Medien - Migration - Partizipation: Eine Studie am Beispiel iranischer Fernsehproduktion im Offenen Kanal [1. Aufl.] 9783839424155

Studien zum Medienkonsum von Migrantinnen und Migranten werden in Deutschland häufig mit der Frage verknüpft, ob dies de

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German Pages 484 Year 2014

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Medien - Migration - Partizipation: Eine Studie am Beispiel iranischer Fernsehproduktion im Offenen Kanal [1. Aufl.]
 9783839424155

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Christine Horz Medien – Migration – Partizipation

Band 10

Editorial Die Reihe Critical Media Studies versammelt Arbeiten, die sich mit der Funktion und Bedeutung von Medien, Kommunikation und Öffentlichkeit in ihrer Relevanz für gesellschaftliche (Macht-)Verhältnisse, deren Produktion, Reproduktion und Veränderung beschäftigen. Dies kann sowohl aus sozial- wie kulturwissenschaftlicher Perspektive erfolgen, wobei sich deren Verbindung als besonders inspirierend erweist. Das Spektrum der Reihe umfasst aktuelle wie historische Perspektiven, die theoretisch angelegt oder durch eine empirische Herangehensweise fundiert sind. Die Herausgeberinnen orientieren sich dabei an einer kritischen Gesellschaftsanalyse, die danach fragt, in welcher Weise symbolische und materielle Ressourcen zur Verfügung gestellt bzw. vorenthalten werden und wie soziale und kulturelle Einschluss- und Ausschlussprozesse gestaltet sind. So verstandene kritische Kommunikations- und Medienwissenschaft schließt die Analyse der sozialen Praktiken der Menschen, ihrer Kommunikations- und Alltagskulturen ein und fragt danach, wie gesellschaftliche Dominanzverhältnisse reproduziert, aber auch verschoben und unterlaufen werden können. Als relevante Dimensionen gesellschaftlicher Ungleichheit und sozialer Positionierung werden insbesondere Geschlecht, Ethnie, soziale und kulturelle Differenz sowie deren Intersektionalität in den Blick genommen. Die Reihe wird herausgegeben von Elisabeth Klaus, Margreth Lünenborg, Jutta Röser und Ulla Wischermann.

Christine Horz (Dr. phil.) promovierte am Seminar für Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Erfurt. Ihre Schwerpunkte in Lehre und Forschung sind Medien und Migration, transkulturelle Kommunikation sowie Medienpolitik.

Christine Horz Medien – Migration – Partizipation. Eine Studie am Beispiel iranischer Fernsehproduktion im Offenen Kanal

Zugl. Dissertation an der Universität Erfurt. Gefördert mit einem Promotionsstipendium sowie einem Druckkostenzuschuss der Hans-Böckler-Stiftung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2014 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Jürgen Kleinknecht (C) Par-TV, Simaye Iran, Iran Lektorat: Ulf Heidel Satz: Marc Ziegler Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2415-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt Danksagung

11

Vorwort

13

1

Einleitung

15

1.1 1.2 1.3 1.4

Problemstellung Fragestellung Methodische Überlegungen und Auswahl des Korpus Stand der Forschung

15 21 26 28

Theoretische Ansätze: Medienbeteiligung und Migration

33

2

2.1 2.2

2.3 2.4

2.5

Zum Partizipationsbegriff in Zusammenhang mit Medien und Migration Massenmedien: partizipationstheoretische Konzepte und Funktionen 2.2.1 Bertolt Brechts Radiotheorie 2.2.2 Emanzipatorischer Mediengebrauch 2.2.3 Habermas’ Öffentlichkeitsbegriff und seine Grenzen im Kontext der multikulturellen Gesellschaft 2.2.4 I.M. Young: Inklusive Öffentlichkeit 2.2.5 Charles Husband: The right to communicate and the multi-ethnic public sphere Alternative Medien: partizipationstheoretische Ansätze, Funktionen und Grenzen Kulturtheoretische Ansätze und ihre Relevanz für die Untersuchung der Medienbeteiligung im Migrationskontext 2.4.1 Interkulturelle und transkulturelle Ansätze in der Kommunikationswissenschaft 2.4.2 Fernsehen und Öffentlichkeit als Räume der Kulturund Identitätsproduktion 2.4.3 Naficy: Exilkultur-Medien 2.4.4 Diaspora, Medien und diasporische Teil-Öffentlichkeiten Zusammenfassung

34 45 46 47 50 58 60 65 78 78 83 86 92 96

3

Historischer Abriss: Migrant/innen und Medien in Deutschland Zur Einwanderung und staatlichen Migrationspolitik in Deutschland 3.2 Medien für Migrant/innen 3.3 Gastarbeitersendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Exkurs I: WDR: Ihre Heimat – Unsere Heimat, Babylon und Cosmo TV 3.4 Medienpartizipation von Migrant/innen 3.5 Zwischenfazit Exkurs II: Gegenwärtige Bedingungen der Medienbeteiligung von Migrant/innen am Beispiel des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

99

3.1

4

124

Offene Kanäle in Deutschland: Entwicklung, Struktur und Produktionsbedingungen für Migrant/innen

133

4.1

134

4.2

4.3

4.4 5

100 105 106 112 115 123

Entstehungszusammenhang und Verbreitung Offener Kanäle 4.1.1 Die Diskussion um ein duales Rundfunkmodell als Ausgangspunkt des Offenen Kanals 4.1.2 Entwicklungsphasen Offener Kanäle 4.1.3 Gesetzliche Grundlage Offener Kanäle 4.1.4 Verbreitungsgebiet Offener Kanäle Strukturmerkmale des Offenen Kanals 4.2.1 Kommunikationsmodell 4.2.2 Partizipationspotentiale Offener Kanäle und ihre Grenzen 4.2.3 Interkulturelle Kompetenz und dialogischer Journalismus in Offenen Kanälen? 4.2.4 Die Bedeutung der Organisationsstruktur Offener Kanäle für Medienbeteiligung Bedingungen und Grenzen der TV-Produktion für Migrant/innen im OKOF und im OKB 4.3.1 Produktions- und Sendebedingungen für Migrant/innen im Offenen Kanal Offenbach/Frankfurt (OKOF) 4.3.2 Produktions- und Sendebedingungen für Migrant/innen im Offenen Kanal Berlin-Brandenburg (OKB) Zusammenfassung

134 136 143 144 146 148 153 162 165 168 169 175 179

Die iranische Minderheit in Deutschland

181

5.1 5.2 5.3 5.4

182 190 194

Herkunftsland Iran – ein Überblick Iranische Migrant/innen in Deutschland: Strukturdaten Formen der Migration iranischer Migranten und Migrantinnen Historische Wurzeln der gesellschafts-politischen Aktivitätsund Medientradition iranischer Migrant/innen in Deutschland

199

5.4.1 5.4.2

5.5 6

Organisationen der iranischen Minderheit in Deutschland Die iranische Minderheit in der global city Berlin und ihre eigenständige Medienproduktion 5.4.3 Die iranische Minderheit in der gateway city Frankfurt am Main und ihre eigenständige Medienproduktion Zusammenfassung

203 207

215 221

Methodik und Forschungsdesign

223

6.1 6.2 6.3

223 225 226 226 227

6.4

6.5

Qualitative Methoden in der Kommunikationswissenschaft „Verstehen“ als methodisches Grundproblem Qualitative Methoden in dieser Arbeit 6.3.1 Die Fallstudie 6.3.2 Leitfadengestützte Experteninterviews 6.3.3 Interpretative Verfahren der hermeneutischen Inhaltsanalyse Operationalisierung 6.4.1 Die Produzent/inneninterviews 6.4.2 Weitere Experteninterviews 6.4.3 Publikum und lokale Öffentlichkeit 6.4.4 Inhaltsanalyse der deutsch-persischen TV-Produktionen 6.4.5 Feldbeobachtung Konkretisierung der Fragestellung

228 231 231 235 235 236 240 240

7

Einführung in die Fallstudien

243

8

Fallbeispiel 1: Die deutsch-iranischen TV-Produzent/innen und ihre Sendungen im OKOF

249

8.1

8.2

Der OKOF als Produktionsumfeld 8.1.1 Persisch-Deutsches Fernsehen im OKOF: 1997–2005 8.1.2 Strategien der Landesmedienanstalt Hessen und des OKOF im Umgang mit muttersprachlichen und bilingualen Beiträgen Die Sendung Simaye Iran und ihre Produzent/innen im OK Offenbach/Frankfurt 8.2.1 Die Sendegestalter/innen von Simaye Iran 8.2.2 Rekonstruktion der Grundpositionen der Sendegestalter/innen von Simaye Iran 8.2.3 Zwischenfazit I 8.2.4 Simaye Iran – die TV-Produktionen 8.2.5 Zwischenfazit II

249 249

253 258 258 260 269 270 289

8.3

Die Sendung Iran Art und ihre Produzent/innen im OK Offenbach/Frankfurt 8.3.1 Die Sendegestalter/innen von Iran Art 8.3.2 Rekonstruktion der Grundpositionen der Produzent/innen von Iran Art 8.3.3 Zwischenfazit I 8.3.4 Iran Art – die TV-Produktionen 8.3.5 Zwischenfazit II 8.4 Die Sendung Par-TV und ihre Produzent/innen im OKOF 8.4.1 Die Sendegestalter/innen von Par-TV 8.4.2 Rekonstruktion der Grundpositionen der Produzent/innen von Par-TV 8.4.3 Zwischenfazit I 8.4.4 Par-TV – die TV-Produktionen 8.4.5 Zwischenfazit II 8.5 Diskussion um die TV-Produktionen der Migrant/innen im OKOF 8.5.1 Die TV-Produktionen von Migrant/innen im Spiegel der lokalen Öffentlichkeit 8.5.2 Sicht der Mitarbeiter/innen des OKOF auf Sendegestalter/innen mit Migrationshintergrund Exkurs III: Deutschsprachige Sendungen von Sendegestalter/innen iranischer Herkunft 9

Fallbeispiel 2: Die deutsch-iranischen TV-Produzent/innen und ihre Sendungen im OKB 9.1

9.2

9.3

Der OKB als Produktionsumfeld 9.1.1 Persisch-Deutsches Fernsehen im OKB: 1993–2008 9.1.2 Strategien der Medienanstalt Berlin-Brandenburg und des OKB im Umgang mit muttersprachlichen und bilingualen Beiträgen Die Sendung NEDA und ihre Produzent/innen im Offenen Kanal Berlin 9.2.1 Die Sendegestalter von NEDA 9.2.2 Rekonstruktion der Grundpositionen des Sendeverantwortlichen von NEDA 9.2.3 Zwischenfazit I 9.2.4 NEDA – die TV-Produktionen im OKB 9.2.5 Zwischenfazit II Die Sendung TV Nedjat und ihre Produzent/innen im Offenen Kanal Berlin

291 292 293 298 299 315 317 318 319 325 327 344 346 346 353 358

365 365 365

370 373 373 374 383 384 394 395

9.3.1 9.3.2

9.4

Die Sendegestalter/innen von TV Nedjat Rekonstruktion der Grundpositionen der Sendegestalter/innen von TV Nedjat 9.3.3 Zwischenfazit I 9.3.4 TV Nedjat – die TV-Produktionen im OKB 9.3.5 Zwischenfazit II Diskussion um die TV-Produktionen der Migrant/innen im OKB 9.4.1 Die TV-Produktionen von Migrant/innen im Spiegel der lokalen Öffentlichkeit 9.4.2 Das Leitbild des OKB hinsichtlich Sendegestalter/innen mit Migrationshintergrund

395 397 401 402 411 412 412 413

10

Fazit und Ausblick

415

11

Anhang

427

11.1 11.2 11.3 11.4 11.5 11.6

427 428 430 431 432

Transkription des Persischen Abkürzungsverzeichnis Abbildungsverzeichnis Tabellenverzeichnis Listen der Interviewpartner/innen Interviewleitfaden für aktive TV-Produzenten mit iranischem Migrationshintergrund in Offenen Kanälen 11.7 Interviewleitfaden für passive TV-Produzenten mit Migrationshintergrund in Offenen Kanälen 11.8 Interviewleitfaden für Zuschauer 11.9 Interviewleitfaden für Leiter und Mitarbeiter Offener Kanäle 11.10 Interviewleitfaden für exiliranische Experten Literatur

435 437 439 439 440 441

Danksagung

Die vorliegende empirische Studie beruht auf der aktualisierten Fassung meiner Dissertation im Fach Medien- und Kommunikationswissenschaft am Lehrstuhl für den Vergleich von Mediensystemen und Kommunikationskulturen der Universität Erfurt. Sie ist das Produkt zahlreicher kommunikativer Prozesse im direkten und indirekten Austausch mit Kolleg/innen und Interviewpartner/innen. An dieser Stelle sei deshalb allen gedankt, die mich während der langen und intensiven Promotionsphase unterstützt und an dem Prozess kommunikativer Auseinandersetzung mitgewirkt haben. Ermöglicht wurde dieses Projekt erst durch ein Promotionsstipendium der Hans-Böckler-Stiftung, wofür ich sehr dankbar bin. Den Herausgeberinnen gebührt ebenfalls herzlichen Dank für die Beratung und weil sie mich zur Veröffentlichung meiner Dissertation in ihrer Reihe Critical Media Studies ermuntert haben. Meinen wissenschaftlichen Betreuern, allen voran Prof. Dr. Kai Hafez danke ich für seine Offenheit und Diskussionsbereitschaft, die hervorragende fachliche Betreuung sowie die geduldige Respektierung der notwendigen zeitlichen und inhaltlichen Freiheit. Auch wenn er diese Zeilen nicht mehr lesen kann, waren mir die konstruktiven und hilfreichen Anregungen für die Dissertationschrift meines Zweitgutachters Prof. Dr. Hans J. Kleinsteuber und seine Erfahrungen zum erfolgreichen Promovieren sehr wichtig. Mein herzlichster Dank gilt Farzin Fahimi, der mir seit langer Zeit ein freundschaftlich-kritischer Dialogpartner ist. Er hat mich unterstützt und meinen Blick für interkulturelle Dimensionen und politische Zusammenhänge geschärft. Sein Wissensdurst hat mich immer wieder inspiriert und ermutigt. Des Weiteren bin ich Sarah Rahimi und Marjam Akhgari dankbar für die Vermittlung der persischen Sprache und ihre Unterstützung bei Übersetzungen. Großer Dank gebührt allen Interviewpartner/innen, ohne deren Auskunftsfreude und Mithilfe diese Arbeit schließlich nicht zustande gekommen wäre: Cyrus Afhami, Mohammad Riahy, Stefan Kytzia, Reza Parsa, Hamid Sayahzadeh, Atefeh Yazdanpanah, Hooman Rahnemoon, Saeed, Dr. Abbas Taheri, Sohrab Aslani, Feridun Sayar, Bijan Dehkalani

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und viele weitere. Außerdem Mehdi Tehrani und Ahmad Taheri stellvertretend für jene iranischstämmigen Gesprächspartner/innen, welchen ein Platz in der Geschichte der Bundesrepublik gebührt. Expert/innen und langjährige Praktiker/innen Offener Kanäle danke ich sehr herzlich für ihre Offenheit und die Nutzung der Archive, insbesondere Angelika Jaenicke sowie Christiane Schöwer und ihren Mitarbeiter/innen, Jürgen Linke sowie Norbert Wortmann. Ebenfalls dankend erwähnt seien alle Fachkolleg/innen, die ich durch das Doktorandenkolloquium, die Hans-Böckler-Stiftung, auf Konferenzen und in akademischen Gesellschaften kennengelernt habe und welche eine Reihe von interessanten Aspekten beigesteuert haben. Hervorheben möchte ich hier Dr. Andreas Drinkuth für seine „Außenperspektive“, den Blick für das Wesentliche und seine stetige Motivation. Meinem Lektor Ulf Heidel danke ich für die detaillierten und unerlässlichen Hinweise und seine Geduld. Auch Marc Ziegler sei für sein kurzfristiges Einspringen und das Erstellen von Satz und Layout herzlich gedankt. Last but not least kann ich Jürgen Kleinknecht nicht genug für seine Geduld, die Unterstützung bei der Korrektur sowie den technischen Support danken.

Vorwort

Die vorliegende Arbeit untersucht Rahmenbedingungen der Medienbeteiligung von Migrant/innen, die Produktionsprozesse und Inhalte ihrer Sendungen. Anhand von Fallstudien am Beispiel der Offenen Fernsehkanäle Offenbach/Frankfurt und Berlin und der deutsch-iranischen Sendegestalter/innen wird untersucht, unter welchen Bedingungen Migrant/innen Medieninhalte mitgestalten können, sowie die Hindernisse, die ihnen dabei im Wege stehen. Dabei geht es nicht um die Medienbeteiligung im professionellen Sinne, sondern um die Beteiligungs-möglichkeiten und – grenzen im nicht-kommerziellen und prinzipiell zugangsoffenen „Bürgermedium“ Offener Kanal. Die aktuelle Frage nach aktiver Medienbeteiligung, den medialen Gelegenheitsstrukturen und ihren politischen und ökonomischen Voraussetzungen wird hier auf ein öffentlich gefördertes und politisch kontrolliertes Medienmodell, der Offenen Kanäle, bezogen. Offene Kanäle existieren in vielen deutschen Bundesländern seit den 1980er Jahren und gehören zu den ersten Medien, die den Rollenwechsel vom Publikum zum Medienakteur ermöglichten. Sie sind damit Vorreiter von Sozialen und Bewegungsmedien im Internet, die dies nun im transnationalen Rahmen anbieten. Die empirische Analyse am Beispiel der Produktionsprozesse und deutschiranischer TV-Produktionen in den Offenen Kanälen Frankfurt/Offenbach und Berlin bietet als Momentaufnahme Einblicke in die faszinierenden Entwicklung mehrsprachiger, selbstständig produzierter Medieninahlte von Migrant/innen – ein noch ausbaufähiges Teilgebiet der Interkulturellen Medien- und Kommunikationswissenschaft. Zum anderen treten die Strukturbedingungen der Medienbeteiligung sowie die Zielrichtung der Medien- und Integrationspolitik in Bezug auf selbstständig hergestellte Beiträge von Migrant/innen in öffentlich organisierten Medien zutage.

1 Einleitung

1.1 P ROBLEMSTELLUNG In Deutschland wird 20 % der Einwohner/innen ein „Migrationshintergrund“ zugeschrieben und in den größeren Städten leben meist Menschen aus über 170 verschiedenen Nationen zusammen.1 Aufgrund der „Gastarbeiter“-Anwerbung der 1950er bis 70er Jahre und gegenwärtig weiter zunehmenden Migrationsbewegungen hat sich die Gesellschaft hinsichtlich der nationalen und sozialen Herkunft der Bevölkerung, der gesprochenen und geschriebenen Sprachen, der religiösen Überzeugungen und kulturellen Orientierungssysteme pluralisiert.2 Die ablehnende politisch-konservative Haltung zur Migration in der Vergangenheit ist mittlerweile der offiziellen Erkenntnis gewichen, dass Deutschland ein „Einwande-

1

Laut Statistischem Bundesamt gelten als Menschen mit „Migrationshintergrund“ „alle nach 1949 auf das Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil“, Statistisches Bundesamt 2009, S. 6. Darunter fallen in der Regel die erste bis dritte Einwanderergeneration. Der Begriff wird hier als Differenzkategorie verstanden, dessen politische Dimension in der Zuschreibung dauerhafter Unterscheidungsmerkmale dieser konstruierten Gruppe im Verhältnis zur Mehrheitsgesellschaft gesehen wird. Begriffe wie Migrant/in bzw. Mensch mit Migrationshintergrund werden in dieser Arbeit demzufolge als Kürzel für vielfältige, synkretistische Erfahrungen der Einwander/innen aber auch von stereotypen Zuschreibungen und Ausgrenzungspraktiken in der „Einwanderungsgesellschaft“ verstanden.

2

Hier wird ein offener Kulturbegriff vertreten, der darunter symbolisch vermittelte Bedeutungs- und Sinnstrukturen sowie Alltagspraktiken versteht. Kultur stellt aus kultursemiotischer Sicht ein kollektives Gedächtnis dar, das nicht vererbbar ist, sondern im sozialen Miteinander und damit im kommunikativen Austausch weitergegeben wird (Vgl. Assmann/Assmann, 1994, S. 117).

16 | M EDIEN – M IGRATION – P ARTIZIPATION

rungsland“ ist. Allerdings enthält diese Erkenntnis weiterhin Widersprüche wie Ausgrenzungspraktiken und Rassismen. Unbestreitbar ist, dass Migrant/innen von wichtigen gesellschaftlichen Bereichen und Ressourcen ausgeschlossen sind.3 Dazu gehören auch die Medien. Diese übernehmen in komplexen Gesellschaften wichtige Funktionen, unter anderem stellen sie öffentliche Foren für unterschiedliche Meinungen dar. Medien kommt eine Verantwortung bei der kulturellen Entwicklung der „Einwanderungsgesellschaft“ 4 zu. Der kommunikative Austausch findet zu einem großen Teil in und durch Medien statt, wobei mehr Kulturkontakt nicht automatisch zu mehr Diversität und interkultureller Verständigung führt. Klaus und Lünenborg (2004) haben zudem darauf aufmerksam gemacht, dass „die Zugehörigkeit zur nationalstaatlichen Gemeinschaft auf weitaus mehr gründet als allein auf politischen Rechten und Pflichten“, die mit Staatsbürgerschaft verbunden sind (S. 196). Der Zugang zu Medien stellt heute „eine bedeutende, wenn nicht die zentrale kulturelle Ressource“ dar (Klaus/Lünenborg, 2004, S. 197). Die Medienproduktion von Migrant/innen und die Frage, ob und wie sie dadurch an Öffentlichkeiten und der kulturellen Entwicklung partizipieren (wollen), wurden bislang jedoch kaum empirisch untersucht. Hierzu ist es notwendig erst einmal zu sichten, welche partizipationstheoretischen Ansätze welche Formen von Partizipation vorschlagen. Grundsätzlich ist dabei zu unterscheiden zwischen jenen, welche nur die oberflächliche „pseudoparticipation“ propagieren und solchen, die gleichberechtigte und authentische Medienzugänge fordern; zwischen jenen, die auf Massenmedien bezogen sind und solchen, die aus der alternativen Medienszene entwickelt wurden (Carpentier/de Cleen, 2008, S. 3). Im Fokus steht dabei das Leitmedium Fernsehen. Der Rundfunk und damit auch das Fernsehen kommt im demokratischen Staat eine wichtige Funktion zu. Wie in seinem ersten Rundfunkurteil von 1961 vom Bundesverfassungsgericht festgelegt, muss der Rundfunk „allen gesellschaftlichen Gruppen die freie Meinungsäußerung ermöglichen“ (Ricker 2000, S. 257). Rundfunk ist dem Strukturprinzip des Pluralismus verpflichtet, das aus dem Demokratieprinzip der Verfassung hergeleitet wird. 3

Hürden stellen u.a. das Wahlrecht und das Aufenthalts- und Arbeitsrecht dar. Hinzu kommen Diskriminierungen bei der Wohnungs- und Arbeitssuche sowie die bildungsund ausbildungsbezogene Chancenungleichheit, OECD 2006.

4

Der Begriff „Einwanderungsgesellschaft“ wird hier in Anführungszeichen gesetzt, da aufgrund der weiterhin widersprüchlichen politischen Maßnahmen und der zu großen Teilen ablehnenden Einstellung der Mehrheitsgesellschaft nicht von ihrer Verwirklichung im Sinne klassischer (nordamerikanischer) Einwanderungsgesellschaften gesprochen werden kann. Im Folgenden wird aus Gründen besserer Lesbarkeit auf die Anführungszeichen verzichtet.

E INLEITUNG

| 17

„Dieses Pluralismusgebot verpflichtet den Landesgesetzgeber, die Rundfunkfreiheit durch eine pluralistische Kommunikationsstruktur zu effektuieren und dadurch das Medium Rundfunk allen zu öffnen, die es nutzen wollen.“ (Ricker 2000, S. 258)

Beim Publikum nimmt das Fernsehen, trotz medientechnologischer Entwicklungen partizipativer Netzmedien, nach wie vor eine herausragende Stellung als Informationsquelle ein (vgl. Jarren 1984, S. 62).5 Besonders in Krisenzeiten tritt seine Strukturierungs- und Ritualfunktion deutlich zutage (vgl. Weichert 2006; Hafez 2005, S. 69-76). Als Alltagsmedium prägt es die kulturelle Sinnstiftung sowie Selbst- und Fremdzuschreibungen (vgl. Morley, David/Robins, Kevin 1995; Morley 2001). Fernsehen ist auch das bevorzugte Medium der Migrant/innen in Deutschland (vgl. Weiß/Trebbe 2007). Allerdings verbreitet es – ähnlich wie Printmedien – häufig ein negatives Bild von Einwanderern, und vor allem von jenen, die aus nichteuropäischen und mehrheitlich islamischen Ländern stammen. Daran ist auch eine konfliktzentrierte Auslandsberichterstattung aus den Herkunftsländern dieser Migrant/innen beteiligt (vgl. Hafez 2001b; Schiffer 2005; Hafez/Richter 2007). Mediendiskurse können so als „soziale Platzanweiser“, fungieren, indem sie fortlaufend beschreiben, wer zur deutschen Gesellschaft gehört und wer ausgeschlossen bleibt, denn zumeist wird in den Medien über Migrant/innen gesprochen (vgl. Lünenborg et al. 2011, S. 12, 15). Die Bundesregierung benannte im Jahr 2007 erstmals mit dem Nationalen Integrationsplan (NIP) und zuletzt 2011 mit dem Nationalen Aktionsplan Integration (NAP) zentrale Felder von Integrationspolitik, die auch die Massenmedien einschließt (vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung – Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration 2007, S. 157-170; Wolf 2011). Tatsächlich spiegeln Medien wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk – trotz Fortschritten an einigen Stellen – die Einwanderungsgesellschaft im Programm und in den Gremien unzureichend wider: Migrant/innen als Redakteur/innen, Moderator/innen und Schauspieler/innen sind im Fernsehbereich, kaum präsent.6 In den Rundfunkgremien erhalten Migrant/innen trotz vereinzelter Bemühungen, nach wie vor keine flächendeckenden rundfunkpolitischen Mitbestimmungsmöglichkeiten. 5

Internet und Online-Angebote konnten diese Funktionen bislang ergänzen, aber nicht ersetzen. Fernsehen steht in der Gunst der Befragten laut einer Studie des Hans-BredowInstituts an erster Stelle, wenn es um politische Meinungsbildung sowie Informationen über das Weltgeschehen geht: rund 40% nannten es als wichtigstes Medium (gefolgt von den Zeitungen mit 20% der Nennungen). Vgl. Hasebrink/Schmidt et al. (2012), S. 28-29.

6

Ca. 1–3 % der JournalistInnen und RedakteurInnen in Deutschland haben einen Migrationshintergrund, vgl. Ouaj (1999); MMB-Trendmonitor: „Multikulti zwischen Wunsch und Wirklichkeit.“ Trendmonitor III/2005, 3.

18 | M EDIEN – M IGRATION – P ARTIZIPATION

Einwander/innen haben auch gegenwärtig kaum Einfluss auf die negative Repräsentation und institutionellen Inklusionsdefizite auf die verschiedenen Ebenen des medialen Produktionsprozesses, wie der Kommunikationspraktiker Manfred Oepen bereits im Jahr 1984 konstatierte. Dies blieb und bleibt nicht ohne Auswirkungen auf demokratische Kommunikationsprozesse, denn Meinungsbildung findet in der heutigen Mediengesellschaft in der Öffentlichkeit statt, einem vor allem durch mediale Aktivität konstituierten und konstruierten Diskursraum. In der deutschstämmigen Mehrheitsgesellschaft kann die negative „Sekundärerfahrung“ (vgl. Schiffer 2005, S. 14) von Migrant/innen in den Medien möglicherweise fremdenfeindliche Einstellungen begünstigen, hier vor allem gegenüber Muslim/innen (vgl. Hafez 2001b; Spielhaus 2006). So fühlen sich über 50 % der Westdeutschen (Ostdeutsche: 40,7 %) von „fremden Kulturen/Nationen bedroht“, obwohl nur 7,2 % von ihnen Kontakt zu Muslim/innen haben (Ostdeutsche: 3,9 %) (vgl. Pollack 2010, S. 7f.). Wissenschaftliche Studien konnten nachweisen, dass ein geringes Maß an interkulturellen Kontakten zu Fremdenfeindlichkeit und Vorurteilen führen und umgekehrt intensive interkulturelle Kontakte diese abbauen helfen (vgl. Christ 2008, S. 136). 7 Ein „interkultureller Dialog“ ist folglich nicht nur von politischer Seite zu fördern, vor allem zivilgesellschaftliche Gruppen und Organisationen sind gefordert ihn zu führen (vgl. Krüger 2008). Migrant/innen und Nicht-Migrant/innen müssten demnach in Medien und Öffentlichkeit Möglichkeiten haben, mit der Mehrheitsgesellschaft in Dialog zu treten, um wechselseitig ein Verständnis für kulturelle Praktiken sowie die Ursachen soziostruktureller Differenzen zu entwickeln. Lokale und überregionale Massenmedien alleine bilden jedenfalls die Vielfalt an Interessen, Kulturen und Sprachen nicht ab, die in modernen pluralistischen Gesellschaften existieren. Der britische Sozialwissenschaftler Charles Husband hält die Analyse von selbstständig produzierten Medien von Migrant/innen für unerlässlich, um mehr über Intentionen, Zielgruppen und Bedeutung der Medienbeteiligung von Minderheiten aber auch die damit verbundenen Probleme zu erfahren. Eine in mehrfacher Hinsicht pluralistische Öffentlichkeit ist für ihn eine Grundbedingung, um den sozialen Zusammenhalt zu fördern und rassistische Tendenzen in der Mehrheitsbevölkerung einzudämmen (vgl. Husband 2001, 2005). Es ist deshalb eine zentrale Frage dieser Arbeit, ob und unter welchen Bedingungen Offene Kanäle als lokale Medien, die Zuschauer/innen den Medienzugang und die nicht-professionelle Herstellung von Fernsehsendungen ermöglichen, diese Funktion übernehmen und übernehmen können. 7

Die Bielefelder Forschergruppe um Wilhelm Heitmeyer weist in ihrer Langzeitstudie Deutsche Zustände seit Jahren auf die Zunahme „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ hin. Fremdenfeindlichkeit richtet sich gegen Personen, die vermeintlich einer „anderen“ kulturellen Gruppierung angehören, als die Eigene. Zum Begriff der Fremdenfeindlichkeit vgl. beispielsweise Heitmeyer (2007), S. 17. S. auch: Decker et al. (2010).

