kaufleuten vorbehaltenen Zusammenschluss existierten weitere Strukturen, die die jeweilige Minderheitengruppierung zusammenfassten. Diese Strukturen waren vor allem an der Religionszugehörigkeit festgemacht, wie in den für alle größeren (katholischen) Diasporagruppen existierenden Bruderschaften.10 Sie waren für das Leben in der mehr oder minder fremden Fremde wichtig, da sie neben karitativen Aufgaben vor allem für die Existenz einer Kapelle oder Kirche als Gebetsort und einen Begräbnisort sorgten und damit das soziale Leben der Gruppierungen und ihre Kontakte kanalisierten und konkreten Raum dafür boten. Doch das Beispiel der britischen Lissaboner Gemeinde und ihres ausgebauten Netzes eines protestantischen Friedhofs, eines Seemannspitals, eines Armenfonds und Clubräumen in der Factory zeigt, dass auch diese Nichtkatholiken sich einen geschützten Raum schufen, in dem die kollektive Identität gelebt werden konnte. Lissabon wurde von einem Zeitgenossen 1760 als englische Kolonie be8

9

10

García-Baquero und Weber verweisen als Ursache hierfür in Cádiz auf das Zusammentreffen eines merkantilistischen Protektionismus eines verspäteten Landes mit den Agenten einer offensiven Vermarktung von frühindustriellen Massengütern im 18. Jahrhundert, das den ,,Siegeszug“ der fremden Händler zur Folge hatte. Weber: Deutsche Kaufleute im Atlantikhandel, S. 95. Neben dieser volkswirtschaftlich-strukturellen und sehr wesentlichen Komponente sind im Vorfeld noch andere Faktoren wichtig; so verlor Portugal im 16. und 17. Jahrhundert einen Großteil seiner einheimischen Kaufmannsschicht, die aufgrund ihrer neuchristlichen Herkunft von der portugiesischen Inquisition verfolgt und bedrängt wurde. Als Konsequenz setzten sie sich mit ihrem Kapital, Wissen und Kontakten so weit wie möglich ins Ausland ab und hinterließen in Portugal eine Leerstelle, die vor allem von ausländischen Kaufleuten gefüllt wurde. Shaw: Trade, Inquisition, S. 162–166. Laboudette: La nation française a Lisbonne. Ähnliche Konflikte fanden in diesem Zeitraum auch bei den französischen Nationen in den italienischen und spanischen Häfen statt. Diese Laienvereinigungen zur Wahrung und Verfestigung von Glaubensprinzipien existierten seit dem 13. Jahrhundert in ganz Europa. Ab dem 15. Jahrhundert sind sie sowohl für Lissabon als auch für Cádiz für die ersten Diasporagemeinden belegt. Siehe: Confrérie. In: Lexikon des Mittelalters, Sp. 131f.

2. Die Zerstreuten – die Schwebenden

281

schrieben, während die französischen Großhändler in Cádiz die städtische Handelsaristokratie darstellten.11 Zum Teil hatten sich diese Großkaufleute derart von (Ursprungs-)nationalen Interessen gelöst, dass sie als wahrhafte Kapitalisten, als ,,universal traders“ skizziert wurden.12 Diese Handelseliten, die innerhalb eines weit gestreckten Netzes agierten, schlossen sich in transnationalen Interessenvertretungen zusammen. Nationale Bezüge nutzten sie vor allem zur praktischen Umsetzung von Privilegien und anderer Vorteilsnahme. Gerade diese kaufmännische ,,Crème de la crème“ arbeitete in Netzwerkzusammenhängen auch über Herkunfts- und Religionsgrenzen hinweg zusammen, wobei ein gemeinsamer kulturell-sprachlicher Hintergrund häufig von Vorteil war.13 Hier konnten schneller vertraute Kommunikationsmuster angewandt werden. Zugleich schloss diese Offenheit nicht aus, dass man sich nicht doch des offiziell propagierten entscheidenden Zugehörigkeitskriteriums der Herkunft und/oder Religion bediente und daraus Vorteile schlug. Reichtum und Bildung standen in beiden Städten an vorderster Stelle und verschafften Einfluss und Ansehen.14 National abgeleitete Herkunft beziehungsweise staatspolitische Zugehörigkeit wurden im Besonderen ab dem Ende des 18. Jahrhunderts als Ausschlusskriterium herangezogen. Vor allem in Kriegszeiten wurden die Angehörigen der feindlichen Nationen ausgewiesen oder zumindest angefeindet. Cádiz bietet für dieses Vorgehen Beispielcharakter, 1791 wurden aus der andalusischen Stadt alle Franzosen des Landes verwiesen, die nicht das Bürgerrecht besaßen. Während des spanisch-britischen Krieges (1779–1783) mussten sämtliche Engländer und Iren die Stadt verlassen, da diese im zwanzig Meilen ab der spanischen Küstenlinie verlaufenden Sperrgürtel lag. Dieser Rauswurf betraf auch Naturalisierte und zeigt wiederum auf, dass politische Nationalität noch nicht das entscheidende 11

12

13 14

Der Ausspruch zu Lissabon erfolgte durch einen französischen General, der Portugal bereiste und den Briten gegenüber negativ eingestellt war. Bei aller Übertreibung wird sein Urteil durch das anderer bestätigt. C.F. Dupperier-Dumonriez: Etat Présent du Royaume de Portugal en L’Année MDCCLXVI, Lausanne 1755, S.33. Nach: Fisher: Lisbon as a Port Town, S. 26. So wurde bereits 1730 der englische Handel in Lissabon als größer als der der anderen Nationen zusammengenommen beschrieben. Dabei würden sich die englischen Kaufleute nicht darauf beschränken, mit ihrem eigenen Land Handel zu treiben, sondern mit ganz Europa in geschäftlichen Beziehungen stehen und auf englischen Schiffen die Waren für alle anderen Nationen transportieren. So: Description de la Ville de Lisbonne, S. 224, 250f. Nach: Shaw: Trade, Inquisition, S. 161. Zu Cádiz: García-Baquero, Collado Villalta: Les Français à Cadiz, S. 176. ,,. . . become universal traders more than English factors, and many houses there dealt more or at least as much in French goods, Hamburg linen, Sicilian corn, or other commodities from different countries than in the produce of their own.“ Tyrawley 1752, BM add. MSS 23, 634. Nach: Macaulay: They Went to Portugal Too, S. 142. Für die beispielhafte Assimilation der Genueser in Cádiz: Sancho de Sopranis: Los Genoveses, S. 358. Federico Rubio y Gali: La mujer Gaditana, Madrid 1902. Nach: Martinez: De propios y extraño, S. 43.

282

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

Merkmal darstellte.15 Zugleich litten die internationalen Netzwerke der ausländischen Kaufleute massiv unter den napoleonischen Kriegen, Blockaden, zeitweiligen Besatzungen und innenpolitischen Krisen; die Bezeichnung als afrancesado, des ,,Französlings“, war in beiden Städten zum Schimpfwort und Ausgangspunkt von Diskriminierung mutiert.16 Viele Ausländer existierten auf den niedrigen und mittleren Stufen der sozialen Leiter. Zahlreiche französische Einwanderer verkauften auf den Straßen von Cádiz Kohle, Öl und Essig oder verdingten sich als Wasserverkäufer.17 Zuvor waren diese Tätigkeiten vor allem von Genuesern durchgeführt worden. Daneben existierten viele in den Detailhandel Involvierte beziehungsweise als Hausierer Tätige. In Lissabon übernahmen ab dem 18. Jahrhundert vornehmlich Galizier den Arbeitsbereich der allmählich verschwindenden Sklaven. “The Gallegos furnish Portugal with several classes of labours; the labours in the forts and the custom-houses; the street-porters, the waterporters, many of the domestics.”18 Es wird geschätzt, dass sie gegen Ende des 18. Jahrhunderts ungefähr ein Siebtel der Stadtbevölkerung ausmachten und damit einen Großteil der einfachen arbeitenden Bevölkerung am unteren Ende der sozialen Leiter stellten. Auch unter den Hafenarbeitern waren sie in großer Zahl zu finden. Als sie im Zuge des kurzen Orangenkrieges 1801 außer Landes gewiesen wurden, musste Lissabon bestürzt feststellen, dass man ohne ihre Arbeitskraft nicht überleben konnte.19 Daneben waren im untersuchten Zeitraum auch viele Andalusier in Lissabon oder anderen Bereichen Portugals am Arbeiten oder Betteln.20 Im 18. Jahrhundert hatten sich Malteser in Cádiz auf den ,,fliegenden“ Detailhandel spezialisiert; aufgrund der Wirtschaftskrise hatte sich ihre Zahl 1801 bereits stark minimiert.21 Die Galizier waren auch hier einfache 15

16 17 18 19

20

21

Die Sperrung der 20 Meilen der spanischen Küstenlinie mit besonderer Betonung auf den Häfen wurde im königlichen Erlass mit Spionagegefahr begründet. Fernández Pérez: El rosto familiar, S. 263. Grundsätzlich waren Zugewanderte dann auszuweisen und ihr Besitz zu beschlagnahmen, wenn sie als Untertanen des feindlichen Landes galten. Diejenigen, die ihren Ausländerstatus aufgegeben hatten, sollten stattdessen ins Landesinnere verbannt werden. In der Praxis wurde diese klare Trennung nicht eingehalten. Für Portugal: Araújo: As invasões, S. 40. Poitrineau: Les Espagnols de l’Auvergne, S. 17. A Picture of Lisbon, S. 229f. Nach: Fisher: Lisbon as a Port Town, S. 23. Normalerweise kamen sie in jungen Jahren nach Portugal, arbeiteten hart, versuchten zu sparen und kehrten nach vielen Jahren in der Fremde mit dem Gesparten nach Hause zurück, um davon eine Familie aufzubauen, zu unterstützen und die nächste Generation nach Portugal zu senden. Ein ähnliches Verhalten legten auch die maltesischen Hausierer in Cádiz an den Tag. Es scheint, als ob die niedrige soziale Stellung und Tätigkeit im Gastland mit einem grundsätzlich stärkeren Festhalten an den Strukturen in der Heimat verbunden waren. Beispielhaft der erkrankte Spanier, der an der Algarve in der Fischerei arbeitete und einen Monat zuvor aus Jerez de la Frontera gekommen war. ANTT, Junta de Saúde Pública, Maço 47, 23.10.1819, Nr. 60. Vassallo: The Maltese entrepreneurial networks.

2. Die Zerstreuten – die Schwebenden

283

Handlanger.22 Hinzu kamen die zahlreichen Dienstboten und anderweitig in privaten Haushalten tätigen Ausländer. Sie suchten sich Nischen, in denen sie ihre Herkunft vermarkten konnten, wie französische Tanzlehrer als Vermittler des ,,guten Benehmens“ und elaborierten Lebensstils.23 Die schon beschriebenen Kaufleute beschäftigten in ihren Kontoren natürlich ein vielzähliges Fußvolk, ob Kontorschreiber oder Lehrlinge. Auch diese setzten sich zu großen Teilen aus Ausländern zusammen. Hinzu kamen die zahlreichen Handwerker, die sich im Fall der Franzosen in Lissabon vor allem auf die Herstellung von Luxusgegenständen spezialisiert hatten.24 Auch besetzten sie Nischen in den aufkommenden Dienstleistungssektoren, ob nun als französische Buchhändler oder Schweizer Konditore.25 Nicht zu vergessen sind weiterhin an dieser Stelle die auswärtigen (katholischen) Kleriker, die ihre ,,Schäfchen“ betreuten, und die religiösen Enklaven.26 Das erste Viertel des 19. Jahrhunderts war zudem überschattet durch die Präsenz ausländischer Militärs, die zwar meist nur vorübergehend und ohne (persönliche) Absicht zu bleiben, im Land weilten, das Bild der Fremden zumindest für die mit ihnen assoziierte Gruppierung trübten und in der Bevölkerung große Ressentiments auslösten. Daran änderte im Fall der britischen Truppen in Portugal auch der Sachverhalt, dass der Befehlshaber der ab 1806 im Tejo liegenden britische Flotte, Lord St. Vincent, beste Kontakte zu hohen Würdenträgern der portugiesischen katholischen Kirche aufbaute, nur wenig.27 Doch schon zuvor hatten ausländische Söldner in der portugiesischen Armee gedient, in Portugal allen voran Engländer, die das Militärwesen modernisierten.28 22 23 24

25

26

27 28

Solís: El Cádiz de las Cortes, S. 92f. Aus dieser Zeit kommt die Bezeichnung ,,gallego“ für Lastenträger. Diese fielen manchmal auch der Inquisition in die Hände, wie 1738 in Lissabon nach der Zerschlagung einer Freimaurerloge. Dias Silva: Os primórdios da maconaria, S. 441–526. ,,There is also in this city a considerable number of foreign artists and artisans, of whom more are French than of any other nation. All the perfumers, most of the watchmakers, many manufacturers of artifical hair, many painters, gilders, gold-smiths and stone-setters are French. We also find some of them among the book binders, locksmiths, joiners and other classes of artisans.“ A Picture of Lisbon, S. 42. Nach: Fisher: Lisbon as a Port Town, S. 23. So ist es denn auch kein Wunder, wenn heutzutage in Lissabon eine der Haupttouristenattraktionen die Konditorei ,,Suiça“ ist und eine der altehrwürdigen und renommierten Buchhandlungen der Stadt ,,Bertrand“ heißt. In Lissabon existierten die englischen Bridgettinen seit 1594 und das irische Frauenkonvent ,,Bom Sucesso“ sowie das irische Dominikanerkloster ,,Corpo Santo“ seit Beginn des 17. Jahrhunderts. Ribeiro: Anglicanismo, S. 352. So beklagte sich bereits 1762 der englische Leutnant James Money, dass er der einzige der englischen Offiziere in der portugiesischen Armee sei, der noch nicht befördert worden sei, und drohte im Falle, dass sich daran nichts ändere, mit seinem Abschied. Diese Drohung wirkte, vier Tage später war er befördert. Er scheint demnach nicht leicht ersetzbar gewesen zu sein. Gleichzeitig war er keine Ausnahme, sonst hätte er die Referenzver-

284

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

2.1.2 Aus aller Herren Länder: Ferne Heimaten In beiden Städten waren natürlich auch Menschen aus dem außereuropäischen Raum beheimatet. Als Bleibende waren sie von den Seuchen, vor allem dem grassierenden Gelbfieber, in gleicher Weise bedroht wie die einheimische Bevölkerung.29 Sie hatten jedoch keine vergleichbare Handelsmacht wie die beschriebenen Europäer, geringeres wirtschaftliches Gewicht und meist auch keine Möglichkeit, politischen Einfluss zu nehmen. In Lissabon öffnete ein Konsulat für die Hohe Pforte erst 1814 und wurde von einem offensichtlich englischsprachigen Briten oder Amerikaner namens João Hutchens besetzt.30 Dieser übernahm 1832 zusätzlich zu diesem Amt noch die Vertretung der ,,Berber“, die bis zu diesem Zeitpunkt ebenfalls ohne konsulare Vertretung waren.31 In Cádiz wurde zwar bereits 1806 ein Agent oder Ansprechpartner für die Angelegenheiten des Osmanischen Reiches, der ,,Agente encargado de la Puerta Otomana“, Marcos Machiaveky, berufen. Ein offizieller Konsul, der sich der wirtschaftlichen Angelegenheiten angenommen hätte, fehlte jedoch auch hier.32 Diese Vertreter waren zudem weitaus mehr für im Hafen anlegende Schiffe unter diesen Fahnen oder aus diesen Regionen bestimmt, als für etwaige Ansässige. Für Cádiz werden in der Sekundärliteratur farbenprächtige menschliche Einsprengsel aus so ,,exotischen“ Herkunftsländern wie der Türkei, Armenien, Guinea, den nordafrikanischen Regentschaften und dem Kongo angeführt.33

29

30 31

32

33

gleiche nicht ziehen können. ANTT, Minísterio dos Negócios Estrangeiros, Caixa. 414, 7.8.1762, ohne Nr. Im während einer akuten Epidemie eingerichteten Cádizer Gelbfieberhospital in ,,Segunda Aguada“ wurde 1814 ein Mustafa, der in Algier geboren war und nun in der bereits erwähnten Calle Nueva wohnte, eingeliefert und verstarb am nächsten Tag. AHPC, Junta de Sanidad, Registo de enfermos, L 3057, f. 10 (1814). In den portugiesischen Akten wurde sein Name wie in diesem Zeitraum üblich ,,iberisiert“. ANTT, Minísterio dos Negócios Estrangeiros, Consulados da Prússia, Rússia, Hanover e Turquia, Caixa 274, Maço 2, 6.11.1832; AHPC, Junta de Sanidad, Oficios, L. 2987, 5.7.1819 ohne f. Der offizielle Friedensschluss zwischen Algerien und Portugal erfolgte erst 1813. AHPC, Junta de Sanidad, Actas Municipales, L. 2935, 20.4.1807, ohne f.; Ebd., Extracto de Reales Ordenes 1807–1817, L. 2983, f. 109 (1807). Sein Vorgänger soll Mustaffa Effendi gewesen sein, in zeitgenössischer Korrespondenz wird er teilweise auch als Konsul bezeichnet. AHPC, Junta de Sanidad, Correspondencia, L. 2994, f. 109, 111 (1807). In anderen wichtigen mediterranen Hafenstädten wie Messina, Neapel, Livorno, Genua, Venedig, Triest, Marseille wurden bereits zwischen 1802–1807 osmanische Konsulate eingerichtet, um die auswärts handelnden Subjekte und ihre ökonomischen Interessen zu schützen. Harlaftis, Laiou: Ottoman State Policy in Mediterranean Trade, S. 15. Die Autorinnen geben auf Basis der Archive von Idra auch die Existenz eines osmanischen Konsuls namens Enrico Popie Geltemestri für Lissabon für diesen Zeitraum bereits an. Dieser erscheint jedoch nicht in den eingesehenen Lissaboner Quellen. Bustos Rodríguez: Cádiz en el sistema atlántico, S. 110.

2. Die Zerstreuten – die Schwebenden

285

Ihre Existenz sei jedoch nur sporadisch belegt, vom Vorhandensein eines organisierten Kollektivs sollte man in den meisten Fällen nicht ausgehen. Ähnliches gilt auch für Lissabon, dort wurde beispielsweise im Zusammenhang mit den Freimaurerermittlungen der Inquisition 1743 auch ein in der Stadt wohnhafter armenischer Kaufmann namens Pedro Bersan befragt.34 Es existieren wenige Anhaltspunkte für die Existenz strukturierter Kollektive. In den offiziellen Unterlagen der Städte tauchen sie häufig in einer Sammelkategorie auf, die alles nicht Einordbare, die Reste, zusammenfasst.35 Katholische beziehungsweise apostolische Armenier wie auch orthodoxe Griechen waren als osmanische Untertanen geführt, hatten aufgrund ihrer nichtmuslimischen, immerhin christlichen Religionszugehörigkeit die klassische Rolle der Zwischenhändler und Vermittler im Handel zwischen Ost und West.36 Sie hatten ab dem 17. Jahrhundert die in diesem Handel dominierenden nordafrikanischen Juden und vereinzelten Mauren abgelöst.37 Die Zahl der in Cádiz ansässigen, zum großen Teil dem Osmanischen Reich zugerechneten Griechen nahm im Verlauf des 18. Jahrhunderts zu, es entstand eine kleine Kolonie. Diese war jedoch zur Jahrhundertwende schon beinah nicht mehr existent.38 An ihrem Weggang kann man den Bedeutungsverlust 34

35

36 37

38

Seine Herkunft wird mit der Stadt ,,Etoquia“, dem heutigen Antalya in der Türkei angegeben. Auch seine Anschrift taucht in den Unterlagen auf, er wohnte in der Rua de Cima, in der Gemeinde São Paulo. Dias Silva, Dias Silva: Os primórdios da maconaria, S. 25. In Cádiz kreierte die Steuerbehörde 1771 die Sammelkategorie Schweden, Preußen und Damaszener. In Lissabon werden hingegen die preußischen, russischen, Hannoveranischen und türkischen Konsulatsakten gemeinsam abgelegt. Ruiz Rivera: El Consulado de Cádiz, S. 67; ANTT. Minístero dos Negócios Estrangeiros. Caixa. 274. Bournoutian: Concise History of the Armenian People, S. 187–189. Diese gaben jedoch nicht vollständig auf, sondern betrieben über Mittlerhäfen, wie Livorno, weiterhin Geschäfte mit der Iberischen Halbinsel. Corrales: Comercio de Cataluña, S. 73. Als Griechen werden hier die griechische Sprache sprechenden, beziehungsweise dem griechisch-orthodoxen Glauben zugehörige Individuen bezeichnet. Bereits im 17. Jahrhundert gab es griechische und armenische Kolonien sowohl in Cádiz als auch in Sevilla, die sich auf den Handel mit orientalischen Produkten spezialisiert hatten. Das offizielle Ende dieser ersten griechischen Handelsniederlassung kam mit dem Ausweisungsbefehl von 1683. Die Zahl der in Cádiz ansässigen Griechen stieg von sechs 1713 auf 21 1773 und fiel dann wiederum auf zwei 1791. 1819 schließlich wurde die Cádizer griechische Gemeinde wieder mit zwölf beziffert. Diese Zahlen beziehen sich wiederum nur auf im Handel Tätige. Der Erlass ihrer Ausweisung 1753, der auch die Armenier traf, war nicht Auslöser ihres Rückgangs. Collado Villata: El impacto americano, S. 62f, 73f, 88. Fn. 101. Der aus Athen stammende naturalisierte Pablo Capitanache wurde 1750 sogar in den Matrikeln der Cádizer (Groß)Kaufleute geführt. Ruiz Rivera: El Consulado de Cádiz, S. 55. Die sich im Verlauf des 17. Jahrhunderts in Cádiz angesiedelte kleine Gruppierung von Armeniern, auch als Damaszener benannt, konnte hingegen die Ausweisung durch ihre enge Verbindung zur Bruderschaft ,,cofradía de Jesús Nazareno“ und somit durch ihre katholische Religionszugehörigkeit umgehen. Sie waren zahlenmäßig nie sonderlich stark, um die zwölf Personen. Unter ihnen war keine dynastische Konstanz erkennbar, sie kehrten wohl nach den Arbeitsjahren in der Fremde mit dem erwirtschafteten Ge-

286

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

von Cádiz ablesen, denn gerade in der Periode von 1780 bis 1820 etablierten sich griechische Handelsdiasporas im östlichen Mittelmeerraum und übernahmen die Mittlerrolle zwischen Ponente und Levante wie allgemein den maritimen Transport aus diesem Bereich.39 Zu Beginn des 19. Jahrhunderts tauchten Griechen vermehrt auch als russische Untertanen auf, waren aber vor allem unter den Fahrenden zu finden. Die Armenier waren nach der Auflistung der Geldschenkung für Cádiz 1662 immerhin zahlreicher als die Hamburger oder Venetianer und konnten auch mehr Geld als diese aufbringen.40 Auch ihre Anzahl ging im 18. Jahrhundert deutlich zurück. Sie verschwanden als distinkte Gruppe, scheinen der Verdrängung durch die erstarkenden nordeuropäischen Handelszusammenschlüsse zum Opfer gefallen zu sein. Aus diesen Gruppenzusammenhängen traten immer wieder einzelne dominante Persönlichkeiten hervor, die in der Stadt über großen Einfluss, Namen und Nachwirkung verfügten.41 Dokumentiert wurden nach den Friedensverträgen auch niedergelassene ,,Mauren“-Kollektive, moros oder mouros, in diesem Fall als Nordafrikaner zu verstehen. So existierte in Cádiz zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine wahrscheinlich nicht besonders große, aber recht gut etablierte ansässige Gruppe von Mauren.42 Sie waren in den (Detail)Handel involviert, hatten ihre Verkaufsstände und Wohnungen um die Calle Nueva konzentriert. Ihr

39 40

41

42

winn wieder nach Hause zurück. Letzte gesicherte Kenntnis ihrer Existenz stammt aus dem Jahr 1726, danach sind sie nicht mehr erwähnt. Sopranis: Los armenios en Cádiz. Smyrnelis: La diaspora marchande grecque méditerranéenne. Driesch: Die ausländischen Kaufleute, S. 244, Bustos Rodriguez: Los Comerciantes de la Carrera de Indias, S. 107. Es werden in dieser Liste sieben armenische Kaufleute aufgeführt, die 1400 Reales gaben. Die Venetianer und Hamburger hingegen hatten jeweils nur vier Mitglieder und brachten jeweils 1000 Reales auf. Vgl.: Martín: Un padrón de contribuyentes. App. I. S. 143; Carrasco Gónzalez: Los instrumentos del comercio colonial, S. 12. Die Bezeichnung Damaszenen deutet auf ihre hauptsächliche Zuordnung oder Herkunft aus der Stadt Damaskus hin. Exemplarisch sei hier der aus Damaskus gebürtige D. Juan Clat oder Fragela, der in Cádiz ein Heim für mittellose Witwen errichten ließ, erwähnt.Wie viele andere kam er 1683 mit 27 nach Cádiz, um sein Glück zu machen. Mit diesem Vorhaben war er sehr erfolgreich, er hatte vor allem den Großhandel mit Seide, Teppichen, Tuch, Schmuck und Gewürzen von Damaskus in den Atlantik in der Hand. Er erhielt 1725 die spanische Naturalisierung und die Lizenz für den Indienhandel. Fragela starb schließlich hoch betagt mit 100 Jahren 1756. Er hinterließ ein ansehnliches Vermögen und zahlreiche wohltätige Werke. Das bekannteste ist die schon erwähnte ,,Casa de Viudas“. Sánchez: La fundación de la ”Casa de Viudas”. Im Einwohnerverzeichnis von 1801 sind neun männliche Marokkaner verzeichnet. Driesch: Die ausländischen Kaufleute, S. 248. Dies beschreibt nicht ihre vollständige Zahl, gibt aber einen Minimalwert an. Vor der Unterzeichnung der Friedensverträge war es für levantinische oder nordafrikanische Muslime nicht ratsam gewesen, spanischen Boden zu betreten. Sie wurden bei Ankunft, wenn nicht im Status eines Sklaven oder konvertierungswillig, gefangengenommen. Der Schutz der französischen oder britischen Flagge konnte sie im 18. Jahrhundert zum Teil davor bewahren. So zu Barcelona: Corrales: Comercio de Cataluña, S. 520–524. Bei diesem Grüppchen kann es sich durchaus auch um

2. Die Zerstreuten – die Schwebenden

287

Warenrepertoire umfasste ein breites Spektrum, darunter auch marokkanische Pantoffeln und Früchte. Der Beginn ihrer Präsenz ist nicht festzulegen, sie tauchen nur sporadisch in den Unterlagen auf. Aufgrund der Nähe zum nordafrikanischen Kontinent und den seit der offiziellen Wiederaufnahme der direkten Beziehungen Spaniens mit den nordafrikanischen Regentschaften deutlich erleichterten Handelsbeziehungen, ist ihr vermehrtes Ansiedeln in Cádiz spätestens für die letzten Jahre des 18. Jahrhunderts anzunehmen. Im zweiten Jahr der Napoleonischen Belagerung erschien die folgende Zeitungsmeldung: Es seien einige Mauren festgenommen worden, die eine ansehnliche Anzahl von Bajonetten besaßen, die sie aus Angst vor Entdeckung an verschiedenen Orten in der Stadt versteckt hatten. Die Gesamtzahl der Waffen betrage an die 200 Stück und man nehme an, dass es sich bei diesen um Spekulationsobjekte handeln würde.43 Ramon Solís echauffiert sich in diesem Zusammenhang über die vertrauensselige Unbekümmertheit, mit der dieser Fund aufgenommen wurde. Zugleich zeigt dieser Bericht jedoch, dass die gefassten Mauren in der lokalen städtischen Gesellschaft – auch unter diesen Ausnahmebedingungen – keine Sündenbockposition besetzten und wohl zumindest bis zu einem gewissen Grad integriert waren und zum Stadtbild gehörten. In beiden iberischen Hafenstädten war die Hochzeit der zumeist afrikanischen Sklaven vorbei. Lissabon war zeitweise als ,,madre de negros“, als ,,Mutter der Schwarzen“ bezeichnet worden.44 Es lebten zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch einige Afrikaner als Sklaven, doch der weitaus größere Teil war freigelassen worden.45 Diese formten den nicht zu unterschätzenden Teil der ,,población negra“, der ,,schwarzen“ bzw. ,,farbigen“ Bevölkerung beider Städte. Ihr Anteil ging ab dem 18. Jahrhundert zurück. Sie lebten zumeist in ärmlichen Vierteln und waren in der Arbeiterschicht verortet. Einfluss auf das städtische Geschehen nahmen diese – zumeist dem katholischen Glauben

43 44

45

maghrebinische Juden handeln, wie es Lucette Valensi vorschlägt: Valensi: Le Maghreb, S. 18. Redactor General. 3.3.1812. Nach: Solís: El Cádiz de las Cortes, S. 463. Der überwiegende Teil der iberischen Sklavenbevölkerung war ab dem 15. Jahrhundert aus Afrikanern zusammengesetzt, konnte aber natürlich auch Menschen anderer Herkunft umfassen. Diese Benennung nach: Moita: A imagem, S. 18. 1813 finden sich in Cádiz in Padrón, der Einwohnererfassung, noch einige Sklaven. Diese kamen alle aus dem amerikanischen Raum. Der Normalfall sah ihre Freilassung mit dem Erreichen eines gewissen Alters vor. Solís: El Cádiz de las Cortes, S. 88f. Die 1801 gezählten Äthopier, sechs Männer und sieben Frauen, bezeichnen wohl Freigelassene. Driesch: Die ausländischen Kaufleute, S. 248. In Portugal war ein ähnlicher Prozess zu verzeichnen, der jedoch nicht mit abolistischen Tendenzen zu erklären ist. Diese Ideen blieben fremd, auch wenn man zu inhumane Auswüchse des Sklavenhandels kritisierte. Forderungen zur Abschaffung des portugiesischen Sklavenhandels wurden als von Außen ausgeübter politischer Druck empfunden. So konnte Portugal als einziger Kolonialstaat 1820 Sklavenhandel noch als legal betrachten. Marques: The Sounds of Silence, insb. S. 249–253.

288

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

Angehörenden – über die von ihnen begründeten Bruderschaften.46 Sie sind als integriert, wenn auch auf ärmlichen Niveau lebend, zu beschreiben. Der Grad ihres Verschwindens kann auch daran festgemacht werden, dass die Galizier ihre Aufgaben zu einem großen Teil übernahmen. 2.1.3 Annäherung, Abstoßung, Verflechtung? Das Band zur Gastgesellschaft Die zumeist katholischen frühneuzeitlichen Diasporagemeinden in Lissabon und Cádiz, allen voran die Genueser, assimilierten sich verhältnismäßig rasch in die iberischen Gastgesellschaften. Sie wurden als gut situierte Kaufleute wohlwollend aufgenommen und waren als gute Katholiken nicht wirklich befremdend. Sie ließen sich häufig naturalisieren oder wurden vom König sogar in den Adelsstand erhoben.47 Ein anderer Weg war jener der Unauffälligkeit; die mehrheitlich katholischen Flamen versuchten gerade die gehäufte Ansiedlung in einzelnen Stadtteilen zu vermeiden, um nicht unangenehm aufzufallen.48 Eine weitere Möglichkeit der frühen Handels-Diasporagemeinschaften war das Ausbilden einer eigenständigen Identität, die von Jacques Heers als portugiesisch und atlantisch geprägte Mentalität, feindlich gegenüber mediterranen Systemen und Monopolen, beschrieben wird.49 Sie hatten sich von ihrer ursprünglichen, mit der fernen ,,Heimat“ verbundenen Gruppenidentität gelöst und eine distinkte Netzwerkidentität aufgebaut. Für nichtkatholische Diasporagruppierungen war die Verschmelzung mit der Gastgesellschaft ohne Aufgabe ihrer Glaubenszugehörigkeit nahezu unmöglich. Dies führte vor allem zu Rückzug in den privaten Raum. Die großen Protestantengruppierungen konnten im Verlauf des 16., 17. und 18. Jahrhunderts auf die Zunahme der ihnen zugestandenen Privilegien zäh-

46

47

48 49

In Cádiz begründeten sie die ,,Cofradía de la Virgen del Rosario“, der heutigen Schutzpatronin der Stadt, in Lissabon die ,,Confraria de Nossa Senhora do Rosário de Homens Pretos“. Solís: El Cádiz de las Cortes, S. 90; Moita: A imagem. Das Bemühen der portugiesischen Kirche, die Situation der afrikanischen Sklaven zu verbessern, wie auch die tendenzielle Steigerung ihres Status’ durch Übertritt zum christlichen Glauben waren Anreize, der dominierenden Religion ihres Gastlandes beizutreten. Ebd., S. 17f. Trivellato: Juifs de Livourne, S. 598. Virgina Rau sieht beispielhaft die Genueser Familie der Lomellinis im 15. Jahrhundert als ,,already truly Portuguese both by their military progress and for their pride, in their own position as nobles, retaining only a few economic interests in common with their Genoese relatives – and even these were gradually forgotten in the course of the XVIIth century.“ Rau: Family of Italian Merchants, S. 726. Zugleich verschwanden sie allmählich in ihrer Gastgesellschaft und verloren – zumindest ein Teil von ihnen – durch perfekte Anpassung ihre Gruppenidentität als Fremde. Lowe: Understanding Cultural Exchange, S. 9. Stols: Les marchands flamands, S. 230. Heers: Portugais et Génois, S. 147.

2. Die Zerstreuten – die Schwebenden

289

len, die mit ihrem zunehmenden Gewicht im Handel zusammenhingen und ihnen Raum zum Leben wie zum Handeln gaben. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts führten die durch aufklärerisches Gedankengut und neues Staatsverständnis geförderte zunehmende religiöse Toleranz und die zugleich zunehmende nördliche wirtschaftliche Dominanz dazu, dass Religion nicht mehr über gesellschaftliche Teilhabe bestimmte. Stattdessen verstärkte sich das Kriterium der nationalen Zugehörigkeit bzw. sozialen Stellung. Dies wurde nochmals durch Druck aus der Heimat verhärtet.50 Die Privilegien der großen europäischen Diasporagemeinden hatten sich zugleich als sehr komfortabel entwickelt, auch wenn versucht wurde, ihren Regelungsbereich noch zu erweitern. Der Aufenthalt wie die eventuelle Assimilierung sozial schlechter gestellter Fremder in den beiden Städten ist nicht sonderlich untersucht und schlecht nachzuweisen. Diese Leerstelle war sinnvoll, da sich diese Gruppierungen im Allgemeinen nicht in Kooperationen zusammen schlossen, kein gemeinsames Auftreten hatten und in der örtlichen Menge der Armen aufgesogen wurden. Das Misstrauen gegenüber ärmlichen Fremden zog ab Ende des 18. Jahrhunderts generell an, die Verbindung von Marginalität und Fremdheit nahm sich immer mehr Raum.51 Es verstärkte sich die Tendenz, dass man die von der Krone angeordneten gegen marginal(isiert)e, von sozialer Devianz gekennzeichnete Gruppen oder Personen gerichteten repressiven Maßnahmen bevorzugt gegen Fremde anwendete. Diesen konnte man vor 50

51

Durch die Verschärfung der Aufnahmeregeln der französischen Nation in Lissabon im 18. Jahrhundert waren viele französische Handelshäuser nur für eine Generation existent – und wurden danach wahrscheinlich als portugiesisch weiter geführt. Die konstituierenden Individuen waren mit den Häusern zusammen naturalisiert worden. Jean-Francois Labourdette sieht eine fast vollständige Erneuerung der französischen Handelshäuser im Zeitraum einer Generation, den er mit 39 Jahren ansetzt, gegeben. Labourdette: Nation française, S. 523. Ab 1800 wandelte sich die europäische öffentliche Armenfürsorge, es wurde begonnen diese flächendeckend nach einheitlichen Kritierien von Staatsseite her zu institutionalisieren und versucht, sie aus dem Bereich der individuellen, kirchlichen oder kooperativen Wohltätigkeit herauszuholen. Damit kam zum einen der einheimische Bettler und Arme verstärkt in den Fokus. Auf der anderen Seite wurde in diesem neuen Zugriff die Positionierung in arbeitswillig-arbeitsunwillig, fremd-einheimisch verschärft, was sich wiederum nochmals negativer auf die fremden Armen auswirkte. Althammer: Einleitung. Marginalität und Fremdheit sind als zwei unterschiedliche Begriffe zu fassen, die zwar beide Nichtzugehörigkeit thematisieren, aber von unterschiedlichen Ausgangspunkten der Bezugnahme kommen. Der Begriff der Marginalität zieht in einem sonst als Einheit verstandenen großen Ganzen neue, interne Grenzen bzw. deutet auf den ambiguen Status des Individuums oder der Gruppe, während das Konzept der Fremdheit diese um das Ganze herum zieht. Der Fremde kann jedoch im Gegensatz zum Marginalisierten nicht in einen inneren Konflikt getrieben werden. Diese Unterscheidung soll nicht verdecken, dass sich beide häufig genug ähnlicher Ausgrenzungs- und Kontrollmechanismen bedienen, sie sich gegenseitig verschärfen und in marginalisierten Gruppen häufig genug Fremde anzutreffen sind. Häberlein, Zürn: Minderheiten als Problem, S. 14–17; Manz: Fremde und Gemeinwohl, S. 196; Stichweh: Universitätsmitglieder als Fremde, S. 170.

290

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

dem Hintergrund der fremden Herkunft die Zugehörigkeit zur lokalen Gemeinde besonders leicht absprechen, wie es Volker Manz für die Landarbeiter in Jerez de la Frontera, einer Nachbarstadt von Cádiz, aufzeigte.52 Sie wurden in direkte Verbindung mit dem vago, dem Vagabunden, gebracht. Dieser ist als Symbol der noch dominanten sozialen Ordnung der Frühen Neuzeit anzusehen, da er gerade den nicht zu lösenden Widerspruch innerhalb einer auf Immobilität ausgerichteten sozialen Ordnung verkörperte.53 Entscheidend wurde zunehmend Arbeit als Einteilungskriterium, die im Verlauf der Neuzeit immer mehr an Gewicht für die Positionierung der Armen und Bettler eingenommen hatte.54 Die Wirren der Napoleonischen Kriege vermehrten das Problem der Armut und des Elends unter der einfachen – ob einheimischen oder fremden – Bevölkerung nochmals – und machten es zu einem der Hauptprobleme der Obrigkeiten. Diese reagierte ausgesprochen repressiv; so wurde im März 1812 der Befehl erlassen, vagos zum Dienst im Militär oder in der Landwirtschaft zum Wohl der Öffentlichkeit zu zwingen.55 Die ersten zögerlichen Anfänge des Übergangs von der physischen hin zur sozialen Hygiene, die die Gefahr der unmoralischen Ansteckung durch den proletarischen ,,Bodensatz“ propagierte, sind an dieser Stelle zu erkennen.56 Der Wechsel zur (staatsbezogenen) Nationenzugehörigkeit als dem entscheidenden Kriterium war zu diesem Zeitpunkt auf dem Weg, steckte jedoch noch in Kleinkinderschuhen.57 Die soziale Zuordnung zählte noch weitaus mehr. Zudem schimmerten auch weiterhin die alten personenbezogenen Verbindungen durch, die die Diasporagruppen mit ihrem Aufenthaltsort verbanden. Die diasporischen Strukturen der Kollektive wurden weiter ausgebaut, sichtbar beispielsweise in der 1822 fertig gestellten britischen Kapelle in Lissabon.58 Die diasporischen Gruppierungen verorteten sich nach wie vor 52

53 54

55 56 57

58

Manz: Fremde und Gemeinwohl, S. 196–215. Dieses Vorgehen wurde durch die große Zahl von Tagelöhnern begünstigt, die nur beschäftigt wurden, wenn man sie benötigte. Für die Kategorisierung als Vagabund oder Bettler war es ausreichend, dass sie im Moment des Aufgegriffenwerdens keine Arbeit, oder zumindest keine geregelte Arbeit, keinen festen Wohnsitz vorweisen konnten oder beim Betteln aufgefallen waren. Die lokale Zugehörigkeit spielte zumindest für die Einordnung offiziell keine Rolle. Ebd., S. 205. Castel: Die Metamorphosen, S. 28, 37, 79–97, 404; Kronauer: Von der Ausgrenzung aus der Stadt, S. 43f. Bräuer: Bettler in frühneuzeitlichen Städten, S. 29–33. Die protestantisch geprägte Neubewertung von Arbeit zog mittels des sich zu etablieren beginnenden liberalen Gesellschaftssystems ein, agierte jedoch noch neben den traditionellen katholisch formierten Gesellschaftsstrukturen. Lopes: Os pobres, S. 513. Lindner: ,,Unterschicht“, S. 12. Die neuen gemeinschaftsstiftenden nationalistischen Codes kreierten unter Zuhilfenahme alter Symbole, Vorurteile, Stereotype und Erinnerungen eine neue hochemotionale Gemeinschaftsideologie. Loewenstein: Wir und die anderen, S. 20. Ihre Errichtung war offiziell durch den ,,Treaty of Amity, Commerce and Navigation“ von 1810 abgedeckt. Während der Diskussion und der Erbauung der Kapelle ,,St. George“ zwischen 1814–1822 kam es zu heftigen Reibereien zwischen den britischen Kaufleuten,

2. Die Zerstreuten – die Schwebenden

291

auf eigenständigem Posten zwischen der “Ursprungs”- und der “Aufnahme”Gesellschaft. Die Hinwendungen fokussierten jedoch immer wieder deutlich in Richtung der neuen Heimat. So konnte der neapolitanische Konsul 1810 freudig verkünden, dass die in Portugal wohnhaften Italiener eine freiwillige Spende von 542’000 Reis aufgebracht hätten, um portugiesische Gefangene in Algier auszulösen.59

2.2 Die Ankommenden Beide Städte waren vorrangig zu Wasser erreichbar, insbesondere für internationale Handelsrouten.60 Die Seeleute einfahrender ziviler Handelsschiffe verweilten bei Zwischenstopps häufig nur für begrenzte Zeit im Hafen. Dabei hatten sie zumeist nur wenig Möglichkeiten für ausgiebige Landgänge, denn die Schiffe mussten wieder in Stand gesetzt und in Schuss gehalten, ent- und beladen werden. Zum anderen wollten die Kapitäne mögliche Desertion und Aufweichung der Disziplin verhindern. Zugleich musterten aber auch viele in den Häfen ab, suchten nach neuer Arbeit, verweilten für gewisse Zeit in den (Hafen)Vierteln der Stadt oder suchten ein neues Schiff zum Anheuern. Die Seeleute waren für die Stadtbevölkerungen in unterschiedlicher Intensität erlebbar; die einen nur flüchtig, die anderen präsenter, insbesondere in gewissen öffentlichen Räumen. Sie waren sofort als Männer der See erkennbar und vom Gefühl einer eigenen kollektiven Identität geprägt.61 Ihre ,,Zivilisierung“ durch die hohe See, im Rhythmus des Schiffes und der Naturgewalten, brachte eine geschlossene Kollektivform hervor, die stark durch die grundlegende Notwendigkeit gemeinsamer Bewegungen wie die Verortung im ,,Ort

59 60

61

vertreten durch die 1810 die Factory abgelöste Society of Merchants and Factors und dem britischen Konsul Jefferey. Es wurde sogar dessen Ablösung gefordert. Howes: The British Cemetery in Lisbon, S. 37–46. ANTT, Minísterio dos Negócios Estrangeiros, Caixa 503, 11.9.1810, ohne Nr. Beide Städte waren von einem Straßennetz im schlechten Zustand umgeben, wobei Lissabon vergleichsweise deutlich besser dastand als Cádiz. Doch auch Portugal verfügte 1852, als der Ausbau der Infrastruktur begonnen wurde massiv voranzutreiben, nur über 218 Kilometer an modernen befestigten Straßen. Marques: Histoire du Portugal, S. 350f. Die Ankommenden unterlagen natürlich auch auf den Landwegen Kontrollen und Einreiseerschwernissen, so die von Portugal 1819 gegen die in Südspanien wütenden Gelbfieberepidemien errichteten Seuchenkordone an der Grenze zu Spanien. Deren Fokus und mit hineinspielende Bilder waren jedoch keine anderen als die für die maritime Ankunft. John Fielding beschreibt ihre sofort wahrnehmbare Andersartigkeit als ,,Their manner of living, speaking, acting, dressing and behaving are so pelicular to themselves.“ Nach: Rediker: Between the Devil, S. 11, 83. Sie kamen von der Heterotopie schlechthin, dem Schiff. Foucault: Andere Räume, S. 46.

292

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

der Verwegenheit“ geformt waren.62 Sie bildeten den größten Teil der (vorübergehend) Ankommenden und prägten das Bild dieser reisenden Fremden entscheidend. Die Besatzungen dieser Segelschiffe waren zumeist nicht einheitlich, sondern häufig ein buntes multi-“nationales“ Gewebe, eine heterogene Masse.63 Seeleute waren in der gesamten Zeit der Segelschifffahrt ,,Mangelware“, auf eine gemeinsame homogene Herkunft konnte unter diesen Umständen keine Rücksicht genommen werden. Man stellte Männer ein, die die erforderliche berufliche Qualifikation und Erfahrung besaßen und Arbeit suchten.64 Es war mit Unterstützung des (Alt)Kapitäns und der Eigentümer zumindest theoretisch für jeden Seemann möglich, sich in Erfüllung der ,,promotion through the ranks“ vom Schiffsjungen bis zum Kapitän hoch zu dienen.65 Die spanische und portugiesische Seefahrt waren ebenso wie alle anderen Seefahrtsnationen zu einem großen Teil von ausländischen Arbeitsleistungen abhängig.66 Alle europäischen maritimen Expansionsbemühungen in Übersee waren von Anfang an durch eine notwendige und starke Inanspruchnahme lokaler Seeleute gekennzeichnet. Diese hier als nicht-europäische Matrosen Benannten fuhren natürlich mit ihren Schiffen auch europäische Häfen an, auch wenn sie bevorzugt auf außereuropäischen Routen eingesetzt waren.67 Entsprechend hoch ist der Anteil der Matro62

63

64

65

66 67

Das Schiff kann als eine ambivalente Zone, ein Grenzgebiet angesehen werden, das nicht unbedingt ein Ort der distinkten Verwilderung ist, jedoch im Takt der (rauen) Umwelt und nach eigenen Ritualen und grundsätzlichen Abhängigkeiten funktioniert. Dening: Tiefe Zeiten, S. 36f. Der Begriff der Zivilisierung wird hier in Anlehnung an Norbert Elias gebraucht, auch wenn sein gesellschaftliches Entwicklungsmodell kritisch betrachtet wird. Die Normalität und Häufigkeit dieser mixed crews stellt Jürgen Rath im nordeuropäischen Raum dar. Rath: Schiffszwieback, S. 27f. Seine Darstellung des sozialen Lebensraums an Bord kann für diese Bearbeitung herangezogen werden, obwohl sein Buch einen anderen räumlichen Fokus hat und später angesiedelt ist, da Seefahrt eine über Jahrhunderte sehr konservative raumübergreifende Angelegenheit darstellt. Das Bordleben einer portugiesischen Hiate oder eines Hanseschiffes unterschieden sich nicht wirklich. Ebd., S.10f. Unfreiwillig ,,gepresste“ Seeleute werden an dieser Stelle vernachlässigt. Sowohl für Kapitäne, Eigentümer der Schiffe und Kaufleute als auch für die potentielle Besatzung existierten informelle Informationsnetzwerke in den Häfen, die über Arbeitsbedingungen an Bord, Herrschaftsausübung des Kapitäns bzw. Arbeitsleumund des Matrosen Auskunft gaben. Die Existenz solcher Netzwerke ist auch für die iberischen Häfen vorauszusetzen. Rediker: Between the Devil, S. 133. Dieser Ausbildungsweg veränderte sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ein direkter Aufstieg vom Schiffsjungen zum Kapitän war möglich, in der Praxis jedoch selten. Dennoch bot eine Seefahrtskarriere vor allem für Angehörige der unteren Schichten eine gute Möglichkeit für einen sozialen Aufstieg. Witt: Master Next God?, S. 205, 259. Pérez-Mallaína: Spain’s Men of the Sea, S. 55–62. Eine eindrucksvolle Beschreibung der Angewiesenheit europäischer Seefahrt auf diese ,,fremden“ Seeleute findet man bei: Chappell: Ahabs Boot. Er führt an, dass der Spitzna-

2. Die Zerstreuten – die Schwebenden

293

sen aus dem restlichen Europa zu veranschlagen. Den Internationalismus unter Seeleuten, ob nun freiwillig oder ,,gepresst“, beschreibt der spanische Vizekonsul von Tanger eindrucksvoll, als er meldet, dass er an Bord des in Richtung Mittelmeer ablegenden algerischen Kriegsschiffes zahlreiche europäische Matrosen gesehen habe.68 Diese hybriden mixed crews waren auf beiden Seiten des Meeres Normalität. Mehrsprachigkeit an Bord stellte die Norm und nicht die Ausnahme dar.69 Zugleich ist für Seeleute bereits ab dem 16. Jahrhundert ein internationaler Arbeitsmarkt zu konstatieren.70 In den Quellen ist zumeist nur die gehisste Flagge des Schiffes benannt. Sie beschreibt die Zusammensetzung der Schiffsbesatzungen in keiner Weise, lässt nur Vermutungen zu. Die Seeleute finden zudem meist nur als bloße Zahl Erwähnung. Ihre Identität bleibt häufig im Dunkeln, selten werden Name oder Herkunft erwähnt. Wenn dies doch einmal geschieht, wie für den flüchtigen Matrosen António Romero, ist der Name häufig derart hispanisiert oder portugiesiert, dass seine Herkunft nicht klar erkennbar ist.71 Ähnlich ist die Lage auch für die an Bord von militärischen Marineschiffen dienenden Matrosen, obwohl für diese eher eine homogene Herkunft anzunehmen ist. Die Schiffe beförderten neben Waren zahlreiche Passagiere, für die die Schiffsreise die schnellste und über lange Seeentfernungen auch einzige Möglichkeit der Fortbewegung darstellte. Diese kamen ebenfalls aus aller Herren Länder, natürlich vor allem aus den Regionen, die bedeutsam für den Handel waren, und die bereits Diasporagruppierungen als Handelspartner vor Ort hatten. Eine Übereinstimmung ihrer Herkunft mit der Fahne des transportierenden Schiffs anzunehmen, ist historiographisch nicht sinnvoll.72

68 69 70 71 72

me Holländer auf jede gemischte Besatzung angewandt wurde, da die Schiffe der Dutch East India Company so viele ausländische Seeleute beschäftigten. Ebd. S. 180. Auf den Schiffen der East India Company wurde durch die akute, durch die amerikanischen und französischen Revolutionen verursachte Personalknappheit massiv mit der Einstellung indischer Seemänner begonnen. In den 1840er Jahren schließlich erreichten jedes Jahr 3000 von ihnen England. Ebd. S. 183. AHPC, Junta de Sanidad, Ordenes, L. 2969, f. 228 (1820). Mühleisen: ,,I’ve Crossed an Ocean“. Pérez-Mallaína: Spain’s Men of the Sea, S. 54. Dieser intensivierte sich in den folgenden Jahrhunderten. Witt: ,,Master Next God?“, S. 245. AHPC, Junta de Sanidad, Actas Municipales, L. 2939, 9.1.1813, ohne f. Weder Spanien noch Portugal hatten zu Beginn des 19. Jahrhunderts den Ruf, ein Ziel des aufkommenden Tourismus oder der ,,Grand Tour“ zu sein. Dafür waren diese Regionen als zu rückständig und nicht – wie Italien beispielsweise – von vergangener kultureller Größe durchdrungen, angesehen. Eschwege beschreibt in seinen Erinnerungen, dass Portugal im restlichen Europa einen weißen Fleck auf der Landkarte darstellen würde, über Land und Leute sei wenig bekannt. Es werde nur, wie er leicht polemisch schreibt, von ,,reisenden Geschäftsleuten, die es je nach Gewinn und Verlust beurteilhen, oder von schwindsüchtigen Engländern, denen der Barometerstand ihrer Leiden zum Maßstabe der Beurtheilung dient“ bereist. Eschwege: Portugal, S. XII. Auch Spanien war – verallgemeinert gesprochen – für die europäischen Zeitgenossen ein zurück gebliebenes Land, das schon nicht mehr ganz europäisch ist, die Scheidelinie zum Orient teilweise bereits

294

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

Die nationale Zuordnung der Passagiere wurde anhand ihrer IdentitätsPapiere vorgenommen. Diese Dokumente verhalfen jedoch nicht zur gewünschten abschließenden Klarheit über die Identität dieser einreisenden Personen. In einem portugiesischen Erlass wurde 1818 zum wiederholten Mal darauf hingewiesen, dass ankommende Reisende zur Bekanntgabe ihres Herkunftsorts zu verpflichten seien. Im gleichen Atemzug wurde der Einlass ohne spezielle obrigkeitliche Erlaubnis von Passagieren aus der Levante verboten.73 Auch in Cádiz funktionierte die Registrierung von Passagieren nicht reibungslos.74 Man hatte die bürokratisierte, lückenlose und vor allem vertrauenswürdige Erfassung der Ankommenden noch längst nicht durchgesetzt. Der konkrete Ort der Herkunft oder Abreise hatte nach wie vor große Definitionsmacht – vielleicht sogar größer als der der Staatszugehörigkeit. Vor allem die russischen Untertanen, die am Rand der europäischen Gemeinschaft lebten und deren Zugehörigkeiten sich häufig veränderten, stifteten bei der eindeutigen Erfassung immer wieder Verwirrung. Ein Passagier der ,,Anna Maria“ bezeichnete sich selbst als russischen Untertan, wurde vom russischen Konsul Borel nach der Befragung aufgrund seines Geburtsorts Lemberg als österreichischer Untertan definiert. Den Juden Archer Levi hingegen akzeptierte der Konsul zweifelnd als russischen Staatsbürger.75 Hier spielten die sich verschiebenden Grenzen im Vielvölkerreich Russland eine entscheidende Rolle. Die treibende Kraft war bei diesen Zuordnungsfragen der Konsul und nicht die einheimischen Behörden. Auch Auswanderer, die ihr Glück in der Neuen Welt suchen wollten, streiften die iberischen Häfen. Dieser Kontakt war nur ein flüchtiger, wenn Wasser und Proviant geladen wurden. Die Insassen des holländischen Auswandererschiffes ,,Anna Maria“, die aufgrund eines Krankheitsausbruchs 1817/1818 über Monate in der Lissaboner Quarantäne festsaßen, hatten schlichtweg

73 74

75

überschritten hat. Die Nationalstereotypen, die dabei zum Tragen kamen und die eine lange, teils bis in die Antike zurückreichende Tradition hatten, beschreibt Debora Gerstenberger: Gerstenberger: Iberien im Spiegel. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 38, 22.6.1818, Nr. 140. 1813 wurde mit Anlass des Pestausbruchs auf Malta darauf hingewiesen, dass im Bezug auf die aktuell seuchenverdächtigen Regionen die Herkunft der an Bord der Schiffe reisenden Passagiere zweifelsfrei festgestellt werden sollte. Dafür wurden die ausländischen Konsuln angewiesen, die Herkunft von Personen in den Sanitätspapieren festzuhalten. AHPC, Junta de Sanidad, Actas Municipales, L. 2939, 20.8.1813, ohne f. Beim ersten Passagier handelte es sich um den Lemberger Jean Stophel: ANTT, Minísterio dos Negócios Estrangeiros, Caixa 274, Maço 1, 26.12.1817, Nr. 11. Der russische Konsul hing sich bei der Identifikation Levis daran auf, dass dieser kein Russisch sprach, ein unsauberes Zuordnungskriterium in einem Staatsgebilde, das durch viele Sprachen gekennzeichnet war. Er erkannte ihn nur an, weil für dessen Rückverschickung nach Odessa bereits gesorgt war und die jüdische Gemeinde für die entstehenden Ausgaben aufkam. Ebd. 19.3.1818.

2. Die Zerstreuten – die Schwebenden

295

Pech. Ihre Wege hätten in diesem Hafen eigentlich keine Spuren hinterlassen sollen.76 Eine weitere Kategorie der beständig Ankommenden waren die örtlichen Fischer, die für ihren Lebensunterhalt auf hohe See hinaus fuhren und durch ihre Verbindung zum grenzenlosen Element Wasser wie ihre niedere soziale Lage für die Grenzbehörden suspekt waren. Zu guter Letzt kamen mit den Schiffen zahlreiche, wenn auch meist unbelebte Waren an. Sie waren Teil eines großen Handelsnetzes, versorgten die Städte mit grundlegenden wie exotischen Objekten. Die Verschiffung dieser Waren war trotz aller Informationsnetze immer ein spekulatives Unterfangen, da der Kapitän bzw. Frachtaufseher nur unvollständig über Ernten, Märkte, Wetter und derzeitigen Wettbewerb in den anzulaufenden Häfen informiert sein konnten. 2.2.1 Das bunt gewirkte Netz: Schiffe unter europäischen Flaggen Die Häfen von Lissabon und Cádiz wurden auch noch im 19. Jahrhundert von Schiffen aller bereits erwähnten Routen angesteuert. Die Mehrheit dieser war jedoch nicht portugiesisch bzw. spanisch, sondern setzte sich aus einem bunten Gemisch anderer europäischer Nationalitäten, vor allem der nordeuropäischen Schifffahrtsnationen zusammen. Die Übermacht der fremden Schiffe war Charakteristikum der Seeaktivitäten in den iberischen Gewässern.77 Portugiesische Schiffe bedienten häufig inländische und benachbarte (spanische) Häfen wie auch umgekehrt zahlreiche spanische Schiffe in Lissabon zu finden waren. Die fremden Schiffe, allen voran die unter britischer Fahne, deckten einen Großteil der weiteren Handels- und Transportnetze ins Mittelmeer, vor allem nach Marseille, Genua, Livorno, Ancona, bis nach Odessa und Triest ab. Zugleich verbanden sie die iberischen Häfen mit denen Nordeuropas. Ebenso befuhren sie die Levante und die nordafrikanische Küste, verbanden diese handelstechnisch mit Europa. Sie boten sich auch als internes Verkehrsmittel an, führten den Transport der Mekkapilger zum großen Teil durch.78 Es 76

77

78

Dazu ausführlich Kapitel 5 meiner in der Publikationsvorbereitung befindlichen Dissertation ,,Die Bedrohung kommt übers Meer. Maritime Quarantäne und der konstituierende Verdacht in Lissabon und Cádiz zu Beginn des 19. Jahrhunderts“. 1813 kamen beispielhaft 357 als portugiesisch bezeichnete und 1087 ausländische Schiffe im Lissaboner Hafen an. Es verließen im selben Zeitraum 299 Schiffe mit portugiesischer und 1132 mit fremder Flagge diesen Hafen. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 84, ohne Dat. (1813), ohne Nr. Die englische Fregatte, von der zur Zeit akuter Pestbedrohung aus dem Hafen von Tanger berichtet wurde, hatte 400 Pilger aus Alexandria gebracht. AHPC, Junta de Sanidad, Ordenes, L. 2966, 1.7.1818, ohne f. In den weiteren Listen finden sich daneben erstaunlich viele sardische Schiffe in den nordafrikanischen Häfen. AHPC, Junta de Sanidad, Ordenes, L. 2967 (1819). Das schwedische Schiff ,,La Contenuation“, über das das Marseiller Sanitätsbüro 1819

296

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

ist dabei auffällig, dass sie von den nordafrikanischen Häfen aus spanische oder portugiesische Häfen nicht direkt ansteuerten, sondern lieber Livorno, Marseille oder Genua anliefen – die dann die Weiterverteilung der Waren übernahmen. Es existierte daneben die Hintertür Gibraltars, die den mehr oder minder zügigen, wenn auch teilweise illegalen Kontakt zu beiden Untersuchungshäfen herstellte und zugleich den offiziellen Regelungen Genüge tat. Auch von den weiteren außereuropäischen Routen liefen sie die iberischen Häfen an, ob nun vom Stockfischfang vor Neufundland oder aus dem asiatischen Meer, wie das französische Schiff mit den an Skorbut erkrankten Matrosen aus Bombay 1818.79 Auch wenn Lissabon und Cádiz im betrachteten Zeitausschnitt im internationalen Handelskonzert an Bedeutung verloren hatten, waren sie doch auch weiterhin wichtige (Transit)Häfen, die nach langer Fahrt angelaufen wurden. Für diese ,,europäischen“ Schiffe und deren Eigentümer waren ideologische Vorbehalte und Weltsichten zweitrangig, es kam vielmehr auf Gewinn und Erweiterung oder Verteidigung der Einflusssphären an. Die großen Handels- und Schifffahrtsnationen, die Briten, Franzosen und Holländer, waren dabei zahlenmäßig in der Übermacht. Es finden sich daneben auch neapolitanische, sardische, schwedische und habsburgische Schiffe, um nur einige aufzuzählen. Diese Schiffe transportierten alles, was bewegt werden musste und beschränkten sich dabei nicht unbedingt auf eine Gütergruppe. Im Ausladeinventar eines aus Genua angekommenen Schiffes in Lissabon finden sich beispielsweise Seide, Stoff, Arzneien, Papier, Galläpfel, Uhrenteile und Gewürze.80 Ihre sanitäre wie generelle Behandlung im Hafen war vor allem abhängig vom Startort der Reise und den dortigen Gesundheitszuständen. Es war von Vorteil, unter einer der Flaggen der großen europäischen Wirtschaftsmächte zu fahren: Die kollektive Rückendeckung und der obrigkeitliche Schutz waren größer. Eine aufgrund der Flaggen-Zugehörigkeit des Schiffes stattfindende unterscheidende Diskriminierung war innerhalb des europäischen Radius’ nicht festzustellen. Auch die englischen Schiffe, die in Portugal aufgrund des faktischen Protektoratszustandes am ehesten hätten Vorteile erwarten können, wiesen die portugiesischen Sanitätsbehörden durchaus aufgrund levantinischer Herkunft des Schiffes ab. Sie konnten keine Sonderbehandlung erwarten. Dieses ,,blind-rationale“ Verhalten erscheint

79 80

Auskunft erteilte, weil Teile der Besatzung wie Passagiere auf der Fahrt oder im Marseiller Lazarett an der Pest erkrankten, war in Tunis losgefahren und hatte mit Zwischenstop in Sousse Marseille angesteuert.“ ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 53, 25.5.1819, Nr. 20. Vergleichbar taucht in den spanischen Unterlagen das Bremer Schiff ,,Wolkfart“ auf, das aus dem Senegal kam, von britischen Korsaren aufgebracht und nach Cádiz verschleppt wurde. AHPC, Junta de Sanidad, Actas Municipales, L. 2936, 20.10.1809, ohne f. ANTT, Junta de Saúde Pública, Maço 42, 4.1.1818, Nr. 1. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 84, ohne Dat. (1817), ohne Nr.

2. Die Zerstreuten – die Schwebenden

297

vor dem Hintergrund relativiert, dass nordafrikanische Handelsschiffe ab dem Ende der Napoleonischen Kriege so gut wie nicht mehr in europäischen Häfen einliefen. Die nordafrikanischen Korsarenschiffe verbreiteten zwar Angst und Schrecken, fuhren aber natürlich die Häfen nicht an. Mit den nordafrikanischen Flaggen musste man sich nicht wirklich auseinandersetzen und konnte deshalb diese pragmatische Haltung zum großen Teil wahren. Europäische Schiffe transportierten ,,maurische“ Passagiere und Waren.81 2.2.2 Grenzgängertransporte: Schiffe aus aller Welt Cádiz und Lissabon wurden in einem nicht zu übersehenden Ausmaß von Schiffen angelaufen, die die Hafenbehörden als ,,russisch“ oder ,,osmanisch“ bezeichneten und die vor allem den Großhandel mit Getreide bedienten. Sie versorgten die iberischen Gebiete mit den dringlich benötigten Lebensmitteln. Im gleichen Atemzug brachten sie die Massen- bzw. Schüttguttransporte in europäischen Gewässern nach und nach in ihre Hand. Sie wurden unter Misstrauen in den Häfen zugelassen, teilweise mit Hinweis auf ihre Herkunft abgelehnt – obwohl man auf ihre Fracht zwingend angewiesen war. Der spanische Hafen war dabei sehr viel rigoroser als Lissabon und ließ diese Schiffe ab 1815 nicht mehr anlegen – auch wenn sich für die Getreide- und Mehltransportschiffe pragmatische Schlupflöcher boten, dieses Verbot zu umgehen.82 Diese russischen wie osmanischen Schiffe sind bei näherem Hinsehen in ihrer großen Mehrheit als griechisch geführt und/oder besessen zu bezeichnen. Darauf verweisen schon die Schiffsnamen wie das 1817 erwähnte osmanische Schiff namens ,,Lionidas“ oder die regelmäßig wiederkehrenden, meist unter osmanischer Flagge fahrenden ,,Nossas Senoras de Idra“.83 Vereinzelt tauchen in den Quellen auch als griechisch definierte Schiffe auf, die höchstwahrscheinlich die Flagge des britischen Protektorats trugen, dem

81

82

83

Die marrokanischen Kaufleute aus Salé fuhren mit ihrer Ware, Wachs und Kautschuk, an Bord des portugiesischen Schiffs ,,Legeira“ 1814 nach Lissabon. ANTT, Junta de Saúde Pública, Maço 78, 14.10.1814, ohne Nr. Klassische ,,maurische“ Waren waren daneben Häute bzw. Leder, Lebensmittel und zeitweise, vor allem für Lissabon, Schlachttiere. Das Ausladen in den Kanal von Santi Petri vor dem Cádizer Hafen ermöglichte die Löschung der benötigten Lebensmittel, ohne dass man die Schiffe offiziell in den Hafen zulassen musste. Beispielhaft: AHPC, Junta de Sanidad, Actas Municipales, L. 2931, 18.12.1802, ohne f. Die aus Hydra klassisch mit Weizen kommende ,,Lionidas“: ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 27, 14.1.1817, Nr. 3. Für die Schutzheilige Hydras beispielhaft herausgegriffen: Ebd., Maço 38, 17.3.1818, Nr. 29; Maço 65, 20.1.1820, Nr. 5; Maço 78, 9.1.1819, ohne Nr. Auch in Cádiz legten die derart getauften Schiffe an, beispielhaft: AHPC, Junta de Sanidad, Oficios, L. 2941. f. 60f (1816). Die griechische Insel mit dem gleichnamigen Hafen gehört zu den saronischen Inseln und war eine der häufigsten Herkünfte im Lissaboner Hafen.

298

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

United State of Ionian Islands.84 Unter den offiziell unter dem Union Jack fahrenden Schiffen ist demnach auch das eine oder andere im griechischen Besitz befindliche zu vermuten. Diese Zuordnungen verwirren zunächst. Vor dem Hintergrund, dass fast alle Griechen bis 1820 technisch gesehen osmanische Untertanen waren und im Osmanischen Reich den größten Teil der Marine und Handelsflotte stellten, deshalb auch spezielle Privilegien und Vorteilnahme genossen, erscheint ihr Engagement jedoch nur logisch.85 Ab dem Ende des 18. Jahrhunderts emanzipierten sie sich von der Position der klassischen Zwischenhändler und bedienten den europäischen Markt im Transport wie Handel direkt. Dabei nutzten sie vor allem das Vakuum auf dem Mittelmeer aus, das der Niedergang Venedigs und die Napoleonischen Kriege hinterließen.86 Zugleich profitierten sie von der russischen Migrationspolitik im Schwarzmeerraum ab Ende des 18. Jahrhunderts, die dieses bis dahin fast menschenleere Gebiet besiedeln, bestellen und in internationale Handelsbeziehungen einbinden sollte. Dieser Chance folgten zahlreiche Griechen aus dem osmanischen Herrschaftsgebiet. Wichtiger für die maritime Bewegung war, dass Russland ab dem Friedensvertrag von Küçük Kaynarca 1774 im griechischen Besitz befindlichen Schiffen erlaubte, die russische Flagge zu nutzen. Dieses Angebot hatte zur Folge, dass zwischen 1801 und 1830, dem Zeitpunkt des Entstehens eines griechischen Staates, sehr viele Schiffe die russische Flagge

84

85

86

Der United State of Ionian Islands bestand von 1815 bis 1864 und setzte sich aus den Inseln Korfu, Kephalonia, Zante, Santa Maura, Ithaka, Cerigo und Paxos zusammen. Als griechisch bezeichnete Schiffe tauchen in misslichen Situationen auf, wie im Bericht des spanischen Konsuls, dass ein solches Schiff in Tetuan einfach angelegt habe und seine aus Mekkapilgern bestehenden Passagiere an Land gesprungen seien. AHPC, Junta de Sanidad, Oficios, L. 2995, f. 133f (1814). Ebenso belegen sie jedoch auch, dass bereits vor der Hochphase der griechischen Schifffahrt ab der Mitte des 19. Jahrhunderts griechische Schiffe den Atlantik kreuzten, wie die griechische Polaka 1820, die aus Rio de Janeiro nach Lissabon einlief. ANTT, Junta de Saúde Pública, Maço 100, 4.5.1820, ohne Nr. Manchmal wird deutlich die Verbindung zwischen britischer Fahne und griechischer Betreiberschaft benannt, wie im Fall des verhafteten russischen Untertanen, der auf einem griechischen Schiff unter britischer Flagge von Malta kam und im Lissaboner Hafen verhaftet wurde. ANTT, Ministério dos Negócios Estrangeiros, Legação Russia, Caixa 508, 20.6.1810, ohne Nr. Daneben ist den Sanitätsbeamten in Lissabon bewusst gewesen, dass die meisten unter russischer Flagge fahrenden Weizenschiffe eigentlich als griechisch zu werten sind. ANTT, Junta de Saúde Pública, Maço 138 (1819). Auch wenn ihre maritimen Aktivitäten für die Phase vom 15.-18. Jahrhundert nur wenig erforscht sind, ist doch deutlich, dass sowohl die Bewohner der ägäischen Inseln wie der Ionischen See für alle Nationen, die ,,ihre“ Gewässer befuhren, Schiffe bauten, reparierten und auch bedienten. Zugleich waren sie in örtliche maritime Schattenwirtschaft involviert. Gelina Harlaftis stellt diesbezüglich die These auf, dass griechische Piratenaktivitäten im 18. Jahrhundert die nötigen Kapitalmengen aufbrachten, die das legale Engagement im Schiffhandel und -transport überhaupt erst ermöglichten. Harlaftis: A History of Greek-Owned Shipping, S. 5. Lemos: The Greeks and the Sea, S. 58.

2. Die Zerstreuten – die Schwebenden

299

wählten.87 Um noch weitere Verwirrung zu stiften, war es Normalität der griechischen Schiffe, dass sie unterwegs die Flagge wechselten, sowohl aus politischen wie auch ökonomischen Gründen, vor allem um hohe Steuern und Zölle zu umgehen. Dieser beständige Flaggenwechsel, der der Vorteilnahme geschuldet war und aufkommende nationale Zugehörigkeiten natürlich ad absurdum führte, verunsicherte und erklärt die Skepsis, die die ,,griechischen“ Besatzungen einlaufender Schiffe erfuhren.88 Ihr Spiel mit Landesfahnen, Zugehörigkeitssymbolen und der gleichzeitig erfolgreichen Umsetzung modernen kapitalistischen Handels machte sie zu argwöhnisch betrachteten Mischformen zwischen traditionellen kollektivistischen Zusammenschlüssen und Kapitalismus in Reinkultur. Mit diesem pragmatischen Wechsel der Zugehörigkeit standen sie jedoch nicht allein da. Auch Schiffe der Nationen, die sich darüber echauffierten, praktizierten den Tausch. 1815 war beispielsweise ein britisches Schiff in der Morgendämmerung heimlich unter spanischer Fahne in den Hafen von Cádiz eingefahren.89 Dieser der Vorteilnahme geschuldete Flaggenwechsel kann vielmehr als Charakteristikum der Schifffahrtswelt gesehen werden, die sich noch längst nicht der auf der Landmasse schon weiter fortgeschrittenen Nationenbindung verschrieben hatte, zugleich jedoch liberale Wirtschaftsideologie mehr oder minder (in Tradition) in Reinform lebte. Staatliche Kontrolle erstreckte sich nicht aufs offene Meer und konnte den Flaggenwechsel auf hoher See nicht unterbinden, auch wenn diesbezügliche Anstrengungen unternommen wurden. Die in den Lissaboner Akten als griechisch bezeichneten Schiffe hatten häufig neben Getreide oder Mehl auch Häute, Zucker oder Kaffee geladen.90 Diese Ladungen weisen auf ihre Handelsverbindungen mit dem Levante- wie Balkanraum, aber auch den lateinamerikanischen Kolonien hin. Als griechisch bezeichnete Schiffe waren in Folge auch in Tetuan und Tanger anzutreffen,

87

88

89

90

Harlaftis behaupet, dass die griechischen Seefahrer hauptsächlich die russische Flagge nutzten. Dieser Einschätzung kann mit Blick auf die portugiesischen und spanischen Quellen nicht zugestimmt werden. Harlaftis: A History of Greek-Owned Shipping, S. 29. Der britische Konsul in Konstantinopel machte seinen Unmut über diese Gewohnheit deutlich (und hier stellvertretend) gegenüber seinem Kollegen in Odessa Luft: ,,The opinion of the British and Ionian governments has been so decidely expressed against permission being given to Ionian vessels which have abandoned their nationality, to resume the Ionian flag, that I do not conceive you should be warranted in attending to the applications, for that purpose, which have lately been made to you. The subjects of the Ionian States must be thaught that their flag is too respectable to be converted into a mere matter of occasional convenience.“ (Hervorhebung LM). Foreign Office 257/1: Russia: Odessa, Embassy and Consular Archives, 1819–1829. Nach: Ebd, S. 29, Fn. 34. AHPC, Junta de Sanidad, Ofícios, L. 2984, 2.8.1815, ohne f. Für die pragmatische Nutzung der französischen Flagge oder des Schiffspasses finden sich auch in den maghrebinischen Konsulsakten immer wieder Belege. Windler: Representing a State, S. 268. Fn. 124. ANTT, Junta de Saúde Pública, Maço 138, ohne Dat. (1819), ohne Nr.

300

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

luden Mekkapilger.91 Sie tummelten sich auf allen großen, europäisch befahrenen Meeren. Diese unter verschiedenen Flaggen fahrenden, in griechischem Besitz befindlichen Schiffe hatten zum überwiegenden Teil eine Besatzung, die durch Verwandtschaftsbeziehungen oder gemeinsame Inselherkunft miteinander verbunden war. Dies erklärt laut Harlaftis den großen Vorteil der griechischen Schifffahrt. Aufgrund der damit einhergehenden sozialen Homogenität (und sozialen Kontrolle) gab es wenig bis keine Unruhen, Querellen oder gar Desertionen. Das Bordleben verlief verhältnismässig reibungslos und friedlich.92 Dennoch oder vielmehr genau aufgrund dieser Zwischenposition erscheinen sie als suspekt, da sie diese Homogenität wiederum oft von den anderen Schiffsbesatzungen unterschied. Ihre Schiffe kamen beinah als kleine, schwimmende Diasporainseln daher. Abseits der sich in einer Zwitterposition eingerichteten christlich-orthodoxen Griechen finden sich in beiden Häfen beinahe keine nichteuropäischen Schiffe aus dem muslimischen Raum. In Cádiz liefen vor 1815 vereinzelte als marokkanisch bezeichnete Schiffe ein.93 Ab 1815 waren sogenannte ,,Maurenschiffe“ für den spanischen Hafen jedoch vollständig gesperrt.94 Zugleich brachte der europäische Frieden die zögerlich aufgenommenen nordafrikanischen Handelsbeziehungen zum Erliegen. Europäische Schiffe eroberten sich ihre Routen zurück und drangen verstärkt in Handel und Transport im nordafrikanischen Raum ein. Zugleich verdrängten neue Konkurrenten, vor allem 91 92

93

94

AHPC, Junta de Sanidad, Actas Municipales, L. 2952, 23.4.1814, ohne f. Hier ein ,,normaler“ Transport mit Seidenstoffen, der in Tetuan zugelassen wurde. Harlaftis: A History of Greek-Owned Shipping, S. 174. Die Kapitäne waren in den meisten Fällen Mitbesitzer der Schiffe und auch in den auszuführenden Handel involviert, hatten also doppelten Anlass, eine reibungslose und zügige Überfahrt herbei zu führen. Lemos sieht den großen Unterschied zu den anderen europäischen Schiffsbesatzungen in der Tatsache, dass jeder Seemann einen korporativen Anteil am Schiff oder der Ladung besaß und damit natürlich größtes Interesse an einer zügigen und problemlosen Überfahrt hatte. Lemos: The Greeks and the Sea, S. 74. Rediker beschreibt im Gegensatz dazu die absolutistische, auf Gehorsam beruhende Arbeitswelt auf hoher See, die zu kollektiven Widerstandsformen wie Desertion oder Meutereien führte. Rediker: Between the Devil, insb. S. 205–253. AHPC, Junta de Sanidad, Actas Municipales, L. 2938, 31.3.1812, ohne f. Ein weiteres als marrokanisch bezeichnetes Schiff wurde 1810 zugelassen. Ebd. Real Ordenes, L. 2983, f. 500 (1810). Nordafrikanische Schiffe hatten während der Kontinentalblockade und den Napoleonischen Kriegen die Bewegungsunfähigkeit der traditionellen mediterranen Seefahrer ausgenutzt und begonnen, vor allem Warentransport, aber auch -handel im Mittelmeer, in Häfen wie Livorno, Marseille und Malta anzubieten. Panzac: Barbary Corsairs, S. 259–262. AHPC, Junta de Sanidad, Ordenes, L. 2963, 28.11.1814, f. 35. Am 4.8.1814 war von Madrid aus der Befehl ergangen, dass aufgrund der sich in der Levante immer weiter ausbreitenden Pest weder marokkanische noch andere nordafrikanische Schiffe in spanischen Häfen anlegen dürften. Aber auch europäische Schiffe, die aus levantinischen oder nordafrikanischen Häfen abgefahren waren, hatten laut Reglement zuerst ein Quarantänelazarett erster Güte aufsuchen.

2. Die Zerstreuten – die Schwebenden

301

mit Weizen aus dem russischen Schwarzmeergebiet, den nordafrikanischen Handel aus seinen traditionellen Angebotsnischen. In Folge zogen sich die nordafrikanischen Seefahrer auf Piraterie zurück, die vor allem in den Jahren 1814/15 einen nochmaligen deutlichen Aufschwung erlebte.95 Daneben landeten in den iberischen Häfen nordamerikanische Schiffe, die vor allem die Atlantikroute bedienten und aus den großen Häfen New York, Philadelphia und, New Orleans kamen. Sie transportierten hauptsächlich Baumwolle, Tabak, immer mehr aber auch Getreide oder Mehl und weitere Kolonialprodukte.96 Zudem waren natürlich die spanischen und portugiesischen Überseegebiete wichtige Handelspartner für klassische Kolonialprodukte wie Kaffee, Zucker, Kakao, auch wenn die Kolonien ihre Unabhängigkeit anstrebten und erlangten. Rio de Janeiro, Havanna, Manila, die mexikanische Küste sind beständig als Abfahrtsorte benannt. Diese Routen deckten zu großen Teilen spanische und portugiesische, teils auch nordeuropäische Handelsschiffe ab. Sie waren ,,umkämpft“, gehörten nach dem iberischen Selbstverständnis (noch) in einem erweiterten Radius zur einheimischen Seefahrt. Diese misstrauisch beäugten Schiffe und die von ihnen transportierten Menschen wurden aufgrund ihrer Herkunft bzw. ihres Abfahrtsorts an den Rändern des christlichen Europa definiert. Während die einen – hier als Griechen bezeichnet – sich als geschickte, mit den Zugehörigkeiten und Zuordnungen spielende Akteure erwiesen und sich als die Gewinner im neuen Machtkonzert, im aufziehenden kapitalistischen Spiel zur See eine Nische schufen, verloren ihre maghrebinischen Konkurrenten in ihren modernisierenden Bemühungen gegen alte Ressentiments wie gegen die Anfänge europäischer Machtpolitik in ihren Territorien und Gewässern. Sie waren auf eine stereotype, alteritäre Identität festgelegt, konnten mit dieser nicht spielerisch oder kalkuliert wendig agieren. Die griechischen See- und Handelsfahrer hingegen profitierten von dem im östlichen Mittelmeerraum vor dem Aufkommen der Nationalismen möglichen Kosmopolitismus, den sie zu 95

96

Dies beinhaltet nicht, dass es nicht zu vielfältigen Handelsbeziehungen, vor allem mit agrikulturellen Produkten kam. Diese wurden aber eben von europäischen Schiffen transportiert und von europäischen Handelshäusern in die iberischen Häfen gebracht. Teilweise konnten die jüdisch-marrokkanischen Händler die jüdischen mediterranen Netzwerke nutzen. Pennell: Morocco, S. 113f, 119; Panzac: Barbary Corsairs, S. 76, 261– 265. Panzac beschreibt es folgendermaßen: ,,Animosity towards the Barbary sailors was too old and too profound. Their conversion from corsair campaigns to maritime trade too recent for the old fear of them to disappear and for the european spirit of revenge to be silenced. The North African merchants also suffered from this hostility and it was their trade that paid the price.“ Ebd., S. 262. Diese Verdrängung ging so weit, dass auch im Hafen von Algier bereits 1820 keine nordafrikanische Fahne mehr anzutreffen war, sondern der Schiffstransport in den Händen der Europäer lag. Dies lässt sich besonders gut im US-amerikanischen Bombardement Algiers 1815 als Antwort auf die Praxis algerischer Korsaren, auch Schiffe unter US-Flagge zu überfallen, ablesen. Weiter dazu, jedoch kritisch zu lesen: Leiner: The End of Barbary Terror.

302

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

voller Blüte brachten.97 Die griechischen Bauernfiguren hatten auf dem Handelsschachbrett der europäisch befahrenen Meere Türme wie Läufer beiseite gedrängt und sich – wenn auch ungewollt – auf Kosten der nordafrikanischen Seefahrer eine vorteilhafte Position verschafft.

97

Sifneos: ,,Cosmopolitanism“.

3. Die „Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik 3.1 Krankheit und Tod in den Mauern der Stadt Um den maritimen Umgang mit Gesundheit, Krankheit, Krankheitsverdacht und mit den als fremd betrachteten Gruppen einordnen zu können, soll als Kontrastfolie der terrestrische Umgang mit diesen Kategorien dargestellt werden. Damit kann aufgezeigt werden, in welchem sanitären Spannungsfeld sich die Diasporagruppen bewegten und verorteten. Zugleich ist der maritime Krankheitskorpus und -diskurs nicht ohne denjenigen zu Land denkbar. Denn natürlich existierten und existieren mannigfaltige Ursprünge, Berührungspunkte und Beeinflussungen zwischen der (vor allem städtischen) Gesundheitsfürsorge zu Land und den Mechanismen, die auch in der maritimen Quarantäne wirkten. Die beiden großen ländlichen Komplexe, die dies illustrieren, sind das Hospital, das den Bereich der Krankheit beinhaltet, und der Friedhof, der den Tod abdeckt. Zwei Bereiche also, die entscheidende Zäsuren des menschlichen Lebens darstellen. 3.1.1 Die differenzierenden Türen des Hospitals Das iberische Hospitalwesen war in der Frühen Neuzeit im gesamteuropäischen Vergleich das umfassendste, kostspieligste und in den Bereichen therapeutischer Methoden und medizinischen Erkenntnisstands am weitesten entwickelte.1 Es war auch noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts sehr stark dem frühneuzeitlichen Zusammenspiel von Gesundheitsfürsorge, Wohltätigkeit und in einem gewissen Maße auch der Frömmigkeit verhaftet. Es 1

Watzka: Vom Hospital zum Krankenhaus, S. 75f. Er begründet die Existenz dieses im Vergleich umfassenden Hospitalwesens auf der Iberischen Halbinsel damit, dass hier nicht zuletzt der repräsentative Charakter der in ihnen geleisteten ,,guten Werke“ verantwortlich war, deren Verwirklichung in den stark an den traditionellen katholischen Glaubensnormen orientierten Gesellschaften nicht nur die Hoffnung aufs Himmelreich, sondern auch im Diesseits ein beachtliches Sozialprestige für Spender und Stifter versprach. Das vormoderne Hospital war eine stark durch die Verbindung von christlicher Ideologie und dem Bereich der Armenfürsorge geprägte, multifunktionale Unterbringungsanstalt mit umfassender Zuständigkeit für hilfsbedürftige Deviante aller Art, natürlich mit besonderem Fokus auf arme Kranke. Dieser Organisationstyp verbreitete sich vor allem im 13. und 14. Jahrhundert über das gesamte christliche Europa. Ebd., S. 58. Weiter zur Hospitalentwicklung: Agrimi, Crisciani: Malato, Medico e Medicina, S. 196–199; Hospitäler in Mittelalter und Früher Neuzeit; Gómez Mampaso: La unificación hospitalaria; Jetter: Das europäische Hospital; Murken: Vom Armenspital zum Großklinikum; Stolberg: Homo patiens; Rosa: Lieux de l’assistance médiévale; Vanja: Offene Fragen und Perspektiven.

304

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

existierte zwar in vielen Hospitälern auch eine Abteilung für wohlhabendere Patienten, die für ihre Pflege zahlten.2 Die eigentliche Bestimmung der portugiesischen Hospitäler war jedoch nach wie vor die kostenlose Unterstützung erkrankter Armer, die nicht selbst für ihre Behandlung aufkommen konnten.3 Spätestens ab den Gesetzeserlässen Marquês de Pombals in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und der damit zusammenhängenden Zurückdrängung der misericórdias begann die Sorge um den Körper sich vor die Sorge um die Seele zu schieben.4 Spätestens ab diesem Zeitpunkt waren auch Nichtkatholiken aufzunehmen. Überzeugender ist, dass sie auch schon zuvor Zugang zum Hospital hatten und an ihnen ein christliches Werk der Überzeugung versucht wurde. Wer konnte, ließ sich privat und zu Hause behandeln. Die vorhandene Anzahl von einheimischen Ärzten und Chirurgen muss als mangelhaft eingeschätzt werden, auch wenn die Versorgung in der Hauptstadt noch die beste im Vergleich zu den restlichen Landstrichen darstellte.5 Wenn in der Stadt wohnende, nicht wohlhabende Briten erkrankten, wies man sie auf Kosten ihrer Factory und ab 1825 durch Zahlung des vom britischen Konsul verwalteten Wohltätigkeitsfonds in das städtische Hospital São José ein.6 Die verschiedenen Minderheitengruppierungen strebten eine ähnli2

3 4

5

6

Isabel dos Guimarães Sá bezeichnet das Hospital Todos os Santos als ausschließlich für die Aufnahme Armer bestimmt, während das im gleichen Zeitraum eröffnete Hospital termal das Caldas da Rainha beispielsweise 20 der 120 Betten für Personen von Stand beziehungsweise Geistliche vorsah. Guimarães Sá: Quando o rico se faz pobre, S. 45. Maximiano Lemos attestierte auch ersterem Hospital die Aufnahme von Wohlhabenden. Lemos: História da medicina em Portugal. Doutrinas, S. 135. In jedem Fall war die begrenzte Aufnahme wohlhabender Patienten nicht unbekannt in portugiesischen Krankenhäusern. Lopes: Os pobres, S. 508. Sie wurden größtenteils noch durch die sogenannten misericórdias oder andere Bruderschaften verwaltet. Der Marquês de Pombal, de facto Regierungschef unter João I. von 1750–1777, und stark von aufklärerischen Gedankenbildern beziehungsweise dem Vorbild des britischen Staatswesens beeinflusst, setzte zahlreiche, vor allem wirtschaftliche Reformen durch und versuchte in verschiedenen Bereichen den Einfluss der Kirche zurückzudrängen. Er ging gegen die Diskriminierung von Nichtkatholiken in Portugal vor, verbannte 1759 die Jesuiten aus dem Land, hob die Inquisition auf und war für maßgebliche Reformen und Einrichtung säkularer Bildungseinrichtungen (ab 1772) verantwortlich. Guimarães Sá: Quando o rico se faz pobre, S. 84f. Um 1800 setzte auch in Portugal eine Fokussierung auf die nationale öffentliche Gesundheit und Aufwertung der medizinischen Weltsicht ein. Damit einhergehend verbesserte sich auch der Status der Mediziner eklatant. Dennoch ist ihre Zahl eine vergleichsweise geringe. Im September 1813 stellten beispielsweise nur 21 Ärzte und 83 Chirurgen in Lissabon Totenscheine aus. Die ausländischen Ärzte sind in dieser Aufzählung nicht enthalten. ANTT, Ministério do Reino, Inspecção de Saúde Pública, Maço 82, ohne Nr. Nach: Crespo: A história do corpo, S. 34. Norris: The British Hospital in Lisbon, S. 65. Ab 1826 war mit dem Wegfall der Einnahmen aus der Gebühr einfahrender Schiffe aus Großbritannien oder den britischen Kolonien die medizinische Versorgung anderer Landesbrüder, die keine Seeleute waren, zu glei-

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

305

che Struktur (und die Erringung vergleichbarer Privilegien) an. Wer von den ansässigen Fremden es sich leisten konnte, ließ sich von ausländischen Ärzten zu Haus behandeln.7 Die einflussreichsten (und wohlhabendsten) Diasporagruppen trugen auch die Versorgung ,,ihrer“ Seeleute. Diese konnten ihre Behandlung im Normalfall nicht selbst finanzieren und waren zugleich die Grundlage des (Handels)Reichtums dieser Gruppierungen. Darüber hinaus bot ihre medizinische Behandlung die Möglichkeit, bessere Kontrolle über sie auszuüben, sie unter überwachendem Blick festzusetzen, wie auch die eigene Wohltätigkeit zu demonstrieren. An dieser Stelle sei wieder im Besonderen auf die britische Gruppierung verwiesen, die bislang am besten erforscht ist. Ab 1734 kann von der Existenz eines britischen Seemannshospitals beim britischen Friedhof in Lissabon ausgegangen werden, auch wenn Aufzeichnungen darüber nicht überdauert haben.8 Dieses nahm auch Matrosen anderer Nationalität, die auf britischen Schiffen fuhren, auf. Weder britisches Militär, das über eigene Institutionen verfügte, noch britische Zivilisten, die je nach Finanzlage entweder auf einen niedergelassenen Arzt oder das Hospital São José

7

8

chen Teilen von freiwilligen Wohltätern vor Ort und dem britischen Gouvernement zu tragen. Ebd., S. 56. Dieses unter dem Namen Real Hospital de Todos os Santos 1504 errichtete Hospital stellte das erste allgemeine Hospital der Iberischen Halbinsel dar. Es fungierte zugleich zur Krankenversorgung als auch zu wohltätigen Zwecken. Neben der Versorgung der armen Kranken beherbergte das Hospital die Verrückten der Stadt, nahm die Lissaboner ausgesetzten Kinder auf, bot Herberge für Pilger und Bettler. 1775 wurde sein Neubau auf den Namen São José umbenannt, es blieb das größte und wichtigste Hospital der Stadt. São José wurde um 1800 als in exzellentem Zustand und als Hauptspital für die Einwohnerschaft Lissabons beschrieben. Carl Israel Ruders gibt für die Zeitspanne vom 1.7.1800 bis zum gleichen Datum im nächsten Jahr die Belegung dieses Hospitals mit 17.358 Personen an. Ruders: Viagem em Portugal, S. 271. Grundsätzlich: Luís Graça: Hospital Real. Norris konstatierte beispielsweise, dass es an britischen Ärzten in Lissabon im 18. und frühen 19. Jahrhundert keinen Mangel gegeben habe. Diese hätten Privatpraxen besessen und ihre Patienten zu Haus oder in meist von Landsleuten geführten Pensionen behandelt. Norris: The British Hospital in Lisbon, S. 65. Überliefert wurde auch die davor anzusetzende Existenz eines britischen Hospitals am Porto Brandão am Südufer des Tejo, direkt neben der späteren Lazarettregion des Torre Velha. Dieses Gebäude soll auch zuvor bereits als Quarantänestation benutzt worden sein, da es direkt neben dem Hafen liegt. Dafür gibt es jedoch keine weiteren Anhaltspunkte. Ebd., S. 61f. Spätestens 1757 funktionierte ein provisorisches britisches Seemannshospital, ihm wurden 60 Betten und dementsprechende Anzahl weiterer Ausstattungsgegenstände aus Großbritannien geliefert. ANTT, Minísterio dos Negócios Estrangeiros, Legação Ingleza, Caixa 454, 4.3.1757, Nr 13. Das eigentliche Hospital wurde zu Beginn 1794 eröffnet und war ausschließlich für Seeleute von britischen Schiffen bestimmt. Bei diesem Etablissement handelte es sich um ein eher kleines, im Jahr 1815 wurden insgesamt 79 Personen behandelt. Es zählte auch hier die Flagge des Schiffes, nicht die konkrete Heimat des unter dieser Flagge angeheuerten Seemanns. So war aus dem Hospital ein französischer Matrose, der auf einem britischen Schiff diente, weggelaufen, um wieder auf eben dieses zu gelangen. ANTT, Minísterio dos Negócios Estrangeiros, Legação Ingleza, Caixa 454, 3.5.1760, Nr 15.

306

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

zurück griffen, waren als Patienten zugelassen.9 Das Hospital war nicht frei zugänglich, ohne Erlaubnis des Konsuls oder Schatzmeisters wurde niemand aufgenommen. Religiöse Toleranz angesichts der nahenden Todesstunde wurde im britischen Seemannshospital – anderes konnte man sich eigentlich auch nicht erlauben – gelebt. Auf Anfrage der Insassen konnte ein katholischer Priester in das anglikanisch ausgerichtete Etablissement geholt werden. Wer eigenmächtig das Hospital verließ, um sich in einem portugiesischen Etablissement weiter behandeln zu lassen, hatte keine (offizielle) Möglichkeit, wieder aufgenommen zu werden.10 Diese Verordnung steht im Kontext genereller massiver Bewegungseinschränkung, die auch die Spaziergänge der Rekonvaleszenten nur auf dem angrenzenden Friedhof vorsah und die Eisentore stets verschlossen sehen wollte. Die Hospitalleitung traute den Insassen anscheinend nicht, was nicht sonderlich verwundert, wenn man die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Seeleute und die daraus resultierende hohe Desertionsrate bedenkt.11 Zwischen temporär anwesenden erkrankten Seeleuten und beständig zur Gemeinde gehörenden Personen existierte eine klare Trennung. In Notfällen, beispielsweise wenn das Seemannshospital überfüllt war, lagerte man Seeleute auch in das Hospital São José aus. Das britische Hospital musste 1826 geschlossen werden, da nach dem Wegbrechen des Contribution Funds ein Jahr zuvor seine Finanzierung nicht mehr gewährleistet war. Aus dieser Notlage heraus wurden in der Folgezeit erkrankte britische Seeleute ins São José geschickt. Dort sollen sie sich in den nächsten Jahren unwohl gefühlt haben, ,,deprived of English attendants“. Erst 1865 wurde als Antwort das British Mercantile Seamen’s Hospital eröffnet.12 Das 18. Jahrhundert war für die Franzosen in Lissabon im Vergleich durch einen ungleich essentielleren Kampf um ihre Privilegien gekennzeichnet, die von den portugiesischen Behörden stetig in Frage gestellt, aber nicht grundlegend abgeschafft wurden. Ein französisches Hospital der Bruderschaft bzw. Nation für die eigenen Seeleute existierte bis Mitte des 18. Jahrhunderts nicht. Im Vergleich zur britischen Nation konnten die Franzosen weder im Seehandel mit Lissabon noch in der Bedeutung innerhalb der Stadt mithalten. Sie hatten weder qualitativ noch quantitativ die Bedeutung, was sich eben auch in der späten Kreierung des öffentlichen ,,Aushängeschildes“ eines eigenen Hospitals manifestierte. Noch am ehesten konnte das von den französischen Kapuzi-

9 10 11 12

Norris: The British Hospital in Lisbon, S. 38f. So die im August 1820 erlassenen ,,Regulations for the Steward of the Hospital and the future management of same“. Nach: Ebd., 44f. Auf Desertionen der Seeleute wird näher im Kap. 4.5. mit besonderem Fokus auf Quarantäne eingegangen. Norris: The British Hospital in Lisbon, S. 67, 69. Auch dieses Etablissement ließ bis 1910 ausschließlich Seeleute zu.

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

307

nern betriebene Krankenspital als solches gelten, das aber einen klar religiösen und nicht gruppenspezifischen Fokus hatte.13 Als 1694 aufgrund des laufenden Krieges der Seehandel unterbrochen war und viele Franzosen in Lissabon festsaßen, diente das Haus des Konsuls als Hospital für französische Matrosen und Gefangene – wie auch als Herberge für alle übrigen Franzosen. Diesen Versorgungsmissstand wollte man nicht hinnehmen, empfand den Mangel der eigenen Position und dem beanspruchten Prestige unangemessen, vor allem angesichts des Wissens, dass sowohl Briten, als auch Holländer eigene Hospitäler für ihre Seeleute in der Stadt besaßen und beschloss 1766 den Bau eines französischen Hospitals.14 Die medizinische Versorgung der Seeleute der eigenen Flagge war Symbol der kollektiven Bedeutung und des Gewichts in der Gaststadt. Schnell stellte das französische Hospital einen Streitpunkt mit den portugiesischen Behörden dar und wurde zum Ausgangspunkt der Auseinandersetzung um Privilegien, politische Macht und öffentliche Sichtbarkeit.15 Für die anderen in Lissabon ansässigen Diasporagruppen lässt sich ein ähnliches Bestreben feststellen. Am 13.10.1819 wurde die portugiesische Anweisung erlassen, keine aus-

13 14

15

Labourdette: La nation française. Bd. 2, S. 91. Die Idee eines französischen Hospitals schwelte einige Zeit vor sich hin, bis 1766 der Beschluss gefasst wurde, im Bereich der der französischen Nation gehörenden Kirche S. Luís ein solches zu erbauen. Dieses sollte klassisch vor allem Matrosen französischer Schiffe und französische Gefangene versorgen. Der benötigte Chirurg wurde aus Frankreich entsandt und seine Bezahlung an die von Chirurgen in Marinehospitälern in französischen Häfen angelehnt. Ebd., S. 183. Zum holländischen Hospital: Labourdette: La nation française. Bd. 2, S. 95f. Daneben soll noch ein Hospital der deutschen Kolonie zumindest um 1800 bestanden haben. Dieses wird jedoch nur von Lemos erwähnt. Lemos: História da medicina em Portugal, S. 282. Aus portugiesischer Sicht war das Hospital klandestin, weil ohne vorherige Einholung einer Erlaubnis errichtet worden. Deshalb verlangten sie den Abriss des Hospitals, auch beschrieben als architektonische Rückführung. Der französische Botschafter Conte d’Hinnidal lenkte daraufhin gegenüber Pombal ein. Man sei gerne bereit, in baulicher Hinsicht den portugiesischen Forderungen entgegen zu kommen. Damit meinte man nicht den Abriss des gesamten Hospitals, sondern allenfalls das Weglassen gewisser architektonischer Auffälligkeiten, zum Beispiel eines Balkons. Der Bereich der Kirche S. Luís und alle darauf befindlichen Gebäude, so auch das Hospital unterstünden jedoch direkt der französischen Krone. Bombelles: Journal d’un ambassadeur, S. 72. (25.12.1786); ANTT, Minísterio dos Negócios Estrangeiros, Legação Franca, Caixa 414, 12.8.1775, ohne Nr. Dieser Streit ist vor dem Hintergrund des laufenden Machtspieles zwischen der portugiesischen und französischen Krone, wie auch der zunehmenden Einmischung der französischen Krone in die Belange der französischen Nation in Lissabon zu sehen. Das Bitten war erfolgreich, 1788 berichtete der französische Botschafter Bombelles, dass die vom Schiff ,,Le Dromedaire“ stammenden acht Kranken nicht im französischen Hospital S. Luís aufgenommen und behandelt werden konnten, da in diesen zu diesem Zeitpunkt der Chirurgenposten vakant war. Stattdessen wurden die Erkrankten ins allgemeine städtische Krankenhaus São José gebracht, das der Botschafter bei seinem Besuch in den höchsten Tönen lobte. Bombelles: Journal d’un ambassadeur, S. 290.

308

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

ländischen Kranken mehr in das königliche Hospital São José aufzunehmen, so sie nicht mit den entsprechenden Dokumenten ausgestattet waren. Als Reaktion verwies der englische Konsul darauf, dass für britische Untertanen schon seit langem eine derartige Einrichtung existiere und man deshalb vom portugiesischen Hospital keinen Gebrauch mache.16 Dies verweist darauf, dass dieser Befehl sich nicht primär auf die ansässigen (nicht begüterten) Fremden bezog, sondern vielmehr auf die mobilen, sich vorübergehend in der Stadt aufhaltenden Fremden, allen voran mittellose Spanier. Diese in Lissabon ankommenden Fremden konnten nach dem Edikt nicht mehr ohne Nachweis der polizeilichen Meldung aufgenommen werden. Zudem benötigten diese ausländischen Kranken für die Aufnahme in ein portugiesisches Hospital eine Bestätigung ihres jeweiligen Konsuls, der attestierte, dass sie nicht aus einer verseuchten oder seuchenverdächtigen Region kamen.17 Über diese Suspekten sollte ein lückenloser Überblick gewahrt werden. Der Konsul der Hohen Pforte Hutchens versprach, dass sich die in seinen Einflussbereich fallenden Personen strikt an diese Anweisung halten würden. Dieses Versprechen fiel ihm angesichts der Tatsache leicht, dass sich diese Abwehrhaltung diesmal vorrangig gegen Andalusien richtete.18 Dort war zum wiederholten Male Gelbfieber ausgebrochen, beginnend Ende August in der Nähe von Cádiz.19 Portugal verhängte daraufhin Mitte September 1819 einen terrestrischen Seuchenkordon gegen das Nachbarland. Hauptaugenmerk lag bei diesen Abwehrmaßnahmen auf Menschen.20 Nicht die im gleichen Zeitraum im Maghrebbereich grassierende Pest, sondern vielmehr das auf dem Landweg drohende Gelbfieber verlangte solch heftige Restriktionen.21 Den Landkordon betrachtete man als sehr viel durchlässiger und unüberschaubarer als den zur See. Als Ergebnis waren plötzlich alle Spanier verdächtig; sie wurden mit dem vom Gelbfieber befallenen südspanischen Raum gleichgesetzt. Interessanterweise erschienen sie in den Quellen unter der Sammelbezeichnung ,,Spanier“, nicht Andalusier, auch wenn in Befragungen die Herkunft Einzelner aus San Fernando oder Cádiz deutlich wird. Es entstand ein Generalverdacht, der die gesamte Landesgrenze im Blick hatte und durch ihre Unkontrollierbarkeit geprägt war. Spanier erhielten in 16 17 18 19 20

21

ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 53, 18.10.1818, Nr. 32. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 53, 19.10.1818, Nr. 34. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 53, 21.10.1818, Nr. 36. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 46, 28.8.1819, Nr. 25. Es werden die portugiesischen Behörden darüber unterrichtet, dass in San Fernando das Gelbfieber ausgebrochen ist. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 46, 15.9.1819, ohne Nr. Die Abteilungen der maritimen Gesundheit wurden in diesem Zusammenhang dazu aufgerufen, den terrestrischen Seuchenkordon mit allen Mitteln zu unterstützen und in keiner Weise zuzulassen, dass in ihrem Einflussbereich jemand ohne sanitäre Abfertigung anlanden dürfe. Auch wenn gegensätzlich dazu in dem Brief des Hospitaldirektors von São José, Thomaz de Mello Bruyner, an Tancos, der den Anstoß für die Erteilung des Hospitalbefehls gab, fälschlicherweise noch von der Pest als der Bedrohung die Rede war. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 47, 8.10.1819, Nr. 46.

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

309

Lissabon die Wertung als potentielle Seuchenüberträger. Erkrankte und damit verdächtige Spanier wurden ins maritime Lazarett von Belém eingeliefert, da man dieses als den einzigen Ort befand, an dem sie ausreichend isoliert und von Fachpersonal untersucht werden konnten.22 Diese im Lazarett gestrandeten Spanier waren häufig ,,arme Hunde“, die sich zuvor ihren Lebensunterhalt mit Fischfang oder Bettelei verdient hatten.23 Die soziale Schere spielte in dieser Zuschreibung eine entscheidende Rolle. Der ihnen zugeschriebene Gelbfieberverdacht scheint recht dramatische Ausmaße angenommen zu haben. Ende Oktober, kurz nach dem Erlass des Hospitalverbotes, ließ die Junta da Saúde die Herbergen und Gasthäuser Lissabons nach Spaniern durchsuchen und deren Papiere kontrollieren.24 Im Dezember 1819 findet sich schließlich der Vermerk, dass man die Vorsichtsmaßnahmen gegen Spanien wieder lockern könne, da die Seuche erloschen sei. Dies betraf auch die Hospitalverordnung.25 Mit diesen Präzisierungen wird deutlich, dass der mobile niedere – und damit schon einmal generell nicht verlässliche – Fremde und/oder die Herkunft aus einem als genuin betrachteten Seuchenherd Anlass für diese Verordnung waren. Hintergrund waren die immer wieder ausbrechenden Gelbfieberepidemien, vor allem im andalusischen Raum, gefolgt von der im nordafrikanischen Raum aufziehenden Pestwelle. Hinter der verstärkten maritimen (Seuchen)Abgrenzung ab 1813 zog die Behörde mit diesem Befehl eine zweite ergänzende Kontrolllinie. Mit dieser sollten diejenigen, die es wider Erwarten durch die Seuchenabwehr des Hafens geschafft hatten oder trotz des Seuchenkordons über Land gekommen waren, umfassender Kontrolle unterzogen werden. Die Seuche auf derselben Landmasse, ohne klare Trennung durch das Medium Meer, löste weit größere Panik aus als das levantinische Pendant. Denn die mit dem Gelbfieber gleichgesetzten 22

23 24

25

Die Militärhospitäler hatten Ende Oktober eine ambulancia, bestehend aus Arzneien, Betten, Wäsche und anderen notwendigen Utensilien, ausgelegt für 20 Kranke ins Seelazarett von Belém geliefert. Ein Arzt und ein Chirurg sollten von Provedor Mór bestimmt werden, um ins Lazarett zu gehen. Zugleich wurde der Leiter des Hospitals S. Jozé aufgefordert, jeden verdächtigen Kranken unmittelbar in einer separierten Unterkunft zu isolieren und Meldung zu erstatten. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 46, 29.10.1819, Nr. 32.. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 47, 23.10.1819, Nr. 60.; Maço 49, 6.11.1819, ohne Nr. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 85, 29.10.1819, ohne Nr. Der Verantwortliche der Gemeinde von Sé berichtete, dass er ein verdächtiges spanisches Ehepaar in einer Herberge entdeckt habe, die behaupteten in Porto zu wohnen, jedoch einen abgelaufenen Pass von 1816 vorwies. Dies erschien ihm im höchsten Maße verdächtig. Ein Jahr zuvor war man noch wesentlich ,,entspannter“ mit verdächtigen Spaniern umgegangen. Ebd., Maço 6, 19.10.1818, Nr. 10. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 47, 14.12.1819, Nr. 90. Der Zusammenhang zwischen kaltem Winter und dem Rückgang von Seuchen war den Zeitgenossen deutlich bewusst.

310

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

Spanier waren ohne aktive Kontrolle nicht oder nur schwer heraus zu filtern. Sie konnten ,,unbemerkt“ über die Grenze hinweg ins Land einsickern, die militärische Bewachung hatte Schlupflöcher. Diese Überwachungslücken bestanden ebenso für die Seerouten und wurden weidlich genutzt. Die unterschiedliche Stofflichkeit der Grenzelemente Wasser und Erde, der große Unterschied von Land und Meer gaukelte für letzteres lediglich eine größere Kontrollierbarkeit vor. Die sich in der Stadt dauerhaft niedergelassenen Fremden waren hingegen kein Anlass zur Sorge. Mit diesen teilte man sich seit langem die Krankenversorgung wie auch die Seuchenbedrohung. Fokus der Abgrenzung und des Verdachts waren die fremden Mobilen als potentielle Seuchenträger. Diese verkörperten die von Georg Simmel beschriebenen wahren Fremden, die eben nicht durch gewachsene lokale, berufliche oder verwandtschaftliche Fixiertheiten mit der portugiesischen Gastgesellschaft verbunden waren, sondern ohne größere Bindung, soziales oder ökonomisches Prestige und natürlich auch ohne ernstzunehmende zeitliche Verwurzelung das Land durchstreiften.26 Der wahrhafte Krieg, ,,autêntica guerra“, den die portugiesischen Gesundheitsinstitutionen zusammen mit Polizei und Militär Anfang des 19. Jahrhunderts gegen Epidemien ausfochten, hatte sie in den Blick genommen.27 Sie waren zweifach verdächtig, zum einen durch ihre Fremdheit, zum anderen aufgrund ihrer niederen sozialen Stellung. Es genügte die Möglichkeit einer Infektion, es brauchte kein tatsächlicher Krankheitsbefall nachgewiesen zu werden. Die mobilen, sozial niedrig stehenden Fremden gerieten in Momenten der erhöhten Bedrohung verstärkt in den Blick, wurden aber auch in epidemiefreien Zeiten beargwöhnt. Interessanterweise war der Ansatzpunkt der Unterscheidung in Lissabon das Hospital, der Ort der Heilung wie der sich verabschiedenden Wohltätigkeit. 3.1.2 Die letzte Ruhestätte Im Zuge des sich wandelnden Verständnisses vom Tod, der damit einhergehenden zunehmenden Distanzierung der Lebenden von den Toten, der fortschreitenden Säkularisierung und Fokussierung auf öffentliche Gesundheit rückten die innerstädtischen Friedhöfe beziehungsweise in Sakralgebäuden angesiedelten Begräbnisstätten ab dem Ende des 18. Jahrhunderts in den Fokus der Aufmerksamkeit.28 Man nahm sie aufgrund der in ihnen naturgemäß 26 27 28

Simmel: Soziologie, S. 766. Crespo: A história do corpo, S. 147. Phillipe Ariès konstatierte, dass der Friedhof damit wieder ein auf Beisetzungen spezialisierter Raum wurde, der er über 1000 Jahre nicht gewesen war. In diesem Prozess setzte sich die bereits die Neuzeit kennzeichnende Distanzierung im Tod ab – die auf der Iberischen Halbinsel aber im Vergleich zu Mitteleuropa später einsetzte. Ariès: Geschichte des Todes, S. 410.

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

311

stattfindenden Verwesungsprozesse und damit einhergehenden fauligen Ausdünstungen als gefährlich für die Gesundheit der umliegenden Bevölkerung wahr. Gestank galt als seuchenauslösend.29 In Folge sollten die Begräbnisstätten die Städte der Lebenden verlassen. Diese Necropolitan Revolution ging im Europa an der Wende zum 19. Jahrhundert vonstatten und konstituierte die modernen, aus den Städten hinaus verlagerten Friedhöfe. Sie entsprang der Tendenz, sich als modern verstehender Staaten, das Problem der öffentlichen Ordnung und der neu wahrgenommenen Bevölkerung als kritischer Größe angehen zu wollen.30 Dahinter kann jedoch die kulturelle Umwälzung gesehen werden, die die Lebenden von den Toten trennte – auch räumlich.31 Zugleich sah man sich mit der Zwangsläufigkeit konfrontiert, dass lang oder kurz verweilende Fremde ebenfalls erkrankten und starben, ihre Toten einen Platz der Bestattung benötigten. Sie konnten durch ihre bloße Existenz und fremde Riten die eigenen Toten bedrohen. Den Diasporaangehörigen war die Wahrscheinlichkeit eines solchen Todes in der Fremde durchaus bewusst.32 Tod in Lissabon

In Portugal war die klassische Bestattungsform innerhalb kirchlicher Gebäude, worunter auch die Kapellen der Bruderschaften zählten, verortet. Die Bestattung im kirchlichen offenen Kirchenvorplatz, dem adro, kam einer sozialen Demütigung gleich.33 Dem passten sich auch die katholischen Mit29 30

31

32

33

Siehe Teil 3, Kapitel ,,Kontrollierte und begrenzte Interaktion: Krankheit, Schutz und Angst“ in diesem Buch. Queiroz, Rugg: The Development of Cemeteries; Ariès: Geschichte des Todes, S. 608– 613. In den Darstellungen und Forschungen zur europäischen Sepulkral- und Memorialkultur findet spanisches und portugiesisches Material meist bislang keinen Platz. Karge, Klein: Grabkunst als Ausdruck, S. 10. Foucault: Andere Räume, S. 42. Der Kult um die Toten ist ein Phänomen des späteren 19. Jahrhunderts. Ariès: Geschichte des Todes, S. 689. Vorreiter dieser Bewegung war Frankreich. Der Prototyp eines modernen Friedhofes war der Pariser Père Lachaise, der 1804 seine Pforten öffnete. Dies bedeutete den Bruch oder zumindest die starke Entfremdung der vorherigen Einheit von Kirche und Friedhof. Diese Entwicklung wurde jedoch keineswegs überall begeistert nachgeahmt und fortgeführt, vielmehr führte sie vielerorts zu ,,Controversy, procrastination and, occasionally violent resistance“. Vgl.: Queiroz, Rugg: The Development of Cemeteries, S. 113–128. Die Autoren verweisen in diesem Zusammenhang darauf, dass zwischen legislativen Erlässen und praktischer Umsetzung klar unterschieden werden muss. Verordnungen von oben wurden häufig genug torpediert, können keinen allgemeinen Trend belegen. So fassten die in Spanien Arbeitenden aus dem Limousin und dem Auvergnat regelmäßig vor dem Antritt ihres Arbeitsaufenthaltes Testamente ab. Poitrineau: Les Espagnols de l’Auvergne, S. 80. Der Autor verweist darauf, dass vor allem zu Beginn des 19. Jahrhunderts, einer Zeit, in der die Wahrscheinlichkeit in der Fremde durch Epidemien, Kriegssituation, Massaker als Feinde, zu Tode zu kommen, nicht gering war und derartige Vorsorge eine notwendige Selbstverständlichkeit darstellte. Queiroz, Rugg: The Development of Cemeteries, S. 119.

312

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

glieder der verschiedenen Diasporagruppen an und ließen sich in den Kirchen und Kapellen der einzelnen ,,Nationen“ beisetzen. Vor allem aufgrund der starken Verankerung des Katholizismus war der obrigkeitliche Versuch einer Implementierung von offenen und vergleichsweise säkularen Friedhöfen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nur mäßig erfolgreich. Er wurde verzögert, boykottiert und heftig kritisiert. Diese Friedhofsrevolution war ein Kind der intellektuellen, aufgeklärten, liberalistischen Ideen zugeneigten Elite und eng mit urbaner Mentalität verbunden. Die Bevölkerungsmehrheit betrachtete die Neuerung als Gefährdung der ewigen Wiederauferstehung und als Angriff auf die kollektive Mentalität.34 Die Cholerawellen der 1830er brachten kurzzeitig einen Reformwillen hervor, führten in Lissabon zur Errichtung der beiden städtischen Friedhöfe Prazeres und Alto de São João.35 Auf diesen fanden auch katholische Ausländer ihren Platz. Mitte des 19. Jahrhunderts sind auf den inzwischen auf drei angewachsenen Lissaboner Friedhöfen, dem Alto do Ajuda, Alto de São João und Prazeres beispielhaft die seit langem herzkranke spanische Witwe Gregoria Ridondo, der nach langer Krankheit verschiedene Buchhalter aus Gibraltar oder die achtundsechzigjährige Engländerin, die die Cholera dahin raffte, beerdigt worden.36 Erst um 1875 waren die meisten größeren portugiesischen Städte mit einem funktionsfähigen Friedhof ausgestattet. Direktes Vorbild für diese modernen Friedhöfe waren die nichtkatholischen Begräbnisstätten der Diasporagruppen vor Ort.37 Für Nichtkatholiken war die standesgemäße Beerdigung ihrer Angehörigen auf der Iberischen Halbinsel in der Frühen Neuzeit ein Problem. Im von der Inquisition beherrschten Portugal und ohne nahe Ausweichmöglichkeit à la Gibraltar, war eine angemessene letzte Ruhestätte nach offiziellen Kriterien für Andersgläubige unmöglich.38 Im 17. Jahrhundert mussten protestantische Leichname ,,to be buried at sea or in remote areas to prevent desecration. In Lisbon, they (Briten) were put into sugar boxes and carried over the Tagus in British ships for burial on the south bank”.39 Diese Vorgehensweise erinnert stark an Seemannsbestattungen, sie wurden trotz festen Wohnorts als Mobile gedacht und behandelt. Rechtlichen Ursprung für die Entstehung eines nichtkatholischen Friedho34 35 36 37

38

39

Catroga: Morte romântica, S. 596, 598. Queiroz, Rugg: The Development of Cemeteries, S. 121. Denselben Schub kann man auch während der Cholerepidemien der 1850er betrachten. Siehe: Ebd. S. 124. ANTT, Ministério do Reino, 3° D., Maço 4540, 18.1.1856, Nr. 139; 5.6.1856, Nr. 1352; 25.7.1856, Nr. 2462. Francisco Queiroz und Julie Rugg weisen darauf hin, dass – insbesondere für die entstehende bürgerliche Klasse Lissabons in den 1840ern – die ästhetische Analogie zur Struktur des britischen Begräbnisplatzes explizit gesucht wurde. Queiroz, Rugg: The Development of Cemeteries, S. 125. Wie später für Cádiz noch ausgeführt wird, konnten Nichtkatholiken in Südspanien in der ab 1713 durch den Vertrag von Utrecht Großbritannien zugesprochenen Enklave Gibraltar ihre letzte Ruhestätte finden. Musteen: Becoming Nelson’s Refuge, S. 72. British Library. Add. Ms.23726. Nach: Howes: British Cemetery, S. 14.

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

313

fes in Lissabon stellten die Friedensverträge von 1654 dar, die den Briten einen Platz für die Beerdigung ihrer Toten zusprachen.40 Die praktische Umsetzung zog sich jedoch bis ins 18. Jahrhundert. Die Inquisition versuchte verständlicherweise die Errichtung eines solchen Begräbnisplatzes für ,,Häretiker“ zu be- und verhindern. Zusammen mit den Holländern wurde von der britischen Faktorei das außerhalb der Stadtmauern gelegene Gelände in Estrela schrittweise zwischen 1717 und 1743 angemietet.41 Nachdem die anfänglichen Widerstände durch die Inquisition überwunden waren, zeigten die portugiesischen Behörden nur wenig Interesse an diesem Gelände. Die andere Seite war darauf bedacht, sich unauffällig zu verhalten und keinerlei Anlass zu Beschwerden zu geben.42 Dieses unausgesprochene Gentlemen’s Agreement ließ ab Anfang des 18. Jahrhunderts die ,,letzte Ruhe“ von Nichtkatholiken mehr oder minder ungestört und ermöglichte den nichtkatholischen Diasporagruppen, sich noch besser in der Stadt einzufinden, heimisch zu werden. Um 1780 gab es interne Konflikte um die gemeinsame Friedhofsnutzung, die Briten versuchten getrennte Bestattungsbereiche gegen die Holländer durchzubringen, wollten die Gruppenzugehörigkeit auch im Tode deutlicher machen. Dieses Ansinnen setzte sich jedoch nicht durch.43 Die Reibereien zwischen Briten und Holländern durchzogen wiederkehrend das gesamte 19. Jahrhundert. Dabei ging es vor allem um Einflussnahme und -position innerhalb der ausländischen Kolonien in Lissabon. Dieser Friedhof entwickelte sich im Folgenden weiter in Richtung eines übernationalen, nichtkatholischen Begräbnisortes. 1801 wurde ausgehandelt, dass auch Juden das Recht erhielten, ebenfalls dort beerdigt zu werden. In der Folge ist eine Anzahl von Juden, die aus Gibraltar stammten und deshalb britische Untertanen waren, dort bestattet worden.44 Entscheidendes Kriterium für die Aufnahme auf dem Friedhof in Estrela war das der Außenseiterposition nach den Kriterien Nationalität und Religion. Diese ungeachtet aller Streitigkeiten tolerante Praxis war zum einen der Tatsache geschuldet, 40

41

42 43 44

In diesen Verträgen wurde den in Portugal weilenden nichtkatholischen Briten zugestanden, ihre Religion in ihren Häusern und auf ihren Schiffen ausüben zu dürfen und ,,a place to be alloted them to fit for the burial of their dead“. Siehe: Howes: British Cemetery, S. 14. Doch erst der Vertrag von 1810 gewährte den nichtkatholischen Briten das Recht, eigene Kirchen zu erbauen. Ribeiro: Anglicanismo, S. 353. Die erste nachgewiesene Bestattung fand 1721 statt. Im Gefolge der Napoleonischen Kriege und damit einhergehenden englischen Aktivitäten in Portugal wurde 1810 ein weiteres Grundstück für die Nutzung als britischer Militärfriedhof angemietet. Der militärische Teil des Friedhofes unterstand der britischen Regierung und war vom zivilen Teil durch eine Mauer abgetrennt. 1819 wurde die Verantwortung über den ,,Soldatenfriedhof “ an die britische Society of Merchants and Factors übergeben, die die Nachfolge der British Factory 1810 angetreten hatte. Howes: Britsh Cemetery, S. 31. Howes: Britsh Cemetery, S. 151. Howes: British Cemetery, S. 22. Schwarz, Samuel: História da Moderna Comunidade Israelita de Lisboa. Lissabon 1959, S. 27–29. Nach: Howes: British Cemetery, S. 34.

314

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

dass trotz massiver Lockerungen der portugiesischen Bestimmungen im Verlauf des 18. Jahrhunderts kein Ausweichort bestand. Zugleich waren die einzelnen Gruppierungen durch Handels- und persönliche Kontakte vielfältig miteinander verknüpft. Man musste sich im Tode arrangieren, um im Leben miteinander auszukommen. Die Situation als Minderheit beinhaltete – auch wenn man teils wie die Briten starke Rückendeckung aus dem Heimatland hatte – ein grundsätzliches Machtdefizit, das nur durch pragmatischen Zusammenschluss aufzufangen war. Diese situationsbedingte Toleranz unter den Fremdengruppen reichte jedoch nur bis zu einem gewissen Punkt. Die Scheidelinie verlief entlang der christlichen gegen die jüdische Religionszugehörigkeit und war einmal mehr eine konkurrenzeinschüchternde Machtdemonstration der Vielen gegen die zahlenmäßig Wenigen. Sie machte sich an steinernen Manifestationen und der Verfestigung von Sichtbarkeit fest. Nach einer Auseinandersetzung, in der Nichtchristen nicht erlaubt wurde, eigene Grabsteine zu errichten, mietete die israelitische Gemeinde 1816 eine eigene Begräbnisfläche, die an den Estrela-Friedhof angrenzte. Dieses Amtsgeschäft wurde – genauso wie der zweite Mietvertrag von 1833 – aufgrund der britischen Nationalität der mietenden Partei möglich.45 Nach der Abschaffung der Inquisition 1821 vergrößerte sich die Lissaboner jüdische Gemeinde markant, vor allem Sephardim aus Marokko und Gibraltar zogen in die portugiesische Hauptstadt.46 Mit dem königlichen Dekret von 1868, das der jüdischen Gemeinde einen impliziten Status verschaffte, wurde ihnen das Recht auf einen Begräbnisort zugesprochen. Dabei wurden sie als ausländische Kolonie, vergleichbar der britischen oder deutschen, angesehen. 1823 schließlich gab die Resolution der britischen Society of Merchants and Factors den Friedhof für befreundete Protestanten anderer Nationen offiziell frei, natürlich unter Vorbehalt vorheriger Einwilligung der britischen und holländischen Konsuln.47 Der Bestattungsritus konnte entweder von einem britischen, holländischen oder deutschen Geistlichen durchgeführt werden.48 Ruders beschreibt, dass es unter den Nichtkatholiken dabei zu Adaptionen und Vermischungen der Rituale kam, sich geradezu eine neue 45

46

47 48

Nach niedergeschlagener jüdischer Anfrage hatte die britische Society of Merchants and Factors eine Resolution verabschiedet, dass nur Grabsteine oder Monumente für Verstorbene christlichen Glaubens auf dem Friedhof errichtet werden dürften. Howes: British Cemetery, S. 34. Der Erwerb der jüdischen Parzelle: ANTT, Cartório Notarial de Lisboa 1, Caixa 150, L. 713, ff. 43–54; Catório Notarial de Lisboa 12A, Caixa 137, L. 633, ff. 114– 115. Nach: Howes: British Cemetery, S. 35. Das entsprechende Dekret zur Aufhebung der Inquisitionstribunale wurde am 31.3. 1821 verabschiedet und am 4.4.1821 publiziert. Im Gegensatz zu Spanien ging die Abschaffung friedlich von sich. Bethencourt: L’inquisiton, S. 424, 427f. Zur portugiesischen Inquisition grundsätzlich: Inquisição Portuguesa. Diese Regelung findet sich jedoch schon in den im Oktober 1820 erlassenen Regeln für das britische Hospital in Artikel 23. Norris: The British Hospital in Lisbon, S. 47. Alexander Wittich beschreibt 1843 den deutschen Friedhof Largo do Monteiro, der be-

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

315

Form der Religionsausübung herauszubilden begann, die sich von den Regeln der Herkunftsländer löste.49 Die erste Kapelle wurde 1816 auf dem Friedhofsgelände errichtet und stand nach wie vor unter dem Schutz der britischen Gesandtschaft; zuvor hatten die nichtkatholischen Gottesdienste außerhalb des öffentlichen Raumes in Botschafts- oder Konsulnhäusern stattgefunden.50 Für die Beerdigung auf dem Friedhof musste eine Gebühr bezahlt werden. Der Friedhof für nichtkatholische Ausländer verwandelte sich im Rahmen der Ausgestaltung und Errichtung der Kapelle schnell in eine parkähnliche Anlage, die mit denen Großbritanniens vergleichbar ist. Er wurde auch als städtisches (Nah)Erholungsgebiet benutzt, in ihm im Schatten der Bäume entlang spaziert, in diesem ,,beautiful garden, full of choice flowers and shrubs, and having that part of it allotted to interment shaded off by tall cypresses and other trees“.51 1839 mussten Maßnahmen ergriffen werden, um die einheimische Bevölkerung daran zu hindern, aus Neugierde die Gottesdienste zu stören.52 Der Friedhof in Estrela diente auch als Begräbnisort für Seeleute. Der 1760 gestorbene britische Kapitän Speke sollte auf eben diesem beerdigt werden. Dieses Vorkommnis erfährt man aus der Bitte seiner Kollegen, die ihm ebendort die letzte Ehre erweisen wollten, vorher jedoch die offizielle Erlaubnis für ihre Anwesenheit einholen wollten.53 So selbstverständlich scheint ihre Teilnahme bei einem solchen Begräbnis nicht gewesen zu sein. Dies wird jedoch wohl eher in ihrem mobilen Status begründet gewesen sein. Die Seeleute der Navy erhielten auf dem Estrela-Friedhof kostenfreie Bestattungen. Deren Anzahl war nicht gerade gering, Howes zitiert für 1855 die Zahl von 138 solcher Gratis-Beerdigungen von insgesamt 265 in den letzten zehn Jahren.54 Auch auf den einfahrenden Schiffen oder während des Aufenthalts in der Quarantäne verstarben immer wieder Personen. Deren Überführung in städtische Beerdigungsstätten stellte ein Problem dar, war aufgrund der

49 50 51 52 53 54

zogen wurde, nachdem Kompetenzstreitigkeiten mit dem britischen Geistlichen zu groß wurden. Wittich: Erinnerungen an Lissabon, S. 316–318. Ruders: Viagem em Portugal, S. 150. Der deutsche Pastor hatte seiner Schilderung nach den Ritus der anglikanischen Kirche übernommen und ins Deutsche übersetzt. Howes: British Cemetery, S. 34–46. Badcock: Rough Leaves, S. 12. Howes: British Cemetery, S. 46. ANTT, Minísterio dos Negócios Estrangeiros, Legação Ingleza, Caixa 454, 19.11.1760, ohne f. Diese Zahl kam innerhalb einer Kostendeckungsdiskussion bezüglich des Friedhofes auf den Tisch. Die – außer von den Seeleuten – eingezogenen Begräbnis- und Grabsteingebühren reichten nicht mehr aus, die laufenden Kosten, allen voran die Miete, zu tragen. Als Ergebnis dieser Diskussion steuerte die britische Regierung 20 £ jährlich bei. Diese Summe war ausreichend, um auf die Erhebung von Bestattungsgebühren zu verzichten. Howes: British Cemetery, S. 70f.

