Methodik im Diskurs 2: Der Zusammenhang von Gattungs- und Traditionskritik [1 ed.] 9783788733612, 9783788733599


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Methodik im Diskurs 2: Der Zusammenhang von Gattungs- und Traditionskritik [1 ed.]
 9783788733612, 9783788733599

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BIBLISCH-THEOLOGISCHE STUDIEN 180

Raik Heckl / Thomas Wagner (Hg.)

Methodik im Diskurs 2 Der Zusammenhang von Gattungs- und Traditionskritik

Biblisch-Theologische Studien Herausgegeben von Jörg Frey, Friedhelm Hartenstein, Bernd Janowski und Matthias Konradt Band 180

Raik Heckl / Thomas Wagner (Hg.)

Methodik im Diskurs 2 Der Zusammenhang von Gattungs- und Traditionskritik

Mit Beiträgen von F.-E. Focken, E. S. Gerstenberger, R. Heckl, M. Hopf, Th. Wagner und A. E. Zernecke

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sindurheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 0930-4800 ISBN 978-3-7887-3361-2

Vorwort

In diesem Band gehen wir weiter dem Ziel einer Synthese klassisch philologischer und neuzeitlich literaturwissenschaftlicher Konzepte nach, um das Verstehen alttestamentlicher Texte zu befördern, wie es im ersten Band der Reihe „Methodik im Diskurs“ begonnen wurde. Es sind nun Beiträge versammelt, die während des EABS Congress Leuven 2016 im Rahmen der Session der 2015 gegründeten Research Unit Developing Exegetical Methods vorgetragen wurden. Die Research Unit befasste sich insgesamt mit einer Präzisierung der Rekonstruktion der Literaturgeschichte von alttestamentlichen Texten. Dabei wurde in den Jahren 2015–2018 die Suche nach Synergieeffekten durch die Korrelation von jeweils zwei methodischen Perspektiven auf die alttestamentlichen Schriften das Zentrum gerückt. Dieser Band präsentiert nun Ergebnisse zur Verbindung von Gattungskritik und Traditionsgeschichte. Die methodischen Reflexionen, die jedem Beitrag vorausgestellt sind, werden im Anschluss jeweils an Textbespiele erläutert. Die Studien Herrmann Gunkels zur Form- und Gattungsgeschichte bilden spannenderweise für alle Beiträge den entscheidenden Bezugspunkt. Der Pluralität der alttestamentlichen Schriften und der Geschichte ihrer literarischen Genese entsprechend, werden Gunkels Ansätze in unterschiedliche Richtungen weiterentwickelt. Im Zusammenspiel aller Beiträge wird das Potenzial einer Verbindung philologischer und literaturwissenschaftlicher Methodik deutlich. Die theoretische Entfaltung der Methodik und die Textanalysen erfolgen jeweils reziprok. Dies entspricht einer idealen Verbindung von Reflexion und methodischer Analyse alttestamentlicher Texte. Unter dem Titel „Zwischen Nachahmung und Variation“ wird der Band mit einem Beitrag von Raik Heckl

VI9RUZRUW eingeleitet, in dem er sich mit der Ausbildung von Textsorten (Gattungen) auf Basis neuester literaturwissenschaftlicher Studien zur Ausbildung von Textsorten, ihrer Wirkung auf die Kommunikation sowie Vertextungsmustern in Bezug auf die Ausbildung literarischer Gattung, wie sie sich in den Texten des Alten Testaments finden, auseinandersetzt. Erhard S. Gerstenberger präsentiert in seinem Beitrag den Ansatz des New Form Criticism, wie er von Gene Tucker und Rolf Knierim ausgebildet wurde. Bezogen auf diesen Ansatz entwickelt er eine eigene Zielsetzung und wendet sie auf Ps 55 an. In Korrelation typischer altorientalischer Gebete / gebetsartiger Texte und der spezifischen Form von Ps 55 sieht er einen schamanischen Ursprung für den Psalm. Sein Sitz im Leben sei aus dem Kontext des nachexilischen Priestertums nicht zu erklären, so dass die Formmerkmale auf ihre ursprüngliche Verwendung hin gedeutet werden müssten, um die Entstehung des Textes sichtbar werden zu lassen. Ein weiterer Psalm wird im dritten Beitrag bedacht: Anna Eliese Zernecke betrachtet mit Ps 92 einen in der Forschung eher selten analysierten Text. Dieser weist Merkmale (Wortpaare, formelhafte Wendungen) auf, die sich verbunden mit vergleichbaren Inhalten auch in Hand-erhebungsgebeten aus Ugarit und Mesopotamien nachweisen lassen. So zeigt sie, dass rituelle Performanz und sprachliche Merkmale einander entsprechen und auf eine spezifische kultische Verwendung hindeuten. Zu einer eigenständigen Kategorie der Gattungskritik erhebt Matthias Hopf die Performanz. Als PerformanzTexte bezeichnet er solche, die eine dramatische Grundstruktur aufweisen und damit über Lexis, Opsis und Plot verfügen. Die Anwendung dieses Ansatzes vollzieht er an Hld 1,12–2,3a; Jon 2,3–10 und Ps 13 nach. Mit der Bedeutung literarischer Abhängigkeit und den sich auf diese Weise ausprägenden Gattungen setzt sich Friedrich-Emanuel Focken anhand des Berufungsberichts Ezechiels in Ez 1–3 in seinen Bezügen zu Jes 6 und Jer 1 auseinander.

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Die Sammlung wird durch einen Beitrag von Thomas Wagner abgeschlossen. Darin nimmt er ein Spiel von architektonischer und literarischer Form, wie es in Ez 41,5– 7 vorliegt, zum Anlass, über die Aussagekraft von Formen für die Rezeption von Bildern und Texten nachzudenken. Auf diese Weise setzt der Band den auf dem EABS Congress 2016 begonnen Diskurs über die Weiterentwicklung form- und gattungskritischer Perspektiven auf die alttestamentlichen Texte fort und lädt zur Diskussion ein. Alle am Thema Interessierten sind weiter herzlich eingeladen, am Diskurs im Rahmen der EABS-Research Unit in den kommenden Jahren teilzunehmen. Unser besonderer Dank geht an dieser Stelle nicht nur an alle Beitragenden, sondern auch an die Verantwortlichen der EABS, namentlich Frau Dr. Dominika Kurek-Chomycz und Frau Sarah Whitear. Ebenfalls möchten wir den Herausgebern der Biblisch-Theologischen Studien, Herrn Prof. Dr. Bernd Janowski und Herrn Prof. Dr. Friedhelm Hartstein für die Aufnahme in die Reihe sowie Frau Dr. Elisabeth Hernitscheck für die sachkundige Betreuung durch den Verlag ganz herzlich danken. Leipzig / Wuppertal, im Januar 2019 Raik Heckl und Thomas Wagner

Inhalt

Vorwort………………………………………………... V Raik Heckl Zwischen Nachahmung und Variation. Literarische Gattungen (Textsorten) in der Kommunikation und ihre Berücksichtigung in der Exegese alttestamentlicher Texte…………………………………………………… 1 Erhard S. Gerstenberger Ps 55 and New Form Criticism………………………... 26 Anna Elise Zernecke Die „Fernbeziehungen“ von Ps 92. Zufall, Zitat oder formelhafte Sprache?..................................................... 44 Matthias Hopf Performanz als Kategorie der Gattungskritik…………. 61 Friedrich-Emanuel Focken Ezekiel’s Call Narrative as Introduction to the Book of Ezekiel. Observations on the Development of Genre Criticism……………………………………….. 83 Thomas Wagner Formenspiel. Zum Zusammenhang von literarischer und architektonischer Form in Ez 41,5–7……………. 117 Register……………………………………………… 144 Autorinnen und Autoren…………………………….. 150

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Zwischen Nachahmung und Variation Literarische Gattungen (Textsorten) in der Kommunikation und ihre Berücksichtigung in der Exegese alttestamentlicher Texte

Hermann Gunkel sah die literar- und quellenkritisch geprägte Exegese seiner Zeit in einer verfahrenen Situation. Weit seiner Zeit voraus, bemängelte er, dass man bis dato „kein näheres Verhältnis zum Text bekommen“1 habe. Gunkel empfahl als exegetische Alternativen die Gattungsforschung und die Stoffgeschichte, aus der sich später die Traditionskritik entwickelte.2 Tatsächlich sind die 1

Gunkel, Ziele und Methoden, 12. Er bezieht sich vor allem auf die Rekonstruktion von kleinteiligen Redaktionen, bei denen ‚der Text selbst zurückbleibe‘. Vgl. ebd., 11f. 2 Vgl. Gunkel, Jesaia 33, 185. Dass er das, was die aktuelle Exegese in der Traditionsgeschichte und dem religionsgeschichtlichen Vergleich thematisiert, im Blick hatte, zeigt sich in seinem Verweis auf die Hilfsmittel für die Aufarbeitung des Stoffes im Nachwort der zweiten Auflage seines Artikels zur israelitischen Literatur. Siehe Gunkel, Die israelitische Literatur, 105f. Er nennt neben den Textsammlungen A. Jeremias’ „Handbuch altorientalischen Geisteskultur“ und die Auswertung der Palästinaarchäologie. Vgl. auch Greßmann, Aufgaben, 28; H. Barth und O.H. Steck gingen in der ersten Auflage ihres Methodenbuches auf den Zusammenhang von Stoff- und Traditionsgeschichte ein. Vgl. Barth/Steck, Exegese, 76f. Knauf, Archeology, 605, setzte in seinem methodenkritischen Artikel zum Hexateuch Stoffe und Traditionen gleich, ohne auf Gunkel, Greßmann oder Barth/Steck zu verweisen und forderte, als Alternative zur Traditionskritik eine Art von Stoffkri-

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beiden von Gunkel vorgeschlagenen Innovationen heute aus der alttestamentlichen Exegese nicht mehr wegzudenken. Traditions- und Gattungskritik sind wichtige methodische Errungenschaften der Bibelexegese des 20. Jh.s, während die bis heute ebenfalls praktizierte sog. höhere Kritik (Literarkritik) schon in der frühen Neuzeit aus dem Instrumentarium der klassischen Philologie übernommen wurde. Mit Gunkels Namen sind heute allerdings vor allem die Form- bzw. die Gattungskritik verbunden. In diesem Beitrag geht es darum, sie in einen Bezug zur aktuellen Textsortenlinguistik zu stellen. Außerdem geht es um die Frage, wo der geeignete Ort der Rückfrage nach Gattungen in der alttestamentlichen Exegese ist. Interdisziplinarität scheitert mitunter an der Begrifflichkeit. Im Folgenden wird aus forschungsgeschichtlichen Gründen der Begriff „Gattung“ verwendet. Er kann synonym zu dem Begriff Textsorte aus der Textlinguistik gebraucht werden. Dies verdeutlicht, dass die Bibelexegese nicht losgelöst von den sprach- und kulturübergreifenden Erwägungen der modernen Textlinguistik arbeiten kann.3 Da literarische und nichtliterarische Textsorten zu unterscheiden sind, wird vor allem bei literarischen Textsorten in der Regel von „Gattungen“ gesprochen.4 Im Alten Testament sind darüber hinaus auch mündliche Textsorten bspw. in Zitationen direkter Reden anzutreffen. Beim Verweis auf sie wird der Begriff Gattung vermieden.

tik „content criticism“. Als Innovation sah er dabei an, textexterne Bezüge aus der Archäologie und Umwelt zu berücksichtigen (vgl. ebd., 605f.). Doch muss beides in jeder Traditionskritik eine Rolle zu spielen. Mit der Rückfrage nach dem Stoff der Hexateuchüberlieferung hat Knauf eher eine Art von Überlieferungskritik im Blick, um über die literarkritisch erreichbaren Vorstufen weiter zurückfragen zu können. 3 Diese Aussage gilt insbesondere für die Einführung in die exegetische Methodik. Zur überdisziplinären Bedeutung der Textsortenlinguistik vgl. Fix, Textsortenwissen, die die Textlinguistik als „‚Hilfswissenschaft‘ für alle mit Text befassten Fächer“ (ebd., 28) aussieht. 4 Zum Sprachgebrauch in der Sprachwissenschaft vgl. Adamzik, Textlinguistik, 98.

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1 Zu Gunkels Ansatz und zu seiner Rezeption in der Forschung5 Gunkel hat seine methodischen Innovationen systematisierend in einer neuen Art von Literaturgeschichte zusammengeführt. Es ging ihm dabei vor allem um die Diachronie der überindividuellen Aspekte. „Demnach hat es die Literaturgeschichte Israels, wenn sie ihrem Stoff gerecht wird, zunächst weniger mit den Schriftstellerpersonen zu tun – wenngleich auch diese an ihrem Ort ihr Recht bekommen sollen –, sondern mehr mit dem Typischen, das dem Individuellen zugrunde liegt, d.h. mit der schriftstellerischen Gattung.“6

Im Unterschied zur Literargeschichte, die der Diachronie der Texte und Bücher nachgeht, ist bei der Literaturgeschichte nach Gunkel somit die Frage nach den Gattungen zentral. Nach H. Greßmann gilt das auch in methodischer Hinsicht. Interpretation und Literarkritik müssten seiner Ansicht nach die Gattungsfrage berücksichtigen: „Die Antwort auf die Frage nach den literarischen Einheiten, ohne deren Beherrschung man weder mit Sicherheit erklären noch Fremdkörper ausscheiden kann, muß überall verschieden lauten, je nach Art der Gattung.“7

Es ist deutlich, dass Gunkel tatsächlich nichts Geringeres als einen exegetischen Paradigmenwechsel im Sinn hatte. Er nahm an, dass jedem Einzeltext eine Gattung zugrunde liegt, die in der exegetischen Analyse identifiziert werden könne, wobei ihr Ursprung in der Vorgeschichte der literarischen Texte gesehen werden konnte. 5

Zu Gunkels Biographie vgl. Hammann, Herrmann Gunkel. Es ist bezeichnend, wie knapp Gunkels methodische Konzepte in den Überblicken zur Forschung in der zweiten Hälfte des 20. Jh. behandelt werden. Nach Kraus, Geschichte, 362, sei Gunkels Konzept für die Hermeneutik relevant gewesen, obwohl es ihm um eine Neubesinnung der exegetischen Methodik ging. Bei Smend, Alttestamentler, 160ff., wird ausschließlich die Gattungsgeschichte erwähnt. 6 Gunkel, Grundprobleme, 31. 7 Greßmann, Aufgaben, 25.

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„Jede alte literarische Gattung hat ursprünglich ihren Sitz im Volksleben Israels an ganz bestimmter Stelle. Wie noch heute die Predigt auf die Kanzel gehört, das Märchen aber den Kindern erzählt wird, so singen im alten Israel die Mädchen das Siegeslied dem einziehenden Heere entgegen...“8

Gunkel hielt die Freiheit der Autoren den z.T. vorliterarischen Gattungen gegenüber für relativ begrenzt. „In der Antike aber ist die Person, auch die des Schriftstellers, bei weitem weniger individuell entwickelt: die Psalmen z.B. stimmen in einem sehr großen Teil untereinander aufs stärkste überein; häufig finden wir in ihnen dieselben Gedanken, Stimmungen, Ausdrucksformen, Bilder, rhetorische Figuren ja Worte.“9

Auf die große Bedeutung der Gattungen war Gunkel bei seiner exegetischen Arbeit gestoßen. Das ist der Grund, warum er anstelle einer festen Definition Kennzeichen aufzählt, an denen sich Gattungen feststellen lassen: „an einem gemeinsamen Schatz von Gedanken und Stimmungen […] an einer herkömmlichen Formensprache […]“ und einem „‚Sitz im Leben‘ des Volkes“10. Dieser analytische Zugang zur Methodik der Gattungskritik stellt – wie sich zeigen wird – heute einen Ansatzpunkt für interdisziplinäre Überlegungen dar. Allerdings haben sich die Hoffnungen Gunkels und seiner Gefolgsleute auf eine Neuorientierung der Exegese am Anfang des 20. Jh.s zunächst nicht erfüllt. Sowohl die Frage nach den Gattungen, als auch die Suche nach den Traditionen wurden der philologischen Methodik später in der Regel untergeordnet und in der Exegese über Generationen nur eingeschränkt berücksichtigt. Der Weg der Forschung, der dazu führte, dass die Gattungsfrage an den Rand der Exegese gedrängt wurde, hat möglicherweise auch damit zu tun, dass Gunkel in der Analysepraxis – Gunkel hatte seine Schwerpunkte ja bei den Psalmen und 8

Gunkel, Grundprobleme, 33. Gunkel, Grundprobleme, 31; vgl. Gunkel, Literaturgeschichte, 1192. Siehe dazu das Zitat unten, Anm. 11. 10 Gunkel, Jesaia 33, 182f. 9

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der Genesis – zwar Gattungen überzeugend voneinander abgrenzen konnte, er aber erst relativ spät die genannten allgemeinen Kennzeichen einer Gattung formulierte.11 Einen Beitrag wird auch Gunkels besonderes Interesse am vorliterarischen Ursprung der Gattungen und an den kleinsten mündlich überlieferten Einheiten geleistet haben. Besonders die neutestamentliche Forschung nahm die Rückfrage nach den mündlichen Formen und das Axiom der Stabilität der Gattungen dankbar an. Anders als Gunkel, der bei der Systematisierung der Gattungen zwar von deren teilweise mündlichen Ursprung ausging, aber an einer Systematisierung der literarischen Texte im Sinne der von ihm avisierten Literaturgeschichte des Alten Testaments interessiert war,12 bestand das Hauptinteresse der 11

Deutlich ist das beim Vergleich der beiden Auflagen seines Artikels „Die Israelitische Literatur“ aus „Kultur der Gegenwart I, 7 Orientalische Literaturen, Leipzig 1906 und 1925“. Die Kennzeichen nennt er erst im Anhang der zweiten Auflage. Vgl. Gunkel, Israelitische Literatur, 57. Sie tauchen in dieser Zeit in dem Beitrag Gunkel, Jesaia 33, 182f. (1924), und auch in einem Brief an A. Jülicher aus dem Jahr 1925 auf (siehe Rollmann, Briefe, 284), und werden 1933 in §1 bei Gunkel/ Begrich, Einleitung, 22f., angeführt. Eine offenere Beschreibung findet sich noch 1909 in der ersten Auflage der RGG: Gattungen seien „nach ihrem typischen Inhalt und ihren geläufigen Formen zu untersuchen“ (Gunkel, Literaturgeschichte, 1192). Letzteres identifiziert er dort (ebd.) mit dem Stil. Demgegenüber nennt Gunkel in der zweiten Auflage der RGG (1929) die o.g. Merkmale. Vgl. Bultmann/Gunkel, Literaturgeschichte, 1677. 12 Das wird in der Neufassung seines Artikels zur biblischen Literaturgeschichte in der zweiten Auflage der RGG deutlich: „Zu diesem Gesamtbilde hebräischer Produktion aber gehört vornehmlich, daß man mit der mündlichen L[iteraturgeschichte] beginnt, deren Untersuchung (eben weil sie in der Bibel nicht ohne weiteres enthalten ist) so lange und noch vielfach heute von der Forschung vernachlässigt worden ist. Man muß das ganze vielfarbige und temperamentvolle Volksleben Israels kennen, um zu wissen, wie die hebräische Dichtung aus diesem Leben hervorgegangenen ist und wie sie in bestimmen einzelnen Teilen ihren ‚Sitz‘ hat. Dann werden die ältesten ‚Gattungen‘ dieser L[iteraturgeschichte] auf deren Erkenntnis alles ankommt ohne weiteres unserem Auge deutlich werden […]. Zur Beschreibung einer solchen literarischen Gattung gehört natürlich als unumgängliches Hauptstück

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neutestamentlichen Forschung damals an einer Identifikation der ursprünglichen Jesusworte im literarischen Text.13 Erst von dort wurde die weitere Betonung der Mündlichkeit und die Rede von der Formgeschichte wieder auf den alttestamentlichen Bereich angewendet und dabei mit der Überlieferungskritik und der Rekonstruktion der mündlichen Vorgeschichte des Einzeltextes verbunden. So hat also die terminologische Indifferenz der Rede von Formen und Gattungen bzw. von Form- und Gattungskritik, die mitunter kritisiert wird,14 etwas mit der gebrochenen Rezeption der methodischen Innovationen Gunkels zu tun. Die Beziehung zwischen literarischer Gattung und Einzeltext wurde erst aufgrund eines Überdenkens der Prozesse beim Entstehen der Texte neu bestimmt. Besonders M. Noth hat mit seinen Arbeiten dazu beigetragen, dass die Arbeit der Autoren und Redaktoren erheblich stärker gewichtet wird und der vorliegende Wortlaut der biblischen Texte ins Blickfeld gerückt wird. Es wurde dabei auch fraglich, ob die biblischen Texte in dem Maße, wie Gunkel dies angenommen hatte, von überindividuellen Zwängen geprägt sind. Erst dies hat es ermöglicht, von einem flexiblen literarischen Gebrauch der Gattungen zu sprechen.15

die Aufzeigung der Gedanken und Stimmungen, die sich in ihr auszusprechen pflegen“ (Bultmann/Gunkel, Literaturgeschichte, 1677). 13 Es waren vor allem Gunkels neutestamentliche Schüler M. Dibelius, R. Bultmann und K.L. Schmidt, die seine Konzepte auf das Neue Testament anwendeten. Vgl. Rollmann, Briefe, 285. Obwohl Gunkel Form und Stil als fest mit der Gattung verbunden ansah, lehnte er die Rede von der Formgeschichte offenbar ab, wie ein Brief an A. Jülicher zeigt. Vgl. Rollmann, Briefe, 283. Verantwortlich für diese Entwicklung dürfte das unterschiedliche Auslegungsinteresse gewesen sein. 14 Vgl. z.B. Knierim, Form Criticism, 436f.; Blum, Formgeschichte, 69. 15 Hardmeier, Texttheorie, 301, stellt fest, dass die „Gattungsstrukturen als Textbildungsmuster, die für bestimmte KHSe [Kommunikative Handlungsspiele, R.H.] typisch, jedoch frei verfügbar sind und trotz ihrer soziologisch mehr oder weniger großen Bestimmtheit nicht an einen

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Eine noch einmal veränderte Situation ergab sich mit der weitgehenden Abkehr der Forschung von der Rückfrage nach mündlichen Vorstufen. Aufgrund der sich verändernden Sicht des Charakters der Literatur stellte sich die vor allem bei Gunkel auf den mündlichen Ursprung der Gattungen bezogene Frage nach dem Sitz im Leben als problematisch heraus, und es wurde deshalb mitunter vom Sitz im Buch16 oder in der Literatur17 gesprochen und gesucht, die Formkritik zu einer Art von „rhetorical criticism“ weiterzuentwickeln, die über ältere Ansätze einer Stilkritik hinausgehen und nicht nur erarbeiten sollte, „how the Gattung is being fashioned and designed, but also especially for a grasp of the writer’s intent“18. E. Blum kritisierte die Beschränkung der Rückfrage nach den Formen auf die kleinen Einheiten und auf die mündliche Überlieferung.19 Als Problem benennt er, dass man im Verlauf der Forschungsgeschichte die „elementare Unterscheidung“20 zwischen den Einzeltexten und den Gattunbestimmten sozio-kommunikativen Verwendungszusammenhang (‚Sitz im Leben‘) notwendig gebunden sind“. 16 Becker, Exegese, 101, meint, vom „Sitz im Buch“ würde gesprochen, wenn Textbestandteile keinen Sitz im Leben aufweisen, weil sie „von vornherein für einen literarischen Zusammenhang im werdenden Buch konzipiert worden“ sind. Fohrer, Form, 33, der den Begriff geprägt hat, hatte eher die konkrete Funktion einer Gattung im Kontext im Blick. 17 Vgl. Richter, Exegese, 121; Fohrer/Hoffmann/Huber/Markert/Wanke, Exegese, 87. In diese Richtung geht auch Ben Zvi, Micah, 4f.8f., der von einer Abfassung der Texte von und für kleine Gruppen von Literati ausgeht und für das Buch Micha die Gattung des Prophetenbuches als bestimmend ansieht. Vgl. auch Ben Zvi, Prophetic Book. 18 Vgl. Muilenburg, Form Criticism, 9. Die Fragestellung nahm Tull, Rhetorical Criticism, auf. Sie spitzt zu: „One of the challenges to rhetorical criticism is that texts do not bear their meanings in isolation, but in relation to prior discourse. At the same time, one of the challenges to form criticism is that the prophetic and psalmic forms never stood still, never became perfectly cataloguable monuments of speech, but were always in motion, always transmuting into new patterns, jumping from genre to genre, combining into larger complexes of ‚mixed types‘ and intricately woven rhetoric“ (ebd., 333). 19 Vgl. Blum, Formgeschichte, 74. 20 Vgl. Blum, Formgeschichte, 70.

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gen aus den Augen verloren habe. Angesichts der forschungsgeschichtlichen Probleme sucht er, Gunkels Benennung der Gattungsmerkmale mit aktuellen exegetischen Anliegen zu verbinden: Er schlägt vor, das Kriterium der „‚Gedanken und Stimmungen‘ […] zu übertragen in die Kategorien ‚Inhaltsstruktur‘ und ‚Mitteilungs- und Wirkabsicht‘; der ‚Sitz im Leben‘ wäre über Gunkel hinaus nicht allein auf den soziologischen Ort, sondern auf die darin eingebettete typische Kommunikationssituation zu beziehen. Als drittes mögliches Kriterium bleiben Ausdruckskonstanten bzw. Gattungsstil.“21 Es erscheint als sachgemäß, die Rede von den Ausdruckskonstanten und dem Gattungsstil mit dem zu verbinden, was Gunkel als „herkömmliche Formensprache“ bezeichnete. Nach Gunkel kann an „Redewendungen, Satzbildungen, Bildern“22 eine Gattung erkannt werden. Zudem hatte Gunkel selbst ja schon 1909 den Begriff der Gattungsformen mit dem Begriff Stil identifiziert.23 Mit der Rede von der Mitteilungs- und Wirkabsicht sowie von typischen Kommunikationssituationen hat Blum kommunikationstheoretische Begriffe mit Gunkels Ansatz verbunden und damit die Richtung vorgegeben, die vor der biblischen Exegese bei der Gattungsfrage liegt. Freilich erscheinen die von Blum verwendeten Begriffe eher auf individuelle Texte abzuzielen. Es ist daher die Frage, inwiefern die von ihm genannten Aspekte „Inhaltsstruktur“ und „Intention“ mit der Gattung verbunden sind.24 21

Blum, Formgeschichte, 80. Gunkel, Jesaia, 182. 23 Gunkel, schreibt in Bezug auf die Freiheit der Autoren: „In einem solchen Volke, in dem die Einzelnen weniger differenziert zu sein pflegen und die Sitte eine viel größere Macht hat als heute, ist auch der einzelne Schriftsteller viel mehr als unter uns durch die für jede Gattung feststehenden Formen d.h. durch den ‚Stil‘ gebunden“ (Gunkel, Literaturgeschichte, 1192). 24 Damit ergibt sich ein Bezug zu den Thesen von J. Muilenburg und P.K. Tull, die auf das Zusammenspiel von individuellen und überindividuellen Aspekten abgezielt haben. Siehe dazu oben, Anm. 18. 22

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2 Text-Text-Beziehungen aufgrund der Textsorte als Aspekt der Intertextualität Der Vorschlag von E. Blum, die Gattung mit der Mitteilungs- und Wirkabsicht und einer typischen Kommunikationssituation zu verbinden, wirft die Frage nach den Funktionen der Gattungen bzw. Textsorten in der Kommunikation auf. Wenn wir den für die Analyse besonders hilfreichen Ansatz von K. Adamzik und U. Fix hinzuziehen, ist die Textsorte eine auf Grundlage von Textvergleichen in der Textanalyse abstrahierte Größe.25 In der Kommunikation stellt sie bei den Sprachverwendern – d.h. bei Sender und Empfänger – eine gemeinsame Konvention dar.26 Die Rezipienten können aufgrund ihres Textsortenbzw. Gattungskompetenz bestimmte inhaltliche Aspekte im Text erwarten. Sie können so außerdem erschließen, in welche Richtung sich die Intention des Textes entwickeln wird. Dabei bleibt abhängig von der Textsorte eine Offenheit bestehen. Sie ist gegeben, da Mitteilungs- und Wirkabsicht des individuellen Textes im Zusammenspiel von konventionellen und individuellen Aspekten entwickelt werden.27 Das ist mit dem zu verbinden, was E. Blum als typische Kommunikationssituation bezeichnet. Der Text wird nicht nur von bestimmten Personen oder Gruppen aufgrund bestimmter Gattungselemente rezipiert oder in bestimmten Kommunikationssituationen wahrgenommen. Vielmehr wird es im Zuge der Rezeption aufgrund der zugrunde liegenden Textsorte möglich, den Text einem bestimmten soziokulturellen Kontext zuzuordnen und entsprechend zu verstehen. Das gilt insbesondere für institutionalisierte Textsorten. Den über Fachwissen verfügenden Rezipienten erlaubt der Textsortenbezug ein schnelles Erfassen von Inhalt und Funktion. Rezipienten ohne entsprechendes Fachwissen ist es zumindest möglich, den 25

Vgl. Fix, Text-Textsorte, 72f. Zur umgekehrten Typisierung von Textsorten im sog. top-down-Verfahren; ebd., 70f. 26 Vgl. dazu Adamzik, Sprache, 276. 27 Vgl. ebd., 277.

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Text grob einzuordnen. Eine entscheidende Rolle spielen die Gattungsmerkmale daher am Beginn eines Textes. Hier kann an Gunkels Überlegung angeknüpft werden, dass die Gattung an „Redewendungen, Satzbildungen, Bildern“ erkannt werden kann. Eine besondere Rolle spielt dabei natürlich der Gattungsstil. In Lese- bzw. Rezeptionsrichtung wird dem Rezipienten von Anfang an signalisiert, mit welcher Textsorte er es bei dem ihm vorliegenden Text wahrscheinlich zu tun hat. Bei den Textsortenbeziehungen haben wir es mit einem besonderen Aspekt der Intertextualität zu tun. Dieser ist allerdings nicht strikt von den direkten Text-Text-Beziehungen zu trennen. Überschneidungen zwischen dem Bereich der Textsortenbeziehung und den direkten Textbeziehungen ergeben sich daraus, dass die Bezugnahme auf Textsorten nicht über Regeln oder Strukturelemente hergestellt wird, sondern über Textmuster erfolgt. Bei der Textproduktion wird die Kenntnis von Mustern bei den Adressaten vorausgesetzt. Dabei kann es sich um einen real existierenden Text handeln, der als Muster fungiert, oder aber um ein abstrahiertes Muster.28 Solche Muster bilden sich bei institutionalisierten Textsorten im Zusammenhang der Institution heraus, in der sie eine Rolle spielen, oder bestimmte Muster werden für eine Institution in Anspruch genommen. So spielen die entsprechenden Textsorten in bestimmten sozialen Systemen wie im Rechtsleben und im Kult eine Rolle, wovon die kasuistischen Rechtssätze beispielsweise des Bundesbuches oder die priesterlichen Handlungsanweisungen im Levitikusund Numeribuch zeugen. Der Ursprung von literarischen Textsorten (Gattungen) ist vielfältig, kann aber mit real existierenden Mustertexten in einem Zusammenhang stehen. Da die Hebräische Bibel nur beschränkt Einblick in die Schriftkultur des Alten Israel bietet und wir deren Geschichte nur aus dem Korpus der Bibel eruieren können, lassen sich Texte, die für die Entstehung literarischer Gattungen musterbildend waren, nicht immer 28

Vgl. Adamzik, Textlinguistik, 102; Fix, Textbegriff, 133f.

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ausfindig machen. Ein wahrscheinlich musterbildender Einfluss eines Textes liegt allerdings beispielsweise bei der Gattung der „Diasporanovelle“29 vor, die im Hintergrund von Josephsgeschichte und Estherbuch ausgemacht wurde. Der Zusammenhang der beiden Texte und weiterer Erzähltexte aus dem Danielbuch und der griechisch überlieferten Danielüberlieferung dürfte auf der großen Bedeutung der Josefsgeschichte – sicherlich zunächst in einer literargeschichtlich früheren Form als der heutigen – beruhen. Die u.a. der Esther- und Josephsgeschichte gemeinsame Gattung ist also kein Anhaltspunkt für die Spätdatierung der Josephsgeschichte. Die Gattung bildete sich im Zuge einer langen Rezeption der Josephserzählung bzw. ihrer Vorlage heraus. Aufgrund der Gattung lassen sich meiner Ansicht nach generell keine Datierungen gewinnen, da das Leben Einzelner oder von Familien in der Fremde eine kulturelle Normalität in den Staaten der Levante gewesen ist und zudem auf ägyptischer Seite eine lange Tradition der literarischen Reflexion dessen existierte.30 Da Spätdatierungen in die hellenistische Zeit31 aufgrund des traditionsgeschichtlichen Vergleichs u.a. von B. Redford 29

Vgl. Meinhold, Gattung, 308. Dieser weist an anderer Stelle auf die außerordentliche Nähe zwischen der Sinuhegeschichte und der Diasporanovelle hin, wobei er zu der Schlussfolgerung kommt, dass „in der Geschichte des Sinuhe keine Diasporanovelle vorliegt“, weil „ausreichende formale Charakteristika“ fehlten. So sei das „Gattungsformular lediglich fragmentarisch vorhanden“ und die Sinuhegeschichte weise „Gattungsthema und ‚Sitz im Leben‘ der Diasporanovelle nicht auf“ (Meinhold, Sinuhe, 281.). 30 Gegen Schmid, Josephsgeschichte, 111. Hier ist unter neuem methodischen Fokus noch einmal die besondere Nähe insbes. der Josephsgeschichte zur Sinuhegeschichte in den Blick zu nehmen. Vgl. dazu oben, Anm. 29. Es ist meiner Ansicht nach sehr wahrscheinlich, dass der in der spätvorexilischen Zeit sich verstärkende Kulturkontakt mit Ägypten auch zu einer Adaption literarischer Gattungen geführt hat, wenn nicht die Geschichte des Sinuhe sogar der empirische Mustertext ist. Diese Art von Textsorten-Beziehungen hat nach U. Fix die Ägyptologin E. Blumenthal bereits für antike ägyptische Texte in Betracht gezogen. Vgl. dazu Fix, Interdisziplinäre Bezüge, 91. 31 Vgl. z.B. Kunz, Josephsgeschichte.

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und J. Lanckau eher unwahrscheinlich sind32 und die gemeinsame Gattung von Esther- und Josefsgeschichte nicht in dieselbe Abfassungszeit führt, dürfte Letztere in der exilisch-nachexilischen Literargeschichte als Mustertext gewirkt haben.33 Als weiteres Beispiel kann man das Gegenüber von Prophetenbuch und Prophetenerzählung in den Blick nehmen. Beide literarische Gattungen sind relativ standardisiert, haben sich aber auch wechselseitig beeinflusst. Die Prophetenerzählung, von der es verschiedene Beispiele in den dtr Geschichtsbüchern gibt, enthalten oft eine Berufung oder Beauftragung, Auftragserteilung und dessen Ausführung. Diese Aspekte spielen auch in einer Reihe von Prophetenbüchern eine Rolle, wobei es nicht ausgeschlossen ist, dass konkrete Muster eine Rolle gespielt haben. Die vielfältige Umsetzung der Gattung, auch ihre Abwandlung in der verwickelten Literargeschichte der Prophetenbücher macht die Suche danach aber besonders schwierig. 3 Muster im Kommunikationsprozess, ihre Realisierung und der Ursprung der Gattungen Es ist Gunkels großes Verdienst, dass er lange vor J. Kristeva und G. Genette gesehen hat, dass aufgrund der Gattungszugehörigkeit Beziehungen zu anderen Texten hergestellt werden. Sein Vorschlag, der auf den Gattungen beruhenden Literargeschichte nachzugehen, erweist ihn 32

Redford, Joseph, 244f., hat eine saitische Prägung aufzeigt. In Anschluss daran hat Uehlinger, Urgeschichte, 224f., als Entstehungszeit für das 6. Jh. v.Chr. plädiert. Dennoch erklärt das nicht, dass in der Josephsgeschichte eine Nordreichsperspektive von einer Jerusalemer Perspektive abgelöst wird. Vgl. dazu Lanckau, Herr, 363ff. Redford, Joseph, 244, selbst schließt nicht aus, dass eine ältere, eventuell mündlich vermittelte Geschichte zugrunde liegt. 33 Meinhold, Gattung, 277ff., der als erster den Zusammenhang der beiden Texte aufgrund der Gattung beschrieben hat, legt seinen Fokus auf die Zugehörigkeit zur Gattung und auf das Gattungsformular. Den Aspekt der Nachahmung, der beim Textmusterbezug eine Rolle spielen kann, hatte er nicht im Blick. Vgl. dazu Genette, Palimpseste, 12ff.