E INLEITUNG

| 19

Der Offene Kanal (OK) als „Bürgermedium“ wurde im Jahr 1984 in Deutschland eingeführt und stellt das erste (offline) Medium dar, das es Zuschauern ermöglichte, sich an der Produktion und Distribution von audio-visuellen Inhalten zu beteiligen.8 Obwohl Migrant/innen bei der ursprünglichen Zielsetzung zunächst nicht bedacht wurden (vgl. Expertengruppe „Offener Kanal“ 1979a), entwickelten sich vor allem Offene Fernseh-Kanäle in den 1990er Jahren zu dem wichtigsten audiovisuellen Publikationsorgan für Migrant/innen (vgl. Hansen 2001, S. 151). Bis zur Mitte des neuen Jahrtausends stellten Offene Kanäle einen Teil des urbanen Lebens dar, in ihnen wurde der kulturelle und religiöse Pluralismus der Städte medial sichtbar. Allerdings schränkten einige Offene Kanäle die Zugangsmöglichkeiten für Migrant/innen wieder ein (s. Kapitel 4). Die paradoxe Entwicklung der großen Akzeptanz des Offenen Kanals seitens der Migrant/innen und ihrem Wunsch, sich durch öffentliche Artikulation an der lokalen Kommunikation zu beteiligen sowie andererseits der Begrenzung migrantischer Medienproduktion seitens der OK-Verantwortlichen werfen Fragen nach struktureller Ungleichheit in öffentlich finanzierten Medien auf, die die vorliegende Arbeit am Beispiel Offenen Kanälen zu beantworten versucht. Zwei theoretische Stränge werden in dieser Arbeit einbezogen, die für die Untersuchung der Bedingungen, Produktionsprozesse und Inhalte der deutsch-persischen TV-Produktion im OK nutzbar gemacht werden. Ein erster Strang speist sich aus der Grundannahme, dass sich aus der relativen „Geschlossenheit“ der Massenmedien ein Ungleichgewicht der „diskursiven Möglichkeiten“ (Koopmans 2004) ergibt. Migranten und Migrant/innen – und vor allem jene aus nicht-westlichen Herkunftsländern – sind hiervon in besonderer Weise betroffen, so dass sie kaum Möglichkeiten vorfinden, sich gleichberechtigt an Medien und Öffentlichkeit zu beteiligen. Als ein theoretischer Schlüsselbegriff wird in dieser Arbeit der Begriff der „Partizipation“ verwendet, auch weil die Akzeptanz Offener Kanäle durch deutschiranische Migrant/innen ihr großes Interesse an der Medienbeteiligung offenbart. Partizipation in Zusammenhang mit der Medienproduktion von nichtprofessionellen Mediennutzern kommt, insbesondere in der internationalen medien-

8

Mit dem Oberbegriff „Bürgermedien“ werden im deutschsprachigen Raum elektronische Medien, klassischerweise Radio und Fernsehen bezeichnet, die den Zugang zur Produktion und Verbreitung von Medieninhalten durch nicht-professionell ausgebildeten Laien ermöglichen. Bürgermedien können jedoch sehr unterschiedliche Zielsetzungen und Funktionen verfolgen, die vom Bürgerfunk, dem „offenen“ Zugang zur Radio- und Fernsehproduktion, über die Medienkompetenzvermittlung (medienpädagogische oder gesellschaftspolitische Ausrichtung) bis hin zur Qualifizierung in Fort- und Ausbildungskanälen reicht (s. Kapitel 2).

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und kommunikationswissenschaftlichen Forschung, wachsende Beachtung zu.9 Dabei werden Fragen erörtert, wie Zuschauer, also nicht in Medienberufen arbeitende Laien, an Medien und der Produktion von eigenen Inhalten teilnehmen können, um deren zivilgesellschaftliches Potential „zurückzugewinnen“ (vgl. Cammaerts/Carpentier 2007; Carpentier/de Cleen 2008). Partizipationstheoretische Konzepte der Kommunikationswissenschaft und Ansätze zu Alternativen Medien bieten sich hier als theoretische Bezugspunkte an. Ein zweiter theoretischer Strang bezieht sich auf die (trans-)kulturelle Bedeutung der selbstständig produzierten Medien für Migranten und Migrant/innen sowie Barrieren des „Zugangs zu den symbolischen Ressourcen der Gesellschaft“ (vgl. Klaus/Lünenborg, 2004). Hier kommen kulturtheoretisch imprägnierte Ansätze zum Tragen. Allerdings wird in dieser Arbeit auch untersucht, inwiefern die Sendegestalter/innen unter der Prämisse der oben erwähnten gesellschaftlichen Einstellungen an der Gestaltung der lokalen Kultur teilnehmen und teilnehmen können. Die politische Dimension der selbstständigen Medienproduktion von Migranten und Migrant/innen wird hier darin gesehen, dass sie „für sich selbst“ sprechen. Vor dem Hintergrund der häufig stereotypen, monokulturellen und negativen Berichterstattung in deutschen Massenmedien über Migrant/innen kann dies als eigener Beitrag zur Differenzierung der Medienbilder von Minderheiten und zur Pluralisierung des Meinungsspektrums gewertet werden. Zum anderen kann der Produktionsprozess in einem emanzipatorischen Sinne ermöglichen, dass Migrant/innen ihre Artikulationsfähigkeit stärken, die Arbeitsweise der Medien und damit auch die Wirkweise der medial vermittelten Feind- und Fremdbilder verstehen und insgesamt an gesellschaftlichen Kommunikationsprozessen intensiver teilnehmen. Die selbstständige Medienproduktion kann der Befriedigung kultureller Bedürfnisse dienen und der kulturellen Unsichtbarkeit der Einwander/innen entgegenwirken (vgl. Awad 2008, S. 90) sowie die inter- und transkulturellen Kontakte stärken. Inwiefern dies gelingt oder nicht wird hier am Beispiel des Mediums OK analysiert. In einer interkulturellen Studie wie der vorliegenden sind jedoch einige Aspekte zu berücksichtigen, um nicht gängigen Vorurteilen aufzusitzen. Erstens können Migrant/innen nicht als homogene Gruppe aufgefasst werden. Gerade die iranischen Einwander/innen verdeutlichen, dass die Heterogenität innerhalb vermeintlicher „Communities“ enorm groß sein kann. In dieser Arbeit wird dem Rechnung getragen, indem die Medienbeteiligung ausschließlich iranischer Einwander/innen untersucht wird. Zweitens können sehr unterschiedliche Motive und Probleme hinter der 9

Kommunikatives Alltagshandeln, Medienkompetenz im Sinne der Emanzipation von massenmedialen Produkten durch „Selbermachen“ und die Selbstorganisation der Beteiligten rückte in den 1970er und 80er Jahre erstmals in das Blickfeld der Forschung und erlebt gegenwärtig eine Renaissance (vgl. Prehn 1992, S. 259; Cammaerts/Carpentier 2007).

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selbstständigen Produktion in Offenen Kanälen stehen, wie ineinander verwobenene politische, kulturelle und ökonomische Intentionen (Naficy 1993) oder Schwierigkeiten aufgrund des Migrationsstatus in Mainstreammedien Fuß zu fassen (Nicht-Anerkennung des ausländischen Abschlusses, diskriminierende Einstellungspraxen, Sprachakzent etc.). Die vorliegende Arbeit hat sich folglich zum Ziel gesetzt, die Intentionen, den Medienproduktionsprozess und seine Bedingungen sowie die Medieninhalte am Beispiel der deutsch-iranischen Sendegestalter/innen im Offenen Kanal (Fernsehen) zu analysieren.

1.2 F RAGESTELLUNG Wie und unter welchen Bedingungen beteiligen sich „Bürger“ – und hier vor allen Migrant/innen – an den Medien? Welche Migrant/innen können den Offenen Kanal als zugangsoffenes „Bürgermedium“ nutzen und für welche stellt er eine Barriere ihrer Emanzipation und Partizipation dar? Das sind zentrale Ausgangsfragen dieser Arbeit. Die Fragestellung dieser Arbeit integriert kommunikations- und medienwissenschaftliche Ansätze. Die Kommunikationswissenschaft als Gesellschaftswissenschaft, beobachtet gesellschaftliche Prozesse und weist auch auf Missstände sowie auf Möglichkeiten der Behebung bestehender Defizite hin. Die Medienwissenschaften als inter- und transdisziplinäres Forschungsfeld widmen sich u.a. der Medieninhaltsanalyse. Beide Dimensionen werden in Hinblick auf die Medienbeteiligung von Migrant/innen theoretisch und empirisch untersucht. Ein Bereich dieser Arbeit wendet sich der Beobachtung sozialer Differenz zu, die auch in den Medien wirksam wird. Vor dem Hintergrund der weiter bestehenden Defizite der Teilnahmemöglichkeiten für Migrant/innen im öffentlichrechtlichen und privat-wirtschaftlichen Rundfunk wird dabei die Frage gestellt wie der Rundfunk seiner Aufgabe gerecht wird, Meinungsvielfalt abzubilden und das gegenseitige Kennenlernen zwischen Ansässigen und Migrant/innen zu fördern. Der Kommunikationswissenschaftler Charles Husband (2001) plädiert entsprechend dafür, diese Bevölkerungsgruppe zum Sprechen zu bringen. Der Staat müsse das „Recht auf Kommunikation“ sowie das „Recht, verstanden zu werden“, fördern, damit sich die heutige Gesellschaft auch in der von Medien hergestellten Öffentlichkeit widerspiegelt (vgl. Husband 2001). Eine ausführliche Auseinandersetzung mit den theoretischen und methodologischen Grundlagen des Partizipationsgedankens in Bezug auf Migrant/innen in den Medien erfolgt in Kapitel 2. Gefragt wird hier, welche Aussagekraft der partizipationstheoretische Ansatz von Öffentlichkeit, wie ihn vor allem Habermas entworfen hat, für eine Untersuchung der Medienproduktion von Migrant/innen haben kann. Demnach sollten auch Interessengruppen oder soziale Bewegungen, die kaum oder

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gar nicht institutionalisiert sind, an öffentlichen Meinungsbildungsprozessen teilhaben (vgl. Habermas 1998, S. 435-467). Die kritische Auseinandersetzung mit Habermas Konzeption liefert wichtige Ergänzungen, weil dieser Ansatz für eine Untersuchung der Medienproduktion von Migrant/innen nur begrenzte Aussagekraft hat. Er bezieht sich in erster Linie auf die Bedingungen eines (kulturellen und sprachlich homogenen) Nationalstaats und geht nicht auf die Widersprüche ein, die zwischen multikultureller Gesellschaft, der transkulturellen Mediennutzung und der Schlüsselrolle des Nationalstaats in der Medienpolitik entstanden sind. Migrant/innen sind in den Massenmedien kaum repräsentiert und frequentieren deshalb vorwiegend alternative Medien, um selbst als Produzent/innen von Medieninhalten tätig zu werden. Alternative Medienmodelle, die in Kapitel 2.3 vorgestellt werden, bieten mehr Zugangsoffenheit und damit grundsätzlich größere Partizipationsmöglichkeiten für Migrant/innen. Ihnen geht es dezidiert um die Demokratisierung der Medien und sie bestärken dementsprechend das Individuum durch öffentliche, und das heißt in der Regel an Medien gebundene Artikulation, seine bürgerlichen Rechte wahrzunehmen (vgl. Arendt 1996, S. 33-73; Rodriguez 2001). Sie stehen meist in Zusammenhang mit teilhabeorientierten Medien-Initiativen und der Demokratisierung medienvermittelter Kommunikationsprozesse (vgl. Atton 2001). Hans J. Kleinsteuber (1991) benennt beispielhafte Intentionen alternativer Medien wie „Lokalität sichern, Zugang eröffnen“ oder „Minderheiten ein Sprachrohr geben“ (vgl. Kleinsteuber 1991, S. 19). Alternative Medienformen verzichten weitgehend auf die Selektionsmechanismen der etablierten Medien. Darauf beruht ein zentrales Unterscheidungskriterium zwischen alternativen Medien und Massenmedien: Alternative Medien stellen selbstproduzierte, häufig marginalisierte Themen und Medieninhalte, die sich an (trans-)lokale Interessengruppen wenden, neben und gegen die von professionellen Gatekeepern selektierten Massenprogramme (vgl. Wimmer 2007, S. 211). Kapitel 3 gibt einen historischen Abriss der Medienbeteiligung von Migrant/innen in Deutschland, verbunden mit der Frage, welche Medien für Migrant/innen hergestellt wurden und in welchen sie selbstständig Medieninhalte produzierten. In Kapitel 4 wird die Frage gestellt, wie der OK theoretisch gefasst werden kann, denn die theoretische Zuordnung des Offenen Kanals zu Alternativmedien ist kompliziert und führt zu Abgrenzungsproblemen – auch weil je nach Bundesland unterschiedliche Modelle entstanden sind. Eine nähere Begründung für diese Einschätzung wird weiter unten gegeben. Neben der kommunikationstheoretischen Frage nach der Pluralisierung des Meinungsspektrums durch die Medienbeteiligung von Migrant/innen, die oben bereits angesprochen wurde, stellt sich aus der Sicht der kulturwissenschaftlich imprägnierten Kommunikations- und Medienwissenschaft desweiteren die Frage nach der Bedeutung der Medien als kultureller und identitätsstiftender Ressource (s. Kapitel 2.4). Theoretische Überlegungen versuchen der Frage auf den Grund zu gehen,

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inwiefern eine transkulturelle Community-Bildung, etwa von Diasporas, durch alternative Medienpraxis stattfindet (Guedes et al. 2008). Im Rahmen dieser Untersuchung wird deshalb gefragt, inwiefern sich individuelle Funktionszuschreibungen der Sendegestalter/innen mit kulturwissenschaftlichen Konzeptionen der Medienbeteiligung überschneiden. Einwander/innen werden von Politik und Mehrheitsgesellschaft zumeist nicht als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft betrachtet. Obwohl „Medienkultur“ aufgrund differenzierter Medienmärkte und ihrer Produkte aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten auch in Deutschland nicht mehr mit „Nationalkultur“ gleichgesetzt werden kann, konstruieren die Massenprogramme des Fernsehens das „Deutschsein“ symbolisch mit und zeigen, wer „dazugehört“ und wer nicht (vgl. Hepp 2002, S. 867; Morley 2001, S.29). Eine stark am Nationalstaatskonzept ausgerichtete Perspektive unterstellt Migrant/innen häufig, sie würden sich durch Herstellung und Konsum herkunftssprachlicher Medien in „ethnischen Nischen“ segregieren, so dass ihre mediale Integration Teil der Integrationspolitik sein müsse (vgl. Geißler 2005). Tatsächlich sind jedoch „die Zusammenhänge zwischen Mediennutzung und gesellschaftlicher Integration komplex“ (Hafez 2004, S. 79). Die Untersuchung von Hamid Naficy (1993) zum iranischen Exil-Fernsehen in Los Angeles dient dieser Arbeit als Referenzstudie. Sie legt nahe, dass Herstellung und Konsum muttersprachlicher Sendungen einen vieldeutigen Prozess darstellen. Unter bestimmten Bedingungen übernimmt diese „mediale Ethnisierung“ die Rolle eines soziopsychologischen und kulturellen Katalysators, insofern Rituale, Werte und Symbole des Herkunftslandes die Selbstverortung in der Aufnahmegesellschaft sogar erleichtern (vgl. Naficy 1993; Gillespie 1995; Hafez 2002).10 Migrant/innen nutzen Medien folglich strategisch, je nach ihren individuellen Kommunikationsbedürfnissen. Dazu gehört auch, dass „eine aktive Minderheit […] neue transkulturelle Medien im Land der Einwanderung [kreiert]“ (Hafez 2004, S. 79). Somit stellt sich hier die Frage inwiefern in Offenen Kanälen jene Kulturen zu Wort kommen, die ansonsten wenig berücksichtigt werden und welche Kommunikationsstrategien im Produktionsprozess der deutsch-persischen TV–Sendungen in Offenen Kanälen vorherrschen. Offene Kanäle werden, wie andere elektronische Medien auch, als Stimulus für kulturelle Sinnstiftung gewertet und ihre Nutzung stellt in den medialen Netzwerken der Migrant/innen, so die Annahme, nur einen Teil der umfassenden Mediennutzung dar, die sich entlang der globalisierten Medienkommunikation quer zu festgefügten Konzepten von „Kultur“ oder „Nation“ herausgebildet hat (vgl. Hepp 10 Weiß und Trebbe haben herausgefunden, dass „ein hoher Integrationsgrad“ durchaus einhergehen kann mit einem gleichermaßen starken „Interesse für die Politik im Heimatkontext“ (Weiß/Trebbe 2001, S. 49).

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2004). Gerade die medialen Diaspora-Communities machen deutlich, dass „Kulturen“ nicht als abgeschlossene Container verstanden werden können.11 Vielmehr sind Kulturen „offene, heterogene und dynamische Systeme – als Resultate einer Selbstverständigung und Selbstvergewisserung, die notwendigerweise über die eigenen kulturellen Grenzen hinausgeht.“ (Bolten 2003, S. 103). In diesem Sinne bieten Medien den Migrant/innen die Möglichkeit, sich über Nationengrenzen hinweg an der transkulturellen Sinnstiftung der symbolischen Gemeinschaft zu beteiligen (vgl. Sreberny 2001). Die Inhaltsanalyse der von Sendegestalter/innen iranischer Herkunft in Offenen Kanälen hergestellten Sendungen soll auch Aufschluss darüber geben, inwiefern sie der Selbstvergewisserung dienen. Mit kritischer Distanz zu allzu positiven Einschätzungen diasporischen Medien und Öffentlichkeiten ist hier zu fragen, wo die Trennlinien zwischen einem (negativ konnotierten) „Diaspora-Nationalismus“ (vgl. Charim 2007) und der im Hinblick auf die Globalisierung akzeptierten Pflege der Herkunftskultur mittels mediatisierter Kommunikation verlaufen (Hafez 2004). Die Offenen Kanäle Berlin (OKB) und Offenbach/Frankfurt am Main (OKOF)12 verdeutlichen aufgrund der großen Zahl von fremdsprachigen und bilingualen iranischen, eritreischen, afghanischen, pakistanischen oder auch islamischen Sendungen, die dort im Laufe ihres Bestehens ausgestrahlt wurden, die große Anziehungskraft der Bürgersender, insbesondere für außer-europäische Migrant/innen. Dass Frauen den Offenen Kanal grundsätzlich weniger nutzen als Männer kann in diesem Zusammenhang nicht unberücksichtigt bleiben. Das Bürgermedium Offener Kanal gilt grundsätzlich als Männerdomäne, weibliche Sendegestalter/innen sind in der Minderheit – trotz Empowermentmaßnahmen seitens der OK-Verantwortlichen (vgl. Schöwer 2007, S. 10). Aus diesem Ungleichgewicht ergeben sich allgemeine Fragen wie nach der Ko-Konstruktion von Technik und Geschlecht sowie weiteren geschlechtsspezifischen Bedingungen selbstständiger Medienbeteiligung. Im Besonderen wird gefragt, inwieweit die Kategorie Geschlecht Einfluss auf die aktive Medienbeteiligung der Produzentinnen in der Fokusgruppe hat und ob und wenn ja welche Geschlechterverhältnisse in der Gruppe der Deutsch-Iraner/innen eine Rolle spielen. Die Fernsehproduktion der Migrant/innen in Offenen Kanälen, so eine These, offenbart ihr Bedürfnis, an kleinräumigen medienvermittelten Kommunikationsprozessen teilzunehmen und Informationen über das lokale Geschehen in ihrer jeweiligen Landessprache zu erhalten. In Hinblick auf das Forschungsthema stellt sich in 11 Die Container-Metapher legt nahe, dass Kultur ein abgeschlossener Behälter ist, in dem es eine Innen- und eine Aussensicht gibt, die Mitglieder von Nicht-Mitgliedern dieser Kultur trennt. Vgl. Beck 1997. 12 Die beiden Städte teilen sich die Reichweite, was sich im Titel OK Offenbach/Frankfurt am Main widerspiegelt.

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diesem Zusammenhang die Frage nach der Rolle und Funktion Offener Kanäle für die Medienbeteiligung von Migrant/innen. Derzeit gibt es in sieben von 16 Bundesländern 45 nicht-kommerzielle Offene TV-Kanäle.13 Konservative Landesregierungen standen der Idee Offener Kanäle meist skeptisch gegenüber, so dass sie nicht von allen Bundesländern eingeführt wurden bzw. nach einem Regierungswechsel wieder abgeschafft wurden.14 Wo sie auf der Basis der Landesmediengesetze eingerichtet sind, können interessierte Bürger/innen innerhalb eines öffentlich finanzierten und organisierten Mediums von Konsument/innen zu Produzent/innen eigener, lokal ausgestrahlter Fernsehsendungen werden (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 1980, S. 23-27). Klassischerweise verfügen Offene Kanäle weder über eine Redaktion noch über eine Programmstruktur, sondern strahlen die eingereichten Beiträge nacheinander aus. Die Produktion im Offenen Kanal (OK) ist Fernsehen ohne professionelles Agenda-Setting (s. Kapitel 4). Anders als die ausländischen Vorbilder der Public Access Channel wurden Offene Kanäle in Deutschland nicht von aktivistischen Bürgergruppen ins Leben gerufen. Vielmehr setzten gesellschaftspolitische Interessengruppen wie Parteien, Kirchen, Gewerkschaften und die Bundeszentrale für politische Bildung die Etablierung Offener Kanäle durch und legten deren Organisationsformen fest, die weitgehend noch heute Bestand haben (vgl. Lenk et al. 2001, S. 12). Diese Struktur weist Offenen Kanälen eine Sonderstellung zu, aus der sich widersprüchliche Einschätzungen ergeben. Während Offenen Kanälen auf der einen Seite zugutegehalten wurde, dass sie die Kommunikations- und Partizipationschancen marginalisierter Themen und Bevölkerungsgruppen erhöhten, begleitete sie zugleich der Vorwurf, sie erfüllten nur eine Alibifunktion und stellten als Kommunikationsraum eben jener Marginalisierten eine „Vielfaltsreserve“ dar.15 Offene Kanäle fordern seit Beginn des Jahrtausends spezifische „Integrationsleistungen“ von den Sendegestaltern mit „Migrationshintergrund“ und führten Sendezeitbegrenzungen, etwa für islamische Sendungen und Übersetzungsverpflichtungen für fremdsprachige und bilinguale Sendungen ein, von der auch die deutschiranischen Sendegestalter/innen betroffen waren. Seither sind diese Produktionen weitgehend aus der lokalen Öffentlichkeit verschwunden. Es ist folglich zu fragen, 13 Stand: 26.03.2010. Hinzu kommen weitere Offene Radiosender, die jedoch nicht Gegenstand dieser Untersuchung sind. 14 OK wurden nicht in Bayern, Baden-Württemberg, Brandenburg, Sachsen und Niedersachsen eingeführt. In einigen Bundesländern wurden sie trotz Protesten der Bevölkerung wieder eingestellt. S. Kapitel 4. 15 In diesem Zusammenhang meint „Vielfaltsreserve“ nicht nur ein „Sammelbecken“ für ansonsten wenig berücksichtigte Themen und Bevölkerungsteile, sondern auch eine Möglichkeit, die geforderte Außenpluralität, die Vielfalt der Programmanbieter im Mediensystem, sicherzustellen.

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inwieweit Offene Kanäle als politisch gewollte und öffentlich geförderte Institutionen Chancen der Medienbeteiligung von Migrant/innen eröffnen, oder ob sie bestehende Barrieren für eine gleichberechtigte Teilnahme an gesellschaftlichen Kommunikationsprozessen verfestigen. In der vorliegenden Untersuchung wird am Beispiel der deutsch-iranischen TV-Produzent/innen in den Offenen Kanälen Berlin (OKB) und Offenbach/Frankfurt (OKOF) gefragt, inwiefern sie sich in Offenen Kanälen beteiligen und beteiligen können. Iranische Migrant/innen gehörten zu den wichtigsten „Nutzergruppen“ in Offenen Kanälen in Deutschland: Zahlreiche deutschiranische Produktions- und Sendeteams in verschiedenen Offenen Kanälen, z.B. auch in Dortmund und Hamburg, stellten über viele Jahre Produktionen für wöchentliche Sendeplätze in diesen „Bürgersendern“ her, wobei sich in den ausgewählten Städten Berlin und Offenbach/Frankfurt die umfangreichste Produktionstätigkeit fand. Neben der quantitativen Präsenz der deutsch-iranischen Sendegestalter/innen in Offenen Kanälen gab vor allem ihre gesellschaftspolitische Aktivitätstradition den Ausschlag, sie für diese Studie auszuwählen (vgl. Ghaseminia 1996, S. 106f., 167, 177; s. Kapitel 5). Zu berücksichtigen ist dabei, dass die iranische Minderheit in Deutschland in unterschiedliche politische, kulturelle, sprachliche und religiöse Gruppierungen zersplittert ist, so dass die Frage gestellt wird, welche Intentionen und Strategien die ausgewählten Sendegestalter/innen mit den Produktionen verfolgen. Gerade in Hinblick auf die iranische Minderheit ist dabei von Interesse, mit welchen Schwierigkeiten sie, etwa aufgrund der selektiven und von negativen Ereignissen geprägten Auslandsberichterstattung über das Herkunftsland Iran, konfrontiert sind. Nicht zuletzt wird die Frage gestellt, an welchen Publika sie sich orientieren und welche Möglichkeiten ihre Sendungen für den trans-/interkulturellen Dialog eröffnen. Offene Kanäle stellen folglich ein interessantes Forschungsfeld dar, um strukturelle Bedingungen der Medienbeteiligung von Migrant/innen zu untersuchen. Diese Studie kann als ein spezifischer Teilbereich des Medienhandelns von Migrant/innen wichtige Anhaltspunkte für die weitere Erforschung ihrer Medienbeteiligung bieten.

1.3 M ETHODISCHE Ü BERLEGUNGEN DES K ORPUS

UND

AUSWAHL

Die Untersuchung der Medienbeteiligung deutsch-iranischer Sendegestalter in Offenen Kanälen erfolgt in einem Dreischritt. Dabei werden die Rahmenbedingungen der Produktion in Offenen Kanälen, Produktionsprozesse und Fernsehinhalte ausgewählter deutsch-iranischer Produktionen analysiert. Wie in Kapitel 6 ausführlich dargestellt, verfolgt diese Arbeit einen verstehenden Ansatz und liefert im empiri-

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schen Teil eine „dichte Beschreibung“ der Produktion iranischer Migrant/innen in Offenen Kanälen. Die Auswahl des Korpus (vgl. Tabelle 7) hat forschungspraktische Gründe, wie der bestehende Zugang zum Feld, sowie technische Gründe. Der Untersuchungszeitraum, in dem Recherchen, Befragungen und Beobachtungen durchgeführt wurden, beginnt 2005 und endet 2008.16 Aufgrund der ungleichzeitigen Produktionsaktivitäten der Fokusgruppen sowie der unterschiedlichen Rahmenbedingungen der OK wurden Archivmaterialien wie TV-Sendungen aus unterschiedlichen Zeiträumen einbezogen, um quantitative bzw. qualitative Entwicklungen im Zeitverlauf rekonstruieren zu können. Die deutsch-iranischen Produktionen im OKOF wurden in der Periode zwischen 1997 und 2004 berücksichtigt, die alle im Jahr 2004 ihre aktive Produktionstätigkeit eingestellt hatten. Deutsch-iranische Teams im OKB waren im Recherchezeitraum noch aktiv, so dass Sendungen im Zeitraum von 2006 bis 2008 während der Ausstrahlung aufgezeichnet werden konnten. Weil eine Sendearchivnutzung im OKB nicht möglich war, erstreckt sich die Analyse auf diesen zeitlichen Rahmen.17 In der vorliegenden Arbeit fiel die Auswahl auf die beiden anstaltsgebundenen – von einer Landesmedienanstalt verwalteten und kontrollierten – Offenen Kanäle Berlin (OKB) und Offenbach/Frankfurt (OKOF), weil in diesen beiden Kanälen zeitweise die höchste Aktivität von iranischen TV-Produzent/innen zu verzeichnen war (s. Kapitel 7). Die geplante Untersuchung des anstaltsfreien OK Dortmund konnte aufgrund der problematischen Datenlage nicht durchgeführt werden. Lediglich die Expertengespräche flossen als Referenzinformationen in die vorliegende Studie ein. Studien mit relativ kleinen Sampeln haben in der Regel das Problem, dass sie eine vergleichende Analyse kaum zulassen. In der vorliegenden Arbeit werden jedoch nicht nur Einzelaspekte der Medienbeteiligung analysiert, sondern vielmehr die strukturellen Rahmenbedingungen der Produktion von Migrant/innen in Offenen Kanälen, Produktionsprozesse sowie die Fernsehinhalte. Qualitatives und quantitatives empirisches Material, das vor allem aus Leitfadeninterviews und hermeneutischen Inhaltsanalysen der Fernsehsendungen generiert wurde, ergänzen einander. So kann ein systematischer Zugang zur Art und Weise erarbeitet werden, wie bestimmte Bedingungen der Medienbeteiligung von Migrant/innen ineinandergreifen. Dadurch sind Ergebnisse zu erwarten, die über die Fallstudien hinausweisen.

16 Eine Vorstudie wurde im Jahr 2002 durchgeführt. 17 Die unterschiedliche Handhabung der Archivierung in den jeweiligen Offenen Kanälen variierte zwischen akribischer und völlig ungeordneter Ablage. In einem Fall war das Archiv zugänglich, im anderen blieb es für diese Arbeit versperrt. Dies erforderte eine auf die Bedingungen abgestimmte flexible Recherchestruktur.