316

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

den Leichnamen zugesprochenen Gefährlichkeit eigentlich nicht ratsam. Für ihre Bestattung gab es zwei Möglichkeiten. Zum einen das Begräbnis auf dem Lazarettfriedhof.55 Daneben wurde der ,,unreine“ Bereich des Strandes genutzt, der zum Quarantänebereich gehörte und dem Kontaktverbot unterlag.56 Vor der Freigabe der Bestattung wurden die Verstorbenen einer medizinischen Untersuchung unterzogen, um die Todesursache – und mögliche Seuchengefährdung – herauszufinden beziehungsweise auszuschließen. Beide Möglichkeiten beließen die Toten im Zwischenraum der Quarantäneeinrichtung. Sie waren auch noch nach ihrem Tod gefährlich und blieben deshalb auch in ihrer letzten Ruhe getrennt von der sie umgebenden Bevölkerung. Anders formuliert, sie waren an der Grenze zwischen Meer und Land verstorben und behielten diese Position auch im Tod bei. Tod in Cádiz

Eine vergleichbare Hinwendung zum modernen Friedhof ist auch für das spanische Cádiz anzusetzen. Im Gegensatz zu Lissabon wurde dies früher in Angriff genommen, was mit den konkreten Krisensituationen durch das Gelbfieber zu erklären ist. Auch hier hatte die Bestattung innerhalb der religiösen Mauern starke und verinnerlichte Tradition, da die räumliche Nähe zwischen den Toten und den Heiligendarstellungen die spirituelle Nähe zwischen Seele und Himmelreich verkörperte.57 1800 wurde der neue, eine halbe Meile außerhalb der Stadtmauern von Cádiz gelegene Friedhof nahe der Kirche San José eingeweiht. Diese Eröffnung war eine – wenn auch verspätete – Reaktion auf den königlichen Erlass von 1787, wonach Friedhöfe nur noch außerhalb der Städte gelegen sein durften. Beerdigungen in städtischen Kirchen oder Klöstern, wie es bis dahin Normalität gewesen war, waren damit offiziell verboten. Konkret war die Eröffnung des Friedhofes an die Epidemieerfahrung von 1800 geknüpft.58 In Cádiz musste 55 56

57 58

ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 100, Ordens ao Juizo de Belem, 29.10.1816, Nr. 161; ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 26, 23.10.1817, Nr. 88. Dort wurden sowohl der 1814 an Bord des portugiesischen Schiffes ,,Sto António e Almas“ verstorbene Jude als auch die unidentifizierte angespülte Leiche vier Jahre später begraben. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 5, 13.10.1814, Nr. 72; Maço 37, 4.10.1818, Nr. 114. Der Jude verstarb wahrscheinlich an Gelbfieber, sein Schiff befand sich zum Zeitpunkt seines Todes bereits seit 44 Tagen in Quarantäne. Im Fall der unbekannten Leiche wird erwähnt, dass in diesem Strandabschnitt bereits ein unidentifizierter Toter begraben liegt. Es finden sich nur vereinzelte Beispiele, dass in den Hafenbereich eingefahrene oder während des Aufenthalts in diesem Verstorbene nach der Untersuchung auf einem Friedhof außerhalb der Seuchensperrzone beerdigt werden durften, so der auf See verstorbene Fischer, der nach einem Ersuchen seiner Kollegen in seiner Heimatgemeinde bestattet werden durfte. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 65, 10.2.1820, Nr. 10. Queiroz, Rugg: The Development of Cemeteries, S. 118. Weiter dazu: Reis: ,,Death to the Cemetery“. Die verzögerte Ausführung dieser Anordnung war keine Cádizer Besonderheit, sondern normale Verzögerungstaktik. In Cádiz entstand der Friedhof als Folge der verheerenden

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

317

die Obrigkeit schneller als in anderen Städte reagieren, da sich aufgrund der räumlichen Beengtheit gar kein neuer, großer Friedhof innerhalb der Stadt errichten ließ. Zugleich kann die zutiefst bürgerliche Prägung der Stadt als ein Grund für die schnelle Adaption der Friedhöfe gedacht werden, die in diesen ihren Positionsanspruch aufzeigen und symbolisch repräsentieren konnte. In der Nähe der Kirche San José befand sich das Lazaretthospital Segunda Aguada. Mitte des 19. Jahrhunderts war dieser Friedhof bereits wieder zu klein geworden und entsprach auch nicht mehr den Anforderungen der Zeit, da er über keinen erholsamen Parkcharakter verfügte.59 Dieser Friedhof war für Katholiken gedacht. Es gab anders als in Lissabon keinerlei offizielle Begräbnisstätte für Andersgläubige. Allerdings existierte theoretisch eine Möglichkeit zum Ausweichen. Im Vertrag von Utrecht 1713 findet sich eine Klausel, die für reisende holländische Protestanten, die während ihres Aufenthaltes in der Stadt verstarben, die Freiheit vorsah, ihrem eigenen Bestattungsritus zu folgen. Auch findet sich hier die Erwähnung eines Begräbnisplatzes für Holländer.60 Dieser scheint jedoch nicht in die Realität umgesetzt worden zu sein. Protestanten, vor allem britische, konnten nach Gibraltar ausweichen.61 Die rund hundert Kilometer entfernte britische Enklave bot die Möglichkeit, religiös begründeten Konflikten zu entgehen und dennoch im anglikanisch geprägten und toleranten Schutzraum den eigenen Ritus zu pflegen. Auch Hochzeiten hielt man bevorzugt dort ab. Der Felsen von Gibraltar war im Bereich der Iberischen Halbinsel die einzige offizielle nichtkatholische Insel. Auch der protestantische niederländische Konsul von Cádiz Mauricio Jacobo Lobé verfügte 1786, dort bestattet werden zu wollen.62 Katholische Ausländer wurden hingegen selbstverständlich in den kollektiven Begräbnisstätten ihrer jeweiligen Nation in Kirchen oder Klöstern in Cádiz beerdigt – wie zum Beispiel dem Konvent San Francisco für Franzosen, Hol-

59 60 61

62

Gelbfieberepidemie schneller als andernorts in Spanien. Während der Epidemie von 1800 war angewiesen worden, die Toten außerhalb der Stadt zu beerdigen. Die Bevölkerung der Stadt war nach dieser leidvollen Erfahrung höchstwahrscheinlich nicht mehr gegen diese Neuerung eingestellt. Siehe: Betrán Moya: Historia de las epidemias, S. 192. Ramos Santana: Cádiz, S. 36; Peset; Peset: Muerte en España, S. 104. Crespo Solana: Entre Cádiz y los paises bajos, S. 167. Der Gibralteser Friedhof North Front Cemetery, der 1756 eröffnet wurde, verfügte über fünf Teile, die nach Zugehörigkeit zur etablierten Church of England, verschiedenen nonkonformistischen Richtungen, wie den Presbyterianern und der Zugehörigkeit zur katholischen Kirche – der immerhin der überwiegende Teil der Einwohner Gibraltars angehörte – aufgeteilt war. Ab 1848 existierte nach Mytum auch eine separate jüdische Begräbnisstätte in der Nähe. Auf einer Karte von 1835 ist jedoch bereits ein jüdischer Friedhof verzeichnet. Davon zu unterscheiden ist der Trafalgar Cemetery, der zwischen 1708 und 1835 Militär- und Marineangehörige und städtische Gelbfieberopfer der Ausbrüche von 1810 und 1814 aufnahm. Mytum: Public Health and Private Sentiment, S. 292f; Musteen: Becoming Nelson’s Refuge, S. 42 Abb. 6. AHPC, Protocolos Notariales, 11/2211, 13.5.1786, f. 540f. Testament des Mauricio Jacobo Lobé. Nach: Crespo Solana: Entre Cádiz y los paises bajos, S. 167.

318

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

länder und Flamen.63 Erst nach 1800 fanden sie ihre letzte Ruhe auf dem Cádizer Friedhof neben den spanischen Einwohnern der Stadt. In der Praxis bestand durchaus die Möglichkeit, vom ,,blinden Auge“ der Cádizer Behörden gegenüber Protestanten und Juden zu profitieren.64 Beispielhaft findet sich eine Variante, außerhalb des städtischen Friedhofes beerdigt zu werden und dafür die Zustimmung der offiziellen Stellen zu erhalten: Der nordamerikanische Konsul Juan Hall war 1823 verstorben und höchstwahrscheinlich kein Katholik. Demzufolge konnte er nicht auf dem Friedhof bei San José beerdigt werden. Aus dieser Misslage heraus baten seine Freunde die Junta um die Erlaubnis, seine sterblichen Überreste rechts vom Stadttor Puerta de Tierra zu bestatten. Diese stellte sich dem Ansinnen in keiner Weise entgegen. Sie wünschte nur, die Stadt solle den Ort markieren, der für derartige Aktivitäten verwendet werde. Der so markierte Ort kann, wenn man diese Aufforderung richtig liest, als Hinweis darauf verstanden werden, dass er in Folge weiter für ähnliche Momente genutzt werden sollte.65 Guillermo Carnero erwähnt, dass die Verstorbenen der protestantischen Gemeinschaft von Cádiz auch nach 1800 auf bei La Algaida außerhalb der Stadt ihre letzte Ruhe fanden. Ihre Gräber wurden mit schlichten Grabsteinen gekennzeichnet, waren demnach nicht unsichtbar zu halten.66 Wilhelm von Humboldt zeichnete hingegen ein sehr viel freundlicheres Bild des toleranten Umgangs mit Protestanten nach dem Tod um 1800: ,,Die Protestanten haben hier keinen Druck zu erfahren. Man begräbt sie meist an einer gewissen Stelle, einem Fort gegenüber, nach der Isla zu, am Meer. Man muß aber das Grab einige Zeit bewachen lassen, weil das Volk sich einbildet, dass man ihnen Kostbarkeiten mitgiebt (sic!), sie leicht bestiehlt.“67 Der vor den Toren von Cádiz gelegene Friedhof nahm auch Tote von Schiffen auf.68 Der Fall des an schwerer Krankheit leidenden und im Sterben liegenden (katholischen) Vaters des britischen Kapitäns der ,,Vulcano“ veranschaulicht die Zugangsnormen. Noch vor dem tatsächlichen – aber bereits sehr nahen Ableben beantragte der getreue Sohn bei der Cádizer Junta dessen letzte Ruhe auf dem normalen städtischen Friedhof von Lissabon. Die Junta reagierte auf seine Bitte sehr kulant und stellte ihm eine dementsprechende

63 64 65 66 67 68

Ebd., S.166. Katholische Holländer und Flamen nutzten die Kapelle des San Andrés in diesem Kloster. Ich danke an dieser Stelle Manuel Bustos Rodríguez für diesen sehr anschaulich gehaltenen Hinweis. AHPC, Junta de Sanidad, Oficios, L 2988, 12.3.1823, ohne f. Carnero: Los origines del romanticismo, S. 75. Humboldt: Tagebuch der Reise nach Spanien, S. 264. Beispielhaft sollte 1813 ein unter nicht näher beleuchteten Umständen an Bord eines spanischen Schiffes verstorbenes Mädchen, das augenscheinlich Spanierin war, an Land gebracht und auf diesem Friedhof begraben werden. AHPC, Junta de Sanidad, Extracto Ordenes, L. 2983, f. 512–516 (1813).

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

319

Erlaubnis aus.69 Nach dem baldigen tatsächlichen Ableben des Kapitänsvaters bat auch der englische Konsul nochmals um die Überführung der Leiche auf den Friedhof. Da das Schiff bereits freigesprochen war, sah die Junta de Sanidad nach wie vor keinerlei Hinderungsgrund. Der Leichnam wurde unter den ,,üblichen“ Vorsichtsmaßnahmen an Land gebracht und dort im Modus der auf See Verstorbenen beerdigt.70 Neben der Zugehörigkeit zur katholischen Religion war entscheidend, dass der Verstorbene nicht an einer ansteckenden Krankheit gelitten hatte. Auch aus dem Lazarett konnten Verstorbene vereinzelt auf den städtischen Friedhof transferiert werden. In der Auflistung der im November 1814 durchgeführten Beerdigungen findet sich der Hinweis auf einen Leichnam, der aus dem Lazarett kam.71 Normalerweise wurden diese ,,gefährlichen“ Toten – vergleichbar mit Lissabon – jedoch im gesperrten Lazarettumfeld begraben. So sollte der 1816 von Bord des Schiffes ,,Alianza“ gekommene Afrikaner, der nach Krankheit verstarb, von ,,seinen“ Besatzungsmitgliedern in der Nähe des Lazarettes beerdigt werden.72 Der im gleichen Jahr auf einem Quarantäneschiff verstorbene Matrose wurde hingegen nach Examinierung durch einen Arzt im Strand von Puntales begraben.73 „Iberischer“ Umgang mit fremdem Tod

Die portugiesische Hauptstadt sah nicht nur ab dem 18. Jahrhundert eine große Toleranz gegenüber den fremden Toten. Deren ,,häretische“ Begräbnisorte entwickelten sich teils sogar zu Vorbildern, auf jeden Fall zu Orten, die man ohne Scheu besuchte, Neugierde befriedigte, lustwandelte. Der fremde, vielleicht sogar nichtkatholische Tote hatte seinen Platz in der Gesellschaft und konnte als Modernisierungsquelle gesehen werden. Eine ähnliche Einstellung ist auch in Cádiz zu finden. Die religiös geprägten Regeln wurden im Alltag pragmatisch angewandt. Die Tatsache, dass hier kein eigener Fremden-Friedhof entstand, ist zum einen mit der größeren Präsenz der (vor allem) katholischen Franzosen als größte Diasporagruppe, dem allmählichen Niedergang der Stadt und auch der bestehenden Ausweichmöglichkeit in 69 70

71 72 73

AHPC, Junta de Sanidad, Ordenes, L 2963, f 177 (1814). Er verstarb in dem Moment, als man die Segel in Richtung Lissabon setzen wollte. AHPC, Junta de Sanidad, Ordenes, L. 2963, f. 179f (1814). Die angesprochenen Vorsichtsmaßnahmen für die Überführung waren die grundlegenden, im sonstigen Quarantänebereich angelegten Maßnahmen. Auch ein anderer französischer Kapitän verstarb 1820 an Lungenschwindsucht, kurz nachdem sein Schiff die Abfahrtssegel gesetzt hatte. Dieser durfte ebenfalls auf dem Friedhof bestattet werden, da seine Todesursache keine Gefahr für die öffentliche Gesundheit verhieß. AHPC, Junta de Sanidad, Ordenes, L. 2969, f. 391 (1820). Insgesamt wurden in diesem Monat 208 Beerdigungen durchgeführt. AHPC, Junta de Sanidad, Ordenes, L 2963, f. 198 (1814). AHPC, Junta de Sanidad, Actas Municipales, L. 2941, f. 118 (1816). AHPC, Junta de Sanidad, Actas Municipales, L. 2941, f. 21 (1816).

320

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

Gibraltar zu begründen. Die Eigenen und sesshaften Fremden wurden im Tod soweit als möglich gleich. Graduelle, wenn auch wichtige Unterschiede lagen in der Religionszugehörigkeit begründet. Katholische Fremde hatten auch im Tod ein weit größeres Integrationspotential als sogenannte Häretiker. Sie lagen unmittelbar Seite an Seite mit ihren portugiesischen Nachbarn. Trotz der bestehenden räumlichen Trennung nach Religionszugehörigkeit hatten sie jedoch zusammen die Stufe der gesellschaftlichen Neuerungen hin zum neukonstruierten ,,socially bounded place“ des Friedhofes des 19. Jahrhunderts genommen.74 Seuchenverdächtige Tote waren als weitaus gefährlicher eingeschätzt und mussten ,,in der Verbannung“ im Lazarettbereich oder gar im profanen Strand liegen. Zwischen seuchenunverdächtigen und -verdächtigen Toten fand die massive Trennung statt.

3.2 „Fremde“ in der maritimen Quarantäne Die Behandlung von fremden Ankommenden in der Institution der Quarantäne war zuerst durch ihr normatives Gerüst und Regelwerk gekennzeichnet. Die Reisenden sahen sich mit vorgegebenen Parametern konfrontiert, die ihre Wahrnehmung und Behandlung, den Ablauf wie auch ihren Aktionsraum maßgeblich steuerten und beeinflussten. Drei dieser Aspekte sollen im Folgenden nachgezeichnet und dabei überprüft werden, welchen Stellenwert die unterschiedlichen Zugehörigkeiten und ihre möglichen Verdachtsmomente in der normativ festgehaltenen Weltsicht der iberischen Quarantäne hatten. 3.2.1 Das Babel der Sprachen Für den erfolgreichen wie alltäglichen Umgang mit den in Häfen ankommenden Personen waren Fremdsprachenkenntnisse unerlässlich. Italienisch, vielmehr eine Pidgin-Adaption mit Anleihen levantinischer Sprachen, war zwar nach wie vor die lingua franca der See. Die meisten Seeleute sprachen daneben noch weitere, auf dem Meer aufgeschnappte Sprachversatzstücke.75 Doch um die administrative Erfassung in diesen Toren zur Welt kohärent 74

75

Der Friedhof ist an dieser Stelle in Anlehnung an Durkheim als kollektive Repräsentation, als sakrale und symbolische Replik der Gemeinschaft der Lebenden gesehen, die vor allem etwas über eben diese Gesellschaft aussagt, viele derer grundlegenden Werte und Glaubensvorstellungen darstellt. Seine Entstehung zeigt in den beiden betrachteten Fällen, dass religiöse Zuordnung als ordnendes Element an Wert verlor, auch wenn weiterhin nach ihr separiert wurde – auch im Tode. Weiter dazu: Francis: Cemeteries as Cultural Landscapes, S. 222. Pidgin entsteht in der fortwährenden Kontaktsituation mindestens zweier, meist nicht näher miteinander verwandter Sprachen, häufig im Rahmen eines Machtgefälles wie dem der Kolonisation. Im Normallfall hat sie einen eingeschränkten Funktionsbereich,

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

321

durchführen zu können und die Einhaltung der verschiedenen Vorschriften zu gewährleisten, war eine eindeutige, so weit als möglich von Missverständnissen und Nichtverstehen bereinigte, sachbezogene Kommunikation mit den Schiffen und vor allem ihren Passagieren und Besatzungen nötig. Daneben mussten Warenpapiere und Pässe übersetzt werden. Im Kreislauf des Verdachts benötigten die Sanitätsangestellten solche empfundenen Eindeutigkeiten, um das Gefährdungsrisiko einschätzen und entsprechende Aktionsformen bestimmen zu können. Falls diese formalisierte Verständigung jenseits der grundsätzlich in jeder Kommunikation enthaltenen Missverständlichkeit nicht oder nur in Bruchstücken möglich war, wurde der Verdacht nicht besänftigt. Misstrauen und Abgrenzung waren die unausweichliche Folge. Für den Umgang mit den fremden Sprachen war in beiden Häfen ein Dolmetscher und Übersetzer von den Sanitätsbehörden angestellt.76 Diese begleiteten die Sanitätsangestellten auf die einfahrenden Schiffe und übersetzten bei Befragungen. Einen Überblick über die Veränderungen der fremdsprachlichen Anforderungen geben die Einstellungsentscheidungen

76

in dem Verständigung unerlässlich ist, vor allem in den Feldern des Handels und der Arbeit. Es gibt für pidgin, oder auch lingua franca, keine muttersprachlichen Sprecher, vielmehr agieren in dieser Sprechsituation alle in einer Zweitsprache, deren Grammatik eine stark vereinfachte darstellt und deren Sprachcode ein restringierter ist. Pidgin ist dem Jargon der Unterschichten und Außenseiter ähnlich, gleichermaßen eine partielle oder ,,abnormale“ Sprache, die die jeweiligen Muttersprachen der Sprecher ergänzten. Zugleich sind beide Grenzsprachen, die ein Überqueren und Kommunizieren über eine kulturelle, soziale oder politische Grenze ermöglichen. Burke verweist weiter auf die Theorie, dass das pidgin seinen hauptsächlichen Ursprung im nautischen Jargon habe. Diese Auffassung erscheint als nicht abwegig, ist doch die Arbeitssituation auf dem Schiff in ihren Grundzügen eine multilinguale, die überwunden werden musste, um eine erfolgreiche Zusammenarbeit zu gewährleisten. Zudem hatten gerade Schiffsbesatzungen in den verschiedenen Häfen mannigfaltige Kontakte in den unterschiedlichsten Sprachen, in denen wirtschaftliche, soziale und amouröse Verbindungen geknüpft und weiter verfolgt wurden. Pidgin wird hier nicht vom Kreolischen unterschieden, der Unterschied besteht allenfalls in einer unterschiedlichen Stabilität. Burke: Introduction, S. 16f; Kaye, Toaco: Pidgin and Creole Languages; Lefebvre: Issues in the Study of Pidgin, S. 5f; Siegel: The Emergence of Pidgin. Dieses mediterrane pidgin, die lingua franca, vereinte insbesondere Elemente des Venetianischen, (weiterer italienischer Dialekte), des Arabischen und Griechischen in sich. Mit dieser Kombination verwies es auf die im Entstehungszeitraum dominierenden Sprachgruppen im Kontaktraum, die die wesentlichen Elemente lieferten. Der Übergang zur Kreolsprache, die zum identitätsstiftenden Moment der Gemeinschaft geworden war, kann man aber nicht ansetzen. Panzac verweist darauf, dass die mediterrane lingua franca sich je nach Einflusssphäre veränderte. Daniel Panzac: La lingua franca, S. 411. Im Folgenden wird, wenn nicht ausdrücklich anders betont, für den Begriff Übersetzer immer zugleich diese Personalunion der Translation gemeint. Die Trennung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit wurde in der Praxis nicht gezogen, interessiert deshalb an dieser Stelle auch nicht. Interessanterweise erwähnt Hildesheimer keinen solchen für Marseille, auch wenn seine Existenz eigentlich als zwingend angesehen werden muss. Hildesheimer: Le bureau de la santé.

322

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

für die vakante Übersetzerstelle in Cádiz. 1721 bewarb sich Juan Baupttistta de Andrade y Garcia als städtischer Übersetzer. Er gab in seiner Bewerbung an, dass er zehn Sprachen könne und führte diese (neun) im Weiteren aus: Er war des Lateinischen, Italienischen, Spanischen, Portugiesischen, Englischen, Flämischen, Deutschen, Türkischen und Arabischen mächtig. Aufgrund dieser Kenntnisse erhielt er die freie Stelle.77 Ein Jahrhundert später entschied sich die Cádizer Sanitätsbehörde hingegen als neuen Übersetzer für einen Mann, der die Sprachen des mittel- und nordeuropäischen Raums beherrschte. Der 1816 ausgewählte neue Übersetzer, der junge Cádizer Bürger António Francisco de Paula Marrufo, brillierte im Französischen, Englischen, Deutschen, Italienischen, Schweizerdeutschen, Holländischen und Hamburgischen.78 An dieser Verschiebung wird deutlich, dass man sich klar auf die nordeuropäischen Ankömmlinge eingestellt hatte. Weder die Sprache des Nachbarlandes noch die der nordafrikanischen oder levantinischen Anrainer schien als Auswahlkriterium noch Entscheidungskraft gehabt zu haben. Das verweist auf klare Asymmetrien in Handel wie Politik. Die Sprachen der vermehrt anlandenden Schiffe aus den nicht eindeutig zuzuordnenden christlich-europäischen östlichen Grenzregionen stellten ein Problem dar. Der angestellte Dolmetscher sprach sie nicht und auf die maritime lingua franca konnte man sich auch nicht in aller Tiefe und Komplexität verlassen. Für die russischen Schiffe zog man in Lissabon häufig den russischen Konsul hinzu, der der maritimen Gesundheitsbehörde für Schiffe unter russischer Fahne auch im Griechischen abgefasste Schiffspapiere übersetzte.79 Auch war der russische Vizekonsul, der in Hafennähe in Belém stationiert war, unerlässlich für Dolmetscheraufgaben während der Sanitätsvisite wie Quarantäneprozedur.80 Ähnliches verlangte auch der österreichische Konsul, der 1818 ebenfalls einen Vizekonsul in Belém installieren wollte, der den un77

78

79

80

Dieser städtische Übersetzer war zwar nicht deckungsgleich mit dem Übersetzer der Gesundheitsbehörde, diese beschäftigte einen eigenen Mann. Dennoch zeigt seine Anstellung, welche Sprachen als wichtig erachtet wurden. Denn auch er hatte natürlich massiven Kontakt zu den Fremden und Ankommenden in der Stadt und hatte aufgrund der stadtbeherrschenden Stellung des Hafens häufig genug, in oder mit diesem zu tun. AHMC, Actas Capitulares, L. 10077, f. 222f (1721); AHMC, Actas Capitulares, L 10078, f. 191 (1722). Außerdem verfüge er über ein ,,recomendable conducta“, also empfehlenswertes Benehmen. AHPC, Junta de Sanidad, Oficios, L 2984, 20.9.1816, ohne f. Die Neubesetzungsverhandlungen zogen sich über zwei Jahre hin, zu Beginn stand ein anderer Übersetzer in der Gunst. Ursprünglich sollte diese Stelle an den Deutschen Juan Cristian Carols gehen, der die Sprachen des oberen und unteren Deutschlands, Schwedisch, Preußisch, Dänisch, Holländisch, Flämisch, Englisch, Italienisch und ein wenig Französisch beherrschte. Ebd., 19.8.1814. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 42, 11.6.1818, Nr 19. Vor allem der russische Konsul stellte die Überprüfung der Schiffsdokumente und Befragung der Kapitäne einlaufender russischer Schiffe als wichtigen Teil seines Amtes dar und bestand wiederholt auf diesem Recht. In Belém wurden auch von anderen Nationen Vizekonsuln installiert, die den einlaufen-

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

323

ter k&k-Flagge einlaufenden Schiffen als Übersetzer zur Seite stehen sollte.81 Auch die im selben Zeitraum abgefasste Anfrage der Sanitätsbehörde an den schwedischen Konsul, ob er von Personen wisse, die für die Junta bei Bedarf übersetzen könnten, verweist darauf, dass Sprachen abseits des Gängigen, hier als zentraleuropäisch Benannten, von den Gesundheitsbehörden nicht abgedeckt wurden – auch wenn dies für sie von größter Wichtigkeit war.82 Dieser Übersetzungs- und damit Kommunikationsmangel war den Gesundheitsbehörden in Lissabon als auch in Cádiz sehr wohl bewusst. Sie versuchten mit verschiedenen Mitteln, diesen Misstand zu mildern. Das immer noch gültige Reglement des Hafens von Belém von 1695 wies die Einschätzung der als wichtig angesehenen und abzudeckenden Sprachen dem Lissaboner Stadtrat zu.83 Für die offene Stelle eines Matrosen an Bord der Cádizer Sanitätsschaluppe, stellte die Behörde einen Seemann an, der immerhin Italienisch, Genuesisch und Toskanisch sprach, da er zuvor lange auf dem Mittelmeer gesegelt war.84 1815 erfolgte die Aufforderung an die ausländischen Cádizer Konsuln, sanitäre Instruktionen, ergänzt durch Zoll- und Polizeigesetze, zu erstellen, die den jeweiligen Schiffen ihrer Nation beim Einlaufen überreicht werden sollten.85 Zudem griff man auch auf Privatpersonen zurück. Diese boten sich manchmal selbst an, für Landsleute zu übersetzen und diese zu begleiten. 1815 erklärte sich beispielsweise der Franzose Juan Lacomme bereit, den französischsprachigen Kapitänen vor ihrer Zulassung zum Anlegen noch die wichtigsten Instruktionen zu übersetzen.86 Der Rückgriff auf (halb)private Personen kann als Charakteristikum und wahrscheinlich einzige Möglichkeit der Abdeckung der benötigten ,,exotischeren“ Fremdsprachen betrachtet werden. In Cádiz hatte man die Notwendigkeit der Übersetzung aus dem Griechischen sehr viel früher erkannt als in Lissabon. 1807 bezahlte man Antonacio Bituny für

81 82

83

84

85 86

den Schiffen unterstützend zur Seite stehen sollten. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 53, 17.2.1819, Nr. 10. Er zielte dabei höchstwahrscheinlich auf eine slawische Sprache ab. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 89, 11.1818, ohne Nr. 3. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 42, 4.6.1818, Nr 21. Dieser Konsul Wadstrôm wurde von der Lissaboner Sanitätsbehörde erstaunlich häufig für Übersetzungen hinzu gezogen, er scheint im Bereich der Sprache und damit in einem gewissen Sinn auch der Wahrheit ein großes Legitimierungspotential inne gehabt zu haben. Der Hafenübersetzer sollte die Sprachen beherrschen, deren Nationen den Hafen hauptsächlich frequentieren. Da er nicht alle Sprachen beherrschen kann, solle der Lissaboner Stadtrat entscheiden, welche weiteren Fremdsprachen notwendig seien. Regimento para o porto de Belém. In: Collecção dos Regimentos, Cap. 5, S. 7. Seine Sprachkenntnisse werden im Empfehlungsschreiben als sehr nützlich für den Kontakt mit den ankommenden Schiffen eingeschätzt. Trotz besserer Bezahlung wurde diesem die Doppelbelastung als Dolmetscher/Übersetzer und Matrose nach einer Weile zu viel und er bat, nur noch in ersterem Bereich arbeiten zu dürfen. AHPC, Junta de Sanidad, Actas Municipales, L 2935, 5.1.1807, ohne f. AHPC, Junta de Sanidad, Ordenes, L. 2964, f. 182 (1815). AHPC, Junta de Sanidad, Oficios, L. 2984, 7.3.1815, ohne f.

324

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

Übersetzungs- und Dolmetscherdienste in Angelegenheiten der griechischen Nation. Zudem konnte man für diese Aufgaben auch auf den Handelsagenten der Hohen Pforte Marcos Machiavely zurückgreifen.87 Doch war auch dieses fremdsprachenkundige Personenrepertoire nicht ausreichend, um eine grundlegende sprachliche Durchdringung im Hafenbecken zu erreichen, auch wenn solche Sprachkenntnisse auf der mittleren Personalebene als vorteilhaft angesehen wurden. Es wurde schmerzlich vermerkt, dass auf den Sanitätsschiffen keine Dolmetscher mitfuhren. Vor dem geschilderten Hintergrund ist die Intervention des in Lissabon wohnhaften Kaufmanns Balthazar Madick für einen osmanischen Kapitän, dem die Sanitätsbehörden Fehlverhalten und Arroganz vorwarfen, einzuordnen. Er bat, die Befragung, die beim ersten Mal in Italienisch abgehalten worden war, zu wiederholen. Dies sollte entweder in dessen Muttersprache Griechisch oder in einer Form des (pidgin)Italienisch abgehalten werden, die der Kapitän verstehen könne. Denn diese Osmanen würden Italienisch in einer Art und Weise sprechen, wie die Afrikaner der französischen Kolonien das Französische. Dieses Nichtverstehen – so Madick – produziere sowohl für die portugiesische Sanität als auch für die betroffenen Kapitäne nur Nachteile.88 Der von Madick verteidigte Kapitän sollte in der vorgeschlagenen zweiten Befragung zudem anhand einer Seekarte zeigen, welchen Weg er genommen und wo er die Fracht geladen hatte. Diese Informationen waren ohne differenziertes Sprachverständnis nicht zu erhalten, obwohl sie für das Funktionieren der Quarantäneinstitution unerlässlich waren. Es scheint, als ob gewisse Abgrenzungen zugunsten eines generalisierenden Verdachts aufrecht gehalten wurden. Der mögliche Ausweg über die lingua franca wurde bei der ersten Befragung nicht gewählt und stattdessen ein ausdifferenziertes und damit schwerer verständliches Hochitalienisch eingesetzt. Diese Aktion zeugt von einem Überhöhungsgestus, der leicht als borniert interpretiert werden kann. Im Vergleich mit dem natürlich ungleich präsenteren Englisch, in dem sogar die Auflistungen der als gefährlich betrachteten, seuchenfangenden Waren vorlagen, scheinen diese nicht mehr vollständig dem zivilisierten europäischen Kulturkreis zuzuordnenden Randregionen nicht sehr interessiert zu haben.89 Diese Auffassung kann man auch in der Korrespondenz des bereits erwähnten schwedischen Konsuls Carlos Wadstrôm ablesen. Dieser war von der Lissaboner Sanitätsbehörde gebeten worden, die Papiere eines russischen Schiffes zu übersetzen. Seine Antwort war, dass er kein Wort verstehe und auch niemanden kenne, der eine ähnliche Sprache spreche. Sein 87 88 89

AHPC, Junta de Sanidad, Actas Municipales, L. 2935, 20.4.1807, ohne f. Balthazar Madick an Tancos. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 85, ohne Dat. (1813– 1817), ohne Nr. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 85, Carlos Jose de Abrun an Tancos, Ohne Datum, ohne Nr.

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

325

Vorschlag lautete, diese Schiffe, die derzeit in großer Zahl den Hafen anlaufen würden, dazu zu verpflichten, ihre Dokumente in Zukunft in einer ,,weniger barbarischen und bekannteren Sprache“ abfassen zu lassen.90 An diesem Beispiel, wie auch an der Behandlung der Griechischsprachigen im sanitären Netz allgemein, zeigt sich der immer präsente, grundsätzliche Machtgehalt von Sprache. Sprachliche Äußerungen sind als soziale Praxisformen und damit Teil des sprachlichen Habitus’ zu verstehen, die essentieller Bestandteil und Ausdrucksform von Machtbeziehungen sind. Der erfolgreiche Einsatz von Sprache formt das Bild der Welt, das anschließend als wirklich und wahr angenommen wird und bestimmt die Position des Sprechenden. Sprache ist zugleich grundlegende Vorbedingung für Wissen und Annäherung zwischen Individuen, Gruppen und Kulturen, aber auch für aktive Teilhabe und soziale Praxis.91 Wenn die ,,fremde Zunge“ des eigenen Verstehens nicht für Wert befunden, oder als ,,barbarisch“ abgetan wird, äußert sich ein Machtgefälle, das aus wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Hintergründen gespeist ist.92 Man übt symbolische Macht aus, die deutliche reale Niederschläge hat. Zugleich reproduziert sich Verdacht. Wen man nicht versteht, dem unterstellt man schneller Böses, vor allem wenn er – aus Unwissenheit oder Absicht – gegen Regeln verstößt, die ihm zuvor nicht verständlich übermittelt wurden. Er bleibt ohne individuelle Züge, da er sich nicht mitteilen kann. Nichtverstehen führt zudem zu großflächigem Nichtwissen, das in diesem Kontext mit Nichtwissenwollen akzentuiert ist. Der Wille zum Entziffern der fremden Zeichen und ihrer kulturellen Inhalte

90 91

92

ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 85, 11.6.1818, ohne Nr. Oder um es mit Foucault zu umschreiben, Wissensformationen stehen im direkten Zusammenhang mit Machtstrukturen. Der Diskurs, das Sprechen, wiederum ist Grundvoraussetzung für die Vermittlung und Produktion von Wissen. Zugleich ist er eines der effektivsten Mittel, um die damit zusammen hängenden Machtbeziehungen zu untermauern oder zu verschieben. Foucault: Die Ordnung des Diskurses, S. 7f. Auch Bourdieu macht auf die grundlegende Charakteristik von Sprache als Instrument sozialen Handelns und Herrschaftsmittel aufmerksam. Zugleich verweist er auf die entscheidende Anerkennung des Sprechenden und seines Diskurses als legitim, die seinen Status und das Gehör, das ihm geschenkt wird, definieren. Auch wenn er Sprache als soziale Sprechsituation begreift, trifft auch das hier vorliegende Nichtverstehen einer fremden Sprache auf sein Modell zu, da die Betroffenen eben keine oder eine marginalisierende Anerkennung erfahren. Bourdieu: Was heißt Sprechen? Aus historischer Sicht: Burke, Porter: The Social History of Language; Schwara: Sprache und Identität. Waldenfels bemerkt dazu in vergleichbarer Weise: ,,Der Vertreter einer dominierenden Sprache (. . . ) neigt dazu, es dem Fremden anzulasten, wenn dieser die fremde Sprache überhaupt nicht oder nicht wie seine eigene spricht, und am Ende sieht es so aus, als sei die Fremdheit eine Eigenschaft, die dem Ankömmling (. . . ) anhaftet wie ein Brandmal, obwohl sie doch eine instabile Relation darstellt, die in beide Richtungen schillert.“ Zudem verweist er auf den prägnanten Satz der 1492 von Antonio de Nebrija herausgegebenen spanischen Grammatik, in der es heißt: ,,Die Sprache war schon immer Begleiterin des Imperiums.“ Waldenfels: Topographie des Fremden, S. 38.

326

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

ist Grundbedingung, um (angemessen) zu übersetzen.93 Denn unbekannte Aspekte und fehlende Informationen sind Normalität. Das Wissen über die Welt kann natürlich nie Vollständigkeit deklarieren. Auch die beiden Sanitätsbehörden versuchten ihren Wissensbestand zu vergrößern und zu archivieren.94 Die implizierte Verweigerung der Anerkennung dieser fremden Sprachen als legitimes, übersetzungswürdiges Ausdrucksmittel verweist auf ihre marginalisierte Position im Geflecht der Machtbeziehungen und Praktiken.95 Im Fall der nichtexistenten nordafrikanischen und arabischen Sprachkenntnisse im Dunstkreis der Sanitätsorganisationen bildete sich die machtpolitische Realität ab. Diese Nachbarregionen bedienten Mittlerschiffe dritter Nationen, ihre Einwohner waren im Handels- und Schifffahrtskonzert in die Marginalität gedrängt. Zugleich konnte man sich darauf verlassen, dass die Kenntnisse der lingua franca unter den maghrebinischen Eliten und Händlern wie Seeleuten weit verbreitet waren.96 Der sprachliche Umgang mit Schiffen einer solchen Herkunft erforderte deshalb nur die Kenntnis der dominanten (europäischen) Sprachen. Die erfolgreiche Abgrenzung äußerte sich in grundsätzlichem sprachlichem Desinteresse. Der sprachliche Markt und Kontaktraum war Bewohnern der Levante und des Maghrebs nur über den Umweg einer Fremdsprache möglich. 93

94

95

96

Paul Ricoeur verweist auf die grundsätzliche Bedeutung der Einordnung der fremden Sprache für den Übersetzungsprozess, ebenso wie auf die Voraussetzung der Existenz bi- oder multilingualer menschlicher Übersetzer. Gelungene Übersetzung besteht für ihn in der Suche nach der optimalen Verhältnismäßigkeit zwischen den unterschiedlichen Ressourcen der außendenden und der empfangenden Sprache. Ricoeur: Reflections on a New Ethos, S. 5. Für Cádiz ist die Existenz eines Büros der Hafensanitätsbehörde ab spätestens 1807 belegt. AHPC, Junta de Sanidad, Extracto Real Ordenes, L. 2983, f. 148 (1807). Zugleich wurde von dieser Zweigbehörde verlangt, sich über Neuerungen auf dem Laufenden zu halten und stetig weiterzubilden. AHPC, Junta de Sanidad, Extracto Real Ordenes, L. 2983, f. 1 (1810). Abseits der grundsätzlichen Unmöglichkeit wirklichen Verstehens zwischen Menschen ist die Übersetzung einer verbalen Äußerung oder eines Textes aus einem anderen soziokulturellen oder historischen Umfeld immer verändert, teils sogar sinnentstellend. ,,Translation ist the performative nature of cultural communication. It is language in actu (. . . ) rather than language in situ (. . . ). And the sign of translation continually tells, or ,tolls‘ the different times and spaces between cultural authority and its performative practises. The ,time of translation‘ consists in that movement of meaning, the principle and practice of communication that, in the words of de Man ,pits the original in motion to decanonise it, giving it the movement of fragmentation, a wandering errance, a kind of permanent exile‘.“ Bhabha: The Location of Culture, S. 326. Hervorhebungen durch den Autor. Auf die weite und profunde Verbreitung der lingua franca unter den maghrebinischen Eliten verweist Christian Windler mit besonderer Berücksichtigung der tunesischen Beys im 18. und 19. Jahrhundert, die ihre europäischen Besucher und Konsuln häufig genug mit ihren Sprachkenntnissen beeindruckten und überraschten. Für im Handelskontakt mit dem europäischen Raum stehende Personen kann Analoges angenommen werden. Windler: Diplomatic History, S. 85f.

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

327

3.2.2 Geographischer Argwohn: Quarantäne-Reglemente Eine geographische Einteilung der Welt und des Seuchenverdachts war, wie bereits flüchtig gestreift, grundlegender Rahmen und Charakteristikum des Quarantänesystems. Das Denken des Fremden mittels fremder Orte ist zugleich eines der grundlegenden Ordnungsprinzipien, um die Welt zu verstehen. Kein Wunder also, wenn das Quarantänesystem auf diesem Ordnungsprinzip basiert, da es das Eigene vom Fremden eindeutig scheiden will. Innerhalb aller begrenzten Ordnungen macht sich das Fremde vor allem in Form des Außer-Ordentlichen, das an den Rändern und in den Lücken der Ordnungen auftaucht, sichtbar.97 Die räumliche Verortung des Seuchenursprungs im Bereich hinter der Grenze findet sich bereits bei der Suche nach dem Ursprung des Schwarzen Todes.98 Diese Zuweisungen wurden vor allem im levantinischen Raum verortet und hatten in vielen Fällen auch ihre Berechtigung. Denn die von der modernen Epidemiologie beschriebenen sogenannten beständigen Pestherde, meist sehr abgelegene Gebiete, in denen der Pestbazillus sich mittels der dortigen wildlebenden Nagetierpopulationen in seiner Existenz fortlaufend fortschrieb und am Leben erhielt, lagen vor allem im levantinischen, zentralasiatischen und afrikanischen Bereich.99 Dieser Zusammenhang war den Zeitgenossen in der epidemiologischen Ausprägung zwar unbekannt, doch beobachteten sie, dass die Seuche aus gewissen Räumen eher eingeschleppt wurde, als aus anderen. In Verbindung mit dem schon bestehenden gene97 98

99

Waldenfels: Topographie des Fremden, S. 10f. Der Schwarze Tod wurde von genuesischen Schiffen auf den italienischen Stiefel eingeschleppt, als die eigentlichen Verursacher wurden jedoch die mongolischen Belagerer der genuesischen Handelsenklave Kaffa auf der Krim gesehen. Diese sollen Pestleichen mit Katapulten in die Stadt geschossen haben und so den Pestzug über den europäischen Kontinent ausgelöst haben. Naphy Spicer: Der schwarze Tod, S. 29. Auch für Dubrovnik, die Hafenstadt, die als erste die Quarantäne 1377 installierte, berichten Chronisten für die Pestausbrüche von 1357/58 und 1363, dass die folgenden Pestwellen durch Schiffe aus Alexandria eingeschleppt wurden. Grmek: Les débuts de la quarantine maritime, S. 52. Siehe Teil 3, Kapitel ,,Kontrollierte und begrenzte Interaktion: Krankheit, Schutz und Angst“ in diesem Buch. Im levantinischen Raum ist hier insbesondere das im Osmanischen Reich gelegene Kurdistan und das syrische Gebirgsmassiv zu nennen, die Panzac auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch als sehr virulent ansieht. In Zentralasien verortet er diese in der Mongolei und in den Hochebenen von Vietnam. Auf dem afrikanischen Kontinent sind es das östliche Saharagebiet, der Bereich der großen Seen und das südliche Afrika. Daneben werden die temporären Seuchenherde unterschieden, in denen sich der Pesterreger für einige Zeit, vielleicht mehrere Jahrzehnte hielt. Derartige temporäre Pestherde waren nach Panzac zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Balkanbereich, allen voran in den albanischen Bergen, und in Istanbul gegeben. Daneben zählt er als solche Herde Moldawien, die Walachei und Anatolien auf. Im Maghreb verortet er zu Beginn des Jahrhunderts einen temporären Pestherd im Nildelta, einen anderen in Alexandria. Panzac: La peste dans l’Empire ottoman, S. 81–96, 105–133; Panzac: Quarantines et lazarets, S. 15–17.

328

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

rellen Misstrauen gegen den osmanischen und afrikanischen Raum hatte diese Erkenntnis deutliche Auswirkungen. Im sich zwischen dem 15. bis 17. Jahrhundert über den Mittelmeerraum ausbreitendem Netz maritimer Quarantäneinstitutionen verhärtete sich die allgemeine Grundhaltung, die Pest sei orientalisch und genuin diesen Gebieten zuzurechnen, immer weiter und wurde zu einem der obersten Diktate. In den europäischen maritimen Sanitätsreglementen findet sich die gemeinsame Auffassung, dass das Osmanische Reich und die nordafrikanischen Regentschaften als genuin seuchengefährlich anzusehen seien. Aus diesen Reglementen kann das allgemeine Gefühl einer Seuchenumzingelung im (erweiterten) Mittelmeer herausgelesen werden, auch wenn die Handelskontakte trotzdem aus nahe liegenden pragmatischen Gründen nicht abgebrochen wurden. Diese nichteuropäischen Räume waren jedoch mit einem allgemeinen Misstrauen belegt, das sich in der Quarantänelegislative niederschlug. Die verdächtige Raumeinheit, die durch das europäische Misstrauen konstruiert wurde, war nochmals in Verdächtigkeitskategorien unterteilt und vom als normalerweise seuchenunverdächtig(er)en europäischen Norden abgeteilt.100 Für Schiffe aus den grundsätzlich verdächtigen Regionen hatte dies zur Folge, dass sie entweder in die Häfen nicht einlaufen durften, die Anzahl der Häfen, die ihnen noch offen standen, sehr reduziert war oder ihre Behandlung innerhalb der Quarantäne im Vergleich zu anderen Herkunftsorten eine sehr rigide und langwierige war. Dabei war die Iberische Halbinsel, auch wenn sie in der tatsächlichen Installation von elaborierten, beständigen nationalen Quarantäneinstitutionen mit deutlicher Verspätung agierte, keine Ausnahme. Spanien und Portugal hatten nach den Friedensschlüssen Ende des 18. Jahrhunderts offiziell wieder direkte (Handels)Kontakte zum Osmanischen Reich wie auch mit den nordafrikanischen Regentschaften aufgenommen.101 Sie hatten die europäischen Seuchenzuschreibungen antizipiert, unterschieden jedoch klar zwischen dem osmanischen Kernraum und Nordafrika. Letzteres war zwar bedenklich, jedoch nicht grundsätzlich gefährlich. Immerhin findet sich in einer Sammlung

100

101

In Richtung Norden wurden die Abwehrmaßnahmen punktuell aufgrund konkreter Informationen über einen Seuchenausbruch erlassen und praktiziert. Exemplarisch dafür stehen die zwei aus Nordeuropa kommenden Pestwellen des 18. Jahrhunderts, 1709– 1714 in Deutschland und dem Baltikum und 1770/71 in Polen, Moldawien und der Walachei, vor denen sich zum Beispiel die französischen Ponentehäfen explizit schützten. Hildesheimer: La protection sanitaire, S. 447. Dieses System basierte natürlich grundsätzlich auf einem möglichst genauen und vertrauenswürdigen Informationsfluss. Das europäische Seuchenabwehrsystem hat das formelle wie informelle Informationswesen massiv vorangetrieben. Der spanisch-muslimische Handel hatte auch zuvor bestanden, intensivierte sich jedoch sehr mit den Friedensschlüssen mit Marokko 1767, dem Osmanischen Reich 1782, Tripolis 1784, Algier 1786 und Tunis 1791. Corrales: Comercio de Cataluña, S. 50f, 75.

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

329

gedruckter Erlasse der Abwehrmaßnahmen anlässlich der Pest von Marseille 1720 der ,,gefährliche Raum“ handschriftlich mit ,,Afrika“ ersetzt.102 Vor allem in Spanien begann die Seuchenabwehr erst allmählich Gegenstand staatlichen Handelns zu werden, war lange zu großen Teilen den Gemeinden und Provinzen überlassen.103 Es finden sich zwar auch hier generelle Zutrittsverbote, wie der spanische Erlass von 1813, der den Handel und Kontakt mit Afrika bzw. der arabischen Levante unterbinden wollte.104 Einzige Zutrittsmöglichkeit für solche Schiffe sollte ein extra dafür vorgesehenes schmutziges Lazarett sein – das im spanischen Fall mit Mahón erst 1817 seine Tore im vollen Umfang öffnete.105 Dieser Erlass scheint jedoch keine grundsätzliche praktische Wirkungskraft gehabt zu haben und wurde in den nächsten Jahren mehrfach, teils leicht enerviert, wiederholt. 1813 erfuhr die Cádizer Junta offiziell von der virulenten Pest im europäischen und asiatischen Bereich der Türkei. Diese Neuigkeit wurde aber noch weit genug entfernt verortet, damit keine Panik ausbrach.106 Zudem hatte man seine eigenen Seuchenproblemkinder, allen voran das als einheimisch zu betrachtende Gelbfieber. Die Pest wurde zunächst vordergründig in der Türkei verortet. In der Praxis trafen die Vorsichts- und Abwehrmaßnahmen jedoch bereits alle maurischen Schiffe.107 Unter diesen Begriff fallen augenscheinlich sowohl unter osmanischer wie unter der Flagge der nordafrikanischen Regentschaften fahrende Schiffe. Der nordafrikanische Raum war demnach bereits vom Seuchenverdacht gestreift, auch wenn sich der Fokus auf den türkischen, will heißen levantinischen und Balkanbereich richtete. Zugleich wurden nordafrikanische Bereiche vorübergehend aufgrund der Gelbfieberepidemie in Gibraltar gesperrt.108 Diese differenzierende Wahrnehmung der gegenüberliegenden afrikani102 103

104 105

106

107 108

AHMC, Actas Capitulares, L. 10076, f. 495 (1720). Unmittelbare Reaktion auf die Marseiller Pest 1720 war die Gründung der Junta Suprema de Sanidad. Der erste nationale Versuch, die maritime wie terrestrische nationale Sanität zu regeln, erfolgte 1804, der zweite 1814. José Javier Viñes sieht vor allem die Gelbfieberbekämpfung zum großen Teil den Städten und Gemeinden überlassen. Viñes: La sanidad española, S. 26. AHPC, Junta de Sanidad, Oficíos, L. 2984, 22.1.1815, ohne f. Die Insel von Mahón war vor der offiziellen Eröffnung bereits in Teilen genutzt worden, war für den Zweck ,,verpestete“ Schiffe aufzunehmen und zu isolieren, aber erst vollumfänglich 1817 einsetzbar. Carreras Roca: El lazareto de Mahón; Nadal: La sanidad maritima menorquina. Die Bezeichnung Türkei wurde im Sprachgebrauch der Junta synonym zum Osmanischen Reich gebraucht. Man verließ sich noch auf die maritimen Abwehrmechanismen der anderen Staaten. Wenn doch ein Schiff aus diesem Raum versuchte in Cádiz anzulegen, wie die osmanische Fregatte, die zuerst in Lissabon nicht zugelassen wurde, weil sie von einem infizierten Ort kam, ließ man sie in Cádiz gleichfalls nicht zu. Man hoffte, dass ein im Einzelfall analoges Verhalten ausreichenden Schutz bieten möge. AHPC, Junta de Sanidad, Extracto Real Ordenes, L. 2983, f. 169–171 (1814). Beispielhaft: AHPC, Junta de Sanidad, Correspondencia, L. 2995, f. 8 (1813). Anlass der Sperrung war die Information, dass sich Personen aus Gibraltar vor dem

330

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

schen Küstenregionen war vor dem Ausbreiten der levantinischen Pest in den lokalen Verordnungen deutlich sichtbar. In einem Cádizer Entwurf für die unterschiedlichen Quarantänekategorien von 1814 waren sehr explizit in der ersten Kategorie der absolut Verdächtigen die levantinischen Küstenabschnitte erfasst, in denen regelmäßig Pest auftrat. Diese waren die Küsten des Meeres vom Marmaa, Asiens und Ägyptens bis Tripolis und die Inseln, die innerhalb einer Reichweite von 40 Meilen zu diesen lagen. Sie waren in seuchenfreien Zeiten mit 25 Tagen Quarantäne zu belegen, in Krankheitszeiten nicht zuzulassen, so sie nicht zuvor ein Lazarett erster Klasse aufgesucht hätten.109 In die zweite Kategorie der Mittelverdächtigen, die aufgrund der Nähe zu den Erstgenannten und mangelhafter Sanitätspolitik definiert waren, fielen die restliche afrikanische Küste bis Tunis, die Türkei und das griechische Archipel. Die dritte Kategorie setzte sich aus Regionen zusammen, die bereits eine gewisse Vorsicht gegenüber Krankheiten aus den Erstgenannten an den Tag legten und deshalb erleichterte Konditionen erhielten. Ausdrücklich zählte die Maghrebküste hierunter, ebenso wie die zwischen der Türkei und Venedig befindlichen Regionen. Diese sollten nur 15 Tage Quarantäneableistung erhalten und in Seuchenzeiten nur Getreide und nichtverfängliche Ware ausladen dürfen. In den weiteren Ausführungen unterschied man die letzte Kategorie klar von den anderen. Nur Waren aus den ersten beiden Regionen unterlagen einer rigorosen Desinfizierung, egal zu welcher Zeit sie eingeschifft worden waren und welche Zwischenstationen sie unterwegs absolviert hatten.110 Als grundsätzlich gesperrt oder gefährlich wurde der nordafrikanische Bereich zu diesem Zeitpunkt noch nicht behandelt. Diese ,,heißen“ Zonen lagen für Cádiz 1814 vielmehr auf Malta, den griechischen Inseln, Zypern, an der Küste und im Golf von Ägypten und in der asiati-

109 110

Gelbfieber in den Maghreb geflüchtet hätten. AHPC, Junta de Sanidad, Oficios, L. 2984, 5.10.1814, ohne f. Der Begriff Lazarett erster Klasse wird synonym mit dem des schmutzigen Lazaretts gebraucht. Auch die endemischen Gelbfieberorte waren weiter detailliert aufgeführt. Unter ihnen wurden wiederum die herausgehoben, die große Vorsicht an den Tag legten. Eine weitere Kategorie bildeten die Bereiche, die regelmäßigen Kontakt mit den endemischen Gelbfieberzonen hatten. Im Unterschied zur Pest traf eine konkrete Abwehrmaßnahme nur den einzelnen verseuchten Hafen. Alle Maßnahmen wurden im Winter eingestellt. Wenn sich in einem anderen Bereich als den angegebenen die Pest ausbreiten sollte, sei der Handel in einem Umkreis von 40 Meilen mit diesem Pestort zu unterbrechen. Für Schiffe, die aus benachbarten Regionen kamen oder aus Häfen, die Kontakt mit diesen Orten hatten, sei eine rigorose Quarantäne zu verhängen. AHPC, Junta de Sanidad, Correspondencia, L. 2995, f. 266 (1814). Der Zusammenhang von politischer Herrschaft und Seuchenverdächtigungsstatus wird insbesondere für die griechischen Inseln deutlich, die in den englischen Herrschaftsraum übergingen. Sie wurden nach diesem Zugehörigkeitswechsel und der Etablierung britischer Maßnahmen in unverdächtigere Kategorien gestuft, mussten weitaus weniger Quarantänezeiten ableisten. AHPC, Junta de Sanidad, Actas Municipales, L. 2938, 10.8.1812, ohne f.

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

331

schen wie europäischen Türkei.111 Ganz grundsätzlich war maghrebinischen Schiffen jedoch auch in Zeiten perfekter Gesundheit und Seuchenfreiheit mit Vorsicht zu begegnen. Denn im Gegensatz zu spanischen Schiffen konnte man bei diesen über den allgemein eingehaltenen Sauberkeitsstandard nicht sicher sein.112 Ihr Leumund war bereits ein fragwürdiger, die Region selbst aber noch nicht mit grundsätzlichem Verdacht belegt. Diese Haltung änderte sich mit dem Aufziehen der Pest ab 1816 im nordafrikanischen Raum. Das spanische Reglement von Mahón aus dem Jahre 1817, das für den gesamten spanischen Raum Gültigkeit besaß, brachte zugleich erstmals die Verortung des Unheils explizit mit politischen Herrschaftsräumen zusammen: Die Häfen und Provinzen des gesamten Osmanischen Reichs, in denen der Pestkeim niemals erlosch und dessen Einwohner keine Schutzmaßnahmen ergriffen, um seine Verbreitung und Vermehrung aufzuhalten, waren verdächtig.113 Zugleich findet sich immer noch ein abgestufter Umgang mit den nordafrikanischen Küstenregionen. Die Gebiete bis einschließlich Tripolis wurden nur als verdächtig eingestuft, mussten eindeutige und legitimierte Papiere vorweisen, um nicht in den sucio-Status abzurutschen. Schiffe aus diesen Regionen sollten am besten nur Mahón anfahren, waren aber grundsätzlich in den anderen spanischen Häfen noch zugelassen.114 Bereits im Juli 1817 verbot die nationale Sanitätsbehörde angesichts der weiteren Ausbreitung der Pest schließlich allen Schiffen aus der Berberia, Nordafrika, den Zutritt.115 Damit hatte die nordafrikanische Küste denselben Status eingenommen wie die grundsätzlich pestverdächtige Levante. Die sich ab dem Wiener Kongress noch einmal verstärkende Gleichsetzung der maghrebinischen Regentschaften mit dem Osmanischen Reich hatte ihren Niederschlag nun auch in den Sanitätsregeln gefunden.116 Dieses Einfahrtsverbot wurde im Jahr darauf noch einmal wiederholt, aller 111

112 113 114

115 116

AHPC, Junta de Sanidad, Correspondencia, L. 2995, f. 44 (1814). An dieser Stelle sollte nicht vergessen werden, dass Cádiz bis Ende des 18. Jahrhunderts wichtiger Umschlagplatz für aus dem marokkanischen Mazagan geliefertes Getreide ins gesamte westliche Mittelmeer war. Miège: Le Maroc, S. 46. AHPC, Junta de Sanidad, Correspondencia, L. 2995, f. 68 (1814). IMHB Barcelona, FS, I, 30, f.175. Nach: Corrales: Comercio de Cataluña, S. 137. Providencias Generales de Sanidad, extractadas del reglamenti para el gobierno y direccion del Lazareto de Mahon, aprobado por S.M. en Real órden de 3 de junio de 1817. Art. 93, S. 3. AHPC, Junta de Sanidad, Oficios, L. 2984, 18.7.1817, ohne f. Im Zuge der europäischen Aufklärung wurden nur noch europäische und (nord)amerikanische Staaten als zivilisiert angesehen. Die maghrebinischen Regentschaften wurden im Kontrast zur Praxis des 18. Jahrhunderts nicht mehr als eigenständige Herrschaftssysteme betrachtet, denen man internationale Reziprozität zugestand, auch wenn sie mit der Figur des Berberkorsaren bereits das kulturelle Andere verkörperten. Stattdessen ordnete man sie vollständig dem Osmanischen Reich zu. Die maghrebinische Souveränitätskonzeption über interpersonale Bindungen wurde nicht mehr als gleichwertig betrachtet und vom aufkommenden Naturrecht nicht anerkannt. Die Maghrebstaaten waren im internationalen Konzert kein gleichwertiges Gegenüber mehr.

332

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

direkter oder indirekter Handel mit den afrikanischen Herrschaften verboten und mit der unmittelbaren geographischen Nähe der pestverseuchten nordafrikanischen Gebiete zum eigenen Territorium begründet.117 Das Erscheinen des Gelbfiebers im 17. Jahrhundert erweiterte den Kreis der verdächtigen Regionen. Für den Umgang mit dieser Seuche wurde der Pestmaßnahmenkatalog angewandt, wenn auch in abgeschwächter Form. Die spanischen Behörden (obwohl selbst in Teilen als endemisch einzustufen, man denke nur an die schwere Gelbfieberepidemie von Cádiz 1800/1801) betrachteten die amerikanischen Länder – insbesondere das Festland und die Inseln im Golf von Mexiko, das Gebiet von der Mündung des Orinoco bis zum Kanal von Bahama – als vor allem in den Sommermonaten verdächtig.118 Auch die nordamerikanischen Häfen wie Philadelphia und New Orleans standen immer wieder unter Gelbfieberverdacht. In diese Positionierung fiel aber auch Gibraltar – dieses interessanterweise aufgrund seiner engen Kontakte zu Afrika und der osmanischen Levante. Der Gelbfieberverdacht umschloss 1822 schließlich auch die afrikanischen Küsten. Die schon erwähnten Bereiche der Levante und Berberia, inklusive der unter ,,orientalischer“ Herrschaft liegenden Mittelmeerinseln, der Adria und dem Schwarzen Meer, wurden nun als grundlegend Gelbfieber-verdächtig betrachtet. Diese Ausweitung der Seuchenzuschreibung des Gelbfiebers fand bezeichnenderweise zu dem Zeitpunkt statt, als die Pestepidemie in Nordafrika im Abflauen begriffen war.119 Die Gelbfieberverdächtigung ohne konkreten Anlass hatte jedoch längst nicht vergleichbare Konsequenzen wie die Verknüpfung von Pest und Herkunftsraum. Ohne besondere Vorkommnisse an Bord sollten als verdächtig eingestufte Schiffe eine Quarantäne und Reinigung von acht Tagen ableisten, durften aber weiterhin alle Häfen anlaufen. Nur wenn es einen Zwischenfall auf der Fahrt gegeben hatte oder der Abfahrtshafen konkret betroffen war, verhängten die Sanitätsbehörden strengere Isolations- und Desinfektionsmaßnahmen, durfte das Schiff nur das schmutzige Lazarett von Mahón anlaufen.120 Auch für Portugal ist eine ähnlich differenzierende Zuschreibung von Raum und Seuchenverdacht zu konstatieren. Im Gegensatz zu Spanien er-

117 118

119

120

Ausführlich dazu mit einem Fokus auf diplomatischer Kultur: Windler: Representing a State; Windler: Diplomatic History; Windler: La Diplomatie. Edital. 30.6.1818. In: Collecção dos Regimentos, S. 191. Providencias Generales de Sanidad, extractadas del reglamenti para el gobierno y direccion del Lazareto de Mahon, aprobado por S.M. en Real órden de 3 de junio de 1817. Art. 110, S. 7. Proyecto de Reglamento General de Sanidad, presentado á las Cortes Estraordinarias de 1822 por su commission de salud pública. Impreso de órden de las mismas. Madrid 1822. Nach: Tolós: Ciencia, sociedad y planificación, S. 117. Bereits im Reglement von Mahón von 1817 werden diese Verdachtszeiten und -räume im ähnlichen Raster festgehalten. Providencias Generales de Sanidad, extractadas del reglamenti para el gobierno y direccion del Lazareto de Mahon, aprobado por S.M. en Real órden de 3 de junio de 1817. Art. 110, S. 7.

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

333

schien das erste, für das gesamte Herrschaftsgebiet gültige Reglement bereits Ende des 17. Jahrhunderts. Dieses sich mit maritimer Seuchenbedrohung befassende Regimento para o Porto de Belém von 1695, das auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch Gültigkeit hatte, sah Schiffe aus der Levante und den Berberregentschaften als grundsätzlich verdächtig an, weil sie aus seuchenverdächtigen Gebieten kamen. Es beschrieb bereits die Vorstellung von dauerhafter, zumindest latenter Durchseuchung.121 In diesem Vorstellungskorpus war das Reglement wiederum sehr eindeutig: Tetuan, Azamor, und andere afrikanische Orte wurden konkret als immer verdächtig im Zusammenhang mit dem Umgang mit Gesundheitspässen beschrieben.122 Die portugiesischen Erlässe, die Seuchen räumlich verorteten, häuften sich mit dem Bekanntwerden des Aufziehens der neuen Pestepidemie in den 1810ern, auf die man sich in keiner Weise adäquat vorbereitet und gerüstet fühlte.123 1814 hieß es noch nüchtern, dass man Maßnahmen gegen das Einschleppen der Pest ergreifen müsse, die unglücklicherweise derzeit in den adriatischen und mediterranen Häfen grassiere.124 Grundsätzlich versuchte man – analog zum Vorgehen in anderen Teilen Europas – eine Kategorisierung der räumlichen Gefährdung zu erstellen. Es wurde nach Informationsstand in aktuell verseuchte, aktuell und generell verdächtige Häfen unterschieden. In die letztere Kategorie fielen bereits 1814 alle Häfen und Küsten des Osmanischen Reichs und Nordafrikas, von denen man keine Kenntnis über aktuelle Verseuchung hatte.125 Als die Bedrohung näher

121

122

123

124

125

Regimento para o porto de Belém. In: Collecção dos Regimentos. Cap. 5, S. 12. Dieser grundsätzliche Seuchenverdacht im Bezug auf den Maghreb und die Levante wird auch im Weiteren bei der Spezifizierung verbotener oder grundsätzlich verdächtiger Waren fortgeführt. Es sind Seide aus der Levante, Teppiche aus der Türkei, nordafrikanisches Kupfer, die durch ihre Verbindung mit dem Raum aufgeführt werden. Ebd., Cap. 16, S. 17f. Regimento para o porto de Belem. In: Collecção dos Regimentos, Cap. 7, S. 10. Diese Bestimmungen wurden einige Jahre später zwar als Regelungen für Ausnahmesituationen beschrieben, hatten jedoch in der Praxis eine grundsätzliche und fortwährende Wirkung und Anwendung. Regimento do Provedor mór da Saude. 1707. In: Collecção dos Regimentos, S. 68. Unter Bezugnahme auf die Pestausbrüche 1813 auf Malta, in Alexandria und anderen Mittelmeerhäfen wurde bemängelt, dass es in Portugal keine ausreichenden seuchenabwehrenden Einrichtungen und Organisationen gab. Decreto. 28.8.1815. In: Collecção dos Regimentos, S. 79. Providencia approvada por Sua Magestade em Aviso da Secretaria de Estado da Marinha. 14.7.1814. In: Collecção dos Regimentos, S. 91. Ein ähnlicher Sprachgebrauch findet sich auch in anderen Erlassen dieser Zeit. Malta und die Ionischen Inseln wurden auch in diese Verdachtskategorie gezählt. Edital. 20.7.1814. In: Collecção dos Regimentos, S.152. Dieser grundsätzliche Argwohn bedeutete jedoch in keiner Weise, dass nicht dennoch versucht wurde, einen aktuellen und genauen Informationsstand über diese Regionen zu erhalten. Aufgrund konkreter Ereignisse, wie dem Pestausbruch im Lazarett von Tripolis im Dezember 1816, wurden die Abwehrmaßnahmen verstärkt. Edital. 23.12.1816. In: Collecção dos Regimentos, S. 170.

334

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

rückte, wurden 1816 die Häfen Ägyptens, des Balkans und die Insel Korfu als verseucht betrachtet. Als aktuell verdächtig erschienen die italienischen Besitzungen in Istrien und der Adria und die sizilianischen wie auch griechischen Häfen. Zudem zählten die portugiesischen Erlässe alle Häfen des Osmanischen Reiches zu dieser Kategorie. Dies ist eine Einschätzung, die ob der allgemein geteilten Konnotation der Levante als gleichgesetzt mit der Seuche nicht verwundert. Die nordafrikanischen Territorien waren hingegen mit italienischen Häfen, beziehungsweise Elba, Korsika, Malta und Sardinien, gleichgesetzt und als weniger gefährlich eingestuft und mussten sich nicht der rigorosen Quarantäne unterziehen.126 In der vorgenommenen Hierarchisierung nach Seuchenwahrscheinlichkeit waren die nordafrikanischen Territorien nach rationalen Motiven und Seucheninformationen noch eher im unbedenklichen Segment neben den europäischen Bereichen eingeordnet. Wenn man jedoch das am gleichen Tag erlassene Zirkular für die Lissaboner Lotsen betrachtet, erscheint diese differenzierende Rationalität gebrochen. In diesem wurde den Lotsen eingeschärft, auf hoher See Schiffe aus dem Mittelmeer bis einschließlich Gibraltar und dem gesamten nordafrikanischen Raum nicht zu besteigen.127 Die Vorsicht hinsichtlich des Mittelmeers erscheint vor dem Hintergrund des tatsächlichen Pestaufkommens im östlichen Mittelmeerraum nicht verwunderlich. Der beständige latente Verdacht gegen den nordafrikanischen Bereich wurzelte hingegen in alten Vorurteilen, die schon im Reglement von 1695 zum Ausdruck kamen und noch wenig mit akuter Seuchenbedrohung zu tun hatten. Das offener zu Tage tretende und sich verstärkende, gegen nordafrikanische Bereiche gerichtete Misstrauen nahm in Lissabon vergleichbar mit Spanien ab 1816 zu und verfestigte sich. Pestverdacht und Berberküste wurden deckungsgleich.128 Der europäische Norden und die zentralen mediterranen Häfen wurden hingegen auch weiterhin nur aufgrund konkreter Informationen über den Ausbruch einer bestimmten Krankheit zeitweilig 126 127

128

Edital. 30.3.1816. In: Collecção dos Regimentos, S. 229f. Die räumliche Beschreibung als griechisch umfasst an dieser Stelle Morea, die ionischen Inseln und das Archipel. Circular para todos os Guardas móres dos Pórtos do Reino. 30.3.1186. In: Collecção dos Regimentos, S. 107. Auch ein halbes Jahr später befanden die portugiesischen Behörden die britische Enklave Gibraltar, das nahegelegende und dieselben Gewässer nutzende spanische Algeciras und die marokkanischen Häfen, die außerhalb des Einzugsbereichs der Meerenge von Gibraltar lagen, als einander gleichwertig und nur in Maßen verdächtig – auch wenn sie ausschließlich in Lissabon anlanden durften. Edital. 3.4.1818. In: Collecção dos Regimentos, S. 186f. Tanger und die weiteren marokkanischen Häfen wurden erst nach Bekanntwerden des konkreten Pestausbruchs in Tanger gesperrt und als verpestet eingestuft. Edital. 3.7.1818. In: Collecção dos Regimentos, S. 194f. Bereits drei Tage nach diesem Erlass ist nur noch von Tanger in der Auflistung verbotener Orte die Rede. Die anderen marokkanischen Häfen, wie der von Larache, werden hier nicht aufgeführt. Edital. 6.7.1818. In: Ebd., S. 199. Dies geschah erst, nachdem Informationen bestätigten, dass die jeweilie marokkanische Region der Seuche erlegen war. Edital. 11.9.1816. In: Collecção dos Regimentos, S. 165.

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

335

gesperrt.129 Gleiches galt auch für die überseeischen, insbesondere nordamerikanischen Anfahrtshäfen. Die (europäischen) Mittelmeerhäfen waren den Lissaboner Behörden durchaus als mehrfach in Pestkontakt stehend bekannt. Sie provozierten dennoch nicht vergleichbare Reaktionen wie die ,,muslimischen“ Häfen.130 Der Verdacht hatte seine nicht von der Hand zu weisende Begründung und stichhaltige Argumentation gefunden. Die geographische Nähe zu den akuten nordafrikanischen Seuchenherden führte die portugiesische Sanitätsbehörde dabei gleichwohl wie in Spanien als besondere Bedrohungssituation an, die zu besonders energischem Durchgreifen verpflichtete.131 Den marokkanischen Raum behandelten diese Zuordnungen gesondert. Erst nach Berichten, dass eine wahrscheinliche Kommunikation zwischen der aktuell verpesteten algerischen Regentschaft und dem marokkanischen Reich stattgefunden habe, wurde Marokko im Frühjahr 1818 in die Liste der sehr verdächtigen Herkunftsorte aufgenommen.132 Zu diesem Zeitpunkt litt bereits der überwiegende Teil der Regentschaften unter der Pest.133 Diese Sonderbehandlung Marokkos durch die portugiesischen Sanitätsbehörden hing mit den engen wirtschaftlichen Kontakten wie strategischen Interessen Portugals, aber auch der Existenz eines aus europäischen Konsuln gebildeten Sanitätsrats in Tanger zusammen.134 Das Hauptaugenmerk der portugiesischen Sanitätsbehörden – gleiches ist auch für ihre spanischen Kollegen zu konstatieren – lag eindeutig auf der Pest, gefolgt vom Gelbfieber.135 In Momenten von Gelbfieberepidemien verhängten sie dezidiert einen Bann über begrenzte Räume und Vorsichtsmaßnahmen für das größere Umland. Die Unterscheidung wurde dabei bereits zwischen aus Cádiz selbst stammenden Schiffen, Personen und Waren und solchen aus der unmittelbaren Umgebung, den Häfen aus Cádiz, Porto Real, Santa Maria und Rôta gezogen.136 Wenn eine weiter gefasste Gleichsetzung der Seuche mit 129

130 131 132 133 134 135

136

So war der Umgang im Juni 1816, als die Nachricht einer gefährlichen und ansteckenden, nicht weiter spezifizierten Krankheit nördlich von Bergen, die Menschen in weniger als zwölf Stunden den Tod brachte, die Lissaboner Behörden erreichte. Edital. 19.6.1816. In: Collecção dos Regimentos, S. 158–160. Beispielhaft: Edital. 23.1.1819. In: Collecção dos Regimentos, S. 210. Edital. 31.6.1818. In: Collecção dos Regimentos, S. 207. Edital. 3.4.1818. In: Collecção dos Regimentos, S. 186f. Edital. 6.7.1818. In: Collecção dos Regimentos, S. 199. Afonso: Portugal e Maghreb; Boucharb: Rapports maroco-portugais, bes. S. 49, 51; Kemnitz: Instituções militares portuguesas, S. 158. Providencia 21.5.1814. In: Collecção dos Regimentos, S. 93. Bei jedem der Ausbrüche in Cádiz 1813, 1814 und 1819 wurde der portugiesische Seuchenbann über diese Stadt verhängt. Edital 6.10.1819. In: Collecção dos Regimentos, S.141; Edital. 23.10.1819. In: Ebd. S. 143; Doch auch andere Krankheiten, wie Typhus oder verschiedene Fieber erweckten die Aufmerksamkeit und erforderten Massnahmen. Edital. 31.8.1819. In: Collecção dos Regimentos, S. 217. Interessanterweise ist die Begründung für das Vorgehen der Lissaboner Sanitätsbehörde ein ähnliches wie für das

336

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

einem Raum stattfand, bezog sich diese (von Außen definiert) zumeist auf den (süd)spanischen Herrschaftsbereich. Bis zum Verebben der nordafrikanischen Pest zu Beginn der 1820er hatten sich die grundsätzlichen räumlichen Zuschreibungen verbreitert und verallgemeinert. Nordafrika hatte einen der Levante vergleichbaren Seuchenstatus erlangt. Der Graben zwischen beiden Landmassen war ein breiterer geworden, die Aushebungen dabei zum großen Teil unter dem Seuchendiktat vollführt worden. 1817 war in einem Bericht der portugiesischen Junta da Saude zur Gefahr der Pest in Algier noch in einem mitfühlenden Tonfall zu lesen, dass man die unkalkulierbaren Schäden und das unheilbare Unglück, das die Bevölkerungen der Regentschaften momentan erleiden würden, bedauere.137 Dieses Bedauern verflüchtigte sich jedoch angesichts der konkreten Gefahr im Verlauf des Abwehrprozesses und hinterließ eine in der Pestzeit zementierte stereotype räumliche Zuschreibung. Im Einzelfall wurden diese Vorschriften natürlich in beiden Häfen pragmatisch abgestuft, entschärft, übergangen und uminterpretiert. Dieses zutiefst menschliche Verhalten bricht aber in keiner Weise die von den skizzierten Normen gezogenen Grenzen. Die Grenzziehung und räumliche Zuschreibung von Seuchenursprung und -verdacht verstärkte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts für den nordafrikanischen Raum deutlich und setzte ihn mit dem levantinischen gleich. Die verortete Fremdheit hatte sich gesteigert, ins Außen und damit ins Nichtverständliche verlagert. Die vorherige unterschiedliche Wertung der beiden Gebiete bezüglich des Pestverdachts war dadurch geprägt, dass tatsächlich eine Seuchenscheidelinie zwischen diesen beiden Regionen während dem Großteil des 18. Jahrhunderts verlief und der Maghreb verschont blieb.138 Auch waren für die nahen portugiesischen und spanischen Häfen die Unterschiede zwischen den weit auseinander liegenden ,,muslimischen“ Gebieten deutlicher erkennbar, als beispielsweise für englische Gesetzgeber. Die Maghrebstaaten besaßen im Vergleich zur levantinischen arabischen Welt eine distinkte kulturelle, sprachliche und politische Identität und hatten sich im 18. Jahrhundert vom Osmanischen Reich klar abgesetzt und emanzipiert.139 Dieser Bereich war noch nicht

137 138

139

drastische Durchgreifen hinsichtlich der Pest, die räumliche Nähe der Seuchenbedrohung wird betont. Edital. 17.9.1819. In: Ebd. S. 221. Edital. 26.7.1817. In: Collecção dos Regimentos, S. 173. Erst ab 1785 wurde Nordafrika wieder in den Pestkreislauf mit einbezogen. Die beiden großen ,,Peaks“ waren die Ausbrüche von 1792–1801 und 1816–1822. Panzac: Barbary Corsairs, S. 395f. Diese Trennung, deren Scheidelinie entlang der Wüste von Libyen zu Ägypten verlief, wurde auch innerhalb der arabischen Welt als solche wahrgenommen. Dies drückt sich allein in den Gebietsbezeichnungen Maghreb und Machrek aus. Herzog: Der Maghreb, S. 8; Halm: Die Araber. Vor allem Marokko mit der kosmopolitischen Hafenstadt Tanger war den europäischen Mächten ein ebenbürtiger Gegner und wurde auch als solcher wahrgenommen. Martínez Antonio: El proceso de sanitarización, S. 251.

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

337

vollständig aus den Grenzen der eigenen Ordnungen hinausgedrängt gewesen. Man hatte aus diesem Getreide und weitere Lebensmittel bezogen. Nun begann die Wahrnehmung des Nachbarn jenseits der Meerenge vom begierlichen europäischen Machtkonzert eingefärbt zu werden. Der beginnende abwertende Blick und sich aufbauende wirtschaftliche wie politische Druck auf den Maghreb, dessen Regentschaften auf zwischenstaatlicher wie kultureller Ebene die Ebenbürtigkeit abgesprochen zu werden begann, spiegelt sich in der zunehmenden Betrachtung als ewiger Pestherd. Für die veränderten Zuschreibungen hatte es im Endeffekt nur wenige Jahre und eine akute Krisensituation gebraucht. Der levantinische und nordafrikanische Raum war als Containerraum festgesetzt worden, objekthaft mit fixen soziokulturellen Bedeutungen aufgefüllt, dem Erklärungspotential zugesprochen worden war und der die Grundlage für den entstehenden ethnisch-völkischen Nationsbegriff bot. Der Raum war in seiner Bewegung festgehalten und in eine eiserne Form gegossen worden, um als gewichtiger Erklärungs- und Legitimationsgrund zu dienen.140 In der geschaffenen strukturellen, für die Außengruppen mobilitätsbehindernden Unbeweglichkeit der voneinander institutionell geschiedenen, separat erfahrenen Räume hatte sich der Verdacht als anerkanntes Strukturierungsprinzip und inter- wie intrakulturelle Bezugsgröße manifestiert. Die verstärkte räumliche Grenzziehung ist das Ergebnis und die räumliche Kristallisierung der gesellschaftlichen, oder wie Georg Simmel es formulierte, seelischen Begrenzungsprozesse.141 3.2.3 Alltagsgeschäfte im Zwischenraum: Geteilte Langeweile Nachdem von den örtlichen Sanitätsbehörden aufgrund der Visite, Dokumentenüberprüfung und Befragung die Ableistung der Quarantäne verfügt worden war, gab es für die betroffenen Personen zwei Möglichkeiten, die Isolationszeit zu verbringen. Sie konnten diese Zeitspanne entweder an Bord ihres Schiffes oder im Quarantänelazarett an Land verleben. Der Normalfall 140

141

Dieses absolutistische Raumkonzept betrachtet den Raum zudem als eine von Körpern selbstständige Realität. Raum wird von mir, Martina Löw und Benno Werlen folgend, in Abgrenzung dazu als Dualität von Handlung und Struktur, als relationale (An)Ordnung von sozialen Gütern und Menschen, zugleich als prozesshafte Konstruktion der Synthese dieser und anderer Orte in Vorstellung, Wahrnehmung und Erinnerung wie des Spacings der Güter und Menschen in diesem Raum betrachtet. Auch wenn Werlen sein Konzept des Containerraums auf traditionelle Lebensformen mit face-to-faceKommunikation abstellt, ist sein Hinweis, dass in diesem Modell die soziokulturellen Verhältnisse eng, fast unmittelbar an räumliche Gegebenheiten gekoppelt sind, wegweisend. Löw: Raumsoziologie; Werlen: Andere Zeiten – Andere Räume. Die Grenze ist für Georg Simmel eine soziologische Tatsache, die sich räumlich ausformt. Dabei verweist er bereits darauf, dass jede Grenzsetzung der Natur gegenüber Willkür bedeutet. Simmel: Soziologie, S. 695, 697.

338

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

in beiden Häfen war die Ableistung der Quarantänezeit auf dem jeweiligen Schiff, das an einem vorbestimmten, seiner Quarantäneklasse entsprechenden Ort ankern und sich kennzeichnen musste. Es hatte eine von der Sanitätsbehörde ausgegebene Quarantäneflagge zu hissen und zumindest in Cádiz zusätzlich noch zu beiden Seiten des Schiffes Schilder mit der Aufschrift ,,quarentena“ anzubringen.142 Dabei gab man den Schiffen mit Beginn der Isolationszeit eine oder mehrere Bordwachen mit an Bord, um gewährleisten zu können, dass es zu keinerlei verbotener Kommunikation kam.143 Die Besatzung verblieb als Regel an Bord, leistete dort die Quarantäne ab, hatte aber natürlich mit den anstehenden Arbeiten alle Hände voll zu tun. Vor allem mussten sie die Waren ins Lazarett entladen, diese Aufgabe oblag ihnen in Cádiz und in einem gewissen Maß auch in Lissabon, und das Schiff desinfizieren.144 Die Entscheidung zum Verbleiben der Mannschaft an Bord traf der Kapitän, sie war sowohl finanziell als auch arbeitstechnisch begründet. Auch den Passagieren war es freigestellt, ob sie ihre Separationszeit an Bord oder lieber im Lazarett ableisten wollten. Herkunft oder Nationalität des Schiffes waren für die Behörden offiziell keine Entscheidungsgrundlage für den Ort der Quarantäneableistung. Sie zogen sich vielmehr auf ihr Regelwerk und die dominante Frage des adäquaten Zeitpunkts zurück.145 Die Unterbringung im Lazarett war zumeist die angenehmere. An Bord der Schiffe war der Aufenthalt weitaus beengter, unbequemer und nervenaufreibender als an Land. Immer wieder finden sich Bitten, den Quarantäneaufenthalt – zumindest für Einzelne – doch an Land fortsetzen zu dürfen, da das Schiff überladen und gesundheitliche Einbußen zu befürchten seien.146 Der Aufenthalt im Lazarett war ebenfalls von rigiden Regelungen umschlossen. Die Bewegungsfreiheit war stark eingeschränkt, im elaboriert(er)en Gebäude von Lissabon wurden die Personen der verschiedenen Schiffe beziehungsweise Familien getrennt und in unterschiedlichen Qua142 143

144

145

146

AHPC, Junta de Sanidad, Oficios, 25. 2.1814, ohne f. Die Bordwachen hatten daneben auch die Aufgabe, die Desinfektion auf dem Schiff zu überwachen (und voranzutreiben). Cádiz ersetzte diese Bordwachen ab spätestens 1820 durch regelmäßige Kontrollfahrten mit kleinen Ruderbooten. Auch wenn die Institution chronisch bankrott war, ist das Geldargument kein wirklich treffendes für diese Rationalisierung. Denn die Bordwachen wurden – auch in Lissabon – von den jeweiligen Kapitänen entlohnt. AHPC, Junta de Sanidad, Ordenes, L. 2969, f. 437f (1820). Das Recht der gesamten Besatzung, die Quarantänezeit im Lazarett abzuleisten, wurde in Lissabon erst 1860 festgehalten. Regulamento dos quarantenas que ha de observar-se nos portos do reino de Portugal e ilhas adacentes contra a cholera-morbus, febre amarelle e peste 1860. Art. 24. In: Collecção dos Regimentos, S. 12. So wurde dem Passagier Ignacio Xavier Gajozo der sofortige Landgang ins Lazarett mit der Begründung verweigert, dass gemäß den Regeln erst gewartet werden müsse, bis das Ausladen beendet sei. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 78, 13.8.1816, ohne Nr. Die Bitte um Verlagerung wurde im Allgemeinen vom Kapitän gestellt.Beispielhaft: AHPC, Junta de Sanidad, Ordenes, L. 2963, 13.10.1814, f. 60f; Ebd., Correspondencia, L. 2995, f. 436 (1814).

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

339

rantänezellen untergebracht. Cádiz musste, wenn das Gebäude voll war, auf improvisierte Notfallvarianten ausweichen und Miethäuser oder -hütten zweckentfremden. Der Lazarettaufenthalt in beiden Häfen war nicht kostenlos, die Insassen zahlten sowohl für Aufenthalt und Verpflegung, als auch für alle wahrgenommenen Dienstleistungen.147 Auch Kost und Entlohnung für den ihnen beigegebenen Wächter, der sie in ihren Unterkünften wie auch in ihrem eingeschränkten Bewegungsradius begleiten und überwachen sollte, gehörte zu den im Lazarett zwingend fällig werdenden Ausgaben.148 Zumindest zeitweise war in Cádiz ein Koch fürs Lazarett angestellt.149 Wäscherinnen konnten ebenso während des Quarantäneaufenthalts in Anspruch genommen werden. Wer es sich leisten konnte, hatte die Möglichkeit, eine halbwegs angenehme Zeit in den Lazaretten zu verbringen. Der Lazarettaufenthalt war dennoch kein kurzweiliger. Man konnte zwar innerhalb der vorgegebenen Regeln in den Parlatorien oder dem neutralen, für diesen Zweck bestimmten Bereich des Lazaretts unter Aufsicht, Zeitbegrenzung und räumlicher Entfernung mit Personen von außerhalb kommunizieren.150 Diese Möglichkeit nutzten die Insassen insbesondere für geschäftliche Abwicklungen. Innerhalb der Institution war Kontakt unter den Lazarettinsassen von unterschiedlichen Schiffen nur eingeschränkt möglich und nicht gern gesehen.151 Denn direkter zwischenmenschlicher Kontakt war 147

148

149 150 151

Aos Senhores Deputados da Nação Portugeza o Conselho de Saude Publica do Reino. Lissabon 1854. Documento B (18.3.1852). Zusatz. In: Collecção dos Regimentos. S. 58. Die Quarantäneherberge wurde erst 1848 eingerichtet. Zudem beinhaltete die Lazarettrechnung ein Honorar für alle beteiligten Sanitätsbeamten. Einziger Unterschied zwischen Portugiesen und Ausländern war dabei, dass erstere das Übersetzerhonorar nicht zahlen mussten. ANTT, Junta da Saúde Pública,. Maço 98, Emolumentos e Direitos do Lazareto, ohne Dat, ohne Nr. In Lissabon findet sich die Regelung, dass sich bis zu drei Familienmitglieder einen Quarantänewächter und dessen Kosten teilen konnten. Ansonsten war das ,,Betreuungs“verhältnis 1:1, die beständige Überwachung zumindest theoretisch abgesichert. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço. 98, 21.7.1817, ohne Nr. AHPC, Junta de Sanidad, Oficios, L. 2984, 4.2.1815, ohne f. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 79, Diario extraordinario Lazaretto, ohne Nr. (1820). Nach den ersten acht Tagen im Lazarett scheinen die Insassen, obwohl im Reglement nicht vermerkt, die Möglichkeit gehabt zu haben, sich freier zu bewegen und in einem gewissen Maße mit anderen Insassen von anderen Schiffen in Berührung zu kommen – was die Verantwortlichen im Zweifelsfall vor große Probleme stellte, da man eben solches Verhalten nicht gutheißen konnte. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 37, 23.1.1818, Nr 11. Die tendenziöse Beschreibung Richard Greefs über seinen Aufenthalt Mitte des 19. Jahrhunderts im Lazarett von Lissabon vermittelt hingegen das Bild von keinerlei Bewegungseinschränkungen und Anarchie: ,,Während der ganzen Zeit vom Eintritt in das Lazareth an bis jetzt hatte sich kein Arzt zu unserer Untersuchung und zur Controllierung unseres Gesundheitszustandes blicken lassen, und da wir in dem ganzen Hause und in unseren Zimmern uns vollständig ohne Aufsicht hatten umhertreiben können, so hätten wir von allen möglichen Krankheiten und auch von einem leichten Cholera-Anfall heimgesucht werden können, ohne dass nothwendigerweise bei günsti-

340

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

genau das, was nach Möglichkeit verhindert werden sollte und den Einzelnen auf die eigene Gesellschaft oder die der Reisegruppe zurückwarf. Zugleich diente diese Verhinderung von gefährlichem Kontakt als Begründung der Beigabe der Wächter, die zumindest in der Theorie beständige Begleiter der Insassen waren und eine lückenlose Überwachung derer Tagesabläufe gewährleisten sollten. Das Kontaktverbot bezog sich nicht auf den schriftlichen Briefverkehr mit der Außenwelt, der die gängigen Desinfektionen (und damit eine weitere Kontrolle) durchlief, und die Hauptkontaktform bildete. Auch konnten sich die Quarantäneinsassen Esswaren, Möbel und anderes mehr gegen Bezahlung von außerhalb bestellen und liefern lassen. Es gab nicht viele Möglichkeiten, den Tag auszufüllen. Das Gepäck wurde zusammen mit der weiteren Ladung entladen und desinfiziert und stand nicht zur Verfügung. Man durfte nur sein Bettzeug und Gegenstände des täglichen Gebrauchs mitnehmen. Für die meisten handelte es sich bei den Tagen im Lazarett um einen sehr reglementierten Rahmen, in dem man ohne große Struktur die Zeitspanne ,,absitzen“ musste. Der Tag war durch Langeweile gekennzeichnet und musste durch eigene (Selbst)Beschäftigung gefüllt werden. Glücksspiele und andere Vergnügungen waren im Lazarett verboten, da befürchtet wurde, diese könnten zu Zwist, Unruhe, letztlich also unkontrollierter Begegnung und Vermischung unter den Insassen führen.152 Diese ruhige und vielleicht gar leere Zeit taucht in den Quellen beinahe nicht auf. Allein der sehr ungehaltene Engländer, der als in der Stimmung zum Töten beschrieben wurde, vermittelt den Hauch einer Vorstellung. Dieser musste in Verlängerung seiner Quarantänezeit ins Lissaboner Lazarett, nachdem die Bordwache seines Schiffes erkrankt war, und stellte voller Ungeduld wie gleichwohl empört die Frage, was er denn die nächsten fünf Tage im Lazarett tun solle.153 Die leere Zeit ist in Berichten von mehr oder minder prominenten Insassen europäischer Quarantänestationen als Topos immer wieder zu finden und kann auch für die beiden behandelten Lazarette antizipiert werden.154

152

153 154

gem Ausgange Jemand etwas davon hätte zu erfahren brauchen.“ Greeff: Reise nach den Canarischen Inseln, S. 53. Die Beschreibung John Howards aus Venedig unterstreicht im Gegenzug die Dringlichkeit der räumlichen Separierung: Die Wachen haben die Aufgabe ,,. . . to attend on passengers, to assist them in their accomodation and otherwise, and strictly to observe that no mixture of different quarantines happens (. . . ) none of them (Passagiere) are permitted to go without the limits of their allotted apartment, unless accompanied by the guardian, who has his cane to keep others at a due distance.” Howard: Prisons and Lazarettos, S. 16. Regulamento dos lazaretos provisorios establecidos para impedir a importação da cholera morbus epidemica ou asiatica mandado cumprir pelo conselho de saude publica do reino em 16. de novembro de 1854. Cap. V. Zusatz. In: Collecção dos Regimentos, S. 53. ANTT, Junta de Saúde Pública, Maço 37, 13.3.1818, Nr 31. ,,. . . wenn man zwischen vier Wänden eingesperrt ist und nichts anderes zu sehen bekommt als die Nase des Wärters“. Goethe: Reise durch Italien, S. 15. Auch Casanova verwendet den Topos der Langeweile im Lazarett als Begründung, wieso er in Ancona

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

341

Im Gegensatz zu anderen mediterranen Einrichtungen existierte in beiden Lazaretten keine Kirche oder Kapelle, in der eine tägliche Teilnahme an Messen möglich gewesen wäre, die den Tag strukturiert und darüber hinaus ein wesentliches sinngebendes Moment beinhaltet hätte. Natürlich wurde das Seelenheil der Insassen nicht außer Acht gelassen, ein Basisangebot religiöser Rituale existierte durchaus. In Lissabon übernahmen die Brüder vom nahegelegenen Konvent Nossa Senhora de Piedade de Caparica ab dem Umzug ins Fort von Torre Velha 1815 das Abhalten der katholischen Messe an Sonn- und katholischen Feiertagen. Dieser Konvent stellte auch den Kaplan des Lazaretts, der augenscheinlich aber nur in Notfällen hinzugezogen wurde. Diese seelsorgerische Versorgung war eine nahezu unbezahlte.155 In Cádiz sah die religiöse Lazarettinfrastruktur deutlich schlechter aus, im späteren Lazarettgebäude existierte zumindest ein Kapellenraum, ein speziell für die Quarantäneinsassen zuständiger Geistlicher war jedoch nicht greifbar. Stattdessen wurde im Krankheits-Notfall ein Geistlicher aus der Stadt bzw. dem nahegelegenen Konvent geholt, der nach dem Abflauen der Erkrankung das Lazarett aber auch wieder zu verlassen hatte.156 In Ausnahmefällen war es den Passagieren unter Bewachung oder Begleitung möglich, das Lazarett in bestimmter Mission kurzzeitig zu verlassen, der Besuch des Konsuls oder der örtlichen Polizeistation in Belém sind prototypische Gründe. Auch hier ist ein Entgegenkommen aufgrund von gehobeneren Verhältnissen und Stand anzunehmen.157 Ein solcher Ausflug oder ein Treffen im Parlatorium musste immer mit Vorlaufzeit, im Normalfall einen Tag zuvor, beantragt werden, Spontanität war im gesamten Lazarettbetrieb nicht vorgesehen. Diesen beschriebenen Rahmenbedingungen unterlagen – bis auf Ausnahmen, auf die im Weiteren noch eingegangen wird – alle der Quarantäne unterliegenden Personen in gleicher Weise. Aufgrund von Herkunft, ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit konnte der Isolierungsapparat nicht umgangen werden. Diese Kriterien führten jedoch auch nicht generell zu einer schlechteren Behandlung. Sobald man in die Zwischenwelt der Quarantäne aufgenommen war, waren die vorher so wichtigen Unterscheidungen nicht mehr so wichtig. Man unterlag gemeinsam dem regulatorischen Ein-

155

156

157

auf die Idee kam, die Sklavin des neben im Untergebrachten zu verführen. Casanova: Erinnerungen, S.179. Der erste Plan einer Lazarettkapelle findet sich bereits 1713. Mit dem Umzug nach Torre Velha wurde die Kapelle des Forts für die Quarantäneinsassen genutzt. Weitergreifende Pläne für den Bau einer Kirche kamen aus dem Vorschlagsstadium nicht heraus. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 48, 15.3.1819, Nr. 19. Damit unterlag sein zeitweiliger Eintritt ins Lazarett, ebenso wie der des Chirurgen oder Arztes der situativen Interpretation seitens der Behörden. AHPC, Junta de Sanidad, Actas Municipales, L. 2941, f.105 (1816). ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 37, 4.9.1818, Nr. 103. Dabei handelte es sich um die schon erwähnte Comtesse.

342

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

griff, der im isolierten Raum zum einen über die freie Zeit, zum anderen über die stete Überwachung einen räumlich wie zeitlich ausgelagerten rite de passage darstellte. Dies entsprach auch der bereits ein Jahrhundert zuvor ausgegebenen Norm, dass der Provedor Mór de Belém, der Leiter der Hafenseuchenabwehrbehörde, darauf zu achten habe, dass die einkommenden Schiffe so schnell als möglich abgefertigt würden und dass die Ausländer gut zu behandeln seien.158 Die unterschiedlich gewerteten Zugehörigkeiten verschwanden jedoch nicht vollkommen. Dies zeigt sich in der Präzisierung der Quarantänebestimmungen seitens der Lissaboner Junta 1817, um die fortwährenden Proteste und Beschwerden über die schlechte und willkürliche Behandlung in der Quarantäne zum Verstummen zu bringen. Diese Präzisierung beschäftigt sich mit dem Zählmodus des Beginnes der Isolationszeit, der freien Wahl des Ableistungsortes durch die Passagiere, der Handlungsabfolge im Falle einer Erkrankung und den Verfahrensmodi mit grundsätzlich abgewiesenen Schiffen.159 Auslöser war keine offensichtliche Diskriminierung bestimmter Herkünfte, sondern eine augenscheinliche Bandbreite an Klagen. Die Fokussierung auf abzuweisende Schiffe beinhaltet jedoch schon einen gewissen unausgesprochenen geographischen Vorbehalt. Dieser findet seinen Abdruck auch in der zwei Jahre später gestellten Sammelbeschwerde der unter österreichischer Flagge fahrenden Kapitäne über Übergriffe und Fehlverhalten der Lissaboner Sanitätsbeamten. Sie wiesen zwar ausdrücklich darauf hin, dass diese Verstöße gleichermaßen gegen andere Ausländer und einheimische Portugiesen stattfinden würden. Die österreichischen Kapitäne – mit fast ausschließlich slawischen Nachnamen – warfen dem Guarda Mór wie anderen Sanitätsbeamten vor, verdorbene Lebensmittel zu stellen, die Abfertigung zu verschleppen oder die Quarantänezeit willkürlich zu verlängern, um sich daran zu bereichern, sich nicht an die Reihenfolge der Abfertigung zu halten, zu hohe Abgaben zu verlangen, sie schlecht zu behandeln und zu beschimpfen, in ihrer Ehre zu verletzen. Konkreter Anlass ihrer Beschwerde war die Behandlung des Kapitäns Adão Hich(k), der beim Guarda Mór um die Lizenz des Wasserholens ersuchte, diese ihm verweigert, er beschimpft 158

159

Regimento Do Provedor mór da Saude, e dos Provedores della desta Cidade de Lisboa (1707). In: Collecção dos Regimentos. § XVIII, S. 71. Eine vergleichbare Formulierung findet sich auch im provisorischen Reglement für das Lazarett Torre Velha von 1815: Regulamento Provisorio, que se ha de interinamente observar no Lazareto establecido na Torre de S. Sebastião de Caparica, na conformidade da Portaria da data deste, pela qual o Principe Regente Nosso Senior assim o Ordena, designando os Empregos, e as Pessoas indispensaveis para o seu Expediente (1815). In: Collecção dos Regimentos, Art. II, S. 101. Der Conselho de Saude erklärte 1852 in einer Stellungnahme, dass die Klage, Ausländern gegenüber würde eine ungebührliche Härte an den Tag gelegt, übertrieben und die Vorgehensweisen im Lazarett von Malta weitaus härter sei. Aos Senhores Deputados da Nação Portugeza o Conselho de Saude Publica do Reino. Lissabon 1854. Documento B. Zusatz. In: Collecção dos Regimentos, Insb. S. 50–52. Edital. 22.11.1817. Zusatz. In: Collecção dos Regimentos, S. 110–112.

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

343

und letztlich ein Stein nach ihm geworfen wurde.160 An dieser Stelle regt sich entgegen ihrer Aussage doch die Vermutung, dass die österreichischen Kapitäne stärker als andere Missachtungen ausgesetzt waren, auch wenn die Willkür der Lissaboner Sanitätsangestellten erst einmal alle traf. Schließlich waren sie diejenigen, die die konkrete Beschwerde lancierten. Genereller Missbrauch wurde jedoch bereits schon mehrere Monate zuvor beklagt und der Vorschlag gemacht, diesen Missständen in einem juristischen Prozess beizugehen.161 In den ,,Inseln“ der Quarantäneanstalten war ein differenzierender Umgang mit den die Quarantäne absolvierenden Personen im Gegensatz zur anfänglichen Einordnung bei Ankunft kein grundlegend strukturierendes Prinzip. Deren Verdachtsmomente fanden ihren, sich über den Alltag weitertragenden Zugang in die steinernen Ummauerungen, wie im Weiteren noch zu zeigen ist. Die von jenseits der europäischen Ränder Kommenden wie die zu Mobilen waren in ihrer grundsätzlichen Unzugänglichkeit als zumindest suspekt aufgefasst. 3.2.4 Verdächtiger Raum und bedrohliches Flirren: Die suspekten Elemente Das Quarantänesystem agierte entlang klarer Kategorien und eindeutiger Beschreibungen der Welt. Grauschattierungen und ambivalente Zwischentöne, die ein ,,sowohl als auch“ beinhalteten, waren in diesem Rahmen nicht vorgesehen – aus ihm jedoch nicht vollkommen heraus zu halten. In Folge wurde die Seuchenabwehrinstitution in der Praxis durch Uneindeutigkeit, nicht zu kontrollierende Beweglichkeit, geographische Seuchenzuweisungen, aber auch soziale Differenzierungen herausgefordert, in Frage gestellt, an ihre Grenzen gebracht.

160

161

Die Beschwerde ist von vierzehn unter österreichischer Fahne fahrenden Kapitänen unterzeichnet. Sie verwiesen darin darauf, dass sie eine solche abwertende Behandlung in anderen europäischen Häfen nicht erdulden müssten. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 89, 19.1.1819, ohne Nr. Wenn nur die Hälfte dieser Vorwürfe den Tatsachen entsprach, herrschte im Quarantäneraum von Belém ziemliche Willkür. Dieser Eindruck wird dadurch unterstützt, dass die portugiesische Regierung einige Monate später gegen den Guarda Mór und den Schreiber von Belém vorging. Allerdings war der Grund der vorübergehenden Suspendierung des Guarda Mór Brandão im Sommer 1819, dass er entgegen der Vorschriften ein aus dem pestverseuchten Larache kommendes portugiesisches Fischerboot eingelassen hatte. Ebd., 24.7.1819, ohne Nr. Die slawischen Namen wurden ,,portugisiert“ wiedergeben, wie am Vornamen ,,Adão“ unschwer zu erkennen ist. Das war übliche Vorgehensweise der iberischen Sanitätsbehörden. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 89, 2.3.1818, Nr. 24.

344

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

Frei flottierende Elemente: Piraten, Schiffbrüchige und Leichen

Von grundsätzlicher Bedrohlichkeit für das System der eindeutigen Kategorien und Zuordnungen, das mit den angesprochenen Uneindeutigkeiten bereits in Aufruhr gebracht wurde, waren sich der Kategorisierung vollkommen entziehende Subjekte. Diese, sich außerhalb der Quarantänebegrenzungen bewegenden Personen waren nicht mehr ausschließlich und eindeutig einer Zugehörigkeit, einer Herkunft zuzuordnen. Stattdessen bewegten sie sich frei und unabhängig durch den Raum und brachten alle seuchenabwehrenden Grenzziehungen in Gefahr oder führten sie beinah verspottend ad absurdum. Unter diesen, die Grenzen nicht beachtenden und durchbrechenden zu Mobilen stechen drei Gruppen hervor. Im Vergleich bewegten sich nur die Piraten bzw. Korsaren halbwegs aus eigenen Stücken auf den Meeren. Von ihnen häufig unmittelbar betroffen, waren die Schiffbrüchigen. Sie verweisen in ihrer Existenz zugleich auf die massive Macht der Natur, die sich den menschlichen Regelungsbemühungen widersetzt und immer wieder zu für den Menschen absolut nicht kontrollierbaren Situationen führt.162 Stürme und Unwetter lassen Schiffe kentern, auf Untiefen auffahren, die ihnen den Bug zerreissen; sie bringen Untergang, Verlust und häufig genug den Tod. Dies verweist auf die dritte ,,zu mobile“ Gruppierung, die der unbekannten angespülten Toten. Sie hatten diese Welt bereits verlassen und waren deshalb zutiefst suspekt und gefürchtet. Tote sind als die Fremden schlechthin anzusehen, sie verkörpern die grundlegende, nicht fassbare Grenzerfahrung menschlicher Existenz.163 Unbekannte Tote wurden immer wieder in der Nähe beider Hafenanlagen, teils sogar in unmittelbarer Nähe der Quarantäneanlagen ans Ufer gespült. Sie wurden von Ansässigen gefunden, von den Wachen geortet – und manchmal nach der Sichtung auch wieder aus den Augen verloren. So war in der Nähe der Befestigung San Felipe bei Cádiz eine angespülte Leiche gemeldet worden. Als man diese bergen wollte, war sie nicht mehr da – wahrscheinlich weiter getrieben.164 Die Toten des Meers gehorchten nur den Gezeiten und der Strömung. Teilweise trieben sie in abgelegenen, schwer zugänglichen Ecken der Buchten an. Dass der Leichnam in der Höhle unterhalb des Kastells Santa Catalina sofort und bewusst gefunden wurde, erscheint als unwahrscheinlich.165 An die Trennung in gesperrte und nicht gesperrte Bereiche hielten sich die driftenden Leichen nicht. Damit stellten sie die räumliche Teilung und Sperrung in Frage, da sie deren Grenzen und Unzulänglichkeiten aufzeigten. Das Seuchenabwehrsystem, das eine klare, nicht zu überschreitende Trennung des Raumes propagierte, wurde durch ihre bloße Existenz angegriffen. 162 163 164 165

Die daraus erwachsende Angst vor ungebändigter Naturgewalt ist eine alle Zeiten durchziehende. Weiter dazu: Fear in Early Modern Society. Macho: Todesmetaphern, S. 195, 296. AHPC, Junta de Sanidad, Oficios, L. 2984, 24.10.1815, ohne f. AHPC, Junta de Sanidad, Libro mortuorio S. Sebastian, L. 3050 22.11.1804, f. 7.

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

345

Teilweise sind die Leichenfunde mit einem vorausgegangenen schweren Unwetter in ursächlichen Zusammenhang gesetzt.166 Den unmittelbaren Zusammenhang zwischen angetriebenen Leichnamen und einem vorausgegangenen Schiffbruch stellte das Reglement von Mahón dar, das für alle im Meer treibenden Toten galt, seine Anweisungen ausdrücklich an diesem Fall festmachte.167 Häufig waren die Angespülten zumindest an ihrer Kleidung noch als Seeleute zu erkennen. In anderen Fällen ließ die Bekleidung andere mögliche Rückschlüsse zu, wie beim toten Infanteristen, dem 1809 in Cádiz angeschwemmten Franzosen oder die unbekannte Frau in bäuerlicher Tracht.168 Ebenso gut konnte der oder die Angetriebene nicht mehr kenntlich sein, im Meer seine/ihre identifizierenden Merkmale eingebüsst haben. 1818 trieb in Lissabon ein Unbekannter an, der aufgrund der Kleidung(sreste) noch als Matrose einzuordnen war, dessen Hände und Füsse von den Fischen angefressen und der restliche Körper von den Naturgewalten beinah zerstückelt worden war.169 Die sich frei ,,herumtreibenden“ Toten und ihre Todesursachen blieben meist im Dunkeln der Vermutung und des Verdachts, man konnte nicht mit Gewissheit sagen, woher sie kamen, was ihnen passiert war und welche Gefährdung sie in sich trugen. Dies machte sie in den Augen der Behörde zu absoluten Gefährdungsmomenten. Sie sollten, wenn nicht doch noch identifiziert, unter allen erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen im abgegrenzten Quarantänebereich des Strandes begraben werden, den unreinen Bereich also überhaupt nicht erst verlassen. Damit versagte man ihnen im Gegensatz zu den während der Quarantäneableistung Verstorbenen die letzte Ruhe im geweihten Boden. Es wurde versucht, die sanitäre Raumteilung aufrecht zu erhalten, indem man sie im Strand verscharrte. Wenn ihre Herkunft nachträglich nachvollzogen werden konnte, wurden sie zumeist auf dem Lazarettfriedhof, im Fall der Bäuerin in einer nahegelegenen Kirche beigesetzt.170 Sie verwiesen in ihrer Unbelebtheit, deren Grund vermutet, aber nicht de166 167

168 169

170

AHPC, Junta de Sanidad, Cuentas, L. 3016, f. 57 (1806). Sie alle sollten in dem Strandabschnitt, an dem sie angespült worden waren, sofort, direkt und tief begraben werden. Die Erde über ihren Gräbern war sodann noch festzutreten, dass die schwimmenden Toten auch wirklich beerdigt blieben. Providencias Generales de Sanidad, extractadas del reglamento para el gobierno y direccion del Lazareto de Mahon, aprobado por S.M. en Real órden de 3 de junio de 1817. De las quarentenas en general, y el sistema que ha de regir sobre ellas. 1817. Art. 109, S. 6. ANTT, Junta da Saude Pública, Maço 143, 28. 10.1820, Nr. 25f. AHPC, Junta de Sanidad Ordenes L. 2983, f. 222f (1809). Er wurde im unreinen Bereich des Strandes von Mannschaftsangehörigen des Wachschiffes nahe der Stelle begraben, wo bereits ein anderer Unbekannter lag. Man merkte sich also, wo man die fremden Leichen beerdigt hatte. Zugleich verwundert an dieser Stelle, dass die Wachmannschaft für diese Aufgabe herangezogen wurde. ANTT, Junta da Saude Pública, Maço 37, 4.10.1818, Nr. 114. ANTT, Junta da Saude Pública, Maço 143, 28. 10.1820, ohne Nr.

346

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

finitiv gewusst werden konnte, auf die grundsätzliche Bedrohung, der sich das Quarantänesystem entgegen stellen sollte, den Verlust des Lebens durch ansteckende Krankheit. Die Verbindung dieser beiden Gefährdungsszenarien – der freien, nicht zu kontrollierenden Bewegung und der Seuchenbedrohung – verkörperte eindrucksvoll der 1814 vor den Lissaboner Sanitätsbaracken angeschwemmte tote Matrose. Er war augenscheinlich ertrunken und gehörte, wie man in nachfolgenden Erkundigungen erfuhr, einem in Quarantäne liegenden Schiff an. Dieses erachtete die Junta als gefährlich, kein Wunder also, dass die portugiesischen Sanitätsbehörden noch eine ganze Weile in heller Aufregung waren und sich die diesbezüglichen Untersuchungen lange hinzogen.171 Noch alarmierender war die ein Jahr später beim Kastell San Felipe in der Nähe des Lazaretts Segunda Aguada angespülte namenlose Leiche in einem Sack. Sie war höchst suspekt, die Sanitätsangestellten versuchten, den unmittelbaren Kontakt mit ihr soweit als möglich einzuschränken. Der Arzt betrachtete den Körper nur von weitem. Für den direkten Umgang mit dem Leichnam und dessen Bestattung stellte die Junta drei Tagelöhner an. Diese sollten vor dem Begraben den Körper auf etwaige Wunden und damit Todesursachen untersuchen, um den Seuchentod auszuschließen. Damit waren sie absurderweise vorübergehend zu den entscheidenden Experten in der Festlegung geworden. Nach Beendigung ihrer Aufgabe mussten sie ihre Isolationszeit im Lazarett verbringen.172 Da am Körper der Leiche keine Anzeichen eines gewaltsamen Todes festzustellen waren, musste mit größtmöglicher Krankheitsgefährdung gerechnet werden. Diese frei flottierenden, mit Verdacht behafteten Leichen vergrößerten die über die räumliche Ordnung laufende Bedrohung der sozialen Ordnung, die jedem Tod innewohnt. Deshalb reagierte der Sanitätsapparat derart rigoros, beinahe überzogen auf ihre Präsenz, was ihr Bedrohungspotential gleichwohl nicht nivellieren konnte.173 Die unfreiwillig dem Meer Anheimgefallenen, die Schiffbrüchigen, waren 171 172

173

ANTT, Junta da Saude Pública, Maço 6, 2.11.1814, Nr. 20. Der äußerlich unversehrte Leichnam und seine Form der Entsorgung deuteten für die Behörden auf eine gefährliche Krankheit hin. Schließlich war kein Blut auf seiner Unterbekleidung zu finden, dafür war der Sack extra noch mit Kleidung ausgestopft gewesen, als ob man den unmittelbaren Kontakt des Toten mit der Sackwand verhindern wollte. AHPC, Junta de Sanidad, Ordenes, L. 2964, f. 631–638 (1815). Der Tod der Anderen bedroht als Ereignis in der Gegenwart und ist damit ein räumliches und nicht nur ein zeitliches Phänomen. Räumliche Trennungen erwidern das Ereignis des Todes, um die soziale Ordnung wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Vor allem durch Riten und Zeremonien, die den Toten in seine neue Heimat geleiten und zugleich einen ungefährlichen geregelten Austausch mit ihnen erlauben, in diesem Fall aber auch die Verschmelzung mit dem unreinen Quarantänestrand, wird versucht, ihnen das Bedrohungspotential zu nehmen. Problematisch ist hier, dass eben dieser geregelte Austausch, die gelegentliche Präsenz, ihnen nicht gestattet und die Bedrohung damit nicht verkleinert wird. Gesellschaftliche Grenzen haben zudem die unangenehme Eigenschaft zu verschwinden, wenn sie unüberschreitbar werden. Macho: Die Wiederkehr der Toten, S. 15–27.

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

347

im Gegensatz dazu noch lebendig, hatten jedoch durch ihr Verlassen des festen Zuordnungssystems eine vergleichbare Gefährdungszuschreibung. Dabei war Schiffbruch in den Gewässern der Meerenge von Gibraltar und dem iberischen Atlantik keine Seltenheit. Das Wetter konnte schnell umschlagen, die Winde auffrischen; die heiklen Strömungen erforderten erfahrene Navigatoren. Schiffbrüche fanden – ebenso wie antreibende Leichen, die von ihnen kündeten – auch in unmittelbarer Nähe der zumeist schutzbietenden Häfen statt. In der Lissaboner Bucht sanken ebenso Schiffe wie im Cádizer Einfahrtsbereich.174 Häufig erfuhr man von diesen Schicksalen nur mittelbar über angetriebene Schiffsbestandteile. So verzeichnete das Logbuch der Registrierungsschaluppe bei Belém lakonisch, dass (einmal mehr) ein Mast und zwei Rahen angeschwemmt worden seien.175 Schiffbruch, meist durch Naturgewalt ausgelöst, ereignete sich plötzlich und nicht vorhersehbar, hatte zugleich nicht unerhebliche Nachwirkungen. Er brachte das Seuchenabwehrsystem durch eben diese Charakteristika an seine Grenzen, da er nicht zu kontrollieren war. Die Wahrscheinlichkeit einer solchen Katastrophe bedeutete jedoch nicht, dass mit den in ein solch gefürchtetes Geschehen Involvierten stets pragmatisch und vielleicht sogar entspannt umgegangen worden wäre. Schiffbruch zog zwangsläufig eine rigorose Quarantäne nach sich. Grundlegender Tenor der Normgebung war, dass zu Schiffbrüchigen, deren Schiffen oder Objekten kein Kontakt existieren solle, bis deren, dem möglichen Krankheitsfall Rechnung tragende, ausgedehnte Quarantänezeit vorbei und somit die Ungefährlichkeit bewiesen war. Die öffentliche Gesundheit wurde als oberstes und gefährdetes Gut gesetzt.176 Wenn ein Schiffbruch an der ,,eigenen“ Küste stattfand, sollten die Schiffbrüchigen durch einen sofort errichteten (militärischen) Sperrkordon getrennt gehalten werden. Sobald dennoch Kontakt zustande kam, unterlagen die Helfenden ebenfalls der Sperre. Das Ende Mai 1816 bei Tarifa, der dem afrikanischen Kontinent nächstgelegenen Stadt gesunkene englische Schiff aus Smirna (Izmir), war aufgrund der virulenten Pest im östlichen Mittelmeerraum mehr als suspekt. Deshalb setzten die Verantwortlichen hier die Abgrenzungsmodi besonders deutlich durch. Nicht nur Besatzung und Passagiere des Schiffes wurden in Quarantäne gesetzt. 174

175 176

Für Cádiz beispielhaft herausgegriffen: AHPC, Junta de Sanidad, Ordenes, L. 2968, f. 14 (1820); Ebd., L. 2963, f. 102f (1814). Für Lissabon: ANTT, Junta da Saude Pública, Maço 27, 2.1.1817, Nr.1; Ebd., Maço 64, 12.1.1820, Nr. 6. ANTT, Junta da Saude Pública, Maço 143, 27.9.1820, ohne Nr. Providencias Generales de Sanidad, extractadas del reglamento para el gobierno y direccion del Lazareto de Mahon, aprobado por S.M. en Real órden de 3 de junio de 1817. De las quarentenas en general, y el sistema que ha de regir sobre ellas. 1817. Art. 105, S. 5. In den portugiesischen Reglementen findet sich hingegen keine solche explizite Regelung zum Schiffbruch. In Einzelbestimmungen aus der untersuchten Zeitspanne wie der Praxis wird deutlich, dass die portugiesischen Sanitätsbehörden ein vergleichbares, man kann schon behaupten analoges Vorgehen hatten.

348

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

Von diesen separiert, verbrachten auch die Besatzungen der zu Hilfe geeilten Schiffe und die Einheimischen, die entweder am Strand mit den Geretteten in Kontakt gekommen waren oder zu diesem Schiff gehöriges Strandgut aufgesammelt hatten, isolierte Zeit aufgrund des Seuchenverdachts. Ursprünglich wollte man alle Betroffenen aufgrund der besonderen Gefährdungssituation ins noch im Bau befindliche schmutzige Lazarett nach Mahón verschiffen. Diese Aktion war nicht durchführbar, weshalb ein provisorisches Lazarett auf einer vor Tarifa gelegenen kleinen Insel, das nach den strengen Regeln eines solchen Hochsicherheits-Lazaretts funktionierte, errichtet wurde.177 Die strikte Aufrechterhaltung der Trennung findet sich bereits vor dem Aufziehen der Pest im maghrebinischen Raum. In Anweisungen für lokale Zweigstellen im Tejogebiet im Falle eines Schiffbruchs war die erste zu ergreifende Maßnahme ein möglichst weit gefasster Sperrkordon, der unter militärischer Unterstützung zustande kommen sollte. Den Überlebenden sollte natürlich mit Nahrung, Wasser und anderem Notwendigen geholfen werden. Doch diese Objekte hatten in ausreichender Entfernung vom Kordon, einem neutralen und mittleren Ort, hinterlegt zu werden. Physischer Kontakt sollte in keinem Fall zufällig entstehen können.178 Damit wird das grundlegende sanitäre Problem mit Schiffbruch deutlich, Hilfe konnte und wollte nicht verweigert werden, Kontakt mit diesen Flottierenden war jedoch grundsätzlich zu vermeiden. Im unmöglichen Spagat zwischen Kontaktvermeidung und Hilfe bewegten sich vor allem Schiffe, die kurz vorm Schiffbruch standen, derart leckten oder andere bedrohliche Havarien zu verzeichnen hatten, dass man sie unmöglich auf die hohe See hinaus wegschicken konnte, ohne ihr Kentern und damit den Tod der Besatzung und Verlust der Ladung in Kauf zu nehmen. In solchen Fällen wurde den Schiffen unter strengster ,,Inkommunikation“ die Einfahrt zu den (Quarantäne)Ankerplätzen erlaubt. Dort sollten sie unter penibelster Befolgung der Quarantänevorschriften von der Mannschaft, wenn dies nicht ausreichte, von hinzugezogenen Handwerkern wieder in Stand gesetzt werden. Während dieser Reparaturphase lag das betreffende Schiff unter verstärkter Bewachung und Kontrolle. Es sollte nach Instandsetzung möglichst schnell und ohne jeden Kontakt mit dem Festland den Hafen wieder verlassen, darauf lag das grundsätzliche Augenmerk.179 177 178

179

AHPC, Junta de Sanidad, Actas Municipales, L. 2941, f. 57 (1816); Oficios, L. 2984, 23.5.1816, ohne f. Alle weiteren Entscheidungen und Maßnahmen waren der höhergestellten Ebene des Guarda Mór von Belém beziehungsweise dem Ministerio da terra vorbehalten. Diese Instruktionen gaben nur Verhaltensregeln für die unmittelbare Zeit nach einem Schiffbruch. Instrucções para o Guarda mór da Saude da Villa de Almada, residente na Trafaria; e para o Guarda mór de Passo d’Arcos (1813). In: Collecção dos Regimentos, Art. IV, V, S. 87. Dies entspricht einer vorangegangenen Instruktion, dass schiffbrüchige oder stark in Mitleidenschaft gezogene, der Verseuchung verdächtige Schiffe aus humanitären Grün-

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

349

Die übergreifende Tragweite im übernationalen Kontext veranschaulicht die Resonanz auf die Meldung, dass an der sizilianischen Küste ein Berberschiff gekentert war und die Bevölkerung des nahegelegenen Dorfes ungehinderten Kontakt zu den Schiffbrüchigen gehabt habe. Die Nachricht über dieses (mögliche, weil noch nicht bestätigte) Ereignis löste eine Kettenreaktion aus. Die Sanität von Livorno erfuhr über einen aus Malta kommenden Passagier davon und hob sofort in Anpassung an die maltesische Politik die Isolationszeiten für sizilianische Herkunftshäfen an, unterrichtete im selben Atemzug auch die anderen Sanitätssysteme davon.180 Das auch für die Schiffbrüchigen grundlegende Problem der Uneindeutigkeit verstärkte sich noch dadurch, dass die Sanitätspapiere häufig nicht gerettet waren, Identität, Herkunft und Materialität nicht über Rückgriff auf offiziell beglaubigte Dokumente fixiert werden konnten. Dieser Missstand versuchte die maritime Seuchenbehörde zum einen durch das Einholen von Informationen im Herkunftshafen, zum anderen durch eine Untersuchung vor Ort zu beheben.181 Bis zur Klärung waren Schiff, Menschen und Waren ohne Papiere der administrativen Verortung entzogen und deshalb nur mit großer Vorsicht zu genießen. Ihnen fehlte der ,,Wahr“-Schein des Fahrscheins, wie es Valentin Groebner plastisch formulierte.182 Auch wenn der administrativen Identifizierung mithilfe von Dokumenten immer Aspekte von Fiktion innewohnen, kreiert sie Identität, in diesem Fall vor allem Eindeutigkeit als Zugangsberechtigung.183 Neben den Toten und den Gefährdeten befuhr eine weitere, sich über al-

180

181

182 183

den nicht aus dem Hafen von Lissabon weggeschickt werden könnten. Es sei jedoch auf strikte räumliche Trennung zu achten und alle als gefährlich erachteten Aktionen, wie das Ausladen der Waren, von den Besatzungen selbst zu übernehmen. Diese Anweisung wirkt wie ein Rückgriff auf bereits vertraute Verhaltensregeln. ANTT, Junta da Saude Pública, Maço 88, Instruçoens dadas pela Junta Publica pelas quaes ha de regular a sua commissão a embarcação de Guerra q.’ for destinada p.a auxiliaro o Serviço da Saude na Bahia de Cascaes e for a da Barra deste Porto de Lx.a durante o actual Contagio, 30.4.1816, ohne Nr. Die ergriffenen Maßnahmen bezogen sich auf unbestätigte Gerüchte, die man jedoch solang aufrechterhalten wollte, bis man Genaues in Erfahrung gebracht hatte. AHPC, Junta de Sanidad, Ordenes, L. 2969, f. 230 (1820). Der schiffbrüchige Kapitän, Schiffseigentümer oder eine weitere Person von Bedeutung sollte mündlich befragt werden. Zudem waren Dokumente wie das etwaig gerettetes Logbuch, Ladeliste, Besatzungsliste und natürlich das Gesundheitspatent zu examinieren. Man sollte nichts unversucht lassen, um die ,,Wahrheit zu ergründen. Providencias Generales de Sanidad, extractadas del reglamento para el gobierno y direccion del Lazareto de Mahon, aprobado por S.M. en Real órden de 3 de junio de 1817. De las quarentenas en general, y el sistema que ha de regir sobre ellas. 1817. Art. 107, S. 5f. Groebner: Der Schein der Person, S. 158. Ebd., S. 156, 182. Die von Simon Cole attestierte Hinwendung europäischer Gesellschaften im Verlauf des weiteren 19. Jahrhunderts hin zu societies of strangers, die vor allem innere und äußere Verdächtige identifizierten, hatte in Aspekten wie diesen ihre Vorläufer. Cole: Suspect Identities, S. 9.