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als einen Vorreiter der modernen Überlegungen zur Intertextualität. Seine Beobachtungen, die in Form- und Gattungskritik praktisch zu einer Strukturierung des Feldes der biblischen Traditionsliteratur führte, ist in der kommunikativen Funktion der Texte begründet. Die Textsortenlinguistik sieht im Hintergrund der Realisierung von Einzeltexten eine Kompetenz, Texte nach bestimmten Mustern zu gestalten und auf der Seite der Rezeption die Fähigkeit, bestimmte Textexemplare einem bestimmten Muster zuzuordnen. Es ist entsprechend nicht die Frage, welchem soziokulturellen Kontext (Sitz im Leben) eine Gattung zugewiesen werden kann, sondern welche Funktion für einen individuellen Text aufgrund seiner Gattung in der Kommunikation zu erwarten ist.34 Die Textsorten sind Größen, die in der Kommunikation eine Strukturierung des sonst unermesslichen Feldes der Texte möglich machen. Die Textsortenkompetenz erwerben die Sprachverwender in ihrer Einübung in die Sprachund Literaturkompetenz, wobei die Textsorten selbst sich in einem dynamischen Veränderungsprozess befinden. „Textsorten sind – darüber besteht heute Einigkeit – historisch gewachsene Einheiten der kommunikativen Praxis einer Gesellschaft. Entsprechend verändern sie sich auch und erscheinen in kulturell differenten Ausprägungen.“35

Es handelt sich bei ihnen um Konventionen, die sich allmählich über Generationen herausbildeten, und die sich dabei auch veränderten, vermischten oder ausdifferenzierten. In der Kommunikation wird auf die Textsorten im Sinne von Mustern zurückgegriffen – sei es, dass ein Be34 Blum, Formgeschichte, 80, hatte den „Sitz im Leben“ auf die in den soziologischen Ort eingebettete „typische Kommunikationssituation“ bezogen. 35 Adamzik, Zukunft, 29. Vgl. weiter Brinker, Aspekte, 10: „Textsorten können – ganz allgemein – als komplexe Muster sprachlicher Kommunikation mit konventioneller Geltung bestimmt werden. Sie haben eine fundamentale Bedeutung für die kommunikative Praxis, da sowohl die Textproduktion als auch die Textrezeption im Rahmen von Textsorten erfolgt.“

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zug zu einem oder mehreren repräsentativen Einzeltexten vorliegt, oder dass das Muster eine Projektion darstellt, die auf der Kenntnis mehrerer oder vieler Einzeltexte einer Textsorte beruht –, indem Muster und Einzeltext in eine Beziehung zueinander gesetzt werden: Nach U. Fix gibt es innerhalb „der Muster Elemente des Normativen als Handlungsorientierung, und es gibt Nichtgenormtes, Freiräume, die es individuell zu füllen gilt. Muster sind also immer ein unabdingbarer Zusammenhang von konventionellem und individuellem, Festlegung auf Verbindliches und Möglichkeit für Abweichungen zugleich“36. Entscheidend für die mit Textsorten verbundene Kommunikation ist also die Bezugnahme. Die ersten mit einer Textsorte zu verbindenden Aspekte eines Textes sind entscheidend und tragen Signalcharakter. Denn sie erlauben dem Leser / Hörer die Identifikation des Textmusters, das bei der Rezeption eine Rolle spielen wird. Der individuelle Text kann so adäquat interpretiert werden. Im Verlaufe der Rezeption werden so aber auch Variationen erkennbar, die dazu dienen, die Mitteilungsabsicht zu erreichen und eine angestrebte Wirkung zu erzielen oder den Lesern Zugang zu dem Diskurs, zu dem der individuelle Text gehört, zu gewähren. Diese Aussagen gelten mutatis mutandis für unselbständige Vertextungsmuster, wobei zu beachten ist, dass in der Hebräischen Bibel in vielen Bereichen literarisch eingebettete Texte begegnen, die für sich bestimmten Textsorten zugerechnet werden können. Der Bezug auf die Muster in der Kommunikation dürfte somit auch der Grund dafür sein, dass kein individueller Text vollständig mit der abstrahierten Gattung übereinstimmt. Die Suche nach den reinen Gattungen, die Rede von Gattungsmischungen und Verfälschungen aufgrund der Literargeschichte ging somit an der Sache vorbei. Denn der individuelle Text, dessen Rezeption aufgrund der Textsorte erleichtert wird, ist nicht starr auf die Muster bezogen, sondern nur entsprechend seiner kommunikativen Funktion. Die erst in den zwanziger Jahren des 20. 36

Fix, Texte und Textsorten, 67.

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Jh.s aus der Praxis der Analyse entstandene Aufzählung von Gattungskennzeichen bei Gunkel stellt also keine Unschärfe dar,37 sondern berücksichtigt den dynamischen Charakter der Gattungsbezüge. Auch ist sie kein Defizit an theoretischer Durchdringung, sondern ist in der Sache begründet, da die Gattung eben keine feste Eigenschaft eines Textes ist. Damit war Gunkel spannenderweise dem nahe, was heute in der modernen Textlinguistik in Bezug auf die Textsortentypologisierung formuliert wird.38 Für die exegetische Praxis bedeutet dies: Wenn der Bezug auf Textmuster bzw. Vertextungsmuster bei der Kommunikation mit Texten eine primäre und zudem initiale Rolle im Rezeptionsprozess spielt, darf die Gattungsfrage nicht an inferiorer Position in der Exegese behandelt werden. Ihr Ort sollte in der synchronen Textanalyse liegen, wo der kommunikativen Funktion der Textbestandteile im Leseprozess nachgegangen wird. 4 Die Betrachtung von eingebetteten abgeschlossenen Texten und Vertextungsmustern Ein individueller Text steht im Zusammenhang mit einer Textsorte und mit dem mit ihr verbundenen Stil. Dennoch kommt es in der Praxis sehr oft vor, dass weniger komplexe Textsorten in Rahmen komplexerer Textsorten Ver37

Vgl. Blum, Formgeschichte, 80. H. Gunkel schreibt in der ersten Auflage der RGG in Bezug auf seine Literargeschichte: „Die weitere Arbeit wird sein, die so festgestellten, unendlich vielen Einheiten nach Klassen zu ordnen. Dabei aber wird man sich wohl hüten müssen, sich von den Theorien irgend einer modernen Aesthetik leiten zu lassen, Theorien die für die L[iterargeschichte] I[sraels] nicht geschaffen sind und auf eine so andersartige Literatur nicht passen“ (Gunkel, Literaturgeschichte, 1192). Dies entspricht der Beschreibung des Charakters der Textsorten aus textlinguistischer Sicht nach K. Adamzik: „Es handelt sich um durchaus unsystematisch, nämlich nach dem jeweiligen kommunikativen Bedarf, sich ausbildende Konventionen oder Schemata zur Bildung bestimmter Texte, um so etwas wie Routineformeln auf der Textebene“ (Adamzik, Textsorten, 28). Vgl. dazu Fix, Text und Textsorten, 72f. 38

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wendung finden. Was in der modernen Literatur eine Selbstverständlichkeit ist, wenn im Verlauf eines Romans oder einer Novelle ein Gedicht, ein Lied oder ein Sprichwort zitiert wird oder gar ein Roman eine abgeschlossene Erzählung enthält, ist auch in der Literatur der Hebräischen Bibel anzutreffen. Aus inhaltlichen Gründen können abgeschlossene Abschnitte, die einer eigenen Textsorte folgen, in größeren Zusammenhängen präsentiert werden, wie bspw. Prophetenreden oder Psalmen in Erzähltexten. Der Sachverhalt spielt auch eine Rolle, wenn sich keine Erklärung für solche Wechsel der Textsorte findet und ein Text als Ergebnis eines literarischen Wachstumsprozesses angesehen werden muss. Zudem sind Kategorien unterhalb der Textsorte in den Blick zu nehmen. In alttestamentlichen Texten sind bestimmte konventionalisierte Textbestandteile anzutreffen. Diese werden in der Textlinguistik mit dem Begriff „Vertextungsmuster“ bezeichnet. Es geht dabei nicht um literarische Topoi, also inhaltliche Stereotype, die in der Literatur benutzt und deren Kenntnis bei den Lesern vorausgesetzt werden, sondern um formelhafte Textbausteine, die in verschiedenen Textsorten vorkommen und deren jeweilige Funktion ähnlich ist. A. Wagner hat bspw. auf die Form der Redeeinleitung hingewiesen. Diese ist am ehesten als Vertextungsmuster anzusehen, das in unterschiedlichen Textsorten der Präsentation direkter Reden dient.39 Die Zitation direkter Reden ist ein literarisches Merkmal, während die Form der direkten Reden selbst sich an den Konventionen der mündlichen Kommunikation orientiert. 5 Funktionen der Textsorten in der Hebräischen Bibel Eine Reihe von Funktionen der Textsorten in der Kommunikation sollen im Folgenden in Anlehnung an Wolfgang Raible benannt werden. 39

Wagner, Perspektiven, bezeichnet sie allerdings ebenfalls als Textsorte.

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5.1 Erwartungen hervorrufen Textsorten dienen grundsätzlich dazu, beim Leser / Hörer bestimmte Erwartungen an den Text zu wecken.40 Dieser nimmt im Hintergrund des individuellen Textes dessen Muster wahr und erkennt es de facto wieder. Der Rezipient erwartet daher zugleich auch ein entsprechendes abgeschlossenes Ganzes. Der Rückgriff auf eine Textsorte dient also dazu, ganz vom Anfang des Textes an, dessen Akzeptanz bei den Adressaten sicherzustellen. Die Textsorte lenkt dabei auch sukzessive den Rezeptionsprozess. Die Genealogie stellt beispielsweise eine relativ genormte Form der Systematisierung von geschichtlichen Zusammenhängen dar. Die Aufzählung der Glieder führt entweder an einen Ausgangspunkt in der Geschichte zurück oder zu einem Punkt hin, von dem aus die erzählerische Handlung weitergeführt wird. Genealogien suggerieren so Verlässlichkeit der Darstellung von Ursprüngen, wobei dies in der Regel der Unterstreichung aktueller Anliegen dient. Dazu verfügen sie über eine eindeutige Überschrift, nach der eine klar strukturierte Abfolge erwartet wird, die Aufmerksamkeit aber wird oft auf ihr Ende gelenkt.41 5.2 Erleichterung der Textproduktion und Einschränkung der Interpretationsmöglichkeiten Textsorten und literarische Gattungen erleichtern die Rezeption, indem die Interpretationsmöglichkeiten eingeschränkt werden. Damit hängt zusammen, dass der Rückgriff auf Textsorten einen Verfasser bei der Gestaltung der wesentlichen Aspekte entlastet, nämlich bei Inhalt und Intention seines Textes, wofür er eben die passende Textsorte auswählt. Umgekehrt steht der Rezipient mit seinem Wissen von Textsorten nicht einer unüberschaubaren Masse von Texten gegenüber, sondern einem mehr oder 40

Vgl. Raible, Gattungen, 329. Ausführlich zur Funktion der Genealogien vgl. Hieke, Genealogien, 299–307.

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weniger strukturierten Feld, dem er den ihm vorliegenden Einzeltext zuordnen kann. Das spielt für den Leser bzw. Hörer von Anfang an eine Rolle, denn es schränkt die eigentlich unendlichen Möglichkeiten der Interpretation des Textes entscheidend ein. Raible verweist auf ein schönes Beispiel: „Man lacht [...] über den Tod eines Unschuldigen in einer Burleske, man trauert darüber in der Tragödie.“42 Bei dem Verweis auf – bzw. der Zitation von – direkten Reden spielt der Aspekt eine entscheidende Rolle. Trotz der in literarischen Zusammenhängen notwendigen Kürzung, Zuspitzung und Zielstrebigkeit von direkten Reden wird es dem Rezipienten möglich, den Abschnitt bzw. die repräsentative Äußerung als Teil einer umfassenden Rede zu verstehen. Zu vergleichen ist beispielsweise die auf ein Minimum beschränkte Wiedergabe der Rede von Hiobs Frau in Hi 2,9. Auch kurze, exzerptartig wirkende Erzähltexte, die in der Hebräischen Bibel oft begegnen, können so ausführliche Erzählungen repräsentieren oder sollen den Eindruck erwecken, dass es sich um ein umfassendes Geschehen handelt. Der gelegentliche Verweis auf umfassendere oder abweichende Quellen (vgl. Jos 10,13; 1Kön 14,19; 15,7; 2Kön 21,17; 2Chr 16,11 u.ö.) bestätigt dies. Zu vermuten ist auch bei eigenständigen Kurztexten wie Gen 6,1–4 oder bei kurzen Erzählabschnitten, die in Genealogien eingeflochten sind (wie z.B. Gen 11,28–31), dass eine ähnliche Funktion aufgerufen wird. Die Erwähnung eines Briefes bzw. seine Einführung mit einer kurzen Angabe des Inhalts oder mit einer kurzen direkten Rede (vgl. 2Sam 11,14f.; 2Kön 5,5f.; 10,1–3 u.ö.) kann daher bei den Lesern die Kenntnis entsprechender Textsorten aufrufen. Eine vollständige Wiedergabe eines Briefes wird so überflüssig. Hier wird also umgekehrt durch die lenkende Äußerung ein Inhalt als Teil einer bekannten Textsorte ima-

42

Raible, Gattungen, 334.

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giniert. Dasselbe gilt bei Audienzen43 oder beim Verweis auf andere institutionalisierte Formen der Kommunikation wie bei Gesprächen, bei der Weisheitsdiskussion und der Prophetenrede. 5.3 Modifikationsmöglichkeit Wenn aufgrund der Textsorte Bezüge zu anderen bekannten Texten der gleichen Textsorte also zu Verwandtem hergestellt werden, so wird der Fokus des intendierten Adressaten auf das Spezifische des individuellen Textes gerichtet. Modifikationen gegenüber der Textsorte treten stärker zutage. Spannung wird erzeugt und Überraschungen im Rezeptionsprozess werden ermöglicht. Hier kann man ein weiteres Mal die Prophetenerzählungen in den Blick nehmen. Diese Gattung wird in der Gruppe der sogenannten vorprophetischen Berufungsberichte44 abgewandelt, indem der zu berufende Prophet bzw. die Figur seine Beauftragung zunächst ablehnt und mit Gott in ein regelrechtes Zwiegespräch eintritt. Diese bei Mose, Gideon und Jeremia anzutreffende Untergattung, die meiner Ansicht nach ihren Mustertext in Ex 3f. haben dürfte,45 lässt die Bedeutung der Figur besonders stark hervortreten, und sie erscheint in einer sehr engen Beziehung zu Gott. Auch die Genealogien sind noch einmal in den Blick zu nehmen. Obwohl auf die Eröffnung ‫ אלה תלדות יעקב‬eine genealogische Liste zu erwarten wäre, wird mit der Formel u.a. in Gen 37,2 ein Erzähltext eröffnet. Allerdings wird Josef bei diesem Beispiel selbst noch mit dem Nominalsatz ‫ יוסף בן־שׁבע־עשׂרה שׁנה‬eingeführt, der durchaus am Anfang einer Genealogie stehen könnte. Offenbar sollte bei den Lesern am Anfang der Josefsgeschichte der 43

Vgl. z.B. das kurze Auftreten Davids vor Saul in 1Sam 17,31f. mit der Audienz Jakobs vor dem Pharao in Gen 47,7–10, wo das Gespräch gerahmt wird von einer zweimaligen Segnung des Pharao durch Jakob. 44 Zur Forschung und Diskussion siehe Richter, Berufungsberichte. 45 Dies legt sich auch aufgrund der erkennbar mehrfachen Erweiterung der Szenerie in Ex 3f. nahe.

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Eindruck erweckt werden, als folge eine Genealogie. Was sich anschließt, steht mit der detailreichen novellistischen Handlung im Widerspruch zum knappen skizzenhaften Charakter einer Genealogie. Das soll mit Sicherheit überraschen, aber möglicherweise auch den Brückencharakter der Novelle aufzeigen und trotz ihres romanhaften Charakters mit ihrem zudem hohen Unterhaltungswert die Zuverlässigkeit ihrer Darstellung betonen, indem angedeutet wird, dass sie sozusagen an Stelle einer Genealogie steht.46 Es kann entsprechend nicht überraschen, wenn die Josefsgeschichte nach der Überschrift ‫ אלה תלדות יעקב‬tatsächlich „alle zwölf Söhne und ihr Schicksal (Gen 49) sowie ihre Nachkommenschaft (Gen 46,8–27) in den Blick nimmt“47 und dass dies außerdem in Gen 46,8–27 in einem genealogischen Abschnitt, der in Ex 1,1–5 verkürzt wiederholt wird.48 5.4 Verfremdung, kreativer Gebrauch des Textsortenwissens Den Aspekt des kreativen Gebrauchs von Gattungen hat C. Hardmeier für alttestamentliche Texte beschrieben.49 Die alttestamentlichen Autoren wenden Gattungen offenbar kreativ an, um bestimmte Effekte zu erzielen. So kann die Aussageabsicht eines Textes unterstrichen werden wie bei dem Gebrauch des Klagerufes in den prophetischen Texten.50 Erkennbar ist das Verfahren beim Jonabuch, wo parodierend auf die traditionelle Literaturgattung „Prophetenerzählung“ Bezug genommen wird. Das ist erstens in der Weise der Fall, dass der Prophet die normale gehorsame Annahme des Auftrages zwar nicht zurückweist, 46

Vgl. Hieke, Genealogien, 315, der für Gen 27,2 wie Gen 2,4 und 6,9 annimmt, dass „die Formel […] ihren semantischen Gehalt auch in diese Kontexte hinein[transportiert] und […] so das genealogische System immer wieder ins Bewusstsein der Lesenden [ruft]“. 47 Hieke, Genealogien, 206. 48 Vgl. Hieke, Genealogien, 246. 49 Vgl. Hardmeier, Texttheorie, 283f. 50 Vgl. Hardmeier, Texttheorie, 381ff.

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aber vor dem Auftrag zu fliehen sucht. Dem Leser wird so signalisiert, dass ein Zusammenhang zur Gattung „Prophetenerzählung“ vorliegt. Zugleich wird so ein Interesse an der besonderen Handlung geweckt. Zu überlegen ist, ob die Beauftragung eines Propheten zum Zeugnis in einem fremden Land, die bspw. in Am 7,14f. im Blick ist, parodiert wird. Amos als gehorsamer Prophet und dem ihm begegnenden Widerstand von Seiten des nordisraelitischen Nachbarn wird mit Jona ein ungehorsamer Prophet gegenübergestellt, dem aber dann kein Widerstand beim später feindlichen Assyrerreich entgegenschlägt. Jona und die Adressaten seiner Botschaft in Ninive agieren und reagieren jeweils genau entgegengesetzt, wie von der Gattung zu erwarten wäre. So wird eine ganz besondere erzählerische Spannung hervorgerufen. Die Parodisierung der Gattung dient aber auch dem Diskurs über bestimmte theologische Grundlagen der prophetischen Literatur.51 6 Fazit: Die Gattungen, Textsorten und Vertextungsmuster in der Textanalyse Die kommunikative Funktion eines Textes ist nicht mit der Funktion der Textsorte identisch. Die Zugehörigkeit eines Textes zu einer Textsorte dient vielmehr der kommunikativen Funktion des Textes. Dem kann nur nachgegangen werden in einer in die synchrone Analyse einbezogene Berücksichtigung der Pragmatik, zu der eine simultane gattungskritische Analyse gehört. Eine synchrone Analyse ohne diese Berücksichtigung der Geschichtlichkeit der Texte, wie sie mitunter in der Anwendung rezeptionsästhetischer Konzepte auf biblische Texte geschieht, käme zu anachronistischen Urteilen. In der von mir vorgeschlagenen Weise aber kann der Text als zugehörig zu einer Kategorie von Texten oder zu einem real existieren51 Beispielsweise wird über das Konzept der Reue ein Zusammenhang zwischen prophetischen Konzepten und Konzepten des der Sinaiperikope hergestellt. Vgl. dazu Hartenstein, Jona, 437f.

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den Mustertext in seiner Entstehungszeit erfasst werden, wie er in antiken Rezeption wahrgenommen werden sollte. Variationen von der Textsorte können mit der kommunikativen Funktion zusammenhängen52, indem die Spannung bei der Rezeption erhöht wird. Erwartungen werden bei den intendierten Adressaten von Anfang an geweckt. Das gilt in unterschiedlicher Weise für schriftliche nichtliterarische Textsorten, für mündliche und für institutionell gebundene Textsorten sowie für literarische Gattungen. Die Erwartungen spielen durchgängig eine Rolle. Der gattungsspezifische Stil oder seine Modifikation, die Aufnahme eines Gattungsformulars und seine Abwandlungen dienten auch schon in der Antike dazu, die Erwartungen der Leser / Hörer zu lenken. Aus diesem Grunde muss die Gattungsfrage von Anfang an in die exegetische Untersuchung einbezogen werden. Das bedeutet, dass ihr Platz (wie jener der Traditionskritik53) in der synchronen Analyse liegt. So wird ein sukzessives Verfolgen der Gattungsbeziehung möglich, aus dem sich ein Gegenüber der individuellen Besonderheiten des Einzeltextes und der Gattung ergibt. Allein dieses Vorgehen ermöglicht es, die mit der individuellen Aussage- und Wirkabsicht verbundenen kontextabhängigen Besonderheiten eines Einzeltextes zu berücksichtigen. Zugleich ermöglicht es eine kontinuierliche Berücksichtigung der Textsorte zusammen mit einer Analyse des der Textsorte entsprechenden Stils, individuelle oder soziale Stileigenheiten herauszuarbeiten. Ein solches Vorgehen in der Exegese kann das methodische Vermächtnis von H. Gunkel mit den Erkenntnissen der modernen Textlinguistik verbinden.

52

Diese konditionale Formulierung ergibt sich daraus, dass es auch unterhalb der Textsortenebene Elemente des Stils gibt, die überindividuell nicht dem direkten Einfluss des Autors entstammen. 53 Vgl. dazu Heckl, Religionsgeschichte, 193–205.

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Erhard S. Gerstenberger

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Actual Old Testament exegesis in all its variability of methods and theories betrays a tendency to reduce its ambit to a solipsistic discourse between reader and biblical texts. Small wonder in a world which is losing track of historical traditions and social relevance, placing the unrestricted and sometimes virtual “I” at the very top of human values! New form-criticism could be a way to counteract such development.1 This does not mean to return to the old glorification of texts as carriers of unchangeable, “objective” and everlasting truths. We have to acknowledge the productivity of reading brains which take part or even are mainly responsible for the creation of meaning. On the other hand, those eager subjects who look into the genesis and use of texts for their parts are products of historical and social conditions which cannot be separated from their views and evaluations. After all, everyone of humankind grows out and acts within determined contexts which do fashion his or her opinions. Hermann Gunkel defined his form-critical approach to Biblical and other, pre-literary texts as an investigation of modes or patterns of speech as they grow out of recurring (in anthropological terms: ritualized) human interaction. A third aspect for him were the “moods” (‘Stimmungen’) of the participants in discourse. Thus he managed to link 1

Cf. Sweeney/Ben Zvi, Changing Face; Buss, Changing Shape; Boda, Book of the Twelve.

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speech forms with social behavior maintaining a firm link between performed language and social reality. What could be guide-lines of new form-critical research today after so many changes occurred on every level of thinking?2 “New Form-Criticism” tries to adapt itself to new insights into the genesis and use of texts as well as the moods reflected by them.3 Among other points it is being emphasized: “Form-critical scholars will come to terms with the perspectives of reader-response criticism, which demonstrates the fundamental role of the reader and the reader’s or the readers’ own sociohistorical or literary contexts in the construction of the text that is read and reread.”4 The crucial points seem to be: Texts should not be considered autonomeous, contingent entities. They grow out of and are tied to (ancient and modern!) social networks. Their nature thus can be described as truly “relational”5. No individual methodological perspective may be denominated “form-critical”. 1 Oral and written words Ancient traditions have been preserved only by written sources and a whole range of archeological artifacts and leftovers. Since systems of writing were invented late in human cultural history we can easily conclude: There must have been long periods of oral transmission of texts before and probably also aside from literary fixations. Furthermore: Ancient habits of writing und use of written materials do not necessarily correspond to modern literary ways of communication and performance. Studies in scope and purpose of ancient writing reveal close relationships with oral interchange. Written texts often support 2 3 4 5

Cf. Eisen/Gerstenberger, Hermann Gunkel. Cf. Sweeney/Ben Zvi, Changing Face, 9–11. Sweeney/Ben Zvi, Changing Face, 10. Buss, Concept, 73–112; Buss, Changing Shape.

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Erhard S. Gerstenberger

personal direct transmittance, being read to analphabets. They show a serious lack of literacy in the population, an almost divine estimation of the art of writing etc. With these conditions in mind it becomes clear that concepts and positions of authors in early antiquity diverge from ours. A general reading culture started to develop at the earliest in Hellenistic times and did not flourish in Europe until the late Enlightenment with the installation of public schools. The nature of communication has considerably changed by conserving statements over time and space. The culture of “Holy Books” later on became a theological fetish in some religious sectors. 2 Words and “Sitz im Leben” Dealing with ancient texts we have to rearrange our literary concepts of author, performer, user, generative forces in text-production, communicative action etc. Most human utterances beyond emotive and involuntary sounds (like snoring, spontaneous laughter etc.) imply a conscious will to communicate with others. So, from the very outset, words encompass social relations, while also referring back to determined circumstances (reality-context). Writing down texts may create the wrong impression as if the “materialized” discourse could emancipate itself from temporal and local bonds. Referential ties may shift, but they will not disappear, more precisely: As soon as a written text is being used again, let’s say, if it is taken out of an archive or rediscovered by archaeologists, contextual conditions of some sorts immediately jump into action again. There is no “loss of life-setting”, or “setting in the book”. Words and texts are connected to senders and recipients, they belong to (changing) real or imagined cultural, historical and religious situations, they need to fulfill

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their social mission of mediation, communication, denunciation, orientation, etc.6 Already on occasion of their first use words are products of human brains and tongues be they descriptive, demanding, denouncing or anything else. Written down, acoustic articulations become visually available for generations to come. Use and reuse of fixed words create new meanings coming, presumably, out of changed situations or interpretative angles. The creative reader, indeed, has a decisive part in this development. Nevertheless, a given, reported text interrelates with a socially conditioned responder (and vice versa). In this fashion, significance develops within an analogous, interactive spectrum of participants and dialogical patterns. Such development includes not only persons but also life-conditions. 3 Psalms and their genres The collection of Old Testament psalms (and equally, a host of similar ancient Near Eastern accumulations of religious poetry) may serve as a prime example of how the understanding of texts and text-users (composers) oscillates with changing basic parameters. Gunkel’s masterful idea was this: With the absence of confirmed authors a piece of literature has to be valued by its linkage with “recurring situations of communication” which, in fact, are made co-responsible by him to have created the very psalms. This “Sitz im Leben” was taken to be the anchor of the text in social and religious reality. Modern psalmexegesis to a large extent has shifted its approaches (under the leadership of Brevard Childs, Gerald Wilson, Erich Zenger, Matthias Millard and others) towards a secondary, that is, written state of affairs: They postulate a predominant author-reader relationship in this poetry under canonical (dogmatic) perspective. Emphasis is on the final and 6

Cf. Gerstenberger, Social Science; Gerstenberger, Sitz im Leben; Breed, Nomadic Text.

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canonized state of transmission: The Book of Psalms is considered a wholesale literary product, and a certain hierarchical and doctrinal manifestation, notwithstanding former stages of oral, liturgical origin and use of individual psalms and smaller collections.7 Granted, they formally stick to the concept of text-reader collaboration. But the tight relationship to various social communicative situations and the equivalence of both sides are dissolved. The canon gains supremacy and individual poetic units in their (theological) diversity are all but levelled out. Specific seasonal or other festivities (hymns), casual rites of supplication or fulfillment of promise (complaints; thanksgiving), self-reflective meditations on life and death, justice and culpability, sin and atonement (sapiential poems) all indicative of deep roots in a broad spectrum of real life situations are being set aside.8 In terms of an Old Israelite history of literature “canonical” approaches seem to be grave misjudgments. “Reading” the psalms instead of using them in a variety of liturgical services very probably turned a custom only in later Christian monastic orders like that of St. Benedict of Nursia (5th century AD). The Psalter’s primary and abiding (to this day!) character as a collection of poems mostly for varied ritual use with the accompaniment of instruments and under the direction of liturgical specialists (masters of ceremony) is being disregarded and replaced by doctrinal considerations. Any kind of form-critical analysis of any given psalm would clearly lead to a classification in cultic9 terms. Even “wisdom psalms” may have come out of meditative assemblies of early Jewish congregations. Along this line of argumentation, literary and doctrinal criticism could support the findings of form-analysis. And there is ample evidence in Babylonian and other ancient Near Eastern cultures as well as in existing tribal 7

Cf. Hossfeldt/Zenger, Psalmen 51–100, 26–35. Cf. Gerstenberger, Psalms 1; Gerstenberger, Psalms 2. 9 Meaning both temple and casual services, cf. Gerstenberger, NonTemple Psalms, 346–347. 8

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societies of ritual or ceremonial use of prayers and hymns.10 4 Ps 55 as an example: Structural and social-critical analysis Ps 55 is just one among some 30 specimens of “individual songs of complaint” (‘persönliche Klage- und Bittgebete’) of the Psalter. The genre has its counterpart in Babylonian incantations: There they appear as “prayers of the patient” in the context of ritual ablutions, exorcisms, confessions etc.11 Such prayers certainly were sacred texts in the possession of shamanistic healers who made their patients recite them line by line at due points within extensive rituals.12 There is a common basic pattern of individual complaints, a certain sequence of discourse-elements in approaching the deity, viz. “invocation; complaint; confession; supplication; affirmation of confidence; imprecation against enemies; vow; anticipated thanksgiving” etc. But every single psalm of this category has characteristics of its own, probably reflecting special diagnoses of the patient’s condition.13 A certain common pattern can be verified in cross-cultural comparison, although individual structures and wordings of petitionary prayers are quite distinct. The peculiarities of these texts, however, must not be counted as mere idiosyncrasies. Rather, since ritual petitions have been texts addressing the needs of specially diagnosed patients, they are administered and dosed like modern medicines on the basis of general symptoms and particular necessities. Here are some peculiarities of Ps 55: The speaking voice (who addresses whom?) sometimes is left in the dark. 10

Cf. Maul, Zukunftsbewältigung, 37–113; Gerstenberger, Der bittende Mensch, 6–11. 11 Cf. Maul, Zukunftsbewältigung, 67–71. 12 Cf. similar ceremonies of healing in some tribal societies of our days, e.g. Reichard, Prayer, 9–49. 13 Cf. Heeßel, Diagnostik, 47–74.

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Does only the patient recites the psalm? Or does the ritual expert interfere here and there (cf. V. 10a.16.20–23)? The sequence and frequency of form-elements (complaints: V. 4–9.10c–12.20c–22; imprecation: V. 10a–b.16. 24a–d; contestation: V. 13–15; affirmation of confidence: V. 17– 20b.24e; exhortation of bystanders[?] or patient[?]: V. 23) seem to be irregular. There are three complaints, three imprecations, two affirmations of confidence, and one contestation and exhortation each. A vow to bring sacrifices and the (anticipated) thanksgiving are missing.14 While literary and author-oriented studies envision the repetitious, performance-driven structure as purely poetic traits form-critical analysis recognizes ceremonial or liturgical inducements. They would, of course, also imply participation of a ritual expert, most likely a priestly or shamanistic figure. Since OT psalms do give us little direct evidence of their handling complaint psalms we have to refer to the mentioned Babylonian counterparts which, by their extensive ritual instructions clearly illustrate the healing procedures.15 This line of analysis comes out of a long study of relevant matters, it is not a petitio principii.16 Among the agents strongly identified are the opponents of the supplicant. They are called by hostile names and attributed with the worst intentions against the speaking I: ‘enemies’ (‫ ;אויב‬V. 4.13), ‘godless, wicked’ (‫ ;רשׁע‬V. 4). Most despicable are the treacherous friends, formerly intimate companions (V. 13–15.21f.), who have turned into dangerous opponents. All these harbor deadly evil in their minds (cf. V. 4b.11f.13.18.21f.) and are plainly considered the instigators of all the evil that has befallen the supplicant. In V. 10b–12 they apparently have demonic features or else they ally themselves with demons who circulate the city causing horror and destruction. Violence against the sufferer can be effected by mobbing and cursing alone (V. 22; cf. Ps 5,10; 10,7; 50,19; 52,4; 57,5; 64,4; 14 15 16

Cf. structuring of the poem in Gerstenberger, Psalms 1, 222–225. Cf. Maul, Zukunftsbewältigung, 37–66. Cf. Gerstenberger, Der bittende Mensch, 93–160.

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109,2; 120,2f.; 140,4). Small wonder, that emotions run high against the evil-mongers. The imprecations V. 10a– b.16.24a–d are highly dangerous weapons of the ritual expert against the ‘enemies’ (cf. Judg 17,2f.). Because the use of curses in rituals may have been restricted to the ceremonial experts (cf. Ps 109,6–20: a cursing litany of the supplicant or his healer) these “personal condemnations” indeed may have been spoken by the leader of ceremony. The deity in petition rituals certainly is the most important agent. It is addressed in strong and direct pleas and praising or trustful affirmations (cf. Ps 55,2f.10.16[?].16–20 [3rd person].24). Altogether, then, three parties interact in this prayer: The supplicant, speaking urgently in the first person singular to God, begging for his attention and help, describing his or her17 plight, emphasizing his or her confidence of being heard seems to be the dominant person. The ‘enemies’ come next, especially those, or one of those, who had been former friends, being addressed even in the second person as if he were present (‘But it is you, my equal, my companion, my familiar friend [‫]אלופי ומידעי‬, with whom I kept pleasant company; we walked in the house of God with the throng’ V. 14f.). Last, but not least, there is God to whom all discourses are directed. He ‘will hear’ the supplicant, ‘will humble’ the adversaries (V. 20), ‘will cast them down into the lowest pit’ (V. 24). The exhortation of V. 23 could possibly be an oracle of salvation or comfort from God, recited by the officiant. Stating this assumption we may go back to some former claims. The whole psalm most likely, on the evidence of its structure and characteristics and in the light of Babylonian counterparts, has originally been the work of a priestly, prophetic (cf. Elias and Elisha and their healing activities) or other shamanistic curer who in ancient times would lead a full healing ritual in the midst of which the patient had to recite the prayer prepared by the liturgist for particular lifethreatening dangers caused by hostile compatriots and possible demons. 17

Cf. Bail, Schweigen, 5–7.

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For the rest, we may refine observations on Ps 55 and its “Sitz im Leben” (‘social setting’) by pointing to the portrayed city-life (V. 10b–12) sounding like the phobia of a country-dweller, counteracted by the supplicant’s desire to ‘flee far away’ to ‘lodge in the wilderness’ (V. 8) ‘like a dove’ (V. 7). Belief in demons (often animal-like; cf. V. 11; Ps 22,13f.17; 59,7f.15f.) has been very common in antiquity and far into the Christian era; in fact, the scientific age never eliminated completely the fear of ghostly forces. Ancient demonology is a vast field of research: Its influence on medical and incantational practice certainly is present in Biblical and Christian literature and cult. – Ps 55 lacks formal acknowledgement of customary sacrifice after salvation (cf. Ps 107) especially when vowed beforehand (cf. Ps 7,18; 13,7; 22,21b–27; 50,23; 52,11; 54,8f.; 56,13f.; 59,17f.; 61,9 etc.). Nevertheless, hope for salvation and restauration is quite present in this prayer (cf. V. 17–20.24). In all its parts the emotions go very strong, expressed in typical language of despair, anxiety, longing, feeling left alone and trusting in God’s attention and readiness to help. Similar emotionality can be found in Babylonian counterparts. The assumption is, that the professional curer owned a collection of complaint- and petitionary prayers. He would choose the appropriate text for each given case, and presumably, according to his experience, he also was free to modify it in line with initial diagnosis and further evaluations of each case. Each complaint-psalm of the Psalter, in consequence, originated as a professional formulary of petition to be used by the patient at the discretion of the healer. A recent study of Ps 5518 takes the opposite view. On the surface the authors use text-pragmatic categories according to Christof Hardmeier.19 But basically, they limit their vision to an autobiographical perspective of one authorpoet who describes his or her personal fate. Thus the authors have to interpret the agitation of “enemies” being 18 19

Ruwe, Du aber bist es, 147–189. Hardmeier, Textwelten 1, 5–21.

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culminated by a mobbing attack of treacherous friends. They have to admit an audience, which is able to overhear the complaints of the sufferer, but they exclude a formal ritual procedure and the role of a shamanistic leader. The prayer of the patient remains a forlorn solipsistic act in the face of a personal God. The text, for Hardmeier and his fellows, remains a mystically closed unity. It does not open up to the generating social forces represented by the shaman-author and the spiritual community supporting him. Granted, the autonomy of the text can be defended by the notion, that it is difficult for us to look “behind” ancient pieces of literature. Yet, we do have sufficient indications in the Psalter and impressive analogies outside its corpus which allow for plausible reconstructions of the prayers’ ceremonial backgrounds. Reader-response theories have opened up the horizons to recognize not only individual producers and recipients of poems but also social implications. Ruwe and colleagues without evidence take Ps 55 as the literary work of an individual sufferer. My view, however, is that Ps 55 comes from of old being embedded in a healing ritual as described above. A shamanistic curer within the molds of the diviners, soothsayers, augurs, sorcerers, spell-casters, ghost-consultors, necromancers of Deut 18,10f. would practice healing ceremonies on demand in pre-exilic times. Then, with the formation of the obedient Torah-community after the exile, in the Persian period, the whole gamut of shamanistic activities became outlawed. Who knows, however, how much of these vital curative functions and functionaries survived even at the time and level of the canonized text and orthodox synagogal life. 1Sam 28 may well tell of a post-exilic experience instead being a story of king Saul. Sure, there very probably have occurred modifications of the genuine shamanistic complaint ritual. From the original shamanistic performance the complaint psalm came into the early Jewish community life with its Yahwistic and Torah-oriented liturgies, eliminating all poly-theistic,

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demonic allusions.20 Possibly, magic, incantational references were purged from the rituals (but there does remain a good number of allusions to demons and bad powers in the Psalter, as related above!). Yahweh-directed words took the place of incantations or: Shamanistic magic was used under the new rubric of “prayer” (the compulsive word!) to Yahweh. Other examples of similar transitions in life-settings seem to prove, that much of earlier ritual traditions live on in the changed community framework. Thus ritual prayers and some pre-Yahwistic symbolic actions were transplanted into congregational life (cf. Isa 38; Ps 12; 91; 102; 109). Even our own casual praxis still bears some witness to ancient predecessors in tribal traditions (e.g. exorcisms in Christian worships). Puristic reforms (cf. 2Kgs 22f., or Christian, Muslim, Hindu iconoclasms, for that matter) never achieve their goals thoroughly. 5 Ritual performance and socio-generic forces in literature Whoever has witnessed some healing performances e.g. in original tribal societies, will be impressed by the richness of liturgical ceremonies and the wealth of underlying thoughts, connotations, expertise and theology.21 It is important to state, that healing rituals normally involve groups, require the leadership of specialists who interact with participants, conjure superhuman forces, proceed through phases of purification, exorcisms, empowerment, rehabilitation, healing. The communal or individual texts of prayers and dedications in all likelihood are property of the shamanistic leader, but they are also products of the community in which they reflect necessities of the group,

20 Cf. Deut 18,9–12; Gerstenberger, Israel in Persian Period, 99–101, 353–360. 21 Bell, Ritual, 115–120; Kluckhohn, Introduction, 57–74.