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Den empirischen Fallstudien in dieser Arbeit, die in Kapitel 7, 8 und 9 dargestellt sind, liegen zwei zentrale, einander ergänzende Methoden zugrunde: leitfadengestützte Experteninterviews sowie hermeneutische Inhaltsanalysen ausgewählter Produktionen. In den Expertengesprächen wurden sowohl Verantwortliche und Mitarbeiter/innen der Offenen Kanäle Berlin und Offenbach/Frankfurt als auch die deutsch-iranischen Sendegestalter/innen befragt, um wechselseitige Erwartungen und die Arbeitsweisen der TV-Produzent/innen zu rekonstruieren. Eine Auswahl an Inhaltsanalysen gab Aufschluss über Sendehäufigkeit und -themen. In interkulturellen Forschungssituationen wie der Vorliegenden, können gesellschaftliche Asymmetrien entstehen, die als „kommunikative Macht“ präsent und wirksam werden (vgl. Herwartz-Emden/Westphal 2000, S. 65f). Die Reflexivität des Forschungsprozesses ist geboten, um „Fallen“ zu erkennen wie Ethnisierungsund Kultur-, Paternalismus- und Gender-Effekte u.a. (vgl. Herwartz-Emden/Westphal, 2000, S: 65f). Es gilt sich dabei bewusst zu machen, dass qualitative Forschungsprozesse ihre Befunde eher aus Interpretationen von Beobachtungen beziehen. Somit werden keine allgemeinen Aussagen im Sinne einer Theorie angestrebt, sondern Aussagen im Rahmen der hier analysierten Einzelfälle (vgl. Geertz 1987, S. 37). Diese Arbeitsweise ermöglicht es, gängige Begrifflichkeiten und verwendete Konzepte kritisch zu hinterfragen, um das Feld wissenschaftlicher Auseinandersetzung zu erweitern, was gerade im Kontext interkultureller Kommunikationswissenschaft als wichtig erachtet werden kann.

1.4 S TAND

DER

F ORSCHUNG

Medien- und kommunikationswissenschaftliche Forschung im deutschsprachigen Raum setzt sich zunehmend intensiver mit den Bedingungen und Reichweiten der Mediennutzung von Migrant/innen und kultureller Zugehörigkeit jenseits des tradierten territorialen Denkens im Sinne des Nationalstaats auseinander. Wie oben angedeutet ist die Forschung über Migrant/innen in den Medien im deutschsprachigen Raum aber in mehrfacher Hinsicht verengt. Zumeist handelt es sich dabei um Integrationsforschung über Migrant/innen in den Medien (vgl. Weiß/Trebbe 2007). Dabei steht der Medienkonsum von Migranten und Migrant/innen, meist bezogen auf Presse und Rundfunk, im Zentrum des wissenschaftlichen Interesses, verbunden mit der Frage, ob dieser zur „Integration“ beiträgt oder sie eher behindert (vgl. Zentrum für Türkeistudien 1996; Güntürk 2000; Hafez 2002; Weiß/Trebbe 2007).18

18 Diese Analysen beziehen sich zumeist auf die türkischstämmige Bevölkerung in Deutschland.

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Diese Arbeiten beziehen sich somit mehr oder weniger deutlich auf die verbreitete Unterstellung der (medialen) Selbst-Ethnisierung der Einwander/innen in Deutschland. Einige Integrationsstudien sind für die vorliegende Arbeit jedoch relevant, weil sie versuchen, das „Klischee des Medienghettos“ zu widerlegen (Meier-Braun, 2002b, S. 4). Die wenigen vorliegenden Kommunikatorstudien zielen überwiegend auf die Analyse der Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen, des Berufsverständnisses und der Abhängigkeiten von professionellen Journalist/innen (vgl. Cottle 1997; Schneider/Arnold 2004). Die Fernsehproduktion durch Migrant/innen in Offenen Kanälen wurde bislang vereinzelt empirisch untersucht (vgl. Kosnick; Bentzien et al.). In der internationalen Forschung kann jedoch in jüngster Zeit beobachtet werden, dass der Begriff Partizipation in Zusammenhang mit Medien geradezu einen Boom ausgelöst hat. Dazu zählt das großangelegte transnationale Forschungsprojekt „COST Action Transforming Audiences, Transforming Societies“. An ihm nehmen über 270 Mitglieder aus 32 Ländern teil. Ein Ziel ist u.a. die Zuschauerforschung im Hinblick auf partizipative Medien zu „revitalisieren“.19 Einzelstudien aus dem Umfeld der paneuropäischen kommunikationswissenschaftlichen Vereinigung ECREA, welche die öffentliche Artikulation von Migrant/ innen, vor allem in Alternativmedien untersuchen, liefern ebenfalls wichtige Impulse für den Forschungsbereich (vgl. Caemmerts/Carpentier 2007; Carpentier/de Cleen 2008; Carpentier 2011). Die Medienbeteiligung von ethnisch-religiösen und diasporischen Sendegestalter/innen wird dabei explizit berücksichtigt (vgl. Georgiou 2005 a und b; Guedes-Bailey et al. 2008; Hepp et al. 2011). Das wissenschaftliche Interesse am Thema Migrant/innen und Medien konzentriert sich in Deutschland neben der Integrationsforschung über Migrant/innen in den Medien auf drei weitere Bereiche. Erstens befasst sich ein großer Teil der Studien mit der Medienberichterstattung über Migrant/innen und benennt Defizite wie eine negativistische und stereotype Berichterstattung in der Presse und – weitaus seltener – im Rundfunk (vgl. Delgado 1972; Merten 1986; Ruhrmann 1995; Schiffer 2005; Hafez 2001b; Hafez/Richter 2007; Lünenborg et. al 2011). Schon weit vor den Anschlägen des 11. September 2001, so ein Befund, hat ein „Islamic turn“ im öffentlichen Medienbild von Migrant/innen stattgefunden, so dass hauptsächlich Muslime als „die Anderen“ wahrgenommen werden und Migrant/innen in der Berichterstattung vor allem als Muslime identifiziert werden (vgl. Hafez 2001b; Spielhaus 2006; Schiffer 2005; Hafez/Richter 2007). Diese verdienstvollen Studien haben unter anderem darauf hingewiesen, dass die Perspektive der deutschen Mehrheitsgesellschaft, welche die Medien demnach einnehmen, kaum ausreicht, um eine vielstimmige Öffentlichkeit herzustellen.

19 http://www.cost-transforming-audiences.eu/node/16; (13.02.2013).

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Zweitens werden überwiegend Konsumptions- und (eingeschränkt) Rezeptionsstudien durchgeführt, weil mit dem Satellitenfernsehen die Tatsache ins Blickfeld der Kommunikationswissenschaft rückte, dass erstmals eine größere Bevölkerungsgruppe Medieninhalte konsumierte, die sich der Einflussnahme und Kontrolle durch öffentlich-rechtliche Instanzen oder Landesmedienanstalten entzog (vgl. Zentrum für Türkeistudien 1996; Becker 1998; Hafez 2002). Der Stand der Rezeptionsuntersuchungen in Deutschland zum Thema „Medien und Einwanderung“ erweist sich im Weltvergleich als recht fundiert (vgl. Hafez, 2004, S. 70.) Aufgrund der Zuspitzung ihrer Fragestellung auf „Massenmedien“, „Konsum“ und „Integration“ enthalten sie jedoch großflächige Leerstellen, denn die eigenständig hergestellten (Alternativ-)Medien und die Beteiligung an der öffentlichen Artikulation von Migranten und Migrant/innen in translokalen Räumen lassen sich mit diesem engen Blickfeld ebenso wenig untersuchen wie die damit verbundenen Produktionsprozesse. Aus dieser Perspektive können Fragen nach der kommunikativen Leistung der Migrant/innen und ihrer Beteiligung an der Kulturproduktion gar nicht erst entstehen. Auch konkrete Probleme der Medienbeteiligung, wie Exklusionsmechanismen, bleiben – von wenigen Ausnahmen abgesehen – weitgehend unberücksichtigt. Drittens entwickelte sich ein dynamisches Forschungsfeld der kulturwissenschaftlichen Kommunikationswissenschaft bzw. den Cultural Studies, das grenzüberschreitende Kommunikation und kulturelle Globalisierung untersucht (vgl. Göttlich 2003; Bromley 2000; Hepp, 2002; Hepp/Bozdag/Suna 2011). Vor allem die internationale medien- und kommunikationswissenschaftliche empirische Forschung hat bereits vor der Jahrtausendwende breitere Zugänge gesucht (Cottle, 2000; Dayan 2001; Sreberny 2001; Gillespie 2002; Georgiou 2005). So konnte die britische Wissenschaftlerin Marie Gillespie (1995) zeigen, dass transnationale Fernsehprogramme in der südindischen Diaspora in London Identitätsangebote vervielfältigen und Kleinstöffentlichkeiten herstellen. Auf der theoretischen Ebene wurden Ansätze zu rassistischen Mediendiskurse ebenso untersucht (van Dijk, 1987) wie nach Diaspora-Öffentlicheiten verschiedener EinwanderCommunities. Diesen Studien ist es gelungen, auf neue, transkulturelle und translokale Kommunikationsräume aufmerksam zu machen. In Deutschland konzentriert sich die Fragestellung zumeist auf die Mediennutzung der türkischstämmigen Bevölkerung (vgl. Zentrum für Türkeistudien 1996; Güntürk 2000; Hafez 2002). Bezogen auf Migrant/innen aus anderen Herkunftsregionen kann von blinden Flecken in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung gesprochen werden, ebenso wie in Hinblick auf das Geschlecht der Beforschten. Zuletzt haben Lünenborg et al. (2011) auf den Genderaspekt aufmerksam gemacht, denn Medienforschung über Migrant/innen bezieht sich meist nur auf männliche Einwanderer. Im Sinne einer Internationalen und Interkulturellen Medien- und Kommunikationswissenschaft wird hier eine weitere Öffnung des wissenschaftlichen Blickfelds vorgeschlagen. Die stärkere Berücksichtigung der selbstständigen Medienbeteili-

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gung von Einwander/innen kann dazu beitragen, dass Fach in seiner Breite und Tiefe weiterzuentwickeln. Der Stand der Forschung zu Offenen Kanälen wurde vor 20 Jahren als unbefriedigend bezeichnet (vgl. Winterhoff-Spurk/Heidinger/Schwab (1992, S. 18). Dies überrascht zunächst, da sich eine Fülle von Literatur mit dem Thema Bürgermedien beschäftigt. Auf den zweiten Blick wird aber deutlich, dass es sich überwiegend um „Begleitforschung“, handelt, die von den Landesmedienanstalten in Auftrag gegeben wurde (vgl. Gellner/Tiersch 1993; Lenk/Hilger/Tegeler 2001; WinterhoffSpurk/Heidinger/Schwab 1992; Jaenicke/Fingerling 1999). Unabhängige Analysen von Universitäten oder wissenschaftlichen Instituten, ohne die wissenschaftliche Forschung nicht auskommt, liegen vergleichsweise wenige vor. Vor allem die TVProduzent/innengruppen der Migrant/innen in Offenen Fernsehkanälen sind in der Forschung generell unterrepräsentiert.20 In der Mehrzahl handelt es sich um Produzentenanalysen (Sozialstruktur, Motive, Arbeitsformen, Erfahrungen u.a.m.), die Migrant/innen nicht explizit untersuchen bzw. lediglich vereinzelt auf diese Nutzergruppen hinweisen (vgl. WinterhoffSpurk et al. 1992). Als eine der wenigen Studien verweisen Lenk/Hilger/Tegeler (2001) unter der Überschrift „besondere Personengruppe“ auf „Migranten im Offenen Kanal“ (vgl. Lenk 2001, S. 174-177). Zwar geben die Autoren einzelne Hinweise auf bevorzugte Inhalte, doch weder die Herkunft der Migrant/innen geht aus dem Text hervor, noch ob sie in einem Hörfunk- oder Fernsehkanal sendeten. Auch Leitbilder Offener Kanäle und ihrer Mitarbeiter/innen in Zusammenhang mit fremdsprachigen Sendungen wurden bisher kaum in die Analysen einbezogen.21 Einige Studien, die Migrant/innen als Sendegestalter/innen benennen haben weder eigene Inhaltsanalysen noch Befragungen vorzuweisen, was zu Fehleinschätzungen führen kann (z.B. Weber-Menges 2005). Wenige Dissertationen befassen sich mit dem Aspekt der Partizipation in und durch Offene Kanäle (vgl. Vogel 1991), jedoch ebenfalls ohne Migrant/innen zu berücksichtigen. Es kann festgehalten werden, dass im Untersuchungszeitraum nach über 25 Jahren des Bestehens Offener Fernsehkanäle in Deutschland lediglich zwei empirisch fundierte Veröffentlichungen zu Migrant/innen als Medienproduzent/innen in Offenen Kanälen relevant sind: dazu gehört eine anthropologische Analyse der türkischen TV-Produzent/innen in Berlin, die auch den Offenen Kanal Berlin (OKB) einschließt (vgl. Kosnick 2002) sowie ein Sammelband zu islamischen Sendungen ebenfalls im OKB aus Sicht der Islamwissenschaft (vgl. Bentzin et al. 2007). Das vorliegende Projekt kommt deshalb nicht umhin, sich in der internationalen Literatur umzusehen und sie im Sinne einer interdisziplinären Fragestellung auszu20 Eine der wenigen international vergleichenden Studien zu Bürgermedien, allerdings zu nicht-kommerziellen Lokalradios, wurde von H.J. Kleinsteuber (1991) vorgelegt. 21 Eine kritische Betrachtung politischer Instrumentalisierungen s. unter Kleinsteuber 1994.

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werten. Tiefenanalysen bieten Referenzpunkte an, wobei für die vorliegende Arbeit unter anderem die Untersuchung von Hamid Naficy (1993) über das iranische ExilFernsehen in Los Angeles von Bedeutung ist.22 Von Interesse ist diese Studie hier insbesondere deshalb, weil sie den muttersprachlichen Medienkonsum und seine Bedingungen differenziert und mit entsprechendem Kontextwissen zu dieser Einwanderergruppe beschrieben hat. Dieser Untersuchung kommt das Verdienst zu, dass sie die Annahme einer vermeintlichen „Ethnisierung“ muttersprachlicher Sendegestalter/innen relativieren konnte – eine Problematik, die auch in dieser Arbeit in den Blick genommen wird. Das Verdienst dieser und anderer ethnografischer und qualitativer Studien ist es, dass sie Migrant/innen als Akteur/innen, d.h. als selbstbestimmte Medienkonsument/innen und –produzent/innen mit je eigenen Kommunikationsbedürfnissen und Mediengewohnheiten in vieldeutigen Prozessen sichtbar gemacht haben (vgl. Naficy 1993; Gillespie 1995; Hafez 2002). Vor allem im internationalen Kontext ziehen sogenannte „Diaspora-Medien“ wissenschaftliche Aufmerksamkeit auf sich, die zumeist in digitalen Medien diskursive Räume jenseits nationaler Grenzen eröffnen und den kommunikativen Austausch, Vernetzung, Identifikationsmöglichkeiten sowie die Entstehung von alternativen Öffentlichkeiten ermöglichen (vgl. Sreberny 2001; Oyeleye 2009). Da sich hier wesentliche Merkmale der Globalisierung abzeichnen, nämlich die „Dislokation des Lokalen, Regionalen und Nationalen“ (Hafez 2001, S. 39), kann angenommen werden, dass diasporische Medien zukünftig stark an Bedeutung gewinnen werden und sich das Medienangebot dadurch weiter ausdifferenziert. In diesem Forschungsbereich sind die Lücken von Kommunikator- und Rezeptionsstudien besonders groß, wohl auch, weil hierzu umfangreiche Sprach- und Kulturkenntnisse erforderlich sind. Die vorliegende Arbeit möchte somit dazu beitragen, einen konstruktiven Beitrag zur interkulturellen Medien- und Kommunikationswissenschaft zu leisten. Dies geschieht auch in der Hoffnung, nützliche Anregungen für medienpolitische Konzepte in Bezug auf die Medienbeteiligung von Einwanderern geben zu können.

22 Dabei handelt es sich zwar um eine Studie zu kommerziellen Fernsehstationen, deren persischsprachige Programme jedoch jenseits des medialen Mainstreams verortet werden können.

2 Theoretische Ansätze: Medienbeteiligung und Migration

Das Ziel dieses Kapitels ist es, theoretische Zugänge zur produktiven Beteiligung von Migrant/innen in den Medien herauszuarbeiten, um sie für die empirische Untersuchung von deutsch-persischer TV-Produktionen in Offenen Kanälen nutzen zu können. Dazu ist anzumerken, dass die theoretische Auseinandersetzung um die Medienproduktion von Migrant/innen sich aus unterschiedlichen Traditionen speist und teils zu konträren Ergebnissen bzw. Empfehlungen kommt. Besonders interessant sind hier Überlegungen aus interkulturell vergleichender und kulturwissenschaftlich geprägter Kommunikationswissenschaft, welche die Unterstellung ethnozentrischer Forschung einer Selbst-Segregation der Migrant/innen durch den Konsum herkunftssprachlicher Medien entkräften konnten (vgl. u.a. Naficy 1993; Husband 2001; Georgiou 2001, 2005b; Hafez, 2004; Hepp 2002). Im Folgenden wird zunächst der Begriff der Medienbeteiligung genauer betrachtet und mit dem Aspekt der Migration in Beziehung gesetzt. Anschließend werden, mangels eigenständiger Theorien zur Untersuchung der Medienproduktion von Migrant/innen im „Bürgermedium“ Offener Kanal unterschiedliche partizipationstheoretische Ansätze diskutiert. Dabei wird eine Differenzierung nach Massenund Alternativmedien vorgenommen und die je spezifischen Funktionen im Migrationskontext werden herausgearbeitet. Kulturwissenschaftlich imprägnierte Konzepte der Medienbeteiligung im Migrationskontext ergänzen diese. Angestrebt wird dabei weniger ein feststehendes Theoriekonzept, das so und nicht anders auf den Gegenstand angewendet wird. Vielmehr dienen die unterschiedlichen Aspekte als theoretischer Fundus, der auch Raum für individuelle Funktionszuschreibungen der TV-Produzent/innen lässt.

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2.1 Z UM P ARTIZIPATIONSBEGRIFF IN Z USAMMENHANG MIT M EDIEN

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Medienbeteiligung als Oberbegriff bezieht sich hier zunächst auf Formen der aktiven Beteiligung von Bürger/innen an und mit Medien. Der Fokus des Medienhandelns liegt auf dem Aspekt des „Selbermachens“, dem Rollenwechsel vom Zuschauer zum Sender und damit auf der selbstbestimmten Artikulation in der Öffentlichkeit. Theoretische Überlegungen zur Medienbeteiligung werden in jüngster Zeit häufig mit dem Begriff der Partizipation verknüpft (vgl. Carpentier 2011). Die Beziehung zwischen Medien und Partizipation verweist auf die übergeordnete Funktion der Medien bei der Entwicklung demokratischer Gesellschaften. Medienbeteiligung im Einwanderungsland Deutschland muss zunächst, außer im Kontext der medialen Öffentlichkeit, im Kontext der Migrations- und Integrationspolitik betrachtet werden, weil diese wichtige Grundbedingungen von Partizipation regelt. Partizipation aus politikwissenschaftlicher Sicht und die demokratische Funktion der Medien Aus politikwissenschaftlicher Sicht wird Partizipation „als Prozess einer politischen Handlung zwischen Individuen und der Gemeinschaft verstanden und gehört zu einem Beziehungsgeflecht aus teils substitutiv, teils kontradiktorisch verwendeten Begriffen (z.B. Teilhabe, Beteiligung, Demokratisierung, Mitbestimmung, Mitwirkung etc.)“.1 Angesichts einer solch weiten und daher unscharfen Begriffsbestimmung stellt sich zunächst die Frage, wann im Migrationskontext von Partizipation und in einem weiteren Schritt, wann von Partizipation in den Medien gesprochen werden kann. In demokratischen Systemen gilt Partizipation allgemein „als zentrale Komponente der Entfaltung einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft“ (Hillmann 1994, S. 654). Partizipation wird meist mit aktiv Handelnden verbunden und ist positiv besetzt. Sie wird häufig mit Emanzipation gleichgesetzt und als Gegenbegriff zum Nicht-Handeln bzw. zur Apathie verwendet (vgl. Vogel 1991, S. 14-31). Der Begriff der Partizipation ist gleichwohl von Definitionsproblemen geprägt (vgl. ebd., S. 645; Beck 1986, S. 736). So bestehen über die Frage, wer woran partizipieren soll und wozu, unterschiedliche Auffassungen (vgl. ausführlich dazu Alemann 1975, S. 13-40). In konservativen politikwissenschaftlichen Definitionen bleibt politische Partizipation oftmals auf konventionelle Partizipation – also die Beteiligung an Wahlen, Volksentscheiden oder der Übernahme eines politischen Amtes – beschränkt (vgl.

1

DGPuK Fachgruppe Computervermittelte Kommunikation, Call for Papers „Digitale Gesellschaft – Partizipationskulturen im Netz“, Bonn, Mai 2012.

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Beck 1986, S. 736; Bertelsmann Stiftung 2004, S. 27; Rhomberg 2009, S. 143). Aus dieser Perspektive wird Bürgerbeteiligung über diese Beteiligungsformen hinaus als Krisenerscheinung betrachtet, weil die Absicherung des Modells der repräsentativen Demokratie im Zentrum des Interesses steht. Beteiligen sich Bürger/innen nicht im konventionellen Sinne, so besteht die Gefahr, dass das Nicht-Handeln als Apathie ausgelegt wird. Allerdings würde es in diesem Falle eine passive Beteiligung, wie etwa passiver Widerstand, gar nicht geben (vgl. Vogel 1991, S. 18). Unkonventionelle Partizipation hingegen subsummiert als integrativer Begriff so unterschiedliche Formen des bürgerschaftlichen Engagements wie Unterschriftensammlungen, Demonstrationen, ehrenamtliche Funktionen und Selbsthilfe (vgl. Bertelsmann Stiftung 2004, S. 43) aber auch soziale und subkulturelle Bewegungen und das sich-informieren anhand von Medien.2 Hier wird demnach ein breiter gefasster Partizipationsbegriff wirksam. Diese Beteiligungsformen werden zwar als konstitutiv für eine lebendige demokratische Kultur begriffen, doch ob sie die gestaltende Kraft der konventionellen Partizipation erreichen ist nicht kalkulierbar. Das sollen sie auch oftmals nicht, denn nicht immer steht das Interesse an der Mitgestaltung einer modernen Demokratie im Vordergrund der Partizipation, vielmehr kann sie „aus dem Wunsch nach Verteidigung der eigenen Lebenswelt gegen die reglementierende Macht des Staates“ resultieren (Vogel 1991, S. 19). Partizipative bis hin zu radikaldemokratischen Theorien betrachten potenziell alle gesellschaftlichen Institutionen und Bereiche – gerade auch Medien – als involviert in den und relevant für den demokratischen Prozess und fordern entsprechend, Partizipationsmöglichkeiten in ihnen zu eröffnen oder zu stärken (vgl. Pateman 1970). Ein demokratisches System ist auf gutinformierte Bürger und eine pluralistische Öffentlichkeit angewiesen, was freie und zugangsoffene Medien voraussetzt (s. Kapitel. 2.2.3) Partizipation zielt im Kern auf die Dezentralisierung von Macht (Herrschaft) und geht mit der Anteilnahme der Bürger/innen am Gemeinwesen einher.3

2

Schmidt (2006, S. 251) geht davon aus, dass der Partizipierende „inneren Anteil am Geschehen und Schicksal des Gemeinwesens“ nimmt.

3

Die Bedeutung der inneren Anteilnahme im Konzept der Partizipation belegt eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zu rechtsextremen und islamfeindlichen Einstellungen in der Mittelschicht aus dem Jahr 2010. In ihr wird eine Korrelation zwischen mangelnden Möglichkeiten der Partizipation und der steigenden „Entsolidarisierung mit gesellschaftlich schwächeren Schichten“ konstatiert, die als „Fremde“ und „Sozialschmarotzer“ betrachtet würden, Decker et al. 2010, S.150-152.

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Partizipationsbedingungen in der Einwanderungsgesellschaft Auf der lokalen, regionalen und nationalen Ebene politischer Partizipation bestehen für Migrant/innen ohne deutschen Pass im deutschen Rechtsstaat grundsätzlich andere Partizipationsbedingungen als für die Mehrheitsgesellschaft. Sie erhalten nur eingeschränkt Staatsbürgerrechte zuerkannt, und das wohl wichtigste Individualrecht, das Wahlrecht, ist Ausländer/innen bis heute verwehrt.4 Auf dem Wahlrecht beruhen jedoch wesentliche politische, wirtschaftliche und soziale Teilhabechancen.5 Leutheusser-Schnarrenberger (2001) hat darauf hingewiesen, dass der Staat selbst nicht die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen für die politische Partizipation der Migrant/innen geschaffen hat, denn noch immer behandelt er auch lange ansässige Migrant/innen als „Gäste“. Sie fordert entsprechend, die politischen Voraussetzungen für mehr Partizipation von Migrant/innen zu schaffen – eine Forderung, die auch im Jahr 2013 nichts an ihrer Aktualität verloren hat, denn selbst das kommunale Wahlrecht ist für Nicht-Eropäer/innen, anders als in den skandinavischen Staaten, noch nicht eingeführt worden. Diese Politik hat dazu beigetragen, dass auch Migrant/innen mit deutscher Staatsbürgerschaft meist nicht als gleichwertige Bürger wahrgenommen werden. Unkonventionelle Formen der politischen Beteiligung im engeren lokalen Umfeld bleiben damit für Migrant/innen, und vor allem für ausländische Staatsbürger, meist die einzige Möglichkeit der Teilhabe. An dieser Stelle soll betont werden, dass sich der Gedanke der „Partizipation“ von dem im Kontext der „Einwanderungsgesellschaft“ überwiegend verwendeten Begriff der „Integration“ grundsätzlich unterscheidet. „Partizipation“ liegt das Menschenbild des mündigen Individuums zugrunde, während „Integration“ als politische Strategie bezeichnet werden kann, die sich staatlicherseits an jene richtet, die 4

Versammlungs-, Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit sowie Freizügigkeit, Berufsfreiheit und Auslieferungsverbot sind Rechte mit einem sogenannten „Deutschen-Vorbehalt“, d.h. Nicht-Staatsbürger/innen können diese Freiheitsrechte nicht in vollem Umfang in Anspruch nehmen. Ausländer/innen steht in Deutschland nach Artikel 5 des Grundgesetzes das Recht auf freie Meinungsäußerung zu (vgl. Leutheusser-Schnarrenberger 2001, S. 34). Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) war von 1992 bis 1996 und von 2009 bis 2013 Bundesjustizministerin.

5

Seit den Verträgen von Maastricht 1992 und der Einführung der Unionsbürgerschaft sind EU-Bürger/innen Nationalstaatsbürger/innen in wichtigen Punkten wie Freizügigkeit und kommunalem Wahlrecht gleichgestellt. Dies bewirkte eine Hierarchisierung der Migrant/innen in (teils wahlberechtigte) EU-Bürger/innen und (nicht wahlberechtigte) NichtEU-Bürger/innen. Das Grundgesetz „zementiert“ bis heute den „Gaststatus“ der nichtdeutschen (bzw. der nicht-europäischen) Migrant/innen, obwohl mittlerweile die vierte Migrantengeneration in Deutschland heranwächst, vgl. Leutheusser-Schnarrenberger 2001, S. 36f.