350

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

le Reglementierungen und Grenzsetzungen hinwegsetzende Gruppierung das Meer. An dieser Gruppe der Korsaren war grundsätzlich verdächtig, dass sie der Schattenwelt der Kriminalität zumindest sehr nahe waren, nicht zu reglementieren waren, die Meere nach ihrem Gusto befuhren. Darüber hinaus hatten sie theoretisch ungehinderten Kontakt mit Allem und Jeden. Die Kontaktverläufe waren nur schwer oder gar nicht nachzuvollziehen. Die Kapitäne der von ihnen überfallenen Schiffe wussten in der Regel nicht, welche Strecken ihre Plünderer zuvor gefahren waren und mit wem sie Kontakt gehabt hatten. Korsaren, Piraten beziehungsweise Kaperfahrer waren noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein vertrautes Phänomen in den Gewässern von Lissabon und Cádiz wie auf ihren Seehandelsrouten.184 Korsaren hatten ihre bevorzugten Jagdgebiete in der Nähe der Häfen, wagten sich zum Teil bis in Sichtweite der Häfen heran.185 Dabei zielten sie nicht ausschließlich auf große Handelsschiffe ab, sondern ebenso auf kleine Küstenfahrzeuge.186 Kaperei als mediterrane Form des erzwungenen Warenaustauschs hatte noch alltägliche Gültigkeit. Sie war anerkannte Kriegsform und zugleich als

184

185

186

Der Begriff der Korsaren, corsarios, wird im weiteren sowohl für die auf eigene Rechnung arbeitenden Piraten, nordafrikanischen Korsaren, die in den meisten europäischen Sichtweisen keine Legitimierung besaßen, wie die durch obrigkeitliche Kaperbriefe Legitimierten, verwendet. In den Quellen überwiegen, auch wenn die Grenzen fließend und temporären Entwicklungen unterworfen sind, die lateinamerikanischen Kaperfahrer, auch wenn diese mit Kaperbriefen der aufständischen lateinamerikanischen Provinzen versehenen Kaperer von europäischen Mächten meist nicht anerkannt wurden Bohn: Piraten, S. 15f; Gámez Duarte: El desafio insurgente. Auf portugiesischer Seite hielten sich die lateinamerikanischen Korsaren vor allem um das bei Sintra gelegene Kap da Roca und das unterhalb von Lissabon gelegene Kap San Vicente auf. Zwischen letzterer Landzunge und der Meerenge von Gibraltar war die gesamte Meerregion des Golfs von Cádiz von ihnen befahren. Stützpunkt war hier vor allem das nahe Cádiz gelegene Kap de Roche. Für die nordafrikanischen Piraten kann das Netz nicht derart klar gespannt werden. Sie tauchten auch in der mittelbaren Nähe der Häfen auf, wurden aber weitaus mehr als gespenstiger Schatten wahrgenommen. Gámez Duarte: El desafio insurgente, S. 91; Mapa VII, S. 615. Vor allem für Cádiz sind Kaperungen in unmittelbarer Nähe zur Stadt und ihrer Hafenbucht belegt. Die Ketsch ,,Carmen“ wurde am 24.6.1817 in Sichtweite des Hafens aufgebracht, am 29.6.1817 eroberten lateinamerikanische Korsaren die ,,San António“ nur 15 Meilen südöstlich des Kastells von San Sebastían. Gámez Duarte: El desafio insurgente, S. 95. Die Kaperung der ,,La Economia“ wurde in der journalistischen Aufbereitung als unmittelbar vor Cádiz beschrieben. Diario Mercantil de Cádiz. 29.8.1817. Cádiz kann als der von allen spanischen Häfen am meisten in Mitleidenschaft gezogene angesehen werden. Vor allem für Cádiz ist eine große Anzahl von Küstenbooten zu verzeichnen, die insbesondere von den lateinamerikanischen Korsaren heimgesucht wurden. Gámez Duarte: 1816, un año decisivo, S. 6f.

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

351

alternative Wirtschaftsform zu bezeichnen.187 Finanzielle und nicht ideologische Faktoren waren die hauptsächlichen Anreize für ein solches Tun.188 Korsaren erleichterten die Schiffe natürlich vor allem um ihre Fracht und Geld, nahmen daneben aber auch Lebensmittel, Wasser, Schiffsausrüstung und Personen, um Besatzungsengpässe auszugleichen, mit. Vor allem die lateinamerikanischen Korsaren interessierten daneben Briefe und weitere mitgeführte Dokumente. Die europäischen Korsaren tauchten insbesondere im Zusammenhang mit der kontinentalen Kriegssituation auf. Sie wurden im Quarantänesystem analog zu Kriegsschiffen behandelt, der Herkunftsort des Schiffes war entscheidend für die Einstufung. Sie stellten nicht das Problem der iberischen Seuchenabwehrsysteme dar. Es existierten in geringem Umfang auch ,,eigene“ Korsaren, doch weder die spanische, noch die portugiesische Kaperei kann in diesem Zeitraum als sonderlich arriviert bezeichnet werden. Die spanische Krone autorisierte zwar einen eigenen Korso als Antwort auf die lateinamerikanischen Korsaren. Die spanischen Kaperfahrer erregten zwar den Unmut der anderen europäischen Seefahrtsnationen, konnten den lateinamerikanischen Korso aber nicht eindämmen.189 Bedeutsam waren vielmehr die maghrebinischen und später die aufständischen lateinamerikanischen Korsaren.190 Beide erhielten die Anerkennung als gleichwertige Kombattanten nicht. Gegen die aufständischen Provinzen wurde neben der verweigerten Anerkennung vor allem die vielfach ausgegebenen Blankokaperbriefe ins Feld geführt, die sie in Nähe der Piraterie brachten. Die maurischen Korsaren wurden grundsätzlich nicht als gleichwertige legitime Gegner betrachtet. Die maghrebinischen Korsaren erlebten nach massivem Niedergang im 18. Jahrhundert in Ausnutzung der chaotischen, von Revolu187

188 189

190

Braudel: Das Mittelmeer, S. 720. Dabei ist entscheidend, dass Kaperei nicht negativ mit dem maritimen Wirtschaftsleben korreliert, sondern beide zusammen blühen und zusammen fallen. Ebd., S. 724. Dies gilt im Besonderen für die insurgentes, die lateinamerikanischen Aufständischen. Gámez Duarte: El desafio insurgente, S. 222. Die spanischen Korsaren waren dafür berüchtigt, dass sie Schiffe aller Flaggen heimsuchten, was die die britische Admiralität dazu brachte, 1818 Repressionen gegen Spanien einzuführen. Portugal hingegen versuchte, durch eine Wiederbelebung des Konvois von Lissabon und Porto bis zu den Kap Verdes die auslaufenden Schiffe zu schützen. Beraza: Los Corsarios de Artigas, S. 135. Ausführlicher zum Konvoiwesen zur Zeit seiner Blüte: Baasch: Hamburgs Convoyschiffahrt. Feliciano Gámez Duarte vergleicht den nur lokal agierenden spanischen Kaperkorso, der sich Ende des 18. Jahrhunderts vor allem gegen englische Schiffe und Gibraltar richtete mit den maghrebinischen Kaperfahrten. Der größte Teil dieser Kaperer waren Cádizer Kaufleute und Schiffer, die versuchten, ihre wirtschaftlichen Aktivitäten aufrecht zu erhalten, die durch die europäischen Blockaden gefährdet waren. Gámez Duarte: El desafio insurgente, S. 86f. Die US-amerikanischen Korsaren, die während des amerikanisch-britischen Krieges englische Schiffe im Golf von Cádiz aufbrachten, werden an dieser Stelle vernachlässigt.

352

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

tionen, Okkupationen und Kriegen durchzogenen Situation Europas in den 1790er Jahren einen Wiederaufschwung der Freibeuterei. Sie hatten vor allem 1814 und 1815 nochmals einen starken Aktivitätsschub zu verzeichnen, bevor ab 1816 ihre Präsenz auf dem Meer deutlich abnahm – nicht zuletzt, da sie militärisch in die Ecke gedrängt wurden.191 Sie waren kurz gesagt nicht mehr zeitgemäß, ihre Aktivitäten wurden in der gegen sie gerichteten Propaganda stark übertrieben, insbesondere die Sklavenrhetorik genutzt, um ihr Zurückdrängen zu rechtfertigen.192 Die europäischen Seefahrtsnationen verstärkten ihren Machtanspruch über See und Handel, nachdem sie den Wirren der Napoleonischen Zeit entkommen waren. Auch die spanische Krone dachte 1815 über eine Strafexpedition gegen die Regentschaften nach, um sich für Übergriffe auf spanische Schiffe zu rächen. Dieser Plan scheiterte nur aufgrund der leeren Staatskasse.193 Die corsarios insurgentes, die aufständischen Korsaren der um Unabhängigkeit ringenden lateinamerikanischen Provinzen, drängten sich vor allem ab 1816 als neue und dominierende Spieler ins Seegeschehen. Im 1814 ausgerufenen Kampf bis zum Tod, ,,guerra a muerte“, gegen die spanische Metropole fuhren vor allem nordamerikanische, aber auch viele britische Korsaren unter den neuen Flaggen und behinderten als Kriegsbeitrag insbesondere den Seeverkehr von Cádiz und Havanna.194 Ihre Besatzungen setzten sich aus einem bunten Herkunftsgemisch zusammen.195 Aber auch die portugiesische Küste 191

192 193 194

195

Panzac: Barbary Corsairs, S. 50, 74–76, 111. Im Mai 1815 erklärten die USA der Regentschaft von Algier als Antwort auf vorangegangene Überfälle ihrer Schiffe und die Versklavung christlicher Staatsangehöriger den Krieg. Im Juni drohten sie mit der unmittelbaren Bombardierung von Algier und erreichten einen Vertragsschluss, der diese Missstände offiziell zwischen beiden Parteien beendete. Ähnlich gingen sie in Tunis und Tripolis vor. Ein Jahr später nahm ein britisches Geschwader mit niederländischer Unterstützung Algier unter Beschuss und zerstörte einen Großteil der algerischen Flotte. Im Vertrag mit dem Dey von Algier wurden daraufhin die Freilassung der christlichen Sklaven, die Anerkennung der Unabhängigkeit der Ionischen Inseln und das Versprechen, sich in Zukunft der Seeräuberei zu enthalten, festgesetzt. Fremont-Barnes: The Wars of the Barbary Pirates; Leiner: The End of Barbary Terror. Die algerischen Korsaren traten in den iberischen Gewässern am häufigsten auf. Algier, das seine Glanzzeit vor allem zwischen 1580 und 1620 hatte, war in seinen Grundstrukturen auf dem Korsarentum errichtet worden. Fisher: Barbary Legend, S. 303. Fontana Làzaro: La quiebra, S. 117–121. Buenos Aires legalisierte den Korso per Dekret am 18.11.1816. Natürlich existierte dieser schon zuvor, ab 1814 wurden in Rio de la Plata, am Golf von Mexiko, an der chilenischen und peruanischen Küste Kaperbriefe gegen Spanien ausgestellt. Der Korso nahm ab 1816 sowohl qualitativ als auch quantitativ stark zu und breitete sich bis zur Iberischen Halbinsel aus. In der Cádizer Presse kann man für die Zeit zwischen Oktober 1817 und September 1818 108 Sichtungen aufständischer Korsarenschiffe finden. Dies veranschaulicht die Größenordnung ihrer Präsenz. Gámez Duarte: El desafio insurgente, S. 62, 80, 341. Eines der ersten lateinamerikanischen Kaperschiffe im Bereich der Kanarischen Inseln, die ,,Independencia“ wurde von einem ragusanischen Kapitän namens Miguel Ferre-

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

353

bis hoch nach Galizien war Tummelplatz für Schiffe der lateinamerikanischen Aufständischen, auch wenn die ,,eigenen“ Aufständischen von Artigas ihr Kapergeschäft vor allem im südamerikanischen Raum betrieben.196 Das Fehlen einer einsatzfähigen Flotte, um gegen diese dreisten Eindringlinge vorzugehen, wie auch das einzelkämpferische Vorgehen der beiden iberischen Staaten verstärkten die ungleichgewichtige Situation nochmals mehr. Die gegen die corsarios insurgentes hochgefahrene Küstenbewachung kann mit der gegen die Berberkorsaren in ihren Hochzeiten im 16. und 17. Jahrhundert verglichen werden. Beliebter Unterschlupf der Aufständischen war das offiziell neutrale Gibraltar, aber auch marokkanische Häfen wie Larache oder Salé, die traditionellerweise die Ausgangsbasis der Berberkorsaren darstellten.197 Angesichts der skizzierten Präsenz von Korsaren im Hoheitsraum der iberischen Staaten waren ihre Quarantänesysteme herausgefordert. Sie mussten vor allem mit den von den Freibeutern heimgesuchten Schiffen und deren Besatzungen umgehen. Rigorose Ableistung der Quarantänezeit war nach Korsarenkontakt die minimal zu erwartende Reaktion. Die portugiesische Legislative betrachtete diesen zwar nur als bedingt verdächtig. Diese Verfügung entstammte allerdings der Zeit vor dem (massiven) Auftauchen der lateinamerikanischen Korsaren.198 Kontakt mit diesen freibeweglichen Freibeutern konnte im härtesten Fall auch Ausweisung aus dem Hafen bedeuten. Ein portugiesisches Schiff konnte nach der Enterung durch den französischen Korsaren ,,Leôa“, der ihm sämtliche Dokumente gestohlen hatte, seine Ausweisung aus dem Lissaboner Hafen nur dadurch verhindern, dass es auf seinen miserablen Zustand verwies.199 Der osmanischen Polaka unter Führung von Kapitän Nicolo Botavesse erfuhr hingegen keine Gnade; nach

196

197 198

199

res geführt, seine Mannschaft setzte sich aus Amerikanern, Ragusanern, Osmanen, Genuesen, Portugiesen, Kreolen und Galiziern zusammen. Grundsätzlich kamen die Korsarenbesatzungen zumeist aus neutralen Nationen. AGM, Sección Corso y Presas, Leg. 5237. Nach: Ebd, S. 104. Die 1816 einsetzende portugiesische Invasion gegen die abtrünnige Provincia Oriental verschärfte die Lage nochmals, wenn auch mit Verzögerung, da Artigas nicht sofort auf Schiffe und Besatzung für den Korso zurückgreifen konnte. Ab 1817 wurde es zur Normalität, dass ,,aufständische“ Korsaren beide Flaggen nutzten, die Buenos Aires’ gegen Spanien und die Artigas’ gegen Portugal. Beraza: Los corsarios de Artigas, S. 15, 18f, 34f. Gámez Duarte: El desafio insurgente, S. 97, 290. Bei der 1813 erfolgten Zuteilung der Quarantäneankerplätze in Belém war Korsarenkontakt in der Kategorie ,,weniger verdächtig“/,,menos suspeita“ zusammen mit Herkünften aus dem Mittelmeer, dem spanischen Amerika, Cádiz oder nach Kontakt mit Kriegsschiffen. ,,Stark verdächtig“/,,De maior suspesta“ waren hingegen Schiffe aus Moria, Alexandria, Malta, Mahón, Gibraltar, Idra, La Spezia, Candia und allen anderen Inseln des griechischen Archipels. ANTT, Junta da Saude Pública, Maço 6, Officios Commandantes Quarentenas, 11.11.1813, Nr. 9. Der Kontakt hatte nahe Kap de Roca, in der Nachbarschaft von Lissabon stattgefunden. Zwei Tage später brachte dieses Korsarenschiff bereits das nächste auf, diesmal eine spanische Brigantine auf dem Weg nach Nordamerika. ANTT, Junta da Saude Pública, Maço 5, 1.2.1814, Nr. 13.

354

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

Kontakt mit algerischen Korsaren musste sie laut Anweisung der Junta den Hafen verlassen.200 Im ersten Beispiel ist ein weiteres, die Seuchenabwehr grundsätzlich herausforderndes Element gestreift: Von Korsaren überfallene Schiffe besaßen häufig keinerlei offiziellen Ausweisdokumente mehr. Damit passten sie in zweifacher Hinsicht nicht mehr in das Kategorisierungssystem der Verdachtsgruppierung hinein. Für die Ableistung der Isolationszeit kam für die Sanitätsadministration wie für die der Quarantäne Unterliegenden erschwerend hinzu, dass die Korsaren die geenterten Schiffe häufig als Beute einbehielten, als Folge die Gefangenen der requirierten Schiffe an Bord anderer setzten, die sie dann in den Hafen brachten. Infolge dessen musste auch das Gastschiff strikte Quarantäne durchlaufen, die sich aufgrund der Begleitumstände immer wieder als sehr schwierig gestaltete.201 Aufgrund dieser negativen Konsequenzen verwundert es nicht, dass die Kapitäne der von Korsaren besuchten Schiffe dieses Vorkommnis gern verschwiegen. Der Cádizer Junta war dieses Leugnen oder Verschweigen bewusst. Sie stand vor der unlösbaren Frage, wie man solches nachweisen und in Erfahrung bringen könne.202 Eine Lösung war nicht in Sicht, führte ,,nur“ zu einem leise köchelnden Generalverdacht der Behörde gegenüber einfahrenden Schiffen und deren Besatzung. Vor diesem Hintergrund wurde lokales Seuchenauftreten leicht mit vorangegangenem Schweigen in Verbindung gebracht. Der spanische Konsul in Lissabon führte in einem Schreiben an die Junta das Aufflammen des Gelbfiebers 1818 in Südspanien darauf zurück, dass galizische Schiffer den Kontakt mit Korsaren verheimlicht hatten, um nicht als gesperrt eingestuft zu werden.203 Doch auch die Korsaren selbst unterliefen die Identifikationsmechanismen der Seuchenabwehr. Sie wiesen sich mit gefälschten Papieren aus, die die Sanitätsschaluppe bei der Einfahrtsvisite sogar in Einzelfällen akzeptierte – und das Seuchenabwehrsystem damit nicht ins beste Licht rückte.204 Daneben verfügten sie über die gestohlenen Schiffspapiere, die natürlich zum Einsatz gelangen konnten. Zudem konnten sie auch visuell eine andere Identität 200

201

202 203 204

ANTT, Junta da Saude Pública, Maço 85, ohne Dat (1813–1817), ohne Nr. Da die Ölladung des Schiffes zu diesem Zeitpunkt eine Mangelware darstellte, wurde darum gebeten, diese ausladen zu können. Die Schiffsbesatzung hatte keinerlei Krankheits- oder gar Pestanzeichen. Das englische Schiff ,,Enterprise“ war von einem lateinamerikanischen Korsaren aufgebracht worden, ein Teil der aus Mehl bestehenden Ladung und die Lebensmittel genommen und dafür 23 Engländer, die von drei verschiedenen Schiffen stammten, an Bord gesetzt worden. Der Kapitän klagte gegenüber der Junta, dass man nicht mit 34 Personen auf so engem Raum die Quarantäne von 12 Tagen überstehen würde. ANTT, Junta da Saude Pública, Maço 10, 18.2.1815, Nr. 12. Derartige Klagen finden sich zuhauf. AHPC, Junta de Sanidad, Oficíos, L. 2985, 8.7.1817, ohne f. ANTT, Junta da Saude Pública, Maço 42, 20.8.1818, Nr. 23. Das zitierte Beispiel ereignete sich in Coruña. Gámez Duarte: El desafio insurgente, S. 443.

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

355

annehmen. Sie benutzten beispielsweise gestohlene Flaggen, um ihr ,,wahres“ Wesen zu verschleiern.205 Dem Kapitän der englischen ,,Ann“ kamen nachträglich Zweifel bezüglich des unter englischer Flagge fahrenden Schiffes, das sich bei ihm unterwegs nach Neuigkeiten aus Porto erkundigt hatte. Das Aussehen des Schiffes machte ihn stutzig, so dass er bei seiner Ankunft im Cádizer Hafen von diesem mutmaßlichen Korsarenschiff berichtete.206 Der von den Korsaren in Verortungskriterien an den Tag gelegte Pragmatismus erinnert in verstärkter Form an die beschriebenen Herangehensweisen der griechischen (und anderen) Handelsschiffe. Da sie sich jedoch außerhalb des Kontrollsystems aufhielten, wogen diese Übertretungen sehr viel schwerer. Trotz quantitativen Rückgangs waren es die nordafrikanischen Korsaren, die Furcht generierten und zu ihrem Sinnbild wurden. Die bloße Nachricht, dass die algerische Flotte 1817 Algier verlassen hatte, um gegen die Preußen und Hamburger zu segeln, löste in den iberischen Häfen größte Alarmbereitschaft aus.207 Die Kombination der Herkunft aus einem bekannten Pestort und die für Korsaren charakteristische Unkontrollierbarkeit steigerten die Befürchtungen, die fast hysterische Züge annahmen. Nach Einschätzung der portugiesischen Behörden bestand kein Zweifel, dass die algerische Flotte die Pest an Bord hatte.208 Ähnlich betrachteten die spanischen Behörden die Situation, man unternahm alles, um den grauenvollen Feind – der an dieser Stelle sowohl die Züge des Berbers wie auch der Pest trug – vom eigenen Territorium fernzuhalten. Alle Schiffsbewegungen sollten genauestens von der Marine beobachtet, Häfen notfalls vollständig geschlossen, Schiffer ver- und gewarnt werden.209 Der Kurs der Algerier wurde argwöhnisch verfolgt und detailliert berichtet. Doch nicht nur Flottenverbände erzeugten Seuchenangst, die Meldung eines englischen, aus London kommenden Schiffes, dass es bei Kap Vicente ein einzelnes wahrscheinlich algerisches Schiff gesichtet habe, reichte für die andalusische Junta in dieser höchst angespannten Situation, nun auch zehn Tage Quarantäne für Schiffe aus dem Atlantik zu verhängen.210 205 206 207 208

209

210

Ebd, S. 536. Diario Mercantil de Cádiz. 11.8.1818. ANTT, Junta da Saude Pública, Maço 86, Minutas, 18.7.1816, ohne Nr. Zu dem Zeitpunkt der Abfahrt der algerischen Schiffe herrschte in Algier die Pest, laut den Nachrichten der ausländischen Konsuln forderte die Seuche in der Stadt Ende September 1817 fünfzig Tote täglich. Edital. 30.10.1817. In: Collecção dos Regimentos, S. 176f. Nicht unwahrscheinlich ist, dass diese Korsaren diejenigen waren, die 1817 den englischen Kanal durchquerten – ohne mit Großbritannien in irgendwelche gearteten Feindseligkeiten zu geraten. Fisher: Barbary Legend. App. H, S. 323. Real órden comunicada por el ministro de Gracia y Justicia al Presidente del Consejo: se manda prevenir por los respectivos Ministerios á todas las Autoridades, cualquiera que sea su clase, concurran por todos los medios que les sea dado á evitar el peligro que á la humanidad y al Estado amenaza de resultas de la escuadra apestada que de Argel zarpó el 28 de Setiembre último con propósito al parecer de pasar el estrecho de Gibraltar (4.11.1817). In: Decretos del Rey Don Fernando VII, S. 557–559. AHPC, Junta de Sanidad, Oficios, L. 2985, 3.11.1817, ohne f.

356

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

Bloßes Hörensagen, vermeintliche Sichtungen und Gerüchte hatten auf einmal einen handfesten Niederschlag. Die Panik vor den frei das Meer kreuzenden verpesteten Berberkorsaren nahm auch nach dem Ende des Geschwaderausflugs 1817 nicht ab, sondern findet sich als Topos auch in den folgenden Jahren. 1820 warnte die Junta wiederum vor den algerischen Kaperfahrern, die in Flottenformation losgefahren seien, um Hamburger, Dänen und Spanier aufzubringen.211 Noch 1826 veröffentlichte die Cádizer Presse die Warnung des Marseiller Sanitätsbüros, dass eine algerische Flotte gegen die spanische Küste losgesegelt sei. Besonderes Augenmerk der Nachricht lag dabei auf Schiffen, die mit ihnen in Kontakt kommen könnten. Diese müssten zwingend in Quarantäne, da die Berberkorsaren mit allen Nationen in Berührung ständen.212 In dieser Information kann ein Nachhall des Pestbezuges gesehen werden, auch wenn diese im maghrebinischen Bereich abgeklungen war. In jedem Fall waren die Korsaren aufgrund ihrer Unkontrollierbarkeit und freien Kommunikation aus seuchenabwehrender Perspektive grundsätzlich aufs höchste suspekt. Wenn noch ein konkreter Anlass eines Seuchenausbruchs hinzukam, mutierten sie zur Personifizierung der Angst. Verdeutlicht wird dieser Zusammenhang auch durch die Tatsache, dass der Verweis auf die Korsarengefahr zu Ausnahmeregelungen von den eigentlich strikten Sanitätsregeln führen konnte. Der englische Vizekonsul erreichte für ein Schiff seiner Nation, dass dieses ausnahmsweise bei Nacht den Hafen verlassen durfte mit dem Verweis, dass es sonst mit großer Wahrscheinlichkeit von Korsaren ausgeraubt würde.213 Korsaren bzw. Piraten, Schiffbrüchige und Leichen, die verschiedene Gefahren des Lebens auf und mit dem Meer verkörperten, eint, dass sie in ihrer freien Beweglichkeit und Unkontrollierbarkeit die klaren Grenzziehungen des Quarantänesystems unterliefen und damit in Frage stellten. Sie können als Verkörperungen des grenzenlosen und furchteinflößenden Meeres betrachtet werden.214 Zugleich demonstrierten sie die Endlichkeiten der Vorstellung, die Seuche draußen halten zu können. Sie stehen für Austausch – und mussten deshalb mit großem Argwohn betrachtet und behandelt werden. Dieser Blick dehnte sich auch auf die tatsächlich oder möglicherweise mit ihnen in Kontakt gekommenen Menschen und Schiffe aus. Diese drei, sich frei bewegenden Gruppen waren die tatsächlichen Fremden und mit dem System grundlegend inkompatibel, auch wenn versucht wurde, sie begrenzt in dieses zu integrieren.

211 212 213 214

AHPC, Junta de Sanidad, Ordenes, L. 2969, f. 154 (1820). Diario Mercantil de Cádiz. 14.7.1826. Nach: Gámez Duarte: El desafio insurgente, S. 98. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 143, 7.4.1820, ohne Nr. Das Meer war noch längst nicht als romantisierter und erholsamer Ort wahrgenommen, sondern hatte noch die frühneuzeitliche Konnotation als nicht fassbarer, furchteinflößender Bereich. Richter: Das Meer.

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

357

Der afrikanische Hort der Seuche: Mauren im Zentrum des Verdachts

Die nordafrikanischen Nachbarn waren, wenn nicht als Korsaren, so doch vor allem als Passagiere auf einlaufenden Schiffen und in einem geringeren Maß auch als kleine Diasporagemeinschaften in den Städten Lissabon und Cádiz sicht- und spürbar. Die maghrebinische zivile Schifffahrt war abseits der kurzen Blütezeit während der Napoleonischen Kriege traditionell eine marginale, berührte die iberischen Häfen nur selten.215 Deshalb waren Nordafrikaner für die Sanitätsbehörden vor allem als Passagiere auf europäischen Schiffen zu finden. Zugleich wandelte sich der Verdachtsfokus und richtete sich neben der bereits angesprochenen räumlichen Herkunft der Schiffe verstärkt auf Personen, die den Maghreb verkörperten und ins Land brachten, und im geringeren Maß als zuvor auf Objekte.216 Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war der Umgang mit den nur vereinzelt landenden Mauren zwar nicht unbedingt ein herzlicher, jedoch ein halbwegs pragmatischer. Menschen aus dem Maghreb waren noch nicht deckungsgleich mit ihrem geographischen Herkunftsraum gleichgesetzt, wenn ihnen 215

216

Die frühneuzeitliche maghrebinische Schifffahrt war vor allem eine militärische, worunter an dieser Stelle auch die Korsaren gezählt werden. Durch die europäische Gesetzgebung, die Inquisition und den Malteser Orden waren die europäischen Häfen noch im 18. Jahrhundert für maghrebinische Handelsfahrt verschlossen. Diese Abschottung hatte eine deutlich ökonomische Seite, die damit der ,,christlichen“ Seefahrt unliebsame Konkurrenten vom Hals hielt und den maghrebinischen Raum als Einsatzgebiet öffnete. Valensi: Le Maghreb, S. 62–64. Aus Sicherheits- wie schlichten Angebotsgründen bestiegen Kaufleute und Pilger aus den Regentschaften für Reisen in die Levante europäische, insbesondere südfranzösische Schiffe. Windler: La Diplomatie, S. 17. Panzac beschreibt die Phase zwischen 1815 und 1818 als Periode größten Umbruchs für den osmanischen Maghreb. Resultat war, dass das erste Mal in 300 Jahren die See für maghrebinische Nutzung gesperrt war. Diese Sperrung hatte natürlich ihre schwelende Vorgeschichte. Die von ihm für die französischen Mittelmeerhäfen konstatierte unversöhnliche Feindseligkeit gegenüber nordafrikanischen Händlern vor 1815 ist in einem geringeren Maß auch für die iberischen Häfen anzunehmen. Nachdem die europäischen Meere befriedet waren, entledigte man sich der neuen unliebsamen maghrebinischen Konkurrenten. Panzac: Barbary Corsairs, S. 262, 331. Maghrebinische Schiffe finden sich noch bis in die 1830er, wenn auch in kleiner Zahl, im nordafrikanischen Bereich für den Pilgertransport von und gen Mekka – der zum größten Teil jedoch von europäischen Schiffen bedient wurde. Jean-Louis Miège zählt für den Transport marokkanischer Pilger sowohl einheimische als auch tunesische, algerische und Schiffe aus Tripolis auf. Miège: Le Maroc, S. 155. Fn. 4. Problematisch für die Bearbeitung ist weiterhin, dass die Bewohner der einzelnen Regentschaften zumeist simplifizierend, vielleicht sogar stereotypisierend als mo(u)ros, Mauren, oder immerhin als berberiscos, also Berber, bezeichnet werden. Da die dem osmanischen Kerngebiet zuzuordnenden Mauren im iberischen Gebiet nur vereinzelt vertreten waren, kann an dieser Stelle der Begriff Maure als Äquivalent für Maghrebiner verstanden werden. Wenn genauere geographische Eingrenzungen der Nordafrikaner erfolgten, waren diese zumeist Selbstbeschreibungen in Cádizer Bittschriften und weisen auf eine marokkanische Dominanz hin.

358

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

auch aufgrund ihres religiösen Fatalismus im Bezug auf Seuchen und ihrem verstockten Unwissen nicht ganz zu trauen war.217 Quarantänezeiten wurden für Schiffe, die aus diesen Bereichen stammten oder aus ihnen abgefahren waren, und alle auf ihnen fahrenden Personen erlassen. Die Passagiere unterschied man untereinander nicht nochmals nach spezifischen Zugehörigkeiten; Europäer und Nordafrikaner aus verdächtigen Häfen ereilte dieselbe Isolationswertung. In Cádiz war eine drei- bis zwölftägige Frist für die Berberia normal, die je nach aktuellen Ereignissen verändert und angepasst wurde.218 Maghrebinische Schiffe waren in diesem traditionellen System und seinen Praxen jedoch mit mehr Verdacht und Argwohn besetzt als Schiffe unter europäischer Flagge, da die Sanitätsbehörden den nordafrikanischen Häfen keinerlei Sanitätsbewusstsein oder koordinierte Aktivität zutraute. Maghrebininische Schiffe mussten sich zusätzlich durch Zertifikate der spanischen Konsuln legitimieren.219 Auch zählte für maurische Schiffe im Gegensatz zu europäischen nicht, ob sie bereits Kontakt zu anderen (iberischen) Häfen gehabt hatten: Das marokkanische Schiff ,,Malbrue“ musste, obwohl schon in Almería und Algeciras gelandet und in letzterem Hafen bereits acht Tage Quarantäne absolviert, noch weitere zwölf Quarantänetage in Cádiz ableisten. Grund für diese Entscheidung war einmal mehr die nordafrikanische Herkunft.220 Probleme ergaben sich in diesem klassischen Modell für Personen mit maurischen Provenienzen eher aus religiösen Zugehörigkeiten, die den normalen Quarantäneablauf behinderten und erschwerten. Das 1806 aus Tetuan kommende und nach Lissabon weiterfahrende Schiff ,,Buen Jesus de Famo“ musste eigentlich nur drei Tage Beobachtung in Cádiz ableisten, Probleme entstanden durch die beiden jüdischen Passagiere, die aufgrund der ausbleibenden Visite der Inquisitionsvertreter auf dem Schiff festsaßen. Deshalb war es für das gesamte Schiff nur aufgrund des Einmischens der Junta möglich, wieder abzufahren.221 Mit dem allmählichen Nahen der Pest rückten zunächst die reisenden, 217

218 219 220 221

Die europäischen Konsuln in Tanger hielten die Marokkaner 1814 für inkompetent im Bereich der Seuchenabwehr. IHMB Barcelona, FS, I, 29, f.9. Nach Corrales: Comercio de Cataluña, S. 137. 1815 waren es beispielsweise zehn Tage, die für diesen geographischen Bereich abzuleisten waren. AHPC, Junta de Sanidad, Ordenes, L. 2964, 7.2.1815, f. 1. AHPC, Junta de Sanidad, Correspondencia, L. 2995, 21.12.1813, f 8. AHPC, Junta de Sanidad, Actas Municipales, L. 2938, 2.9.1812, ohne f. AHPC, Junta de Sanidad, Actas Municipales, L. 2934, 10.5.1806, ohne f. Eigentlich hätten die Inquisitionsbeamten die Sanitätsbeamten bei ihrer Visite begleiten sollen – tauchten aber nicht auf. Die Besatzung wie Ladung hatte nach den drei Tagen Bewegungsfreiheit zugesprochen bekommen. Nur die jüdischen Passagiere hingen an Bord fest. Vielleicht war das der Grund, warum der in Tanger ansässige marokkanische Jude Ysak Habrahàn seine Geschäfte auf spanischem Boden lieber durch einen spanischen Mittelsmann erledigen ließ. AHPC, Junta de Sanidad, Correspondencia, L. 2995, f. 425 (1814).

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

359

mit Nordafrika in Verbindung gebrachten Personen als Vertreter des Raums ins Blickfeld des Verdachts. Die unbekannten und zudem noch mobilen maurischen Fremden wurden als generalisierte Seuchenüberträger wahrgenommen. Weitaus schlimmer traf es zuerst die levantinischen Muslime. Die 1812 an die Provinzjuntas erteilte Warnung vor einigen Individuen aus diesem Bereich veranlasste Cádiz zu beteuern, dass in ihrem Zuständigkeitsbereich die Regeln derart strikt eingehalten würden, dass keiner durchschlüpfen könne. Zur Untermauerung ihres Pflichtbewusstseins erkundigte sich die örtliche Junta zugleich nach besonderen äußerlichen Merkmalen und den Namen dieser Übeltäter.222 Der bereits erwähnte portugiesische Erlass von 1814 hatte massive Auswirkungen für maurische Reisende. Schiffe aus nordafrikanischen Häfen durften ausschließlich im Hafen von Lissabon anlanden. Dort durften sie nur unverdächtige Waren ausladen, während das Schiff und seine etwaigen Passagiere nicht zuzulassen, sondern nach kurzer Verweildauer wieder wegzuschicken waren.223 Diese Bestimmung wurde in den folgenden Monaten einigen maurischen Reisenden zum Verhängnis, die zwar auf portugiesischen Schiffen fuhren, nun aber vom Zugang ausgesperrt waren. Bei Setúbal lag Mitte Oktober 1814 die in Salé abgefahrene portugiesische ,,Soledade e Flor de Portugal“ mit Strohkörben und sechs marokkanischen Passagieren, denen die Ladung gehörte, vor Anker.224 Aufgrund der neu gesetzten Ausschließlichkeit Lissabons hatten sie im Setúbaler Hafen nichts zu suchen. Sie standen unter strengster Bewachung und wurden schließlich in Inkommunikation nach Lissabon weitergeschickt.225 Die marokkanischen Besitzer der Körbe konnten sich aber auch nach der Überfahrt nach Belém ihres Landgangs nicht sicher sein. Wenige Tage zuvor baten die seit über einem Monat in strikter Isolation auf ihrem portugiesischen Schiff festsitzenden marokkanischen Kaufleute, dass man sie in das Lazarett von Trafaria lasse, wo sie gern die zwei oder drei Tage der Seuchenprobe ablegen wollten – um danach ihre Bewegungsfreiheit zurück zu erhalten. Da sie aus Salé kämen und ganz Marokko seuchenfrei sei, sie sich zudem seit 44 Tagen in Isolation befänden und sich alle der besten Gesundheit erfreuen würden, sei der Beweis erbracht, dass sie keine (wandelnden) Seuchenträger seien.226 222 223 224

225 226

AHPC, Junta de Sanidad, L. 2938, 24.10.1812, ohne f. Edital. 20.7.1814. In: Collecçào dos Regimentos, S. 153f. Salé ist die am anderen Flussufer gelegene Zwillingsstadt von Rabat, die mit ihr zusammen die oligarchische Republik Bou-Regreg bildete und einer der Haupthäfen der marokkanischen Korsaren war. 1818 brach die Republik zusammen, was die Piraterie aber nicht vollkommen zum Erliegen brachte. Zugleich war Salé auch wichtiger ,,ziviler“ Hafen, der immer wieder als Herkunftsort in den Quellen auftaucht. ANTT, Junta da Saude Pública, Maço 89, 14.10.1814, ohne Nr. Die marokkanischen Kaufleute waren mit der portugiesischen “Legeira” unterwegs. Das Schiff hatte Salé 54 Tagen zuvor verlassen. Sie hatten nur ein wenig Wachs und Kautschuk an Bord, also auch keine verdächtigen Waren. ANTT, Junta da Saude Pública, Maço 78, 14.10.1814, ohne Nr.

360

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

Die sich entlang der levantinischen und ägyptischen Küste ausbreitende Pest brachte die möglichen menschlichen Seuchenträger immer mehr in den Blick der Sanitätsbehörden. Zunächst blieb der Fokus jedoch auf den ankommenden Mauren. Bereits im Juli 1817 war in spanischen Häfen der Einlass von Personen und Schiffen aus Afrika generell verboten worden.227 Portugal erließ ein solches generelles Kontaktverbot ein Jahr darauf. 1818 erklärte die Junta alle marokkanischen Häfen, einschließlich derjenigen des Königreiches von Fez, die zuvor noch einen Sonderstatus innegehabt hatten, als verseucht und damit gesperrt. Somit waren alle aus dem maghrebinischen Bereich stammenden Schiffe, Menschen, Waren und Tiere betroffen.228 Zugleich waren Personen zu sich fortbewegenden Seuchenherden erster Güte geworden, eine Gefährdung, die zuvor vor allem Objekten zugeschrieben war. Die Pest symbolisierte die Grenze und Verletzlichkeit des sozialen Körpers. Sie zog eine beginnende absolute Differenzsetzung zwischen dem Eigenen und dem gefährlichen Fremden mit sich.229 Dieser Wahrnehmungswandel hatte auch massive Auswirkungen auf die ansässigen Diasporagemeinden. Seuchenverdacht wurde nicht allein mit Mobilen in Verbindung gebracht. Auch vertraute Fremde, deren Herkunft im maghrebinischen Verdachtsraum verortet war, gerieten in den argwöhnischen Fokus der Aufmerksamkeit. Vor allem in Cádiz änderte sich der Umgang mit der bestehenden Maurengemeinde.230 Die Mauren, die sich mehrheitlich als Händler betätigten, verkauften unter anderem auch maghrebinische Waren. Angesichts der Pestausbreitung auf der anderen Seite der Meerenge zweifel227

228

229

230

Auch die unter eigener Flagge fahrenden Schiffe sollten daran gehindert werden, weiter den afrikanischen Kontinent anzulaufen und das Unheil möglicherweise derart zu verbreiten. AHPC, Junta de Sanidad, Ordenes, L. 2969, f. 3 (1820). Häfen des osmanischen Reichs wurden zumindest theoretisch ebenfalls von den spanischen Behörden gesperrt – im Gegensatz zu Portugal, wo die diesbezüglichen Verordnungen für die “Türkei” nicht derart rigoros waren. ANTT, Junta da Saude Pública, Maço. 85, ohne Dat., ohne Nr. Interessanterweise lässt sich der genaue Wortlaut, ,,delles provenientes“, also aus diesen Bereichen kommend oder herstammend, mehrdeutig lesen und lässt Spielraum, ob alle aus diesen Häfen Abgefahrenen oder tatsächlich von dort Stammenden gemeint waren. In der folgenden Praxis scheint die Auslegung der zweiten Variante durch. Diario Mercantil de Cádiz. 23.8.1818; AHPC, Junta de Sanidad, Ordenes, L. 2966. 24.7.1818, ohne f. Der dialektische Austausch, der mit dem mit Imaginationen behafteten fremden Gegenbild besteht, der die Fremdheit ebenso wahrt wie negiert, begann sich zögerlich in Richtung der vollkommenen Differenzsetzung zwischen dem Eigenen und dem (zu) kolonialisierenden Fremden zu verschieben. Macho bezeichnet dies anschaulich als Verschlingung des Fremden. Macho: Todesmetaphern, S. 285–290, 331. Es ist gut möglich, dass diese Gemeinschaft aus den von Valensi zitierten marokkanischen Juden, die in Cádiz wie auch Gibraltar lebten, bestand. Allerdings verwundert an dieser Stelle, dass sie nicht als solche wahrgenommen und beschrieben wurden, diese Klassifizierung nahm die Junta an anderer Stelle durchaus vor. Valensi: Le Maghreb, S. 18. Der von ihnen durchgeführte Handel mit marokkanischen Pantoffeln verweist in jedem Fall auf diese räumliche Herkunft.

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

361

ten 1818 die Stadtbehörden an, dass die maurischen Händler alle in ihrem Besitz befindlichen Warenbestände bereits vor dem Seuchenausbruch eingeführt hatten. Ihnen wurde Betrug und Schmuggel unterstellt. Damit in Zukunft derartige (unterstellte) Machenschaften unmöglich waren, mussten sie eine detaillierte Liste aller zum Zeitpunkt der Anordnung in ihrem Besitz befindlichen Waren und Objekte erstellen.231 Bei diesem vereinzelten Misstrauensausbruch blieb es nicht. Auf einer, nur Tage später stattfindenden Extrasitzung wurde der Cádizer Maurengemeinde geheime Korrespondenzaktivitäten mit ihren Heimaten unterstellt. Merkwürdigerweise wusste man zugleich genau, dass sie ihre Korrespondenz alle acht Tage nach Afrika übermittelten. So geheim war die Existenz dieser Briefkontakte demnach in keiner Weise. Um diese Korrespondenz und grundsätzlich jeden Kontakt zu unterbinden, fasste der Stadtrat den Beschluss, die ansässigen Mauren nicht mehr aus der Stadt heraus zu lassen. Auswärtigen Mauren verbot man im Umkehrschluss den Zutritt zur Stadt.232 Die ob ihrer Herkunft und eventuellen familiären oder sozialen Bindungen als nicht vertrauenswürdig und zudem seuchenverdächtig betrachteten Nordafrikaner wurden in ihrer Bewegungsfreiheit massiv beschränkt. Diese erzwungene Unbeweglichkeit machte sie erst handhabbar, ermöglichte ihren grundsätzlichen oder vorläufigen Verbleib in der Stadt und ließ die in ihnen vermutete Gefährdung schwinden. Scheidelinie des Verdachts stellte die Stadtmauer dar. Dennoch waren die Cádizer Mauren damit verdachtbehafteter als zuvor – wenn auch in geringerem Maß als ihre unbekannten, durchreisenden Landsgenossen. Da man die höchst bewegliche Seuche, die Verkörperung der angsteinflößenden alien world, nicht stoppen oder beherrschen konnte, suchte man sich Stellvertreter, die in Reichweite waren und denen die Verantwortung, wenn nicht gar Schuld zugesprochen werden konnte. Damit war das bedrohliche Unverständliche auf gewisse Weise domestiziert und konnte in seiner Bewegung stellvertretend als gebremst oder gar aufgehalten imaginiert werden.233 231

232

233

Der Großteil der maghrebinischen Händler, die vor allem im Detailhandel ihr Betätigungsfeld hatten, hatten ihre Verkaufsstände am Eingang der Calle Nuevo. Die anzufertigenden Listen, die auch Früchte und ähnliches verderbliches Gut zu enthalten hatten, mussten sie bei den Polizeikommissaren ihrer Viertel abliefern. Wer gegen diese Anweisung der Katalogisierung aller Besitztümer zuwiderhandelte, hatte harte Bestrafung zu erwarten. Das mögliche Spektrum der Sanktionen beinhaltete auch den Stadtverweis. AHPC, Junta de Sanidad, Oficios, L. 2986, 8.7.1818, ohne f. Natürlich findet sich für jede Regel eine Ausnahme, in diesem Fall die ausdrückliche Erlaubnis des Vorsitzenden der Sanitäts-Junta. AHPC, Junta de Sanidad, Oficios, L. 2986, 12.7.1818, ohne f; Ebd., 18.8.1818. Auf den genuinen Zusammenhang zwischen Angst und Schuld für die westlichen, christlich geprägten Gesellschaften verweist Elemér Hankiss. Seuchen sind eine Verkörperung des unsagbaren Bösen, das über angsteindämmende, neben den handfesten ,,realen“ vor allem auch symbolisch agierende Mechanismen der Zentralisierung, Rationalisierung und Sinnstiftung menschlicher Existenz ertragbar gemacht wurde. Schuldzuweisung und Stigmatisierung sind als sehr traditionelle Umgangsmechanis-

362

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

Die erzwungene Unbeweglichkeit, die auf die Stadtgrenzen fokussierte, wurde unmittelbar nach der Sitzung durchgesetzt. Bereits einen Monat später findet sich die Bitte eines in Cádiz ansässigen Mauren, einen Spanier mit der Abholung seines Gepäcks im benachbarten San Lucar beauftragen zu dürfen, da er die Stadt nicht verlassen konnte.234 Gleichzeitig versuchten die betroffenen Maghrebiner naturgemäß, diese Regelung auf klandestine Weise zu um- und hintergehen. Die Tore der Stadt waren nicht vollständig undurchlässig. Der Maure Alburay hatte sich heimlich in die Stadt eingeschlichen. Die Junta erfuhr nachträglich von seiner Präsenz und fahndete nach ihm.235 Inwieweit der jugendliche, namenlose Maure, der bei seinem Besuch in Cádiz an Gelbfieber erkrankte und verstarb, als heimlicher Besucher zu betrachten ist, bleibt offen. Nach einer augenscheinlichen Selbstanzeige seiner Gastgeber wurde er ins städtische Hospital de Dios eingeliefert. Seine Erkrankung markierte den Beginn eines neuen Gelbfieberauftretens in der Stadt.236 Auch auf dem offiziellen Weg boten sich nach der Phase erster Hysterie und Panik Schlupflöcher. Der in Cádiz ansässige Maure Mohamet Camarada bat im Frühjahr 1819 um die Gestattung des freien Ein- und Austritts in der Stadt. Dieses Ansinnen verlief natürlich vollständig konträr zu dem im vorangegangenen Sommer gefassten Beschluss, die maurische Bewegungsfreiheit und damit möglichen Schmuggel mit afrikanischen Häfen zu unterbinden.237 Ihm wurde dennoch stattgegeben und die Auflage erteilt, dass er sich mit einem Bürgerausweis, der eine genaue Beschreibung seiner Person enthielt und den er beständig bei sich zu tragen hatte, gegenüber den Stadttorwachen wie in allen weiteren Kontrollen zu identifizieren hatte. Unter direkter Berufung auf diesen Fall erlangte ein zweiter Cádizer Maure ebenfalls Bewegungsfreiheit. In seinem Fall wurde die Kontrolle seiner Bewegungen und Wege nochmals detaillierter ausgeführt. Jamete Luguras musste sich mit seinem Reisepass an jedem Ort seiner Reise polizeilich melden und seinen Aufenthalt wie dessen Dauer bestätigen lassen.238 Damit

234 235 236

237 238

men mit diesem fürchterlichen Komplex anzusehen. Hankiss: Fears and symbols, insb. S. 91, 139, 166, 276–281. AHPC, Junta de Sanidad, Oficios, L. 2986, 18.8.1818, ohne f. AHPC, Junta de Sanidad, Ordenes, L. 2966, 6.9. 1818, ohne f. Er war geschätzt 15 oder 16 Jahre alt. Seine Aufnahme in dieses Hospital verweist zugleich darauf, dass die institutionelle Krankenbetreuung nach wie vor auch für diese Nichtchristen und angeblichen Pestträger griff. AHPC, Junta de Sanidad, Ordenes, L. 2969, f. 187 (1820). AHPC, Junta de Sanidad, Oficios, L.2987, 11.3.1819, ohne f. So ersterer für die mitgeführten Waren keine zulässige Herkunft per Dokument vorweisen konnte, sollte mit ihnen gemäß den sanitären Vorsichtsmaßnahmen verfahren werden – also isoliert, desinfiziert, eventuell auch vernichtet. AHPC, Junta de Sanidad, Oficios, L. 2987, 23.3.1819, ohne f. Sein Vorgänger unterlag denselben Bestimmungen. Absurderweise wusste die Junta Anfang 1821 nicht mehr, wie die Geschichte des Passes von Mohamet Camarada ausgegangen war, ob er immer noch über diesen verfügte oder er ihm inzwischen entzogen worden war. An dieser Stelle ist wahrscheinlich, dass

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

363

konnte die an und für sich gefährliche Bewegung im Raum zumindest der Theorie nach kontrolliert und in regelbaren Dimensionen verortet werden. Solche Ausnahmen für einzelne Mitglieder der maurischen Gemeinschaft lösten jedoch nicht den generellen Verdachtsbestand auf. 1819 ordnete der Stadtrat eine erneute Untersuchung der maurischen Waren an, Begründung war eine wahrgenommene wundersame Vermehrung der Pantoffelbestände.239 Inwieweit dahinter ein tatsächlicher klandestiner Handel existierte, ist nicht nachzuvollziehen. Die Möglichkeit bestand in jedem Fall. Schmuggel in Südspanien – insbesondere über die Enklave Gibraltar – war eine nicht zu unterschätzende wirtschaftliche Größe, durch die krisenhafte Notsituation nochmals angeheizt und allgemein zur Kultur der Grenze gehörend. Es würde verwundern, wenn diese Verdienstmöglichkeit den maurischen Händlern nicht zumindest in den Sinn gekommen wäre.240 Die klassische Grenze der Stadtmauer wurde im Notfall der Seuchenbedrohung verstärkt, auf ihre Trennungsfunktion von Wirklichkeiten zurückgegriffen, versucht, Kontakte zu verunmöglichen. Die weitergefasste Grenze des eigenen Territoriums war gleichfalls Ansatzpunkt des Einschließungsmechanismus’. Mit ,,fremden“, sich im Raum bewegenden Mauren war der Umgang ein weitaus strikterer als mit den in Cádiz Ansässigen. Die fremden, mobilen Mauren kamen vor allem auf Schiffen. Auf diesen Routen ruhte in Folge die größere Aufmerksamkeit, auch wenn der Landweg natürlich nicht vernachlässigt wurde. 1818 fuhr ein spanisches Schiff mit drei Mauren und deren Gepäck im Hafen von Cádiz ein. Ihre Pässe besagten, dass sie aus Lissabon kamen. Zuerst war man verunsichert, wie man mit diesen Individuen umzugehen hatte, die nicht direkt aus Afrika kamen, denen aufgrund ihrer räumlichen Zuordnung der Zutritt jedoch verboten worden war. Man beschloss, dass

239 240

die politischen Wirren diese Information geschluckt hatten. AHPC, Junta de Sanidad, Oficios, L 2988, 27.1.1821, ohne f. Die Abzeichnung von Ausweisdokumenten – und damit verbundene Kontrolle und Überwachung – war schon zuvor Grundvoraussetzung der ,,maurischen“ Bewegung. Aus diesem Grund wurde kurz nach dem Beschluss ein aus Malaga über Land nach San Fernando kommender Maure nicht in Cádiz eingelassen, weil er versäumt hatte, seinen Pass in allen Zwischenstationen gegenzeichnen zu lassen. AHPC, Junta de Sanidad, Ordenes, L 2966, 25.8. 1818, ohne f. AHPC, Junta de Sanidad Oficios, L. 2987, 5.7.1819, ohne f. Schmuggel als Phänomen ist dem Grenzraum immanent. Vor allem in Notzeiten hat Schmuggel häufig eine enge Bindung zu sozialem Rebellentum, ist daneben aber immer auch von wirtschaftlicher Überlegung geprägt, Teil des Alltags. Roland Girtler verweist darauf, dass es beim Schmuggel selten ein subjektives Unrechtsbewusstsein gibt. Girtler: Abenteuer Grenze, S. 186, 183, 225. Der Schmuggel zwischen Gibraltar und dem spanischen Umland war zu Beginn des 19. Jahrhunderts sehr hoch. Dabei handelte es sich vor allem um englische Textilien, aber auch Tabak. Für die Periode des zweiten liberalen Intermezzos 1820–23 betrug das Schmuggelaufkommen 400–500 % des offiziellen britischen Exporthandels mit Spanien. Bernecker: Sozialgeschichte Spaniens; Ringrose: Spain, S. 124.

364

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

es im Hinblick auf die aktuelle Normgebung angebracht sei, die fremden Mauren nicht einzulassen, da die ,,eigenen“ Mauren bereits in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt waren. Das Schiff und seine Passagiere sollten den Hafen unverzüglich verlassen. Die Junta verbot ihnen ein Wiederkommen ausdrücklich.241 Einen Monat später traf dieselbe Entscheidung einen weiteren auf einem portugiesischen Schiff aus Lissabon reisenden Mauren. Die Sanitätsbehörde verweigerte auch diesem Schiff aufgrund der Anwesenheit eines nordafrikanischen Passagiers die Einfahrt.242 Ihre kollektive wie einzelne Identität war mit der räumlichen Scholle ihrer Herkunft (vielleicht auch nur der ihrer Vorfahren) verknüpft, und zum Ausschlusskriterium geworden. Das Wissen um die Unmöglichkeit einer vollständigen Überwachung der Hafenbereiche vergrößerte das Misstrauen gegenüber den fremden Mauren nochmals. Ereignisse wie ein maurisches Schiff, das nachts heimlich versuchte, in Cádiz vor Anker zu gehen und nur durch glückliche Umstände vom Sanitätswachschiff entdeckt wurde, veranschaulichte die Brüchigkeit der Trennung. Man zwang es am nächsten Tag zum Wegfahren. Doch wussten die Verantwortlichen selbst, dass es durchaus Kommunikation mit anderen Schiffen oder Ansässigen hätte haben können, wenn das Glück nicht auf ihrer Seite gewesen wäre.243 Auch vermeintliche durch Dokumente vermittelte Eindeutigkeit half den beweglichen Mauren von außerhalb nicht, die Stadtmauer dauerhaft zu überwinden. Absalom Beringuera gestatteten die städtischen Entscheidungsträger trotz des Nachweises, dass er sich während der entscheidenden Periode der Seuche an keinem infizierten Ort aufgehalten habe, nicht, sich in der Stadt Cádiz anzusiedeln.244 In seinem Begehren um Niederlassung stellte er nicht nur die Bewegungsfokussierung des Verdachts auf die Probe, er führte zugleich das dauerhafte Moment des Zuzugs ins Feld, das grundlegende Akzeptanz seiner Person als Nachbar und Stadtbewohner beinhaltet hätte. Kein Wunder, dass sein Antrag keine Bewilligung fand. Ein vorübergehender Besuch war den verdächtigen fremden Mauren zwar mit besonderer personenbezogener Erlaubnis ab 1820 durchaus wieder möglich, ein Niederlassen jedoch nicht unbedingt. Personen mit gehobenem Ansehen und internationaler Anerkennung wurden ebenso vom beweglichen Verdacht befallen. Dem Schiff, das einen osmanischen Diplomaten, Tamete Agurey, an die nordafrikanische Küste bringen sollte, wurde kurz nach einem erneuten – dem letzten dieser Seuchenwelle – Pestaufflackern massive Auflagen gemacht, die schon die Vermutung mut241 242 243

244

AHPC, Junta de Sanidad, Oficios, L. 2986, 18. 8.1820, ohne f.; Ebd., 20.8.1818. AHPC, Junta de Sanidad, Oficios, L. 2986, 20.9.1818, ohne f. Das Schiff kam wahrscheinlich aus Gibraltar. Es hatte laut Sanitätsbericht nur Kontakt mit den Sanitätsbeamten und nur über die Entfernung von 50 Ellen gehabt. AHPC, Junta de Sanidad, Ordenes, L. 2966, 10.6.1818, ohne f. AHPC, Junta de Sanidad, Oficios, L. 2987, 29.5.1819, ohne f.

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

365

williger Schikane zulassen, obwohl ein Diplomat eigentlich eine andere Art der Wertschätzung und Behandlung hätte erwarten können.245 Hoher sozialer Status konnte für die als Mauren gefassten Personen diskriminierende Behandlung aufgrund von Seuchenverdacht nicht aushebeln. Die Sanitätsbehörden unterschieden weiterhin sehr klar zwischen den nordafrikanischen Nachbarn und den ebenfalls als Osmanen gezählten griechischen Getreidetransporteuren.246 Sie hatten für letztere gewohnheitsrechtliche Regelungen entwickelt, die es ihnen ermöglichten, die Isolation der Quarantäne zu verlassen und ihre Geschäfte trotz offiziellem Bann in den Städten abzuwickeln. Dabei handelte es sich insbesondere um die sogenannte 24-Stundenregelung.247 Dabei konnte der Kapitän (der häufig zugleich Miteigentümer oder zumindest Kommissionär der Ladung war) für sich und ein oder zwei Besatzungsmitglieder um Lazarettgang vom Schiff ersuchen. Nach 24stündigem Aufenthalt im Lazarett und Desinfektion wurden sie für sauber erklärt und konnten anschließend in der Stadt frei ihren geschäftlichen Belangen nachgehen.248 Das Schiff selbst verblieb in der Inkommunikation. Diese Regelung stellte sich als pragmatischer Umgangsmodus mit der Sperrung der Pestgebiete und den grenzgängerischen Griechen heraus. Dieser Bestimmung waren sich ihre Träger derart sicher, dass sie unter Verweis auf diese, teilweise bereits 24 Stunden nach Ankunft im Hafengebiet, wirtschaftliche Benachteiligung beanstandeten und beanspruchten, wie andere, aus dem (engeren) Mittelmeer kommende Schiffe behandelt zu werden.249 Der Raum war als Charakterisierungsmerkmal hervorgetreten und begann sich als Differenzierungs- und Identifizierungskriterium neben die Religion zu stellen. Die iberischen Behörden begannen, Mauren mit dem afrikanischen Kontinent gleichzusetzen. Zugleich beinhaltete die verstärkte Raumfokussierung und der Ausschluss räumlich ermittelter Herkünfte, die letztlich bereits über die genealogische Abstammung liefen, dass der eigene, 245

246

247

248

249

AHPC, Junta de Sanidad, Oficios, L. 2988, 2.5.1822, ohne f. Einen Monat zuvor, am 1.4.1822, waren alle Sperrmaßnahmen gegen die afrikanische Küste wieder in Kraft getreten. Die zwischenzeitliche Lockerung vor allem gegenüber Schiffen wurde wieder vollständig zurück genommen und jeder Kontakt offiziell gesperrt. Dieses Verbot galt sowohl für nationale wie ausländische Schiffe. Andere dem östlichen Bereich des Osmanischen Reichs – ab Ägypten – zuzuordnende Mauren oder Türken waren in den iberischen Häfen nur vereinzelt anzutreffen. Diese Unterscheidung tritt vor allem in der portugiesischen Praxis deutlich zu Tage. Deshalb wird an dieser Stelle zur Beleuchtung der Grundstrukturen auf diese verwiesen. Diese galt neben den osmanischen, auch für die unter russischer Flagge fahrenden Getreideschiffe. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 78, 1.4.1817, ohne Nr.; Ebd., 2.4.1817; Ebd., 9.1.1819. Der Kapitän war meist zugleich der Administrator des Schiffes. Deshalb musste er an Land die Geschäfte mit der Ladung vorbereiten, abwickeln und sich um die neue Beladung und den weiteren Tourverlauf kümmern. Beispielhaft ANTT, Minísterio dos Negócios Estrangeiros, Legação Russia, Caixa 508, 3.7.1807, ohne Nr.

366

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

schützenswerte Raum in seiner Zentralität bestätigt und bestärkt wurde.250 Den bekannten Mauren betrachtete man noch als Haut des sozialen Körpers, die fremden Mauren sollten von diesem soweit als möglich entfernt gehalten werden.251 Der Raum als Verdachtsmoment kristallisierte sich in einer akuten Bedrohungssituation heraus, die Seuche brachte das Unfassbare, nicht Begreifbare heran. Der Sanitätsapparat machte einen wesentlichen Unterschied zwischen in Cádiz ansässigen und fremden Mauren aus der Ferne, Bewegung und Raumdurch- oder -überschreitung waren weiterhin ausschlaggebend. Erstere erhielten ob ihrer Vertrautheit und Ortsverbundenheit schneller Ausnahmeregelungen. An dieser Unterscheidung ist der Zusammenhang zwischen Raum, Bewegung in diesem, aus diesem heraus und damit einhergehendem Verdacht abzulesen. Gemein war diesen ganz und halb Fremden, dass ihr Ausschluss oder ihre Bewegungseinschränkung für die agierenden Gesellschaften die Seuchenangst fass- und eingrenzbarer machte. Sie wurden nach klassischem Topos zur Verkörperung der Seuchengefährdung und für das mögliche Leiden als Erzeuger verantwortlich gemacht.252 Alles eine Kostenfrage? Die Bedeutung des gefüllten Geldbeutels

Der Quarantäneaufenthalt war nicht nur für die Kapitäne, Schiffs- und Wareneigentümer eine Kostenfrage, sondern schlug auch im Geldbeutel der Passagiere deutlich zu Buche. Diese aufoktroyierte Zeit lag nicht im Einflussbereich der Betroffenen. Die Junta entschied, wie lange und unter welchen Konditionen sie Quarantäne abzuleisten hatten. Diese zusätzliche Zeit konnte eine erhebliche finanzielle Belastung bedeuten, der man sich nur schwer entziehen konnte. Für den Isolationsaufenthalt von Personen an Bord musste man die benötigte Verpflegung, Bordwachen, Visiten und die desinfizierende ,,Parfümierung“ bezahlen. Diese Variante war im Vergleich zum Lazarettaufenthalt jedoch vergleichsweise günstig. Dort kamen noch weitere Ausgaben für die Unterbringung, den persönlichen oder familiären Wächter und in Lissabon Entgelte der Quarantäneangestellten hinzu.253 Es war demnach auch eine 250

251 252 253

Die Peripherie wurde gesperrt, solches Ansinnen ist für ein Zentrum undenkbar. Damit ist nicht nur die Angst eingedämmt, sondern auch der Mythos der eigenen Zentralität gestärkt. Hankiss: Fears, S. 91. Ein anderer Grenztheoretiker beschreibt die damit einhergehende Abgeschlossenheit plastisch folgendermaßen: ,,Das Leben an der Grenze ersten Grades ist eingeschränkt, weil Kontakte in die eine Richtung fehlen, konzentriert man sich auf die andere. Ein schnelles Überschreiten dieser Art von Grenze ist auf legale Weise beinahe unmöglich. Strengblickende Soldaten und komplizierte Übertrittsrituale mit Schranken, verwickelten Wegführungen, die ein Flüchten (. . . ) erschweren, und allerhand Kontrollen machen die Grenze zu einer echten Barriere, hinter der eine andere Welt zu beginnen scheint.“ Girtler: Abenteuer Grenze, S. 19. ,,Die Fremden sind gleichsam die Haut des sozialen Körpers. Und diese Haut ist Organ des Kontakts und des Schutzes gleichermaßen.“ Macho: Todesmetaphern, S. 287. Waldenfels: Der Stachel des Fremden, S. 126. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 89, ohne Dat., ohne Nr. Für Cádiz sind 10 Reis

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

367

Frage des Portemonnaies, ob man sich eher für die Ableistung unter beengten Verhältnissen an Bord oder mit großzügigerem Bewegungsradius im Lazarett entschied. Doch selbst der vergleichsweise kostengünstigere Bordaufenthalt war für manche Passagiere wie auch für Besatzungen nicht finanzierbar. So finden sich wiederholt Hinweise, dass Rechnungen nicht gezahlt werden konnten. Der Cádizer Wachmann Juan Sanchez forderte von der Sanitätsbehörde 1813 sein ausstehendes Gehalt ein. Die von ihm Beaufsichtigten waren derart bedürftig, dass sie ihm noch nicht einmal Lebensmittel während seines Aufenthaltes stellen, und sich natürlich noch weniger seine Entlohnung leisten konnten.254 Allerdings stand diese Entscheidung zwischen Aufenthalt auf dem Schiff oder im Lazarett den Betroffenen nicht immer frei. Im Falle einer an Bord aufgetretenen Krankheit oder anderer besonderer Umstände hatten die Ankommenden keine Möglichkeit, dem Lazarett auszuweichen. Wenn ihre Mittel für die Deckung der dabei entstehenden Ausgaben nicht ausreichten, waren sie finanziell von der Gnade der Sanitätsjunta abhängig. Diese konnte im Einzelfall durchaus für arme Insassen die Kosten ihrer Lazarettunterbringung übernehmen. Es existierte jedoch kein verbindlicher Anspruch auf Erlassung beziehungsweise Übernahme der Kosten aufgrund der individuellen finanziellen Situation. Den weniger wohlhabenden Passagieren der ,,San Juan“, die aus Havanna kommend, sowohl Gelbfieberfälle während der Fahrt hatte als auch in der Nähe von Cádiz noch in ein Scharmützel mit Korsaren verwickelt wurde, erließ die Cádizer Junta die Zahlung der Lazarett- und Quarantänekosten.255 Auch Schiffbrüchige und Korsarenopfer konnten in der Regel davon ausgenommen werden, bei ihnen war offensichtlich nichts zu holen – zugleich jedoch der Versuch unternommen, das Geld an anderer Stelle, zum Beispiel bei den Konsignatoren der Schiffe wieder einzutreiben.256 Andere Bittsteller gingen hingegen leer aus. Die vier aus Gibraltar angereisten Passagiere Bedea, Bulho, Caram und Lucas erklärten zu Anfang ihres Lazarettaufenthaltes, dass sie keine Finanzmittel besässen, um die für sie überraschend entstande-

254

255 256

täglich für den räumlichen Aufenthalt im Lazarett angesetzt. AHPC, Junta de Sanidad, Actas Municipales, L. 2939, f. 113 (1813). Die Personalgebühren pro Quarantäneaufenthalt sind, natürlich mit Schwankungen und Veränderungen, ungefähr folgendermaßen verteilt: Der Inspektor erhielt 1200 Reis, der Schreiber ebenfalls, bei Ausländern der Übersetzer 400, der Guarda fiscal das Quarentenas 1200, der Guarda das Quarantenas 400, der Arzt 1200, der Chirurg 1200, die Mannschaft des Sanitätsboots 800. Für die Desinfektion wurden nochmals 1600 veranschlagt. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 98, Emolumentos e Direitos do Lazareto, ohne Dat, ohne Nr. Er hatte elf Tage an Bord des Schiffes gedient. Das dafür anstehende Gehalt forderte er nun von der Junta ein. AHPC, Junta de Sanidad, Actas Municipales, L 2939, 9.11.1813, ohne f. AHPC, Junta de Sanidad, Actas Municipales, L. 2941, f. 132 (1816). AHPC, Junta de Sanidad, Oficios, L. 2985, 14.10.1817, ohne f; Ebd., L. 2986, 16.1.1818, ohne f. Die Konsignatoren belieferten neben den jeweiligen Vizekonsuln die Besatzungen “ihrer” gesperrten Schiffe mit Lebensmitteln und weiterem benötigten Material.

368

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

ne Quarantänezeit zu finanzieren. Die Lissaboner Junta hatte jedoch in ihrem Fall kein Einsehen, sondern erklärte, dass sie ohne Zahlung der Außenstände das Lazarett nicht verlassen dürften. Sie schrieben daraufhin Bettelbriefe an Freunde und Bekannte in der Stadt. Lakonisch vermerkte der Lazarettinspektor kurz darauf, dass diese Bettelbriefe bislang keine Wirkung gezeigt hätten.257 Auch persönliche Schicksalsschläge, die einen vorübergehenden Lazarettaufenthalt unausweichlich machten, erweichten die Junta nicht unbedingt soweit, als dass sie von ihren finanziellen Forderungen abgewichen wäre. Die schwangere Frau von Luis Scott wurde als medizinischer Notfall von Bord eines aus Gibraltar gekommenen Schiffes, das aufgrund des aktuellen Gelbfieberverdachts in Quarantäne lag, ins Lazarett verlegt. Dort brachte sie mit ärztlicher Unterstützung ein totes Kind zur Welt. Für diesen Aufenthalt sollte der Ehemann nachträglich bezahlen. Luis Scott regte sich über diesen Anspruch zunächst auf, erklärte, dass dies eine auf der restlichen Peninsula untypische Praxis sei und man sonst nur für den Aufenthalt von Waren im Lazarett Gebühren erheben würde. Personen müssten in anderen Quarantäneetablissements lediglich für ihre Verpflegung aufkommen. Die restlichen Kosten würde die jeweilige Stadt, der das Lazarett angeschlossen wäre, tragen. Auf diese Einwände ging die Lissaboner Junta nicht ein, sondern beharrte weiterhin auf ihren Forderungen. Solange diese nicht beglichen seien, würden auch Scotts Waren nicht aus den Lagerräumen des Lazaretts herausgegeben. Daraufhin verlegte sich Scott aufs Bitten und erklärte, er sei nicht in der Lage, die geforderte Summe zu zahlen. Da er von seinem eigentlichen Reiseziel weit entfernt sei – anzunehmen ist, dass dies die britischen Inseln waren – und deshalb kein Gehalt beziehe, sei er zur Zahlung außerstande. Zudem habe er eine vielköpfige Familie zu versorgen.258 Auch bevor die differenzierenden Unterbringungskategorien im Lissaboner Lazarett eingeführt wurden, hatte die jeweilige finanzielle Situation eine klare soziale Differenzierung innerhalb der Quarantäne hervorgebracht.259 Die (nicht)verfügbaren Geldmittel konnten zum einen, wie bereits angedeutet, das Verlassen der Zahlungsunfähigen aus der Isolationsstation 257 258

259

ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 26, Nr. 30, 32 (1817). Er verwies beispielhaft auf Barcelona als spanischen Hafen, in dem die Kostenpraxis anders gehandhabt wird. Die erhaltenen Akten geben keinen Aufschluss darüber, ob er letztlich von der Zahlung befreit wurde. Dies erscheint ob der ausgedehnten erhaltenen Korrespondenz jedoch eher als unwahrscheinlich. AHPC, Junta de Sanidad, Correspondencia, L. 2995, f. 69–74 (1814). 1848 wurde im Lissaboner Lazarett eine privat geführte Herberge eröffnet, die unterschiedlich teure Unterbringungen und zwei preislich verschiedene ,,Tische“, die Frühstück und Abendbrot beinhalteten, anbot. Passagiere, die sich dieses Etablissement nicht leisten konnten, wurden weiterhin in anderen Räumlichkeiten des Lazaretts untergebracht. Auch wurden sie von einem nahe gelegenen Gasthaus versorgt, dass auch im Betrachtungszeitraum die Versorgung mit Speisen übernommen hatte. Documento B. In: Collecção dos Regimentos, S. 54, 58–61.

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

369

hinauszögern. Sie hatten aber auch während der abzuleistenden Quarantänezeit starken Einfluss. Bereits in der zu zahlenden Versorgung mit Lebensmitteln machte sich die soziale Schere bemerkbar. Man konnte sich von Außen liefern lassen, was das Herz begehrte und reichhaltig und gut speisen. Ebenso bedeutete ein leerer Geldbeutel ein sehr schmales Mahl oder gar Hunger. Dem Lissaboner Lazarettleiter Moriz fiel 1819 auf, dass eine seiner derzeitigen Insassinnen, Anna Betancourt Calhoras, die mit ihren Geschwistern im Lazarett weilte, offensichtlich aus Geldmangel nur noch das Allernötigste an Lebensmitteln verlangte. Am ersten Tag habe sie noch Suppe, Reis und Rindfleisch bestellt. Nun würde sie nur noch Brot und Butter oder gar nur noch Brot bestellen. Die Situation verschärfte sich aus seiner Sicht dadurch, dass sie weder Freunde noch Verwandte in der Stadt habe, die sie um Hilfe bitten könnte. Moriz verwendete sich für sie bei seinem Vorgesetzten, was einen ungewöhnlichen Akt darstellt.260 Über seine Motivation kann man an dieser Stelle nur spekulieren. Deutlich wird in jedem Fall, dass finanzieller Mangel den Lazarettaufenthalt unangenehm werden lassen konnte. Zugleich wird an diesem Beispiel erkennbar, dass Calhoras sich in einer ungewöhnlichen Situation befand, da sich die Ankommenden normalerweise auf persönliche Kontakte als eine Art Notanker verlassen konnten. Monadische Existenzen waren relativ selten. Auch die Behörde ging davon aus, dass im Falle der Zahlungsunfähigkeit die familiäre oder kollektive Solidarität griff und die betreffende Person ,,auslöste“. Im getrennten Raum der Quarantäne wirkten (diasporische) Zugehörigkeiten genauso fort, wie in den vergleichsweise unkontrollierten Straßen der Städte. Ihre grundsätzliche Verlässlichkeit erleichterte das Quarantänesystem ganz ungemein. Quarantäne bedeutete generell eine zusätzliche finanzielle Belastung, die auch Kapitäne an den Rand der Aktionsfähigkeit brachte. Der Kapitän der portugiesischen Hiate ,,Dos Amigos“ erklärte nach zwanzig Tagen in Isolation, dass er weder ausreichend Geld noch Lebensmittel habe, um seine Besatzung zu ernähren.261 Auf der anderen Seite konnten ausreichende finanzielle Mittel, am besten in Verbindung mit einer gehobenen sozialen Stellung, den Aufenthalt auch deutlich versüssen und erleichtern. Man hatte die Möglichkeit, sich Dienerschaft ins Lazarett kommen zu lassen, so man nicht sowieso in Begleitung der eigenen Untergebenen reiste. Wie erwähnt konnten weitere dienstbare ,,Geister“, wie beispielsweise Wäscherinnen, auf Wunsch angestellt werden. Sie wurden außerhalb des Lazaretts rekrutiert und teilten die Isolati-

260 261

Eine vergleichbare Bitte zu Gunsten eines Insassen ist sonst nicht in den Akten zu finden. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 48, 17.7.1819, Nr. 47. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 78, 23.9.1818, ohne Nr.

370

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

on.262 Auch Möbel konnten von außen gegen Bezahlung bezogen werden.263 Teilweise wurden für Personen von Rang und Namen sogar kleine Ausnahmen im strikten Quarantänereglement gemacht So wurde in Belém der einflussreichen Comtesse Rochefoucault zugestanden, Gegenstände aus ihrem in den Lagerräumen befindlichen Gepäck ausgehändigt zu bekommen.264 Aber auch einheimische angesehene soziale Stellung half dabei, die Lazarettmauern zu überwinden. Die Frau des hochrangigen Sanitätsbeamten Manoel de Sa besuchte gemeinsam mit der Comtessa da Canta und deren Neffen, Antonio de Mazazres, die Lagerräume des Lissaboner Lazaretts. Aufgrund der miserablen Wetterverhältnisse konnten sie zwar nur zwei besichtigen.265 Doch auch diese beiden Besichtigungen verstießen grundlegend gegen die propagierte Trennung von Innen und Außen und zeigen die Überschreitungsmacht einflussreicher Honoratioren auf. Geld und Einfluss waren also auch in der Nichtzeit und dem Nichtort der Quarantäne bedeutsam – wie in anderen Bereichen der Gesellschaft. Sie ermöglichten Komfort, in Ausnahmefällen sogar Überschreiten der starr gezogenen Grenzen. Das Lazarett war in dieser Hinsicht nicht der sozialen Gliederung der Außenwelt enthoben, sondern führte diese im separierten Innenraum fort.266 Umgekehrt beinhaltete Zahlungsunfähigkeit große Nachteile – jedoch keine Verdachtszuschreibung. Die Quarantäne ableistenden Armen wurden innerhalb dieses Systems nicht mehr verdächtigt. Diese Zuschreibung traf vielmehr sozial niedrig gestellte Personen außerhalb der Institution. Unter diesen argwöhnisch betrachteten Personen fallen vor allem die ein-

262

263 264

265 266

AHPC, Junta de Sanidad, Oficios, L. 2984, 29.6.1816, ohne f. Eine zeitweilige namenlose Bedienstete, die die Frau des aus Tunis kommenden Kapitäns Alexandre Amoto bediente, wird als die erste weibliche Angestellte des Lissaboner Lazaretts beschrieben. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 16, 13.12.1816, Nr. 54. Die spanischen und portugiesischen Quarantänewachen hatten augenscheinlich nicht die Doppelfunktion ihrer Marseiller Kollegen inne. Diese waren Wächter und Bedienstete zugleich. Hildesheimer: Le bureau de la santé, S. 48. Documentos B (1852). In: Collecção dos Regimentos, S. 58. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 37, 2.9.1818, Nr. 101. Dabei handelte es sich um religiöse Kultgegenstände. Die Rochefoucaults waren ein bedeutendes französisches Adelsgeschlecht. Das Lissaboner Lazarett vermietete im Gegensatz zum Cádizer Pendant keine Lagerräume. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 37, 19.9.1818, Nr. 107. Françoise Hildesheimer beschreibt für die Marseiller Institution ähnliche Ausnahmen. Dort erhielten Prinzen aufgrund ihres königlichen Geblüts und der damit verbundenen Stellung das Privileg, ihre Besucher innerhalb des Lazaretts zu empfangen. Man war der Auffassung, ihnen nicht zumuten zu können, sich an die Sprechbarriere zu begeben. Im Interesse der Staatsgeschäfte konnte ein Amtsträger in Ausnahmefällen auch vor Ablauf der Frist das Lazarett verlassen. Daneben führt sie auch Beispiele an, in denen Stadtbewohner in die Infirmeries eingelassen wurden, um einen Verwandten zu pflegen. Die propagierte Trennung von der Stadt war demnach keine derart ausschließliche, wie die Bestimmungen glauben machen wollen. Hildesheimer: Bureau de la santé, S. 120.

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

371

heimischen Fischer der spanischen und portugiesischen Küsten auf.267 Sie waren größtenteils dem unteren sozialen Gesellschaftssegment zuzurechnen, auch wenn einige von ihnen ihr Geschäft als Kleinunternehmer führen konnten. Die meisten lebten unter ärmlichen Bedingungen ,,von der Hand in den Mund“, konnten sich keine größeren Verdienstausfälle leisten, sondern mussten das Meer befahren und ,,ernten“, wenn die Naturgewalten dies zuließen. Zugleich standen Fischer aufgrund ihrer massiven Mobilität ein wenig neben dem nach wie vor starren sozialen Gefüge. Sie konnten sich diesem entziehen, waren nicht leicht zu greifen und besaßen einige Privilegien, wie das Recht, Waffen zu tragen, das vor allem für einen etwaigen Kontakt mit Korsaren entscheidend war. Diese nur bis zu einem gewissen Grad zu kontrollierende Mobilität und Wehrhaftigkeit machte sie ebenfalls zu Grenzfiguren.268 Im Versuch, die Bewegungen der Fischer zu kontrollieren, erlegten die Sanitätsbehörden auch ihnen ein Sanitätspass auf. Die in den einzelnen Häfen registrierten Fischerboote, die ihre jeweilige Signatur erkenntlich sichtbar an der Außenseite ihres Fahrzeugs angebracht haben mussten, hatten in ihrem Sanitätspass die Mannschaftsmitglieder mit Namen und äußerlichen Erkennungsmerkmalen aufzuführen.269 Dieses Dokument wurde bei jeder erneuten Einfahrt in den Hafenbereich beim sogenannten registo de entrada durch die Büros der Sanitätsbehörde überprüft. Dies bedeutete, dass die Fischer diese Dokumente theoretisch immer auf dem neusten Stand haben mussten und in einem sehr kleinmaschigen Kontrollnetz verfangen waren, das sie täglich zu durchlaufen hatten. Dieses Netz der Sanitätsorganisation war zugleich ein sehr starres, sie unterlagen den Öffnungszeiten der Büros, abends und an Sonn- oder Feiertagen waren diese geschlossen. Außerhalb der Öffnungszeiten war es ihnen offiziell nicht möglich, anzulanden und ihren Fischfang zu entladen. Diese Konstellation führte – natürlich – zu einer ständigen Verletzung der Auflagen durch die Fischer. Sie wollten nicht bis zum nächsten oder gar übernächsten Tag warten. In dieser Frist wäre ihnen, vor allem im Sommer, der Fisch bereits schlecht geworden und die Ausfahrt 267

268 269

Vor allem in den portugiesischen Quellen fällt auf, dass die beschriebenen Fischer nicht nur aus der Lissaboner Bucht kommen. Ihr Radius ist ein deutlich größerer. Teilweise sind sogar Fischer aus der Algarve darunter. Eine Herkunft aus Mittelportugal ist jedoch die vorherrschende. Magalhães: Uma sociedade cristalizada, S. 278. In diesem Fischer-Sanitätspass wurde für dessen Kapitän wie die Besatzung Name, Familienstand, Statur, Haar, Form der Ohren und der Nase, das Alter und die Bekleidung festgehalten – wenn auch für die äußeren Merkmale in ziemlich stilisierter Form. Zudem war neben dem Namen des Bootes und der genauen Bootsbezeichung auch die Nummer dessen festgehalten, die in der administrativen Korrespondenz als Hauptidentifikationsmerkmal auftaucht. Der beispielhaft untersuchte, in Paço d’Arcos ausgestellte Pass trägt die Nummer 14 4 42 und wurde am 10.9.1817 validiert. Es handelte sich bei dieser Besatzung um eine vergleichsweise kleine, der Vordruck lässt Platz für 17 Personen, hier sind es gerade einmal vier, der Bootsinhaber, zwei Fischer und ein Schiffsjunge. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 85, 10.9.1817, ohne Nr.

372

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

umsonst gewesen. Zudem wurden sie im Warten auf die Abfertigung in Untätigkeit festgehalten, in dieser Zeit hätten sie bereits wieder hinausfahren können.270 Nach vielen Protesten erreichten die Fischer in Lissabon, dass ihnen an Sonn- und Feiertagen von dem in der Einfahrt der Mündung kreuzenden Kanonenschiff vorläufige Einfahrtsscheine ausgestellt werden konnten – die sie jedoch nach wie vor am ersten normalen Arbeitstag der Sanitätsbüros dort vorzulegen hatten.271 Die an sie gestellten Anforderungen, die sie kennzeichnende Mobilität wie auch ihre zumeist ärmlichen Lebensumstände gingen konträr zu einander und führten dazu, dass die Fischer die Sanitätsbestimmungen häufig übertraten. Sie wollten ihre frische Ware nicht verkommen lassen und landeten ohne registo, Überprüfung, an einem der vielen Strände.272 Sie führten nachträglich als Verteidigung für ihr Handeln an, dass die Flut kam und sie nicht mehr warten konnten. Sie führten generell die Naturgewalten und den Rhythmus der Gezeiten als Begründung oder/und Entschuldigung an. Ihr Leben unterlag einer anderen zeitlichen Struktur als die von den Sanitätsbehörden propagierte lineare. Die beschriebenen Verstöße waren logische Folge dieser unterschiedlichen Auffassungen. Immer wieder wurde ihnen andererseits das Vergehen des passaporte alterado, des nicht auf den aktuellen Stand gebrachten Dokuments, vorgeworfen.273 Sie hatten zu wenige oder zu viele Fischer aufgelistet, die Namen stimmten nicht mit den tatsächlich Anwesenden überein. Auch hier beriefen sie sich auf Ebbe und Flut, widrige Winde – auf die nicht zu re270

271

272

273

Sie beschwerten sich häufig über diese Missachtung. So kann man in einer Beschwerde der Fischer von Ericeira an die Junta lesen, die den Guarda Mór und Schreiber der Zweigstelle von Paço d’Arcos, der Hauptabfertigungsstelle der Fischerboote in der Lissaboner Bucht, beschuldigten, sie auch dann nicht mehr zu registrieren, wenn sie nur wenige Minuten nach dem Ende der Öffnungszeit ankämen. Daraufhin müssten sie bis zum nächsten Tag warten. Implizit warfen sie den beiden diskriminierende Behandlung vor, wie im selben Brief auch dem Kommandanten des Wachschiffs ,,Mosca“, der sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit ins Lazarett schicken würde. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 78, 9.3.1819, ohne Nr. Dieses Kanonenschiff der portugiesischen Marine unterstützte die Lissaboner Sanitätsbehörden und war Teil einer Gruppe derartiger Militärschiffe, die entlang der portugiesischen Küste die Einhaltung der Sanitätsregeln überwachten und Kontrollen bzw. Registrierungen mit übernahmen. Die Fischer mussten am ersten normalen Werktag mit diesem Schein nochmals bei der Casa de Saúde vorstellig werden, um ihn dort vollständig ausfüllen und absegnen zu lassen. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 124, 1.6.1818, Nr. 53. Teilweise waren sie dabei schon als dreist zu bezeichnen. Die 1820 von den Patrouillen entdeckten Fischer luden ihre Körbe mit dem Fang der Nacht an einem Strand in der Nähe der Torre de Belém ab und flüchteten beim Herankommen der Wachen. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 143, 29.3.1820, ohne Nr. Der Kapitän hatte nicht die Namen der neuen Mannschaft einsetzen lassen, in seinem Pass waren noch die der alten Mannschaft vermerkt. Als Entschuldigung brachte er an, dass ihn die Schnelligkeit des Meeres daran gehindert habe, diese Veränderungen im Papier vornehmen zu lassen. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 78, 28.5.1819, ohne Nr.

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

373

lativierende Natur. Weiteres Argument für ihr überschreitendes Handeln war – ob nun begründet oder nicht –, dass die Schwerfälligkeit des bürokratischen Apparats ihrer Berufsausübung entgegenstünde und deshalb von ihnen ignoriert worden war. Zum Teil beschuldigten sie einzelne Beamte der Willkür oder beklagten Unstimmigkeiten in der Praxis ihnen gegenüber. Mehrfach benutzte Entschuldigung für das Fehlen des Sanitätspasses war, einer der Prüfer oder wachhabende Soldaten habe das Dokument ins Meer fallen lassen.274 Ihre tatsächliche oder vermutete Übertretungswilligkeit führte zu einem verstärkten Kontrollfokus, die Wachpatrouillen hielten verstärkt nach ihnen Ausschau. Damit heizte sich die Spirale weiter an. Dies wird vor allem auch daran sichtbar, dass immer wieder Fischer aufgegriffen wurden, die als Verteidigung aussagten, die Bucht doch gar nicht verlassen zu haben, keine hochseetauglichen Schiffe zu besitzen und deshalb auch gar keine Seuchenbedrohung darstellen zu können.275 Als Paradebeispiel kann hierfür auch der Fischer Perciano dienen, der während des Fischens im Fluss nacheinander von zwei Kanonenschiffen angehalten und ihm nach Überprüfung seiner Dokumente vorgeworfen wurde, er habe sämtliche Identifikationspflichten verletzt und sich nicht registriert – während er immer wieder versuchte, deutlich zu machen, dass er doch gar nicht Hochseefischerei betreibe und ausschließlich in der Bucht fischen würde. Deshalb bräuchte er diese Registrierung auch nicht und wolle nur in Ruhe gelassen werden.276 Die portugiesischen Fischer haben augenscheinlich den Kontrollanspruch der Sanitätsbehörde gern unterlaufen. Sie landeten trotz Verbotes an den Stränden der Bucht, die Wachschiffe beobachten sie bei diesem Tun regelmäßig, erwischten sie jedoch häufig genug nicht. Sie erkannten den Machtanspruch des Seuchenabwehrnetzes nur in gewissem Maße an. Nicht umsonst war immer wieder ein Streitpunkt, ob die Fischer die Rufe von den Patrouillenschiffen nicht gehört oder sie bewusst ignoriert hätten. Bezeichnend ist die Begründung des ebenfalls im Lazarett eingesperrten Fischers Antonio Monteiro, weshalb sein Boot die Registrierung versäumt hatte. Sie waren schon spät dran, da in ihrem Dorf ein Fest stattfand, die Zeit reichte gerade noch aus, um den Fang zu verkaufen. Er habe die Registrierung wohl vergessen, da er so gern zu diesem Fest wollte, an dem auch alle anderen Fischer seines Dorfes anwesend waren. Auch wenn er weiter betont, dass keine böse Absicht hinter seinem Verhalten stand, zeugt dieses Vorkommnis doch davon, dass hier die Struktur der Seuchenabwehr im Gegensatz zum

274

275 276

Der Fischer Antonio dos Santos saß gesperrt im Lazarett, weil er keinen Sanitätspass vorweisen konnte. Er behauptete in seinem Bittbrief an die Junta, einer der Soldaten der escaler de registo habe diesen ins Meer fallen lassen. Dies wurde ihm aber nicht geglaubt. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 78, 27.8.1819, ohne Nr. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 78, 17.10.1817, ohne Nr. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 78, 20.10.1818, ohne Nr.

374

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

kollektiven Erlebnis im Fischerdorf weniger Gewicht hatte.277 Deutlicher formulierte dies ein anderer Fischer: Er hatte nicht eingesehen, schon wieder die Registrierung über sich ergehen zu lassen, da er die gesamte Prozedur doch erst wenige Stunden zuvor gemacht hatte.278 Noch aus dem Lazarett heraus ist sein Trotz erkennbar. Ein Kollege entschuldigte sich aus dieser Isolation heraus für seine zuvor an den Tag gelegte Ignoranz, er hatte bei der Befragung alles verneint und die Befragenden ,,auflaufen“ lassen.279 Die Fischer waren auch in illegale Geschäfte verwickelt und durch ihre Mobilität für das Schmuggelsystem wichtige Stützen. Schmuggel ist als wirtschaftliches Unternehmen der Grenze inhärent. Vor allem Menschen, die diese Grenzen berufsmäßig überqueren, sind in dieses Geschäft involviert.280 Dies gilt natürlich auch für die iberischen Fischer. Ihr geringes Einkommen machte sie empfänglich für ein Extraeinkommen, auch wenn ein Zwangsaufenthalt im Lazarett für sie und ihre Familien eine klare Notsituation bedeutete. In ihren Bittbriefen um Freilassung findet sich beinah stereotyp die Begründung, dass ihre Familien zu Haus Hunger leiden und den Verdienstausfall nicht kompensieren könnten.281 Im gleichen Atemzug baten sie um die Herausgabe ihrer Arbeitswerkzeuge, der beschlagnahmten Fischerboote, und betonten auch hier, dass sie es sich nicht leisten könnten, kein Geld zu verdienen. In den Quarantänebuchten selbst existierten noch weitere Möglichkeiten klandestiner Aktion. Die immer wieder beschriebenen kleinen Boote, die heimlich die in Quarantäne liegenden Schiffe anfuhren und so sämtliche Sperrung durchbrachen, werden wohl zum Teil Fischerboote gewesen sein. Der in den Unterlagen belegte Raub von einem in Quarantäne liegenden Schiff im größeren Maßstab wurde von Flussschiffern begangen.282 Abgesehen dieser tatsächlichen Verstöße waren die Fischer aber aufgrund ihrer, sie charakterisierenden, nur in Grenzen zu kontrollierenden Mobilität, die sie in die Nähe der Vagabunden stellte, und der marginalen sozialen Stellung mit Verdacht versehen. Sie unterliefen mit ihrer Existenz und ihrem anders konnotierten Weltbild, das sehr viel stärker dem Meer, seinen Gezeiten und Kräften zugeneigt war, den Geltungsanspruch der Institution. Ihre Armut verstärkte den ihnen anhaftenden Verdacht. Armut allein war noch kein ausreichender Grund, um mit Argwohn behandelt zu werden, wie die bedürftigen Quarantäneinsassen zeigen. Diese verortete der sanitäre Blick innerhalb der gesetzten Grenzen des Eigenraums der sanitären Institution, auch wenn 277 278 279 280

281 282

ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 78, 1.7.1819, ohne Nr. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 78, 12.10.1818, ohne Nr. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 78, 7.8.1818, ohne Nr. Ob es sich bei diesem Grenzgeschäft um Alltagsschmuggel oder durch Armut und Notsituation geprägtes soziales Rebellentum handelt, ist an dieser Stelle nebensächlich. Dazu weiter: Girtler: Abenteuer Grenze, S. 172–261. Diverse Bittschriften in: ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 78. Die Grenzen zwischen Hochsee-, Küsten- und Flussschiffern sind fließend. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 26, Nr. 16, 22 (1817).

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

375

gerade ihre prekäre Situation die Entscheidung zum heimlichen Übertritt und Flucht aus der Quarantäne begünstigen konnte.283 Entscheidend war, dass die Fischer nicht wirklich im Zugriff der sanitären Institution verortet gesehen wurden, sich in ihrer Widerspenstigkeit nicht einordneten. Der von den Sanitätsbehörden kontrollierte Bereich der Küste, Bucht und der angrenzenden Fluten war ihr Territorium, sie waren die eigentlichen Bewohner des Quarantänegrundes. Endliche Kontrollsphären und unendliche Widerstandsformen: Das Beispiel der Flucht aus der Quarantäne

Die Quarantäneinstitution beanspruchte für sich die Durchsetzung vollständiger temporärer Isolation von Mensch, Ware und Schiff und damit einhergehend die vollkommene und absolute räumliche Trennung. In dieser von der Quarantäne besetzten Zeit sollte Bewegung ausschließlich im sehr eingeschränkten Rahmen unter dem argwöhnischen Kontrollblick der Sanitätsbehörden stattfinden. Nach Ablauf der festgesetzten Quarantänezeit wurden die isolierten Personen, Schiffe und Waren aus dem Seuchenabwehrapparat wieder zurück ins zivile Leben entlassen. Ihre Freisprechung fand im Rahmen eines formalen Rituals, der practica, statt.284 Dies bedeutete, dass sie nach Ableistung der Isolationszeit als ungefährlich und frei von Seuchenkeimen betrachtet wurden und ins allgemeine öffentliche Leben eintreten konnten. Die practica umfasste laut den Sanitätsreglementen in der Theorie eine weitere Inspektion der Personen durch den Sanitätsmediziner, ob nun im Lazarett oder auf dem Schiff, der daraufhin ihren Gesundheitszustand als gut und über jeden Zweifel erhaben deklarierte, und eine abschließende ,,Parfümierung“.285 Aufgrund dieses Unbedenklichkeitsgutachtens stellten die Sanitätsangestellten daraufhin eine pratica-Bescheinigung aus – die für das Schiff und nicht die einzelnen Personen galt. In Lissabon existierte ein Registerbuch des Lazaretts, das die Personenausgänge verzeichnete – leider ist dieses nicht erhalten. In Cádiz sollten die Kapitäne bei der Freisprechung eine Liste mit den Namen, Vornamen, der Nationalität und dem Alter der Matrosen übergeben.286 Die mitgeführten Waren hatten zumeist eine deutlich längere Isolationszeit abzuleisten, das 283

284 285 286

Auf diesen Zusammenhang verweist Karl-Heinz Leven im Zusammenhang mit dem habsburgischen Pestkordon. Er vertritt die Auffassung, gerade ärmere Reisende hätten aufgrund ihrer nichtvorhandenen Zahlungsfähigkeit Möglichkeiten gefunden, auf Nebenwegen durch den Kordon hindurchzuschlüpfen. Leven: Geschichte der Infektionskrankheiten, S. 41. Dies ist der portugiesische Begriff, im spanischen wird die Freigabe als platica bezeichnet. Der Einfachheit halber wird im Weiteren der portugiesische Begriff verwendet. Die ,,Parfümierung“ war zumeist eine Räucherung. Beispielhaft: Hildesheimer: Bureau de la santé, S. 120. AHPC, Junta de Sanidad, Actas Municipales, L. 2931, 19.10.1802, ohne f. 1818 erging in Portugal ein Erlass, dass man die Passagiere nicht ohne Herkunftsbenennung eines

376

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

Gepäck der Passagiere oder Besatzungen wurde bis auf ihr Bettzeug und ihre Alltagskleidung ebenfalls als Fracht betrachtet und längeren Sperrungs- und Lüftungszeiten unterworfen.287 Soweit das legislative Schema, die Wirklichkeit sah immer wieder Brechungen dieses Diktates, unerlaubte Bewegungen und Widerstände, die den Anspruch der Seuchenabwehr in Frage stellten. In einem Grauzonenbereich ist unerlaubte und damit unkontrollierte Bewegung einzuordnen, die die Sanitätsvorschriften verletzte, jedoch nicht das endgültige Verlassen des Wirkungsbereiches als Beweggrund hatte. Als Beispiel für die massive Erschütterung steht der Fall des vom wachhabenden Kanonenschiff Nr. 1 gesichteten Beibootes, das unerlaubterweise im Quarantänebereich fuhr und auf Anrufen nicht anhielt, sondern sich zu seinem Mutterschiff ,,Epaminodas“ flüchtete, in dem die Insassen verschwanden und nur einige Mäntel griechischer Machart zurück ließen. Die Aussage der Bordwache, dass dieses Beiboot einen Spion an Land bringen sollte und das folgende störrische Verhalten des Kapitäns verbesserten die Situation nicht.288 Auch eigenmächtiges Landen am Quarantänestrand, wie es sich der österreichische Kapitän Vicente Radick und einer seiner Passagiere, Miguel Parmisani, erdreisteten, die dort auf vier aus Genua kommende Passagiere trafen und mit diesen unreglementierten Kontakt hatten, brachte die groben Maschen des Seuchenabwehrsystems deutlich zum Vorschein.289 Daneben finden sich endgültige Übertretungen, die alle postulierten Kontrollansprüche und damit das gesamte System in Frage stellten. Am eindrucksvollsten ist dieser ,,Affront“ in der Flucht aus der Quarantäne zu finden, auf die im Folgenden fokussiert wird. Vorauszuschicken ist, dass sich die meisten der Quarantäne fügsam unterwarfen, nur eine Minderheit flüchtete oder anderweitig die Bestimmungen verletzte und hinterging. Da es im Weiteren nicht um Quantifizierungen, sondern vielmehr um kollektives Verhalten geht, beschränkt sich der folgende Abriss auf diese Unbotmäßigen.290 Es finden sich trotz spezieller Quarantäneankerplätze, Bewachung und Kontrolle mittels Bordwachen und/oder Wachbooten, Sperrung der angren-

287

288 289

290

konkreten Ortes von dannen ziehen lassen sollte. ANTT, Junta da Saude Pública, Maço 38, 22.6.1818, Nr. 140. So zum Beispiel beschrieben in Verordnung 8.11.1817. In: Collecção dos Regimentos, S. 111. Nach Beendigung der Isolations- und Reinigungszeit sah es vor der Zollabfertigung natürlich wieder anders aus. ANTT, Junta de Saude Pública, Maço 120, 26.11.1820, ohne Nr. Die Situation wurde durch die Herkunft des Schiffes aus dem an den Dardanellen liegenden osmanischen Gallipoli nicht unbedingt entschärft. ANTT, Junta de Saude Pública, Maço 16, 26.6.1816, Nr. 22. Die Flucht bietet ein deutliches aufmerksamkeitserregendes Moment. An dieser Stelle muss zugleich darauf hingewiesen werden, dass natürlich vor allem die Problemfälle in den Quellen erscheinen, die vielen Willfährigen nicht auftauchen. Da an dieser Stelle auf die Zusammensetzungen und Motivationen der Flüchtenden und den nicht einzulösenden Anspruch der Sanitätsbehörden, den Raum und die Zeit zu kontrollieren, eingegangen werden soll, stellen diese Unbotmäßigen ein willkommenes Beispiel dar.

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

377

zenden Strände und gewisser Wasserbereiche für die örtliche Bevölkerung, Regulierung der zu verwendenden Fahrtrinnen und -reihenfolgen immer wieder Meldungen darüber, dass Personen von Schiffen entwichen, die noch nicht freigesprochen und als sauber deklariert worden waren. In Cádiz kann man als kleine, willkürlich getroffene Auswahl alltäglichen Charakters die folgenden Begebenheiten herausgreifen: Fünf Besatzungsmitglieder flohen 1802 vor der Erteilung der pratica von einem spanischen Schiff; ebenfalls von einem spanischen Schiff, das aus Havanna kam, entwichen 1806 sieben Matrosen.291 Als einem englischen Schiff pratica erteilt werden sollte, stellte man 1814 fest, dass der Kapitän des Schiffes unterdessen abhanden gekommen war.292 Gleiches kann für Lissabon konstatiert werden. Flucht aus der Quarantäne gehörte zum System von vornherein dazu, sie war mit mehr oder minder großen Schlupflöchern ausgestattet, die natürlich auch genutzt wurden. Dabei lassen sich keine spezifischen Fluchtpräferenzen einzelner Gruppierungen oder Herkünfte festmachen. Einheimische suchten genauso das Weite wie Fremde. Matrosen oder andere Besatzungsmitglieder finden sich in einem weitaus größeren Ausmaß als Passagiere unter den Entwichenen. Sie waren zum einen rein zahlenmäßig eine sehr viel größere Gruppierung als die Passagiere. Zum anderen war die Desertion, eine unter Seeleuten (insbesondere den lohnabhängigen Arbeitern, die nicht mehr unter genossenschaftlichen Strukturen fuhren) vertraute Variation der einseitigen Auflösung ihres Arbeitsvertrages – gegen den Willen ihres Kapitäns.293 Gründe für eine derartige Entscheidung, die immerhin beinhaltete, dass man auf seine erarbeitete Heuer oder seinen Monatslohn verzichtete, war zumeist ein Zusammentreffen verschiedener Push-Faktoren, wie schlechte Behandlung, schlechtes Essen, die Aussicht auf Fahrt in einen Hafen, in dem man Gefahr lief, in Dienst auf Marineschiffen gepresst zu werden oder der als krankheitsdurchzogen bekannt war. Die Möglichkeit, auf einem anderen Schiff oder an Land unterzukom291 292 293

AHPC, Junta de Sanidad, Actas Municipales, L. 2931, 11.8.1802, ohne f. ; Ebd., L. 2934, 2.4.1806, ohne f. Daraufhin wurde die Quarantäne über das Schiff verlängert. AHPC, Junta de Sanidad, Oficios, L. 2984, 2.10.1814, ohne f. Der von Rediker als ,,disciplinary paternalism“ oder auch ,,system of authority best described as violent, personal and arbitrary“ bezeichnete, sich insbesondere im 17. und 18. Jahrhundert auf den meisten Schiffen, durchsetzende Führungsstil - die Griechen stellen eine Ausnahme dar - ließ der Besatzung nur noch eine sehr beschränkte Variation an Frei- und Handlungsspielräumen. Die Desertion war im Gegensatz zur Meuterei eine (zumeist) individuelle bzw. Kleingruppen-Aktionsform. Rediker: Between the Devil, S. 207, 226. Bezeichnend formuliert Rediker das grundlegende Dilemma: “Jack Tar’s rythm of keeping body and soul together and the merchant’s rythm of capital accumulation did not move in harmony. As a form of struggle and a means of survival, desertation was widespread among maritime workers.“ Ebd. S. 106. Pérez-Mallaína sieht die Proletarisierung der Seeleute in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch für die Iberische Halbinsel abgeschlossen. Pérez-Mallaína: Spain’s Men of the Sea, S. 192.

378

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

men bzw. eine alternative Perspektive für die unmittelbare Zukunft zu haben, verstärkte diese Faktoren nochmals.294 Auch die Aussicht auf das Erleiden der strikten und entbehrungsreichen Zeit der Quarantäne nach langer Überfahrt war Motivation genug, sich zur Flucht zu entschließen. Der Arzt der Cádizer Junta Bartolomé Mellado beschreibt die nicht ungewöhnliche Praxis, dass Matrosen während der Atlantiküberfahrt ihre Kapitäne unter Drohungen zwangen, ihnen ihre Gehälter auszuzahlen und noch außerhalb der Sichtweite des Hafens ins Meer sprangen.295 Das Gewicht einer emotionalen oder örtlichen Anbindung erklärt, warum häufig ein Teil der geflüchteten Seeleute aus der geographischen Nähe des Quarantänehafens stammte. Das aus Honduras und Havanna nach Cádiz eingefahrene spanische Schiff, das aufgrund des Todes eines Kapuzinermönchs auf der Fahrt 25 Tage Quarantäne abzuleisten hatte, verließen heimlich ein Matrose aus Cádiz in Begleitung eines Seemanns aus Galizien.296 Von den wenige Tage später geflüchteten drei Matrosen stammten ebenfalls zwei aus der Cádizer Gegend.297 Die heimatlichen vertrauten Gefilde, die damit verbundene Ortskenntnis und Anbindung an bestehende soziale Netze erleichterten die Entscheidung zur Flucht gleichfalls. Zudem boten die großen Häfen mit ihren unterschiedlichen Routen und immensem Durchlauf an Schiffen gute Möglichkeit, schnell wieder auf einem anderen Schiff anzuheuern – so man sich nicht erwischen ließ. Ein anderes Moment, das die Fluchtbereitschaft ebenfalls verstärkte, war die Sogwirkung der Gemeinschaft. Wenn einige sich bereits zur Desertion entschlossen hatten, war die Versuchung groß, sich anzuschließen. Die vierzig oder fünfunddreißig Besatzungsmitglieder, die 1820 in einer Massenflucht ein aus Vera Cruz bzw. Havanna gekommenes, in Quarantäne liegendes Schiff verließen, stellten zwar bereits eine Größenordnung dar, die arge Kritik an der städtischen Cádizer Sanitätsbehörde als ,,corporacion sin funciones“ (Körperschaft ohne Funktionen) provozierte.298 Das Flüchten in kleineren Gruppen kann jedoch als Normalität bezeichnet werden. Es flüchtete aber auch schon mal eine komplette Mannschaft, die Cádizer Junta beschwerte sich bezeichnenderweise 1809 darüber, dass sie von der Marine nicht die strafverfolgende Zuständigkeit über die desertierte Mannschaft einer Marinefregatte zugestanden bekam.299 Die Desertion von Seeleuten während der Quarantäne stellte nicht nur 294

295 296 297 298 299

Das Matrosenpressen, die gewaltsame Rekrutierung von Seeleuten, wurde vor allem von der Royal Navy auch im 19. Jahrhundert noch angewandt, um im Falle eines Krieges ihre Schiffe zu bemannen. Auch für die zivile Schifffahrt existierte Vergleichbares, das sogenannte shanghaien. Rath führt auch Motivationen wie Abenteuerlust an. Rath: Schiffszwieback, S. 57, 98–109; Rediker: Between the Devil, S. 100f. Mellado: Historia de la epidemia padecida, S. 147. AHPC, Junta de Sanidad, Oficios, L. 2984, f. 15.7.1814, ohne f. AHPC, Junta de Sanidad, Oficios, L. 2984, 21.7.1814, ohne f. AHPC, Junta de Sanidad, Oficios, L. 2988, 29.5.1820, ohne f.; Ebd., 3.6.1820. Diese Entlaufenen sollten, falls wieder eingefangen, direkt auf Kriegsschiffe gebracht

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

379

die Autorität ihres Kapitäns, sondern zugleich auch die der Sanitätsbehörde in Frage.300 Letztere reagierte in ihrer Rechtsgebung entsprechend harsch, auch wenn die Erfolgsquote des Wiedereinfangens in der Praxis keine allzu große war. Im Gegensatz zu der von Françoise Hildesheimer für das Marseiller Hafenlazarett zitierten drakonischen, vorführenden Bestrafungsvariante eines Matrosen, der ,,sein“ Quarantäneschiff verlassen hatte, waren die Konsequenzen für die in Lissabon oder Cádiz Gefassten gleichfalls streng, jedoch augenscheinlich ohne das Beiwerk einer symbolischen Stigmatisierung oder Erniedrigung.301 Den im Cádizer Viertel ,,Barrio de Capuchinos“ aufgegriffenen flüchtigen, von einem spanischen Schiff stammenden Matrosen überstellten die Strafbehörden zuerst wieder ins Lazarett.302 Anschließend wurde er ins Gefängnis gebracht, es wurde ihm eine Geldstrafe auferlegt. Wenn der Sünder nicht in der Lage war, die hohe Geldstrafe zu zahlen, konnte ihm diese nach gewisser Zeit durchaus von der Junta erlassen werden. Argument für den Gnadenakt war dann beispielsweise, dass der Betreffende bereits lange Zeit im Gefängnis zugebracht habe und damit genug gestraft sei.303 Nicht nur das maritime Fußvolk flüchtete, auch Schiffskapitäne und Offiziere umgingen auf klandestinem Weg die Quarantäne. Die zahlenmäßige Dominanz sich absetzender Seeleute soll jedoch nicht verbergen, dass auch Passagiere immer wieder zur Aktionsform der Flucht von in Quarantäne liegenden Schiffen griffen. Der Kapitän der schwedischen Brigantine ,,Caladonea“ meldete, dass von seinen sieben Passagieren drei im Boot des Lotsen an Land geflüchtet waren. Diese Mitteilung machte er pikanterweise über

300

301

302 303

werden. Diese Anordnung verletzte das Kompetenzgefühl der Junta zutiefst. AHPC, Junta de Sanidad, Actas Municipales, L. 2936, 28.6. 1809, ohne f. Sie verfügte über ein weitreichendes Strafenarsenal, das zugleich über seine Abschreckungskraft Verstöße gegen die gesetzte sanitäre Gesetzgebung verhindern sollte. Diese reichten von Geldstrafen, Züchtigung mit der Peitsche bis zur Todesstrafe. Die spanische sanitäre Gesetzgebung verfolgte zwischen den Verordnungen von 1720 und denen von 1817 oder 1833 eine kontingente Politik. Ocaña: Resguardo, S. 47. Der praktische Anwendungsspielraum steht dabei auf einem anderen Blatt. Ähnlich ist die portugiesische Gesetzeslage, die laut dem nach wie vor gültigen Regimento para o porto de Belém von 1695 für regelwidriges Verlassen eines verdächtigen Schiffs eine sehr hohe Geldstrafe, Verbannung nach Angola oder Gefängnis vorsah. Regimento para o porto de Belém, Kap. 22/10. 1695. In: Collecção dos Regimentos, S. 23. Obwohl er sich noch nicht einmal heimlich davon schleichen, sondern sich im Sanitätsbüro persönlich gegen von seinem Kapitän nach einer Schlägerei erhobene Vorwürfe rechtfertigen wollte, wurde er für ein Jahr in einem Turm des Lazaretts interniert. Nur an Sonn- und Feiertagen wurde er für eine Stunde hinausgelassen und auf dem Platz vorm Haus des Kapitäns in einer Art Büßergewand ausgestellt und vorgeführt. Das Schiff, von dem er stammte, musste seine Quarantäne als Konsequenz noch einmal beginnen. ADBR, Fonds du Bureau de la Santé de Marseille, Déliberation du 27 novembre 1724, 200 E 37. Nach: Hildesheimer: Bureau de la santé, S. 117. AHPC, Junta de Sanidad, Actas Municipales, L. 2941, 24.7.1816, f. 96. AHPC, Junta de Sanidad, Oficios, L 2984 5.10.1816, ohne f.

380

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

eine Woche nach ihrem Verschwinden, erwähnte zugleich, dass der Gesundheitszustand an Bord in bester Ordnung sei.304 Die Motivation der Passagiere ist nur zu erahnen, sie wollten der Enge der Schiffe und der propagierten vollständigen Kontrolle entgehen, ihr angehaltenes Leben und ihre Geschäfte weiterführen. Die Quarantäneableistung war – insbesondere auf einem beengten Schiff – bestenfalls eine unangenehme Erfahrung, der man sich nicht unbedingt aussetzen und unterwerfen wollte. Einige sahen wohl auch grundsätzlich den Sinn der Quarantäne nicht ein. Dieser Eindruck schleicht sich zumindest ein. Laut einem Bericht aus Santander verließ ein flüchtiger Passagier trotz Gelbfiebertoten auf der Fahrt – und entsprechenden harschen Sicherheitsmaßnahmen – das isolierte Schiff und ließ sich von einem vorbeikommenden Ruderboot ,,nach Hause“ bringen. Als dieser Übertritt bekannt wurde, war das Bedrohungsgefühl in der Stadt und bei der verantwortlichen Junta groß. Erst sollte er erschossen werden, wurde dann begnadigt und unter Bewachung aufs Schiff zurückgebracht. Er schämte sich für sein Verhalten, so die Interpretation der berichtenden Junta, – dies aber eventuell mehr, da er in einer Art öffentlichen Prozession unter dem gaffenden und neugierigen Blick der Mehrzahl der Stadtbewohner dorthin eskortiert wurde.305 In diesem Fall wird die Durchlässigkeit des Quarantänenetzes besonders deutlich. Das Schiff war als höchst verdächtig eingestuft, die Gelbfiebertoten wiesen darauf hin, dass die Krankheit an Bord existierte. Dennoch war diese Flucht möglich gewesen. Auch wenn nachher berichtet wird, dass das Schiff nun von Wachbooten an beiden Breitseiten bewacht würde, erscheinen die Kontrollmaschen des Sanitätsnetzes auch in solchen Krisenzeiten als sehr weit. Solch eigenmächtiges Verlassen eines höchst verdächtigen Schiffes an den Sanitätsbehörden vorbei stellt nicht die absolute Ausnahme dar. In Cádiz gelang es 1821 beispielsweise einem Matrosen der ,,Cinco Hermanos“, der ebenfalls aufgrund eines Todesfalls während der Überfahrt begründeter Gelbfieberverdacht entgegengebracht und die dementsprechend bewacht wurde, zu flüchten. Pikant wird dieses Versagen der Sanitätsbehörden vor

304

305

Das Schiff war südlich vom Kap Finistere auf einen Korsaren getroffen und aus diesem Grund seit zwei Wochen in Isolation. ANTT, Junta de Saude Pública, Maço 5, 8.7.1814, Nr. 37. Inwieweit das Ruderboot zufällig vorbeikam, sei an dieser Stelle angezweifelt. Seine Familie wurde ebenfalls aus der Stadt entfernt und auf dem freien Feld in einiger Nähe zur Stadt untergebracht. Santander berichtet diesen Vorfall peinlich berührt nach Cádiz, um dieser Junta die Möglichkeit zu geben, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. AHPC, Junta de Sanidad, Ordenes, L 2964, 9.10.1815, f. 30.

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

381

allem vor dem Hintergrund, dass die akute Befürchtung eines weiteren Gelbfieberausbruchs in Cádiz im Raum stand.306 Man konnte das Schiff schwimmend verlassen oder das Beiboot des Schiffes nutzen. Das regelwidrige Verlassen eines isolierten Schiffes erleichterten örtliche Helfershelfer nochmals deutlich. Die Untersuchung des Entschwindens eines englischen Kapitäns und dreier seiner Offiziere förderte in Belém laut Augenzeugenbericht eines benachbart ankernden spanischen Kapitäns zutage, dass diese Missetäter nachts mit der Hilfe einer einheimischen Schaluppe flüchteten, dabei noch einige Textilien ins Boot luden und auf der Mitte des Flusses davon fuhren.307 Der Missstand der leichten Zugänglichkeit der Quarantänegründe durch kleine Boote nahm auch die Cádizer Behörde wahr und kritisierte sie zutiefst. Sie konstatierte einen generellen skandalösen Missbrauch durch die lokalen Fischer- und Segelboote, die die ausländischen Schiffe bereits vor der Visite ansteuerten, und damit die Flucht von Personen und den Schmuggel von Waren ermöglichten. Einen Ausweg sah sie nur in der Installierung verstärkter Kontrolle und Anwendung von physischer Gewalt. Der Küstenbevölkerung wurde ihre tief gesunkene, korrumpierte Moral vorgeworfen – die als Fluchthelfer wie Schmuggler natürlich eine attraktive Einnahmequelle sahen und ihren Vorteil in der Grenzsituation suchten.308 Aber nicht nur die See bot Möglichkeiten zum Entschwinden, auch aus dem Lazarett, das als steingewordene Separierungs- und Isolierungsanstalt dienen sollte und eine sehr viel bessere Überwachungsmöglichkeit bot, war solches möglich. Dabei wurde den Insassen im Lazarett ein persönlicher Wächter beigegeben, der derartiges Verhalten verunmöglichen sollte. Zugleich war ein Wachgürtel um das Lazarett herum gelegt.309 In Lissabon wiesen im Zuge des Umzugs nach Torre Velha Sanitätsange306

307 308

309

Die “Cinco Hermanos” war zusammen mit der ebenfalls spanischen “Fama” aufgrund von einem bzw. zwei Todesfällen und der in Havanna aktuell grassierenden Gelbfieberepidemie auf der Fahrt als äußerst verdächtig eingestuft worden. Aufgrund der großen Zahl der an Bord befindlichen Menschen wurden alle Passagiere und zwei Drittel der Besatzungen mit ihren Habseligkeiten ins Lazarett Infantes verbracht, um dort einer Quarantänezeit von 15 Tagen und heftigen Reinigung und Lüftung ausgesetzt zu werden (,,...sufrir alli la mas escrupulosa ventilacion y expurgo durante el termino de quince dias“). Zuerst konnte sich die städtische Junta gegenüber der vorgesetzten Provinzjunta nicht ausreichend rechtfertigen, da sie nicht genug Informationen über diesen Vorfall besaß. AHPC, Junta de Sanidad, Oficios, L. 2988, 10.7.1821, ohne f.; Ebd., 11.7.1817; Ebd., 18.7.1821. Dieses Schiff beschäftigte die Junta zur Genüge. Während der Quarantäneableistung erging Beschwerde über seine Mannschaft, die einen Vertreter der Sanitätsbehörde beschimpft und tätlich angegriffen hatte. Ebd., 14.7.1821. ANTT, Junta de Saude Pública, Maço 5, 5.11.1813, Nr. 6. AHPC, Junta de Sanidad, Oficios, L. 2988, 24.5.1822, ohne f. Auch die Boote der Lotsen wurden dafür verwendet, ob nun im Einverständnis mit diesen oder ohne. ANTT, Junta de Saude Pública, Maço 5, 5.11.1813, Nr. 6. Der Guarda-Mór de Belém ging davon aus, dass insgesamt 54 Mann von Nöten seien, um den alltäglichen Wach- und Patrouillendienst abdecken zu können. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 10, 11.1.1815, Nr. 3. 1816 findet sich die Bestellung von 40 Bet-

382

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

stellte wiederholt darauf hin, dass noch Schlupflöcher bestanden, es relativ einfach möglich sei, aus dem Lazarett zu flüchten.310 Das Wissen um die Löcher bestand, allein diese Kenntnisnahme führte nicht zur Verunmöglichung der unkontrollierten Bewegung aus dem Lazarett hinaus und in dieses hinein. Spektakulär und völlig unverhofft war die Flucht zweier Matrosen und eines Schiffsjungen aus einer der Lissaboner Lazarettzellen. Sie waren durch die Fenster ins Meer gesprungen und davon geschwommen. Die Möglichkeit eines solchen Ausbruchs war bis zu diesem Zeitpunkt nicht bedacht worden und alle Verantwortlichen zeigten sich reichlich konsterniert. Nach ihnen fahndete man mit detaillierten Steckbriefen – einer der drei Portugiesen war bezeichnenderweise der Sohn eines zu diesem Zeitpunkt gerade nicht aktiven Wächters der Belémer Zollbehörde. Sie tauchten nicht wieder auf. Überforderte Reaktion der Sanitätsbehörde war es, die anderen Besatzungsmitglieder in eine andere Zelle zu verlegen und unter massive Bewachung zu stellen. Ihnen wurden drei Soldaten und drei Matrosen des Kanonenschiffes in die neue Unterkunft mitgegeben.311 Einen Monat später rückte ein Aufgebot an Handwerkern an, die die Lazarettfenster vergittern sollten, auf dass solches Treiben nicht noch einmal vorkomme.312 Die Flucht aus der Isolationsanstalt war schwieriger zu bewerkstelligen als vom Schiff, jedoch nicht unmöglich. Auch das unbefugte Eindringen ins Lazarett konnte nicht verhindert werden. Die Nachtwache griff einen ehemaligen Angestellten 1817 im (gesperrten) Gebiet des Lissaboner Lazaretts auf.313 Dies verwundert in keiner Weise, waren die Quarantäneinstitutionen doch nicht im luftleeren Raum erbaut, sondern von menschlichen Ansiedelungen umgeben. Direkt neben der Anlage von Torre Velha befanden sich Höfe und Landgüter, deren Bewohner immer wieder mit den Sanitätsbehörden in Streitigkeiten über ihre

310

311

312

313

ten für diese Lazarettwacheinheit. ANTT, Junta da Saúde Pública, Maço 86, Minutas, 30.3.1816, ohne Nr. Der für die Lagerräume zuständige Wächter informierte darüber, dass es verhältnismäßig einfach sei, den Lazarettbereich bei Ebbe watend zu verlassen. ANTT, Junta de Saude Pública, Maço 16, 28.6.1816, Nr. 23. Ähnliche Besorgnisse wurden auch in Cádiz laut und mit konkreten Vorschlägen baulicher Abhilfe verbunden. AHPC, Junta de Sanidad, Oficios, L 2984, 4.7.1817, ohne f. Die anderen beiden Flüchtigen stammten aus Porto. Sie kamen von der ,,D. Pedro“ die in Rio de Janeiro abgefahren war und wegen Gelbfieberverdacht in Quarantäne lag. ANTT, Junta de Saude Pública, Maço 37, 30.9.1818, Nr. 108, 109. Der oberste Zimmermann des Militärs, zwei Steinmetze, ein Schlosser, ein Zimmermann, ein Lehrling und zwei einfache Arbeiter wurden aufgebracht, um das Fluchtloch zu stopfen. ANTT, Junta de Saude Pública, Maço 37, 6.11.1818, Nr. 120. Wie er dort hineingelangte, wird leider nicht berichtet, er wurde dem Gefängnis übergeben. ANTT. Junta de Saude Pública. Maço 26. Nr. 43. 12.6.1817.

3. Die ,,Fremden“ und lokale Gesundheitspolitik

383

Bewegungsfreiheit und vollständige Nutzung des Raumes gerieten.314 Alle Schlupflöcher waren nicht zu stopfen, auch wenn man die Fenster vergitterte. Im vergleichsweise weitaus besser separierten und elaborierten Lazareto de Lisboa, dem Nachfolger des Torre Velha Mitte des 19. Jahrhunderts, war Bewegung ebenfalls außerhalb der festgesetzten Mauern möglich. Der deutsche Arzt und Naturforscher Richard Greeff schlich sich während seines Aufenthaltes wiederholt unbemerkt an den Hafenstrand des Lazaretts, um dort zoologischen Beobachtungen nachzugehen. Zu seinen ,,kleinen Schleichpatrouillen“, wie er es nannte, hatte Greeff teilweise einen weiteren Kollegen, eine Waschschüssel und einen Eimer mit – also recht sperrige Gegenstände, um darin Quallen zu fangen – auch dies wurde nicht bemerkt.315 Doch nicht nur von Quarantäne betroffene Passagiere, Besatzungsmitglieder oder Fischer ohne gültigen Sanitätspass flüchteten. Diese Aktionsform wandten ebenso diejenigen an, die eigentlich die räumliche Separierung und Unbeweglichkeit aufrechterhalten und kontrollieren sollten. Matrosen und Soldaten der in der Lissaboner Bucht und entlang der Küste patrouillierenden Marineschiffe desertierten ebenfalls. Ebenso wenig wurde das Registrierungsboot, das den ersten Kontakt mit einfahrenden Schiffen hatte und sie administrativ erfasste, von diesem Phänomen verschont.316 Dies war zum einen einer Arbeitsüberlastung geschuldet. Der Kapitän des Kanonenschiffes ,,Nympha“ bat 1819 inständig um eine Aufstockung seiner Mannschaft, da viele seiner Schiffsjungen desertierten, die mit der Arbeit nicht fertig wurden und desillusioniert waren. Er betonte, dass insbesondere die nächtlichen Wachrunden ihren Tribut fordern würden.317 Neben Unmut und Auflehnung gegen Arbeitsbedingungen sind wohl vor allem die schlechte Bezahlung oder lange ausstehende Löhne der Matrosen wie Soldaten als entscheidendes Moment für die Fluchtentscheidung zu werten. Zudem wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass man Freiwillige für diese Posten suchte, Zwang war dem sanitären Wachdienst nicht zuträglich, wenn sich die Betroffenen durch Flucht ihrer Aufgabe entzogen.318 Unerlaubte Bewegung und endgültige Flucht gehörten zum Quarantänesystem dazu und stellten es immer wieder in Frage. Der Anspruch auf 314

315 316 317 318

Im Herbst 1816 wurde aufgrund ihrer Nachbarschaft beschlossen, bei Porto Paulina eine Mauer zu errichten. ANTT, Junta da Saude Pública, Maço 89, ohne Datum, ohne Nr. Bereits zwei Jahre später erreichten die Anwohner jedoch, dass 1818 ein Stück der Lazarettmauer wieder niedergerissen wurde, um einen Durchgang für die von ihnen produzierten Weine zum Strand von Porto Brandão zu ermöglichen. ANTT, Junta da Saude Pública, Maço 37, 29.4.1818, Nr. 47. Greeff: Reise, S. 47. Der Kollege glaubte unter den beobachteten Quallenexemplaren sogar eine bislang nicht beschriebene Art erkannt zu haben. ANTT, Junta de Saude Pública, Maço 143, 10.5.1820, ohne Nr. ANTT, Junta de Saude Pública, Maço 43, Officios do Commandante da Escuna=Nympha, 11.2.1818, Nr. 7. ANTT, Junta de Saude Pública, Maço 43, Officios do Commandante do Canhoeira N. 1, 5.6.1818, Nr. 44.

384

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

tatsächliche räumliche Isolation und Kontrolle bzw. Verunmöglichung von Bewegung konnte nicht eingelöst werden. Die Motivation der Ausbrechenden war unterschiedlich, hatte zum einen mit Lebensbedingungen zu tun, denen man entfliehen, oder Zukunftsaussichten, die lockten, zum anderen mit der Quarantäne, der man sich nicht aussetzen wollte, mit Zugehörigkeits- oder Gruppenempfindungen, die diesen Schritt vereinfachten und ermöglichten. Die Strafandrohung schreckte augenscheinlich nicht ab.319 Vielmehr kann flüchtiges Verhalten als einende Komponente unter den vom Seuchenabwehrsystem Betroffenen angesehen werden – auch wenn die Meisten dies nur theoretisch in ihren Gedanken durchspielten. Die grundsätzliche Suche nach ungebremster und unstrukturierter Beweglichkeit und Bewegung, die Überwindung von Raum und Entfernung und damit einhergehende Verortung in diesem, war den Quarantäneinsassen nicht auszutreiben.

319

Bezeichnend ist die Änderung des Cádizer Reglements für Flucht, die Strafen für Handelsschiffe sollten reduziert werden, da die bisherige Summe so hoch war, dass keiner sie ernst nahm und sie keinerlei abschreckenden Effekt hatte. AHPC, Junta de Sanidad, Ordenes, L. 2969, Adiciones al Reglamento interior de la Bahia, f. 120 (1820).