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interactions with living situations.22 Therefore, text-production as well as ceremonialism are not simply the work of the expert. They depend largely on communal experience and insight. Individual authorship of psalms cannot be measured by modern parameters of literary activity. Catherine Bell summarizes common features of healing rituals from a global perspective:23 If diagnosis, often by divination, has determined evil spirits as the cause of illness, the shamanistic expert selects suited rituals for the combat of the disorder, which “heal, exorcise, protect, and purify”. “This takes the form of purging the body and mind of all impurities.”24 A first step of the healing procedure normally is determining the particular causes of the patient’s ill fate. “Various divinatory techniques and skillful questioning of the client”25 are in order. Therapy occurs within full family surroundings including deceased ancestors and helpful spirits.26 “Purification is a major theme within the rites of affliction”27, consisting of “physical and spiritual cleansing”; “fire and water are among the most common ritual agents of purification”28. Besides their “psychotherapeutic effects”, these rituals “hold all [the addressed] powers to some degree of accountability and service. […] they demonstrate that the human realm is not completely subordinate to the realms of spiritual power; these rites open up opportunities for redefining the cosmological order in response to new challenges and new formulations of human needs.”29 Anthropological and sociological considerations, in short, are opportune to widen the mere literary form-critical investigation of the text materials. This leads to a threepronged interrelationship of text, professional expert 22 23 24 25 26 27 28 29

Cf. Maul, Zukunfsbewältigung, 119–156. Cf. Bell, Ritual, 115–120: “Rites of Affliction”. Bell, Ritual, 115. Bell, Ritual, 116. Cf. Bell, Ritual, 117. Bell, Ritual, 118. Bell, Ritual, 119. Bell, Ritual, 120.

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(liturgist), and patient. The wicked opponents and the merciful deity are watching from the outside of the drama ready to interfere. This scheme, although amplified, is a truly form-critical set-up in the sense and perhaps to the liking of Hermann Gunkel and Sigmund Mowinckel. It does transcend the reader-response mechanisms of modern interpreters in that it is not constrained to a reading process but does include human action. Performative texts like the psalms need this extension. They have been composed and transmitted to serve a social, “ecclesiastic” function, until this very day. Private reading of psalms is a wonderful gift to literate and wealthy people, but it is a secondary mandate for performing texts. 6 Theological implications; transferability of situations Psalm interpretation today should abstain from narrow literary assumptions. The original use of some genres (mainly complaints and thanksgivings) was in the area of healing and rehabilitation. Theologically speaking: These psalms combat evil forces in the natural world and in society with the help of personal and higher gods. Enemies of varies kinds have to be eliminated. Damage done has to be restored, life conditions to be amended. The patient’s praise (and sacrifice) is a summons to and recompense for divine assistance. A similar backdrop can be surmised in today’s different procedures in physical and psychic healing. Destructive powers are counteracted by remedies and psychological treatment. The saved person needs to be reintegrated into his / her social setting. Gratitude is considered a natural reaction to salvation and new life-options (cf. testimonies of people who survived heart attacks, lethal injuries or infections, cancer, strokes, aids, etc.). The basic structure of diagnosis, healing, rehabilitation remains the same even in our secularized world. God sometimes still is involved in some anthropological or abstract ways as the ultimate healer or benign power. Theology has to recognize transformations of world views and thought

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patterns as well as present (so-called “scientific”) models of reasoning and feeling. – Some questions to wind up the foregoing deliberations are now in order. 7 Crucial points of method and hermeneutics New Form Criticism uses refined methodological approaches to transmitted texts. It has discovered the interpreters’ involvement in text-production, both in antiquity and present day situations. Texts are no longer to be considered autonomous. In addition, they never have been final or canonic but always were subject to change, that is, to re-interpretation or re-creation. Exegesis therefore should, as it always has done, aim at speech patterns, literary forms, micro- and macro-text structures. But most of all it must not forget the roots of all communicative and performative discourse in real life settings: 1. In the process of interpretation, a clarification of own standpoints and perspectives is necessary:30 What is the general frame of our own understanding of ancient texts? Are we unwittingly applying our accustomed patterns of thinking to ancient living conditions? For example, do we exclusively count on reader-text relations so familiar to us in our literary environment? 2. Specifically: Are the psalms reflecting personal, biographical experiences or are they general statements, formulated for the use of individuals in their distress and joy? To what degree may they reflect liturgical performance embedded in more or less extensive rituals under the direction of experts (cf. Christian casual practice)? The vicinity of individual complaints to the congregational cult was already a hot issue of debate between Gunkel [“geistliche Nachdichtung”] and Mowinckel. 3. Liturgical (oral) beginnings of psalm poetry are almost uncontested in present research (references to ritual within 30

Brown, Handbook, 7–25.

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the psalms; psalms in narrative contexts; Babylonian and other ritual instructions etc.). To what extent did the process of writing down and transmitting canonical texts change or amplify the original use? Is there some plausibility to the assumption that early Jewish, Torah-oriented communities continued to use, in slightly modified shapes, the shamanistic prayers of pre-exilic times, presumably in a remodeled, theologically “correct” form (cf. Ps 12 or the insertion of V. 13–23 into Ps 102)? 4. How do we recognize formal modulations and secondary insertions of complaint psalms? Structural analyses of “minimal sequences” (on the basis of logical built-up?) are reasonable. Abrupt alterations of discourse (speaker; addressee; mood): Could they be evidence for ritual performance or literary insertion? Likewise: Logical development of thought, narrative or situational plausibility: Are they indications of scribal activity? 5. Do the language of psalm-poetry (rhythm; metaphors; semantics; theology etc.), the superscriptions and recognizable collections of psalms, the comparable literature of the ancient Near East indicate anything about communal use of these prayers and hymns? One strong argument could be the I- and We-styles, much neglected in formcritical study. The plural form could often be indicative of communal singing or praying (cf. Ps 8,2.10; 12,8; 28,8f.; 44; 46; 47; 48; 60; 65; 66,1b–12; 67; 68,20f.; 72,18; 74,1– 11; 75,2; 79,8–13; 80; 81,2–4; 85,5–8; 90; 95; 99,5.8f.; 100; 102,15.29; 103,10–12; 106,6f.47; 108,12–14; 115; 117; 118,24–27; 123; 124; 126; 129,8; 132,6; 137; 147,1). The list of communal song or prayer is impressive, especially if one compares the rare examples in ancient Near Eastern cultic poetry. Very likely this fact reflects the “parochial” character of Jewish groups. 6. It is worthwhile to try to reconstruct further the real performance of psalm-liturgies in pre-canonical and canonical times. Who took part in the rituals? Which were the roles of leader of ceremony, patients (individual supplicants and adorers of the divinity), community, bystanders, musicians, choirs? Unfortunately, there are some reports

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on communal festivities and their ceremonies, especially in Chronicles. Casual rites e.g. of diagnoses and healing procedures are rare (cf. 1Kgs 14,1–16; 2Kgs 4,8–37; 5; Isa 38 [with quoted prayer!]; Job 33,19–28; Num 5,11–28 etc.), as already pointed out. 7. Do comparisons with functionally related procedures (plea; thanksgivings; praise; meditation plus ritual prescriptions of cleansings, exorcisms, sacrifices etc.) in tribal and other societies help us to understand psalmic texts? Is it legitimate to draw on such external evidence and postulate similar customs, institutions, personal among ancient Israelites? General considerations and more evidence from tribal cultures which can be observed in situ lend overwhelming strength to the argument in favor of comparability and virtual transfer of institutions. The latter would not have been identical, but analogous in their functions. Thus the ancient, most of all the Babylonian, texts on healing, including their spiritual power and theological conceptualizations, may serve as a type of models in Near Eastern healing ceremonialism. 8. The inclusion of life-settings in exegetical and theological scrutiny enables us to take seriously present-day social organization, in its text-and-ritual production from smallest units (family; neighborhoods; congregations) to largest agglomerations (church-bodies; national / international and global networks). Their spiritual and theological needs are certainly different among the groups and in each period. Distinguishing them sociologically and theologically (that is: admitting different religious conceptualizations on each level) brings into the debate a plurality of religious ideas. Is it theologically legitimate to draw these conclusions? Are we leaving the monotheistic consensus of western civilizations when doing so? New Form-Criticism should not evaporate the social and performative dimensions of OT psalms but uphold and strengthen the recognition of their performative use and

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social anchoring.31 It also should liberate the sacred texts of their imprisonment in traditional doctrines of self-sufficiency. Literatur Bail, U., Gegen das Schweigen klagen, Gütersloh 1998. Bell, C., Ritual, Perspective and Dimensions, New York / Oxford 1997. Boda, M.J. u.a. (Hg.), The Book of the Twelve and the New Form Criticism (Ancient Near Eastern Monographs) Atlanta, GA 2015. Breed, B.W., Nomadic Text: A Theory of Biblical Reception History (Indiana Series in Biblical Literature), Indianapolis, IN 2014. Brown, W.P., A Handbook to Old Testament Exegesis, Louisville, KY 2017 Buss, M.J., Biblical Form Criticism in its Context (JSOT.S 274), Sheffield 1999. –– The Concept of Form in the Twentieth Century, Sheffield 2008. –– The Changing Shape of Form-Criticism. A Relational Approach, Sheffield 2010. Eisen, U.E. / Gerstenberger, E.S. (Hg.), Hermann Gunkel revisited. Literatur- und religionswissenschaftliche Studien (exuz 20), Münster 2010. Gerstenberger, E.S., Der bittende Mensch (WMANT 51), NeukirchenVluyn 1980 (reprint: Eugene, OR 2009). –– Psalms. A Formcritical Commentary, vol. I (FOTL XIV), vol. II (FOTL XV), Grand Rapids, Mi 1988/2001. –– Social Sciences and Form-Criticism. Towards the Generative Force of Life-Settings, in: Sandoval, T.J. / Mandolfo, C. (Hg.), Relating to the Text (JSOT.S 384), London 2003, 84–99. –– Vom Sitz im Leben zur Sozialgeschichte der Bibel. Hermann Gunkel, ein zeitgebundener Visionär. Was macht seine Exegese heute noch aktuell? In: Wagner, T. u.a. (Hg.), Kontexte. Biografische und forschungsgeschichtliche Schnittpunkte der alttestamentlichen Wissenschaft (FS Boecker), Neukirchen-Vluyn 2008, 157–170. –– Israel in the Persian Period, Atlanta / Leiden 2012. –– Non-Temple Psalms. Their Cultic Setting Revisited, in: Brown, W.P. (Hg.), The Oxford Handbook of Psalms, New York 2014, 338–349. Gunkel, H. / Begrich, J., Einleitung in die Psalmen (HAT.S), Göttingen 1933 (reprints until 1985). 31 Cf. Buss, Changing Shape, 155–214; Gerstenberger, Social Sciences, 90–99.

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Hardmeier, Christof, Textwelten der Bibel entdecken, 2 Bde., Gütersloh 2003, 2004 Heeßel, N.P., Babylonisch-assyrische Diagnostik (AOAT 43), Münster 2000. Hossfeld, F.-L. / Zenger, E., Psalmen 51–100 (HThKAT), Freiburg u.a. 2000. Keel, O., Feinde und Gottesleugner, Stuttgart 1969. Kluckhohn, C. / Wyman, L.C., An Introduction to Navaho Chant Practice, Washington 1940. Maul, S.M., Zukunftsbewältigung. Eine Untersuchung altorientalischen Denkens anhand der babylonisch-assyrischen Löserituale (Namburbi) (BaF 18), Mainz 1994. Reichard, G.A., Prayer, the Compulsive Word, Washington 1944. Ruwe, A. (Hg.), Du aber bist es, ein Mensch meinesgleichen (Psalm 55.14) (BthSt 157), Neukirchen-Vluyn 2016. Sweeney, M.A. / Ben Zvi, E. (Hg.), The Changing Face of Form Criticism for the Twenty-first Century, Grand Rapids, MI 2003.

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Anna Eliese Zernecke

Anna Elise Zernecke

Die „Fernbeziehungen“ von Ps 92 Zufall, Zitat oder formelhafte Sprache?

1 Das Problem: die „Fernbeziehungen“ von Ps 92 Das Vorkommen identischer oder sehr ähnlicher Formulierungen in verschiedenen Texten des Alten Testaments ist kein seltenes Phänomen. Es ist eine Herausforderung für die Exegese und die literaturwissenschaftliche Erforschung der Texte: Je nach zugrunde gelegten Prämissen unterscheiden sich die Lösungsansätze für die Deutung des Verhältnisses solcher Texte zueinander. Gleiche Formulierungen können ein Indiz für literarische Abhängigkeiten sein, es kann sich aber auch um formelhafte Sprache oder ein im Hintergrund beider Texte stehendes Motiv handeln. Die Frage nach der Herkunft der Parallelen stellt sich noch verschärft, wenn es dieselben oder ähnliche Formulierungen in Texten aus den Nachbarkulturen des alten Israel gibt. Dieses Problem lässt sich gut an Ps 92 aufzeigen. Ps 92 steht am Rande der Aufmerksamkeit der Psalmenforschung. Die Überschrift ordnet ihn dem Sabbat zu,1 interessant ist die Aufzählung der Musikinstrumente in Ps 92,4. Die Vergleiche des Frevlers und des Gerechten mit dem Gedeihen und Vergehen der Vegetation sind auf1 Vgl. Sarna, Psalm; Zenger, Psalmenexegese, 255–260; Zenger, Psalm 92, 640.

Die „Fernbeziehungen“ von Ps 92

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fällig (Ps 92,8.13–15).2 Wer formgeschichtlich nach „reinen“ Exemplaren von Gattungen sucht, hat keine rechte Freude an Ps 92; der Psalm wird als Mischung von Elementen eines Dankliedes, eines weisheitlichen Lehrgedichts und eines Hymnus bestimmt.3 Daher werden zur Rekonstruktion einer eindeutig erkennbaren Gattung teilweise massive literarkritische Operationen vorgeschlagen.4 Angesichts des Gegensatzes zwischen dem Gerechten und den Frevlern, die jeweils mit Pflanzen verglichen werden, und angesichts des Gewichts, das in Ps 92,14 auf das Eingepflanztsein im Hause JHWHs gelegt wird, gilt der Psalm meist als nicht besonders alt.5 Ps 92 hat interessante „Fernbeziehungen“: wörtliche Berührungen mit anderen Texten aus dem Alten Testament und der altorientalischen Literatur, die dem Psalm auf den ersten Blick eher fern stehen. Nach der Überschrift in Ps 92,1 kommt ein erster Satz (hymnischer Aufgesang)6, der drei Verse umfasst: 2 3 4

2

‫טוב להדות ליהוה‬ ‫ולזמר לשמך עליון‬ ‫להגיד בבקר חסדך‬ ‫ואמונתך בלילות‬ ‫עלי עשור ועלי נבל‬ ‫עלי הגיון בכנור‬

Es ist gut, JHWH zu loben und deinem Namen zu singen, Höchster, zu erzählen am Morgen deine Treue und deine Wahrhaftigkeit bei Nacht zu einer Zehnsaitigen und zu einer Harfe (und) zum Klingen (mit) einer Leier.

Vgl. Sticher, Die Gottlosen, 254–258. Vgl. Gunkel, Psalmen, 408: Danklied und Hymnus; Zenger, Psalm 92, 630: Elemente des Hymnus, des Dankpsalms und des weisheitlichen Lehrgedichts. Dem folgen z.B. Sticher, Die Gottlosen, 256. 4 Vgl. Zenger, Psalmenexegese, 249–251, dort Diskussion des Problems. Ein solches Vorgehen findet sich bei Loretz, Psalm 92, 284: Danklied 2–5.11–12, ergänzt in 6–10 (10 ist Zitat).13–16. Auch Seybold, Psalmen, 365, sieht ein ursprüngliches Danklied durch Zusätze in 8b.9.10aα.14. 15 erweitert, die aus dem Psalm „ein Bekenntnis zu Tempelmusik und Tempeldienst“ machen. 5 Vgl. Gunkel, Psalmen, 409 (aus gattungsgeschichtlichen Gründen); Zenger, Psalm 92, 631, datiert auf das 5./4. Jh.; Oeming/Vette, Buch, 38, (aufgrund „der erreichten Differenziertheit des theologischen Denkens der Spätzeit“). 6 Vgl. Zenger, Psalm 92, 630. 3

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Dieser Anfang mit einer allgemeinen qualitativen Aussage (‫טוב‬, ‚es ist gut…‘) ist nicht charakteristisch für den Beginn eines Dankliedes eines Einzelnen. Er hat aber eine enge Parallele im Anfang von Ps 9:7 2

‫אודה יהוה בכל לבי‬

3

‫אספרה כל נפלאותיך‬ ‫אשמחה ואעלצה בך‬ ‫אזמרה שמך עליון‬

Ich will JHWH loben mit meinem ganzen Herzen, ich will erzählen all’ deine Wunder; ich will mich freuen und jauchzen über dich, ich will deinem Namen singen, Höchster.

Hierbei handelt es sich um ein typisches Lobversprechen, das am Anfang eines Dankliedes stehen kann.8 Gemeinsam ist den beiden Psalmenanfängen ein großer Teil des Vokabulars: das Verb ‫ ידה‬hi (‚loben, preisen‘) mit JHWH als Objekt im ersten Halbvers, das Verb ‫ זמר‬pi (‚lobsingen‘) mit dem Objekt ‫ שם‬mit Suffix der 2. m. Sg. (‚dein Name‘; in Ps 92 mit ‫ ל‬angeschlossen, in Ps 9 ohne Präposition), darauf folgend der Vokativ ‫‚ עליון‬Höchster‘ im zweiten Halbvers. Gemeinsam ist beiden Passagen ein Wechsel zwischen Rede über Gott am Anfang und direkter Anrede Gottes am Ende. In Ps 9,2f. stehen drei weitere Verben zwischen ‫ ידה‬und ‫זמר‬. Die Syntax ist unterschiedlich: die Verben sind in Ps 9 Formen der 1. Sg., in Ps 92 handelt es sich um von ‫ טוב‬abhängige mit ‫ ל‬verbundene Infinitive. In Ps 92 werden noch dazu die jeweiligen Objekte mit ‫ ל‬angeschlossen. In Ps 9 ist der erste Satz erweitert mit ‫בכל לבי‬. Es stellt sich die Frage, wie sich beide Passagen zueinander verhalten: Handelt es sich um einen Zufall oder ein Zitat? Die Gemeinsamkeiten könnten als literarische Beziehung oder als Formel (‘stock phrase’) gedeutet werden. 7

Ps 9 ist Teil des Akrostichons Ps 9/10, das in der Septuaginta ein einziger Psalm ist; Hossfeld, Psalm 9/10, 81; Seybold, Psalmen, 55; Sager, Polyphonie, 23f. 8 Vgl. Hossfeld, Psalm 9/10, 86.

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In den Beobachtungen zu intertextuellen Phänomenen und Textbezügen in Kommentaren steht diese Verbindung zwischen Ps 92 und Ps 9 am Rande – falls sie überhaupt erwähnt wird.9 Dafür wird aber umso stärker eine weitere Passage in Verbindung zu Ps 9,2f. interpretiert: Ps 7,18, das Lobversprechen am Ende eines individuellen Klageliedes. ‫אודה יהוה כצדקו‬ ‫ואזמרה שם יהוה עליון‬

Ich will JHWH loben gemäß seiner Gerechtigkeit und will singen dem Namen JHWHs, des Höchsten.

Auch hier steht im ersten Halbvers ‫ ידה‬hi und im zweiten ‫ זמר‬pi in Formen der 1. Sg. wie in Ps 9. Das Objekt, das wie in Ps 9 direkt angeschlossen wird, ist im ersten Fall JHWH (erweitert mit ‫)כצדקו‬, im zweiten wieder ‫שם‬. In Ps 7,18 folgt allerdings keine direkte Anrede, sondern die Constructus-Verbindung ‫שם יהוה עליון‬. Es gibt also keinen Personenwechsel und keinen Vokativ. Die Ähnlichkeit von Ps 7,18 und Ps 9,2f. wird als kompositionelles Element für die lokale Psalmengruppe gedeutet, da die beiden Verse Ps 8 quasi „rahmen“.10 Diese unterschiedlichen Wertungen sind auffällig, denn die Parallelen zwischen Ps 7,18 und Ps 92,2 sind enger als zu Ps 9,2f. Die Nähe der Formulierungen zueinander ist bei drei Belegen kaum als

9

Der Bezug wird in den einschlägigen Passagen der Kommentare nicht erwähnt bei Hossfeld, Psalm 9/10, 81f. (zu Ps 9/10), und Zenger, Psalm 92, 631–634. 638–640. Im Stellenverzeichnis der Monographie zu Ps 9/10 von Sager, Polyphonie, kommt nur Ps 92,10 als Parallele zu Ps 9,4 (‫ אבד‬in Bezug auf die Feinde) vor (84), dabei wird in seinem Kapitel 13 „Ps. 9/10 im Kontext des Psalters“ (246–262) der Psalm im Rahmen von Ps 2–89 (250–254) und im Bezug zu Ps 93–100 (255– 257) untersucht. 10 Hossfeld, Psalm 9/10, 82, sieht eine bewusste Aufnahme der Formulierung des Lobversprechens aus Ps 7,18; vgl. aber 86: „Das Lobversprechen ist in formelhaften Wendungen gehalten“. Sager, Polyphonie, 236, „auf der Ebene des Endtextes“ Verbindung der Psalmengruppen 3–7 und 11–14.

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Zufall zu interpretieren. Daher stellt sich die Frage, wie die Parallele zu deuten ist. Bevor dies weiter geprüft werden kann, sollen weitere Parallelen zu einem anderen Vers aus Ps 92 untersucht werden. Ps 92,10 ist ein Trikolon: ‫כי הנה איביך יהוה‬ ‫כי הנה איביך יאבדו‬ ‫יתפרדו כל פעלי און‬

Ja, sieh, deine Feinde, JHWH, ja, sieh, deine Feinde werden zugrunde gehen, es werden sich zerstreuen alle Übeltäter.

Der erste Teil des Verses fehlt in einigen hebräischen Handschriften, im Codex Vaticanus und in der Vetus Latina11 und wird daher von manchen Kommentatoren als Dublette gestrichen.12 Dies ist jedoch unnötig. Ps 92,10 in seiner jetzigen Form besitzt eine interessante Parallele im ugaritischen Baalzyklus (KTU 1.2 IV 8–9):13 ht . ibk (9) bʿlm . ht . ibk . tmḫṣ . ht . tṣmtṣrtk

Jetzt, deinen Feind, Baal, jetzt sollst du deinen Feind schlagen, jetzt sollst du deinen Gegner vernichten!

Alle drei Kola im Baalzyklus beginnen mit der Partikel ht in adverbialer Funktion;14 dem korrespondiert in Ps 92,10 ‫כי הנה‬, womit aber nur die beiden ersten Kola anfangen. Es folgt in den beiden ersten Kola ib (Sg. oder Pl.) bzw. ‫איב‬ 11 Siehe Apparat der BHS z.St. Das Kolon steht im Aleppo-Codex (einsehbar unter www.aleppocodex.org) und im Sinaiticus (einsehbar unter www.codexsinaiticus.org). 12 Die Argumente dafür werden teils in der auffälligen Form gesehen, das Trikolon wird metri causa eliminiert: Seybold, Psalmen, 365f. Dagegen argumentieren Loretz, Psalm 92, 279, und Zenger, Psalm 92, 628, dass Ps 92,10 als Trikolon in Korrespondenz zum Trikolon in Ps 92,8 fungiert, Ps 92,9 ist das Scharnier. 13 Vgl. Loretz, Psalm 92, 280; Smith, Baal Cycle, 103, Anm. 28, und 166. 14 DUL 347.

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(Pl.), jeweils mit Suffix 2. m. Sg. (‚Feind‘). Dabei liegt beiden Wörtern dieselbe Wurzel zugrunde.15 Das erste Kolon wird in beiden Fällen mit einem Vokativ abgeschlossen; es ist der Name der jeweils angeredeten Gottheit (Baal bzw. JHWH).16 Im zweiten Kolon weichen beide Texte stärker voneinander ab. Nach ht bzw. ‫ כי הנה‬und ibk bzw. ‫ איביך‬steht eine Verbform. Im Baalzyklus ist Baal Subjekt, der Feind ist damit Objekt: Baal wird aufgefordert, ihn zu schlagen.17 In Ps 92 sind die Feinde Subjekt, sie sollen zugrunde gehen (‫ אבד‬qal).18 Das dritte Kolon entspricht jeweils dem zweiten: Nun steht die Verbform vorn (in KTU 1.2 wieder nach ht), Subjekt ist im Baalzyklus weiter Baal, der hier aufgefordert wird, seinen Gegner (ṣrt, wieder mit Suffix 2. m. Sg.)19 zu vernichten.20 In Ps 92 sind ‚alle Übeltäter‘ (‫כל פעלי און‬, ohne Suffix) Subjekt. JHWH handelt nicht und wird nicht direkt zum Eingreifen aufgefordert. Er ist lediglich durch den Vokativ im ersten Kolon präsent. Man könnte hinter dem Zugrundegehen und Sich-Zerstreuen der Feinde bei gleichzeitiger direkter Anrede JHWHs sein Handeln vermuten (als passivum divinum).21 Trotz dieser Unterschiede stehen beide Verse einander nahe. Ein direktes Zitat, d.h. die Annahme, dass der Autor von Ps 92 den ugaritischen Baalzyklus kannte, ist sehr un15

DUL 4; Ges18 44; Smith, Ugaritic Baal Cycle, 337. Die Kommentatoren des Baalzyklus interpretieren beide im Parallelismus stehende Begriffe zum Teil als Plural (Loretz, Psalm 92, 280; Tropper, Ugaritisch, 114), zum Teil als Singular (DUL 4.792; Smith, Ugaritic Baal Cycle, 322; Baal Cycle, 103; Bordreuil/Pardee, Manual, 159). Aus dem Kontext heraus ist der Singular naheliegend. 16 Im ugaritischen Text Gottesname Baal mit emphatischem enklitischem –m; DUL 510. 17 mḫṣ, ‚to wound, beat, crush, kill‘ DUL 540f.; vgl. hebr. ‫מחץ‬, Ges18 660f. 18 Ges18 2f. 19 ṣrt ‚enmity‘, ‚enemy, adversary‘, DUL 792; vgl. hebr. ‫צר‬, Ges18 1136. 20 ṣmt ‚to destroy, wipe out, defeat‘, DUL 786f.; vgl. hebr. ‫צמת‬, Ges18 1124f. 21 Impliziert bei Zenger, Psalm 92, 635f.

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wahrscheinlich, da die Ruinen von Ugarit zur Zeit der Abfassung von Ps 92 schon seit Jahrhunderten in der Erde lagen. Interessanterweise erwähnt der Kommentar von Hossfeld und Zenger diese Parallele nicht. Es gab allerdings einmal eine größere Debatte über die Beziehung beider Passagen, bei der alle Möglichkeiten diskutiert wurden.22 Loretz deutete 1993/94 den Vers als Zitat aus einem postulierten „verloren gegangenen israelitisch-jüdischen Gedicht über die Schöpfung durch Chaoskampf“, obwohl er die Nähe der Texte zueinander 1979 als Scheinparallele und Auswuchs des Panugaritismus bewertet hatte.23 In der neueren Literatur taucht KTU 1.2 IV 8–9 in der Diskussion von Ps 92 höchstens am Rande auf. Als Formulierungsparallele wird nun vor allem Ri 5,31a, der Schlussvers des Deboraliedes, herangezogen.24 ‫כן יאבדו כל אויביך יהוה‬ ‫ואהביו כצאת‬ ‫השמש בגברתו‬

So werden alle deine Feinde zugrundegehen, JHWH, aber die ihn lieben, sind wie der Aufgang der Sonne in ihrer Kraft.

Die Nähe der Stellen zueinander, die ausschließlich jeweils ein Kolon betrifft (Ps 92,10aβ und Ri 5,31aα), wird 22 Vgl. Ginsberg, Victory, 327 (kein Zufall); Sarna, Psalm, 160–165: Bezug auf spezifisch israelitische Chaoskampfmythologie, mit weiterer Literatur; Donner, Ugaritismen, 344–346, der festhält, dass beiden Texten nur das Thema, die „Vernichtung der Feinde Gottes“ gemeinsam ist, alle weiteren Gemeinsamkeiten sind „Manifestationen des Panugaritismus“ (345); Schoors, Phrases, 40f., der die Parallelen als literarischen Kontakt versteht (mit weiterer Literatur); Fenton, Nexus, 72–74, der einen gemeinsamen sprachlichen und poetischen Fundus postuliert. Smith, Ugaritic Baal Cycle, 337, betont die Nähe beider Passagen. 23 Loretz, Psalm 92, 281, mit Verweis auf Sarna, Psalm. Vgl. aber Loretz, Scheinparallele. 24 Vgl. Zenger, Psalm 92: Aufnahme von Ri 5,21 [sic] als „gezielte Anspielung auf geschichtstheologische Überlieferungen“, so auch Sticher, Die Gottlosen, 256; vgl. Zenger, Loblied, 505; Pfeiffer, Kommen, 79f.

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nun häufig als literarische Abhängigkeit gewertet; welcher Text Geber war, wird verschieden bestimmt.25 Aber wenn es hier um voneinander abhängige Texte geht, muss der Baalzyklus auch diskutiert werden, dem Ps 92,10 ähnlicher ist als Ri 5,31. 2 Geprägte Sprache: Wortpaare (‘word pairs’) Bei der vergleichenden Betrachtung von Ps 92,2; Ps 7,18 und Ps 9,2f. sind die Ähnlichkeiten so prägnant, dass man versucht sein kann, literarische Abhängigkeiten anzunehmen.26 Diese Anmutung verliert sich, wenn man die Stellen mit einbezieht, die sprachliche Übereinstimmungen mit den drei Psalmenversen aufweisen: Die beiden Verben ‫ ידה‬hi und ‫ זמר‬pi stehen noch an 12 weiteren Stellen parallel, teilweise direkt wie in Ps 7,18 und Ps 92,2, teilweise durch weitere Sätze getrennt wie in Ps 9,2f. Dabei steht ganz überwiegend ‫ ידה‬an erster Stelle, unabhängig von Verbform und Person. Häufig ist JHWH Objekt von ‫ידה‬ und eine Konstruktion, in der ‫ שם‬vorkommt, das Objekt von ‫זמר‬. Wenn es so viele ähnliche Formulierungen gibt, würde es sich um ein ganzes System von Anspielungen und Zitaten handeln. Dies wird aber unwahrscheinlich, wenn man die entsprechenden Verse genauer ansieht. Viele der Berührungen sind sehr indirekt, gemeinsam sind ihnen nur die beiden im Parallelismus stehenden Verben ‫ ידה‬und ‫ זמר‬und verschiedene Gottesbezeichnungen als Objekt oder Vokativ. Dieses Phänomen mehrfach im 25

Zenger, Psalm 92, 630: Ri 5,31 Geber; aber Ri 5,31 wird im Kontext des Deboraliedes häufig als sekundär angesehen, vgl. Smith, Heroes, 519, Anm. 50. Nach Pfeiffer, Kommen, 79f., ist Ri 5,31a eine Ergänzung zum Deboralied, die dem gleichen geistigen Milieu nachexilischer weisheitlich geprägter individueller Frömmigkeit wie Ps 92 entstammt. 26 Culley, Language, 56, Nr. 41, führt Ps 7,18b; 9,3b; 92,2b als Formel; Ps 7,18a; 9,2a; 92,2a gehören bei ihm nicht zu einem gemeinsamen System; zu Ps 9,2a gibt es nähere Parallelen (Culley, Language, 66, Nr. 64).

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Parallelismus membrorum parallel zueinander vorkommender Wörter wird als „Wortpaar“ (word-pair) bezeichnet.27 Als Kriterien für die Identifikation eines Wortpaars gelten: – die Zugehörigkeit zur selben grammatikalischen Klasse (Verb, Substantiv etc.) – das Vorkommen im Parallelismus – ihre relative Häufigkeit.28 ‫ ידה‬und ‫ זמר‬sind in Ps 92,2 und Ps 7,18 also ein Wortpaar, außerdem in 2Sam 22,50 (≈ Ps 18,50), Ps 33,2; 57,10 (≈ Ps 108,4); 71,22; 138,1, sowie in Ps 30,5 und Ps 30,13 in umgekehrter Reihenfolge. In Ps 9,2f. stehen weitere Verben dazwischen. ‫ יהוה‬und ‫( שם‬mit Suffix) sind in beiden Versen gleichfalls ein Wortpaar, genauso in Jes 12,4; Ps 105,1 (≈ 1Chr 16,8) und an vielen weiteren Stellen, die mit den beiden Verben nichts zu tun haben.29 Die Menge der Belege und ihre disparate Verteilung legt nahe, dass es sich vermutlich nicht um ein gigantisches, den Psalter und die weitere alttestamentliche Gebetsliteratur durchziehendes Zitatsystem handelt, sondern um ein typisches Stilmittel hebräischer Poesie – und darüber hinaus.30 Das Phänomen der Wortpaare ist nicht auf Parallelismen im Hebräischen beschränkt. Vor allem gemeinsame Wortpaare im Hebräischen und Ugaritischen wurden untersucht.31 Aber auch akkadische Texte – gerade auch Gebetstexte – kennen dieses Phänomen. Und hier finden sich noch dazu über die Wortpaare hinaus einzelne Formulierungen, die immer wieder vorkommen, so wie in Ps 7,18; 9,2f.; 92,2.

27

Vgl. Watson, Poetry, 128–144. Vgl. Watson, Poetry, 128. 29 Weitere Beispiele aus dem Psalter: Ps 34,4; 96,2; 105,1. 30 Zum Phänomen insgesamt zuletzt Dobbs-Allsopp, Poetry, 272–276. 31 Vgl. Dahood, Parallel Pairs 1972; 1975; 1981; unter Einbeziehung phönizischer, aramäischer und akkadischer Belege Avishur, Studies. 28

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3 Geprägte Sprache: Formelhafte Wendungen (stock phrases) in akkadischen Gebeten 1976 stellte Werner R. Mayer in seiner Dissertation „Untersuchungen zur Formensprache der babylonischen ‚Gebetsbeschwörungen‘“ ein Repertoire an Formulierungen zusammen, die in den häufig als Gattung „Gebetsbeschwörung“ (incantation prayer) zusammengefassten Gebeten vorkommen.32 Die Tafeln, auf denen die Texte überliefert sind, verweisen durch Stichzeilen teilweise aufeinander. Inwieweit es einen „festen Kanon“ der Texte gab, lässt sich nicht sagen. Die einzelnen Gebete wurden mit großer Sorgfalt und Präzision über lange Zeiträume überliefert, was sich zeigt, wenn solche Gebete häufig in mehreren Textzeugen aus verschiedenen Orten und Zeiten vorliegen.33 In Ausnahmefällen kann man auch die Textentwicklung greifen.34 Mayer sammelte und katalogisierte die Formulierungen, die in jedem der charakteristischen Teile der Gebete vorkommen, und zeigte ihre Häufigkeit und ihre Abhängigkeit von Konventionen. Als Beispiel soll hier der Anfang der Bitten in einem sehr langen Handerhebungsgebet an Ištar gelten (Ištar 2)35:

32

Mayer, Untersuchungen. Zur Problematik der angenommenen Gattung „Gebetsbeschwörung“ siehe Zernecke, Gott, 303–316. 33 Vgl. die Editionen mit Partitur der verschiedenen Textzeugen bei Zgoll, Kunst. Für das im Folgenden besprochene Handerhebungsgebet Ištar 2 sind acht akkadische Textzeugen aus Ninive, Babylon, Nimrud, Assur und Boǧazköy und das Fragment einer hethitischen Übersetzung erhalten; Zgoll, Kunst, 41; Zernecke, Gott, 77–80. 34 Zernecke, Gott, 59–64.162–168; Zernecke, How; Hecker, Hymnen, 85–90. 35 Erstpublikation: King, Tablets, 222–237, pl. 75–84. Neuedition und literarische Analyse: Zgoll, Kunst, 41–95. Zwei weitere Textzeugen bei Maul/Strauss, Ritualbeschreibungen, 109–111. Vgl. Zernecke, Gott, 77–192. Zählung nach Mayer, Untersuchungen, 389. Das Gebet ist in vielen Auswahlausgaben mesopotamischer Literatur in Übersetzung enthalten, zuletzt Hecker, Hymnen, 85–90.

54 43 44 45

Anna Eliese Zernecke amrīnnima bēltī leqê unnīnīja kīniš naplisīnnima šimê teslītī aḫulapja qibîma kabattaki lippašra

Sieh hin auf mich, meine Herrin, und nimm mein Flehen an! Sieh mich fest an und höre mein Rufen! aḫulap für mich sprich, und dein Inneres möge mir gelöst werden!