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als (noch) nicht zugehörig zur Gesellschaft definiert werden. Gegenwärtig sind außereuropäische Migrant/innen und vor allem Muslim/innen die Objekte staatlicher Integrationspolitik. Die Integrationsdebatte verfolgt den Ansatz, dass Deutschsein an einen Idealtypus des europäisch-christlich sozialisierten, weißen, möglichst akademisch gebildeten Bürgers gebunden ist, der für Deutsche jedoch auch nicht gilt. Nach Habermas (2001) handelt es sich bei Integrationspolitik denn auch um einen Zwei-Ebenen-Prozess: Auf der ersten Ebene wird von den Immigrant/innen die „Zustimmung zu den Prinzipien der Verfassung“ erwartet; auf der zweiten werde die „Bereitschaft zur Akkulturation“ verlangt, „d.h. nicht nur zur äußeren Anpassung an, sondern zur Einübung in die Lebensweise, in die Praktiken und Gewohnheiten der einheimischen Kultur, das bedeutet eine Assimilation […]“ (Habermas 1997, S. 183). Als ein Beispiel können sowohl die verpflichtenden Integrationskurse für Neuzugewanderte wie auch die Einwanderungstests in Baden-Württemberg und Hessen genannt werden, die im Jahr 2006 eingeführt wurden. Die Fragebögen wurden in der Öffentlichkeit auch als „Gesinnungstest“ oder „Muslimtest“ bezeichnet, weil sie implizit nicht nur das Bekenntnis der (vor allem muslimischen) Migrant/innen zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung, sondern auch zu bestimmten (als „westlich“ bzw. „christlich“ bezeichneten) Werten einfordern. An die Mehrheitsgesellschaft wird dadurch das Signal gesendet, dass weiterhin an der „Fiktion einer homogenen Nationalkultur“ festgehalten wird (Schiffer 2010). Dadurch wird das Bild des nicht-integrierten bzw. schlecht-integrierbaren Migranten konstruiert, der vorwiegend aus dem Nahen und Mittleren Osten stammt. Chancenungleichheit, Armut und mangelnder Zugang zu Ressourcen wie Bildung und Arbeit werden dabei meist ausgeblendet. Häufig werden diese Migrant/innen als „Integrationsverweigerer/in“ bezeichnet, wobei die eigentlichen Ursachen für die Nicht-Teilnahme an Integrationskursen wie lange Wartezeiten, überfüllte Kurse oder die Zulassungssperre des Bundes für freiwillige Teilnehmer/innen unerwähnt bleibt (vgl. Der Tagesspiegel, 12.10.2010; Der Tagesspiegel,08.09.2010; Bade 2010). In der theoretischen wie der politischen Auseinandersetzung ist umstritten, inwieweit die kulturelle Integration/Assimilation und damit die weitgehende Aufgabe der Herkunftskultur und -identität neben der Systemintegration und der sozialen Integration das Ziel der Politik sein darf und sein sollte. Medien, Migration, Integration Dennoch wird das oben dargelegte Verständnis von Integration in einem Teilbereich der Kommunikationswissenschaft aufgegriffen. Medien werden dabei als Mittel der Integration von Migrant/innen betrachtet: Demnach stellt “mediale Integration“ als „politisch-normatives Konzept“ einen „humanen Mittelweg zwischen Assimilation und Segregation“ dar, was im Nationalen Integrationsplan (NIP) und im Nachfolgeprojekt NAP als Querschnittsthema der Medienunternehmen verankert

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wurde (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 2007 und 2011, S. 320f; Geissler/Pöttker 2005, 2009; Geissler 2010). Das Konzept der medialen Integration enthält u.a. „bestimmte Vorstellungen darüber, wie sich die Integration der Migranten vollziehen soll und welche Rolle dabei die Massenmedien wahrzunehmen haben.“ (Geissler 2010, S. 9). Der damit verbundene Begriff der „Ethnomedien“ für die Medien der Migrant/innen erscheint angesichts der kulturellen Globalisierung und der Konvergenz der Medien überholt – insbesondere aufgrund des hegemonialen Anspruchs sowie der essentialistischen Vorstellung von der Einheit-inVerschiedenheit als leitendem Grundsatz (vgl. Lünenborg et.al. 2011, S. 21) Dieser fordert u.a. die einheitliche Verwendung der Sprache der Mehrheitsgesellschaft in den Medien (Einheit) und geht von einer grundsätzlichen kulturellen Differenz der Migrant/innen, basierend auf ihrer Ethnie aus, die ausgelebt werden darf (Verschiedenheit), „soweit diese nicht mit dem Pol der Einheit kollidiert“ (Geissler 2010, S. 9). Es ist begrüßenswert, dass die Politik das Thema Vielfalt bzw. Diversity in den Medien und Integration auf die Agenda hebt, weil Massenmedien für den Themenbereich Migration eine wichtige Vermittlungsfunktion übernehmen, wie noch zu präzisieren sein wird.6 Vor dem Hintergrund bestehender Bedingungen ist dies überfällig (vgl. Exkurs II). Allerdings kann die Politik das Thema nur anstossen und die Medien zu Selbstverpflichtungen anregen, Teilhabemöglichkeiten für Einwanderer und Einwanderinnen zu verbessern. Die finnische Kommunikationswissenschaftlerin Horsti und ihre schwedische Kollegin Hultén wiesen in ihrer Studie zur Diversity Politik in europäischen öffentlich-rechtlichen Rundfunksendern in diesem Zusammenhang nach, dass konkurrierende Interessen zwischen dem Auftrag, Vielfalt abzubilden mit den Anforderungen des Marktes kollidieren, so dass sich die ökonomische Entscheidung für die Mehrheit zu senden zumeist durchsetzt (Horsti/ Hultén 2010, S.1). Damit verkommt die Vielfaltssicherung in den Medien zu einem „ornamental multiculturalism“, zu einer nur oberflächlichen Scheinvielfalt (Lugones/ Price 1995, S. 105). Diese feiert vielleicht die Varietät der Speisen, der Musik, der Kunst oder Literatur, unterminiert aber Vielfalt verstanden als Pluralität, in dem diese dem herrschenden politischen und ökonomischen System einverleibt wird, ohne es beeinflussen zu können. So bleiben Normen und soziale Hierarchien, die in und durch Medien vermittelt werden weitgehend unverändert bestehen. Das Konzept der Integration der Migrant/innen argumentiert somit aus der dominanten Perspektive der Mehrheitsgesellschaft. Es suggeriert das Vorhandensein einer mehr oder weniger homogenen sozialen Gruppe, die sich ihr gegenüber passiv bzw. ablehnend verhält und nun in gesellschaftliche Kommunikationsprozesse zu 6

Mecheril versteht Diversity als ein „Prinzip organisatorischer Führung und Lenkung“ von Vielfalt (vgl. Mecheril 2007a, S. 1 und 3).

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integrieren ist. Demnach perpetuiert das Konzept die Repräsentationsdefizite der Medien, denn Medien stellen Migrant/innen „vielfach als entindividualisierte und anonyme Masse“ dar (Hafez 2004, S. 73). Wie schon mittels der „Gastarbeitersendungen“ (Brücke zur Heimat, Zurückdrängung diktatorischer Heimatregime) werden Medien wiederum als strategisches Mittel eingesetzt, mit welchen politische Ziele („Integration“) durchgesetzt werden sollen, wobei das, was unter Integration verstanden wird, vor allem von einem Elitendiskurs bestimmt wird. Ob sich allerdings auf dieser Grundlage eine wirkliche Vielfalt des Meinungsspektrums und die Partizipation der Migrant/innen erreichen lassen bzw. ob diese überhaupt politisch erwünscht wird, ist fraglich. Maletzke hatte die „gesellschaftliche Integrationsfunktion“ des Rundfunks proklamiert (Maletzke, 1980). Doch der gegenwärtige Stand der Forschung lässt im Hinblick auf Mediendiskurse keineswegs exakte Aussagen zum Integrationsvermögen der Medien in Bezug auf Migrant/innen zu. Hinsichtlich der Integration schreibt Hafez (2005, S. 176) Medien unterschiedliche Wirkungspotentiale zu. Sie können sich erstens auf die staatsbürgerliche Integration (Systemintegration, politische Teilhabe) auswirken, zweitens auf die soziale Integration (Bildung, Arbeitsmarkt etc.) sowie drittens auf die kulturelle Integration (Identitätsbildung, transkulturelle Milieus). Diese drei Potentiale haben sowohl eine strukturelle wie auch eine individuelle Dimension. „Insgesamt kann man sagen, […] dass in dem Maß, wie die Mediendiskurse über Einwanderer zwischen Inklusions- und Exklusionstendenzen schwanken, auch die Wirkungspotenziale der Medien in unterschiedliche Richtungen weisen.“ (Hafez 2004, S. 78f.)

Demnach können Massenmedien auf die staatsbürgerliche Integration (Systemintegration), die soziale Integration sowie die kulturelle Integration/Identifikation wirken, sie können jedoch auch bestehende Rassismen und Exklusionsmechanismen verstärken. Morley (2001) zweifelt die Integrationsfunktion der Medien hinsichtlich Migrant/innen an, weil den Massenprogrammen des Rundfunks eine Ideologie von nationaler Zugehörigkeit eingeschrieben ist, die jene ausgrenzt, die sich außerhalb dieses speziellen kulturellen und linguistischen Rahmens verorten, bzw. dort verortet werden. Welche Zielrichtungen hinter der Forderung nach mehr Vielfalt in den Medien stehen, ist im Einzelfall zu bewerten. Zum einen können dahinter gleichstellungspolitische Ziele stehen, also gleiche Medienzugänge zu fördern und Diskriminierungen in und durch Medien aufgrund von Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft, Religion etc. zurückzudrängen, mit dem Ziel, die Selbstorganisation dieser Gruppen durch Partizipation zu stärken und etwa Migrant/innen in den Medien aktiv zu fördern – einer an ethischen, demokratie- und menschenrechtspolitischen theoretischen Implikationen anschlussfähige Zielsetzung. Zum anderen ist mit der Steigerung kul-

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tureller Vielfalt bzw. Diversity nicht selten eine Verknüpfung integrationspolitischer Maßnahmen, wie das Konzept der „medialen Integration“ verdeutlicht, mit der marktkonformen Imageverbesserung und Steigerung der Attraktivität eines Senders verbunden.7 Schließlich sehen öffentlich-rechtliche Sendeanstalten einen ökonomischen Nutzen darin, neue Zielgruppen an sich zu binden, was aufgrund der steigenden Bevölkerung mit Migrationshintergrund in Deutschland als dringlich bewertet wird. Der Integrationsbeauftragte des WDR, Gualtiero Zambonini, fordert Diversity „im Sinne einer Existenzsicherung unserer Medien. Denn das ist wirklich eine existenzielle Frage“ (Zambonini 2006, S. 279). Ob ökonomische Ziele mit Partizipationsgewinnen für Migrant/innen in den Medien zu verbinden sind bleibt fraglich. Partizipation und die öffentliche Funktion der Medien Wie oben angedeutet, wird das Sich-Informieren über Politik anhand von Medien im weiteren Sinne als politische Partizipation gewertet. Medien übernehmen damit die Informationsverbreitung und weisen dem Bürger die Rolle des Konsumenten zu, was durchaus kritisch gesehen wird.8 „Die Frage nach dem Nutzen der Medien für den Bürger im Zusammenhang mit dessen Grundrecht auf politische Partizipation bzw. auf Mitwirkung und Wirkung in der Demokratie wird bis auf wenige Ausnahmen nur aus der Sicht der rezeptiven Benutzung der Medien durch die Bürger behandelt“ (Vogel 1991, S. 34).

Partizipation in Zusammenhang mit Medienproduktion stößt gegenwärtig auf wachsendes Interesse der medien- und kommunikationswissenschaftlichen Forschung, insbesondere auf internationaler Ebene (vgl. Carpentier/de Cleen 2008). Dabei werden in demokratietheoretischer Perspektive zunächst Fragen erörtert, wie Bürger/innen, also nicht in Medienberufen arbeitende Laien, mittels Medien an der öffentlichen Debatte teilnehmen können, um das zivilgesellschaftliche Potential der Medien „zurückzugewinnen“ (vgl. Cammaerts/Carpentier 2007). In Zusammenhang mit Migration übernehmen Medien die wichtige Funktion, Erfahrungen zu vermitteln, die über die unmittelbare „Nahwelt“ hinausweisen (vgl. Maletzke 1996, S. 120f). Sie sollen dazu dienen, mehr über Geschehnisse in fernen

7

Zur Bedeutung des marktökonomischen und des gleichstellungspolitischen Diversity-

8

Bezogen auf das Sich-Informieren über Medien sind die Rezipient/innen allerdings nicht

Begriffs s. Krell/Sieben (2010), S. 46-47. zur passiven bzw. affirmativen Aufnahme des medial Dargebotenen „verdammt“ – Rezeption wird von Stuart Hall (1999) als höchst aktiver Prozess beschrieben. Die Mediennutzer/innen können folglich auch aus einer kritischen Perspektive Anteil nehmen und eigene oder widerständige „Lesarten“ entwickeln.

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Ländern zu erfahren, aber auch über die Lebenswelten der Migrant/innen und mehrfach pluralisierte Milieus im eigenen Land. In Massenmedien wie Presse und öffentlich-rechtlichem Rundfunk übernehmen Medienprofis die Rolle der Gatekeeper, die auf der Basis von Selektionsprozessen nur solche Nachrichten an die Öffentlichkeit weiterreichen, die für eine (angenommene) Allgemeinheit interessant erscheinen. Die zivilgesellschaftliche Einflusssphäre hält sich dabei in engen Grenzen. Das Bundesverfassungsgericht hebt die staatspolitische Bedeutung des Rundfunks (Radio und Fernsehen) hervor (vgl. Bleicher 2001, S. 502). Der öffentlichrechtliche Rundfunk hat demnach einen besonderen Programmauftrag zu erfüllen, der über die Sicherstellung einer „Grundversorgung“ der gesamten Bevölkerung mit Information, Kultur, Bildung und Unterhaltung hinaus auch einen spezifischen Auftrag in Zusammenhang von Einwanderung enthält, wie auch die European Broadcasting Union (EBU), der europäische Verband der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, in ihrem Diversity-Toolkit hervorhebt: „Als öffentlich-rechtliche Sendeanstalten haben wir den Auftrag, die kulturelle Vielfalt im Dienste der gesamten Bevölkerung zu fördern und die kulturelle, ethnische und sprachliche Vielfalt der Gesellschaft sorgfältig wiederzugeben, sowohl inhaltlich als auch personell“ (European Union Agency for Fundamental Rights 2008, S. 6).

Massenmedien sollen das kulturelle Leben in seiner Bandbreite repräsentieren und die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen übereinander informieren. Nicht zuletzt wird Medien eine (soziale) Orientierungsfunktion zugeschrieben (Ronneberger 1971), was für Migrant/innen eine doppelte Bedeutung erlangen kann, die sich in einer neuen Gesellschaft erst zurecht finden müssen. Doch gerade in Hinblick auf die Berichterstattung im Kontext von Einwanderung hat die Forschung auf bestehende Defizite journalistischer Selektionsprozesse wie negative Medienbilder von Migrant/innen hingewiesen (Hafez 2001c; Schiffer 2005; Hafez und Richter 2007). Einseitige, stereotype und kulturrassistische Berichterstattung in den Medien erschwert die gleichberechtigte Medienbeteiligung von Einwanderern (vgl. Hafez 2009, S. 112-113). Es sind zwar Anstrengungen für mehr Vielfalt auch hinsichtlich fiktionaler Inhalte erkennbar, doch bleibt ein breites Spektrum an Meinungen und Erklärungsmustern im Zusammenhang von Einwanderung in den Medien unberücksichtigt, so dass eine „hegemoniale Bildungselite einen großen, wenn nicht gar bestimmenden Einfluss“ auf das Bild der Migrant/innen, vor allem solchen aus überwiegend islamischen Ländern, hat (Hafez 2009, S. 112; vgl. Balibar 1989; s. auch Exkurs II). Auch die Nicht-Berücksichtigung und das Ausblenden von Einwanderergruppen ist ein Problem, weil Migrant/innen dadurch in der Öffentlichkeit als nicht relevant erscheinen. David Morley (2001) konstatiert in seiner Studie, dass öffent-

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lich geförderte Massenprogramme wie die britische BBC, die „Mediennation“ versammeln – das Programm liefert ein Bild der Nation, aus dem Einwanderer häufig ausgeschlossen sind. Gleiches gilt für Medienproduktionsprozesse und die medienpolitische Mitgestaltung (s. Exkurs I). Die medialen Selektionsprozesse definieren somit Migrant/innen als nicht-zugehörig zur Allgemeinheit, die auf der Basis nationaler Zugehörigkeit konstruiert wird. Mit dem Aspekt der Deutungsmacht im öffentlichen Diskurs, der damit angesprochen ist, stellt sich in einem Teilbereich auch die Frage, welche Selbstbilder Migrant/innen, konstruieren können (vgl. Röben 2008). Eine Subgruppe bilden Frauen als Produzentinnen von Medieninhalten, die aus überwiegend islamischen Ländern wie dem Iran stammen. Die kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung, geht zunächst grundsätzlich davon aus, dass Geschlecht als sozial-diskursive Konstruktion (doing gender) auch in den Massenmedien und im Journalismus eine gewichtige Rolle spielt, welche wiederum „kulturelle Formen“ des Denkens und Handels verfestigt (vgl. Klaus 2005, S. 62). So hat die Kategorie Geschlecht erheblichen Einfluss auf Geschlechterbilder und geschlechtergebundene Rezeptionsweisen in den Medien. Frauen in deutschen Massenmedien wie der Presse werden beispielsweise auf wenige stereotypisierte Rollen reduziert (Lünenborg et. al 2011). Im Fernsehen sind sie sowohl auf dem Bildschirm als auch in den Organisationsstrukturen generell unterrepräsentiert (Klaus 2005, S. 215-295). Auch das Arbeitsumfeld und die Berufsrolle von Journalistinnen wird davon beeinflusst, die sich in einem „Männerberuf“, der durch Außenorientierung und Dominanzverhalten geprägt ist, behaupten müssen (Klaus 2005, S. 151-206). Alternative Medien können hier eine wichtige Ergänzungsfunktion übernehmen, in dem sie marginalisierten Bevölkerungskreisen die Möglichkeit bieten eigene Teil-bzw. Gegenöffentlichkeiten zu gestalten. Vogel (1991, S. 23) entwickelte auf der Grundlage unterschiedlicher Ansätze ein Beteiligungsschema, das zwischen Akteuren auf der einen und Publikum auf der anderen Seite unterscheidet. Erstere haben aktiv an öffentlichen Entscheidungsprozessen teil – sie entscheiden mit. Ihre Handlungen können unterschiedliche Ausprägungen von Beteiligung aufweisen. Vogel differenziert zwischen Autonomie (Unabhängigkeit gegenüber anderen), Selbstbestimmung (eigene Entscheidungskompetenz), Mitbestimmung (gleichranginge Mitwirkung an Entscheidungen), Mitwirkung (nicht gleichrangige Beteiligung), Teilhabe (Teilhaber der Gestaltung) und Teilnahme (bloße Einwirkung auf Entscheidungsprozesse). In diesem Ansatz lassen sich jedoch einige Beteiligungsformen nicht trennscharf voneinander unterscheiden, so bilden Selbstbestimmung und Teilhaberschaft durchaus Schnittmengen. Folglich wird zur Analyse der Medienbeteiligung von Migrant/innen in Offenen Kanälen das komprimierte grundlegende Begriffsinstrumentarium von Carpentier/Cammaerts (2007) verwendet. Die Autoren fordern eine Demokratisierung der Medien.

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„In the maximalist model, democracy is seen as a more balanced combination of representation and participation, and the political is considered a dimension of the social […], which can be operational in the sphere of political, decision-making but also in other societal spheres – such as the economy, culture, and media, to name but a few“ (Carpentier/de Cleen, 2008, S. 3).

Carpentier/Cammaerts (2007) kritisieren in diesem Zusammenhang angesichts einer vermeintlich wachsenden Zahl partizipativer Medien, dass manche Beteiligungsformen in Zusammenhang mit Medien unzutreffenderweise als Partizipation bezeichnet werden, denn „[p]articipation is not the same as access and interaction“ (Carpentier 2011, S. 27).9 Demnach können drei Formen der Medienbeteiligung unterschieden werden, die qualitative Unterschiede der Medienbeteiligung definieren: (1) Medienpartizipation wird als die volle Beteiligung an einem betreffenden Medium verstanden (vgl. Carpentier 2011; Pateman 1970, S. 71). Es geht dabei um Formen der Autonomie, die dann gegeben sind, wenn die Inhaltsproduktion mit der gleichberechtigten Beteiligung an technischen, Steuerungs- und Kontrollstrukturen eines Mediums einhergeht. Partizipationsmöglichkeiten sind überwiegend in Alternativen Medien auf einer Mikro-Ebene der Öffentlichkeit vorhanden, die das Wechseln der Rolle von Sender/in und Rezipient/in ermöglichen. Sie können Bedingungen dafür schaffen und stärken, Beteiligungsmöglichkeiten auch auf einer Meso- und Makro-Ebene zu erkennen und wahrzunehmen (vgl. Kleinsteuber 2004a; Bailey/Cammarts/Carpentier 2008, S. 11). Zunächst unorganisierte Interessen können sich auf diese Weise formieren, ihre Vorstellungen und Bedürfnisse artikulieren und gegebenenfalls in den politischen Prozess einbringen (vgl. Jarren 1984, S. 82). Auf einer zweiten Ebene trägt Medienpartizipation zur Etablierung von Medienkulturen bei, die „per Definition“ als translokale Phänomene verstanden werden können (Hepp 2009, [8]). (2) Medienzugang (access) beschränkt sich auf die Präsenz der Bürger/innen in einem Medium. Medienzugang kann auf vier verschiedenen Ebenen möglich sein: Präsenz in der Technik, der Inhaltsproduktion, dem Mitarbeiterstab und der Organisation. Koopmans (2004) geht davon aus, dass der Medienzugang „diskursive Partizipation“ ermöglicht, also die Beteiligung an öffentlichen Diskursen durch oder mittels Medien. Da es sich bei dem Medienzugang jedoch um eine Teil-Partizipation handelt, haben Beteiligte meist nur beratende Funktion bei der Organisation und Steuerung des Mediums. Präsenz bedeutet keine Macht zu haben, an bestehenden Bedingungen etwas ändern zu können, weil die Entscheidungsgewalt einem 9

Die Autoren betrachten dies als ideologischen Prozess, der eine „radikalere“ Bedeutung des Konzepts, die direkte Teilhabe der Bürger/innen an Entscheidungsprozessen, geschwächt hat, vgl. Cammaerts/Carpentier 2007, S. 87.

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übergeordneten Management obliegt (vgl. Pateman 1970, S. 70f.). Dies wirkt sich auf die Gestaltung der Medieninhalte bzw. auf das Programm ebenso aus wie auf Einstellungs- und Arbeitsbedingungen in dieser Medienorganisation. Die Bedingungen der diskursiven Partizipation können jederzeit von einer übergeordneten Instanz geändert werden. (3) Die Interaktion der „Bürger/innen“ mittels Medien zielt auf die kommunikativen und sozial-kulturellen Dimensionen des produktiven Medienhandelns. Die Beteiligung an der Medienorganisation selbst ist hier in jeglicher Form ausgeschlossen (vgl. Carpentier 2011, S. 28-30). Medieninteraktion ermöglicht es u.a., mittels Medien Beziehungen zu pflegen und Netzwerke zu knüpfen oder – wie im Falle diasporischer Medien – Anschluss an symbolische Gemeinschaften über Nationen- und Kulturgrenzen hinweg zu erlangen (vgl. Hepp et al. 2011). Damit ist vor allem der Aspekt der Teilnahme angesprochen, die häufig spontan geschehen kann. Zudem sind Teilnehmer „austauschbar: Der Veranstalter [eines Mediums, einer TV-Sendung etc., CH.] braucht nur irgendeinen oder irgendwelche Teilnehmer…“ (Vogel 1991, S. 49). Am Endpunkt aller drei Formen von Medienbeteiligung steht vor allem Sichtbarkeit, sei es im Sinne sozialer Anerkennung als Subjekt im Nahbereich (intervisibility), sei es, dass die eigene Stimme an breiteren öffentlichen Debatten auf einer Meso und Makro-Ebene wahrgenommen werden kann (visbility) (vgl. Dahlgren 2011, S. 98). In Hinblick auf eine Untersuchung der lokal/regional sendenden Offenen Kanäle ist die Unterscheidung zwischen Nahbereich (lokale/regionale Medienbeteiligung) und Makro-Ebene (Beteiligung an Massenmedien) wichtig, weil sie erste Hinweise auf die unterschiedlichen Funktionen der Sichtbarkeit – soziale Anerkennung auf der einen Seite und Beteiligung an breiteren öffentlichen Debatten auf der anderen – liefert. Kleinräumige Artikulations- und Kommunikationsmittel können dabei zwar die mangelnden Beteiligungsmöglichkeiten der Migrant/innen in Massenmedien partiell ausgleichen und durch Einbeziehung ihrer (trans-)kulturellen Konnektivitäten zur Pluralisierung von Öffentlichkeiten beitragen. Dies erklärt auch, warum alternative Medienmodelle zunehmend in den Fokus der wissenschaftlichen Forschung rücken, denn sie ermöglichen über den rezeptiven Umgang mit Medien hinaus die selbständige Medienproduktion und –verbreitung. Andererseits darf ihr politisches Einflusspotential nicht überschätzt werden, das naturgemäß begrenzt bleibt. Wenn Medien und Öffentlichkeit die zentralen Repräsentationsräume unterschiedlicher Interessen und Meinungen sind, so ist es von politischer und kultureller Relevanz, wer auf welche Weise in welchem Medium beteiligt ist und wer ausgeschlossen bleibt. Eine verstärkte Medienbeteiligung von Migrant/innen in den Massenmedien und damit eine Pluralisierung der Perspektiven erhält gerade vor dem Hintergrund der Berichterstattung über den so genannten Karikaturenstreit (2006)

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oder der zehnjährigen Mordserie an Migranten durch Rechtsterrorist/innen in Deutschland (2011) eine besondere Dringlichkeit. Welche Möglichkeiten der Medienbeteiligung bestehen nun im „Einwanderungsland“ Deutschland für die Bürger/innen? Aufgrund der festgefügten Organisationsstruktur von (deutschlandweit verfügbaren) Massenmedien mit starker Meinungsbildungsfunktion wie Presse und Rundfunk ist es den Bürger/innen kaum möglich, dort Gehör zu finden, ihre direkte Partizipation an Entscheidungsprozessen ist nicht gegeben. Wenige ausgewählte Bevölkerungsgruppen werden durch Gremienvertreter/innen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk repräsentiert. Medienzugänge sind lokal begrenzt in Offenen Kanälen und nicht-kommerziellen Radios und Medieninteraktion ist etwa in sozialen Netzwerken im Internet möglich. Insbesondere für die eingewanderte Bevölkerung stehen bislang nur unzureichende Beteiligungsmöglichkeiten im Mediensystem offen, wie am Beispiel des öffentlichrechtlichen Rundfunks deutlich wird (Exkurs II). Die wenigen, erst in jüngster Zeit mit staatlicher Förderung gegründeten Initiativen, können als Fortschritt angesehen werden. Ob sie die Medienbeteiligung von Migrant/innen und die zugrunde liegenden Strukturen maßgeblich verbessern helfen, ist noch offen.10 Im Folgenden werden nun solche theoretischen Ansätze näher betrachtet, die zur theoretischen Konzeption der Medienbeteiligung von Migranten und Migrant/innen bedeutsam sind.

2.2 M ASSENMEDIEN : PARTIZIPATIONSTHEORETISCHE K ONZEPTE UND F UNKTIONEN Im Anschluss an die vorangestellten Grundüberlegungen wird nun in unterschiedlichen theoretischen Ansätzen die gesellschaftspolitische Bedeutung der Medienpartizipation von (eingewanderten) Bürger/innen präzisiert. Eingeleitet wird dieser Abschnitt zunächst mit den beiden „klassischen“ Ansätzen, nämlich Berthold Brechts Radiotheorie sowie Enzensbergers „Baukasten der Medien“. Beide Konzepte werden mit der partizipativen Medienpraxis im nichtkommerziellen Rundfunk und den Offenen Kanälen in engen Zusammenhang gebracht (vgl. Wimmer 2007, S. 172). Es ist jedoch zu betonen, dass ein Theoriefundament des Offenen Kanals auf der Grundlage dieser beiden Autoren erst entstanden ist, nachdem die ersten wissenschaftlichen Arbeiten zum Offenen Kanal erschienen waren (s. dazu auch Kapitel 4). Im Anschluss wird die Partizipationstheorie nach Habermas mit kritischen An-

10 Als ein Beispiel sollen hier die „Neuen Deutschen Medienmacher“, eine Interessenvertretung von Journalisten und Medienschaffenden mit „Migrationshintergrund“ sowie der „Mediendienst Migration“ benannt werden.

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sätzen konfrontiert, welche zu ihrer Öffnung und letztlich Weiterentwicklung in Hinblick auf die multikulturelle Gesellschaft beigetragen haben. Der darauffolgende Abschnitt fragt nach den Formen und Funktionen alternativer Medienkonzepte im Migrationskontext und zeigt auch Grenzen auf. Am Ende des Kapitels wird anhand eines zweiten theoretischen Strangs der kulturwissenschaftlich geprägten Kommunikationswissenschaft erörtert, welche Bedeutung die Medienbeteiligung von Migrant/innen für die gemeinschaftliche Sinnproduktion und die Gestaltung von Medieninhalten hat. 2.2.1 Bertolt Brechts Radiotheorie Die Überlegungen des Dramaturgen Bertolt Brecht zur Partizipation am Medium Radio zielen auf die gesellschaftspolitische Bedeutung elektronischer Medien. In seinem radiotheoretischen Text „Der Rundfunk als Kommunikationsapparat“ von 1932 fordert er individuelle Partizipationsmöglichkeiten in dem damals „neuen Medium“. Die „wahre [ ] Bedeutung des Rundfunks“ (Wimmer 2007, S. 168) sieht Brecht nicht in seiner ästhetischen Funktion, d.h. in einer bloßen Verschönerung des öffentlichen Lebens, sondern in seiner partizipativen Funktion: „Der Rundfunk ist von einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln. Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, das heißt, er wäre es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen“ (Brecht 1967, S. 129).

Die „Radiotheorie“ liefert in ihren Ausführungen konkrete Vorschläge zur „Umfunktionierung des Rundfunks“ (ebd.). Zunächst wäre es daran, „den Hörer als Lieferanten [zu] organisieren“ (ebd.) – damals vor dem Hintergrund des staatlichen Rundfunkmonopols eine geradezu kühne Forderung. Die Trennung zwischen Sender und Rezipient sei aufzuheben und dadurch die Gleichberechtigung von beiden herzustellen. Brecht sieht den Rollenwechsel von Sender und Hörer vor allem als Beitrag zur Modernisierung und Demokratisierung des Staates. Dazu müsse der Rundfunk „den Austausch“ zwischen Regierenden und der Gesellschaft „ermöglichen“ (ebd., S. 130). Es geht ihm demnach darum, die Funktion der „Rückmeldung“ im Rundfunkwesen zu etablieren und vertikale Kommunikationsströme zwischen Bürger und Staatsapparat in beide Richtungen zu ermöglichen. Vor allem die „Folgenlosigkeit“ (ebd.) der Kultur wird kritisiert. Demgegenüber fordert Brecht die Handlungsaktivierung des Hörers, die zugleich Lernprozesse ermöglicht und „die als Ziel die Veränderung der Wirklichkeit hat“ (ebd., S. 131). Demnach konzeptualisiert Brecht den Hörer als Bürger, der mit Hilfe des Mediums

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am Prozess der Demokratisierung mitwirkt. Nicht der reine Konsum des Massenmediums Radio erscheint Brecht erstrebenswert, sondern vernetzte Kommunikationsstrukturen. Brechts Radiotheorie will weniger die bestehenden Verhältnisse erklären, als dass sie die Utopie eines künftigen Radiogebrauchs und damit einer anderen, demokratischeren Gesellschaft entwirft. Sie gilt mithin auch zu Recht als „klassische Gründungsforderung einer partizipativen Medienstruktur und einer netzartigen Distributionsstruktur“ (Wimmer 2007, S. 168). Im Hinblick auf die Medienbeteiligung von Migrant/innen kann aus Brechts Vorstellung des Rollenwechsels vom Konsument zum Produzent von Medieninhalten die Funktion abgeleitet werden, dass Migrant/innen vom Objekt in den Medien zum Subjekt werden. Durch die selbstständige öffentliche Artikulation ihrer Interessen kann dadurch ein Gegenentwurf zur ansonsten selektiven Berichterstattung im Zusammenhang von Migration entstehen, der möglicherweise für politische Entscheidungen zur wichtigen Informationsquelle werden kann. 2.2.2 Emanzipatorischer Mediengebrauch Im Jahr 1970 greift der Schriftsteller und Essayist Hans Magnus Enzensberger in seinem Buch Baukasten zur Theorie der Medien das von Brecht herausgestellte emanzipatorische Potenzial der elektronischen Medien auf. Darunter versteht Enzensberger zu allererst die selbstständige Medienproduktion durch die Bürger/innen, weshalb sein Ansatz im Rahmen dieser Arbeit berücksichtigt wird. Enzensberger formuliert den emanzipatorischen Mediengebrauch als Gegenentwurf zu den Massenmedien: 11 Während ersterer die Selbstorganisation in der Gemeinschaft und das politische Bewusstsein der Teilnehmerinnen fördert, isoliert das zentral gesteuerte Programm der Massenmedien die Individuen voneinander und führt in eine passive Konsumkultur. Der emanzipatorische Mediengebrauch zeichnet sich vor allem durch Dezentralisierung der Programme und Sender sowie die politische Aktivierung des Publikums aus. Die Zurichtung des modernen Menschen durch die Kommerzialisierung der Medien, seine Degradierung zum Konsumenten und damit die Entfremdung von seiner Umwelt durch den Medienkonsum, so meint Enzensberger, zementierten die bestehenden Herrschaftsverhältnisse, weil die Selbstorganisation der Bürger durch die Konsumentenhaltung verhindert werde. Enzensberger sieht demgegenüber in den „neuen“ elektronischen Medien, damals vor allem das entstehende Kabel- und

11 Emanzipation, verstanden im Sinne „einer selbstbestimmten (weil aufgeklärten) Befreiung aus einer (in der Regel nicht selbst verschuldeten) Unmündigkeit“, Burkart 2002, S. 470. Für Migrant/innen – so kann ergänzt werden – steht dieses Verständnis unter den Bedingungen der Migrationssituation.