4. Wozu die sanitäre Faust? Kontrollmacht und ihre Identitätsangebote Krankheit und Tod erschüttern grundsätzlich in ihrer Endlichkeit und Endgültigkeit gesellschaftliche Sozialgefüge. Beim Aufeinandertreffen unterschiedlicher (religiöser) Sinnstiftungen und Rituale, wie dies in den untersuchten Städten durch die Existenz von Minderheitengruppierungen fortdauernde Realität war, werden zugleich Machtstrukturen und Momente der Anerkennung oder Ablehnung in eben diesen Bereichen ausgetragen. In den beiden kosmopolitischen Hafenstädten Cádiz und Lissabon ist zu Beginn des 19. Jahrhunderts im innerstädtischen Umgang mit diasporischem Tod eine recht pragmatische Herangehensweise zu erkennen, die vor allem durch die Kategorien Religionszugehörigkeit und Verdachtsgrad des Sterbens bestimmt war. Die ansässigen diasporischen Fremden waren meist dem städtischen Sozialgefüge zugehörig, wenn auch nicht vollkommen gleich. Ebenso wurde ihre Krankenbehandlung nicht abgesondert oder argwöhnisch beäugt. Sie hatten neben den eigenen medizinischen Strukturen gleichberechtigten Zugang zu den einheimischen Hospitälern. Ein anderer Blick fiel jedoch auf ärmliche und mobile Fremde im Angesicht konkreter Seuchenbedrohung. Diese wurden kontrolliert, der Zugang zu medizinischer Behandlung nur unter strikten Auflagen gewährt. Die Institution der maritimen Quarantäne, die grundlegend auf der Verdachtszuschreibung nach Außen und der vermeintlich umfassenden Kontrollierbarkeit ihres Regelungsbereiches basierte, propagierte in ihren Strukturen und Regelungen absolute räumliche Trennung und Bewegungslosigkeit auf Zeit. Sie wollte Seuchen durch vollständige Kontrolle der sie möglicherweise transportierenden Schiffe, Waren und Menschen aus ihrem Regelungsbereich heraus halten. In ihren Strukturen wurde dabei unterschiedlich mit Zugehörigkeiten, Herkünften und Seuchenzuschreibungen umgegangen. Der levantinische und maghrebinische Raum waren in unterschiedlicher Ausprägung mit Argwohn besetzt, der im Falle einer existenten Epidemie sein Gewicht jedoch rasant verstärkte. Der differenzierende Vertrautheitsgrad verblasste im Angesicht akuter Seuchenbedrohung, Levante und Maghreb wurden gleichermaßen negativ und in eindeutigen Kategorien stereotyp besetzt, als das Andere betrachtet. Dabei wurde als nicht unwillkommener Nebeneffekt dieser Grenzziehungsübung der notwendige Vorlauf einer wirtschaftlichen Dominanz im nordafrikanischen Raum unter den sich durchsetzenden Paradigmen ökonomischer Rationalität geschaffen.1 1

Auf den entscheidenden Aspekt der aufkommenden liberalen wirtschaftlichen europäi-

386

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

Die Seuche erfuhr eine Politisierung, der das Mittelmeer teilende cordon sanitaire wurde über die Meerenge von Gibraltar hinaus gezogen. Dieser Argwohn schuf eine räumliche Trennung durch Zutrittsverbote, wirkte sich zugleich aber auch auf die ansässigen wenigen Maghrebiner aus, die mit dem räumlichen Verdacht gleichgesetzt wurden. Nordafrikanische Reisende waren gleichförmig mit ihrem Herkunftsraum als wandelnde Seuchenherde angesehen und wurden entsprechend nicht eingelassen. Neben den maghrebinischen ,,Nachbarn“ blickte das System in seinem unmittelbaren Wirkungsfeld mit großem Argwohn auf nicht zu kontrollierende Mobile, deren Bewegung, Kontakte und Herkunft von ihnen weder aufzuhalten, noch nachzuvollziehen waren. Herausgegriffen wurden, um diesen Umstand zu verdeutlichen, drei Kategorien, die der die Meere frei befahrenden Korsaren, der unfreiwillig den Gewalten ausgelieferten Schiffbrüchigen und schließlich der keiner Kommunikation zugänglichen angespülten Toten. Diese waren grundlegend systeminkompatibel, da sie Austausch symbolisierten und den Anspruch auf Totalität der Seuchenabwehr und -kontrolle negierten und sich eindeutigen Kategorisierungen widersetzten. Unter sehr abgeschwächten Verdacht fielen die griechischen Seeleute, die sich durch ihre Zugehörigkeit zum Osmanischen Reich bis 1821, danach aufgrund ihrer geographischen Nähe, aber auch durch ihren unzeitgemäßen kooperatistischen Zusammenschluss im Raster verfingen. Argwöhnischer war im Vergleich zu diesen der Umgang mit den ,,eigenen“ Fischern. Diese standen durch ihre zwangsläufige berufsbegleitende Mobilität, ihre distinkte Identität als Küstenbewohner, vor allem aber auch aufgrund ihrer Armut unter massiver Beobachtung. Häufig genug bestätigte die Praxis dieses negative Credo, die einheimischen Fischer erkannten die Autorität der Sanitätsbehörden nur bedingt an, nutzten die Möglichkeiten des Durchmogelns wie alternativer Erwerbsmöglichkeiten über Schmuggel und andere klandestine Tätigkeiten. Die inneren wie äußeren Fremden waren in diesen Gruppen erkannt und benannt, der ihnen zugeordnete Verdacht machte sie zu potentiellen Verursachern der Seuchen. Abseits dieser mit mehr oder minder großem Verdacht besetzten Gruppierungen, die bereits im Ankommen eine distinkte Aufmerksamkeit und Behandlung seitens der Sanitätsbehörden erfuhren, wurde innerhalb der Quarantäneableistung keine nach religiöser, geographischer oder ethnischer Zugehörigkeit differenzierende und diskriminierende Behandlung vorge-

schen Durchdringung im levantinischen Mittelmeerraum weist Toufoul Abou-Hodeib in ihrer Untersuchung der Etablierung der Quarantäne in Beirut hin: Abou-Hodeib: Quarantine and trade. Ann Thompson hingegen zeigt die im 18. Jahrhundert stattfindende Verortung des Maghreb in Afrika auf, die durch klare kommerzielle Interessen geprägt war und zu Beginn des 19. Jahrhunderts in einer weiteren Vereinigung der orientalischen und afrikanischen Bilder Nordafrikas mündete, die dessen – auch ökonomische – Minderwertigkeit zementierten. Thomson: Barbary and Enlightenment, insb. S. 62, 145.

4. Wozu die sanitäre Faust? Kontrollmacht und ihre Identitätsangebote

387

nommen.2 Diese Unterscheidungen besaßen auf dem isolierten Schiff in Quarantäne oder für den Aufenthalt im Lazarett kein Gewicht. Hier fanden sich die Menschen aus dem Mittelmeer (auf den Sonderfall der Griechen aus dem östlichen Mittelmeer wurde bereits hingewiesen), dem Atlantik, Mittel- und Nordeuropa, den Amerikas und zu einem kleinen Teil auch aus den weiteren überseeischen Besitzungen denselben Auflagen und Verboten gegenüber. Die wirklich Verdächtigen wiesen die Sanitätsbehörden in den meisten Fällen bereits zuvor ab. Vielmehr kann der Aufenthalt in der maritimen Quarantäne als einende, wenn auch isoliert verbrachte Zeit und Erfahrung betrachtet werden. Die Erfahrung und das Erleben der Quarantäneableistung führten den skizzierten Raum über bestehende Grenzen hinweg zusammen, erschufen in diesem Kontrollnetz über gemeinsame Erfahrung verbundene ,,entgrenzte Europäer“.3 Die Quarantäneinstitutionen führten zugleich jedoch die soziale Gliederung der Außenwelt fort: Besitz, Rang und unterstützende familiäre oder soziale Netze zählten auch hier und führten zu unterschiedlicher Behandlung und Erleichterungen des Aufenthalts. In Ausnahmefällen konnten diese gesellschaftlichen Parameter sogar die Lazarettmauer überwinden und Kontakte ermöglichen. Auch war die Reaktion der von Quarantäne Betroffenen eine gemeinsame und vergleichbare. Die große Mehrheit ließ die Prozeduren, Beschränkungen und Einsperrungen über sich ergehen, betrachtete sie wahrscheinlich als notwendiges Übel. Eine Minderheit, die ebenfalls nicht auf bestimmte einzelne Gruppenidentitäten zurück zu führen war, entzog sich der Kontrollsphäre der sanitären Faust und praktizierte verschiedene Formen des Widerstands – die durch möglichen Rückgriff auf vorhandene helfende Netzwerke nochmals vereinfacht wurden. Das überwiegende Gros der der Quarantäne Unterworfenen hatte in seiner habituellen Ausrichtung die Sinnstrukturen und Praktiken der Seuchenabwehr akzeptiert. Die in vielen Bereichen des maritimen Lebens nach wie vor existenten subversiven und normdurchkreuzenden habituellen Verhaltensmuster verfolgte in der Quarantäne nur eine Minderzahl. Sie gehörten jedoch grundlegend zum Fächer der aktivierten Handlungsmöglichkeiten und brachten das Element der See und ihrer ,,Gesetze“ in den Hafen und an Land. Die Ableistung und Erfahrung der maritimen Quarantäne schuf ein verbindendes Element, den im erweiterten mediterranen Seeraum agierenden und sich bewegenden Europäer. Die genuin im mediterranen Raum entstandene und ausformulierte Institution der maritimen Quarantäne bot somit ein 2

3

Auch wenn vor allem den spanischen Sanitätsmaßnahmen (terrestrisch wie maritim) von Zeitgenossen immer wieder eine besonders große Härte und Dauer attestiert wurde. Muñoz Machado: La sanidad publica en España, S. 87. Es werden soziale Beziehungen und Koordinatensysteme über die verordnete Distanz aufgebaut. Weiterführend zu den verschiedenen Facetten und Wirkungskräften von kollektivem wie individuellem Erleben und Erfahren: Erleben, Erleiden, Erfahren.

388

IV. Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel

verbindendes, sinnstiftendes und handlungsleitendes Strukturangebot von Zeit und Raum, das Identitäten, Zugehörigkeiten und Zugang formte und zugleich kollektiv geteilte Ordnungen und sinnlich wahrnehmbare machtgeladene ,,Eigenräume“ konstituierte und verteidigte.4 Die vergleichsweise späte Einführung der ,,festen“ Quarantäneinstitutionen in Spanien und Portugal kann vor diesem Hintergrund neben dem seit der Pest von Marseille 1720 in den Vordergrund getretenen Primat umfassender obrigkeitlicher Seuchenabwehr, auch als Rückwendung zum mediterranen Identitätsangebot in Zeiten abnehmender wirtschaftlicher und politischer Bedeutung, das um die Komponente der nordeuropäischen, insbesondere englischen und französischen Dominanz erweitert worden war, betrachtet werden.5 Bezeichnenderweise waren beide Länder unter den letzten im mediterranen Raum, die das klassische System der Quarantäne durch die der Doktrin des Freien Handels unterworfene medizinische Inspektion ersetzten.6

4 5

6

Der Begriff des ,,Eigenraums“ ist hier von Karl-Siegbert Rehberg entlehnt: Rehberg: Machträume, S. 43. Insbesondere in Spanien mutierte die institutionalisierte Seuchenabwehr erst im Gefolge der Bourbonischen Reformen im 18. Jahrhundert und dem damit einhergehenden Willen, sich auf den verschiedenen Ebenen der Kultur, Wirtschaft und Militär dem aufgeklärten westlichen Europa anzuschließen, zum Aufgabenbereich zentralistischer absolutistischer Herrschaft. Durch den Frieden von Utrecht 1714 waren die mediterranen Besitzungen, Neapel, Sizilien und Menorca, die jenseits der fremden Lazarette die spanische Seuchenabwehr übernommen hatten, nicht mehr zugänglich. Nicht zufällig führte die Marseiller Pest zur Gründung der ,,Junta Suprema de Sanidad“, des ersten national gültigen Gremiums, das ausschließlich die maritime Seuchenabwehr zur Aufgabe hatte. Vgl.: Corrales: Comercio de Cataluña, S. 145–154, 159–163; Corrales: Proyección mediterránea, S. 150. Portugal fokussierte bereits mit dem Erlass ,,Regimento do Provimento de Saúde para o Porto de Belém“ von 1695 auf eine national einheitliche maritime Seuchenabwehr. Doch erst 1813 wurde die koordinierende Organisationseinheit der ,,Junta de Saude“ ins Leben gerufen. Die Errichtung einer permanenten steinernen Quarantäneanlage wurde durch das gesamte 18. Jahrhundert hindurch gefordert, aufgrund von – so ist zu vermuten – mangelnder Dringlichkeit angesichts der mannigfaltigen zu absolvierenden Reformen und dem Wiederaufbau Lissabons immer wieder vertagt. Spanien verabschiedete sich 1899 vom System der klassischen Quarantäne, Portugal erst 1901. Vorreiter für die Einführung dieser individuellen Examinierung in Europa war Großbritannien für die Insel 1841, in den mediterranen britischen Satelliten blieb das klassische System jedoch bis Ende des 19. Jahrhunderts in Kraft. Vereinzelt verhängte Malta noch bis 1929 Quarantänemaßnahmen gegen Schiffe aus pestverseuchten Häfen. Die beiden iberischen Länder hatten auf den seit 1851 stattfindenden internationalen Sanitätskonferenzen, die zur Vereinheitlichung und Standardisierung der Seuchenabwehrmaßnahmen unter der grundsätzlichen Maxime ,,Maximaler Schutz bei minimalen Restriktionen“ stattfanden, das klassische System der Quarantäne verteidigt und hochgehalten. Bereits 1856 war der Versuch gestartet worden, eine Quarantänekonvention für das Mittelmeer zu erarbeiten – sie kam allerdings über das Entwurfsstadium nicht hinaus. Baldwin: Contagion, S. 213f, 255; Booker: Maritime Quarantine, S. 538, 550; Mafart, Perret: Histoire, S. 18.

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie als politisch-wirtschaftlicher Faktor und als Projektionsfläche rund um die Maltesischen Inseln von Desanka Schwara

1. Die Maltesische Inselgruppe Ein gewisser Marquis de Fleury, seines Zeichens Malteser Ritter französischer Zunge, kaperte im Auftrag des Königs von Polen im Jahre 1686 einhundert Meilen vor Alexandrien drei englische Schiffe. Er verlangte, die Schiffe nach ,,Türken und nach türkischen Waren“ durchsuchen zu dürfen – das heißt nach Muslimen, woher auch immer sie stammen mochten. Der englische Kapitän der ,,Jerusalem“ verweigerte die Durchsuchung und zeigte einen Passierschein von James II. und eine Ladebescheinigung aus Livorno. De Fleury ließ sich von diesen Papieren nicht beeindrucken und kaperte die ,,Jerusalem“ mit Gewalt. Tatsächlich befanden sich etwa siebzig Muslime an Bord: der Bey von Tripolis höchstpersönlich und seine Gefolgschaft, seine Gattin und acht andere Frauen.1 De Fleury brachte die ,,Jerusalem“ nach Malta und überließ sie samt Besatzung der Quarantäne. Der Bey durfte nach Tripolis weiterreisen. Dort sollte er das Lösegeld organisieren. Seine Frau und sein Gefolge blieben als Geiseln zurück. Gold, wertvolle Stoffe, Hemden, Taschentücher, Teppiche, 561 Paar Schuhe, Wachs und Zucker waren an Bord. Die maltesischen Ritter reizten zusätzlich den verletzten englischen Stolz, indem sie französischen Schiffen mit muslimischen Passagieren erlaubten, ungehindert in Malta zu landen und die Inseln wieder zu verlassen, während de Fleurys englische Beute im gleichen Hafen vor Anker lag. James II. hatte gleich drei Gründe, wegen dieser Affäre verärgert zu sein. Erstens befürchtete er Maßnahmen des Sultans gegen englische Kaufleute in der Levante, da er die muslimischen Passagiere nicht erfolgreich geschützt hatte; zweitens, aus demselben Grund, dass Krieg mit Tripolis ausbrechen könnte; und drittens bangte ihm vor der Schmach, falls die Kaper seines Schiffes als rechtmäßig erklärt werden sollte – im Gegensatz zu jener eines französischen Schiffes gut zwei Jahrzehnte zuvor. Es würde seine Autorität untergraben, wenn seine Flagge als geringer eingeschätzt werden sollte als die des französischen Königs. James II. versuchte nun, auf den Großmeister der Malteser Ritter Carafa Druck auszuüben. Dieser aber wehrte ab. Diese Angelegenheit beträfe allein den König von England, den König von Polen und de Fleury selbst. Er sehe keinerlei Möglichkeit, in irgendeiner Form Einfluss zu nehmen, worauf James II. kurzerhand drei Schiffe der Royal Navy vor Malta stationierte. Er imitierte die Handlungsweise Frankreichs im besagten ähnlichen Fall und untersagte die Zahlung eines Lösegeldes. In der Tat waren nach dem harten Durchgreifen 1

,,Bey“ war der Titel des Statthalters einer Unterprovinz im Osmanischen Reich; in Nordafrika regierten sie relativ autonom, da sich die nordafrikanischen Staaten nur in loser Abhängigkeit zum Osmanischen Reich befanden.

392

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

seinerzeit kaum noch französischen Schiffe nach ,,Türken“ durchsucht worden, obwohl keine andere christliche Nation so viele Muslime von einem Ort des Mittelmeers an einen anderen transportierte, wie die Franzosen. Die englischen Kapitäne und Offiziere wurden von Großmeister Carafa freundlich empfangen. Er erklärte ihnen, der Marquis de Fleury sei nach Sizilien abgereist, und er habe ihm untersagt, nach Malta zurückzukehren. Die Engländer erhielten alle Geiseln und Güter des Bey ausgehändigt, die als Pfand für ein Lösegeld zurückbehalten worden waren. Die englischen Schiffe brachten die Gefolgschaft des Bey samt ihren Sklaven und Gütern nach Tripolis. Dies ist aus der Perspektive der Malteser Ritter in der Tat eine delikate Handlungsweise, da sich unter den Sklaven sicherlich auch Christen befunden haben mussten, und es eigentlich eine Christenpflicht gewesen wäre – auf die sie ihren Eid geleistet hatten –, diese zu befreien. Der Inquisitor von Malta informierte umgehend den Papst bzw. seinen Staatssekretär über diesen neuesten Stand der Dinge. Dies war klug, zumal er so Rom vor lästigen politischen Verwicklungen bewahrte, wollte sich de Fleury doch von Sizilien nach Rom aufmachen, um seine Beute vom Papst höchstpersönlich als rechtmäßig erklären zu lassen. Er wurde aber auf Ersuchen des englischen Gesandten in Rom unverzüglich aus Sizilien verbannt, worauf er nach Wien abgereist und sich zur kaiserlichen Armee gemeldet haben soll. Man habe nie wieder von ihm gehört.2 Die verwickelten politischen Verhältnisse und wirtschaftlichen Interessen im Mittelmeer treten immer wieder zu Tage, sobald man sich von den erklärten Hauptfeinden – den Christen und den Muslimen – etwas ab- und der tatsächlich verworrenen Lage zuwendet, die wiederholt zu großen Komplikationen führte und die Fronten und Loyalitäten immer neu bestimmte. Schon nur in diesem einen ausgewählten Fall waren allein auf christlicher Seite der polnische König, ein französischer Malteser Korsar, der Papst, England, Malta, Sizilien und Frankreich verwickelt. Das Einzigartige an den Korsarenkriegen im Mittelmeer ist der Umstand, dass sich jeder daran beteiligen konnte, der bereit und in der Lage war, Korsaren zu finanzieren, unabhängig davon, ob sein Land an das Mittelmeer grenzte – ja unabhängig davon, ob sein Land überhaupt an ein Meer grenzte. Sogar der polnische König Jan III. Sobieski hatte 1686 – drei Jahre nach seinem großen Erfolg gegen die osmanische Armee während der zweiten Belagerung Wiens – seine militärischen, politischen und wirtschaftlichen Ambitionen offensichtlich auf das Mittelmeer gerichtet, wie dieses Beispiel zeigt. An die Inselgruppe Malta, Gozo, Comino – und die weiteren vier Inseln Cominotto, Filfla oder Filfola, St. Paul’s Islands und Fungus Rock, die aller2

Allen: James II in Pursuit of a Pirate at Malta. Allen schildert eindrücklich den genauen Ablauf der Ereignisse, die er aufgrund von Manuskripten in der British Library rekonstruieren konnte. Allerdings erwähnt er den polnischen Auftraggeber nur en passant und geht auf seine Interessen im Mittelmeer nicht ein.

1. Die Maltesische Inselgruppe

393

dings nicht bewohnt waren – treten wir mit der Frage nach sozialer Verortung und ihren Auswirkungen heran. Es geht um verschiedene Personengruppen – Piraten, Soldaten und Seeleute, Verschleppte und Sklaven, Herren und Diener – und Formen der Solidarität über religiöse, sprachliche oder ethnische Grenzen hinweg, um Unterschiede im Verständnis von Freiheit und Unfreiheit, Schattierungen der Freiheit und Grade der Unfreiheit. Im Zentrum steht die Frage nach neuen Lebensstilen, die mit wechselnden Herren und entsprechenden Herrschaftsstrukturen einher gingen und nach dem Umgang mit Problemgruppen; zu welchen Gruppen, zu welcher Art von Gruppen schließen sich Menschen aus welchen Gründen und zu welchen Zeitpunkten, in welcher Form und für wie lange zusammen? Die Piraterie – der Raub zur See – existiert so lange wie Seefahrt und Seehandel. Hier rücken ein Raum und eine Zeit in den Mittelpunkt, die im europäischen Kontext zentral sind: Der Mittelmeerraum und der Kampf um die wirtschaftliche und politische Vormacht an der Schwelle vom 18. zum 19. Jahrhundert. Zeitliche Rückblenden auf das ,,Goldene Zeitalter der Piraterie“ vom 16. bis 18. Jahrhundert erhellen die Dimensionen der Verwicklungen und die sich überlappenden und verschiebenden Interessen und Loyalitäten der historischen Protagonisten. Auch hier stellt sich die Frage der Perspektive. So galt zum Beispiel für griechische Piraten das 18. und 19. Jahrhundert als das ,,goldene“.3 Die Lage Maltas – die geographische wie die historische – in der Méditerranée ist einzigartig. Die geographische Offenheit Maltas in alle Richtungen ist ein Spiegelbild ihrer vielfältigen kulturellen Beschaffenheit, als handle es sich um ein Erbe von Maltas geologischem Ursprung: Diese Welt zwischen allen Welten soll einst Europa mit Afrika verbunden haben. Noch während der Eiszeit gehörte Malta zu Europa und löste sich erst etwa um 11.000 v.d.Z. von Sizilien. Die vielen kulturellen Einflüsse leuchten schon im Namen auf: ,,Malta“ – die Griechen nannten die Inselgruppe ,,Melita“ – stammt von malat ab, dem phönizischen Wort für ,,Zufluchtsort“, an dem die Phönizier auf ihren langen Reisen von der Ostküste des Mittelmeers nach Cádiz auf der Iberischen Halbinsel oder Tanger in Nordafrika Schutz und Verpflegung fanden.4 Die Inselgruppe war über die Jahrhunderte stark umkämpft und eine gefragte Trophäe, da sie eine wichtige strategische wie symbolische Funktion im ,,Heiligen Krieg“ zwischen Christen und Muslimen hatte.

3

4

Das Ende des ,,Goldenen Zeitalters“ endete in der Karibik mit zahlreichen Verhaftungen und Hinrichtungen ab 1718 als konsequente Umsetzung des von London im Jahre 1700 erlassenen Gesetzes zur wirksamen Unterdrückung der Piraterie. Bohn: Die Piraten, S. 69f., 90; Katele: Piracy and the Venetian State. Abela: Malta, S. 40.

394

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

1.1 Die Bastion der Christenheit im Mare Nostrum Auf den maltesischen Inseln finden sich Spuren einer Jahrtausende alten Geschichte. Sie reichen von den ersten monumentalen steinzeitlichen Tempelanlagen über römische Gräber und Katakomben bis zu den Wehranlagen des Malteserordens. Malta stand im Verlauf ihrer Geschichte unter dem Einfluss vieler Kulturen. Phönizier, Griechen und Römer beherrschten die Insel. Im 9. Jahrhundert, als die Inseln zum Byzantinischen Reich gehörten, wurde die Inselgruppe von den Arabern erobert. Im 11. Jahrhundert gingen die Inseln an Sizilien und 1282 an Spanien. Malta teilte das Schicksal Siziliens, bis es 1530 Kaiser Karl V. dem Malteserorden bzw. Johanniterorden zu Lehen gab. Der Orden des heiligen Johannes zu Jerusalem, zu Rhodos und zu Malta (hospitalier) verstärkte die Befestigungsanlagen am Hafen und verteidigte die Inseln erfolgreich gegen osmanische Angriffe. Als Konsequenz der Belagerung durch die Osmanen 1565 wurde ein Jahr später die Festungsstadt Valletta, benannt nach dem Großmeister Jean Parisot de la Valette, gegründet. Die Geschichte der hospitalier geht auf die Eroberung des Heiligen Landes durch die Kreuzzugsheere zurück. Als der Strom der christlichen Pilger stark anschwoll, errichteten die Ritter an den Pilgerwegen und in Jerusalem Herbergen, um die Wallfahrer aufzunehmen und Kranke zu pflegen. Finanziert wurde der Orden durch Zuwendungen von Pilgern, Päpsten, Fürsten und durch Stiftungen von Adeligen und Bürgern. Er gründete auf drei Gruppen von Mitgliedern: auf Brüdern, die Waffendienst leisteten, auf Geistlichen und auf Brüdern, die den Pflegedienst übernahmen. Seit der Niederlage in Jerusalem musste sich der Johanniterorden wiederholt neu orientieren. Nach der Schlacht bei Akkon 1291 und dem Sieg der Muslime ließ sich der Orden in Zypern nieder. Da die Ritter dort als unabhängige Gemeinschaft nicht wirklich Fuß fassen konnten, nahmen sie zu Beginn des 14. Jahrhunderts die Insel Rhodos in Besitz. Unter ihrem Großmeister Philipp Villiers de L’Isle Adam wurden die Ritter 1522 nach sechsmonatiger Belagerung durch Sultan Süleyman den Prächtigen gezwungen – er gewährte ihnen einen freien, ehrenhaften Abzug –, Rhodos zu verlassen. Der heimatlos gewordene Orden versuchte an verschiedenen Orten auf der Apenninenhalbinsel wieder einen Konvent zu errichten, doch ohne Erfolg. Dies gelang erst 1530 auf Malta, als Kaiser Karl V. den Rittern die Inselgruppe und die Stadt Tripolis als Lehen überließ. Von nun an hieß der Johanniterorden auch Malteserorden. Die Ritter ließen sich nur widerwillig auf den kargen maltesischen Inseln nieder, da Rhodos mit seinem fruchtbaren Hinterland ein bedeutend attraktiveres Leben bot. Andererseits war Malta aufgrund der guten strategischen Lage inmitten des Mittelmeers ideal für die Hauptaufgabe der Ritter, die sich als ,,Schild Europas“ verstanden und sich zum Ziel setzten, das christliche

1. Die Maltesische Inselgruppe

395

Abendland vor muslimischen Eroberungen zu schützen; mehr noch, durch Freibeuterei der osmanischen Handelsschifffahrt zu schaden.5

1.2 Die Sprachen und Zungen als Gliederungsprinzipien Der Orden strukturierte sich hierarchisch unter der Regentschaft eines Großmeisters und der Räte und erlangte eine einzigartige Souveränität, die sich territorial nicht auf Malta beschränkte, sondern durch die Besitzungen der Ritter nach ganz Europa ausstrahlte. Er gliederte sich nach ,,Nationen“6 oder nach Sprachgebieten, aus denen die Mitglieder stammten. Diese Einheiten wurden daher ,,Sprachen“ oder ,,Zungen“ genannt. Die Ritter lebten in Kommenden (Ordensniederlassungen), kleinen selbständigen Verwaltungseinheiten innerhalb eines Großpriorates (Konvents oder Klosters) oder einer Ballei (Provinz).7 Bereits in Rhodos hatte sich der Orden nach ,,Zungen“ gegliedert. Zunächst gab es deren sieben: Aragon (mit Navarra), Provence, Auvergne, France, Italia, England (mit Schottland und Irland) und Deutschland. 1462 trennten sich Kastilien und Portugal von Aragon und bildeten eine eigene achte Zunge. Die Reformation schlug tiefe Kerben in die Organisationsstruktur des Ordens. Sie schwächte die englische und die deutsche Zunge dermaßen, dass ihre Funktionen umverteilt werden mussten. Im 18. Jahrhundert entstand eine ,,bayerische Zunge“, die auch die frühere englische und die deutsche Zunge repräsentierte. Dies entsprach der grundsätzlichen Organisationsstruktur des Ordens durchaus, der auch in den anderen Zungen die Ordensniederlassungen mehrerer Gebiete nicht wirklich den Sprachgrenzen folgend vereinte. Zur deutschen bzw. später bayerischen Zunge gehörten auch die Ritter aus Polen, Ungarn, Böhmen und Skandinavien. Jede Zunge besaß mindestens ein Priorat. Zu einer Ballei gehörten meist mehrere Kommenden. Diese Balleien waren verantwortlich für die Verwaltung des Ordensbesitzes, die Unterhaltung und Beaufsichtigung der karitativen Institutionen des Ordens, vor allem für die Pflege der Kranken und die Verpflegung der Armen. Sie waren aber auch zuständig für die Vergabe von Pfründen, von kirchlichen Ämtern, die mit einem Einkommen verbunden waren. Eine weitere wichtige Aufgabe war die militärische Organisation, der Bau von Wehranlagen und die Unterhaltung der Ordensflotte im Mittelmeer.8 5 6 7 8

U. a. Fontenay: Charles Quint, Malte et la défense de la Méditerranée. Ähnlich wie die nazioni anderer Diasporagruppen ist diese Organisationseinheit nicht mit ,,Nation“ der Moderne zu verwechseln (siehe Glossar). Ebe, Galea: Ferdinand Freiherr von Hompesch, S. 13f. Galimard Flavigny: Histoire de l’ordre de Malte; Petiet: Ces messieurs de la religion, S. 38f.

2. Alte und neue Herren im Konflikt Malta gehörte im 16. und 17. Jahrhundert zu den größten Seemächten des Mittelmeers. Die Malteser Ritter verstanden sich als ,,Elite der Christenheit“, als Schild vor den Toren Europas und leisteten ihren Schwur auf die römischkatholische Kirche; sie gelobten, sie zu verteidigen und nie ihr Schwert gegen Christen zu erheben.1 Die Realität war, wie es sich in den christlich-christlichen Auseinandersetzungen zeigte, komplexer. Das wechselhafte Schicksal des Ordens stand auch in Malta unter keinem guten Stern. Aufgrund der kargen Beschaffenheit der Inseln mussten die Ritter fast alle Lebensmittel importieren, was sie natürlich abhängig und verletzlich machte. Die Reformation und die christlich-christlichen Religionskriege gefährdeten die Versorgung, zudem musste der Orden durch den Verlust der Besitztümer in Europa große finanzielle Einbußen hinnehmen.2 Mit der Bevölkerung Maltas kam diese elitäre Rittergemeinschaft kaum in Berührung. So, wie die Ritter in ihrer doppelten Loyalität verortet waren – durch ihren Eid dem Papst und ihrem Orden verpflichtet, andererseits ihren Herkunftsorten und den Territorien ihrer Zungen loyal –, bewegte sich auch die maltesische Bevölkerung zwischen Loyalitäten. Sie akzeptierte zwar die Herrschaft der Ritter – so, wie später die französische und die britische –, fühlte sich aber mit dem Orden nicht wirklich verbunden und sah sich zu Zeiten seiner Schwäche nicht veranlasst, ihn zu unterstützen, zu schützen oder gar gegen starke Feinde zu verteidigen. Mit dem Einzug des nationalstaatlichen Prinzips verschoben sich auch die Loyalitäten der Ritter eher weg von ihrer grundsätzlich katholischen Verpflichtung und den Ländern ihrer Zungen zu; sie bewegten sich in einem weiten Feld persönlicher und kollektiver Zugehörigkeiten, Überzeugungen und Ziele. Zur Gruppe konstituierten sich die Ritter über ihre Religion, einen privilegierten sozialen Status, bestimmte postulierte Qualitäten und Verhaltensweisen und ihrer grundsätzlichen Absicht, eine Ritter-Karriere anzustreben. Die Gestalt dieser traditionsorientierten Gemeinschaft wurde in ihren starren hierarchischen Strukturen sicherlich wesentlich durch den Umstand bestimmt, dass nur Männer zum Orden zugelassen waren. Wie viele Herrscher von nah und fern, die sich um eine starke Präsenz im Mittelmeerraum bemühten, beschäftigte auch der Malteser Orden Söldner und stattete sie mit Kaperbriefen aus. Söldner waren insbesondere deshalb beliebt, weil es billiger war, sie anzuwerben, als selbst Soldaten auszubilden und ein stehendes Heer bzw. eine unaufkündbare Flotte zu unterhalten. Viele christliche Städte entlang der mediterranen Küsten heuerten ihrerseits Malteser Ritter als Söldner an, obwohl sie sich gelegentlich als undiszipliniert, 1 2

Bamford: The Knights of Malta and the King of France. Nicholson: Knights Hospitaller, S. 117f.

398

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

zu unabhängig und oft als unzuverlässig bei der Ausführung der Befehle erwiesen.3 Dieser Wankelmut kann einerseits wirtschaftlichen Überlegungen zugeschrieben werden, andererseits den oft widerstreitenden Loyalitäten der Ritter, da sie ansonsten für Ihre Tapferkeit bekannt waren. Die Bedeutung und Macht des katholischen Ordens wuchs stetig, bis die Malteser Ritter an der Schwelle vom 17. zum 18. Jahrhundert durch die politischen Veränderungen im Mittelmeerraum ebenso kontinuierlich an Autorität und Einfluss verloren. Die osmanische Präsenz in der Méditerranée wurde seit Ende des 18. Jahrhunderts sichtlich schwächer, folglich auch die Bedrohung christlicher Schiffe durch die Osmanen geringer. Mehr noch, Verträge verschiedener christlicher Staaten mit muslimischen nahmen den Rittern die Legitimation der ,,religiösen“ Kriege. Das christliche Schild inmitten des Mittelmeers und vor den Toren Europas war überflüssig geworden.4 Dank der einzigartigen Lage und der vorbildlichen Quarantäneeinrichtungen diente Malta den europäischen Mächten allerdings weiterhin als Zwischenstation und konnte als kosmopolitische Freihandelszone und wichtigster Umschlagplatz der internationalen Seefahrt erheblich vom Mittelmeerhandel profitieren.5

2.1 Der russische Stern am maltesischen Horizont Die Beziehungen zu Russland illustrieren die launenhaften Loyalitäten der Ritter, durch die politisch-wirtschaftliche Abhängigkeit so stark geleitet, besonders eindrücklich. Der katholische Malteserorden suchte ab dem 18. Jahrhundert aktiv den Beistand des christlich-orthodoxen Zarenreiches, um sich im Mittelmeerraum neu zu positionieren, was den geostrategischen Interessen sowohl Maltas als auch Russlands entsprach. Die Beziehungen des Malteserordens zu Russland sind schon älter, doch gewannen sie Ende des 18. Jahrhunderts an Intensität.6 Ein erster offizieller Kontakt zwischen dem Zarenreich und Malta ist 1698 dokumentiert.7 In diesem Jahr wurde Boris Petrovič Šeremetev – der im Nordischen Krieg eine wichtige Rolle gespielt und bereits diplomatische Erfahrungen durch die Verhandlungen mit dem 3 4 5 6

7

Bamford: The Knights of Malta and the King of France, S. 444f. Vella: Malta and the Czars, S. 7. Blondy: Ordre de Malte, S. 733. Mit Dank an Marcel Gosteli für wichtige Anregungen und Literaturhinweise, u. a. Blondy: L’Ordre de Malte; Cavaliero: The Last of the Crusaders. Feldback: The Foreign Policy of Tsar Paul I.; Freller: Russlands Blick auf eine neue Welt; Hospitaller Malta; Krethlow: Der Malteserorden; Malta and Russia; Nicholson: The Knights Hospitaller; Schembri: The Malta and Russia Connection; Sire: The Knights of Malta; Vella: Malta and the Czars. Malta and Russia, S. XXIV.

2. Alte und neue Herren im Konflikt

399

polnischen König Jan III. Sobieski und Kaiser Leopold I. gesammelt hatte – vom damaligen Großmeister Ramón Perellós y Roccaful zu einer Audienz empfangen. Šeremetev versuchte im Auftrag von Peter I. den Malteserorden für eine Allianz gegen das Osmanische Reich zu gewinnen.8 Der Großmeister berief sich auf die gebotene Neutralität, obwohl die Statuten des Ordens zu Kriegen gegen Feinde des katholischen Glaubens aufforderten.9 Diese Episode deutet einerseits auf die bereits geschwächte Position der Ritter hin, andererseits auf das noch schwache und gegen die osmanische Macht relativ hilflose Zarenreich. Hatte sich die Begegnung im Jahre 1698 auf diplomatische Höflichkeit beschränkt, so erfolgte 1744 die erste wichtige offizielle Kontaktaufnahme des Ordens mit Russland. Der Großmeister Manuel Pinto da Fonseca beorderte Gundacker Ludwig Graf von Althan, seinen chargé d’affaires am Wiener Kaiserhof, die Zarin Elizaveta Petrovna über den russischen Botschafter in Wien zu bitten, ihren Einfluss am preußischen Hof geltend zu machen, um Güter der Ritter in Preußen zu schützen. Obwohl sich die Zarin für eine diplomatische Intervention nicht gewinnen ließ, versuchte Pinto da Fonseca mehrmals, Kontakte mit St. Petersburg aufzunehmen, was auf die dringende Notwendigkeit der Ritter, sich strategisch neu auszurichten, hindeutet.10 Russland war erst Ende des 18. Jahrhunderts mit dem Vorstoß gegen die Osmanen bis zum Schwarzen Meer zu einer bedeutenden Großmacht im Mittelmeerraum aufgestiegen.11 Diese Kräfteverschiebung bemerkten auch die Ritter. Der Ordensritter Joseph Charles Meyer de Knonau stellte fest, dass nun Russland das diplomatische Morgenland der Ritter sei, von dem das Licht ausstrahle, zwar – zugegeben – schwach und falsch; aber da es den Horizont erleuchte, müssten sie ihm folgen, wohin auch immer es führe.12 Das russische, christlich-orthodoxe Licht war aus katholischer Perspektive natürlich ,,falsch“. Durch die stetig dezidiertere Präsenz Russlands im Mittelmeerraum ermutigt, bemühte sich der Malteser Orden aber immer aktiver um Russlands politische und militärische Unterstützung.13 Russland war seinerseits am Drehkreuz Malta ebenso interessiert wie alle anderen bedeutenden Seemächte.14 Das Zarenreich, das zuvor lediglich einen Nordweg zu den interna8 9 10 11 12 13

14

Stegny: Russia and Malta, S. 63. Freller: Russlands Blick, S. 165, 169. Freller: Russlands Blick, S. 165f. Freller: Russian Travelogues, S. 52; de Scherbowitz-Wetzor, Toumanoff: Order of Malta, S. 7. Cavaliero: Last of the Crusaders, S. 199. Die Forschung konzentrierte sich auf die Entwicklung des Ordensstaats, die Geschichte der maltesischen Bevölkerung wurde weitgehend ausgeklammert. Doch auch die Historiographie, die sich mit der Geschichte der Malteser Ritter befasste, vernachlässigte ihre Beziehungen zur christlich-orthodoxen Welt. Einen wichtigen Beitrag zu dieser Thematik leistete Elizaveta Zolina mit ihren Sammelband ,,Malta and Russia”. Schmurlo: Histoire de la Russie, S. 126; Malta and Russia, S. XXIII.

400

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

tionalen Gewässern kannte, wollte sich nun am lukrativen Mittelmeerhandel beteiligen. Katharina II. nutzte die guten Kontakte und ließ russische Offiziere in der berühmten Ordensflotte der Malteser Ritter ausbilden.15 Die beweglichen und nach allen Seiten verschiebbaren Grenzen im Mittelmeer wurden dann einmal mehr neu verhandelt: Frankreich und das Osmanische Reich zogen am gleichen Strang, während Russland den geschwächten Ordensstaat an seine eigentliche Aufgabe erinnerte, worauf der Großmeister Manuel Pinto da Fonseca 1770 in einer Note an die Zarin seine Ohnmacht und Abhängigkeit bekannte: Die Bestimmung seines Ordens, die Übereinstimmung seiner Gesinnung mit jener der Zarin und insbesondere sein sehnlichster Wunsch, sich in seiner Handlungsweise nach dieser Geisteshaltung zu richten, wären ihm der kräftigste Beweggrund, der russischen Flotte alle nur mögliche Hilfe zu leisten, wenn ihm nicht durch verschiedene hindernde Umstände die Hände gebunden wären. Der wichtigste derselben sei der, dass er sich nach der Handlungsweise der Schutzmächte seines Ordens richten müsse.16 Der Sieg Russlands über die osmanische Flotte 1770 in der Bucht von Çeşme glückte schließlich auch ohne maltesischen Beistand. Die Fraktion der sich nach Russland ausrichtenden Ritter soll später bedauert haben, an diesem bedeutenden Sieg nicht beteiligt gewesen zu sein.17 Allerdings soll es im Geheimen immer Kontakte und gar eine aktive Unterstützung der russischen Mittelmeerpolitik im Spionagebereich gegeben haben.18 Der siegreiche Graf Aleksej Orlov ließ dem Großmeister Francisco Gimenez de Tejada als Dank für diese geheimen Missionen im Dienste Russlands sechsundachtzig in der Ägäis gefangen genommene algerische Sklaven aushändigen, die dieser zum Austausch gegen in Algier lebende französische Sklaven wiederum Frankreich übergab. Diese symbolische Geste über das internationale Sklaven-Drehkreuz Malta verlieh den Beziehungen aller Beteiligten einen gewissen Schwung. Die Annäherung zwischen den Rittern und Russland wurde also auch auf diesem wenig rühmlichen Gebiet – der im Zuge der Freibeuterei sich auf Malta etablierende Sklavenmarkt stand zunehmend im Widerspruch zum karitativen Anspruch des Ordens – intensiviert.19 Unter Katharina II. hatte sich die Position des russischen Imperiums völlig verändert. Der Glanz des Zarenreichs strahlte bis ins Mittelmeer. Den militärischen Erfolgen gegen das Osmanische Reich folgte 1774 der Friedensvertrag von Küçük Kaynarca, der Russland – dessen Territorium sich nun bis zum Schwarzen Meer ausdehnte – die freie Schifffahrt in

15 16 17 18 19

Freller: Russlands Blick, S. 166f. Zitiert nach: von Berg: Malteserorden, S. 150f.; Freller: Russlands Blick, S. 168. Malkowski: Malta as a Focus of Anglo-Russian, S. 119. Von Berg: Malteserorden, S. 146, 149, 251; Cavaliero: Last of the Crusaders, S. 157; Freller: Russlands Blick, S. 180. Von Berg: Malteserorden, S. 155; Freller: Anglo-Bavarian Langue, S. 123; Schembri: Malta and Russia Connection, S. 17.

2. Alte und neue Herren im Konflikt

401

allen osmanischen Gewässern zusicherte.20 Der Sieg des Zarenreichs über die Osmanen schuf jedenfalls in verschiedener Hinsicht ein für den Orden verändertes politisches und strategisches Umfeld, auf das es sich einzustellen galt. Es gab Vorstöße einzelner Ritter, die Katharina II. um Beistand baten; sie solle die Schirmherrschaft über den Orden und Malta übernehmen und ihre Flotte vor Malta stationieren, um den Franzosen die Eroberung der Inseln zu verunmöglichen. Sei es aufgrund der Sympathie der Zarin für viele Elemente der französischen Kultur und Literatur oder in weiser politischer Voraussicht: Die russische Flotte wurde nicht gegen Frankreich eingesetzt.21 Vom russischen Aktivismus im Osten Europas profitierten die Ritter aber durchaus. Im Zuge der Teilungen Polens gelangten die Ländereien dieses Großpriorates – die Bayern, Polen, Böhmen und Ungarn in sich vereinende Zunge – unter die Kontrolle des Zarenreichs, das in alle Himmelsrichtungen in Expansion begriffen war.22 Paul I., der Nachfolger von Katharina II., belebte die russisch-maltesischen Beziehungen. In ihm fand der Orden einen mächtigen Fürsprecher auf dem internationalen politischen Parkett, der die Kontakte zu den Rittern allerdings auch für russische Interessen zu nutzen wusste.23 Als eine seiner ersten Amtshandlungen wandelte Paul I. das polnische Großpriorat 1797 offiziell in ein russisches um.24 Gleichzeitig einigten sich St. Petersburg und Malta darauf, das russische Großpriorat mit der englisch-bayrischen Zunge zu vereinigen. Pauls große Vorliebe für alles deutschen Ursprungs, wie auch die Macht Russlands und die Schwäche des Ordens zeigten sich im gleichen Jahr, als Ferdinand von Hompesch zum Großmeister gewählt wurde; der einundsiebzigste und erste deutsche Großmeister.25 Als dieser nach nur einem Jahr zurücktrat, nachdem die französischen Truppen unter Napoléon Bonaparte die maltesischen Inseln besetzt hatten, amtierte der Zar von 1799 bis zu seinem Tod 1801, von Mitgliedern des russischen Großpriorates und den nach St. Petersburg geflüchteten Rittern in dieses ehrenvolle Amt berufen, sogar als Großmeister, was eigentlich den Ordensstatuten widersprach, da er weder Katholik noch ledig war. Dies zeigt, wie bedroht sich der Orden gefühlt haben musste; ein Überleben traditioneller Werte des katholischen Ordens schien nur noch möglich, wenn ein Teil derselben geopfert wurde.26 Zu Beginn des 19. Jahrhunderts erfuhren die maltesisch-russischen Beziehungen ein abruptes Ende. Der russischen 20 21 22 23 24 25 26

HHStA Wien, Staatenabteilungen, Türkei V, Kart. 25, 1783, fol. 1–46; Freller: Russlands Blick, S. 170. Von Berg: Malteserorden, S. 180f. Freller: Russlands Blick, S. 171f.; Von Berg: Malteserorden, S. 180. Freller: Anglo-Bavarian Langue, S. 133; Saul: Russia and the Mediterranean, S. 23; Feldback: Foreign Policy of Tsar Paul I, S. 18, 35; Freller: Anglo-Bavarian Langue, S. 133. Diese Übereinkunft stellt das erste diplomatische Dokument dar, das von Russland und Malta unterzeichnet wurde. Malta and Russia, S. XXV. Freller: Anglo-Bavarian Langue, S. 134f. Papst Pius VI., das geistliche Ordensoberhaupt der Malteser Ritter, war mit diesen Neue-

402

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

Präsenz in der Méditerranée wurde starker Widerstand durch die anderen europäischen Großmächte entgegen gesetzt.27 Alexander I., Pauls Nachfolger, lehnte die Großmeisterwürde ab und ließ die Beziehungen zu Malta aus pragmatischen Überlegungen erkalten.28

2.2 Erhoffte Freiheiten einer zuvor unbekannten Dimension: Die kurze Herrschaft der Franzosen Das Zeitalter der Revolutionen, getragen vom Geist der Aufklärung, mit der Forderung nach liberté, fraternité und égalité, nahm dem elitären, religiösen Orden nicht nur Aufgabe und Legitimation. Er verlor 1792 als Konsequenz der Französischen Revolution seine Besitzungen in Frankreich, 1798 besetzten französische Truppen sogar Malta selbst. Napoleon eroberte die Insel kurzerhand mit der Begründung, die Verpflegung seiner Schiffe, auf dem Weg nach Ägypten, gehe zu langsam vorwärts. Es erfolgte kaum Gegenwehr. Viele der Ordensritter waren französischer Abstammung und sympathisierten ohnehin mit der jungen französischen Republik – erhebliche Konflikte innerhalb des Ordens waren vorprogrammiert.29 Zudem hatten die Ritter gelobt, ihre Hand nicht gegen Christen zu erheben; gegen eigene Landsleute folglich schon gar nicht.30 Den Rittern der französischen Zungen bot Napoleon an, in seine Dienste zu treten; die Ritter der anderen Zungen und der Großmeister wurden vertrieben.31 Der Orden wurde zum Spielball europäischer Großmächte, der mediterrane Dreh- und Angelpunkt Malta zur begehrten Trophäe in den verschiedenen kriegerischen Auseinandersetzungen.32 Trotz der vielen Schwierigkeiten, die das 18. Jahrhundert dem Orden brachte, blieb die Verfassung des Ordens in Kraft.33 Doch soziale Unzufriedenheit der Bevölkerung bedrohte die Strukturen der ritterlichen Herrschaft. Zudem machten die veränderten politischen Verhältnisse im Mittelmeerraum die Malteser Ritter zu einem religiösen Militärorden ohne Auftrag und Aufgabe, die politischen Entwicklungen in Europa zu einem Feudalstaat ohne Ländereien.34 Der Frieden von Amiens 1802 erkannte die Inselgruppe

27 28 29 30 31 32 33 34

rungen allerdings nicht einverstanden. Freller: Anglo-Bavarian Langue, S. 136; Freller: Russlands Blick, S. 184. Freller: Russian Travelogues, S. 54; de Scherbowitz-Wetzor, Toumanoff: Order of Malta and the Russian Empire, S. 98f. Freller: Anglo-Bavarian Langue, S. 6f. Vella: Malta and the Czars, S. 9f.; Stegny: Russia and Malta, S. 65. Stegny: Russia and Malta, S. 136; Brandes: Korsaren Christi, S. 278, 289. Freller: Malta in Russian Travelogues, S. 52; Krethlow: Malteserorden, S. 117. Freller: Anglo-Bavarian Langue, S. 6f. Sire: Knights of Malta, S. 230f. Brandes: Korsaren Christi, S. 274.

2. Alte und neue Herren im Konflikt

403

Malta dem Orden zwar wieder zu, doch konnte er nicht zurückkehren, weil die Vertragspartner diese Bestimmungen ignorierten.35 Durch den Verlust fast aller Besitzungen in Europa war der Orden sichtlich geschwächt, seine Mitglieder in alle Winde verstreut. Giovanni Batista Tommasi wurde 1803 nicht gewählt, wie es üblich gewesen wäre, sondern von Papst Pius VII. zum Großmeister bestimmt.36 Es wäre wohl auch eine organisatorische Herausforderung geworden, hätte man versucht, die Ritter trotz der geographischen Distanz wählen zu lassen. Auf Geheiß Papst Gregors XVI. richtete sich der Orden 1834 schließlich in Rom ein, wo sich die Mitglieder nur noch der Krankenpflege widmeten.37 Seit dem Rückzug 1798 aus Malta verfügt der souveräne Malteserorden, wenn auch nicht überall anerkannt, über eine staatsähnliche völkerrechtliche Qualität, jedoch ohne Gebietsansprüche an die heutige Republik. Die politischen Innovationen französischer Provenienz hatten nicht nur ganz Europa bis weit nach Russland erschüttert, sondern auch den Mittelmeerraum.

35 36 37

Freller: Anglo-Bavarian Langue, S. 137. Galea: Ferdinand Freiherr von Hompesch, S. 80. Krethlow: Malteserorden, S. 118; Freller: Anglo-Bavarian Langue, S. 6f.; Vella: Malta and the Czars, S. 6; Ebe, Galea: Ferdinand Freiherr von Hompesch, S. 80.

3. Konzepte der (Un-)Freiheit – Malta und der (un)heilige Krieg Zusätzlich zu den kriegerischen Auseinandersetzungen bzw. als Teil von ihnen stellten auf See die christlichen und muslimischen Piraten und Korsaren in den Gewässern des Mittelmeeres die größte Gefahr für Reisende, Pilger und Kaufleute dar.1 Aus christlich-europäischer Perspektive galten die so genannten ,,Barbaresken-Staaten“ Marokko, Tunesien, Algerien und Libyen noch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein als Inbegriff der Piratenherrschaft. Sie verbreiteten nicht nur Angst und Schrecken im Mittelmeer, sondern wagten sich mit ihren Schiffen bis in die Nord- und Ostsee.2 So klar waren die Fronten allerdings nur auf den ersten Blick. Wirtschaftliche und machtpolitische Interessen erwiesen sich als viel gewichtigere Komponenten denn religiöse Bekenntnisse.

3.1 Kaperfahrer, Korsar und Pirat Der Raub zur See hat seine Wurzeln in grauer Vorzeit und ist im Norden Europas ebenso zu verorten wie im Mittelmeerraum, doch bildet die europäische Expansion in den Atlantik den Auftakt zu jenen maritimen Streitigkeiten in einer globalen Dimension, die den Boden für ,,das goldene Zeitalter“ der Piraterie bereiteten. Spanien und Portugal versuchten mit aller Gewalt, die wirtschaftliche Ausbeutung der von ihren Seefahrern entdeckten Gebiete für sich allein zu sichern, wofür sie sogar ein Machtwort von Papst Alexander VI. erwirken konnten, der mit dem Vertrag von Tordesillas im Jahre 1494 – zwei Jahre nach der christlichen Reconquista der Iberischen Halbinsel – die koloniale Welt zwischen den beiden Mächten aufteilte. Doch die iberisch-katholische Seeherrschaft im Atlantik begann schon bald zu bröckeln. Französische, holländische und besonders englische Kaperfahrer stürzten sich mit ihren schnellen und wendigen Seglern in immer größerer Zahl auf die schwerfälligen spanischen Silberflotten, die in der Inselwelt der Antillen eine leichte Beute waren.3 Die offizielle Ausstattung der Schiffe nordwesteuropäischer Handelsmächte mit Kaperbriefen durch die jeweiligen Herrscher4 darf durchaus als eine Antwort auf den Vertrag von Tordesillas verstanden werden. Ebenso ist der Seeraub nordafrikanischer Staaten in einem globalen Kontext 1 2 3 4

Wie wir beim Handelsvertrag zwischen dem Zarenreich und dem Osmanischen Reich von 1783 gesehen haben, hatten beide Seiten unter Korsaren und Piraten zu leiden. Roder: Piraten, S. 48f. Roder: Piraten, S. 18. Zu Raubzügen im Mittelalter siehe Meier: Seefahrer, Händler und Piraten im Mittelalter. Appleby: Die Profite des Krieges; Starkey, Payne: ,,Beide vom gleichen Schlag?“, S. 25.

406

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

des Wetteiferns verschiedener europäischer Mächte um wirtschaftliche und politische Vormacht anzusiedeln, hier mit dem Schauplatz Mittelmeerraum. Im 16. bis 19. Jahrhundert gab es vier regionale Schwerpunkte der Piraterie: die karibische Inselwelt, Port Royal auf Jamaika, New Providence auf den Bahamas, die westafrikanische Küste, den Indischen Ozean, vor allem um Madagaskar – und die Méditerranée.5 Der Aufstieg Englands, Frankreichs und der Niederlande zu bedeutenden Kolonial- und Seemächten begann mit einer schrankenlosen Seeräuberei dieser Staaten. Lohnende Ziele gab es auch im Mittelmeer zur Genüge: reich beladene Handelsschiffe, christliche und muslimische Kaufleute und Pilger versprachen lukrative Beute; in den lebhaften Hafenstädten war es ein Leichtes, sie loszuschlagen. In der wissenschaftlichen Literatur findet man für Seeleute, die Schiffe überfielen, ausraubten, deren Besatzung oder Passagiere ermordeten oder in die Sklaverei verschleppten, viele Begriffe: Piraten, Korsaren, Freibeuter, Kaperfahrer, Privateers, Flibustier, Bukaniere, Royal Navy, Corps des Galères, Armada, Malteser Ritter, ,,Türcken“, Barbaresken, Uskoken. Wer als ,,Pirat“ im negativen, räuberischen und verbrecherischen Sinn galt, wer als ehrenhafter Korsar oder Soldat, war (und ist) Sache der Interpretation. Verwickelte Machtverhältnisse beherrschten das Mittelmeer, wo jeder gegen jeden kämpfte und sich die Loyalitäten höchst komplex gestalteten und wiederholt neu ausrichteten. Die freie Piraterie vermengte sich mit jener, die von politischen Autoritäten gefördert wurde. Michel Mollat de Jourdin, einer der ersten, der eine differenzierte Definition versuchte, unterschied zwischen ,,une course réglementée“ und einer ,,piraterie sauvage“, also zwischen ,,legalem“ und ,,illegalem“ Seeraub. Da auch die Kaperfahrt der Korsaren eine gewalttätige, aber institutionalisierte maritime Aktivität darstellte, war es ausschließlich dieses institutionelle Element, das Korsaren von Piraten unterschied. Ansonsten seien diese beiden Phänomene absolut identisch. Beide Begriffe stehen für Seeräuber, vom lateinischen cursus ,,Fahrt zur See“ bzw. vom griechischen peiran ,,versuchen, wagen, unternehmen“ abgeleitet. Während der Korsar im Dienste eines Souveräns unterwegs war, arbeitete der Pirat auf eigene Rechnung.6 Robert Bohn unterscheidet in seinem Überblickswerk zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert drei grundlegende Formen der Seeräuberei: Die mit Kaperbriefen ausgestatteten englischen und holländischen Freibeuter, mit dem Auftrag, die spanisch-portugiesische überseeische Hegemonie zu brechen, die Bukaniere des 17. Jahrhunderts, und schließlich die ,,Outlaws“, die maritimen Wegelagerer des frühen 18. Jahrhunderts. Ob der Raub als legitim oder verbrecherisch eingestuft wurde, war abhängig vom Grad der Unterstützung, die die Seeräuber von politisch und wirtschaftlich einflussreichen Gruppen oder 5 6

Bohn: Piraten, S. 17f. Anselmi: La ,,Guerra di corsa“ nel Mediterraneo; Du Jourdin: Europa und das Meer; Nadal: Corsairing, S. 125.

3. Konzepte der (Un-)Freiheit – Malta und der (un)heilige Krieg

407

sogar von einer Staatsmacht erhielten. Mannschaft, lohnende Ziele und ein möglichst sicheres Operationsgebiet entschieden über Erfolg oder Misserfolg einer Kaperfahrt. Eine Mannschaft war in der Regel leicht zu bekommen. Sie setzte sich normalerweise aus Seeleuten zusammen, die mit den harten Bedingungen auf Marine- oder Handelsschiffen unzufrieden waren, die sich auf Piratenschiffen eine bessere Behandlung und mehr Rechte versprachen und sich schnellen Reichtum erhofften. Viele Seefahrer entschlossen sich zu diesem Schritt in die Illegalität, wenn sie nach großen Seekriegen und den folgenden Friedensverträgen nunmehr zu Arbeitslosen geworden waren. Mit dem grausamen Gewerbe waren sie vertraut, lediglich die politischen Rahmenbedingungen hatten sich verändert. Von der Heimat weit entfernt, waren viele nicht gewillt, Friedensverträge zu respektieren oder nahmen sie gar nicht erst zur Kenntnis. Kriege von Königen verwandelten sich in private Scharmützel, ,,legaler“ Kampf wurde zu illegaler Piraterie. So soll Captain Belamy dem Kapitän eines Bostoner Handelsschiffes etwas pathetisch zugerufen haben: ,,I am a free prince, and I have as much authority to make war on the whole world as he who has a hundred sail of ships at sea, and an army of 100 000 men in the field, and this my conscious tells me“.7 Die ,,Bukaniere“ des 17. Jahrhunderts, deren Leben in der Karibik Olivier Exquemelin, der einige Jahre auf der karibischen Insel Tortuga lebte und als Wundarzt auf Schiffen von Piraten mitfuhr, in seinem Piratenbuch beschrieb, lieferten den eigentlichen Grundstoff für alle folgenden Piratennarrative, die zwischen Fakt und Fiktion angesiedelt sind.8 Sie werden zwischen Freibeutern bzw. Korsaren und Piraten eingeordnet, je nach Besitzverhältnissen der Schiffe, Auftrags- und Beteiligungssituation. Die Grenzen sind fließend und von der Perspektive abhängig. Die besondere Situation der Bukaniere bestand darin, dass sie im Auftrag eigener Gouverneure operierten und sich an ihren Raubzügen sogar Aktionäre, die weit weg von den Piratenstützpunkten beheimatet waren, finanziell beteiligten. Ihr Name geht auf das französische Wort boucanier zurück, ,,Fleischräucherer“, während sie selbst sich ,,Brüder der Küste“ nannten. Ihre Einkünfte fußten auf drei Erwerbszweigen, die laut Exquemelin demokratisch-kollektiv organisiert gewesen sein sollen. Sie schlossen sich in Gruppen von je drei Mann zusammen, von denen der eine für die Jagd zuständig war (daher der Name; sie verstanden es, die erlegten Tiere nach einem bestimmten Räucherungsverfahren haltbar zu machen), der zweite widmete sich dem Pflanzen, der dritte fuhr zur See. Sie regelten vertraglich, wie die Einkünfte aufzuteilen seien, und dass im Todesfall der Besitz des einen in die Hände der anderen beiden übergehen solle. Wie Exquemelin überlieferte, behandelten sie ihre Knechte besonders barbarisch. Er führte diese Erbarmungslosigkeit dar7 8

Johnson: Lives of the most notorious Pirates, S. 184; Marx: Das Goldene Zeitalter der Piraterie, S. 104f. Exquemelin: Das Piratenbuch.

408

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

auf zurück, dass die Knechte sich auf drei Jahre bei den Bukanieren verdingt hatten. In diesen drei Jahren wollten ihre Herren das Unmögliche aus ihnen herauspressen und ließen sie hungern, während Exquemelins Meinung nach Sklaven besser gehalten würden, da ihre Besitzer daran interessiert waren, sie am Leben zu erhalten, um länger von ihnen zu profitieren. Ein weiterer Grund für diese Grausamkeiten sei in der Hoffnung begründet gewesen, die Knechte würden ihre gnadenlosen Herren anflehen, sie doch weiter zu verkaufen. Dies sei oft geschehen, meist im dritten Jahr der Knechtschaft, was dazu führte, dass diese Knechte – anstatt der vereinbarten drei Jahre – oft über Jahrzehnte in Knechtschaft lebten. Die Gemeinschaft dieser unmenschlichen Grobiane formierte sich um 1630, als einige Franzosen von der Insel Hispaniola zur nahe gelegenen Tortuga flohen. Die Spanier versuchten, sie auch von dort zu vertreiben, aber dieser ersten kleinen Gruppe schlossen sich immer mehr Franzosen, Holländer und Engländer an. Sie schädigten den spanischen Handelsverkehr massiv und plünderten auch auf dem Festland entlang der Küste. England stellte für die Schädigung der iberischen Rivalen Kaperbriefe aus und legalisierte so die Raubzüge; doch die Seeräuber übten ihren Beruf unabhängig davon aus, mit wem sich England gerade im Krieg befand. Ende des 17. Jahrhunderts wurden auch in London immer mehr Stimmen laut, die verlangten, England müsse rigoros gegen diese schrankenlose Piraterie vorgehen.9 Dieser Exkurs in die Karibik ist in zweierlei Hinsicht auch im mediterranen Zusammenhang wesentlich. Zum einen zeigen sich hier die komplexen Muster, die christlich-christliche Rivalitäten um Reichtum, Macht und Einfluss zeichneten, zum anderen wird die Relativität von Verbrechen und Rechtsstaatlichkeit offenkundig. Der Raub zur See öffnet Tür und Tor für eine soziale Entgrenzung, wie sie in heimatlichen Gefilden völlig unmöglich gewesen wäre. Diese Entgrenzung umfasst sowohl das eigenmächtige Ignorieren aller gesellschaftlich gebotenen Schranken, wie auch die Möglichkeit, von offiziellen Autoritäten in der weit entfernten Heimat gezielt in einen anderen sozialen Status versetzt zu werden – wie zum Beispiel konkret im Falle von Henry Morgan, der als der brutalste Pirat aller Zeiten gilt und dennoch von Charles II. sogar geadelt wurde –, ein Akt der Nivellierung hierarchischer Strukturen, wie er zuhause als Lohn für ähnliche Verbrechen undenkbar gewesen wäre. Morgan wurde zum Admiral der englischen Flotte ernannt – obwohl er seine Schlachten nie auf See austrug – und mit der Erlaubnis ausgestattet, alle spanischen Stellungen in der Karibik zu zerstören. In der Tat zertrümmerte er viele spanische Festungen, die als uneinnehmbar galten. Auf Henry Morgan bzw. Olivier Exquemelin, der als sein Leibarzt arbeitete, geht der berühmte Piratencodex ,,Articles of Agreement“ zurück, eine Art Verhaltensreglement und Sozialversicherung in einem. Dieser Vertrag, den jeder Pirat beim Anheuern 9

Exquemelin: Bucaniers of America; Marx: Brüder der Küste, S. 40; Marx: Das Goldene Zeitalter der Piraterie, S. 120; Ringrose: Bucaniers of America; Williams: Buccaneers.

3. Konzepte der (Un-)Freiheit – Malta und der (un)heilige Krieg

409

unterzeichnen musste, regelte detailliert, welche Rechte und Pflichten er hatte und welche Entschädigung – in Form von Sklaven oder Beutegut – ihm zustand, wenn er sich durch besondere Tapferkeit auszeichnete oder Körperteile einbüßte.10 Im Mittelmeerraum können Anfänge der Piraterie, entsprechend der Schifffahrtskunst, bis zu den Römern und Griechen zurückverfolgt werden, in Nord- und Ostsee waren seit dem letzten Viertel des 14. Jahrhunderts die so genannten Vitalienbrüder die Schrecken der Meere. Ihr Name ist von Viktualien abgeleitet, also Lebensmittel, was bereits ihre eigentliche Aufgabe verrät. Sie sollten im Auftrage der Mecklenburger Fürsten Stockholm, das von einer dänischen Seeblockade belagert war, mit Lebensmitteln versorgen.11 Seit dem 16. Jahrhundert waren die wichtigsten Protagonisten im mediterranen Seeraub die muslimischen ,,Barbaresken“ – Algier, Tunis und Tripolis – und die christlichen Korsaren, die Malteser Ritter und der toskanische Stephansorden. Zu den ersten namentlich erwähnten – je nach Perspektive – Piraten oder Freiheitskämpfern an der dalmatinischen Küste gehörten die ,,Senjski uskoci“, die Uskoken aus Senj.12 Die jüngere Forschung hat sich vor allem mit der Piraterie im Atlantik beschäftigt und Mythos und Realität der karibischen Seeräuber gut untersucht, manchmal den Mythos des Sozialrebellen gepflegt.13 Weniger im Mittelpunkt stand die Piraterie im Mittelmeer, die bis in das 19. Jahrhundert die Menschen an der Nordküste des Mittelmeeres ebenso in Angst und Schrecken hielt, wie sie den Seehandel bedrohte. Der christliche Raub zur See ist in Archiven gut dokumentiert. Die in europäischen Sprachen zugänglichen Forschungsergebnisse zur Kaperei, die auf Quellen aus muslimischer Perspektive fußen, sind hingegen noch Rarität. Wichtige Forschungsergebnisse verdanken wir Salvatore Bono, sowohl zur Kaperei im Mittelmeerraum als auch zu musli10 11 12

13

Exquemelin: Piratenbuch, S. 122; Pope: Henry Morgan’s Way; Cruikshank: The life of Sir Henry Morgan; ZDF: Der Schrecken der Weltmeere. Siehe u. a. Daenell: Die Blütezeit der deutschen Hanse; Ehbrecht: Störtebeker; Teichmann: Die Stellung und Politik der hansischen Seestädte; Zimmerling: Störtebeker & Co. Stanojević spricht von ,,Aufständischen“; Senj sei bis ins 20. Jahrhundert Synonym für Freiheitsliebe und Aufstand geblieben. Keine andere Gruppe in der Geschichte der Südslaven habe sich so stark in die Erinnerung eingeprägt wie sie. Minučo Minuči (Minucio Minucci) schrieb im Jahre 1602 die erste Geschichte ihrer (Un)taten, Paolo Sarpi im Jahre 1616, beide Bücher wurden im Jahre 1683 in Venedig als gemeinsames Werk publiziert. (Stanojević: Senjski uskoci, Einleitung; Minucio Minucci: Historia degli uscocchi co’ i progressi di quella gente all’anno 1602; Paolo Sarpi: Aggiunta all’Historia degli uscocchi di Minucio Minucci, Venecia (sic!) 1683). Für deutschsprachige Leser mag interessant sein, sie daran zu erinnern, dass der in der Schweizer Emigration lebende Kurt Kläber alias Kurt Held sein berühmtes 1941 in Aarau erstmals erschienenes Jugendbuch ,,Die rote Zora und ihre Bande“ in Senj angesiedelt hatte. Darin verarbeitete er Erlebnisse seiner Jugoslawien-Reise von 1940, auf der er Zora la Rouquine und ihre Gruppe Jugendlicher kennengelernt hatte. Hobsbawm: Bandits; Hobsbawm: Primitive Rebels; Linebaugh, Rediker: Die vielköpfige Hydra; Rediker: Villains of all Nations; Rediker: The Seaman as Pirate.

410

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

mischen Sklaven in christlicher Abhängigkeit.14 Bono beschreibt den Alltag des Seeraubs, Schiffe und Schiffstypen, die schrecklichen Bedingungen an Bord der Galeeren, die meist von Sklaven gerudert wurden, Seegefechte und Beutezüge entlang der Küsten. Er zeigt eindrücklich die wirtschaftshistorisch wichtige Verstrebung zwischen der See und dem Festland. Ohne zuverlässige Stützpunkte wäre der Seeraub unmöglich gewesen, umgekehrt bildete der Seeraub, insbesondere durch die Versklavung von Menschen und die Hehlerei über Jahrhunderte einen festen Bestandteil des mediterranen Seehandels. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts kontrollierten noch die Spanier das westliche Mittelmeer, doch wurden sie nach und nach von den erfolgreichen Osmanen verdrängt, die sogar die vom eigentlichen Machtzentrum Istanbul weit entfernten Küsten des Maghreb in ihren Einflussbereich brachten. Nach und nach entstanden die ,,Barbaresken-Staaten“ Algier, Tunis und Tripolis, zunächst mit dem Osmanischen Reich eng verstrebt, nach der osmanischen Niederlage bei Lepanto bestenfalls noch in loser Abhängigkeit. Raubgut, Versklavung der Besatzung eines gekaperten Schiffes, Lösegeldforderungen und Staatsverträge, die die gegenseitige Verschonung von Schiffen garantierten, sozusagen ,,Nichtangriffspakte“, bildeten neben dem friedlichen und freundschaftlichen Handel die Grundpfeiler des politischen und wirtschaftlichen Systems im Mittelmeerraum. Welchen prozentualen Anteil der Wirtschaft die Raubwirtschaft betrug, lässt sich nicht rekonstruieren. Doch zeigen die umfassenden Korrespondenzen, die in Archiven erhalten geblieben sind, den hohen Stellenwert des Seeraubs mit all seinen Begleiterscheinungen; zudem ist die Beteiligung der verschiedenen Akteure – der Kapitäne, der Mannschaft, der Obrigkeiten, der Hehler und letztlich der Käufer – offenkundig. Diese Akteure, die vom Seeraub profitierten, mussten sich keineswegs zur gleichen Religion bekennen: Christen, Juden und Muslime einigten sich mühelos über die Ware und den Kaufpreis. Der ,,christliche“ Seeraub hatte theoretisch eine andere Qualität als der ,,muslimische“. Die Malteser Ritter und die Ritter des San Stefano Ordens beeideten ihre Absicht, christliche Schiffe zu schützen und muslimische zu schädigen. Das heißt, es war hypothetisch ihre Ritterlichkeit, die sie dazu anhielt, Schiffe zu plündern und Mannschaften zu versklaven, nicht die Suche nach wirtschaftlichem Auskommen. Ihr Lebensunterhalt war eigentlich durch die Erträge aus ihren europäischen Ländereien gesichert. Der Umstand, dass der Orden nach der französischen Revolution und dem Verlust vieler Ländereien enorm geschwächt war, ließe zwar die Annahme zu, dass es sich bei den Raubzügen zur See nur um eine zusätzliche Einnahmequelle handelte und sie nicht vom Seeraub allein leben konnten. Gegen eine Überbewertung dieser Verluste in Europa spricht allerdings, dass die Ritter aufgrund der neuen politischen Situation am Schwarzen Meer, die weit in die Méditerranée ausstrahl14

Bono: Achat d’esclaves turcs; Bono: Esclaves musulmans en Italie; Bono: Piraten und Korsaren im Mittelmeer.

3. Konzepte der (Un-)Freiheit – Malta und der (un)heilige Krieg

411

te und die Geschicke hier neu bestimmte, auch ihre andere Einnahmequelle – den Seeraub, zumindest die Legitimation des Seeraubs – verloren hatten. Das Osmanische Reich war einerseits durch Russland sichtlich geschwächt, also war der maltesische Schild vor den Toren Europas überflüssig geworden; andererseits transportierten immer öfter französische und englische Schiffe die prachtvollen Ladungen muslimischer Kaufleute, wodurch den Rittern das wichtigste Ziel ihrer Angriffe verloren ging, wie wir schon im Falle de Fleurys gesehen haben. In der europäischen Forschungsliteratur herrscht die Annahme vor, der Seeraub der christlichen Korsaren habe in erster Linie eine Schutzfunktion gehabt, Motive der Gewinnsucht seien zweitrangig gewesen, während für die Staaten an der Südküste des Mittelmeers die Piraterie ein konstitutives Element ihres sozialen Gefüges dargestellt habe und wirtschaftlich unverzichtbar gewesen sei. Salvatore Bono, der über entsprechende sprachliche wie fachliche Kompetenzen verfügt und sich mit dem Seeraub in christlichen und muslimischen Archiven befasst hatte, kommt hingegen zum Schluss, dass sich der christliche Seeraub vom muslimischen nicht wirklich unterschied. Wichtig sind Bonos Forschungsarbeiten auch im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Piraterie und Gesellschaft. Die mediterranen Piraten und Korsaren bildeten keine Parallelwelt, und schon gar keine Gegenwelt zu den staatlichen Systemen, denen sie entstammten. Vielmehr wurden die Herrschaftsstrukturen und die Rangordnungen auf die Kaperei übertragen und die verschiedenen Personengruppen an Bord und an Land (anders als die Piraten in der Karibik, sofern der von Exquemelin beschriebene Piratencodex tatsächlich gängige Praxis war) ihrem Rang entsprechend entschädigt. Die ungleiche Beuteteilung stabilisierte hierarchische Strukturen und erweiterte sie grenzübergreifend in alle Richtungen der Méditerranée. Selbst vom Seeraub der Barbaresken profitierte auch Europa, wie sich einerseits an Freihafenstädten wie Livorno oder Genua zeigte, deren Infrastruktur es erlaubte, geraubtes Gut zu verkaufen, andererseits an den jüdischen und christlichen Vermittlern, die die Brücke zwischen Verkäufer und Käufer schlugen und den Boden für Hehlerei bereiteten.15 Viele Kaufleute aus ganz Europa investierten in Schiffe und Banken oder gingen illegalen Geschäften nach. Diebesgut nordafrikanischer Piraten wurde in Livorno gelagert, bevor es weiter verfrachtet wurde.16 Piratenmannschaften bestanden oft aus enttäuschten oder verzweifelten Seeleuten. Die meisten dieser Seeleute hatten auf Handels-, Kriegs- oder Freibeuterschiffen gedient, bevor sie herrenlose Piraten wurden. Viele Seefahrer wurden zu Piraten, wenn ihr Schiff von Piraten gekapert worden war und sie sich diesen anschlossen. Verständlich, dass sie es vorzogen, dem eigenen 15 16

Amine: Conditions et mouvement des échanges de la régence ottomane d’Alger, S. 12. Engels: Merchants, Interlopers, Seamen and Corsairs, S. 219f. Ausführlicher zum Orden San Stefano siehe den Beitrag von Patrick Krebs in diesem Band.

412

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

Beruf auf See treu zu bleiben, als in die Sklaverei verkauft zu werden. Eine Alternative gab es in der Regel nicht. Das Leben auf See war für Piraten ebenso schwer wie für andere Seeleute auch – verschmutztes Essen, verfaultes Wasser, Skorbut und andere Krankheiten gehörten zum Alltag.17 Viele Piraten waren ehemalige Galeeren-Sklaven, denen eine Revolte gelungen war. Ein berühmtes Beispiel ist Dragut bzw. Turgut Reis. Er war Sklave auf einer christlichen Galeere, bevor er in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts eine der typischen Barbareskengaleeren im Mittelmeer befehligte. Süleyman befahl 1565 die Eroberung von Malta, und Turgut Reis stieß mit seinen Galeeren und Galeonen unterstützend zur osmanischen Flotte. Beim Angriff auf Malta kam er ums Leben und wurde in Tripolis beerdigt.18 Die großen Seemächte unterstützten verschiedene Piraten, die mit gleicher Brutalität im Mittelmeer wüteten wie die politisch unabhängigen Seeräuber. Es entstand ein immer verworreneres Bild, in dem Christen und Muslime sich jagten, überfielen, gefangen nahmen, misshandelten und ermordeten. Geradezu eine Berühmtheit war der Pirat Kaireddin (Cheireddin, Chaireddin, Cheir-ed-Din) Barbarossa, vom Sultan 1534 zum Kommandanten der osmanischen Flotte ernannt. Er eroberte 1515 Algerien, Tunis und andere strategisch wichtige Punkte und unterwarf sich 1519 dem osmanischen Sultan. Seine Piratenzüge versetzten alle an das Mittelmeer grenzenden Länder in Unruhe.19 Er bedrohte Rom und selbst die Toskana, von wo aus er viele Christen in die Sklaverei verschleppte. Seinen Bruder Horuk, eigentlich Aruj, nannten die Christen ebenfalls Barbarossa. Er war der erste muslimische Herrscher in Algier. Der Scheich von Algier hatte ihn gegen die Spanier zu Hilfe gerufen, doch Horuk beseitigte ihn und eroberte gemeinsam mit seinem Bruder weite Teile des heutigen Algerien. Auch er galt als berüchtigter Seeräuber. Diese ,,Seeräuberrepubliken“ an der Südküste des Mittelmeeres waren bis ins 19. Jahrhundert gefürchtet. Im Gegensatz zu unabhängigen Piraten war der Korsar von seinem Souverän – bzw. von irgendeinem Souverän, wie wir im Falle de Fleurys gesehen haben – ermächtigt, in Kriegszeiten dessen Feinde zu bekämpfen. Um Korsar zu werden, musste sich ein Kapitän um einen Kaperbrief bewerben und als Sicherheitspfand eine bestimmte Geldsumme hinterlegen. Weiter verpflichtete er sich, die Bestimmungen einzuhalten, die die Kaperfahrt regelten. Wenn er zurückkam, musste er die Hafenautoritäten darüber befinden lassen, ob seine Beute als ,,gut“, d. h. als legitim klassifiziert wurde oder nicht. Kleinere christ17

18

19

Ein sehr eindrückliches Zeugnis dieses Lebens auf See geben u. a. die von C.R. Boxer herausgegebenen portugiesischen Narrative, die Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts entstanden sind: The Tragic History of the Sea. Bradford: The Great Siege. Malta 1565; Pickles: Malta 1565; Spiteri: The Great Siege; Bradford: The Sultan’s Admiral; Wolf: The Barbary Coast; Currey: Sea-Wolves of the Mediterranean. Ciano: Navi, S. 14f., ausführlich zur berberischen bzw. muslimischen und christlichen Piraterie siehe Kapitel ,,La pirateria barbaresca e cristiana“, S. 35f.

3. Konzepte der (Un-)Freiheit – Malta und der (un)heilige Krieg

413

liche Herrscher autorisierten Korsaren, in ihrem Namen zu kämpfen, um vor allem die Küstengebiete vor muslimischen Korsaren zu schützen. Diese christlichen Korsaren nahmen sich das Recht, jedes Schiff nach ,,türkischen“ – d. h. nach muslimischen – Waren zu durchsuchen, egal wo sie es fanden. Neben den Malteser Rittern spielten die Ritter des toskanischen Ordens San Stefano, 1561 von Cosimo I. gegründet, eine wichtige Rolle im Mittelmeerraum. Auch ihr erklärtes Ziel war der Schutz christlicher Schiffe und Städte; sie raubten und plünderten und schädigten von Livorno aus osmanische Städte, Schiffe und Untertanen. Führend war der englische Katholik Earl of Warwick (Conte di Varwich), der den Osmanen schwere Verluste zufügte.20 Englische Kapitäne wurden gezielt nach Livorno eingeladen, so Sir Robert Dudley oder Robert Thornton, um den Orden zu stärken. Auch Griechen, die als erfahrene Seeleute galten, dienten im Ritterorden und verteidigten die Küstengebiete gegen Piraten. Bis zum Verkauf der toskanischen Flotte des Ritterordens San Stefano an Frankreich im Jahre 1649 arbeiteten viele Holländer und Deutsche im militärischen Bereich. Das toskanische Element am Ritterorden San Stefano war der Umstand, dass er in der Toskana beheimatet war, katholisch, von Regenten in der Toskana ins Leben gerufen und unterstützt; doch seine Zusammensetzung war deutlich diasporischer Natur: Engländer, Franzosen, Deutsche, Flamen und Holländer verdienten ihr Auskommen mit ,,toskanischem“ Seeraub im Mittelmeerraum.21 Die Idee des legitimen staatlichen Korsaren stammt aus Venedig. Die venezianischen Kapitäne erhielten die Freiheit, alles zu unternehmen, was ihnen auf See als angemessen erschien: zu plündern, zu verschonen oder Reparationen einzutreiben, um eigene Verluste wettzumachen. Sie galten als loyale Staatsangestellte, und die Kaper war ein regulärer Teil ihrer offiziellen Arbeit. Ihre Aufgabe war die Sicherung der Seewege und die Organisation defensiver Operationen gegen feindliche Schiffe. Malta hatte Venedigs Konzept übernommen und unterhielt neben der offiziellen Marine des Ritterordens auch inoffizielle Malteser Korsaren.22 Über viele Jahrhunderte verunmöglichten Interessenkonflikte die Bekämpfung der Piraterie, da Kaperbriefe immer wieder ausgestellt wurden. Überall lauerten Piraten und Kaper, denn es gab keine staatliche Gewalt, die in der Lage gewesen wäre, die Seehandelswege wirksam zu schützen. Deshalb durfte nach damaligem Rechtsverständnis der Geschädigte auf eigene Faust sein Recht durchsetzen und mit Hilfe von Repressalien – Kaper, Güterwegnahme – erlittenen Schaden ersetzen. Dass dabei Missbrauch und Willkür Tür und Tor geöffnet waren und die Schwelle zur ,,echten“ Piraterie leicht überschrit20 21

22

Bartl: Der Westbalkan, S. 72f. Ich danke Patrick Krebs für den Hinweis. Harris, Porfyriou: The Greek Diaspora, S. 70f.; Panessa: Le comunità greche, S. 33f.; D’Angelo: Mercanti inglesi a Livorno, S. 39f.; Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni, S. 32f. Katele: Piracy and the Venetian State.

414

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

ten werden konnte, liegt auf der Hand. Der Seeraub verband sich im 16. und 17. Jahrhundert wie nie zuvor mit Politik und Religion, denn die scharfen religiösen und politischen Gegensätze, die die europäische Geschichte der frühen Neuzeit prägten, flossen auch in das Erscheinungsbild des Seeraubes. Ein übriges trug der Formierungsprozess des frühmodernen Staates bei, in dem soziale Randgruppen aus der ständisch-absolutistischen Gesellschaft ausgegrenzt und in die Kriminalität gedrängt wurden, weil sie anders ihren Lebensunterhalt nicht mehr sichern konnten.23 Unterschiede zwischen dem atlantischen und dem mediterranen Seeraub rücken geographische Gegebenheiten als konstitutives kulturell-historisches Element in den Mittelpunkt: die Distanz. Nicht nur die Sklaverei wurde in den Kolonien anders gehandhabt als zuhause in Europa, sondern auch die Piraterie entwickelte sich fern der Heimat strukturell anders. Einerseits herrschen dort Narrative über selbstherrliche Despoten vor, die als Autokraten über Inseln und Bevölkerungen walteten; andererseits glaubt man Ansätze für seeräuberische Protodemokratien gefunden zu haben – während sich der mediterrane (muslimische wie christliche) quasi vor der Haustür praktizierte Seeraub als Teil jener staatlichen Systeme erwies, denen er entstammte. De Fleury setzte alles daran, seine Beute als legitim erklären zu lassen. Es lag ihm fern, die geraubten Schätze illegal zu veräußern, da er sich im Recht wähnte.

3.2 Verwirrende Loyalitäten Besonders heikel war die Situation der Malteser Ritter im Dienste von Ludwig XIV. Die Ritter fühlten sich Spanien verpflichtet, da sie Malta von der spanischen Krone als Lehen bekommen hatten. Darüber hinaus hatten die Ritter einen Eid geleistet, wonach sie Muslime bekämpfen und ihre Hand nie gegen Christen erheben würden. Aufgrund ihrer ,,französischen Zungen“ – Provence, Auvergne, France – fühlten sie sich aber auch dem französischen König verpflichtet. Nun standen aber Spanien und Frankreich Ende des 17. Jahrhunderts im Krieg.24 Diese sich gegenseitig ausschließenden Loyalitäten brachten die Malteser Ritter unweigerlich in Konflikte. Ludwig XIV. musste seine Malteser Kapitäne und Offiziere wiederholt auffordern, weniger vorsichtig zu sein. Schließlich sah er sich sogar veranlasst, genaue Instruktionen zu geben, bei welchen Kräfteverhältnissen sie anzugreifen hätten, bei welcher Übermacht sie sich dezent zurückziehen durften: So ist 23 24

Bohn: Piraten, S. 13. 1686 formierte sich die ,,Liga von Augsburg“, um sich gegen Frankreichs Eroberungspolitik zur Wehr zu setzen. Dies bedeutete, dass die Malteser Ritter verschiedener Zungen sich über den Vorrang ihrer Loyalitäten Gedanken machen mussten. Kampfhandlungen aus dem Weg zu gehen, war eine der Möglichkeiten, nicht gegen sein Gewissen verstoßen zu müssen.

3. Konzepte der (Un-)Freiheit – Malta und der (un)heilige Krieg

415

zum Beispiel zu lesen, er erwarte ja nicht, dass fünfzehn französische Schiffe dreiundzwanzig oder mehr spanische angreifen sollten – aber achtzehn sollten doch zu besiegen sein. Auf jeden Fall sollen die Malteser Kapitäne es trotz der vielen Ermunterungen und klaren Anweisungen durch Ludwig XIV. geschafft haben, auf den eng befahrenen Seestraßen im Süden Frankreichs, wo nachweisbar ununterbrochen spanische Handelsschiffe nach Genua oder Livorno unterwegs waren, jahrzehntelang nie einem zu begegnen. Zusätzliche Schwierigkeiten entstanden, wenn die Schiffe Privatbesitz der Seefahrer waren. Es geht aus vielen Weisungen des Königs hervor, dass die Kapitäne gut auf ihre Schiffe achteten und sie nur widerwillig schlechtem Wetter oder Kampfhandlungen aussetzten.25 Häufig schien ihnen auch zu entfallen, dass die Mannschaft vom König eingekleidet und gespeist wurde. Sie vergaßen, die Beute zu teilen, nahmen Entschädigungen unter der Hand an oder verkauften gar die Kanonen königlicher Galeeren. Durch die Tradition, Söldner für sich segeln zu lassen, hatte sich ein System der longue durée etabliert, in dem es zu einer Selbstverständlichkeit geworden war, den König in Variationen, aber auf jeden Fall mehrfach, bezahlen zu lassen. Einige der Offiziere der Corps de Galères galten als unbeherrscht und ungehorsam. Dieser Mangel an Disziplin zeigte sich in wirtschaftlichen Unternehmungen, die ausschließlich den eigenen Interessen dienten. Paul Walden Bamford, der sich intensiv mit Malteser Rittern in französischen Diensten beschäftigt hat, weist wiederholt auf die Komplexität der Loyalitäten und Interessen im Mittelmeerraum hin. Religiöse Eide und andere Verpflichtungen dämpften den Kampfgeist, wenn es darum ging, sich für die – wenngleich ebenfalls katholischen – Rivalen der eigentlichen Schutzmacht der Ritter einzusetzen. Die Malteser Ritter in Diensten Frankreichs fühlten sich desgleichen dem Johanniterorden, den katholischen Herrschern von Spanien, und natürlich dem Papst verpflichtet. Sie unternahmen die schwierige Gratwanderung zwischen persönlicher Ehre und heiligen Gelübden, zwischen Loyalitäten dem Ritterorden gegenüber und jenen, die sie an den französischen König banden, der in seiner Feindschaft gegen die spanische Krone oft ,,die Ungläubigen“ als Mitstreiter und Verbündeter unterstützte. Kein Ritter konnte verfeindeten Herren zugleich auf Dauer treu dienen. Einige schieden aus ihrem Dienst aus. Viele aber gehörten über Jahre zum Corps des Galères und kontrollierten und dominierten durch ihre Zahl wie auch ihr Ansehen diese königliche Streitmacht sogar. Deshalb war der König nachsichtig, wenn die Zurückhaltung der Ritter dem Ungehorsam nahe kam, sie sozusagen durch ihre Passivität aktiven Widerstand leisteten. Aber auch wenn der französische König nicht erwartete, dass seine Kapitäne heilige Helden sein sollten, so konnte er doch auch nicht akzeptieren, dass sie sich zu egoistischen Söldnern oder eigensinnigen Rebellen entwickelten, die für andere Fürsten oder Mächte kämpften.26 25 26

Bamford: The Knights of Malta and the King of France, S. 433f., 437, 439, 441. Bamford: The Knights of Malta and the King of France, S. 453.

416

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

Die Verwirrung der Loyalitäten – dem Papst, der französischen oder der spanischen Krone, dem Orden und nicht zuletzt sich selbst verpflichtet – ging so weit, dass Louis XIV. ernsthaft nach einem neuen System der Kriegsführung zur See suchte, insbesondere nach seinen Erfahrungen mit Jean Baptiste de Valbelle, seines Zeichens Malteser Ritter, der ihm, anstatt wie vereinbart in geheimer Mission gegen die Osmanen auf Kreta ins Feld zu ziehen, kurzerhand den Dienst verweigerte und sich mit des Königs Schiff selbständig machte. De Valbelle und seine Offiziere wurden wegen dieser Dreistigkeit in absentia zum Tode verurteilt. Auch wenn sie schon bald begnadigt wurden und wieder in königlichem Auftrag segelten, so wurde die königliche Flotte doch zwei Jahre nach diesem Vorfall umstrukturiert mit dem erklärten Ziel, bessere Disziplin und verlässliche Loyalität der Kapitäne und Offiziere zu fördern.27

3.3 Freiheitliche Eigendynamik Louis XIV. beklagte um 1700 nicht nur die Kampfesunlust der Malteser Kapitäne seiner Schiffe, sondern auch die lasche Handhabung seiner Weisungen bezüglich der französischen Fahne. Sein Hoheitszeichen habe vor allen anderen Vorrang und sei als erstes zu grüßen; erst nach angemessenem Salut dürften seine Schiffe diesen erwidern. Der Salut und die Position der Flagge – sie war je nach Rang und Namen des Herrn, in dessen Auftrag ein Schiff unterwegs war, höher oder tiefer zu hängen – wurde zu einer delikaten Frage in internationalen Beziehungen und zum sichtbaren Indikator von Prestige. Ungelöste Fragen bezüglich des Prozederes konnten in eine Seeschlacht münden.28 Mit dem Hissen der eigenen Piratenflaggen, die teilweise sehr exzentrische individuelle Variationen annahmen, unterstrichen Piraten die eigene Souveränität und den Umstand, dass sie nicht in fremden Diensten unterwegs waren. Sie waren nicht gewillt, vor irgendjemandem zu salutieren, und auch kein Salut der Welt konnte die Piraten davon abbringen, zum Angriff überzugehen, da sie sich mit ihrer Fahne nur sich selbst und ihrem Beruf verpflichtet hatten. Auch fremder Flaggen bedienten sie sich willkürlich, nicht selten wurden mehrere gleichzeitig gehisst, etwa die englische neben der eigenen, oder eine fremde Flagge wurde in letzter Sekunde durch die eigene ersetzt – dies galt allerdings als legitime Kriegslist und soll auch von offiziellen Kriegsgegnern eingesetzt worden sein.29 Für Robert Bohn steht die Piratenfahne nicht zuletzt für die Kreativität des Individuums; besonders beliebt sollen persön27 28 29

Bamford: The Knights of Malta and the King of France, S. 448f. Bamford: The Knights of Malta and the King of France, S. 442f. Piratenflaggen. In: Konstam: Piraten, Seeräuber, Freibeuter, S. 98f.

3. Konzepte der (Un-)Freiheit – Malta und der (un)heilige Krieg

417

liche Piratenflaggen gewesen sein, die für freiheitlichen Spielraum standen, den sich jemand durch seine Beutezüge erobert hatte. Der Jolly Roger, der weiße Totenkopf mit gekreuzten Knochen auf schwarzem Grund, soll als allgemeines Hoheitszeichen der Piraten in Gebrauch gekommen sein, nachdem die englische Regierung im Jahre 1717 den sogenannten ,,Act of Grace“, den Gnadenakt, formulierte und reumütigen Piraten anbot, in die Gefilde der Legalität einzukehren;30 eine ausdrückliche – visuelle und Furcht einflößende – Kampfansage an England? Der Jolly Roger erscheint in neuem Licht, wenn man sich die symbolische Kraft von Flaggen vor Augen führt und sich der peinlich genauen Weisungen Ludwigs XIV. erinnert, wie sich seine Mannschaften in dieser delikaten Frage gegenüber fremden Schiffen zu verhalten hätten. Doch auch unter diesem Aspekt bedarf es für den Mittelmeerraum noch intensiver Forschung. Bisher herrscht der Eindruck vor, dass es sich eher um einen Flaggenstreit legitimer Herrscher und ihrer Korsaren-Piraten handelte; bezeugt sind Schiffe, die unter falscher Flagge segelten (als Kriegslist), und Schiffe ohne Flagge (meist im Falle von gekaperten Schiffen, damit ihr Besitzer keine Ansprüche erheben konnte).31 Zu den gängigen Narrativen gehört, dass Piraten ,,die Sünde“ in vollen Zügen auslebten (entgegen allen religiösen Normen) und katholische Seeleute mit Reliquien verhöhnten, was im katholischen Spanien als Todsünde galt. Auch zynische Aspekte der Freiheit sind überliefert: Ein durch eigene Leute verurteilter Pirat konnte aussuchen, welcher seiner Kumpane ihn erschießen sollte.32 In die gleiche Kerbe der freibeuterischen Freiheit und Unabhängigkeit schlagen die Studien von Eric Hobsbawm oder die jüngsten Arbeiten von Marcus Rediker. Hobsbawms Banditen galten in der öffentlichen Meinung nicht einfach als Kriminelle, sondern als Volkshelden, die sich von organisierter Kriminalität ebenso unterschieden wie von jenen Leuten, für die räuberische Streifzüge zu ihrem way of life gehörten, sondern sich für die Rechte der Armen einsetzten. Von der frühen Neuzeit bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts nennt Hobsbawm neben Robin Hood von Asien über Südamerika bis Europa viele Rebellen, die gegen Ungerechtigkeiten kämpften; ein steter Protest benachteiligter sozialer Schichten gegen Unterdrückung und Armut, gleichsam als Rache an den privilegierten Schichten, von denen sie unterdrückt und in Elend gehalten wurden. Laut Hobsbawm standen diese Sozialrebellen zwischen jener Zeit, als sich die Gesellschaft als Stammesgemeinschaft organisierte, und der modernen kapitalistischen Industriegesellschaft. Er vertritt die Ansicht, dass diese Form von Banditentum (social banditry) in einer modernen Industriegesellschaft nicht existieren 30 31 32

Bohn: Piraten, S. 84f. Siehe ausführlicher Kapitel 5.4. Bohn: Piraten, S. 43f.

418

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

könne. Hobsbawms Banditen waren außerhalb der Gesellschaft angesiedelt, eine isolierte Gruppe von Menschen, jeder Möglichkeit beraubt, sich sozioökonomisch in die Mehrheitsgesellschaft einzugliedern. Marcus Rediker betont ebenfalls die sozialen Elemente des Raubs. In ,,Villains of all Nations“ geht er der Frage nach, wie gewöhnliche Seeleute zu Piraten wurden und sich in einer multikulturellen, demokratischen und egalitären Gesellschaft organisierten. Er konzentriert seine Studie auf die Piraterie in der Karibik zwischen 1716 und 1726 und spricht von ,,outcasts of all nations“, denen es gelungen sei, eine bessere Welt zu schaffen als jene, der sie entkommen waren.33 Die Parallelen zwischen den englischen, französischen oder holländischen Privateers und Eric Hobsbawms und Marcus Redikers Sozialrebellen sind augenfällig; die Rechtfertigungen mit wirtschaftlich-sozialen Benachteiligungen führten zur Überzeugung, es sei keine Sünde, die reichen spanischen Schiffe auszurauben. Vielen dieser Piratenkapitäne wird ein freiheitlicher Geist nachgesagt, die die klassische Rolle, die ihnen die Gesellschaft zugedacht hatte, ablehnten und sich gegen restriktive Normen zur Wehr setzten. Es entstanden Narrative über egalitäre Organisationsformen der Piraten, freiwillige Kollektive, Chancen, den Fängen der Armut zu entkommen aber auch Wege, sich lokaler Gesetzgebung zu entziehen.34 Adam J. Young wies in seiner Arbeit über ,,Maritime peoples in Southeast Asia“ darauf hin, dass maritime Bevölkerungen Teil einer sozio-kulturellen Matrix seien, die Bezüge zur und Kontinuitäten mit der Vergangenheit aufweise. Ironischerweise würden diese Bevölkerungen jene Gruppen konstituieren, aus denen die meisten Piraten rekrutiert würden, zugleich aber auch jene, die zu den größten Opfern des Seeraubs gehörten. Teil dieser maritimen Ausrichtung war eine dezidierte Überlebensstrategie, die auf Flexibilität fußte, um möglichst gewandt von einer Einkommensquelle zu einer anderen wechseln und jede Gelegenheit sogleich ergreifen zu können.35 Salvatore Bono kehrt dieses Argument in eine andere Richtung. Für ihn ist die Piraterie weder eine zeitlich limitierte Überlebensstrategie, noch handelt es sich bei den mediterranen Piraten und Korsaren um Sozialrebellen oder Ausgestoßene; vielmehr bildeten sie einen wichtigen Teil des Systems.36 Ebenso waren die Malteser Ritter im Unterschied zu freien Piraten ohne ver33

34

35 36

Hobsbawm: Bandits, S. 50; Hobsbawm: Primitive Rebels, S. 5, 17f., 27f.; Rediker: Between the devil and the deep blue sea; Rediker: Villains of all Nations; Rediker: The Seaman as Pirate, S. 146f. So soll die berühmte Piratin Anne Bonny, die ihren Mann verlassen und einen bekehrten Piraten namens Rackham heiraten wollte, gemeinsam mit diesem und einer kleinen Mannschaft ein Schiff gekapert und sich für ein Leben in Piraterie entschieden haben, nachdem ihr die Behörden mit einer Gefängnisstrafe gedroht hatten, falls sie ihren Mann verlassen würde. Johnson: Lives of the most notorious Pirates, S. 143, 162, 184. Young: Contemporary Maritime Piracy in Southeast Asia, S. 65f. Bono: Piraten und Korsaren im Mittelmeer.

3. Konzepte der (Un-)Freiheit – Malta und der (un)heilige Krieg

419

bindliche Loyalitäten in ein weit verzweigtes Netzwerk von Verpflichtungen, Abhängigkeiten und gegenseitiger Unterstützung eingebunden. Es handelte sich um eine elitäre Gemeinschaft, die ihre Existenz nicht zuletzt mit ihrer kriegerischen Aufgabe legitimierte; bei den Seeleuten, die im Auftrag des San Stefano Ordens segelten, um Angehörige verschiedener Diasporagruppen aus dem Nordwesten und Südosten Europas, die in fürstlichen Diensten standen. Für die ,,Barbaresken“ zogen ebenfalls angesehene Persönlichkeiten ins Feld bzw. stachen in See. Nachdem sich England nicht mehr auf Piraten oder Korsaren angewiesen sah, sondern als Hort von Macht und Reichtum selbst zum potentiellen Opfer ihrer Raubzüge geworden war, wurde auch hier zu Beginn des 18. Jahrhunderts ein eher zaghafter Versuch unternommen, der Piraterie ein Ende zu setzen, einerseits durch die Royal Navy, andererseits durch ,,bekehrte“ Piraten, die nun im Auftrag Englands andere Piraten jagten, sich gelegentlich auch wieder zur Piraterie bekehrten. Zaghaft blieb der Versuch vor allem deshalb, weil viele einflussreiche Kaufleute oder Angehörige des Adels an Erfolgen der Royal Navy im Kampf gegen die Piraterie nicht wirklich interessiert waren. Sie profitierten entweder selbst als Hehler von der Piraterie oder beteiligten sich am lukrativen Geschäft gegen die Piraten: Sie finanzierten Schiffe ,,bekehrter“ Piraten, die ihrerseits ,,richtige“ Piraten überfielen und ihnen die Beute abnahmen. Der Staat wurde an diesen legalen Beutezügen in der Regel nicht beteiligt. Auch hier sind die Grenzen zwischen legal und illegal fließend, da zwischen beiden Formen des Seeraubs letztlich kein ernst zu nehmender Unterschied bestand. Es konnte sogar passieren, dass man ahnungslos seinem gewalttätigen Beruf nachging und durch politische Entscheide im fernen London, Paris oder Rom vom legalen in den illegalen Status versetzt wurde und eine legitime Beute zu einer illegitimen wurde, wie wir im Falle de Fleurys gesehen haben. Der Piraterie und dem gegen sie gerichteten Kampf sind Innovationen im Schiffbau zu verdanken, aber auch im Bankgeschäft und im gesamten Versicherungs- und Verkehrswesen, wo sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts insbesondere Triest international etablierte.37 Auch für den Triestiner wirtschaftlichen Erfolg standen Diasporagruppen, hauptsächlich griechische, ,,türkische“, albanische, serbische und schweizerische. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts spannte Triest sein wirtschaftliches Netz um die ganze Welt, mit Hilfe deutscher, böhmischer oder galizianischer Immigranten

37

Zu den Anfängen des Versicherungswesens siehe Tenenti: Il prezzo del rischio. Die bedeutendsten Versicherungsgesellschaften für mediterrane Schiffe waren in Trieste angesiedelt, das von seiner einzigartigen geographischen Lage profitierte, als Bindeglied zwischen dem Mittelmeer und dem riesigen Habsburger Imperium: Assicurazioni Generali e Riunione Adriatica di Sicurità, la Banca commerciale Triestina, le grandi industrie e le grandi imprese di navigazione con in testa il Lloyd Austriaco (später umbenannt in Lloyd Triestino), Babudieri: Le attività marittime dell’emporio di Trieste, S. 300f.

420

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

und galt mit Wien und Prag als das wirtschaftliche Herz der Habsburger Monarchie. Die Triestiner vernetzten die vielen Bevölkerungsgruppen der Monarchie in idealer Weise, da sie ihre Sprachen, Traditionen, Gepflogenheiten, ihren Geschmack und ihre Bedürfnisse kannten.38 Die Schiffbauindustrie ließ sich von den Herausforderungen des Seeraubs ebenfalls inspirieren. Ihren Erfolg schuldeten die Piraten nicht zuletzt ihren kleinen und dadurch schnellen und wendigen Schiffen.39 Um mit Piratenschiffen konkurrieren zu können, baute man vom 17. Jahrhundert an auch Transport-Schiffe generell kleiner. Diese waren nun ebenfalls wendiger und schneller und transportierten weniger Ware – bei einem Sieg der Piraten ging also weniger kostbares Gut verloren. Da die Schiffe weniger laden konnten, mussten sie dafür öfter fahren, so dass sich allmählich ein systematischer Reiseverkehr nach Fahrplan entwickelte, wenn auch noch im 19. Jahrhundert stark vom Wetter abhängig. Die unruhige See stellte eine große Gefahr für Schiffe dar. Um das Risiko unterwegs zu vermindern, kamen auch im Geldwesen neue Systeme zum Tragen. Während Gold oder bare Münze bei einem Überfall endgültig verloren waren, sah die Lage im Wechselgeschäft anders aus: Ohne Gegenzeichnung war mit diesen Papieren nichts anzufangen. Diese Neuerungen führten allerdings lediglich dazu, dass die Piraten andere Schwerpunkte setzten. Kidnapping und Gefangenentausch gegen Geld oder der Verkauf von Gefangenen auf dem Sklavenmarkt gestaltete sich zwar sicherlich umständlicher als der Raub von Gold; das Resultat in Bezug auf die Gewinnspanne war letztlich jedoch das gleiche. Die so genannten ,,Korsarenkriege“ dauerten bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, als Frankreich schließlich Algerien besetzte. Das Ende des ,,goldenen Zeitalters der Piraterie“ wurde mit dem Siegeszug des Dampfschiffs und den Friedensverträgen mit den nordafrikanischen Regentschaften eingeläutet; bestimmt wurde die Macht von Seeräubern seit dem 19. Jahrhundert geschwächt, gebrochen wurde sie nie.

3.4 Christliche und muslimische Sklaven Schon bei den sich bekämpfenden Christen und Mauren war es üblich, die jeweils im Krieg gefangenen Andersgläubigen zu versklaven.40 Nach einer Seeschlacht verschleppte man im Mittelmeerraum auch noch Mitte des 38 39 40

Babudieri: Le attività marittime dell’emporio di Trieste, S. 303, 312. Ciano: Navi, S. 50f. Ausführlich zu den gebräuchlichen Schiffstypen siehe Ciano: Navi, S. 149f. Bernecker, Pietschmann: Geschichte Portugals, S. 14. Eine gute Auswahl der Literatur zur Geschichte der nachantiken Sklaverei im Mittelmeerraum und in Europa findet sich bei Bono: Piraten und Korsaren, S. 306f.

3. Konzepte der (Un-)Freiheit – Malta und der (un)heilige Krieg

421

18. Jahrhunderts die Mannschaften unterlegener Schiffe, wie die britischen Dokumente in Malta zeigen, auch noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts.41 Das neue Kriegsschiff des 17. Jahrhunderts, das Linienschiff, wurde vor allem für die Kolonisierung und zur Sicherung überseeischer Interessen eingesetzt und war aufgrund seiner Größe und Bewaffnung mit Galeeren nicht zu bezwingen. Doch im Mittelmeerraum war Hochseetauglichkeit weniger wichtig und Galeeren wurden noch bis ins 18. Jahrhundert hinein gebaut. Piraterie und Sklavenhandel lieferten Nachschub an billigen Ruderkräften, zudem waren Galeeren billiger und einfacher zu bauen als Linienschiffe, die damals die aufwendigsten und komplexesten technischen Systeme. Aus ähnlichen Gründen kamen auch in der flachen Ostsee noch im 18. Jahrhundert Galeeren zum Einsatz. Eine vorbildliche Ausnahme scheint in diesem Zusammenhang lediglich Ragusa gewesen zu sein. Weder in den Quellen noch in der Sekundärliteratur tauchen Klagen gegen die ragusanische Flotte auf, obwohl sie aus kaufmännischer und navigatorischer Sicht sehr wohl über mehrere Jahrhunderte zu den bedeutendsten im Mittelmeerraum gehörte.42 Da Sklaven als Schiffsantrieb unverzichtbar waren, florierte die Sklaverei auch in Europa, obwohl sie den Ideen der Aufklärung widersprach. Jede Galeere benötigte zwei- bis dreihundert Ruderer. Die Sklaven unterteilte man in zwei Kategorien: jene, die in Staatsbesitz übergingen, und jene, die in private Hände kamen. Fast alle Sklaven schlug man der ersten Kategorie zu: Sie endeten als Ruderer auf Galeeren. In der Regel bestand eine Rudermannschaft auf einer christlichen Galeere aus so genannten forçats (den Gezwungenen) und den buonavoglia (den Freiwilligen), die sich auf einige Jahre verdingt hatten, um zum Beispiel Schulden abzuzahlen. Eine weitere Gruppe bestand aus Landstreichern, die zu Galeerenarbeit verurteilt worden sind.43 Sie alle waren sowohl mögliche Opfer der Piraterie als auch potentielle Piraten, falls ihnen ein Aufstand gelang. Um das Risiko einer Galeeren-Revolte zu verkleinern, durften nicht zu viele Sklaven aus der gleichen Gegend stammen, nicht zu viele Muslime und nicht zu viele Christen sein, damit sie sich nicht verbündeten. Salvatore Bono hat in seinen intensiven Forschungsarbeiten festgestellt, dass etwa die Hälfte der Sklaven gekauft, die andere Hälfte gefangen worden war. Die toskanischen Galeeren kauften die meisten Sklaven auf dem Sklavenmarkt in Malta, die beiden anderen wichtigsten Märkte waren Livorno und Genua. Hafenstädte wie Marseille, Livorno, Algier, Messina, Valletta und Valona waren nicht nur Handelszentren, sondern zugleich Stützpunkte der Piraterie, in denen sich die Seeräuber mit allem Notwendigen versorgen 41 42

43

Siehe Kapitel 5.4.6. in diesem Band. Im 15. und 16. Jahrhundert soll Ragusa mit einer Handelsflotte von über 200 Schiffen im Mittelmeerraum aktiv unterwegs gewesen sein. Caboga: Geschichte der Republik Ragusa, S. 80f. Eichhoff: Venedig, Wien und Osmanen, S. 252.

422

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

konnten. Die Sklaven stammten vom Balkan, aus Nordafrika, Anatolien, Ägypten oder von den ägäischen Inseln – von überall, wo die Schiffe mit ihren Waren und Händlern in See gestochen waren. Kidnapping gehörte zum kaufmännischen Alltag. Auch Schiffe mit armen muslimischen Pilgern an Bord waren wegen des lukrativen Sklavenhandels beliebte Angriffsziele. Überraschend hoch war das Alter der Sklaven. Entsprechend den Erfassungslisten, die Bono auswertete, betrug ihr Durchschnittsalter im Jahre 1747 in Livorno 48,8 Jahre, in anderen Städten 38 Jahre.44 Bei diesen Verschleppten spielten kulturelle Anpassungen und religiöse Konversionen eine wichtige Rolle. Während Walther L. Bernecker feststellte, dass im Mittelalter die Konversion zum Christentum die Sklaven auf der Iberischen Halbinsel zu Integration und Freiheit führte, kommt Salvatore Bono aufgrund seiner Forschungen in italienischen Stadtstaaten im 17. und 18. Jahrhundert zu anderen Ergebnissen. Sklaven, die vom Islam zum Christentum konvertierten, erlangten dadurch nicht etwa die Freiheit, sondern lediglich eine etwas humanere Behandlung, bessere Nahrung und Kleidung. Während man Sklaven in staatlichem Besitz nicht gerne konvertieren sah, verhielt es sich mit Sklaven in Privatbesitz anders. Auf diese wurde im Gegenteil oft ein enormer Druck ausgeübt, da die Konversion als Teil der kulturellen Assimilation galt, die im privaten Raum durchaus erwünscht war. Von konvertierten Sklaven erwartete man ein angepasstes Benehmen, das christlichen Moralvorstellungen und Vorschriften entsprach. Die getauften Sklaven nahmen christliche Namen an, meist jene berühmter Persönlichkeiten. 1756 soll ein Sklave in Caserta gar den Namen des Königs angenommen haben: Carlo di Borbone.45 Von etwa 250 bis 400 Sklaven konvertierten etwa zehn. Allerdings kann dies nur nachgewiesen werden, wenn die Herkunft des neuen Christen ausdrücklich im Kirchenregister festgehalten wurde, was nicht zwingend der Fall war. Dem Namen nach war ihre ursprüngliche Herkunft schwer auszumachen, da sie mit der Taufe einen christlichen Namen annahmen.46 In der Regel wurden einige Hundert Menschen auf einmal versklavt, manchmal aber auch Tausende, wie z. B. 1510, als die Spanier 10 000 Menschen aus Tripoli in die Sklaverei verschleppt haben sollen. Viele der Sklaven muslimischen Glaubens, die in italienischen Stadtstaaten arbeiteten, wurden auf Sklavenmärkten gekauft, sofern man sie nicht selbst während kriegerischer Auseinandersetzungen erbeutet hatte. Manchmal wurden muslimische Seeleute versklavt, wenn sie italienische Städte angriffen, auf der Suche nach Beute, während sie Trinkwasser holen wollten, wenn sie an Land schwammen, um sich der Gefangennahme auf See zu entziehen, bei Schiffbruch oder auf der Flucht vor christlichen Sklaven, denen eine Revolte auf einem musli44 45 46

Bono: Esclaves musulmans, S. 192f. Bono: Esclaves musulmans, S. 199f. Bono: Schiavi, S. 859.

3. Konzepte der (Un-)Freiheit – Malta und der (un)heilige Krieg

423

mischen Schiff gelungen war. Eigentlich hätten muslimische Gefangene den Behörden übergeben werden müssen. Um aber die Bewohner der Küste zu ermutigen, den Muslimen furchtlos zu begegnen, wurden ihnen Gefangene meist als legitimer Besitz überlassen.47 Auch hier scheint die grundsätzlich schwierige Frage der Loyalitäten auf. Oft wurden zu Galeerenarbeit verurteilte Sklaven, die als ,,entflohen“ gemeldet wurden, von Kapitänen verkauft, unbesehen des Umstands, dass die Kapitäne Gehälter bezogen und für Schiff wie Mannschaft verantwortlich zeichneten.48 Welchen wirtschaftlichen Stellenwert die Kaper für die verschiedenen daran beteiligten Personen hatte, lässt sich nur erahnen. Die meisten Historiker, die sich mit dem Außenhandel Algeriens im 16. und 17. Jahrhundert befasst haben, kommen zum Schluss, dass der Handel mit christlichen Sklaven und die Kaper den wesentlichsten Teil der wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Ausland zu dieser Zeit bildeten. Es handelte sich hauptsächlich um französische, italienische, spanische und maltesische Sklaven, im Jahre 1578 (im Zuge der Schlacht von Alcazarquivir und der vernichtenden Niederlage der Portugiesen) sollen es 25 000 gewesen sein, 1635 (verschiedene Kriege, Aufstände und Wirren in Europa, die auch im Mittelmeer und in der Karibik ausgetragen wurden) 30 000 und 1691 (in der Schlacht bei Slankamen erleiden die Osmanen hohe Verluste) sogar 36 000.49 Die nordafrikanischen Herrscher erhielten ein Zehntel oder ein Achtel der Beute bzw. jeden zehnten oder achten Sklaven. Zunächst waren natürlich Wert und Gewicht der Prise zu bestimmen und die Kosten für das Löschen und die Lagerung der Ladung und die Versteigerung zu verrechnen, erst dann konnte der Reinerlös verteilt werden. Laut Salvatore Bono stand bei den Barbaresken die Hälfte des Reingewinns dem Besitzer des Kaperschiffes zu; dabei konnte es sich auch um einen Gemeinschaftsbesitz handeln. Die andere Hälfte wurde unter der Schiffsbesatzung, den Schiffssoldaten und der Rudermannschaft aufgeteilt. Jeder erhielt eine bestimmte Anzahl Anteile (parti), die je nach Rang und Aufgabenbereich unterschiedlich hoch ausfielen. Bestand die Rudermannschaft aus Sklaven, entfiel ihr Anteil an den Sklavenbesitzer. Nachdem der Bey jeden achten Sklaven erhalten hatte, kamen alle übrigen zur öffentlichen Versteigerung auf den badastan, den Sklavenmarkt, wo sie von Privatpersonen gekauft wurden – oder von den ,,erlösenden Vätern“ losgekauft.50 Auch bei den christlichen Korsaren gab es genau festgelegte Verteilungsschlüssel. In Malta gingen vor der britischen Herrschaft zehn Prozent der 47 48 49

50

Bono: Schiavi, S. 839f. Bamford: The Knights of Malta and the King of France, S. 448. Die Zahlen stammen aus Amine: Conditions et mouvement des échanges de la régence ottomane d’Alger, S. 11, die These, dass die Zahlen aufgrund dieser kriegerischen Auseinandersetzungen so hoch ausgefallen sein mögen, von mir. Amine: Conditions et mouvement des échanges de la régence ottomane d’Alger, S. 11.

424

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

Beute an den Orden oder an den Großmeister, je nachdem, unter welcher Flagge das Kaperschiff lief. Fünf Prozent der Beute erhielten die ,Fünf Lanzen’, je ein Prozent ging an den Konvent der Nonnen von Sant’Orsola in La Valletta und den aguzzino, der für die Überwachung der muslimischen Rudersklaven an Bord der Galeere zuständig war. Den Richtern des für die Kaperfahrer zuständigen Tribunale degli Armamenti standen drei Prozent der Beute zu, dem Kapitän, Steuermann und den Schiffsoffizieren zusammen elf Prozent; außerdem nahmen sie nach dem Entern eines gegnerischen Schiffes Geld, Wertgegenstände und Gepäck der an Bord befindlichen Besatzung und Reisenden an sich. Der Rest des Reinerlöses aus dem Verkauf der Beute ging zu zwei Dritteln an die Besitzer des Schiffes: entweder private Geldgeber oder Malteser Ritter, die sich zu Gemeinschaften zusammengeschlossen hatten. Der Rest wurde unter der Besatzung aufgeteilt. Die Auszahlung der Prise erfolgte auch bei den europäischen Korsaren erst, nachdem die gesamte Beute versteigert worden war, einschließlich des Beuteschiffes und der Gefangenen, die in die Sklaverei verkauft wurden. Als Käufer kamen sowohl Privatleute als auch staatliche Stellen in Betracht.51 Sowohl bei den Barbaresken (12 bis 83 Prisen) als auch bei den maltesischen Korsaren (1764 machten sie 204 Prisen, 1775 94, 1780 240, im Jahre 1770 allerdings nur zwei) schwankte im 17. und 18. Jahrhundert das Beuteglück erheblich.52 Zahlreiche Quellen dokumentieren den Loskauf von Sklaven.53 Es überrascht nicht, dass gerade jüdische Kaufleute zu den Mitbegründern der ersten maritimen Versicherungsgesellschaften gehörten und Ragusa sogar jüdische Konsuln ernannte. Es gehörte zu deren Hauptaufgaben, in fremden Städten die eigenen Kaufleute zu betreuen und Gefangene freizukaufen.54 Sklaventausch und Freikauf von Sklaven, die Angehörige der eigenen Religion waren, bildeten über die Jahrhunderte eine wichtige Komponente der internationalen Beziehungen.55 Muslimische Sklaven – ,,Türken“ genannt – kaufte und verkaufte man selbst noch im aufgeklärten christlichen Europa des 18., und wie die britischen Quellen aus Malta zeigen, auch noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Gerade im 18. Jahrhundert entsprach die Zahl muslimischer Sklaven in italienischen Stadtstaaten jener italienischer im Osmanischen Reich, während dies in früheren Jahrhunderten nicht der Fall gewesen war.56 Sergio Anselmi berichtet von häufiger Massenflucht christlicher Sklaven 51 52 53 54 55 56

Amine: Conditions et mouvement des échanges de la régence ottomane d’Alger, S. 11; Bono: Piraten und Korsaren, S. 228, 230. Bono: Piraten und Korsaren, S. 232f. Archivio di Stato, Triest, C.R.S. Intendenza Commerciale per il Litorale in Trieste 1748– 1776, Rubrica II, Commerciale, Nr. 579f. (,,Riscatto di schiavi dai Turchi 1760–1776“). Burđelez: Jewish Consuls; Bono: Esclaves musulmans, 189f.; Schwara: Unterwegs, Kapitel ,,Unsichere Wege: Gefahren und Hilfe unterwegs“. Bono: Esclaves musulmans, S. 202f.; Bono: Piraten und Korsaren, S. 272. Bono: Esclaves musulmans, S. 189.

3. Konzepte der (Un-)Freiheit – Malta und der (un)heilige Krieg

425

aus maghrebinischer Gefangenschaft, da sie derart schlecht behandelt wurden, dass eine Flucht nicht unbedingt ein zusätzliches Risiko bedeutete, sein Leben frühzeitig zu verwirken, obwohl Revolten brutal niedergeschlagen wurden und Dutzende und Hunderte von Opfern forderten. Widerstand der Sklaven konnte auch auf Galeeren für die gesamte Mannschaft und das Schiff ernsthafte Gefahr bedeuten, wenn die Ruderer versuchten, ein sanftes adagio zu halten, sobald bekannt wurde, dass ihre Galeere von einem christlichen Schiff verfolgt wurde, während die Schiffsmannschaft zur Abwehr eines Angriffs oder für einen Gegenangriff unbedingt auf die Maximalgeschwindigkeit angewiesen gewesen wäre – und die unglücklichen Ruderer brutal dazu anzuhalten versuchte. Gleiche Brutalität – so Anselmi – traf muslimische Ruderer auf christlichen Galeeren. Begünstigt waren jene Unglücklichen, die in Listen zu befreiender Sklaven aufgenommen wurden, meist von Gemeinden oder religiösen Gesellschaften erstellt, die in der Lage waren, ein Lösegeld zu zahlen. Die Verhandlungen zogen sich in die Länge, auch drei oder vier Jahre waren keine Seltenheit, und wurden meist durch ragusanische Kaufleute vermittelt, da ihr Stadtstaat zwischen den Christen und Muslimen immer neutral gewesen war und sie über erstklassige Beziehungen und diskreten Einfluss im gesamten Mittelmeerraum verfügten. Nach der Schlacht von Lepanto wurden in Ragusa Tausende von Gefangenen ausgetauscht.57 Durch diese Neutralität hatte Ragusa innerhalb der katholischen Welt, zu der sie eigentlich gehörte, eine heikle Position inne, und musste ihre politische Unabhängigkeit wiederholt neu behaupten. 1494, zwei Jahre nach der christlichen Reconquista der Iberischen Halbinsel, schlossen die Ragusaner einen Handelsvertrag mit Spanien, was im Grunde auf klare katholische Bündnisse hindeutet.58 Doch vermutlich war dies eine der vielen Gesten Ragusas, um das katholische Europa zu besänftigen.59 Die guten Beziehungen Ragusas zu den Osmanen hatten schon mehrfach europäische Gemüter erregt. Bereits 1431– 1449 hatte sich das Konzil zu Basel mit dieser Frage befasst, Papst Paul III. hatte im 16. Jahrhundert gar eine Strafexpedition gegen Ragusa befohlen, die aber erfolglos geblieben war. Erst der Boykott durch die Heilige Liga konnte die Ragusaner dazu bewegen, der Armada 33 große Schiffe zur Verfügung zu stellen.60 Doch bei Bedarf wurde Ragusas Vermittlung gern angenommen. Sobald die Verschleppten losgekauft wurden und in die christliche Gesellschaft zurückkehren durften, wurden sie mit einer feierlichen Zeremonie der religiösen Rettung öffentlich wieder in die Christenheit eingegliedert. Viele wurden, nach der obligaten Zeit in Quarantäne, noch einmal getauft. Dann 57 58 59 60

Anselmi: La ,,Guerra di corsa“ nel Mediterraneo. Caboga: Geschichte der Republik Ragusa, S. 75. Tadić: Španija i Dubrovnik, S. 161. Caboga: Geschichte der Republik Ragusa, S. 72, 80f.

426

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

marschierten sie in einer Prozession, wie Gezwungene (forzati), die durch die großzügige Zuwendung der Christenheit aus den Fesseln der Sklaverei befreit worden sind, mit durchbrochenen Ketten durch die Straßen größerer Städte. Endlich, von Soldaten begleitet, erreichten sie ihr Zuhause, wo oft das nackte Elend auf sie wartete, weil die Familienmitglieder sogar die Arbeitswerkzeuge verkauft hatten, um einen Beitrag an den monte del riscatto, den Lösegeldfonds, zu leisten. Fischer fanden sich ohne Boote oder Ruder oder Netze wieder; oder sie fanden eine Verfügung vor, die besagte, alle künftigen Fischereierträge seien Besitz des benefattore (Wohltäter, Gönner), der das Geld für den monte de’ poveri schiavi (Fonds der armen Sklaven) vorgestreckt hatte. Anselmi betont aber auch, dass viele nicht zurück kamen: Junge Männer, die im Janitscharen-Heer dienten, andere, die sich zum Islam bekannten und eine Familie gegründet hatten, wiederum andere, die in KorsarenMannschaften eingegliedert wurden. Viele starben an Krankheiten. Vom 16. bis ins 19. Jahrhundert, als die Piraterie im Mittelmeerraum allmählich nachließ, gab es Fischerfamilien, die in jeder Generation ein verschlepptes Familienmitglied zu beklagen hatten. Der letzte große Piraten-Streifzug entlang der Küsten der Apenninenhalbinsel hatte im Jahre 1815 stattgefunden. Anselmi führt das Ende der Piraterie auf die Unabhängigkeit Griechenlands, die immer stärkere Präsenz westeuropäischer Truppen in der Levante und schließlich die französische Okkupation Algeriens zurück. Bemerkenswert ist seine Feststellung – die m. E. auch bei anderen Konflikten, namentlich jüngsten Datums im Auge zu behalten ist –, dass viele ,,türkische“ Korsaren in Wirklichkeit christliche Seeräuber waren, die ihre Loyalität verlagerten und im Dienst der Hohen Pforte oder nordafrikanischer Regentschaften standen. Die wichtigsten Kunden auf nordafrikanischen Märkten sollen Juden und Christen gewesen sein, der wichtigste Umschlagplatz für Sklaven und Raubgut der Freihafen von Livorno.61 Die wirtschaftliche und politische Bedeutung dieses ,,bellum omnium contra omnes“ war immens, da dieser Krieg aller gegen alle den Handel im Mittelmeerraum unterbrechen konnte und deshalb militärische und administrative Verteidigungsmaßnahmen förderte.62

61 62

Amine: Conditions et mouvement des échanges de la régence ottomane d’Alger, S. 12. Anselmi: La ,,Guerra di corsa“ nel Mediterraneo.

4. Vom Mare Nostrum zum Mare Liberum zum Mare Britannicum Vom 14. bis 17. Jahrhundert entfaltete sich das Osmanische Reich von Anatolien aus in alle Himmelsrichtungen zu seiner vollen Blüte. Nach der Schlacht auf dem Amselfeld 1389 fielen Serbien und wenige Jahre später Bulgarien an das Osmanische Reich. Mohammed II. (1451–1481) vernichtete mit der Eroberung Konstantinopels 1453 das Oströmische Reich und machte die Stadt zum Zentrum seines Imperiums, das sich über drei Kontinente ausdehnen sollte: In Asien umfasste es Syrien, Mesopotamien, Arabien, die Kaukasusländer und Kleinasien, in Afrika Ägypten und in halber Abhängigkeit die Staaten der Nordküste, in Europa die Balkanhalbinsel und den größten Teil Ungarns. Eine der entscheidenden Wendungen trat mit den ,,Türkenkriegen“ ein, mit der erfolglosen Belagerung Wiens 1683 und dem Gegenstoß Österreichs und Polens. Im Frieden von Karlowitz 1699 verzichteten die Osmanen endgültig auf Ungarn und Siebenbürgen. Im 18. Jahrhundert sahen sie sich zudem von Russland bedrängt, das die christlichen Untertanen der Osmanen unterstützte und wie alle wirtschaftlich-militärischen Großmächte einen Zugang zum Mittelmeer suchte. Im Friedensvertrag von Küçük Kaynarca 1774 wurde Russland die Krim zugesprochen und ein Schutzrecht über die Donaufürstentümer eingeräumt. Hier lässt sich eine wichtige Zäsur in der politischen Geschichte Europas setzen, die sich schlagartig auf die Kräfteverhältnisse im Mittelmeer auswirkte und dadurch konkrete Folgen für die wirtschaftliche Bedeutung bestimmter Regionen nach sich zog. Alte Bündnisse zerfielen und neue Kontakte mussten geknüpft und Verträge geschlossen werden. In Afrika machte sich Ägypten unter Mehmed Ali fast selbständig, in Asien der größte Teil Arabiens. 1798 musste der souveräne Malteserorden den französischen Truppen unter Napoleon weichen, 1808 erklärten sie die Republik Ragusa kurzerhand für aufgelöst. Bereits sechs Jahre später, am 28.1.1814, kapitulierte Frankreich, und es folgte der Einmarsch der Österreicher.1 Die Unfreiheit Ragusas – die erste in der langen und ruhmreichen Geschichte der Stadt – blieb besiegelt, ebenso jene Maltas, wenngleich einer anderen beherrschenden Diasporagruppe unterworfen. Die Netze der Moderne koordinierten den gesamten Mittelmeerraum neu: Die Macht Frankreichs war vorerst gebrochen, jene Russlands auf die aktuellen Grenzen beschränkt, Preußen wurden am Wiener Kongress – ohne Beteiligung des Osmanischen Reichs, das vor vollendete Tatsachen gestellt wurde – neue Gebiete zugesprochen, ÖsterreichUngarn verlor Territorien im Nordwesten Europas und dehnte sich nach Osten, Südwesten und Süden aus. Auch im Mittelmeerraum brach ein neues 1

Caboga: Geschichte der Republik Ragusa, S. 148, 159.