In den insgesamt 106 Zeilen des Gebets kommt die Bitte kīniš naplisīnnima (‚sieh mich fest an‘) drei Mal vor (Z. 44.92; leicht abgewandelt Z. 54). Noch in einer Reihe weiterer Handerhebungsgebete36 ist sie in der jeweils ersten Halbzeile belegt, so wie in Z. 44 und Z. 92 (hier ist allerdings der Rest der Zeile Rasur). In einigen wenigen weiteren Gebeten steht sie in der zweiten Halbzeile. Vergleicht man bei den Fällen, in denen sie in der ersten Halbzeile steht, was in der jeweiligen zweiten Halbzeile folgt, so zeigt sich, dass auch hierbei Konventionen walten: mehrfach steht šimē / šimî teslītī (Ištar 2 Z. 44; Nergal 2 Z. 19;37 Sîn 3 Z. 6238), ‚höre mein Rufen‘,39 auch šimē qabâja (Ninurta 1 Z. 32),40 ‚höre mein Reden‘. Weitere Alternativen sind qibî damiqtim ‚befiehl Gutes‘ (Tašmētu 2, Z. 5),41 qibī dumqī ‚befiehl mein Glück‘ (Adad 1b Z. 16),42 maruštī limdī ‚mein Übel erfahre‘ (Ištar 10

36

Die hier angegebenen Parallelstellen beziehen sich auf Handerhebungsgebete aus den Editionen von Zgoll, Kunst, und, falls nicht an Ištar gerichtet, von Ebeling, Gebetsserie (AGH), oder Mayer, Untersuchungen. Mayer, Untersuchungen, führt teilweise noch weitere Belege auf. Die Bezeichnung der Gebete entspricht Mayer, Untersuchungen, 375–437. 37 Zählung nach Mayer, Untersuchungen, 402; Edition: dort 478–481. 38 Zählung nach Mayer, Untersuchungen, 408; Edition: dort 495–502. 39 Mayer, Untersuchungen, 214f.; Sîn 3 = AGH 44 Z. 62: kīniš naplisannima ši[mē teslītī]; aber zweiter Textzeuge: naplisīnni [ina šamê] ellutī; AGH 45 Anm. 25. 40 AGH 26 Z. 32; Mayer, Untersuchungen, 404f. 41 AGH 24 Z. 5; Mayer, Untersuchungen, 424. 42 AGH 102 Z. 16; Mayer, Untersuchungen, 378.

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Z. 8)43 und leqê unnīnīja ‚nimm mein Flehen an‘ (Ištar 1 Z. 23).44 leqê unnīnīja, ‚nimm mein Flehen an‘, die letzte dieser Bitten, findet sich auch identisch in Ištar 2. Hier steht sie an zwei verschiedenen Stellen: einmal in der Zeile vor dem ersten kīniš naplisīnnima (Z. 43), außerdem in Z. 82. Es gibt eine Reihe weiterer Belege, die fast immer in der zweiten Halbzeile stehen. Am Zeilenanfang ist interessanterweise die Stellung der Wörter vertauscht.45 Als zweite Halbzeile zu kīniš naplisīnnima war oben viermal eine Formulierung mit einem Imperativ von šemû (‚hören‘) genannt worden. Mayer verzeichnet eine Reihe weiterer Belege dieses Verbs in Handerhebungsgebeten, mehrfach in der Bitte šimē / šimî teslītī, ‚höre mein Rufen‘. Sie steht meistens in der zweiten Halbzeile.46 Auf diese Art und Weise könnte man zwar nicht für alle Bitten des Gebetes identische oder eng verwandte Formulierungen in anderen Handerhebungsgebeten finden, aber für die allermeisten. Die mesopotamischen Gebete haben häufig eine stabile Texttradition mit Textzeugen aus räumlich und zeitlich weit voneinander entfernten Orten. Interessant sind die Fälle, in denen die Texttradition nicht so stabil ist. So ist das eben diskutierte Ištar-Gebet mit der Zeit gewachsen. Dabei wurden vor allem Formulierungen hinzugefügt, die auch aus anderen Zusammenhängen bekannt sind.47 4 Formelhafte Wendungen in Ps 92 Handerhebungsgebete bestehen in großen Teilen aus häufig wiederkehrenden Formulierungen (stock phrases), die 43

Edition und Analyse: Zgoll, Kunst, 107–147. AGH 60 Z. 23; Mayer, Untersuchungen, 388; Edition und Analyse: Zgoll, Kunst, 191–233. 45 Vgl. Mayer, Untersuchungen, 217; Ninurta 1 AGH 26 Z. 33; Mayer, Untersuchungen, 404f. 46 Vgl. Mayer, Untersuchungen, 216. 47 Vgl. Zernecke, How. 44

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in verschiedenen Gebeten belegt sind. Formelhaftigkeit ist eine typische Eigenschaft der Gebetssprache im Akkadischen. Ähnliches gilt für die hebräischen Gebete und lässt sich immer dort zeigen, wo eine größere Anzahl von Gebeten einer Gattung belegt ist (z.B. bei den individuellen Klagepsalmen). Handerhebungsgebete sind häufig relativ stabil überliefert, es gab aber auch Anpassungen an einzelne Vollzüge.48 Bei Psalmen sind Anpassungen an konkrete Einzelfälle nicht greifbar. Allerdings zeigen die Varianten einiger Psalmenhandschriften aus Qumran, dass die Texte bis ins 1. Jh. n.Chr. in ihrer Abgrenzung nicht fest waren und der Psalter insgesamt in seinem Aufbau noch nicht fixiert war.49 Psalmen und Handerhebungsgebete sind trotz ihrer traditionellen und häufig formelhaften Sprache raffiniert gebaut. Die Charakteristika dieser Sprache, Wortpaare, Parallelismus membrorum und Art der Metaphorik, sind einander sehr ähnlich. Und es gibt Formulierungs- und Formelparallelen über die Sprach- und Kulturgrenzen hinweg. Ps 92 ist nach der opinio communis kein alter Text. Er weist sprachliche Berührungen nicht nur mit anderen Psalmen auf, sondern auch mit dem in seiner Datierung sehr kontroversen Deboralied und in noch stärkerem Maße mit dem ugaritischen Baalzyklus. In Analogie zur Formelhaftigkeit akkadischer Gebetssprache können auch die Berührungen von Ps 92 mit anderen inner- und außerbiblischen Texten als formelhafte Sprache gedeutet werden. Wenn man die Formulierungsparallelen zwischen einzelnen Psalmen vor dem Hintergrund altorientalischer Gebetssprache betrachtet, wird es sehr viel schwerer, literarische Abhängigkeiten nachzuweisen. Der Befund, dass zwei Formulierungen ähnlich oder sogar identisch sind, 48

Vgl. Mayer, Untersuchungen, 100–102. So sind z.B. in 4QPsa die Textgrenzen zwischen einigen Psalmen an anderen Stellen (Textgrenzen nach Ps 36,5; 56,5. Ps 5 und 6; Ps 31 und 33; Ps 38 und 71 sind jeweils zusammengehörig); Lange, Handbuch, 376–378. Zu den Psalmenhandschriften aus Qumran insgesamt vgl. Lange, Handbuch, 373–450. 49

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muss nicht als bewusste Anspielung oder Zitat gewertet werden. Eine Anspielung ist unwahrscheinlich, wenn eine sehr ähnliche Formulierung auch im außerbiblischen Material zu finden ist. Dies ist bei Ps 92,10; Ri 5,31 und dem Baalzyklus aus Ugarit der Fall. Ein Zitat ist aber auch unwahrscheinlich, wenn es innerbiblisch vielleicht nur wenige ähnliche oder identische Formulierungen gibt, aber eine große Anzahl von entfernteren Parallelen wie bei Ps 7,18; 9,2f.; 92,2 existiert. Im Zuge der Sammlung und Kanonisierung des Psalters und des Alten Testaments insgesamt ist aber damit zu rechnen, dass Ähnlichkeiten und Parallelformulierungen auch zur Verbindung von Texten benutzt wurden, so wie Ps 8 durch Ps 7,18 und Ps 9,2f. gerahmt wird. Ähnliche Formulierungen können Zufall sein, sie können auch Zitat sein. Angesichts der Formelhaftigkeit von Texten der Nachbarkulturen Israels und der Häufigkeit von stock phrases ist innerbiblisch aber mit formelhafter Sprache zu rechnen, obwohl sich die Unabhängigkeit zweier kanonischer Texte voneinander ebenfalls kaum nachweisen lässt. Literatur The Aleppo-Codex Online, Ben-Zvi Institute, Jerusalem 2007. www.aleppocodex.org, letzter Zugriff: 15.04.2017. Avishur, Y., Stylistic Studies of Word-Pairs in Biblical and Ancient Semitic Literatures (AOAT 210), Kevelaer / Neukirchen-Vluyn 1984. Bordreuil, P. / Pardee, D., A Manual of Ugaritic (Linguistic Studies in Ancient West Semitic 3), Winona Lake, IN 22010. Das Codex Sinaiticus-Projekt, The British Library London, Universitätsbibliothek Leipzig, St. Katharinenkloster, Russische Nationalbibliothek St. Petersburg 2009. www.codex sinaiticus.org, letzter Zugriff: 15.04.2017. Culley, R. C., Oral Formulaic Language in the Biblical Psalms, (NMES 4), Toronto 1967. Dahood, M., S.J., Chapter 2: Ugaritic-Hebrew Parallel Pairs. With the collaboration of Tadeusz Penar, in: Fisher, L. R. (Hg.), Ras

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Matthias Hopf

Performanz als Kategorie der GattungsNULWik

1 Was ist eine Gattung? Oder: Die Gattungs-Hierarchie Ein grundlegendes Problem der Gattungskritik bzw. der Formgeschichte1 liegt darin, wie eng oder weit das Phänomen „Gattung“ verstanden wird. Viele Debatten um bestimmte Formbestimmungen hängen insbesondere daran, ob enge Kriterien angelegt werden, was eine „Gattung“ ausmacht, oder ob diese weiter gefasst sind. Ein gutes Beispiel für die Enge oder Weite des Gattungsbegriffs wäre der Terminus „Erzählung“: Handelt es sich hier tatsächlich um eine Gattungsbezeichnung oder nicht? Wer diese Frage bejaht, dürfte insgesamt einem weiteren Gattungsverständnis anhängen.2 Ich persönlich würde den Begriff „Erzählung“ mehr als eine Art „Meta-Gattung“ verstehen wollen, der – im Sinne der Wendung „erzählende Gattungen“ – ein breites Feld spezifischer Gattungen umfasst, die ihrerseits einem vielfältigen Spektrum von atl. Textbereichen zuzuordnen wären (bspw. erzählende

1

Vgl. zu Begriffen u. a. das Glossar bei Utzschneider/Nitsche, Arbeitsbuch, 136, sowie die Problematisierung des Terminus „Formgeschichte“ bei Blum, Formgeschichte. 2 Vgl. bspw. Koenen, Art. Erzählende Gattungen (insbesondere Punkte 2.1 und 2.3.1).

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prophetische Gattungen3 oder erzählende Gattungen aus dem Bereich der Weisheit)4. Der Begriff „Gattung“ hingegen würde sich demnach nur auf einzelne, formal wie inhaltlich relativ klar zu umreißende Textgestaltungsmuster beziehen,5 die sich auf der Basis von Textvergleichen (inner-atl. sowie im ao. Kontext) anhand einer möglichst großen Zahl von Einzelmerkmalen plausibilisieren lassen.6 Eine Gattung liegt demnach vor, wenn sich im Sinne des literaturwissenschaftlichen Partizipationsmodells eine gewisse „Familienähnlichkeit“ nachweisen lässt.7 Innerhalb einer Gattung sind dann ggf. noch weitere Unterscheidungen in Untergattungen möglich.8 3

Hierunter wären bspw. die prophetische Berufungs- oder Visionserzählung zu subsumieren, vgl. auch Utzschneider/Nitsche, Arbeitsbuch, 195–197. 4 In diesen Bereich gehören z. B. die weisheitliche Lehrerzählung bzw. die Novelle. Vgl. auch Schmitt, Arbeitsbuch, 286f., sowie Koenen, Art. Erzählende Gattungen (Punkt 2.4.13). 5 Dies gilt prinzipiell unabhängig davon, ob man diese Textgestaltungsmuster einer mündlichen oder einer schriftlichen Entstehungsphase zuordnet. 6 Eine solche Definition bringt freilich mit sich, dass ein nicht unerheblicher Teil atl. Texte gattungstechnisch nicht konkret beschrieben werden kann, weil diese inhaltlich wie formal zu individuell gestaltet sind, als dass sie anhand textlicher Vergleiche einer spezifischen Gattung zugeordnet werden könnten. Dies ist allerdings kein Problem, das die Gattungskritik grundsätzlich in Frage stellt. Vielmehr zeigt es in sinnvoller und legitimer Weise die Grenzen dieser Methode auf. 7 Vgl. dazu Wenzel, Art. Gattungstheorie, 234f., wo auch weiterführende Literatur zur Vertiefung genannt ist. „Gattungen“ sind damit, worauf Wenzel zu Recht hinweist, den Texten nachgängige Konzepte, mithin „Konstrukte, die im Bewusstsein ihrer Leser existieren“, gleichzeitig aber „weitreichende rezeptionslenkende Funktionen erfüllen“ (235), weswegen ihre Beschreibung und Entschlüsselung erheblich zum Textverständnis beiträgt. Für den atl. Bereich vgl. zudem Utzschneider, Drama, 270.297f. 8 Vgl. bspw. die thematisch orientierte Unterteilung in unterschiedliche Unterformen der Sage bei Fohrer, Sage. Im Übrigen halte ich gegen Koenen, Art. Erzählende Gattungen (Punkt 2.1), den Terminus „Sage“ alles andere als „obsolet“, selbst wenn ich nicht mehr die gleichen Prämissen damit verbinde (bspw. archaische Mündlichkeit in vorjahwistischer Tradition), wie dies noch bei Gunkel der Fall ist. Als Beschreibung einer bestimmten Erzählform erscheint die Kategorie „Sa-

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Diese Strukturierung in „Meta-Gattung“, „Gattung“ und „Untergattung“, macht deutlich, dass sich hier eine Art „Gattungs-Hierarchie“ herausschält9: Während die Zusammengehörigkeit von Texten im Rahmen einer MetaGattung auf einer geringeren Anzahl von Merkmalen beruht, die aber die Literatursorte ganz grundlegend prägt, wird die „Familienähnlichkeit“ bei Gattungen durch stärkere Teilübereinstimmungen schon deutlich größer und dann bei Untergattungen noch spezifischer.10 Mit einer solchen „Hierarchie-Pyramide“ wird in exegetischen Gattungsbeschreibungen zwar gerne operiert,11 sie wird aber als solche kaum benannt. ge“ durchaus noch dienlich – nicht zuletzt weil man unschwer bekannte Gattungsformulare der Sage (vgl. bspw. Schmitt, Arbeitsbuch, 285f.) als spezifische Teilmenge der Gattungsmerkmale der „Erzählung“ bei Koenen, Art. Erzählende Gattungen (Punkt 2.3.1 und 2.4.3) ausmachen kann. 9 Utzschneider, Reise, 13f., spricht statt von „Meta-Gattung“ in verwandter Weise von „Genres“, um sie von dem geprägten Begriff „Gattung“ abzugrenzen. Ich halte die Unterscheidung zwischen „Meta-Gattung“ und „Gattung“ insofern für zielführender, als damit die hierarchische Anlage der Ebenen deutlicher wird. In eine ähnliche Richtung gehen die Überlegungen zur Unterscheidung von „Rahmengattung“ und „Gliedgattung“ bei Koch, Formgeschichte, 29–31, die dort allerdings im engeren Sinn formkritisch auf die Textgenese bezogen wird. Leider hat Kochs Differenzierung in der atl. Exegese kaum Berücksichtigung gefunden – vielleicht auch, weil er sie selbst nicht konsequent genug anwendete. 10 Natürlich sind zwischen einzelnen Gattungen fließende Übergänge möglich. Vgl. Wenzel, Art. Gattungstheorie, 234. 11 Vgl. bspw. die Darstellung der Gattungen bei Schmitt, Arbeitsbuch, in den Abschnitten zu den erzählenden und berichtenden Gattungen (284–287), zu den Rechtsgattungen (288–290), zu den prophetischen Gattungen (304–307), zu den Psalmengattungen (v.a. 417–424) sowie zu den weisheitlichen Redegattungen (440f.); ähnlich auch Becker, Exegese, 117. Noch deutlicher ist dies in älteren Werken zu erkennen wie Sellin/Fohrer, Einleitung, 54–112, oder Ohler, Gattungen I & II, die aber in der Anwendung der Formgeschichte noch stark in einer Hermeneutik der Mündlichkeit verhaftet sind, die Koenen, Art. Erzählende Gattungen (Punkt 2.1), zu Recht kritisiert. Etwas prägnanter ist die „Gattungs-Hierarchie“ bei Rendtorff, Testament, 80–136, ausgeprägt. Dieser arbeitet dabei – stark von den jeweiligen Sitzen im Leben her denkend – mit einer Unterteilung der Gattungen in Lebensbereiche. In

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Mein Eindruck ist nun, dass ein Großteil der Missverständnisse im Bereich der Gattungskritik u.a. auch daher rührt, dass sich die jeweiligen Argumentationen – bewusst oder unbewusst – auf unterschiedlichen Ebenen dieser Gattungshierarchie bewegen. Insofern wäre eine Klärung der Beschreibungsebene für die Verständigung enorm hilfreich. Übernimmt man diese Gattungshierarchie, stellt sich natürlich insbesondere auf der Ebene der Meta-Gattungen die Frage nach der Unterteilung. Hier hat sich trotz mancher Kritik innerhalb der Literaturwissenschaft die bekannte Trias „Erzählliteratur“, „Lyrik“ und „Drama“12 bewährt – sofern man sich der bisweilen fließenden Übergänge und der rein heuristischen Natur dieser Kategorien bewusst ist.13 Für das Alte Testament sollte allerdings noch mindestens eine weitere Meta-Gattung unter einem Titel wie „Sachtexte“ hinzugefügt werden, zu der dann bspw. Gattungen des Rechts oder der Annalistik gerechnet werden müssten.14 2 Drama – oder besser: Performanz Man mag an dieser Stelle einwenden, dass die eben erwähnte Meta-Gattung „Drama“ in der atl. Exegese unnötig ist, da das antike Judentum diese Kunstform ablehneine ähnliche Richtung geht auch Koch, Formgeschichte, 29–31, mit seiner Unterscheidung in „Rahmen- und Gliedgattung“. Im vorliegenden Beitrag wird demgegenüber vor allem literaturwissenschaftlich argumentiert. 12 Vgl. Wenzel, Art. Gattungstheorie, 233. Statt „Erzählliteratur“ wurde früher auch von „Epos“ bzw. „Epik“ gesprochen – natürlich im Gefolge der aristotelischen Poetik. Vgl. Aristoteles, Poet. 1447a. 13 Vgl. Wenzel, Art. Gattungstheorie, 233–235; die hier verwendete Trias ist mithin explizit nicht im Sinne einer „Naturform der Poesie“ (233) zu verstehen! 14 In diese Richtung weist auch die Unterscheidung zwischen Fiction und Non-Fiction bei Utzschneider/Nitsche, Arbeitsbuch, 117, oder in gewisser Weise auch jene zwischen erzählenden und berichtenden Gattungen bei Koenen, Art. Erzählende Gattungen (Punkt 2.2).

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te.15 Mit dieser Einschätzung läge man zugleich richtig und falsch: Zutreffend ist in der Tat einerseits, dass die hellenistischen Literatursorten „Tragödie“ und „Komödie“ so nicht in atl. Texten wiederzufinden sind, zumindest wenn man sie in ihrem engeren Sinn als spezifische Gattung versteht. Andererseits verliert der genannte Einwand gegen das „Drama“ in der Bibel dann an Kraft, wenn man sich bestimmte atl. Texte genauer ansieht. Tatsächlich treten in verschiedenen Passagen genau jene Gestaltungsmuster zu Tage, die in der modernen Literaturwissenschaft als „dramatisch“ bezeichnet werden.16 Dennoch bewegen wir uns damit eher in jenem Bereich, der als Meta-Gattung zu bezeichnen wäre und weniger auf der Ebene der Einzelgattungen. In diese Richtung weisen in jedem Fall die Ausführungen von Helmut Utzschneider, insbesondere wenn er dramatische Texte als „universelle Gattung“17 beschreibt. Hierbei ist hervorzuheben, dass Utzschneider ganz bewusst von dramatischen Texten spricht und nicht vom „Drama“, zu welchem noch die sinnliche Darbietung hinzukommen muss.18 Dieser Terminologie schloss ich mich in meiner Arbeit zum Hohenlied ebenfalls an,19 versuche inzwischen aber, den Terminus „Drama“ zu vermeiden, weil er letztlich durch seine Verbindung zu den zeitgenössischen Auffassungen von Theater eher verstellend als erhellend wirkt.20 Um eine Engführung zu verhindern, wird darum dem „Drama“ 15

Vgl. bspw. die Einschätzung bei Soden, Art. Theater, 1049. Vgl. hierzu die Übernahme dramentheoretischer Ansätze bei Utzschneider, Reise, 16f.; ohne die Terminologie sachlich aber u. a. schon bei Baltzer, Deutero-Jesaja. 17 Vgl. Utzschneider, Drama, 296–298. 18 Vgl. Asmuth, Einführung, 10; sowie im Anschluss daran Utzschneider, Reise, 17; ähnlich auch Pfister, Drama, 24–29, bei ihm ausgedrückt durch die Wendung „Plurimedialität der Textpräsentation“. Solche eventuellen historischen Darbietungen sind für atl. Texte freilich in aller Regel nicht mehr unmittelbar greifbar, können aber „auch nicht kategorisch ausgeschlossen werden“ (Utzschneider, Micha, 14). 19 Vgl. Hopf, Liebesszenen, 29–33. 20 Zu dieser Problematik vgl. auch Hopf, Liebesszenen, 25–28. 16

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zuletzt verstärkt der Begriff „Performanz“ vorgezogen.21 Dessen Vorteil ist insbesondere die semantische Weite, da damit eine Vielzahl von öffentlichen Präsentationsformen abgedeckt wird, was eine größere Offenheit für derartige im Bereich des Alten Testaments denkbaren Phänomene mit sich bringt. „Performanz“ ist damit letztlich ein neutralerer Begriff als das konnotativ recht enge „Drama“. Zudem kommt es genau genommen sehr nahe an die ursprüngliche Bedeutung des letzteren heran, weil das griechische δρᾶν schlicht mit „tun, ausführen, performieren“ wiedergegeben werden kann. 3 Gattungen im Bereich der Performanz-Texte und des „Performanz-Potentials“ Versteht man nun Performanz bzw. Performanz-Texte als eine Meta-Gattung, stellt sich natürlich die Folgefrage, wie in diesem Bereich die spezifischen Einzelgattungen aussehen. Beispiele dafür finden sich im Sinne Utzschneiders insbesondere im corpus propheticum.22 Zudem müsste erwogen werden, bestimmte Psalmengattungen 21

Vgl. bspw. Utzschneider, Art. Drama (v. a. Punkte 4 und 5); sowie natürlich Hopf, Liebesszenen, 33–35. Es sollte allerdings nicht verschwiegen werden, dass der Terminus „Performanz“ als (Meta-)Gattungsbegriff ebenfalls nicht frei von Schwierigkeiten ist. So können bspw. der Forschungsrichtung des „performance criticism“ zufolge auch Erzählungen performiert werden (vgl. im Hinblick auf ntl. Literatur Rhoads, Criticism I & II), was die Grenzen zur Erzählliteratur verwischt. Angesichts dessen, was weiter oben zu den fließenden Übergängen zwischen (Meta-)Gattungen ausgeführt wurde (vgl. Anm. 9), stellt dies aber kein grundsätzliches Problem dar. Eine weitere Schwierigkeit ist die begriffliche Unschärfe des Begriffs zur Performativität, also dem „doing things with words“, worauf Strecker, Welten, 6f., zu Recht hinweist. 22 Vgl. Utzschneider, Reise, 15. Entsprechend müsste man auch bekannte Gattungen wie das Gerichts- oder das Wehewort dieser Kategorie zuordnen. Dies gilt ungeachtet dessen, dass das Wehewort wohl eine der Totenklage entlehnte Gattung darstellt, da sie ihrerseits einen Performanz-Hintergrund aufweist.

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ebenfalls hinzuzurechnen.23 Schließlich gehört aber auch die Literaturform hierher, die dem am nächsten kommt, was wir eben heute in einem literaturwissenschaftlichen Sinn als „Drama“ kennen, also Texte, die ein großes „Performanz-Potential“ aufweisen, wie ich es andernorts bezeichnet habe.24 Wie müsste eine Kriteriologie für die Bestimmung der Meta-Gattung „Performanz-Texte“ im Allgemeinen und für Texte mit großem Performanz-Potential im Speziellen aussehen? Ganz im Sinne der Unterscheidung in MetaGattung und spezifischere Gattung sind auch hinsichtlich der Kriterien zwei Ebenen auszumachen, da es ein grundlegendes Kennzeichen für Performanz-Texte gibt („Lexis“) sowie zwei weitere, welche einem Text PerformanzPotential verleihen („Opsis“ und „Plot“).25 Die drei Kriterien basieren auf der „Einführung in die Dramenanalyse“ von Bernhard Asmuth, während die Unterscheidung der zwei Ebenen aus dem Werk „Das Drama“ von Manfred Pfister abgeleitet ist.26

23

Zumindest gilt das für jene, die mit einem Performanz-Hintergrund in Verbindung zu bringen sind. Dabei tritt natürlich wiederum das Problem der fließenden Grenzen zu anderen Gattungsbereichen auf, da Psalmen zunächst sicherlich besser in der „Meta-Gattung Lyrik“ aufgehoben sind. Dem ist allerdings erneut zu entgegnen, dass die verschwimmenden Übergänge typisch für die Gattungsbestimmung sind, vgl. Wenzel, Art. Gattungstheorie, 233. Außerdem sind schon in der antiken griechischen Literatur die Grenzen zwischen Lyrik und Dramatik fließend, da die hellenistische Tragödie und Komödie beide metrisch gestaltet sind und damit Aspekte beider Bereiche in sich vereinen. 24 Vgl. Hopf, Liebesszenen, 33–35. 25 Zu den drei Kriterien vgl. Asmuth, Einführung, 3f., der dort allerdings in Anlehnung an Aristoteles noch von lexis, opsis und mythos spricht. Ein erster expliziter Übertrag in die atl. Exegese erfolgte durch Utzschneider, Reise, 16f., gefolgt von Nitsche, Jesaja, 40–46. Vgl. zudem insgesamt die ausführlichere Darstellung der Terminologie und Methodologie bei Hopf, Liebesszenen, 35–60. 26 Nach Pfister, Drama, 19–24, ist das erste und wichtigste Merkmal eines dramatischen Textes das „Redekriterium“, wodurch im Vergleich mit narrativen Texten die vermittelnde Instanz ausfällt.

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Das genannte Basis-Kriterium ist die sog. „Lexis“, womit gemeint ist, dass ein Text überwiegend aus direkter Rede besteht (dem „Haupttext“), welcher bestimmten identifizierbaren Figuren zugewiesen werden kann. Neben den Haupttext kann ein „Nebentext“ treten, der in einer Performanz nicht verbalisiert wird (bspw. der Titel, Sprecherzuweisungen oder etwa Regieanweisungen).27 In aller Regel besteht die „Lexis“ eines dramatischen Textes allerdings weit überwiegend aus dem Haupttext, also direkter Rede. Nach Pfister ist die Unmittelbarkeit der Präsentation das eigentliche Kernkennzeichen eines Dramas – insbesondere in Abgrenzung zu narrativen Texten. Im Gegensatz zu letzteren fehlt in dramatischen bzw. Performanz-Texten die Stimme des Erzählers, welche in Erzählungen vermittelnd zwischen empirischem bzw. implizitem Autor und empirischen bzw. impliziten Rezipienten tritt.28 Das Merkmal der unvermittelten Präsentation von Texten ist das Basiskriterium für dramatische bzw. Performanz-

27 Vgl. Asmuth, Einführung, 8–10.51–53. Dass ein Nebentext in einem dramatischen Text nicht zwingend notwendig ist, hat u. a. Nitsche, Jesaja, 52–55, gezeigt. 28 Dies ist nicht dahingehend misszuverstehen, dass es in einem dramatischen Text keine Erzählperspektive im Sinne einer Fokalisation gäbe. Aber eine Erzählstimme, welche im Sender-Empfänger-Modell eines narrativen Textes zwischen Leser/-in und Autor/-in tritt, gibt es eben nicht, vgl. Pfister, Drama, 20–22. Dies bezeichnet er als „Absolutheit des Dramas“ (22). Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass erzählende oder kommentierende Stimmen innerhalb eines Dramas zu Wort kommen, welche sich in vermittelnder Weise an das Publikum richten – man denke bspw. an „Our Town“ von Thornton Wilder oder die kommentierende Funktion des Chores in der hellenistischen Tragödie (vgl. dazu bspw. Asmuth, Einführung, 59f., oder Pfister, Drama, 114–116). Nach dramentheoretischer Nomenklatur sind derartige Darstellungsformen allerdings als „Episierungen“ zu bezeichnen. Dieses narrative Stilmittel verwischt gezielt die Grenzen zwischen den Bereichen des Dramatischen und des Narrativen. Vgl. dazu auch Pfister, Drama, 103–122.

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Texte im Sinne der Meta-Gattung, was auch den Erkenntnissen der jüngeren Performanz-Forschung entspricht.29 Während also die „Lexis“ die Zugehörigkeit zum Bereich der Meta-Gattung „Performanz-Texte“ bestimmt, entscheiden zwei weitere Kriterien über das „Performanz-Potential“, also darüber, wie sehr sich ein Text dem annähert, was wir literaturwissenschaftlich als „Drama“ bezeichnen würden. Das erste dieser zusätzlichen Kriterien ist die „Opsis“, welche den Umstand beschreibt, dass ein Text einen optisch-szenischen Hintergrund vermittelt. Diese Vermittlung kann durch den Nebentext erfolgen, also durch Regieanweisungen o.ä., oder sie wird den Äußerungen der Figuren entnommen. Letzteres ist ein Stilmittel, das in der Dramenanalyse „Wortkulisse“ genannt wird.30 Das dritte und letzte Kriterium besteht darin, dass eine Art von „Plot“ vorhanden sein muss – was auf den ersten Blick wenig überrascht. Genau genommen ist dieses Kriterium aber weiter zu fassen, als man zunächst meinen mag. Das liegt daran, dass in der Literaturwissenschaft nicht nur „Plots“ im Sinne einer „Story“ mit einer linearkohärenten Handlungsfolge und einer Einheit von Raum und Zeit als solche zu bezeichnen sind. Tatsächlich gilt ein „Plot“ schon dann als vorhanden, wenn „ein die Entwicklung und den inneren Zusammenhang eines Dramas bestimmendes Prinzip, dem alle anderen Elemente unterzuordnen“31 sind, auszumachen ist. Die Merkmale „Opsis“ und „Plot“ bewirken also, dass Texten eine innere Einheit zugeschrieben werden kann, 29

Vgl. bspw. das Konzept der „strukturellen Performativität“ bei Fischer-Lichte, Performativität, 140, welches eng verwandt ist mit dem von mir vertretenen „Performanz-Potential“; sinngemäß auch Schechner, Theory, 87. 30 Vgl. Pfister, Drama, 37f.; sowie in seinem Gefolge auch Asmuth, Einführung, 52. In Fortführung dessen spreche ich andernorts von „szenischen Repliken“ (Hopf, Liebesszenen, 314; vgl. v. a. auch A12). 31 Antor, Art. Plot, 575; ähnlich Pfister, Drama, 169. Man denke nur an Beispiele aus dem „Absurden Theater“, die nicht als Drama bezeichnet werden könnten, wenn man eine logische Handlungsfolge als Kriterium anlegen würde. Vgl. auch Nitsche, Jesaja, 45.

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wodurch eine oder mehrere Szenen (bzw. sogar eine Szenenfolge) entsteht, welche in einem bestimmten optischen Setting angesiedelt ist. Je mehr dabei die Kriterien erfüllt werden, desto mehr Performanz-Potential kommt einem Text zu, und desto mehr nähert sich ein Text dem an, was wir literaturwissenschaftlich unter „Drama“ verstehen. Es sei aber darauf hingewiesen, dass die Kriterien „Opsis“ und „Plot“ nicht auf Drama- bzw. Performanz-Texte beschränkt sind: Auch narrative Texte enthalten Hinweise auf das szenische Setting und sind einem wie auch immer gearteten Einheitsprinzip unterworfen. Genau aus diesem Grund ist eben auch die „Lexis“ das eigentliche Alleinstellungsmerkmal für die Meta-Gattung „PerformanzTexte“. Im Folgenden soll die Anwendung dieser KriteriologieTrias an drei atl. Textbeispielen demonstriert werden. 3.1 Beispiel 1: Das Hohelied Das erste Beispiel ist dem Hohenlied entnommen, genauer Hld 1,12–2,3a. Im Folgenden findet sich ein Textarrangement entsprechend meiner Analyse der textlichen Indizien, wobei „F“ für die weibliche und „M“ für männliche Hauptfigur steht:32 F: 12Solange der König in seinem Kreise ist, hat meine Narde seinen33 Duft gegeben. 13Ein Säckchen von Myrrhe ist mein Geliebter mir – zwischen meinen Brüsten wird er / es nächtigen. 14Eine Traube von Henna ist mein Geliebter mir – in den Weinbergen von En-Gedi. M: 15Siehe, du bist schön, meine Freundin. Siehe, du bist schön, deine Augen sind Tauben. F: 16Siehe, du bist schön, mein Geliebter – gar entzückend! 32 Die Übersetzung ist Hopf, Liebesszenen, 114–116, entnommen; dort finden sich auch Ausführungen zu Semantik, Grammatik etc. Vgl. zudem die eingehende Analyse der Passage (116–137). 33 Das Suffix bei ‫ ריחו‬ist doppeldeutig: Es kann sich auf den „König“ oder die (maskuline) „Narde“ beziehen. Da sich in V. 13 die dortige Duftmetapher auf den Mann bezogen wird, legt sich auch hier ein Bezug auf diesen nahe.

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F+M: Unser Lager ist gar sattes Grün, die Balken unserer Häuser sind Zedern, unsere Dachziegel sind Zypressen. F: 2,1Ich bin die Blume von Scharon, die Lilie der Täler. M: 2Wie eine Lilie unter den Dornensträuchern, so ist meine Freundin unter den Töchtern. F: 3Wie ein Apfelbaum unter den Bäumen des Waldes, so ist mein Geliebter unter den Söhnen.

Zunächst sind einige wenige Anmerkungen zum Verständnis des Textes angebracht: Die Bedeutung von V. 12 ist im Kontext nicht leicht zu erfassen. Vermutlich handelt es sich um eine retrospektive (vgl. die dortige qatal-Form) Bemerkung der Frau über ein intimes Erlebnis mit dem Mann. Die V. 13f. dürften demgegenüber in die nachfolgende Szene einführen (vgl. die yiqtol-Form in V. 13b). Insofern scheint hier ein „Überblenden“ von der Vergangenheit in die Gegenwart vorzuliegen, welches in verbaler Form das Setting oder zumindest eine gewisse Raum-Atmosphäre erzeugt. Ab V. 15 setzt ein Dialog zwischen Mann und Frau ein, welchen man in Anlehnung an Exum – je länger je mehr – als „verbales Vorspiel“ bezeichnen könnte:34 Die Liebenden schenken einander Komplimente, die zunehmend auf emotional und sexuell aufgeladene Metaphern zurückgreifen. Dass sich an diesen Dialog tatsächlich ein Liebesspiel anschließen dürfte, ist der nachfolgenden Passage zu entnehmen (Hld 2,3b–4), in welcher die Frau rückblickend berichtet, was nach V. 2,3a geschah. Hinsichtlich der Kriterien ist damit festzuhalten: Ganz offensichtlich ist der Text als Haupttext35 einer „Lexis“ gestaltet. Es handelt sich durchgehend um direkte Rede aus dem Munde eindeutig bestimmbarer Figuren. In diesem konkreten Abschnitt ist die Rede sogar stark dialogisch

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Exum, Song, 194, spricht eigentlich bzgl. Hld 5,3 von „verbal foreplay“. M. E. ist diese Wendung aber auch auf die vorliegende Passage übertragbar, vgl. auch Hopf, Liebesszenen, 131. 35 Zu möglichem Nebentext in antiken Textzeugen vgl. Hopf, Liebesszenen, 305–310.

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gehalten.36 Zwar enthält die Äußerung der Frau in Hld 1,12–14 ein narratives Element, was man in dramentheoretischer Diktion als „Episierung“ bezeichnen muss,37 da hier eine Erzählstimme eingeführt wird, welche die Unmittelbarkeit des präsentierten Geschehens tendenziell durchbricht. Allerdings ist das Basiskriterium der „Lexis“ nach wie vor erfüllt,38 weil diese kurze Erzählpassage trotz aller Narrativität immer noch die Figurenrede einer bestimmten dramatis persona darstellt,39 wobei sie übrigens bis zu einem gewissen Grad auch als „Wortkulisse“ fungiert. Damit sind wir beim zweiten Kriterium: der „Opsis“. Diesbezüglich ist insbesondere auf die V. 16f. zu verwiesen, in welchen die Figuren eine Reihe von Hinweisen auf das optische Setting liefern, nämlich ihr „Separee“ in Mutter Natur. Daneben finden sich verschiedene optische Beschreibungen (v. a. V. 15f.) der Figuren, die ebenfalls als Elemente einer „Opsis“ angesehen werden müssen. Insofern erfüllt die Textpassage auch dieses Kriterium.40 Gleiches gilt schließlich auch für das letzte Merkmal, den „Plot“. Spätestens ab Hld 1,15 sollte deutlich werden, dass die Figuren mit ihren Äußerungen einen Handlungsablauf evozieren, in dem sie sich an einem Rückzugsort immer inniger einander und ihrer gemeinsamen Liebe widmen.41 Insgesamt kann also festgehalten werden, dass die kurze Szene Hld 1,12–2,3a allen drei Kriterien entspricht und somit als dramatischer bzw. „Performanz-Text“ zu 36

Zum Verhältnis von Dialogen und monologisierenden Passagen vgl. Hopf, Liebesszenen, 298–300. 37 Vgl. zum Stilmittel der Episierung Pfister, Drama, 103–122. 38 Dies lässt sich im Übrigen für das gesamte Hld zeigen, vgl. Hopf, Liebesszenen, 293–310.359. 39 Das Hld bedient sich mündlicher Sprachformen, um den Äußerungen trotz ihrer hohen Poetizität den Anschein gesprochener Sprache zu verleihen. Vgl. dazu Hopf, Schreibe. 40 Zur „Opsis“ des gesamten Hlds vgl. Hopf, Liebesszenen, 311– 329.359–361. 41 Zur genauen Rekonstruktion des „Plots“ dieser Szene vgl. Hopf, Liebesszenen, 135–137, sowie zu den Ergebnissen für das gesamte Hld die Zusammenfassung in Hopf, Liebesszenen, 330–351.361–363.