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Satellitenfernsehen, Video-Rekorder und Computer, die Chance zu einem egalitären Mediengebrauch und damit zu erweiterten gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten. Die „mobilisierende Kraft“ der elektronischen Medien entdeckt er in der technischen Möglichkeit der „Wechselwirkung zwischen Sender und Empfänger“ (Enzensberger 1981, S. 24). „Ein solcher Gebrauch brächte die Kommunikationsmedien, die diesen Namen bisher zu Unrecht tragen, zu sich selbst. In ihrer heutigen Gestalt dienen Apparate wie das Fernsehen oder der Film nämlich nicht der Kommunikation sondern ihrer Verhinderung“ (ebd.).

Vor allem aus politischen Gründen sei die Möglichkeit des Feedbacks bisher verhindert worden, denn die „Differenzierung zwischen Sender und Empfänger […] beruht […] auf dem Grundwiderspruch zwischen herrschenden und beherrschten Klassen“ (ebd., S. 25). Die „kollektive Struktur“ der neuen Medien biete demgegenüber Chancen, die „Marktmechanismen“ aufzuheben, in welchen „der einzelne, solange er isoliert bleibt, […] allenfalls zum Amateur, nicht aber zum Produzenten werden kann“ (ebd., S. 32). Insofern enthält Enzensbergers Baukasten eine tiefer reichende Gesellschaftskritik auf deren Grundlage er „den politischen Kern der Medienfrage“ (ebd., S. 33) formuliert: Alle Empfänger/innen sollen zu Sender/innen werden, dies könne demokratische Kommunikationsflüsse begünstigen und jeder Einzelne werde an gesellschaftlichen Lehr- und Lernprozessen beteiligt, was freilich nur durch die „Selbstorganisation der Beteiligten“ gelingen könne (ebd., S. 34). Seine Forderungen nach Partizipation und Aktivierung von Lai/innen fasst Enzensberger schließlich in der Gegenüberstellung von repressivem und emanzipatorischen Mediengebrauch zusammen (ebd., S. 37) (s. Tabelle 10). Zentrale Argumente gegen den repressiven Mediengebrauch sind die zentralistische Produktion und Steuerung, die eine konsumeristische Haltung des Publikums verursacht.

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Tabelle 1: Repressiver und emanzipatorischer Mediengebrauch nach Enzensberger Repressiver Mediengebrauch

Emanzipatorischer Mediengebrauch

Zentral gesteuertes Programm

Dezentralisierte Programme

Ein Sender, viele Empfänger/innen

Jeder Empfänger, ein potenzieller Sender

Immobilisierung isolierter

Mobilisierung der Massen

Individuen Passive Konsumentenhaltung

Interaktion der Teilnehmer, Feedback

Entpolitisierungsprozess

Politischer Lernprozess

Produktion durch Spezialist/innen

Kollektive Produktion

Kontrolle durch Eigentümer/innen oder

Gesellschaftliche Kontrolle durch Selbst-

Bürokrat/innen

organisation (…)

Quelle: Enzensberger 1981, S.37.

Enzensbergers Erwartungen erscheinen aus heutiger Sicht insgesamt zu optimistisch, weil fraglich ist, ob Medien, über graduelle Veränderungen hinaus, zur Demokratisierung von Staaten und Mediensystemen beitragen können (vgl. Hafez 2005, S. 225). Welche Funktionen lassen sich nun mit der Medienbeteiligung von Migrant/innen in Offenen Kanälen verbinden? In der Migrationssituation erhält der Aspekt der Selbstorganisation durch Mediengebrauch besondere Bedeutung, weil zum einen die kommunikative Vernetzung der Community angeregt wird (vgl. Kosnick 2002). Zum anderen können wichtige Informations- und Diskursfunktionen erfüllt werden, wie unten näher ausgeführt wird (vgl. Lenk/Hilger/Tegeler 2001, S. 175). Für den Medienpädagogen Dieter Baacke kann emanzipatorischer Mediengebrauch aber nicht voraussetzungslos gelingen. Vielmehr setzt der aufgeklärte Umgang mit Medien Kommunikationskompetenzen voraus, die erlernt werden müssen. Dazu gehören ein kritisches und reflektiertes Verständnis für die eigene soziale, historische und kulturelle Situation (vgl. ebd. 317). Ohne eine Hinführung („Erziehung“) zu diesem aufgeklärten Verständnis ist eine „demokratisch-reflektierte Kommunikation“ seines Erachtens nicht möglich (ebd., S. 321). Das Emanzipationsziel ist die Selbstbestimmung. Diese muss im gemeinsamen Austausch mit anderen erfolgen, also durch Kommunikation. Partizipation am kommunikativen Handeln stellt somit eine „Basiskomponente menschlicher Existenz“ dar (ebd., S. 326). In der Gegenwart schließt dies auch medienpraktische Erfahrungen ein. Im Hinblick auf die Medienbeteiligung von Migrant/innen ist Baackes Vorstellung vom Fremdverstehen von besonderem Interesse für diese Arbeit. Er subsu-

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miert darunter u.a. die Decodierungsfähigkeit und das Verständnis (der Mehrheitsgesellschaft) für „die Probleme anderer sozialer Schichten“ sowie die „Kontaktfähigkeit mit Anderssprachigen“, wobei Fremdverstehen und Selbstverständnis in Hinsicht auf die eigene historisch-kulturelle Situation zusammengehören (ebd., S. 327). Diese noch relativ fragmentarische Idee des „Verstehen-Wollens“ wird später als wichtige Voraussetzung einer mehrfach pluralisierten Öffentlichkeit (multiethnic-public-sphere) unter anderem von Charles Husband weiterentwickelt (s. unten). 2.2.3 Habermas’ Öffentlichkeitsbegriff und seine Grenzen im Kontext der multikulturellen Gesellschaft Theoretische Erklärungsansätze zum Verhältnis zwischen Medienbeteiligung, Öffentlichkeit und Demokratie nach westlichem Muster werden von den Pluralismus-, Eliten- und Partizipationstheorien geliefert. Die Pluralismustheorie geht von der Annahme aus, dass gleichwertige Akteure in der Öffentlichkeit um politische Einflussnahme werben. Mit der Erkenntnis, dass soziale Macht ungleich verteilt ist, wurde diese Theorie falsifiziert (vgl. Habermas 1998 [1992], S. 401-402). Daraus entwickelte sich die Elitentheorie, welche demokratische Prozesse auf politische Wahlen, also auf die Auswahl des politischen Führungspersonals, beschränkte. Das politische System alleine kann jedoch nicht ausreichend sensibel auf die Interessen der Bevölkerung reagieren und die öffentliche Artikulation von „relevanten Bedürfnissen, latenten Konflikten, [...] nicht-organisationsfähigen Interessen usw. übernehmen.“ (Habermas 1998 [1992], S. 403). Öffentlichkeit wird in beiden Modellen vorwiegend als Publizität begriffen, so dass Medien als Schnittstelle der Interessengruppen, bzw. der politischen Eliten zum Demos begriffen werden. Medien übernehmen in diesen Denkmodellen außerdem die Funktion des Agenda Setting. Die Partizipationstheorie als drittes Modell unterscheidet sich vor allem aufgrund der Forderung nach mehr Partizipation der Zivilgesellschaft an der Meinungs- und Willensbildung in öffentlichen Kommunikationsprozessen, weshalb sie hier in Zusammenhang mit der Medienbeteiligung von Migrant/innen thematisiert wird. Habermas’ theoretische Überlegungen zur Bedeutung von Öffentlichkeit im demokratischen Staat stellen ein prominentes Paradigma der Partizipationstheorie dar, weil er seine Analyse mit einem normativen Anspruch auf Beteiligung an öffentlichen Diskursen verbindet (vgl. Wimmer 2007,S. 64). Das Konzept ist in seiner Differenziertheit – trotz einer Vielzahl von teils kritischen Gegen- und Alternativentwürfen – einzigartig geblieben. Beide Aspekte – Potentiale aber auch Probleme – sind für die Konzeption eines kommunikationswissenschaftlichen Instrumentariums zur Analyse der Medienbeteiligung von Einwander/innen von Bedeutung und werden folglich hier behandelt.

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Aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive liegt das Potenzial von Habermas’ normativem Öffentlichkeitskonzept darin, dass es die Bedeutung des Spannungsverhältnisses zwischen Bürger/innen (Zivilgesellschaft), Öffentlichkeit, Massenmedien und (demokratischem) Staat zugänglich gemacht hat. Drei Bedingungen kennzeichnen das normative Ideal einer „bürgerlichen Öffentlichkeit“, wie sie Habermas entworfen hat: Erstens sollen alle Bürger/innen chancengleich an der Öffentlichkeit teilnehmen können, zweitens zeichnet sie sich durch eine thematische Offenheit sowie drittens durch das Diskursprinzip aus, das durch Sachlichkeit und Vernunft (Rationalität) sichergestellt wird.12 Der Grad der Beteiligung der Bürger/innen an Öffentlichkeit ist für Habermas die Voraussetzung für ihr Funktionieren, das gleichermaßen an die demokratische Legitimation und effektive Entscheidungsfindung des Nationalstaates gekoppelt ist. „Die bürgerliche Öffentlichkeit steht und fällt mit dem Prinzip des allgemeinen Zugangs. Eine Öffentlichkeit, von der angebbare Gruppen eo ipso ausgeschlossen wären, ist nicht etwa nur unvollkommen, sie ist vielmehr gar keine Öffentlichkeit“ (Habermas 1990, S. 156).

Aus Sicht der Partizipationstheorie stellt Öffentlichkeit „die ‚conditio sine qua non‘ der Demokratie dar“ (Wimmer 2007, S. 68). Durch sie wird staatliches Handeln legitimiert und effektiver: Ein „gerechter Interessenausgleich“ in der Öffentlichkeit wird in der normativen Demokratietheorie als wirksamer Schutz vor Elitenherrschaft betrachtet, die mit einer Passivität größerer Bevölkerungsteile einhergeht und somit zu Desintegration und einer Krise der Legitimität des demokratischen Systems führen könne (vgl. Habermas 1990). Habermas kritisiert allerdings, dass die politische Wirksamkeit der Öffentlichkeit begrenzt ist. Öffentlichkeit als intermediäres System, welches idealiter eine Voraussetzung der Demokratie und Vermittlungsinstanz zwischen Bürger/innen und dem politischen Entscheidungssystem darstellt (vgl. Gerhards 1998, S. 271), ist nach dem von Habermas diagnostizierten „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ seit

12 Der Medientheoretiker Denis McQuail (1987) formuliert u.a. auf der Basis normativer Demokratietheorien eine demokratische Partizipationstheorie der Medien. Im Zentrum des „normativen Ansatzes“ von McQuails Massenkommunikationstheorie steht die Frage, „how the media ought, or are expected, to be organized and to behave in the wider public interest or for the good of society as a whole“ (McQuail 2005, S. 162). Drei Hauptaspekte dieser democratic participant media theory (DPMT) können zusammengefasst werden: Bürger/innen und Publikum dürfen am Medienbetrieb teilnehmen; innerhalb des Publikums soll horizontale Kommunikation begünstigt werden, auch der Austausch zwischen Sender/innen und Rezipient/innen ist zu aktivieren; die Medien sollen offener werden für Organisationen, wie z.B. Gewerkschaften, oder lokale Gruppen und ihre Anliegen unterstützen, indem sie ihnen helfen, Kommunikationsnetze aufzubauen.

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dem späten 19. Jahrhundert zunehmend geprägt von politischer und ökonomischer Vermachtung – Habermas bemängelt, dass Medien Öffentlichkeit nicht (mehr) entsprechend der Idealvorstellung herstellen, weil mächtige Interessengruppen öffentliche Diskurse dominieren und so die Meinungsbildung zu ihren Gunsten beeinflussen (vgl. Habermas 1998). Dieser Gedanke soll hier anhand von Forschungserkenntnissen zur Berichterstattung über Migrant/innen in Deutschland veranschaulicht werden (vgl. Schiffer 2005; Hafez/Richter 2007; Rosenthal 2000). Demnach erzeugt die selektive bzw. kulturrassistische Darstellung der Migrant/innen in deutschen Massenmedien in hohem Maße den Eindruck, dass die Mehrheitsbevölkerung Leidtragende der Einwanderung ist. Dabei gelingt es meist nur jenen Gruppen und Personen „ihre Interpretationen der Kultur gesellschaftlich durchzusetzen, die über die ‚kulturelle Definitionsmacht‘ verfügen“ (Hafez 2001b, S. 698). Habermas Fokussierung auf eine explizit „bürgerliche“ Öffentlichkeit wird kritisch gesehen, weil diskursive Arenen jenseits der bürgerlichen Öffentlichkeit unberücksichtigt bleiben. Die Bedenken richten sich im einzelnen gegen die Ausblendung nicht-bürgerlicher Öffentlichkeiten und ökonomischer und sozialer Zugangsbarrieren zum öffentlichen Meinungsaustausch (vgl. Fraser 1996). Zu den „blinden Flecken“ in Habermas Theorie wird die Nicht-Berücksichtigung informeller, oppositioneller und alternativer Öffentlichkeiten gezählt. Negt/Kluge (1972) haben als Erste darauf hingewiesen, dass das Öffentlichkeitskonzept problematische Dimensionen enthält, vor allem aufgrund seines elitären Anspruchs. Sie betrachten insbesondere das öffentlich-rechtliche Fernsehen als „Weiterführung der bürgerlichen Öffentlichkeit, die hier in konkrete Technik umgesetzt erscheint“. Seine „Programmindustrie“ verhindere, dass sich die „Bedürfnisse und Interessen [der Zuschauer] nicht im emanzipatorischen Sinn entfalten“ können (Negt/Kluge 1972, S. 179; 177). Das Öffentlichkeitskonzept enthält, so Negt/Kluge, einen Klassen-Bias, aufgrund dessen nicht-bürgerliche Gruppierungen, Interessen und Äußerungsformen nicht berücksichtigt werden. Es hat jedoch immer auch andere Foren gegeben, die, teils als subalterne „Gegenöffentlichkeiten“, die politische Willensbildung mitgeprägt haben (vgl. Negt/Kluge 1972; Dahlgren 1991). Dazu zählen etwa Gewerkschaften, politische Bewegungen, Diasporische Communities und der Feminismus. Diese und ähnliche Foren sind unabhängig von medientechnologischen Entwicklungen zu sehen, weil der Inhalt und die Intentionen der Betroffenen zählt und nicht der Verbreitungsmechanismus (vgl. Payne, 2009). Jeffrey Wimmer (2007) hat darauf hingewiesen, dass Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit zwei Konzepte darstellen, die in der demokratischen Gesellschaft in einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis stehen – eine für die vorliegende Arbeit wichtige Erkenntnis, denn sie liefert erste Anhaltspunkte, dass sowohl die Öffentlichkeiten der Massenmedien als auch jene, der alternativen Medien jeweils eigene und unabdingbare Funktionen im demokratischen Prozess wahrnehmen.

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Hinsichtlich der Medienbeteiligung von Migrant/innen kann die kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung wichtige Impulse liefern. Sie kritisiert die Konzentration auf eine Öffentlichkeit und die „Entgegensetzung von Öffentlichkeit und Privatheit“ (Klaus, 2006, S. 94) in Habermas’ Theorie. Die Kommunikationswissenschaftlerin Elisabeth Klaus hat daraufhin ein Drei-EbenenModell von Öffentlichkeit vorgelegt. Sie geht von pluralisierten Öffentlichkeiten aus, die sich in einfache, mittlere und komplexe Teil-Öffentlichkeiten differenzieren lassen. Erstere entwickeln sich „spontan im Alltag“ und setzen die „physische Präsenz und eine gemeinsame Sprache voraus“ (ebd., S. 95). Komplexe TeilÖffentlichkeiten werden von Massenmedien hergestellt und verbreiten Meinungen „großflächig“. Dazwischen liegen die mittleren Teil-Öffentlichkeiten, welche auf einfachen Öffentlichkeiten basieren. Sie verfügen jedoch über eine Organisationsstruktur und werden von alternativen und Community Medien hergestellt. Ihr Doppelcharakter besteht darin, einerseits zivilgesellschaftliche Gruppen zu mobilisieren und andererseits in breiten Öffentlichkeiten Gehör zu suchen. Dieses Modell unterscheidet sich folglich von der Habermas’ schen Vorstellung miteinander in Verbindung stehender Teil-Öffentlichkeiten, die den Konsens in einer breiten Öffentlichkeit anstreben. Ulla Wischermann (2003) konnte am Beispiel einer groß angelegten Studie zur Frauenbewegung des frühen 20. Jh. empirisch belegen, dass gerade die „Pluralität und Komplementarität“ von einfachen, mittleren und komplexen Öffentlichkeiten zu einem Erfolg wie der Reformierung des Sexualstrafrechts geführt hat (Wischermann 2003; S. 48). Für die vorliegende Arbeit markiert dieser Befund wichtige Erkenntnisse, denn er deutet erstens darauf hin, dass einfache und mittlere Öffentlichkeiten, wie sie alternative Medien im (Trans-)Lokalen/Regionalen herstellen können, die Vielstimmigkeit der Meinungen, Lebensentwürfe, Sprachen etc. im Kleinen repräsentieren und fördern. Zweitens können sie damit komplementäre, also (womöglich) widersprüchliche aber ergänzende Funktionen im öffentlichen Diskurs und sogar für gesamtgesellschaftliche Entwicklungen übernehmen. Damit kann drittens erklärt werden, wie aus (scheinbar) zersplitterten Diskursen Partizipationsmöglichkeiten für jene Gruppen erwachsen, die weder an Massenmedien noch an Öffentlichkeit auf einer Makro-Ebene teilhaben. Habermas’ Beschränkung auf Massenmedien kann demnach zu den „major blind spots“ (Dahlgren 1991, S. 6) seiner Öffentlichkeitstheorie gezählt werden. In seinem deliberativen Demokratiemodell, welches auf der älteren Studie zum Strukturwandel aufbaut, präzisiert Habermas, dass sich Öffentlichkeit ausdifferenziert hat. Im Idealfall blieben aber trotzdem alle daraus entstehenden TeilÖffentlichkeiten, die sich in „überlappenden internationalen, nationalen, regionalen, kommunalen, subkulturellen Arenen“ verzweigen und „[…] für ein Laienpublikum

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noch zugängliche Öffentlichkeiten sind, „porös füreinander“ (Habermas 1998, S. 452).13 Bei der Frage, des Stellenwerts dieser Teil-Öffentlichkeiten geht Habermas von einer dezentrierten Verfasstheit moderner Staaten aus, die aus einem politischen Machtzentrum (Regierung) und einer nichtstaatlichen politischen Peripherie (Zivilgesellschaft) besteht (Habermas 1998, S. 351-366). Die Zivilgesellschaft, welche sich aus betroffenen Bürger/innen zusammensetzt, traut Habermas ein kritisches Potential zu. Nimmt sie an öffentlichen Diskursen teil, so können Formen von Gegenöffentlichkeit entstehen (Vgl. Wimmer 2007, S. 80). „Die Zivilgesellschaft setzt sich aus jenen mehr oder weniger spontan entstandenen Vereinigungen, Organisationen und Bewegungen zusammen, welche die Resonanz, die die gesellschaftlichen Problemlagen in den privaten Lebensbereichen finden, aufnehmen, kondensieren und lautverstärkend an die politische Öffentlichkeit weiterleiten“ (Habermas 1998, S. 443).

Habermas’ Zivilgesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sie in der „politischen Peripherie“, also jenseits der politischen Funktionseliten angesiedelt ist, jedoch im Vergleich zu diesen über ein sensibleres „Krisenbewusstsein“ verfügt (vgl. ebd., S. 435-467). Allerdings lenkt Habermas ein, dass unter „normalen“ Bedingungen kaum Möglichkeiten der Einflussnahme von Betroffenen auf einer Makro-Ebene vermittels der Medien bestehen (Habermas 1990, 1998, S. 455). Die öffentliche Meinungs- und Willensbildung ist dennoch „auf die Zufuhr von informellen öffentlichen Meinungen angewiesen“ (Habermas 1998, S. 374). Habermas löst diesen Widerspruch nur scheinbar auf, indem er darauf verweist, dass sich im Falle von Krisen das Bild verkehre; hier würden die Einflussmöglichkeiten der Zivilgesellschaft, in den Massenmedien wahrgenommen zu werden, steigen. Krisen treten selbst in politisch stabilen Staaten immer wieder auf, wobei diese die Vermachtung und Kommerzialisierung von Medien und Öffentlichkeit, den Einfluss von wirtschaftlichen und anderen Interessengruppen ja nicht aufheben. Realistischerweise muss eingewendet werden, dass Privatleuten häufig die Bereitschaft fehlt, sich aktiv an politischen Kommunikationsprozessen zu beteiligen, so dass – zumindest in den wohlhabenden westlichen Gesellschaften – eine politisch aktive, breite Zivilgesellschaft so kaum existiert. In seinem Buch Communications sieht Raymond Williams die Mitschuld für den Missstand der „De-Aktivierung“ der „Zuschauer“ im Kommunikationssystem selbst begründet (vgl. Williams 1973, S. 116-124). Öffentlichrechtlichem Rundfunk wirft er vor, ein paternalistisches, in Teilen auch autoritäres System zu repräsentieren und zu fördern, dem es darum gehe, die zur „Masse“ degradierte Bevölkerung zu schützen und zu lenken (vgl. Williams 1973, S. 117). Be-

13 Deliberation meint in diesem Zusammenhang die Konsensfindung durch den Austausch rationaler Argumente in der Öffentlichkeit.

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reits der marxistische Theoretiker Antonio Gramsci blickte kritisch auf die Zivilgesellschaft als „den gesellschaftlichen Bereich, in dem der Konsens der Beherrschten organisiert wird. In ‚privaten‘ Institutionen (Vereinen, Zeitungen, Kirchen etc.) bilden sich unter maßgeblicher Führung der Intellektuellen Rationalitätsstandards und Alltagspraktiken heraus, die als ‚normal‘ anerkannt werden und so die Substanz von Hegemonie bilden“ (Borg 2001, S. 16-19).

Die Zivilgesellschaft ist nach Gramsci von hegemonialen Strukturen durchsetzt und kann deshalb nicht, wie Habermas meint, kritisch-oppositionell wirken, sondern vielmehr stützt sie diese Strukturen. Der amerikanische Sprachwissenschaftler Noam Chomsky misstraut deshalb der Zivilgesellschaft und ihren Intellektuellen, die, von wenigen Dissident/innen abgesehen, politische Fehlentscheidungen legitimierten und so die öffentliche Meinung manipulierten (vgl. Chomsky/Herman 1988; Chomsky 1999, S. 24. Der Lebensweltbezug in Habermas’ Öffentlichkeit geht von einer wechselseitigen Verständigung zivilgesellschaftlicher Akteur/innen aus, die sich als Gleiche anerkennen. Es werde jedoch „verschwiegen“, so Negt und Kluge (1972), dass die Lebenswelt dieser Akteur/innen von hierarchischen, z.B. patriarchalen und rassistischen, Strukturen durchzogen ist. Davon sind vor allem solche Bevölkerungsgruppen betroffen, die in wichtigen gesellschaftlichen Bereichen ungleich behandelt werden, wie etwa Frauen und Migrant/innen. Eine ideale, aus gleichen Bürgern zusammengesetzte und somit homogene Zivilgesellschaft, wie sie Habermas sich vorstellt bzw. wünscht, existiert demnach nicht. Zudem lassen die strikten formalen Kriterien des rationalen Diskurses, welche die Teilnahme an der öffentlichen Meinungsbildung in deliberativen Öffentlichkeitsmodellen bestimmen, die vermeintliche Gleichheit der Sprecher als Illusion erscheinen. Denn der rationale Diskurs soll frei sein, nicht nur von Lügen und Manipulationen, sondern auch von Erzählungen, Körpersprache, Kunst und Emotionen (vgl. Awad, 2008, S. 91). Die vermeintliche kulturelle Neutralität von Deliberation, verstanden als „genaue Betrachtung und Abwägung von Themen und deren Auswirkungen“ (Winter 2010, S. 93), ist nicht existent und der rationale Diskurs tatsächlich äußerst voraussetzungsreich: Die Gesprächspartner/innen müssen über „eine gemeinsam befolgte Kommunikationspraxis“ (gleiche kommunikative Kompetenz) sowie wechselseitigen Respekt und Akzeptanz verfügen, um sich angemessen öffentlich zu artikulieren. Diese Parameter bestimmen schließlich „das diskursive Niveau der Meinungsbildung“ und die „‚Qualität‘ des Ergebnisses“, wie Habermas schreibt (Habermas 1998, S. 438, Hervorheb. im Original). Nun ist allerdings die sprachliche Gemeinsamkeit schon der Kommunikationspartner/innen mit gleicher Muttersprache u.a. aufgrund von Soziolekten nicht uneingeschränkt gegeben. Im Einwanderungskontext kommen weitere sprachliche

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Hürden hinzu. „Niveau“ und „Qualität“ markieren in der Praxis folglich strikte Grenzen, die jene diskriminieren, die aufgrund ihrer Ressourcen bzw. ihres sprachlichen, sozialen und Bildungskapitals keinen oder eingeschränkten Zugang zum (deutschsprachigen) öffentlichen Diskurs erlangen können. Die Teilnahme erfordert eine „articulateness“, die insgesamt hohe Ansprüche an die Form und verbale Ausdrucksfähigkeit stellt (vgl. Young 2000, S. 56). Eben diese Voraussetzungen bleiben bei Habermas aber weitgehend unproblematisiert und lassen Öffentlichkeit als neutral erscheinen. Dies wird von der Sprachwissenschaftlerin Brigitta Busch (2004) empirisch belegt. Sie beobachtet im deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk einen „Sprachpurismus“ als Teil einer umfassenden Sprachpolitik, welche die sozialen Beziehungen zwischen alteingesessener und eingewanderter Bevölkerung strukturiert – und somit diskriminierend und desintegrierend wirken kann (vgl. Busch 2004, S. 30). Dass Sprache in den Medien insgesamt ein politisch umkämpftes Thema darstellt, wird auch daran offensichtlich, dass auf der anderen Seite Migrant/innen ihr muttersprachlicher Medienkonsum als Segregation angelastet wird. Ein weiterer zentraler Kritikpunkt an Habermas’ Öffentlichkeit, der für eine Untersuchung der Medienbeteiligung von Einwanderern relevant ist, bezieht sich auf die eurozentrische Perspektive, in welcher der öffentliche Raum auf eine (explizit europäisch konnotierte) nationalstaatliche Öffentlichkeit mit ihren spezifischen historischen, politischen, sozialen und kulturellen Bedingungen verengt bleibt und wichtige Bereiche der davon abweichenden gesellschaftlichen Realität ausgeblendet sind. Die Philosophin Nancy Fraser (2007) stößt sich nicht an einer normativen Ausrichtung des demokratietheoretischen Öffentlichkeitsbegriffs, sondern plädiert vielmehr für dessen theoretische Neujustierung angesichts grenzüberschreitender Migration, Kommunikation und zunehmend pluralistischen Gesellschaften. Um die politischen Funktionen der öffentlichen Meinung zu sichern, fordert Fraser ein Konzept der Transnationalen Öffentlichkeit. Öffentlichkeit ist bislang geografisch verortet, bezogen auf die Vorstellung des (kulturell homogenen) Nationalstaats westlicher/europäischer Prägung. Tatsächlich dokumentieren medienwissenschaftliche Forschung und die Cultural Studies jedoch die Existenz diskursiver Arenen, die über diese Limitierungen hinausweisen. Damit verschiebt sich der gesamte Kontext des Öffentlichkeitkonzepts, das „Staatsbürgerschaft, Nationalität und territoriale Ansässigkeit“ gleichsetzte (vgl. Fraser 1996, S. 240). Die theoretische Re-Artikulation des Konzepts der Öffentlichkeit in Relation zu grenzüberschreitenden Medien und veränderten sozialen Entwicklungen im Zuge von transnationalen und translokalen Migrations- und Vernetzungsbewegungen koppelt das Öffentlichkeitsparadigma vom Konzept der Nation im Sinne eines kulturell und ethnisch homogenen „Containers“ ab (vgl. Hepp 2002, 2009). So können schließlich auch jene „teils subnationalen, teils transnationalen Nischenmedien, die keineswegs wie nationale Medien die Funktion haben,