428

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

Zeitalter an: Die Ära Großbritanniens. Die Delegierten definierten die Grenzen in Europa neu und schufen neue Staaten. Die Briten besetzten Malta 1800 und führten die Inseln nach dem Sieg über Napoleon als Kolonialgebiet. Im Pariser Frieden 1814 wurde die Inselgruppe offiziell als britische Kolonie deklariert. Auf dem Wiener Kongress 1815 wurde dieser über viele Jahrhunderte wichtige strategische Stützpunkt inmitten des Mittelmeeres offiziell zu einem der Protektorate Großbritanniens erklärt. Malta wurde von den Briten erst 1964 – und nach schwerem Leid im Zweiten Weltkrieg, da die Inselgruppe wiederum als wichtigste Drehscheibe im Mittelmeerraum missbraucht wurde – in die Freiheit entlassen. Im Osten Europas begann 1804 der Befreiungskampf der christlichen Balkanvölker Serbiens und Griechenlands mit der Unterstützung der Großmächte. Andererseits traten im Krimkrieg 1853–1856 die Westmächte für die Osmanen ein, um das russische Vordringen im Mittelmeerraum zu behindern. Die Idee, Russland als wichtige politische Macht auch im Mittelmeerraum ernst zu nehmen, war nicht abwegig, zumal sich im 18. Jahrhundert bereits die (katholischen) Malteser Ritter an das große (christlich-orthodoxe) Imperium um Hilfe gewandt hatten. Das Ende des russisch-türkischen Krieges führte auf dem Berliner Kongress 1878 zu einer Regelung der ,,türkischen Fragen“. Die ,,Balkankriege“ 1912–1913 beschränkten den europäischen Teil des Osmanischen Reiches noch einmal entschieden. Erst mit dem Frieden von Lausanne 1923 wurden die aktuellen Grenzen der Türkei bestimmt. Bereits im 17. Jahrhundert waren neue Akteure im Mittelmeerraum aufgetaucht. Amsterdam, Antwerpen, Hamburg und London eroberten allmählich das Mare Nostrum und beharrten mit ihrer Präsenz auf einem Mare Liberum, über das der wirtschaftlich und militärisch Stärkere gebieten und sich Privilegien sichern konnte.2

4.1 Malta, Korfu und die Anfänge der britischen Méditerranée Die Quellen, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts die englische Präsenz auf Malta dokumentieren, behandeln in erster Linie Großbritanniens Bemühungen, im Mittelmeer, in Nordafrika und in der Levante Fuß zu fassen. Dieses Streben geht vor allem aus der Korrespondenz der englischen Gouverneure Maltas mit ihren Konsuln hervor. Das ,,Barbary States Correspondence Book 2

Hugo Grotius formulierte 1609 erstmals den Gedanken des ,,freien Meeres“, zu dem alle Zugang haben sollten, während die Welt gemäß päpstlicher Bulle immer noch zwischen dem katholischen Spanien und dem katholischen Portugal aufgeteilt war. The Law of the Sea. Hg. von David Freestone u. a.; Handbuch des Seerechts. Hg. von Wolfgang Graf Vitzthum; Beurier u. a.: Droits maritimes; Angelelli, Moretti: Cours de Droit maritime.

4. Vom Mare Nostrum zum Mare Liberum zum Mare Britannicum

429

(1813–1845)“ enthält Kopien von Briefen an den Bey von Algerien, den Bey von Tunesien und den Bashaw von Tripolis (den höchsten Würdenträger Libyens, dem Rang eines Pascha im Osmanischen Reich entsprechend; Bashaw ist die englische Schreibweise von basha, i.e. pasha) und an die britischen Konsuln in ,,the States of Barbary“. Es geht um den Kauf von Vieh, Pferden und Nahrungsmitteln, um britische Politik in Nordafrika, um britische Untertanen, die im Mittelmeerraum in Not geraten waren und politischen oder praktischen Beistands bedurften, um Piraterie, Kaper, um Kaperbriefe und Passierscheine ihrer Königlichen Majestät, Sklaverei, um die Instruktionen der Krone an die britischen Gouverneure in Malta und die praktische Umsetzung dieser Anordnungen. Eine der ersten Taten der Briten – vier Jahre nach der Besetzung der Inselgruppe und zehn Jahre bevor Malta offiziell zur britischen Kolonie erklärt wurde – war eine Proklamation Sir Alexander Balls, des ersten britischen Bevollmächtigten auf Malta (Civil Commissioner of Malta). Sie bestimmte, dass alle, die dazu beigetragen hatten, die maltesischen Bataillone zu unterhalten oder während der Blockade von Valletta 1798–1800 Schaden erlitten hatten, entschädigt werden müssten.3 Diese Schäden waren auch Jahre später noch nicht behoben, wie aus einem Memorial aus dem Jahre 1816 von Francis Antonio di Cristoforo d’Avaloy, einem Malteser Ritter, der sich an der Blockade beteiligt hatte, hervor geht.4 Wie wichtig Malta als Operationsbasis inmitten des Mittelmeers war, zeigt auch die Korrespondenz der Briten über eine Bewegung in Lissabon (,,a Movement in Lisbon“), die einen Aufstand in Sizilien von Malta aus organisieren wollte;5 zwei Jahre später geht es dem Foreign Office and his Majesty’s Minister at Lisbon um die delikate Frage der Korrespondenz, die im Lazarett von Malta im Zusammenhang mit den Reinigungsbestimmungen der Quarantäne geöffnet wurde.6 Vor seinem Dienst in Malta befehligte Ball HMS (His Majesty’s Ship) Alexander im Mittelmeer. Er spielte militärisch wie diplomatisch eine wichtige Rolle im Netz der Ereignisse, die schließlich Malta in britische Hände manövrierten. Die maltesische Inselgruppe besuchte er erstmals im Herbst 1798 und wurde bereits zu diesem Zeitpunkt von der Bevölkerung Maltas freundlich empfangen, da die Malteser zum einen die Rückkehr der Ritter befürchteten, zum anderen noch keinen unabhängigen Staat anstrebten. Vincenzo Borg, einer der Anführer des maltesischen Aufstands, befürwortete sogar die englische Präsenz auf Malta. Allen politisch weitsichtigen Mitstreitern für Maltas Freiheit war wohl bewusst, dass diese nur zu erreichen war, 3

4 5 6

CSG 37 Blockade Claims (1800–1824). Aus den Petitionen der Geschädigten geht hervor, welche Last solche kriegerischen Auseinandersetzungen und militärischen Blockaden für die Bevölkerung sind. GOV 2/1/6, 1816. GOV 1/3/5, 1837. GOV 2/1/35, 1839.

430

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

wenn sich die Bevölkerung der Insel in eine Teilabhängigkeit begab. Ohne eine starke Schutzmacht war dieser begehrte strategische Punkt inmitten des Mittelmeers nicht lange zu halten. Es galt jene Macht zu unterstützen, der man sich am liebsten anschließen wollte. Die freundliche Aufnahme Balls war sehr im Sinne Englands, das die Herrschaft über die Inseln beanspruchte, eine militärische Okkupation aber wenn möglich vermeiden wollte. Als im Frieden von Amiens 1802 die Inselgruppe wieder den Rittern zugesprochen wurde, sollte Alexander Ball, der inzwischen als Commissioner der Royal Navy in Gibraltar gewirkt hatte, den Abzug der britischen Truppen organisieren. Doch als die Spannung zwischen Frankreich und England wieder wuchs, verzögerten die Briten ihren Abzug. Alexander Ball starb 1809 im San Anton Palace auf Malta; die Briten hatten die Beschlüsse von Amiens ignoriert. Es folgte die dreijährige Regierungszeit von Lieutenant-General Sir Hildebrand Oakes. Der Amtsantritt von Sir Thomas Maitland im Jahre 1813 gilt als entscheidende Wende in der Geschichte Maltas und des gesamten Mittelmeerraums. Maitland ist ein kontrovers beurteilter Kolonialadministrator, der einerseits als Schöpfer der modernen britischen außenpolitischen Verwaltung gilt, die ihre politisch-militärischen Netze gekonnt um die Welt spannte (bevor Maitland seinen Dienst in Malta antrat, war er britischer Gouverneur in Ceylon), andererseits als Despot, von der maltesischen Bevölkerung mit dem Spitznamen ,,King Tom“ versehen, der mit seinem autoritären Führungsstil von Malta aus die Geschicke des gesamten Mittelmeerraums gestaltete und befehligte. Er bestand auf der absoluten Macht des Gouverneurs, und es ist ihm tatsächlich gelungen, die englische Regierung davon zu überzeugen, die zivilrechtliche und militärische Macht müssten möglichst ,,kompakt“ sein, wenn man die gewünschten Ergebnisse erzielen wollte. Maitland war ein typischer Vertreter des anglikanischen 18. Jahrhunderts, dem es völlig unverständlich war, so C. Willis Dixon, dass Menschen die fähige und uneigennützige Herrschaft eines Fremden ablehnen und es vorziehen könnten, von ihresgleichen schlecht regiert zu werden.7 Diese Einstellung zeigt eine Egozentrik, die verschiedenen Europäern eigen war und sie gegenüber anderen Lebensweisen und Einstellungen völlig verschloss. Es war außerhalb Maitlands Vorstellungsvermögen, eine Ablehnung seiner Person oder seiner Weisungen darauf zurückzuführen, dass er die Bedingungen vor Ort nicht kannte, kein Maltesisch sprach – und eben nicht in erster Linie maltesische Interessen vertrat, sondern fremde. Wenn sich doch viele Malteser der englischen Okkupation nicht entgegen stellten, dann wohl daher (abgesehen von der militärischen Unterlegenheit), weil sie hofften, diese fremden Interessen könnten sich mit jenen Maltas decken. Dixon schätzt Maitland denn auch als einen ,,wohlwollenden Despoten“

7

Zum Führungsstil Maitlands siehe Dixon: The Colonial Administrations (hier insbesondere S. 136f., 138 Fußnote 1), aber auch viele Überblickswerke zur Geschichte Maltas.

4. Vom Mare Nostrum zum Mare Liberum zum Mare Britannicum

431

ein,8 doch ist (vermeintliches) ,,Wohlwollen“ einer der typischen Charakterzüge von Despoten, mit dem sie ihre Anhänger – oder auch sich selbst – zu täuschen und etwaiges unmenschliches Handeln zu entschuldigen versuchen. Jedenfalls ist es Maitland gelungen, dass ihm die zivilrechtliche und militärische Macht übertragen wurde. Er hatte die Oberaufsicht über die Quarantäne, Zolleinnahmen, Hafenbestimmungen und -einnahmen, die Marinepolizei und die Steuern. Er kontrollierte mit seinen festangestellten, gut bezahlten Beamten alle Bereiche des öffentlichen Lebens.9 Der Code of Rohan10 wurde englischen Gepflogenheiten angepasst, die Gesetze bezüglich Folter, Sklaverei oder ,,Ungläubiger“ wurden abgeschafft.11 Zweifellos ist es Maitland gelungen, die Position Großbritanniens im Mittelmeerraum entscheidend zu stärken; aus seiner Korrespondenz geht aber auch klar jener Hang zum Despotismus hervor, der ihm nachgesagt wird. Mit elf Jahren Dienstzeit hat er – wie zu Beginn der britischen Ära Alexander Ball – die Geschicke Maltas und der Briten im Mittelmeerraum nachhaltig beeinflusst, während die anderen Gouverneure in der Regel einige Monate bis vier Jahre im Amt blieben; vier Jahre scheint die reguläre Dienstzeit gewesen zu sein.12 Während sich Alexander Ball darum bemüht hatte, die Gunst der maltesischen Bevölkerung zu gewinnen, zeigen die Archivmaterialien der folgenden Jahre Großbritanniens Anspruch, die Einheimischen an britische Normen anzupassen. Bereits 1814 verordnete der britische Gouverneur Sir Thomas Maitland, dass alle Petitionen schriftlich und direkt an seinen Privatsekretär zu richten seien, und die englische Sprache gefördert werden müsse. Von dieser Verfügung ausgenommen waren Angehörige der Unterschicht, die ihre Petitionen weiterhin in Italienisch verfassen durften. Italienisch ist allerdings trotz dieser Weisung bis ins 20. Jahrhundert auch in behördlichen Angelegenheiten in Gebrauch geblieben.13 Von Maltesisch war keine Rede. Vielmehr ging es Maitland darum, dass eine lingua franca – Italienisch –, von einer ande8 9 10

11 12

13

Dixon: The Colonial Administrations, S. 139; Knox: British Policy and the Ionian Islands, S. 505. Dixon: The Colonial Administrations, S. 140f. Emmanuel de Rohan-Polduc (1725–1797) stammte aus einer angesehenen Familie in Frankreich und war von 1775 bis 1797 Großmeister der Malteser Ritter. Er gilt als Verfasser des ,,Code de Rohan“, eines Gesetzbuches, das 1782 publiziert wurde. Dixon: The Colonial Administrations, S. 150. Die britischen Civil Commissioners: Captain Alexander Ball, 1799–1801; Major-General Henry Pigot, 1801–1801; Sir Charles Cameron, 1801–1802; Rear-Admiral Alexander Ball, 1802–1809; Lieutenant-General Sir Hildebrand Oakes, 1810–1813; Maltas britische Gouverneure: Lieut.-General Sir Thomas Maitland, 1813–1824; General Francis Rawdon-Hastings, 1924–1926; Sir Alexander George Woodford, 1826–1827; Major-General Sir Frederick Cavendish Ponsonby, 1827–1836; u. a. Abela: Governors of Malta; Galea: Sir Alexander John Ball and Malta. CSG 02 Petitions to Government, Einleitung o.S. Maltesisch gilt als Idiom des Maghrebinischen, aber mit lateinischen Buchstaben in Anlehnung an die italienische

432

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

ren abgelöst werde – von Englisch, um so die neuen Herrschaftsstrukturen kulturell zu unterstreichen. Sechs Jahre später, 1820, ordnete Maitland einmal mehr an, alle Notare und Anwälte müssten Englisch sprechen und schreiben können, und alle Petitionen und Regierungsverträge, abgesehen von einigen Ausnahmen, müssten in Englisch verfasst sein.14 Diese erneuten Weisungen unterstreichen den geringen Erfolg der englischen Unterwerfungsstrategien in kulturellen Belangen; der Umstand, dass die Forderungen nur noch auf eine kleine Gruppe und eine überschaubare Klasse der Schriftlichkeit beschränkt wurden, zeigt das wachsende Bewusstsein der neuen Herrscher, dass ihr Einfluss in bestimmten Bereichen doch sehr begrenzt und vom Wohlwollen der übrigen Bevölkerungsgruppen abhängig war. Einen anderen kulturellen Bereich versuchten die Engländer in weiser Voraussicht schon gar nicht erst anzutasten. Die Franzosen hatten den fatalen Fehler begangen, der katholischen Kirche in Malta nicht mit gebotenem Respekt zu begegnen. Maitland war gewarnt worden, in allem, was als religiöse Innovation verstanden werden könnte, größte Zurückhaltung zu üben.15 Wie distanziert das Verhältnis zwischen den Malteser Rittern und der lokalen Bevölkerung auch gewesen sein mag, im kulturell-religiösen Bereich war der Einfluss der Ritter und der katholischen Kirche unübersehbar und von der Bevölkerung akzeptiert. Während er versuchte, die religiösen Gefühle der Malteser nicht zu verletzen, zeigte sich Maitlands selbstherrliches Wirken in seinen Verwaltungsstrategien, mit denen er die Ionischen Inseln inklusive Korfu zu unterwerfen versuchte. Maitland, mit Sitz in Valletta, zeichnete für die Kommunikation und Durchsetzung britischer Interessen im ganzen Mittelmeerraum verantwortlich. Mit dem Ende der Republik Venedig 1797 waren die bis dahin venezianischen Inseln – die Inselgruppe um Korfu – zunächst an Frankreich gefallen. 1798 eroberten Russland und das Osmanische Reich, die sich ausnahmsweise gegen Frankreich verbündet hatten, die Inseln. Im Vertrag von Konstantinopel/Istanbul vereinbarten sie, dass die Inselgruppe künftig die ,,Republik der Ionischen Inseln“, mit der Hauptstadt Korfu, bilden sollte. Russland garantierte ihre Unabhängigkeit, der Sultan gab sich mit einem jährlichen Tribut zufrieden. Die Republik erhielt eine Verfassung nach Ragusas Vorbild und wurde ebenfalls eine Art ,,Adelsdemokratie“. 1803 verabschiedete die ,,konstituierende Versammlung der Ionier“ eine neue Verfassung, durch die auch Nichtadlige ab einem gewissen Einkommen das Wahlrecht und Zugang zu allen öffentlichen Ämtern erhielten. Zugleich wurde Griechisch an Stelle des bislang üblichen Italienischen zur Staatssprache erklärt, worin sich bereits die Anfänge der nationalen Bestrebungen in Süd-

14 15

Rechtschreibung geschrieben. Der Einfluss italienischer Kultur zeigt sich nicht zuletzt an den vielen italienischen Fremdwörtern, die im Maltesischen zu finden sind. Dixon: The Colonial Administrations, S. 151. Bartolo: The Present Position in Malta, S. 619f.

4. Vom Mare Nostrum zum Mare Liberum zum Mare Britannicum

433

osteuropa spiegeln.16 1807 wurden die Ionischen Inseln im Frieden von Tilsit Napoleon I. zugesprochen. Die Franzosen hoben die Verfassung von 1803 auf, die freie Republik wurde zum ,,Gouvernement local de Corfou“ erklärt, 1809 von Großbritannien besetzt. Die Franzosen konnten nur noch die Stadt Korfu halten, die aber nach dem Sturz Napoleons 1814 ebenfalls an die Briten fiel. 1815 einigten sich Großbritannien, Russland, Preußen und Österreich darauf, dass ,,die Vereinigten Staaten der sieben Inseln“ wieder unabhängig werden sollten, allerdings unter dem Protektorat Großbritanniens, durch einen in Korfu stationierten Lord-Commissioner vertreten. Sir Thomas Maitland trat dieses Amt 1816 an. Im Februar 1816 erreichte Maitland Korfu. Mit Hilfe von Intrigen und Spitzfindigkeiten unternahm er die schwierige Gratwanderung zwischen einer Regierungsform, wie sie den britisch-liberalen Vorstellungen würdig gewesen wäre – mit einem partiellen Einbezug der lokalen Bevölkerung, solange die britischen Interessen nicht gefährdet waren –, und einer Autokratie ,,King Toms“, wie er sie für angebracht hielt. Ziel war – auch wenn er es selbst nie in dieser Deutlichkeit aussprach; er war vielmehr davon überzeugt, sowohl zum Wohle Großbritanniens als auch der einheimischen Bevölkerung zu wirken –, die Regierungsform offiziell so aussehen zu lassen, als halte sich Großbritannien an Verträge und befürworte und fördere die Beteiligung der Einheimischen an der Regierung (in diesem Fall der Adeligen der Ionischen Inseln), faktisch aber alle Regierungsgeschäfte in einer Hand zu behalten: jener Sir Thomas Maitlands. Durch pseudo-legale Gesetze – von ihm persönlich erlassene Vorschriften und Dekrete; so zum Beispiel der Erlass, die Senatoren müssten genau jener Insel entstammen, die sie repräsentierten – ist es ihm gelungen, die vier einflussreichsten und Englands Herrschaft gegenüber kritisch gesinnten Senatoren auszuschalten und einen Freund Englands zum Präsidenten des Senats zu ernennen. Mehr noch, Maitland wartete nicht einmal ab, bis seine Gesetze in Kraft gesetzt wurden, sondern entließ die vier Senatoren eigenmächtig mit der Begründung, sie hätten in der Regierung Spannungen verursacht. Interessanterweise warf Maitland aber gerade seinen Gegnern vor, intrigant zu sein. Die entlassenen Senatoren, so Maitland, seien eine Meute korrupter und unerträglicher Intriganten, die ,,verräterische Korrespondenzen“ mit Russland geführt hätten. Vor allem die ,,Arroganz“ dieses Senats, 1803 eingesetzt, war ihm ein Dorn im Auge. Schon sein Vorgänger, General Campbell hatte ihm geraten, den Senat von Korfu so schnell wie möglich aufzulösen, um das Protektorat Großbritanniens über die Inseln stabilisieren und zu einem Dauerzustand machen zu können.17 Es findet sich in diesen Korrespondenzen kein Hinweis auf ein mögliches Selbstbestimmungsrecht der lokalen Bevölkerung – sei es nun in einem demokratischen, oder, wie seit der Etablierung des Senats, oligarchischen 16 17

Papadopoulos: Die Ionischen Inseln. Dixon: The Colonial Administrations, S. 181f.

434

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

System –, noch ein Verständnis für die kulturell wie politisch historisch verankerten und durchaus legitimen Kontakte zum christlich-orthodoxen Russland, dem die christlich-orthodoxe Bevölkerung der Ionischen Inseln traditionell verbunden war. Noch vor seinem Amtsantritt ließ Maitland selbstherrlich verkünden, er halte ein ,,representative assambly“ für völlig ausgeschlossen. ,,We may hereafter prepare them (die Ionier, DS) for it. In the meantime all we can do is to correct the abuses that may exist – to rule them with moderation, and turn their thoughts gradually to improvements that may be made as they advance in their ideas, and in their knowledge of true and sound policy.“ Maitland war fest entschlossen, die Inseln mit starker Hand zu regieren und sie als maritimen Stützpunkt für Großbritannien zu nutzen. ,,A free government is incompatible with the existence of a strong one“ bekundete er im gleichen Atemzug, mit dem er die Unfähigkeit der Ionier, sich der Wohltat demokratischer Systeme zu öffnen, beklagte. Er eröffnete ein ,,Primary Council of eleven important Ionians“, die er allerdings allein bestimmte und deren ,,Wichtigkeit“ eng verbunden war mit dem Umstand, dass sie ihm in einer feierlichen Zeremonie gelobten, seine Ansichten ,,thro’ thick and thin“ zu unterstützen. In einer Proklamation vom 7. Januar 1817 wurden ihre Namen öffentlich bekannt gegeben.18 Maitland zweifelte zu keinem Zeitpunkt an seiner Qualifikation und seinem Recht und seiner Pflicht, den lokalen Bevölkerungen – zunächst in Ceylon, dann im Mittelmeerraum – seine Herrschaft aufzuzwingen. Über seine Aufgabe im Zusammenhang mit den Ionischen Inseln schrieb er an Earl Bathurst: The situation in which I have been placed is indeed singular. I have been forced to look to myself alone, for I have no man here who could advise me. I was in possession of very few books touching the subject and the whole of the document now transmitted to England has been made more with a view to the general ideas stated by your Lordship to me in England, and the general view of the characters of these people (sic! DS) than to any precedent we can look at or any constitution we can have recourse to. (...) They are not in that state of society that fits them either for a free constitution, or for being left to themselves under any government of any kind.19

Auch noch Jahre nach seinem Amtsantritt, 1819, beklagte Maitland, die Ionier würden geheime Kontakte zu Russland unterhalten; namentlich hätten der Graf C. Capodistrias und seine Söhne das Zarenreich wiederholt gebeten, einzugreifen. Der Graf beschuldigte England, den Vertrag von Paris nicht einzuhalten, vielmehr die Inseln einem despotischen Regime unterstellt zu haben. Einem Gerücht zufolge soll England dem Grafen sogar angeboten haben, ihn zum ,,Duke of the Ionian Islands“ zu ernennen; eine Ehre, die er bescheiden abgelehnt habe.20 Ab 1830 wurde auf den Inseln der Wunsch nach einer 18 19 20

Dixon: The Colonial Administrations, S. 184f. Dixon: The Colonial Administrations, S. 193. Dixon: The Colonial Administrations, S. 199f.

4. Vom Mare Nostrum zum Mare Liberum zum Mare Britannicum

435

Angliederung an Griechenland laut, was aber erst nach langen internationalen Verhandlungen 1864 in die Tat umgesetzt werden konnte.21

4.2 Pest, „Protektorat“ und Quarantäne Wie gefährlich es sein konnte, Teil eines ,,Protektorats“ zu sein – eigentlich eines zu schützenden Gebiets –, zeigt die ausführliche Korrespondenz Maitlands über pestverseuchte Schiffe. War ein Schiff erst einmal als verseucht deklariert, zog dieser Umstand massive wirtschaftliche Verluste nach sich. Die Ware konnte nicht losgeschlagen werden, das Schiff keinen Hafen anlaufen. Maitland ordnete 1813 in einem solchen Fall kurzerhand an, ein pestverseuchtes Schiff für einen Transport einer beachtlichen Menge von ,,clothing and shoes belonging to his Majesty’s regiments and officers“ zu den Ionischen Inseln einzusetzen, da man es aufgrund der Pest ohnehin für nichts anderes brauchen könne. Das Protektorat – auch wenn noch nicht international als solches anerkannt, so doch von den Briten bereits besetzt – wurde nicht geschützt, sondern als britisches Territorium minderer Klasse missbraucht.22 In diesem Jahr war trotz des abgewiesenen pestverseuchten Schiffes auch Malta von der Pest befallen. Viele Dokumente behandeln die Pest und Maßnahmen, die Maitland auf der Insel erließ. Schiffsladungen wurden striktester Quarantäne unterstellt, bevor sie nach Fiume (Rijeka) oder Triest transportiert werden durften, Getreide eigens zur Lüftung nach Malta gebracht und Schiffen der Hafen verweigert, sobald bekannt wurde, dass an Bord ansteckende Krankheiten ausgebrochen waren. Infizierte Schiffe mussten außerhalb des Hafens vor Anker gehen, Maitland bot aber an, sie aus gebotener Entfernung mit allem zu versorgen, was sie benötigten. Auf eine Intervention von Admiral Lenghorne reagierte Maitland mit einem ausführlichen, höflichen, respektvollen aber bestimmten Schreiben: (...) I shall therefore satisfy myself with merely stating that if you are responsible for the health of the Partridge, I hold myself, and I believe I am solely responsible to my Sovereign for the general health of this Island (...).

Es sei völlig ausgeschlossen, die Partridge in den Hafen Maltas einlaufen zu lassen, obwohl ihm viel daran liege, alles zu tun, um seinem Zweig des Dienstes behilflich zu sein. Er schlägt dem Admiral vor, die Partridge nach Lampedusa – die winzige Insel zwischen Tunis und Sizilien – zu schicken, wo sie in einem gut ausgebauten Hafen sicher untergebracht wäre. Er entschuldigte sich wiederholt und beteuerte, wie unangenehm es ihm sei, mit einem Offizier seines Ranges in diese Frage verwickelt zu sein, aber nach allen Gefahren, 21 22

Knox: British Policy and the Ionian Islands. CSG 06 Naval Letter Book 1813–1851, S. 1.

436

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

die Malta bis vor kurzem habe durchstehen müssen, könne er nicht anders handeln und entscheiden. Es folgen weitere Höflichkeiten.23 Wenige Monate später beauftragte ihn die Regierung, einen Bericht über die Lage in Lampedusa zu verfassen, und er bat Lenghorne, ihn an Bord zu nehmen, sobald ein Schiff dorthin aufbrechen würde.24 Obwohl die Kommunikation zwischen den acht Distrikten Vallettas streng unterbunden wurde, konnte kein einziger Distrikt der Infektion entgehen, schreibt der englische Gouverneur Maltas im Jahre 1813. Besonders betroffen war der Vorort Floriana, wo vor allem die einfache Bevölkerung Maltas lebte. Doch auch auf dem Land sei kaum ein Dorf verschont geblieben. Lediglich drei Städte – Vittoriosa, Senglea und Cospicna, auf der anderen Seite des Hafens gelegen und völlig von Valletta abgeschnitten, hätten der Seuche bislang entgehen können. Dieser Isolationserfolg sei der Bevölkerungsstruktur dieser drei Städte geschuldet: Hier lebten hauptsächlich Seeleute, Menschen von aktiverem und unternehmerischerem Charakter als jene Vallettas. Die wichtigste Maßnahme, die er verordnet habe, sei die Unterbrechung jeder Art von Kommunikation und Interaktion. Die größte Schwierigkeit bei der Bekämpfung der Seuche sei die Apathie der einfachen Bevölkerung. The execution however of such measures is obstructed by many difficulties, which are to be surmounted only by degrees. The most formidable perhaps is the unaccountable apathy of the lower classes of inhabitants, who amidst the daily scenes of mortality around them are in general as indifferent to their immediate danger, and as little cautious to avoid it, as if the malady did not exist, whilst, on the other hand, many in more ostensible situations of life, betray so unbecoming a degree of timidity, as to occasion their total seclusion at a juncture which of all others demands their personal influence and active exertions.

Dennoch habe man durch gezielte Maßnahmen Erfolge erzielen können. Diesen Maßnahmen habe man durch die Polizei Nachdruck verliehen. Allerdings sei es unmöglich gewesen, Polizisten vor Ort zu rekrutieren. Deshalb habe er einen englischen Offizier mit dem Titel ,,Inspector General“ und allen notwendigen Befugnissen ausgestattet. In Kürze werde ein Pestarzt aus Smyrna erwartet, zudem habe er keine Kosten gescheut, um Personal für die Pestspitäler zu finden. Die Sträflinge, die hier eingesetzt worden waren, seien alle tot. Inzwischen seien zwar Sträflinge aus Sizilien eingetroffen, ihre Zahl reiche aber bei weitem nicht. Der absolute Stillstand des Handels schon seit mehr als elf Wochen habe viele völlig verzweifeln lassen. Karitative Institutionen würden versuchen zu helfen, so gut es geht. Sehr arbeits- und kostenintensiv sei die Reinigung der verseuchten Häuser. Auch unter den britischen Soldaten und den Kriegsgefangenen seien Opfer zu beklagen.25 23 24 25

CSG 06, 1813, fol. 5, 6, 7, 8. CSG 06, 1814, fol. 25. GOV 01 – “Out” Despatches from Governors of Malta to Secretaries of State. Part One: Civil Commissioners 1800–1813, Oakes to Bathurst 1813, fol. 231–243: To Earl Bathurst, 21. July 1813. Auch hier zeigt sich, wie unverändert der Wissensstand, aber auch die Verhaltensnorma-

4. Vom Mare Nostrum zum Mare Liberum zum Mare Britannicum

437

Trotz dieser Rückschläge scheint Maitland Ende 1814 immer optimistischer geworden zu sein. Er setzte verwaltungstechnische Erfahrungen ein, wie er sie schon in Ceylon hatte sammeln können. Viele Beamte entließ er in Pension, die anderen kamen in den Genuss von Lohnerhöhungen;26 stets ein zuverlässiges Mittel, Loyalitäten zu gewinnen. 1815 erstattete Maitland General Penrose Bericht, dass er alle Schiffe, die von den sieben Inseln oder aus ihrer Nachbarschaft stammten, mit ,,foul Bills of Health“ ausstatten und der strengsten vierzigtägigen Quarantäne aussetzen musste. Auf der Insel Korfu wüte die Pest, und die Engländer sollten so schnell es nur geht Neapel, Livorno und Genua davon in Kenntnis setzen.27 Maitland vermeidet es, seine eigene Mitschuld an diesen Entwicklungen in Erwägung zu ziehen, war es doch er, der zwei Jahre zuvor ein pestverseuchtes Schiff, dem er den Hafen von Malta aus gesundheitlichen Überlegungen verweigert, in Richtung Korfu beordert hatte. Zu den üblichen Quarantänemaßnahmen gehörte es u. a., alle Briefe oder Pakete aus verdächtigen Häfen zu öffnen und durch Rauch zu ziehen. Diese Regelung hatte sich aufgedrängt, da viele Kaufleute ihren Briefen Stoff- und Seidemuster beilegten. Als besonders gefährlich galten die Seidenbänder, mit denen Briefe verschnürt wurden. In Malta zum Beispiel kontrollierten diese Korrespondenzen Menschen, die sich ständig in Quarantäne befanden und nur Maltesisch verstanden.28 Es überrascht nicht, dass viele Malteser fern ihrer kargen Inseln ein Auskommen suchten, nicht zuletzt auch gerade im von den Europäern so gefürchteten Nordafrika, wie wir 1817 in einem Schreiben über ,,distressed Maltese subjects migrating to the Barbary states“ des britischen Konsuls Warrington aus Tripolis erfahren.29 Es ist nicht auszudenken, welchen Lebensbedingungen diese Menschen, die ihr Leben in ständiger Quarantäne

26 27 28

29

tive über Jahrhunderte geblieben sind. Auch in Venedig waren es Sträflinge, die Pesttote auf bestimmte Inseln bringen und sie beerdigen mussten. Häuser von Pestopfern wurden durch amtliche Verfügung geschlossen oder als Krankenhospize beschlagnahmt, Patrouillen einer Art Gesundheitspolizei kontrollierten Passanten auf Pestsymptome. Sterbende, die keinen festen Wohnsitz hatten, wurden zusammen mit den Toten auf die genannten Inseln verfrachtet, der Zugang zur Stadt von der Land- und Seeseite aus streng kontrolliert, Zuwiderhandlungen mit Galeerenstrafen belegt (Bergdolt: Pest, Stadt, Wissenschaft, S. 205). Diese kacamorti entwickelten kriminelle Energien bzw. brachten sie aus ihren Gefängnissen mit. Es kam zu Raub, Plünderungen, Mord und Drohungen, die Lebenden würden gleichsam mit den Toten weggetragen, wenn sie sich weigerten, Bestechungsgelder zu zahlen. Farrell: Invisible Enemies, S. 87. Dixon: The Colonial Administrations, S. 142. CSG 06, 1815, fol. 110f. National Archives of Malta (NAM), Rabat, Sir Thomas Maitland to Admiral Penrose 25 May 1817, Valetta Chief Secretary to Government (CSG) 06 Naval Letter Book 1813– 1851, S. 148. Zum Umgang mit Briefen siehe auch M. Carnévalé-Mauzan: La purification des lettres en France et à Malte. Gap 1960. CSG 08, 1817, fol. 58.

438

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

fristeten, ausgesetzt gewesen sein müssen. Der Hinweis darauf, dass sie nur Maltesisch verstanden, deutet darauf hin, dass es sich nicht um verurteilte Verbrecher handelte (die von überall stammen konnten), sondern um mittellose Einheimische.30 Es wurden auch Stimmen maltesischer Kaufleute laut, die der Ansicht waren, ein unabhängiges Gesundheitsministerium würde das Ansehen der maltesischen Quarantäneeinrichtungen im mediterranen Hafennetzwerk heben und so den legalen Handel unterstützen.31 Keine Pest habe der Energie Maitlands widerstehen können, schreibt Dixon, der sich intensiv mit dem Führungsstil Maitlands befasst hatte.32 Tatsächlich dokumentieren die Quellen seine energischen Versuche, der Pest Herr zu werden, doch enthüllen die Akten auch, welch aussichtsloses Unterfangen dies war. Die Rede ist wiederholt von Schiffen, die Quarantäneregeln missachteten.33 Es versteht sich von selbst, welch wirtschaftlich wichtige und zugleich gesundheitlich folgenschwere Funktion die Piraterie zu pestverseuchten Zeiten übernahm: die des Warentransports und der Verschleppung der Seuche ohne Beachtung irgendwelcher Regeln und Verordnungen. Aus den Korrespondenzen erwächst der Eindruck, dass die gesundheitstechnischen Maßnahmen ein gewisser Pragmatismus auch von behördlicher Seite begleitete, während sich die verwaltenden Stellen sehr engagiert zeigten, wenn es darum ging, diese strengen Maßnahmen im gesamten Mittelmeerraum bekannt zu machen. Pestverdacht oder lasche Quarantäneregelungen schädigten die Wirtschaft, konnten den Handel mit einem bestimmten Hafen sogar ganz lahm legen. Folglich war es wichtig, wirtschaftlich interessante Häfen in bestem Licht erstrahlen zu lassen. Verbittert sprach Maitland über das Gebaren Siziliens, das alle Quarantänebestimmungen gegen Malta rigoros aufrechterhielt, selbst zu Zeiten, als die kleine Inselgruppe längst als pestfrei galt. Dies, so besagten Gerüchte, auf Geheiß ausgerechnet englischer 30

31 32 33

Dienstunterlagen, die 1883 erstellt wurden, enthalten die Laufbahngeschichte aller Angestellten im öffentlichen Dienst dieses Jahres in Malta und Gozo. Der Index ist nach Berufsklassen gegliedert, die Unterlagen informieren über Geburtsdatum, die erste Anstellung im öffentlichen Dienst, den Aufgabenbereich und das Gehalt. Jeder Eintrag wurde vom jeweiligen Angestellten unterzeichnet. Aus den Listen geht hervor, dass es sich bei den Beschäftigten in den unterschiedlichsten Berufszweigen hauptsächlich um Einheimische handelte, es finden sich viele italienische Namen, sehr wenige englische; diese allerdings in leitender Stellung. Bei der Polizei, den Justizbehörden, im Bildungs- und Gesundheitswesen fällt auf, dass die Beamten in leitenden Positionen in der Regel ungefähr das dreifache Gehalt der übrigen Belegschaft bezogen. Das höchste Gehalt hatte mit 650 Pfund der vorsitzende Richter; Polizeibeamte, Ärzte, Geistliche, Ladeninhaber und Kaufleute verdienten zwischen 40 und 90 Pfund, Lastträger, Boten, Betreiber von Leuchttürmen und Gefängnisangestellte zwischen 36 und 40 Pfund, Diener und Arbeiter 20 bis 30, ein Nachtwächter erhielt mit nur 10 Pfund den hier tiefsten Satz (CSG 45/1). Dixon: The Colonial Administrations, S. 157. Dixon: The Colonial Administrations, S. 133. CSG 06, 1814, fol. 16.

4. Vom Mare Nostrum zum Mare Liberum zum Mare Britannicum

439

Kaufleute, die den lukrativen Schmuggel zwischen Sizilien und Malta organisierten. Schmuggel war eine der Möglichkeiten, sich gegen beherrschende Diasporagruppen zur Wehr zu setzen, zugleich sortierte er die Loyalitäten neu: Durch die Zusammenarbeit zwischen der lokalen Bevölkerung und Angehörigen der beherrschenden Diasporagruppe wurde der Status aller Beteiligten neu bestimmt und die Unterschiede nivelliert. So distanzierte sich ein Teil der beherrschenden Diasporagruppe von den neuen obrigkeitlichen Strukturen, mehr noch, half der lokalen Bevölkerung, die Machtansprüche Englands zu unterlaufen. In seinem Bestreben, die englische Wirtschaft in der Méditerranée zu fördern, öffnete Maitland die maltesischen Häfen in Richtung Osten, aber nur mit geringem Erfolg.34 Dieser lokale Schmuggel hatte schon Jahre zuvor seine globalen Entsprechungen gefunden. Als Napoleon ein Importembargo über britische Ware verhängt hatte, war Malta in diese lukrative Lücke gesprungen. Die Nachwehen dieses kurzen künstlichen Aufschwungs mussten nach der Niederlage Napoleons getragen und die Verluste mit neuen wirtschaftlichen Orientierungen wettgemacht werden. Abgesehen vom Wirken der lokalen Bevölkerung und der Schmuggelerfolge nicht zuletzt der britischen Diasporagruppen in den verschiedenen Hafenstädten ergriffen auch die offiziellen Behörden bereits 1801 die populärste wirtschaftsfördernde Maßnahme dieser Zeit und erklärten Valletta zum Freihafen.35 Der gute Ruf der Isolations- und Reinigungs- (bzw. geruchsnivellierenden) Einrichtungen eines Hafens blieb aber entlang der Nordküste des Mittelmeers bis weit ins 19. Jahrhundert ein wesentlicher Pfeiler wirtschaftlichen Erfolgs. Wie selbstverständlich Quarantänemaßnahmen waren, entnehmen wir zahlreichen Reisenotizen von Kaufleuten, Konsuln oder Pilgern.36 Die Isolation an sich schien nichts Außergewöhnliches zu sein, sodass viele Reisende sie gar nicht erst erwähnten. Dass Quarantäne zum Reisealltag gehörte, erfahren wir vielmehr nebenbei. So schreibt zum Beispiel Sir Moses Montefiore auf der Rückkehr aus Istanbul über Smyrna nach England im Jahre 1844, dass er in der Quarantänestation in Malta exzellente Quarantänezimmer zugewiesen bekommen hatte, nämlich jene, die vor ihm ein osmanischer Emir mit seiner Gefolgschaft von 120 Personen und seinen zwölf ,,Ladies“ bewohnt hatte. Montefiore berichtet, sie hätten im Fort Manoel Lazaretto viele Besucher empfangen, die ihnen Nachrichten über die politische Lage und Briefe überbracht hätten, und dass man die übliche Quarantänezeit für sie freundlicherweise verkürzt habe. Auch hier zeigen sich die relativ durchlässigen Strukturen der Isolationsanlagen. Die Inselgruppe Malta war zudem wegen ihrer kargen Beschaffenheit von der Pest zweifach bedroht, durch die Seuche und durch Hunger. Es war schwierig, den Nahrungsmittelnachschub zu sichern, auch dies in 34 35 36

Dixon: The Colonial Administrations, S. 156f. Dixon: The Colonial Administrations, S. 159. Galea: The Quarantine Service, S. 191, 200.

440

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

doppelter Hinsicht. Zum einen bestand die Gefahr, zusammen mit lebensnotwendigen Gütern zugleich auch die Seuche zu importieren, zum anderen erfolgten Zahlungsschwierigkeiten, da in vielen Gebieten an der Nordküste der Méditerranée – namentlich in Sizilien – Ware aus Nordafrika als Zahlungsmittel, ebenfalls aus Angst vor der Pest, verweigert wurde.37 Trotz dieser Problematik und vieler Unzulänglichkeiten des Isolationssystems blieb Malta während des ganzen 19. Jahrhunderts ein wichtiger Drehangel- und Koordinationspunkt sanitärer Bestimmungen im Mittelmeerraum, besonders eng vernetzt über Jahrzehnte mit Livorno und Marseille.38 Die Korrespondenz zeigt auch die Bedeutung Maltas als englische Nachschubzentrale. Bei diesen Transporten fällt wiederholt auf, wie ungleich die verschiedenen britischen Kolonien behandelt wurden und in welchen gefährlichen Abhängigkeiten sie sich befanden. Die einen wurden vor der Seuchengefahr geschützt – zumindest bestand ein Bestreben, sie zu schützen –, die anderen dieser direkt ausgesetzt und von verseuchten Schiffen angelaufen und beliefert. Während Malta jeder mögliche Schutz zukommen sollte, fielen die ,,Republik der Ionischen Inseln“ und Lampedusa in die zweite Kategorie. Aus der britisch-britischen Korrespondenz geht deutlich hervor, wie angespannt die Lage im gesamten Mittelmeerraum zu Beginn des 19. Jahrhunderts war. Es müssten auch in Friedenszeiten überall Kriegsschiffe leicht zu erreichen sein, ist in den Akten zu lesen, damit sich Kaufleute oder Konsuln jederzeit an sie wenden könnten. Wenn die Franzosen mit einem stärkeren Geschwader präsent sein sollten als die Briten, könne dies fatale Folgen für die englische Wirtschaft haben.39

4.3 Kulturelle Codes und das Ringen um Macht und Einfluss Am 1. Juli 1816 schrieb Sir Thomas Maitland einen harschen Brief an Mr. Richard Oglander, den Konsul Großbritanniens in Tunis. Der scharfe Ton an die 37 38

39

Diaries of Sir Moses and Lady Montefiore, Band II, S. 280f.; Galea: The Quarantine Service, S. 200; CSG 08, 1813, fol. 3.; CSG 06, 1844, fol. 138. GOV 2/1/4, 1812; GOV 2/1/7, 1817; GOV 1, 1824; GOV 2/1/11, 1824; GOV 1/2/2, 1825; GOV 2/1/13, 1825; GOV 1/2/5, 1828; GOV 2/1/39, 1843; GOV 1/2/22, 1845; GOV 2/1/46, 1850; GOV 2/1/40, 1844; GOV 2/1/41, 1845. CSG 06, 1815, fol. 97f. Maitland bestellte in England hunderttausend Kilogramm Rind und Schwein für die im Mittelmeer stationierte Navy, weiter Unmengen an Schuhen und Kleidung. Von wirtschaftlich zentraler Bedeutung war offensichtlich Smyrna, immer wieder findet sich die Anfrage an die Marine, ob ein Schiff an diesem oder jenem Tag nach Smyrna in See stechen könnte, da dies für den britischen ,,Mercantile Body“ von großem Vorteil wäre.

4. Vom Mare Nostrum zum Mare Liberum zum Mare Britannicum

441

Adresse Oglanders galt dessen unangemessenem Benehmen gegenüber nordafrikanischen Würdenträgern. Der Bey von Tunis hatte im divan (Rat) seinen Sohn als Nachfolger vorgestellt. Die ebenfalls anwesenden Konsuln verschiedener europäischer Staaten hätten dem jungen Mann als Zeichen des Respekts – und wohl auch als Anerkennung seines Rechtsanspruchs auf die Nachfolge – in einer Zeremonie die Hand küssen sollen. Oglander hatte den Handkuss allerdings explizit verweigert. Maitland wies Oglander daraufhin zurecht. Ablehnungen dieser Art, wie die Verweigerung des Handkusses müssten – wenn überhaupt – in einer Form geschehen, die den Bey und seinen Sohn so wenig wie möglich beleidigte: mündlich, nur einmal und keinesfalls vor dem versammelten divan und in Anwesenheit von Gästen.40 Es sei Aufgabe des Konsuls in Tunis, sich so zu benehmen, dass ihm – und somit der englischen Krone – die Zuneigung der herrschenden Macht gewiss sei. Einem entrüsteten Brief des Bey aber entnehme er, dass Oglander offenbar den divan gezielt aufgesucht habe, um dort den Handkuss ausdrücklich zu verweigern; mehr noch, er habe angeboten, die Hand des jungen Bey zu küssen, vorausgesetzt, dass der tunesische Minister ihm schriftlich zusichern würde, dass mit diesem Handkuss kein Präzedenzfall geschaffen werde. Maitland rügte Oglander für den politischen Schaden, den er angerichtet habe und hob andere Konsuln europäischer Mächte lobend hervor, namentlich jenen Frankreichs, der diese knappe Geste der Unterwerfung, die sich als eine reiner Höflichkeit und politischer Noblesse interpretieren ließe, ohne viel Aufhebens gemacht habe. Der britische Konsul habe dagegen Großbritannien – das mit Tunis befreundet war und beabsichtigte, diese Freundschaft zu vertiefen und politisch wie wirtschaftlich in Nordafrika Fuß zu fassen und die britische Präsenz in diesem Raum fest zu verankern – in eine delikate Lage gebracht. Wenn der britische Konsul nun nachträglich, auf Maitlands ausdrückliche Anweisung hin, die Hand des Beys küssen würde, ließe sich diese symbolische Handlung in der Tat als eine Geste der Unterwerfung deuten. You will therefore, if any such occasion happens in future, be pleased to be guided by the suggestions I have above stated; and until you are further instructed upon this head, you will act accordingly.41

Der Vorfall löste eine wahre Korrespondenzflut aus. Der französische Konsul hatte sich seinerseits vor der französischen Regierung rechtfertigen müssen, weshalb er die Hand des jungen Bey geküsst habe. Dieser argumentierte, dass alle Macht bereits in den Händen des Nachfolgers liege, während sein Vater den Staat lediglich repräsentiere. Falls diese Einschätzung stimme, so Maitland, sei das Benehmen Oglanders umso beklagenswerter. Erst im Oktober 40 41

CSG 08, 1817, fol. 36. CSG 08, To Mr. Consul Oglander, Tunis, 1816, fol. 19.

442

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

1817 konnten diese Differenzen freundschaftlich beigelegt werden, wie Maitlands höflichem Brief an den Bey zu entnehmen ist. Bereits im Oktober 1815 hatte Maitland ein Zirkularschreiben mit genauesten Verhaltensregeln an die Konsuln in britischen Diensten verschickt. Es handelte sich in erster Linie um Verbote an die Konsuln, sich zu irgendetwas irgendwie zu äußern, bevor sie nicht von ihm genaueste Instruktionen erhalten hätten. Viele Briefe, mit denen Maitland Kontrolle über die ihm zugeordneten selbstherrlichen und widerspenstigen Konsuln zu erreichen versuchte – er verbot ihnen, ohne Rücksprache zu handeln, erst recht, zu verhandeln und untersagte ihnen, als Agenten für andere Mächte oder Staaten zu arbeiten –, dokumentieren den Ungehorsam und das autonome Agieren der Konsuln, die sich an diese neue enge und straffe Anbindung an einen politischen Souverän erst gewöhnen mussten. Die Briefe Maitlands, aus denen hier Sequenzen für die Zeit 1815–1817 ausgewählt wurden, zeigen, wie sich die Briten im Ringen verschiedener europäischer Staaten um Macht und Einfluss in Nordafrika bemühten, ihren Status zu festigen und dezidiert auszubauen. Bezeichnenderweise nennt Maitland den Namen des Bey von Tunis nie; wichtig sind ihm lediglich Amt und Nachfolge und die britischen Interessen im Mittelmeerraum und in Nordafrika. Offensichtlich handelte es sich um Mahmud Ibn Muhammad, der von 1814 bis zu seinem Tod im Jahre 1824 in Tunesien herrschte, wenn das Land auch immer noch in einem lockeren Abhängigkeitsverhältnis zum Osmanischen Reich stand. Zum Zeitpunkt der Handkussaffäre war er selbst erst seit zwei Jahren in Amt und Würden und sichtlich um die Stellung seines noch jungen Sohnes besorgt. Offensichtlich ist es ihm gelungen, dessen Position zu festigen, jedenfalls trat Al-Husayn II. Ibn Mahmud 1824 die Nachfolge an und regierte bis zu seinem Tod im Jahre 1835. In der besagten Affäre geht es offenkundig um einen Macht- und Generationenwechsel in Tunis, im Kern aber um Macht generell und eine implizierte Ehrerbietung bzw. eine angedeutete Unterwerfung; die Macht europäischer Staaten wird jener nordafrikanischer Herrscher entgegengesetzt, verschiedene europäische Konsuln messen sich an einander, im gleichen Atemzug kämpfen sie mit ihren Vorgesetzten um die Größe ihrer Einflusssphäre. Im Jahre 1816, ein Jahr nach dem Wiener Kongress, an dem Europa wie auch globale europäische Einflusssphären nach dem Ende der Napoleonischen Kriege neu organisiert und verteilt wurden, wird der Kampf um Macht über ihre sichtbaren Embleme geführt. Dieser symbolische Code – der (verweigerte bzw. gewährte) Handkuss – ist ein Steinchen im komplexen Mosaik der politisch-wirtschaftlichen Entwicklungen im langen 19. Jahrhundert und ihren enormen sozial-kulturellen Folgen in Europa, Asien und Afrika und im gesamten die drei Kontinente verbindenden Mittelmeerraum. Tunesien wurde Ende des 16. Jahrhunderts zu einer Provinz des Osmanischen Reiches. Der Bey zeichnete für die Verwaltung des Landes und die

4. Vom Mare Nostrum zum Mare Liberum zum Mare Britannicum

443

Steuereintreibung verantwortlich. Der ihm gleich gestellte Pascha hatte nur die Aufgabe, den osmanischen Sultan zu repräsentieren. Im Jahre 1612 gründete Murad Bey die Dynastie der Muraditen, am 15. Juli 1705 erklärte sich Husain I. Ibn Ali zum Bey von Tunis und gründete die Dynastie der Husainiden. Tunesien war wegen seiner strategischen Lage im Mittelmeerraum – wie Malta – von den Europäern zunächst umworben, wie die Korrespondenz Maitlands zeigt, und Ende des 19. Jahrhunderts umkämpft. 1869 sah sich der Bey Muhammad III. as-Sadiq aufgrund der desolaten Wirtschaftslage gezwungen, einer internationalen Finanzkommission zuzustimmen – der Vertreter Englands, Frankreichs und Italiens angehörten –, die die Geschicke seines Reichs verwalten sollte. Frankreich setzte auf eine neutrale Position Englands in der Tunesien-Frage, zumal es sich immer deutlicher abzeichnete, dass England dabei war, den östlichen Mittelmeerraum unter seine Kontrolle zu bringen; und beide Staaten an einer Zurückbindung anderer Großmächte interessiert waren. 1881 drangen französische Truppen unter Jules Ferry in Tunesien ein und erklärten das Land im Vertrag von Bardo zum französischen Protektorat. Muhammad III. as-Sadiq unterzeichnete, dankte ab und verstarb wenige Monate später.42 Maitlands Briefe an seine Konsuln zeigen, dass Großbritannien zu Beginn des 19. Jahrhunderts intensiv auf Diplomatie setzte, um in Nordafrika und dem gesamten Mittelmeerraum auf Dauer Fuß fassen zu können. Das ungeschickte Verhalten von Konsul Oglander während der Zeremonie des Handkusses ist nur eines von vielen Beispielen, in denen Sir Thomas Maitland die Protagonisten britischer Diplomatie instruiert und maßregelt. Konsuln erfüllten im gesamten Mittelmeerraum als Interessensvertreter der nazione43 vor Ort über Jahrhunderte wichtige wirtschaftlich-administrative Funktionen. Eine nazione darf nicht als ,,Nation“ im modernen nationalstaatlichen Sinne verstanden werden, sondern als eine Institution, auch als universitas bezeichnet und in zweierlei Form verwendet. Einerseits ist eine nazione ein auf Handelsinteressen und gemeinsamer geographischer Herkunft basierender korporativer Zusammenschluss kaufmännischer Fremder zur Durchsetzung ihrer gemeinsamen Interessen und Privilegien fern der Heimat, zum anderen unterteilte man religiöse Gruppierungen in nazioni und behandelte sie administrativ als Kollektive. Die Konsuln wurden in der Regel vor Ort von der Versammlung einer Nation gewählt, erst seit dem 18. Jahrhundert beanspruchten viele europäische Staaten dieses Recht für

42

43

Einführend zu den Beziehungen zwischen Europa und Nordafrika u. a.: Abbassi: Quand la Tunisie s’invente; Hurewitz: The Middle East and North Africa; Harding: Maltese Legal History under British Rule; Das Zeitalter des Kolonialismus. Hg. von Barth u. a.; La fonction consulaire à l’époque moderne. Hg. von Ulbert u. a. Italienisch war auch noch im 19. Jahrhundert die lingua franca im Mittelmeerraum; auch Maitland korrespondierte mit den Machthabern in Nordafrika in Italienisch bzw. in Englisch mit angefügter italienischer Übersetzung.

444

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

sich, was zu zahlreichen Konflikten mit ihren nazioni vor Ort führte. Zu den traditionellen Aufgaben eines Konsuls gehörte die Überwachung vertraglich vereinbarter Handels- und Abgabeprivilegien, Schutz von Handel und Seefahrt, interne Schlichtungen und die Abwicklung der Erbschaft Verstorbener. Sie kümmerten sich um alle administrativen Belange, damit die nazione oder nazioni (es war durchaus üblich, dass sich ein Konsul um mehrere nazioni gleichzeitig kümmerte) ihre Religion im privaten Raum frei ausüben konnten. Die Konsuln überprüften die Pässe der Angehörigen der entsprechenden nazioni, Sanitätspatente und Mannschaftslisten der eingetroffenen Schiffe und überwachten die Zollvisiten. Sie waren keine politischen Repräsentanten der Heimatregierungen, sondern Agenten, die die Kaufleute vor Ort in administrativen und wirtschaftlichen Belangen unterstützten und ihnen sprachlich zur Seite standen. Wie Maitlands Anweisungen zeigen, interpretierten sie ihre Position und Aufgabe auch im 19. Jahrhundert noch als multifunktional. Die ersten Konsuln Großbritanniens im Mittelmeerraum waren eher Vertreter der Kapitäne, durch die Lotsenbehörde Trinity House beauftragt, und kümmerten sich um maritim-administrative Angelegenheiten. Bereits im 17. Jahrhundert zeichnete sich eine Interessenverlagerung von maritimen Aufgaben hin zu wirtschaftlichen – die Levant Company wurde immer einflussreicher – und eine Machtverlagerung von katholischen Briten zu Anglikanern ab. Seit Beginn des 18. Jahrhunderts setzte sich die British Factory für englische Interessen in diesem Raum ein. Ihr gehörten Kaufleute von ungefähr zwanzig bis fünfzig englischen Handelshäusern an, die gemeinsame Ziele und Interessen verfolgten. Sie besaßen eigene Kriegsschiffe, die ihre Transportschiffe eskortierten.44 Die Mitglieder der British Factory organisierten – ähnlich wie die Angehörigen jüdischer chevrot – in vielen Lebensbereichen gegenseitige Hilfe: Unterstützung für Hinterbliebene, Auslösung aus Gefangenschaft und juristischen oder medizinischen Beistand. Finanziert wurde die Gemeinschaftskasse durch Mitgliederbeiträge, Sammlungen oder die Besteuerung englischer Schiffe. Die Macht der englischen Kaufleute nahm seit dem Vertrag von Utrecht 1713 stetig zu. Der britische Konsul in Tunis war keineswegs der einzige, der Anordnungen übersah und seine Funktion missdeutete. So rekurriert der Indexeintrag zu einem Schreiben Maitlands an seinen Konsul in Algier auf die offensichtlich verletzte Gehorsamserwartung: ,,To Consul Mc Donell. Remonstrating against his inattention to the instructions of His Excellency, and want of proper obedience to the Naval Commander in Chief.“ Maitland hatte während seines Aufenthalts in Korfu, für das inzwischen ebenfalls Großbritannien verantwortlich zeichnete, von den selbstherrlichen Aktionen Mc Donells erfahren. Im Übrigen machte ihm wiederum Oglander Sorgen, diesmal weil aus seinem Brief – ,,(...) the contents of which I am extremely astonished at (...)“ –

44

Siehe ausführlich dazu Teil 2 von Patrick Krebs in diesem Buch.

4. Vom Mare Nostrum zum Mare Liberum zum Mare Britannicum

445

deutlich wurde, dass Oglander für mehrere Länder gleichzeitig arbeitete (was durchaus gängige Praxis war) und Maitland nicht bzw. viel zu spät über diverse Angelegenheiten informierte. Doch auch vier Monate später scheint sich das Dienstverständnis der Konsuln in keinster Weise den Vorstellungen Maitlands angepasst zu haben. Am gleichen Tag, an dem er Oglander rügte, weil er eigenmächtig mit der Regierung in Napoli korrespondierte, ermahnte Maitland auch Mc Donell zum wiederholten Male wegen seines Ungehorsams und seines Benehmens.45 Sir, it has become my duty, and a most unpleasant one it is, to demand that you will be pleased forthwith to inform me, upon what grounds the orders I have transmitted to you at different times, in consequence of the Instructions from His Majesty’s Secretary of State bearing date have in no one instance been complied with; nay more that have never even received one line from you upon any subject. (. . . ) His Majesty’s Government, it is true, has placed you distinctly under my orders; these, however, you have been pleased hitherto to pay no attention of any kind; and having thus emancipated yourself from the observance of His Majesty’s orders, you have been further pleased to state, that the Admiral on these Seas has nothing to say to the Affairs of Barbary. This being the case, I would be glad to know what British Authority in this part of the world has to do with the affairs of Barbary; or whether you imagine You are the person who has charge of the British Interests in that country? In short, I am completely at a loss to account for your conduct, for I presume that it is hardly possible that all the Instructions I have written to you in duplicate and triplicate must not have some of them reached you. Putting this however out of the question, I enclose you now a fresh copy of the most important of them (...).46

Die Konsuln nutzten das schlecht funktionierende Postsystem (oder machten es zu einem schlecht funktionierenden, indem sie erhaltene Briefe ignorierten?), um ihr Freiheitsspektrum so weit wie möglich auszudehnen. Auch ein Jahr später ist zu lesen: These orders were transmitted to you, in common with the other consuls, when I received them. You inform me, however, they have never reached you: I have, therefore, directed a copy to be transmitted to you herewith.47

Aus vielen Briefen Maitlands geht hervor, dass er seine Konsuln in Nordafrika für selbstherrlich und widerspenstig hielt. Er machte sie ausdrücklich darauf aufmerksam, dass sie britische Konsuln waren, und nicht ,,Consul of the Government“, dass sie in erster Linie für wirtschaftliche Angelegenheiten zuständig waren, nicht für politische; dass sie dem Admiral der britischen Mittelmeerflotte Gehorsam schuldeten, den Herrschern der ,,Barbary States“ höflichen Respekt. Ihm allein, Maitland, schuldeten sie beides. Insbesonde45 46 47

CSG 08, Barbary States Correspondence Book (1813–1845), To Consul Mc Donell, Algiers, 1816, S. 32. CSG 08, Barbary States Correspondence Book (1813–1845), To Consul Mc Donell, Algiers, 1816, S. 32f. CSG 08, Barabary States Correspondence Book (1813–1845), To Consul Mc Donell, 1817, S. 37.

446

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

re in Geldangelegenheiten schloss er die Autorität des Admirals explizit aus.48 Die Konsuln scheinen den Ernst ihrer Lage noch nicht realisiert zu haben und erlaubten sich Freiheiten, die sie frech damit begründeten, nie Anweisungen erhalten zu haben; offensichtliche Frechheiten, denen Sir Thomas Maitland mit britischem Sarkasmus und leichter Ungeduld begegnete. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts galten aus britischer Perspektive Konsuln noch nicht als Vertreter der Regierung, sondern waren Agenten in Handelsangelegenheiten – ihren traditionellen Aufgaben über Jahrhunderte entsprechend –, andererseits wurde aber ihr Wirkungsfeld stark eingegrenzt und staatlicher Autorität unterstellt. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die militärische Eskalation in Nordafrika nicht zuletzt der Arroganz und mangelndem diplomatischen Geschick verschiedener Konsuln geschuldet war. Eine überraschende und aussagekräftige Quelle für historiographische Interpretation ist die Groß- und Kleinschreibung Maitlands, eigenwillig und entsprechend aufschlussreich, da er alle ihm wichtig scheinenden Wörter mit einem Großbuchstaben hervorhebt, so z. B. auch ,,Kissing“, ,,Admiral“ (während er ,,captain“ klein schreibt) – ebenso Wörter, die er betonen will, auch wenn das eigentliche Subjekt aus seiner Perspektive unbedeutend ist, z. B. ,,You“ in jenem Brief an Oglander, in dem er ihn fragte, ob er glaube, Er habe das Sagen in dieser Region. Diese Korrespondenz wirft eine Reihe spannender Fragen für eine transnationale Geschichte auf, in der sich historische Phänomene (das Konsularwesen) und Entwicklungen (koloniale Ambitionen verschiedener europäischer Mächte an der nördlichen und östlichen Küste des Mittelmeers) verstreben lassen. Selbst wenn hier der Blick auf die komplexen politischen Entwicklungen im 19. Jahrhundert allein aus der Perspektive von Sir Thomas Maitland erfolgt, lassen sich über einen thematischen Zugang – kulturelle Codes, eine Zeremonie der Anerkennung und des Respekts, begleitet vom (verweigerten oder gewährten) Handkuss, gleichsam als Verhandlungsmasse zwischen den wirtschaftlichen und politischen Interessen verschiedener europäischer Mächte stehend – indirekt auch die Positionen der anderen historischen Akteure erahnen und konstruieren. Ein transnationaler Zugang öffnet den Blick auf sich überlagernde und überlappende gesellschaftliche Verknüpfungen. Er ermöglicht eine Entwicklungsgeschichte sozialer Bindungen über staatlich-nationale Grenzen hinweg, eine Verstrebung von lokal und global, eine Einbettung lokaler Begebenheiten in globale Kontexte, ja er zeigt die gestaltende Zentrifugalkraft lokaler Winzigkeiten und ihre in die Welt ausstrahlende und sie formende und prägende Macht.49

48 49

CSG 08, Barabary States Correspondence Book (1813–1845), To Mr. Consul Oglander, Tunis, 1816, S. 19, 1817, S. 36. Osterhammel: Transnationale Gesellschaftsgeschichte, S. 473f.

4. Vom Mare Nostrum zum Mare Liberum zum Mare Britannicum

447

4.4 Piracy Commission: Konkurrierende Wertesysteme? Um 1800 ging Großbritanniens Stern in der Méditerranée auf und konkurrierte mit dem französischen, während die Vereinigten Staaten von Amerika erst zaghaft versuchten, Teil des mediterranen Handels zu werden. Die Briten verstanden sich als Hausherren, zumindest als Miteigentümer des Mittelmeers und stellten Hunderte von Passierscheinen aus, auch für nordafrikanische Herrscher. Maitland betont immer wieder, die Krone befinde sich in einem freundschaftlichen Verhältnis mit Tripolis, Algier und Tunis; es wird aber überdeutlich, wie wenig Respekt er den nordafrikanischen Herrschern tatsächlich entgegenbrachte.50 1815 versuchte Großbritannien ein neues politisches Kapitel aufzuschlagen und sagte der Piraterie im Mittelmeerraum den Kampf an. We are going to open the Piracy Commission here next week which will be a new scene in this country. The Court consisting of the Admiral and two senior Captains and four of us and a grand & petty Jury.51

Hier sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Mittelmeer nicht die Küsten Englands umgibt. Derartige Polizeiaktionen fern der Heimat zeigen den politischen Willen, Herrschaftsansprüche zu stellen und Macht zu demonstrieren und zu zementieren. Bezeichnenderweise kündigte Sir Thomas Mailand dieses Vorhaben Lord Exmouth an, der für verschiedene britische Belange in Malta, Livorno und Genua zuständig war, den drei wichtigsten Umschlagplätzen für Hehlerware. Dieses Unterfangen mutet in der Tat ungewöhnlich an, zumal die Piraterie bzw. Kaperei im Mittelmeerraum kulturell, das heißt in Hinsicht auf Akzeptanz, fest verankert zu sein schien und es lediglich eine Frage der Kräfteverhältnisse war, wer wen schädigte. Auch die Briten hatten keine grundsätzlichen ethisch-moralischen Bedenken; sie beharrten aber auf der Unterscheidung zwischen Freund und Feind und zwischen Krieg und Frieden. Dies ist denn auch das Hauptthema, das sich durch die Korrespondenzen zieht, die Sir Thomas Maitland im Zusammenhang mit Vorwürfen der Piraterie führte. Wie groß die Macht und Bedrohung durch die Piraterie auch noch im 19. Jahrhundert war, zeigt die Korrespondenz des Chief Secretary to Government, die mehrere Vorfälle der Kaperei dokumentiert. Die ,,neuen Maßnahmen“ scheinen auch vier Jahre später noch nichts wirklich verändert zu haben. In mehreren Briefen zeigte sich Maitland um die ,,Mercantile Communication“ zwischen Malta und Smyrna besorgt, da die mit der Kommunikation beauftragten Konsuln nichts taugten, mehr noch, Großbri50 51

CSG 08, 1813, fol. 2; Fay: The Growth of the New Empire. CSG 06 Naval Letter Book 1813–1851, to Lord Exmouth, Malta, Leghorn and Genoa, 1815, S. 100f.

448

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

tannien schädigen würden, wo sie könnten. Da sie vor allem wirtschaftliche Interessen verfolgten, scheinen sie diese neue Politik hinsichtlich der Piraterie nicht wirklich verstanden, schon gar nicht unterstützt zu haben. It is of very great importance indeed when we look at the present state of the consulates to the Eastward that the Offici (sic!) in Command at Smyrna should be one of great respectability. I am sure you will agree with me that his presence there is not more necessary with a view to the suppression of piracy & supporting our general Character than with a view to visit and control in a certain degree by his presence the various Vice-Consuls who generally speaking not only render no service, but by their extortion and tricks materially injure the British Commerce.52

Mit der Kampfansage an die Piraterie wandte sich Großbritannien selbstredend an die nordafrikanischen Staaten, die aus europäischer Perspektive als Hauptakteure in diesem lukrativen Geschäft galten. Die Briten zeigten sich wiederholt besorgt über die Art und Weise, wie die nordafrikanischen Herrscher mit britisch beflaggten Schiffen umgingen und Maitland war erleichtert, als der Übersetzer des Bey ihm versicherte (,,I had from him the strongest assurance“), alle Wünsche der Briten würden künftig beachtet werden – um welche es sich handelt, erwähnt er an dieser Stelle allerdings nicht. Schon zwei Jahre nach der Kampfansage an die Piraten schrieb Maitland stolz an Admiral Penrose, es gebe in den nordafrikanischen Metropolen Tunis und Tripolis keine christlichen Sklaven mehr.53 Doch zwei Jahre später, 1817, folgte ein ernüchterndes Schreiben an den Admiral, zwei algerische Piratenschiffe würden um die maltesische Inselgruppe kreuzen.54 Vor dieser offiziellen Kampfansage Großbritanniens an die Piraterie scheint sich der Bey von Tripolis nicht gescheut zu haben, die Briten um Passierscheine sogar für Schiffe zu ersuchen, die von Freibeutern an ihn verkauft worden waren; so zum Beispiel im Jahre 1813 für das Schiff ,,Baldassar“, das von einem französischen Korsar (,,French Privateer“) gekapert und in Tripolis verkauft worden war, wie einem Brief Maitlands zu entnehmen ist. Er, Maitland, sehe sich aber unter den gegebenen Umständen nicht autorisiert – die Herkunft des Schiffes war ungeklärt, der erfolgreiche Kaperer Franzose –, für dieses Schiff einen Passierschein auszustellen.55 Diese Sachlage deutet darauf hin, dass die Kaperei nicht grundsätzlich als verwerflich galt. Sowohl der Bey als auch die Briten verhandelten die einzelnen Fälle völlig offen, ohne Geheimniskrämerei oder Vertuschungsversuche, die illegale Geschäfte in der Regel begleiten. Ab 1815, die Piracy Commission hatte ihre Arbeit aufgenommen, kühlten 52

53 54 55

CSG 06 Naval Letter Book 1813–1851, to Admiral Penrose, Malta, 1819, S. 102f. Smyrna taucht in der Korrespondenz häufig auf, meist mit dem Vermerk, dass es für den ,,Mercantile Body“ von Vorteil wäre, wenn ein Schiff an diesem oder jenem Tag nach Smyrna in See stechen könnte. CSG 06 Naval Letter Book 1813–1851, to Admiral Penrose, 1816, S. 121f. CSG 06 Naval Letter Book 1813–1851, to Admiral Penrose, 1817, S. 125f. CSG 08 Barbary States Correspondence Book (1813–1845), to James Somerville, Tripoli 1813, S. 1.

4. Vom Mare Nostrum zum Mare Liberum zum Mare Britannicum

449

sich die Beziehungen zu Tripolis aber deutlich ab. Ein delikater Zwischenfall hatte die Briten dazu bewegt, in Tripolis bewaffnete Entschlossenheit zu demonstrieren: (. . . ) that an armed Transport will sail from this (harbor in Malta, DS) tomorrow, conveying instructions for your guidance, both in regard to the declaration of war with Austria, and with regard to what appears to me of much greater importance – the two British ships taken possession of under the guns of the Bashaw by the American Consul. (...) I hold that where a British vessel comes into a neutral port, with English Colours flying that the greatest affront and indignity that can be offered to the British nation, and the British flag, is, that the power into whose port that vessel enters, should be guilty of such abandonment of every recognized principle of the law of nations, as to admit of such vessel being seized by any power whatsoever: I may add, that it is undoubtedly the greatest insult that could be offered to the Bashaw himself; but that is for his consideration.

Er sei der Ansicht, so Maitland, dass es für jeden Vertreter Englands völlig unmöglich sei, mit dem Bashaw Kontakte jedweder Form zu unterhalten, solange dieser nicht öffentlich mit aller Entschiedenheit garantiere, der britischen Fahne alle Ehre zu erweisen.56 Dieses schroffe Gebaren wurde schon wenige Wochen später belohnt. Der Bey von Tripolis informierte Maitland über drei Schiffe unter britischer Flagge, die vom amerikanischen Konsul gekapert worden waren, die dieser anschließend wiederum dem Bey zum Kauf angeboten hatte. Der Bey erklärte sich bereit, die Schiffe an Maitland auszuhändigen, wofür dieser sich überfreundlich bedankte: Diese Handlungsweise würde beweisen, dass der Bey von gleicher Freundschaft und Empfindung von Freundlichkeit (“feeling of cordiality”) geleitet sei, die der König, sein Herr und Meister, stets gegenüber seiner Durchlaucht empfunden habe.57 Amerika versuchte seine Unabhängigkeit von England und seine freiheitlichen Rechte offensichtlich auch jenseits des Atlantiks durchzusetzen. Die ersten Schritte der Amerikaner im Mittelmeerraum führten zu Auseinandersetzungen mit ihren ehemaligen Herren, den Briten. Die Nordafrikaner sahen hier eine gute Gelegenheit, sich mit Großbritannien zu verbünden, ohne eine andere einflussreiche Großmacht ernsthaft zu provozieren. Wenn sie die Engländer gegen die Amerikaner unterstützten, waren sie sozusagen auf Seiten der Briten in einer britisch-britischen Auseinandersetzung. Tatsächlich aber schien es Maitland ratsam, vor dem Bey of Tripolis auf der Hut zu sein, auch wenn dieser Entgegenkommen signalisierte. I have had the honor to receive your communication (...) on the subject of an Imperial Vessel of great value carried into Tripoli. Any interference on my part is totally out of question: but at the same time, it is necessary to be extremely delicate in the matter of stating this to the Bey; for you must be aware that the people never can be brought to understand anything 56 57

CSG 08 Barbary States Correspondence Book (1813–1845), to Consul Warrington, Tripoli, 1815, S. 8. CSG 08 Barbary States Correspondence Book (1813–1845), to the Bey of Tripoli, Tripoli, 1815, S. 10 (sent in Italian).

450

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

that is connected with different Authorities, or a regular Government. You will, therefore, be good enough to deal out what general assurances you think proper, without committing us to anything positive upon the subject. In respect to the Imperial Vessel, it is clear that you cannot act as Vice Consul since the declaration of Hostilities on the part of the Bey: but the line you have adopted is exactly what appears to me to be right; and if you can manage, either to get him to do away his declaration of war, or to retain the vessel and cargo till application can be made to the head of the Imperial Government, it would be rendering an essential service. Enclosed you will find a letter to the Bey. You will perceive it deals with generals; but it may strengthen your hands – particularly in your application about the ship.

Ein grundsätzliches Gewirr von ,,Knoten“ und ,,Kanten“, das die Méditerranée beherrschte, zieht sich durch die Korrespondenzen. In der Tat ließ der Bey weiterhin Schiffe kapern, unbesehen des Umstands, ob mit britischen Passierscheinen autorisiert oder britisch beflaggt oder nicht. Sir Thomas Maitland wandte sich auch in diesem Schreiben gleich mit mehreren Angelegenheiten an den britischen Konsul Warrington in Tripolis. Sein erstes Anliegen waren Genueser Handelsschiffe, die von Schlachtschiffen des Bashaw gekapert und als seine Beute nach Tripolis gebracht worden waren, obwohl sie mit Geleitpapieren des in Genua residierenden britischen Konsuls ausgestattet gewesen seien. Zweitens ging es um die delikate Frage von Briefen, die an Lord und Lady William Bentinck und andere britische Untertanen adressiert waren, die der Bashaw und seine Minister zurückgehalten und geöffnet haben sollen – ein ,,Akt der Aggression“, wie Maitland sich ausdrückte. Bezüglich der Passierscheine müsse er die Erwägungen der Regierung seiner Majestät (,,the feeling of his M’s Government“) abwarten. Er wies Warrington an, sich beim Bashaw dezidiert für die Freilassung der Mannschaften der gekaperten Schiffe einzusetzen, doch da erhebliche Zweifel bestünden, ob diese Schiffe das Recht hatten, unter britischer Flagge zu segeln, sollte sich der Vermittlungsversuch des Konsuls allein auf diesen Punkt beschränken und nicht auf die Befreiung der Schiffe ausgedehnt werden. Es sollen um die fünfhundert solcher Geleitbriefe ausgestellt worden sein, die man zwar widerrufen habe. Aber bevor klar sei, ob dieser Widerruf der Besatzung bekannt gewesen sei, solle nichts weiter unternommen werden. Auch im zweiten Fall ließ er Warrington einen gewissen Verhandlungsspielraum offen. Offiziell versiegelte Briefe dürften vom Bashaw, ,,mit dem wir uns in einem Verhältnis von Frieden und Freundschaft befinden“, natürlich nicht geöffnet werden. Er sei aber keinesfalls der Meinung, dass der Bashaw oder seine Minister verpflichtet wären, Briefe oder Papiere britischer Untertanen ohne offizielle Siegel mit gleichem Respekt zu behandeln. Mehr noch, er räumte ein, dass sich die Briten in ähnlichen Fällen genau gleich verhalten würden: For I need hardly mention to you (what you must perfectly know) that our own cruisers pay no such respect to such documents, but, indiscriminately, open them, and read their contents, whenever they fall into their hands.

Er freue sich aber darüber, dass der Bashaw eingelenkt habe und die Angelegenheit nun vom Tisch sei. Allerdings hätte er eine offizielle Entschuldigung

4. Vom Mare Nostrum zum Mare Liberum zum Mare Britannicum

451

beim H.M’s Government in Anbetracht der ganzen Angelegenheit für angebrachter gehalten als diese eher private Entschuldigung bei Lord und Lady William Bentinck.58 Die Beziehungen zwischen Großbritannien und den nordafrikanischen Staaten bedurften generell großen diplomatischen Geschicks, wie ein Zirkularschreiben an alle britischen Konsuln der ,,Barbary Powers“ zeigte. You will inform me of all transactions that occur under your Consulate, in which the British interests are in the smallest degree concerned. And, on this head, you will be extremely particular in regard to the transactions of the Consuls of other powers generally – in an expecial manner with regard to the French and American (...) about the trade carried out under your Consulate, – whether British or foreign; and you will be pleased to suggest anything that occurs to you, by which the British trade may be increased.59

Eines der zentralen Themen blieb aber auch 1816 die Kaperei, wie ein ausführlicher Brief Sir Thomas Maitlands an den britischen Konsul in Tripolis anschaulich zeigt und zugleich offen legt, welche Haltung die britische Regierung einnahm – und von anderen erwartete: Sir, on my arrival here, four days ago, I received from Major General Layard your letters to him, bearing date 10/14 October; principally relating to certain vessels suspected to be British, and which had been seized by one of the Bashaw’s Cruizers. In your letter it appears, that there is strong reason to believe that she belongs to Gibraltar; and from the fact of the Bashaw’s having given her up to you on representation, and not pretending that she belonged to another power, certainly, a supposition that she is British is much corroborated. You state in your letter, that the Bashaw throws himself on British generosity; that he is not to blame in the transaction; and that, if demanded, he is ready to punish with death the Captain of the vessel who has been guilty of piracy. Such an apology I hold to be completely and totally inadmissible; and of a nature and character which, if admitted of without observation, would certainly had to the extinction of that friendship and amity, which has so long existed between the Bey and His Majesty’s Government. In the first pace, it is indispensable necessary that we should come to a clear understanding what this ship is; for with this the Bashaw was undoubtedly acquainted, notwithstanding it is stated the papers were destroyed. In the second instance we must come to a perfect knowledge of what is become of every man that was on board of this ship; how they were disposed of, and where they now are. Without such explanation, it is impossible either for the Admiral or myself, to hold out the smallest promise to the Bashaw. That the business will not be investigated in the most serious manner by His Majesty’s Government: for it is impossible for one moment to admit, that His Highness is to send forth His Cruizers, and that they are to seize vessels, the crews of which are unaccounted for; the vessels themselves plundered; and that all His Majesty’s Consul can get on the spot, is, that the vessel shall be delivered up, and that he will make good the damages: but no account is given either of the crew and the cargo; to what nation she belongs; or under what circumstances she was taken. 58 59

CSG 08 Barbary States Correspondence Book (1813–1845), to Consul Warrington, Tripoli, 1815, S. 11. CSG 08 Barbary States Correspondence Book (1813–1845), to the consuls of the Barbary Powers, 1815, S. 13f., Circular.

452

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

This is the general view I entertain upon the question; and you will explain it in the fullest manner to His Highness. And I beg leave to add that I must also consider it in another point of view; and that I request that you will impress it on His Highnesses mind, in the most serious manner, how much it pains me to see the mode in which His Highness considers these subjects. You most properly in your situation interpret upon the occasion; and, in consequence, the Bashaw states he is ready to give up the man who is guilty of this atrocious act, and to put him to death. I must beg leave, however, to say, that though properly in the present instance, if he does strictly comply with those demands you will immediately make upon this subject, we might be disposed to pass over a conduct so indefensible, that yet it is impossible to imagine that this practice can be allowed to be continued, or any apology of the kind hereafter admitted. His Highness seems to me to entertain a most erroneous, and (if He perseveres in it) to Him a most fatal view of the present subject: He seems to think that it is sufficient that His cruizers should proceed in the manner they have hitherto done, and when they are guilty of acts of atrocity and piracy, that such acts are only to be taken cognisance of by Him when application is made upon that head by His Majesty’s Consul; and that then an apology to him will settle the Business: and above all that the offer of putting a man to death at the demand of the British Government, is a full atonement for any act of violence and injustice. The view, however, of the subject that I take, - and it is, I apprehend, the one His M’s Government entertains of it, - is, indeed, of a very different description: We expect that from the moment a treaty of peace takes place with any power, that the Government of that country will adopt the necessary measures to carry such Treaty into effect; and that the Government itself will, without any application of us, carry into effect those Laws and measures that may be necessary to give efficiency to such treaty. Thence, it follows that, without any application on your part, it was the bounden duty of the Bashaw, the instant He was aware of this gross act of piracy and injustice having taken place, himself, for the sake of his own dignity and character, to have instituted the strictest inquiry; and to have punished, with the utmost severity, any persons guilty of such an act. It is no satisfaction to the British Government that the Bashaw offers to put to death a man, who, if the Bashaw himself had been earnest in maintaining his agreement with Great Britain, ought to have been brought to immediate and condign punishment, if found guilty of such an act. It was His duty to have acquainted you with the whole transaction, stating to you, at the same time, the legal measures that had been taken to give redress upon the occasion: but, in the way in which the Bashaw has put it, it is evident that His view of the subject is, that he has an interest in protecting persons and acts, contrary to every principle of the Treaty and Public Law: The natural consequence of which must be, that we cannot have a moments reliance for the Security of the trade either of Great Britain or her Allies, in these seas. There are very grave considerations; and I request you will impress them in the strongest manner on His Highnesses mind. It is our sincere wish, in every instance, to manifest those principles of moderation and justice, by which the British Government has risen to its present state of power and splendor; and there is no occasion where we feel so much disposed so to do as at the moment when we have been reluctantly forced, from the violence and injustice of its conduct, to let one of the neighbouring Princes feel the full force of its Naval

4. Vom Mare Nostrum zum Mare Liberum zum Mare Britannicum

453

power and ascendancy; but, on the other hand, we must expect that those with whom we treat, will act upon a bonafide principle of fulfilling the spirit of their engagements to us; and not to protecting, in their own dominions, principles and views in direct hostility to the Engagements into which they have entered. You will further make known to His Highness, that I can admit of no vessel of his, being repaired in this Port, – with a view to be ultimately made a Cruizer of, – till such time as the present business be thoroughly explained; and till we receive from Him very different assurances from what He at present holds out, that He will, by the internal regulations of His own country, take case that none of His subjects dare again presume to violate those engagements, into which He himself has lately come. I have the – signed: Maitland.60

Wie dieser Brief zeigt, verfolgte der Bashaw ,,business as usual“, zeigte sich aber offen für die Zeit der Moderne und neumodische englische Ideen, wie die Bestrafung von Kaper-Kapitänen – sofern dies England wünschte und dies die Geschäfte mit Raubgut nicht schmälerte. England hingegen erwartete völlige Anpassung an das (für alle großen Seefahrernationen) relativ neue Gedankengut, wonach sich Seeraub nicht schickte. Einzigartig ist die Erwartung an andere, sie müssten diese Neuerungen selbstredend teilen und unterstützen, möglichst ohne viele Worte und schon gar nicht aufgrund von Instruktionen oder auf ausdrückliches Ersuchen Englands hin. Bemerkenswert ist auch das Spektrum an möglichen Strafen. Während in anderen Fällen mit militärischer Präsenz Stärke demonstriert wurde, setzte Maitland in diesem Fall auf nautische Expertise und handwerkliches Geschick: Keines der Schiffe des Bashaw würde in Maltas Hafen gewartet werden, solange er die Aktivitäten seiner Schiffe und Untertanen nicht im Sinne Englands modifizieren würde; dies aber bitte aus völlig eigenem Antrieb und allein dem Wunsch nach einem befriedeten Mittelmeer entsprungen. Maitland spricht es zwar nicht aus, aber es scheint, dass der Bashaw ,,aus eigenem Antrieb“ den verantwortlichen Kaperfahrer zur Rechenschaft gezogen hatte; in Maitlands Brief ist lediglich zu lesen, er freue sich über die offensichtliche Bereitschaft des Bashaw, jede Strafe, die in seiner Macht lag, einzusetzen. Er sei zuversichtlich, dass durch den ,,unglücklichen Fall“ des Rais, der das Schiff gekapert hatte, solche Szenen in Zukunft ausbleiben würden. At the same time I cannot help observing that the greatest care must be taken not to make such occurrences the means of extortion from the Bashaw – and which may be attempted by owners and Captains of vessels; but which I am convinced you will take care to repress; it would indeed be a disgrace should the Bashaw ever have a well founded complaint of this nature against the British Government.61

Maitland zeigte sich ersichtlich zufrieden mit diesen neuen Entwicklungen, zugleich war ihm bewusst, dass England der Piraterie zwar den Kampf angesagt haben mochte – aber erst vor kurzem; und dass es durchaus denkbar war, dass der eine oder andere Raub immer noch auch unter britischer Flagge er60 61

CSG 08, 1816, fol. 29f. To Consul Warrington, Tripoli. CSG 08, 1816, fol. 32, to Consul Warrington.

454

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

folgte und England somit in Zugzwang käme, es dem Bashaw gleich zu tun und die eigenen Seeräuber ebenso rigoros zu bestrafen. Ein Jahr später, 1817, kam es immer noch zu Zwischenfällen – diesmal ging es allerdings um Tunis und einen Vorfall weit weg vom Mittelmeer. Tunesische Schiffe waren im Ärmelkanal gesichtet worden. Maitland beklagt in einem Schreiben an den britischen Konsul in Tunis, diese unangenehme Problematik sei keinesfalls zufrieden stellend beendigt worden. With a view then to bring this to a proper and amicable close, I have deemed it advisable forthwith to send Lieutenant Colonel Stankey in such Man of War as the Admiral may appoint: and I have given him, together with the Captain of the said Man of War and yourself, instructions relative to the completion of the measure, which I deem necessary for the honor and dignity of the British Flag. (. . . ) but also that the Bey should be convinced that it is a matter that He must settle according to our wishes, and according to the due and usual forms, and not by a Letter from the minister, attacking the conduct of the British Nation at the same time, and setting up in other parts of such letter claims totally inadmissible. I am further urged, I own too, to send this special mission on the occasion, from a conviction that you are not in that state of amicable relation with The Bey, in which I think you ought to stand: From me you will ever find the strongest support upon all occasions of every kind where the Interests of our Country are concerned. I am perfectly aware of the different state in which you are placed by the late revolutions which have taken place at Tunis; it makes your situation infinitely more unpleasant, and your task one of much more difficulty. I am aware too that from the introduction and intrigue now of Consuls, you have but little weight in comparison to that which you had previous to the happy restoration of peace, and that this circumstance itself must create further difficulties in your way. But at the same time I am convinced, that with temper, conciliation, and forbearance, all of which are essentially connected with the true dignity and real character of your country, the consequence and character of the British Consul will still have its due weight. (...) And you will find at all times, when on the one hand I feel myself occasionally obliged to express myself strongly, on the other most ready indeed to give every support in my power to a person in your high and respectable Situation.62

Der Bey von Tunis reklamierte für seine Schiffe das gleiche Recht wie die Engländer für ihre: Kreuzten englische Schiffe vor der tunesischen Küste, weshalb nicht seine im Ärmelkanal? Wie ähnlich sich diese – wie es angesichts der britischen Korrespondenzen zunächst scheint konkurrierenden – Wertesysteme im Grunde genommen waren, zeigt sich an einem ,,Register of Ships Belonging to the Port of Malta“ aus dem Jahre 1817, das die ,,Schiffsbewegungen“ innerhalb dieses Jahres dokumentiert. Diese Schiffe wurden im Jahre 1817 neu registriert, da sie in Besitz von britischen Untertanen übergingen oder wegen Verkauf oder Umbau umregistriert wurden. Es handelt sich um eine stattliche Zahl gekaperter Schiffe, was sicher auch von der Unruhe zeugt, in der sich die gesamte Méditerranée nach den Napoleonischen Kriegen befand. Interessanterweise wurden die Schiffe vier Kategorien zugewiesen: Category A:

62

CSG 08, 1817, fol. 43, to Oglander, Tunis.

4. Vom Mare Nostrum zum Mare Liberum zum Mare Britannicum

455

Register of Ships and Vessels belonging to the Port of Malta which are entitled under the Navigation Laws of Great Britain to have Papers and Mediterranean Passes. All Ships and Vessels built in Great Britain or Ireland, or in such of the Colonies or Dependencies of the Crown of the United Kingdom as are included in the Said Laws, or Ships and Vessels being Prizes regularly condemned in any court of Admiralty or Vice Admiralty of the said Kingdom or its Dependencies, all such Ships and Vessels being manned according to Law, and being the real and bonâ fide (sic!) Property of one or more of His Majesty’s Subjects. In pursuance of the Proclamation (No III) and Minute of His Excellency The Governor bearing date the 26th June 1817.63

In der Kategorie A handelt es sich um vierundzwanzig Schiffe, die als ,,foreign built“ bezeichnet wurden – lediglich drei waren als ,,Venetian“, ,,American“ und ,,Genoese built“ eingetragen; woher sie stammten und wem sie gehört hatten, wurde nicht spezifiziert. Dass die Herkunft, wenigstens die schiffsbautechnische, unschwer hätte bestimmt werden können, zeigen die Kategorien B, C und D. Die Herkunft wurde immer nach der Bauart bestimmt, nicht nach ihrer Zugehörigkeit zum Zeitpunkt der Registrierung, Umregistrierung oder des Kaufs. Die neue Existenz der gekaperten Schiffe wurde durch ihre Umbenennung unterstrichen: Die in der Regel katholisch anmutenden Schiffsnamen wichen pragmatischeren aus dem angelsächsischen Raum, die das Zeitalter der Moderne und des nüchternen Protestantismus einläuteten. ,,Madonna del Rosario“ (,,Madonna des Rosenkranzes“) wurde zu ,,Fama“ (,,Ruhm“), manchmal genügte aber auch die schlichte Anglisierung, die ,,Il Glorioso“ zu ,,Glory“ machte. Keinen angemessenen Tausch hingegen machten Schiffe mit Namen wie ,,St Antonio e le Anime del Purgatorio“ (,,Heiliger Anton und die Seelen des Fegefeuers“) oder ,,Santa Maria di Porto Salvo“ (,,Heilige Maria des sicheren Hafens“), die sich nunmehr mit ,,Metilde“ und ,,Clifton“ begnügen mussten. Das amerikanische Schiff ,,Nancy“ hingegen durfte seinen nichtssagend netten und knappen Namen behalten. Die erfolgreichen Privateers trugen italienische, maltesische oder (unerwarteterweise) slawische bzw. dalmatinische Namen. Ein erfolgreicher Kaperer hieß Simone Ivelich, dessen Kaper 1811 vom Vice Admirality Court in Malta als legitim erklärt wurde, ein weiterer Luca Vulovich. Weitaus erfolgreicher als die Private Ships waren aber jene seiner Majestät, ganz besonders His Majesty’s ships ,,Leviathan“, ,,America“ und ,,Éclair“ (,,Blitz“), die gemeinsam mehrere Schiffe gekapertv und in den maltesischen Hafen als Beute gebracht hatten. Vermutlich kam es zu keinen verlustreichen Kampfhandlungen, wenn sich ein Schiff gleich von drei britischen umzingelt fand. In den Kategorien ,,present owner“ und ,,present master“ fanden sich meist maltesische Besitzer, auch bei italienischen Namen daran zu erkennen, dass

63

CSG 25/1, fol. 25.

456

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

auch ,,son of...“ eingetragen war und ihr Herkunftsort (,,of Sanglea“), während bei den wenigen englischen Besitzern nur ihr Name, manchmal noch ihr Wohnort verzeichnet wurde (,,residing at Sanglea“). Manchmal waren als Besitzer ganze Familien eingetragen ,,Vincenzo and Salvatore Brothers Mattei (sons of late Antonio) of Sanglea, Merchants, together with Teresa Mattei, their mother, as heir of her son the late Giuseppe Mattei. Present Master: Francesco Solurco“. Mannschaft wie Kapitäne blieben auch noch bis ins 20. Jahrhundert trotz britischer Herrschaft lokaler Herkunft, wie aus Registern über ,,Master Mariners and Mates“, denen eine nautische Befugnis erteilt worden ist, hervorgeht.64 ,,Sprechende“ Namen hatten aber nicht nur die Opferschiffe, sondern auch einige der Täter. Anders als die, wenn auch sehr erfolgreichen, doch namenstechnisch eher neutralen ,,Leviathan“, ,,America“ und Éclair“, konnten Einzelkämpfer wie ,,Il Diavolo“ (der Teufel), ,,Old Maid“ (alte Jungfer) oder ,,Sultan“ große Kapererfolge verzeichnen. Auch ,,Providenza“ (Fürsorge, Vorsorge, Voraussicht) mit dem Kommandanten Antonio Vedovich war 1812 wohl im Namen der Vorsorge und Fürsorge der Kaperer und ihrer Familien unterwegs auf Beutefang. Die Namen der erbeuteten Schiffe decken sich mit den ausgestellten Kaperbriefen. Sie waren erlassen gegen Schiffe, Ware und Einwohner (,,Letters of Marque and Reprisals against ships, goods and inhabitants“) der Territorien und Häfen der Toskana, des Königreichs Neapel, den Hafen und das Territorium von Ragusa, ,,the islands lately comprising the Republic of the Seven Islands“ (das heißt die Ionischen Inseln), generell alle Häfen und Orte in der Méditerranée und Adria, die von Frankreich und seinen Alliierten okkupiert waren.65 Allerdings finden sich in den Unterlagen auch immer wieder Gesuche von Besitzern gekaperter Schiffe, die mit ihrer Einsprache durchaus Erfolg haben konnten. So wurde zum Beispiel der Ragusaner Matteo di Giacomo Bosgiovich, Kapitän des ragusanischen Schiffes ,,Il Glorioso“, das gekapert und in Malta als rechtmäßige Beute verurteilt wurde (,,captured and condemned at Malta“), entschädigt, nachdem der Earl of Liverpool seine Angaben, wie und unter welchen Umständen sein Schiff gekapert worden war, bestätigt hatte.66 Category B: Der Kategorie B wurden Schiffe zugewiesen, die in Malta gebaut wurden und zum Maltesischen Hafen gehörten, ,,being manned according to Law“ 64

65 66

CSG 27 Register of Master Mariners and Mates, CSG 28 Index of Master Mariners and Mates, 1847–1907 ,,it shows in alphabetical order the names of persons to whom warrants were granted, the class of warrant and the register page number“. Es handelt sich um fast nur maltesische und italienische Namen, alles Männer maltesischer Herkunft, nur ausnahmsweise finden sich englische Namen und als Herkunftsort London oder ein anderer Ort außerhalb Maltas. GOV 2/1/2, 1807; GOV 1/1/3, 1808; GOV 1/1/7, 1810 Forwarding memorial of Matteo di Giacomo Bosgiovich, resident of Ragusa. GOV 2/1/3, 1810, fol. 196f.

4. Vom Mare Nostrum zum Mare Liberum zum Mare Britannicum

457

und die einem oder mehreren britischen Untertanen gehörten; das heißt nicht gekaperte und nicht mit Sklaven bemannte Schiffe. Es handelt sich um die stolze Zahl von 105 im Jahre 1817 registrierter Schiffe, mit Namen wie ,,Virtù“ (,,Tugend“), ,,Sant Agata“, ,,Santa Maria del Buon Consiglio“ (,,heilige Maria der guten Empfehlung“), aber auch weniger christlichen wie ,,Luna“ (,,Mond“), ,,Volante“ (,,die Fliegende“) oder ,,Due Fratelli“ (,,zwei Brüder“). Kategorie C: Zu Kategorie C zählte man Schiffe, die zum Hafen von Malta gehörten, aber anderswo gebaut worden waren – ,,foreign built and NOT (sic!) Prizes“ – und die einem oder mehreren britischen Untertanen gehörten, die ihre Residenz in Malta oder ihren Kolonien (,,its Dependencies“) hatten. Im Gegensatz zu den gekaperten besteht über die Herkunft dieser Schiffe absolute Klarheit, allerdings ist auch hier die Herkunft bzw. Konstruktion der Schiffe ausschlaggebend, nicht die Herkunft oder politische Zugehörigkeit ihrer früheren Besitzer. Es handelt sich um vier neapolitanische Schiffe, fünf genuesische, fünfzehn venezianische, drei spanische, drei sizilianische, zwei französische, zehn ragusanische, zwei schwedische, zwei türkische, zwei dänische, ein amerikanisches und ein portugiesisches Schiff, und schließlich je ein Schiff aus Triest, Livorno, ein ,,Adriatic built“, ein ,,imperial built“ und ein ,,foreign built“. Kategorie D: Die letzte Kategorie war ein Sammelbecken für Schiffe jeder Klasse, die zum maltesischen Hafen gehörten ,,whether British or Colonial Built, Prizes regularly condemned, Malta built or Foreign built, not Prizes regularly condemned; being the Property of a Person or Persons NOT (sic!) British subjects but who have hitherto been indulged with Mediterranean Passes for their vessels“; das heißt, dies ist die Kategorie der vielen Schiffe, die von den Briten mit dem Recht ausgestattet worden sind, im Mittelmeer unterwegs zu sein – sei es in friedlicher Absicht oder auf Beutezug –, obwohl ihre Besitzer nicht britische Untertanen waren. Dabei handelte es sich hauptsächlich um Menschen aus den Illyrischen Provinzen (Ostküste der Adria), namentlich mehre aus Lussino (Lošinj, heute Kroatien), und einige aus Genua und aus Venedig: Foreign built 1; foreign rebuilt 11, davon 2 früher gekapert; Venetian built 38, davon 3 gekapert; Neapolitan built, 24, davon 3 gekapert; Sicilian 13, davon 3 gekapert; French 10, davon zwei gekapert; Greek 7; Imperial built 3, davon eins gekapert; American 2; Spanish 2; Danish 3; Austrian 4; Genoese built 34, davon 5, die schon früher mehrmals gekapert waren, aus Livorno 3 (davon eines, das schon früher gekapert war).67 Von der Piraterie lebten nicht nur die Piraten, die Eigner der Piratenschiffe, zustimmende Herrscher, Hehler und Käufer des Raubguts. Die Handelsschiffe setzten vermehrt auf Konvoischutz. Laut Robert Bohn durften Kommandan-

67

CSG 25/1 Register of Ships Belonging to the Port of Malta, 1817.

458

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

ten der Royal Navy zwölf Prozent des Warenwertes für ihren Begleitservice einfordern. Des gleichen ließen Versicherungen die Raten für Handelsschiffe bei wachsender Pirateriegefahr in die Höhe schnellen.68 Es stellt sich allerdings die Frage, ob wirklich von Profit die Rede sein kann oder ob es sich angesichts des großen Risikos nicht eher um ein Verlustgeschäft handelte; eine Existenzberechtigung für eskortierende Schiffe wie für Versicherungsgesellschaften war der florierende Seeraub allemal. Trotz der eigenen ruhmreichen Seeraubvergangenheit waren aber die großen Seefahrernationen Europas im 19. Jahrhundert fest entschlossen, der Piraterie nunmehr ein Ende zu setzen, vor allem jener, die von der nordafrikanischen Küste ausging, wie sie 1819 in einer gemeinsamen Erklärung ,,Implementation of the Aix-La-Chapelle Decision on the Suppression of Barbary Piracy“ an die Adresse von Tunis, Algier und Tripolis proklamierten.69

4.5 Besucher und ihre Anliegen Mag Sir Thomas Maitland von den Nordafrikanern und ihrem Verhältnis zu Recht und Ordnung noch so wenig gehalten haben, die Wertesysteme waren doch überraschend ähnlich, desgleichen die Vorgehensweisen. 1810 entsandte der Bey von Tunis Mahmut Gelluli nach Malta, damit er mehrere seiner Schiffe samt Ladung, die vom Vice Admirality Court zur rechtmäßigen Beute verurteilt worden waren, zurückfordere. Kurz darauf erschien Sidi Hamed, der Bruder des Bey höchstpersönlich in Malta, um diesem Anliegen Nachdruck zu verleihen. Fast einen Monat blieb er in Malta, bis dem Wunsch des Bey schließlich entsprochen wurde.70 Ein weiterer Gesandter erreichte Malta, diesmal im Auftrag des Bashaw von Tripolis. Er hatte mehrere Pferde und kostbare Sattel als Geschenk für seine Majestät geladen. Da ein ,,good understanding“ wichtig sei, schlägt Oakes vor, die Geschenke anzunehmen und sich mit einer Gabe, die für den Bashaw ,,acceptable“ sei, zu bedanken. Leider geht aus diesen Unterlagen nicht hervor, was ihm für einen nordafrikanischen Herrscher als ,,akzeptabel“ erschien, aber ,,probably not exceeding £ 200“.71 Auch die Bezeichnung ,,some Barbary horses“ lässt die Vermutung zu, dass das Europa des frühen 19. Jahrhunderts die schnellen, eleganten und grazilen, aber auch eigenwilligen und sensiblen ,,Araber“ noch nicht zu schätzen wusste. Gefragt (und bekannt) waren für Ackerbau, Transport wie Militär eher ausdauernde, kräftige und geduldige

68 69 70 71

Bohn: Die Piraten, S. 86f. Hurewitz: The Middle East and North Africa in World Politics, S. 212–443. GOV 1/1/7 Oakes ,,out“ Despatches 1810–1813, 1810, fol. 12–21. GOV 1/1/7 1810, fol. 61f.

4. Vom Mare Nostrum zum Mare Liberum zum Mare Britannicum

459

Kaltblüter.72 Es ist eindrücklich, hier vermutlich eine der ersten langen und beschwerlichen Reisen dieser Tiere in Richtung Regen und Kälte – aber auch saftiges Grün – dokumentiert zu finden. 1811 besuchte A. Adamich die Insel, ein österreichischer Untertan, um die Handelsbeziehungen zwischen Malta und den adriatischen Häfen wieder aufzunehmen, die sich im ,,Besitz des Feindes“ – gemeint sind diesmal die Franzosen – befanden. Aber da er leider nicht in der Lage war, die Auflagen der Regierung seiner Majestät zu erfüllen, setzt er nun seine Reise nach England fort, in der Hoffnung, seine Ziele dort zu erreichen. Dieses Gespräch vermittelt hatte ein angesehener englischer Kaufmann. Adamich wurde von der französischen Regierung autorisiert, ,,articles originally imported into Malta from a Port of the United Kingdom, or from any British Colony or Plantation“ nach Ragusa einzuführen. Es sei aber völlig klar, dass der wahre und einzig wichtige Teil von Herrn Adamichs Anliegen die Versorgung Italiens und der Illyrischen Provinzen mit einem Artikel sei, das diese Länder dringend benötigten: Salz. Auf Adamichs ausdrücklichen Wunsch hin verfasste Maitland ein Empfehlungsschreiben, in dem er eben diese Sachlage für die Minister seiner Majestät darlegte. I take this opportunity of observing that the shores of the Adriatic abound in many articles of Naval & Military consumption, the exportation of which is at present rigorously interdicted by the Enemy; but it appears not improbable from what Mr. Adamich says, that a considerable supply of these desirable articles might be stipulated for in return for any indulgence Government might think proper to skew in regard to the exportation of Salt.73

Malta war nicht zuletzt ein Drehkreuz für Pilgerreisende. 1815 wurde der schwedische Ex-König mit einer Gefolgschaft von neun Russen, die ihn beschützen sollten, auf seiner Pilgerreise ins Heilige Land erwartet, ,,having with him one she pilgrim whom I understand is very beautiful”; eine der ganz seltenen Stellen, wo sich eine kleine Unsachlichkeit in die Korrespondenz Maitlands geschlichen hat.74

4.6 „Believe me!“: Mari stretti, diffuse Bestimmungen und verweigerte Passierscheine Declaration. We do declare, in the name of his Excellency (the Bashaw Bey of Tunis) that vessels of every description under his flag, found in the British Channel or in the Narrow 72

73 74

In der Tat gehen die Anfänge der Warmblutzucht in England auf das 18. und 19. Jahrhundert zurück, als immer mehr spanische und arabische Pferde eingekreuzt wurden, aus denen auch das berühmte ,,Englische Vollblut“ hervorgegangen ist, von dem man sich mehr Körpermasse erhofft, ohne den Adel des ,,Arabers“ zu verlieren. GOV 1/1/7 1811, fol. 136f. CSG 06, 1815, fol. 100f.

460

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

Seas, shall be condemnable to detention and capture, as regular Prize of War, by any of His Majesty’s Ships.

Vor dieser Erklärung der Minister des Bey von Tunis überstürzten sich einschneidende Ereignisse, die für die eine Seite lediglich ,,business as usual“ bedeuteten, für die andere aber – aufgrund der neuen Sichtweise und der Kampfansage an die Piraterie – nicht länger hinnehmbar waren. Der Weg zu dieser Deklaration im Namen des Bey war lang; ihr gingen verschiedene britische Forderungen und Drohungen voraus. ,,His Highness“ wurde aufgefordert, den Briten unverzüglich mehrere Gefangene zu übergeben; solange dies nicht geschehe, ,,stellen wir fest, dass es unmöglich ist zu erlauben, dass die britische Fahne gegenwärtig in Tunis wehe; oder der britische Konsul seine Funktionen im besagten Land von Tunis weiterhin wahrnehme.” Der Bashaw, Bey of Tunis, musste versprechen, seine Schiffe nie wieder ,,into the British Channel or Narrow Seas“ zu entsenden und keinem Schiff jemals wieder zu erlauben, seine Flagge zu hissen, außer für Fahrten zu wirtschaftlichen Zwecken.75 Dieser zweite Teil des Versprechens war insofern heikel, als es sich sowohl bei Piraterie als auch bei Kidnapping sehr wohl um ,,wirtschaftliche Zwecke“ handelte. Delikat war aber auch die geographische Eingrenzung der Gebiete, die England den Tunesiern zu verbieten suchte. Als mari stretti werden Meerengen bezeichnet, schmale Arme des Meeres, die Küsten von einander trennen, de facto aber verschiedene Meere verbinden. Die berühmtesten Meerengen sind jene von Gibraltar zwischen Europa und Afrika, Messina zwischen Sizilien und der Apenninhalbinsel oder die Dardanellen zwischen Europa und Asien.76 Maitland vermied aber geschickt jede nähere Erläuterung – selbst auf die ausdrückliche Nachfrage hin –,77 was ihm freie Hand gab, in jedem Fall, den er für opportun hielt, einzugreifen. An jeder Küste findet sich die eine oder andere vorgelagerte Insel; und das Wasser, das sie vom Festland trennt, kann zur Not als ,,Meerenge“ durchgehen. In einem Brief an Konsul Warrington in Tripolis drückte Maitland seine Genugtuung darüber aus, dass der Bashaw die (leicht geänderte) Erklärung nun doch unterschrieben hat.78 Diesem Einvernehmen waren Geschehnisse und Korrespondenzen vorausgegangen. Maitland erläuterte in einem Schreiben an zwei britische Militärs und den Generalkonsul in Tunis zunächst lang und breit, dass His Majesty’s Government es ihm überlassen habe, die Sache zu regeln. Dann fasste er kurz zusammen: Er habe mit Genugtuung bemerkt, dass seitens des Bey eine gewisse Disposition festgestellt werden könne, sich den gerechten und angemessenen Ansichten der Regierung seiner Majestät zu fügen. Andererseits 75 76 77 78

NAM, CSG 08/1, 1817, fol. 45. Vivere il mare, iniziative per la diffusione della cultura del mare e dell’ambiente, Roma (www.vivereilmare.it/argomenti/glossario/i002.html). CSG 08 Barbary States Correspondence Book (1813–1845), fol. 45f. CSG 08 Barbary States Correspondence Book (1813–1845), fol. 68.

4. Vom Mare Nostrum zum Mare Liberum zum Mare Britannicum

461

aber schmerze es ihn zu sehen, dass diese Unterwürfigkeit im Brief des Ministers des Bey in einer derart unglaubwürdigen Art und Weise erklärt worden sei, dass Teile dieses Briefs in Worten abgefasst seien, die er für höchst unpassend halte, andere Teile wiederum Forderungen und Anmaßungen enthielten, die völlig inakzeptabel seien; und dass sowohl der Ton als auch die Sprache insgesamt abschätzig seien. Dieser unwürdige Ton ließe sich mit dem Wunsch seiner Majestät, “Beziehungen von Freundschaft und Frieden” zu unterhalten, nicht vereinbaren. Er könne den Ton, den der Minister in seiner Antwort angeschlagen habe, lediglich seiner Unkenntnis britischer Sitten zuschreiben. Es folgen ausführliche Anweisungen Maitlands, wie bezüglich der gekaperten Schiffe und der gefangenen Matrosen vorzugehen sei. Die beauftragten Offiziere erhalten mehrere “Declarations” mit auf den Weg und genaue Instruktionen, welche der Deklarationen sie dem Bey zu übergeben hätten, je nachdem, wie er sich verhalte. Der grundsätzliche Tenor aller Erklärungen, unterschiedlich scharf formuliert, ist folgender: Der Bey bzw. mit seinem Hoheitszeichen beflaggte Schiffe dürften weder britische noch andere Schiffe kapern. Die Gefangenen der kürzlich gekaperten Schiffe (in diesem Fall handelte es sich offensichtlich um zwei Hannoveraner, die Identität konnte aber aufgrund der üblichen Vorgehensweise in diesen Fällen – die Mannschaft wurde verschleppt, die Papiere vernichtet – nicht eindeutig geklärt werden) seien unverzüglich frei zu lassen, sodass sie nach Malta aufbrechen könnten. Der Bey müsse eine Deklaration unterschreiben, wie sie bereits 1700 von der Regierung in Algier unterschrieben worden war, als Ergänzung eines Vertrages aus dem Jahre 1682. Falls festgestellt werde, dass das eine oder andere seiner Schiffe zu anderen Zwecken als ausschließlich aus kommerziellen Gründen unterwegs sei, würde sich Großbritannien das Recht nehmen, seine Schiffe zu kapern.79 So zufrieden sich Maitland über die Unterzeichnung einer der Erklärungen auch zeigte (wenngleich auch nur einer der weniger scharf formulierten), war die Situation im Mittelmeer auch drei Jahre nach der Einberufung der ,,Piracy Commission“ unverändert. Im Juni 1818 schrieb Maitland an den britischen Konsul in Tripolis einen Brief mit dem Betreff ,,on ships being brought to Tripoli without persons on board“: Sir, I have withheld till now writing you upon that most unpleasant subject of ships being brought into Tripoli without any Person being on board, and I did so, that I might be sure of my grounds before I gave you Instructions on the subject. To be sure of the grounds it was necessary that I should be aware how far The Affidavit taken by the Reis, stating that he had landed his Prisoners, and given them over to the Consul of the Roman States at Trieste was or was not founded on fact.

79

CSG 08, 1817, fol. 45f., Instructions on the Mission in Tunis, To The Honorable Captain Spencer, R. N., Lieutenant Colonel Hankey, and Richard Oglander Esquire, His Majesty’s Consul General at Tunis.

462

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

Er habe leider aus absolut zuverlässiger Quelle, vom britischen Konsul in Triest erfahren, dass die beeidete schriftliche Erklärung des Bashaw von Tripolis sich als falsch erwiesen habe. (...) and the natural inference that must be drawn, is, that in the first place the Cruizer of the Bashaw of Tripoli alluded to, in violation of the Law of Nations, – in violation of the most sacred engagements with our Government, – and in violation of every principle upon which our Government can act with, or respect another, has been engaged in a scene of accumulated murders, unheard of in the annals of the most barbarous Savages.

Er wolle gar nicht erst darauf eingehen, dass die Praxis, Schiffe ohne Papiere und Mannschaft in den Hafen zu bringen, jedem international anerkannten Prinzip maritimen Rechts widerspreche. “His Highness the Bashaw” müsse davon in Kenntnis gesetzt werden, dass es völlig unmöglich sei, einem britischen Konsul zu erlauben, in einem Umfeld die britische Flagge zu hissen oder offen als britischer Konsul tätig zu sein, in dem sich derlei Szenen abspielten. Sollte der Bashaw, um die freundliche Kommunikation zu Großbritannien zu beleben, irgendwelche Erklärungen abgeben oder sich entschuldigen wollen, so seien diese an ihn weiterzuleiten, damit er die Regierung seiner Majestät entsprechend informieren könne, der allein es nun oblag, über die richtigen Maßnahmen zu befinden.80 Doch der harsche Ton an die Adresse nordafrikanischer Herrscher war insofern nicht angebracht, als auch Malta ein Dreh- und Angelpunkt für Seeleute, Kaufleute, Sklavenhändler, Soldaten und ,,freiberufliche“ Soldaten war. Diese ,,Freischaffenden“ arbeiteten mit Sklavenhändlern eng zusammen. Fast alle großen (und weniger großen)81 europäischen Seefahrer- und Handelsnationen – besonders Spanien, Portugal, Frankreich, England und die Niederlande – beteiligten sich daran. Der Sklavenhandel war über Jahrhunderte weltweit einer der lukrativsten Handelszweige überhaupt. Der Aufstieg zur Großmacht, Kolonien und Sklavenhandel bedingten sich gegenseitig. Frankreich trat in den internationalen Sklavenhandel Mitte des 17. Jahrhunderts ein.82 Die Sklaven wurden hauptsächlich in den französischen Kolonien eingesetzt, es war aber noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in adeligen Familien üblich, sich afrikanische Sklaven zu halten. Theoretisch abgeschafft wurde die Sklaverei 1794 im Zuge der Französischen Revolution, endgültig allerdings erst 1848.83 Die offiziellen Regelungen zu Hause wurden von allen europäischen Großmächten in ihren Kolonien anders gehandhabt. Deshalb

80 81 82

83

CSG 08, 1818, fol. 70, to Consul Warrington, Tripoli. Hier sei nur ein Schweizer Beispiel angeführt, die Liste ließe sich international endlos fortsetzen: David u. a.: Schwarze Geschäfte. Ludwig XIV. erließ 1685 den ,,Code Noir“, der den Umgang mit Sklaven bestimmte und bis 1848 in Kraft blieb. Plumelle-Uribe: Weiße Barbarei; Plumelle-Uribe: Traite des Blancs, traite des Noirs; Sala-Molins: Le Code Noir ou le calvaire de Canaan. Frank: The Routledge Historical Atlas of the American South.

4. Vom Mare Nostrum zum Mare Liberum zum Mare Britannicum

463

blieb der Sklavenhandel auch nach der offiziellen Abschaffung der Sklaverei in Europa in den europäischen Kolonien bestehen. Der mediterrane Sklavenhandel wurde bis ins 19. Jahrhundert, teilweise sogar noch darüber hinaus betrieben. Menschen aus Europa, Asien und Afrika wurden im Mittelmeerraum von ihren Schiffen verschleppt, es wurden aber auch Siedlungsgebiete entlang der mediterranen Küste überfallen. Die Verschleppten wurden verkauft oder dienten als Pfand für Lösegeldforderungen.84 Zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist immer noch Sklavenhandel in Malta dokumentiert, auch wenn der zuständige britische Gouverneur auf eine entsprechende Nachfrage aus London antwortet, die Informationen über den Verkauf ,,schwarzer“ Kinder in Malta seien falsch. Er windet sich in Erklärungsversuchen, wie die vielen dunkelhäutigen Diener in maltesische Dienste geraten sein könnten, bemüht sich, die Zahlen, die London offensichtlich zugeflüstert worden waren, nach unten zu korrigieren und appelliert schließlich an Londons Empathie, da es so schwer sei, Bedienstete zu bekommen; sie seien teuer, weshalb man auf ,,schwarze“ Diener ausgewichen sei – dass sie irgendwann in grauer Vorzeit ge- oder verkauft worden waren, könne er allerdings nicht vollends ausschließen: (. . . ) Having complied with your Lordship’s directions, it is with much satisfaction I can now assure you that the whole number of Negro Servants residing in this Island and its Dependencies has never exceeded from one hundred to one hundred and fifty. The information therefore conveyed to the African Institution, your Lordship will observe, is far from being correct; and I know not how to account for the error into which Mr. Macintosh has been led otherwise than by supposing that the Cargo of Negroes to which he alluded may have been composed of persons of that description destined for the service of the Barbary States, or passing (as frequently happens), to some part of Africa from a pilgrimage to Mecca. It appears indeed that in consequence of the unprecedented rise in the price of labor, the wages of servants have of late years increased to such a degree as to have induced some individuals to employ in the service of their respective families Negro servants from Alexandria, but although they may originally have been purchased, as I believe to have been the case, I am not aware that they have ever been considered or treated as Slaves here; and certainly No attempt has on any occasion been made to transfer such persons by Public Sale, or otherwise. The practice, however, even in this modified shape, your Lordship will readily believe I could not approve, and it was with peculiar satisfaction I found myself authorized to put an end to what was otherwise sanctioned by the Laws and former usages of the Island.85

Doch die meisten Korrespondenzen, in denen es um Sklaven geht, drehen sich um gekaperte oder gestrandete oder pestverseuchte Schiffe, so einer der vielen Briefe Maitlands an Lenghorne: 84 85

Davis: Christian Slaves, Muslim Masters. GOV 01, 1812, Oakes to Bathurst, Negro slave children sold at Malta (information given to Home government is totally erroneous), fol. 187f.

464

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

(. . . ) that I have received intelligence from Tripoli that a vessel called La Mar Mabruca or the Fortunato, commanded by Captain Amura Murali furnished with a passport by the Pro Consul of Sweden at Smyrna, had anchored at Tripoli on the 4th instant from Smyrna that it appears eight persons had died of the Plague on board of her during the voyage, and that in consequence she had been ordered away from Tripoli by the Bashaw. This vessel had eighteen sailors on board and two condemned slaves, and as it is doubtful to what Port she had proceeded, I think it proper to make this report to you for the information of His Majesty’s ships and vessels under your command.86

Obwohl schon dem Brief von Oakes aus dem Jahre 1812 aufgrund seines entschuldigenden Tons zu entnehmen ist, dass die britische Regierung Sklavenhandel oder Sklavenhaltung nicht billigte, wird gleichzeitig deutlich, dass es sich nach wie vor um übliche Praxis handelte. Sogar noch 1818, als die Korrespondenzen Maitlands unmissverständlich klar machen, dass die Briten weder Piraterie noch Sklavenhandel zu dulden gewillt sind, entgeht einem aufmerksamen Leser nicht, dass dies nach wie vor ein Problem darstellte, das bei weitem nicht nur die nordafrikanischen Staaten betraf. Maitland hatte in einem seiner Briefe bemerkt, er hoffe sehr, es möge zu keinen Vorfällen kommen, die den nordafrikanischen Herrschern Grund zur Klage über britische Schiffe geben würden. Weiter ist dem folgenden Brief zu entnehmen, dass die neue britische Haltung nicht nur bei den Nordafrikanern Erstaunen auslöste, sondern auch bei den eigenen Seeleuten. To Consul Warrington, Tripoli: (instructing him to refuse all licenses to British subjects for the purpose of slave trade) Malta, 11. 3.1818 relating to a Tripoline corvette having brought in three more prizers without their crews; about giving passports to sailors under the British Flag to trade in Slaves; (...) On this last subject, I cannot reply officially: But in the meantime and until you receive an answer from Sir Thomas Maitland, you are fully authorized to refuse all such passports; as after the sacrifice we have made, and are now making, to abolish that trade, it can never be the intention of Government to afford the smallest Encouragement or Countenance to it in any part of the world. Believe me (signed Richard Plasket)87

Der britische Konsul in Tripolis wurde offensichtlich um Passierscheine für Sklaventransporte gebeten. Da ihm der neue Kurs der britischen Regierung bekannt war, wagte er zwar nicht, diese Passierscheine ohne Rückversicherung auszustellen, es kam ihm aber auch nicht in den Sinn, ein solch lukratives Geschäft einfach abzulehnen. Wie weit verbreitet die Verwunderung über 86 87

CSG 06, 1814, to Lenghorne, fol. 21. CSG 08, 1818, to Warrington, Tripoli, fol. 68.

4. Vom Mare Nostrum zum Mare Liberum zum Mare Britannicum

465

derartige Verbote war, zeigen die beiden abschließenden Worte von Richard Plasket, der Sir Thomas Maitland in seiner Abwesenheit vertrat: Es ist der einzige Brief dieser Sammlung, der mit ,,Believe me“ endet. In den Debatten über das Verbot des Sklavenhandels im England des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts wurde nicht nur über das Leiden jener diskutiert, die versklavt und aus Afrika verschifft wurden, sondern auch über die Auswirkungen des Sklavenhandels auf jene, die in Afrika zurückblieben. Die Abolitionisten vertraten die Meinung, der Sklavenhandel hemme die Entwicklung der afrikanischen Gesellschaften. So sah zum Beispiel 1789 William Wilberforce im Verbot des Sklavenhandels eine Art Reparationsleistung für den Schaden, der Afrika durch den Handel entstanden war. Auch die jüngsten Forderungen nach Wiedergutmachung für den Sklavenhandel beinhalten den Wunsch nach Kompensationszahlungen an Afrika (und weniger etwa an die Nachfahren der Versklavten). Der Sklavenhandel wird dabei als einer der historischen Hauptgründe für Unterentwicklung und Armut im heutigen Afrika dargestellt.88 Sir Thomas Maitland starb 1824 in Malta.89

88

89

Law: The Impact of the Atlantic Slave Trade upon Africa; Law: Between the Sea and the Lagoons; Law: The Slave Coast of West Africa 1550–1750; Law: Source Material; Law: Ouidah the Social History of a West African Slaving ,,Port“ 1727–1892; Law u. a.: From slave Trade to ’Legitimate’ Commerce; Law u. a.: The Biography of Mahommah Gardo Baquaqua. Dixon: The Colonial Administrations, S. 200.

5. Fakt und Fiktion: Beherrschende Diasporagruppen Einzigartig an der Frage nach Diasporagruppen – der grenz- und themenübergreifenden Frage dieses Buches – in Malta ist der Umstand, dass es sich hier um herrschaftliche bzw. nach Herrschaft strebende Diasporagruppen handelte. Es dominiert nicht, wie in den anderen Kapiteln, die Frage nach Integration und nach Anpassungsstrategien zugewanderter Fremder, sondern jene nach Herrschaft und nach Unterwerfungsstrategien. Bei den Diasporagruppen, die die Maltesische Inselgruppe umkämpften und besetzten, handelt es sich um Menschen, die Teil größerer machtpolitischer, religiöser und wirtschaftlicher Systeme waren, sozusagen als Speerspitze dieser Systeme ihre Macht zu behaupten und zu erweitern versuchten. Der legale wie auch illegale Seeraub gehörte zu ihren Unterwerfungsstrategien, ebenso der Kampf gegen ihn. Bei den Rittern handelte es sich um eine aristokratische Diasporagruppe aus allen Ecken und Enden Europas. Ihre Existenz und Niederlassung wurde nicht von einladenden Privilegien bestimmt, wie zum Beispiel bei Kaufleuten, sondern von ihrer Macht, ihren militärischen Erfolgen und Niederlagen. Diese Diasporagruppe erkundigte sich nicht nach den politischen und wirtschaftlichen Bedingungen vor Ort, da sie diese selbst zu gestalten beabsichtigte, sondern nach den militärisch-strategischen. Demselben Muster folgten die Franzosen mit ihrer kurzen Präsenz, schließlich die Engländer. Das Schicksal, von Diasporagruppen regiert zu werden, ertrug die maltesische Bevölkerung bis ins 20. Jahrhundert.1 Gehörte der Seeraub – neben Diplomatie, gesundheitstechnischen und verschiedenen administrativen Regelungen, positiven wirtschaftlichen Aktivitäten, Jurisdiktion, Steuer- und Bildungswesen – zu den Unterwerfungsstrategien beherrschender oder nach Herrschaft strebender Diasporagruppen, so war er andererseits (ebenfalls legaler oder illegaler) Teil der Strategien anderer Herrscher, diesen Machtstrategien etwas entgegen zu setzen; auch verschiedener Bevölkerungsgruppen – lokaler wie diasporischer –, sich diesen Bestrebungen und Herrschaftsansprüchen, Armut, Not und Abhängigkeit zu entziehen. Der Habitus dieser beherrschenden Diasporagruppen, die oft als Söldner dem einen oder anderen Herrn dienten, war in verwirrenden und sich verschiebenden oder nivellierenden Loyalitäten verortet. Dem Auftraggeber im Grunde nicht untreu gesinnt, konnte die Treue in neutrale Passivität umschlagen, wenn das vorgegebene Angriffsziel ebenfalls einen Teil der ritterlichen Ergebenheit für sich beanspruchen konnte; oder wenn persön1

Schembri: Malta and Russia Connection, S. 11.