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bezeichnen ist, dem ein erhebliches „Performanz-Potential“ zukommt. Dies gilt im Übrigen für das gesamte Hld, selbst wenn besonders der „Plot“ für das Buch als Ganzes schwieriger zu bestimmen ist,42 da keine durchlaufende „Story“ auszumachen ist. Vielmehr werden in der Gesamtschau eher verschiedene, z. T. lose miteinander verknüpfte Szenen erkennbar, die aber im Sinne des geweiteten „Plot-Begriffs“ durch das verbindende Element eines „figurenzentrierten Plots“ zusammengehalten werden, bei welchem die Frau und der Mann eine charakterliche Entwicklung durchmachen.43 3.2 Beispiel 2: Der Psalm des Jona Als Grundlage für das zweite Anwendungsbeispiel der Kriteriologie dient ein Redetext aus dem Bereich der prophetischen Literatur, nämlich der Dankpsalm des Jona aus Jon 2,3–1044: 3 […] Als ich in Not war, rief ich zu HERRN, und er hat mich erhört. Aus dem Innern des Totenreichs rief ich um Hilfe, du hast meine Stimme gehört. 4 Du hattest mich in die Tiefe geworfen, mitten ins weite Meer, und die Strömung umspülte mich, all deine Wogen und deine Wellen gingen über mich hinweg. 5 Und ich, ich sprach: Ich bin verstoßen, deinen Augen entzogen! Doch ich werde wieder aufblicken zu deinem heiligen Tempel! 6 Das Wasser stand mir bis zum Hals, die Flut umspülte mich, Schilf hatte sich um meinen Kopf gewickelt. 7 Zum Fuß der Berge war ich hinabgefahren,

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Vgl. die Zusammenfassung verschiedener Strukturbestimmungen bei Fischer, Hohelied, 54–83. 43 Vgl. Hopf, Liebesszenen, 362. 44 Der Text entspricht der Fassung und dem Layout der Neuen Zürcher Bibel (22008). Die Rechtschreibung wurde der bundesdeutschen Schreibweise angepasst.

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die Erde - ihre Riegel schlossen sich hinter mir für immer. Da hast du mein Leben aus der Grube gezogen, HERR, mein Gott! 8 Als meine Lebenskraft sich mir versagte, erinnerte ich mich des HERRN, und mein Gebet kam zu dir in deinen heiligen Tempel. 9 Die nichtige Götzen verehren, lassen ihre Gnade fahren. 10 Ich aber will dir Opfer schlachten mit lautem Danken, was ich gelobt habe, will ich erfüllen! Die Hilfe ist beim HERRN!

Mit Blick auf die „Lexis“ zeigt sich, dass der Psalm durchgängig aus direkter Rede besteht, deren Sprecher aus dem Kontext identifiziert werden kann. Wie schon im Beispiel aus dem Hld finden wir erneut eine leichte Tendenz zur Episierung, da die direkte Rede Teile einer Narration enthält. Auch dieses Textstück präsentiert sich allerdings wiederum als direkte Rede. Das Grundkriterium der „Lexis“ ist für diesen Abschnitt also erfüllt. Eine „Opsis“ der Szene ist ebenfalls erkennbar, wenn man den Kontext mit heranzieht: Das Gebet ist lokalisiert im Inneren eines großen Fisches (‫)ָדּג ָגּדוֹל‬. Der Psalmtext selbst verrät hingegen nichts über das szenische Setting, da die optisch auswertbaren Textelemente doch wohl eher als metaphorische Sprache zu verstehen sind.45 Einzig die V. 4.6 mag man (zumindest im gegebenen Kontext) evtl. als Ansätze einer psalminternen „Opsis“ identifizieren. Die Bestimmung eines „Plots“ ist demgegenüber deutlich einfacher: Der Psalm, oder genauer der Sprecher des Psalms beschreibt eine Notsituation, in welcher er sich an Gottes Treue erinnert, worin er schlussendlich Trost findet. Auf den ersten Blick scheint Jon 2 also den drei Kriterien zu entsprechen. Allerdings ergibt sich aufgrund des Kontextes ein grundsätzliches Problem: Dieser muss berücksichtigt werden, weil er für die Überprüfung der drei 45

Zum Verhältnis von „Opsis“ und „Metaphern“ vgl. auch den Hinweis in Anm. 52.

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Merkmale miteinbezogen wurde. Diesbezüglich zeigt sich, dass der Gesamtkontext des Psalms, also das Buch Jona, als Ganzes eine Prophetenerzählung ist. Sicherlich finden sich noch weitere Stücke direkter Rede. Der Hauptteil des „Plots“ wird allerdings nicht von Figurenäußerungen getragen, sondern von den Erzählpassagen aus dem Mund einer Erzählstimme. Anders ausgedrückt: Während wir im Hld Narration innerhalb der direkten Rede haben, stellen der Psalm und die übrigen Äußerungen im Buch Jona direkte Reden innerhalb einer Narration dar. Die Merkmale der „Opsis“ und des „Plots“ sind zwar durchaus vorhanden, letztlich erfüllt das Buch als Ganzes jedoch das Basiskriterium der „Lexis“ überhaupt nicht, da die vermittelnde Erzählstimme die Unmittelbarkeit der Präsentation durchbricht. Entsprechend ist der Text nicht in den Bereich der Meta-Gattung „Performanz-Texte“ einzuordnen, sondern in jenem der Erzählliteratur. 3.3 Beispiel 3: Psalm 13 Beim dritten und letzten Beispiel handelt es sich erneut um einen poetischen Text, dieses Mal aus dem Buch der Psalmen: Ps 13.46 1

Für den Chormeister. Ein Psalm Davids. Wie lange, HERR! Willst du mich ganz vergessen? Wie lange verbirgst du dein Angesicht vor mir? 3 Wie lange soll ich Sorgen tragen in meiner Seele, Kummer in meinem Herzen, Tag für Tag? Wie lange noch soll mein Feind sich über mich erheben? 4 Sieh mich an, erhöre mich, HERR, mein Gott. Mache meine Augen hell, damit ich nicht zum Tod entschlafe, 5 damit mein Feind nicht sage: Ich habe ihn überwältigt, meine Gegner nicht jauchzen, dass ich wanke. 6 Ich aber vertraue auf deine Güte, über deine Hilfe jauchze mein Herz. Singen will ich dem HERRN, denn er hat mir Gutes getan. 2

46

Auch hier entspricht der Text der Fassung und dem Layout der Neuen Zürcher Bibel (22008).

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Ps 13 ist bekanntlich das Paradebeispiel für ein Klagelied des Einzelnen. Doch trotz dieser vordergründigen Sicherheit bzgl. der Gattung scheint eine Untersuchung anhand der Kriterien-Trias durchaus sinnvoll: Eine Gestaltung als „Lexis“ ist erneut klar zu erkennen: Ein „Ich“ spricht in direkter Rede Gott in der zweiten Person an. Es ist allerdings die Frage, ob dieses „Ich“ wirklich als Figur erkennbar wird,47 da es in seiner Charakterisierung vergleichsweise generisch bleibt und somit eher als Typos zu bezeichnen wäre. Da dies aber unter dramentheoretischen Gesichtspunkten eine durchaus mögliche Ausgestaltungsform für die „Lexis“ ist,48 spricht dieser Umstand nicht grundsätzlich dagegen, hier eine „Lexis“ zu erkennen. Dies ist nicht zuletzt damit zu begründen, dass die erste Person in Ps 13 dennoch greifbar bleibt.49 Trotz dieser stilistischen Besonderheit ist das „Lexis“-Kriterium in Ps 13 also erfüllt. Demgegenüber scheint die Bestimmung einer „Opsis“ im Text problematischer. M. E. lässt der Psalmtext jeglichen Hinweis auf ein optisches Setting vermissen. Was vielleicht noch am ehesten auf eine Szenerie hin auswertbar wäre, ist wohl der Aspekt der Zu- bzw. Abwendung von Gottes Angesicht, worin man spezifische Tempelterminologie erkennen mag.50 Dies ist allerdings angesichts des literarisierten Charakters dieses Klagelieds eines Einzelnen keine zwingende Interpretation.51 Alle übrigen 47

Dies gilt insbesondere, wenn wir eine Zuweisung an David ausschließen, welche man ggf. auf der Basis der Überschrift in V. 1 vertreten könnte. 48 Vgl. dazu auch die Unterscheidung in Personifikation, Typ und Individuum bei Pfister, Drama, 244–246. 49 Tatsächlich ist eine solche Tendenz zur generischen Figurendarstellung im Hld bis zu einem gewissen Grad ebenfalls vorhanden. Die Charaktere treten dort aber wohl v. a. auch wegen des umfangreicheren Textmaterials deutlicher zu Tage. Vgl. dazu Hopf, Liebesszenen, 342– 344. 50 Um nur ein Beispiel zu nennen, vgl. Weiser, Psalmen, 49.109. 51 Neuere Kommentare schweigen mit Blick auf Ps 13 bspw. gänzlich zur Frage einer Ansiedlung am Tempel (vgl. Oeming, Psalmen 1–41,

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optischen Anklänge des Textes von Ps 13 sind meiner Einschätzung nach entweder als metaphorische Sprache oder als eine Art „off-stage-Wortkulisse“ zu verstehen, welche zwar eine Szenerie heraufbeschwört, die allerdings nicht das Setting beschreibt, in welchem der Sprecher situiert ist, sondern einen Ort jenseits dessen.52 Insgesamt enthält Ps 13 also keine „Opsis“ im eigentlichen Sinn. Ein „Plot“ ist schließlich wiederum leicht auszumachen und ähnelt jenem von Jon 2: Es wird eine Notsituation mit einer anschließenden Veränderung zum Besseren beschrieben (zumindest was die emotionale Haltung des Sprechers angeht).53 Auch wenn dieser Wandel recht abrupt eintritt, wird die textliche Einheit des Psalms in aller Regel nicht in Frage gestellt.54 Stattdessen vermittelt das Klagelied eine klare thematische Entwicklung von der Bedrängnis / der Klage hin zur Errettung / zum Dank – oder mit anderen Worten: einen „Plot“. Während in Ps 13 also das erste und das letzte Kriterium jeweils erfüllt ist, verhindert das Problem der fehlenden klaren „Opsis“, dem Klagelied ein allzu großes „Performanz-Potential“ im Sinne einer dem Drama nahestehenden spezifischen Gattung zuzuweisen.

104f.) oder äußern sich eher kritisch (vgl. Hossfeld/Zenger, Psalmen I, 98f.). Man denke zudem nur an die lange Debatte um die Deutung des sog. Stimmungsumschwungs, vgl. u. a. Janowski, Konfliktgespräche, 75–84. Im Gegensatz dazu liefert bspw. die Titulierung eines Psalms als ‫ שיר המעלות‬ein wesentlich eindeutigeres optisches Setting. 52 Vgl. zur Schwierigkeit des Verhältnisses von „Metaphern“ und „Opsis“ Hopf, Liebesszenen, 311–313, sowie zum Phänomen der „offstage-Wortkulisse“ die Ausführungen auf 316–319. 53 Der Hauptunterschied zwischen Jon 2 und Ps 13 ist, dass in letzterem eine Gruppe von Feinden und nicht Gott selbst der Auslöser für die Not zu sein scheint. 54 Implizit bspw. bei Oeming, Psalmen 1–41, 104; ähnlich auch Seybold, Psalmen, 64, der allerdings von einem entfallenen Colon ausgeht. Eine Ausnahme bilden Hossfeld/Zenger, Psalmen I, 96.

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4 Zusammenfassung Im Bereich der Gattungskritik wird faktisch immer wieder mit einer Art „Gattungs-Hierarchie“ operiert. Gattungen werden also in gewisse übergeordnete Bereiche eingeteilt wie bspw. „erzählende Literatur“ („Meta-Gattungen“). Eine Ebene darunter werden die spezifischen Einzelgattungen sowie ggf. – auf der nächst unteren Ebene– bestimmte Untergattungen angesiedelt. Neben recht unstrittigen (wenngleich immer heuristischdeskriptiv zu verstehenden) atl. Meta-Gattungen wie „Erzählliteratur“ oder „Sachtexten“ sollte eine zusätzliche Meta-Gattung „Performanz-Texte“ stärkere Berücksichtigung finden. Das Kernkriterium solcher Performanz-Texte ist die Gestaltung als „Lexis“, also die Darstellung des Textsubstrats weit überwiegend in direkter Rede aus dem Munde identifizierbarer Figuren, was insgesamt auf die Textpräsentation ohne die vermittelnde Ebene einer Erzählstimme abzielt. Während Erzähltexte direkte Rede letztlich als Stilmittel einsetzen, um die Narration lebendiger zu machen, ist in „Performanz-Texten“ die direkte Rede das grundlegende Gestaltungsprinzip. Anhand der drei Textbeispiele wurde deutlich, dass das Hld wie auch Ps 13 diesem Basiskriterium prinzipiell entsprechen, selbst wenn bestimmte stilistische Eigenheiten wie bspw. die tendenziell etwas generische Charakterdarstellung auftreten. Das Danklied aus Jon 2 enthält demgegenüber nur auf den ersten Blick eine „Lexis“, da er – in seinem Kontext gelesen – nur als das eben beschriebene Stilmittel eingesetzt wird, welches der Prophetenerzählung des gesamten Jonabuchs seine Lebendigkeit verleiht. Eine spezifische Einzelgattung im Bereich der Meta-Gattung „Performanz-Texte“ kann mit der Wendung „Performanz-Potential“ eingegrenzt werden. Hinsichtlich der Kriteriologie erfolgt diese Einordnung insbesondere anhand der Merkmale „Opsis“ und „Plot“. Weder „Opsis“ noch „Plot“ sind dabei nur in „Performanz-Texten“ zu finden, sondern bspw. auch in Erzähltexten, was an den fließenden Grenzen zwischen Gattungsbereichen liegt. Als

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Kriterien grenzen sie dennoch jenen Teilbereich der „Performanz-Texte“ ab, welcher sich dem Typus von Literatur annähert, die heute literaturwissenschaftlich als „Drama“ angesehen wird. Die „Opsis“ übernimmt dabei die Aufgabe, die räumlichen Kategorien der Szenerie in den Text einzutragen, welche dem Redesubstrat sein optisches Gepräge verleiht. Insofern zeigt sich an der „Opsis“, wie sehr sich ein Text für eine „Inszenierung“ im Wortsinne eignet, wie auch immer man sie sich historisch vorzustellen hat. Die angeführten Beispiele haben diesbezüglich gezeigt, dass das Hld und das Jonabuch ausdrücklich mit diesen optischen Kategorien arbeiten, um in der Rezeption eine szenische Vorstellung zu evozieren, auch wenn beide Texte bzgl. des Grundkriteriums der „Lexis“ getrennte Wege gehen. Ps 13 hingegen, der zwar eine „Lexis“ aufweist, ist allenfalls rudimentär von einer im Text erkennbaren szenischen Vorstellung geprägt. Das „Plot“-Merkmal schließlich dient dazu, einem Text innere Kohärenz zu verleihen, wodurch selbiger überhaupt erst als textum, als schlüssiges Gewebe, erkennbar wird – ein Kriterium, welches in den gewählten Beispielen klar erkennbar ist.55 Es hat sich also gezeigt, dass im Sinne der gattungsmäßigen „Familienähnlichkeit“ Verbindungslinien zwischen Texten wie dem Hld, einem Text mit großem (dramatischem) „Performanz-Potential“, und Gattungen wie dem Klagelied des Einzelnen erkennbar sind. Sie sind also dem Bereich der Meta-Gattung „Performanz-Texte“ zuzuordnen. Allerdings ist anhand der drei Kriterien eben auch die differentia specifica herauszuarbeiten, welche die Texte des Hlds näher an den „dramatischen“ Bereich heran55

Im Fall des Hlds als Ganzem ist die Bestimmung eines „Plots“ nicht selbstverständlich. Ein solcher „Plot“ als übergeordnetes Gestaltungsprinzip ist m. E. durchaus erkennbar. Vgl. dazu Hopf, Liebesszenen, 334–351. Es fällt zudem nicht schwer, andere atl. Texte zu benennen (bspw. aus dem corpus propheticum), die zwar die Kriterien „Lexis“ und „Opsis“ erfüllen, aber das „Plot“-Kriterium nur auf der Ebene kleinerer Sprucheinheiten.

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rücken, zu dem der Klagepsalm Ps 13 nicht zuzurechnen ist. Insofern ist die Kriterien-Trias „Lexis“, „Opsis“ und „Plot“ ein nützliches Werkzeug zur Bewertung von Texten bzgl. a. ihrer grundsätzlichen Zugehörigkeit zur MetaGattung „Performanz-Texte“ sowie b. der Frage, inwieweit sich die untersuchten Texte für eine kohärente „szenische“ Realisierung eignen, also wie viel „PerformanzPotential“ ihnen zuzuweisen ist. Literatur Antor, H., Art. Plot, in: Nünning, A. (Hg.), Metzler Lexikon Literaturund Kulturtheorie, Stuttgart / Weimar 2008, 575f. Aristoteles / Fuhrmann, M., Poetik. Griechisch / Deutsch (Reclam Universal-Bibliothek 7828), Stuttgart 2008. Asmuth, B., Einführung in die Dramenanalyse (Sammlung Metzler 188), Stuttgart 51997. Baltzer, K., Deutero-Jesaja (KAT X,2), Gütersloh 1999. Becker, U., Exegese des Alten Testaments. Ein Methoden- und Arbeitsbuch (UTB 2664), Tübingen 32011. Blum, E., „Formgeschichte“ – ein irreführender Begriff?, in: Utzschneider, H. / Blum, E. (Hg.), Lesarten der Bibel. Untersuchungen zu einer Theorie der Exegese des Alten Testaments, Stuttgart 2006, 85–96. Exum, J.C., Song of Songs. A Commentary (OTL), Louisville, KY 2005. Fischer, S., Das Hohelied Salomos zwischen Poesie und Erzählung. Erzähltextanalyse eines poetischen Textes (FAT 72), Tübingen 2010. Fischer-Lichte, E., Performativität. Eine Einführung (Edition Kulturwissenschaft 10), Bielefeld 22012. Fohrer, G., Die Sage in der Bibel, in: Lüthi, M. u.a., Sagen und ihre Deutung (EvFo 5), Göttingen 1965, 59–80. Hopf, M., Liebesszenen. Eine literaturwissenschaftliche Studie zum Hohenlied als einem dramatisch-performativen Text (AThANT 108), Zürich 2016. –– ‚Schreibe‘ oder ‚Rede‘. Indizien für eine Gestaltung des Hoheliedes entsprechend mündlicher Sprachkonventionen am Beispiel von Hld 5,2–6,3, in: Fritz, M. / Fritz, R. (Hg.), Sprachen des Glaubens. Philosophische und theologische Perspektiven (ThAkz 7), Stuttgart 2013, 53–75. Hossfeld, F.-L. / Zenger, E., Die Psalmen I. Psalm 1–50 (NEB.AT 29), Würzburg 1993.

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Friedrich-Emanuel Focken

Ezekiel’s Call Narrative as Introduction to the Book of Ezekiel1 Observations on the Development of Genre Criticism

1 Introduction At the beginning of the 20th century, Hermann Gunkel established genre criticism as a method in Old Testament studies.2 Since then, it has rightly had a major influence in the field. The approach was changed considerably in this period. As is the case of all other methods in liberal arts, the correct use of genre criticism is not a matter of a pure, schematic adoption and application of its initial shape. Rather, it requires constant transformation.3 The transformation of genre criticism is stamped by the changing academic contexts in which it is used including further 1

The paper was written as part of the Heidelberg Collaborative Research Centre 933 “Material Text Cultures: Materiality and the Presence of Writing in Non-Typographic Societies,” sub-project C02 “Narratives of Written Works as the Foundation of a ‘Text Anthropology’ of the Old Testament.” The Collaborative Research Centre is supported by the German Research Foundation. 2 Cf., among others, Gunkel, Grundprobleme; Gunkel, Literaturgeschichte; Gunkel, Literatur. For an overview of the present German genre criticism cf. Steck, Exegese, 98–125; Utzschneider/Nitsche, Arbeitsbuch, 116–236; Becker, Exegese, 103–122. 3 Cf. Sweeney/Ben Zvi, Introduction, 9–11.

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changes in the exegetical methods in Old Testament Studies. The works of James Muilenburg,4 Rolf Knierim,5 Christof Hardmeier,6 Martin Buss,7 and Erhard Blum8 represent some recent milestones in the development of genre criticism.9 These authors present reformulations of genre criticism for our present academic context. In current exegesis of German theological literature, however, genre criticism is still facing a major challenge. Much more than before, genre criticism has to be adapted to fundamental insights in literary history that have emerged in the previous years. According to this, most Old Testament texts were not composed, as was previously thought, independently of each other and brought together into larger units only in later stages. This kind of higher criticism was done following so-called source theories and fragment theories. According to recent results of redaction criticism, the majority of the Old Testament texts grew by successive supplements composed for this purpose. Such Fortschreibungsmodelle (supplement theories) are often being used in exegesis in the German-speaking world at present. Under the assumption of supplement theories, genres – i.e., typical sets of formal, contentual, pragmatic, sociocultural, and anthropological aspects in oral or written texts of several speech or work contexts10 – have an essentially minor influence on the shape of individual texts than under the presupposition of source theories and fragment theories. According to the supplement theories, texts were written for a specific literary context. They were 4

Cf. Muilenburg, Form. Cf. Knierim, Form. 6 Cf. Hardmeier, Texttheorie, especially 256–301. 7 Cf., among others, Buss, Form; Buss, Shape. 8 Cf. Blum, Formgeschichte. 9 A similar development is found in New Testament exegesis in, for example, the “new form criticism” of Klaus Berger. Cf. Berger, Formen, with an overview of the differences between the older and the newer genre criticism, 28–31. 10 For an explanation of this definition of genres, see below, pp. 105f. 5

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added to older literary works and in many cases placed simultaneously with other texts in the same works. Therefore, the specific literary contexts had a wider influence on the textual shape. Thus, the influence of genres on the shape of these texts decreases, even when that influence is admittedly nevertheless visible. Extensive reflection on this and other consequences of this recent development in redaction criticism for genre criticism of texts whose origin is explained via supplement theories is needed. Also the communication of this methodological connection in current textbooks on the method of Old Testament exegesis appears to be problematic sometimes.11 With this article, I would like to contribute to the further development of genre criticism against the background of this development in redaction criticism. Following this introduction, in the second section I will analyze the oldest composition of Ezek 1–3 that can be reconstructed as an example by means of a few chosen genre-critical aspects.12 In the third and final section I will demonstrate the methodological consequences of this example. 2 Ezekiel 1–3 Ezek 1–3 is known as Ezekiel’s call narrative. It is stylized as an autobiographical narrative: Yhwhs glory appears to Ezekiel and Yhwh calls Ezekiel to be a prophet when giving him general tasks that concern large parts of his later prophetic activity. The superscription in Ezek 1,1–3 gives Ezekiel’s call both a temporal and spatial location. The Babylonian king, Nebuchadnezzar II conquered Jerusalem in 598/7 B.C.E. and then deported Ezekiel and other members of the so-called first Gola to Babylonia. There Yhwh 11

See below, pp. 106–111 with fn. 72.80.82.85. I have already researched Ezek 1–3, though in connection with a different issue, in Focken, Schriftrolle. The results of that article are at the basis of this study. 12

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called Ezekiel to be a prophet to the first Gola in the year 594 B.C.E. An important part of his prophecy consists of judgments against Jerusalem. Accordingly, Nebuchadnezzar II conquered Jerusalem in 587/6 B.C.E. a second time and destroyed it.13 The comprehensive first version of the call narrative Ezek 1*; 2; 3,1–11.12f.*.14f.22–27 must have been written at a later time. It was composed together with other texts oriented to the interests of the first Gola in the second half of the 6th century B.C.E. These texts came into being as a Fortschreibung (supplement) of older texts of the book of Ezekiel. Altogether, these texts constituted the so-called Gola-oriented book of Ezekiel.14 Now I would like to present some aspects of the first version of Ezek 1–3 connected with genre criticism in four steps. In the first subsection, I will clarify the structure of the text. In subsections 2–4, I will show that the text is 13 Cf. Berlejung, Geschichte, 120f.154–159; Focken, Schriftrolle, 145f. with fn. 3. 14 On the reconstruction of the literary history and the dating of the first version of Ezek 1–3, cf. Focken, Schriftrolle, 151–159. An important later addition to the first version is the narrative of Ezekiel’s call to be a watchman for Israel in 3,16–21. The divergent formal features and contradictions in content have led to its being rightly considered for a long time to be a later addition. Thus, for example, the description of the wickedness of the Israelites in 3,16–21 uses completely different terms from those found in the rest of the call narrative. The response of the Israelites to Ezekiel’s speech in 3,16–21 is important: under the condition of the obedience to the watchman Ezekiel they could only be saved. According to the rest of the call narrative, however, the responses of the Israelites to Ezekiel’s proclamations do not matter to Yhwh. Ezekiel has to proclaim whether they listen or not (2,5.7; 3,11.27). In 3,7 Yhwh states it even more clearly: “And the house of Israel is not willing to listen to you because they are not willing to listen to me.” In 2,5, the Israelites shall only acknowledge that Ezekiel was a prophet, nothing more. – Other more minor additions are found in Ezek 1 – especially in the first vision narrative, whose essentials, however, were already part of the first version of Ezek 1–3 – and in 3,12f. The additions have, all things considered, only secondary significance for the reconstruction of the content of Ezek 1–3. Cf. Schöpflin, Theologie, 57–62 on 1,1–3, 130f.170 with fn. 211 on 3,12f., and Wagner, Syntax, on 1,4–28. On this issue, see also the literature cited in these studies.

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stamped by the stylistic device “introduction of new content by repetitions” and by the genres of “call narrative” and “introduction to a written work.” 2.1 Textual Structure Following the superscription in 1,1–3 two distinct groups of texts can be distinguished from each other. First, there are three passages especially narrating Ezekiel’s visions and non-linguistic auditions (1,4–2,2a; 2,8– 3,3; 3,12–15.22–24a). Closely connected to those are narratives about changes in Ezekiel’s spatial location (1,28b– 2,2a; 3,12–15.22–24a): –





1,4–2,2a: Ezekiel sees Yhwh’s glory above an expanse under which he sees wheels and creatures with both human and animal features. They glow, move, and their wings sound like the roar of rushing waters. The vision narrative is enigmatic in many ways, but it definitely points to Yhwh as the sole and powerful God of heaven. Thus, Yhwh authorizes both Ezekiel and his book. 2,8–3,3: Yhwh presents Ezekiel with a scroll. Ezekiel accurately determines the genres of its texts as threatening and complaining genres of lament, clamor, and woe.15 At Yhwh’s command Ezekiel eats the scroll, which tastes like honey. 3,12–15.22–24a: The spirit brings Ezekiel to the exiles at Tel Abib at the Chebar River. Ezekiel again hears the roaring creatures and the wheels. He descends into a valley where he again sees Yhwh’s glory.

Second, there are four other passages outside the visions in which Yhwh speaks to Ezekiel. Yhwh commissions Ezekiel to speak to the first Gola, although Yhwh judges all Israelites to be guilty of rebellion against him. Ezekiel 15

For this translation of 2,10, cf. Focken, Schriftrolle, 163f.

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is supposed to shut himself inside his house in which he would be tied up by the Israelites. Thus, only a few Israelites would be able to hear Ezekiel’s prophecy. Finally, Yhwh announces that he will take away Ezekiel’s ability to speak. Only when he should proclaim the word of Yhwh his ability to speak would be restored16 (2,2b–7; 3,4–11; 3,24b–27; cf. also 3,1bβ). The passages concludes with Yhwh giving a commission to Ezekiel to speak to the Israelites, even though they would not listen to him: Ezek 2,7 Ezek 3,11 Ezek 3,27

‫ודברת את־דברי אליהם אם־ישׁמעו ואם־יחדלו‬ ‫ודברת אליהם ואמרת אליהם כה אמר אדני יהוה‬ ‫אם־ישׁמעו ואם־יחדלו‬ ‫ואמרת אליהם כה אמר אדני יהוה השׁמע ישׁמע והחדל יחדל‬

Ezek 2,7 And you must speak my words to them [sc. the Israelites], whether they listen or refuse. Ezek 3,11 And you must speak to them and say to them: “Thus said the Lord Yhwh”; whether they listen or refuse. Ezek 3,27 And you must say to them, “Thus said the Lord Yhwh”; he who listens is to listen, and he who refuses is to refuse.

2.2 The Stylistic Device “Introduction of New Content by Repetitions” We find several textual elements repeated within the vision narrative and Yhwh’s speeches that are characteristic of all the text groups. As in other Old Testament texts, these repetitions serve to ensure the communication of the content of the text. This concerns, in particular, expressions that are unusual in the preceding literary context or in the world of the first hearers and readers.17

16

Cf. Herrmann, Ezechiel, 27; Habel, Form, 313; Block, Ezekiel 1, 150–161; Greenberg, Ezechiel 2, 127f.137f.; Sedlmeier, Ezechiel 1, 107–109; Schöpflin, Theologie, 171–179; Schöpflin, Ezechiel, 22f.; Konkel, Ezechiel, 230–234. 17 Cf. Judg 2,17–3,6 and Focken, Landnahme, 43f.63f., on that text, and see below p. 91 on Judg 13,4–14.

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The repetitions are stamped by elaborate transformation patterns. The transformation patterns show the high intellectual level of the call narrative. Here are three examples. First, various things are portrayed in more detail. Thus, after the detailed description of the visions of Yhwh in 1,1.4–28; 2,9–3,3, the further visions in 3,12f.; 3,23a can be presented in a much shorter form because the recipients are already familiar with the circumstances. The final vision narrative of the call narrative in 3,23a refers back to the first vision of Yhwh described in 1,1.4–28. It recalls the details of the first vision narrative only in summary fashion. Secondly, repeated textual elements are adapted to their specific contexts. 3,11 refers to the addressees of Ezekiel’s oral proclamation in the plural: ‫ודברת אליהם ואמרת אליהם כה אמר אדני יהוה אם־ישׁמעו ואם־יחדלו‬ And you must speak to them [sc. the Israelites] and say to them: “Thus said the Lord Yhwh”; whether they listen or refuse.18

But in 3,27 the words in question are used in the singular: ‫ואמרת אליהם כה אמר אדני יהוה השׁמע ישׁמע והחדל יחדל‬ And you must say to them, “Thus said the Lord Yhwh”; he who listens is to listen, and he who refuses is to refuse.

The use of the singular form fits the formulation of the commission to Ezekiel in 3,24, as he is shut up in his house. Because of that, only a few people have access to Ezekiel. Third, certain concepts that are central to the description of the Israelites are applied to Ezekiel. In this case as well elaborate transformation patterns of repeated textual elements can be detected. Thus, the Israelites and Ezekiel are similar with respect to the strength of their faces and the

18

Cf. 2,4f.7.

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hardness of their foreheads (cf. 2,4a19; 3,7–9). To be sure, Ezekiel’s strength and hardness, filled as he is with Yhwh’s word that he has eaten, is of an entirely different character than that of the rebellious Israelites. Ezekiel embodies and personifies Yhwh’s word.20 As I have stated above, the stylistic device is used more often in the Old Testament. For example, it is found in the repeated introduction to Samson’s Nazirate in Judg 13,4f. 7.13f. This repeated introduction is necessary because the conception of Samson’s Nazirate was new for the recipients of the text at that time. It is designed in particular for the further Samson narrative. The repetitions ensure that the unusual conception will be understood by the hearers and the readers.21 Strikingly, the first and second transformation pattern of Ezek 1–3 are used in Judg 13: First, analogous to Ezek 3,23a, the final description of Samson’s Nazirate in Judg 13,13b.14b refers to the first, more precise description of it in Judg 13,4f. explicitly and recalls the details only: a summarized fashion. Second, the adaptation of repeated textual elements to their respective contexts can also be seen. Thus, of all the instructions Samson’s mother were given by the angel of Yhwh in Judg 13,4f., in Judg 13,7 she does not tell his father, Manoah, about the only one that concerns Samson directly, i.e., that his hair was not to be cut. It is thus perfectly fitting that, in Judg 13,8.12, Manoah asks the angel of God for instructions, among other things, on what things he is to do in connection with his son. But the angel of Yhwh answers this question only indirectly.22 Consequently, the description of a more detailed structure of the stylistic device “introduction of new content by 19

From a lower criticism point of view, 2,4a is uncertain because the half verse is not attested in the Septuagint. See Ziegler, Ezechiel, 97. 20 See below fn. 57. See also the other examples of transformations of repeated textual elements in Ezek 1–3 in Focken, Schriftrolle, 149–151. 21 Cf. Stipp, Simson; Groß, Richter, 665–672; Focken, Landnahme, 64 fn. 55. 22 Cf. Stipp, Simson, especially 349f.364–367; Groß, Richter, 671f.

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repetitions” and also a classification of the respective texts in sub-categories seem to be possible. Because this stylistic feature is several times evident in various works, it can be studied as a genre by means of the genre-critical approach. 2.3 The Genre “Call Narrative” As I have shown above in subsection 2.1, in Ezek 1*; 2; 3,1–11.12f.*.14f.22–27 Ezekiel narrates visions he received from Yhwh as well as commissions Yhwh gave him. Here Yhwh calls him to be a prophet to the first Gola. Such a combination of visions and commissions by Yhwh to individuals is attested more often in the Old Testament at the beginning of literary works or parts of works. The texts portray Yhwh calling Israelites to a comprehensive – but not always lifelong23 – service as prophets or politicalmilitary leaders. See Exod 3,1–4,17; Judg 6,11–24; Isa 6,1–13; Jer 1,1–1924. That is why these texts can be classified under the genre “call narrative”25. The question as to whether Isa 6 is a call narrative is a matter of dispute. Thus, Odil Hannes Steck holds that Isa 6 is not a call narrative but belongs to the genre “Vergabe eines außergewöhnlichen Auftrags in der himmlischen Thronversammlung” (assignment of an extraordinary

23

Cf. Isa 6,11–13. Also individual stipulations in connection with calls are not always lifelong. See below fn. 54 on Ezekiel’s being mute. 24 The demarcation of the Jeremian call narrative is disputed. Jer 1,1– 19 depicts general commissions, visions and other speeches by Yhwh that, by and large, concern Jeremiah’s entire prophetic service. That is why all of these verses – on the literary historical level of the final text – can be included in the call narrative. In contrast, Jer 2,1ff. contains a concrete proclamation commission from Yhwh to Jeremiah. 25 On the selection of Old Testament call narratives examined here – which contain clear indications of a successive literary historical development – cf. Long, Berufung, 677, and see the fn. 39 below on 1Sam 9,1–10,16. Burke O. Long (ibid.) und Schöpflin, Theologie, 180f., cite other Old Testament texts that also thematize calls or are to be judged as factually related but nonetheless are strongly distinct from the call narratives examined here.

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commission in the heavenly assembly)26. Steck’s thesis is convincingly rejected by Uwe Becker for the original genre of Isa 6,1-11.27 Becker, however, cites Isa 6 in the context of the more recent – with respect to literary history – chapter 7 and in the context of Isa 8 in connection with Steck for a conferring of an extraordinary commission because it is related – in the context cited – primarily to the Syro-Ephraimite War. He argues: “Wenn man nämlich c. 7–8* als Entfaltung des Verstockungsauftrages von Jes 6 liest, entsteht in der Tat der Eindruck, als beziehe sich Jes 6 – wenn nicht ausschließlich, so doch in erster Linie – auf die Ereignisse des syrisch-efraimitischen Krieges. So könnte man in dieser Hinsicht von einem konkreten Sendungsauftrag sprechen”28 (If, namely, chs. 7f. are read as the unfolding of the task to harden the people’s hearts, then the impression does indeed arise that Isa 6 is indeed related – if not exclusively certainly primarily – to the events of the Syro-Ephraimite War. In this respect one can speak of a concrete mission task). To test this argument, we should look at the internal chronology of the narrative in Isa 6–8. Isa 6,1 dates the vision and speeches described in Isa 6 to the year Uzziah, the king of Judah, died. The latter died in 734 B.C.E.29 Fitting this, Isa 1,1 indicates that Isaiah began his activity as a prophet during Uzziah’s reign. The Syro-Ephraimite War described in Isa 7 took place in 733/732 B.C.E.30 As Hanna Liss and Reinhard Müller have shown, the basic layer of Isa 6, including Isa 6,11, represents a reaction to the Judean rebellion against Assur in 705–701 B.C.E.31 The rebellion led to a campaign by the Assyrian king Sennacherib in 701 B.C.E. against Judah to which Isa 6,11 alludes. The campaign appears, however, not to have been concluded when the basic layer was composed because it does take the desolation of Judah into account but not the fact that Jerusalem was spared.32 In the composition of the basic layer of Isa 6, Isa 6,11 indicates that the current Assyrian campaign was the end of Isaiah’s mission to harden the hearts.