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die Ausübung staatlicher Macht einer öffentlichen Prüfung zu unterwerfen“ (Fraser 2007, S. 243), als relevant für die öffentliche Meinungsbildung anerkannt werden. Zwar lässt Fraser problematische Fragen, wie die nach Verständigungsschwierigkeiten durch Sprachunterschiede oder die nach hegemonialen Positionen der Kulturdefinition unbeantwortet, unabhängig davon erscheinen jedoch partizipationstheoretische Kernforderungen für die vorliegende Studie relevant, nämlich die nach „Inklusivität“ und „partizipatorischer Parität“ des Kommunikationsprozesses sowie nach Einbeziehung der „transnationalen Nischenmedien“ in das Konzept der Öffentlichkeit. In der Gegenwart könne die Frage nicht länger „unter den Teppich gekehrt werden“, wer am öffentlichen Meinungsaustausch beteiligt sein soll (Fraser 2007, S. 248) und „wie – unter welchen Bedingungen – die Gesprächspartner miteinander umgehen“ sollen (ebd., S. 247). Sie legt den Fokus darauf, dass all jene die von einem Thema betroffen sind, am Diskurs teilnehmen können sollten. Die öffentliche Meinung in Nationalstaaten kann demnach nur dann als legitim gelten, „wenn sie das Ergebnis eines kommunikativen Prozesses ist, an dem alle potenziell Betroffenen als Gleiche teilnehmen können, unabhängig von ihrer politischen Staatsbürgerschaft“ (ebd., S. 250). Die Aspekte der Inklusion und der paritätischen Partizipation erlangen gerade in Hinblick auf die zukünftige Gestaltung öffentlich geförderter Medien, zu welchen sowohl öffentlich-rechtlicher Rundfunk wie auch die Offenen Kanäle zählen, an Gewicht (Jakubowicz 2008). Schließlich haben diese einen öffentlichen Auftrag zu erfüllen, an dessen Gestaltung „gesellschaftlich relevante“ Gruppen zu beteiligen sind. Ein aktuelles Beispiel ist die Debatte, ob und wenn ja unter welchen Prämissen die Repräsentant/innen der zweitgrößten Religionsgemeinschaft in Deutschland, nämlich die Muslime, in den Rundfunkgremien zu beteiligen wären (vgl. Exkurs II). Einen weiteren Aspekt betont die Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe, nämlich, dass ein wichtiges Element des liberalen Öffentlichkeitsbegriffs, die Konsensorientierung, das zentrale Problem darstellt. Als Vertreterin sogenannter konfliktorientierter Modelle von Öffentlichkeit sollte nach ihrer Auffassung Öffentlichkeit aus vielen oppositionellen Gegenöffentlichkeiten bestehen, der öffentliche Diskurs würde sich dadurch pluralisieren und demokratischer werden. Mouffe (2009) zieht daraus die kritische Schlussfolgerung, dass die Ursachen für die Homogenisierungstendenz der öffentlichen Meinung im deliberativen Demokratiemodell und dem dominanten Öffentlichkeitskonzept selbst begründet sein müssen. „Concensus in a liberal-democratic society is – and will always be – the expression of hegemony and the crystallization of power relations. […]. […] the very condition for the creation of consensus is the elimination of pluralism from the public sphere.“ (Mouffe 2009, S. 49)

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Konsens, so Mouffes Befürchtung, führt zur Lähmung zivilgesellschaftlicher Aktivität, weil sich doch immer dominante Diskurse durchsetzen (vgl. ebd., S. 104). Mit Mouffes Idee des „agonistic pluralism“ hält ein Aspekt in die Öffentlichkeitstheorie Einzug, der bislang unberücksichtigt blieb, nämlich der Aspekt der Leidenschaften oder Emotionen (passions). „An important difference with the model of ‚deliberative democracy’ is that for ‚agonistic pluralism’, the prime task of democratic politics is not to eliminate passions from the sphere of the public, in order to render a rational consensus possible, but to mobilize those passions towards democratic designs.“ (Ebd., S. 103)

Die leidenschaftliche Debatte sollte demnach gleichberechtigt neben dem rationalen Diskurs als Bestandteil der öffentlichen Kommunikation akzeptiert werden, weil Konsens nur auf der Basis hergebrachter Machtverhältnisse aufrechterhalten werden kann. Durch die Einbeziehung der Leidenschaften in die öffentliche Debatte, wird das Politische somit wesentlich breitgefasster definiert, als im konventionellen Verständnis von Partizipation. Die Politikwissenschaftlerin Iris Marion Young bündelt zentrale Kritikpunkte an Habermas Öffentlichkeitsbegriff und schlägt das Konzept der inklusiven Öffentlichkeit vor, welches nun erörtert wird. 2.2.4 I.M. Young: Inklusive Öffentlichkeit Iris Marion Young rückt in ihrem Buch Inclusion and Democracy (2000) die Akteur/innen ins Zentrum ihrer Überlegungen und fordert im Sinne ihrer Inklusionstheorie eine Ausdehnung des Konzepts der politischen Kommunikation auf emotionale, narrative und ästhetische Dimensionen, die in der liberalen Öffentlichkeitstheorie ausgeblendet sind. Sie beschreibt Kommunikationsformen, welche vermeintlich nicht-politische Alltagskommunikation in den Fokus rücken. Young bezeichnet u.a. Begrüßungen (greetings), Erzählungen (narratives) und Redekunst (rhetoric) als solche Kommunikationspraktiken und legt deren politisches Potenzial offen. Zunächst geht sie davon aus, dass nicht alle Personen oder Gruppen in einem politischen Gebilde die gleichen Werte und die gleichen Erfahrungen teilen. In multikulturellen Gesellschaften trifft dies in besonderer Weise zu. Daraus ergibt sich in der Realität, dass in der Öffentlichkeit agierende Interessengruppen Minderheiten ignorieren, marginalisieren und (mehr oder weniger offen) abwerten, was somit zu gesellschaftlicher Ungleichheit, Exklusion und Konflikten führt. Zugleich warnt sie davor, Ungleichheit allein auf kulturelle Identität zurückzuführen bzw. im Kulturellen zu verorten und dadurch die eigentlichen Ursachen sozialer Unterschiede – wirtschaftliche, geschlechtsspezifische und politische Machtgefälle – zu verschlei-

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ern (Young 2000, S. 87-99). Rationale Argumente alleine sorgen in einer solchen Situation nicht dafür, dass exkludierte Gruppen in der Öffentlichkeit gebührend wahrgenommen werden. Hierzu bedarf es zunächst der Anerkennung des Anderen, deren Grundlage Young in kommunikativen Handlungen wie der Begrüßung ausmacht. Erst durch solch vermeintlich belanglose Alltagsrituale wird ein potentieller Gesprächspartner überhaupt als solcher akzeptiert. Daneben stellt die politische Erzählung, das Sprechen mit eigener Stimme über eigene Themen, in Youngs inklusiver Öffentlichkeitstheorie einen weiteren Ausgangspunkt für Inklusion ein. Erzählungen sind nach Young Kommunikationspraxen, in welchen die Betroffenen die Möglichkeit erhalten, eigene Erfahrungen, Wertvorstellungen, kulturelle Identitäten etc. öffentlich zum Ausdruck zu bringen. Mit ihnen können sich die aus der Sphäre des öffentlichen (politischen) Diskurses bislang Ausgeschlossenen bemerkbar machen und auf der Basis der eigenen kulturellen Praktiken erklären, wer man ist (vgl. ebd., S. 70-77). „[…] what practises, places or symbols mean to the people who hold them and why they are valuable. Values, unlike norms, often cannot be justified through argument.“ (Young 2000, S. 75)

Erzählt wird dabei nicht, um zu unterhalten, sondern „to demonstrate, describe, explain or justify“ (ebd., S. 72). Auch wenn die Mehrheitsgesellschaft diese Erzählungen uninteressant findet, verlieren sie nichts von ihrer Bedeutsamkeit für die öffentliche Meinungsbildung wie das Beispiel der Frauenbewegung zeigt: Es existierte keine Sprache und keine Foren, in welchen Frauen in der Öffentlichkeit beispielsweise über sexuelle Belästigungen hätten berichten können. Erst als sie begannen, sich untereinander in Erzählungen auszutauschen und ein immer größeres Publikum erreichten, konnte sexuelle Belästigung als politisches Problem benannt und u.a. auch mit juristischen Mitteln bekämpft werden (ebd., S. 73). In der multikulturellen Gesellschaft kann dies bedeuten, dass Migrant/innen öffentliche Foren zu Verfügung stehen, um sich über ihre Migrationssituation auszutauschen, die sie befähigen, sich anschließend auch vor größeren Publika zu artikulieren. Young geht schließlich davon aus, dass öffentliche Diskurse auf die Redekunst seiner Teilnehmer/innen angewiesen sind, wobei emotionale und nicht-sprachliche narrative und symbolische Elemente durchaus einbezogen werden sollten. Eine Trennung zwischen rationalen und rhetorischen Elementen der Kommunikation erscheint ihr „willkürlich“ (ebd., S. 66). „All these affective, embodied, and stylistic aspects of communication, finally, involve attention to the particular audience of one’s communication, and orienting one’s claims and arguments to the particular assumptions, history, and idioms of that audience.“ (Ebd., S. 65.)

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Diese Ausdrucksformen werden gemeinhin dem Bereich der (Alltags-)Kultur zugerechnet. Youngs Modell drängt somit auf eine Inklusion dieser Kommunikationsformen in die Theorie und die Praxis der Öffentlichkeit. Dabei darf der Einwand nicht unberücksichtigt bleiben, dass die produktive Beteiligung in den Medien nicht immer (eindeutig) einer politischen Intention folgt (vgl. Dahlgren 2011, S. 93). Medienbeteiligung als eine Form des Alltagshandelns kann ebenso gut der kommunikativen Reproduktion kultureller Vorlieben und der Vernetzung mit symbolischen Gemeinschaften dienen. Nicht nur für Migrant/innen, die im Einwanderungsland mittels Medien in Kontakt mit der Herkunftskultur sowie ihren Familien bleiben möchten, ist der letztgenannte Aspekt bedeutsam. Kulturtheoretische Ansätze der Kommunikationswissenschaft, die sich hiermit beschäftigen, werden in Kapitel 2.2 behandelt. 2.2.5 Charles Husband: The right to communicate and the multi-ethnic public sphere Der Kommunikationswissenschaftler Charles Husband hat eine sinnvolle Weiterentwicklung des liberalen Öffentlichkeitsbegriffs vorgestellt, die multikulturelle Aspekte der Politik und Gesellschaft bedacht hat. Husband greift zunächst die Idee des „Rechts auf Kommunikation“ auf. Die historischen Wurzeln der Bemühungen gerechterer weltweiter Kommunikationsströme liegen im Antikolonialismus der 1920er und 30er Jahre begründet und wurden von Entwicklungsländern (später „Länder des Südens“) und blockfreien Staaten in den 1970er und 80er Jahren mit ihren Forderungen einer Neuen Weltinformations- und Kommunikationsordnung (NWIKO) aufgegriffen, um ungerechte Informationsflüsse zukünftig zu vermeiden. Ausgehend von Jean d’Arcys Überlegungen sollte jeder Mensch, entsprechend Artikel 19 der UN-Menschenrechtscharta, ein individuelles Anrecht auf Kommunikation in den zur Verfügung stehenden Kommunikationsmedien erhalten (vgl. d’Arcy 1977). Den Verfechter/innen eines Menschenrechts auf Kommunikation aus Staaten der Südhalbkugel war eines klar geworden: „He who controls communications controls society“ (ebd., S. 49). „On the right to transmit, the basic principle of democracy is that since all are full members of the society, all have the right to speak as they wish or find. This is not only an individual right, but a social need, since democracy depends on the active participation and free contribution of all its members. The right to receive is complementary to this: it is the means of participation and of common discussion.“ (Williams 1973, S. 120)

Die UNESCO unterstützt seit dem sogenannten McBride Report (vgl. McBride 1981) das Recht auf einen allgemeinen Zugang zu Kommunikationsmitteln als „groß angelegtes umfassendes Konzept“ (Lücke 1979, S. 29), das als notwendiger

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Bestandteil der Menschenrechte zu ermöglichen sei. Die in den 1980er Jahren neue Satellitentechnik sollte den Menschen weltweit zur Verfügung gestellt, und nicht von den Telekommunikations- und Medienkonzernen monopolisiert werden. Damit wurde der Versuch unternommen, die politische Bedeutung von Medien und Kommunikation in den Vordergrund zu rücken und damit einen Standpunkt gegen einseitige ökonomische Interessen zu etablieren. Informationsflüsse verliefen aus den Ländern des Nordens in Richtung Süden, die „Süd-zu-Süd“-Kommunikation war ebenfalls kaum existent. Der gesamte Medienverkehr wurde zudem von nur einer Handvoll Presseagenturen kontrolliert, die in den USA, Westeuropa und Japan angesiedelt waren (vgl. Rodriguez 2001, S. 8). Die Forderungen der Länder des Südens nach gleichberechtigten Informationsflüssen sind weiter denn je von ihrer Einlösung entfernt. Die neoliberale Politik des letzten Jahrzehnts und die globale Monopolisierung und Kommerzialisierung von Medien und Kommunikation stehen schließlich den Forderungen nach Demokratisierung und Beteiligung entgegen (vgl. Cammerts/Carpentier 2007, S. 5-6). Der Gedanke des Rechts auf Kommunikation fand jedoch Eingang in nationale Debatten um Kommunikationsfreiheit und Medienzugänge. In den reicheren postindustriellen Ländern sollten nicht-kommerzielle Bürgermedien den Druck der Ökonomie, der auf medienvermittelten Informationsprozessen lastete, abfedern und so zu demokratischen Kommunikationsprozessen beitragen (vgl. Lewis 1984). Der „‚multikulturelle‘ Ansatz des Rechts auf Kommunikation“ hebt u.a. ein „Gruppenrecht auf Kommunikation“ hervor: Darin wird akzeptiert, dass „ethnische Gruppen und ähnliche Minderheiten, z.B. religiöse oder nationale Minderheiten, ein Interesse daran haben“, kulturelle Eigenheiten wie die Muttersprache zu erhalten (Lücke 1979, S. 30, 28).14 Davon ausgehend fragt Husband, wie Migrant/innen an Medien beteiligt werden können, damit sie dieses Recht innerhalb von Nationalstaaten erhalten. Daran knüpft Husband die Frage, wie Meinungspluralismus in der multikulturellen Gesellschaft hergestellt und der wechselseitige Dialog zwischen Ansässigen und Migrant/innen gefördert werden könnte. Dabei identifiziert er die Medien als Schlüsselakteure der Zivilgesellschaft und der multi-ethnic public sphere („multiethnische Öffentlichkeit“)15, weil sie zum civic trust beitragen – einer Art Grundvertrauen der Bürger/innen zueinander in der pluralistischen Gesellschaft. Medien müssten den 14 Der geforderte Rechtsanspruch auf die Beteiligung von Minderheiten an der öffentlichen Kommunikation ist in Deutschland jedoch nur ansatzweise und nicht flächendeckend umgesetzt worden, vgl. Lücke 1979, S. 29. 15 Der verwendete Begriff der Ethnie muss kritisch hinterfragt werden, weil er dazu beiträgt, bestimmte Gruppen zu konstruieren, die so nicht existieren. Migrant/innen aus Vielvölkerstaaten wie der Türkei oder Iran lassen sich häufig nicht eindeutig ethnisch zuordnen.

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Zugang zu Informationen sicherstellen, so dass Migrant/innen ihre Rechte kennen und wahrnehmen können. Zweitens sollen Medien Migrant/innen die Möglichkeit geben, die öffentliche Meinungsbildung mit eigenen Beiträgen zu bereichern. Drittens sollten Möglichkeiten geschaffen werden, dass Migrant/innen sich selbst in den zentralen Kommunikationskanälen wie Presse und Rundfunk wiederfinden und in der Lage sind, diese mitzugestalten, denn durch die Medien werden Bürger/innen im Idealfall auch übereinander informiert. In der „multi-ethnischen“ Gesellschaft kann demnach eine Aufgabe von Medien darin bestehen, gegenseitiges Verständnis und Respekt zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft in der Öffentlichkeit zu befördern (Husband 1994, S. 6). Husband greift den Gedanken einer differenzierten Staatsbürgerschaft (differentiated citizenship) auf (vgl. Husband 2001, S. 128f.). „Nation“ soll sich demnach nicht mehr über eine „monoethnische Mythologie“ definieren, sondern die Präsenz von Minderheiten muss sich in den Medien und der Öffentlichkeit widerspiegeln (vgl. Klaus/Lünenborg 2004). Die Vorstellung einer multi-ethnic public sphere fußt auf der Politik der Differenz, nämlich der Anerkennung des Anderen als gleichwertig in seiner individuellen Würde und in seiner Besonderheit, oder wie Husband schreibt: „In other words, the politics of difference in effect insists that if you want to treat me equally, you may have to treat me differently“ (Husband 2005, S. 1999).

Husband bezieht sich dabei auf die Theorie der Anerkennung, wie sie u.a. Charles Taylor formuliert hat: „Während die Politik der allgemeinen Würde auf etwas Universelles zielt, auf etwas, das für alle Menschen gleich ist, auf ein identisches Paket von Rechten und Freiheiten, verlangt die Politik der Differenz, die unverwechselbare Identität des Individuums oder einer Gruppe anzuerkennen, ihre Besonderheit gegenüber allen anderen. Dem liegt das Argument zugrunde, dass gerade diese Besonderheit bisher verkannt und verdeckt und einer dominierenden oder von einer Mehrheit gestützten Identität assimiliert wurde. Diese Assimilation ist die Todsünde gegen das Ideal der Authentizität.“ (Taylor, 1997, S.28-29).

Das „Ideal der Authentizität“ bezieht sich dabei vor allem auf kulturelle und sprachliche Eigenarten, was durchaus kontrovers diskutiert wird. Balibar bezeichnet es als Form des Kulturrassismus, weil die Theorie der Anerkennung (bzw. Differenz) für „die „Unaufhebbarkeit der kulturellen Differenzen“ eintritt und „natürliche Distanzen“ zwischen „unterschiedlichen“ Kulturen suggeriert, die letztlich einen „Rassismus ohne Rassen“ kennzeichnen (Balibar 1989, S. 373, 375). Statt von sozioökonomischen Unterschieden (bezüglich des Rechts auf politische Partizipation, Arbeitsmarkt u.a.) zu sprechen und damit von Chancengleichheit, wird die kulturelle Besonderheit der Minderheit überbetont. Einige machen die Politik der Differenz

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als die eigentliche Ursache von Ungleichheit und die kaum vorhandenen Beteiligungsmöglichkeiten von Migrant/innen in der Öffentlichkeit aus (vgl. Winter 2010, S. 92f.; Fraser 1996). Darin besteht auch die Herausforderung, die Husband in sein Konzept mit einbezieht: ihm ist bewußt, dass ein ethnischer Mediensektor zur weiteren Ausgrenzung von Migrant/innen in Medien und Öffentlichkeit führen kann. Aufgrund der kaum vergleichbaren Marktchancen der Medienakteur/innen mit Migrationshintergrund fordert Husband deshalb einen „starken Staat“, der seine Regelungskompetenz dazu nutzen soll, Zugangschancen für Migrant/innen in allen vorhandenen Medien zu ermöglichen und zu unterstützen – auch finanziell (vgl. Husband 2001, S. 135 und 138). Damit spricht Husband an, was in Integrationskonzepten häufig unberücksichtigt bleibt, nämlich die Anerkennung spezifischer Kommunikationsbedürfnisse von Migrant/innen. Vor dem Hintergrund der weiterhin bestehenden Defizite der Teilhabemöglichkeiten für Migrant/innen im öffentlich-rechtlichen und privat-wirtschaftlichen Rundfunk plädiert Husband (2001) deshalb für ein mehrdimensionales Modell. Zum einen sollen Migrant/innen in ihrer Authentizität in den Massenmedien zum Sprechen gebracht werden. Der Staat sollte den Möglichkeitsraum (framework of possibilities) schaffen, in welchem sich pluralisierte Öffentlichkeiten entfalten (vgl. Husband 2005, S. 207). Zum anderen sieht Husband den Staat in der Pflicht, einen „ethnischen“ Mediensektor zu fördern, denn „the state must fulfill its second generation human rights functions by enabling the emergence, and continued vitality, of a media infrastructure that reflects the ethnic diversity present in society“ (ebd., S. 209).16 Das Recht auf Kommunikation verknüpft er folglich mit der Forderung, dass sich die Vielfalt der Lebensentwürfe in den Medien widerspiegeln sollte. Die Tatsache, dass die Mehrheitsgesellschaft die Repräsentation der Minderheiten in den Medien aus ihrer Perspektive vornimmt, „requires the existence of a vital and autonomous minority ethnic media sector“ als eine Komponente der multiethnic public sphere (ebd., S. 137). Husband benennt (nicht näher spezifizierte) „open channels“ als förderlich für den wechselseitigen Dialog der Bürger/innen, von Mehrheitsgesellschaft und Minderheiten. „Thus in essence the adequacy of a multi-ethnic public sphere will be measured by both the diversity of interests given a voice and the extent to which there are open channels of exchange between these voices“ (ebd.).

16 Vgl. Husbands Argument der staatlichen Durchsetzung von Menschenrechten hat das Potenzial, das Argument der föderalen Struktur des Rundfunks und der Grenzen staatlicher Steuerung in Deutschland auszustechen.

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Neben der finanziellen Unterstützung von Minderheitenmedien müssten kommerzieller und öffentlich-rechtlicher Rundfunk in die Pflicht genommen werden, dies umzusetzen. Allerdings weist Husband darauf hin, dass staatliche Konzepte alleine kaum ausreichend sind. Vielmehr gelte es, die transformierende Kraft von Community-Medien und Kleinst-Öffentlicheiten deutlicher wahrzunehmen, welchen er durchaus innovatives Potenzial zutraut (vgl. ebd., S. 215). Nicht nur ein eigener Mediensektor der Migrant/innen, sondern auch deren Einbeziehung in Leitmedien ist demnach zu fördern. Hier stellt sich die Frage, wie die Idee der mehrfach pluralistischen Öffentlichkeit zukünftig umgesetzt werden soll. Husband benennt zwei Vorschläge: das „Recht auf Kommunikation“ (right to communicate) und das „Recht, verstanden zu werden“ (right to be understood). Demnach berücksichtigt seine „multi-ethnische Öffentlichkeit“ verschiedene Interessen. Nicht nur die „kulturelle Vielfalt“ in den Medien soll abgebildet sein, vielmehr betrachtet Husband das right to communicate als integralen Bestandteil der modernen Gesellschaft. Husbands Vorstellung des „Rechts, verstanden zu werden“, verlangt die Anstrengungen aller, um zu einem wechselseitigen Verständnis zu kommen (vgl. Taylor 1997; Kymlicka 2000). Gemeint ist damit einerseits ein grundlegendes Entgegenkommen der Mehrheitsgesellschaft, eine Willkommenskultur und die Bereitschaft, den Anderen verstehen zu wollen, und andererseits, das Sich-verständlichmachen-Wollen der Migrant/innen. Dazu gehört die aktive Auseinandersetzung der Mehrheitsgesellschaft mit Migrant/innen, und zwar nicht nur im Sinne migrationspolitischer Maßnahmen, sondern auf der zivilgesellschaftlichen Ebene (Husband 2001, S. 132). „The right to be understood would place upon all a duty to seek comprehension of the other“ (ebd.).

„Integration“ wird hier folglich nicht als „Einbahnstraße“ verstanden, welche die Assimilation der Migrant/innen verlangt, sondern sie fordert auch die Mehrheitsgesellschaft auf, ihren Beitrag zum gegenseitigen Verständnis zu leisten. Allerdings scheitern Kommunikationsprozesse in der Kulturkommunikation nicht nur am Nicht-verstehen-Können, sondern auch am Nicht-verstehen-Wollen. Dabei spielen Vorannahmen über das Gegenüber eine wichtige Rolle. Gehen Kommunikationspartner/innen davon aus, dass ihre Sinn- und Bedeutungssysteme weitgehend übereinstimmen, so steigt in der Regel ihre Kommunikationsbereitschaft. Umgekehrt sinkt diese Bereitschaft, wenn die Annahme vorliegt, dass das Gegenüber grundlegend „anders“ ist (vgl. Hafez 2001b, S. 697). Das Verstehen-Wollen des „Anderen“ erscheint somit als Grundproblem in der Öffentlichkeit, wie am Beispiel der Medienbilder „einzelner ethnisch-religiöser Minderheiten im Gesamtkomplex der Fremdwahrnehmung“ (Hafez 2004, S. 73) deutlich wird, die in Deutschland mit

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einer zunehmenden „Islamangst“ in der Bevölkerung korreliert (vgl. Pollack et al. 2010). Husband gesteht allerdings ein, dass das right to communicate und das right to be understood bislang Utopien geblieben sind. Gleichwohl hat er mit seinem wichtigen Beitrag auf medienpolitische Probleme in der multikulturellen Gesellschaft aufmerksam gemacht.

2.3 ALTERNATIVE M EDIEN : PARTIZIPATIONSTHEORETISCHE UND G RENZEN

ANSÄTZE ,

F UNKTIONEN

Aufgrund ihrer festgefügten Organisationsstruktur und der Konzentration im Mediensektor bieten Massenmedien kaum Zugangsmöglichkeiten für nichtprofessionelle Akteur/innen, übernehmen aber wichtige Meinungsbildungs- und Orientierungsfunktionen. Dies ist insofern problematisch, weil Migrant/innen in Massenmedien kaum eigene Sichtweisen einbringen können, aber über Migrant/innen und ihre Herkunftsländer in den Massenmedien selektiv bzw. negativistisch berichtet wird und dadurch stereotype Medienbilder verbreitet werden (vgl. Hafez 2001a). Vom heterogenen Spektrum der Alternativen Medien und der damit in Zusammenhang stehenden theoretischen und methodologischen Auseinandersetzung gehen im Zusammenhang der Medienbeteiligung von Migrant/innen innovative Impulse aus, gerade weil sie aus der Praxis – „von unten“ – entwickelt wurden. Insofern handelt es sich bei den nun diskutierten Ansätzen nicht um eigenständige Theorien, sondern um theoretische Konzepte, die in Anlehnung an die Medienpraxis und Demokratisierungstheorien entwickelt wurden. Alternative Medien entstand als Oberbegriff in den 1960er und 70er Jahren als öffentlich-rechtliche und kommerzielle Radio- und Fernsehstationen weitgehend unangefochten die Medienlandschaft in westlichen Staaten beherrschten und alternative Beteiligungsmedien „Gegenöffentlichkeiten“ herstellten (vgl. Wimmer 2007, S. 214). Der Begriff subsumiert ganz unterschiedliche „Medien des Dritten Sektors“ (vgl. Lewis 2008, S. 5) die sich zum Ziel gesetzt haben, Bürgern – auch Migrant/innen – Zugänge zu Medien zu eröffnen und zivilgesellschaftliche Öffentlichkeiten zu stärken. Damit wird auch die wichtige Frage berührt, inwieweit die Medienproduktion von Berufsjournalist/innen und der Medienindustrie dominiert wird (vgl. Kleinsteuber 1991; Carpentier 2011, 13f., 26; Jakubowicz 2008). Entsprechend unterscheiden sich die Organisations-, Produktions- und Kommunikationsweisen der alternativen von herkömmlichen Massenmedien. Den dort vorherrschenden hierarchischen Strukturen wird in Alternativmedien eine horizontale, häufig nicht-kommerzielle Organisation entgegengestellt, die Beteiligungsmöglich-

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keiten bietet. Hierdurch werden interne Demokratisierungsprozesse angestrebt, die zur Selbstorganisation und Emanzipation der Beteiligten beitragen können und deshalb auch das Entstehen von Gegenöffentlichkeiten begünstigen (vgl. Bailey/ Cammarts/Carpentier 2008, S. 54). In jüngerer Zeit kann ein Trend zu Alternativen Medien sowie der lange vernachlässigten theoretischen und methodologischen Debatte beobachtet werden, welcher von der UNESCO Anfang der 1990er Jahre angestoßen wurde (vgl. Atton/Couldry 2003, S. 1; Lewis 1993). In der Entwicklungszusammenarbeit aber auch in der pluralistischen Gesellschaft wurde ihre Bedeutung neu definiert. Kernpunkt der ihnen zugeschriebenen Funktionen und der damit verbundenen Förderung durch die UNESCO ist, dass Alternativen Medien Potentiale in der Verknüpfung von lokalen mit globalen Strukturen zugetraut werden. Insbesondere neue soziale Bewegungen könnten von ihnen profitieren, wozu Lewis (1993) auch „ethnic minorities“ und „migrants“ zählt (ebd. S. 15). Alternative Medien könnten Menschenrechte und Sprachrechte unter den Bedingungen von Globalisierungsprozessen auf die Agenda heben und eine Arena für Forderungen nach politischer und kultureller Partizipation von Minderheiten sein. Olga Bailey et al. (2008) gehen allerdings davon aus, dass sich definitorisch nicht immer genau festlegen lässt, wann ein Medium alternativ ist und wann nicht. So hat jedes Land (und Bundesland) seine „eigenen“ Alternativen Medien, je nach historischer und medienpolitischer Entwicklung. Nach Bailey et al. können Alternative Medien weniger über ihre Struktur und Organisation als vielmehr über ihre Funktionen für die jeweilige „Community“ theoretisch bestimmt werden (vgl. Bailey/Cammarts/Carpentier 2008, S. 3-33, 70). „Alternativ“, im Sinne eines Nebenbzw. Gegenmodells zu den Massenmedien wäre demnach ein Medium bereits dann, wenn seine „Nutzer/innen“ Inhalte verbreiten können, die in etablierten Medien kaum zu finden wären – ein pragmatischer Zugang, der für die weitere Untersuchung von Offenen Kanälen von Bedeutung ist. Allerdings darf der Einfluss von Organisation und Struktur eines Mediums auf die Medienbeteiligung nicht vernachlässigt werden, weil sie die Kriterien des Zugangs, und damit den Grad und die Qualität der Medienbeteiligung (Partizipation, Zugang, Interaktion) bestimmen. Nicht die Bereitstellung der Massenmedien für ein disperses Publikum steht bei Alternativen Medien im Vordergrund – die nicht zuletzt von kommerziellen und politischen Verflechtungen mitbestimmt wird –, sondern partizipative Vorstellungen der Medienkommunikation: Medien sollen von und für Bürger/innen hergestellt werden (vgl. Vatikiotis 2004, S. 4). Diese Idee des „Umkehrproporzes“ (vgl. Jarren 1984, S. 54) spielte bei der Gründung von nicht-kommerziellen Alternativmedien eine entscheidende Rolle. Das zentrale Unterscheidungskriterium zwischen Alternativen Medien und Massenmedien liegt darin, dass Alternative Medien die Vorstellung eines Massenprogramms „für alle“ in Frage stellen, in dem sie vielfältige Meinungen, die auf alternativen Wertvorstellungen und Nachrichten-Aufbereitung be-

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ruhen, in öffentliche Diskurse einspeisen (vgl. Atton 2001, S. 11). Die theoretische Zuordnung des Offenen Kanals zu Alternativmedien ist allerdings kompliziert und führt zu Abgrenzungsproblemen. Aufgrund seiner hierarchischen Organisationsstruktur sowie der Finanzierung aus Rundfunkgebühren kann er nicht ohne weiteres als Alternativmedium betrachtet werden. Eine nähere Begründung für diese Einschätzung wird weiter unten gegeben (s. Kapitel 4). Ein zentrales Element Alternativer Medien ist das Empowerment. Mit Empowerment werden Strategien und Maßnahmen bezeichnet, die geeignet sind, das Maß an Selbstbestimmung und Autonomie im Alltag marginalisierter Gruppen zu erhöhen und sie in die Lage zu versetzen, ihre Belange (wieder) eigenmächtig, selbstverantwortlich und selbstbestimmt zu vertreten, zu gestalten und auf politischer Ebene einzufordern (vgl. Michel-Peres 2007). In vielen Alternativen Medien werden interessierte Minderheiten gezielt in der Produktion von Medieninhalten unterstützt und in das Management von Non-profit-Medien eingebunden, was letztlich kommunikative Emanzipationsprozesse begünstigen soll (vgl. Lewis 2008, S. 11-13). Mit beeinflusst wurden diese Überlegungen von Paulo Freire (1972), der in seiner kritischen Pädagogik darauf hinweist, dass Kommunikationsprozesse als praktische Lernprozesse und Strategien die „Selbstbefreiung“ des Individuums von Marginalisierung und Unterdrückung ermöglichen können. Struktur und Organisation sowie die zunehmende Konzentration und Kommerzialisierung des Rundfunks laufen diesen Prämissen häufig zuwider, was sich wiederum negativ auf kleinere Interessengruppen auswirken kann. Transstaatliche Organisationen wie die UNESCO stärken deshalb alternative Medien. Minderheiten sollen dadurch Chancen der Selbstorganisation erhalten, wozu die öffentliche Artikulation, die Verbreitung eigener öffentlichen Medienbilder sowie kulturelle Ausdrucksmöglichkeiten zählen, die in den Mainstream-Medien nicht vorkommen – was zur (erwünschten) Pluralisierung von Teil-Öffentlichkeiten beiträgt (vgl. Dowmunt 1993). Gefördert werden: Community Media, Alternative Communication, Access to Mainstream Media, Participation in Media Management and Production (UNESCO 1989, S. 195f.).17 Die nachfolgend erörterten Ansätze setzen sich mit spezifischen Ausprägungen Alternativer Medien auseinander und dienen als Teil eines „Baukastens“ im Kontext der Medienbeteiligung von Migrant/innen in Offenen Kanälen. Bürgermedien Bürgermedien nehmen eine Sonderstellung ein. Der Begriff bezieht sich auf eine Bandbreite unterschiedlicher Medien, die nicht alle Ideale Alternativer Medien erfüllen. Mit „Bürgermedien“ sind im deutschsprachigen Raum kleinräumige Rundfunkmedien (Radio und Fernsehen), Medien des dritten Rundfunksektors gemeint. 17 Zur Abgrenzung der einzelnen Definitionen s. Vatikiotis 2004.