468

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

liche wirtschaftliche Überlegungen und Eigeninteressen vor einem Angriff, einer ordentlichen Verteilung der Beute oder einem Nichtverkaufen der eigenen Mannschaft warnten, und der persönliche kaufmännische Instinkt von zu viel Loyalität dem Auftraggeber gegenüber abriet. Es ist eigentlich eine logische Konsequenz dieser verkehrten Welt, in der Diasporagruppen mit Beherrschungsstrategien versuchten, die lokale Bevölkerung zu unterwerfen, dass jene Institution, die in anderen Hafenstädten Diasporagruppen und ihre Interessen vertrat – universitas bzw. nazione – hier ein Synonym für den consiglio popolare war, den ,,Volksrat“, der die Interessen der Einheimischen zu schützen versuchte, aber ohne wirkliche politische oder gar militärische Macht.2 In diesem Modell der Freiheiten und Unfreiheiten können strukturell nicht zuletzt auch die Freihafenstädte angesiedelt werden. Durch ihren freiheitlichen Status, der ihnen offiziell verliehen wurde, rückten viele Städte der nördlichen Mittelmeerküste und der Adria seit dem frühen 18. Jahrhundert in die Nähe ähnlicher Freiheiten, wie sie nordafrikanische Herrscher für ihre Städte geschaffen hatten. Indem man sie mit einem freiheitlichen Status aus der generell angewandten Jurisdiktion ausgrenzte und Sonderregelungen unterstellte – sie zum porto franco, zum ,,offenen Hafen“ machte –, wurden diese Freihandelszentren gleichsam entgrenzt und in vielfacher Hinsicht in alle Richtungen geöffnet. Durch ungleiches Recht schuf man eine Art Toleranzzentrum, das insbesondere jene Gruppen von Menschen anlockte, die ihre Aktivitäten jeweils an Orte verlagerten, die den größten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Profit versprachen, oder vor dem Gesetz oder vor Verfolgung in anderen Gebieten auf der Flucht waren.3 Die wahrhaft entgrenzten, gleichsam ,,isolationsfreien Zonen“ waren die Schiffe von Piraten, unkontrollierte Stützpunkte an Land oder Schmugglernetzwerke, die Begrenzungen jeglicher Art ignorierten. Die Korrespondenzen, die die ersten beiden Jahrzehnte britischer Herrschaft in Malta dokumentieren, zeigen die Schwierigkeiten aber auch Möglichkeiten eines transnationalen Ansatzes für die Untersuchung sich überlagernder und überlappender gesellschaftlicher Verknüpfungen über staatlich-nationale Grenzen hinweg.4 Es stellt sich zugleich die schwierige Aufgabe, die Untersuchungsräume immer neu bestimmen und sich mit den Kriterien für eine plausible Eingrenzung befassen zu müssen. Historische Phänomene wie die Piraterie können nur in transnationalen Raumkonzepten angemessen untersucht werden, da sie sich in einer übernationalen Dimension entwickelt haben, vor allem aber auch, da es der Inbegriff des Piratendaseins war, quer zu politischen Grenzen zu arbeiten und vom Kampf um Macht und Einfluss einzelner Staaten untereinander zu profitieren. Im 2 3 4

Dixon: The Colonial Administrations, S. 135f. Siehe ausführlich dazu den Beitrag von Patrick Krebs in diesem Band. Werner u. a.: Vergleich, Transfer, Verflechtung.

5. Fakt und Fiktion: Beherrschende Diasporagruppen

469

Übrigen entspricht ein solches Raumverständnis jenem der Seeleute jener Zeit, die sich nach den sogenannten Portolanos orientierten, nach Seekarten, die eine politische Aufteilung der Welt bestenfalls andeuteten. Die Piraterie hat im 21. Jahrhundert immer noch Hochkonjunktur, wiederum dort, wo Herrschaftsstrukturen nicht vorhanden, umstritten oder schwach sind.5 Bei diesem viele Jahrhunderte, ja Jahrtausende überdauernden Phänomen überrascht es nicht, dass es sich auch in der Historiographie großer Beliebtheit erfreut.6 Eher erstaunlich ist die glorifizierende Tendenz, mit der dieses blutige Handwerk in Literatur, Film und Spielzeugindustrie in ein harmloses Licht gerückt wurde und wird; eine Verharmlosung, die mit den historisch rekonstruierbaren Fakten wenig gemein hat. Die Fiktion ist begleitet von einer ausufernden Piratenromantik, im Internet nimmt das Stichwort ,,Pirat“ kein Ende: DVD’s, Bücher, Brettspiele, Computerspiele; von der Kinder- und Erwachsenenliteratur ganz zu schweigen. Es gibt PlaymobilPiraten mit ganzen Piratenschiffen, Piratenstützpunkten und zusammensetzbaren Piratenschätzen. In Hollywood gehören die Piraten und die Korsaren ebenfalls zu den beliebtesten Motiven. Viele männlichen Schauspieler von Rang und Namen haben einen solch Gesetzlosen der Meere schon einmal verkörpert.7 In Literatur und Film, der Populärkultur, die das westlich-christliche kollektive Gedächtnis begründet und gestaltet, ist eine große Diskrepanz zwischen Fakt und Fiktion entstanden. Dieser Umstand legt die Frage nahe, wie sich die Beliebtheit dieser vielen fiktiven Piraten erklären lässt und welche Wünsche, Gefühle oder Vorstellungen in diese Protagonisten projiziert werden. Vom 16. bis ins 18., ja sogar noch bis ins 19. Jahrhundert galten die Piraten als die Schrecken der Meere – wie wir aus unzähligen fiktiven Erzählungen und romantischen Verfilmungen mit äußerst attraktiven Darstellern wissen.8 Allerdings lässt sich nur der erste Aspekt dessen, was Hollywood uns zunächst in Schwarzweiß und dann in Farbe gelehrt hat, auch historisch belegen: Piraten waren in der Tat die Schrecken der Meere. Die Archive sind voller Zeugnisse, die von ihren Aktivitäten berichten.9 In Bezug auf ihr äu5 6 7

8 9

Mag sie auch neuere Formen angenommen haben – Raubkopien, Plagiate –, ist doch auch die klassische Piraterie immer noch präsent, so jüngst an der Küste von Somalia. Bei den zahlreichen Werken in der Bibliographie handelt es sich um eine Auswahl. Zuletzt recht erfolgreich Johnny Depp im (bislang) Vierteiler ,,Pirates of the Caribbean“ der Jahre 2003 bis 2011, zuvor Anthony Quinn, Yul Brynner, Charlton Heston, Burt Lancaster, Errol Flynn. Jaeger: Pirates à l‘affiche, S. 89, 159; Konstam: Piraten, Seeräuber, Freibeuter, S. 15. Eine gute Übersicht über Piratenverfilmungen findet sich in Jaeger: Pirates à l’affiche. Einführend in die Geschichte der Piraterie siehe Cordingly: Unter schwarzer Flagge; Dampier u. a.: Freibeuter 1683–1691; Lapouge: Piraten. Seeräuber, Freibeuter, Bukaniere; Piraten – Abenteuer oder Bedrohung? Hg. von Roder; Rediker: Between the Devil and the Deep Blue Sea; Coulet du Gard: La course et la piraterie en Méditerranée; Stewart u. a.: Piraten, das organisierte Verbrechen auf See; Thomson: Mercenaries, Pirates and Sovereigns; Fuhrmann-Plemp van Duiveland: Der Untergang der Batavia.

470

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

ßeres Erscheinungsbild muss die Filmindustrie aus historischer Perspektive dezidiert korrigiert werden. Der französische Abbé Jean Baptiste du Terre beschrieb um 1670 die Bukaniere im Hinterland Hispaniolas als ,,Fleischergesellen von der übelsten Sorte, die acht Tage im Schlachthaus zugebracht und sich nicht gewaschen haben“.10 Du Terre wies mit seiner Beschreibung nicht nur auf die mangelnde Hygiene hin, sondern sehr wohl auf die konkreten Begleitumstände des Piratenberufs; er sprach nicht etwa von ,,Schweinen“ oder ,,Schweinetrog“, sondern von ,,Fleischergesellen“ und ,,Schlachthaus“. Das gängige Bild eines Piraten erinnert an den verdrängten Traum von Rebellion gegen gesellschaftliche Zwänge und nährt Visionen von einem Leben in der Gemeinschaft freier Männer. Die Annahme, es handle sich bei Piraterie um eine Form des sozialen Protests, hat sicherlich der Phantasie Tür und Tor geöffnet und ist Grundlage für die einzigartige Varietät an Fiktion, die um eben dieses Thema kreist und das ,,freie“ Piratendasein zu einer exzellenten Projektionsfläche macht. Bei allen übergreifenden Strukturen sind jene des sozialen Protests am wenigsten überzeugend. Am ehesten ließe sich sozialer Protest im Zusammenhang mit Meuterei ins Piratendasein interpretieren, doch auch hier kann man ebenso gut von schierer Verzweiflung ausgehen.11 Konkreter: Die ideologische Grundlage, auf der andere soziale Protestbewegungen gründeten, fehlte vollends. Natürlich lässt sich ebenso der umgekehrte Schluss ziehen: Es bedarf keiner ideologischen Grundlage, damit Menschen sich gegen unerträgliche Verhältnisse zur Wehr setzen; es bedarf überdies keiner besonderen Ideologie oder Überzeugung, damit sich Menschen auch völlig ohne Notlage auf Kosten anderer bereichern. Aber es ist aus historiographischer Perspektive fragwürdig, bestimmten historischen Phänomenen Beweggründe zu unterstellen – soziale Auflehnung – die erst mit dem ideologischen Instrumentarium späterer Jahrhunderte in frühere hinein interpretiert werden können. Am ehesten ließe sich von einer religiös definierten ideologischen Rechtfertigung sprechen, insbesondere im Falle der christlichen Ritter. Die gemeinsamen Strukturen über Jahrhunderte, die viel besser dokumentiert sind, sind die variablen und sich verschiebenden Verbindungslinien zwischen Seeraub, Staat, Souverän und Gesellschaft – im Falle der San Stefano oder Malteser Ritter gehörte der Raub zur See sogar zu ihren Grundaufgaben im Mittelmeerraum, und der Schutz von Christen und die Schädigung von Muslimen galt als eigentliche Legitimation ihrer Existenz. In Wirklichkeit war aber selbst die Bastion der Christenheit im Mare Nostrum – Malta – unter häufig wechselnden politischen Prämissen nur bedingt eine Bastion der Christenheit, noch bedingter die des Katholizismus. Französische und englische Schiffe transportierten schon im 17. Jahrhundert gerne und oft muslimische Passagiere und Ware; die katholischen Malteser Ritter suchten 10 11

Bohn: Piraten, S. 43. Konkreter zu Meuterei als ein Weg in die Freiheit siehe Bono: Piraten und Korsaren, S. 278.

5. Fakt und Fiktion: Beherrschende Diasporagruppen

471

Schutz beim christlich-orthodoxen Russland; schließlich wurde Malta vom eigentlich katholischen Frankreich besetzt, ohne Rücksicht auf die katholischen Ritter und kam dann unter die anglikanische Herrschaft Englands. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wirkten das wiederum erstarkte Frankreich, das noch sehr junge Deutsche Kaiserreich (1871–1918), ÖsterreichUngarn und immer noch Russland im Mittelmeerraum,12 und konkurrierten mit Großbritannien um Macht und Einfluss, während die USA noch keine große Rollte spielten. In der Geschichte der Levante zwischen 1840 und 1948 gewann Palästina, während Jahrhunderten eine unbedeutende Provinz des Osmanischen Reichs, durch den Kampf der Großmächte um Präsenz in der östlichen Region des Mittelmeers international an Bedeutung. Zugleich wurden nationalistische Gefühle der lokalen Bevölkerung geschürt, was zu einem Klima der Gewalt führte.13 Die europäischen Großmächte – Frankreich, Deutschland, ÖsterreichUngarn, Russland, England und Holland – waren nun nicht mehr in erster Linie an einer wirtschaftlichen Interaktion interessiert, wie zuvor Spanien, Portugal oder die italienischen Stadtstaaten, sondern arbeiteten sehr wohl auf eine nationalstaatliche Aufteilung des Gebiets zu. Sie wirkten mit ihren religiösen, karitativen und wissenschaftlichen Einrichtungen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts im osmanischen Syrien und Palästina, aber auch an der Nordküste Afrikas, in Malta oder der seit Beginn des 19. Jahrhunderts stark umkämpften Peloponnes. Dieser Umbruch zu kolonialem Streben zeigt sich an der Grundeinstellung gegenüber der lokalen Bevölkerung. Es zeichnet sich ein Wandel von pluralen, multiethnischen und -religiösen Imperien hin zu nationalstaatlichen Bestrebungen ab. Die europäische Präsenz im geschwächten Osmanischen Reich erfuhr eine krasse Wende. Diese Europäer mit ihren neuen ,,nationalen“ Selbstverständnissen waren nicht um Assimilation an Land und Leute bemüht, um ihre wirtschaftlichen Interessen möglichst gut vertreten und verteidigen zu können, sondern versuchten im Gegenteil, sich die Fremde anzueignen, auch – ja als erstes – kulturell, um schon bald eine politische, wirtschaftliche und militärische Aneignung zu versuchen.14 Diese verwirrende großmachtpolitische Komplexität spiegelt sich in der Welt der Piraten oder Korsaren, die nur bedingt eine Parallelwelt darstellte – schon gar nicht eine Gegenwelt –, da sie mit den Strukturen eines legitimen Staatswesens eng verwoben war. Aus den Unterlagen zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist zwar nicht ersichtlich, welchen Stellenwert die Kaper für den maltesischen bzw. britischen Staatshaushalt hatte: Es steht aber fest, dass Dutzende von Schiffen zur legitimen Beute verurteilt wurden, darüber hinaus 12 13 14

Dominique Trimbur: Introduction: entre politique, science et religion: des Européens au Levant. In: Europäer in der Levante, S. 7–15. Dominique Trimbur: Aperçu historique du Levant, 1840–1948. In: Europäer in der Levante, S. 17–30. Europäer in der Levante. Hg. von Trimbur.

472

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

hatten die Briten vor allem während der Napoleonischen Kriege offensichtlich Hunderte von Passierscheinen und Kaperbriefen ausgestellt. In den Archivmaterialien sind viele mit Piraterie verknüpfte Themenkomplexe zu finden: An erster Stelle steht der Loskauf von Gefangenen: Verhandlungen mit Konsuln, die bei solchen Gelegenheiten in der Regel zugezogen wurden, Briefe der Parteien, die gekidnappte See- oder Kaufleute, Soldaten oder Gesandte gefangen hielten. Es folgen Berichte über Kaper, schließlich Berichte und Korrespondenz, die Schiffbruch dokumentieren. Meist handelt es sich um Versicherungsgesellschaften, die mit Hilfe von Piraten geprellt wurden. Eine wichtige Quelle sind Berichte von Seeleuten wie auch Briefe von Sklaven. Diese Briefe wurden von Sklavenhaltern in der Regel zugelassen, da die Gefangenen Verwandte oder Freunde, den Pfarrer oder die heimischen Behörden um ihren Loskauf ersuchten. Allerdings handelt es sich bei diesen Briefen um eine Gratwanderung zwischen Fakt und Fiktion, da die Sklaven sich offensichtlich bemühten, die Briefe so zu gestalten, dass die Angehörigen oder die zuständigen Autoritäten daheim ihre missliche Lage zwar begreifen konnten, andererseits aber ihre neuen Herren nicht in ein allzu schlechtes Licht gestellt wurden. Die Sklavenhalter waren an diesen Briefen und ihrer Wirkung ebenfalls interessiert, zumal wenn ihr Interesse einem Lösegeld und nicht der Sklavenarbeit galt. Weitere Zeugnisse sind unter Folter entstandene Gerichtsprotokolle verurteilter Piraten und Piratinnen, dann die Schiffe selbst: Schon die Gestalt der Schiffe zeigt, welchen Zweck sie zu erfüllen hatten. Schließlich dokumentieren Fluchformeln gegen Piraten und andere sprachliche Wendungen wie zum Beispiel ,,Soldatensold“, damit sind Lösegeldforderungen gemeint, ihre Existenz. Quellen aus mediterranen Archiven berichten über Jahrhunderte von Piratenschiffen, Gefangenenaustausch und Ablösesummen. Viele Räuber segelten im Auftrag des einen oder anderen Herrschers unter offizieller Flagge, andere frei und unabhängig, ohne offizielle politische Zugehörigkeit.15 Die Besatzung dieser Korsarenschiffe war meist ebenso multiethnisch und -religiös zusammengesetzt wie die Kaufmannsschicht der Hafenstädte. Es geht demnach um

15

Die Quellen zu diesem Problemkreis sind umfangreich, u. a. zum Beispiel Archivio di Stato, Triest, C.R.S. Intendenza Commerciale per il Litorale in Trieste 1748–1776, Rubrica I, Pubblico-Politico, Nr. 200 (,,Azioni di disturbo marittimo dei Veneziani 1597–1600“), Nr. 202 (,,Violenze veneziane e dazio imposto da Venezia 1618–1644“); Archivio di Stato, Triest, C.R.S. Intendenza Commerciale per il Litorale in Trieste 1748–1776, Rubrica II, Commerciale, Nr. 261 (,,Consolato austriaco a Ragusa 1756–1765 und 1765–1772, Nr. 371 (,,Arresto del corsaro Marco Lucovich 1760“), Nr. 473 (,,Navi corsare 1758–1760“). Siehe ausführlich zur Versklavung durch Piraten neben Bono und Ciano auch: Daudin: Profitability of Slave and Long-Distance Trading; Earle: Corsairs of Malta; Fisher: Barbary Legend; Lapouge: Piraten. Seeräuber, Freibeuter; Piraten. Abenteuer oder Bedrohung?; Vissière: Les pères trinitaires.

5. Fakt und Fiktion: Beherrschende Diasporagruppen

473

sozial-berufliche Interessen und Schichtungen, nicht um territorial-staatliche Zugehörigkeiten.16 Nach allem, was über das tatsächliche Piratendasein bekannt ist, kann der Piraten-Mythos unmöglich aus vergangenen Realitäten erwachsen sein. Die Lebenserwartungen der Piraten waren aufgrund ihrer Lebensgestaltung minim, es drohten die unruhige See, Seeschlachten, Gefangennahme und Hinrichtungen, sobald sie als politisch nicht mehr notwendig oder sogar als kontraproduktiv eingeschätzt wurden. Sicherlich spielen bei der projizierten Piratenromantik Abenteuerlust, die weite Welt und Entdeckungsreisen eine Rolle. Die Verherrlichung der Piraterie in Literatur und Film könnte aber noch mit weiteren Faktoren zusammenhängen. Eines der Motive, das dem Piratendasein zugeschrieben wird, ist Freiheit – und hier liegt wohl auch der Kern des Piraten-Mythos begründet, der das Piratendasein zur Projektionsfläche unzähliger Wunschvorstellungen werden ließ. Die Aussicht, mit dem Raub zur See in kurzer Zeit reich zu werden und sich einen sorglosen Lebensabend zu ermöglichen, ist ebenso Teil der Piratenromantik wie ein gesellschaftlicher Aufstieg, der gerade in England erfolgreichen Freibeutern tatsächlich vergönnt war – Piraten, die auf eigene Rechnung arbeiteten, allerdings nicht. Was aber auch diesen als Möglichkeit blieb, bei der relativ straff organisierten Ständegesellschaft ebenfalls nicht wenig verlockend, war der gesellschaftliche Ausstieg. Und dieser war auch – und erst recht – unabhängig agierenden Piraten offen. Es blieb allerdings bei einem vordergründigen Pseudo-Ausstieg, da Seeräuber einen Teil der Gesellschaft bildeten, ohne diese nicht existieren konnten – und manchmal die Gesellschaft auch ohne sie nicht; sie also vielmehr die Gesellschaft mit ihren strikten Normen nicht verließen, sondern entgrenzten und dadurch erweiterten. Es lässt sich ein Robin Hood-Mythos ausmachen, zum einen in großräumlich internationalen Bezügen: Privateers schädigten die reichen Spanier und unterstützten die an sich noch völlig unbedeutenden Engländer oder Holländer; zum anderen regional in alltagshistorischer Perspektive: Die armen mediterranen Fischer besserten ihre Lebensbedingungen etwas auf, indem sie als Piraten von reichen Kaufleuten nahmen, was sie brauchten. Es folgt der Gründungsmythos des British Empire: Freibeuter haben eine 16

Archivio di Stato, Triest, C.R.S. Intendenza Commerciale per il Litorale in Trieste 1748– 1776, Rubrica II, Commerciale, Nr. 473f. (,,Navi corsare 1758–1760, 1760–1762, 1762– 1765, 1765–1775“). Einführend zur Geschichte der Sklaverei siehe Davis: The Problem of Slavery in the Age of Revolution; Davis: Christian Slaves, Muslim Masters; Delacampagne: Die Geschichte der Sklaverei; Eltis u. a.: The Abolition of the Atlantic Slave Trade; Erdem: Slavery in the Ottoman Empire; Lovejoy: Slavery on the Frontiers of Islam; Marteilhe: Mémoires d’un galérien du Roi-Soleil; Meillassoux: Anthropologie de l’esclavage; Orsoni-Avila: Les esclaves de Lucena; Panis: Le chemin de fer de la Méditerranée au Niger; Peabody: ,,There are no slaves in France“; Phillips: Slavery from Roman Times; Sagaster: ,,Herren“ und ,,Sklaven“; Vigié u. a.: Les galériens du roi; Walvin: Slavery and the Slave Trade; Zysberg: Les galériens.

474

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

große Rolle bei der weltweiten Expansion Englands gespielt. Wenn man sich vor Augen hält, mit welchen Problemen Ludwig der XIV. von Frankreich mit seinen hauptsächlich maltesischen Offizieren und Kapitänen konfrontiert war, dann ist die Begeisterung für die englischen Privateers angesichts ihrer klaren Loyalität (außer wenn sie sich selbständig machten und ohne Kaperbriefe operierten) und ihres Draufgängertums aus britischer Perspektive durchaus verständlich. Die Piratenfahne schließlich steht für die Kreativität und Unabhängigkeit des herrenlosen Individuums und bietet Spielraum für freie Entfaltung. Der wichtigste Punkt scheint in der europäisch-westlichen Rezeption des Piratendaseins auf jeden Fall die Fiktion der Freiheit zu sein: Die Idee, es handle sich um eine Protodemokratie, die erfolgreiche Auflehnung gegen Herrschaft; danach Egalität bei gleichzeitiger Disziplin, die wegen der vielen Gefahren auf See absolut notwendig war; aber es handelte sich doch um selbstgewählte Unterwerfung unter ein hierarchisches System. Die Verklärung des Piratendaseins mag auch in der Travestie und dem Rollentausch begründet sein, die einige Forscher nachgewiesen haben – sei es der Prunk, dem männliche Piraten frönten, seien es Piratinnen, die sich wie Männer kleideten – und diese Äußerlichkeiten als gelebte Homosexualität interpretierten; und als Drang nach Freiheit, eine Auflehnung gegen geltende Normen.17 Dies mag in Einzelfällen zutreffen, doch geht es auch hier vielmehr um soziale Schichtungen, um die Nivellierung der Geschlechtszugehörigkeit bei Frauen und um den sichtbaren Ausgleich bzw. Tausch von Arm und Reich. Ohne den Wechsel in die andere Geschlechtskategorie, d. h. in Männerkleidung und somit in das seetüchtige, in das zur See zugelassene Geschlecht, hätten Frauen gar keine Piratinnen werden können. Die Travestie der Männer ist sogar noch banaler und einfach zu erklären. Die lukrativsten Angriffsziele waren spanische und portugiesische Schiffe. ,,Travestie“ erfolge automatisch – und bedurfte keines besonderen Travestie-Konzeptes oder ausdrücklichen Wunsches nach Verwandlung –, sobald sich die Piraten an der Beute gütlich taten: Übermäßiger, heute ,,weibisch“ anmutender Prunk entsprach schlichtweg der erbeuteten iberischen Mode. Bei Rollentausch und Travestie handelte es sich eher um einen Wechsel zwischen sozialen Schichten oder Kulturen und ihren äußeren Emblemen, nur ausnahmsweise zwischen visuellen Gender-Attributen, und dies im Falle von Frauen, die sich als Männer ausgaben.18 17 18

Burg: The Buccaneer Community, Kapitel ,,Homosexual Association and Identification“, S. 219–221. Insbesondere im 17. Jahrhundert, zur Zeit Ludwigs des XIV., war es nichts Ungewöhnliches, sich eklatant extravagant (,,homosexuell“) zu kleiden. Virtuos spielt Roman Polanski in seinem Spielfilm ,,Pirates“ aus dem Jahre 1986 mit dem krassen Unterschied zwischen der spanischen Noblesse und den englischen harten Kerlen (die er ausgesprochen sympathisch zeichnet, was durch die Wahl von Walter Matthau in die Hauptrolle kaum anders möglich war). So ist es auch hier in erster Linie der Unterschied zwischen

5. Fakt und Fiktion: Beherrschende Diasporagruppen

475

,,Irrwitzige Schilderungen“ über grauenhafte Folterungen, die durch angreifende Piraten drohten, erfreuten sich in Europa eines ebenso begeisterten Lesepublikums wie freiheitliche Heldensagen. Akte bestialischer Grausamkeit wurden ebenso in allen Einzelheiten überliefert, wie auch Geschichten über das gerechte, da tragische Ende einzelner Piratenkapitäne, die sich durch besondere Grausamkeit ihren Gefangenen gegenüber ausgezeichnet hatten. Hier griff man gern auf das im 17. Jahrhundert verbreitete Topos der menschenfressenden Wilden zurück: So soll der grausamste aller Grausamen, der aus der Bretagne stammende Bukanier Jean David Nau, genannt François l’Ollonais, Indianern in die Hände gefallen sein, die ihn zerteilt und die einzelnen Stücke seines Körpers auf Öfen gegrillt und verspeist haben sollen.19 Grausamkeiten, insbesondere der Europäer in Übersee, entsprechen durchaus historiographisch belegbaren Fakten, um Fiktion hingegen dürfte es sich bei den malerischen Narrativen handeln, die um die göttliche Gerechtigkeit wissen, die Piraten ein grausames Schicksal ereilen lässt – auch diese Fiktion, die vielen besonders phantasievollen Erzählungen zugrunde liegen mochte, hatte sich allerdings in vielen Fällen als Fakt erwiesen: Die Lebenserwartungen von Piraten waren aufgrund ihrer Lebensgestaltung minimal, es drohten die unruhige See, Seeschlachten, Gefangennahme und Hinrichtungen, sobald sie politisch nicht mehr notwendig oder sogar als kontraproduktiv eingeschätzt wurden. Robert Bohn nennt das Kapitel, in dem er sich mit diesen halblegalen, halb-illegalen wirtschaftlichen Machenschaften befasst, sehr treffend ,,auf der Schattenlinie“. Furchteinflößende Narrative – Schilderungen über grauenhafte Folterungen – schwächten die Kampfkraft der potentiellen Opfer

19

den sozialen Schichten, der ins Auge sticht. Die englischen Lords sind zwar etwas dezenter gekleidet als die spanischen, in ihrem Benehmen aber nicht minder exzentrisch gezeichnet. Es ist wichtig, jede Art von Quellen in ihrem historischen Kontext zu analysieren, soweit wir dazu in der Lage sind. Diese visuelle Überladung galt als angemessene Kleidung für einen spanischen Edelmann. Auf eine gelebte Homosexualität hingegen weist Artikel 3 der Piratenordnung, der – abgesehen von als Männer verkleideten Frauen – das Mitführen von Knaben verbietet. Doch auch hier wird es sich wohl eher um ,,Situationshomosexualität“ aufgrund der fehlenden Frauen gehandelt haben. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass liebende homosexuelle Paare der Zwangsheterosexualität an Land entflohen sind, indem sie sich zur Piratenfreiheit auf See entschlossen. Bei Frauen ist die Interpretation ihrer Travestie sogar noch eindeutiger: Es handelte sich um eine Zwecktravestie, da sie nur als Männer in den Krieg ziehen, reisen oder Pirat werden konnten. Bei den beiden berühmtesten Piratinnen ist ihre Heterosexualität sogar bezeugt. Die karibischen Piraten sollen gern Rollenspiele inszeniert und sich verkleidet haben. Sie ahmten Verhaftungen und Prozesse nach, hielten lange Plädoyers dafür und dagegen, die verhafteten Piraten zu hängen, wobei der Schluss gerne etwas überspitzt so gestaltet wurde, dass der Richter kurzerhand ein Machtwort sprach und die Angeklagten mit einer lächerlichen Begründung hinrichten ließ. Burg: The Buccaneer Community; Johnson: Lives of the most notorious Pirates, S. 155, 185f.; Klausmann u. a.: Piratinnen. Bohn, Piraten, S. 48f.

476

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

schon im Vorfeld. Die gleiche Funktion sprechen die meisten Autoren auch der Piratenfahne zu.20 Als Projektionsfläche bietet sich die Piraterie an, da sie in ihren facettenreichen Ausformungen nicht wirklich zu fassen bzw. zu definieren ist und ein weites Feld für Interpretationen öffnet. Da so viele Gesellschaftsschichten in den unterschiedlichsten Formen an ihr beteiligt waren oder von ihr profitierten, konnte sie nicht ausschließlich feindlich dargestellt werden. Ein wichtiger Grund für die heroische Verklärung von Piraten ist weiter der Umstand, dass sie vor der amerikanischen und der französischen Revolution eine der wenigen, wenn nicht die einzige Möglichkeit war, der Ständegesellschaft zu entkommen. Hierhin gehören wohl die Narrative über Piratenkapitäne, die auf irgendeiner Insel als absolutistische Autokraten walteten. Revolte, Widerstand gegen die Gesellschaft, Kampf um Freiheit, Selbstbestimmung des ,,kleinen Mannes“ – und in wenigen Fällen auch Befreiung von Frauen aus ihren gesellschaftlichen Fesseln – sind die gängigen Motive, die projiziert werden, aber auch Abenteuer auf See und ein ungezügeltes, sündiges Leben an Land; sie bildeten die Grundidee der freiheitlichen Narrative, die bis heute ein Kino- und Lesepublikum zu begeistern vermögen. Piraten bieten sich nicht zuletzt als Projektionsfläche an, da sie selbst – will man der Forschung glauben – keine Quellen hinterlassen haben. Die unter Folter entstandenen Gerichtsprotokolle sind bestenfalls sehr unfreiwillige Ego-Dokumente. Die von anderen überlieferten Narrative sind von allen möglichen Faktoren beeinflusst und mit einem ausschweifenden Erzählstil geschmückt. Die Piraterie bot Raum und Möglichkeit für Travestie und Rollentausch; sozial Unterprivilegierte konnten sich mit luxuriöser Beute schmücken, Frauen in Männerkleidern Piraten werden.21 Sie lebten die 20

21

Bohn, Piraten S. 96. Gerade in jüngster Vergangenheit wurden und werden allerdings in vielen Konflikten weltweit wieder Söldner eingesetzt. Im August 2010 entbrannten zum Beispiel in der Schweiz verschiedene Diskussionen um ausländische Söldnerfirmen mit Sitz in der Schweiz. Die Außenministerin Micheline Calmy-Rey hält es für angebracht zu prüfen, ob solche Söldnerunternehmen einer Kontrolle unterzogen und registriert werden sollten, nachdem bereits die Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf eine solche Bewilligungspflicht angesprochen hatte. Bezeichnenderweise handelt es sich um eine britische Söldnerfirma, die Anlass zu diesen Bedenken gegeben hat, die ,,Aegis Defense Services“ mit Hauptsitz in Basel. Private Militär- und Sicherheitsfirmen sollen mit einem weltweit gültigen Verhaltenskodex auf das humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte verpflichtet werden, so die beiden Bundesrätinnen, ein Verbot von Tötungen außer bei Notwehr, ein absolutes Folterverbot und ein Verbot des Menschenhandels sind die dringendsten Anliegen (Tagespresse und Medien im August 2010, u. a. Tagesschau und Neue Zürcher Zeitung). Die Söldnerfrge ist gerade in der Schweiz ein brisantes Thema, hatte doch das traurige Los von Schweizer Söldnern in fremden Diensten, die gegen einander kämpfen mussten, letztlich zur Schweizer Neutralität geführt (die Schlacht bei Marignano 1515 gilt als der entscheidende Wendepunkt). Cordingly: Women Sailors and Sailors’ Women; Klausmann u. a.: Piratinnen.

5. Fakt und Fiktion: Beherrschende Diasporagruppen

477

Sünde in vollen Zügen aus (entgegen allen religiösen Normen), verhöhnten katholische Seeleute mit Reliquien, was im katholischen Spanien als Todsünde galt. Diese vermeintliche Freiheit und Auflehnung gegen geltende Normen verführt zu einer Verherrlichung und Verharmlosung der Piraterie und ist der eigentliche Grund, weshalb sich Piraten als Projektionsfläche anbieten. In Wirklichkeit aber begünstigten (und begünstigen) verwickelte machtpolitische Verhältnisse und neues unbekanntes Gebiet Piraterie, ebenso wird sie von wirtschaftlich-politischen Komponenten gefördert. In machtfreien Zonen oder neu umkämpften Machtbereichen gewinnt sie an Bedeutung.22 Es sind Schattierungen von Recht und Unrecht, Freiheit und Unfreiheit, ein Spiel zwischen legal und illegal. Ob nun im Dienste von Königen, Religionen oder hungriger Familien: Bei Piraten handelte es sich um Söldner in eigenen Diensten und zu eigenen Gunsten. Die besondere Lebensform zur See nivellierte kulturelle Unterschiede und führte zu besonderen Formen von Solidarität und Loyalität über ,,nationale“ herrschaftliche Grenzen hinweg. Jenseits politischer Ordnungen in einem klassischen Sinn bildeten Kämpfer und Räuber zur See eigene Organisationsformen, mit denen sie theoretisch quer zu geltenden Normen und der sie repräsentierenden Gesellschaft standen, faktisch aber einen integralen Teil legitimer Ordnungen bildeten. Auch bei der unkontrollierten Piraterie, die politisch nicht zugeordnet werden konnte, handelte es sich nur bedingt um eine ,,Gegengesellschaft“ zu der nach geltenden internationalen Normen, die von Vertrag zu Vertrag immer wieder neu ausgehandelt werden mussten, geregelten Seefahrt. Der Raub zur See entsprach vielmehr gängiger Norm. Die Piraterie in ihren unterschiedlichsten Ausprägungen war Teil der Gesellschaft, zum einen, indem sie diese bedrohte, zum anderen, weil sie den verschiedenen Gesellschaftsschichten eine Varietät an Möglichkeiten bot, sich an ihr zu beteiligen. Wie in der Antike und im Mittelalter waren es auch in der Frühen Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert – und sind es bis in unsere Tage – verwickelte machtpolitische Verhältnisse, die die Ausbildung und Entwicklung des Piratenwesens begünstigt haben. Es handelte sich um Zweckgemeinschaften, mit gelegentlich abweichenden Verhaltensmustern, in der Regel aber um eine organisierte Gesellschaft mit strikten Regeln. Besonders im mediterranen Kaperwesen konnte kein Widerstand gegen geltende Normen oder hierarchische Strukturen festgestellt werden, bestenfalls einzelne Versuche, ihnen zu entgehen. Die Mythologisierung des Piratendaseins ist wohl darin begründet, dass keine Selbstzeugnisse vorhanden sind und die meisten abendländischen Narrative auf dem Piratenbuch Exquemelins von 1678 und der ,,General History of the Robberies and Murders“ eines sagenumwobenen Kapitäns mit dem Na22

Abgesehen von handfester Piraterie zur See, namentlich an der Küste von Somalia, aber auch andernorts, ist strukturell die Piraterie auf umkämpftem Terrain bis in unsere Tage präsent: Piratensender, Software-Piraterie u.ä. sind die gängigen Schlagworte.

478

V. Fakt und Fiktion: Die Piraterie rund um die Maltesischen Inseln

men Charles Johnson aus dem Jahre 1724 gründen, bei dem es sich allerdings um Daniel Defoe handeln soll. Sowohl der abenteuerliche Charakter der ,,General History“ als auch verschiedene Aspekte des ,,Piratenbuchs“ verraten die mehr literarische als historische Gattung. In Exquemelins Beschreibungen der demokratischen Selbstorganisation mit kollektiv-(prä)kommunistischen Tendenzen der Buccaneers glaubt man einen begeisterten Leser von Thomas Morus’ Utopia von 1516 gefunden zu haben, bei seinen Schilderungen ihrer herzlosen Brutalität, insbesondere ihren Knechten gegenüber, einen Frühvertreter der Gothic Fiction; der Schauerliteratur, die sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts in England großer Beliebtheit erfreute.23 Diese Heldensagen lassen sich natürlich auch auf den Mittelmeerraum übertragen.24 Die atemberaubend spannenden Erzählungen kaschieren da wie dort den pragmatischen Ernst, den die Grausamkeit dieser Seekriege und das Leid und Elend der Protagonisten auf allen Seiten eigentlich verlangen. Andererseits vertun Interpretationen, die Piraten außerhalb oder am Rande von Gesellschaften ansiedeln, die Möglichkeit, Gesellschaften in ihrer vielschichtigen Beschaffenheit und die Welt als einen Ort der Interdependenz zu begreifen. Es ist alles mit allem verbunden.

23 24

Exquemelin: Das Piratenbuch; Johnson: A General History of the Robberies & Murders. Bradford: The Sultan’s Admiral.

6. Epilog Der traurige Schluss, den dieses Thema aus wissenschaftlicher Perspektive verdient, und die glorreiche Piratenromantik in Literatur, Filmkunst und Unterhaltungsbranche insgesamt sollen hier mit einer Illustration aus der ComicWelt zusammengeführt werden, die in der Darstellung der Piraten – ihres kargen Daseins, der täglichen Schiffbruchgefahr, der Multinationalität, -religiosität, Sprachenvielfalt, Gewinnsucht, Bereitschaft, fremden Herren zu dienen und doch nur sich selbst und den eigenen Kumpanen in Freundschaft und Treue verbunden – den wissenschaftlichen Standards entspricht und die Forschungsresultate einschlägiger Fachleute widerspiegelt: Die Piraten sind eines der wiederkehrenden Topoi in ,,Asterix“, den Sagen über jenen fiktiven gallischen Helden, der in gut drei Dutzend Bänden mit seinen Freunden des ,,kleinen, uns wohlbekannten, gallischen Dorfes“ im Jahre 50 v. Chr. erfolgreich gegen die römischen Besatzer kämpft. In 33 Bänden sind die Piraten lediglich 8 × nicht in Erscheinung getreten; in den übrigen Bänden wird ihr Schiff 14 × versenkt, meist aus nichtigem bis gar keinem Anlass – so zum Beispiel 1 x, als sie die Normannen lediglich nach dem Weg fragen wollten – 6 × zerstört, und 4 × versenken sie sich selbst. Lediglich 5 × bleibt ihr Schiff unversehrt und sie kommen mit dem Schrecken davon.1

1

www.comedix.de/lexikon/special/piraten.php.

VI. Entgrenzende Diaspora – verbindende Imaginationen: ein Fazit von Desanka Schwara, Luise Müller und Patrick Krebs

1. Bewegung und Verortung Die phönizische Königstochter Europa hätte in der fortgeschrittenen Neuzeit wenig Chancen gehabt, die Meerenge von der levantinischen Küste nach Kreta ungestört auf dem Rücken des Stieres Zeus zu überqueren, um dort seine irdische Gemahlin zu werden. Braut und Bräutigam wären wohl Piraten oder Korsaren in die Hände gefallen. Europas Vater hätte seine Tochter gegen die Zahlung eines beträchtlichen Lösegeldes freikaufen müssen. Andernfalls hätten die Freibeuter die schöne Königstochter in die Sklaverei verkauft. Der Stier hätte vermutlich ein unrühmliches Ende im Kochtopf des Smutjes genommen. Auch die Begegnung mit den vielen Handelsschiffen auf See oder Kaufleuten an Land hätte für die beiden vermutlich einen schalen Beigeschmack gehabt. Sie wären auf ihrer Liebesreise von den Händlern als Störung des Systems betrachtet worden, der Stier als Handelsobjekt. Nach geglückter Überfahrt wäre Europa als potentielle Seuchenträgerin erst einmal in Quarantäne gekommen. Der Stier hätte sich ausgiebigen Desinfektionsmaßnahmen unterziehen müssen und wäre auch ,,verwahrt“ worden – so er die Rückverwandlung in ein göttliches Wesen nicht schleunigst vollzogen hätte. Sowohl der heidnische Gott Zeus als auch die ebenfalls einer polytheistischen Religion angehörende Phönizierin wären bei der Ankunft an europäischen Gestaden als Bedrohung des einzig wahren katholischen Glaubens angesehen worden. Man hätte ihnen den Landgang verweigert. Im schlimmsten Fall wären sie in die Mühlen der Inquisition geraten. Zeus und Europa hätten es sich angesichts dieser Unannehmlichkeiten und Gefahren wohl nochmals überlegt, ob sie den nach der schönen Königstochter benannten Kontinent betreten wollten. Die vielen Begrenzungen hätten den Zugang zu ihrem Liebesnest erschwert bis verunmöglicht. Den zunehmenden Begrenzungen und Kontrollen von Bewegung, die sich schon Mitte des 15. Jahrhunderts erahnen ließen und im Rahmen der aufkommenden Nationalstaaten, insbesondere seit dem 19. Jahrhundert, verdichteten, stehen Diasporagruppen entgegen, die a priori über Grenzen hinweg in entgrenzten Zusammenhängen agierten und das Bild der mediterranen Hafenstädte prägten. Dieser kommunikative Zusammenhalt wirkte weit über die politischen Grenzen ihrer jeweiligen Siedlungsgebiete hinaus, in der Spannung zwischen vormodernen Institutionen, denen die Verwaltung von Diasporagruppen oblag, und modernen Integrationserwartungen. Sie verorteten sich im weit gestreckten Netzwerk ihrer Beziehungen und Bindungen und suchten zugleich nach Wegen und Strategien der Verankerung in den Städten ihrer Wahl. Charakteristisch für die sehr unterschiedlichen Diasporagruppen waren elaborierte Kommunikationsmuster und -systeme, die eine grenzüberschreitende geographische Verteilung, geteilte mentale Räume, habituelle Merkmale und normierte Raumvorstellungen koordinierten.

484

VI. Entgrenzende Diaspora – verbindende Imaginationen: ein Fazit

Adäquater für diesen diasporischen Raum, über alle Grenzen hinweg durch gemeinsame mental maps verbunden, ist der englische Begriff margins, da er vieles von dem impliziert, was eine Grenze – verstanden als klar trennende Linie – umgibt und begleitet: Der Grenzraum, der Rand, die Schnittstelle, die Peripherie, Grenzzonen oder die Randstellung in Lebenszusammenhängen, gleichsam der symbolische Raum, in dem sich Menschen bewegen.1 Der Rand einer Einheit grenzt immer an den Rand von etwas anderem. Nicht nur die politischen Grenzlinien waren durch wechselndes Kriegsglück einem steten Wandel unterworfen, sondern und insbesondere die mentalen margins; sie folgten einerseits dem politischen Wechsel – waren die einen Herrschaftsstrukturen für bestimmte Bevölkerungsgruppen von Vorteil, so erfüllte ein Obrigkeitswechsel andere mit neuer Hoffnung –, andererseits den Narrativen, die diese politischen Wechsel begleiteten, ihnen vorauseilten oder sie verspätet einholten. Es war uns ein Anliegen, strukturelle Eigenheiten zu entdecken, indem wir – wie es Natalie Zemon Davis vorschlägt – die Vergangenheit nicht ,,als einzelnen Entwicklungsprozess“ verstanden haben, sondern als ,,multiple Sequenzen“ interpretierten.2 Ereignisgeschichtlich liegt der Schwerpunkt dieser Studie in der Epoche zwischen dem Frieden von Küçük Kaynarca 1774 und der Mitte des 19. Jahrhunderts, des Übergangs von vormodernen Kontexten zum nationalstaatlichen Ordnungsprinzip. Hinzu kommen zeitliche Rückblenden. Es geht um die politischen Entitäten als Orte sozioökonomischer Konkurrenz. Zugleich scheinen die vorhandenen und (an)gedachten Möglichkeiten auf, kulturelle Räume jenseits ethnisch-religiöser Zugehörigkeit zu schaffen. Der weite europäische Raum an der Nordküste des Mittelmeers wird dabei durch die großen Halbinseln strukturiert betrachtet – mit der mediterranen Insel Malta als Knotenpunkt der Anordnung. Die einzelnen Halbinseln werden jeweils über zwei ausgewählte Handelsstädte in den Blick genommen, Lissabon und Cádiz für die Iberische Halbinsel, Livorno und Ancona für die Apenninenhalbinsel, schließlich Ragusa und Belgrad – über die Save und Donau mit den Weltmeeren verbunden – für die erweiterte Balkanhalbinsel. Das eigentliche ,,Territorium“ dieser Städte war das Wasser, das ihren Bewohnern ermöglichte, ihre Handelsnetze in alle Welt zu spannen. Dreh- und Angelpunkt ist in einem interethnischen Vergleich die Frage, wie sich die Verstrebung von Imaginationen, Verortung und Habitus in verschiedenen thematisch-historischen Kontexten konkret zeigt. Besondere Aufmerksamkeit gebührt dabei den Imaginationen, die überhaupt erst zur 1

2

Dieses Verständnis von ,,margins“ folgt Natalie Zemon Davis, die mit diesem Begriff nicht Grenzen, sondern Grenzzonen bzw. die Randstellung in Lebenszusammenhängen, den symbolischen Raum, in dem sich ihre Protagonistinnen bewegen, zugleich unterschiedlich definierte Randstellungen in der Gesellschaft charakterisiert (Davis: Boundaries and the Sense of Self; Davis: Frauenleben; Davis: Toward Mixtures and Margins). Davis: ,,Was ist an Geschichte universal?“, S. 130.

1. Bewegung und Verortung

485

Wahl bestimmter Lebenswege führten. Reflektiert werden diasporische Lebensformen, Phänomene von Mobilität, Migration und Urbanität, Fragen des Habitus und mentaler Imaginationen. Es geht um Verhaltensweisen, Utopien und Wahrnehmungen von Menschen, die in mobilen, transterritorialen und hybriden Strukturen beheimatet waren. Denn Mobilität stößt immer auch mentale Transformation an. Das Gewicht und die Funktionsweisen der menschlichen Vorstellungskraft für die Verortung in der Welt sind dabei zentral. Archivmaterialien spiegeln in pragmatischer Weise Vorstellungen von Glück, Traum, Hoffnung und Realität: Die obrigkeitlichen Erlasse und Regelungen sind eine Quelle zeitgenössischer Realität und Hoffnung, Bittgesuche desgleichen, während Beschwerdebriefe enttäuschte Hoffnungen und enttäuschende Realitäten zeigen. Merkmale der Verortung werden in sozialen Beziehungen zum Ausdruck gebracht.3 Die gewählte Herangehensweise über Netzwerke rückt insbesondere soziales Kapital, beziehungsweise soziale Ressourcen als treibenden Motor vergangener Koexistenzen in den Mittelpunkt. Einerseits kennzeichnen gegenseitiges Vertrauen und der Austausch von Wissen diese Form des Zusammenschlusses.4 Andererseits funktionieren diese Netzwerke nicht nur über positive und freiwillige Formen der Gruppenbildung. Sie sind immer auch getragen von hierarchischen Strukturen und geprägt von Machtdifferenzen. Für die hier untersuchten Gruppen war das Netzwerk, in dem sich seine Mitglieder bewegten und von dem sie profitierten, natürlich in erster Linie den Interessen der mobilen Akteure zuträglich. Daneben schuf 3

4

Dieser Gedanke steht im Mittelpunkt des Buches von Gabriele Jancke, die autobiographische Texte unter dem Aspekt des mit ihnen praktizierten kommunikativen Handelns betrachtet. Dabei macht sie Frauen und Männer, Juden und Christen, Gelehrte und Ungelehrte in ihren vielfältigen Beziehungskontexten sichtbar. Sie deckt im Spiegel der Selbstzeugnisse Leitvorstellungen davon auf, wie diese Beziehungen funktionieren sollten. So gelingt es u. a. zu zeigen, wie eine ganz bestimmte Beziehungsform, die Patronage, die sozialen Netzwerke und die Gruppenkultur gelehrter Männer prägte (Jancke: Autobiographie als soziale Praxis). Der Mensch ist nichts anderes als das Netzwerk seiner Beziehungen zur Welt. Jancke: Autobiographie als soziale Praxis; Žižek: Die politische Suspension des Ethischen, S. 38. Aus der Wirtschaftsgeschichte kann an dieser Stelle eine wichtige Unterscheidung der verschiedenen Arten des Vertrauens, die in Handelsbeziehungen, aber darüber hinaus auch in anderen Netzwerkzusammenhängen eine Rolle spielen, herangezogen werden. Vertrauen ist nicht gleich Vertrauen. Es gibt die Unterscheidung von Vertrauen in Personen und Vertrauen in Institutionen. Ebenso kann man spezifiziertes Vertrauen, das sich auf Personen mit einer bestimmten Zugehörigkeit oder bekannten Attributen beschränkt, und generalisiertes Vertrauen, das auch vollkommene Fremde einschließt, unterscheiden. Analog ist auch das Vertrauen gegenüber Institutionen in differenziertes und einheitliches zu unterscheiden. Soziale Netzwerke, die an dieser Stelle als gegenüber der Außenwelt geschlossen und vielfach verstrebt im Inneren charakterisiert gesehen werden, beinhalten sowohl auf personaler als auch auf eventuell vorhandener institutioneller Ebene partikulare Vertrauensverhältnisse. Ogilvie: The Use and Abuse of Trust, S. 1–45, insbesondere 5f., 44.

486

VI. Entgrenzende Diaspora – verbindende Imaginationen: ein Fazit

es jedoch auch die konträr gelagerte Möglichkeit der Integration in die jeweilige Gastgesellschaft.5 Netzwerke waren vor allem durch ein gemeinsames Wertesystem, kulturelle Erwartungen, Ansichten und Ablehnungen geeint. In den Ursprüngen bauten diese Zusammenschlüsse meist auf gemeinsamen Zugehörigkeiten auf, die ethnisch, religiös oder sprachlich begründet sein konnten.6 Neben diesen Verortungen spielten für die Gruppenbildung und zugehörigkeit gemeinsam geteilte Erfahrungen, erlebte Entwicklungen, kurz, eine kollektiv erfahrene Geschichte eine entscheidende Rolle. Auf dieser Ebene konnte sich das jeweilige Netzwerk im Laufe seiner Entwicklung und Ausformung am ehesten öffnen und auch den ursprünglichen Kategorien nicht Zugehörige einlassen. Netzwerke konstituierten sich im Mittelmeerraum vor allem unter den durch Handel und Reise in räumlich weit verzweigten sozialen Kreisen befindlichen Individuen.7 Die Handelsnetzwerke, die ein nahezu grenzenloses Beziehungsgeflecht nutzten, profitierten von auf sie zugeschnittenen obrigkeitlichen Strukturen. Religiöse Toleranz, juristische Nachsicht, einladende Infrastruktur und finanzpolitische Zugeständnisse zogen Diasporagruppen an und ließen urbane Handelszentren erblühen. Neben den ,,offiziellen“ existierten auch alternative Netzwerke wie die den gesamten Mittelmeerraum und darüber hinaus umspannende vermeintliche Parallelwelt der Korsaren oder Piraten. Diese waren – aufgrund ihrer Tätigkeit und daraus folgender Kriminalisierung – im höchsten Maße mobil und über große Entfernungen in ein eigenes System eingebunden, das mit den offiziellen Netzwerken, vor allem dem der Kaufleute, immer wieder freiwillige oder erzwungene Berührungen hatte, teils sogar eng mit ihnen kooperierte. Dieses sich massiv über kulturelle, nationale wie religiöse Verortungsmuster hinwegsetzende kriminelle wie kriminalisierte Netzwerk bot Möglichkeiten der Überwindung von Zwängen und Maßregelungen der ,,offiziellen“ Gesellschaften, war zugleich aber in vielerlei Hinsicht Teil dieser Gesellschaften; sozusagen ihre illegale Erweiterung. Die sich aus der Abwendung von herkömmlichen Verhaltenskodizes ergebenden Konsequenzen mussten gleichwohl getragen werden und formten dieses Netzwerk zutiefst. Die personellen Netzwerke waren aufgrund des Umstands, dass sie aus Menschen bestanden, immer durch Krankheit, Seuchen und Tod bedroht. Gegen Seuchen gerichtete institutionalisierte Schutzmechanismen hemmten die Netzwerkverbindungen in ihrem freien Verlauf, waren zugleich gemeinsam

5 6 7

Ramada Curto, Molho: Les réseaux marchands à l’époque moderne, S. 576. Ausführlich zu Zugehörigkeiten und Identitäten siehe Schwara: Unterwegs. Zu sozialen Kreisen mit besonderem Fokus auf Kaufleuten: Simmel: Soziologie, S. 478f. Osterhammel greift interessanterweise die Vorstellung Simmels von der Kreuzung der sozialen Kreise auf und konstatiert: es ,,partizipieren Individuen bereits bei solchen Kleingruppen an verschiedenen überlappenden, aber nicht deckungsgleichen sozialen Zusammenhängen“. Siehe: Osterhammel, Petersson: Geschichte der Globalisierung, S. 20.

1. Bewegung und Verortung

487

geteilte Erfahrung und wurden natürlich unterlaufen. Hier trafen sich offiziell anerkannte und klandestine Zusammenschlüsse, arrangierten sich, passten ihren Rhythmus an oder brachen aus. Religion stellt eines der grundlegenden Muster dar, nach denen Netzwerke geformt werden. Gerade in der Diasporasituation wurde vermehrt auf dieses Gemeinschaft konstituierende Merkmal zurückgegriffen und Religion verstärkt als Begründung für Haltungen und Handlungen ins Feld geführt. Im definitorisch stark umkämpften Raum des Mittelmeers und seiner Küsten wurde Religion als elementares Strukturierungselement benutzt. Religion erschien zudem sowohl für personelle Netzwerke als auch übergeordnete Strukturen als Korsett, dem man sich nur schwer entziehen konnte. Die Netzwerkzusammenhänge formen nicht nur den Bezug der Mitglieder untereinander. Zugleich kreieren sie einen spezifischen Gruppenhabitus, der Neues aus der Gastgesellschaft aufnimmt, zugleich von Althergebrachtem durchsetzt ist und zumeist einer konkreten Spezifizierung unterliegt. So eint die fremden Kaufleute neben ihrer Diasporazugehörigkeit der gewinnorientierte Fokus – der wiederum ein Bindeglied zu den einheimischen Kaufleuten ist. Die verschiedenen Habitusausprägungen geben den spezifischen Netzwerken und ihren Mitgliedern ihr unverwechselbares Gesicht. Teilweise können sie stärker sein als andere Gruppenzugehörigkeiten, ob nun in knapp begrenzten Zeitabschnitten oder Perioden der ,,longue durée“. Das Projekt ,,Entgrenzende Diaspora – verbindende Imaginationen“ ist ein Versuch, theoretische Ansätze, die sich verschiedenen Diasporagruppen eher konzeptionell nähern, ,,praktisch“ anzuwenden. Das Hauptaugenmerk lag dabei auf der Suche nach (historischen) Arbeitseinheiten, die jenseits nationalstaatlicher oder politischer Grenzen verortet sind, und der Frage nach anderen Eingrenzungskriterien. Dabei kristallisierte sich heraus, dass Diasporazugehörigkeit nicht ein starres, andauerndes Differenzierungsmerkmal darstellt, sondern durch zeitweilige neue Einheiten ersetzt werden kann. Hierfür spielen wiederum sozialer und wirtschaftlicher Status eine große Rolle, mit graduellen Abstufungen. Die Diasporagruppen erwiesen sich als aktive (Mit)Akteure, die kräftig mitinszenierten. In den verschiedenen thematischen Untersuchungen kommt die Bedeutung der kollektiven Phantasie für die Interaktion der verschiedenen Gruppen zum Ausdruck. Kollektive Phantasie und Imagination beeinflussen und bestimmen sowohl Zugehörigkeiten, Fremdwahrnehmungen, Verortungen, Verhaltensweisen als auch Interaktionen der einzelnen Gruppen in entscheidendem Maß. Sie bilden den un- oder nur teilbewussten Unterbau. In diesem Zusammenhang sind insbesondere die von Siegfried Kracauer beschriebenen imaginierten Hieroglyphen von Raumbildern inspirierend: Jeder typische Raum wird durch typische gesellschaftliche Verhältnisse zustande gebracht, die sich ohne die störende Dazwischenkunft des Bewusstseins in ihm ausdrücken. Alles vom Bewusstsein Verleugnete, alles, was sonst geflissentlich übersehen wird, ist an seinem Aufbau beteiligt. Die Raumbilder sind Träume der Gesellschaft. Wo immer die Hieroglyphe

488

VI. Entgrenzende Diaspora – verbindende Imaginationen: ein Fazit

irgendeines Raumbildes entziffert ist, dort bietet sich der Grund der sozialen Wirklichkeit dar.8

Die Imagination ist ein wichtiger Bestandteil des in den Netzwerken ausgehandelten symbolischen Kapitals. Zugleich geht sie über dieses hinaus, weil sie gruppenübergreifend geteilt werden kann und nur bedingt Übertragungen aus anderen Kapitalarten im Hintergrund hat. Die Imagination bestimmt die Gefühle der Zugehörigkeit wie die Fremdwahrnehmung wesentlich mit. Das Imaginative ist außerdem immer eine Inszenierung, geprägt von den Rückbezügen auf die imaginierende Gruppe und den konkreten Niederschlägen des Imaginativen. Die einzelne Phantasie lässt in ihrer genaueren Betrachtung Rückschlüsse auf die imaginierende Gruppe zu. Sie formt Denken, Fühlen und Handeln der Einzelnen wie des Kollektivs. Sie schafft die Verbindung zu Vergangenheit und Zukunft, entscheidet im Hier und Jetzt über Passivität oder Aktivität, über einzuschlagende Wege und mögliche Handlungsalternativen. In ihr kommen Nähe und Ferne zusammen. Imaginationen bestimmen sowohl Handlung als auch Struktur und sind beiden immer zugleich mindestens einen Schritt voraus. Die meisten Vorstellungen haben eine konkrete Verbindung zur Lebenswelt und wirken bzw. brechen mehr oder minder massiv in diese ein. Zugleich begrenzt das Faktische die Imagination immer wieder unverhofft; unvorhergesehene, unberechenbare Ereignisse und Wendungen lassen Vorstellungen verblassen, obsolet werden. Die (endliche) Macht solcher Manifestationen des Phantastischen und ihres Zusammenspiels mit verortendem Habitus zeigte sich in einzelnen Realisierungen. Entscheidend ist dabei das Zusammenspiel der sozialen wie räumlichen Verortung und der Imagination. Besonderes Gewicht liegt auf Aktivierungsmomenten der Imagination, die sie weckten oder im Gegenteil ermatten und eindämmern ließen. Solche Imaginationen verankerten trotz der toleranten Grundstimmung, die das Zeitalter der Renaissance charakterisierte, in den christlichen Gemeinschaften der Apenninenhalbinsel religiös geprägte Ressentiments, die für die Betroffenen deutlich spürbare Folgen hatten. Im 15. Jahrhundert intensivierten etwa die Franziskaner ihren Kampf gegen den Wucher – und damit automatisch gegen die jüdische Bevölkerung, da dieser Geschäftszweig auch in offiziellen Dokumenten wie der Livornina explizit als ein besonderes und ausschließlich jüdisches Merkmal kategorisiert und verboten wurde. Mit der Gründung von Wohltätigkeitsfonds, monti di pietà,9 wollten sie Christen in finanziellen Schwierigkeiten unter die Arme greifen. Diese monti di pietà waren ausdrücklich dazu bestimmt, die Juden aus dem Kreditgeschäft zu verdrängen. Eine noch frostigere Atmosphäre beherrschte die Zeit der Gegenreformation. Im Bestreben der katholischen Kirche, den ,,wahren Glauben“ zu schützen, wurden die Juden zusehends marginalisiert, während 8 9

Kracauer: Über Arbeitsnachweise, S. 186. Monti di pietà (,,Mitleid, Barmherzigkeit“) ist heute die Bezeichnung für Pfandleihe.

1. Bewegung und Verortung

489

sie zuvor zu den tragenden Pfeilern des soziokulturellen und wirtschaftlichen Lebens der italienischen Stadtstaaten gehört hatten.10 Religion als die Welt erklärender metaphysischer Überbau und Normen setzende Sinnstiftung mag reine Imagination sein, sie trägt und formt aber reale Netzwerke und die von ihnen errichtete faktische Welt.

10

Schwara: Unterwegs.

2. Kaufmännische Imaginationen Kaufleute wurden vom Wunsch angetrieben, an einem neuen Ort wirtschaftlichen Erfolg und persönliche Entwicklungsmöglichkeiten zu erlangen oder zu bewahren. Die Vorstellungen, die sie sich von den neuen (Zwischen)Heimaten machten, bewogen sie aufzubrechen, wie auch an neuen Orten zu verweilen und sich in den Städten mit den besten Arbeits- und Lebensbedingungen anzusiedeln. Diesen stark merkantil eingefärbten Imaginationen kamen die örtlichen Strukturen entgegen; sie zogen die gewinnbringenden ,,Zugvögel“ durch fremden- und wirtschaftsfreundliche Maßnahmen an und hielten sie im besten Fall. Das dabei an den Tag gelegte kaufmännische Verhalten zeugt von einem großen emanzipatorischen Selbstbewusstsein. Kaum angekommen, agierten die Händler aktiv im öffentlichen Stadtleben mit – sie gründeten wirtschaftliche Interessensgemeinschaften, engagierten sich politisch und präsentierten sich bei Festen stolz in der Öffentlichkeit. In eine passive Opferrolle ließen sie sich in der Regel nicht drängen. Wenn sie sich religiös, wirtschaftlich oder existenziell bedroht fühlten, wehrten sie sich mit Beschwerden und Drohungen. Damit testeten sie die ihnen seitens der Herrschenden entgegengebrachte Loyalität. Das Leistungsvermögen der Kaufleute wurde von Seiten der ,,Gastgeber“ institutionalisiert, um sie langfristig an Bord zu halten. Ihre wirtschaftliche Stärke erlaubte ihnen bald in ihren neuen Heimaten bedeutende politische Ämter zu übernehmen und sich in der Gesellschaft zu etablieren. Ihr politischer Einfluss nahm zu, neue religiöse Einrichtungen und kulturelle Eigenheiten bereicherten das Stadtbild. Diese schnelle Integration gelang aber nur den Reichen, das Erlangen von politisch wichtigen Positionen, das Ansehen und die Adelstitel hingen am finanziellen Kapital. Mit ihm war praktisch alles möglich, selbst über die sonst hohen religiösen Barrieren hinweg. In der neuen Heimat realisierten sie Utopien, verwirklichten Vorstellungsbilder und konstruierten mit Hilfe von Fantasien und Projektionen eigene Erfahrungsräume.1 Dieser Aufgabe stellten sich bis ins 19. Jahrhundert vor allem Männer, Soldaten, Kaufleute, wandernde Gesellen, Studenten und Abenteurer, seither auch viele Frauen.2 Was brachte die Menschen dazu, sich ins Imaginäre zu begeben? Ganz gleich, welche konkreten Umstände sie dazu bewegten, ihre alten Heimaten zu verlassen, maßgeblich stand hinter dem Entschluss zum Aufbruch der Wunsch und das Streben nach Veränderung, jenes nach Verbesserung, nach Glück. Die zugewanderten Kaufleute in den beiden Hafenstädten hatten 1 2

Hennig: Jenseits des Alltags, S. 47. Clausen: Das Selbst, S. 12.

492

VI. Entgrenzende Diaspora – verbindende Imaginationen: ein Fazit

Motive, den bisherigen Alltag zu verlassen. Wünsche, Sehnsüchte und ein vitaler merkantiler Geist führten sie in Städte, die Behörden mit innovativen, freiheitlichen Strukturen für sie entgrenzt hatten. In diesem ökonomisch begründeten Emanzipationsprozess kann man einen spezifischen merkantilen Habitus erkennen. Kaufleute kannten keine Berührungsängste mit unbekannten Destinationen. Dort, wo sie die besten Zukunftschancen sahen, siedelten sie sich an. Rationale eigennützige Entscheide hatten Priorität; emotionale und gemeinsinnige Bedenken kamen erst ins Spiel, wenn das Vermögen sowie das Leben ernsthaft bedroht waren. Dieser Habitus passt in das Wallersteinsche moderne Welt-System, das im 16. Jahrhundert nach kapitalistischen Prinzipien aufgebaut wurde. Diese nicht politisch integrierte Weltökonomie basiert auf der axialen Arbeitsteilung in Form des globalen Austausches von Gütern, Kapital und Arbeitskraft und der andauernden Ansammlung von Kapital.3 Der Charakter der Städte und die damit einhergehenden mentalen Bilder formten sich jedoch nur zum Teil aufgrund der dargestellten Strukturangebote. Die umworbenen Diasporagruppen gestalteten das Bild und die Prägung der Städte aktiv mit. Wie reagierten sie auf die Angebote der Herrscher? Weshalb zogen sie nach Ancona und Livorno, und was trugen sie dazu bei, dass beide Städte zu ,,spezifischen Sinnprovinzen“ wurden? Die neu zugezogenen Kaufleute, so die These, stießen auf zwei Städte, in denen sie durch ihr Handeln und Deuten Strukturen hervorbringen, reproduzieren und verändern konnten. Es entstanden doppelt konstituierte – in Wechselwirkung zwischen Handlung und Struktur stehende – soziale Wirklichkeiten.4 Die Immigranten versuchten ambitioniert, ihre mentalen Vorstellungen von der neuen Heimat vor Ort in die Realität umzusetzen: Diese immer wieder reproduzierten und habitualisierten Aktionen und Wahrnehmungen innerhalb der städtischen Strukturen formten die Wirklichkeiten Anconas und Livornos, die dann nach außen strahlten und als leuchtende mental maps wiederum andere zur Entscheidung, sich auf den Weg in diese Städte des Glücks zu machen, inspirierten. Imaginationen von Orten erfolgreicher Aktivität ließen diasporische Kaufleute in die Städte kommen, bewegten sie, ihre Interessen aktiv zu vertreten und ihr Umfeld zu formen. Doch wenn dieses Umfeld sich als nicht (mehr) geeignet für die Verwirklichung dieser Vorstellungen erwies, Gerüchte oder Meldungen eine neue Imagination anderenorts anstießen, verließen sie die neue Heimat und zogen weiter. Eindrücklich wird das Spannungsfeld zwischen den behördlich gedachten Menschen, die durch einladende Bedingungen nach Ancona bzw. Livorno gelockt werden sollten, und den privaten Individuen mit ihren Sorgen und kulturell-religiösen Bedürfnissen, die dann kamen. 3 4

Hinweis auf Wallerstein bei Heiter: Immanuel Wallerstein, S. 557–570, hier 561. Siehe dazu Sieder: Sozialgeschichte, S. 448.

3. Präsenz, Aktion, Interaktion Religion war nahezu allumfassendes Sinnstiftungsangebot und welterklärende Norm. Religiöse Imaginationen, die das Nichtfassbare fassbar machen sollten, waren vor allem in Konstellationen jenseits der Heimat von großer Bedeutung. Sie boten den Diasporamitgliedern die Möglichkeit eindeutiger kollektiver Verortung. Zugleich waren deren konkrete Manifestationen im öffentlichen Raum Gegenstand erhitzter Auseinandersetzungen. Die in architektonische Form gegossenen religiösen Imaginationen im öffentlichen Raum, ob nun Kirchtürme oder Friedhöfe, brachen in konkurrierend gesetzte kollektiv imaginierte Werte wie Achtung oder Respekt ein und führten zu handfesten Konflikten. Ebenso bargen zeitliche Zäsuren, vor allem die gestaltende Kraft religiöser Feiertage, Möglichkeiten der Verortung und, damit direkt verknüpft, großes Reibungspotential. Diese auf imaginativen Verortungen beruhenden Auseinandersetzungen konnten zur Vertreibung oder Verfolgung von Diasporagruppen führen. Möglichkeiten der aktiven Verortung außerhalb der religiösen Kategorien existierten nur wenige. Konversionen boten eine der vorhandenen praktischen Möglichkeiten, den religiös-kulturellen Rahmen zu wechseln. Auf der Balkanhalbinsel zog das Bekenntnis zum Islam eine Besserstellung im muslimischen System nach sich, zugleich den Verlust heimischer christlichorthodoxer Geborgenheit. Die Konversion von Sklaven zur Religion ihrer Herren verbesserte in der Regel ihre Lebenssituation, konnte sogar zur obligaten Freilassung führen. Konversionen zeitigten auf jeden Fall unwiderrufliche Folgen: Eine Umkehr war weder imaginativ noch administrativ vorgesehen, geschweige denn akzeptiert. Auf den beiden anderen großen Halbinseln Europas, unter katholischer Vorherrschaft, wurden zum katholischen Glauben Zwangsbekehrte verfolgt – wobei die Verfolgungen zeitlich und räumlich unterschiedlich intensiv waren –, wenn die Inquisition von der Rückkehr der Konvertiten zu ihrer früheren Religion erfuhr.1 Die ausdrückliche Zusicherung an Zwangsgetaufte in Städ1

Doch bestand auch in den Stadtstaaten der Apenninenhalbinsel die Gefahr, von der Inquisition verfolgt zu werden. Juden, die das Christentum nie angenommen hatten, wurden hier zwar nicht belangt. Sobald aber der Verdacht aufkam, es handle sich um ,,christliche“ Juden, trat auch in Italien die Inquisition mit ihrem ganzen Instrumentarium in Aktion. Die Inquisition verfolgte, eigentlich ,,verhörte“, alle Christen, die verdächtigt wurden, der Lehre Christi – so wie sie damals im Vatikan verstanden und ausgelegt wurde – zuwiderzuhandeln; seien es Häretiker, Hexer und Hexen, getaufte Juden, die ,,judaisierten“, oder andere Abtrünnige. Eine Taufe unter Zwang änderte nichts am Umstand, dass diese Getauften nun auch in Italien als Christen galten und das wachsame Auge der Inquisition fürchten mussten. Dies galt vor allem für Juden, die Spanien nicht gleich 1492 verlassen hatten, sondern erst Jahrzehnte später. Hier lag der Verdacht nahe, dass es sich um getaufte Juden handeln musste, da sie sonst Spanien eben schon im besagten Jahr der

494

VI. Entgrenzende Diaspora – verbindende Imaginationen: ein Fazit

ten, die sich aktiv um wirtschaftliche Prosperität bemühten, sie nicht als Teil der katholischen Gemeinschaft zu verstehen und ihre religiöse Zuverlässigkeit entsprechend zu prüfen und sie gegebenenfalls zu sanktionieren, zeigt die drückende Last und Macht religiös-traditioneller Konventionen vormoderner Gesellschaftsformen. Die offizielle Anerkennung der religiösen Autonomie der christlich-orthodoxen Kirche in katholischen Gebieten vollzog sich als langsamer Prozess. In Livorno zum Beispiel begann sich der Disput erst mit dem Edikt von 1757, in dem die toskanischen Behörden den Griechen die Ausübung der orthodoxen Religion mit allen Pflichten und Verbindlichkeiten gewährten, zu lösen. Zu den Auflagen gehörte, die Religion nach außen nicht sichtbar werden zu lassen.2 Die orthodoxen Griechen wurden von den toskanischen Herrschern etwas despektierlich greci scismatici genannt, sie selber bevorzugten jedoch die Ausdrücke greci non-uniti oder greci di rito orientale. 1760 bestätigte ein weiteres Edikt die grundsätzliche religiöse Freiheit der Griechen, schränkte deren öffentliche Ausübung, insbesondere bei Beerdigungen, jedoch immer noch ein. Die Toten mussten nachts transportiert werden, ohne religiöse oder zivile Feierlichkeiten. 1770 forderten die christlich Orthodoxen deshalb dieselben Rechte, wie sie Juden oder Protestanten genossen. 1774 wurde es dann auch möglich, die Toten tagsüber zu transportieren.3 Hier zeigt sich einmal mehr, wie weit politische Ereignisse (insbesondere wenn sie auf militärischer Macht gründeten) ausstrahlen konnten: In diesem Jahr wurde der Friedensvertrag zwischen Russland und dem Osmanischen Reich unterzeichnet; das orthodoxe Russland befand sich unter der Herrschaft von Katharina II., nach den Teilungen Polens und den militärischen Erfolgen im Süden des Reiches, auf der Höhe seiner Macht – Russlands Ruhm strahlte weit über die Grenzen des Imperiums und half christlich-orthodoxen Diasporagruppen, sich auch in katholischen Gebieten neu zu positionieren. Allerdings kam es sowohl auf der Iberischen Halbinsel (zum Beispiel bei Bestattungen von nichtkatholischen Christen) als auch und insbesondere auf der Balkanhalbinsel zu Adaptionen und Vermischungen von Ritualen, die in neue Formen der Religionsausbildung mündeten, die sich nach und nach von den Regeln ihrer Herkunftsländer lösten.

2 3

Vertreibungen, Portugal spätestens 1497 – im Jahr der Zwangstaufen – hätten verlassen müssen. Juden, die immer jüdisch gewesen waren, verfolgte die Inquisition in Venedig nicht. Arbel: Trading Nations: S. 190f. Die orthodoxen Priester durften sich in ihren schmucken Gewändern nicht öffentlich zeigen. Vgl. dazu Cini: La trajectoire de deux communautés, S. 98. Paolini: La Comunità Greco-Ortodossa, S. 64.

4. Quarantäne Mit der Festsetzung der phönizischen Königstochter Europa ist bereits das grundlegende Charakteristikum der Quarantäne angesprochen. Quarantäne zieht Grenzen, unterstreicht sie und verfestigt sie durch stete Wiederholung ihrer Festlegung. Dabei schafft sie ein Bild vom Raum – den sie zugleich strukturiert – und von ihren ,,Insassen“. Sie stellte eine selbstverständliche Erfahrung der neuzeitlichen Bewegung dar und hatte in den Seuchen ein Gegenüber, das für seine Verbreitung allein soziale Beziehungen benötigte. Die die Quarantänesituation formenden Strukturen und Kontrollmechanismen unterschieden nach Herkunft, Sprache, ethnischer, religiöser oder kultureller Zugehörigkeit und Mobilitätsgrad. Diese Klassifizierungen konnten den Zugang zum eigentlich angestrebten Zielort aufgrund von Gruppenzugehörigkeiten erschweren oder gar unmöglich machen. Als Antwort blieb dann entweder Unterwerfung, Abfahrt oder Unbotmäßigkeit. Hier konnte einheimische Zugehörigkeit durchaus von Vorteil sein. Mitunter wurde auch versucht, sie als Trumpfkarte auszuspielen. Insofern kann von einem durch Strukturen habituell begrenzenden Feld der Quarantäne gesprochen werden, das Unterschiede generierte. Auffällig ist, dass dieses System der Seuchenabwehr und -prophylaxe einerseits nach pragmatischen bzw. faktischen Erwägungen, insbesondere auf der jeweiligen aktuellen Gefahrenlage gründend, entschied. Andererseits waren selbst amtliche Erlasse von imaginativen Elementen durchdrungen, was insbesondere in der Behandlung der Mauren auffällt. In ihrem Fall hatte die erinnerte Geschichte augenscheinlich ein größeres Gewicht als aktuelle Fakten. Im inneren Erleben der Quarantänesituation spielten diese Kategorien für die Betroffenen keine wirkliche Rolle mehr; allerdings hatten sie auch wenig Spielraum, um sich expressiv auszudrücken. Stattdessen wurde Kontakt, wo möglich, unterbunden und ein Verharren in der Regungslosigkeit und Stille gefördert. Die isolierende und isolierte Situation im maritimen Lazarett oder Schiff stand Expressivität und habitueller Ausdrucksweise diametral entgegen. Die vor allem durch verordnete Passivität kreierte Atmosphäre war eine im Grundton lähmende, auch wenn sie in der alltäglichen Praxis vor Bewegung und Ereignissen übersprudeln konnte. Hinzu kommt, dass das Erleben der maritimen Seuchenabwehrinstitution für die meisten Ankommenden eine bekannte Situation darstellte, die nicht mit fremden, irritierenden Verhaltensweisen und Wahrnehmungs- oder Vorstellungsmustern konfrontierte. Eine Ankunft im Hafen ohne ein Durchlaufen von Sanitätsmaßnahmen war ihnen aus dem mediterranen wie europäischen Kontext nicht bekannt. Die Betroffenen hatten die Weltsicht wie Praktiken des Seuchenabwehrsystems habituell angenommen. Eine Scheidelinie verlief primär nicht so sehr entlang diasporischer

496

VI. Entgrenzende Diaspora – verbindende Imaginationen: ein Fazit

Gruppenzugehörigkeiten als entlang sozialer Stellung. Wenn Einzelne oder Kleingruppen sich gegen das Quarantänesystem stellten, taten sie dies nicht im Namen ihrer Herkunft, sondern aufgrund akuter Lebensumstände und häufig mit Bezug auf das Schiffskollektiv. Es konnte hilfreich oder erleichternd sein, auf durch die Gruppe vermitteltes Kapital zurückzugreifen, ob nun finanziell oder sozial. Eine entscheidende Bedeutung hatte der gemeinsame Herkunftsbezug darüber hinaus jedoch nicht. Am ehesten ist ein distinkter Habitus noch für die griechischen Seeleute festzustellen, die sich in ihrer homogenen Zusammensetzung eklatant von der übrigen bunt durchmischten maritimen Bevölkerung unterschieden. Sie versuchten in größerem Maß als andere, die Sanitätsregeln zu ihrem Vorteil auszulegen und zu umgehen. Ihre Regelverstöße zeugen von einem Bewusstsein ihrer Stärke, die ihre Grundlage nicht ausschließlich, doch zu großen Teilen in der Homogenität ihres Kollektivs hatte. Die von Quarantäne Betroffenen hatten zumeist bereits im Vorfeld eine recht klare Vorstellung davon, was sie in der Quarantäne erwartete und wollten sie schnell und möglichst unbeschadet wieder verlassen. Aus diesem Grund unterwarf sich der Großteil der Ankommenden diesem System widerstandslos. Dabei erwies sich das Seuchenabwehrsystem unter seiner pragmatischen Oberfläche als durchaus imaginativ aufgeladen. Die Vorannahmen des Quarantäneverlaufs konnten jedoch durch unvorhergesehene Ereignisse über den Haufen geworfen werden, ein verdächtiger Tod auf der Fahrt brachte in jedem Fall eine verschärfte und verlängerte Quarantäne mit sich. Doch nur ein Bruchteil der Insassen wählte die aktive Umsetzung alternativer Imaginationen und verweigerte sich dem Quarantänesystem oder flüchtete. Die meisten akzeptierten die ihnen angebotene Imagination, die Seuche könne begrenzt werden und sei so in den Griff zu bekommen, und verorteten sich somit innerhalb der dominierenden Vorstellung von der Welt.

5. (Un)freiheiten Der Raub zur See entsprach im 16. bis 18., selbst noch im 19. Jahrhundert gängiger Norm. Die Piraterie bot den verschiedenen Gesellschaftsschichten eine Varietät an Möglichkeiten, sich an ihr zu beteiligen oder aus ihr Profit zu schlagen: Direkt – wenn auch auf entgegen gesetzten Seiten – aktiv waren dabei die Piraten (in seltenen Fällen auch Piratinnen, wenn auch als Männer getarnt) und Seeleute auf den Schiffen, die die Piraterie bekämpften. Mittelbar profitierten an den Gewinnen aus der Piraterie die Teilhaber, die an der Finanzierung der Schiffe beteiligt waren oder sie ausstatteten, die Hehler, die die Beute verkauften, und natürlich die letztendlichen Käufer der Beute. Schließlich waren die Souveräne, in deren Macht es lag, Piraten zu Korsaren zu machen oder Korsaren zu Piraten, indem sie Kaperbriefe ausstellten oder sie wieder entzogen oder als nichtig erklärten, Nutznießer der Situation. Die offiziellen Netzwerke profitierten ebenso von der Piraterie, wie sie von ihr in Mitleidenschaft gezogen wurden. Verwickelte machtpolitische Verhältnisse und neues unbekanntes Gebiet begünstigten Piraterie. In machtfreien Zonen oder neu umkämpften Territorien gewann sie an Bedeutung. Hier konnten Handlungsspielräume und -alternativen grenzenlos getestet und ausgenutzt werden – auch wenn zugleich immer Leib und Leben der unmittelbaren Aktivisten aufs Spiel gesetzt wurden. Als Projektionsfläche bietet sich die Piraterie erst aus einer rückblickenden Perspektive an, da sie in ihren facettenreichen Ausformungen nicht wirklich zu fassen bzw. zu definieren ist und ein weites Feld für Interpretation und Imagination öffnet. Ein wichtiger Grund für die heroische Verklärung von Piraterie ist der Umstand, dass sie vor der amerikanischen und der französischen Revolution eine der wenigen, wenn nicht die einzige Möglichkeit bot, den Platz, der einem in der Ständegesellschaft zugewiesen war, zu verlassen oder der Sklaverei zu entfliehen. Revolte, Widerstand gegen die Gesellschaft, Kampf um Freiheit, Selbstbestimmung des ,,kleinen Mannes“ – und in wenigen Fällen auch Befreiung von Frauen aus ihren gesellschaftlichen Fesseln – gelten als die habituellen Merkmale von Piraten, sind die gängigen Motive, die projiziert werden, aber auch Abenteuer auf See und ein ungezügeltes, sündiges Leben an Land. Faktisch aber handelte es sich bei Piraten – ob im Dienste von Königen, Religionen oder hungriger Familien änderte bloß ihre Bezeichnung und den Grad ihrer (Un)abhängigkeit – um Söldner in eigenen Diensten und zu eigenen Gunsten. Die Entscheidung für die Piraterie überwand alle anderen gesellschaftlichen Schranken. In ihr befand man sich in einem letzten Ausweg außerhalb des öffentlichen Raums, obrigkeitlicher Begrenzungen und größtenteils auch sozialer Strukturen. Piraten, aber auch Korsaren, entgrenzten in

498

VI. Entgrenzende Diaspora – verbindende Imaginationen: ein Fazit

ihren Aktivitäten wie ihrem Weltbild den Raum wahrhaftig. Zugleich waren sie stets ein wichtiger Teil der ,,legitimen“ Gesellschaft; sie entgrenzten den Raum also auch für diese. Differenzen dürfen niemals zu Inseln der Identität werden, sie sind am nützlichsten und am schönsten, wenn die metaphorische und begrifflich erfasste Fantasie sie als Archipele der Identifikation sieht – miteinander verbundene Systeme von Land und Meer, Inseln und Wasser, die ineinander fließen, Küste und Wellenkamm im intensiven Austausch miteinander.1

Das Aufbrechen von Denkräumen setzte innovative Kräfte frei, brachte die Suche nach neuen Möglichkeiten der Verortung in Gang, inspirierte zur Imagination virtueller Heimaten, die auf faktischen Territorien konstruiert wurden. Die Auseinandersetzung mit neuen unbekannten Welten machte Passivität unmöglich und nötigte zu Wachsamkeit und Kreativität. Imagination, die Vorstellung davon, wie das Leben sein könnte, aktivierte einen flexiblen, sich den Umständen anpassenden Habitus. Im Kern stellte er abseits von Verbundenheit und Solidaritäten die eigene Person, manchmal auch das Kollektiv, in den Mittelpunkt.2 Die soziale wie räumliche Verortung wurde aktiv vorangetrieben, nutzte die nicht in Abrede zu stellenden Bindungen und Beziehungen mehr oder minder pragmatisch. Die Verortung war immer eine auf Zeit – mal für wenige Tage, mal für mehrere Generationen –, immer durchzogen von der Phantasie vom irrlichternden Glück, von der verheißungsvollen Zukunft. Eingegangene Loyalitäten waren – damit eng zusammenhängend – befristet und meist konkret handlungs- wie sachbezogen. Sowohl die Zusammenschlüsse zu Nationen als auch in Bruderschaften sind dafür beste Beispiele; einmal stand der kaufmännische Aspekt im Vordergrund, das andere Mal die religiöse Praxis. Das Gewicht dieser Loyalitäten ist dabei nicht zu unterschätzen, vor allem in Fällen mehrfacher, gegensätzlicher Loyalitäten zeigte sich ihre dennoch tiefe Verankerung in den Betroffenen, die zu Zerrissenheiten führte oder aber eine Loyalität klar über die andere stellte. Interessant ist der Bedeutungswandel des Begriffs nazione, der in der Vormoderne wenig mit ,,Nation“ im Verständnis moderner Nationalstaaten zu tun hatte. Es war eine Institution, die aus dem Mittelalter stammte und vor allem im Mittelmeerraum, zunächst in den Häfen der Levante, ihre Bedeutung hatte. Diese nazione oder auch universitas war ein korporativer Zusammenschluss kaufmännischer Fremder mit einem gemeinsamen geographischen Herkunftshintergrund mit dem Zweck, ihre gemeinsamen Interessen und Privilegien durchzusetzen. Beide Begriffe konnten aber auch religiöse Gemeinschaften bezeichnen. Alle Städte schufen einladende Strukturen, um ,,wertvolle“ Fremde anzu1 2

Bhabha: Grenzen, Differenzen, Übergänge, S. 29–48, hier S. 35. Jedes Individuum ist zur gleichen Zeit Bestandteil multipler Zusammenhänge. Siehe Schwara: Unterwegs.

5. (Un)freiheiten

499

ziehen – die Wertigkeit verstanden in einem wirtschaftlichen Kontext, nicht in einem ethisch-moralischen – und restriktive und begrenzende, um ,,wertlose“ Fremde fern zu halten. Die Diasporagruppen entwickelten verschiedene Anpassungsstrategien, um sich im neuen Lebensumfeld möglichst gut zu positionieren; wobei der Grad der Angleichung an die autochthone(n) Gemeinschaft(en) durchaus verhandelt und oft von politischen Ereignissen fern der aktuellen Wohnorte bestimmt wurde. Beherrschende Diasporagruppen hingegen – sei es in Malta oder Belgrad – entwarfen Unterwerfungsstrategien; dabei handelte es sich in der Regel um eine Gratwanderung zwischen Beschwichtigungsmaßnahmen für erlittenen Schaden, um die Bevölkerung vor Ort für die neue Herrschaftsform zu gewinnen, Unterdrückungsmaßnahmen, um sie zu zwingen, und in einem weiteren Schritt diverse Maßnahmen, die eine kulturelle Anpassung an die Normen und Imaginationen der neuen Herrscher verlangten. Die Bevölkerung vor Ort reagierte auf beherrschende Diasporagruppen entweder mit ,,business as usual“, indem sie die neuen Machthaber am Rande ihrer Lebenswelten ansiedelte, mit Widerstand durch Passivität, indem sie restriktive Verordnungen der neuen Herrscher nach Möglichkeit an sich abgleiten ließ, sie jedenfalls nicht aktiv unterstützte oder mit Widerstand, der vor allem durch den Siegeszug des Nationalstaatsgedankens im Verlauf des 19. Jahrhunderts immer prominenter wurde. Die Diasporagruppierung war sicherlich keine sinnentleerte Hülle, sondern ein mehr oder weniger verlässlicher Zusammenschluss, der die Wünsche, Ansprüche und ein Schutzbedürfnis der sie konstituierenden Individuen vertrat. Dieses Kollektiv kann jedoch nicht als ausschließlicher Identifikationsrahmen des ,,Wir“ betrachtet werden. In den einzelnen Diasporagruppierungen waren zu viele Unterschiede und Differenzen versammelt, die die Ausschließlichkeit solcher eindimensionaler Zuschreibung verunmöglichten. Die Gruppierungen waren intern von Machtgefällen und unterschiedlichen, wenn nicht gar konträren Interessen und Positionen durchzogen. Diasporagruppen traten dann nach außen als Einheit auf, wenn sie ein Anliegen gegenüber der Außenwelt durchsetzen wollten. Zudem waren und sind Differenzen, egal wie nah oder weit voneinander gesetzt, immer als miteinander verknüpft anzusehen – auch imaginative Verortung findet im fließenden Dazwischen statt.

Abkürzungsverzeichnis AHR EB EHR EJ GG HZ IEHC

The American Historical Review The Encyclopaedia Britannica The Economic History Review Encyclopaedia Judaica Geschichte und Gesellschaft Historische Zeitschrift International Economic History Congress (veranstaltet von IEHA, International Economic History Association) JCA Jewish Colonization Association JEH The Journal of Economic History JESHO Journal of the Economic and Social History of the Orient JQR Jewish Quarterly Review JSH Journal of Social History LBIY Leo Baeck Institute Yearbook ORT Obščestvo Rasprostranenija Truda sredi evreev RAD Rad Jugoslavenske Akademije Znanosti i Umjetnosti REJ Revue des Études Juives ZRGG Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte

Glossar Akkulturation Assimilation Badž Bagno

Balleien Baždar

Berberia/Barbaria

Bergantín

Begegnung der eigenen mit einer anderen Kultur mit der Erwartung einer Synthese. Weitgehende Aufgabe der eigenen Kultur durch die Anpassung an eine andere. Siehe baždar. Bad (ital.), Ort, wo Verbrecher, die zur Zwangsarbeit verurteilt wurden, in Italien und Frankreich ihre Strafen verbüßten. Siehe Kommenden. Die wichtigsten Einkünfte des Sandžak-Bey vom Belgrader Markt waren die Marktgebühren. Den badž, das heißt die Handels- und Verkehrsgebühren auf alle Waren, die auf dem Markt verkauft wurden, bezahlte der baždar. Den badž konnte man nur auf dem Markt bezahlen, den ćumruk nur auf der Brücke oder der Fähre. Der SandžakBey konnte diese Gebühren direkt einziehen, weiterverpachten oder ein Angestellter des Pächters konnte sie begleichen. Barbarei, abgeleitet vom griechischen Wort bárbaros für nicht griechisch sprechende Völker, äußere Fremde, im Gegensatz zu xenos, dem inneren Fremden, auch für Land der Berber verwendet. Ersteres in der Kolonisationsphase der griechischen Antike entstanden und im Kontext der Perserkriege in seiner negativen und scharfen Konturierung geformt. Überdauerte als so genanntes europäisches Schlüsselwort die Antike und führte die Abgrenzung der Fremden, Andersartigen von der eigenen Kultur fort. In der Reihe der negativen Topoi dominieren Wildheit, Rohheit und Unwissenheit. Diese Unterschiede wurden von Hippokrates (später von Herodot aufgegriffen) durch die Klimatheorie erklärt. Dieser Begriff wird andererseits von europäischer Seite in der Neuzeit als Sammelbezeichnung für den Maghreb, also Marokko und die Regentschaften Algerien, Tunis und Tripolis verwendet. Brigantine, Mischform aus Brigg und Schoner, zweimastiges Segelschiff, hauptsächlich für die

504

Glossar

Küstenschifffahrt, aber auch für interatlantischen Handel eingesetzt. Bey Statthalter einer Unterprovinz, die aber in Nordafrika ein großes Ausmaß an Autonomie gewonnen haben, in sehr loser Abhängigkeit zum Osmanischen Reich (in französischen und italienischen Texten ,,Dey“). Bogumilen oder Bogomilen, bulg. für ,,die Gott lieb sind“ bzw. ,,Gott erbarme Dich“, christliche Religionsgemeinschaft, deren Anhänger auf äußere Rituale und Zeremonien verzichteten, da Gott im Innern des Menschen wohnt. Die Bewegung verbreitete sich vom 10. bis 15. Jahrhundert auf den Balkan, vor allem in Bosnien, und wurde wegen ihres Glaubens und ihrer Missionstätigkeit sowohl von Katholiken als auch von Orthodoxen verfolgt bzw. abgelehnt. In Anlehnung an Messalianer und Paulikianer entwickelte der Priester Bogumil die Lehre, wonach alles Materielle zu verwerfen sei, um unmittelbar mit Gott in Kontakt treten zu können. British Factory Interessengemeinschaft englischer Kaufleute. Bruderschaft Die Bruderschaft (ital. confraternita) war eine Vereinigung von Gleichgesinnten, meistens nur Männer, die politische, kulturelle, soziale oder religiöse Ziele verfolgten. Canhoneira/Canhoeira Kanonenboot, im Hafen von Belém für die Kontrolle der Aufrechterhaltung der Sanitätsvorschriften und Bewachung eingesetzt. Casa de Saúde (de Belém) Administrative Zentrale der Hafensanität im Lissaboner Hafen. Chevrot ,,Gesellschaften, Gemeinschaften“, Singular chevra, ,,Verband, Vereinigung“ (hebr.). Die chevrot waren und sind Vereine, die seit Jahrhunderten in allen jüdischen Gemeinden bestehen. Ihre Mitglieder kümmern sich um Kranke, bei Todesfällen übernehmen sie die Bestattung und unterstützten die Hinterbliebenen (chevra kadiša, ,,Beerdigungsgesellschaft“). Andere chevrot sorgen für Mitglieder, die sich in einer Notlage befinden. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden chevrot auch als Organisationen zur Selbsthilfe oder als Interessenvertretung. Contribution Funds 1721 durch Beschluss im britischen Parlament ins

Glossar

Corsario insurgente

Cristãos novos Devşirme

Divan Djimmi/dhimmi

Dodici

Dönme

505

Leben gerufener Unterstützungsfonds in Lissabon für schiffbrüchige britische Seeleute und in Not geratene Briten. Finanziert durch Abgaben auf Waren, die von britischen Schiffen nach Portugal gebracht wurden, verwaltet von Konsuln und Kaufleuten. Britisches Hospital in Lissabon wurde über diesen Fonds finanziert. Mit Kaperbriefen der aufständischen lateinamerikanischen Provinzen Spaniens und Portugals ausgestattete Korsaren. Siehe judeus novos. ,,Sammeln, Pflücken“ (türk.). Das Ausheben der Janitscharenrekruten (,,Knabenlese“). Man entriss – insbesondere auf dem Balkan – männliche Kinder ihrer heimischen Umgebung und bereitete sie auf ihren Dienst in der Armee oder Administration vor. Staatsrat (türk.), der zugleich als hohes Gericht wirkte. Die Mitglieder der millet im Osmanischen Reich nannte man djimmi, auf dem arabischen ,,ahl aldjima“ fußend, ,,Volk des Vertrages“. Juden und anderen religiösen Minderheiten innerhalb des Imperiums garantierten die Osmanen Leben, Besitz, Glaubensfreiheit und ungestörte Ausübung ihrer religiösen Traditionen, da sie Gottes Erlösung erhalten hatten, wenn auch aus muslimischer Sicht auf eine unvollendete Art und Weise. Jedenfalls sah sich das Osmanische Reich als Staat, der auf den Grundsätzen des Islam fußte, dazu verpflichtet, sie zu beschützen. Solange die djimmi die muslimische Herrschaft anerkannten und Sondersteuern zahlten, um vom Militärdienst befreit zu bleiben, wurde ihnen der absolute Schutz des Lebens, Besitzes und freie Religionsausübung garantiert. ,,Zwölf “ (ital.), regierende und beschlussfassende Versammlung (Kongress) der jüdischen Nation in Livorno. Sie wurde von Händlerfamilien bestimmt, die aus Spanien stammten. Später wurde diese oligarchische Versammlung auf 60 Personen aufgestockt. Die Funktion war vererbbar. Konvertiten (türk.). Gemeint sind jene Anhänger

506

Glossar

Emin

Empfänglichkeit

Escaler

Falua, Falucha, Falucho

Fondaco Geheime Juden Ghetto

Sabataj Sevis, die ihm in seiner Konversion zum Islam folgten. In frühen osmanischen Zeiten oblag der Einzug der Kopfsteuer der Christen, Juden und ,,Zigeuner“ dem emin, wobei dieser auch verpachtet werden konnte. Ab dem 17. Jahrhundert erscheint der so genannte harač-aga, der diese Funktion übernahm. Die Abgaben der Christen und Juden gingen in die Staatskasse, während die Kopfsteuern der ,,Zigeuner“ ins Lehen des Sandžak-Bey gingen. Der emin bejtulmana kümmerte sich um Verstorbene ohne Nachkommen bzw. um die Versteigerung ihres Besitzes, deren Erlös der Staatskasse zufiel. Der sogenannte emin der Belgrader Fähre war für Gebühren, Zölle und Abgaben verantwortlich und führte alleine oder mit einem katib (Schreiber) die Buchhaltung. Die osmanischen emine gab es auch auf den Marktplätzen der Republik Ragusa: Neben der Steuererhebung erfüllten sie wichtige Funktionen als Vermittler zwischen osmanischen und ragusanischen Behörden und Untertanen. Vorstellung, dass sich in gewissen Objektarten und Materialien die Seuchenansteckung in unterschiedlicher Ausprägung für einen gewissen Zeitraum festsetze. Kleine, einem Segelboot ähnelnde einmastige Schaluppe, meist als größeres Beiboot oder für die Erledigung leichterer Arbeiten im Hafenbereich verwendet, verfügte über drei bis sechs Ruderbänke. Kleines wendiges Schiff, in der Küstenschifffahrt, beim Fischfang oder als Küstenwache eingesetzt. Von Cádizer Sanitätsbehörde für die Überprüfung einfahrender Schiffe eingesetzt. Siehe Karawanserei. Siehe judeus novos. In der Diaspora lebten die Juden in bestimmten Stadtteilen. Der Begriff ghetto (ital.) existiert aber erst seit 1516. So hieß die Insel in Venedig, die als einziges Wohnviertel der jüdischen Gemeinde bestimmt wurde. Nur drei Brücken verbanden

Glossar

Großpriorat Guarda Mór

Han Hane

Harač-aga Haskala

Hodža Jolly Roger Judeus novos

507

sie mit den größeren Wohngebieten Venedigs. Seitdem ist ghetto die Bezeichnung von behördlich erzwungenen und räumlich beschränkten jüdischen Wohnvierteln, das ,,Judenviertel“. Der Ursprung dieses Wortes ist nicht sicher geklärt. Siehe Kommende. Vollständig: Guarda-Mór da Saúde do Porto de Belém. Höchster Lissaboner Sanitätsbeamter mit Verantwortung für den Hafen, Kopie des italienischen Systems, ursprünglich städtischer Posten zur Überwachung der Stadttore, allmählich auch für die maritime Kommunikation übernommen. Siehe Karawanserei. Haus, Haushalt, Raum (türk.); die übliche Wirtschaftseinheit, der von einer Familie bzw. von einem Haushalt, hane, bewirtschaftete Hof, çift. Siehe Emin. ,,Aufklärung“ (hebr.). Bewegung im 18. und 19. Jahrhundert in Mittel- und Osteuropa als Teil der europäischen Aufklärung. Die Anhänger der haskala wollten die seit Jahrhunderten überlieferte religiöse Lebensweise sprengen und weltliche Züge im Judentum fördern. Sie verbreiteten allgemeines Wissen unter den Juden und unterstützten zunächst die Akkulturation oder gar die Assimilation, erkannten aber bald die Gefahren, die sie bargen: eine Auflösung des jüdischen Volkes. Sie förderten weiterhin die Säkularisierung, jedoch auf jüdisch-nationaler Grundlage. Man entdeckte die hebräische Sprache wieder. Zwischen west- und osteuropäischer haskala gab es tiefgreifende Unterschiede. Im Osmanischen Reich Titel für den Lehrer, Geistlichen oder Meister. Piratenflagge (weißer Totenkopf mit gekreuzten Knochen auf schwarzem Grund), die als piratisches Hoheitszeichen diente. Judeus novos (port.) sind jene cristãos novos (,,neue Christen“) oder conversos (,,Konvertiten“), abschätzend auch marranos (,,Schweine“, span.) genannt, die aus Spanien oder Portugal stammten und in Gebieten, in denen ein jüdisches Leben grundsätzlich erlaubt war, wieder zum Juden-

508

Glossar

Junta de Sanidad

Junta da Saúde Kaper

Karawanserei

Kommende

tum zurückkehrten. Viele von ihnen waren der jüdischen Tradition im Geheimen auch auf der Iberischen Halbinsel treu geblieben (,,geheime Juden“). Viele mussten die Grundsätze jüdischer Lehre und Tradition neu lernen, deshalb judeus novos, ,,neue bzw. erneuerte, erneut jüdisch lebende Juden.“ Organisationseinheit, die die Belange öffentlicher Gesundheit und Hygiene, insbesondere die Abwehr von Epidemien als Einsatzgebiet hatte, entweder vollständig oder zum überwiegenden Teil von nichtmedizinisch ausgebildeten Führungskräften zusammengesetzt, in Spanien unterteilt auf städtischer (Junta Municipal de Sanidad), Provinz- (Junta Provinical de Sanidad) und nationaler Ebene. Siehe Junta de Sanidad. In Unterscheidung zur Piraterie akzeptierter Teil der Seekriegsführung, in dem private Unternehmer durch obrigkeitliche Kaperbriefe legitimiert waren, Schiffe unter feindlicher Flagge aufzubringen oder zu versenken, wofür sie an den Ausstellerstaat einen gewissen Prozentsatz der Beute abführen mussten. Theoretischer Anspruch auf Kombattantenstatus. Seit dem 12. Jahrhundert in Europa allgemeine Praxis, offiziell durch die Pariser Seerechtsdeklaration 1856 abgeschafft. In der Praxis fließender Übergang zur Piraterie. Unterkunft und zum Teil auch Handelsplatz und Warenlager, an Handelsstraßen oder in großen Städten, für durch Gebiete Asiens oder Afrikas ziehende Gruppen von Reisenden, Kaufleuten oder Forschern. Diese Benennung verwendeten vor allem die Reisenden. Der Terminus funduq (griechisch und arabisch) war in Ägypten des 13. und 14. Jahrhundert üblich. Viele Handelsstädte im Mittelmeerraum, etwa Venedig oder Genua, besaßen solche fondacos (italienisch) für die Unterbringung der ausländischen Kaufleute. Der Begriff khan, oft auch kan oder han geschrieben (persisch) wurde oft im persischen und osmanischen Raum gebraucht. Der Malteser Ritterorden war in Großpriorate und Balleien unterteilt, diese wiederum teilten sich in

Glossar

Konsul

Küçük Kaynarca

Levantini

509

Kommenden auf, die kleinsten selbständigen Verwaltungseinheiten. In erster Linie Interessenvertreter der ,,Nation“, vor allem deren Händler, vor Ort von einer Versammlung der Nation gewählt. Vom 18. Jahrhundert an mischten sich die Heimatländer immer mehr ein und verlangten, die Konsuln bestimmen zu dürfen. Daraus entstanden zahlreiche Konflikte. Die Aufgaben der Konsuln umfassten in erster Linie Überwachung vertraglich vereinbarter Handels- und Abgabeprivilegien, Schutz von Handel und Seefahrt, interne Schlichtung, Abwicklung der Erbschaften Verstorbener. Das Amt des Konsuls bot zudem den Vorteil der freien Religionsausübung im privaten Raum. Sie überprüften Pässe, Sanitätspatente und Mannschaftsauflistungen der eingetroffenen Schiffe der Nation, für die sie arbeiteten. Konsuln überwachten die Zollvisiten und waren Fachvertreter, die die Kaufleute vor Ort unterstützten, berieten und ihnen sprachlich zur Seite standen. Sie waren Vertreter der nazioni vor Ort, nicht die politischen Repräsentanten von Staaten. Es war durchaus üblich, mehrere nazioni gleichzeitig zu vertreten. Friedensvertrag 1774 zwischen Russland und dem Osmanischen Reich, Abtretung von Gebieten an Russland, freie Durchfahrt für Russland durch das Schwarze Meer und den Bosporus, Interessensvertretung christlich-orthodoxer osmanischer Untertanen durch Russland. Die venezianischen Behörden unterteilten die Juden in drei Gruppen – tedeschi, levantini, ponentini –, und unterstellten sie unterschiedlichen Regelungen. Nachdem Venedig Juden lange ausgeschlossen hatte, erlaubte man von 1382 an jüdischen Geldverleihern und Altwarenhändlern, sich hier niederzulassen. Diese nannte man tedeschi, ,,die Deutschen“. 1516 errichteten die Venezianer ein Ghetto, das erste Europas. Jüdischen Kaufleuten aber war es verboten, sich hier niederzulassen. Die venezianische Regierung hatte sich aus wirtschaftlichen Überlegungen 1541 entschlossen, für jüdische Kaufleute aus dem Os-

510

Glossar

Lingua franca

Livornina

Maamad

Maghreb

Mahala/mahalle Mahón Marranos Massari

manischen Reich eine Ausnahme zu machen. Die levantini, d. h. Juden, die aus dem Osmanischen Reich kamen, aber auch jene, die ursprünglich aus Spanien und Portugal stammten, jedoch über das Osmanische Reich nach Venedig eingereist waren, durften sich für eine begrenzte Zeit niederlassen. Durch diese neue Regelung gelang es Venedig in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, bald wieder ein wichtiger Umschlagplatz für den Warenaustausch mit der Levante zu werden. Von 1633 an kamen die ponentini hinzu, ,,westliche“ Juden, die entweder direkt aus Spanien und Portugal oder über andere westliche Länder nach Venedig gekommen sind oder aus diesen Ländern stammten. Sekundärsprache, Handels- und Verkehrssprache zwischen Sprechern verschiedener Sprachgemeinschaften. Verfassungsurkunden vom 30. Juli 1591 und 10. Juni 1593, erlassen vom toskanischen Großherzog Ferdinando I. Darin lädt er Händler aus aller Welt ein, sich in Livorno niederzulassen und Handel zu treiben. Aus sieben Mitgliedern bestehender Gemeinderat (hebr.) der nação, der ,,Nation“ (port.), zuständig für Organisation, Verwaltung und religiöse Ausrichtung der Gemeinde; seine Weisungen hatten zwingenden Charakter. Bezeichnet das unabhängige Marokko und die unter nominaler Herrschaft des Osmanischen Reiches stehenden Regentschaften Algerien, Tunis und Tripolis. Wohnviertel (türk.). ,,Schmutziges Lazarett“ Spaniens auf Menorca für die großen Seuchen, 1817 in Betrieb genommen. Siehe judeus novos. Vorsteher und Verwalter der jüdischen Nation in Livorno mit administrativen und richterlichen Funktionen. Sie wurden vom toskanischen Herrscher ernannt, nachdem die jüdische Versammlung eine Liste mit Kandidaten vorgestellt hatte. Meist Kaufleute aus angesehenen Familien, die von der Iberischen Halbinsel nach Livorno kamen.

Glossar

Messalianer

Millet

Misericórdia

Monti di pietà

Muezzin Muhtesib (ihtisab)

Mukata

511

,,häretische“ Sekte, die sich im 4. Jahrhundert in Mesopotamien herausbildete. Die Bewegung existierte im Osten bis ins 9. Jahrhundert. Ablehnung der Sakramente und zentrale Bedeutung des Gebetes. ,,Nation“ (türk.), war die Bezeichnung für eine nichtmuslimische Bevölkerungsgruppe des Osmanischen Reiches. Das millet-System, eine autonome Selbstverwaltung, an deren Spitze die jeweiligen religiösen Führer standen, wurde zunächst für die griechisch-orthodoxen Einwohner geschaffen, später auf die jüdische und armenische Bevölkerung ausgedehnt. Laizistische religiöse portugiesische Bruderschaften, die sich ab Ende des 15. Jahrhunderts konstituierten, um sich der Pflege und Unterstützung von Kranken und Invaliden zu widmen; im Gegensatz zu anderen Bruderschaften sehr elitär. Sie verwalteten von 1562 bis Mitte des 20. Jahrhunderts in Lissabon das Haupthospital. Heute die Bezeichnung für eine Pfandleihe, sie dienten im 15. Jahrhundert als Wohltätigkeitsfonds für Menschen in finanziellen Schwierigkeiten. Sie waren ausdrücklich dazu bestimmt, die Juden aus dem Kreditgeschäft zu verdrängen. ,,Gebetsrufer“ (arab.) im Islam. Der muhtesib war das polizeilich-administrative Organ, das verantwortlich für Recht und Ordnung war. Er hatte die oberste Aufsicht über berufliche und wirtschaftliche Angelegenheiten wie den Handel, den Verkehr, den Städtebau sowie über Sitte und Hygiene. Ein Prozent der Einnahmen ging an den muhtesib. Diesen muhtesib gab es in Belgrad von 1528 bis etwa 1660, danach hieß er bis zum Ende der osmanischen Herrschaft čaršu-čehaja. Begriff für alle staatlich verpachteten Objekte mit deren Einkünften. Die finanzielle ,,Pachtstruktur“ des Staates deckte sich aber nicht mit der juristisch-verwaltungstechnischen und militärischpolitischen Einteilung des Staates. Die finanzielle Kontrolle und Verwaltung oblag der Stadt (Belgrad), nicht dem Sandžak.

512

Glossar

Nation/nazione

Paulikianer

Pax Ottomanica

Pforte Pidgin Polaka

Ponentini Pratica/Platica/Practica

Prisenrecht

Provedor-Mór

Eine nazione (auch universitas) ist eine Institution, die aus dem Mittelalter stammt und vor allem im Mittelmeerraum, speziell in den Häfen der Levante, eine wichtige Rolle spielte; einerseits ein auf Handelsinteressen wie gemeinsamer geographischer Herkunft basierender korporativer Zusammenschluss kaufmännischer Fremder zur Durchsetzung ihrer gemeinsamen Interessen und Privilegien, andererseits aber auch zur Unterscheidung von Gruppierungen nach Religion oder geographischer Herkunft eingesetzt. Dualistische (Gott der Materie und Gott der Seelen, des Himmels, der alleine verehrt werden soll) häretische Sekte, mit Ursprung im Manichäismus. Herkunft des Namens unsicher, wohl nicht auf Apostel Paulus zurückzuführen. Eine Bezeichnung für die zeitliche Periode (vor allem 16. und 17. Jahrhundert) auf dem Balkan und anderen vom Osmanischen Reich eroberten Gebieten, als die diversen Gruppierungen relativ friedlich miteinander lebten. Bezeichnung für die osmanische Regierung, benannt nach ihrem Regierungssitz. Mischsprache aus Elementen der Ausgangsund der Zielsprache. Schweres Transportschiff, das den maritimen Handel im Mittelmeer im 18. Jahrhundert dominierte, bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts die atlantischen und nordeuropäischen Schiffstypen der Brig und Brigantine das Mittelmeer eroberten. Wurde gern im Levantehandel eingesetzt, am meisten von Griechen genutzt. Siehe levantini. Freie Kommunikation für Schiffe, Personen und Waren, die entweder als ungefährlich erachtet wurden und deshalb keine sanitären Maßnahmen durchlaufen mussten, oder für diejenigen, die nach Ableistung der Quarantänezeit als ungefährlich deklariert wurden. Gewohnheitsrechtlicher Teil des Seekriegsrechts, Maßnahmen von Kriegsschiffen gegenüber feindlichen und neutralen Handelsschiffen, schließt auch das Erbeuten von Privateigentum mit ein. Vollständig: Provedor-Mór da Saúde da Corte

Glossar

Registo (de entrada) Risorgimento Sandžak-Bey

Schmutzig, sucio/sujo Schmutziges Lazarett

Schmutziges Patent

Schwarzer Tod

Seuchenkordon

Stracceria/Strazzaria

Sürgün

Ušur

513

e Reino. Leiter der portugiesischen nationalen Gesundheitsbehörde, nur dem König und dem Lissaboner Stadtrat Rechenschaft schuldig. Sanitäre Überprüfung von Fischerboten, die vom Hochseefischfang kamen. Italienische Einigungsbestrebungen im 19. Jahrhundert. Der Vorsitzende (bey auch beg) eines Sandžak (Verwaltungseinheit im Osmanischen Reich). Siehe auch Bey. Im Quarantänezusammenhang entweder höchst seuchenverdächtig oder verseucht. Spezielles Quarantänelazarett, um Schiffe aus den höchst verdächtigen oder tatsächlich verseuchten Regionen oder diejenigen, die einen Pestausbruch an Bord hatten, aufzunehmen und zu behandeln. Verdächtigkeitskategorisierung des Gesundheitspasses, wenn ein Schiff aus einem Hafen kam, der oder dessen Umgebung aktuell als verseucht erklärt war. Derart etikettierte Schiffe durften ausschließlich ,,schmutzige Lazarette“ anlaufen. Pestpandemie 1347–1352, auch das Große Sterben genannt, die zwischen ein Viertel und ein Drittel der europäischen Bevölkerung auslöschte. Terrestrische Quarantäneinstitution, vor allem auf dem Balkan gegen das Osmanische Reich eingesetzt. Mittels militärischer Absperrung wird versucht, ein Gebiet in zwei vollständige getrennte Bewegungsradien zu teilen. Handel mit Gebrauchtwaren. Gemäß Artikel 31 der Livornina (Version 1593) war es Juden verboten, in dieser Branche tätig zu sein. Umsiedlungen im Osmanischen Reich. Nach der Eroberung Konstantinopels 1453 griff der Sultan zu dieser Zwangsmaßnahme, um der Stadt zu ihrer früheren Größe und Blüte zu verhelfen. Viele Untertanen zogen aber auch freiwillig nach Istanbul, da diese aufstrebende Stadt ihnen gute Existenzmöglichkeiten bot. Mahlgeld. Eine Abgabe, die vorerst nur von Christen, später von allen Bewohnern Belgrads entrichtet werden musste, so wie etwa die dem SandžakBey zufließenden Steuern aus Ackererträgen, dem Weinbau, der Imkerei oder der Fischerei.

514

Glossar

Visita

Waldenser

Yeniçeri/Janitscharen

Befragung über die Reise, Herkunft des Schiffes und der Passagiere und etwaige Ereignisse unterwegs. Die Ergebnisse der Visita bildeten die Grundlage für die Entscheidung über die Quarantäneart und -dauer; auch ärztliche Beurteilung, ebenfalls aus einer gewissen Entfernung, ob die Insassen eines Quarantäneschiffes als gesund einzuschätzen waren; Voraussetzung, um eine practica zu erhalten. In Südfrankreich im 12. Jahrhundert entstandene Bußbewegung, die ein Leben in Armut gelobte, benannt nach ihrem Begründer, dem Lyoner Kaufmann Petrus Waldes. Die Waldenser, zunächst eine Laienbewegung innerhalb der abendländischen Kirche, wurden vor allem wegen der von ihnen trotz kirchlichen Verbots praktizierten Laienpredigt 1184 als Häretiker verurteilt. 1532 schlossen sich die Waldenser der Reformation an. ,,Neue Truppe“ (türk.), eine Fußtruppe, seit 1329 aus christlichen Kriegsgefangenen gebildet, die zum Islam übergetreten waren. Seit 1360 rekrutierte man Janitscharen durch die Verschleppung von Knaben, hauptsächlich von der Balkanhalbinsel. In der Blütezeit des Osmanischen Reiches bildeten die Janitscharen die Kerntruppe des Heeres. Das Janitscharenheer wurde 1826 aufgelöst.

Ungedruckte Quellen Ancona Archivio di Stato di Ancona (ASAN) Archivio Storico Comunale di Ancona (A.C.AN) Archivio Notarile di Ancona (A.N.AN) Notai di Ancona (Notai An – ex. A.C.AN) Belgrad Istorijski Arhiv Beograda, Belgrad (AB) UGB: Uprava grada Beograda 1839–1944 UVB: Uprava varoši Beograda Arhiv Srbije, Belgrad (AS) KK: Kneževa Kancelarija KK II: Narodna kancelarija 1816–1826 KK III: Obštestvo Beogradsko KK X: Vojska 1829–1839 KK XV: Nahija Kragujevačka KK XL: Varia 1813–1840 P: Ministarstvo unutrašnjih dela policajno odeljenje 1839–1914 V: Varia, Zbirka ZMP: Zbirka Mite Petrovića 1711–1899 PO: Zbirka pokloni i otkupi 1282–1960 Jevrejski Muzej, Belgrad Cádiz Archivo Histórico Provincial Cádiz (AHPC): Junta de Sanidad Archivo Histórico Municipal Cádiz (AHMC): Actas Capitulares Dubrovnik (Ragusa) Historijski Arhiv Dubrovnik (HAD) Dubrovački Arhiv Dubrovnik (DAD), Acta Turcarum Jerusalem The Central Archives for the History of the Jewish People, Jerusalem (CAHJP) JCA: Jewish Colonization Association ORT: Obščestvo Rasprostranenija Truda sredi evreev Lissabon Arquivo Nacional da Torre do Tombo (ANTT): Ministério dos Negócios Estrangeiros Ministério do Reino Junta da Saúde Pública Livorno Archivio di Stato di Livorno (ASL)

516

Ungedruckte Quellen

Malta National Archives of Malta (NAM) New York Institute for Jewish Research, New York (YIVO) Triest Archivio di Stato Biblioteca Civica Museo Civico di Storia Naturale Museo Civico di Storia del Arte Wien Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien (HHStA)

Gedruckte Quellen und Literatur Da wir viele Felder anschneiden, konnten wir nur eine Auswahl der tatsächlich vorhandenen Literatur nennen. Einerseits erwähnen wir Titel, die eine gute Einführung in die jeweiligen Gebiete geben, andererseits Literatur, die uns bei der Entwicklung der Arbeit entscheidend beeinflusste. Abbassi, Driss: Quand la Tunisie s’invente. Entre Orient et Occident, des imaginaires politiques. Paris 2009. Abela, A.E.: Governors of Malta. Malta 1991. Abela, Joseph S.: Malta. A Panoramic History. A Narrative History of the Maltese Islands. 2. Aufl. Malta 1999. Abou-Hodeib, Toufoul: Quarantine and Trade: The Case of Beirut, 1831–1840. In: International Journal of Maritime History 19/2 (2007), S. 223–244. Abu-Lughod, Lila, Catherine Lutz: Language and the Politics of Emotion. Cambridge 1990. Abu-Lughod, Lila: Writing Women’s Worlds. Bedouin Stories. Berkeley usw. 1993. Adams, Percy G.: Travelers and Travel Liars, 1660–1800. Berkeley, Cal. 1962. Adanir, Fikret u. a.: Traditionen und Perspektiven vergleichender Forschung über die historischen Regionen Osteuropas. In: Osteuropäische Geschichte in vergleichender Sicht. Festschrift für Klaus Zernack zum 65. Geburtstag. Berlin 1996 (= Berliner Jahrbuch für osteuropäische Geschichte. Band 1), S. 11–43. Adler, Elkan Nathan: Jews in Many Lands. Philadelphia 1905. Adler, Elkan Nathan: Von Ghetto zu Ghetto. Reisen und Beobachtungen. Stuttgart 1909. Afonso, António Jorge: Portugal e o Maghrebe nos finais do Antigo Regime. Universidade de Lisboa 1998 (unveröffentlichte Masterarbeit). Ágh, Attila: Emerging Democracies in East Central Europe and the Balkans. Cheltenham 1998. Agnew, John: Geopolitics. Re-Visioning World Politics. London, New York 1998. Ágoston, Gábor: Guns for the Sultan Military Power and the Weapons Industry in the Ottoman Empire. Cambridge 2005. Agrimi, Jole, Chiara Crisciani: Malato, Medico e Medicina nel Medioevo. Turin 1980. Ajdačić, Dejan: The Magical and Aesthetic in the Folklore of Balkan Slavs. Papers of an International Conference, Belgrade, 1993. Belgrade 1994. Algazi, Gadi: Herrengewalt und Gewalt der Herren im späten Mittelalter. Herrschaft, Gegenseitigkeit und Sprachgebrauch. Frankfurt a.M., New York 1996. Alheit, Peter, Erika M. Hoerning: Biographisches Wissen. Beiträge zu einer Theorie lebensgeschichtlicher Erfahrung. Frankfurt a.M. 1990. Allen, D. F.: James II in Pursuit of a Pirate at Malta. In: The British Library Journal 16/2 (1990), S. 109–116. Alltagsgeschichte. Zur Rekonstruktion historischer Erfahrungen und Lebensweisen. Hg. von Alf Lüdtke. Frankfurt, New York 1989. Alterity, Identity, Image. Selves and Others in Society and Scholarship. Hg. von Raymond Corbey, Joep Leerssen. Amsterdam 1991. Althammer, Beate: Einleitung. In: Bettler in der europäischen Stadt der Moderne. Zwischen

518

Gedruckte Quellen und Literatur

Barmherzigkeit, Repression und Sozialreform. Hg. von Beate Althammer. Frankfurt a.M. usw. 2007, S. 3–22. Althoff, Gerd u. a.: Zeichen – Rituale – Werte. Internationales Kolloquium des Sonderforschungsbereichs 496 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Münster 2004. Althoff, Gerd: Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter. Darmstadt 2003. Althoff, Gerd: Inszenierte Herrschaft. Geschichtsschreibung und politisches Handeln im Mittelalter. Darmstadt 2003. Altomare, Renata: Contributo allo studio della comunità francese a Livorno nel secolo XVII. Pisa 1976/1977. Amine, Mohamed: Conditions et Mouvement des echanges de la regence ottomane d’Alger. In: Revue d’histoire Maghrebine 69–70 (1993) S. 11–48. Ancel, Jacques: Peuples et nations des Balkans. Paris 1930. Anderson, Benedict: Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism. London 1999. Anderson, George K.: The Legend of the Wandering Jew. Boston 1965. Anderson, Jon: Understanding Cultural Geography. Places and Traces. London 2009. Andrejević, Andrej: Typologie des hammams turcs en Serbie. In: La culture urbaine des Balkans (XVe–XIXe siècles) – La ville dans les Balkans depuis la fin du Moyen Age jusqu’au début du XXe siècle. Hg. von Ivan Ninić. Belgrade, Paris 1991, S. 133–146. Angehrn, Emil: Geschichte und Identität. Berlin, New York 1985. Angelelli, Pierre, Yves Moretti: Cours de Droit maritime. Rennes 2008. Anger’s Past. The Social Uses of an Emotion in the Middle Ages. Hg. von Barbara H. Rosenwein. Ithaca, London 1998. Angiolini, Franco: Der Hafen. In: Orte des Alltags. Miniaturen aus der europäischen Kulturgeschichte. Hg. von Heinz-Gerhard Haupt. München 1994, S. 44–50. Anglijski p"tepisi za balkanite (kraja na XVI-30-te god. na XIXv.). British Travellers’ Accounts on the Balkans (End of the 16th Century until 1830). Hg. von Marija N. Todorova. Sofia 1987. Anselmi, Sergio: Adriatico. Studi di storia secoli XIV–XIX. Ancona 1991. Anselmi, Sergio: La ,,Guerra di corsa“ nel Mediterraneo nei secoli XV–XVIII. In: Il Veltro. Rivista della civiltà italiana 2/4 (1979) S. 197–213. Anselmi, Sergio: Mercanti, corsari, disperati e streghe. Bologna 2000. Anselmi, Sergio: Venezia, Ragusa, Ancona tra Cinque e Seicento: Un momento della storia mercantile del Medio Adriatico. In: Atti e Memorie, Serie VIII – Volume VI. Hg. von Deputazione di storia patria per le Marche. Ancona 1972, S. 41–108. Antébi, Elisabeth: Les missionaires juifs de la France. Paris 1999. Apih, Elio: Trieste. Roma, Bari 1988. Appleby, John C.: Die Profite des Krieges: Englisches Freibeutertum während der spanischfranzösischen Kriege, 1625–1630. In: Piraten, Abenteuer oder Bedrohung? Hg. von Hartmut Roder. Bremen 2000, S. 42–51. Applegate, Celia: A Nation of Provincials. The German Idea of Heimat. Berkeley usw. 1990. Araújo de, Bartolomeu, Ana Cristina: As invasões francesas e a afirmação das ideas liberais. In: História de Portugal. Hg. von José Mattoso. Band 5. Lissabon 1994, S. 17–43. Arbel, Benjamin: Jews in International Trade. The Emergence of the Levantines and Po-

Gedruckte Quellen und Literatur

519

nentines. In: The Jews of Early Modern Venice. Hg. von Robert C. Davis, Benjamin Ravid. Baltimore 2001, S. 3–30. Arbel, Benjamin: Trading Nations. Jews and Venetians in the Early Modern Eastern Mediterranean. Leiden usw. 1995 (= Brill’s Series in Jewish Studies). Ariès, Philippe: Geschichte des Todes. Nördlingen 1982. Arnakis, George: The Role of Religion in the Development of Balkan Nationalism. In: The Balkans in Transition. Essays on the Development of Balkan Life and Politics since the Eighteenth Century. Hg. von Charles Jelavich, Barbara Jelavich. Berkeley, Los Angeles 1963, S. 115–144. Aschheim, Steven E.: Between East and West; Reflections on Migration and the Making of German-Jewish Identity, 1800–1880. In: Studia Rosenthaliana. Journal for Jewish Literature and History in the Netherlands and Related Subjects. Special Issue 23 (1989), S. 77–87. Ashtor, Eliyahu: Gli ebrei di Ancona nel periodo della repubblica. In: Le Marche e l’Adriatico orientale: Economia, società, cultura dal XIII secolo al primo ottocento. Hg. von Deputazione di storia patria per le Marche. Ancona 1978, S. 331–368. Ashtor, Eliyahu: The Jews of Moslem Spain. 3 Bde. Philadelphia 1973–1979. Assimilation and Community. The Jews in Nineteenth-Century Europe. Hg. von Jonathan Frankel, Steven J. Zipperstein. Cambridge usw. 1992. Assmann, Aleida: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. München 1999. Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München 1999. Autengruber, Michael, Klaus H. Feder: Bayern und Malta. Das Großpriorat Bayern der Bayerischen Zunge des Souveränen Malteser Ritterordens und seine Insignien (1782–1808). Konstanz 2002. Azzopardi, John, Mario Buhagiar: The Order’s Early Legacy in Malta: The Sovereign Military Hospitaller Order of St. John of Jerusalem of Rhodes and of Malta by Knights of Malta. Said International, Valletta/Malta 1989. Baasch, Ernst: Hamburgs Convoyschiffahrt und Convoywesen. Ein Beitrag zur Geschichte der Schiffahrt und Schiffahrtseinrichtungen im 17. und 18. Jahrhundert. Hamburg 1896. Babudieri, Fulvio: Le attività marittime dell’emporio di Trieste nel periodo immediatamente precedente e susseguente la prima guerra mondiale. In: Annali XXXI (1962) S. 299–342. Bachmann-Medick, Doris: Spatial Turn. In: dies.: Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften. 3. neu bearb. Aufl. Reinbek 2009, S. 284–328. Badcock, Lovell: Rough Leaves from a Journal Kept in Spain and Portugal during the Years 1832, 1833, & 1834. London 1835. Bader, Sandra: Illusion und Wirklichkeit im deutschen Italienbild des 18. Jahrhunderts: Der Weimarer Italianist Christian Joseph Jagemann. Jena 2003. Baer, Yitshak: A History of the Jews in Christian Spain. 2 Bde. Philadelphia 1978. Baer, Yizhak: Die Juden im christlichen Spanien. Urkunden und Regesten. 2 Bde. Berlin 1929–1936. Baker, Peter: Deconstruction and the Ethical Turn. Gainesville usw. 1995. Baker, Thomas u. a.: Piracy and Diplomacy in Seventeenth-Century North Africa: The Journal of Thomas Baker, English Consul in Tripoli, 1677–1685. Hg. von C. R. Pennell. London 1989. Baldwin, Peter: Contagion and the state in Europe. 1830–1930. Cambridge 1999.