26 27 28 29 30 31 32

Steck, Bemerkungen, 153. Cf. Becker, Jesaja, 65–68, and also Liss, Prophetie, 55-60. Becker, Jesaja, 68. Cf. Gertz u.a., Grundinformation, 608. Cf. Berlejung, Geschichte, 114. Cf. Müller, Einsicht, 32–94; Liss, Prophetie, 60–71. Cf. Müller, Einsicht, 84.

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This shows that Isa 6 is not, in the first instance, related at any point of time of the literary history to the Syro-Ephraimite War, which was already three decades in the past, but takes a more comprehensive view of Isaiah’s period of activity. Corresponding to Isa 1,1, it ends during the reign of the Judean king Hezekiah 723–695 B.C.E.33 Consequently, Isa 6 does not deal with an “concrete mission task” for a single situation but is a call narrative that by and large thematizes Isaiah’s whole prophetic activity.34

Because the call narratives Exod 3,1–4,17; Judg 6,11–24; Isa 6,1–13; Jer 1,1–19 are quite different for the rest, the other features they do share can be described only in a very limited way in the sense of a hypothetical ideal genre.35 Even on the literary historical level of the final texts, the texts share very few features that characterize them as call narratives. To describe the sending of those who are called, they use the verb ‫( שׁלח‬to send; Exod 3,10.12.13.14. 15; 4,13[2x]; Judg 6,14; Isa 6,8[2x]; Jer 1,7; Ezek 2,3.4; 3,5.6), which appears in the 1st person singular in Yhwh’s speeches in all the texts in this sense, with Yhwh as subject (Exod 3,10.12; Judg 6,14; Isa 6,8; Jer 1,7; Ezek 3,6; cf. the participles in Ezek 2,3.4; 3,5), and the verb ‫( הלך‬to go, to move; Exod 3,10.11.16; 4,12; Judg 6,14; Isa 6,8.9; Jer 1,7; Ezek 3,1.4.11.14). The vision narratives in all call narratives use the verb ‫( ראה‬to see, to appear; Exod 3,2[2x].3.4.16; 4,1.5; Judg 6,12.22[2x]; Isa 6,1.5; Jer 1,10.11[2x].12.13[2x]; Ezek 1,1.4.15.27[2x].28; 2,9; 3,23) to describe the seeing of the vision by those who are called. Many researchers tried to work out a common schematic structure of the call narratives.36 The varying results, 33

Cf. Gertz u.a., Grundinformation, 608. Cf. Liss, Prophetie, 66f.71; Müller, Einsicht, 88. 35 For the explanation of the concept of ideal genre, see below p. 107f., thesis 5. 36 Cf. Habel, Form; Richter, Berufungsberichte, 136–181; Gouders, Berufungsberichte, 142–172; Vieweger, Spezifik, especially 36–44. 71–78.90–94.139–141; Schmidt, Exodus, 123–129. 34

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however, do not fit all the call narratives mentioned above.37 Accordingly, it is impossible to find a common schematic structure of these texts.38 The common narrative constellation of characters and its development in narrated time is clear, however. In all call narratives, Yhwh appears to call the individuals in question in the beginning. The call narratives are in general characterized by the facts that Yhwh and the ones called are placed side by side in the texts of the narratives and communicate with each other directly.39 Both in connection with the visions as well as in the linguistic communication, Yhwh takes the initiative. In the end, he specifies the individuals to be called and lays out their future tasks.

37

Thus, the objections of those who are called in Exod 3,11; 4,10.13; Judg 6,15; and Jer 1,6 and the overcoming of the objections are missing from Isa 6 (so Steck, Bemerkungen, 150–152) and Ezek 1–3 (unlike Vieweger, Spezifik, 73–76; Vieweger, Beziehungen, 71f. fn. 356). 38 Cf. Nippert, Ruf, 181–186.194; Vieweger, Spezifik, 12, and Schöpflin, Theologie, 190: “Im Rückblick auf formgeschichtliche Analysen entsteht der deutliche Eindruck, daß die entwickelten Schemata der Berufung teils nur gewaltsam nachweisbar sind und es sich daher empfiehlt, die Eigenart der einzelnen Texte – die zum Teil sehr wohl bewußt analogisierend, kontrastierend oder überbietend aufeinander anspielen – zu beachten” (Looking back at genre-critical analyses, the clear impression arises that the schemas developed for the call are to a certain extent forced, and it is therefore recommended that the uniqueness of the individual texts – that partly indeed consciously allude to each other in analogizing, contrasting, or exceeding ways – be looked at). 39 Parts of the narrative of Moses‘ and Gideon’s calls in Exod 3,1–4,17 and Judg 6,11–24 constitute an exception. Yhwh’s angel is mentioned in Exod 3,2, Judg 6,11f.20f.(2x).22(2x), who appears to function as an intermediary between Yhwh and those who are called. The intermediary is, admittedly – also in Gideon’s case – from the perspective of the narrative voice quickly overcome. In accordance with the introductions to the speeches in Judg 6,14.16.23, Yhwh speaks to Gideon directly (cf. V. 24). Isa 6 and Ezek 1–3 refer to other transcendent figures. – Like the above-mentioned call narratives, the introduction of Saul in 1Sam 9,1–10,16 where he, among other things, is anointed as leader is characterized several times as a call narrative. Its constellation of persons, however, is quite different from the call narratives looked at here.

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Beginning with the call, the relationship of the individual called by Yhwh becomes intensified in various ways.40 The texts belonging to the subgenre of the prophetic call narrative have more in common. The call of Moses can also be included among these narratives, because he had to communicate Yhwh’s words.41 All prophetic call narratives deal with the mouth of the individuals called and – in the case of Moses – also the mouth of his spokesperson, Aaron (‫ ;פה‬Exod 4,10.11.12.15[3x].16; Isa 6,7; Jer 1,9[2x]; Ezek 2,8; 3,2.3.1742.27). The task of the called prophet is, among other things, further specified as the oral transmission of Yhwh’s declarations to him to the Israelites (Exod 3,10–18; 4,1–16; Isa 6,9; Jer 1,5–7.9.17; Ezek 2,4–5.7; 3,1.4–7.10f.17–2143.27). The intended audience will or should respond with resistance to the prophet and his messages in different ways (Exod 3,19; 4,1–9; Isa 6,9f.; Jer 1,19; Ezek 2,3–8; 3,7–9.25–27).44 On the other hand, the call narratives of the three latter prophets Isaiah, Jeremiah, and Ezekiel do have even more in common. The call narratives of Isaiah and Jeremiah45 show clear parallels, as do those of Isaiah and Ezekiel, and Jeremiah and Ezekiel.46 Because these common features 40

Cf. Liss, Prophetie, 58f. See especially Exod 3,10–18; 4,1–16. 42 Ezek 3,17 is not part of the original text. See above, fn. 14. 43 Ezek 3,17–21 is not part of the original text. See above, fn. 14. 44 For this motif, which is found often in the Old Testament prophetic books, cf. Greenberg, Ezechiel 1, 82–84, and – also on the question of the historicity of this idea – Jeremias, Rätsel, 101–106, and the justifiable objections by Kratz, Rätsel, 637–639. 45 Cf., for example, the – admittedly, each differently developed – instances of the mouths of the prophets being touched by Yhwh or a seraphim in Isa 6,7; Jer 1,9 and the proclamation of doom in Isa 6,11–13; Jer 1,13–16. 46 Parallels to Jer 1 and Ezek 1–3 have been described by, among others, Zimmerli, Ezechiel 1, 31f.35.75f.; Nippert, Ruf, 137–140.160– 163.172–175; Vieweger, Spezifik; Vieweger, Arbeit, 16–19; Vieweger, Beziehungen, 71–76; Rochester, Ministry, 62–68; Häner, Nachwirken, 92–100. – On the basis of different important commonalities, which, however, do not include longer texts, the call narratives in Jeremiah and 41

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vary in each case, however, these three call narratives cannot be grouped into a special subgenre or be classified in different subgenres clearly.47 In the present context, the common elements of Isa 6 and Ezek 1–3 are relevant, all of which are found in the first version of Ezekiel’s call narrative in Ezek 1*; 2; 3,1–11. 12f.*.14f.22–27. Although the commonalities also concern the central Ezekiel are literarily dependent on each other. It is, however, difficult to determine the direction of the dependency relationship. Cf. the argumentation in Nippert, Ruf, 137–140.160–163.172–175; Vieweger, Spezifik, 77; Vieweger, Arbeit, 18f.; Vieweger, Beziehungen, 73. According to them, among other things, the simpler structure in Jer 1,9 in which his interpretation of the image sketched in Jer 1,9a follows in Jer 1,9b, must have preceded the more complex structure of Ezek 2,8–3,3, which therefore is a younger development. The possibility of an older more complex structure of a text is hereby excluded without any certain grounds. Arguing in this way, which generally assumes that the simpler text is older, is rightly criticized by Richter, Exegese, 122. That is why the determination of the direction of the dependency relationship appears to presuppose an absolute dating of the Jeremian call narrative, which cannot be given within this present study. 47 Unlike Walther Zimmerli, Helmut Utzschneider, and Stefan Ark Nitsche, among others, distinguish between a Jeremian type and an Isaian type of call narrative or mission narrative. Cf. Zimmerli, Ezechiel 1, 16–21; Utzschneider/Nitsche, Arbeitsbuch, 195f. Utzschneider and Nitsche also include, in addition to Isa 6, 1Kgs 22,18ff. in the Isaian type of call narrative of a prophet. But Zimmerli, Ezechiel 1, 18, rightly maintains that 1Kgs 22,19–22 is not a call narrative in the strict sense. With respect to 1Kgs 22,19–22; Isa 6 he speaks of a “Typus der Sendungserzählung” (type of mission narrative; Zimmerli, Ezechiel 1, 19), among which he also includes Ezek 1,1–3,15. Cf. Zimmerli, Ezechiel 1, 35. In contrast, Liss, Prophetie, 58, argues that 1Kgs 22,19ff. does not represent a prophetic mission narrative either. Consequently, only Isa 6 and Ezek 1–3 are left as individual texts of a Isaian type of call narrative. But these texts – as shown above – also have distinctive striking similarities to Jer 1 and therefore cannot simply be classified as constituting their own subgenre. – Also unlike Vieweger, Spezifik, who argues that there are less commonalities between Isa 6 and Ezek 1–3 (cf. especially Vieweger, Spezifik, 19–24.68–71.95–105) and accordingly attributes Jer 1,2aβb.4–10 and Ezek 1,3a; 2,3–3,3, unlike Isa 6, to the subgenre “Berufungsberichte (zu einer umfassenden, lebenslangen Indienstnahme durch Jahwe)” (narrative of a call [by Yhwh, to comprehensive, lifelong service]; Vieweger, Spezifik, 135).

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messages of these call narratives, they have until now received little attention.48 The call narratives begin with indications of time and place of the event narrated (Isa 6,1; Ezek 1,1–3). Isa 6,1.4 refer to the temple in Jerusalem. Correspondingly, Ezekiel’s call narrative alludes to Yhwh sanctuaries.49 In elaborately described visions (Isa 6,1aβ–7; Ezek 1,4–2,2a), the later prophets see Yhwh on his highly exalted throne (‫כסא‬: Isa 6,1; Ezek 1,26) and other transcendent beings. The seraphim described in Isaiah’s call narrative (Isa 6,2.6) cover their faces with two of their six wings and their genital areas with two others.50 Each of the cherubim51 portrayed in Ezekiel’s call narrative cover their bodies with two of their four wings (‫יכסה‬/‫ שׁתים מכסות‬... ‫ ;כנפים‬Isa 6,2; Ezek 1,11.23). Consequently, the seraphim or cherubim each have two wings at their disposal for doing other things. These first passages narrating visions are followed by passages that describe Yhwh’s speeches to Isaiah or Ezekiel. He sends them, among other things, to go to the Israelites and orders to pass on to them the oral message they heard from him (Isa 6,8–13; Ezek 2,2b–3,27; cf. Isa 6,3– 4a.7aβb; Ezek 1,3a; 1,28b–2,2a). The Israelites are not supposed to or do not want to hear this message (Isa 6,9f.; Ezek 3,7), a situation that is connected in each case with their physical abilities. According to the Isaian call narrative, they are of unclean lips (Isa 6,5). Isaiah is to make their heart calloused, dull their ears, and shut their eyes (Isa 6,10).52 According to Ezekiel’s call narrative, the 48

Cf., however, Zimmerli, Ezechiel 1, especially 25f.31f.35–37.52– 55, as well as Nippert, Ruf, 172–175; Häner, Nachwirken, 52–55. 49 Cf. Focken, Schriftrolle, 164. 50 Cf. Gesenius, Handwörterbuch, 1218. Differently Beuken, Jesaja, 169. 51 The beings in question are not named as such in Ezek 1–3. The references to the cherubim in Ezek 9,3–11,22, however, show that Ezek 1,5–26; 3,12f. also refers to cherubim. Cf., among others, Wagner, Syntax, 234. 52 It is disputed as to whether the verses Isa 6,9 and 10, which are parts of Isaiah’s task of hardening, were composed by the same person. Thus, between the demand reported in 6,9b, that the Israelites should hear but

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Israelites have hard or strong, i.e., stubborn faces, hearts, and foreheads (Ezek 2,4a;53 3,7f.). Thus, according to both call narratives, the discernment of the Israelites is limited: they should neither understand nor recognize anything (Isa 6,9f.), or will know nothing more than that a prophet not understand what they hear (‫שׁמעו שׁמעו ואל תבינו‬: hear, yes, hear but you should not understand ), and the task given in 6,10 that Isaiah is to dull their ears (‫ואזניו הכבד‬: and dull his ears) there is tension regarding the question whether Yhwh wants the Israelites to hear or not. That is why some, like Müller, Einsicht, 14–25, suspect that Isa 6,10* (without the further supplement ‫ורפא לו‬: and he heals it) is a later addition to Isa 6,9. – It is not necessary to assume that there is a literary break, however, because the texts in question represent two different types of communication. Isa 6,9b contains a speech that Isaiah was to speak to the Israelites as part of Yhwh’s commission, whereas Isa 6,10 is simply a speech by Yhwh to Isaiah. Of course, the composers of these texts were able to imagine that Yhwh communicates or lets communicate different things to both audiences. Accordingly, Liss, Prophetie, 37.40, summarizes the contentual connection between Isa 6,9 and Isa 6,10 as follows: “Der in Jes 6,9 formulierte Rede-Auftrag impliziert somit, dass mit den Aufforderungen zum Hören und Sehen eine (grundsätzlich mögliche) Kommunikationsbereitschaft im Volk ausgelöst und durch die ‘unsinnigen’ Aufforderungen zum Nicht-Verstehen und Nicht-Erkennen in ihr Gegenteil verkehrt werden soll” (The commission speech formulated in Isa 6,9 thus implies that the demands to hear and see trigger a [fundamentally possible] readiness for communication of the people and are inverted into their opposite through the ‘nonsense’ demands to not understand and not recognize), as describes Isa 6,10: “[I]ndem Yesha’yahu die als Auftrag an ihn ergangene Rede [V. 9b] an das Volk übermittelt, bewirkt er eben jenen in v 10d-f erstrebten Zustand des Volkes” ([B]y communicating the speech given as task to him [v. 9b] to the people, Isaiah causes the condition of the people striven for in v. 10d–f [viz. v. 10b except for ‫ורפא לו‬: and he heals it]; italics in the original). As a result, Isa 6,9 and 10* (without ‫ורפא לו‬: and he heals it) seem to be composed by the same person. – The command to harden the hearts is also reflected in the acts of Isaiah according to Yhwh’s commissions in Isa 8,1–4. The acts cannot be understood by Isaiah’s contemporaries. Cf. Liss, Prophetie, 190–195; Müller, Schriftrolle, 101–111. For the rest, at least Isa 6,1–11 can by and large also be seen as a literary unit composed by a single person. On this, see the other considerations in Müller, Einsicht, 3–25. 53 From a lower criticism point of view, Ezek 2,4a is uncertain because the half verse is not attested in the Septuagint. See Ziegler, Ezechiel, 97.

Ezekiel’s Call Narrative as Introduction to the Book of Ezekiel

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was among them (Ezek 2,5). In this context, both call narratives use the verb ‫( ידע‬recognize; Isa 6,9; Ezek 2,5). Isaiah and Ezekiel also stem from this group of Israelites. Physical acts are performed to them in, among others, the area of their mouths, which are central to prophetic proclamation. Isaiah and Ezekiel are to differ from the rest of Israel also physically (Isa 6,5–7; Ezek 2,8–3,3; 3,8– 10.15.25–27).54 The overview of these common features shared by the call narratives of Isaiah and Ezekiel shows that these narratives assume that the oral communication of the prophets would fundamentally fail. Thus, both contradict the apparent goal of prophetic call narratives. Prima facie, they appear to serve the portrayal of the prophet’s call by Yhwh so that the prophet can begin his service: the proclamation of the word of Yhwh to other people.55 This is described 54

Another commonality of the call narratives of Isaiah and Ezekiel is that the prophetic service or specific aspects of it that Yhwh established in the framework of the call will end after a military defeat. Thus, Isa 6,11–13 indicate Judah’s destruction and the deportation of its inhabitants as the end of Isaiah’s prophecy. In Ezek 3,26f., Yhwh announces that Ezekiel will be mute – except for when he passes on Yhwh’s words. Consequently, in Ezek 24,25–27 and 33,21f., Yhwh removes this limitation after the conquest of Jerusalem. Cf. Herrmann, Ezechiel, 27.153f.215; Block, Ezekiel 1, 150–161; Greenberg, Ezechiel 1, 127f.137f.; Schöpflin, Theologie, 171–179; Sedlmeier, Ezechiel 1, 107–109.327f.; Greenberg, Ezechiel 2, 154.162f.374–376; Schöpflin, Ezechiel, 22f.; Sedlmeier, Ezechiel 2, 148–151. – The numerous commonalities can, despite the lack of longer common texts, be most simply explained by the assumption that Ezekiel’s call narrative is literarily dependent on the older call narrative of Isaiah. For the dating of Isaiah’s call narrative see the p. 92–94 above. 55 Completely in line with this first impression, Ewald, Propheten, 360f. – without any further evidence from the text – interprets even the narrative of Ezekiel’s being bound with ropes (Ezek 3,25) as follows: “Die fassung der worte v. 25 ist so bestimmt dass man sieht der Prophet muss dabei auf eine harte behandlung anspielen die er zuerst von den über seinen prophetischen trieb erschreckten mitverbannten erfuhr. Zurückdenkend daran, kommt es ihm jetzt beim schreiben vor als habe auch das in einer höhern fügung gelegen, um ihn durch die häusliche übung seiner prophetischen ahnung weissagung und schriftstellerei vorläufig desto mehr zu versuchen und zu kräftigen” (The shape of the

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very clearly in the call narrative of Jeremiah in Jer 1,8.18f. with Yhwh’s announcement to support the prophet. The pledge contrasts the call narratives of Isaiah and Ezekiel. In connection with the fundamental failure of the oral prophetic communication, there is, however, also an important distinction between Isaiah’s and Ezekiel’s call narratives: in accordance with his task to harden the hearts of his hearers, Isaiah should, accordingly, bring it about that his hearers do not hear his words and understand (Isa 6,9f.). In Ezekiel, the failure of the oral prophetic communication, however, is primarily due to the already existing disposition of the other Israelites and the special restrictions of Ezekiel’s proclamation that Yhwh imposed on him: Yhwh determines before that the exiled Israelites would not obey Ezekiel because they are rebellious (Ezek 2,3–8; 3,7–9.25–27). For Yhwh, it is irrelevant whether the Israelites listen to Ezekiel or not (2,5.7; 3,11.27). But it does seem to be important to Yhwh that the Israelites of the first Gola recognize that a prophet is among them (2,5). Yhwh orders Ezekiel into his house (3,24), where he can only speak to a few Israelites. Yhwh announces that the Israelites will also tie Ezekiel up (3,25). He thus implies that the Israelites do not see Ezekiel as a prophet but as a troublemaker. And Ezekiel’s proclamation in his house is limited even more by Yhwh, who makes Ezekiel mute and announces that he will enable him to speak only on certain occasions so that he can proclaim the word of Yhwh (3,26f.).56 Similarly, aside from Ezekiel and Yhwh, no one else sees the scroll with the words coming from Yhwh. Ezekiel destroys it and does not tell the other

words in v. 25 is so specific that one can see that the prophet has to allude to a hard treatment, which he first learned from his fellow exiles who were frightened by his prophetic drive. Thinking back on that, he now realizes when writing as having been used in a higher act of providence in order to all the more provisionally tempt and to reinforce his prophetic intuition, prophecy, and writing through what he did at home). 56 See above, p. 89 with fn. 16.

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Israelites about it (2,8–3,3).57 In sum, the call narrative seems intended to conceal the word of Yhwh in Ezekiel. 2.4 The Genre “Introduction to a Written Work” Nonetheless, the limitations of Ezekiel’s oral proclamation can be explained with reference to the dating of the call narrative and its written form. First, in contrast to his limited oral proclamation, the written form reaches numerous recipients. Second, the call narrative was composed in the second half of the 6th century B.C.E. The Ezekiel who is presented in the book, is to announce and interpret the impending destruction of Jerusalem in 587/6 B.C.E. But the recipients of the written form, the Golaoriented book of Ezekiel that was written in the second half of the 6th century B.C.E., already look back on the destruction of Jerusalem. Therefore, Ezekiel’s proclamation to the recipients of the written book of Ezekiel becomes more plausible than it was to the earlier recipients depicted in the call narrative who rejected his message.58 57

In the narrative of this transcendent vision, which goes beyond the ordinary perception of reality, the scroll coming from Yhwh is put in Ezekiel’s mouth. The image of words being placed in the mouth of a speaker so that he can speak them is widespread in the Old Testament. Cf. Exod 4,15; Num 22,38; 23,5.12.16; Deut 18,18; 31,19; 2Sam 14,19; Isa 51,16; 59,21; Jer 1,9; Ps 40,4; Ezra 8,17. Cf. also Jer 5,14; 1Kgs 22,23; 2Chr 18,22. – Ezekiel, however, is to fill his stomach with these words, which means that they are no longer available to speech organs. This image is also used in other texts of the Old Testament, in Jer 15,16f. and Prov 18,8; 26,22. The passages concur in that they do not report that the consumed words were stated later. – The same applies to the metaphor of honey for texts. Other Old Testament passages do not discuss any further proclamation of such a text by its recipients in the immediately following context (cf. Ps 19,10f.; 119,103; Prov 16,24; 24,13f.). Instead, they connect the metaphor of honey to obedience to the word of Yhwh and the recognition of wisdom (cf. especially Ps 19,8–12; 119,97–106; Prov 24,13f.). Thus, Ezekiel is qualified by the word coming from Yhwh that he has eaten as sweet honey. He embodies and personifies Yhwh’s word. Cf. Block, Ezekiel 1, 126. 58 Cf. Schöpflin, Theologie, 107–124.156–158, and Davis, Scroll, 59.61: “It would seem that Ezekiel was moving prophecy in the

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Thus, the written book of Ezekiel has the potential to overcome the limitations in the call narrative to Ezekiel’s oral proclamation and its reception. Therefore, it is only apparently the main intention of Ezek 1–3 to describe the beginning of Ezekiel’s oral proclamation. This proclamation is more hindered than enabled in Ezekiel’s situation as presented. Instead, Ezek 1–3 introduces the written book of Ezekiel. The call narrative attracted its first hearers and readers with the suggestion of having first experienced the barely accessible and known word of Yhwh. It aroused curiosity in outlining the contents of the scroll, which only Ezekiel had received and then destroyed, in a very vague way by referring to lamenting and threatening genre characterizations. The scroll is the appetizer that stimulates reading and hearing the whole book of Ezekiel: lament, clamor, and woe – as sweet as honey. In line with this, Ezek 1–3 prepares the hearer and reader for the rest of the book. The passage anticipates numerous concepts and motifs from the rest of the book,59 without clarifying their connection in detail, like a “movie trailer” for the book of Ezekiel. The pragmatic effects of the text – arising curiosity and preparing the hearer and reader – can be summarized in the characterization of its genre as an “introduction to a written work.”60 Corresponding characteristics and direction of archival speech, marking and filing the evidence, documenting the case that the divine word was indeed delivered in due time, though the warning was not heeded. [...] Preserved as text, God’s word is no longer frustrated by the intransigence of any generation; it can wait until such time as it may be heard.” 59 Cf. Schöpflin, Theologie, especially 156–158.171–179.185–189; Schöpflin, Ezechiel, 21–23; Häner, Nachwirken, especially 111– 124.177–181.428–431; Focken, Schriftrolle, 156f. 60 Similarly, Karl-Friedrich Pohlmann characterizes the function of an early version of Ezek 1–3 reconstructed by him as a “Prophetenbucheinleitung” (introduction to the book of the prophet; Pohlmann, Ezechielstudien, 122; Pohlmann, Ezechiel 1–19, 55; cf. also Pohlmann, Ezechielstudien, 89–95; Pohlmann, Ezechiel 1–19, 50–56.62–66). Cf. furthermore Long, Berufung, 683; Schöpflin, Theologie, 128.185–189; Häner, Nachwirken, 25–124.

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functions can be found in another prophetic call narrative in the Old Testament. Thus, Georg Fischer describes the beginning of the book of Jeremiah in Jer 1 with Jeremiah’s call narrative as the “Einleitung”61 (introduction) to the book, arguing that it has different connections to other “Schlüsseltexten”62 (key texts) of the book, that it orients the reader, introduces him to important themes of the book, and thus prepares him for it. As in the case of Ezek 1–3, some connections between individual elements of Jer 1 also appear to be unclear and become clearer only after reading other texts of the book of Jeremiah. But other beginnings of books and written works are also structured in a similar way. Thus, Uwe Becker holds the view that parts of the “Bucheinleitung”63 in Isa 1,(1.) 2– 20, the introduction to the book of Isaiah, are difficult for the reader to understand because these verses are by and large formulated in a general and abstract sense. Instead, they need to be interpreted in conjunction with various other texts in Isaiah to which they are related via linguistic and contentual points of contact. The functions of the introduction are, among other things, “den Leser auf das JesBuch ein[zu]stimmen”64 (attuning the reader to the book of Isaiah) and to steer the “Interesse des Lesers”65 (interest of the reader) of the book of Isaiah in a certain direction. Because not all introductions to written works are call narratives, just as not all call narratives are introductions to written works, the genres of call narratives and introductions to written works cannot be correlated with each other as main genre and subgenre. Instead, the individual texts belonging to them constitute – as do the individual texts

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Fischer, Jer 1–25, 143. Cf. Herrmann, Jeremia, 91. Fischer, Jer 1–25, 143. Becker, Jesaja, 176. Cf. 176–192. Becker, Jesaja, 189. Becker, Jesaja, 183.

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that are stamped by the stylistic device of “introduction of new content by repetitions” – overlapping groups.66 As a response to the pragmatic effects sketched above, the Sitz im Leben of introductions to written works can be anthropologically defined:67 the recipient is lured into reading or hearing the rest of the work, and she or he is prepared for that. Beyond that, Ezekiel’s call narrative reveals some aspects of the sociocultural Sitz im Leben of scribal prophecy: Ezekiel is given the scroll at the beginning of his activity as a prophet. This reminds us of general scribal education. As David Carr has shown, students were taught by means of written texts. They learned these texts, together with their genres, by heart and could freely use the genres later in modified forms.68 According to Ezek 2,10, Ezekiel accurately determines the genres of the texts of the scroll as threatening and complaining genres of lament, clamor, and woe, and thus shows himself to be a well-trained scribe. By the way, the autobiographically stylized narration of this vision shows us that scribal prophecy was one of the ancient Sitze im Leben of an early form of genre criticism. 3 Theses on Genre Criticism With respect to contemporary genre criticism, I would like to deduce theses from my example. As stated, I will focus here on texts whose origin, as in the case of Ezek 1–3, can essentially be explained by Fortschreibungsmodelle (supplement theories):

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Something similar obtains for the correlation between the subgenre of prophetic call narratives, the genre of introductions to written works, and the stylistic device “introduction of new content by repetitions.” 67 See below, p. 109–111. 68 Cf. Carr, Writing, 111–173; Gertz, Schriftauslegung, 18–21.

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1. I define genre criticism as the analysis of typical sets of formal, contentual, pragmatic, sociocultural, and anthropological aspects of oral69 or written texts.70 Similar sets that were only included in a single alleged oral text or only arose in the composition, Fortschreibung (supplementing), and passing on of a single written work do not fall within the subject area of genre criticism. Common aspects of such sets within a single oral text or a single written work can better be characterized as the idiosyncrasies of a composer, oral text, or written work. The concept of genre thus indicates a wider circulation of typical sets of genres. Thus, from a genre-critical perspective, each of the above-mentioned typical sets has to be demonstrated in oral or written texts of several speech or work contexts.71 2. Moreover, Wolfgang Richter und Odil Hannes Steck have stipulated that individual texts with corresponding common features can be grouped into genres only if some of the individual texts are independent of each other.72 Because the evidence of the explanations of the development of Old Testament texts on the basis of source theories and fragment theories declined, however, the amount of texts that could have been composed independently of each other has been greatly reduced. Instead, present Old Testament exegesis emphasizes literary relations between Old Testament works. In the case of Old Testament texts that belong to the same genre, arguments for literary independence solely on the basis of the lack of corresponding indications of literary dependence can only proceed e silentio 69

On the problem of the reconstruction of oral genres that have been set down in Old Testament texts and their Sitz im Leben, cf. the overview of “new form criticism” in Wilson, Form (quote on p. 311). 70 Cf. the considerations on the concept of genre in Blum, Formgeschichte, 85–87, as well as the definition of genre in Utzschneider/Nitsche, Arbeitsbuch, 119: “Typische Weisen der Kommunikation, sofern sie sprachlich sind, nennt man ‘Gattungen’” (Typical means of communications, to the extent they are linguistic, are called “genres”). Cf. the deviating definition on p. 136. 71 Cf. the distinction between text analysis and genre criticism in Utzschneider/Nitsche, Arbeitsbuch, 62–236. 72 Cf. Richter, Exegese, 131f.138f.; Steck, Exegese, 111–115.

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and are therefore perforce uncertain.73 Consequently, the implementation of the stipulation by Wolfgang Richter and Odil Hannes Steck, particularly in the genre-historical research of text types, which are only found in Old Testament texts, appears to be impractical. 3. As Helmut Utzschneider’s and Stefan Ark Nitsche’s textbook on methods shows in exemplary fashion, it is consistent to take into consideration that a single text is stamped by many stylistic devices and genres.74 4. The definition of genre that is given, can be made more specific with respect to the possible subgenres of a main genre. It does not appear to be meaningful to assume subgenres of a main genre if individual texts of a main genre are each classified on the basis of their typical features into different subgenres. Instead, the concept “subgenre” is generally a clearer delimitation between individual texts of the main genre.75 Accordingly, I have pointed out that the paired prophetic call narratives of Isaiah and Jeremiah, of Isaiah and Ezekiel, and of Jeremiah and Ezekiel each contain different corresponding elements. Consequently,

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Accordingly, the argumentation by Schmidt, Exodus, 128, for his thesis that Old Testament call narratives are not directly literarily dependent on each other, must also be viewed as uncertain: “Trotz recht weitgehender formaler und wörtlicher Übereinstimmungen ist schon wegen der bestehenden Differenzen, die sich vom Wortbestand bis zum jeweiligen Kontext erstrecken, eine direkte literarische Abhängigkeit der Berufungsberichte voneinander höchst unwahrscheinlich. Vielmehr wird ein überlieferungsgeschichtlicher Zusammenhang vorliegen” (Despite quite broad formal and verbal commonalities between the call narratives, the existing differences that extend from the vocabulary to the respective contexts make their direct literary dependence on each other highly improbable. Rather, it is a transmission history connection). Cf. also the uncertainty in Nippert, Ruf, 128f.172– 175.194f., on the question of the literary dependence of the call narrative of Ezekiel on that of Isaiah. As I have shown above in fn. 46.54, I assume, however, that the call narratives of Isaiah and Ezekiel are literarily dependent on each other on the one hand just as those of Jeremiah and Ezekiel are on the other. 74 Cf. Utzschneider/Nitsche, Arbeitsbuch, 138. 75 Cf. Vieweger, Formkritik, 77.

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it does not appear to be meaningful to allocate two of these texts to a common subgenre. 5. The common features between individual texts of a genre or subgenre can be described in the sense of a hypothetical ideal genre. An ideal genre is, admittedly, a construction by modern exegetes that in many cases should not be projected back into antiquity. Because the shape of an ideal genre is necessarily dependent to a high degree on the temporal, geographical, and cultural focus of modern exegetes, on necessarily subjective delimitations of the group of individual texts belonging to a genre or subgenre in the case of individual texts with distinctively strong common features, and finally on the loss of tradition in the individual texts of a genre.76 The most important benefit of the construction of an ideal genre lies in the support of the implementation and representation of comparisons of texts. The description of an ideal genre especially supports the distinction between commonalities between all preserved and studied individual texts of the genre or subgenre in question, commonalities between other groups of texts, and specifics of an individual text of this genre or subgenre.77 6. An individual text can change the typical genre connotation in a very thorough way and be diametrically opposed to the typical genre content. That is why the genres of an individual text or other texts of its genres do not directly serve the reconstruction of the content and the pragmatic effects of this individual text but do so indirectly

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Cf. Richter, Exegese, 132f. Thus – above on pp. 92–101 – the specific commonalities of Isaiah’s and Ezekiel’s call narratives could be shown on the basis of the ideal genres of the call narrative and the prophetic call narrative. These commonalities go beyond the general commonalities of main genre and subgenre. On the basis of the comparison of these textual elements, we could state in the fn. 54 above that these call narratives seem to be literarily dependent on each other. 77

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with the goals of showing similarities or making a contrast.78 7. Against the background of the Fortschreibungsmodelle, the sociocultural aspects of a genre, the classical Sitz im Leben in the sense of typical sociocultural institutions or situations in which texts of a genre were typically used, cannot be a necessarily distinctive feature of the definition of a genre: generally speaking, in the case of various text sections, that belonged to the same comprehensive written work in a specific period in ancient Israel and were also often written for this work, it seems difficult to assume different sociocultural institutions or situations of these text sections for the period in question, even if these text sections belonged to different genres. Thus, especially different genres of texts that were typically parts of larger works do not necessarily imply different classical Sitze im Leben.79 8. The classical definition of the Sitz im Leben currently has the problem that, according to it, the large majority of Old Testament genres must be attributed monotonously to 78 See above pp. 98–101 on the description of the failure of the oral proclamation of Isaiah and Ezekiel in the narratives of their calls to be oral prophets. This can contradict the first impression of the content of their prophetic call narratives, as was shown by means of the contrasting narrative of Jeremiah’s call. Accordingly, Muilenburg, Form, 5, states: “[T]here has been a proclivity among scholars in recent years to lay such stress upon the typical and representative that the individual, personal, and unique features of the particular pericope are all but lost to view. [...] [F]orm criticism by its very nature is bound to generalize because it is concerned with what is common to all the representatives of a genre, and therefore applies an external measure to the individual pericopes. [...] Exclusive attention to the Gattung may actually obscure the thought and intention of the writer or speaker. The passage must be read and heard precisely as it is spoken. It is the creative synthesis of the particular formulation of the pericope with the content that makes it the distinctive composition that it is.” 79 Cf. the considerations in Becker, Exegese, 110. Knierim, Form, 54, also argues for a open relation between a genre and its Sitz im Leben: “[T]he relationship between genre and setting must remain an open one, so that both can be related to, or kept independent of, one another as a text may require.” Cf. also pp. 68–70.