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In der Bundesrepublik Deutschland sind sie in den 1970er und 80er Jahren im Zuge der Liberalisierung des Rundfunkmarktes entstanden. Sie werden zum Teil mit öffentlichen Geldern gefördert. Im Medienbericht 2008 der Bundesregierung wurden Bürgermedien erstmals als förderungswürdig eingestuft (vgl. Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien 2008, S. 181-182). Neben dem Medienkompetenzerwerb werden mit ihnen in jüngster Zeit auch die Ergänzung des publizistischen Angebots und der Beitrag zur gesellschaftlichen Meinungsbildung verbunden.18 Zu den Bürgermedien werden gezählt: 1) nichtkommerzielle Lokalradios,19 2) Bürgerrundfunk in Bremen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen (nichtkommerzielle Programmfenster innerhalb der Lokal-Radio Angebote), 3) Offene Kanäle (Hörfunk und Fernsehen)20, 4) Hochschulkanäle, Campusradio (eigene Lizenzen und Frequenzen an Hochschulstandorten), 5) Aus- und Fortbildungskanäle (Bayern, Baden-Württemberg, NRW, Hamburg). Bundesweit gehen mehr als 140 Bürgermedien auf Sendung „und bieten interessierten Bürgerinnen und Bürgern einen chancengleichen und unzensierten Zugang zu Hörfunk- und Fernsehstudios, die ihre Programme terrestrisch oder via Kabel ausstrahlen. Die Verbreitung erfolgt ausschließlich lokal und regional.“21 Diese Selbstauskunft der Medienanstalten muss hinterfragt werden, denn die gesamte Bürgermedienlandschaft ist durch unterschiedliche Schwerpunktsetzung ständig in Bewegung und differenziert sich weiter aus. Bürgermedien können deshalb sehr unterschiedliche Zielsetzungen und Funktionen verfolgen, die vom „offenen“ Zugang zur Radio- und Fernsehproduktion für nicht-professionelle Laien über die Medienkompetenzvermittlung (medienpädagogische oder gesellschaftspolitische Ausrichtung) bis hin zur Qualifizierung in Fortund Ausbildungskanälen reicht. Nicht immer ist dieser Zugang „chancengleich“ wie noch zu zeigen sein wird. Freie Radios unterscheiden sich von Bürgermedien. Sie sind aus der Radiobewegung und den Piratensendern hervorgegangen sind. Sie haben sich den Idealen 18 http://www.lfm-nrw.de/buergermedien/was-sind-buergermedien.html; 26.10.2012. 19 Im Gegensatz zu Freien Radios erhalten nichtkommerzielle Lokalradios in einigen Bundesländern einen Teil der Betriebskosten von den jeweiligen Landesmedienanstalten. 20 Werden in Kapitel 4 ausführlich behandelt. 21 http://www.die-medienanstalten.de/themen/buergermedien.html; 26.10.2012.

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von Basisdemokratie, Antirassismus und Anti-Diskriminierung verschrieben, so dass sie sich als einziges Medium mehr oder weniger explizit für Migrant/innen öffnen (s. Kapitel 4). Unterschiedliche Gruppen können sich in Freien Radios an der Gestaltung des redaktionellen Programms beteiligen, wobei sie „insbesondere denjenigen Personen und Gruppen zur Verfügung [stehen], die gesellschaftlich marginalisiert, sexistisch und/oder rassistisch diskriminiert sind und deshalb zur herkömmlichen Medienproduktion keinen oder nur begrenzten Zugang haben“.22 Freie Radios beschreiben sich als „selbstbestimmt“ und „offen […] für Unbekanntes und Vernachlässigtes in Wort und Musik“.23 Freie Radios sehen ihr Programm im Sinne einer kritischen Gegenöffentlichkeit als publizistische Ergänzung für den lokalen Raum an. In Deutschland sind derzeit 33 Freie Radios im Bundesverband Freier Radios (BFR) zusammengeschlossen. Der Dachverband hat bisher in sieben Bundesländern medienrechtliche Grundlagen für eigenständigen Hörfunk durchgesetzt und arbeitet eng mit Freien Radios in der Schweiz und in Österreich zusammen. Freie Radioinitiativen sind in elf von 16 Bundesländern in Deutschland aktiv.24 Im Gegensatz zu Freien Radios erhalten nichtkommerzielle Lokalradios in einigen Bundesländern einen Teil der Betriebskosten von den jeweiligen Landesmedienanstalten erstattet. Von Offenen Radiokanälen unterscheiden sie sich beide dahingehend, dass Trägervereine die Radiostationen selbstbestimmt mit einer eigenen Rundfunklizenz betreiben. Zum Vergleich können die derzeit 145 Radiowerkstätten des nach öffentlich-rechtlichem Modell betriebenen Bürgerfunks in NordrheinWestfalen lediglich ein Programmfenster im lokalen privat-kommerziellen Rundfunk von 15 % der Sendezeit mitgestalten.25 Zudem sind Radiobeiträge in Nordrhein-Westfalen seit der Novellierung des Landesrundfunkgesetzes von 2007 grundsätzlich nur in deutscher Sprache erlaubt. Zur Begründung dienten einerseits die Befunde der Studie von Helmut Volpers et al., dass fremdsprachige Sendungen im Bürgerfunk in NRW letztlich „kaum eine Rolle“ spielen würden (Volpers et al., 2006, S. 50). Andererseits wurde die Deutschsprachigkeit von der Landesmedienanstalt als Beitrag zu Integration gewertet, wie der ehemalige Leiter des OK Dortmund, Norbert Wortmann, im Interview darlegte (vgl. Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen 2010, § 5 (3)). Herkunftssprachliche Sendeproduktionen im Bürgerradio in NRW sind seither nicht mehr erlaubt – was unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung kritisch zu sehen ist.

22 Vgl. http://www.freie-radios.de/bfr/ueber.htm; 23.09.2010. 23 Vgl. http://www.freie-radios.de/bfr/ueber.htm; 23.09.2010. 24 Vgl. http://www.freie-radios.de/bfr/ueber.htm; 23.09.2010. Im Saarland, in Bremen, Rheinland-Pfalz und Brandenburg gibt es derzeit keine Freien Radios. 25 Vgl. http://www.lfm-nrw.de/buergermedien/partizipativ.php; 23.09.2010.

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Trotz aller Unterschiede werden Bürgermedien gemeinsame Strukturmerkmale zugeschrieben, die sie deutlich von öffentlich-rechtlichen oder kommerziellen Rundfunksendern unterscheiden. Neben der Medienkompetenzvermittlung, der Nutzung der Meinungsäußerungs- und Rundfunkfreiheit von Einzelnen und Gruppen, der ausschließlich lokalen oder regionalen Verbreitung, werden damit alternative Sendungen bzw. Programme, die Werbefreiheit sowie die Trägerschaft des Senders durch einen eingetragenen Verein, eine andere gemeinnützige Körperschaft oder eine Landesmedienanstalt verbunden.26 Allerdings ist es von entscheidender Bedeutung, ob ein Verein oder eine Landesmedienanstalt für ein Bürgermedium verantwortlich ist, da diese als Aufsichtsund Kontrollorgane die Mediengesetzgebung umsetzen. Die Landesmedienanstalt in Hessen hebt seit dem Jahr 2006 beispielsweise deutlich die praxisbezogene Medienkompetenzvermittlung hervor; in NRW hingegen wird die Ergänzung des publizistischen Angebots durch die Bürgermedien betont. In Sachsen-Anhalt wiederum liegt der Schwerpunkt auf dem Erwerb von Kenntnissen im Umgang mit elektronischen Medien, was auch die kritische Auseinandersetzung mit ihnen einschließt.27 Die Ausprägung des jeweiligen Bürgermedienmodells ist folglich eng mit Möglichkeiten bzw. Grenzen der Medienbeteiligung verbunden. Insbesondere der Aspekt der unterschiedlichen Zugangsoffenheit spielt dabei eine Rolle. Aus- und Fortbildungskanäle beispielsweise machen den Zugang nur in Zusammenhang mit einer Qualifizierung möglich. Im Bürgerradio in NRW sowie im neuen Offenen Kanal Berlin (ALEX) ist vorab außerdem ein kompliziertes System von Akkreditierungsmaßnahmen notwendig und es dürfen nur noch Gruppen auf Sendung gehen (vgl. Landesmedienanstalt NRW 2010). Community Media Wie oben angedeutet, hat das alternative Medienmodell der Community Medien (CM) in jüngster Zeit öffentliche Aufmerksamkeit erhalten. Der Begriff ist zunächst als Sammelbegriff zu verstehen. Er bezieht sich auf Medien des dritten Sektors (neben den öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Angeboten), vor allem auf nichtkommerzielle Radioprojekte, die von einer Community (Gemeinschaft) für eine Community senden. Er hat seine historischen Wurzeln in der nordamerikanischen Radiobewegung der 1960er Jahre und in den Neuen Sozialen Bewegungen. In Zusammenhang von Community-Medien wurde der Aufruf „Becoming the media!“ populär, der sich auf die Demokratisierung der Medien durch die aktive Einbeziehungen der Zuschauer/innen bezieht, auf „media audience as active producers of meaning from within their own cultural context.“ (Deuze 2006, S. 263).

26 Vgl. http://www.buergerrundfunk.de/; 26.10.2012. 27 Vgl. http://www.buergermedien-lsa.de/; 26.10.2012.

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Community Medien sind zunächst nicht mit „Bürgermedien“ wie den Offenen Kanälen deckungsgleich, denn ihnen liegen andere Grundauffassungen und historische Bedingungen zugrunde. Die Community Medien-Theorie und -Praxis betont klassischerweise sprachliche, inhaltliche, partizipationstheoretische, konzeptuelle und ökonomische Unterschiede dieser Medien im Vergleich zu kommerziellen und öffentlich-rechtlichen Angeboten. Zentral ist ihnen die grundsätzliche Ablehnung von top-down-Kommunikation und somit die Selbstverwaltung des Mediums durch die „Communities“, was einer Medienpartizipation entspricht. Diese können sich aus gesellschaftlichen Gruppen wie Migrant/innen, Schwulen/Lesben, Hausfrauen, Umweltschützer/innen, Sportler/innen, politischen und anderen Gruppierungen bilden (vgl. Lewis 2008, S. 5). Die „Community“ ist folglich nicht unbedingt eine geografisch, ethnisch oder geschlechterspezifisch bestimmte Gruppe, sondern umfasst grundsätzlich alle, die sich selbst als Teil einer vorgestellten Gemeinschaft betrachten (vgl. Bailey/Cammarts/Carpentier 2008, S 8-10). Lewis fasst die charakteristischen Eigenschaften von Community-Medien wie folgt zusammen (vgl. Lewis 2008, S. 11): Redefreiheit und Medienpluralität, öffentliche und gleichberechtigte Zugänge, kulturelle Vielfalt, Nicht-Kommerzialität, Selbstbestimmung, Transparenz, Förderung von Medienkompetenz (ebd., S. 13). Freie Radios in Deutschland treffen sich am ehesten mit diesen Idealen von Community-Medien, weil sie den diskriminierungsfreien Zugang zu Sendelizenzen gewähren wollen (vgl. Prehn 1992; Vatikiotis 2004, S. 14-16).28 In jüngster Zeit beginnt sich mit Community Media (CM) jedoch ein weiter gefasster Begriff durchzusetzen, der so unterschiedliche Modelle wie öffentlich geförderte Offene Kanäle und nichtkommerzielle Lokalradios, Campus-Sender sowie (kommerzielle) Ausbildungs- und Medienkompetenzkanäle subsummiert. So zählt eine Studie des EU-Parlaments (2007) Deutschland mit 304 Community-Medien zu den europäischen Ländern mit der höchsten CM-Präsenz, wobei Offene Kanäle hierbei mitgezählt werden. Ein Grund für die Ausweitung des Community MedienBegriffs ist die offizielle Anerkennung und politische Aufwertung derselben durch das Europäische Parlament im September 2008. Dem war ein mehrjähriger Prozess der Lobbyarbeit u.a. von den Dachverbänden AMARC Europe (Association of Community Radio Broadcasters) und dem Community Media Forum Europe (CMFE) vorausgegangen, welche europäische Community Medien miteinander vernetzen und deren Belange in Brüssel vorbringen. Erstmals wurde mit der „Entschließung des Europäischen Parlaments vom 25. Sep28 Das älteste Community Radio in Deutschland und der früher bekannteste Piratensender im deutschsprachigen Raum ist Radio Dreyekland, welches seit 1977 von wechselnden Orten aus sendet. Gegenwärtig sendet es außer in Deutsch in 15 weiteren Sprachen, s. http://www.rdl.de//index.php?option=com_content&task=view&id=28&Itemid=41; 17.03.2010.

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tember 2008 zu gemeinnützigen Bürger- und Alternativmedien in Europa“ eine verbindliche und europaweit geltende Definition von Community Media festgeschrieben: „Community Media should be defined as: non-profit making and independent, not only from national, but also from local power, engaging primarily in activities of public and civil society interest, serving clearly defined objectives which always include a social gain and contribute to intercultural dialogue; accountable to the community which they seek to serve, which means that they are to inform the community about their actions and decisions, to justify them, and to be penalised in the event of any misconduct, so that the service remains controlled by the interests of the community; open to participation in the creation of content by members of the community, who may participate in all aspects of the operation and management.“ (Europäisches Parlament 2008)

Demnach sind CM wichtig für die Stärkung von sozialem Zusammenhalt und Inklusion, Sprachenvielfalt und lokaler Identität sowie Medienpluralismus. Dazu gehört die Aktivierung randständiger Personen und Gruppen zur Teilnahme an politischen Prozessen. Des Weiteren sollen CM „immer auf einen sozialen Zugewinn ausgerichtet“ sein und „zum Dialog zwischen den Kulturen beitragen.“ Dabei sind sie „gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, an die sie sich richten, verantwortlich […], so dass die Dienste immer im Sinne der jeweiligen Gemeinschaft erbracht werden und die Entstehung von Netzwerken vermieden wird, die ‚von oben‘ kontrolliert werden“ (ebd.). Ein entscheidender Faktor ist demnach, dass CM als Akteure des interkulturellen Dialogs anerkannt werden. Auch der Europarat hat 2009 CM als wichtiges Instrument für die Durchsetzung europäischer Werte und demokratischer Medienzugänge politisch aufgewertet. Demnach werden die Potentiale der Community Media auf verschiedenen Ebenen gesehen, die im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit wichtig sind. Community Media „fostering public debate, political pluralism and awareness of diverse opinions, notably by providing various groups in society – including cultural, linguistic, ethnic, religious or other minorities – with an opportunity to receive and impart information, to express themselves and to exchange ideas.“ (Declaration of the Committee of Ministers 2009).

Die Verwendung der Herkunftssprache in CM wird dabei als wichtige Ressource bewertet, denn „minority community media, by using the language of their audience, are able to reach out effectively to minority audiences“ (ebd.). Nicht zuletzt die begrenzten Frequenzen und die zurückhaltende Zulassungspolitik des Bundes in den Jahrzehnten vor der Digitalisierung im Mediensektor verhinderten das Entstehen einer breiten und vielfältigen „echten“ Community Medien-Landschaft in Deutschland. Dies wirkt bis in die Gegenwart hinein, u.a. in der

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Mediengesetzgebung und der Dominanz öffentlich-rechtlichen Rundfunksender und mit öffentlichen Ressourcen aufrechterhaltenen und organisierten Medien des dritten Sektors wie Ausbildungskanälen und Offenen Kanälen. Offene Kanäle wurden im Jahr 2011 nach kontroversen Debatten in den Dachverband Community Media Forum Europe (CMFE) aufgenommen und gelten seither offiziell als Community Media. Die Landesmedienanstalten organisieren und kontrollieren jedoch weiterhin die OK. Ob also die europäische Initiative die medienpolitische (Fehl-)Entwicklung korrigieren kann, erscheint fraglich, weil dazu in den Community Medien-Sektor investiert werden müsste. Schaut man sich die Entwicklung in anderen europäischen Staaten wie beispielsweise Frankreich an, wird dies deutlich: Landesweit existiert eine vielfältige und vitale Community-Radio-Szene, vor allem, weil der Staat schon seit Beginn der 1980er Jahren damit begann, in großem Umfang Lizenzen zu vergeben und Communities mit dem Fonds de soutien à l’expression radiophonique locale (FSER) systematisch finanziell zu unterstützen. (vgl. European Parliament 2007, S. 12). Im Kontext von Migration gewinnen die Potenziale und Grenzen von Community-Medien somit an Kontur. Ihre Potenziale liegen darin, das individuelle „Recht auf Kommunikation“ in muttersprachlichen Medien zu entwickeln, durch die Gestaltung von Kleinst-Öffentlichkeiten zur Selbstorganisation der Migrant/innen beizutragen und sich förderlich auf die Partizipation von Migrant/innen an und die kulturelle Vielfalt in den Medien auszuwirken. Bilinguale Community-Medien können dabei „mediale Brückenangebote“ darstellen, welchen es Diaspora-Nutzer/innen erlaubt, einen Zugang zur Kultur des Einwanderungslandes zu bekommen (vgl. Hafez 2004, S. 83). Kleinsteuber hat am Beispiel der NKL darauf aufmerksam gemacht, „dass das kleinste und dezentralisierteste Medium zugleich das am stärksten internationalisierteste ist, mit der einzigartigen Chance, die Multikulturalität der Welt glaubwürdig in die Lokalität einzuführen“ (Kleinsteuber 1991, S. 330). Gleichwohl bergen Community Medien als Alternativmedien die Gefahr, dass sie sich als mediale Nische verfestigen und die Medienbeteiligung von Migrant/innen in der Breite nicht voranbringen. Im ungünstigen Fall dienen sie sogar als Legitimation bestehender Organisations- und Machtstrukturen der Medien und als „Vielfaltsreserve“. Nicht zuletzt aufgrund der notorischen Unterfinanzierung beispielsweise von Freien Radios in Deutschland, die sich meist aus lokal akquirierten Projektgeldern finanzieren, ist die Förderung von Migrant/innen in CM derzeit nicht systematisch und flächendeckend gewährleistet. Citizen’s Media Die eher pessimistische Einschätzung der Alternativmedien als marginal und vergleichsweise unbedeutend ist für Clemencia Rodriguez in erster Linie ein konzep-

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tionelles Problem. Rodriguez besinnt sich in ihrer Theorie der „bürgernahen Medien“, Citizen’s Media, auf den nicht ganz neuen Gedanken der Aktivierung des Publikums und knüpft an vorangegangene partizipationsorientierte Medientheorien an. Neu ist, dass Rodriguez sich von der klassischen Vorstellung löst, Alternative Medien als Gegenmodell zu den (kommerzialisierten) Massenmedien zu verstehen. In Rodriguez’ Fokus steht die Kritik an der dualistischen Idee der Unterdrückten auf der einen Seite und der Machthabenden auf der anderen. Dieses „David versus Goliath scenario“ (Rodriguez 2001, S. 19) dominierte bislang die theoretischen Ansätze zu Alternativen Medien, welche ihnen eine normative Vorreiterrolle bei der Durchsetzung eines demokratischeren Mediensystems zuweisen. Allerdings muss dieser aussichtslose Kampf aufgrund der Machtungleichheit zwischen den professionellen Medienmonopolen und den Alternativen Medien, so Rodriguez, zwangsläufig als Scheitern Alternativer Medien in kommunikationswissenschaftlichen Analysen dargestellt werden. Das führe dazu, dass „communication scholars defined alternative media by what-they-were-not, instead of by whatthey-were“ (ebd., S. 21). Der „David-gegen-Goliath“-Frame spiegele sich in der Konzeptualisierung Alternativer Medien als „oppositionell“ gegenüber dem medialen Mainstream, als „marginalisiert“ oder in irgendeiner Form „konfrontativ“ wider (vgl. ebd., S. 22). Das wahre Ziel Alternativer Medien sei hingegen aus dem Blick geraten, denn es bestehe nicht darin, die ungerechten Informationsflüsse zu verändern, sondern die Selbstwahrnehmung des Subjekts zu verändern und damit die Mobilisierung der Bürger/innen zu stärken. „In other words, alternative media spin transformative processes that alter people’s sense of self, their subjective positionings, and therefore their access to power“ (ebd., S. 31).

Bei der Entwicklung ihres theoretischen Konzepts der Alternativen Medien stehen Rodriguez u.a. die Medienmodelle von Brecht und Enzensberger Pate sowie demokratische Vorstellungen von (Staats-)Bürgerschaft (citizenship). „Citizens have to enact their citizenship on a day-to-day basis, through their participation in everyday political practice […]. As citizens actively participate in actions that reshape their own identities, the identities of others, and their social environment, they produce power“ (ebd., S. 31f.).

Entscheidend in Rodriguez‘ Ansatz dieser praxisorientierten Staatsbürgerschaft ist das Spannungsverhältnis von aktiver Teilhabe der Bürger/innen an gesellschaftlichen und kulturellen Prozessen sowie an Macht. Die massenmediale Perspektive werde durch bürgernahe Medien herausgefordert, denn darin bestehen die Akteur/innen auf ihrer Besonderheit, wie etwa ihrer Kultur und Sprache. Staatsbürgerschaft, verstanden als „cultural citizenship“, die alle Bürger/innen innerhalb eines

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Territoriums einschließt, bildet nach Rodriguez die Grundlage dafür, den vorherrschenden Begriff der Alternativen Medien durch den der bürgernahen Medien zu ersetzen:29 „[…] ‚citizen’s media‘ implies first that a collectivity is enacting its citizenship by actively intervening and transforming the established mediascape; second, that these media are contesting social codes, legitimized identities, and institutionalized social relations; and third, that these communication practices are empowering the community involved, to the point where these transformations and changes are possible“ (ebd., S. 33f.).

Die Beteiligung in den bürgernahen Medien begreift Rodriguez als demokratisches Alltagshandeln, das gleichermaßen das Politische in den Alltag hinein ausdehnt und das politische Subjekt erst hervorbringt. Diese Überlegungen beziehen sich nicht ausschließlich auf Migrant/innen. Die multikulturelle Gesellschaft stellt jedoch die Leinwand dar, auf die sie ihre Vorstellungen projiziert. In den bürgernahen Medien spiegelt sich die gesellschaftliche Vielfalt symbolisch wider. Minderheiten, welche dort als TV-Produzent/innen aktiv werden, setzen sowohl ihre Staatsbürgerschaft als politische Subjekte ins Werk und tragen gleichzeitig durch ihre eigene Symbolproduktion zur demokratischen Kultur bei. Durch diesen Perspektivenwechsel erlangen Nischenmedien von Minderheiten politische Bedeutung und werden zu einem Faktor in Demokratisierungsprozessen. Zur Erforschung von bürgernahen Medien bedarf es demnach flexibler Konzepte, die dem fließenden, oftmals improvisierten Charakter dieser Alternativen Medien gerecht werden und dadurch erst ihre politische Bedeutung erkennen lassen. Small Media Wie die oben dargestellten theoretischen Überlegungen zu Citizen’s Media ist auch das theoretische Konzept der Small Media (Kleinen Medien) keine eigenständige Medientheorie. Vielmehr hat es als spezifischer Aspekt der Demokratie- und Transformationstheorie einen wichtigen Platz in der internationalen Kommunikationswissenschaft eingenommen. Ali Mohammadi und Annabelle Sreberny-Mohammadi (1994) haben in ihrer Studie über den Einfluss von Tonkassetten und Flugblättern der iranischen Auslandsopposition auf die Islamische Revolution 1979 in Iran die Grundlagen für dieses Konzept entwickelt. Die Kommunikationswissenschaftler/innen konnten nachweisen, dass die auf Audiokassetten aufgenommenen Reden und Zukunftsvisionen einer islamischen Republik des im französischen Exil leben-

29 Citizen’s Media sollte nicht mit dem deutschen „Bürgermedien“ übersetzt werden, weil, wie oben dargestellt, darunter eine Bandbreite unterschiedlicher Medien des dritten Sektors subsummiert werden. Zum Konzept der Cultural Citizenship in der Kommunikationswissenschaft s. Klaus und Lünenborg (2004).

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den Ayatollah Khomeini maßgeblich am Sturz des Schahs beteiligt waren. Die Aufnahmen gelangten über transnationale Netzwerke der gut organisierten Auslandsopposition in den Iran und entfalteten dort, weiter verbreitet, ihre revolutionäre Wirkung (vgl. Mohammadi/Sreberny-Mohammadi 1994). Zu Kleinen Medien können prinzipiell alle Medien werden. Auch solche, die gemeinhin kaum mit öffentlicher Meinungsbildung in Verbindung gebracht werden, wie Tonkassetten und Faxgeräte, Graffiti und Kurznachrichten von Mobiltelefonen. Entscheidend sind nicht das Medium, sondern seine Gebrauchsweise und ihre öffentliche Wirkung. Im Falle der von Mohammadi/Sreberny-Mohammadi beschriebenen Funktion weisen Kleine Medien zunächst einen informellen Charakter für die Auslandsopposition auf. In politischen Krisenzeiten entfalten Small Media jedoch ihre Bedeutung als öffentlichkeitswirksame Bewegungsmedien, weil sie außerhalb des Landes entstehen und dadurch vor dem Zugriff der Heimatregime geschützt sind. Durch die transnationale Verbreitung über informelle Netzwerke können sie die öffentliche Meinungsbildung vor Ort und sogar die politischen Verhältnisse bis hin zu einem Umsturz beeinflussen – wie das Beispiel der Islamischen Revolution von 1979 gezeigt hat (Hafez 2005, S. 94). Mohammadi/Sreberny-Mohammadi räumen ein, dass sich erst im historisch-kulturellen Kontext entscheidet, welche Medien zu Kleinen Medien werden (vgl. Mohammadi/Sreberny-Mohammadi 1994, S. 20-23). Dies bestätigt die Annahme von Bailey et al. (2008), dass Alternative Medien vor allem über ihre Funktion für die jeweiligen Nutzer/innen bestimmt werden können. Wie andere Bewegungsmedien können Kleine Medien mitunter besser geeignet sein, eine politische Öffentlichkeit herzustellen, wenn das politische System eines Landes eine unabhängige Medienberichterstattung verhindert. Sie können horizontale Kommunikationsflüsse in der Medienlandschaft organisieren und dadurch Gegenöffentlichkeiten bilden. Hier überschneiden sich die Funktionen Kleiner Medien mit denen Radikaler Medien (vgl. Downing 1984, 2001). „Radikale Medien“ (Radical Media) sind das zentrale Moment einer kritischen „counter-hegemony“ und dem offenen Widerstand sozialer Bewegungen gegen die herrschenden Verhältnisse. Radikale Medien sollen demnach alternative Diskurse und Meinungsbildungsprozesse anstoßen, indem sie Desinformationen und „falschen“ Medienbildern begegnen, „... in order to emphasise the „multiple realities“ of social life (oppression, political cultures, economic situations)“ (Downing 1984, S. 17).