520

Gedruckte Quellen und Literatur

Bamford, Paul Walden: The Knights of Malta and the King of France, 1665–1700. In: French Historical Studies, 3/4 (1964) S. 429–453. Bandić, Dusšan: Narodna religija Srba u 100 pojmova, 2. isprav. izd. ed. Beograd 2004. Banse, Ewald: Harem, Sklaven, Karawanen. 2. Aufl. Wien usw. 1921. Barnes, John A.: Networks and Political Processes. In: Social Networks in Urban Situations. Hg. von James Clyde Mitchell. Manchester 1969, S. 51–76. Baron, Salo Wittmayer: A Social and Religious History of the Jews. 18 Bde. 2. Aufl. New York usw. 1952–1983. Baron, Salo Wittmayer: Church and State Debates in the Jewish Community in 1848. In: Mordechai Kaplan Jubilee Volume. Hg. von Moshe Davis. New York 1953, S. 49–72. Baron, Salo Wittmayer: The Jewish Community. Its History and Structure to the American Revolution. Philadelphia 1942, Nachdruck Westport, Conn. 1972. Barthes, Roland: Mythen des Alltags. 17. Aufl. Frankfurt a.M. 1996. Bartl, Peter: Albanien. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Regensburg 1995. Bartl, Peter: Der Westbalkan zwischen spanischer Monarchie und osmanischem Reich. Zur Türkenkriegsproblematik an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert. Wiesbaden 1974. Bartoli, Matteo Giulio. Il Dalmatico. In: Enciclopedia Italiana di Scienze, Lettere ed Arti. Bartolo, Augustus: The Present Position in Malta. Journal of the Royal Institute of International Affairs 9/5 (1930), S. 616–635. Baruchello, Mario: Livorno e il suo porto. Origini, caratteristiche e vicende dei traffici livornesi. Livorno 1932. Bashford, Alison: Imperial Hygiene. A Critical History of Colonialism, Nationalism and Public Health. Basingstoke 2004. Bastian, Andrea: Der Heimat-Begriff. Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung in verschiedenen Funktionsbereichen der deutschen Sprache. Tübingen 1995. Bat, Ye’or: The Dhimmi. Jews and Christians under Islam. London usw. 1985. Battenberg, Friedrich: Zwischen Integration und Segregation. Zu den Bedingungen jüdischen Lebens in der vormodernen christlichen Gesellschaft. In: Aschkenas 6/2 (1996), S. 421–454. Baudrillard, Jean, Marc Guillaume: Figures de l’altérité. Paris 1994. Bauman, Zygmunt: Unbehagen in der Postmoderne. Hamburg 1999. Baumann, Ulrich: Zerstörte Nachbarschaften. Christen und Juden in badischen Landgemeinden 1862–1940. Hamburg 2000. Baumeister, Roy F.: Identity. Cultural Change and the Struggle for Self. New York, Oxford 1986. Bavelas, Alex: A Mathematical Model of Group Structure. In: Human Organizations 7 (1948), S. 16–30. Bayly, C. A.: ,,Archaic“ and ,,Modern“ Globalization, 1750–1850. In: Globalization in World History. Hg. von A. G. Hopkins. New York 2002, S. 45–72. Bazala, Vladimir: Della peste e dei modi di preservarsene nella Repubblica di Ragusa. Zagreb 1954. Beaujeau-Garnier, Jacqueline: Geography of Population. London 1973. Bebiano, José Bacellar: O porto de Lisboa. Estudo de história económica seguido de um catálogo bibliográfico e iconográfico (quinto centenário do infante D. Henrique). Lissabon 1960.

Gedruckte Quellen und Literatur

521

Beck, Ulrich: Die Erfindung des Politischen. Zu einer Theorie reflexiver Modernisierung. Frankfurt a.M. 1993. Beck, Ulrich: Was ist Globalisierung? Irrtümer des Globalismus – Antworten auf Globalisierung. Frankfurt a.M. 2007. Bedarida, Gabriele: Gli Ebrei a Livorno. Cenni storici. In: Livorno crocevia di culture ed etnie diverse: Razzismi ed incontri possibili. Hg. von Circolo Culturale ,,Gramsci“ u. a. Livorno 1992, S. 41–46. Bellatti Ceccoli, Guido: Tra Toscana e Medioriente. La storia degli arabi cattolici a Livorno (sec. XVII–XX). Livorno 2008. Belliger, Andréa u. a.: Ritualtheorien. Ein einführendes Handbuch. 4. Aufl. Wiesbaden 2008. Beltramo Ceppi Zevi, Claudia, Nicoletta Confuorto: Firenze e la Toscana dei Medici nell’Europa del Cinquecento. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung von 1980 unter der Schirmherrschaft des Europarats. 4 Bde. Band 4: La corte, il mare, i mercanti. La rinascita della scienza. Editoria e società. Astrologia, magia e alchimia nel Rinascimento fiorentino ed europeo. Firenze 1980. Ben-Artzi, Yossi: Early Jewish Settlement Patterns in Palestine, 1882–1914. Jerusalem 1997. Benbassa, Esther, Aron Rodrigue: Histoire des juifs sépharades de Tolède à Salonique. Paris 2002. Benbassa, Esther, Aron Rodrigue: Sephardi Jewry. A History of the Judeo-Spanish Community, 14th–20th Centuries. Berkeley, Cal. usw. 2000. Benbassa, Esther, Aron Rodrigue: The Jews of the Balkans. The Judeo-Spanish Community, 15th to 20th Centuries. Oxford usw. 1995. Benbassa, Esther: Questioning Historical Narratives. The Case of Balkan Sephardi Jewry. In: Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts 2 (2003), S. 15–22. Benevolo, Leonardo u. a.: La città europea fuori d’Europa. Milano 2000. Benjamin, Walter: Illuminationen. Ausgewählte Schriften. 4 Bde. Frankfurt a.M. 1972– 1977. Benoliel, José: Dialecto judeo-hispano-marroquí o hakitia. Madrid 1977. Beraza, Agustín: Los Corsarios de Artigas. Montevideo 1978. Bérenger, Jean: Die Geschichte des Habsburgerreiches 1273–1918. Wien usw. 1995. Bergdolt, Klaus: Die Pest 1348 in Italien. Fünfzig zeitgenössische Quellen. Heidelberg 1989. Bergdolt, Klaus: Die Pest. Geschichte des Schwarzen Todes. München 2006 Bergdolt, Klaus: Pest, Stadt, Wissenschaft – Wechselwirkungen in oberitalienischen Städten vom 14. bis 17. Jahrhundert. In: Berichte zur Wissenschafts-Geschichte 15 (1992), S. 201– 211. Berichten, Erzählen, Beherrschen. Wahrnehmung und Repräsentation in der frühen Kolonialgeschichte Europas. Hg. von Susanna Burghartz u. a. Frankfurt a.M. 2003. Berkowitz, Michael: Zionist Culture and West European Jewry Before the First World War. Cambridge 1993. Bernecker, Walter L.: Spanische Geschichte. Von der Reconquista bis heute. Darmstadt 2002. Bernecker, Walther L., Horst Pietschmann: Geschichte Portugals vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. München 2001. Bernecker, Walther L., Horst Pietschmann: Geschichte Spaniens. Von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Stuttgart 1993.

522

Gedruckte Quellen und Literatur

Bernecker, Walther L.: Sozialgeschichte Spaniens im 19. und 20. Jahrhundert. Vom Ancien Régime zur Parlamentarischen Monarchie. Frankfurt a.M. 1990. Berry, George: Seventeenth Century England: Traders and Their Tokens. London 1988. Berti, Marcello: Aspetti dell’attività commerciale di Livorno all’inizio del regime di porto franco colti da un osservatorio significativo: La società di Giulio del Beccuto. In: Atti del convegno ,,Livorno e il Mediterraneo nell’età Medicea”. Livorno 1978, S. 289–305. Bethencourt, Francisco: L’inquisition à l’époque moderne: Espagne. Italie. Portugal. XVe – XIXe siècle. Paris 1995. Betrán Moya, José Luis: Historia de las epidemias en España y sus colonias (1348–1919). Madrid 2006. Betschart, Andreas: Zwischen zwei Welten. Illustrationen und Berichte westeuropäischer Jerusalemreisender des 15. und 16. Jahrhunderts. Würzburg 1996 (= Würzburger Beiträge zur deutschen Philologie. Band 15). Beurier, Jean-Pierre u. a.: Droits maritimes. 2. Aufl. Paris 2008. Bhabha, Homi K.: Grenzen, Differenzen, Übergänge. In: Grenzen. Differenzen, Übergänge: Spannungsfelder inter- und transkultureller Kommunikation. Hg. von Antje Gunsenheimer. Bielefeld 2007, S. 29–48. Bhabha, Homi K.: The Location of Culture. London, New York 2004. Bhabha, Homi K.: The Other Question. Difference, Discrimination and the Discourse of Colonialism. In: Literature, Politics and Theory. Papers from the Essex Conference 1976– 84. Hg. von Francis Barker u. a. London, New York 1986, S. 148–172. Biagi, Maria Grazia: I Consoli delle Nazioni a Livorno. In: Atti del convegno ,,Livorno e il Mediterraneo nell’età Medicea. Livorno 1978, S. 361. Biberfeld, Eduard: Der Reisebericht des David Reubeni. Ein Beitrag zur Geschichte des XVI. Jahrhunderts. Berlin 1892. Biegman, Nicolaas Hendrik: The Turco-Ragusan Relationship According to the Firm¯ans of Mur¯ad III (1575–1595) Extant in the State Archives of Dubrovnik. The Hague 1967. Bieritz, Heinrich: Das Kirchenjahr. Feste, Gedenk- und Feiertage in Geschichte und Gegenwart. München 2005. Biraben, Jean-Noël: Das medizinische Denken und die Krankheiten in Europa. In: Die Geschichte des medizinischen Denkens. Antike und Mittelalter. Hg. von Mirko D. Grmek. München 1996, S. 356–401. Biraben, Jean-Noël: Les hommes et la peste en France et dans les pays européens et méditerranées. 2 Bde. Paris 1975–1976. Birch, Debra J.: Pilgrimage to Rome in the Middle Ages. Continuity and Change. Woodbridge 1998 (= Studies in the History of Medieval Religion). Birmingham, David: A Concise History of Portugal. Cambridge 1993. Birnbaum, Marianna D.: The Long Journey of Gracia Mendes. Budapest 2003. Blachère, Régis: Extraits des principaux géographes arabes du Moyen Age. Paris 1932. Blanks, David R., Michael Frassetto: Western Views of Islam in Medieval and Early Modern Europe. Perception of Other. New York 1999. Bloch, Marc: Apologie der Geschichte oder der Beruf des Historikers. 3. Aufl. Stuttgart 1992. Bloch, Marc: Aus der Werkstatt des Historikers. Zur Theorie und Praxis der Geschichtswissenschaft. Hg. von Peter Schöttler. Frankfurt a.M. 2000. Bloch, Marc: Für eine vergleichende Geschichtsbetrachtung der europäischen Gesellschaf-

Gedruckte Quellen und Literatur

523

ten. In: Alles Gewordene hat Geschichte. Die Schule der Annales in ihren Texten 1929–1992. Hg. von Matthias Middell, Steffen Sammler. Leipzig 1994, S. 121–167. Blondy, Alain: L’ordre de Malte et Malte dans les affaires polonaises et russes au XVIIIe siècle. In: Revue des Études Slaves 66 (1994), S. 733–755. Blumenkranz, Bernhard: Juifs et Chrétiens dans le monde occidental (430–1096). Paris 1960. Boberg, Frank: Canal d’Entreroches: Der Bau eines Schiffahrtsweges von der Nordsee bis zum Mittelmeer im 17. Jahrhundert. Stuttgart 1987 (= Forschungsbeiträge des Förderkreises Vermessungstechnisches Museum e.V. Bd. 1). Bochalli, Richard: Robert Koch. Der Schöpfer der modernen Bakteriologie. Stuttgart 1954. Bodian, Miriam: Hebrews of the Portuguese Nation. Conversos and Community in Early Modern Amsterdam. Bloomington, Ind. 1999. Boeckh, Kathrin: Zum Judentum in Südosteuropa. In: Religion und Gesellschaft in Südosteuropa. Hg. von Hans-Dieter Döpmann. München 1997, S. 87–104. Bogdanović, Dimitrije: Stara srpska rukopisna i štampana knjiga, iz beogradskih zbirki, katalog izložbe. Beograd 1984. Bogue, Donald Joseph: Principles of Demography, New York 1969. Böhme, Hartmut u. a.: Orientierung Kulturwissenschaft. Was sie kann, was sie will. Reinbek bei Hamburg 2000. Bohn, Cornelia: Habitus und Kontext. Ein kritischer Beitrag zur Sozialtheorie Bourdieus. Opladen 1991. Bohn, Robert: Die Piraten. 2. Aufl. München 2005. Bojović, Bosko: Dubrovnik et les Ottomans 1430–1472. 20 actes de Murad II et de Mehmed II en médio-serbe. In: Turcica 19 (1987), S. 119–173. Bollenbeck, Georg: Bildung und Kultur. Glanz und Elend eines deutschen Deutungsmusters. Frankfurt a.M. 1994. Bombelles, Marquis de: Journal d’un ambassadeur de France au Portugal 1786–1788. Editiert und kommentiert von Roger Kann. Paris 1979. Bomfim, Zulmira Aurea Cruz, Enric Pol Urrutia: Affective Dimension in Cognitive Maps of Barcelona and São Paulo. In: International Journal of Psychology 40/1 (2005), S. 37–50. Bonastra Tolós, Joaquim: Ciencia, sociedad y planificación territorial en la institución del lazaretto (Dissertation). Barcelona 2006 (http://www.tesisenxarxa.net/TDX-0728106122030/index.html. 14.1.2009). Bonfil, Roberto: Gli ebrei in Italia nell’epoca del Rinascimento. Firenze 1991. Bono, Salvatore: Achat d’esclaves turcs pour les galères pontificales (XVIe–XVIIIe siècle). In: Revue de l’Occident Musulman et de la Méditerranée 39 (1985) S. 79–92. Bono, Salvatore: Esclaves musulmans en Italie. In: La Méditerranée au XVIIIe siècle. Actes du Colloque International tenu à Aix-en-Provence les 4, 5, 6 septembre 1985. Aix-enProvence 1987, S. 189–208. Bono, Salvatore: Piraten und Korsaren im Mittelmeer. Seekrieg, Handel und Sklaverei vom 16. bis 19. Jahrhundert. Stuttgart 2009. Booker, John: Maritime Quarantine: The British Experience, c. 1650–1900. Alderslot 2007. Borutta, Manuel, Athanasios Gekas: A Colonial Sea: The Mediterranean. 1798–1956. Workshop Abstract für das 10. Mediterranean Research Meeting (MRM) Florenz und Montecatini Terme. 25.–28.3. 2009. (www.iue.it/RSCAS/Research/Mediterranean/mrm2009/ desc_pdf/MRM2009_Ds15.pdf).

524

Gedruckte Quellen und Literatur

Bottineau, Yves: Le Portugal et sa vocation maritime. Histoire et Civilisation d’une Nation. Paris 1977. Boucharb, Ahmed: Les rapports maroco-portugais: quelque aspects de la cooperation militaire (1774–1831). In: XII Colóquio: Laços históricos-militares luso-maghrebinos. Perspectivas de Valorização. Hg. von Commisão Portuguesa de História Militar. Lissabon 2002, S. 49–61. Bourde, André: Le petit Echo de la Mode en Méditerranée. In: La Méditerranée au XVIIIe siècle. Actes du Colloque International tenu à Aix-en-Provence les 4, 5, 6 septembre 1985. Aix-en-Provence 1987, S. 163–183. Bourdieu, Pierre: Das religiöse Feld. Texte zur Ökonomie des Heilsgeschehens. Konstanz 2000. Bourdieu, Pierre: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. 11. Aufl. Frankfurt a.M. 1999. Bourdieu, Pierre: Physischer, sozialer und angeeigneter physischer Raum. In: Stadt-Räume. Hg. von Martin Wentz. Frankfurt a.M., New York 1991, S. 25–34. Bourdieu, Pierre: Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft. 3. Aufl. Frankfurt a.M. 1999. Bourdieu, Pierre: Von der königlichen Hausmacht zur Staatsraison. Ein Modell der Genese des bürokratischen Feldes. In: Schwierige Interdisziplinarität. Zum Verhältnis von Soziologie und Geschichtswissenschaft. Hg. von Elke Ohnacker, Franz Schultheis. Münster 2004, S. 24–47. Bourdieu, Pierre: Was heißt Sprechen? Zur Ökonomie des sprachlichen Tausches. 2. Aufl. Wien 2005. Bourdieu, Pierre: Zur Soziologie der symbolischen Formen. 7. Aufl. Frankfurt a.M. 2000. Bournoutian, George A.: A Concise History of the Armenian People (From Ancient Times to the Present). 2. Aufl. Costa Mesa 2003. Bozeman, Adda B.: Politics and Culture in International History. Princeton 1960. Bradford, Ernle Dusgate Selby: Der Schild Europas. Der Kampf der Malteserritter gegen die Türken 1565. 2. Aufl. München 1995. Bradford, Ernle Dusgate Selby: Johanniter und Malteser. Die Geschichte des Ritterordens. 3. Auf. München 1996. Bradford, Ernle Dusgate Selby: The Sultan’s Admiral. The Life of Barbarossa. New York 1968. Bradford, Ernle Dusgate Selby: The Sultan’s Admiral. Barbarossa, Pirate and Empire-Builder. London 2008. Brailsford, Henri Noel: Macedonia. Its Races and Their Future. London 1906. Brandes, Jörg-Dieter: Korsaren Christi. Johanniter und Malteser – die Herren des Mittelmeers. Thorbecke, Sigmaringen 2000. Brandes, Stanley H.: Migration, Kinship and Community. New York 1975. Braude Benjamin: Foundation Myths of the Millet System. In: Christians and Jews in the Ottoman Empire. The Functioning of a Plural Society. Hg. von ders., Bernard Lewis. New York 1982, S. 69–88. Braudel, Fernand, Ruggiero Romano: Navires et marchandises à l’entrée du port de Livourne (1547–1611). Paris 1951. Braudel, Fernand: Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipps II. 3 Bde. Frankfurt a.M. 1994.

Gedruckte Quellen und Literatur

525

Braudel, Fernand: Die Welt des Mittelmeeres. Zur Geschichte und Geographie kultureller Lebensformen. Frankfurt a.M. 1987. Braudel, Fernand: Le modèle italien. Paris 1994. Bräuer, Helmut: Bettler in frühneuzeitlichen Städten Mitteleuropas. In: Bettler in der europäischen Stadt der Moderne. Hg. von Beate Althammer. Frankfurt a.M. u. a. 2007, S. 23– 58. Braun, Maximilian: Die Slawen auf dem Balkan bis zur Befreiung von der türkischen Herrschaft. Leipzig 1941. Braziel, Jana Evans: Theorizing Diaspora. A Reader. Malden 2003. Breuer, Mordechai, Michael Graetz: Tradition und Aufklärung 1780–1871. Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit. Hg. von Michael A. Meyer unter Mitw. von Michael Brenner. 4 Bde. München 1996–1997. Breycha-Vauthier, Arthur C.: Betrachtungen zur Erneuerung des Malteser-Ordens. In: Völkerrecht und rechtliches Weltbild. Hg. von Karl Zemanek u. a. Wien 1960, S. 77–85. Briese, Olaf: Angst in den Zeiten der Cholera. Über kulturelle Ursprünge des Bakteriums. Berlin 2003. Broek, Jan Otto Marius, John W. Webb: A Geography of Mankind. 2. Aufl. New York 1973. Brogi Ciofi, Marisa: La peste del 1630 a Firenze con particolare riferimento ai provvedimenti igienico-sanitari e sociali. In: Archivio storico italiano (1984), S. 47–75. Brook, Kevin Alan: The Jews of Khazaria. Northvale, N.J. 1999. Brorson, S.: The Seeds and the Worms: Ludwik Fleck and the Early History of Germ Theories. In: Perspect Biol Med. 49/1 (2006) S. 64–76. Brower, Daniel R.: Fathers, Sons, and Grandfathers. Social Origins of Radical Intellectuals in Nineteenth-Century Russia. In: JSH 2 (1969), S. 333–355. Brown, Roger W., Don E. Dulaney: Eine Analyse von Sprache und Bedeutung im Rahmen von Reiz und Reaktion. In: Sprache, Denken, Kultur. Hg. von Paul Henle. Frankfurt a.M. 1975, S. 72–135. Brown, Thad A.: Migration and Politics. The Impact of Population Mobility on American Voting Behavior. Chapel Hill, N.C., London 1988. Brumlik, Micha: Individuelle Erinnerung – kollektive Erinnerung. Psychosoziale Konstitutionsbedingungen des erinnernden Subjekts. In: Erlebnis – Gedächtnis – Sinn. Authentische und konstruierte Erinnerung. Hg. von Hanno Loewy u. a. Frankfurt a.M. usw. 1996, S. 31– 45. Bruni, Luigino: The ,,Technology of Happiness“ and the Tradition of Economic Science. In: Journal of the History of Economic Thought 26/1 (2004), S. 19–44. Brym, Robert J.: The Jewish Intelligentsia and Russian Marxism. A Sociological Study of Intellectual Radicalism and Ideological Divergence. London 1978. Buch der Reisen. Benjamin von Tudela. Hg. von Rolf P. Schmitz. Frankfurt a.M. 1988. Bueno, Jael: Secondas. Sichtbar vielfältig. Zürich 2005. Bulst, Neithard: Der ,,Schwarze Tod“ im 14. Jahrhundert. In: Pest. Die Geschichte eines Menschheitstraumas. Hg. von Mischa Meier. Stuttgart 2004, S. 142–161. Bulst, Neithard: Der schwarze Tod. In: Saeculum 30 (1979), S. 45–67. Burđelez, Ivana: Jewish Consuls in the Service of the Dubrovnik Republic. In: Diplomacy of the Republic of Dubrovnik. International Symposium Dubrovnik, September 2–5, 1997. Diplomatic Academy of the Ministry of Foreign Affairs of the Republic of Croatia. Zagreb 1998, S. 337–341.

526

Gedruckte Quellen und Literatur

Burđelez, Ivana: The Role of Ragusan Jews in the History of the Mediterranean Countries. In: Mediterranean Historical Review 6 (1991), S. 190–197. Burgoon, Michael: The Variables in Communication Process. In: Human Communication. 3. Aufl. Thousand Oaks, 1994. Burke, Peter, Roy Porter: The Social History of Language. Cambridge 1987. Burke, Peter: Geschichte als soziales Gedächtnis. In: Mnemosyne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung. Hg. von Aleida Assmann, Dietrich Harth. Frankfurt a.M. 1993, S. 289–304. Burke, Peter: History and Social Theory. Cambridge 1992. Burke, Peter: Introduction. In: Languages & Jargons. Contributions to a Social History of Language. Hg. von Peter Burke, Roy Porter. Cambridge 1995, S. 1–21. Burke, Peter: Introduction. In: The Social History of Language. Hg. von Peter Burke, Roy Porter. Cambridge 1987 (= Cambridge Studies in Oral and Literate Culture. Band 12), S. 1– 20. Burke, Peter: Küchenlatein. Sprache und Umgangssprache in der frühen Neuzeit. Berlin 1989. Burke, Peter: Kultureller Austausch. Frankfurt a.M. 2000. Burke, Peter: Popular Culture in Early Modern Europe. London 1978. Burke, Peter: The Art of Conversation. Cambridge 1993. Burke, Peter: Varieties of Cultural History. Cambridge 1997. Burke, Peter: Was ist Kulturgeschichte? Frankfurt a.M. 2005. Burney, James: A Chronological History of the Discoveries in the Southsea or Pacific Ocean. London, 1803. Bustos Rodriguez, Manuel: Cádiz en el sistema atlántico. La ciudad, sus comerciantes y la actividad mercantil (1650–1830). Madrid 2005. Bustos Rodríguez, Manuel: Los comerciantes de la Carrera de Indias en el Cádiz del siglo XVIII (1713–1775). Cádiz 1995. Butel, Paul: The Atlantic. London, New York 1999. Cahen, Claude: Y a-t-il eu des Radhanites? In: REJ, 4e série, III/3–4 (1964), S. 499–505. Ćajkanović, Veselin: Stara srpska religija i mitologija. Niš 2003. Calabi, Donatella: The City of the Jews. In: The Jews of Early Modern Venice. Hg. von Robert C. Davis, Benjamin Ravid. Baltimore 2001. Calabi, Donatella: The Jews and the City in the Mediterranean Area. In: Mediterranean Urban Culture, 1400–1700. Hg. von Alexander Cowan. Exeter 2000, S. 56–68. Calimani, Riccardo: Die Kaufleute von Venedig. Die Geschichte der Juden in der Löwenrepublik. München 1990. Calvi, Giulia: The Florentine Plague of 1630–33. Social Behavior and Symbolic Action. In: Maladies et société (XIIe–XVIIe siècle). Actes du colloque de Bielefeld, novembre 1986. Campos, Edmund Valentine: Jews, Spaniards, and Portingales: Ambiguous Identities of Portuguese Marranos in Elizabethan England. In: English Literary History 69/3 (2002), S. 599– 616. Canosa, Romano: Tempo di peste. Magistrati ed untori nel 1630 a Milano. Rom 1985. Caplan, Jane: ,,This or That Particular Person“. Protocols of Identification in NineteenthCentury Europe. In: Documenting Individual Identity. The Development of State Practices in the Modern World. Hg. von Jane Caplan, John Torpey. Princeton, Oxford 2001, S. 49–66.

Gedruckte Quellen und Literatur

527

Capuzzo, Ester: Portifranchi e comunità etnico-religiose: Il caso di Trieste, Fiume e Ancona. In: Ricerche di Storia Sociale e Religiosa 61 (2002), S. 43–53. Caracciolo, Alberto: Il porto franco di Ancona nel XVIII secolo. Crescita e crisi di un ambiente mercantile. Ancona 2002. Caracciolo, Alberto: L’economia regionale negli anni della costituzione del porto franco di Ancona. In: Economia e società: le Marche tra XV e XX secolo. Hg. von Sergio Anselmi. Bologna 1978, S. 151–165. Caracciolo, Alberto: Le port franc d’Ancône. Croissance et impasse d’un milieu marchand au XVIIIe siècle. Paris 1965. Caravale, Mario, Alberto Caracciolo: Lo Stato pontificio da Martino V a Pio IX. Torino 1978. Cardini, Franco: Europa und der Islam. Geschichte eines Missverständnisses. München 2000. Carini Venturini, Domencia Viola: I lazzaretti delle Isole Ionie. In: Rotte mediterranee e baluardi di sanità. Hg. von Nelli-Elena Vanzan Marchini. Milano 2004, S. 250–263. Carini Venturini, Domenica Viola: I lazzaretti della Dalmazia veneta. In: Rotte mediterranee e baluardi di sanità. Hg. von Nelli-Elena Vanzan Marchini. Milano 2004, S. 234–237. Carmel, Alex: ,,Jerusalem muss unser werden.“ Titus Tobler und der ,,Christenstaat“. In: Der Traum von Israel. Die Ursprünge des modernen Zionismus. Hg. von Heiko Haumann. Weinheim 1998, S. 65–88. Carmichael, Ann G.: Plague and the Poor in Renaissance Florence. Cambridge 1986. Carnero, Guillermo: Los origines del romanticismo reaccionario español: El matrimonio Böhl de Faber. Burgos 1978. Carnévalé-Mauzan, M.: La purification des lettres en France et à Malte. Gap 1960. Carpi, Daniel: Sulle orme di Flora Randegger-Friedenberg. I viaggi di una giovane maestra da Trieste a Gerusalemme (1856, 1864). In: Annuario di Studi Ebraici 11 (1988), S. 271–291. Carpi, Daniel: Trieste to Jerusalem. In the Steps of Flora Randegger-Friedenberg. In: Ariel 61 (1985), S. 58–65. Carrasco, González, María Guadalupe: Comerciantes y casas de negocios en Cádiz (1650– 1750). Cádiz 1997. Carrasco, González, María Guadalupe: Los instrumentos del comercio colonial en Cádiz del siglo XVIII (1650–1700). Ohne Ort 1996. Carreras Roca, Manuel: El lazareto de Mahón de Manuel Rodríguez de Villalpando. In: Medicina & Historia 40 (1974), S. 7–26. Carrier, James G.: Occidentalism. Images of the West. New York 1995. Carrière, Charles, Marcel Courdurié: Les grandes heures de Livourne au XVIIIe siècle. L’exemple de la guerre de Sept ans. In: Revue Historique 254/1 (1975), S. 39–80. Carrière, Charles: Marseille ville morte. La peste de 1720. Marseille 1988. Carter, Francis William: Dubrovnik (Ragusa) – A Classic City-State. London 1972. Carter, Francis William: The Commerce of the Dubrovnik Republic, 1500–1700. In: The Economic History Review 24 (1971), S. 370–394. Carvalho, Solomon Nunes: Incidents of Travel and Adventure in the Far West with Fremont’s Last Expedition across the Rocky Mountains Including Three Months’ Residence in Utah, and a Perilous Trip across the Great American Desert to the Pacific. Hg. von Bertram Wallace Korn. New York 1857, Nachdruck: 1853–4 a Century Edition 1953–4, Philadelphia 1954.

528

Gedruckte Quellen und Literatur

Casanova, Giacomo: Die Erinnerungen des Giacomo Casanova. Vollständig übertragen von Heinrich Conrad. Band 1. München, Leipzig 1911. Cassirer, Ernst: Zur Logik der Kulturwissenschaften. Fünf Studien. Darmstadt 1961. Castel, Robert: Die Metamorphosen der sozialen Frage. Eine Chronik der Lohnarbeit. Konstanz 2000. Castellan, Georges: Histoire des Balkans. XIVe–XXe siècles. Paris 1991. Castignoli, Paolo: Aspetti istituzionali della nazione inglese a Livorno. In: Atti del convegno ,,Gli Inglesi a Livorno e all’Isola d’Elba“. Livorno 1980, S. 102–115. Castignoli, Paolo: Gli armeni a Livorno nel seicento: Notizie sul loro primo insediamento. In: Studi storici e geografici 3 (1979), S. 27–61. Castignoli, Paolo: La Comunità Inglese a Livorno. In: Livorno crocevia di culture ed etnie diverse: Razzismi ed incontri possibili. Hg. von Circolo Culturale ,,Gramsci“ u. a. Livorno 1992, S. 107–119. Castignoli, Paolo: La Comunità Olandese-Alemanna. In: Livorno crocevia di culture ed etnie diverse: Razzismi ed incontri possibili. Hg. von Circolo Culturale ,,Gramsci“ u. a. Livorno 1992, S. 93–104. Castignoli, Paolo: La tolleranza: Enunciazione e prassi di una regola di convivenza. In: Livorno crocevia di culture ed etnie diverse: Razzismi ed incontri possibili. Hg. von Circolo Culturale ,,Gramsci“ u. a. Livorno 1992, S. 27–39. Castro Varela, María do Mar, Nikita Dhawan: Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung. Bielefeld 2005. Catalan, Tullia: La Communità ebraica di Trieste (1781–1914). Politica, società e cultura. Trieste 2000. Catroga, Fernando: Morte romântica e religiosidade cívica. In: História de Portugal. Hg. von José Mattoso. Band 5. Lissabon 1983, S. 595–607. Cattaruzza, Marina: Trieste nell’ottocento. Le trasformazioni di una società civile. Verona 1995. Cavaliero, Roderick: The Last of the Crusaders. The Knights of St. John and Malta in the Eighteenth Century. London 1960. Ćelap, Lazar: Zemunski vojni komunitet (1718–1881). Beograd 1967. Čelebi, Evlija: Putopis – Odlomci o jugoslovenskim zemljama. Sarajevo 1979. Çelebij, Evlija: Putopis. Odlomci o jugoslovenskim zemljama. 2 Bde. Hg. von Hasim Šabanović. Sarajevo 1957. Cervani, Giulio: Stato e società a Trieste nel secolo XIX. Problemi e documenti. Udine 1983. Chakrabarty, Dipesh: Provincializing Europe: Postcolonial Thought and Historical Difference. Princeton, N.J. 2000. Chappell, David A.: Ahabs Boot. Nicht-europäische Seemänner auf westlichen Entdeckungs- und Handelsschiffen. In: Das Meer als kulturelle Kontaktzone. Räume, Reisende, Repräsentationen. Hg. von Bernhard Klein, Gesa Mackenthun. Konstanz 2003, S. 175–199. Chartier, Roger: Intellektuelle Geschichte und Geschichte der Mentalitäten. In: Mentalitätengeschichte. Hg. von Ulrich Raulff. Berlin 1989, S. 69–96. Chatterton, E. Keble: Pirates and Piracy. New York 2006. Chipulina, E. G.: The Barbary Corsairs. In: Blackwood’s Magazine 382 (1982), S. 482–489. Chomsky, Noam: New Horizons in the Study of Language and Mind. Cambridge 2000.

Gedruckte Quellen und Literatur

529

Chouraqui, André: L’alliance israélite universelle et la renaissance juive contemporaine (1860–1960). Paris 1965. Christians and Jews in the Ottoman Empire. The Functioning of a Plural Society. Hg. von Benjamin Braude, Bernard Lewis. New York, London 1982. Christić, Kosta: Zapisi starog Beograđanina. Beograd 1989. Ciano, Cesare: Navi mercanti e marinai. Nella vita mediterranea del Cinque-Seicento. Livorno 1991. Cini, Umberto: La trajectoire de deux communautés marchandes à Livourne entre le XVI et le XX siècle. In: Arméniens et Grecs en diaspora: Approches comparatives. Hg. von Michel Bruneau u. a. Athen 2007, S. 93–105. Cipolla, Carlo M.: Die Odyssee des spanischen Silbers Conquistadores, Piraten, Kaufleute. Berlin 1998. Cipolla, Carlo M.: Faith, Reason, and the Plague: A Tuscan Story of the Seventeenth Century. Brighton 1979. Cipolla, Carlo M.: Fighting the plague in seventeenth-century Italy. Madinson, Wisconsin 1981. Cipolla, Carlo M.: Miasmas and Diseases. Public Health and the Environment in the PreIndustrial Age. New Haven, London 1992. Cipolla, Carlo M.: Public Health and the Medical Profession in the Renaissance. Cambridge usw. 1976. Cipriani, Giovanni: Un privilegio livornese del 1615. In: Atti del convegno ,,Livorno e il Mediterraneo nell’età Medicea”. Livorno 1978, S. 369–370. Ciriaco d’Ancona e il suo tempo. Viaggi, commerci e avventure fra sponde adriatiche, Egeo e Terra Santa. Hg. von Centro Studi Oriente Occidente. Ancona 2002. Clarke, John Innes: Population Geography. 2. Aufl. Oxford 1972. Clausen, Jens: Das Selbst und die Fremde. Über psychische Grenzerfahrungen auf Reisen. Bonn 2007. Clément, Catherine: La Senora. Paris 1992. Clifford, James: Diasporas. In: Cultural Anthropology 9 (1994), S. 302–338. Cloke, Paul J.: Key Settlements in Rural Areas. London 1979. Codeswitching as a Worldwide Phenomenon. Hg. von Rodolfo Jacobson. New York usw. 1990. Cohen, Israel: The Journal of a Jewish Traveller. London 1925. Cohen, Robin: Global Diasporas. An Introduction. London 1997. Cohen, Robin: The New Helots. Migrants in the International Division of Labour. Gower 1987. Cole, Simon A.: Suspect Identities. A History of Fingerprinting and Criminal Identification. Cambridge, Mass., London 2001. Coleman, James S.: Social Capital in the Creation of Human Capital. In: American Journal of Sociology 94 (1989). Supp., S. S95–S120. Coleman, Janet: Ancient and Medieval Memories. Studies in the Reconstruction of the Past. Cambridge usw. 1992. Collado Villata, Pedro: El impacto Americano en la bahía: La inmigración extranjera en Cádiz (1709–1819). In: Primeras Jornadas de Andalucía y Ameríca 1 (1981), S. 49–74. Collecção dos Regimentos, por que se governa a repartição da Saude do Reino, e portarias,

530

Gedruckte Quellen und Literatur

avisos, e resoluções relativas a’ creação da Junta da Saude Publica. Hg. von Junta da Saúde Pública. Lissabon 1819 (inklusive der gemäss Verordnung nachträglich eingehefteten sanitären Verordnungen, die bis 1860 reichen, im Text als Zusatz gekennzeichnet). Collective Remembering. Hg. von Derek Edwards, David Middleton. London usw. 1990. Collezione degl’ordini municipali di Livorno corredata delli statuti delle sicurtà e delle più importanti rubriche delli statute di mercanzia di Firenze. Hg. von Carlo Giorgi. Livorno 1798. Comay, Joan: The Diaspora Story. The Epic of the Jewish People among the Nations. London 1981. Communication in the Jewish Diaspora. The Pre-Modern World. Hg. von Sophia Menache. Leiden usw. 1996. Comte de Caboga, Herbert: Die zwölfhundertjährige Geschichte der Republik Ragusa (Dubrovnik). St. Michael 1984. Conaway, Mary Ellen: Still Guahibo, Still Moving. A Study of Circular Migration and Marginality in Venezuela. Ann Arbor 1983. Concina, Ennio: Dell’arabico. A Venezia tra Rinascimento e Oriente. Venezia 1994. Concina, Ennio: Fondaci – architettura, arte e mercatura tra Levante, Venezia e Alemagna. Venezia, Marsilio 1997. Concina, Ennio: La città degli ebrei, il ghetto di Venezia. Architettura e urbanistica. Venezia 1991. Concina, Ennio: Owners, Houses, Functions. New Research on the Origins of the Venetian Ghetto. In: Jews, Christians, and Muslims in the Mediterranean World after 1492. Hg. von Alisa Meyuhas Ginio. London 1992, S. 180–198. Connerton, Paul: How Societies Remember. 6. Aufl. Cambridge 1996. Conrad, Sebastian, Shalini Randeria: Einleitung. Geteilte Geschichten – Europa in einer postkolonialen Welt. In: Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften. Hg. von dies. Frankfurt a.M. 2002, S. 9–49. Constable, Olivia Remie: Housing the Stranger in the Mediterranean World. Lodging, Trade, and Travel in Late Antiquity and the Middle Ages. Cambridge 2003. Constable, Olivia Remie: Trade and Traders in Muslim Spain. The Commercial Realignment of the Iberian Peninsula (900–1500). Cambridge 1994 (= Cambridge Studies in Medieval Life and Thought). Contagion. Historical and Cultural Studies. Hg. von Alison Bashford u. a. London 2001. Conze, Eckart u. a.: Einführung. In: Geschichte der internationalen Beziehungen. Erneuerung und Erweiterung einer historischen Disziplin. Hg. von ders. u. a. Köln 2004, S. 1–14. Conze, Eckart: Abschied von Staat und Politik? Überlegungen zur Geschichte der internationalen Politik. In: Geschichte der internationalen Beziehungen. Erneuerung und Erweiterung einer historischen Disziplin. Hg. von ders. u. a. Köln 2004, S. 15–43. Conze, Eckart: Zwischen Staatenwelt und Gesellschaftswelt. Die gesellschaftliche Dimension internationaler Geschichte. In: Internationale Geschichte. Themen, Ergebnisse, Aussichten. Hg. von Wilfried Loth, Jürgen Osterhammel. München 2000, S. 117–140. Cookson, Gillian: Family Firms and Business Networks: Textile Engineering in Yorkshire 1780–1830. In: Business History 39 (1997), S. 1–20. Coons, Ronald E.: Steamships and Quarantines at Trieste. In: The Journal of the History of Medicine and Allied Sciences 44 (1989), S. 28–55. Cooper, Bryan: The Buccaneers. London 1970.

Gedruckte Quellen und Literatur

531

Cooperman, Bernard Dov, Roberta Curiel: The Ghetto of Venice. London 1990. Corbin, Alain: Meereslust. Das Abendland und die Entdeckung der Küste 1750–1840. Berlin 1990. Cordingly, David: Unter schwarzer Flagge: Legenden und Wirklichkeit des Piratenlebens. Zürich 1999. Cordingly, David: Women Sailors and Sailors’ Women. An Untold Maritime History. New York 2001. Corrales, Eloy Martín: Comercio de Cataluña con el Mediterráneo musulmán (siglos XVI– XVIII). El comercio con los “enemigos de la fe”. Barcelona 2001. Corrales, Eloy Martín: La flota greco-otomana en Cádiz a fines del siglo XVIII. In: Actas de II. congreso de Historia de Andalucía, Andalucía Moderna II. Córdoba 1995, S. 389–400. Corrales, Eloy Martín: La proyección mediterránea del sistema portuario español: Siglos XVI–XVIII. In: Puertos sistemas portuarios (siglos XVI–XX): Actas del Coloquio Internacional “El sistema portuario español”. Madrid 19.–21.10.1995. Hg. von Dolores Romero, Agustín Guimerá. Madrid 1995, S. 143—166. Corrales, Eloy Martín: Lazzaretti marittimi in Spagna. In: Rotte mediterranee e baluardi di sanità. Hg. von Nelli-Elena Vanzan Marchini. Genf, Mailand 2004, S. 304–307. Ćosić, Stjepan u. a.: Dubrovačka vlastela između roda i države: Salamankezi i Sorbonezi. Zagreb 2005. Ćosić, Stjepan: Dubrovnik nakon pada Republike (1808–1848). Dubrovnik 1999. Coulet du Gard, René: La course et la piraterie en Méditerranée. Paris 1980. Couloumbis, Theodore A., Thanos Veremis: In Search of New Barbarians. Samuel P. Huntington and the Clash of Civilizations. In: Mediterranean Quarterly 4 (1994), S. 36–44. Courbage, Youssef u. a.: Christians and Jews under Islam. London 1997. Couto, Dejanirah : Histoire de Lisbonne. Paris 2000. Cowan, Alexander: Foreigners and the City. The Case of the Immigrant Merchant. In: Mediterranean Urban Culture 1400–1700. Hg. von Alexander Cowan. Exeter, UK 2000, S. 45– 55. Cowan, Alexander: Mediterranean Urban Culture 1400–1700. Exeter, UK 2000. Crang, Mike: Cultural Geography. New York 1998. Crespo Solana, Ana: Entre Cádiz y los Países Bajos. Una comunidad mercantil en la ciudad de la ilustración. Cádiz 2001. Crespo, Jorge: A história do corpo. Lissabon 1990. Cruikshank, Ernest Alexander: The life of Sir Henry Morgan, with an Account of the English Settlement of the Island of Jamaica (1655–1688). Toronto, Ont. 1935. Čubrilović, Vasa: Istorija Beograda. 3 Bde. Beograd 1974. Cultural Geography in Practice. Hg. von Alison Blunt u. a. London 2003. Cultural Studies. Grundlagentexte zur Einführung. Hg. von Roger Bromley u. a. Lüneburg 1999. Cultural Turn. Zur Geschichte der Kulturwissenschaften. Hg. von Christina Lutter u. a. Wien 2001 (Kultur. Wissenschaft. Band 3). Cunz, Martin: Die Fahrt des Rabbi Nachman von Brazlaw ins Land Israel (1798–1799). Tübingen 1997. Currey, Edward Hamilton: Sea Wolves of the Mediterranean. The Grand Period of the Moslem Corsairs. 2. Aufl. London 1928.

532

Gedruckte Quellen und Literatur

Curtin, Philip D.: Cross-Cultural Trade in World History. Cambridge 1998. Cymerman, Benjamin: The Diaries of Rabbi Ha’im Yosef David Azulai (Ma’agal Tov’ – the Good Journey). Jerusalem 1997. Ćirković, Sima M. u. a.: Staro srpsko rudarstvo. Beograd 2002. Ćorović, Vladimir: Istorija Srba. 2. Aufl. Beograd 2006. D’Amato, Gianni u. a.: Herausforderung Integration. Städtische Migrationspolitik in der Schweiz und Europa. Zürich 2005. D’Angelo, Michela: Mercanti inglesi a Livorno, 1573–1737: Alle origini di una “British factory”. Messina 2004. D’Azevedo, João Lúcio: Historia dos Christãos novos Portugueses. Lissabon 1922. Daenell, Ernst: Die Blütezeit der deutschen Hanse: hansische Geschichte von der zweiten Hälfte des XIV. bis zum letzten Viertel des XV. Jahrhunderts, 2 Bde., 3. Aufl. Berlin 2001 Dahmen, Wolfgang: Die Aromunen heute. Eine Volksgruppe in der Identitätskrise? Südosteuropa-Mitteilungen 45/2 (2005), S. 66–77. Dampier, William u. a.: Freibeuter, 1683–1691. Das abenteuerliche Tagebuch eines Weltumseglers und Piraten. 2. Aufl. Tübingen, Basel 1977. Daniel, Ute: Kompendium Kulturgeschichte. Theorien, Praxis, Schlüsselwörter. Frankfurt a.M. 2001. Das Auge des Betrachters. Beiträge zum Konstruktivismus. Festschrift für Heinz von Foerster. Hg. von Paul Watzlawick u. a. Heidelberg 2002. Das Eigene und das Fremde. Hg. von Ulrich Bielefeld. Hamburg 1998. Das soziale Gedächtnis. Geschichte, Erinnerung, Tradierung. Hg. von Harald Welzer. Hamburg 2001. Das Zeitalter des Kolonialismus. Hg. von Boris Barth. Darmstadt 2007. Dauber, Robert L.: Die Marine des Johanniter-Malteser-Ritter-Ordens. 500 Jahre Seekrieg zur Verteidigung Europas. Graz 1989. Daudin, Guillaume: Profitability of Slave and Long-Distance Trading in Context. The Case of Eighteenth-Century France. In: JEH 64/1 (2004), S. 144–171. David, Abraham: To Come to the Land. Immigration and Settlement in 16th Century EretzIsrael. Tuscaloosa, London 1992 (= Judaic Studies Series). David, Thomas u. a.: Schwarze Geschäfte. Die Beteiligung von Schweizern an Sklaverei und Sklavenhandel im 18. und 19. Jahrhundert. Zürich 2005. Davidson, Nicholas: ,,As Much for Its Culture as for Its Arms“: The Cultural Relations of Venice and Its Dependent Cities, 1400–1700. In: Mediterranean Urban Culture 1400–1700. Hg. von Alexander Cowan. Exeter 2000, S. 197–214. Davidson, Roderic H.: Turkey. Englewood Cliffs, N.J. 1968. Davies, Norman: Ethnic Diversity in Twentieth Century Poland. In: Polin 4 (1989), S. 143– 158. Davis, David Brion: The Problem of Slavery in the Age of Revolution, 1770–1823. New York 1999. Davis, Natalie Zemon: Boundaries and the Sense of Self in Sixteenth-Century France. In: Reconstructing Individualism. Autonomy, Individuality, and the Self in Western Thought. Hg. von Thomas C. Heller u. a. Stanford, Cal. 1986, S. 53–63. Davis, Natalie Zemon: Culture and Identity in Early Modern Europe (1500–1800). Ann Arbor, Mich. 1993.

Gedruckte Quellen und Literatur

533

Davis, Natalie Zemon: Drei Frauenleben. Glikl. Marie de l’Incarnation. Maria Sibylla Merian. Berlin 1996. Davis, Natalie Zemon: Global History, Many Stories. In: Eine Welt – Eine Geschichte? 43. Deutscher Historikertag in Aachen 26. bis 29. September 2000. Hg. von Max Kerner. München 2001, S. 373–380. Davis, Natalie Zemon: Leo Africanus. Ein Reisender zwischen Orient und Okzident. Berlin 2008. Davis, Natalie Zemon: Society and Culture in Early Modern France. Eight Essays. Stanford, Calif. 1975. Davis, Natalie Zemon: Toward Mixtures and Margins. In: AHR 97/5 (1992), S. 1409–1416. Davis, Natalie Zemon: Trickster Travels. A Sixteenth-Century Muslim between Worlds. London 2007. Davis, Natalie Zemon: Was ist an Geschichte universal? In: Historische Anthropologie 15/1 (2007), S. 126–131. Davis, Natalie Zemon: What is Universal about History? In: Transnationale Geschichte. Themen, Tendenzen und Theorien. Hg. von Gunilla Budde u. a. Göttingen 2006, S. 15–20. Davis, Robert C.: Christian Slaves, Muslim Masters. White Slavery in the Mediterranean, the Barbary Coast, and Italy, 1500–1800. New York 2004. Davis, Robert Charles: Christian Slaves, Muslim Masters. White Slavery in the Mediterranean, the Barbary Coast, and Italy, 1500–1800. Houndmills 2004. De Scherbowitz-Wetzor, Olgerd, Cyril Toumanoff: The Order of Malta and the Russian Empire. Rom 1969. Decretos del Rey Don Fernando VII. Hg. von Fermín Martín de Balmaseda. Band 4. Madrid 1818–1834. Defoe, Daniel: Freebooters and Buccaneers. Novels of adventure and piracy. New York 1935. Defoe, Daniel: Freebooters and Buccaneers. Novels of Adventure and Piracy. New York 1935. Dekonstruktivismus. Eine Anthologie. Hg. von Andreas Papadakis. Stuttgart 1989. Delacampagne, Christian: Die Geschichte der Sklaverei. Lizenzausg. Darmstadt 2004. Delgado Barrado, José Miguel: Puerto y privilegio en España y los estados italianos durante el siglo XVIII. In: Puertos y Sistemas Portuarios (siglos XVI–XX). Actas del Coloquio Internacional. El sistema portuario español, Madrid, 19–21 octubre, 1995. Hg. von Agustín Guimera, Dolores Romero. Madrid 1996, S. 253–273. Delumeau, Jean: Un ponte fra Oriente e Occidente: Ancona nel Cinquecento. In: Quaderni storici 13 (1970), S. 26–47. Delumeau, Jean: Vie économique et sociale de Rome dans la seconde moitié du XVIe siècle. 2 Bde. Paris 1957–1959. Demeuse, Pierre: Aux échelles du Levant, du Caire à Jérusalem. Bruxelles 1961. Demurger, Alain: Chevaliers du Christ, les ordres religieux-militaires au Moyen Age, Seuil 2002. Dening, Greg: Tiefe Zeiten, tiefe Räume. Die Zivilisierung der See. In: Das Meer als kulturelle Kontaktzone. Hg. von Bernhard Klein, Gesa Mackenthun. Konstanz 2003, S. 17–48. Der Gast, der bleibt. Dimensionen von Georg Simmels Analyse des Fremdseins. Hg. von Almut Loycke. Frankfurt a.M. usw. 1992 (= Edition Pandora. Band 9). Der Johanniterorden, der Malteserorden. Der ritterliche Orden des hl. Johannes vom Spi-

534

Gedruckte Quellen und Literatur

tal zu Jerusalem. Seine Geschichte, seine Aufgaben. Hg. von Adam Wienand. 3. Aufl. Köln 1988. Der Reisebericht. Hg. von Peter J. Brenner. Frankfurt a.M. 1989. Der Weg führt über Österreich...: Zur Geschichte des Verkehrs- und Nachrichtenwesens von und nach Südosteuropa (18. Jahrhundert bis zur Gegenwart). Hg. von Harald Heppner. Wien usw. 1996. Dermigny, Louis: Escales, échelles et ports francs au Moyen Âge et aux Temps Modernes. Bruxelles 1974. Detrez, Raymond: Developing Cultural Identity in the Balkans. Brussels 2005. Diaries of Sir Moses and Lady Montefiore Comprising Their Life and Work as Recorded in Their Diaries from 1812 to 1883. 2 Bde. Hg. von Louis Loewe. London 1890. Diario Mercantil de Cádiz. 1817, 1818. Dias Silva, Graça da, J.S. da Dias Silva: Os primórdios da maconaria em Portugal. Lissabon 1986. Diaspora Entrepreneurial Networks. Four Centuries of History. Hg. von Ina Baghdianz u. a. Oxford 2005. Dictionary of Key Concepts. Hg. von David Atkinson u. a. London 2005. Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Die Habsburgermonarchie im System der internationalen Beziehungen. Hg. von Adam Wandruszka, Peter Urbanitsch. Wien 1989. Die Habsburgermonarchie und das Osmanische Reich. Innsbruck 2005. Die Hugenotten zwischen Migration und Integration. Neue Forschungen zum Refuge in Berlin und Brandenburg. Hg. von Manuela Böhm u. a. Berlin 2005. Die neue Ordnung des Politischen. Die Herausforderungen der Demokratie am Beginn des 21. Jahrhunderts. Hg. von Elisabeth Anselm u. a. Frankfurt a.M. 1999. Die Sefarden in Hamburg. 2 Bde. Hg. von Michael Studemund-Halévy. Hamburg 1994– 1997. Diefendorf, Barbara B. u. a.: Culture and Identity in Early Modern Europe (1500–1800). Essays in Honor of Natalie Zemon Davis. Ann Arbor 1993. Dijkink, Gertjan: Natural Identity and Geopolitical Visions. Maps of Pride and Pain. London, New York 1996. Diner, Dan: Das Jahrhundert verstehen. Eine universalhistorische Deutung. München 1999. Diner, Dan: Gedächtniszeiten. Über jüdische und andere Geschichten. München 2003. Diner, Dan: Weltordnungen. Über Geschichte und Wirkung von Recht und Macht. Frankfurt a.M. 1993. Dislocations, Relocations. Narratives of Displacement. Hg. von Mike Baynham u. a. Manchester 2005. Dixon, C. Willis: The Colonial Administrations of Sir Thomas Maitland. London 1939. Documenting Individual Identity. The Development of State Practices in the Modern World. Hg. von Jane Caplan, John Torpey. Princeton, N.J. 2001. Documents on the History of the Greek Jews. Records from the Historical Archives of the Ministry of Foreign Affairs. 2. Aufl. Hg. von Photini Constantopoulou, Thanos Veremis. Athen 1999. Dogo, Marco u. a.: Disrupting and Reshaping. Early Stages of Nation-building in the Balkans. Ravenna 2002.

Gedruckte Quellen und Literatur

535

Dolan, Brian: Exploring European Frontiers. British Travellers in the Age of Enlightenment. London, New York 2000. Dols, Michael W.: The Comparative Responses to the Black Death in Muslim and Christian Societies. In: Viator 5 (1974), S. 269–287. Dols, Michael Walters: Plague in Early Islamic History. In: Journal of the American Oriental Society 94 (1974), S. 371–383. Dols, Michael Walters: The Black Death in the Middle East. 2. Aufl. Princeton, N.J. 1979. Domenichini, Roberto: La piccola comunità greca di Ancona tra Sette e Ottocento. Aspetti demografici e sociali. In: Munus Amicitiae. Scitti per il 70° Genetliaco di Floriano Grimaldi. Hg. von Gianfranco Paci u. a. Loreto 2001, S. 103–117. Ðorđević, Tihomir R.: Iz Srbije Kneza Miloša. Beograd 1924. Dörhöfer, Kerstin: ,,Halböffentlicher Raum“ – eine Metapher zur Auflösung (nicht nur) räumlicher Polarität. In: Stadt – Raum – Geschlecht. Beiträge zur Erforschung urbaner Lebensräume im 19. und 20. Jahrhundert. Hg. von Monika Imboden. Zürich 2000, S. 101– 118. Dossiers sur le commerce français en Méditerranée orientale au XVIIIe siècle. Hg. von JeanPierre Filippini u. a. Paris 1976 (= Travaux et recherches de l’Université de droit, d’économie et de sciences sociales de Paris. Série Sciences historiques. Bd. 10). Douglas, Mary: Purity and Danger. An Analysis of the Concepts of Pollution and Taboo. London 1980. Douglas, Mary: Ritual, Tabu und Körpersymbolik. Sozialanthropologische Studien in Industriegesellschaft und Stammeskultur. Frankfurt a.M. 1998. Downs, Roger M., David Stea: Maps in Minds. Reflections on Cognitive Mapping. New York 1977. Driesch, Wilhelm von den: Die ausländischen Kaufleute während des 18. Jahrhunderts in Spanien und ihre Beteiligung am Kolonialhandel. Köln 1972. Droysen, Johann Gustav: Historik. Vorlesungen über Enzyklopädie und Methodologie der Geschichte. 8. Aufl. München, Wien 1977. Du Jourdin, Michel Mollat: Europa und das Meer. München 1993. Dubin, Lois C.: The Port Jews of Habsburg Trieste. Absolutist Politics and Enlightenment Culture. Stanford, Cal. 1999. Dubin, Lois: Researching Port Jews and Port Jewries: Trieste and beyond. In: Port Jews: Jewish Communities in Cosmopolitan Maritime Trading Centres, 1550–1950. Hg. von David Cesarani. London 2002, S. 47–58. Dubnow, Simon: Weltgeschichte des jüdischen Volkes von den Uranfängen bis zur Gegenwart. 10 Bde. Berlin 1925–1929. Duby, Georges: Unseren Ängsten auf der Spur. Vom Mittelalter bis zum Jahr 2000. Köln 1996. Dücker, Burckhard: Rituale. Formen – Funktionen – Geschichte. Eine Einführung in die Ritualwissenschaft. Stuttgart 2007. Dudan, Bruno: Il dominio veneziano di Levante. Bologna 1938. Dunlop, Douglas Morton: The History of the Jewish Khazars. Princeton, N.J. 1954. Ðuriđ-Zamolo, Divina: Beograd kao orijentalna varoš pod Turcima 1521–1867 – Arhitektonsko-urbanistička studija. Beograd 1977. Dürrschmidt, Jörg: The Delinking of Locale and Milieu. On the Situatedness of Extended

536

Gedruckte Quellen und Literatur

Milieux in a Global Environment. In: Living the Global City. Globalization as a Local Process. Hg. von John Eade. London, New York 1997, S. 56–72. Dusa, Joan: The Medieval Dalmatian Episcopal Cities. Development and Transformation. New York usw. 1991 (= American University Studies. Series 9, History. Band 94). Džaja, Srećko M.: Katolici u Bosni i zapadnoj Hercegovini na prijelazu iz 18. u 19. stoljeće, doba fra Grge Ilijića Varešanina (1783–1813). Zagreb 1971. Džaja, Srećko M.: Katolici u Bosni i zapadnoj Hercegovini na prijelazu iz 18. u 19. stoljeće. Doba fra Grge Ilijića Varešanina (1783–1813). Zagreb 1971. Eakin, Paul John: Fictions in Autobiography. Studies in the Art of Self-Invention. Princeton, N.J. 1985. Earle, Peter: Corsairs of Malta and Barbary. London 1970. Earle, Peter: The Commercial Development of Ancona, 1479–1551. In: EHR, New Series 22/1 (1969), S. 28–44. Early Travels in Palestine, Comprising the Narratives of Arculf, Willibald, Bernard, Saewulf, Sigurd, Benjamin of Tudela, Sir John Maundevillard, de la Broquière, and Maundrell. Hg. von Thomas Wright. London 1848. Eban, Abba: Heritage. Civilization and the Jews. New York 1984. Ebe, Joseph A., Michael Galea: Ferdinand Freiherr von Hompesch, 1744–1805. Letzter Großmeister des Johanniterordens/Malteserordens auf Malta. Paderborn 1985. Eckart, Wolfgang U.: Geschichte der Medizin. 3. überarbeitete Aufl. Berlin usw. 1998. Eckert, Julia: Law for Enemies. In: The Social Life of Anti-Terrorism Law: The War on Terror and the Classification of the “Dangerous Other”. Hg. von Julia Eckert. Bielefeld 2008, S. 7– 31. Editorial. In: Historische Anthropologie. Kultur, Gesellschaft, Alltag. Hg. von Richard van Dülmen u. a. 1 (1993), S. 1–3. Edwards, Adrian: San Marino. Oxford usw. 1996. Ehbrecht, Wilfried: Störtebeker. 600 Jahre nach seinem Tod. Trier 2005. Ehrenpreis, Marcus: Das Land zwischen Orient und Okzident. Spanische Reise eines Juden. Berlin 1928. Eickhof, Ekkehard: Venedig, Wien und die Osmanen. Umbruch in Südosteuropa 1645– 1700. Stuttgart 1988. Eickhoff, Ekkehard: Seekrieg und Seepolitik zwischen Islam und Abendland. Berlin 1966. Eickhoff, Ekkehard: Venedig, Wien und die Osmanen. München 1970. Eisenberg, Azriel Louis: The Story of the Jewish Calendar. London 1958. Ekemčić, Milorad: Dugo kretanje između klanja i oranja. Istorija Srba u Novom Veku: 1492– 1992. 2. Aufl. Beograd 2008. Ekrutt, Joachim W.: Der Kalender im Wandel der Zeiten. 5000 Jahre Zeitberechnung. Stuttgart 1972. Eliade, Mircea: Das Heilige und das Profane. Vom Wesen des Religiösen. Frankfurt a.M. 1998. Elias, Norbert, John L. Scotson: Etablierte und Außenseiter. Frankfurt a.M. 1993. Elias, Norbert: Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie. Soziologie und Geschichtswissenschaft. Frankfurt a.M. 2003.

Gedruckte Quellen und Literatur

537

Elias, Norbert: Notizen zum Lebenslauf. In: Norbert Elias über sich selbst. 2. Aufl. Frankfurt a.M. 1990, S. 107–197. Elias, Norbert: Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. 2 Bde. Frankfurt a.M. 1997. Ellenberger, Henri F.: Die Entdeckung des Unbewussten. Geschichte und Entwicklung der dynamischen Psychiatrie von den Anfängen bis zu Janet, Freud, Adler und Jung. Zürich 1985. Elmendorf, Dwight L.: A Camera Crusade through the Holy Land. New York 1912. Elshtain, Jean Bethke: Public Man, Private Woman. Women in Social and Political Thought. Princeton, N.J. 1993. Eltis, David u. a.: The Abolition of the Atlantic Slave Trade: Origins and Effects in Europe, Africa, and the Americas. Madison, Wis. 1981. Eltis, Frank: Routes to Slavery. Direction, Ethnicity and Mortality in the Transatlantic Slave Trade. London 1997. Emancipation of Catholics, Jews and Protestants. Minorities and the Nation State in Nineteenth-Century Europe. Hg. von Stephan Wendehorst, Rainer Liedtke. Manchester 1999. Emotionen und materielle Interessen. Sozialanthropologische Beiträge zur Familienforschung. Hg. von Hans Medick, David Sabean. Göttingen 1984 (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte. Band 75). Engels, Marie-Christine: Merchants, Interlopers, Seamen and Corsairs. The ,,Flemish“ Community in Livorno and Genoa (1615–1635). Hilversum 1997. Epstein, Stephan Robert: An Island for Itself. Economic Development and Social Change in Late Medieval Sicily. Cambridge usw. 1992. Erdem, Y. Hakan: Slavery in the Ottoman Empire and Its Demise, 1800–1909. New York 1996. Erikson, Erik H.: Dimensionen einer neuen Identität. Frankfurt a.M. 1975. Erikson, Erik H.: Identität und Lebenszyklus. Drei Aufsätze. 18. Aufl. Frankfurt a.M. 2000. Erikson, Erik H.: Identity: Youth and Crisis. New York 1968. Erikson, Erik H.: Lebensgeschichte und historischer Augenblick. Frankfurt a.M. 1977. Erleben, Erleiden, Erfahren. Die Konstitution sozialen Sinns jenseits instrumenteller Vernunft. Hg. von Kay Junge u. a. Bielefeld 2008. Erlebnis, Gedächtnis, Sinn. Authentische und konstruierte Erinnerung. Hg. von Hanno Loewy u. a. Frankfurt usw. 1996. Eschwege, Wilhelm L. von: Portugal. Ein Staats- und Sittengemälde in Skizzen und Bildern nach dreissigjährigen Beobachtungen und Erfahrungen. Hamburg 1837. Esser, Hartmut: Aspekte der Wanderungssoziologie. Assimilation und Integration von Wanderern, ethnischen Gruppen und Minderheiten. Eine handlungstheoretische Analyse. Darmstadt 1980. Ethnic Groups and Boundaries. The Social Organization of Culture Difference. Hg. von Fredrik Barth. Oslo 1994. Europa. Bausteine seiner Geschichte. Hg. von Fernand Braudel. Frankfurt a.M. 1989. Europäer in der Levante (19.–20. Jahrhundert). Hg. von Dominique Trimbur. München 2004 (= Pariser Historische Studien, Band 53). Europäische Anregungen zu sozialer Inklusion. Reader zur internationalen Konferenz 2005 in Magdeburg. Hg. von Wolfgang Bautz u. a. Berlin 2006.

538

Gedruckte Quellen und Literatur

Europäische Reiseberichte des späten Mittelalters. Eine analytische Bibliographie. Teil 1: Deutsche Reiseberichte. 2. Aufl., 2001; Teil 2: Französische Reiseberichte, 1999; Teil 3: Niederländische Reiseberichte, 2000. Hg. von Werner Paravicini. Frankfurt a.M. usw. 1999– 2001 (= Kieler Werkstücke. Reihe D: Beiträge zur europäischen Geschichte des späten Mittelalters. Band 5, 12, 14). Exquemelin, Alexandre Olivier: Bucaniers of America, or, A true Account of the most remarkable Assaults committed of late Years upon the Coasts of the West-Indies by the Bucaniers of Jamaica and Tortuga, both English and French. London 1684. Exquemelin, Alexandre Olivier: Das Piratenbuch von 1678. Nach alten Übersetzungen des Buches ,,die amerikanischen Seeräuber“, neu bearbeitet von Reinhard Federmann. Tübingen 1969. Fabre, Gérard: Epidémies et contagions. L’imaginaire du mal en Occident. Paris 1998. Fabre, Thierry: La Méditerranée, frontières et passages. Arles 1999. Famous Travellers to the Holy Land. Their Personal Impressions and Reflections. Hg. von Linda Osband. London 1989. Fanon, Frantz: Das kolonisierte Ding wird Mensch. Ausgewählte Schriften. Leipzig 1986. Fanon, Frantz: Die Verdammten dieser Erde. Frankfurt a.M. 2001. Fanon, Frantz: Schwarze Haut, weisse Masken. Frankfurt a.M. 1985. Farinelli, Arturo: Marrano. Storia di un vituperio. Genf 1925. Faroqhi, Suraiya: Crisis and Change, 1590–1699. In: An Economic and Social History of the Ottoman Empire. Hg. von Halil İlalcık. Cambridge 1997, S. 411–636. Faroqhi, Suraiya: Geschichte des Osmanischen Reiches. München 2004. Faroqhi, Suraiya: Kultur und Alltag im Osmanischen Reich. Vom Mittelalter bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts. München 1995. Faroqhi, Suraiya: Ottoman Merchants from the 16th to the 19th Century, International Conference, Institut für Geschichte und Kultur des Nahen Orients sowie Turkologie, München, 5.2.–7.2.2004 (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=504). Faroqhi, Suraiya: Quis custodiet custodes? Controlling Slave Identities and Slave Traders in Seventeenth- and Eighteenth-Century Istanbul. In: Frontiers of Faith. Religious Exchange and the Constitution of Religious Identities 1400–1750. Hg. von Eszter Andor, István György Tóth. Budapest 2001, S. 121–136. Faroqhi, Suraiya: The Early History of the Balkan Fairs. In: Südost-Forschungen 37 (1978), S. 50–68. Faroqhi, Suraiya: The Ottoman Empire and the World around it. London 2007. Farrell, Jeanette: Invisible Enemies: Stories of Infectious Disease. 2. Aufl. New York 1998. Fasano Guarini, Elena: Center and Periphery. In: The Journal of Modern History 67 (1995), S. 74–96. Fascione Toniolo, Claudia: I processi di Dogana e di Sanità a Livorno tra il 1663 ed il 1669. In: Atti del convegno ,,Livorno e il mediterraneo nell’età medicea“. Hg. von U. Bastogi. Livorno 1978, S. 377–384. Fay, C.R.: The Growth of the New Empire, 1783–1870. In: The Economic Journal 51/201 (1941), S. 80–91. Fear in Early Modern Society. Hg. von William G. Naphy, Penny Roberts. Manchester 1997. Febvre, Lucien: Sensibilität und Geschichte. Zugänge zum Gefühlsleben früherer Epochen (1941). In: Marc Bloch u. a.: Schrift und Materie der Geschichte. Vorschläge zur systema-

Gedruckte Quellen und Literatur

539

tischen Aneignung historischer Prozesse. Hg. von Claudia Honegger. Frankfurt am Main 1977, S. 313–334. Fehn, Klaus: Historische Geographie. In: Geschichte. Ein Grundkurs. Hg. von Hans-Jürgen Goertz. Reinbek 1998, S. 394–407. Feilchenfeld, Alfred: Anfang und Blüte der Hamburger Portugiesengemeinde. Hamburg 1898. Feldback, Ole: The Foreign Policy of Tsar Paul I, 1800–1801. An Interpretation. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 30 (1982), S. 16–36. Feldman, Jamie L.: Plague Doctors Responding to the AIDS Edpidemic in France and America Westport, Conn. usw. 1995. Fernández Pérez, Paloma: El rosto familiar de la metrópoli: Redes de parentesco y lazos mercantiles en Cádiz, 1700–1812. Madrid 1997. Fernández, Angel Pulido: Españoles sin patria y la raza sefardí. Madrid 1905. Fettah, Samuel: Du modèle au contre-modèle portuaire en Méditerranée: Images de Livourne aux XVIIIe–XIXe siècles. In: Espaces et territoires. Bulletin de la Société Languedocienne de Géographie. Villes portuaires. Modèles dans le temps et dans l’espace. Hg. von Rachel Rodrigues-Malta. Montpellier 2001, S. 11–19. Fettah, Samuel: Les consuls de France et la contrabande dans le port franc de Livourne à l’époque du Risorgimento. In: Revue d’Histoire Moderne et Contemporaine 48/2 (2001), S. 148–161. Filippini, Jean-Pierre: Il porto di Livorno e il regno di Francia dall’editto del porto franco alla fine della dominazione medicea. In: Atti del convegno ,,Livorno e il Mediterraneo nell’età Medicea. Livorno 1978, S. 179–201. Filippini, Jean-Pierre: La nation française de Livourne (fin XVIIe–fin XVIIIe siècle). In: Dossiers sur le commerce français en Méditerranée orientale au XVIIIe siècle. Hg. von JeanPierre Filippini u. a. Paris 1976, S. 235–248. Filippini, Jean-Pierre: Les nations à Livourne (XVIIe–XVIIIe siècles). In: I porti come impresa economica. Atti della XIX settimana di studi dell’Istituto Internazionale per gli studi Economici ,,F. Datini“. Prato 2–6 maggio 1987. Hg. von Simonetta Cavaciocchi. Florenz 1988, S. 580–593. Filippini, Jean-Pierre: Les provinces arabes de l’empire ottoman vues de Livourne au XVIIIe siècle. In: Revue d’Histoire Maghrebine 31/32 (1983), S. 207–210. Fischel, Walter Joseph: Jews in the Economic and Political Life of Mediaeval Islam. London 1937. Fisher, Godfrey: Barbary Legend. War, Trade and Piracy in North Africa 1415–1830. Oxford 1957. Fisher, H. E. S.: Lisbon, Its English Merchant Community and the Mediterranean in the Eighteenth Century. In: Shipping, Trade and Commerce. Hg. von P. L. Cottrell, D. H. Aldcroft. Leicester 1981, S. 23–44. Fisher, Stephen: Lisbon as a Port Town in the Eighteenth Century. In: Lisbon as a Port Town, the British Seaman and Other Maritime Thems. Hg. von Stephen Fisher. Exeter 1988, S. 9– 36. Fisher, Sydney Nettleton: The Foreign Relations of Turkey, 1481–1512. Urbana, Ill. 1948. Flaig, Egon: Eine Katastrophe definieren. Versuch einer Skizze. In: Historical Social Research 32 (2007), S. 35–43. Fleischer, Cornell: The Lawgiver as Messiah. The Making of the Imperial Image in the Reign

540

Gedruckte Quellen und Literatur

of Süleyman. In: Soliman le Magnifique et son temps. Actes du Colloque de Paris, Galeries Nationales du Grand Palais, 7–10 mars 1990. Paris 1992, S. 159–178. Floto, Henning: Der Rechtsstatus des Johanniterordens, Eine rechtsgeschichtliche und rechtsdogmatische Untersuchung zum Rechtsstatus der Balley Brandenburg des ritterlichen Ordens St. Johannis vom Spital zu Jerusalem. Berliner Wissenschaftsverlag, Berlin 2003. Flusser, Vilém: Von der Freiheit des Migranten. Einsprüche gegen den Nationalismus. Bensheim 1994. Foa, Anna: The Jews of Europe after the Black Death. Berkeley, Cal. usw. 2000. Fontaine, Laurence: History of Pedlars in Europe. Cambridge 1996. Fontana Làzaro, Josep: La quiebra de la monarquía absoluta 1814–1820. Barcelona 1987. Fontana, Josep: Europa im Spiegel. Eine kritische Revision der europäischen Geschichte. München 1994. Fontenay, Michel: Charles Quint, Malte et la défense de la Méditeranée. In: Revue d’Histoire moderne et contemporaine 50/4 (2003) S. 7–28 Foretić, Vinko: Povijest Dubrovnika do 1808. Zagreb 1980. Fornaciari, Pardo: Fate onore al bel Purim. Il bagitto, vernacolo degli ebrei livornesi. Livorno 2005. Fortis, Alberto: Put po Dalmaciji. Split 2004. Fotić, Aleksandar: Belgrade: A Muslim and Non-Muslim Cultural Centre (Sixteenth-Seventeenth Centuries). In: Provincial Elites in the Ottoman Empire. Halcyon Days in Crete V. A Symposium Held in Rethymnon, 10–12 January 2003. Hg. von Antonis Anastasopoulos. Rethymnon 2005, S. 51–75. Fotić, Aleksandar: Privatni život u srpskim zemljama u osvit modernog doba. Beograd 2005. Foucault, Michel: Andere Räume. In: Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. Essais. Hg. von Karlheinz Barck u. a. 3. Aufl. Leipzig 1991, S. 34–46. Foucault, Michel: Archäologie des Wissens. Frankfurt a.M. 1981. Foucault, Michel: Das Wasser und der Wahnsinn. In: ders.: Dits et Ecrits, Band 1. Frankfurt a.M. 2001. Foucault, Michel: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Frankfurt a.M. 1974. Foucault, Michel: Die Ordnung des Diskurses. Frankfurt a.M. 1977. Foucault, Michel: Language, Counter-Memory, Practice. Selected Essays and Interviews. Hg. von Donald F. Bouchard, Sherry Simon. Ithaca, N.Y. 1977. Foucault, Michel: Power/Knowledge. Selected Interviews and Other Writings, 1972–1977. Hg. von Colin Gordon. New York 1980. Foucault, Michel: Space, Power and Knowledge. In: The Cultural Studies Reader. Hg. von Simon During. London, New York 1993, S. 161–169. Foucault, Michel: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt a.M. 1994. Foucher, Michel: The Geopolitics of Southeastern Europe. In: Eurobalkans 15 (1994), S. 16– 19. Fra Seicento e Settecento. Hg. von Lucia Frattarelli Fischer, Carlo Mangio. Livorno 2006. Francis, Doris: Cemeteries as Cultural Landscapes. In: Mortality 8/2 (2003), S. 222–227. Frank, Andrew K.: The Routledge Historical Atlas of the American South. New York, London 1999.

Gedruckte Quellen und Literatur

541

Frankena, William K.: Einige Aspekte der Sprache. In: Sprache, Denken, Kultur. Hg. von Paul Henle. Frankfurt a.M. 1975, S. 168–199. Fraser, Nancy: Widerspenstige Praktiken. Macht, Diskurs, Geschlecht. Frankfurt a.M. 1994. Frati, Paola: Quarantine. Trade and Health Politics in Ragusa-Dubrovnik until the Age of George Armenius-Baglivi. In: Medicina nei Secoli 12 (2000), S. 103–127. Frattarelli Fischer, Lucia: La costruzione e il popolamento di Livorno dal 1590 al 1603. I Bandi popolazionistici di Ferdinando I. In: Le popolazioni del mare. Porti franchi, città, isole e villaggi costieri tra età moderna e contemporanea. Hg. von Aleksej Kalc, Elisabetta Navarra. Udine 2003, S. 87–98. Frattarelli Fischer, Lucia: Lo sviluppo di una città portuale: Livorno, 1575–1720. In: Sistole/Diastole. Episodi di trasformazione urbana nell’Italia delle città. Hg. von Marco Folin. Venezia 2006, S. 271–333. Frattarelli Fischer, Lucia: Presentazione. In: Fonti per la storia di Livorno. Fra Seicento e Settecento. Hg. von Lucia Frattarelli Fischer, Carlo Mangio. Livorno 2006, S. 5–6. Freeman-Grenwille, Greville Stewart Parker: The Muslim and Christian Calendars. Being Tables for the Conversion of Muslim and Christian Dates from the Hijra to the Year a.D. 2000. 2. Aufl. London 1977. Frejdenberg, Maren M.: Dubrovnik i Osmanskaja Imperija. 2. Aufl. Moskva 1989. Frejdenberg, Maren M.: Jewish Life in the Balkans (15th to 17th Centuries). Tel Aviv 1999. Freller, Thomas: Der Kampf gegen den ,,Schwarzen Tod“. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 17 (1994) S. 122–128. Freller, Thomas: Malta in Russian Travelogues. Russians‘ Views on Malta and the Order of St John in the Late Seventeenth and Eighteenth Centuries. In: Malta and Russia. Journey through the Centuries. Historical Discoveries in Russo-Maltese Relations. Hg. von Elizaveta Zolina. Valletta 2002, S. 23–62. Freller, Thomas: Russlands Blick auf eine neue Welt. Katharina II. und die russische Annäherung an den Malteserorden. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 51 (2003), S. 161– 184. Freller, Thomas: The Anglo-Bavarian Langue of the Order of Malta. Malta 2001. Freller, Thomas: The Epitome of Europe. Das Bild Maltas und des Ordenstaats der Johanniter in der Reiseliteratur der Frühen Neuzeit. Frankfurt a.M. 2002. Fremont-Barnes, Gregory: The Wars of the Barbary Pirates: To the Shores of Tripoli: The Rise of the US Navy and Marines. Oxford 2006. Freud, Sigmund: Das Unbehagen in der Kultur. Frankfurt a.M. 1994. Frevert, Ute: Neue Politikgeschichte. Konzepte und Herausforderungen. In: Neue Politikgeschichte. Perspektiven einer historischen Politikforschung. Hg. von dies., Heinz-Gerhard Haupt. Frankfurt a.M. 2005 (= Historische Politikforschung. Band 1), S. 7–26. Friedenberg Randegger, Flora S. C.: Un po’ di tutto. Seconda Strenna Israelitica. Maestra approvata in Trieste. Trieste 1869. Froehlich, Gerhard, Ingo Moerth: Das symbolische Kapital der Lebensstile. Zur Kultursoziologie der Moderne nach Pierre Bourdieu. Frankfurt a.M., New York 1994. Frohnhofen, Achim: Jugendliche im ,,Raum ohne Eigenschaften“. Eine Regionalanalyse des Kreises Heinsberg mit Garzweiler II. Opladen 2003 (= Studien zur Jugendforschung. Band 23). Frontiers in Question. Eurasian Borderlands. Hg. von David Power, Naomi Standen. London usw. 1999 (= Themes in Focus).

542

Gedruckte Quellen und Literatur

Frontiers of Faith. Religious Exchange and the Constitution of Religious Identities 1400 – 1750. Hg. von Eszter Andor, István György Tóth. Budapest 2001. Fuchs-Sumiyoshi, Andrea: Orientalismus in der deutschen Literatur. Untersuchungen zu Werken des 19. und 20. Jahrhunderts. Von Goethes ,,West-östlichem Diwan“ bis Thomas Manns ,,Joseph“-Tetralogie. Hildesheim usw. 1984 (= Germanistische Texte und Studien. Band 20). Fugagnollo, Ugo: Bisanzio e l’Oriente a Venezia. Triest 1974. Fuhrmann-Plemp van Duiveland, Maria: Der Untergang der Batavia und andere Schiffsjournale und Originalberichte aus der großen Zeit der niederländischen Seefahrt im 17. und 18. Jahrhundert. Stuttgart 1976. Fukasawa, Katsumi: Les lettres de change et le commerce du Levant au XVIIIe siècle. In: Négoce, Ports et Océans. Hg. von Silvia Marzagalli, Hubert Bonin. Bordeaux 2000, S. 61– 79. Funktionen des Fiktiven. Hg. von Dieter Henrich, Wolfgang Iser. München 1983 (= Poetik und Hermeneutik. Band 10). Furcht und Faszination. Facetten der Fremdheit. Hg. von Herfried Münkler. Berlin 1997. Fusaro, Maria: Les Anglais et les Grecs. Un réseau de coopération commerciale en Méditerranée vénitienne. In: Annales HSS 58/3 (2003), S. 605–625. G. Rosen: A History of Public Health. New York 1958. Gale, S.: Explanation Theory and Models of Migration. In: Economic Geography 49 (1973), S. 257–274. Galea, Joseph: The Quarantine Service and the Lazzaretto of Malta. In: Melita historica 3 (1966), S. 184–209. Galea, Michael: Sir Alexander John Ball and Malta. The Beginning of an Era. Malta 1990. Galimard Flavigny, Bertrand: Histoire de l’ordre de Malte. Paris 2006. Gámez Duarte, Feliciano: 1816, un año decisivo en las guerras de la independencia de Hispanomérica. In: Revista de Aula de Letras, Humanidades y Enseñanza 2 (2004), S. 1–20. Gámez Duarte, Feliciano: El desafio insurgente. Análisis del corso hispanoamericano desde una perspectiva peninsular: 1812–1828 (Dissertation). Logroño 2006 (http:// dialnet.unirioja.es/servlet/oaites?codigo=396. 14.1.2009). García-Baquero Gonzalez, Antonio, Pedro Collado Villalta: Les Français à Cadiz au XVIIIe siècle: La colonie marchande. In: Les Français en Espagne à l’époque moderne (XVIe–XVIIIe siècles). Ouvrage collectif. Paris 1990, S. 173–196. García-Baquero Gonzalez, Antonio: Cádiz y el Atlantico (1717–1778). El comercio colonial español bajo el monopolio gaditano. Sevilla 1976. García-Mira, Ricardo, J. Eulogio Real: Environmental Perception and Cognitive Maps. In: International Journal of Psychology 40/1 (2005), S. 1–2. Gastfreundschaft, Taverne und Gasthaus im Mittelalter. Hg. von Hans Conrad Peyer. München, Wien 1983. Gavrilović, Slavko: Građa za istoriju Vojne granice u XVIII veku. Beograd 1997. Gay, Ruth: Unfinished People. Eastern European Jews Encounter America. New York, London 1996. Geary, Patrick J.: Phantoms of Remembrance. Princeton, N.J. 1994. Gebrochene Identitäten. Zur Kontroverse um kollektive Identitäten in Deutschland, Israel, Südafrika, Europa und im Identitätskampf der Kulturen. Hg. von Werner Gephart, KarlHeinz Saurwein. Opladen 1999.

Gedruckte Quellen und Literatur

543

Gedenkschrift an die Gründung und Entwicklung der Evangelischen Kirche und Schulgemeinde zu Belgrad, Serbien. Belgrad 1904. Geertz, Clifford C.: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. 5. Aufl. Frankfurt a.M. 1997. Geertz, Clifford C.: The Interpretation of Cultures. Selected Essays. New York 1994. Geist, Bild und Narr. Zu einer Ethnologie kultureller Konversion. Hg. von H. Behrend, Berlin 2001. Gekas, Sakis: The Merchants of the Ionian Islands between East and West: Forming International and Local Networks. In: Spinning the Commercial Web. International Trade, Merchants, and Commercial Cities, c. 1640–1939. Hg. von Margrit Schulte-Beerbühl, Jörg Vögele. Frankfurt a.M. 2004, S. 43–63. Gemelli, Giuliana: Fernand Braudel. Paris 1995. Gensini, Gian Franco u. a.: The Concept of Quarantine in History: From Plague to SARS. In: Journal of Infection 49 (2004) S. 257–261. Georgelin, Jean: L’Italie à la fin du XVIIIe siècle. Paris 1989. Gerlach, Stephan: Stephan Gerlach des Aelteren Tage-Buch der von zween glorwürdigsten römischen Käysern Maximiliano und Rudolpho, beyerseits den Andern dieses Nahmens höchstseeligster Gedächtnüs, an die Ottomanische Pforte zu Constantinopel abgefertigten und durch Hn. David Ungnad mit würklicher Erhalt und Verlängerung des Friedens zwischen den Ottomanischen und Römischen Käyserthum glücklichst vollbrachter Gesandschafft. Frankfurt a. M. 1674. Gerstenberger, Debora: Iberien im Spiegel frühneuzeitlicher enzyklopädischer Lexika Europas. Diskursgeschichtliche Untersuchungen spanischer und portugiesischer Nationalstereotypen des 17. und 18. Jahrhunderts. Stuttgart 2007. Geschichte und Psychologie. Annäherungsversuche. Hg. von Bedrich Loewenstein. Pfaffenweiler 1992 (= Geschichte und Psychologie. Band 4). Gestrin, Ferdo: Le migrazioni degli slavi in Italia nella storiografia jugoslava. In: Italia felix. Migrazioni slave e albanesi in Occidente. Romagna, Marche, Abruzzi, secoli XIV–XVI. Hg. von Sergio Anselmi. Ancona 1988, S. 247–271. Ghezzi, Renato: Livorno e il mondo islamico nel XVII secolo. I bastimenti e il commercio di importazioni. Bari 2001. Giannini, Amadeo: I documenti diplomatici della pace orientale. Roma 1922. Gibbs, Joseph: Dead Men Tell no Tales. The Lives and Legends of the Pirate Charles Gibbs. Columbia, S.C. 2007. Giddens, Anthony: Konsequenzen der Moderne. Frankfurt a.M. 1995. Gießmann, Sebastian: Netze und Netzwerke. Archäologie einer Kulturtechnik 1740–1840. Bielefeld 2006. Gil, M.: The Radhanite Merchants and the Land of Radhan. In: JESHO 17 (1974), S. 299– 327. Gilbert, Daniel: Ins Glück stolpern. Über die Unvorhersehbarkeit dessen, was wir uns am meisten wünschen. München 2006. Gilman, Sander L.: Inscribing the Other. Lincoln, Nebr. usw. 1991. Gilomen, Hans-Jörg: Spätmittelalterliche Siedlungssegregation und Ghettoisierung, insbesondere im Gebiet der heutigen Schweiz. Stadt- und Landmauern, Band 3. Abgrenzungen – Ausgrenzungen in der Stadt und um die Stadt. Zürich 1999, S. 85–116.

544

Gedruckte Quellen und Literatur

Ginzburg, Carlo: Il Nicodemismo. Simulazione e dissimulazione nell’Europa del ’500. Torino 1970. Ginzburg, Carlo: Mikro-Historie. Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiss. In: Historische Anthropologie 2 (1993), S. 169–192. Ginzburg, Carlo: Miti, Emblemi, Spie. Torino 1986. Ginzburg, Carlo: Spurensicherungen. Über verborgene Geschichte, Kunst und soziales Gedächtnis. München 1988. Ginzburg, Carlo: The Cheese and the Worms. Baltimore 1980. Girault, René: Das Europa der Historiker. In: Europa im Blick der Historiker. Europäische Integration im 20. Jahrhundert. Bewusstsein und Institutionen. Hg. von Rainer Hudemann u. a. München 1995 (= Historische Zeitschrift-Beiheft. Band 21), S. 55–90. Girtler, Roland: Abenteuer Grenze. Von Schmugglern und Schmugglerinnen, Ritualen und "heiligen" Räumen. Wien, Münster 2006. Glenny, Misha: The Balkans. Nationalism, War and the Great Powers, 1804–1999. New York 2000. Glesinger, Lavoslav: Der Ursprung der Pestepidemien und deren Vorbeugungsmethoden im alten Dubrovnik. In: RAD 384 (1980), S. 93–102. Gli ebrei in Italia. Hg. von Corrado Vivanti. Torino 1996 (= Storia d’Italia. Band 11). Gliozzi, Giuliano: Adamo et il nuovo mondo. La nascita dell’antropologia come ideologia coloniale: dalle genealogie bibliche alle teorie razziali (1500–1700). Firenze 1977. Global History and Migrations. Hg. von Wang Gungwu. Oxford 1997. Gobbi, Grazia: Rimini. Roma, Bari 1982. Godinho, Vitorino de Magalhães: Prix et Monnaies au Portugal (1750–1850). Paris 1955. Goethe, Johann Caspar: Reise durch Italien im Jahre 1740 (Viaggio per l’Italia). München 1987. Goethe, Johann Caspar: Reise durch Italien im Jahre 1749 (Viaggio per l’Italia). München 1988. Goitein, Shlomo Dov: A Mediterranean Society. Berkeley, Los Angeles 1967. Goitein, Shlomo Dov: Jews and Arabs. New York 1955. Goitein, Shlomo Dov: Letters of Medieval Jewish Traders. Princeton, N.J. 1974. Goldberg, Sylvie Anne: La Clepsydre. Essai sur la pluralité des temps dans le judaïsme. Paris 2000. Goldsmith, Maurice M.: Private Vices, public Benefits. Bernard Mandeville’s Social and Political Thought. Cambridge usw. 1985. Goldsworthy, Vesna: Inventing Ruritania. The Imperialism of the Imagination. New Haven, London 1998. Golicyn, Nikolaj Nikolaevič: Istorija russkago zakonodatel’stva o evrejach. St.-Peterburg 1886. Gombač, Boris M.: Triest zwischen Mythos und Realität. Ein Spaziergang durch die Geschichte. In: Zeitgeschichte 1 (2000), S. 3–21. Gómez Mampaso, Valentina: La unificación hospitalaria en Castilla. Su estudio a través de la Casa de San Lázaro de Sevilla. Madrid 1996. Gordon, David M.: Theories of Poverty and Underemployment. Lexington 1972. Goscinny, René, Albert Uderzo: Asterix bei den Belgiern. Stuttgart 1989 (= Asterix, Band XXIV).

Gedruckte Quellen und Literatur

545

Götzmann, Jutta u. a.: Spektakel der Macht. Rituale im Alten Europa 800–1800. Begleitheft zur Ausstellung. Leipzig 2008. Gozzi, Giorgio: La Libera e Sovrana Repubblica di Ragusa 634–1814. Roma 1981. Graça, Luís: Hospital Real de Todos os Santos: Da ostenção da caridade ao genió organizativo. In: Dirigir – Revista para Chefias 32 (1994), S. 26–31. Gradeva, Rossitsa: Towards a Portrait of ,,The Rich“ in Ottoman Provincial Society: Sofia in the 1670s. In: Provincial Elites in the Ottoman Empire – Halcyon Days in Crete V, A Symposium Held in Rethymnon 10–12 January 2003. Hg. von Antonis Anastasopoulos. Rethymnon 2005, S. 149–199. Granovetter, Mark: The Strength of Weak Ties. In: American Journal of Sociology 78 (1973), S. 1360–1380. Graus, František: Diskussionsbeitrag. In: Vergangenheit in mündlicher Überlieferung. Hg. von Hansjörg Reinau, Jürgen von Ungern-Sternberg. Stuttgart 1988 (= Colloquium Rauricum. Band 1), S. 325–327. Graus, František: Eingrenzung des Begriffes. In: Mentalitäten im Mittelalter. Methodische und inhaltliche Probleme. Hg. von František Graus. Sigmaringen 1987 (= Vorträge und Forschungen. Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte. Band 35), S. 12–48. Graus, František: Lebendige Vergangenheit. Überlieferung im Mittelalter und in den Vorstellungen vom Mittelalter. Köln, Wien 1975. Graus, František: Mentalitäten im Mittelalter. Methodische und inhaltliche Probleme. Sigmaringen 1987. Graus, František: Pest – Geissler – Judenmorde: Das 14. Jahrhundert als Krisenzeit. Göttingen 1987. Greeff, Richard: Reise nach den Canarischen Inseln (London, Lissabon, Madeira, Tenerife, Gran Canaria, Lanzarote, Marokko, Spanien.). Mit populärwissenschaftlichen Schilderungen. Bonn 1868. Greenblatt, Stephen: Marvelous Possessions. The Wonder of the New World. Oxford 1991. Greene, Molly: A Shared World. Christians and Muslims in the Early Modern Mediterranean. Princeton, N.J. 2000. Greverus, Ina-Maria: Der territoriale Mensch. Ein literaturanthropologischer Versuch zum Heimatphänomen. Frankfurt a.M. 1972. Griep, Wolfgang: Reiseliteratur im späten 18. Jahrhundert. In: Deutsche Aufklärung bis zur Französischen Revolution 1680 bis 1789. Hg. von Rolf Grimminger. München 1980 (= Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur. Band 3), S. 739–764. Grigg, D.B.: E.G. Ravenstein and the ,,Laws of Migration“. In: Journal of Historical Geography 3 (1977), S. 41–54. Grimal, Pierre u. a.: Mythologies de la Méditerranée au Gange; préhistoire, Égypte, Sumer, Babylone, Hittites, Sémites, Grèce, Rome, Perse, Inde. Paris, 1963. Grimal, Pierre: Larousse World Mythology. New York, 1965. Grmek, Mirko D.: La vie, les maladies et l’histoire. Paris 2001. Grmek, Mirko D.: Le concept d’infection dans l’antiquité et au moyen age, les anciennes measures socials contre les maladies contagieuses et la foundation de la première quarantine à Dubrovnik (1377). In: RAD 384 (1980), S. 10–54. Grmek, Mirko D.: Les débuts de la quarantine maritime. In: L’homme, la santé et la mer. Actes du Colloque international tenu à l’Institut Catholique de Paris les 5 et 6 décembre 1995. Hg. von Christian Buchet. Paris 1997, S. 39–59.

546

Gedruckte Quellen und Literatur

Grmek, Mirko Dražen: History of AIDS. Emergence and Origin of a Modern Pandemic. Princeton, N. J. 1990. Grmek, Mirko Dražen: Quarantäne in Dubrovnik. In: Ciba Symposium, Basel 7 (1959), S. 30–33. Groebner, Valentin: Der Schein der Person. Steckbrief, Ausweis und Kontrolle im Europa des Mittelalters. München 2004. Groebner, Valentin: Describing the Person, Reading the Signs in Late Medieval and Renaissance Europe. Identity Papers, Vested Figures, and the Limits of Identification, 1400– 1600. In: Documenting Individual Identity. The Development of State Practices in the Modern World. Hg. von Jane Caplan, John Torpey. Princeton, Oxford 2001, S. 15–27. Grousset, René: L’Empire du Levant. Paris 1946. Guimarães Sá, Isabel dos: Quando o rico se faz pobre: Misericórdias, caridade e poder no império português 1500–1800. Lissabon 1997. Gutwein, Daniel: Traditional and Modern Communication. The Jewish Context. In: Communication in the Jewish Diaspora. The Pre-Modern World. Hg. von Sophia Menache. Leiden usw. 1996, S. 409–426. Ha, Kien Nghi : Hype um Hybridität. Kultureller Differenzkonsum und postmoderne Verwertungstechniken im Spätkapitalismus. Bielefeld 2005. Ha, Kien Nghi: Ethnizität und Migration Reloaded. Kulturelle Identität, Differenz und Hybridität im postkolonialen Diskurs. Berlin 2004. Haarmann, Ulrich u. a.: Geschichte der arabischen Welt. 4. überarb. Aufl. München 2001. Häberlein, Mark, Martin Zürn: Minderheiten als Problem der historischen Forschung. Einleitende Überlegungen. In: Minderheiten, Obrigkeit und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit. Integrations- und Abgrenzungsprozesse im süddeutschen Raum. Hg. von Dies. St. Katharinen 2001, S. 9–40. Habermas, Jürgen: Communication and the Evolution of Society. Boston 1979. Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handelns. Band 1: Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung. Band 2: Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft. Frankfurt a.M. 1988. Hafkemeyer, Georg Bernhard: Der Rechtsstatus des Souveränen Malteser-Ritter-Ordens als Völkerrechtssubjekt ohne Gebietshoheit. Hamburg 1955. Haggett, P., R. J. Chorley: Network Analysis in Geography. London 1969. Hahn, Friedrich Gustav: Zur Geschichte der Grenze zwischen Europa und Asien. In: Mitteilungen des Vereins für Erdkunde zu Leipzig (1881), S. 83–104. Halbwachs, Maurice: Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen. Frankfurt a.M. 1996. Halbwachs, Maurice: Das kollektive Gedächtnis. Frankfurt a.M. 1985. Halbwachs, Maurice: La topographie légendaire des Evangiles en terre sainte. Étude de mémoire collective. Paris 1941. Hall, Stuart: Ideologie, Identität, Repräsentation. Ausgewählte Schriften. Hamburg 2004. Hall, Stuart: Rassismus und kulturelle Identität. 2. Aufl. Hamburg 2000. Haller, Dieter: Reflections on the Merits and Perils of Insider Anthropology. When Anthropologists Are Made Natives. Issue of the German Anthropological Journal 14 (2002), S. 113– 146. Halm, Heinz: Die Araber. Von der vorislamischen Zeit bis zur Gegenwart. München 2004. Halm, Heinz: Die Ayyubiden. In: Geschichte der arabischen Welt. Hg. von Ulrich Haarmann u. a. 4. überarb. Aufl. München 2001, S. 200–216.

Gedruckte Quellen und Literatur

547

Hának, Péter: Central Europe. A Historical Region in Modern Times. A Contribution to the Debate about the Regions of Europe. In: In Search of Central Europe. Hg. von George Schöpflin, Nancy Wood. Cambridge, UK 1989, S. 57–69. Hananel, Ašer, Eli Eškenazi: Evrejski Izvori za obščestveno-ikonomičeskoto razvitie na balkanskite zemi. Tom II, XVII vek. Consilio et cura Nikolaj Todorov. Sofija 1960. Handbook of International Migration. Hg. von William J. Serow. New York u. a. 1990. Handbuch für europäische Geschichte. 8 Bde. Hg. von Theodor Schieder. Stuttgart 1968– 1987. Hankiss, Elemér: Fears and Symbols. Budapest, New York 2001. Hans Dernschwam’s Tagebuch einer Reise nach Konstantinopel und Kleinasien (1553/55). Nachdruck der 1. Aufl. 1923. Hg. von Franz Babinger. Berlin, München 1986 (= Studien zur Fugger-Geschichte. Band 7). Harbsmeier, Michael: Wilde Völkerkunde. Andere Welten in deutschen Reiseberichten der frühen Neuzeit. Frankfurt, New York 1994. Harding, Hugh W.: Maltese Legal History under British Rule, 1801–1836. Malta 1980. Harlaftis, Gelina, Sophia Laiou: Ottoman State Policy in Mediterranean Trade and Shipping, c.1780–c.1820: The Rise of the Greek-Owned Ottoman Merchant Fleet. In: Networks of Power in Modern Greece. Essays in Honour of John Campell. Hg. von Mark Mazower. New York 2008, S. 1–44. Harlaftis, Gelina: A History of Greek-Owned Shipping. The Making of an International Tramp Fleet, 1830 to the Present Day. London, New York 1996. Harlaftis, Gelina: Mapping the Greek Maritime Diaspora from the Early Eighteenth to the Late Twentieth Centuries. In: Diaspora Entrepreneurial Networks. Hg. von Ina Baghdiantz McCabe u. a. Oxford 2005, S. 147–171. Harris, James R., Michael P. Todaro: Migration, Unemployment and Development: A Two Sector Analysis. In: AER 60 (1970), S. 126–142. Harris, Jonathan, Heleni Porfyriou: The Greek Diaspora: Italian Port Cities and London, c. 1400–1700. In: Cities and Cultural Exchange in Europe, 1400–1700. Hg. von Donatella Calabi, Stephen Turk Christensen. Cambridge 2007, S. 65–86. Harris, Robin: Dubrovnik – A History. London 2003. Harris, William: The Levant. Princeton 2003. Hasluck, Frederick William: Christianity and Islam under the Sultans. Oxford 1929. Hatzfeld, Jean: Les trafiquants italiens dans l’Orient hellénique. Paris 1919. Haunted by History. Myths in International Relations. Hg. von Cyril Buffet, Beatrice Heuser. Providence, Oxford 1998. Haupt, Heinz-Gerhard, Jürgen Kocka: Historischer Vergleich. Methoden, Aufgaben, Probleme. Eine Einleitung. In: Geschichte und Vergleich. Ansätze und Ergebnisse international vergleichender Geschichtsschreibung. Hg. von Dies. Frankfurt a.M., New York 1996, S. 9– 45. Hauschild, Thomas: Magie und Macht in Italien. Über Frauenzauber, Kirche und Politik. 2. Aufl. Gifkendorf 2003 (= Merlins Bibliothek der geheimen Wissenschaften und magischen Künste. Band 13). Hayward, Horace Albert: Gli inglesi a Livorno al tempo dei Medici. In: Atti del convegno ,,Livorno e il Mediterraneo nell’età Medicea”. Livorno 1978, S. 268–273. Hayward, Horace Albert: The British Factory in Livorno. In: Atti del convegno ,,Gli Inglesi a Livorno e all’Isola d’Elba“. Livorno 1980, S. 261–267.

548

Gedruckte Quellen und Literatur

Hearder, Harry: Italy in the Age of Risorgimento: 1790–1870. London, New York 1985. Heers, Jacques: Portugais et Genóis au XVe siècle. La rivalité Atlantique-Méditerannée. In: Actas do III Cóloquio Internacional de Estudos Luso-Brasileros. Bd. 2. Lissabon 1960, S. 138–147. Heiter, Bernd: Immanuel Wallerstein: Unthinking Culture? In: Kultur. Theorien der Gegenwart. Hg. von Stephan Moebius, Dirk Quadflieg. Wiesbaden 2006, S. 557–570. Hennig, Christoph: Jenseits des Alltags. Theorien des Tourismus. In: Voyage. Jahrbuch für Reise- & Tourismusforschung. Schwerpunktthema: Warum reisen? Hg. von Tobias Gohlis u. a. Köln 1997, S. 35–53. Henrikson, Alan K.: Mental Maps. In: Explaining the History of American Foreign Relations. Hg. von Michael J. Hogan, Thomas G. Paterson. Cambridge 1991, S. 177–192. Hentsch, Thierry: Imagining the Middle East. Montreal, New York 1992. Heppner, Harald: Die großen Wasserstraßen und ihre Bedeutung. In: Der Weg führt über Österreich. Zur Geschichte des Verkehrs- und Nachrichtenwesens von und nach Südosteuropa (18. Jahrhundert bis zur Gegenwart). Hg von ders. Wien 1996, S. 91–106. Herman Rapaport: The Theory Mess. Deconstruction in Eclipse. New York 2001. Hermano Saraiva, José: História concisa de Portugal. Lisboa 1992. Hertz, Allan Z.: Muslims, Christians and Jews in the Sixteenth Century Ottoman Belgrade. In: The Mutual Effects of the Islamic and Judeo-Christian worlds the East European Pattern. Hg. von Abraham Ascher u. a. Brooklyn, N.Y. 1979. Hertz, Allan Z.: Muslims, Christians and Jews in the Sixteenth Century Ottoman Belgrade. In: The Mutual Effects of the Islamic and Judeo-Christian Worlds the East European Pattern. Hg. von Abraham Ascher u. a. New York 1979, S. 149–164. Herz, John H.: The Rise and Demise of the Territorial State. In: World Politics 9 (1957) S. 473–493. Herzog, Werner: Der Maghreb: Marokko, Algerien, Tunesien. München 1990. Heyd, Wilhelm: Die Geschichte des Levantehandels im Mittelalter. Stuttgart 1879. Hildesheimer, Françoise: Fléaux et societé. De la grande peste au choléra. XIVe –XIXe siècle. Paris 1993. Hildesheimer, Françoise: La protection sanitaire des côtes françaises au XVIIIe siècle. In: Revue d’Histoire Moderne et Contemporaine 27 (1980), S. 443–467. Hildesheimer, Françoise: Le bureau de la santé de Marseille sous l’Ancien Régime: Le renfermement de la contagion. Marseille 1980. Hildesheimer, Françoise: Prévention de la peste et attitudes mentales en France au XVIIIe siècle. In: Revue Historique 265 (1981) S. 65–79. Historische Anthropologie 1 (1993). Hobsbawm, Eric J.: Bandits. New York 1981. Hobsbawm, Eric J.: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. München, Wien 1995. Hobsbawm, Eric J.: Nationen und Nationalismus. Mythos und Realität. Frankfurt a.M. 2004. Hobsbawm, Eric J.: Primitive Rebels: Studies in Archaic Forms of Social Movement in the 19th and 20th Centuries. New York 1959. Hobsbawm, Eric J.: Wieviel Geschichte braucht die Zukunft? München 1998. Hobsbawn, Eric J., Terence Ranger: The Invention of Tradition. Cambridge 1983. Hocquet, Jean-Claude: Commercio e navigazione in Adriatico: Porto di Ancona, sale di Pa-

Gedruckte Quellen und Literatur

549

go e marina di Ragusa (XIV–XVII secolo). In: Le Marche e l’Adriatico orientale: Economia, società, cultura dal XIII secolo al primo ottocento. Hg. von Deputazione di storia patria per le Marche. Ancona 1978, S. 221–254. Hoerder, Dirk u. a.: Terminologien und Konzepte in der Migrationsforschung. In: Enzyklopädie. Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Hg. von Klaus J. Bade u. a. Zürich 2007, S. 28–53. Höfert, Almut: Ist das Böse schmutzig? Das Osmanische Reich in den Augen europäischer Reisender des 15. und 16. Jahrhunderts. In: Historische Anthropologie 11/2 (2003), S. 176– 192. Höffe, Otfried: Nationalstaaten im Zeitalter der Globalisierung? In: Auf dem Weg zum ethnisch reinen Nationalstaat? Europa in Geschichte und Gegenwart. Hg. von Mathias Beer. 2. Aufl. Tübingen 2007, S. 197–210. Hoffman, George W.: The Balkans in Transition. Princeton, N.J. 1963. Hoffmann-Nowotny, Hans-Joachim: Paradigmen und Paradigmenwechsel in der sozialwissenschaftlichen Wanderungsforschung. Versuch einer Skizze einer neuen Migrationstheorie. In: Migration in der Feudalgesellschaft. Hg. von Gerhard Jaritz, Albert Müller. Frankfurt a.M. 1988, S. 21–42. Hohls, Rüdiger u. a.: Europa und die Europäer. Quellen und Essays zur modernen europäischen Geschichte. Stuttgart 2005. Holdsworth, Deryck W., Henry J. Rademacher: Die Worte und Welten des Handels. Waren und die Kulturgeographie maritimer Räume. In: Das Meer als kulturelle Kontaktzone. Räume, Reisende, Repräsentationen. Hg. von Bernhard Klein, Gesa Mackenthun. Konstanz 2003, S. 115–142. Holz, Klaus: Die antisemitische Konstruktion des "Dritten" und die nationale Ordnung der Welt. In: "Das bewegliche Vorurteil". Aspekte des internationalen Antisemitismus. Hg. von Christina von Braun, Eva-Maria Ziege. Würzburg 2004, S. 43–62. Holzer, Boris: Netzwerke. Bielefeld 2006. Honour of Suraiya Faroqhi. Hg. von Vera Costantini, Markus Koller. Leiden, Boston 2008, S. 409–422. Horden, Peregrine, Nicolas Purcell: The Corrupting Sea. A Study of Mediterranean History. Oxford 2000. Hösch, Edgar: Geschichte der Balkanländer. Von der Frühzeit bis zur Gegenwart. München 1993. Hösch, Edgar: Kulturgrenzen in Südosteuropa. In: Südosteuropa 47 (1998), S. 601–625. Hospitäler im Mittelalter und Früher Neuzeit: Frankreich, Deutschland und Italien. Eine vergleichende Geschichte. Hg. von Gisela Drossbach. München 2007. Hospitäler in Mittelalter und Früher Neuzeit: Frankreich, Deutschland und Italien. Eine vergleichende Geschichte. Hg. von Gisela Drossbach. München 2007. Hospitaller Malta, 1530–1798. Studies on Early Modern Malta and the Order of St John of Jerusalem. Hg. von Victor Mallia-Milanes. Malta 1993. How Classification Works. Nelson Goodman among the Social Sciences. Hg. von Mary Douglas, David Hull. Edinburgh 1992. Howard, John: Prisons and Lazarettos. An Account of the Principal Lazarettos in Europe. Band 2. Nachdruck der zweiten Auflage (1791). Montclair, N.J. 1973. Howes, Robert: The British Cemetery in Lisbon. A History of the Estrela Site, From the 17th Century to the 1950s. Lissabon 2005. Humboldt, Wilhelm von: Tagebuch der Reise nach Spanien 1799/1800. In: Wilhelm von

550

Gedruckte Quellen und Literatur

Humboldts Gesammelte Schriften. Hg. von der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften. Band 15. Dritte Abteilung: Tagebücher II. Berlin 1918, S. 47–355. Hunt, Lynn: Psychologie, Ethnologie und ,,linguistic turn“ in der Geschichtswissenschaft. In: Geschichte. Ein Grundkurs. Hg. von Hans-Jürgen Goertz. Reinbek 1998, S. 671–693. Hurewitz, Jacob Coleman: The Middle East and North Africa in World Politics a Documentary Record. 3 Bde., Band 1: European Expansion, 1535–1914. 2. Aufl. New Haven London 1975. I ,,Giardini“ della Congregazione Olandese-Alemanna. Memoria e Fede nella Livorno delle Nazioni. Hg. von Giangiacomo Panessa, Mauro del Nista. Livorno 2004. Iglesias Rodríguez, Juan José: La epidemia gaditana de fiebre amarilla de 1800. Cádiz 1987. Il mondo ebraico. Gli ebrei tra Italia nord-orientale e Impero asburgico dal Medioevo all’Età contemporanea. Hg. von Giacomo Todeschini u. a. Trieste 1991. Ilić, Tanasije Ž.: Beograd i Srbija u dokumentima archive zemunskog magistrata od 1739 do 1804 god. Beograd 1973. Ilić, Tanasije Ž.: Građa iz zemunskih arhiva za istoriju prvog srpskog ustanka – Knjiga III 1810–1813. Beograd 1969. Ilić, Tanasije Ž.: Quellen zur Geschichte Belgrads und Serbiens im XVIII. Jahrhundert. Belgrad und Serbien durch die Dokumente des Semliner Magistratsarchivs von 1739–1788. Beograd 1973. Ilić, Tanasije Ž.: Građa iz zemunskih arhiva za istoriju prvog srpskog ustanka. Beograd 1955. Imaginationen des Anderen im 16. und 17. Jahrhundert. Hg. von Ina Schabert, Michaela Boenke. Wiesbaden 2002. Immigrant Youth in Cultural Transition. Acculturation, Identity, and Adaptation across National Contexts. Hg. von John W. Berry u. a. Mahwah, N.J. 2006. Inalcik, Halil u. a.: An Economic and Social History of the Ottoman Empire (2 Bände). Cambridge 1997–2005. Inalcik, Halil: Capital Formation in the Ottoman Empire. In: JEH 29/1 (1969), S. 97–140. Incidents of Travel in Greece, Turkey, Russia, and Poland. By the Author of ,,Incidents of Travel in Egypt, Arabia Petrea, and the Holy Land“. With a Map and Engravings. 2 Bde. 7. Aufl. New York 1845. Inquisição portuguesa: Tempo, razão e circunstancia. Hg. von Luís Filipe Barreto u. a. Lissabon 2007. Inszenierungen des Nationalen. Geschichte, Kultur und die Politik der Identitäten am Ende des 20. Jahrhunderts. Hg. von Beate Binder u. a. Köln usw. 2000. Intercultura e Protestantesimo nella Livorno delle Nazioni: La Congregazione OlandeseAlemanna. Hg von Giangiacomo Panessa, Mauro del Nista. Livorno 2002. Intercultural Contacts in the Medieval Mediterranean. Studies in Honour of David Jacoby. Hg. von Benjamin Arbel. London, Portland/Oregon 1996. Interdisciplinary Perspectives. Hg. von Barney Warf u. a. London 2009. Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese. Hg. von Kaspar von Greyerz u. a. Gütersloh 2003 (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte. Band 201). International Migrations. 2 Bde. Hg. von Walter F. Willcox. New York 1929–1931. Internationale Geschichte. Themen – Ergebnisse – Aussichten. Hg. von Wilfried Loth, Jürgen Osterhammel. München 2000 (= Studien zur Internationalen Geschichte. Band 10). Irsigler, Franz: Raumkonzepte in der historischen Forschung. In: Zwischen Gallia und Ger-

Gedruckte Quellen und Literatur

551

mania, Frankreich und Deutschland. Konstanz und Wandel raumbestimmender Kräfte. Hg. von Alfred Heit. Trier 1987, S. 11–27. Iser, Wolfgang: Das Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven literarischer Anthropologie. Frankfurt a.M. 1991. Israel, Jonathan I.: Diasporas Jewish and Non-Jewish and the World Maritime Empires. In: Diaspora Entrepreneurial Networks. Hg. von Ina Baghdiantz McCabe u. a. Oxford 2005, S. 3–26. Israel, Jonathan I.: European Jewry in the Age of Mercantilism, 1550–1750. London 1998. Italia felix. Migrazioni slave e albanesi in Occidente. Romagna, Marche, Abruzzi, secoli XIV– XVI. Hg. von Sergio Anselmi. Ancona 1988. Italy in the Nineteenth Century, 1796–1900. Hg. von John A. Davis. Oxford 2000. Ivanova, Svetlana: Varoş – The Elites of the Reaya in the Towns of Rumeli, SeventeenthEighteenth Centuries. In: Provincial Elites in the Ottoman Empire – Halcyon Days in Crete V, A Symposium Held in Rethymnon 10–12 January 2003. Hg von Antonis Anastasopoulos. Rethymnon 2005, S. 201–246. Jacob, Ernst Gerhard: Grundzüge der Geschichte Portugals und seiner Überseeprovinzen. Darmstadt 1969. Jaeger, Gérard A.: Pirates à l’affiche. Les aventuriers de la mer dans le cinéma occidental des origines à nos jours. Saint-Sébastien-sur-Loire 1989. Jakic-Cestaric, Vesna: Etnicki odnosi u srednjovjekovnom Zadru prema analizi osobnih imena. Zadar 1972. Jancke, Gabriele: Autobiographie als soziale Praxis. Beziehungskonzepte in Selbstzeugnissen des 15. und 16. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum. Köln usw. 2002. Janeković-Römer, Zdenka: I lazzaretti di Dubrovnik (Ragusa). In: Rotte mediterranee e baluardi di sanità. Hg. von Nelli-Elena Vanzan Marchini. Milano 2004, S. 246–249. Janeković-Römer, Zdenka: Okvir Slobode. Dubrovačka vlastela između srednjovjekovlja i humanizma. Zagreb, Dubrovnik 1999. Jankrift, Kay Peter: Die Pest im Nahen Osten und in der mittelalterlichen arabischen Welt. In: Pest. Die Geschichte eines Menschheitstraumas. Hg. von Mischa Meier. Stuttgart 2005, S. 225–233. Jankrift, Kay Peter: Krankheit und Heilkunde im Mittelalter. Darmstadt 2003. Jansen, Clifford J.: Readings in the Sociology of Migration. Oxford 1970. Jansen, Clifford J.: Social Aspects of Internal Migration. Bath 1968. Jansen, Dorothea: Einführung in die Netzwerkanalyse. Grundlagen, Methoden, Forschungsbeispiele. 3. überarb. Aufl. Wiesbaden 2006. Jelavich, Barbara: The History of the Balkans. 2 Bde. New York 1983. Jetter, Dieter: Das europäische Hospital. Von der Spätantike bis 1800. Köln 1986. Jewish Travellers in the Middle Ages. 19 Firsthand Accounts. Hg. von Elkan Nathan Adler. New York 1987 (Nachdruck der 1. Ausgabe von 1930). Jews, Turks, Ottomans: A Shared History, 15th through the 20th Century. Hg. von Avigdor Levy. Syracuse, N.Y. 2002. Jireček, Konstantin Josef: Die Heerstraße von Belgrad nach Constantinopel und die Balkanpässe. Eine historisch-geographische Studie. Prag 1877, Nachdruck Amsterdam 1967. Jireček, Konstantin Josef: Die Romanen in den Städten Dalmatiens während des Mittelalters. Wien 1901–1904.

552

Gedruckte Quellen und Literatur

Jireček, Konstantin Josef: Istorija Srba. Beograd 1978. Johnson, Charles: A General History of the Robberies & Murders of the Most Notorious Pirates. London 2009. Johnson, Charles: Lives of the most notorious Pirates. London 1962. Jordan, Shirley: Pirates and Privateers in the New World. Moments in History. Logan, Iowa 2001. Judt, Tony: Große Illusion Europa Gefahren und Herausforderungen einer Idee. München usw. 1996. Jurt, Joseph: Bourdieu. Grundwissen Philosophie. Stuttgart 2008. Jütte, Robert: Arme, Bettler, Beutelschneider. Eine Sozialgeschichte der Armut in der Frühen Neuzeit. Weimar 2000. Kaelble, Hartmut: Der historische Vergleich. Eine Einführung zum 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt a.M., New York 1998. Kafadar, Cemal: A Death in Venice (1575): Anatolian Muslim Merchants Trading in the Serenissima. In: Merchant Networks in the Early Modern World. Hg. von Sanjay Subrahmanyam. Aldershot 1996, S. 97–124. Kaltenstadler, Wilhelm: Der österreichische Seehandel über Triest im 18. Jahrhundert. In: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 55 (1968), S. 481–500. Kamen, Henry: Inquisition and Society in Spain in the Sixteenth and Seventeenth Centuries. Bloomington 1985. Kamen, Henry: The Mediterranean and the Expulsion of Spanish Jews in 1492. In: Past and Present 119 (1988), S. 30–55. Kamen, Henry: The Spanish Inquisition. A Historical Revision. New Haven 1998. Kanic, Feliks: Srbija, zemlja i stanovništvo. Beograd 1999. Kant, K.: Classification and Problems in Migration. In: Readings in Cultural Geography. Hg. von Philipp L. Wagner, Marvin W. Mikesell. Chicago 1962, S. 47–57. Kapitanović, Vicko: Santuari in Dalmazia Veneta e nella Repubblica di Dubrovnik dal Quattro all’Ottocento. In: Ricerche di storia sociale e religiosa 66 (2004), S. 95–116. Kaplan, Robert: Eastward to Tartary. Travels in the Balkans, the Middle East, and the Caucasus. New York 2000. Kaplan, Yosef: An Alternative Path to Modernity. The Sephardi Diaspora in Western Europe. Leiden usw. 2000. Kaplan, Yosef: From Christianity to Judaism. The Story of Isaac Orobio de Castro. Oxford 1989. Kaplan, Yosef: Les nouveaux-juifs d’Amsterdam. Essais sur l’histoire sociale et intellectuelle du judaïsme séfarade au XVIIe siècle. Paris 1999. Kaplan, Yosef: The Self-Definition of the Sephardi Jews of Western Europe and Their Relation to the Alien and the Stranger. In: ders.: An Alternative Path to Modernity. The Sephardi Diaspora in Western Europe. Leiden 2000, S. 51–77. Kaplan, Yosef: The Travels of Portuguese Jews from Amsterdam to the ,,Lands of Idolatry“ (1644–1724). In: Jews and Conversos. Hg. von Yosef Kaplan. Jerusalem 1985, S. 197–224. Kaplan-Kogan, Wladimir Wolf: Die jüdischen Wanderbewegungen in der neuesten Zeit (1880–1914). Bonn 1919. Kappeler, Andreas: Osteuropäische Geschichte. In: Aufriss der historischen Wissenschaften. Band 2: Räume. Hg. von Michael Maurer. Stuttgart 2001, S. 198–265.

Gedruckte Quellen und Literatur

553

Kappeler, Andreas: Russland als Vielvölkerreich. Entstehung – Geschichte – Zerfall. München 1992. Kapper, Siegfried: Südslavische Wanderungen. Neue wohlfeile Ausgabe. Leipzig 1853. Karge, Henrik, Bruno Klein: Grabkunst als Ausdruck der gesellschaftlichen Dimension des Todes. Monumente und Entwicklungen auf der Iberischen Halbinsel. Eine Einführung. In: Grabkunst und Sepulkralkultur in Spanien und Portugal. Arte funerario y cultura sepulcral en España y Portugal. Hg. von Barbara Borngässer u. a. Frankfurt a.M. 2006, S. 9–18. Karmon, Yehuda: Die Johanniter und Malteser. Ritter und Samariter. Die Wandlungen des Ordens vom Heiligen Johannes. München 1987. Kaser, Karl: Europa und die Grenzen im Kopf. Wien 2003. Kaser, Karl: Historische Anthropologie im südöstlichen Europa eine Einführung. Wien 2003. Kaser, Karl: Macht und Erbe Männerherrschaft, Besitz und Familie im östlichen Europa (1500–1900). Wien 2000. Kaser, Karl: Südosteuropäische Geschichte und Geschichtswissenschaft. Eine Einführung. Wien, Köln 1990. Kashani-Sabet, Firoozeh: City of the Dead. The frontier polemics of quarantines in the Ottoman Empire and Iran. In: Comparaitve Studies of South Asia, Africa and the Middle East 18 (1998) S. 51–57. Katele, Irene B.: Piracy and the Venetian State: The Dilemma of Maritime Defense in the Fourteenth Century. In: Speculum 63 (1988), S. 865–889. Katić, Relja V.: O pojavama i suzbijanju zaraznih bolesti kod Srba od 1202 do 1813 godine. Beograd 1965. Kaye, Alan S., Mauro Toaco: Pidgin and Creole Languages: A Basic Introduction. München 2001. Kekić, Bariša: Dubrovnik (Raguse) et le Levant au Moyen Age. Paris 1961. Kekić, Bariša: Dubrovnik, a Mediterranean Urban Society, 1300–1600. Aldershot 1997. Kemnitz, Eva-Maria von: As instituções militares portuguesas nas relações com Maroccos nos séculos XVIII e XIX. In: XII Colóquio: Laços históricos-militares luso-maghrebinos. Perspectivas de Valorização. Hg. von Commisão Portuguesa de História Militar. Lissabon 2002, S.147–163. Kessel, Martina: Gebannte Gefahr. Die Pest im 19. und 20. Jahrhundert. In: Pest. Die Geschichte eines Menschheitstraumas. Hg. von Mischa Meier. Stuttgart 2005, S. 266–282. Kessel, Martina: Sterben/Tod Neuzeit. In: Europäische Mentalitätsgeschichte. Hauptthemen in Einzeldarstellungen. Hg. von Peter Dinzelbacher. Stuttgart 1993, S. 260–274. Kienitz, Ernesto: Der Suezkanal. Seine Geschichte, wirtschaftliche Bedeutung und politische Problematik. Berlin 1957. Kießling, Friedrich: Der ,,Dialog der Taubstummen“ ist vorbei. Neue Ansätze in der Geschichte der internationalen Beziehungen des 19. und 20. Jahrhunderts. In: HZ 275 (2002), S. 651–680. Kinzelbach, Annemarie: Gesundbleiben, Krankwerden, Armsein in der frühneuzeitlichen Gesellschaft. Gesunde und Kranke in den Reichsstädten Überlingen und Ulm, 1500–1700. Stuttgart 1995. Kirk, Thomas: Genoa and Livorno: Sixteenth and Seventeenth-century Commercial Rivalry as a Stimulus to Policy Development. In: History. The Journal of the Historical Association 86 (2001), S. 3–18.

554

Gedruckte Quellen und Literatur

Kitromilides, Paschalis M. u. a.: Cyprus. Santa Barbara, Calif. 1995. Kitromilides, Paschalis M.: Enlightenment, Nationalism, Orthodoxy. Studies in the Culture and Political Thought of South-Eastern Europe. Aldershot 1994. Kitromilides, Paschalis M.: From Republican Polity to National Community. Reconsiderations of Enlightenment Political Thought. Oxford 2003. Klaić, Bratoljub: Rječnik stranih riječi. Zagreb 2001. Klausmann, Ulrike u. a.: Piratinnen. München 1992. Klausmann, Ulrike u. a.: Women Pirates and the Politics of the Jolly Roger. Montreal, New York 1997. Klausner, William J.: Going Native? In: Talking About People. Readings in Contemporary Cultural Anthropology. Hg. von William A. Haviland u. a. 3. Aufl. Boston, Mass., London 2002, S. 19–21. Kleinpaul, Johannes: Das Nachrichtenwesen der deutschen Fürsten im 16. und 17. Jahrhundert. Leipzig 1930. Klimek, Stanislaus J.: Im Zeichen des Kreuzes. Die anerkannten geistlichen Ritterorden. Stuttgart 1986. Knox, Bruce: British Policy and the Ionian Islands, 1847–1864: Nationalism and Imperial Administration. In: The English Historical Review 99/392 (1084), S. 503–529. Kocka, Jürgen: Das östliche Mitteleuropa als Herausforderung für eine vergleichende Geschichte Europas. In: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 49 (2000), S. 159–174. Koestler, Arthur: Der dreizehnte Stamm. Das Reich der Chasaren und sein Erbe. BergischGladbach 1989. Kohl, Karl-Heinz: Im Gewande des Orients. Sir Richard Burton (1821–1890) – Eine biographische Skizze. In: Exotische Welten – Europäische Phantasien. Entdeckungs- und Forschungsreisen im Spiegel alter Bücher. Katalog der Ausstellung der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart vom 2. September – 28. November 1987. Hg. von Ursula Degenhard. Stuttgart 1987, S. 72–77. Konau, Elisabeth: Raum und soziales Handeln. Studien zu einer vernachlässigten Dimension soziologischer Theoriebildung. Stuttgart 1977. Konersmann, Ralf: Erstarrte Unruhe. Walter Benjamins Begriff der Geschichte. Frankfurt a.M. 1991. Konforti, Josef: Travnički jevreji. Sarajevo 1976. Konstam, Angus: Piraten, Seeräuber, Freibeuter. Atlas der Beutezüge zur See. Augsburg 1999. Konstantinović, Zoran: Deutsche Reisebeschreibungen über Serbien und Montenegro. München 1960 (= Südosteuropäische Arbeiten. Band 56). Korkut, Besim: Arapski Dokumenti u Državnom Arhivu u Dubrovniku: Dokumenti o Odnosima Dubrovnika i Maroka. Sarajevo 1960. Koschorke, Albrecht: Die Geschichte des Horizonts. Grenze und Grenzüberschreitung in literarischen Landschaftsbildern. Frankfurt a.M. 1990. Kostić, Milivoje M.: Uspon Beograda. Poslovi i dani trgovaca, privrednika i bankara u Beogradu XIX i XX veka. Beograd 1994. Kostić, Alexandar u. a.: Medicinski Leksikon za lekare i studente. Beograd usw. 1957. Kracauer, Siegfried: Über Arbeitsnachweise. Konstruktionen eines Raumes 1929. In: Siegfried Kracauer: Schriften. Bd. 5: Aufsätze 1927–1931. Hg. von Inka Mülder-Bach. Frankfurt a.M. 1990, S. 185–191.