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“Sitz im Leben Literatur”80 (Sitz im Leben literature) and thus allegedly situated in many cases in the temple in Jerusalem. Also, to avoid this monotony, I define the Sitz im Leben more broadly following Hans-Peter Müller, Martin Buss, Klaus Berger, and others.81 Thus, for example, the reconstruction of the Sitz im Leben can include the description not only of typical sociocultural institutions or situations in which texts of a genre were typically used but also of typical anthropological aspects of their recipients.82 As the reconstruction of the classical Sitz im Leben, the reconstruction of the anthropological Sitz im Leben is based on, among other things, the pragmatic analysis of texts of a genre. In distinction from the reconstruction of the typical anthropological Sitz im Leben of texts of a genre, the pragmatic analysis is, however, directed much more at the individual texts.83 9. In the genre criticism of individual texts, which are part of a larger literary work, it is consistent to take into consideration the context and position of individual texts in literary works, once again with respect to formal, contentual, pragmatic, sociocultural, and anthropological aspects. When establishing a typical context and position in literary works, these aspects can explain the typical

80

Cf. Utzschneider/Nitsche, Arbeitsbuch, 122–125; quote on p. 122. Müller, Formgeschichte, 279: “Zukünftig sollte der Begriff ‘Sitz im Leben’ weniger institutionsorientiert, sondern im Sinne der Frage Gunkels nach der von den Texten erstrebten Wirkung rollen- bzw. funktionsbestimmt verwendet werden” (In the future the concept ‘Sitz im Leben’ should be less oriented to institutions but should be applied in the sense of Gunkel’s question about the effect striven for with respect to roles or functions). Cf. pp. 279–282; Buss, Shape with further bibliographical references, especially 206f.; Berger, Formen, 64–66. 82 In contrast, Steck, Exegese, 116–123; Vieweger, Formkritik, 77–79; Utzschneider/Nitsche, Arbeitsbuch, especially 118–139, limit the concept Sitz im Leben more to typical sociocultural institutions and situations in which texts of a certain genre are used. 83 See above, p. 102–105. 81

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function of a genre in its context.84 This typical context, position, and function of a genre in larger literary works can be summarized under the concept Sitz im Buch. The term is, however, problematic, because it gives the appearance of characterizing an alternative to Sitz im Leben. Thus, Uwe Becker formulates it as follows in his textbook on methods in Old Testament exegesis: “Nicht jede literarische Form bzw. Gattung hat einen (ursprünglich mündlichen) ‘Sitz im Leben’; vieles ist vielmehr von vornherein für einen literarischen Zusammenhang im werdenden Buch konzipiert worden. Man spricht dabei etwas unschön, aber sachlich angemessen vom ‘Sitz im Buch’. [...] Hat man die Gattung bestimmt, fragt man nach einem möglichen ursprünglichen und nach dem jetzigen Verwendungszusammenhang. Gab es einen (gar in den mündlichen Raum zurückreichenden) ‘Sitz im Leben’, oder ist von vornherein ein ‘Sitz im Buch’ anzunehmen?” (Not every literary form or genre has a[n originally oral] ‘Sitz im Leben’; rather, many were from the outset conceived for a literary connection with the book in progress. One thus speaks somewhat inelegantly but appropriately of a ‘Sitz im Buch’. […] If the genre has been determined, one then looks for a possible original and for the current application. Was there [even orally] a ‘Sitz im Leben’, or can one assume a ‘Sitz im Buch’ right from the start?)85 This alternative suggests that parts of the more comprehensive written works could not have had a sociocultural or anthropological Sitz im Leben. I have already rebutted this alternative with my example of the introduction of a written work, however. The individual texts of this 84

See above pp. 89–105 on the typical contexts, positions, and functions of “introductions of new contents by repetitions,” call narratives, and “introductions to written works” in literary works. 85 Becker, Exegese, 105.112. A similar argument can be found in Becker, Jesaja, 14: “Ein, wie sich heute immer deutlicher abzeichnet, sehr beträchtlicher Textbestand [des Jesajabuchs] hat nie einen ‚Sitz im Leben‘ – schon gar nicht im Leben des Propheten – gehabt, sondern ist von vornherein für ein bereits bestehendes Buch (als relecture oder Fortschreibung) konzipiert worden. Diesen ‚Sitz im Buch‘ kann man aber nur aufspüren, wenn man den jeweiligen literarischen Kontext einer Sprucheinheit [...] einbezieht” (As is emerging more clearly today, a large part of the text [of the book of Isaiah] did not have a “Sitz im Leben” – especially not in the life of the prophet – but was from the start conceived for an already existing book [as relecture or supplement]. But this “Sitz im Buch” can only be detected if one includes the respective literary context of a proverbial unit […]). But see also the more differentiated correlation between Sitz im Leben and Sitz im Buch in Becker, Exegese, 110.

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genre both have a typical position and function in their respective literary contexts, thus a typical Sitz im Buch, as well as a specific anthropological Sitz im Leben. The alternative does not exist because the concept Sitz im Leben is related to sociocultural and anthropological contexts and the concept Sitz im Buch to textual contexts within the same work.86

10. With a genre whose individual texts are largely composed for supplementing older literary works and are strongly stamped by their specific literary contexts within the respective works, a successive development of the specifics of this genre in the sense of the history of this genre can be presented in a limited way only. This is because a possible successive change in this genre can be overlaid by the specifics of the individual texts that are conditioned by their respective literary contexts.87 Consequently, it is not possible, as a rule to date such an individual text on the basis of a genre-historical categorization of the text in a successive process of change in its genre. In such cases, different starting points are needed.88 86 Both formulations Sitz im Leben and Sitz im Buch are also problematic in that they are in fact related in present Old Testament Studies to individual texts as well as to genres. More specific statements with these formulations therefore need corresponding explicit explanations. 87 The possibilities of a genre-historical reconstruction is generally viewed more optimistically in, for example, Koch, Formgeschichte, 24: “[D]er Unterschied zwischen den Werken verschiedener Zeiten rührt nur zum Teil von den Schriftstellereigentümlichkeiten her: zum großen Teil ist er bedingt durch die Ausprägung der Gattung in der jeweiligen Epoche. Bei vielen Gattungen und Gattungsgruppen (Erzählungen, Lieder z.B.) lassen sich feste Gesetzmäßigkeiten nachweisen, nach denen sie sich im Lauf der Zeit ändern” (The distinction between the works of different periods springs only in part from the writer’s characteristics: to a great extent, it is conditioned by the shape of the genre in the respective epochs. For many genres and genre groups [narratives, songs, for example], fixed regularities can be established, according to which they change over the course of time; emphasis spaced in original). 88 Accordingly, in fn. 46 above, a relative dating of the call narratives of Jeremiah and Ezekiel on the foundation of a comparison of both texts did not appear to be possible. Cf. also the general criticism of a “reduktionistischen Zuordnung von Form-/Gattungsanalyse und Diachronie

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Thomas Wagner

Formenspiel Zum Zusammenhang von literarischer und architektonischer Form in Ez 41,5–7

1 Einleitung Als Hermann Gunkel sein Verständnis der Formgeschichte des Altes Testaments formulierte, war er durch einen breiteren Trend empirischer Untersuchungen in den Geistes- und Kulturwissenschaften geprägt. Erste Ansätze form- und gattungskritischer Studien wurden vor allem von Gotthold Ephraim Lessing, Johann Wolfgang von Goethe und Johann Gottfried Herder seit der Mitte des 18. Jh.s n.Chr. vertreten und gefördert. In ihren Untersuchungen zeigen sie u. a. eine Interdependenz von Form (im exegetischen Sinne ist mit der ‚Form‘ allerdings die ‚Gattung‘ gemeint) und Inhalt auf. Dieser Trend übertrug sich auf viele geistes- und kulturwissenschaftliche Disziplinen und fand seinen Niederschlag auch in den bildenden Künsten und von ihnen ausgehend in der Architektur. Louis Sullivan, einer der Vertreter der Chicago School, prägte 1896 einen Satz, der Ausdruck der Einsicht einer gesamten Generation von bildenden Künstlern ist: „It is the pervading law of all things organic and inorganic, of all things physical and metaphysical, of all things human and all things super-human, of all true manifestations of the head, of the heart, of the soul, that the life is

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recognizable in its expression, that form ever follows function. This is the law.“1 Ob Hermann Gunkel diese Aussage jemals wahrnahm, ist unklar. Seine Biographen verweisen allerdings nicht auf sie. Aber in seinen Arbeiten scheint er eben jener von Sullivan formulierten Einsicht zu folgen, indem er aufweist, wie von der Gattung eines Textes auf seine Funktion innerhalb des kulturellen Kontextes zu schließen ist. Er formuliert in „Grundprobleme der israelitischen Literaturgeschichte“ dies so: „Jede alte literarische Gattung hat ursprünglich ihren Sitz im Volksleben Israels an ganz bestimmter Stelle. Wie noch heute die Predigt auf die Kanzel gehört, das Märchen aber den Kindern erzählt wird, so singen im alten Israel die Mädchen das Siegeslied dem einziehenden Heere entgegen; das Leichenlied stimmt das Klageweib an der Bahre des Toten an; der Priester verkündet die Tora dem Laien am Heiligtum, […] der Prophet erhebt seinen Spruch etwa im Vorhof des Tempels […] usw. Wer die Gattung verstehen will, muß sich jedesmal die ganze Situation deutlich machen und fragen: Wer ist es, der redet? wer sind die Zuhörer? welche Stimmung beherrscht die Situation? welche Wirkung wird erstrebt?“2 Der sogenannte Sitz im Leben eines Textes, den Gunkel in seinem Psalmenkommentar herausstellt, wurde zu einer festen Kategorie zur Beschreibung einer regelmäßig wiederkehrenden, institutionellen Verwendung eines Textes. Über die Beschreibung des Textes als eines, der in regelmäßig wiederkehrenden Situationen verwendet wurde, hinaus äußert Gunkel Einsichten über das Arrangement von Texten im Allgemeinen. Er zeigt formale Aspekte und Strukturen von Texten und/ oder Textsegmenten auf: „Gunkel’s underlying concern is clear. It is the question, ‘What is the nature of these texts, what sort of texts are these?’ This question is central to the form-critical approach.“3 Gunkel ging damit vor allem auf die Stimmungsmerkmale ein, die den Texten durch die 1 2 3

Sullivan, Tall office building, 408. Gunkel, Grundprobleme, 33. Campbell, Emergence, 131.

Formenspiel

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verwendeten Gattungen innewohnen. Sein Anliegen war es jedoch nicht, durch die Bestimmung von Gattungen, den Ursprung eines Textes, der in einer bestimmten Gattung verfasst wurde, in den sozialen Kontext zu stellen, der Ursprung der Gattung war. Anders als die in seiner Folge gattungskritisch argumentierenden Exegeten war es nicht sein Ziel, durch die Bestimmung von Gattungen den Ursprung eines Textes in den sozialen Kontext zu stellen, aus dem die Gattung vermeintlich entstammt. Vielmehr versucht Gunkel, die Korrelation von wiederkehrenden Textbildungsmustern, den von ihnen hervorgerufenen Stimmungen des Lesenden und der durch sie erfolgenden Vermittlung von divergierenden Inhalten die „Rezeptionsvorgänge[n] ‚im Leben‘ der Kultur und Religion“4 beschreiben zu können. Mit diesem Verhältnis von Form und Inhalt eines Textes nimmt Gunkel eine Problemstellung auf, die in seinem akademischen Umfeld vielfach diskutiert wurde. Die fälschliche Bestimmung eines Sitzes im Leben eines Einzeltextes, wie sie in der Folge der Arbeiten von Hermann Gunkel in der alttestamentlichen Exegese vielfach erfolgte, wurde ab den 1970er Jahren innerhalb der alttestamentlichen Wissenschaft wiederholt in Frage gestellt. Stuart Weeks zeigt das Missverständnis in einem 2013 publizierten Beitrag auf: „Gunkel’s form criticism deals with abstractions from collections, not with collective concepts, and the Sitz im Leben of the original form cannot be used syllogistically to identify the context in which particular instances arose. In practice, furthermore, particular types of composition may not only be picked up in contexts very different from those in which they first arose, but may also lend their characteristics to other compositions that are seeking to evoke them.“5 Christoph Hardmeier wies in seiner 1978 erschienenen Dissertation, in der er seinen texttheortischen Ansatz darlegte und an der Trauermetaphorik in der Prophetie ausführte, bereits 4 5

Hartenstein, Autorität der Religionsgeschichte, 142. Weeks, Form Criticism, 18.

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darauf hin, dass von der Aufnahme einer Gattung nicht auf den ursprünglichen Kontext des einzelnen Textes zurückgeschlossen werden kann „Sachlich zeigt sich an der Parodierbarkeit bzw. ‚Zitierbarkeit‘ von Gattungen und dem damit verbundenen Typus des KHSs, daß […] derartige Kommunikationsnormen auch in alttestamentlicher Zeit frei verfügbare Textbildungsmuster sind und nicht präskriptive Normen, die notwendig auf bestimmte KHSe oder gar soziologisch sehr spezifische gesellschaftliche Handlungsmuster festgelegt sind und darüber hinaus den sprachlichen Ausdruck auch noch auf bestimmte Ausdrucksformen beschränken.“6 Mit der von Wolfgang Richter aufgezeigten Korrelation von Gattung und Inhalt,7 spricht Hardmeier bezogen auf den einzelnen Text und seine literarischen Formen eine Problemstellung an, die bereits in Gunkels deutschem Umfeld diskutiert wurde. Die an die Forschungen Lessings, Goethes und Herders anschließende Diskussion in den Literaturwissenschaften des 19. und 20. Jh.s n.Chr. zeigte, dass die in den Frühphasen der formgeschichtlichen Forschung konstatierte einfache Interdependenz von Form und Inhalt entsprechend eines „Form-Inhalt-Schemas“ fraglich ist. Zwar konnten Abhängigkeiten zwischen Form und Inhalt aufgezeigt werden, aber es konnte nicht nachgewiesen werden, dass Form und Inhalt immer in einer kohärenten Relation stehen: „Alle Versuche, die Korrelation von Form und Inhalt aufzuzeigen, sind heute als gescheitert anzusehen. Formalisten und Gehaltsästhetiker haben keine gemeinsame Basis gefunden. […] Die alte Form-InhaltProblematik ist heute deshalb überwunden, weil beide Begriffe nicht mehr als Beziehungswerte zweiter verschiedener Lebensbereiche (der Kunst und der Wirklichkeit) verstanden werden“, resümiert Walter Johann Schröder den Prozess 1958 in seinem Beitrag „Form“ in der 2. Auflage des „Reallexikons der deutschen Literatur6 7

Hardmeier, Texttheorie, 281. Vgl. Richter, Exegese, 130f.

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geschichte“. Doch auch wenn die Vorstellung einer kohärenten Beziehung von Form und Inhalt in den Literaturgeschichten aufgegeben werden musste, so sind die Beobachtungen zur Interdependenz von Form und Inhalt, die Literaturwissenschaftler vielfach äußerten, weiter zu bedenken. So konnten Richter und in seiner Folge auch Hardmeier darauf hinweisen, dass Gattungen eine Abstraktion sich in Texten konkretisierender Formen sind, die immer nur im Spezifischen sichtbar werden.8 Ein neuer Impuls in dieser Diskussion ging schließlich von Theodor W. Adorno aus. Bezüglich des Einflusses der Form auf den Inhalt konstatiert er: „Ästhetisches Gelingen richtet sich wesentlich danach, ob das Geformte den in der Form niedergeschlagenen Inhalt zu erwecken vermag.“9 Die Bedeutung einer Form als spezifische Ausprägung einer Gattung für den Kommunikationsprozess besteht demnach darin, beim Hörer / Leser eine Erwartung über den Inhalt des Textes hervorzurufen.10 Dabei leitet die Gattung den Rezipienten auf eine spezielle Ebene des Textverständnisses, also in eine spezifische Sphäre menschlicher Vorstellung, auf der bzw. in der der vermittelte Inhalt plausibel wird.11 Dies bedeutet, dass die 8

Dazu vgl. Weeks, Form Criticism, 17f.: „Just as I can comprehend ‘the car’ as a concept by looking at cars, so I can, in principle, comprehend ‚the lament’, say, by looking at laments. Although it has no physical existence of its own, but can be seen only through particular instances, it is the origin and development of each such form that lies at the heart of form criticism.“ Vgl. dazu auch Richter, Exegese, 132f. 9 Adorno, Schriften, 210; richtet sich auch gegen die in der alttestamentlichen Exegese nach Gunkel weit verbreitete Vorstellung, dass die Wahl der Gattung ein Ausdruck des Entstehungskontextes eines Textes ist. 10 Dies stimmt mit den von Gunkel sog. „Stimmungsmerkmalen“ einer Gattung überein. 11 Vgl. Blum, Formgeschichte, 93, der die von Gunkel genannten Kriterien der Gattungsbestimmung weiterführt: „Sein Kriterium der ‚Gedanken und Stimmungen‘ wäre dabei zu übertragen in die Kategorien ‚Inhaltsstruktur‘ und ‚Mitteilungs- und Wirkabsicht‘; der ‚Sitz im Leben‘ wäre über Gunkel hinaus nicht allein auf den soziologischen Ort, sondern auf die darin eingebettete typische Kommunikationssituation

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Plausibilität eines Textes direkt von seiner Form abhängig ist. Formeln und formelhafte Ausdrücke dienen als Signale an den Rezipienten, wie der Inhalt zu verstehen ist. In der Sphäre, in die die Form des Textes den Rezipienten führt, wird der Inhalt plausibel bzw. wahr. Das Problem der Exegese ist es demnach, die Kommunikationssituation aus dem Text herauszulesen. Einem solchen Unterfangen stellt sich die folgende Analyse von Ez 41,5–7. Die Schau des inneren Heiligtums in Ez 40,48–41,15 und zentral in ihr die Schau des Allerheiligsten und seiner Anbauten in Ez 40,1–7 stehen im Folgenden im Fokus. Sie ist Teil eines längeren Visionsberichts in Ez 40–43,12 in dem der Prophet seine Vision eines Tempelmodells schildert. In ihm werden literarische und architektonische Form auf eine für die Hebräische Bibel einzigartige Weise miteinander verbunden. Um einen Einblick in den durch den Text hervorgerufenen Kommunikationsprozess zu erlangen, scheint einleitend eine nähere formkritische Bestimmung prophetischer Visionsberichte nötig. Marvin Sweeney führt in seiner „Introduction to Prophetic Literature“ aus, dass Visionsberichte dazu dienen, den Rezipienten einen Einblick in die göttliche Sphäre zu vermitteln. Visionsberichte sind grds. in drei Kategorien zu trennen: 1. Presence vision „to recount the prophet’s experience in the presence of YHWH“13; 2. word assonance vision, mit denen von einer Vermittlung des göttlichen Wortes an den Propheten berichtet wird; und 3. event vision, durch die der Prophet Einblick in zukünftige Ereignisse bzw. in Begrüdungszusammenhänge für künftiges Ergehen erhält. Die in Ez 40–43 geschilderte Vision des Tempelmodells ist Sweeneys Kategorisierung zufolge eine event vision.

zu beziehen.“ Vgl. hierzu auch Hardmeiers kommunikationstheoretische Einsichten in Hardmeier, Texttheorie, 287–293. 12 Vgl. Hals, Ezekiel, 298. 13 Sweeney, Isaiah 1–39, 18.

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Anfang und Abschluss der Darstellung des Tempelgebäudes in Ez 40,4; 43,10f. vermitteln dem Rezipienten jedoch, dass es sich hier um ein bereits existierendes Heiligtum handelt, von dessen Existenz allein die Golah ist noch nicht unterrichtet ist. Die Vision ist also auf die Wahrnehmung eines Gebäudes an einem fernen Ort, nicht aber auf ein zukünftiges Geschehen ausgerichtet. An dieser Stelle zeigt sich, dass die von Sweeney als event vision kategorisierte Form damit auch eine ätiologische Funktion besitzen kann. Rein aufgrund seiner Form ist die Intention von Ez 40–43, ob es sich nun um die Begründung eine bereits existierende Tempelanlage oder um ein zukünftig zu errichtendes Heiligtum handelt, nicht eindeutig bestimmbar. Hier gilt es vielmehr, nach zeitlich parallelen Entwicklungen resp. nach Begebenheiten, die dem Text vorgegeben sind, zu fragen. M. a. W.: Erst durch eine Korrelation mit der Traditionsgeschichte wird eine Gattungskritik, die das Ziel verfolgt, die Intention des Textes aufzudecken, möglich. So gilt es, zunächst den Text in seiner spezifischen sprachlichen Form wahrzunehmen, diese anschließend mit den Traditionen, auf die dieser Text aufbaut, zu korrelieren, um genauere Aussagen über die Gattung und ihre Verwendung treffen zu können. 2 Der Visionsbericht in Ez 40–43 Ez 40–43 beginnt mit einem sich in das Gesamte des Ezechielbuches einfügenden chronologischen Angabe, mit der alle Visionsberichte des Buches eingeleitet werden. Ez 40,1 datiert die Vision in das 25. Jahr der Deportation, d. h. 20 Jahre nach der ersten Vision am Kanal Kebar, die in Ez 1–3 geschildert wird. Der Prophet wird von der Hand JHWHs in eine Stadt geführt. Die folgende Schilderung des Tempelareals legt nahe, dass es sich bei der Stadt um Jerusalem handelt. Dem Propheten wird die Stadt durch den Architekten gezeigt. Der in Ez 40,3 erwähnte Mann mit der Messschnur scheint zugleich der Ersteller der geschauten Stadt zu sein. Nachdem sie die äußeren und

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inneren Höfe des Tempels durchschritten hatten, setzen der Prophet und der Architekt die Führung von Ez 40,48 an im inneren Heiligtum fort. In Ez 41,5–7 beschreibt der Autor schließlich Nebenräume, die an das innere Heiligtum angrenzen. Der Text Ez 41,5–7 passt sich in die in den Visionen Ezechiel übliche Sprachform ein.14 Er ist als eine Aneinanderreihung kurzer Spracheinheiten sich wiederholender Wörter bestehend aus sich wiederholenden Wörtern formuliert.15 5 Und er maß die Wand des Hauses: sechs Ellen, und die Weite des Raums: 40 Ellen. Rund um das Haus herum. 6 Und die Räume, Raum neben Raum drei, und 30 Schritte, um zu der Wand zu gelangen, die zum Hause gehört für die Räume darum herum, um befestigt zu sein, aber sie sind nicht in der Wand des Hauses befestigt. 7 Und (der Raum) wurde größer und geht darum herum, nach oben hin, nach oben hin für die Räume, denn es ist die Umgebung des Hauses. Daher ist die Breite des Hauses aufwärts (zunehmend) Und der niedrigste Teil steigt auf zum höchsten im Zentrum.

„Nach einer Angabe über die Dicke der Tempelmauer (V.5a*) beschreiben 41,5b-9a einen dreistöckigen Seitenanbau, der das Haus wohl nach drei Seiten hineinfaßt.“16 Diese Beschreibung weicht von der zweiten Darstellung dieser Räume in Ez 42,5–7 an einer Stelle ab. Während Ez 41,6 die Formulierung ‫ ֵצָלע ֶאל־ֵצָלע‬verwendet, liest Ez 42,6 für dasselbe Phänomen ‫ֵצָלע ַﬠל־ֵצָלע‬. Der Herausgeber der 14 Zimmerli, Ezechiel 25–48, 1032f., der Ez 41,5–7 zur Fortschreibung eines Führungsberichts in Ez 40,1–37.47–49; 41,1–4 rechnet, merkt jedoch an: „Was in 41,5–15a ausgeführt wird, fügt sich inhaltlich genau in das von der Führungsvision her zu Erwartende ein und ergänzt Fehlendes ganz so, wie es von jeher zu erwarten war.“ Zimmerli führt allein tendenzkritische Aspekte für seine redaktionelle Untergliederung an. 15 Zum sequenziellen Charakter der Sprache der Visionen Ezechiels vgl. Wagner, Ez 1, 238–240. 16 Rudnig, Heilig und Profan, 125.

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BHS schlägt vor, auch in Ez 41,6 ‫ ֵצָלע ַﬠל־ֵצָלע‬zu lesen. Die LXX gibt ‫ ַﬠל‬mit ἐπὶ wieder. Der Begriff deckt das Bedeutungsspektrum beider hebräischer Präpositionen ab,17 so dass die LXX keinen Hinweis auf eine Textveränderung in Ez 41,6 geben kann. Die Korrektur des Herausgebers der BHS ist insofern stimmig, als dass Ez 42,5–7 ein dreigeschossiges Gebäude beschreibt, auf das die wiederholte Verwendung von ‫ ְלַמְﬠָלה‬ebenfalls hinweist. Ausgehend von der Annahme, dass die Nebengebäude des Allerheiligsten drei Geschosse haben, kann die in Ez 41,5f.; 42,5– 7 dargestellte Konstruktion mit der Schilderung der Anbauten des salomonischen Tempels in 1Kön 6,5f., einem Passus, der vermutlich als traditionsgeschichtliches Vorbild diente, verglichen werden. 5 Auf der Wand des Hauses war ein Stockwerk darum herum, Wände des Hauses darum herum, zum Tempel und zum Debir, und er schuf Räume darum herum. 6 Und das niedrigste Stockwerk fünf Ellen breit, und das mittlere sechs Ellen breit, und das dritte seinen Ellen breit, denn Absätze gab er dem Haus darum herum, ohne in der Wand des Hauses verankert zu sein.

1Kön 6,5f. beschreibt die Räume, die um das innere Heiligtum angelegt sind. Zwischen ihnen und dem Heiligsten liegt ein Gang, so dass die Wände der Nebenräume und die Wände des Heiligsten nicht miteinander verbunden sind. Anders als Ez 41,5–7 verlegt 1Kön 6,5f. die Räume in ein Nebengebäude.18 Martin Noth kombiniert ‫ ָיִציַﬠ‬mit dem folgenden ‫‚( ַהִתּיֹכָנה‬das Niedrigste‘) zur Beschreibung des kleinsten Raumes eines dreigeschossigen Anbaus. Diese Vorstellung setzte sich in der alttestamentlichen Forschung durch, auch wenn die weiteren Texthinweise die Annahme nicht zwingend bestätigen: 1. Zunächst fällt 17

Vgl. Block, Ezekiel 25–48, 544f. Anm. 24, der das griechische ἐπὶ direkt als „over“ übersetzt und damit die vom Herausgeber der BHS vorgeschlagene Korrektur zu ‫ ַﬠל‬bestätigt sieht. 18 1Kön 6,5f. nennt das Gebäude ‫ָיצוַּﬠ‬. Die Masoreten punktieren gegen den Konsonantenbestand ‫ ָיִצוַﬠ‬und folgend damit der Lesung ‫‚( ָיִציַﬠ‬Erweiterung des Hauses‘), die sich in verschiedenen hebräischen Handschriften findet.

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auf, dass ‫ ַהִתּיֹכָנה‬nicht mit seiner Raumhöhe, sondern mit seiner Breite beschrieben wird. 2. Anders als in Ez 41,7 wird der dritte Raum als ‫‚( ַהְשִּׁליִשׁית‬der dritte‘) und nicht als ‫‚( ָהֶﬠְליוָֹנה‬der höchste‘) bezeichnet. 3. Ez 41,5–7 betont die vertikale Ausrichtung wiederholt, in dem anders als in 1Kön 6,5f. der Terminus ‫ ְלָמְﬠָלה‬wiederholt verwendet wird, um ‫‚( ָסִביב‬darum herum‘) zu ergänzen. 1Kön 6,5f. wiederum konzentriert sich auf die horizontale Ausdehnung und gebraucht folglich nur den Begriff ‫ָסִביב‬.19 Die Betonung der Vertikalen in Ez 41,5–7; 42,5–7 deutet darauf hin, dass der Verfasser dieses Textes 1Kön 6,5f. als Ausbreitung in der Horizontalen und die um das Heiligste und Allerheiligste liegenden Räume als sich nach hinten hin weiter werdend verstand. Dies ist nicht der einzige Unterschied zwischen 1Kön 6 und Ez 40–43. Ez 40–43 stellt einen anderen Tempeltyp dar, der anders als der salomonische Tempel nicht den kanaanäischen oder syrischen, sondern mesopotamischen Tempelgebäuden entspricht. Während 1Kön 6 das Bild eines Langhaustempels mit einer Unterteilung des Heiligtums in drei Bereiche vermittelt, beschreibt Ez 40–43 die Anlage eines Tempels mit verschiedenen Höfen, in dessen Mitte eine Cella als Allerheiligstes steht. Anders als im salomonischen Tempel ist die Cella nicht Teil eines größeren Tempelkomplexes mit unterschiedlichen Räumen,20 19 Vgl. Block, Ezekiel 25–48, 549: „[…] the size of the cells must have increased form the bottom to the top floors.“ 20 Vgl. Fohrer, Ezechiel, 230, der die Unterschiede zu 1Kön 6 betont. Anders Zimmerli, Ezechiel 25–48, 1012; Block, Ezekiel 25–48, 541; Pohlmann, Hesekiel, 562f.; Rudnig, Heilig und Profan, 119f., die auf die gleichartige Konstruktion von salomonischem und ezechielischem Heiligtum hinweisen und eine Dreiteilung des geschauten Gebäudes im Stile des salomonischen Tempels annehmen. Rudnig, Heilig und Profan, 124, schränkt jedoch ein, dass in Ez 40–42 zwei unterschiedliche architektonische Prinzipien verwirklicht werden: „Abgesehen von den Konstruktionsunterschieden, die zwischen einem dreigliedrigen Haus und der im ‚Endtext‘ vor Augen gestellten Gesamtanlage besteht, die nahezu einem ‚Schachtelprinzip‘ auf eine potenzierte Staffelung von Heiligkeitsgraden ausgerichtet ist, werden auch zwei verschiedene architektonische Konzeptionen verwirklicht, um die Zunahme heiliger

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sondern steht als rechteckiges Haus mit zweifacher Eingangshalle inmitten eines Hofes, der von einem mehrgeschossigen Gebäude umgeben ist.21 Die Weitung der die Cella umgebenden Gebäude in der Horizontalen vermittelt dem Betrachter des Gesamtbauwerkes den Eindruck, als sei die Cella von einem dreistufigen Gebäude umgeben, dessen Grundfläche nach oben hin größer wird und nach unten hin abgestuft ist.22 Diese Konstruktion erinnert an Bereiche zum Ausdruck zu bringen.“ So bilden Ez 40,48–41,7 einen vom salomonischen Tempelhaus abweichenden Grundriss. Ez 40,48f. schildert den Eintritt in eine erste Vorhalle (‫)ֻאָלם ַהַבּ ִית‬, die einen Raum von 20 Ellen Breite und 12 Ellen Tiefe umfasst. Von dort verengt sich der Durchgang zur zweiten Vorhalle (‫ )ֵאיִלים‬auf 10 Ellen. Dieser Vorraum ist wesentlich kleiner als der erste Vorraum, was wiederum mit der Benennung des Raums als ‫( ֵאיִלים‬Eingangshalle) einhergeht. Der Begriff ‫ ֵאיִלים‬bezeichnet „die einem Baukomplex vorgelagerte Vorhalle, die zunächst offen gedacht sein mag, sich in der Folge aber auch zu einem bis auf einen mehr oder weniger weiten Türeingang geschlossenen Raum weiterbilden kann“ (Zimmerli, Ezechiel 25–48, 1002). Anders als beim salomonischen Tempel wird nicht dieser mittlere, in Ez 41,1 als ‫ ֵאיִלים‬bezeichnete Gebäudeteil, sondern der gesamte Komplex als ‫ ֵהיָכל‬bezeichnet (vgl. auch Ez 8,2 mit derselben Verwendung des Begriffs ‫)ֵהיָכל‬. Der ‫ ֵהיָכל‬ist vom Vorhof abgehoben, da zur ersten Eingangshalle hin eine Höhendifferenz von 10 Stufen zu überwinden ist. Vgl. dazu die Zeichnung bei Metzger, Tempelarchitektur, 44. 21 Auch hier ist die Darstellung von Block, Ezekiel 25–48, 550, unverständlich, der von einer den Gesamtkomplex umgebenden Außenmauer ausgeht und die nach oben hin weiter werdende Konstruktion so versteht, dass die Wand des Allerheiligsten abgestuft ist und die Deckenbalken der Nebengebäude auf den Stufen der Wand des Allerheiligsten aufliegen. Dabei besagt Ez 41,6 explizit, dass die Balken die Wand nicht berühren (‫) ְול ֹא־ ִיְהיוּ ֲאחוִּזים ְבִּקיר ַהָבּ ִית‬. Die Bezeichnung ‫ַהָבּ ִית‬ für das Allerheiligste mit Vorhalle zeigt zudem, dass Ezechiel die Seitengebäude als nicht direkt zum Haus gehörig versteht. 22 Wie bei den mesopotamischen Zikkurat ergibt sich nach Ez 41,13 ein quadratischer Grundriss, der allerdings erst durch die Kombination von ‫ ֵהיָכל‬und Anbauten entsteht. Vgl. Pohlmann, Hesekiel, 564: „Der Text läuft die Gesamtmaße in V. 13-15* hinaus, welche sich größtenteils aus der Addition vorher genannter Abmessungen ergeben. Unter Einrechnung aller aufgeführten Längen und Breiten mißt der Kernbau nun 100:50 Ellen; mit dem mnhΩ (‚Freigelassenes‘) und seiner Mauer (41,11b) ergibt sich insgesamt ein Quadrat von 100:100 Ellen.“ Vgl. auch Rudnig, Heilig und Profan, 126.

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die Anlage von Zikkurats in Mesopotamien, nur dass deren Grundfläche im untersten Geschoss am größten ist, während sie sich nach oben hin verringert. Das in Ez 40– 43 beschriebene Gebäude stellt demnach einen auf den Kopf gestellten Zikkurat dar, dessen Fundament oben liegt. Selbst wenn die Gattung Visionsbericht dem Hörer / Leser bereits anzeigt, dass er etwas Ungewöhnliches erfahren wird, so stellt sich die Frage, was der Verfasser des Textes mit diesem Bild vermitteln will. 3 Gattung und Inhalt Die Überlegungen über die architektonische Form der das Allerheiligste umgebenden Räume zeigte eine traditionsgeschichtliche Verbindung zwischen Ez 41,5–7 und 1Kön 6,5f. auf, die jedoch nur auf inhaltlicher – bezogen auf den ‫– ֵבית ְיהָוה‬, nicht aber auf formaler Ebene besteht. Während 1Kön 6 als Baubericht abgefasst ist, stellt Ez 40–43 gattungskritisch betrachtet einen Visionsbericht (s.o. ‚event vision‘) dar. Inhaltlich geht Ez 40–43 über 1Kön 6 hinaus, da der Baubericht inhaltlich auf den Bau des Heiligsten und Allerheiligsten beschränkt bleibt. Ez 40–43 stellt über den Bau des ‫ ֵבית ְיהָוה‬hinaus die Konstruktion einer gesamten Tempelanlage dar. „Für diese Messungen ist im weiteren bezeichnend, daß sie bloß die Grundrißmaße angeben. Nur bei der umgebenden Mauer ist in 40,5 ein Höhenmaß angegeben (5bγ fehlt LXX967), sonst beschränken sich alle Maßzahlen auf Bereite und Länge, d.h. die Grundmaße der Bauteile. Nicht der Anblick des sich vor Augen erhebenden Baues beherrscht das Gesamtbild, wie man es eigentlich bei einer unreflektierten Vision erwarten möchte, sondern eine Grundrißzeichnung. […] Die Frage ist mit Recht gestellt worden, ob nicht die Beschreibung von Ez 40f. geradezu einen solchen gezeichneten Grundrißplan vor Augen hat.“23 Diese Darstellung gleicht derjenigen der Esagila-Dokumente. Auch in ihnen wird 23

Zimmerli, Ezechiel 25–48, 992.