Gedruckte Quellen und Literatur

555

Krais, Beate, Gunter Gebauer: Habitus. Bielefeld 2002. Kraut, Alan M.: Silent Travelers: Germs, Genes, and the ,,Immigrant Menace“. New York 1994. Kreiser, Klaus: Der osmanische Staat 1300–1922. München 2001 (= Oldenbourg Grundriss der Geschichte. Band 30). Krethlow, Carl Alexander: Der Malteserorden. Wandel, Internationalität und soziale Vernetzung im 19. Jahrhundert. Diss. Universität Bern 1997. Kretzenbacher, Leopold: Die Volksdichtung im deutsch-slawischen Grenzraum Südosteuropas. München, 1962. Kriss, Rudolf, Hubert Kriss-Heinrich: Volksglaube im Bereich des Islam. 2 Bde. Bd. 1: Wallfahrtswesen und Heiligenverehrung. Wiesbaden 1960. Kristeva, Julia: Pouvoirs de l’honneur. Paris 1980. Krivošić, Stjepan: Stanovništvo Dubrovnika i demografske promjene u prošlosti. Dubrovnik 1990. Krkljuš, Ljubomirka: Pravna istorija srpskog naroda. Novi Sad 2002. Kronauer, Martin: Von der Ausgrenzung aus der Stadt zur Ausgrenzung in der urbanisierten Gesellschaft. Zur neuen Qualität von Exklusion heute. In: Unterschicht. Kulturwissenschaftliche Erkundungen der ,,Armen“ in Geschichte und Gegenwart. Hg. von Rolf Lindner, Lutz Musner. Freiburg i.B. u. a. 2008, S. 41–58. Kurz, Marlene u. a.: Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie. Akten des internationalen Kongresses zum 150-jährigen Bestehen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung. Wien, 22.–25. September 2004. Wien 2005. Kutter, Uli: Apodemiken und Reisehandbücher. Bemerkungen und ein bibliographischer Versuch zu einer vernachlässigten Literaturgattung. In: Das Achtzehnte Jahrhundert 4 (1980), S. 116–131. La fonction consulaire à l’époque moderne: L’affirmation d’une institution économique et politique (1500–1800). Hg. von Jörg Ulbert u. a. Rennes 2006. La fonction consulaire à l’époque moderne: L’affirmation d’une institution économique et politique (1500–1800). Hg. von Jörg Ulbert u. a. Rennes 2006. La Méditerranée au XVIIIe siècle. Actes du Colloque International tenu à Aix-en-Provence les 4, 5, 6 septembre 1985. Aix-en-Provence 1987. Labat Saint Vincent, Xavier: Les Français à Malte au XVIIIe siècle: Étude de l’utilisation du lazaret, de la pratique de la quarantine et des relations commerciales avec les Régences de Tunis et de Tripoli. In: Journal of Mediterranean Studies 13 (2003), S. 75–88. Labourdette, Jean-François: La nation française à Lisbonne de 1699 à 1790. Entre Colbertisme et Libéralisme. Paris 1988. Lafi, Nora: La langue des marchands de Tripoli au XIXe siècle. Langue franque et langue arabe dans un port méditerranéen. In: Trames de langues. Usages et métissages linguistiques dans l’histoire du Maghreb. Hg. von Jocelyne Dakhlia. Paris 2004, S. 215–222. Lane, Kris E.: Pillaging the Empire. Piracy in the Americas, 1500–1750. Armonk, N.Y. 1998. Lange, Carl Georg: Über Gemüthsbewegungen. Eine psycho-physiologische Studie. Leipzig 1887. Langewiesche, Dieter: Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa. München 2000. Lapouge, Gilles: Piraten. Seeräuber, Freibeuter, Bukanier und andere Jäger der Meere. Hamburg 2002.

556

Gedruckte Quellen und Literatur

Läpple, Dieter: Gesellschaftszentriertes Raumkonzept. In: Stadt-Räume. Hg. von Martin Wentz. Frankfurt a.M., New York 1991, S. 35–46. Lario de Oñate, María Carmen: La colonia mercantil británica e irlandesa en Cádiz a finales del siglo XVIII. Cádiz 2000. Law, Robin u. a.: From Slave Trade to ’legitimate’ Commerce. The Commercial Transition in Nineteenth-Century West Africa Papers from a Conference of the Centre of Commonwealth Studies, University of Stirling. Cambridge 1995. Law, Robin u. a.: The Biography of Mahommah Gardo Baquaqua, his Passage from Slavery to Freedom in Africa and America. Princeton 2001. Law, Robin: Between the Sea and the Lagoons the Interaction of Maritime and Inland Navigation on the Precolonial Slave Coast. Oxford 1989. Law, Robin: Ouidah the social history of a West African Slaving ,,Port“ 1727–1892. Athens 2004. Law, Robin: Source Material for Studying the Slave Trade and the African Diaspora. Stirling, Scotland 1997. Law, Robin: The Impact of the Atlantic Slave Trade upon Africa. Vortrag am 20. Juni 2007. Law, Robin: The Slave Coast of West Africa 1550–1750 the Impact of the Atlantic Slave Trade on an African Society. Oxford 1991. Lawton, Henry: The Psychohistorian’s Handbook. New York 1988. Le Goff, Jacques: Eine mehrdeutige Geschichte. In: Mentalitätengeschichte. Hg. von Ulrich Raulff. Berlin 1989, S. 18–32. Le Goff, Jacques: Geschichte und Gedächtnis. Frankfurt a.M. usw. 1992. Le Guérer, Annick: L’odeur de la peste. In: Traverse 32 (1984), S. 58–69. Lebenslauf und Gesellschaft. Zum Einsatz von kollektiven Biographien in der historischen Sozialforschung. Hg. von Wilhelm Heinz Schröder. Stuttgart 1985 (= Historisch-sozialwissenschaftliche Forschungen. Band 18). Lebl, Ženi: Do ,,konačnog rešenja“. 2 Bde. Band 1: Jevreji u Beogradu 1521–1942. Band 2: Jevreji u Srbiji. Beograd 2001 und 2002. Lebl, Ženi: Plima i slom. Iz istorije jevreja vardarske Makedonije. Gornji Milanovac 1990. Leed, Eric J.: Die Erfahrung der Ferne. Reisen von Gilgamesch bis zum Tourismus unserer Tage. Frankfurt a.M. 1993. Lefebvre, Claire: Issues in the Study of Pidgin and Creole Languages. Amsterdam, Philadelphia 2004. Leiner, Frederick C.: The End of Barbary Terror. America’s 1815 War against the Pirates of North Africa. Oxford, New York 2007. Leitner, Hartmann: Lebenslauf und Identität. Die kulturelle Konstruktion von Zeit in der Biographie. Frankfurt a.M. usw. 1982. Lemberg, Hans: Zur Entstehung des Osteuropabegriffs im 19. Jahrhundert. Vom ,,Norden“ zum ,,Osten“ Europas. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 33 (1985), S. 48–91. Lemos, Andreas G.: The Greeks and the Sea. A People’s Seafaring Achievements from Ancient Times to the Present Day. London 1976. Lemos, Maximiano: História da medicina em Portugal. Doutrinas e instituições. Band 2. Lissabon 1991 (1899). Leonhard, Joachim-Felix: Die Seestadt Ancona im Spätmittelalter: Politik und Handel. Tübingen 1983.

Gedruckte Quellen und Literatur

557

Lerner, Daniel: Communication Systems and Social Systems: A Statistical Exploration in History and Policy. In: Behavioral Science 2 (1957), S. 266–275. Lesseps, Ferdinand von: Entstehung des Suezkanals. Einführung zur Faksimile-Ausgabe von Wilhelm Treue. Berlin 1888, Nachdruck Düsseldorf 1984. Levanon, Yosef: The Jewish Travellers in the Twelfth Century. Lanham, MD 1980. Leven, Karl-Heinz: Die Geschichte der Infektionskrankheiten. Von der Antike bis ins 20. Jahrhundert. Landsberg (Lech) 1997. Leven, Karl-Heinz: Mensch – Umwelt – Seuchen: Wechselwirkungen zwischen Krankheit und Lebensumwelt seit der Antike. In: Ökohistorische Reflexionen. Mensch und Umwelt zwischen Steinzeit und Silicon Valley. Hg. von Kurt W. Alt, Natascha Rauschenberger. Freiburg i.B. 2001, S. 75–98. Leven, Karl-Heinz: Von Menschen und Ratten – Pest, Geschichte und das Problem der retrospektiven Diagnose. In: Pest. Geschichte eines Menschheitstraumas. Hg. von Mischa Meier. Stuttgart 2005, S. 11–34. Levental, Zdenko: Britanski putnici u našim krajevima od sredine XV do početka XIX veka. Gornji Milanovac 1989. Levi, Giovanni: Das immaterielle Erbe. Berlin 1986. Levi, Giovanni: Les usages de la biographie. In: Annales ESC (1989), S. 1325–1336. Lévinas, Emmanuel: Zwischen uns. Versuche über das Denken an den Anderen. München 1995. Lévi-Strauss, Claude: Mythos und Bedeutung. Tübingen 1979. Lévi-Strauss, Claude: Strukturale Anthropologie. Frankfurt a.M. 1978. Levy, Avigdor: The Sephardim in the Ottoman Empire. Princeton 1992. Levy, Moritz: Die Sephardim in Bosnien. Ein Beirag zur Geschichte der Juden auf der Balkanhalbinsel. Nachdruck der Ausgabe von 1911. Klagenfurt 1996. Lévy-Valensi, Amado u. a.: Trois visions du temps. Paris 1993. Lewis, Bernard: Cultures in Conflict. Christians, Muslims, and Jews in the Age of Discovery. New York 1995. Lewis, Bernard: Die Juden in der islamischen Welt. Vom frühen Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. München 2004. Lewis, Bernard: Race et couleur en pays d’Islam. Paris 1982. Lewis, Bernhard: Stern, Kreuz und Halbmond. 2000 Jahre Geschichte des Nahen Ostens. München 1997. Lewis, G.J.: Human Migration. A Geographical Perspective. London, Canberra 1982. Lewis, Geoffrey L.: Turkey. New York 1965. Lewis, W.C.: The Role of Age in the Decision to Migrate. In: Annals of Regional Science 11 (1977), S. 51–60. Lill, Rudolf: Geschichte Italiens vom 16. Jahrhundert bis zu den Anfängen des Faschismus. Darmstadt 1980. Lindgren, Uta: Portulane aus wissenschaftlicher Sicht. Ein Überblick über Forschungsrichtungen. In: Kartographie und Staat. Interdisziplinäre Beiträge zur Kartographiegeschichte. Hg. von Uta Lindgren. München 1990, S. 13–32. Lindner, Rolf: ,,Unterschicht“. Eine Gespensterdebatte. In: Unterschicht. Kulturwissenschaftliche Erkundungen der ,,Armen“ in Geschichte und Gegenwart. Hg. von Rolf Lindner u. a. Freiburg i.B. 2008, S. 9–18.

558

Gedruckte Quellen und Literatur

Linebaugh, Peter, Marcus Rediker: Die vielköpfige Hydra. Die verborgene Geschichte des revolutionären Atlantiks. Berlin 2008. Link, Jürgen, Wulf Wülfing: Nationale Mythen und Symbole in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Strukturen und Funktionen von Konzepten nationaler Identität. Stuttgart 1991. Lipphardt, Anna: Sammelrezension Diaspora. In: H-Soz-u-Kult, 09.07.2005 (http:// hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=4888). Literatur der Grenze. Theorie der Grenze. Hg. von Barbara Naumann, Richard Faber. Würzburg 1995. Littlejohn, Stephen W.: Theories of Human Communication. 3. Aufl. Belmont 1989. Livorno crocevia di culture ed etnie diverse: Razzismi ed incontri possibili. Hg. von Circolo Culturale ,,Gramsci“ u. a. Livorno 1992. Llanque, Marcus: Politische Ideengeschichte – Ein Gewebe politischer Diskurse. München 2008. Lloyd, Martin: The Passport. The History of Man’s Most Travelled Document. Strout 2003. Loewenstein, Bedrich: Wir und die anderen. In: Mit Fremden leben. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart. Hg. von Alexander Demandt. München 1995, S. 9–23. Loker, Zvi: Zemun. In: Encyclopaedia Judaica. Hg. von Michael Berenbaum, Fred Skolnik. Detroit 2007, S. 507–508. Lopes, Maria Antónia: Os pobres e a assistência pública. In: História de Portugal. Hg. von José Mattoso. Band 5. Lissabon 1983, S. 501–515. LoRomer, David G.: Merchants and Reform in Livorno, 1814–1868. Berkeley 1987. Lory, Bernard: Parler le turc dans les Balkans ottomans au XIXe siècle. In: Vivre dans l’Empire ottoman. Sociabilités et relations intercommunautaires (XVIIIe–XXe siècles). Hg. von François Georgeon, Paul Dumont. Paris 1997, S. 237–249. Lovejoy, Paul E.: Slavery on the Frontiers of Islam. Princeton 2004. Löw, Martina: Raumsoziologie. Frankfurt a.M. 2001. Löw, Martina: Soziologie der Städte. Frankfurt a.M. 2008. Lowe, Kate: Understanding Cultural Exchange Between Portugal and Italy in the Renaissance. In: Cultural Links between Portugal and Italy in the Renaissance. Hg. von Kate Lowe. New York 2000, S. 1–16. Lubenau, Reinhold: Beschreibung der Reisen des Reinhold Lubenau. Königsberg i.Pr. 1912. Lucie-Smith, Edward: Outcasts of the Sea. Pirates and Piracy. New York 1978. Luckmann, Thomas, Alfred Schütz: Strukturen der Lebenswelt. Frankfurt a.M. 1979. Lüdtke, Alf: Alltagsgeschichte, Mikro-Historie, historische Anthropologie. In: Geschichte. Ein Grundkurs. Hg. von Hans-Jürgen Goertz. Reinbek bei Hamburg 1998, S. 557–578. Lüdtke, Alf: Stofflichkeit, Macht-Lust und Reiz der Oberflächen. Zu den Perspektiven von Alltagsgeschichte. In: Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie. Eine Diskussion. Hg. von Winfried Schulze. Göttingen 1994, S. 65–80. Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt a.M. 1997. Luhmann, Niklas: Legitimation durch Verfahren. Frankfurt a.M. 1983. Luhmann, Niklas: Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie. Frankfurt a.M. 1984. Lume, Lucio: Presenze slave in Ancona secondo la documentazione notarile (1391–1499). In: Quaderni storici 13 (1970), S. 251–260.

Gedruckte Quellen und Literatur

559

Lüthi, Barbara: Invading Bodies: Medizin und Immigration in den USA 1880–1920. Frankfurt a.M. 2009. Lutter, Christina, Markus Reisenleitner: Cultural Studies. Eine Einführung. Wien 1998. Luttrell, Anthony: The making of Christian Malta from the Early Middle Ages to 1530. Aldershot 2002. Lyall, Archibald: The Balkan Road. London 1930. Lynch, Kevin: Das Bild der Stadt. Berlin 1965. Ma¸czak, Antoni: Travel in Early Modern Europe. Cambridge 1995. Maalouf, Amin: Die Reisen des Herrn Baldassare. Frankfurt a.M., Leipzig 2001. Macaulay, Rose: They went to Portugal too. Manchester 1990. Macho, Thomas: Die Wiederkehr der Toten in der Moderne. In: Six Feet Under. Autopsie unseres Umgangs mit Toten. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung. 2.11.2006 – 21.1.2007. Hg. vom Kunstmuseum Bern. Leipzig, Bielefeld 2006, S. 15–27. Macho, Thomas: Todesmetaphern: Zur Logik der Grenzerfahrung. Frankfurt a.M. 1987. Mafart, B., Perret, J.-L.: Histoire du concept de quarantine. In: Med. Trop. 58 (1998), S. 14– 20. Magalhães Godinho, Vitorino: Mito e mercadoria, utopia e prática de navegar. Séculos XIII– XVIII. Lisboa 1990. Magalhães, Joaquim Romero: Uma sociedade cristalizada. In: O Algarve da Antiquidade aos nossoes dias (Elementos para a sua história). Hg. von Maria da Graça Marques. Lissabon 1999, S. 273–282. Magris, Claudio: Die Welt en gros et en détail. München, Wien 1999. Maier, Hans-Georg: Die Staaten Südosteuropas und die Osmanen. München 1989. Malkowski, Henryk: Malta as a Focus of Anglo-Russian Relations during the Napoleonic Wars. In: Malta and Russia. Journey through the Centuries. Historical Discoveries in RussoMaltese Relations. Hg. von Elizaveta Zolina. Valletta 2002, S. 118–145. Malta and Russia. Journey through the Centuries. Historical Discoveries in Russo-Maltese Relations. Hg. von Elizaveta Zolina. Valletta 2002. Malz, Arié: Der heilige Blasius als Kommunikationsfigur zwischen Oberschicht und Unterschicht in der Republik Ragusa. In: Wege der Kommunikation in der Geschichte Osteuropas. Hg. von Nada Boškovska u. a. Köln usw. 2002. Mansel, Philip: Constantinople. City of the World’s Desire, 1453–1924. New York 1995. Manz, Volker: Fremde und Gemeinwohl. Integration und Ausgrenzung in Spanien im Übergang vom Ancien Régime zum frühen Nationalstaat. Stuttgart 2006. Marfleet, Philip: Refugees in a Global Era. Houndmills 2006. Marić, Franjo: Hrvati-katolici u Bosni i Hercegovini između 1463. i 1995. godine prema crkvenim dokumentima. Zagreb 1998. Marinković, Živko M. u. a.: Istorija opštehrišćanske i Srpske pravoslavne crkve, sa hronologijom. Banja Luka 2002. Marinucci, Claudia: Mercanti ragusani ed ebrei ad Ancona nei rogiti del notaio Alessandro Postumi, 1600–1619. In: Proposte e ricerche. Economia e società nella storia dell’Italia centrale 25 (1990), S. 194–214. Markel, Howard: Quarantine! East European Jewish Immigrants and the New York City Epidemics of 1892. Baltimore, London 1997.

560

Gedruckte Quellen und Literatur

Markov, Walter: Grundzüge der Balkandiplomatie. Ein Beitrag zur Geschichte der Abhängigkeitsverhältnisse. Leipzig 1999. Marković, Petar St.: Zemun – Od najstariji vremena pa do danas. Zemun 1896 [Reprint 2004]. Markt und Macht in der Geschichte. Hg. von Helga Breuninger, Rolf Peter Sieferle. Stuttgart 1995. Marques, João Pedro: The Sounds of Silence. Nineteenth-Century Portugal and the Abolition of the Slave Trade. New York, Oxford 2006. Marques. A. H. de Oliveira: Histoire du Portugal et de son empire colonial. 2. Aufl. Paris 1998. Marteilhe, Jean: Mémoires d’un galérien du Roi-Soleil. Paris 1982. Martín, Manuel Ravina: Un padron de los contribuyentes de Cádiz a mediados del siglo XVIII. In: Archivo hispalense 59/181 (1976), S. 133–152. Martínez Antonio, Francisco Javier: El proceso de sanitarización en los imperios español y marroquí durante las décadas centrales del siglo XIX. Sociología histórica de los límites sanitaristas militares (Dissertation). Barcelona 2006 (http://www.tesisenred.net/TDX-0213106181256/index_cs.html. 14.1.2009). Marushiakova, Elena, Vesselin Popov: Gypsies in the Ottoman Empire. A Contribution to the History of the Balkans. Paris 2000. Marx, Jenifer G.: Brüder der Küste. In: Piraten, Furcht und Schrecken auf den Weltmeeren. Hg. von David Cordingly. Köln 1997, S. 38–59. Marx, Jenifer G.: Das Goldene Zeitalter der Piraterie. In: Piraten, Furcht und Schrecken auf den Weltmeeren. Hg. von David Cordingly. Köln 1997, S. 102–125. Massey, Doreen B.: Power-geometries and the Politics of Space-Time. Heidelberg 1999. Masson, Paul: Histoire du commerce français dans le Levant au XVIIe siècle. Paris 1896. Masters, Bruce Alan: Christians and Jews in the Ottoman Arab World. The Roots of Sectarianism. Cambridge 2004. Mastrosanti, Marcello: I notai nella storia di Ancona. Ancona 2002. Mattingly, Garrett: Renaissance Diplomacy. London 1965. Matvejević, Predrag: Central Europe Seen from the East of Europe. In: In Search of Central Europe. Hg. von George Schöpflin, Nancy Wood. Cambridge, UK 1989, S. 183–190. Mauelshagen, Franz: Pestepidemien im Europa der Frühen Neuzeit (1500–1800). In: Pest. Die Geschichte eines Menschheitstraumas. Hg. von Mischa Meier. Stuttgart 2005. Maurer, Bernhard: Den Glauben schützen und den Schwachen helfen – Die Regel der Balley Brandenburg des Ritterlichen Ordens St. Johannis vom Spital zu Jerusalem. Hentrich, Berlin 2005. Maurer, Michael: Europäische Geschichte. In: Aufriss der historischen Wissenschaften. Band 2: Räume. Hg. von ders. Stuttgart 2001, S. 99–197. Mayer, Ruth: Diaspora. Eine kritische Begriffsbestimmung. Bielefeld 2005. Maziane, Leïla: Salé et ses corsaires (1666–1727). Un port de course marocain au XVIIe siècle. Caen 2007. Mazlish, Bruce: The Global and the Local. In: Current Sociology 53/1 (2005), S. 93–111. Mazower, Mark: Der Balkan. Berlin 2002. McCagg, William O.: A History of Habsburg Jews, 1670–1918. Indianapolis, Ind. 1989.

Gedruckte Quellen und Literatur

561

McGowan, Bruce: The Middle Danube cul-de-sac. In: The Ottoman Empire and the World Economy. Hg. von Huri İslamoğlu İnan. Cambridge, Paris 1987, S. 170–177. McGrew, Roderick E.: Paul I and the Knights of Malta. In: Paul I. A Reassessment of his Life and Reign. Hg. von Hugh Ragsdale. Pittsburgh 1979, S. 44–74. Medaković, Dejan: Der Aufstieg Belgrads zur Residenz- und Hauptstadt. In: Hauptstädte in Südosteuropa. Geschichte – Funktion – Nationale Symbolkraft. Hg. von Harald Heppner. Wien 1994, S. 185–194. Medicine at the Border. Disease, Globalization and Security, 1850 to the Present. Hg. von Alison Bashford. Basingstoke 2006. Medini, Milorad: Starine dubrovačke. Dubrovnik 1935. Mediterranean Urban Culture, 1400–1700. Hg. von Alexander Cowan. Exeter, UK 2000. Mehlan, Arno: Die Handelsstraßen des Balkans während der Türkenzeit. In: Südost-Forschungen 4 (1939), S. 243–296. Meier, Dirk: Seefahrer, Händler und Piraten im Mittelalter. Ostfildern 2004. Meier, Mischa: Vorwort. In: Pest. Die Geschichte eines Menschheitstraumas. Hg. von Mischa Meier. Stuttgart 2005, S. 7–10. Meillassoux, Claude: Anthropologie de l’esclavage. Le ventre de fer et d’argent. Paris 1986. Meillassoux, Claude: Anthropologie der Sklaverei. Frankfurt am Main 1989. Mellado, Bartolomé: Historia de la epidemia padecida en Cádiz el año de 1810, y providencias tomadas para su extinción por las Juntas de Sanidad suprema del Reyno y su superior de esta ciudad. Ideas generales de la fiebre amarilla que tienden á fixar su verdadero carácter á fin de establecer en todo el Reyno reglas generales y uniformes de precaución. Bosquejo de una Constitución General de Sanidad con los Reglamentos indispensables para el resguardo de mar, y práctica de diligencias en los puertos, y para la conservación de la salud de los pueblos. Cádiz 1811. Mémoire de l’état présent de Ligourne et de son commerce, année 1699. In: Fonti per la storia di Livorno. Fra Seicento e Settecento. Hg. von Lucia Frattarelli Fischer, Carlo Mangio. Livorno 2006, S. 15–26. Menache, Sophia: Communication in the Jewish Diaspora: A Survey. In: Communication in the Jewish Diaspora. The Pre-Modern World. Hg. von Sophia Menache. Leiden usw. 1996, S. 15–58. Menache, Sophia: Introduction: The ,Pre-History‘ of Communication. In: Communication in the Jewish Diaspora. The Pre-Modern World. Hg. von Sophia Menache. Leiden usw. 1996, S. 1–14. Mencej, Mirjam: Voda v predstavah starih slovanov o posmrtnem življenju in šegah ob smrti. Ljubljana 1997. Mentalitäten im Mittelalter. Methodische und inhaltliche Probleme. Hg. von František Graus. Sigmaringen 1987 (= Vorträge und Forschungen. Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte. Band 35). Methoden der Biographie- und Lebenslaufforschung. Hg. von Wolfgang Voges. Opladen 1987. Meyerowitz, Rahel: Transferring to America. Jewish Interpretations of American Dreams. Albany, N.Y. 1995. Middell, Matthias: Kulturtransfer und transnationale Geschichte. In: Dimensionen der Kultur- und Gesellschaftsgeschichte. Festschrift für Hannes Siegrist zum 60. Geburtstag. Hg. von Matthias Middell. Leipzig 2007, S. 49–69. Miège, Jean Louis: Le Maroc et l’Europe (1820–1894). Bd. 2. Paris 1961.

562

Gedruckte Quellen und Literatur

Migrants, Emigrants and Immigrants. A Social History of Migration. Hg. von Ian D. Whyte Colin, G. Pooley. London, New York 1991. Migration and International Labor Market, 1850–1939. Hg. von Timothy J. Hatton, Jeffrey G. Williamson. London usw. 1994. Migration in der Feudalgesellschaft. Hg. von Gerhard Jaritz, Albert Müller. Frankfurt a.M. 1988. Migration nach Ost- und Südosteuropa vom 18. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Ursachen – Formen – Verlauf – Ergebnis. Hg. von Mathias Beer, Dittmar Dahlmann. Stuttgart 1999. Migration, Migration History, History. Old Paradigms and New Perspectives. Hg. von L. Lucassen, J. Lucassen. Bern 1999. Migration. Hg. von John Archer Jackson. Cambridge 1969. Milano, Attilio, Samuel Rocca: Ancona (Marche). In: Encyclopaedia Judaica (Second Edition, Volume 2). Hg. von Fred Skolnik. Detroit 2007, S. 140–141. Miljković-Bojanić, Ema: Smederevski sandžak 1476–1560 – zemla, naselja, stanovništvo. Beograd 2004. Miović, Vesna: Dubrovačka diplomacija u Istambulu. Zagreb 2003. Miović, Vesna: Na razmeđu osmansko-dubrovačke granice (1667–1806). Dubrovnik 1997. Mirelman, Victor A.: Jewish Buenos Aires, 1890–1930. In Search of an Identity. Detroit 1990. Mišković, Nataša: Basare und Boulevards. Belgrader Lebenswelten im 19. Jahrhundert. Wien 2008. Mit Fremden leben. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart. Hg. von Alexander Demandt. München 1995. Mitchell, James Clyde: Social Networks. In: Annual Review of Anthropology 3 (1974), S. 279–299. Mitić, Ilija: Dubrovačka država u međunarodnoj zajednici (od 1358 do 1815). Zagreb 2004. Mitterauer, Michael: Dimensionen des Heiligen. Annäherungen eines Historikers. Wien 2000. Mitterauer, Michael: Religionen. In: Historische Anthropologie im südöstlichen Europa. Eine Einführung. Hg. von Karl Kaser u. a. Wien 2003, S. 345–375. Moita, Irisalva: A imagem e a vida da cidade. In: Lisboa Quinhentista. A imagem e a vida da cidade. Hg. von Lisboa Câmara Municipal. Pelouro da Cultura. Lissabon 1983, S. 9–22. Molina Martínez, José María: De proprios y extraños: La población de Cádiz en el siglo XVIII. Cádiz 2004. Montaigne, Michel Eyquem de: Tagebuch der Reise nach Italien über die Schweiz und Deutschland von 1580 bis 1581. Frankfurt a.M. 2002. Moore, Barrington: Ethnic and Religious Hostilities in Early Modern Port Cities. In: International Journal of Politics, Culture and Society 14/4 (2001), S. 687–727. Mordenti, Alessandro: Vita quotidiana e modelli di cultura in una periferia dello Stato pontificio nei secoli XVI–XVII. In: La famiglia e la vita quotidiana in Europa dal ’400 al ’600. Hg. von Renato Grispo u. a. Rom 1986, S. 375–406. Moreno, Jacob L.: Who Shall Survive? Foundations of Sociometry, Group Psychotherapy and Sociodrama. Washington 1934. Moroni, Marco: Ancona città mercantile. In: La Loggia dei Mercanti in Ancona e l’opera di Giorgio di Matteo da Sebenico. Hg. von Fabio Mariano. Ancona 2003, S. 89–110.

Gedruckte Quellen und Literatur

563

Moroni, Marco: I collegi illirici delle Marche e la penisola balcanica in età moderna. In: Adriatico. Un mare di storia, arte, cultura. Hg. von Bonita Cleri. Ripatransone 2000, S. 183– 202. Moroni, Marco: La Marca pontificia e i turchi. Tre storie dopo Otranto. In: Proposte e ricerche. Economia e società nella storia dell’Italia centrale 43 (1999), S. 83–92. Moroni, Marco: Le Marche e la penisola balcanica tra economia e cultura. In: Munus Amicitiae. Scitti per il 70° Genetliaco di Floriano Grimaldi. Hg. von Gianfranco Paci u. a. Loreto 2001, S. 199–220. Moroni, Marco: Mercanti e fiere tra le due sponde dell’Adriatico nel Basso Medioevo e in età moderna. In: La pratica dello scambio. Sistemi di fiere, mercanti e città in Europa (1400– 1700). Hg. von Paola Lanaro. Venedig 2003, S. 53–79. Moroni, Marco: Rapporti culturali e forme devozionali tra le due sponde dell’Adriatico in età moderna. In: Pellegrini verso Loreto. Hg. von Floriano Grimaldi, Katy Sordi. Ancona 2003, S. 181–216. Morpurgo, Viktor: Daniel Rodriguez i osnivanje splitske skele u XVI stoljeću. In: Starine 52 und 53 (1962), S. 185–248, 363–415. Morrison, Toni: Playing in the Dark: Whiteness and the Literary Imagination. Cambridge, Mass. 1992. Mosse, George L.: Nationalismus und Sexualität. Bürgerliche Moral und sexuelle Normen. München usw. 1985. Mühleisen, Susanne: “I’ve Crossed an Ocean/I’ve Lost My Tongue”. Von Sprachbanden und Sprachbrüchen auf hoher See. In: Das Meer als kulturelle Kontaktzone. Räume, Reisende, Repräsentationen. Hg. von Bernhard Klein, Gesa Mackenthun. Konstanz 2003, S. 301–318. Müller, Reinhold C.: The Jewish Moneylenders of Late Trecento Venice: A Revisitation. In: Intercultural Contacts in the Medieval Mediterranean. Hg. von Benjamin Arbel. London, Portland/Oregon 1996, S. 202–217. Muñoz Machado, Santiago: La sanidad publica en España (Evolución histórica y situación actual). Madrid 1975. Murken, Axel: Vom Armenspital zum Großklinikum. Die Geschichte des Krankenhauses vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Köln 1988. Musteen, Jason R.: Becoming Nelson’s Refuge and Wellington’s Rock. The Ascendancy of Gibraltar During the Age of Napoleon (1793–1815). Dissertation Florida State University 2005. (http://gradworks.umi.com/31/83/3183096.html. 20.11.2009). Musteen, Jason R.: Becoming Nelson’s Refuge and Wellington’s Rock. The Ascendancy of Gibraltar during the Age of Napoleon, 1793–1815 (Dissertation). Florida State University 2005. (http://etd.lib.fsu.edu/theses/available/etd-04062005-171034/14.1.2009). Musto, David F.: Quarantine and the Problem of AIDS. In: Milbank Quarterly 64/Suppl 1 (1986) S. 97–117. Myers, Fred: Emotion and the Self. A Theory of Personhood and Political Order among Pintupi Aborigines. In: Ethos 7 (1979), S. 343–370. Myers, Fred: Pintupi Country, Pintupi Self. Sentiment, Place, and Politics among Western Desert Aborigines. Berkeley usw. 1986. Mytum, Harold: Public Health and Private Sentiment: The Development of Cemetery Architecture and Funerary Monuments from the Eighteenth Century onwards. In: World Archaeology 21/1 (1989), S. 283–297. Nadal, Gonçal López: Corsairing as a Commercial System. The Edges of Legitimate Trade. In: Bandits at Sea. A Pirates Reader. Hg. von C.R. Pennell. New York 2001, S. 125–136.

564

Gedruckte Quellen und Literatur

Nadal, Gonçal López: Estructuras e instituciones sanitarias en los puertos de Levante iberico entre los siglos XVI y XVIII (una visión de conjunto). In: I porti come impresa economica. Atti della "Diciannovesima Settima di Studi" 2–6 maggio 1987. Hg. von Simonetta Cavaciocchi. Florenz 1988, S. 65–88. Nadal, Gonçal López: La sanidad maritima menorquina anterior al funcionamiento del lazareto de Mahón. Introducción a su estudio histórico. In: Menorca en la historia de la sanidad. El Doctor Orfila. El lazareto. Hg. von Ministerio de Sanidad y Consumo. Madrid 1987, S. 83– 108. Nähe in der Ferne. Personale Verflechtung in den Außenbeziehungen der frühen Neuzeit. Hg von Hillard von Thiessen, Christian Windler. Berlin 2005. Naphy, William, Andrew Spicer: Der schwarze Tod. Die Pest in Europa. Essen 2003. Natalucci, Mario: Insediamenti di colonie e di gruppi dalmati, slavi e albanesi nel territorio di Ancona (secoli XV–XVI). In: Le Marche e l’Adriatico orientale: Economia, società, cultura dal XIII secolo al primo ottocento. Hg. von Deputazione di storia patria per le Marche. Ancona 1978, S. 93–111. Natalucci, Mario: La vita millenaria di Ancona. Ancona 2000. Nation, Ethnie, Minderheit. Beiträge zur Aktualität ethnischer Konflikte. Georg Weber zum 65. Geburtstag. Hg. von Armin Nassehi. Köln usw. 1997. Nationale Mythen und Symbole in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Strukturen und Funktionen von Konzepten nationaler Identität. Hg. von Jürgen Link, Wulf Wülfing. Stuttgart 1991. Nationalismen in Europa. West- und Osteuropa im Vergleich. Hg. von Ulrike von Hirschhausen, Jörn Leonhard. Göttingen 2001. Navè, Pnina: Konflikt und Toleranz. Rabbi Leon Modena aus Venedig. In: Saeculum 26 (1975), S. 293–328. Nazionalismi di Frontiera. Identità contrapposte sull’Adriatico nord-orientale 1850–1950. Hg. von Marina Cattaruzza. Trieste 2003. Néu, João B. M.: Em volta da torre de Belém. Evolução da zona occidental de Lisboa. Lissabon 1994. Neuber, Wolfgang: Der Zauber des Fremden. Zur frühneuzeitlichen Reiseliteraturforschung. In: IASL 23/2 (1998), S. 142–155. Neuber, Wolfgang: Fremde Welt im europäischen Horizont. Zur Topik der deutschen Amerika-Reiseberichte der Frühen Neuzeit. Berlin usw. 1991 (= Philologische Studien und Quellen. Band 121). Neue Impulse der Reiseforschung. Hg. von Michael Maurer. Berlin 1999. Neumeyer, Michael: Heimat. Zu Geschichte und Begriff eines Phänomens. Kiel 1992 (= Kieler Geographische Schriften. Band 84). New Approaches to the Study of Migration. Hg. von David Guillet u. a. Houston, Tex. 1976. Nghi Ha, Kien: Ethnizität und Migration Reloaded. Kulturelle Identität, Differenz und Hybridität im postkolonialen Diskurs. Berlin 2004. Nghi Ha, Kien: Hype um Hybridität. Kultureller Differenzkonsum und postmoderne Verwertungstechniken im Spätkapitalismus. Bielefeld 2005. Niccoli, Maria Paola: L’emigrazione aristocratica: I ragusei ad Ancona nei secoli XVI–XVII. In: Proposte e ricerche. Economia e società nella storia dell’Italia centrale 52 (2004), S. 49– 64. Nicholson, Helen: The Knights Hospitaller. Woodbridge 2001.

Gedruckte Quellen und Literatur

565

Nicklas, Thomas: Macht – Politik – Diskurs. Möglichkeiten und Grenzen einer Politischen Kulturgeschichte. In: Archiv für Kulturgeschichte 86 (2004), S. 1–25. Nicolini, Fausto: Peste e untori. Nei “promessi sposi” e nelle realtá storica. Bari 1937. Niethammer, Lutz: Kollektive Identität. Heimliche Quellen einer unheimlichen Konjunktur. Reinbek bei Hamburg 2000. Nipperdey, Thomas: Religion im Umbruch. Deutschland 1870–1918. München 1988. Noelle-Neumann, Elisabeth: Pressegeschichte. In: Das Fischer Lexikon Publizistik. Hg. von Elisabeth Noelle-Neumann, Winfried Schulze. Frankfurt a.M. 1971, S. 245–258. Nolte, Paul: Georg Simmels Historische Anthropologie der Moderne. In: GG 24 (1998), S. 225–247. Nora, Pierre: Zwischen Geschichte und Gedächtnis. Berlin 1990. Norbert Elias und die Menschenwissenschaften. Hg. von Karl S. Rehberg. Frankfurt a.M. 1996. Norris, Alfred H.: The British Hospital in Lisbon. Lissabon 1973. Norris, Christopher: Deconstruction and the ,,Unfinished Project of Modernity“. New York 2000. Norton, William: Cultural Geography. Themes, Concepts, Analyses. Oxford 2000. Notes from a Private Journal of a Visit to Egypt and Palestine, by Way of Italy and the Mediterranean. Second Edition. (Not Published). London 1885. Noth, Albrecht: Früher Islam. In: Geschichte der arabischen Welt. Hg. von Ulrich Haarmann u. a. 4. überarb. Aufl. München 2001, S. 11–100. Nova Istorija srpskog naroda. Hg. von Dušan T. Bataković. Beograd, Lausanne 2000. Novak, Grga: Židovi u Splitu. Split 1920. Nüse, Ralf: Über die Erfindung/en des radikalen Konstruktivismus. Kritische Gegenargumente aus psychologischer Sicht. 2. überarbeitete und erweiterte Aufl. Weinheim 1995. Nuti, Giancarlo: Livorno, il porto e la città nell’epoca medicea. In: Atti del convegno ,,Livorno e il Mediterraneo nell’età Medicea”. Livorno 1978, S. 325–346. Objectivity, Method, and Point of View. Essays in the Philosophy of History. Hg. von W.J. van der Dussen, Lionel Rubinoff. Leiden usw. 1991. Ocaña, Esteban Rodríguez: El resguardo de la salud. Organización sanitaria española en el siglo XVIII. In: Salud Pública en España. Ciencia, profesión y política, siglos XVIII–XX. Hg. von ders. Granada 2005, S. 17–48. Oexmelin, Alexandre Olivier: The Buccaneers of America. A True Account of the Most Remarkable Assaults Committed of Late Years upon the Coasts of the West Indies by the Buccaneers of Jamaica and Tortuga. London 1911. Ogilvie, Sheilagh C.: The Use and Abuse of Trust. Social Capital and Its Deployment by Early Modern Guilds. In: CESIFO Working Paper N. 1302. Oktober 2004. S. 1–45. http:// www.econ.cam.ac.uk/faculty/ogilvie/cesifo1302-trust.pdf (09.07.07). Ohler, Norbert: Reisen im Mittelalter. München 1986. Oliveira Marques, A.H. de: Histoire du Portugal et de son empire colonial. 2. Aufl. Paris 1998. Oliveira Marques, A.H. de: History of Portugal. 2 Bde. New York 1972. Omer, Haim u. a.: Feindbilder. Psychologie der Dämonisierung. Göttingen 2007. Ong, Walter J.: Orality and Literacy. The Technologizing of the Word. London usw. 1984.

566

Gedruckte Quellen und Literatur

Orlandi, Gianni: La gelosa materia. I provvisori alla sanità di Ancona (1430–1810). Ancona 1991. Orsoni-Avila, Françoise: Les esclaves de Lucena (1539–1700). Paris 1997. Orte des Alltags. Miniaturen aus der europäischen Kulturgeschichte. Hg. von Heinz-Gerhard Haupt. München. 1994. Österberg, Jan: Self and Others. A Study of Ethical Egoism. Dordrecht usw. 1988 (= Synthese Library. Band 196). Osterhammel, Jürgen, Niels P. Petersson: Geschichte der Globalisierung. Dimensionen. Prozesse. Epochen. München 2003. Osterhammel, Jürgen: Die Wiederkehr des Raumes. Geopolitik, Geohistorie und historische Geographie. In: Neue Politische Literatur 43 (1998), S. 374–397. Osterhammel, Jürgen: Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats. Studien zur Beziehungsgeschichte und Zivilisationsvergleich. Göttingen 2001. Osterhammel, Jürgen: Raumbeziehungen. Internationale Geschichte, Geopolitik und historische Geographie. In: Internationale Geschichte. Themen – Ereignisse – Aussichten. Hg. von Wilfried Loth, Jürgen Osterhammel. München 2000, S. 287–308. Osterhammel, Jürgen: Sklaverei und die Zivilisation des Westens. 2. Aufl. München 2009. Osterhammel, Jürgen: Transnationale Gesellschaftsgeschichte. Erweiterung oder Alternative? In: GG 3 (2001), S. 465–479. Österreichs Sozialstrukturen in historischer Sicht. Hg. von Erich Zöllner. Wien 1980. Otten, Sabine: Vorurteil. Prejudice. In: Handbuch der Sozialpsychologie und Kommunikationspsychologie. Hg. von Hans-Werner Bierhoff, Dieter Frey. Göttingen 2006, S. 437–444. Ottomeyer, Klaus: Gesellschaftstheorien in der Sozialisationsforschung. In: Handbuch der Sozialisationsforschung. Hg. von Klaus Hurrelmann, Dieter Ulrich. Weinheim, Basel 1980, S. 161–193. Ovakimjan, Ašot: Armenske kolonije u srpskim zemljama. In: Zbornik Matice srpske za istoriju 55 (1997), S. 49–74. Paci, Renzo: Il turco. In: Ancona e le Marche nel Cinquecento. Economia, società, istituzioni, cultura. Hg. von Sergio Anselmi u. a. Ancona 1982, S. 149–151. Paci, Renzo: La rivalta commerciale tra Ancona e Spalato (1590–1645). In: Le Marche e l’Adriatico orientale: Economia, società, cultura dal XIII secolo al primo Ottocento. Hg. von Deputazione di storia patria per le Marche. Ancona 1978, S. 277–286. Pagano De Divitiis, Gigliola: Mercanti inglesi nell’Italia del Seicento: Navi, traffici, egemonie. Venezia 1990. Panessa, Giangiacomo: Le comunità greche a Livorno: Vicende fra integrazione e chiusura nazionale. Livorno 1991. Panessa, Giangiacomo: Nazioni e Consolati in Livorno. 400 anni di storia. In occasione del IV centenario del Corpo Consolare. Livorno 1998. Panis, J. C.: Le chemin de fer de la Méditerranée au Niger. Bruxelles 1956. Panova, Snezka: Die Juden zwischen Toleranz und Völkerrecht im Osmanischen Reich. Die Wirtschaftstätigkeit der Juden im Osmanischen Reich vom 15. bis zum 18. Jahrhundert. Frankfurt a.M. 1997. Panzac, Daniel: Barbary Corsairs. The End of a Legend 1800–1820. Leiden 2005. Panzac, Daniel: Crime ou délit? La législation sanitaire en Provence au XVIIIe siècle. In: Revue historique CCLXXV/1 (1986) S. 39–71.

Gedruckte Quellen und Literatur

567

Panzac, Daniel: La caravane maritime. Marins européens et marchands ottomans en Méditerranée (1680–1830). Paris 2004. Panzac, Daniel: La lingua franca: Un outil de communication. In: Living in the Ottoman Ecumenical Community. Essays in Panzac, Daniel: La peste dans l’Empire ottoman, 1700– 1850. Leuven 1985. Panzac, Daniel: Pratiques anciennes et maladies nouvelles: La difficile adaptation de la politique sanitaire au XIXe siècle. In: Bulletins et mémoires de la Société d’anthropologie de Paris 10 (1998), S. 53–66. Panzac, Daniel: Quarantines et lazarets. L’Europe et la peste d’Orient (XVIIe–XXe siècles). Aix-en-Provence 1986. Paolini, Luca: La Comunità Armena. In: Livorno crocevia di culture ed etnie diverse: Razzismi ed incontri possibili. Hg. von Circolo Culturale ,,Gramsci“ u. a. Livorno 1992, S. 73– 88. Paolini, Luca: La Comunità Greco-Ortodossa. In: Livorno crocevia di culture ed etnie diverse: Razzismi ed incontri possibili. Hg. von Circolo Culturale ,,Gramsci“ u. a. Livorno 1992, S. 61–71. Paolini, Luca: La Comunità Siro-Maronita. In: Livorno crocevia di culture ed etnie diverse: Razzismi ed incontri possibili. Hg. von Circolo Culturale ,,Gramsci“ u. a. Livorno 1992, S. 121–127. Papadopoulos, Christos K.: Die Ionischen Inseln von der Venezianerherrschaft bis zum Wiener Kongress. Eine völkerrechtliche Analyse unter dem Aspekt der Staatensukzession.Juristische Schriftenreihe 209). Münster, London 2003. Papadrianos, Ioanni A. u. a.: Grci na srpskom tlu. Beograd 2004. Papilloud, Christian: Bourdieu lesen. Einführung in eine Soziologie des Unterschieds. Bielefeld 2003. Papoulia, Basilike D.: Ursprung und Wesen der ,,Knabenlese“ im Osmanischen Reich. München 1963. Park, Katharine, John Henderson: The First Hospital among Christians: The Ospedale di Santa Maria Nuova in Early Sixteenth-Century Florence. In: Medical History 35 (1991) S. 164–188. Passerini, Luisa: L’ Europa e l’amore. Milano 1999. Pastore, Alessandro: Tra Giustizia e politica. Il Governo della peste a Genova e Roma nel 1656/7. In: Rivista Storica Italiana (1988) S. 126–154. Patel, Kiran Klaus: Nach der Nationalfixiertheit. Perspektiven einer transnationalen Geschichte. Berlin 2004. Paton, Andrew Archibald: Servia – Youngest Member of the European Family: Or a Residence in Belgrade and Travels in the Highlands and Woodlands of the Interior during the Years 1843 and 1844. London 1845. Patterns of Migration 1850–1914. Proceedings of the International Academic Conference of the Jewish Historical Society of England and the Institute of Jewish Studies, UCL. Hg. von Stephen Massil, Aubrey Newman. London 1996. Paulmann, Johannes: Internationaler Vergleich und interkultureller Transfer. Zwei Forschungsansätze zur europäischen Geschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts. In: Historische Zeitschrift 267 (1998), S. 649–685. Pavia, Rosario, Ercole Sori: Le città nella storia d’Italia. Ancona. Roma, Bari 1990. Payne, Stanley G.: A History of Spain and Portugal. 2 Bde. Madison 1973.

568

Gedruckte Quellen und Literatur

Peabody, Sue: ,,There are no slaves in France“: The Political Culture of Race and Slavery in the Ancien Régime. New York 1996. Pemsel, Helmut: Weltgeschichte der Seefahrt. Wien 2000. Pennell, C.R.: Morocco. From Empire to Independence. Oxford 2003. Pepelasis Minoglou, Ioanna: Toward a Typology of Greek-diaspora Entrepreneurship. In: Diaspora Entrepreneurial Networks. Hg. von Ina Baghdiantz McCabe u. a. Oxford 2005, S. 173–189. Pérez-Mallaína, Pablo E.: Spain’s Men of the Sea. Daily Life on the Indies Fleets in the Sixteenth Century. Baltimore, London 1998. Peset, M., J.L. Peset: Muerte en España. (Politica y sociedad entre la peste y el colera). Madrid 1972. Petiet, Claude: Ces messieurs de la religion: l’Ordre de Malte au XVIIIe siècle ou le crépuscule d’une épopée. Paris 1992. Petiet, Claude: Le roi et le grand maître: l’Ordre de Malte et la France au XVIIe siècle. Paris 2002. Petiet, Claude: L’ordre de Malte face aux Turcs: politique et stratégie en Méditerranée au XVIe siècle. Paris 1997. Petrignani, Marcello: Bari. Roma, Bari 1983. Peyfuss, Max Demeter: Die aromunische Frage. Ihre Entwicklung von den Ursprüngen bis zum Frieden von Bukarest (1913) und die Haltung Österreich-Ungarns. Wien usw. 1974. Phillips, William D.: Slavery from Roman Times to the Early Transatlantic Trade. Manchester 1985. Piccinini, Gilberto: Un mercante anconitano del Seicento: Giovanni Palunci, raguseo. In: Le Marche e l’Adriatico orientale: Economia, società, cultura dal XIII secolo al primo Ottocento. Hg. von Deputazione di storia patria per le Marche. Ancona 1978, S. 287–305. Pickles, Tim: Malta 1565. Last Battle of the Crusades. London 1998 (= Osprey Military Campaign Series. Band 50). Pierotti, Daniela: Annotazioni sulle proprietà immobiliari inglesi dal 1600 al 1800. In: Atti del convegno ,,Gli Inglesi a Livorno e all’Isola d’Elba“. Livorno 1980, S. 66–69. Pinto, Avram: Jevreji Sarajeva i Bosne i Hercegovine. Sarajevo 1987. Piraten. Abenteuer oder Bedrohung? Hg. von Hartmut Roder. Bremen 2002. Plakotos, Georgios: Christian and Muslim Converts from the Balkans in Early Modern Venice – Patterns of Social and Cultural Mobility and Identity. In: Developing Cultural Identity in the Balkans. Hg. von Raymond Detrez, Pieter Plas. Brussels 2005, S. 125–145. Platt, Richard: Die Korsaren des Mittelmeers. In: Piraten. Furcht und Schrecken auf den Weltmeeren. Hg. von David Cordingly. Köln 1997, S. 78–101. Pletneva, Svetlana Aleksandrovna: Die Chasaren, mittelalterliches Reich an Don und Wolga. Wien 1979. Plumelle-Uribe, Rosa Amelia: Traite des Blancs, traite des Noirs. Aspects méconnus et conséquences actuelles. Paris 2008. Plumelle-Uribe, Rosa Amelia: Weisse Barbarei. Vom Kolonialrassismus zur Rassenpolitik der Nazis. Zürich 2004. Podolny, Joel M., Karen L. Page: Network Forms of Organization. In: Annual Review of Sociology 24 (1998), S. 57–76. Poitrineau, Abel: Les Espagnols de l’Auvergne et du Limousin du XVIIe au XIXe siècle. Malroux-Mazel 1985.

Gedruckte Quellen und Literatur

569

Poliakov, Léon: Geschichte des Antisemitismus: IV. Die Marranen im Schatten der Inquisition. Worms 1981. Pope, Dudley: Harry Morgan’s Way. The Biography of Sir Henry Morgan, 1635–1684. London 1977. Pope, Dudley: The Buccaneer King. The Biography of Sir Henry Morgan, 1635– 1688. New York 1978. Popova Dell’Agata, Doriana: Momenti e aspetti della presenza dei Greci ,,uniti“ a Livorno. In: Livorno crocevia di culture ed etnie diverse: Razzismi ed incontri possibili. Hg. von Circolo Culturale ,,Gramsci“ u. a. Livorno 1992, S. 51–59. Popović, Alexandre: Cultures musulmanes balkaniques. Istanbul 1994. Popović, Dušan J.: Beograd pre 200 godina. Beograd 1935. Popović, Dušan J.: Srbija i Beograd od Požarevačkog do Beogradskog mira (1718–1739). Beograd 1950. Popović, Mihailo: Von Budapest nach Istanbul. Die Via Traiana im Spiegel der Reiseliteratur des 14. bis 16. Jahrhunderts. Leipzig 2007. Popović, Toma: La ,,C−arši“ balkanique aux XVIe et XVIIe siècles. In: La culture urbaine des Balkans (XVe–XIXe siècles) – La ville dans les Balkans depuis la fin du Moyen Age jusqu’au début du XXe siècle. Hg. von Ivan Ninić. Belgrade, Paris 1991, S. 59–65. Popović, Dušan J.: O cincarima. Prolozi pitanju postanka našeg građanskog društva. 2. Aufl. Beograd 1998. Posselt, Alfred H.: Geschichte des chazarisch-jüdischen Staates. Wien 1982. Prantner, Robert: Malteserorden und Völkergemein-schaft. Berlin 1974. Preto, Paolo: Lo spionaggio sanitario. In: Rotte mediterranee e baluardi di sanità. Venezia e i lazzaretti mediterranei. Hg. von Nelli-Elena Vanzan Marchini. Mailand 2004, S. 69–73. Preto, Paolo: Venice and the Ottoman Empire. From War to Turcophilia. In: La Méditerranée au XVIIIe siècle. Actes du Colloque International tenu à Aix-en-Provence les 4, 5, 6 septembre 1985. Aix-en-Provence 1987, S. 135–161. Pries, Ludger: Die Transnationalisierung der sozialen Welt. Sozialräume jenseits von Nationalgesellschaften. Frankfurt a.M. 2008. Procacci, Giuliano: Geschichte Italiens und der Italiener. München 1983. Prokopp, Ludwig Ferdinand u. a.: Europäische Commerzreisen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Linz 1982. Pröve, Ralf, Holger Th. Gräf: Wege ins Ungewisse. Reisen in der Frühen Neuzeit, 1500–1800. Frankfurt a.M. 1997. Providencias Generales de Sanidad, extractadas del reglamento para el gobierno y dirección del Lazareto de Mahón, aprobado por S.M. en Real órden de 3 de junio de 1817. De las quarentenas en general, y el sistema que ha de regir sobre ellas. Madrid 1817. Przyrembel, Alexandra: Sehnsucht nach Gefühlen. Zur Konjunktur der Emotionen in der Geschichtswissenschaft. In: L’Homme16/2 (2005), S. 116–124. Pullan, Brian: Plague and perceptions of the Poor in Early Modern Italy. In: Epidemics and Ideas. Essays on the Historical Perception of Pestilence. Hg. von Terence Ranger and Paul Slack. Cambridge usw. 1995, S. 101–123. Pullan, Brian: The Jews of Europe and the Inquisition of Venice 1550–1670. London, New York 1997. Quataert, Donald: The Ottoman Empire, 1700–1922. Cambridge 2000. Queiroz, Francisco, Julie Rugg: The Development of Cemeteries in Portugal c. 1755–c. 1870. In: Mortality 8 (2003), S. 113–128.

570

Gedruckte Quellen und Literatur

Quesada, Miguel-Angel Ladero: Le nombre des Juifs dans la Castille du XVe siècle. In: Papers in Jewish Demography 2 (1975), S. 45–52. Rabinowitz, Louis: Jewish Merchant Adventurers. A Study of the Radanites. London 1948. Rabinowitz, Louis: The Routes of the Radanites. In: JQR 35 (1944/1945), S. 251–273. Rakić, Vesna: Jevrejske škole u Beogradu do 1941. godine. In: Zbornik 6 (1992), S. 326–358. Ram, Uri: Narration, Erziehung und die Erfindung des jüdischen Nationalismus. In: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 5 (1994), S. 151–177. Ramada Curto, Diogo, Anthony Molho: Introduction. In: Commercial Networks in the Early Modern World. EUI Working Paper HEC 2002/2. Hg. von Diogo Ramada Curto, Anthony Molho. San Domenico 2002, S. 3–17. Ramada Curto, Diogo, Anthony Molho: Les réseaux marchands à l’époque moderne. In: Annales HSS 58/3 (2003), S. 569–579. Ramos Santana, Alberto: Cádiz en el siglo XIX. De ciudad soberana a capital de provincia. Madrid 1992. Rapaport, David: Gefühl und Erinnerung. Frankfurt a.M. 1994. Raphael, Lutz: Nationalzentrierte Sozialgeschichte in programmatischer Absicht. Die Zeitschrift ,,Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft“ in den ersten 25 Jahren ihres Bestehens. In: GG 25 (1999), S. 5–37. Rašid-Beja: Istorija čudovatnih događaja u Beogradu u Srbiji. Trans. D.S. C−ohadžić. Beograd 1894. (= Srpska Kraljevska Akademija – Spomenik XXIII). Rath, John: The Habsburgs and the Great Depression in Lombardy-Venetia, 1814–18. In: The Journal of Modern History 13/3 (1941), S. 305–320. Rath, Jürgen: Schiffszwieback, Pökelfleisch und Koje. Seemannsleben an Bord. Hamburg 2004. Rathjens, Carl: Die alten Welthandelsstraßen und die Offenbarungsreligionen. In: Oriens 15 (1962), S. 115–129. Rau, Virgínia: A Family of Italian Merchants in Portugal in XVth Century. The Lomellini. In: Studi in onore di Armando Sapori. Milano 1957. Bd. 1, S. 717–726. Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Hg. von Jörg Döring. Bielefeld 2008. Ravenstein, E. G.: The Laws of Migration. In: Journal of the Royal Statistical Society 48 (1885), S. 167–235; ebd. 52 (1889), S. 241–305. Ravid, Benjamin: A Tale of Three Cities and Their Raison d’Etat: Ancona, Venice, Livorno, and the Competition for Jewish Merchants in the Sixteenth Century. In: Jews, Christians, and Muslims in the Mediterranean World after 1492. Hg. von Alisa Meyuhas Ginio. London 1992, S. 138–162. Ravid, Benjamin: The Legal Status of the Jewish Merchants of Venice, 1541–1638. In: JEH 35/1 (1975), S. 274–279. Ravid, Benjamin: The Venetian Government and the Jews. In: The Jews of Early Modern Venice. Hg. von Robert C. Davis, Benjamin Ravid. Baltimore 2001, S. 3–30. Rediker, Marcus: Between the Devil and the Deep Blue Sea. Merchant Seamen, Pirates, and the Anglo-American Maritime World, 1700–1750. New York 1993. Rediker, Marcus: Villains of all Nations. Atlantic Pirates in the Golden Age. Boston 2004. Rediker, Markus: ,,Under the Banner of King Death“: The Social World of Anglo-American Pirates, 1716 to 1726. In: The William and Mary Quarterly 38/2 (1981) S. 203–227.

Gedruckte Quellen und Literatur

571

Rediker, Markus: The Seaman as Pirate. Plunder and Social Banditry at Sea. In: Bandits at Sea. A Pirates Reader. Hg. von R. C. Pennel. New York, London 2001, S. 139–168. Regolamenti e commenti approvati dal Capitolo Generale Speciale 27–28 ottobre 1969. Rehberg, Karl-Siegbert: Machträume als Objektivationen sozialer Beziehungen – Institutionenanalytische Perspektiven. In: Machträume der frühneuzeitlichen Stadt. Hg. von Christian Hochmuth, Susanne Rau. Konstanz 2006. Reichardt, Sven: Bourdieu für Historiker? Ein kultursoziologisches Angebot an die Sozialgeschichte. In: Geschichte zwischen Kultur und Gesellschaft. Beiträge zur Theoriedebatte. Hg. von Thomas Mergel, Thomas Welskopp. München 1997, S. 71–93. Reis, J.: ,,Death to the Cemetery“. Funerary Reform and Rebellion in Brazil, 1836. In: History Workshop Journal 34 (1992), S. 33–46. Reiseberichte als Quellen europäischer Kulturgeschichte. Aufgaben und Möglichkeiten der historischen Reiseforschung. Hg. von Antoni M◊czak, Hans Jürgen Teuteberg. Wolfenbüttel 1982. Reisen im 18. Jahrhundert. Neue Untersuchungen. Hg. von Hans-Wolf Jäger, Wolfgang Griep. Heidelberg 1986. Reisen und Reisebeschreibungen im 18. und 19. Jahrhundert als Quellen der Kulturbeziehungsforschung. Hg. von B.I. Krasnobaev u. a. Berlin 1980 (= Studien zur Geschichte der Kulturbeziehungen in Mittel- und Osteuropa. Band 6). Relazione del governo civile, del commercio e della marina mercantile di Livorno. In: Fonti per la storia di Livorno. Fra Seicento e Settecento. Hg. von Lucia Frattarelli Fischer, Carlo Mangio. Livorno 2006, S. 53–71. Rheubottom, David: Age, Marriage, and Politics in Fifteenth-Century Ragusa. Oxford 2000. Ribeiro, Jorge Martins: A comunidade britânica do Porto durante as invasões francesas, 1807–1811. Porto 1990. Ribeiro, Jorge Martins: O anglicanismo em Portugal do século XVII ao XIX. (ler.letras.up.pt/ uploads/ficheiros/2879.pdf, 09.12.2008). Richter, Dieter: Das Meer: Epochen der Entdeckung einer Landschaft. In: Voyage 2 (1998), S. 10–31. Ricoeur, Paul: Reflections on a New Ethos for Europe. In: Paul Ricoeur. The Hermeneutics of Action. Hg. von Richard Kearney. London u. a. 1996, S. 3–14. Rihtman-Auguštin, Dunja: Von der Marginalisierung zur Manipulation. Die Volkskultur in Kroatien in unserer Zeit. Rill, Gerhard: Fürst und Hof in Österreich von den habsburgischen Teilungsverträgen bis zur Schlacht von Mohács (1521/22–1526). Band 1: Außenpolitik und Diplomatie. Wien 1993. Ringrose, Basil: Bucaniers of America. London 1685. Ringrose, David R.: Spain, Europe and the SSpanish Miracle", 1700–1900. Cambridge, New York 1996. Ritter, Volker: Krankheit und Gesundheit. Veränderungen in der sozialen Wahrnehmung des Körpers. In: Die Wiederkehr des Körpers. Hg. von Dietmar Kamper, Christoph Wulf. Frankfurt a.M. 1982, S. 40–51. Rocchi, Anna: Il primo insediamento della nazione armena a Livorno. In: Gli Armeni a Livorno: L’intercultura di una diaspora: Interventi nel Convegno Memoria e cultura armena fra Livorno e l’Oriente: Catalogo della Mostra Gli Armeni a Livorno. Documenti e immagini di una presenza secolare. Hg. von Giangiacomo Panessa, Massimo Sanacore. Livorno 2006, S. 83–87.

572

Gedruckte Quellen und Literatur

Rödel, Walter G.: Der Ritterliche Orden St. Johannis vom Spital zu Jerusalem. Ein Abriss seiner Geschichte. 2., überarb. Aufl. Nieder-Weisel 1989. Rodenwaldt, Ernst: Die Gesundheitsgesetzgebung des Magistrato della Sanità Venedigs 1486–1550. Heidelberg 1956. Rodrigues Ferreira, Maria Isabel: Mitos e utopias na descoberta e construção do Mundo Atlântico. Funchal 1999. Rodríguez, Juan José Iglesias: La epidemia gaditana de fiebre amarilla de 1900. Jerez de la Frontera 1987. Rohrer, Joseph: Bemerkungen auf einer Reise von der türkischen Gränze über die Bukowina durch Ost- und Westgalizien, Schlesien und Mähren nach Wien. Wien 1804. Romanelli, Samuel: Grammatica ragionata italiana ed ebraica con trattato, ed esempij di poesia. Triest 1799. Romanelli, Samuel: Travail in an Arab Land. Tuscaloosa, Alabama 1989. Romero Magalhães, Joaquim: Uma sociedade cristalizada. In: O Algarve da Antiguidade aos nossos dias (elementos para a sua história). Hg. von Maria da Graça Maia Marques. Lissabon 1999, S. 273–282. Rosa, Maria de Lurdes: Lieux de l’assistance médiévale et architecture hospitalière au Portugal. In: Archéologie et architecture hospitalières de l’Antiquité tardive à l’aube des temps modernes. Hg. von François-Olivier Touati. Paris 2004, S. 261–293. Rosaldo, Michelle: Toward an Anthropology of Self and Feeling. In: Culture Theory. Essays on Mind, Self, and Emotion. Hg. von R.A. Levine, Richard A. Shweder. Cambridge 1984, S. 137–157. Rose, Mary B.: Networks and Business Values. The British and American Cotton Industries since 1750. Cambridge 2000. Rose, Susan: Islam versus Christendom: The Naval Dimension, 1000–1600. In: The Journal of Military History 63 (1999), S. 561–578. Roshwald, Aviel: Ethnic Nationalism and the Fall of Empires. Central Europe, Russia and the Middle East, 1914–1923. London 2001. Roth, Cecil: A History of the Marranos. New York 1992. Roth, Cecil: Doña Gracia of the House of Nasi. Philadelphia 1992. Roth, Cecil: The History of the Jews of Italy. Philadelphia 1946. Roth, Cecil: The House of Nasi. The Duke of Naxos. Philadelphia 1992. Roth, Cecil: The Spanish Inquisition. 2. Aufl. New York, London 1996. Roth, Cecil: Venice. Philadelphia 1930. Roth, Klaus u. a.: Die Volkskultur Südosteuropas in der Moderne. Southeast European folk culture in the modern era. München 1992. Roth, Klaus: Osmanische Spuren in der Alltagskultur Südosteuropas. In: Die Staaten Südosteuropas und die Osmanen. Hg. von Hans Georg Maier. München 1989, S. 319–332. Rothenberg, Gunther E.: The Austrian Sanitary Cordon and the Control of the Bubonic Plague 1710–1871. In: Journal of the History of Medicine 28 (1973), S. 15–23. Rothfels, Hans: Grundsätzliches zum Problem der Nationalität. In: HZ 174 (1952), S. 339– 358. Rovinski, Pavel A.: Zapisi o Srbiji. Beograd 1994. Ruders, Carl Israel: Viagem em Portugal. 1798–1802. Band 1. Lissabon 2002. Ruiz Rivera, Julián B. u. a.: Cargadores a Indias. Madrid 1992.

Gedruckte Quellen und Literatur

573

Ruiz Rivera, Julián B.: El Consulado de Cádiz. Matricula de comerciantes 1730–1823. Cádiz 1988. Rules and Meaning. The Anthropology of Everyday Knowledge. Hg. von Mary Douglas, David Hull. Middlesex, UK 1973. Ryan, Frederick W.: The House of the Temple. A Study of Malta and Its Knights in the French Revolution. London 1930. Sagaster, Börte: ,,Herren“ und ,,Sklaven“. Der Wandel im Sklavenbild türkischer Literaten in der Spätzeit des Osmanischen Reiches. Wiesbaden 1997. Said, Edward W.: Culture and Imperialism. New York 1993. Said, Edward W.: Freud und das Nichteuropäische. Zürich 2004. Said, Edward W.: Orientalism. London 1978. Sala de pasatiempos. Textos judeoespañoles de Salónica, impresos entre 1896 y 1916. Hg. von Beatrice Schmid. Basel 2003. Sala-Molins, Louis: Le Code Noir ou le calvaire de Canaan. 4. Aufl. Paris 1987. Salvador, Edouard: L’Orient, Marseille, et la Méditerranée. Histoire des échelles du Levant et des colonies. Paris 1854. Salvini, Manuela: Cenni storici, identità etnica e culturale della nazione armena di Livorno (sec. XVI–XX). 2 Bde. Pisa 1992/1993. Samardžić, Radovan: Belgrade, centre économique de la Turquie du nord au XVIe siècle. In: La ville balkanique sous les Ottomans, XVe–XIXe siècles. Hg. von Nikolaj Todorov. Sofia 1970, S. 33–44. Samardžić, Radovan: Beograd i Srbija u spisima francuskih savremenika, XV–XVII vek. Beograd 1961. Samhaber, Ernst: Kaufleute wandeln die Welt. Die Geschichte des Handels von den Anfängen bis zur Gegenwart. 2. Aufl. Frankfurt a.M. 1993. Sánchez, Maria José de la Pascua: La fundación de la “Casa de Viudas” de Cádiz. In: La burguesía en la Andalucia de la Illustración. Hg. von Antonio García-Baquero González. Bd. 2. Cadiz 1991, S. 283–297. Sancho de Sopranis, Hipólito: Los genoveses en Cádiz antes de 1600. Larache 1939. Sarasin, Philip: ,,Anthrax“. Bioterror als Phantasma, Frankfurt a. M. 2004. Sarasin, Philip: Reizbare Maschinen. Eine Geschichte des Körpers 1765–1914. Frankfurt a. M. 2001. Sarasin, Philipp: Diskurstheorie und Geschichtswissenschaft. In: Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Band 1: Theorien und Methoden. Hg. von Reiner Keller u. a. Opladen 2001, S. 53–79. Sarnowsky, Jürgen: Macht und Herrschaft im Johanniterorden des 15. Jahrhunderts. Verfassung und Verwaltung der Johanniter auf Rhodos (1421–1522). Münster 2001 (= Vita regularis. Band 14). Saul, Norman E.: Russia and the Mediterranean, 1797–1807. Chicago 1970. Saunders, A.C. de: A Social History of Black Slaves and Freedmen in Portugal 1441–1555. Cambridge usw. 1982. Sayous, André Emile: Commerce et finance en Méditerranée au Moyen Age. London 1988. Scheidegger, Gabriele: Perverses Abendland – barbarisches Russland. Begegnungen des 16. und 17. Jahrhunderts im Schatten kultureller Missverständnisse. Zürich 1993.

574

Gedruckte Quellen und Literatur

Schemann, Hans: ,,...Wo das Land aufhört und das Meer beginnt...“. Portugal und die Portugiesen. Darmstadt 1993. Schembri, Guzeppi: The Malta and Russia Connection. A History of Diplomatic Relations between Malta and Russia (XVII–XIX cc.). Based on Original Russian Documents. Malta 1990. Schenk, Frithjof Benjamin: Mental Maps. Die Konstruktion von geographischen Räumen in Europa seit der Aufklärung. In: GG 28 (2002), S. 493–514. Schepin, Oleg P., Waldemar V. Yermakov: International Quarantine. Madison, Ct 1991. Schieder, Theodor: Nationalismus und Nationalstaat. Studien zum nationalen Problem im modernen Europa. 2. Aufl. Göttingen 1992. Schindler, Norbert: Spuren in die Geschichte der ,,anderen“ Zivilisation. Probleme und Perspektiven einer historischen Volkskulturforschung. In: Volkskultur. Zur Wiederentdeckung des vergessenen Alltags, 16.–20. Jahrhundert. Hg. von Richard van Dülmen, Norbert Schindler. Frankfurt a.M. 1984, S. 13–77. Schindler, Norbert: Widerspenstige Leute. Studien zur Volkskultur in der frühen Neuzeit. Frankfurt a.M. 1992. Schivelbusch, Wolfgang: Geschichte der Eisenbahnreise. Zur Industrialisierung von Raum und Zeit im 19. Jahrhundert. Frankfurt a.M. 1989. Schlögel, Karl: Die Wiederkehr des Raumes. Die Konkretwerdung der Welt nach dem Verschwinden der Systeme. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 139 (1999), Beilage ,,Bilder und Zeiten“ I–II. Schlögel, Karl: Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik. München 2003. Schmid-Cadalbert, Christian: Heimweh oder Heimmacht. Zur Geschichte einer einst tödlichen Schweizer Krankheit. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 89 (1993), S. 69– 85. Schmidt, Siegfried J.: Gedächtnis – Erzählen – Identität. In: Mnemosyne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung. Hg. von Aleida Assmann, Dietrich Harth. Frankfurt a.M. 1993, S. 378–397. Schmidt-Biggemann, Wilhelm: Elementatio Moralis: Heimat. In: Tradition und Translation. Zum Problem der interkulturellen Übersetzbarkeit religiöser Phänomene. Festschrift für Carsten Colpe zum 65. Geburtstag. Hg. von Christoph Elsas u. a. Berlin, New York 1994, S. 250–263. Schmitt, Oliver Jens: Levantiner. Lebenswelten und Identitäten einer ethnokonfessionellen Gruppe im osmanischen Reich im ,,langen 19. Jahrhundert“. München 2005. Schmurlo, Jewgenj: L’histoire de la Russie au point de vue de ses conditions géographiques. Prag 1935. Schoberth, Ingrid: Erinnerung als Praxis des Glaubens. München 1992. Scholem, Gershom: Sabbatai Zwi. Der mystische Messias. Frankfurt a.M. 1992. Schramm, Carl Christian: Neues europäisches historisches Reise-Lexicon. Nachdruck von 1744. 2 Bde. Leipzig 1984. Schreiner, Peter: Byzanz. 2., überarb. Aufl. München 1994 (Oldenbourg Grundriss der Geschichte. Band 22). Schriewer, Jürgen: Vergleich und Erklärung. Zwischen Kausalität und Komplexität. In: Diskurse und Entwicklungspfade. Der Gesellschaftsvergleich in den Geschichts- und Sozialwissenschaften. Hg. von Hartmut Kaelble, Jürgen Schriewer. Frankfurt a.M., New York 1999, S. 53–102.

Gedruckte Quellen und Literatur

575

Schulz, Lorenz: Normiertes Misstrauen. Der Verdacht im Strafverfahren. Frankfurt am Main 2001. Schulze, Hagen: Staat und Nation in der europäischen Geschichte. München 1994. Schulz-Hageleit, Peter: Was lehrt uns die Geschichte? Annäherungsversuche zwischen geschichtlichem und psychologischem Denken. Pfaffenweiler 1989. Schuster, Meinhard: Zur Konstruktion von Geschichte in Kulturen ohne Schrift. In: Vergangenheit in mündlicher Überlieferung. Hg. von Jürgen von Ungern-Sternberg, Hansjörg Reinau. Stuttgart 1988, S. 57–71 (= Colloquium Rauricum. Band 1). Schütz, Alfred: Wissenschaftliche Interpretation und Alltagsverständnis menschlichen Handelns. In: Alfred Schütz: Gesammelte Aufsätze. 2 Bde. Band 1: Das Problem der sozialen Wirklichkeit. Den Haag 1971, S. 3–54. Schwalgin, Susanne: “In the Ghetto”. Prozesse der Verortung in der armenischen Diaspora Griechenlands. In: ,,Wir sind auch da!“ Über das Leben von und mit Migranten in europäischen Großstädten. Hg. von Angelika Eder, Kristina Vagt. München 2003, S. 165–188. Schwara, Desanka: Hybridität als politisches und soziokulturelles Prinzip – Sefardische Wege im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Transversal 2 (2003), S. 51–78. Schwara, Desanka: Jüdische Kindheit und Jugend in Galizien, Kongreßpolen, Litauen und Rußland 1881–1939. Köln usw. 1999. Schwara, Desanka: Luftmenschen. In: Luftmenschen und rebellische Töchter. Hg. von Heiko Haumann. Köln usw. 2003, 69–223. Schwara, Desanka: Rediscovering the Levant: A Heterogeneous Structure as a Homogeneous Historical Region. In: European Review of History/Revue européenne d’Histoire (Topical issue Geschichtsregionen: Concept and Critique. Hg. von Stefan Troebst) 10/2 (2003), S. 233–251. Schwara, Desanka: Sprache und Identität. Disparate Gefühle der Zugehörigkeit. In: Jüdische Identitäten. Einblicke in die Bewusstseinslandschaft des österreichischen Judentums. Hg. von Klaus Hödl. Innsbruck usw. 2000, S. 141–169. Schwara, Desanka: Unterwegs. Reiseerfahrung zwischen Heimat und Fremde in der Neuzeit. Göttingen 2007. Schwarz, Samuel: Os Cristãos-Novos em Portugal no século XX. Lissabon 1925. Schweigger, Salomon: Ein newe Reyssbeschreibung auss Teutschland nach Constantinopel und Jerusalem. Graz 1964 (= Frühe Reisen und Seefahrten in Originalberichten. Band 3). Schwinges, Rainer Christoph: Bürgermigration im Alten Reich des 14. bis 16. Jahrhunderts. In: Migration in die Städte. Hg. von Hans-Jörg Gilomen u. a., Zürich 2000 (Schweizerische Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialgeschichte 16), S. 17–37. Scott, James C.: Domination and the Arts of Resistance. Hidden Transcripts. Yale 1990. Scott, Susan, Christopher Duncan: Return of the Black Death, the World’s Greatest Serial Killer. Chichester 2004. Sephardi and Middle Eastern Jewries. History and Culture in the Modern Era. Hg. von Harvey E. Goldberg. Bloomington, Ind. 1996. Shaw, L.M.E.: The Anglo-Portuguese Alliance and the English Merchants in Portugal, 1654– 1810. Aldershot u. a. 1988. Shaw, L.M.E.: Trade, Inquisition and the English Nation in Portugal, 1650–1690. Manchester 1989. Shaw, R.P.: Migration Theory and Fact. A Review and Bibliography of Current Literature. Philadelphia 1975.

576

Gedruckte Quellen und Literatur

Shaw, Stanford J.: The Jews of the Ottoman Empire and the Turkish Republic. New York 1991. Shaw, Stanford: History of the Ottoman Empire and Modern Turkey. Cambridge 1976. Shepherd, Naomi: A Price Below Rubies. Jewish Women as Rebels and Radicals. Cambridge, Mass. 1993. Shepherd, Naomi: The Zealous Intruders. The Western Rediscovery of Palestine. London 1987. Shmuelevitz, Aryeh: The Jews of the Ottoman Empire in the Late Fifteenth and the Sixteenth Centuries – Administrative, Economic, Legal and Social Relations as Reflected in the Responsa. Leiden 1984. Shuval, Judith T.: Diaspora Migration: Definitional Ambiguities and a Theoretical Paradigm. In: International Migration 38/5 (2000), S. 41–57. Sieder, Reinhard: Sozialgeschichte auf dem Weg zu einer historischen Kulturwissenschaft. In: GG 20 (1994), S. 445–468. Siegel, Jeff: The Emergence of Pidgin & Creole Languages. Oxford 2008. Siegert, Bernhard: Passagiere und Papiere. Schreibakte auf der Schwelle zwischen Spanien und Amerika. München 2006. Siegrist, Hannes: Transnationale Geschichte als Herausforderung der wissenschaftlichen Historiographie. In: Dimensionen der Kultur- und Gesellschaftsgeschichte. Festschrift für Hannes Siegrist zum 60. Geburtstag. Hg. von Matthias Middell. Leipzig 2007, S. 40–48. Sifneos, Evridiki: “Cosmopolitanism” as a Feature of the Greek Commercial Diaspora. In: History and Anthropology 16 (2005), S. 97–111. Sillani, Tomaso: L’Italia e l‘Oriente medio ed estremo. Studi e documenti raccolti e ordinati da Tomaso Sillani. Roma 1935. Simmel, Georg: Grundfragen der Soziologie. Der Konflikt der modernen Kultur. Hg. von Gregor Fitzi u. a. Frankfurt a.M. 1999 (= Gesamtausgabe Georg Simmel. Band 16). Simmel, Georg: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. 3. Aufl. Hg. von Otthein Rammstedt. Frankfurt a.M. 1999 (= Gesamtausgabe Georg Simmel. Band 11). Singer, Wolf: Wahrnehmen, Erinnern, Vergessen (Eröffnungsvortrag des 43. Deutschen Historikertages). In: Science + fiction. Zwischen Nanowelt und globaler Kultur. Hg. von Stefan Iglhaut, Thomas Spring. Berlin 2003, S. 169–189. Sirago, Maria: Il sistema portuale italiano in Età Moderna. In: Puertos y Sistemas Portuarios (siglos XVI–XX). Actas del Coloquio Internacional. El sistema portuario español, Madrid, 19–21 octubre, 1995. Hg. von Agustín Guimera, Dolores Romero. Madrid 1996, S. 53–76. Sire, Henry J.A.: The Knights of Malta. New Haven 1994. Slijepčevič, Djoko: Istorija Srpske pravoslavne crkve. Od pokrštavanja Srba do kraja XVIII veka. München 1962. Smith, Joseph H.: Telling Facts. History and Narration in Psychoanalysis. Baltimore, Md. usw. 1992. Smyrnelis, Marie-Carmen: La diaspora marchande grecque méditerranéenne (XVIIIe– XIXe siècles) à travers le parcours d’une famille: les Baltazzi. In: Arméniens et Grecs en diaspora: Approches comparatives. Actes du colloque européen et international organisé à l’École française d’Athènes (4–7 octobre 2001). Hg. von Michel Bruneau u. a. Athen 2007, S. 86–92. Solís, Ramon: El Cádiz de las Cortes. La vida en la ciudad en los años 1810 a 1813. Madrid 1969.

Gedruckte Quellen und Literatur

577

Sontag, Susan: Krankheit als Metapher. Frankfurt a.M. 1989. Soppron, Ignaz: Monographie von Semlin und Umgebung – Zumeist nach handschriftlichen Quellen, Semlin 1890. Sopranis, Hiplito Sancho de: Los armenios en Cádiz. In: Sefarad 14 (1954), S. 295–314. Sori, Ercole: Evoluzione demografica, economica e sociale di un città-porto: Ancona tra XVI e XVIII secolo. In: Le popolazioni del mare. Porti franchi, città, isole e villaggi costieri tra età moderna e contemporanea. Hg. von Aleksej Kalc, Elisabetta Navarra. Udine 2003, S. 13–46. Sousa, Armindo de: Condicionamentos básicos. In: História de Portugal. Hg. von José Mattoso. Band 2. Lissabon 1997, S. 313–389. Spanien und Europa. Stimmen zu ihrem Verhältnis von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Hg. von Hans Hinterhäuser. München 1979. Spatial Choice and Spatial Behaviour. Hg. von Reginald G. Golledge, Gerard Rushton. Columbus, Ohio 1976. Spencer, Robert F.: Migration and Anthropology, Seattle 1970. Speziale, Salvatore: Oltre la peste. Sanità, popolazione e società in Tunisia e nel Maghreb (XVIII–XX secolo). Cosenza 1997. Spinning the Commercial Web. International Trade, Merchants and Commercial Cities, c. 1640–1939. Hg. von Margit Schulte Beerbühl, Jörg Vögele. Frankfurt a.M. usw. 2004. Spiteri, Stephen C.: The Great Siege. Knights vs. Turks, MDLXV. Anatomy of a Hospitaller Victory. Tarxien, Malta 2005. Spruyt, Hendrik: The Sovereign State and Its Competitors. An Analysis of Systems Change. Princeton, N.J. 1994. Staehelin-Vischer, Marie: Il mio viaggio in Italia negli anni 1844 e 1845. Livorno 1997. Staehle, Ernst: Die Hospitaliter im Königreich Jerusalem. Weishaupt 2002. Staehle, Ernst: Die Johanniter und Malteser der deutschen und bayerischen Zunge. Weishaupt 2002. Staehle, Ernst: Die Johanniter von Rhodos. Weishaupt 2002. Staehle, Ernst: Die Malteserritter. Weishaupt 2002. Staehle, Ernst: Johanniter und Templer. Weishaupt 1998. Stagl, Hemma: Das Leben der nichtmuslimischen Bevölkerung im Osmanischen Reich im Spiegel von Reisebeschreibungen. In: Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie. Akten des internationalen Kongresses zum 150-jährigen Bestehen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung Wien, 22.–25. September 2004. Hg. von Marlene Kurz u. a. Wien 2005, S. 359–391. Stagl, Justin: Apodemiken. Eine räsonnierte Bibliographie der reisetheoretischen Literatur des 16., 17. und 18. Jahrhunderts. Paderborn usw. 1983. Stagl, Justin: Eine Geschichte der Neugier. Die Kunst des Reisens 1550–1800. Wien 2002. Stanojević, Gligor: Dalmatinske krajine u XVIII vijeku. Beograd 1987. Stanojević, Gligor: Senjski Uskoci. Beograd 1973. Starkey, David J., Kevin Payne: Beide vom gleichen Schlag? Piraten und Kaperfahrer, 1560– 1856. In: Piraten, Abenteuer oder Bedrohung? Hg. von Hartmut Roder. Bremen 2000, S. 20– 41. Stavrianos, Leften Stavros: The Balkans since 1453. New York 2000. Stefani, Piero: Gli ebrei. Bologna 1997. Stegny, Pjotr: Russia and Malta. From Boris Sheremetev to Emperor Paul I. In: Malta and

578

Gedruckte Quellen und Literatur

Russia. Journey through the Centuries. Historical Discoveries in Russo-Maltese Relations. Hg. von Elizaveta Zolina. Valletta 2002, S. 63–79. Steinbach, Marion: Juden in Venedig, 1516–1797. Zwischen Isolation und Integration. Frankfurt a.M. 1992. Stewart, Douglas: Piraten. Das organisierte Verbrechen auf See. Hamburg 2002. Stichweh, Rudolf: Universitätsmitglieder als Fremde in spätmittelalterlichen und frühmodernen europäischen Gesellschaften. In: Fremde der Gesellschaft. Historische und sozialwissenschaftliche Untersuchungen zur Differenzierung von Normalität und Fremdheit. Hg. von Marie Theres Fögen. Frankfurt a.M. 1991, S. 169–191. Sticker, Georg: Abhandlungen aus der Seuchengeschichte und Seuchenlehre. 2 Bde. Gießen 1908–1910. Stillman, Norman A.: The Jews of Arab Lands. A History and Source Book. Philadelphia 1979. Stoianovich, Traian: The Conquering Balkan Orthodox Merchant. In: JEH 20/2 (1960), S. 234–313. Stolberg, Michael: Homo patiens. Krankheits- und Körpererfahrung in der Frühen Neuzeit. Köln u. a. 2003. Stolič, Ana: Privatni život kod Srba u devatnaestom veku od kraja osamnaestog veka do početka Prvog svetskog rata. Beograd 2006. Stollberg-Rilinger, Barbara u. a.: Spektakel der Macht. Rituale im Alten Europa 800–1800. Katalog. Darmstadt 2008. Stols, Eddy: Les marchands flamands dans la Péninsule Ibérique à la fin du seizième siècle et pendant la première moitié du dix-septième siècle. In: Die fremden Kaufleute auf der Iberischen Halbinsel. Hg. von Hermann Kellenbenz. Köln, Wien 1970, S. 226–238. Strohmeyer, Arno: Historische Komparatistik und die Konstruktion von Geschichtsregionen. Der Vergleich als Methode der historischen Europaforschung. In: Jahrbücher für Geschichte und Kultur Südosteuropas 1 (1999), S. 39–55. Studemund-Halévy, Michael: Bibliographie zur Geschichte der Juden in Hamburg. München usw. 1994 (= Bibliographien zur deutsch-jüdischen Geschichte. Band 5). Studemund-Halévy, Michael: Biographisches Lexikon der Hamburger Sefarden. Die Grabinschriften des Portugiesenfriedhofs an der Königstraße in Hamburg-Altona. Hamburg 2000 (= Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden. Band 22). Studemund-Halévy, Michael: Die Hamburger Sefarden zur Zeit der Glikl. In: Die Hamburger Kauffrau Glikl. Jüdische Existenz in der Frühen Neuzeit. Hg. von Monika Richarz. Hamburg 2001, S. 195–222. Stulli, Bernard: Židovi u Dubrovniku. Zagreb 1989. Suárez Fernández, Luis: Documentos acerca de la expulsión de los judíos. Valladolid 1964. Südosteuropa unter dem Halbmond. Untersuchungen über die Geschichte und Kultur der südosteuropäischen Völker während der Türkenzeit. Georg Stadtmüller zum 65. Geburtstag gewidmet. Hg. von Peter Bartl, Horst Glassl. München 1975 (= Beiträge zur Kenntnis Südosteuropas und des Nahen Ostens. Band 16). Südosteuropa. Ein Handbuch. Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur. Hg. von Magarditsch Hatschikjan, Stefan Troebst. München 1999. Südosteuropa. Traditionen als Macht. Hg. von Emil Brix u. a. München 2007. Sugar, Peter Frigyes: Southeastern Europe under Ottoman Rule, 1354–1804. 3. Aufl. Seattle, Wash. usw. 1996.

Gedruckte Quellen und Literatur

579

Sundhaussen, Holm: Europa balcanica. Der Balkan als historischer Raum Europas. In: GG 25 (1999), S. 626–653. Sundhaussen, Holm: Geschichte Serbiens (19.–21. Jahrhundert). Wien 2007. Sundhaussen, Holm: Osteuropa, Südosteuropa, Balkan: Überlegungen zur Konstruktion historischer Raumbegriffe. In: Was ist Osteuropa? 1. Colloquium des Osteuropa-Instituts. Hg. von Holm Sundhaussen u. a. Berlin 1988, S. 4–22. Sundhaussen, Holm: Osteuropa, Südosteuropa, Balkan: Überlegungen zur Konstruktion historischer Raumbegriffe. In: Berliner Osteuropa info 19 (1998), S. 5–7. Sundhaussen, Holm: Südosteuropa und Balkan: Begriffe, Grenzen, Merkmale. In: Handbuch der Südosteuropa-Linguistik. Hg. von Uwe Hinrichs, Uwe Büttner. Wiesbaden 1999, S. 27–47. Tadić, Jorjo: Prilozi za istoriju zdravstvene kulture starog Dubrovnika. Beograd 1938. Tadić, Jorjo: Jevreji u Dubrovniku do polovine XVII Stoljeća. Sarajevo 1937. Tadić, Jorjo: Promet Putnika u starom Dubrovniku. Dubrovnik 1939. Tadić, Jorjo: Žpanija i Dubrovnik v XVI. v. Beograd 1932. Tamdoğan-Abel, Işik: Les han, ou l’étranger dans la ville ottomane. In: Vivre dans l’Empire ottoman. Sociabilités et relations intercommunautaires (XVIIIe–XXe siècles), Hg. von François Georgeon, Paul Dumont. Paris 1997, S. 319–334. Tändler, Maik: Tagungsbericht ,,Fremd im eigenen Land“: Diasporic Cultures – Diasporic Mentalities? Zeitgeschichtlicher Arbeitskreis Niedersachsen, Göttingen, 28.11.–29.11.2008 (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=2496). Tarazi Fawaz, Leila: Merchants and Migrants in Nineteenth-Century Beirut. Cambridge, Mass. 2000. Tateo, Francesco: Storia di Bari. Roma usw. 1989. Taylor, J.E.: Christians and the Holy Places: The Myth of Jewish-Christian Origins. Oxford 1993. Teichmann, Fritz: Die Stellung und Politik der hansischen Seestädte gegenüber den Vitalienbrüdern in den nordischen Thronwirren 1389 – 1400, Berlin 1931. Telling Facts. History and Narration in Psychoanalysis. Hg. von Joseph H. Smith. Baltimore, Md. usw. 1992. Tenenti, Alberto, Branislava Tenenti: Il prezzo del rischio. L’assicurazione mediterrana vista da Ragusa (1563–1591). Roma 1985. Texeira, Pedro: Relaciones de Pedro Texeira del Origin Descendencia y Succession de los Reyes de Persia, y de Harmuz, y de un Viage hecho por el mismo Autor dende la India Oriental hasta Italia por tierra. Antwerpen 1610. Spätere Ausgaben: Paris 1681 (frz.) und in englischer Übersetzung: London 1715, London 1902. The Economics of Mass Migration in the Twentieth Century. Hg. von Sidney Klein. New York 1987. The History of the Idea of Europe. Hg. von Jan van der Dussen, Kevin Wilson. New York 1995. The Internationalisation of Literary Copyright Law: Books, Buccaneers, and the Black Flag in the Nineteenth Century. New York 2006. The Later Crusades, 1189–1311. A History of the Crusades, Volume II. Hg. von R. L. Wolff, H. W. Hazard. University of Wisconsin Press, Madison, Wisconsin 1969. The Law of the Sea: Progress and Prospects. Hg. von David Freestone u. a. 4. Aufl. Oxford 2006.

580

Gedruckte Quellen und Literatur

The Linguistic Turn. Essays in Philosophical Method. Hg. von Richard M. Rorty. Chicago usw. 1997. The Mediterranean and the Jews. Banking, Finance and International Trade (XVI–XVIII Centuries). Hg. von Ariel Toaff, Simon Schwarzfuchs. Ramat-Gan 1989. The Politics of Migration. Hg. von Robin Cohen, Zig Layton-Henry. Cheltenham/ Northampton, Mass. 1997 (= International Library of Studies of Migration 5). The Question of European Identity. A Cultural Historical Approach. Hg. von Luisa Passerini. San Domenico 1998. The Social History of Language. Hg. von Peter Burke, Roy Porter. Cambridge 1987 (= Cambridge Studies in Oral and Literate Culture. Band 12). The Social Life of Anti-Terrorism Law: The War on Terror and the Classification of the "Dangerous Other". Hg. von Julia Eckert. Bielefeld 2008. The Tragic History of the Sea, 1589–1622. Hg. von C.R. Boxer. Minneapolis, London 1959. Theories of Migration. Hg. von Robin Cohen. Cheltenham, UK, Brookfield, US 1996. Thomas, Brinley: Migration and Economic Growth. A Study of Great Britain and the Atlantic Economy. Cambridge 1954. Thomson, Ann: Barbary and Enlightenment. European Attitudes towards the Maghreb in the 18th Century. Leiden usw. 1987. Thomson, Janice E.: Mercenaries, Pirates and Sovereigns. State-Building and Extraterritorial Violence in Early Modern Europe. Princeton (N.J.) 1994. Toaff, Ariel: L’,,Universitas Hebraeorum Portugallensium“ di Ancona nel Cinquecento. Interessi economici e ambiguità religiosa. In: Mercati, mercanti, denaro nelle Marche (secoli XIV–XIX). Hg. von Deputazione di storia patria per le Marche. Ancona 1989, S. 115–145. Toaff, Renzo: La nazione ebrea di Livorno dal 1591 al 1715. Nascita e sviluppo di una comunità di mercanti. In: The Mediterranean and the Jews. Banking, Finance and International Trade (XVI–XVIII Centuries). Hg. von Ariel Toaff, Simon Schwarzfuchs. Ramat-Gan 1989, S. 271–290. Todaro, Michael P.: Internal Migration in Developing Countries. Geneva 1976 (International Labour Office). Todeschini, Giacomo: Credito localizzato, finanza internazionale e diaspora degli ebrei fra XIV. e XV. secolo. In: Movimentos migratorios y expulsiones en la diáspora occidental. Terceros encuentros judaicos de Tudela, 14–17 de julio de 1998. Hg. von Fermín Miranda García. Navarra 2000, S. 199–211. Todeschini, Giacomo: Fra stereotipi del tradimento e cristianizzazione incompiuta. Appunti sull’identità degli Ebrei in Italia. In: Zakhor. Rivista di storia degli ebrei d’Italia 1 (1997), S. 9– 20. Todeschini, Giacomo: I mercanti e il tempio. La società cristiana e il circolo virtuoso della ricchezza fra Medioevo ed età moderna. Bologna 2002 (= Collana di storia dell’economia e del credito. Band 11). Todeschini, Giacomo: La ricchezza degli ebrei. Merci e denaro nella riflessione ebraica e nella definizione cristiana dell’usura alla fine del Medioevo. Spoleto 1989 (= Biblioteca degli Studi medievali. Band 15). Todorov, Nikolaj u. a.: Situation démographique de la Péninsule balcanique (fin du XVe s. – debut du XVIe s.). Sofia 1988. Todorov, Nikolaj: Development, Achievement and Tasks of Balkan Studies in Bulgaria. Sofija 1977.

Gedruckte Quellen und Literatur

581

Todorov, Nikolaj: Society, the City and Industry in the Balkans, 15th–19th centuries. Aldershot 1998. Todorov, Nikolaj: The Balkan City, 1400–1900. Seattle 1983. Todorova, Maria: Der Balkan als Analysekategorie: Grenzen, Raum, Zeit. In: GG 28 (2002), S. 470–492. Todorova, Maria: Die Erfindung des Balkans: Europas bequemes Vorurteil. Darmstadt 1999. Todt, Klaus-Peter: Orthodoxie (und Nationalkirchen). In: Lexikon zur Geschichte Südosteuropas, Hg. von Edgar Hösch u. a. Wien 2004, S. 494–499. Tolman, Edward C.: Cognitive Maps in Rats and Men. In: Psychological Review 55/4 (1948), S. 189–208. Tolós, Joaquim Bonastra: Ciencia, sociedad y planificación en la institución del Lazareto. Dissetation. Universitat de Barcelona 2006 (http://www.tdx.cat/TDX_0728106_122030. 9.3.2010). Tonque Lagleder, Gerhard: Die Ordensregel der Johanniter/Malteser. Die geistlichen Grundlagen des Johanniter-/Malteserordens mit einer Edition und Übersetzung der drei ältesten Regelhandschriften. EOS, St. Ottilien 1983. Toscano, Mario: Integrazione e Identità. L’esperienza ebraica in Germania e Italia dall’Illuminismo al Fascismo. Milano 1998. Transnationale Öffentlichkeiten und Identitäten im 20. Jahrhundert. Hg. von Hartmut Kaelble u. a. Frankfurt a.M. 2002. Treflicher Zustand der Juden in Toskana. In: Ephemeriden der Menschheit, oder Bibliothek der Sittenlehre, der Politik und der Gesetzgebung. Hg. von W.G. Becker. Leipzig 1786, S. 120–127, S. 209–222. Trenk, Marin: ,,Going white“. Zur kulturellen Konversion nordamerikanischer Indianer. In: Geist, Bild und Narr. Hg. von Heike Behrend. Berlin 2001, S. 57–76. Treves Alcalay, Liliana: Sefarad. Cinquecento anni di storia, musica e tradizioni degli ebrei spagnoli. Firenze 1992. Trivellato, Francesca: Juifs de Livourne, italiens de Lisbonne, hindous de Goa. Réseaux marchands et échanges interculturels à l’ époque moderne. In: Annales HSS 58/3 (2003), S. 581– 603. Trivellato, Francesca: Les juifs d’origine portugaise entre Livourne, le Portugal et la Méditerranée (c. 1650–1750). In: La Diaspora des ,,Nouveaux-Chrétiens“. Hg. von João Pedro Garcia. Lissabon, Paris 2004, S. 171–182. Trivellato, Francesca: Merchants on Trial. Legal and Extra-Legal Sources of Cooperation within the Jewish Trading Diaspora in the Eighteenth Century. In: IEHC (2006), S. 1–13. Trivellato, Francesca: Merchants’ Letters across Geographical and Social Boundaries. In: Correspondence and Cultural Exchange in Europe, 1400–1700. Hg. von Francisco Bethencourt, Florike Egmond. Cambridge 2007, S. 80–103. Trivellato, Francesca: Sephardic Merchants in the Early Modern Atlantic and beyond. Toward a Comparative Historical Approach to Business Cooperation. In: Atlantic Diasporas. Jews, Conversos, and Crypto-Jews in the Age of Mercantilism, 1500–1800. Hg. von Richard L. Kagan, Philip D. Morgan. Baltimore 2009, S. 99–120. Trivellato, Francesca: The Familiarity of Strangers. The Sephardic Diaspora, Livorno, and Cross-Cultural Trade in the Early Modern Period. New Haven 2009. Troebst, Stefan: ,,Intermarium“ and ,,Wedding to the Sea“. Politics of History and Mental Mapping in East Central Europe. In: European Review of History/Revue européenne

582

Gedruckte Quellen und Literatur

d’Histoire (Topical issue ,,Geschichtsregionen: Concept and Critique“. Hg. von Stefan Troebst) 10/2 (2003), S. 293–321. Troebst, Stefan: Eine neue Südosteuropa-Konzeption? Der Balkan-Schwarzmeer-KaukasusRaum in politikwissenschaftlicher Sicht. In: Jahrbücher für Geschichte und Kultur Südosteuropas 2 (2000), S. 153–159. Troebst, Stefan: Region und Epoche statt Raum und Zeit – ,,Ostmitteleuropa“ als prototypische geschichtsregionale Konzeption. In: Themenportal Europäische Geschichte (2006). Troha, Nevenka: Befreiung oder Okkupation, nationale Befreiung oder Revolution. Das Küstenland und Triest im Jahre 1945. In: Zeitgeschichte 1 (2000), S. 22–39. Twain, Mark: Life on the Mississippi. In: ders.: Mississippi Writings. New York 1982. Uhlirz, Karl, Mathilde Uhlirz: Handbuch der Geschichte Österreich-Ungarns. 2., neubearb. Aufl. Graz usw. 1963. Uhlirz, Karl, Mathilde Uhlirz: Handbuch der Geschichte Österreichs und seiner Nachbarländer Böhmen und Ungarn. 4 Bde. Graz usw. 1927–1944. Ulbrich, Claudia: Shulamit und Margarete. Macht, Geschlecht und Religion in einer ländlichen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts. Wien 1999. Ultimieri, Davide: Livorno descritta dai viaggiatori francesi (1494–1836). Livorno 2000. Ursinus, Michael: Čaršija. In: Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Hg. von Edgar Hösch u. a. Wien 2004, S. 162–163. Ursinus, Michael: Sancak. In: Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Hg. von Edgar Hösch u. a. Wien 2004, S. 595–596. Valensi, Lucette: Le Maghreb avant la prise d’Alger (1790–1830). Paris 1969. Van Dülmen, Richard u. a.: Editorial. In: Historische Anthropologie. Kultur, Gesellschaft, Alltag 1 (1993), S. 1–3. Van Dülmen, Richard: Historische Anthropologie. Entwicklung, Probleme, Aufgaben. 2. durchges. Aufl. Köln usw. 2001. Van Dülmen, Richard: Vorbemerkung. In: Volkskultur. Zur Wiederentdeckung des vergessenen Alltags (16.–20. Jahrhundert). Hg. von Richard van Dülmen, Norbert Schindler. Frankfurt a.M. 1984, S. 7–11. Vanja, Christina: Offene Fragen und Perspektiven der Hospitalgeschichte. In: Europäisches Spitalwesen. Institutionelle Fürsorge in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hg. von Martin Scheutz u. a. Wien 2008, S. 19–40. Vasconcelos de Saldanha, António: As Capitanias. O regime senhoral na expansão ultramarina portuguesa. Prefácio de Fédéric Mauro. Funchal 1991. Vassallo, Carmel: The Maltese Entrepreneurial Networks from the Seventeenth Century onwards. A Review of the Work Done so Far. Buenos Aires 2002. Veinstein, Gilles: L’Empire dans sa grandeur (XVIe siècle). In: Histoire de l’Empire ottoman. Hg. von Robert Mantran. Lille 1989, S. 159–226. Vella, Andrew P.: Malta and the Czars. Diplomatic Relations between the Order of St John and Russia, 1697–1802. 2. Aufl. Malta 1972. Velten, Hans Rudolf: Die verbannten Weisen. Zu antiken und humanistischen Diskursen von Macht, Exil und Glück im Lalebuch (1597). In: Daphnis 33 (2004), S. 709–744. Venezia e il Levante fino al secolo XV. Hg. von Agostino Pertusi. Firenze 1973. Venezia e l’Oriente fra tardo Medioevo e Rinascimento. Hg. von Agostino Pertusi. Firenze 1966.

Gedruckte Quellen und Literatur

583

Vergangenheit und Lebenswelt. Soziale Kommunikation, Traditionsbildung und historisches Bewusstsein. Hg. von Hans-Joachim Gehrke u. a. Tübingen 1996. Veríssimo Serrão, Joaquim: Portugal en el mundo. Madrid 1992. Viallon, Marie F.: Venice et la Porte Ottomaine (1453–1566). Un siècle de relations vénétoottomanes de la prise de Constantinople à la mort de Soliman. Paris 1995. Vidakovič-Petrov, Krinka: Kultura španskih Jevreja na jugoslovenkom tlu XVI–XX vek. Sarajevo 1990. Vidal de la Blanche, Paul: Principes de Géographie humaine, publiés d’après les manuscrits de l’auteur par Emmanuel de Martonne, 5. Aufl. Paris 1955. Vierhaus, Rudolf: Die Rekonstruktion historischer Lebenswelten. Probleme moderner Kulturgeschichtsschreibung. In: Wege zu einer neuen Kulturgeschichte. Mit Beiträgen von Rudolf Vierhaus und Roger Chartier. Hg. von Hartmut Lehmann. Göttingen 1995, S. 7– 28. Vigié, Marc u. a.: Les galériens du roi, 1661–1715. Paris 1985. Vinaver, Vuk: O Jevrejima u Dubrovniku u XVIII veku. In: Jevrejski Almanah 1959–1960, S. 65–78. Viñes, José Javier: La sanidad española en el siglo XIX a través de la Junta Provincial de Sanidad de Navarra (1870–1902). Navarra 2006. Vissière, Jean-Louis: Les pères trinitaires et la rédemption des captifs. Cartes postales d’Afrique du Nord. In: La Méditerranée au XVIIIe siècle. Actes du Colloque International tenu à Aix-en-Provence les 4, 5, 6 septembre 1985. Aix-en-Provence 1987, S. 209–216. Vlami, Despina: Commerce and Identity in the Greek Communities: Livorno in the Eighteenth and Nineteenth Centuries. In: Diogenes 177 (1997), S. 73–93 (Ich benutze die Onlineversion: http://www.arts.yorku.ca/hist/tgallant/documents/vlamilivorno.pfd, S. 1– 12, Stand 27.11.2008). Vojinović, Novica: Pravna istorija srpskog naroda od 6. do 21. vijeka. 3. Aufl. Podgorica 2000. Volkov, Shulamit: Die Erfindung einer Tradition. Zur Entstehung des modernen Judentums in Deutschland. München 1992. Von Berg, Ernst: Der Malteserorden und seine Beziehungen zu Russland. Riga 1879. Von der dargestellten Person zum erinnerten Ich. Europäische Selbstzeugnisse als historische Quellen (1500–1850). Hg. von Kaspar von Greyerz u. a. Köln 2001. Von Greyerz, Kaspar: Portuguese conversos on the Upper Rhine and the converso Community of Sixteenth-Century Europe. In: Social History 14/1 (1989), S. 59–82. von Hameln, Glückel: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Aus dem Jüdisch-Deutschen von Bertha Pappenheim. Nachdruck Wien 1910. Weinheim 1994. Von Mettenheim, Ilanga: Die Republik Ragusa. Zur Geschichte des heutigen Dubrovnik, Frankfurt a.M. 1989. Von Obernitz, Wilhelm: Die Balley Brandenburg des Ritterlichen Ordens St. Johannis vom Spital zu Jerusalem. Wesen und Wirken, einst und heute. Rhenania, Düsseldorf 1929. Von Pirch, Otto: Reise in Serbien im Spätherbst 1829. Berlin 1830. Von Winterfeld, Adolf Wilhelm Ernst: Geschichte der Ballei Brandenburg oder des Herrenmeisterthums Sonnenburg des Ritterlichen Ordens St. Johannis vom Spital zu Jerusalem. Osnabrück 1993 (Teilnachdruck der Ausgabe Berlin 1859). Vučo, Nikola: Raspadanje esnafa u Srbiji. Beograd 1954. Vuletić, Aleksandra u. a.: Porodica u Srbiji sredinom 19. veka. Beograd 2002.

584

Gedruckte Quellen und Literatur

Wace, A. J. B., M. S. Thompson: The Nomads of the Balkans an account of life and customs among the Vlachs of northern Pindus. New York 1973. Wagner, Kirsten: Die visuelle Ordnung der Stadt. Das Bild der Stadt bei Kevin Lynch (http:// hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/id=774&type=diskussionen). Wagner, Michael: Räumliche Mobilität im Lebensverlauf. Eine empirische Untersuchung sozialer Bedingungen der Migration. Stuttgart 1989. Waldenfels, Bernhard: Der Stachel des Fremden. Frankfurt a.M. 1990. Waldenfels, Bernhard: Topographie des Fremden. Frankfurt a.M. 1997 (= Studien zur Phänomenologie des Fremden. Band 1). Walvin, James: Slavery and the Slave Trade: A Short Illustrated History. Jackson 1983. Watson, Adam: The Evolution of International Society. A Comparative Historical Analysis. London, New York 1992. Watzka, Carlos: Vom Hospital zum Krankenhaus. Zum Umgang mit psychisch und somatisch Kranken im frühneuzeitlichen Europa. Köln 2005. Webb, Diana: Pilgrims and Pilgrimage in the Medieval West. London, New York 1999 (= The International Library of Historical Studies). Weber, Klaus: Deutsche Kaufleute im Atlantikhandel 1680–1830. Unternehmen und Familien in Hamburg, Cádiz und Bordeaux. München 2004. Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie. 5. Aufl. Tübingen 1980. Weber, Wolfgang E.J.: Universalgeschichte. In: Aufriss der historischen Wissenschaften. Band 2: Räume. Hg. von Michael Maurer. Stuttgart 2001, S. 15–98. Wege der Kommunikation in der Geschichte Osteuropas. Carsten Goehrke zum 65. Geburtstag. Hg. von Nada Boškovska u. a. Köln usw. 2002. Wehler, Hans-Ulrich: Alltagsgeschichte. Königsweg zu neuen Ufern oder Irrgarten der Illusionen? In: ders.: Aus der Geschichte lernen? München 1988, S. 130–151. Wehler, Hans-Ulrich: Transnationale Geschichte – Der neue Königsweg historischer Forschung? In: Transnationale Geschichte. Themen, Tendenzen und Theorien. Hg. von Gunilla Budde u. a. Göttingen 2006, S. 161–174. Wehler, Hans-Ulrich: Was ist Gesellschaftsgeschichte? In: Hans-Ulrich Wehler: Aus der Geschichte lernen? München 1988, S. 115–129. Weigand, Gustav: Die Aromunen. Ethnographisch-philologisch-historische Untersuchungen über das Volk der sog. Makedo-Romanen oder Zinzaren. Leipzig 1894–1895. Weigl, Andreas: Migration und Integration. Innsbruck 2006. Weithmann, Michael W.: Balkan-Chronik. 2000 Jahre zwischen Orient und Okzident. Regensburg 1995. Wendorff, Rudolf: Tag und Woche, Monat und Jahr. Eine Kulturgeschichte des Kalenders. Opladen 1993. Werblowsky, R.J. Zwi: Von Translatio zu Traditio. In: Tradition und Translation. Zum Problem der interkulturellen Übersetzbarkeit religiöser Phänomene. Festschrift für Carsten Colpe zum 65. Geburtstag. Hg. von Christoph Elsas u. a. Berlin, New York 1994, S. 488– 492. Werlen, Benno: Andere Zeiten – Andere Räume. Zur Geographie der Globalisierung. In: Denken des Raums in Zeiten der Globalisierung. Hg. von Michaela Ott, Elke Uhl. Münster 2005, S. 57–72.

Gedruckte Quellen und Literatur

585

Werner, Michael, Bénédicte Zimmermann: Beyond Comparison. Histoire croisée and the Challenge of Reflexivity. In: History and Theory 45 (2006), S. 30–50. Werner, Michael, Bénédicte Zimmermann: Penser l’histoire croisée: entre empirie et réflexivité. In: De la comparaison à l’histoire croisée. Hg. von Dies. Paris 2004 (= Le genre humain. Band 42), S. 15–49. Werner, Michael, Bénédicte Zimmermann: Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz der ,,Histoire croisée“ und die Herausforderung des Transnationalen. In: GG 28/4 (2002), S. 607–636. Western Medical Thought from Antiquity to the Middle Ages. Hg. von Mirko Dražen Grmek. Cambridge, MA 1998. White, Harrison: Identity and Control. A Structural Theory of Social Action. Princeton 1992. White, Harrison: Markets from Networks. Socioeconomic Models of Production. Princeton 2002. White, Paul u. a.: The Geographical Impact of Migration. London 1980. Wiechmann, Ralf: Klaus Störtebecker. Ein Mythos wird entschlüsselt. Paderborn, München 2003. Wiese, Leopold von: Soziologie. Geschichte und Hauptprobleme. 8. Aufl. Berlin 1967. Wilderotter, Hans: ,,Alle dachten, das Ende der Welt sei gekommen“. Vierhundert Jahre Pest in Europa. In: Das große Sterben. Seuchen machen Geschichte. Hg. von Hans Wilderotter, Michael Dorrmann. Berlin 1995, S. 12–53. Wilke, Carsten: Jüdisch-christliche Doppelleben im Barock. Frankfurt a.M. 1994. Willeitner, Joachim: Libyen. Tripolitanien, Syrtebogen, Fezzan und die Kyrenaika. Köln 2001. Williams, Glyndwr: Buccaneers, Explorers and Settlers. British Enterprise and Encounters in the Pacific, 1670–1800. Aldershot 2005. Windler, Christian: Diplomatic History as a Field for Cultural Analysis: Muslim-Christian Relations in Tunis, 1700–1840. In: The Historical Journal 44 (2001), S. 79–106. Windler, Christian: La Diplomatie comme expérience de l’Autre. Consuls Français au Maghreb (1700–1840). Genf 2002. Windler, Christian: Plurale Identitäten: Französische Staatsangehörigkeit in mediterranen Diasporasituationen. In: Saeculum 55 (2004), S. 97–131. Windler, Christian: Representing a State in a Segmentary Society: French Consuls in Tunis from the Ancien Régime to the Restoration. In: Journal of Modern History 73 (2001), S. 233– 274. Winkle, Stefan: Geisseln der Menschheit. Kulturgeschichte der Seuchen. 3. Aufl. Düsseldorf 2005. Wirz, Albert: Für eine transnationale Geschichtsschreibung. In: GG 3 (2001), S. 489–498. Wirz, Albert: Sklaverei und kapitalistisches Weltsystem. Frankfurt a.M. 1984. Wischnitzer, Mark: To Dwell in Safety. The Story of Jewish Migration since 1800. Philadelphia 1948. Witt, Jann W.: ,,Master Next God?” The Merchant Captain from the 17th to the 19th Century. In: The Sea in European History. Hg. von Luc François, Ann Katherine Isaacs. Pisa 2001, S. 237–249. Witt, Jann W.: Master Next God? Der nordeuropäische Handelsschiffskapitän vom 17. bis zum 19. Jahrhundert. Hamburg 2001.

586

Gedruckte Quellen und Literatur

Wittich, Alexander: Erinnerungen an Lissabon. Ein Gemälde der Stadt nebst Schilderungen portugiesischer Zustände, Bestrebungen und Fortschritte der neusten Zeit (1843). In: Lissabon. Ein literarisches Porträt. Hg. von Ellen Heinemann. Frankfurt a.M. 1997, S. 316– 318. Wolf, John B.: The Barbary Coast. Algiers under the Turks 1500 to 1830. New York 1979. Wolf, Lucien: Report on the ,,Marranos“ or Crypto-Jews of Portugal. London 1926. Wolff, Larry: Inventing Eastern Europe. The Map of Civilization on the Mind of Enlightenment. Stanford, Calif. 1994. Wolff, Larry: Venice and the Slavs. The Discovery of Dalmatia in the Age of Enlightenment. Stanford, Calif. 2001. Woolf, Greg: A Sea of Faith? In: Mediterranean Historical Review 18 (2003), S. 126–143. Wulf, Christoph: Die Kultur des Rituals. Inszenierungen – Kulturelle Praktiken – Symbole. München 2004. Wyrwa, Ulrich: Juden in der Toskana und in Preussen im Vergleich. Aufklärung und Emanzipation in Florenz, Livorno, Berlin und Königsberg i. Pr. Tübingen 2003. Yerushalmi, Yosef Hayim: Zachor: Erinnere Dich! Jüdische Geschichte und jüdisches Gedächtnis. Berlin 1988. Young, Adam J.: Contemporary Maritime Piracy in Southeast Asia. History, Causes and Remedies. Singapore, Leiden 2007. Zachariadou, Elizabeth: Monks and Sailors under the Ottoman Sultans. In: Oriente Moderno 19/1 (2001), S. 139–147. Zazzu, Guido Nathan: Sepharad addio. 1492: I profughi ebrei dalla Spagna al ,,ghetto“ di Genova. Genova 1991. Zbornik. Studije i građa o jevrejima Dubrovnika 1 (1971). Zdavković, Ivan: Srednovekovni gradovi u Srbiji, Beograd 1970. Zekiyan, Levon B.: Les colonies arméniennes, des origines à la fin du XVIII siècle. In: Histoire du peuple arménien. Hg. von Gérard Dédéyan. Toulouse 2007, S. 425–446. Zernack, Klaus: Osteuropa. Eine Einführung in seine Geschichte. München 1977. Zima, Peter V.: Die Dekonstruktion. Einführung und Kritik. Tübingen, Basel 1994. Zimmerling, Dieter: Störtebeker & Co.: Die Blütezeit der Seeräuber in Nord- und Ostsee. Verlag Die Hanse, Hamburg 2000. Zink, Anne: L’indifférence à la différence. Les forains dans la France du Sud-Ouest. In: Annales 43/1 (1988), S. 149–172. Živeti u Beogradu – 1837–1841 Dokumenta uprave grada Beograda. Hg. von Istoričeski Arhiv Beograda und Branka Prpa. 5 Bde. Beograd 2003f. Žižek, Slavoj: Die politische Suspension des Ethischen. Frankfurt a.M. 2005. Žižek, Slavoj: The Sublime Object of Ideology. London 1994. Zlatar, Zdenko: Between the Double Eagle and the Crescent. The Republic of Dubrovnik and the Origins of the Eastern Question. New York 1992. Zöllner, Erich: Geschichte Österreichs von den Anfängen bis zur Gegenwart. 8. Aufl. Wien 1990. Zysberg, André: Les galériens: Vies et destins de 60 000 forçats sur les galères de France 1680–1748. Paris 1987.

Lexika, Nachschlagewerke und Bibliographien Bernsdorf, Wilhelm: Wörterbuch der Soziologie. Stuttgart 1969. Brockhaus – Die Enzyklopädie in 24 Bänden. 20., überarb. und aktualisierte Aufl. Leipzig, Mannheim 1996–1999. Conversationslexikon oder encyclopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände. 7 Bde. Leipzig und Altenburg 1814–1918. Diccionario Enciclopédico da História de Portugal. 2 Bde. Lisboa 1985. Die Nationalitäten des Russischen Reiches in der Volkszählung von 1897. Hg. von Henning Bauer u. a. Stuttgart 1991 (= Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa. Band 32 B). Duden. 12 Bde. Band 7: Das Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache. Die Geschichte der deutschen Wörter bis zur Gegenwart. Mannheim 2001. Duden. 12 Bde. Band 5: Das Fremdwörterbuch. Mannheim 2005. Edelheit, Abraham J., Hershel Edelheit: The Jewish World in Modern Times. A Selected, Annotated Bibliography. Boulder, Colorado, London 1988. Enciclopedia Italiana di Scienze, Lettere ed Arti. Hg. vom Istituto della Enciclopedia Italiana fondata da Giovanni Treccani. 86 Bde. Roma 1929–1937. Encyclopaedia Judaica (Second Edition, Volume 2). Hg. von Fred Skolnik. Detroit 2007. Encyclopaedia Judaica. 16 Bde. Jerusalem 1971. Encyclopédie de l’Islam. Nouvelle Édition, établie avec le concours des principaux orientalistes. 10 Bde. Hg. von C.E. Bosworth, u. a. Leiden, Paris 1954–1998. Enzyklopädie. Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Hg. von Klaus J. Bade u. a. Zürich 2007. Enzyklopädie des Islam. Geographisches, ethnographisches und biographisches Wörterbuch der muhammedanischen Völker. Hg. von M. Th. Houtsma und A. Schade. Leiden 1913–1938. Grimm, Jacob und Wilhelm: Deutsches Wörterbuch. 16 Bde. Leipzig 1854–1914. Haberkern, Eugen, Joseph Friedrich Wallach: Hilfswörterbuch für Historiker. Mittelalter und Neuzeit. 2. Aufl. Bern, München 1964. Handbuch der Geschichte Russlands. 3 Bde. Hg. von Manfred Hellmann u. a. Stuttgart 1976–2004. Handbuch des Seerechts. Hg. von Wolfgang Graf Vitzthum. München 2006. Handwörterbuch Psychologie. Hg. von Roland Asanger, Gerd Wenninger. 4. Aufl. München, Weinheim 1988. Hartfiel, Günter: Wörterbuch der Soziologie. Stuttgart 1972. Jakić, Blanka, Antun Hurm: Hrvatsko-njemaćki rjećnik s gramatićkim podacima i frazeologijom. Zagreb 2004. Jüdisches Lexikon. Ein enzyklopädisches Handbuch des jüdischen Wissens in vier Bänden. 2. Aufl. Nachdruck der 1. Aufl., Berlin 1927. Hg. von Georg Herlitz, Bruno Kirschner. Frankfurt a.M. 1987. Lexikon des Mittelalters. Band 3. München 2002.

588

Lexika, Nachschlagewerke und Bibliographien

Lexikon zur Geschichte der Kartographie von den Anfängen bis zum ersten Weltkrieg. 2 Bde. Hg. von Ingrid Kretschmer u. a. Wien 1986. Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Hg. von Edgar Hösch u. a. Wien 2004. Literatura o evrejach na russkom jazyke 1890–1947. Knigi, brošjury, ottiski statej. Bibliografičeskij ukazatel’. Hg. von Rossijskaja Nacional’naja Biblioteka, Peterburgskij Evrejskij Universitet. Sankt-Peterburg 1995. Meyers Enzyklopädisches Lexikon in 25 Bänden. 9., völlig neu bearb. Aufl. Mannheim usw. 1971–1979. Niermeyer, J.F., C. van de Kieff: Mediae Latinitatis Lexicon Minus. 2. überarb. Aufl. 2 Bde. Leiden 2002. Österreich Lexikon. 2 Bde. Hg. von Richard Bamberger, Franz Maier-Bruck. Wien, München 1965–1967. Pavlovskij, Ivan Jakovlevič: Polnyj russko-nemeckij slovar’. Riga 1859. Psychologie-Lexikon. Hg. von Uwe Tewes, Klaus Wildgrube. München, Wien 1992. Putzger, F.W.: Historischer Atlas zur Welt- und Schweizer Geschichte. 8. Aufl. Aarau, Lausanne 1968. Rezasco, Giulio: Dizionario del Linguaggio Italiano storico ed amministrativo. Nachdruck der Ausgabe Firenze 1881. Bologna 1966. Scheuch, Manfred: Historischer Atlas Österreich. Wien 1994. Shunami, Shlomo: Bibliography of Jewish Bibliographies. Jerusalem 1936. The Encyclopaedia Britannica. 32 Bde. 12. Aufl. Cambridge usw. 1910–1927. The Encyclopedic Dictionary of Psychology. Hg. von Tom Harré, Roger Lamb. Oxford 1983.

Die Autorinnen und Autoren Ivo Haag studierte Geschichte und Slavistik in Fribourg, Patrick Krebs in Bern Geschichte, Staatsrecht und Islamwissenschaft, Luise Müller Soziologie, Geschichte und Rechtswissenschaften in Göttingen. Marcel Gosteli studiert an der Universität Bern Geschichte und Archäologie. Ivo Haag, Patrick Krebs und Luise Müller begleiteten das Projekt als Doktoranden von 2005 bis 2007 bzw. von 2006 bis 2010, Marcel Gosteli als Hilfsassistent von 2008 bis 2010. Desanka Schwara war u. a. wissenschaftliche Mitarbeiterin am Simon-Dubnow-Institut an der Universität Leipzig, Visiting Professor an der University of Illinois und ist derzeit Privatdozentin für Neuere Allgemeine Geschichte an der Universität Basel. Das Buch ,,Kaufleute, Seefahrer und Piraten im Mittelmeerraum der Neuzeit“ ist während ihrer SNF-Förderungsprofessur an der Universität Bern (2005–2010) entstanden. Sie hat zahlreiche Studien zur Geschichte der Migration, zur Kommunikation und zu transnationalen und kulturhistorischen Phänomenen veröffentlicht.

Register

Akkulturation 256 Assimilation 100, 256, 422 Bagno 73, 130 Barbaresken 130, 405f., 409–412, 419, 423f. baždar 170 Berbería / Barbaria 331f., 358 Bey 391f., 423, 429, 441–443, 448–451, 454, 458–461 Bogumilen 158 British Factory 55, 106, 280, 304, 337, 351, 444 Bruderschaft 92f., 95f., 107, 132, 162f., 167, 183, 225, 242, 280, 288, 306, 311, 498 Chevrot 444 Città franca 48 Contribution Funds 306 Corsarios insurgentes 352f. Cultural geography 147 Devşirme 158, 195f. Divan 441 Djimmi / dhimmi 158, 170, 190, 239 Emin 164, 166 Empfänglichkeit 230 Erdbeben 58, 87, 89, 141, 151, 165–167, 236, 239 Expansion 54f., 152, 273, 292, 401, 405, 474 Fischer 52, 72, 193, 245, 295, 371–375, 383, 386, 426 Fondaco siehe Karawanserei Ghetto 118, 139, 166f., 215, 230 Gibraltar 38f., 54, 105, 116, 126f., 266, 312–314, 317, 320, 329, 332, 334, 347, 353, 363, 367f., 386, 430, 451, 460 Glück 33, 47, 56, 64, 68, 121, 125, 143f., 207, 485

Governatore 55, 104, 129, 131 Großpriorat siehe Kommende Guarda Mór 342 Habitus 21, 30–32, 144, 255f., 258, 484f., 487f., 492, 496, 498 Han siehe Karawanserei Hane 169, 171f. Hodža 205 Jolly Roger 417 Junta de Sanidad / Junta da Saúde 309, 318f., 323, 329, 336, 342, 346, 354–356, 358–360, 362, 364, 366–368, 378–380 Kaper 40f., 43, 54, 350f., 353, 356, 397, 405–414, 417, 423f., 429, 447–451, 453– 457, 461, 463, 471f., 474, 477 Kapital 27, 30, 59, 62, 70, 123, 142, 144, 164, 175, 198, 485, 488, 491f., 496 Karawanserei 52, 60, 101, 168–173, 175, 180, 183, 216 Karibik 115, 273, 407f., 411, 418, 423 Knabenlese siehe Devşirme Kolonialhandel 280 Kommende 395, 401 Konsul 17, 74, 97f., 104f., 109, 111–115, 125, 127–131, 138f., 230, 233, 284, 291, 294, 304, 306–308, 314, 317–319, 322– 324, 335, 341, 354, 358, 424, 428f., 437, 439–447, 449–451, 454, 460–462, 472 Korfu 81, 246, 334, 432–435, 437, 444 Küçük Kaynarca 43, 298, 400, 427 Lampedusa 435f., 440 Lingua franca 90, 172, 320, 322, 324, 326, 431 Livornina 47f., 59, 63–70, 107f., 116, 121f., 124, 126f., 132, 139, 141, 488 Loggia dei Mercanti 56, 71 Loyalität 188, 205, 219, 258, 392f., 397f., 406, 414–416, 419, 423, 426, 437, 439, 467f., 474, 477

592

Register

Maghreb 39, 265, 301, 308, 326, 330f., 336, 348, 351, 356–358, 360, 362, 385f., 410, 425 Mahala / mahalle 168–174 Mahón 329, 331f., 345, 348 Mare Liberum 428 Margins / Randzone 239, 484 Massari 66, 68, 116, 124, 128 Mentalität 21, 30, 102, 258, 288, 312 Messalianer 158 Millet 90, 152, 189f. Misericórdia 107, 304 Mixture 20 Monti di pietà 488 Muezzin 182, 205

Provedor Mór

342

Reconquista 17, 38f., 51, 141, 405, 425 Registo (de entrada) 371f. Risorgimento 47

Nation / nazione 33, 56, 66, 86, 117, 126– 131, 443f., 468, 498 Netzwerke / networks 18, 22, 25–29, 31, 35, 59, 61f., 79, 82–84, 141, 148, 177, 179, 277, 281f., 288, 387, 419, 438, 468, 483, 485–489, 497

Sandžak-bey 170, 178 Schmutziges Lazarett 329, 332, 348 Schwarzer Tod 84, 102f., 121, 162, 207, 222, 224–226, 229–242, 244f., 247–251, 267f., 272–275, 308f., 327–337, 347f., 355, 358, 360, 364f., 435–440 Seuchenkordon 246, 271, 274, 308f., 347f., 386 Sklavenmarkt 400, 420–423 Sklaverei 21, 113, 130, 197, 216, 406, 412, 414, 421f., 424, 426, 429, 431, 462f., 497 Spatial turn 147 Sprava 196 Sucio / schmutzig 71, 138, 248, 329, 331 Sündenbock 287

Omarvertrag

Tagelöhner

190

Palästina 234, 471 Paulikianer 158 Pest siehe Schwarzer Tod Pforte 53, 149, 151, 157, 166, 185, 191, 284, 308, 324, 426 Pidgin 78, 320, 324 Porto franco 47, 89, 106, 468 Pratica / Platica / Practica 375, 377

86, 193, 277, 279, 346

Universitas siehe Nation / nazione Visita

322, 337, 354, 358, 366, 381, 444

Waldenser

115

Yeniçeri / Janitscharen

150, 426