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die Konstruktion eines gesamten Tempelareals beschrieben. Herkunft und Funktion der Esagila-Dokumente sind in der Forschung umstritten. Wiederholt wurde vermutet, dass ihr Ursprung im 8. Jh. v.Chr. liegen mag, in dem sie als „compilation of training exercises in mathematics for would-be surveyors“24 verfasst wurden. Die materielle Evidenz dieser Texte lässt einen solchen Schluss jedoch kaum zu. Belegt ist die Textform durch ein aus hellenistischer Zeit stammenden Text, der sog. Esagila-Tafel AO 6555. Sie datiert in das Jahr 229 v.Chr., abgeschrieben in Borsippa durch Anu-bel-s¥unu, der einer Schreiberfamilie aus Uruk enstammt.25 Diese Tafel zeigt, dass die Textüberlieferung bis in diese Zeit hineinreicht. Zudem verweist das Ende des Textes (Rs. 43) darauf, dass der vorliegende Text eine Kopie einer Vorlage aus Borsippa ist.26 Eine zweite, wohl ältere, jedoch undatierte Fassung dieser Textform wurde 1876 von George Smith als erste freie Übersetzung publiziert. Den Text sah er auf seinem Weg nach Niniveh ein und fertigte eine Beschreibung des Textes an, bevor er die Tafel ihrem Besitzer zurückgeben musste. Das Verbleiben dieser Tafel ist unbekannt. In den ersten beiden Abschnitten wendet sich der Verfasser der Konstruktion von Esaglia zu, in Abschnitt 3 der Tafel be24

George, Babel, 77. Vgl. Schmidt, Tempelturm, 26. Die Fortführung der Textüberlieferung von Baubeschreibungen auch in hellenistischer Zeit kann nur mit dem Ziel erfolgt sein, einem Wiederaufbau der Zikkurat zu dienen. Dieses wird vor allem durch das von Herodot vermittelte Bild des Tempelturms deutlich. Herodots Bericht über den Tempelturm in Babylónios logos I, 178–182, weist ein achtgeschossiges Gebäude mit einem sich um das Gebäude windenden Treppenaufgang auf, dass in dieser Form in keinem der Esagila-Dokumente beschrieben wird. Dies deutet darauf hin, dass Herodot Zeit seines Lebens keine bestehende Zikkurat erblickte, sondern sich allein auf Traditionen über die Tempelanlage beziehen konnte. Vgl. dazu George, Babel, 89, der markiert, dass schon die griechische Tradition darauf verweist, Xerxes I. (485–465 v.Chr.) sei in das Grab des ‚Belos‘ eingebrochen, womit eine weitergehende Zerstörung der Tempelanlagen verbunden wird. 26 Darauf weist Uehlinger, Weltreich, 220, gesondert hin. 25

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schreibt er É.TEMEN.AN.KI, das von verschiedenen Gebäuden gerahmt wird: First, I must remark on the Babylonian measures used, that they are principally the cubit. Equal to about one foot eight inches English, and the gar or sa, equal to 12 cubits, or 20 feet English; but there is another series of numbers used in measuring, consisting apparently of numbers of barleycorns arranged in sixties, thus the first number is a length of 11. 33. 20, which consists of 11 x 3,600 + 33 x 60 + 20 barleycorns, or 1,155 feet 7 inches. The barleycorn was the standard unit of measure among the Babylonians, and for this reason was used sometimes in measures of length without the other terms. First in the tablet we have the measure of the outer court, called the “grand Court”, which is given at 11. 33. 20 in length (that is about 1,156 feet) and 9 in breadth (that is, 900 feet). There is a calculation as to the area of this court, which I pass over, and come to the next court called the “Court of Ishtar and Zamama”. This Space is reckoned as 10. 33. 20 in length (1,056 feet) and 4 . 30 (450 feet) in breadth. There is again here a calculation of the area which I omit. Round the court were 6 gates admitting to the temples. These were: 1. the grand gate; 2. the gate of the rising sun (east); 3. the great gate; 4. the gate of the Colossi; 5. the gate of the Canal; and 6. the gate of the tower-view. The next division is the space or platform apparently walled, and called a ki-galli, sur, or birut. It is uncertain if this was paved, and its extent is also uncertain. It is stated as a square, 3 ku in length, and 3 ku in breadth, but the value of the ku is uncertain. The 4 walls faced the cardinal points, in this agreeing with the other parts, all the buildings having there sides east, west, north, and south. There were 4 gates, one in the center of each side of this division: 1. the gate of the rising sun (east); 2. the southern gate; 3. the gate of the setting sun (West); 4. the northern gate. Inside stood some building or enclosure, the name of which is damaged. It was 10 gar long and 10 gar broad (200 feet by 200), connected with the great Ziggurat or tower, which was the inner and crowning edifice of the group. Round the base of the Ziggurat or tower were ranged the chapels or temples of the principal gods, on its 4 sides and facing the cardinal points. On the eastern side stood a sanctuary or temple 70 or 80 cubits long and 40 cubits broad (117 or 133 feet by 67 feet), with 16 shrines, the principal being the shrines devoted to the god Nebo and Urmit, or Tasmit his Wife. Nebo was considered the eldest son of Bel, the great deity of the temple. On the northern side stood 2 temples, one devoted to the god Hea, the other to Nusku. The temple of Hea was 85 cubits long and 30 broad

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(142 feet by 50 feet), and that of Nusku was a Square, 35 cubits each wav (58 feet by 58 feet). On the southern side stood a single temple dedicated to the 2 great gods Anu and Bel. This was 70 cubits long and 30 cubits broad (117 feet by 50 feet). On the western side were the principal buildings, consisting of a double house, with a court between the 2 wings. On the one side the wing was 100 cubits long and 65 cubits broad (166 feet by 108 feet), and the space between them was 35 cubits wide (58 feet). The building at the back was 125 cubits long and 30 cubits broad (208 feet by 50 feet). I do not properly comprehend the disposition of the buildings of this side, and my description of the position of the western temples must be taken as conjectural. In these western Chambers stood the couch of the god, and the throne of gold mentioned by Herodotus, besides other furniture of great value. The couch is (sic.) stated to have been 9 cubits long and 4 cubits broad (15 feet by 6 feet 8 inches). In the center of these groups of temples stood the grandest portion of the whole pile, the great Ziggurat, or temple tower, built in stages, its sides facing the Cardinal points. The bottom or first stage was a square in plan 15 gar in length and breadth, and 5 ½ in height (300 feet square, 60 feet high). This stage appears to have been intended or ornamented with buttresses. The next or second stage of the tower was also square, being 13 gar in length and breadth, and 3 gar in height (260 feet square, 60 feet high). The epithet applied to this stage is obscure; it had probably sloping sides. The third stage differs widely from the lower ones, and commences a regulare progressive series of stages, all of equal height. It was 10 gar in length and breadth, and 1 gar in height (200 feet square, 20 feet high). The fourth stage was 8 1/2 in length and breadth, and 1 gar in height (170 feet square, 20 feet high). The fifth stage was 7 gar in length and breadth, and 1 gar in height (140 feet square, 20 feet high). Probably by accident, the dimensions of the sixth stage of the tower are omitted in the inscription, but they can be easily restored in accordance with the others. This stage must have been 5 1/2 gar in length and breadth, and one gar in height (110 feet square, 20 feet high). On this was raised the seventh stage, which was the upper temple or sanctuary of the god Bel. This building had a length of 4 gar, a breadth of 3 1/2 gar and a height of 2 1/2 gar (80 feet long, 70 feet broad, and 50 feet high). Thus the whole height of this tower above its foundation was 15 gar or 300 feet, exactly equal to the breadth of the base; and, as the foundation was most probably raised above the level of the ground, it would give

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a height of over 300 feet above the plain for this grandest of Babylonian temples.27

Dieser nicht mehr zu datierende Tafel weist eine Grundfläche der Zikkurat auf, die mit dem in die Zeit Asarhaddons datierten Stratum des Tempels übereinstimmt. Dies könnte ein Hinweis auf die Herkunftszeit des Textes sein, die damit in das 7. Jh. v.Chr. und die Zeit des Wiederaufbaus des Tempelbezirks nach der Zerstörung durch die Assyrer 689 v.Chr. weisen würde. Die Textkopie zeigt Formmerkmale, die sich auch in dem aus hellenistischer Zeit stammenden Text AO 6555 finden. Diese Tafel ist in sieben Abschnitte untergliedert, von denen Abschnitte 1–3 Esaglia, Abschnitte 4–7 É.TEMEN. AN.KI beschreiben. Für die Betrachtung von Ez 41,5–7 sind die letzte Abschnitte von besonderem Interesse: Vorderseite der Tafel (4.–6. Abschnitt): 16 Die Maße des ki-gal von Etemenanki, Länge und Breite zu betrachten: 1760 + 60 + 60 die Länge, 60 + 60 + 60 die Breite mit 1 ammat suklum. Seine Berechnung auszuführen 3 [mal 3] 189; 9 mal 2 0 18. Wenn du 18 nicht kennst, (so wisse:) 3 PI Getreidesaat mit 1 ammat sihir[tum] (gemessen). 19ki-gal Etemenanki: Höhe wie Länge [und Breite]. 20 [Anders] die Maße des ki-gal Etemenanki, Länge und Breite zu betrachten: 21[10 nindan die Län]ge, 10 nindan die Breite mit 1 ammat areœ (gemessen). Seine Berechnung auszuführen (nimm) 22[10 mal 10] 100; 100 mal 18 = 1800. Wenn du (diese) 1800 nicht kennst (:) 30 (sila oder auf) 1 ikuœ ein sΩimid [Getreidesaat] 23[mit 1 ammat] rabˆŒ-tum (gemessen:) ki-gal Etemenanki: Länge, Breite, H[öhe] 24 [mit 1 ammat] areœ (gemessen) 10 nindan, einander glei[ch]. 25 [Die Häu]ser und die 6 Götterzimmer des nu-hÓar sind folgende: Osthaus (mit) Zimmer des Gottes [ ] 2660 (+) […] die Länge, die 40 Breite; Seite an Seite (?) die Zimmer 27der Gottheiten Nabuœ und Tas¥meœtum, je 45 die Länge, je 40 die Breite. 28 2 Nordhäuser der Ea und Nusku; Haus Ea’s 85 die Länge, 29 30 die Breite; Haus Nusku’s 35 die Länge, 35 die Breite. Das Südhaus (ist) das Haus Anum’s und Ellil’s, 30 70 die Länge, 30 die Breite. Das Westhaus (enthält) tu’um und Treppenhaus 31in seinem Hinterraum. (An der) Türwand (hat) das Betthaus 125 Länge, 30 Breite; 32(an der) 27 Smiths freie Übersetzung des Texts ist zitiert nach Koldewey, Babylon, 189f. Die Erstveröffentlichung dieser Skizze erfolgte in der Zeitschrift The Athenaeum vom 12.02.1876.

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Innenwand 100 Länge, 20 Breite. (Beim) Treppenhaus Länge ebenso, 33 35 die Breite. Hof: 100 die Länge, 65 die Breite. Der Hof ist überdacht(?) und (mit) Schranken(?) umgeben. 34Das Bett (hat) 9 Ellen Länge, 4 Ellen Breite. Bett und Thron stehen (einander) gegenüber. Ein zweites Bett 35ist [im] Hof aufgestellt. Tor des Sonnenaufgangs, Südtor, Tor des Sonnenuntergangs. Nordtor. 36Die Maße, Länge, Breite, Höhe des nu-hÓar von Babylon: Rs.37 15 nindan Länge, 15 nindan Breite, 5 ½ nindan Höhe: Lehmmauerwerk, unterstes; 3813 nindan Länge, 13 nindan Breite, 3 nindan Höhe: Obergeschoß, zweitens; 3910 nindan Länge, 10 nindan Breite, 1 nindan Höhe: Obergeschoss, drittens; 408 ½ nindan Länge, 8 ½ nindan Breite, 1 nindan Höhe: Obergeschoß, viertens; 417 nindan Länge, 7 nindan Breite, 1 nindan Höhe: Obergeschoß, fünftens; [41b5 ½ nindan Länge, 5 ½ nindan Breite, 1 nindan Höhe: Obergeschoß, sechstens;] 424 nindan Länge, 3 ½ nindan SAL-GAZ Breite, 2 ½ nindan Höhe: Hochtempel, siebentes, s¥áh˙uru.28

Zwischen den beiden Textfassungen zeigt sich zunächst eine Übereinstimmung der Größe des Tempelturms. Formkritisch verwertbar ist, dass es eine Kongruenz in der Beschreibung der den Turm umgebenden Höfe und weiteren Tempel gibt. Sie werden jeweils mit ihrer orthogonalen Ausdehnung beschrieben; die Höhe der Gebäude bleiben unerwähnt. Die Angabe der Höhe bleibt auf den Tempelturm beschränkt. Hier scheint eine gewisse Kontinuität des Gebrauchs der Textform entstanden zu sein, die so zu einer festen Form wurde. Diese Merkmale lassen sich auch an Ez 40–43 aufweisen. Sowohl in der Esaglia-Tafel, als auch in dem von Smith übertragenen Text sowie im Ezechielbuch werden die Tempel und die sie umgebenden Gebäude und Höfe mit einer Nennung von Breite und Länge sowie ihre Ausrichtung bezogen auf den Ort der Gottespräsenz genannt.29 28

Transkription und Übersetzung des Textes in Wetzel/Weissbach, Hauptheiligtum, 52–55. Abweichende Korrekturen nach Schmid, Tempelturm, 27. 29 Ein weiteres Indiz, dass für die Aufnahme von mesopotamischen Tempelbautexten zur Beschreibung des neuen Tempelareals spricht, ist die Verwendung der „großen Elle“ in Ez 40,5 als übliches Metrum. Die Verwendung dieses Maßes ist auch in einer Inschrift Assarhaddons belegt, der in einem Bericht über die Neuerrichtung eines Tempels

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Die Beschreibung des Tempelturms weicht dahingehend von der Form ab, als die Höhe der einzelnen Geschosse angegeben wird. Der Verfasser der Vision in Ez 40–43 lehnt sich offenbar an diese auch von der Esagila-Tafel bezeugten Gattung ‚Beschreibung eines Tempelareals‘ an und nutzt sie, um seinen Visionsbericht zu gestalten.30 Im Sinne Richters ist diese die ‚Form‘ von Ez 40–43, also seine „sprachliche Ausdrucksseite“31. Formkritisch sind also folgende Aspekte auswertbar: Zunächst fällt auf, dass beide Texte einen Grundplan einer Tempelanlage darbieten. Weiter fällt auf, dass der Verfasser von Ez 40–43 den Text 1Kön 6 zwar aufnimmt die Beschreibung der Gebäude daran anlehnt, dass Ez 40–43 aber entsprechend der Esagila-Dokumente und über 1Kön 6 hinaus Breite und Länge aller Gebäude angibt. Zudem erinnert die in Ez 40–43 beschriebene architektonische Form der Tempelanlage eher an mesopotamische Tempelareale als an den in 1Kön 6 beschriebenen Langhaustempel. Auffällig ist dabei nur, dass der Tempel, wenn er im Stile einer Zikkurat konstruiert ist, auf dem Kopf steht. Ein derartiges Konstrukt wird erst verständlich, wenn die kosmologische Bedeutung eines Hochtempels, die sich jeweils im Namen eines solchen Bauwerkes spiegelt, mitbedacht wird. Die babylonische Zikkurat wird als É-TEMEN-ANKI „Haus der Gründung von Himmel und Erde“ bezeichnet. erwähnt „mit der großen Elle […] gemäss seinem alten Plan“ (Borger, Inschriften, 22) gemessen zu haben. 30 Zur Verbindung unterschiedlicher literarischer Formen und die zwischen Glied- und Rahmengattungen entstehende Korrespondenz vgl. Koch, Formgeschichte, 27–30. Zur Übernahme von Textbildungsmerkmalen in andere Texte vgl. Hardmeier, Texttheorie, 288: „Das heißt aber, daß der Prozeß der Sprachverwendung nicht als eine Aneinanderreihung von Wörtern und Sätzen verstanden werden kann, sondern als weitgehend unwillkürlich erfolgende Umsetzung einer semantischen Texttiefenstruktur in eine lineare sprachliche Zeichenfolge.“ 31 Richter, Exegese, 78.

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Die Bedeutung des Namens wird in einer Inschrift Nabopolassars reflektiert, der im Zusammenhang mit der Neuerrichtung der Zikkurat angibt, Marduk hätte ihn aufgefordert, „ihr Fundament an den Rändern der Unterwelt zu begründen, ihr Haupt mit den Himmeln wetteifern zu lassen“ (Nbp 1 I:34–37)32. Der Tempelturm dient also als Verbindung von Unterwelt und Himmel und bestimmt damit die obere Erde, auf der nicht nur die Menschen wohnen, sondern auf der mit Marduk der Götterkönig sein Heiligtum errichtete.33 Mit Blick auf Ez 41,5–7 ist der kosmologische Aspekt, den auch Nabopolassar in seiner Inschrift ausführt, entscheidend. Das Tempelgebäude wird auf den Apsû errichtet, so dass das Fundament von Himmel und Erde auf der Unterwelt und damit auf dem sichtbaren Erdboden liegt. Ezechiel nimmt dieses Motiv und dreht es herum, so dass das Fundament des Kosmos nicht auf dem Erdboden, sondern im Himmel zu finden ist. Die religionsgeschichtlichen Parallelen zeigen, welche Gattungen und Traditionen den Verfasser von Ez 40–43 dazu führten, die Vision des Tempelmodells in der von ihm gewählten Form darzustellen. Ein Aspekt, der für die 32

Übersetzung nach Berger, Königsinschriften, 142f., mit Bezug auf Uehlinger, Weltreich, 222, der die Wendung ina iraœt kigallim auf bautechnische Angaben bezieht und „auf der Sohle der Grundgrube“ übersetzt. Dies steht jedoch gegen das in Z. 36f. geäußerte kosmologische Motiv und durchbricht damit den in Z. 34–37 formulierten Parallelismus, der durch die Verwendung von ana + Akk. in der jeweils zweiten Zeile hervorgerufen wird. 33 Zur kosmologischen Bedeutung von É.TEMEN.AN.KI vgl. George, Topographical Texts, 11. Andere mesopotamische Zikkurat erhielten vergleichbare Namen. Der Hochtempel in Borsippa wird als É.ÙR.IMIN.ANKI „Haus der sieben Dächer von Himmel und Erde“, der Zikkurat von Ur, der der sumerischen Variante des Mondgottes, Nanna, geweiht ist, als É.TEMEN.NIGUR „Haus der Gründung von Terror“ und schließlich der Zikkurat von Haran, der der syrischen Mondgottheit Sin zugeeignet ist, als akk. E2-hÓul-hÓul „Haus der Freude der Menschheit“ bezeichnet. Alle Tempelnamen bezeichnen eine kosmische Funktion, indem sie entweder die Verbindung zwischen Unterwelt, Mittelwelt und Himmel oder zwischen Gottheiten und Menschheit beschreiben.

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Betrachtung der Gattung des Textes entscheidend ist, wird durch diese Bezüge nicht erklärt. Ez 40–43 ist als Visionsbericht abgefasst, wodurch der Verfasser anzeigt, dass das vom Propheten Geschaute nicht für jeden Betrachter offensichtlich ist. Vielmehr gewährt ihm Gott einen Einblick in die dem Menschen ansonsten nicht zugängliche Sphäre. Die Datierung der Vision in das 25. Jahr der Deportation (also in das Jahr 572 v.Chr.) weist zunächst in die exilische Phase als Zeit der Textentstehung. Jedoch setzt der Text voraus, dass das Gebäude in dieser Form bereits existiert, da Ez 43,10–12 dem Propheten den Auftrag übermittelt, der Golah den neuen Tempel zu beschreiben. Damit ist die Textabfassung erst ab der frühen nachexilischen Zeit (nach 515 v.Chr.) denkbar. Bezogen auf die Gattung Visionsbericht findet sich aus dieser Zeit eine Parallele, in der ein Prophet ebenfalls Einblick in den Kult betreffende Aspekte erhält. Sach 3 bietet eine der beiden zentralen Visionen des Visionszyklus‘ in Sach 1-8. „Das Zentrum hat als Zielaussage der beiden Gesichte den irdischen Wiederaufbau des nachexilischen Israel im Nebeneinander seines priesterlichen und seines königlichen Repräsentanten im Licht der endzeitlichen Vollendung zum Gegenstand.“34 Anders als in allen anderen Visionen tritt in dieser kein angelus interpres auf. Vielmehr wird dem Hörer / Leser ein für ihn offenbar ohne weitere Deutung verständlicher Einblick in die göttliche Sphäre gewährt. Die Vision beschreibt die Vorbereitung Josuas auf seinen Dienst als Hohepriester am neuen Heiligtum. Vor Gottes Thronrat stehend, wird Josua gereinigt und ihm werden saubere Kleider angezogen. Dieser Reinigungsakt und die Krönung Josuas zum Hohepriester stellen mehr als eine Beauftragung zum Dienst als Heiligtum dar. Sie beschreiben, wie der Hohepriester zum Mitglied des Thronrates Gottes wird. Damit wird dieses neu begründete Amt als Teil der Aufgaben dieses Thronrates gedeutet. „Das durch die Sühnung seiner Schuld geschaffene Amt des Hohepriesters als 34

Hanhart, Sacharja, 176.

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irdischer Repräsentant Israels wird zum Gleichnis und Abbild der Machtausübung von Israels Gott als Haupt der himmlischen Heerscharen.“35 Der Dienst des Hohepriesters wird als Teil göttlichen Handels auf Erden angesehen. Der Hohepriester wird zum Repräsentanten der göttlichen Sphäre; sein Dienst wird als von Gott beauftragter verstanden. Dabei wird das Kollegium des Hohepriesters mit dem göttlichen Thronrat parallelisiert (V.8).36 Mit der Erläuterung ihres Dienstes als Zeichen für den kommenden Trieb erhält der Hohepriesterdienst eine eschatologische Bedeutung. „Wenn das Kommen des Sprosses hier in der reinen Ankündigung des Daß, ohne Erklärung des Wie, mit der Zusage, daß Jahwe ‚ihn bringen‘ wird, ohne Hinweis darauf, wer er ist und zu welchem Zweck er kommt, verheißen ist, ‚siehe, ich lasse den Knecht, den Sproß, kommen‘ (V.8), dann kann das nur bedeuten, daß diese Gestalt in einem bestimmten Sinn bekannt, d.h. in der Tradition vorgegeben ist.“37 In der Tradition findet sich das Motiv „Spross“ mit der Fortführung des davidischen Königtums und der an David ergangenen Verheißung eines ewigen Bestands seines 35

Hanhart, Sacharja, 192. Vgl. auch White, Yahwe’s Council, 135: „While it may be radical, Joshua meets the observe criterion, and he is given explicit access to the council (‚The ones standing here‘), which meets the involvement criterion.“ Zur Begründung der Integration des Hohepriesters im göttlichen Thronrat, vgl. Pola, Priestertum, 193: „Der Kult des Zweiten Tempels sollte (wie den sühnetheologischen Zusätzen in Ez 44f zu entnehmen ist) ein Sühnkult werden und nicht die bloße Wiederaufnahme deuteronomistischer Opfervorschriften, die man auf Grund ihrer Wirkungslosigkeit bei der Katastrophe von 587 als qualitativ defizitär hat einstufen müssen.“ 36 Vgl. Pola, Priestertum, 176. Zur häufig vorgenommenen literarkritischen Scheidung zwischen V. 7 und V. 8 vgl. Pola, Priestertum, 185f.: „Sach 3,1–4.5bβγ.6–10 bildeten ursprünglich einen einheitlichen Text. V. 5a.bα wurden dagegen ergänzt, weil auf Grund eines in Verbindung mit Ex 28,36ff. stehenden Verständnisses von V. 9 als Element des hohepriesterlichen Ornats ein Turban vorausgesetzt ist, der im Grundtext allgemein gehaltenen Beschreibung der ‚Investitur‘ von V.4f* nicht erwähnt worden war und der Prophet darüber hinaus im Sinne von Jer 23,16–22 selber als Mitglied des himmlischen Thronrates erscheint.“ 37 Hanhart, Sacharja, 194.

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Hauses verbunden (2Sam 7). Die David-Typologie resp. die Vorstellung eines David redivivus wird in Sach 6,9– 14 weiter ausgeführt, wenn der Spross als Tempelbauer sowie als hoheitliche, thronende und herrschende Person charakterisiert wird.38 Das Motiv des Königs als neuer Spross findet sich im Alten Testament zumeist in exilischnachexilischer Literatur und scheint auf eine ältere Tradition zurückzugehen, die der Königsideologie des neuassyrischen Reiches verhaftet ist. In ihr wird die Königsherrschaft als Austreiben des himmlischen Lebensbaums dargestellt.39 Der Zweig wächst von dort auf die Erde hinab. Dies bedeutet, dass das neuassyrische Königtum sich als im Himmel begründet (und damit legitimiert) verstand, dessen irdischer Ausdruck die Herrschaft des assyrischen Königs ist. So wird mit diesem Motiv sein Verhältnis zur göttlichen Sphäre begründet. Als solches wird es in Sach 3,8 auf den Knecht Gottes übertragen. So lange es dauert, bis der neue Zweig irdisch sichtbar wird, werden der Hohepriester und sein Kollegium am Heiligtum als Zeichen des kommenden Triebes dienen. Sowohl die Begründung des Hohepriesteramtes im himmlischen Hofstaat, als auch die Verheißung eines neuen Davids durch das Motiv des Sprosses vom Lebensbaum sind als Ätiologie zu verstehen. Mit ihr wird eine Herrschaftsform erklärt, die in nachexilischer Zeit begründungswürdig erschien. Dies gilt im Blick auf das Priestertum für das neu erschaffene Amt, im Blick auf das Königtum für den Abbruch davidischer Tradition in Jerusalem durch das Fehlen eines für das Staatswesen in vorexilischer Zeit tragenden Amtes. „Sach 3,8b relativiert also die in V. 7 an Josua und das Hohenpriestertum gegebene Zusage als eine temporäre Größe, in der jedoch das Königliche und das Prophetische der angekündigten Gestalt bereits anwesend ist. In diesem Sinne ist also das transformierte Herrscher38

Zur Ankündigung eines David redivivus in der nachexilischen Zeit vgl. Ez 34,23; 37,24f. 39 Vgl. Widengren, Tree of Life.

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liche im Hohenpriester und seinem Kollegium im Tempel gegenwärtig. In Sach 6,9ff. wird dies komplementär gegenüber Sach 3 durch die Deponierung der Krone im Tempel ausgedrückt, wobei Sach 6,12 auch wieder der ‚Sproß‘ als zukünftige Größe eine Rolle spielt.“40 In der prophetischen Schau werden demzufolge unterschiedliche Zustände begründet, deren Ursachen vom Betrachter nicht mittels einer einfachen Beobachtung erschlossen werden können. Diese Einsicht ist auch auf die Schau des neuen Heiligtums zu übertragen. Das neu begründete Jerusalemer Heiligtum wird durch Ez 40–43 mit einem Bild verbunden, das der Erläuterung dient. Dieses zu vermitteln, ist die Funktion von Ez 40–43, wie es Ez 40,4 als Ziel der Schau des neuen Heiligtums angibt: ‫ֵהָנּה ַהֵגּד ֶאת־ָכּל־ֲאֶשׁר־אַָתּה ֹרֶאה‬ ‫‚( ְלֵבית ִיְשָׂרֵאל‬erkläre alles, was Du siehst, dem Haus Israel‘, vgl. auch Ez 43,10f.).41 Ziel der Vision ist es, dass die Gola bei ihrer Rückkehr im bestehenden Heiligtum das von Ezechiel Vermittelte erkennt. Die von Ezechiel dargestellte Form scheint jedoch nicht mit den mit Augen sichtbaren Gegebenheiten übereinzustimmen. In Hag 2,1– 9 sowie Esr 4,12f. wird das in nachexilischer Zeit neu errichtete Heiligtum im Vergleich zum früheren Tempel kritisch betrachtet. Während in Esr 4,12f. wohl eine Wertung aus Hag 2,1–9 in einem historisierenden Bericht aufgenommen wird,42 geht Hag 2,1–9 auf eine Erfahrung zurück, die Menschen in der früh-nachexilischen Zeit bei der Betrachtung des neu errichteten Tempels machten: „Unter der Aufnahme älterer Aussagen zur Tempelausstattung 40

Pola, Priestertum, 205. Zur Zielsetzung vgl. Hals, Ezekiel, 301. 42 Vgl. Williamson, Ezra, Nehemia, 45: „To summerize: the author’s aim in this passage is to write a typological account of the founding of the second temple, for which purpose he has juxtaposed events from the reigns of both Cyrus and Darius. Much of his account here is parallel with chaps. 5–6 and the Book of Haggai, and it offers a theological interpretation of the events that he is later to record in a more matterof-fact manner on the basis of his sources.“ 41

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aktualisiert die Hag-Grundschicht den Traditionsbestand situationsspezifisch so, dass der propagierte Tempelneubau den (göttlichen) Herrlichkeitsglanz gleichsam architektonisch repräsentiert (V 9a).“43 Diesem Anspruch kann der neue Tempel jedoch nicht gerecht werden, wie Esr 4,12f. schließlich reflektiert, wenn die älteren Menschen, die den salomonischen Tempel noch kennen, beim Anblick des neuen Tempels in Tränen ausbrechen. Ez 40–43 setzt also einen Kontrapunkt zu dieser Wahrnehmung, in dem der Text als prophetischer Visionsbericht die Form des neuen Tempels als im Himmel begründetes und diesen mit der Erde verbindendes Heiligtum qualifiziert. Um dieses ausdrücken zu können, wählt der Verfasser des Textes die Gattung ‚Visionsbericht‘, da er in ihr dem Leser einen Einblick in eine parallel existierende Sphäre geben kann, in die der irdische Betrachter des Tempels ansonsten keinen Einblick erhält.44 Ez 40–43 bietet demzufolge keine Zukunftsschau, sondern eine Begründung für die sich in der Architektonik spiegelnde Herrlichkeit des neuen Gebäudes, wie sie in Hag 2,1–9 erwartet wird. 4 Zusammenfassung Die gattungskritische und traditionsgeschichtliche Untersuchung von Ez 41,5–7 zeigt, dass der Verfasser dieses Textes mit Formen spielt, die erst durch die Korrelation von literarischer Gattung und der kosmologischen Bedeutung architektonischer Formen sichtbar werden. Mit der Darstellung des Heiligtums als Zikkurat, dessen Basis im Himmel liegt, deutet der das auf Erden sichtbare Heiligtum, das nach Hag 2,1–9; Esr 4,12f. von denjenigen, die das salomonische Tempelgebäude noch vor Augen hatten, 43

Leuenberger, Haggai, 160. Vgl. die These von Hartenstein, Unzugänglichkeit, 11–16, der eine hintergründige Sphäre im Jerusalemer Tempel nachzeichnet. Den Fortbestand und die Aktualisierung dieser Tradition zeigt Hartenstein, Wolkendunkel, 136–152, an Ez 1 und 10 auf.

44

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als enttäuschend betrachtet wird. Damit schließt sich der Verfasser von Ez 41,5–7 einer in weiteren prophetischen Texten der nachexilischen Zeit belegten Form an, die dazu dient, den Kult betreffende Aspekte durch ihren Ursprung in der göttlichen Sphäre zu legitimieren. Die Intention des Autors wird erst in der Korrelation von geschautem und von Menschen auf dem Zion wahrzunehmendem Tempelgebäudes dar. Hier wird das von Adorno dargelegte ästhetische Gelingen, das nur dann möglich ist, wenn „das Geformte den in der Form niedergeschlagenen Inhalt zu erwecken“45 vermag, deutlich. In der architektonischen Form ‚Heiligtum‘ schlägt sich die Gegenwart Gottes nieder, die nach Hag 2,1–9 durch die Herrlichkeit des Heiligtums einen äußeren, architektonischen Ausdruck erfährt. Dieser ist jedoch beim bloßen Anblick des neuen Tempels nicht gegeben, so dass eine zweite Formung hinzutritt: die Formung des Textes Ez 41,1–7, in der die Herrlichkeit des neuen Tempels im Stile mesopotamischer Heiligtümer dargestellt wird. Durch den Text wird das sichtbare als das von Gott begründete, in Herrlichkeit erstrahlende Heiligtum erkennbar. Erst in der Korrelation von Bild und Text kann der Betrachter des Heiligtums seine Bedeutung erkennen. Literatur Adorno, T.W., Gesammelte Schriften. Bd. 7 Ästhetische Theorie, hg. v. Adorno, G. / Tiedemann, R., Frankfurt 1984. Alt, A., Die Ursprünge des israelitischen Rechts (BVSAW.PH 86,1), Leipzig 1934, jetzt in: Alt, A., Kleine Schriften zur Geschichte des Volkes Israel, München 41968, 278–332. Bachmann, M., Die strukturalistische Artefakt- und Kunstanalyse. Exposition der Grundlagen anhand der vorderorientalischen, ägyptischen und griechischen Kunst (OBO 148), Fribourg / Göttingen 1996. Berger, P.-R., Die neubabylonischen Königsinschriften. Königsinschriften des ausgehenden babylonischen Reiches (626–539 a.Chr.) (AOAT 4/1), Kevelaer / Neukirchen-Vluyn 1973. 45

Adorno, Schriften, 210.

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Register Bibelstellen Genesis 2,4. 6,1–4 6,9 11,28–31 27,2 37,2 47,7–10

20 A46 18 20 A46 18 20 A46 19 19 A43

Exodus 3f. 3,2 3,3f. 3,10–18 3,19 4,1–16 4,15

19, 92, 94f. 94f. 94 94, 95 A41 96 94, 95 A41, 96 96, 101 A57

Numeri 5,11–28 22,38 23,5 23,12.16

42 101 A57 101 A57 101 A57

Deuteronomium 18,9–12 37 A20 18,10f. 36 18,18 101 A57 31,19 101 A57

Josua 10,13 Richter 2,17–3,6 5,21 5,31 6,11–24 6,11f. 6,14 6,15 6,16 6,20f. 6,22 6,23 6,24 13 13,4–14 13,13–15

18

89 51 A24 51f., 58 92, 95 A39 94, 95 A39 94, 95 A39 94 95 A39 95 A39 94, 95 A39 95 A39 95 A39 91 89 A17, 91 91

1. Samuel 9,1–10,16 92 A25 17,31f. 19 A43, 95 A39 28 36 2. Samuel 7 11,14f. 14,19 22,50

139 18 101 A57 53

145 1. Könige 6 6,5f. 14,1–16 14,19 15,7 22,19–22 22,23

127, 129, 135 126–129 42 18 18 97 A47 101 A57

2. Könige 4,8–37 5 5,5f. 10,1–3 21,17 22f.

42 42 18 18 18 37

Jesaja 1,1 1,2–20 6–8 6 6,1–13 6,1 6,2 6,3f. 6,5–7 6,8–13 7 8 12,4 38 51,16 59,21

93, 104 104 93 92–97 92, 94, 97 93–98 98 97f. 94–99 92–101 92f. 92f. 53 37, 42 101 A57 101 A57

Jeremia 1 1,1–19

96f., 103 92, 94

1,2 1,4–12 1,13–16 1,18f. 2,1 5,14

97 A47 94–101 94, 96, 101f. 96, 100 92 A24 101 A57

Ezechiel 1–3 8f., 91, 94–97 1 87, 92, 97f., 103–105 1,1–3 86f., 97 1,1 90, 94 1,3 97f. 1,4–2,2 87f., 97 1,4 94 1,5–26 98 A51 1,11 98 1,15 94 1,23 98 1,26 98 1,27 94 1,28 94 88, 98 1,28b–2,2a 2 87, 92, 97 2,2b–3,27 98 2,2b–7 89 2,3–3,3 97 A47 2,3–8 96, 101 2,3 94 2,4f. 90 A18, 94 2,4 90, 99 2,5 87 A14, 99, 101 2,7 87 A14, 89f., 101 2,8–3,3 94–96, 99–101 2,10 88 A15, 105 3,1–11 87, 92, 97 3,1 89, 94 3,2 96

146 3,3 96 3,4–11 89 3,5f. 94 3,7–9 90, 96, 99, 101 3,7 87 A14, 98 3,8–10 99 3,11 89f., 94, 101 3,12–15 88 3,12f. 87–92, 97f. 3,14f. 87, 92, 94, 97 3,15 99 3,16–21 87, 96 3,17 96 3,22–27 87–101 8,2 1 27f. A20 9,3–11 98 A51 24,25–27 99 A54 33,21f. 99f. A54 34,23 139 A38 37,24f. 139 A38 40–43 123–129, 134f., 140f. 40–42 127f. A20 40,1–37 125 A14 40,1–7 123f., 140f. 40,5 134 A29 40,47–49 125 A14 40,48–41,15 123, 125, 127f. A20 41,1–4 125, 127f. 41,5–7 118, 123, 125– 129 41,5f. 126, 133, 136, 141f. 41,6 125–128 41,7 127 41,13 128 A22 42,5–7 125–127

42,6 43,10–12. Amos 7,14f.

125 124, 137, 140

21

Jona 2 2,3–10 2,4 2,6

75, 78 A53, 79 74 75 75

Haggai 2,1–9

140–142

Sacharja 1–8 3 3,8 6,9–14

137 137, 140 138f. 139f.

Psalmen 2–89 3–7 5,10 7,18 8 8,2 8,10 9 9,2f. 9,4 10,7 11–14 12 13 13,1 13,7

48 A9 48 A10 33 35, 48, 52f., 58 48 41 41 47f. 47f., 52f., 58 48 A9, 53 33 48 A10 37, 41 76–79 77 A47 35

147 18,50 19,8–12 22,13f.17 22,21b–27 28,8f. 30,5 30,13 33,2 40,4 44 46 47 48 50,19 50,23 52,4 54,8f. 55 55,2f. 55,4–9 55,7f. 55,10–12 55,13–15 55,16–20 55,20–23 55,24 56,13f. 57,5 57,10 59,7f. 59,15f. 60 61,9 64,4 65 66,1–12 67 68,20f.

53 101f. A57 35 35 41 53 53 53 101 A57 41 41 41 41 33 35 33 35 32, 35f. 34 33 35 33–35 33f. 33–35 33f. 33–35 35 33 53 35 35 41 35 33 41 41 41 41

71,22 53 72,18 41 74,1–11 41 75,2 41 79,8–13 41 80 41 81,2–4 41 85,5–8 41 90 41 91 37 92 45–51, 56f. 92,1 46 92,2f. 46, 48, 52f., 58 92,4 45f. 92,8 46 92,10 49, 51f., 58 92,13–15 46, 48 95 41 99,5.8f. 41 100 41 102 37 102,13–23 41 102,15.29 41 103,10–12 41 105,1 53 106,6f. 41 107 35 108,4 53 108,12–14 41 109 37 109,2 34 109,6–20 34 115 41 117 41 118,24–27 41 119,97–106 101f. A57 119,103 101f. A57 120,2f. 34

148 123 124 126 129,8 132,6 137 138,1 140,4 147,1

41 41 41 41 41 41 53 34 41

24,13f. 26,22

Hiob 2,9 33,19–28

18 42

1. Chronik 16,8

53

101f. A57 101f. A57

2. Chronik 16,11 18,22

18 101 A57

Sprüche 16,24 18,8

Hoheslied 1,12–2,3a 2,3f. Esra 4,12f. 8,17

101f. A57 101f. A57

71–73 72

140f. 101 A57

Sachregister Audienz Beauftragung

19 12, 21, 88, 93 Berufung 63 A3 Berufungsbericht 19, 86–88, 92–95, 97, 100–107 Beter 33–36 Dank / Danklied 31f., 39, 42, 46 f., 78f. Drama 64–71, 81 Erzählung 62 Feind/e 32–35, 50 Formel 47, 54 Formelemente 28, 33, 40 Formgeschichte 6, 62, 118, 121

Formkritik 7, 13, 27–33, 38–42, 64 A9, 84–86, 134f. Fortschreibung 85–87, 105, 108 Gattung 2–22, 39, 46, 62–67, 77, 79, 84f., 94, 105–108, 118–124, 129 Gattungsgeschichte 107, 112 Gattungsmerkmale 10 Gebet 32–37, 41f. Heil / Heilung 37–39, 42 Heilsorakel 34 Hymnus 31f., 46 Intertextualität 10, 13, 38 Klage / Klagelied 20, 31–

149 36, 39–42, 77f., 103, 105 Lehrgedicht 31 Lexis 68–81 Literarkritik 2 Literaturgeschichte 3, 5, 12 Liturgie / liturgisch 33 Motiv 139 Opsis 68–81 Performanz 39, 40–42, 62– 81 Plot 68–81 Prophet 19, 21, 96, 100, 137 Prophetenrede 16, 19 prophetisch 20, 34, 64, 67, 101 Redaktionskritik 86 Reinigung 37f. Ritual 32–42

Sage 63f. A8 Sitz im Buch 7 A16, 8, 30, 35, 109f. Sitz im Leben 4, 10, 11 A29, 13, 27–30, 39, 42, 104–110, 119f. Stil 79, 91, 107 Stimmung 27f., 119f. Textproduktion 10, 29, 38, 40 Textsorte 1f. A2, 2, 9f., 14–22 Tradition 1f. A2, 4, 11, 13, 56, 124 Traditionskritik 1f., 22 Transformation 39, 90 Vision 89, 94f., 105, 123, 137, 141 weisheitlich 31, 46, 63

Autorinnen und Autoren

Dr. Friedrich-Emanuel Focken ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Dr. Erhard S. Gerstenberger ist pensionierter Professor für Altes Testament der Universität Marburg. Er ist seit 1995 Mitherausgeber der Reihe Exegese in unserer Zeit (Münster u.a.). Dr. Raik Heckl ist apl. Professor an der Universität Leipzig und Heisenbergstipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Tübingen. Dr. Matthias Hopf ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Zürich. Dr. Thomas Wagner ist Akademischer Rat an der Bergischen Universität Wuppertal und Privatdozent an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal / Bethel. Dr. Anna Elise Zernecke ist Professorin für Religionsgeschichte des Alten Testaments und Archäologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.