In einem größeren Zusammenhang werden die selbstorganisierten radikalen Medien als „Rückeroberung“ von zivilgesellschaftlicher Macht und als (revolutionäre) Akteure gesellschaftlichen Wandels begriffen, die zwar, einen Partisanen-Charakter haben können, die jedoch nie zum Werkzeug einer politischen Partei werden sollten

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(ebd.). In ihnen fechten marginalisierte Gruppen ihren (ungleichen) Kampf gegen symbolische Unterdrückung und Homogenisierung aus, in dem sie „Gegenöffentlichkeiten“ schaffen. Radical Media stehen damit „bewusst“ außerhalb des etablierten Mediensystems, das sie abschaffen möchten. Später nimmt Downing diese binäre Sichtweise von Radikalen Medien und Massenmedien zurück, weil die Position „seriously simplified both mainstream and alternative media“ (Downing 2001, S. ix). Der Kern der radikalen Medien bleibt jedoch mit der Bildung des politischen Bewusstseins derjenigen verknüpft, die von ihnen Gebrauch machen. Aus diesem Grund bezieht sich Downing (2001) später ausschließlich auf Soziale Bewegungen und ihre Medienaktivitäten. Small Media spitzen jedoch die Idee einer nicht-konsensorientierten Öffentlichkeit auf den tatsächlichen Umsturz der politischen Verhältnisse und den Kampf um kulturelle und politische Hegemonie zu. Sie können dadurch die Lücke füllen, die westliche Auslandsberichterstattung hinterlässt, denn diese „eignet sich nur sehr bedingt für effektive Bumerang-Effekte“ (Hafez 2005, S. 95), also für politische Rückwirkungen der Berichterstattung internationaler Medien auf das betreffende Land. Dies ist u.a. den Nachrichtenfaktoren „Eurozentrismus“ und „Involvierung“ geschuldet, so dass wahrscheinlicher über Themen berichtet wird, bei denen westliche Interessen tangiert werden (vgl. ebd.). Aufgrund begrenzter Sendeplätze für internationale Nachrichten ist die „Berichterstattung über Krisenmomente hinaus nicht gewährleistet“ (ebd.), und für die Auslandsopposition stehen zu wenige Sendeplätze zur Verfügung, als dass diese grundsätzlich eine Wirkung auf die Entwicklung im jeweiligen Land entfalten könnten. Die Protestwelle in der Islamischen Republik Iran nach den Präsidentschaftswahlen 2009 sowie der Umsturz in nordafrikanischen Ländern zu Beginn des Jahres 2011 sind aktuelle Belege für diese Beobachtung. Der Informationsfluss hat durch die „grüne Bewegung“ in Iran, die sich mit tweets (Twitter-Einträgen), YouTube und Facebook zu Wort meldete, eine neue Richtung bekommen: von Süd nach Nord, aus dem Land heraus in internationale Mediendiskurse hinein. Es gelang dadurch kurzfristig etwas ins Bewusstsein der deutschen Bevölkerung zu bringen, was Exiloppositionelle im Einerlei der Iran-Berichterstattung bislang kaum vermitteln konnten, nämlich das Vorhandensein einer Gegenöffentlichkeit im Iran. Allerdings bedurften die Botschaften, die in Internetmedien veröffentlicht wurden, einer sprachlichen und kulturellen Einordnung. Einige iranischstämmige Publizist/innen und Exilant/innen, aber auch bislang nicht zu Rate gezogene Mitarbeiter/innen in Presse und Rundfunk übernahmen diese Übersetzungsleistungen und wurden dadurch ertsmals als Expert/innen wahrgenommen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass alternative Medien öffentliche Foren schaffen, „ohne allerdings die Struktur der etablierten Öffentlichkeit in ihren wesentlichen Punkten zu verändern […]“ (Wimmer 2007, S. 211). Damit ist die Grenze alternativer Medienformen bestimmt, auf die noch näher einzugehen ist, denn

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obwohl Alternative Medien Impulse für medienpolitisches Handeln liefern, konnten sie bislang nicht die festgefügten Organisationsstrukturen der Massenmedien – und die damit in Verbindung gebrachten kommunikativen Ungleichgewichte – aufbrechen.

2.4 K ULTURTHEORETISCHE ANSÄTZE UND IHRE R ELEVANZ FÜR DIE U NTERSUCHUNG DER M EDIENBETEILIGUNG IM M IGRATIONSKONTEXT Der kulturtheoretischen Tradition in der Kommunikationsforschung geht es nicht in erster Linie um einen „Pluralismus“ der kommunikativen Beteiligung an öffentlichen Diskursen wie in demokratietheoretischen Ansätzen, sondern sie geht von einer Vielfalt der kulturellen Ausdrucksformen aus, die eine Vielfalt der Medienkulturen bedingt. Mit den kulturtheoretischen Ansätzen, die im Folgenden vorgestellt werden sollen, wird der Blick auf die kulturelle Globalisierung und das Verhältnis zwischen Lokalem und Nationalem fokussiert. Die kulturtheoretisch imprägnierte Kommunikation- und Medienwissenschaft widmet sich unter anderem Kommunikationsprozessen im Migrationskontext (z.B. Identitätsbildung der Migrant/innen durch Medienkonsum, Artikulation der eigenen Partikularität in den Medien, transkulturelle mediale Vernetzung und Austausch). Im folgenden Abschnitt wird zunächst in den inter- und transkulturellen Ansatz in der Kommunikationswissenschaft eingeführt. Anschließend wird auf Medienakteur/innen und mediale Räume der Kultur- und Identitätsbildung im Kontext der Einwanderung eingegangen. Darauf werden zwei zentrale Ansätze erörtert, die im Rahmen einer Analyse der Medien- bzw. Fernsehproduktionen von Migrant/innen besonders geeignet scheinen, nämlich jene der „Exil-“ sowie der „DiasporaMedien“. 2.4.1 Interkulturelle und transkulturelle Ansätze in der Kommunikationswissenschaft Der interkulturelle Forschungsansatz in der deutschsprachigen Kommunikationswissenschaft wurde in dem Sammelband Dialog der Kulturen von Luger/Renger (1994) angestoßen (vgl. Löffenholz/Hepp 2002, S. 16).30 Luger weist darauf hin, dass die Faszination an „fremden Kulturen“ zur Geschichte europäischer Staaten gehört, im Zuge der kolonialen Expansion jedoch meist damit einherging, dass die

30 Zur grundlegenden Begriffsbestimmung von „interkulturell“ und „transkulturell“ s. Neubauer 2011, S. 107-118).

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„eigene Überlegenheit“ bestätigt wurde. „Eigene“ und „fremde“ Kulturen wurden dabei zugleich – gemäß einem dichotomischen Kulturverständnis – als homogen und weitgehend hermetisch definiert. In europäischen, in mehrfacher Hinsicht pluralisierten Gesellschaften der Gegenwart äußert sich dieser essentialistische Kulturbegriff noch immer in einer Tradition der „innereuropäischen Xenophobien“ (vgl. Luger 1994, S. 24-31). Diese haben sich auf unterschiedliche Weise im letzten Jahrzehnt – u.a. aufgrund der wachsenden Zahl rechtskonservativer bzw. rechtspopulistischer Regierungen in Europa und in Deutschland z.B. durch die Leitkulturoder die Sarrazin-Debatte sowie die kulturrassistisch begründete Fremdenfeindlichkeit in der Mitte der Gesellschaft, der Finanzkrise und dem Terror von Rechts – zunehmend auf muslimische Migrant/innen fokussiert bzw. auf Migrant/innen, die als solche definiert werden (vgl. Hafez 2009; Decker et al. 2010; Zick et al. 2011). Doch auch in weniger konflikthaften Interpretationen von Kultur wie dem Exotismus werden Kulturen im Sinne eines essentialistischen Modells als klar voneinander abgegrenzt gedacht. Die Problematik der dichotomischen Vorstellung von „Eigen- und Fremdkultur“ wird deutlich, wenn man es auf das Verhältnis von Einheimischen und Migrant/innen überträgt. Es besteht die Gefahr, dass Fremdheit dann als alleiniges Erklärungsmodell für ungewohnte oder unbekannte Handlungsweisen herangezogen wird. Hier setzt die interkulturelle Kommunikationswissenschaft an. Sie betont die makropolitischen Ursachen vermeintlicher interkultureller Probleme wie ökonomische und soziale Gefälle und soziale Differenzkategorien wie Migrant/in oder Gender. Sie nimmt für sich in Anspruch, auf medial (re-)konstruierte Stereotype, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus hinzuweisen, die die kulturelle Globalisierung begleiten (vgl. Hafez 2009; Butterwegge/Hentges 2006). Modernisierungsprozesse, grenzüberschreitende Migration und Kommunikation haben dazu geführt, dass sich die theoretische Definition von Kultur verändert hat. Luger (1994) gibt zu bedenken: „Alle heutigen Kulturen sind multikulturell und multiethnisch, stark differenziert nach Milieus und ausgeprägten Lebensstilen. Der herkömmliche Kulturbegriff sei deshalb kulturrassistisch“ (Luger 1994, S. 38).

Kultur in Form einer homogenen Nationalkultur erscheint zunehmend problematisch, denn sie lässt bestehende kulturelle Interdependenzen außer Acht. Aufgrund von Konnektivitäten über Landes- und Kulturgrenzen hinweg entstehen neue Kultur- und Lebensstile, die sich „jenseits“ der herkömmlichen Kategorisierung in „fremde“ und „eigene“ Kulturen befinden bzw. „durch sie hindurchgehen“ (vgl. Löffenholz/Hepp 2002, S. 12). In den postcolonial studies wurde für diese kulturellen Überlappungen der Begriff der „Hybridkultur“ geprägt. Abgesehen von seinem Ursprung in der Genetik

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soll mit Hybridkultur nicht einfach die Kultur in den „’Zwischen’-Räumen“ wahrgenommen werden (vgl. Bhabha, S. 2; S. 205-253). Vielmehr enthält er eine positive Haltung zu diesen Zwischenräumen, wodurch der Begriff eine positive Wertung enthält (vgl. Neubauer 2011, S. 120). Nestor G. Canclinis Studie über kulturelle Hybridisierungsprozesse in Südamerika u.a. am Beispiel von Migrationsprozessen hat deutlich gemacht, dass sich dahinter jedoch hochkomplexe Kämpfe um Macht und Einfluss verbergen können (ebd., 1997, S. 206-263). „Therefore, the analysis of the advantages or inconveniences of deterritorialization should not be reduced to the movements of ideas or cultural codes, as is frequently the case in the bibliography on postmodernity. Their meaning is also constructed in connection with social and economic practises, in struggles for local power, and in the competition to benefit from alliances with external powers.“

In der kulturwissenschaftlichen Kommunikationswissenschaft hat sich der Begriff „Transkulturalität“ durchgesetzt, der von Wolfgang Welsch (1992) geprägt wurde. Interkulturalität stellt nach Welsch ein zweistufiges Konzept dar, das auf der Primärebene von „beträchtlich verschiedenen“ und voneinander abgegrenzten Kulturen unterschiedlicher Völker ausgeht; „auf der Sekundärebene fragt es dann, wie sich diese Kulturen miteinander vertragen […] wie sie miteinander kommunizieren, einander verstehen oder anerkennen können“ (Welsch 1992, S. 5). Welsch will das dichotomische Kulturverständnis demnach überwinden. Es ist ihm in diesem Punkt Recht zu geben, weil die Verwendung des Begriffs „interkulturell“, also zwischen den Kulturen, häufig mit einem Verständnis von objektiv verschiedenen, quasi unabänderlichen Kulturen verbunden ist (Neubauer 2011, S. 114-117). Dass Konflikte in der interkulturellen Kulturkommunikation entstehen können, weil sich die Beteiligten subjektiv unterschiedlichen Kulturen zugehörig fühlen gilt jedoch als unumstritten (vgl. Bartholy 1992; Hafez, 2001b). Der Begriff Transkulturalität enthält dahingehend ein kritisches Moment, in dem er zur Erosion eines nationalstaatlich begründeten Kulturmodells („ContainerModell“, vgl. Beck, 1997, S. 49-55, Hepp 2009) beigetragen hat. Das Konzept der Transkulturalität stellt folglich auch Überlegungen einer Anerkennungspolitik in Frage, die dazu neigt, soziale Differenz zu kulturalisieren (vgl. Taylor 1997). Dem politischen Projekt der kulturellen Integration (Assimilation) kommt mit „Transkulturalität“ eine grundlegende Legitimation abhanden, bezieht es sich doch auf einen kulturellen Identitätskern, der zumeist an essentialistische, insbesondere nationalistische Vorstellungen von Zusammengehörigkeit gebunden ist. Transkulturelle Kommunikationswissenschaft untersucht grenzüberschreitende Kommunikation jenseits kultureller Einheiten bzw. durch diese hindurch. Weder „das Eigene“ noch „das Fremde“ steht im Zentrum einer darauf ausgerichteten Forschungsperspektive der Kommunikationswissenschaft, sondern die Frage nach der

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„neuen Qualität und Besonderheit des transkulturell Neuen und Gemeinsamen“ (Luger 1994, S. 39). Sie untersucht kulturelle Zugehörigkeiten und Medienaneignung, transkulturelle Medienprodukte und Öffentlichkeiten, durch welche nach ihrer Ansicht eine Vervielfältigung kultureller Identifikationsangebote in den Medien unterstützt wird, da vormalige Grenzziehungen durch transkulturelle und transnationale Medienangebote aufgehoben seien (vgl. Löffenholz/Hepp 2002; Hepp/Bozdag/Suna 2011). Die zugrundeliegende Definition von Medienkultur schließt dabei an Konzepte der britischen und amerikanischen Cultural StudiesForschung an, die Medien als semiotische Ressource in der alltäglichen Bedeutungskonstruktion, der Wahrnehmung von Wirklichkeit, einnehmen (vgl. Hepp 2009, [6]). „Zusätzlich kann man sagen, dass Medienkulturen solche Kulturen sind, in denen „die Medien“ Erfolg haben, sich selbst als diejenigen zu konstruieren, die die primären Bedeutungsressourcen zur Verfügung stellen – kurz: das Zentrum bilden“ (Hepp 2009, [7]).

Der Kommunikationswissenschaftler Andreas Hepp (2009; 2002) geht davon aus, dass Medienkulturen per se „translokal“ sind, weil Medien ja gerade dazu da sind, den geografischen Nahraum zu überschreiten. Globalisierungsprozesse führten dazu, dass „kommunikative Konnektivitäten zunehmend deterritorialisiert“ seien (ebd., [14]). Aus diesem Doppelcharakter der Medienkultur, einer territorial und einer deterritorial orientierten, entwickelt er den Ansatz der empirischen, vergleichenden transkulturellen Medienkulturforschung (ebd.). Die wichtige Frage der Postcolonial Studies, inwiefern diese deterritorialen Transformationsprozesse in ein gesellschaftliches Herrschaftssystem eingebettet sind, werden in der deutschsprachigen kulturwissenschaftlichen Kommunikationswissenschaft bislang erst ansatzweise und vereinzelt berücksichtigt (Klaus/Drüeke 2011). Die Struktur der transkulturellen Kommunikation ist, wie der Politikwissenschaftler Hans J. Kleinsteuber (2002) ergänzte, zivilgesellschaftlich organisiert. Nicht die asymmetrischen internationalen Nachrichtenströme sind damit gemeint, sondern die kommunikative Alltagskultur. Darin wird in dieser Arbeit das Potenzial der transkulturellen Perspektive gesehen. Sie sollte jedoch nicht überbewertet werden, denn in der Bevölkerung haben sich mit der kulturellen Globalisierung keineswegs durchweg transkulturelle Kulturkonzepte durchgesetzt. Des weiteren ist der Nationalstaat der Ort der gesetzlichen und ordnungspolitischen Rahmung der Medienpolitik geblieben (vgl. Hafez, 2005, S. 219). Er ist auch im Zeitalter entgrenzter Kommunikation ein bestimmender Akteur geblieben, der die Bedingungen der Medienbeteiligung für Migrant/innen (mit-)gestaltet. Mit einem Rekurs auf unterschiedliche Ansätze der kritischen Kommunikationswissenschaft hat der Kommunikationswissenschaftler Kai Hafez (2001; 2005) die Probleme einer Globalisierungseuphorie in der kulturtheoretischen Medien- und Kommunikationswissen-

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schaft weiter präzisiert. Weder habe die grenzüberschreitende Kommunikation zu einer differenzierteren Auslandsberichterstattung, noch zum „Ende der Ära des Nationalstaats“ oder einer weltweit „vernetzten Gesellschaft“ geführt (Hafez, 2005, S. 14). Hafez (2005) konstatiert, dass eine gegenseitige „kulturelle Beeinflussung der Länder und Kulturen dieser Welt“ keinesfalls in einem größeren Ausmaß stattgefunden hat. Im Gegenteil; die Transkulturalisierung wird im Großen sowohl von dem Zuschnitt der transnationalen Medien auf die Nutzungsmuster einer hegemoniale Elite, der Verankerung der Medienpolitik in Nationalstaat, den ökonomischen Interessen der Medienkonglomerate, dem digitalen Graben und nicht zuletzt der „Fremdenfeindlichkeit im globalen Medienzeitalter“ verhindert (ebd., S. 15). Davon ausgehend können Potentiale und Probleme kulturtheoretischer Ansätze umrissen werden. Ein Potential wird hier in der erhöhten Aufmerksamkeit für die Bedeutung der Kultur in Kommunikationsprozessen und Medienprodukten gesehen. Damit rücken der von Medien durchdrungene Alltag und die Aneignungs- und Konsummuster der Nutzer in den Vordergrund. Im Falle der Medienproduzent/innen iranischer Herkunft in Offenen Kanälen kann auf diese Weise die Bedeutung der Medienproduktion sowie ihr Beitrag zur transkulturellen Kultur berücksichtigt werden. Kritisiert werden kulturtheoretische Konzeptionen, weil sie zu häufig den makropolitischen Rahmen ausblenden und oftmals in Verbindung mit rein deskriptiven Analysen stehen.31 Zudem birgt diese Sichtweise die Gefahr, dass Kommunikationsprozesse „kulturalisiert“ und sozioökonomische Ungleichheiten, welche Kommunikationsstrukturen prägen, ausgeblendet werden (vgl. Hafez 2004, S. 71f.). Das Konzept der Interkulturalität als Verstehenskategorie hat in der Kommunikationswissenschaft insofern Bestand, weil es als Ansatz territoriale Einflüsse wie nationale Politik und Rassismen sowie die Hegemonie weltweiter Kommunikationseliten einbezieht. Dadurch können Mythen der kulturorientierten Fremdenfeindlichkeit entkräftet werden wie etwa die – mehrfach widerlegte – Annahme, dass muttersprachlicher Medienkonsum an sich segregierend wirkt (vgl. Naficy 1993; Hafez 2000b). So können die Befunde Wege der Verständigung im (medialen) Kulturkontakt aufzeigen. Im Falle der Offenen Kanäle werden im Sinne der interkulturellen Kommunikationswissenschaft übergeordnete ordnungs-politische Dimensionen berücksichtigt, welche die Regeln für die Medienbeteiligung der Migrant/innen festlegen.

31 Zu einer Kritik des Cultural-Studies-Ansatzes vgl. Dörner 1999. Allerdings weisen kritische Zweige der Cultural Studies schon seit langem auf Rassismus und Nationalismus in den Medien hin und haben dadurch die Kommunikations- und Medienwissenschaft auf ihre Forschungsdefizite aufmerksam gemacht. Zu Grundlagen des Cultural-StudiesAnsatzes in der deutschsprachigen Medienforschung s. Hepp 1999, 2004.

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2.4.2 Fernsehen und Öffentlichkeit als Räume der Kultur- und Identitätsproduktion In der kulturtheoretischen Kommunikationswissenschaft bedeutet Medienbeteiligung, „in der Lage zu sein, ‚mit eigener Stimme zu sprechen‘, wodurch die eigene kulturelle Identität durch Idiom und Stil gleichzeitig herausgebildet und ausgedrückt wird“ (Fraser 1996, S. 162, 166). Medien und Öffentlichkeit werden dabei als „Räume für die Herausbildung und die Inszenierung sozialer Identitäten“ (Fraser 1996, S. 166) und kultureller Präferenzen verstanden. Morley/Robins (1995) schließen, dass nicht so sehr die physische Anwesenheit an einem Ort als vielmehr symbolische Zugehörigkeit vermittels der Medientechnologie als kultureller Bezugsrahmen für die Identitätsbildung gelten. „Identity is a question of memory, and memories of ‚home‘ in particular. Film and television media play a powerful role in the construction of collective memories and identities.“ (Morley/Robins 1995, S. 91)

Wenn Medien und insbesondere Film und Fernsehen, gleichermaßen zum kulturellen Gedächtnis und zur Identitätsbildung beitragen sollen, ergibt sich zunächst die Frage, wie „kulturelle Identität“ definiert wird. Kultur gilt als wichtige Quelle von Identitätsbildung, wobei kulturelle Identität in einer essentialistischen Perspektive häufig mit Nation oder Ethnie gleichgesetzt wird (Hall 1996). Das Konzept der kulturellen Identität birgt die Gefahr einer „Ethnisierung kultureller Praktiken […], die nur zu einer anderen Form von Diskriminierung führt“ (Keupp 1999, S. 172). Im Kontext der Medienbeteiligung von Migrant/innen ist ein Identitätskonzept auf der Basis einer quasi unabänderlichen Primordialkategorie zu kritisieren, weil sie zur Konstruktion, Markierung und Überbetonung eines Differenzbegriffs beziehungsweise zu Ausgrenzung des so definierten „Anderen“ führen können. Ein Teilbereich der Identitätsforschung geht davon aus, dass Identität und Alterität aus einer diskursiven Konstruktion entstehen. Identität bildet sich demnach erst im kommunikativen Austausch heraus. Dieser konstruktivistische Identitätsbegriff betont die Bedeutung des Dialogs mit anderen bzw. der Kommunikation bei der eigenen Identitätskonstruktion. Dies bedeutet, dass Identität nichts ist, „was eine Person ein für allemal besitzt, gar von Geburt an mit sich bringt“ (Straub 1998, S. 87). Vielmehr können sich Identitäten kontextabhängig verändern („shifting identities“) (Butler 1991, S. 29 und 36). Neubauer schlägt nun im Anschluss an den konstruktivistischen Identitätsbegriff vor, „kulturelle Identität als Identifizierung in Bezug auf gesellschaftliche Diskurse und Praktiken sowie bestimmte gruppen- und klassenspezifische Lebensweisen und Orientierungen [zu] definieren“ (Neubauer, 2011, S. 104). In dieser Defini-

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tion werden individuelle (sub-)kulturelle Bezugssysteme ebenso berücksichtigt wie die Heterogenität moderner Gesellschaften. Vor allem in Zusammenhang von Diaspora- und Migrationserfahrungen erscheint das Verständnis einer „kommunikativ verflüssigten“ Identität sinnvoll (Straub, 1998, S. 77). Mitzscherlich (1997) und Keupp (1999) legen mit dem Begriff der Beheimatung eine Erweiterung vor. Die Identitätsforscher gehen davon aus, dass gerade in Migrationssituationen die Identitätsentwicklung mit ganz bestimmten Funktionen verbunden ist: „Die Funktion von Beheimatung für die Identitätsentwicklung besteht also in der […] Sicherung von sozialer Anerkennung, Handlungsfähigkeit und Kohärenz, den Zielen von Identitätsarbeit“ (Keupp 1999, S. 180).

Medienbeteiligung kann in diesem Prozess der Beheimatung, im Sinne der Sicherung sozialer Anerkennung, Handlungsfähigkeit und Kohärenz, eine wichtige Rolle einnehmen. Medieninhalten, vor allem im Fernsehen, wird eine kultur- und identitätsformierende Kraft zugesprochen, weil Menschen mit dessen symbolischem Material ihre Lebenswelt gestalten und die rezipierten Themen, Figuren und Erzählungen als symbolische Ressource ihrer Identitätsbildung verwenden. (vgl. Bachmeier 1996, S. 38f). Krotz weist darauf hin, dass Identität eine Balance darstellt, die in einem dynamischen Prozess der Selbstdarstellung und der Zuschreibungen in mediatisierten Kommunikationssituationen produziert wird (2003, S. 28). In Hinblick auf die Medienproduktion von Einwander/innen weist Stuart Hall (1994) darauf hin, dass die selbständige visuelle Repräsentation dazu dienen kann, die Identität zu produzieren. Selbst die bloße „Wieder-Erzählung der Vergangenheit“ kann „Verborgene Geschichten“ erzählen, welche letztlich eine bedeutende Rolle in sozialen Bewegungen wie dem Feminismus und dem Antikolonialismus gespielt haben (Hall 1994, S. 28). So kann unter Berücksichtigung des Beheimatungs-Konzepts untersucht werden, wie Migrant/innen mittels Medien „die subjektiv als fehlend wahrgenommene Verbindung zu Orten, Personen und kulturellen Kontexten selbst wieder [herstellen, C.H.] können“ (vgl. Keupp 1999, S. 179f.). Dabei muss die politische Dimension dieser Identitätsproduktion beachtet werden. Sie findet nämlich jenseits der von Massenmedien mitkonstruierten nationalen Identität statt. „National television can reinforce national political identity and loyalty among citizens, sustain a sense of patriotism, conform to a military sense of national security, and reinforce a sense of being a national consumer within a national market, which also helps the state by strengthening national industry.“ (Straubhaar 2007, S. 70).

Stuart Hall hat bereits 1981 verdeutlicht, dass Medien an der ideologischen Konstruktion eines rassistischen Alltagsbewusstseins mitarbeiten (vgl. Hall 1989, 150-

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171). Er spricht von der Politik der Repräsentation, denn die Beteiligung an und der Zugang zu Medien ist auch eine Frage der symbolischen Macht. Medien, genauer ihre Produkte, schaffen „Repräsentationen, Bilder, Beschreibungen, Erklärungen und Rahmen, die erklären, wie die Welt aussieht“ (ebd., S. 155). Dabei stellen Medien Einwanderung und alles damit in Verbindung Stehende oftmals als problembehaftet dar. Dieser „implizite Rassismus“ der Medien schafft „unhinterfragte Vorannahmen“, nämlich dass Migrant/innen per se die Quelle gesellschaftlicher Probleme sind (ebd., S. 156f.). Dies geschieht nicht unbedingt bewusst noch aufgrund besonders rassistischer Haltungen.32 Vielmehr haben Medien „eine Struktur, einen Komplex an Praxen, die nicht auf die darin arbeitenden Individuen reduzierbar sind“ (ebd., S. 167). Nicht nur strukturelle und inhaltliche, sondern auch formale Dimensionen des Fernsehens werden als kulturprägend begriffen. Raymond Williams betrachtet broadcasting flow, was man mit Programm- oder „Erzählfluss“33 übersetzen kann, als das charakteristische Merkmal des (öffentlich-rechtlichen und kommerziellen) Fernsehens. Er versteht darunter die sequenzierte Abfolge einzelner Sendungen, deren Grenzen jedoch aufgrund inhaltlicher und ästhetischer Überlappungen verschwimmen. Fernsehen beeinflusst damit existenzielle Anschauungsweisen, Leitbilder und Wertorientierungen in Hinblick auf Kultur, Migration, Integration, Staatsbürgerschaft etc. (vgl. Bachmeier 1996, S. 96f.). Dadurch drückt nicht nur die einzelne Sendung, sondern das Programm als Ganzes, inklusive der Werbe„Unterbrechung“, die spezifische Medialität und kulturformierende Kraft des Fernsehens aus (vgl. Williams 1974, S. 86-118). Da Rezipient/innen dadurch stärker an das Programm gebunden werden, wird trotz aller „Medienvielfalt“ für einen großen Teil der Zuschauer/innen „ein begrenztes Kaleidoskop zum Bild der Welt“ (Stadler 1973, S. 269). Einer medialen „Monokultur“, die im Verständnis der kulturtheoretischen Kommunikationswissenschaft auch zu einem Mangel an medialen Identitätsangeboten führt, versucht das Übereinkommen zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen der UNESCO entgegenzutreten. Darin haben sich die Unterzeichnerstaaten auf einen konstruktivistischen Identitätsbegriff und den Schutz der kulturellen Vielfalt verpflichtet (UNESCO 2002, S. 2f.).34 Es gilt demnach 32 Zur Definition des (Alltags-)Rassismus s. Terkessidis 2004. 33 Hickethier betont mit diesem Begriff die narrative Dimension des Fernsehens, vgl. Hickethier 1996, S. 203. 34 Die GATS-Verhandlungen zur weiteren Liberalisierung des Dienstleistungsbereichs, der auch kulturelle Tätigkeiten als gewöhnliche Güter einstuft, führte zu Handlungsbedarf der UNESCO, der in dem für die Unterzeichner bindenden Abkommen zur kulturellen Vielfalt resultierte.

86 | M EDIEN – M IGRATION – P ARTIZIPATION „eine harmonische Interaktion und die Bereitschaft zum Zusammenleben von Menschen und Gruppen mit zugleich mehrfachen, vielfältigen und dynamischen kulturellen Identitäten sicherzustellen. Nur eine Politik der Einbeziehung und Mitwirkung aller Bürger kann den sozialen Zusammenhalt, die Vitalität der Zivilgesellschaft und den Frieden sichern.“ (Ebd., S. 3).

Die oben genannten Bedenken der Förderung eines rassistischen Alltagsbewußtseins durch Medien wurden ebenfalls aufgegriffen. Medien dürfen demnach nicht zur Ausgrenzung führen, sondern sollen jedem Menschen die Möglichkeit geben, sich unter „voller Achtung seiner kulturellen Identität“ bekannt zu machen (ebd.). Für die vorliegende Untersuchung zur Medienbeteiligung von Migrant/innen ist die UNESCO-Forderung wichtig, weil jeder Mensch in die Lage versetzt werden soll, „sich selbst in der Sprache seiner Wahl auszudrücken, seine Arbeiten zu erstellen und zu verbreiten, insbesondere in seiner Muttersprache“ (ebd., S. 2). Nicht nur Minderheiten, auch die Mehrheitsgesellschaft erhält dadurch die Chance auf ein erweitertes Spektrum an Identifikationsangeboten. 2.4.3 Naficy: Exilkultur-Medien In seiner Langzeitstudie The Making of Exile Cultures analysiert der Kulturwissenschaftler Hamid Naficy die Inhalte, Sendegestalter/innen und Zuschauerstrukturen persischsprachiger TV-Produktionen in Los Angeles. Exil-Medien können mit den Organisationsstrukturen alternativer Medien verglichen werden. Die Erörterung seiner Befunde wird hier als hilfreich erachtet, um die TV-Sendungen iranischer Migrant/innen im Offenen Kanal in einen größeren Zusammenhang zu stellen und dadurch Aussagen über ihren Stellenwert zu treffen. Die Thematisierung der eigenen Migrationserfahrung mittels der Medien hat großen Einfluss auf die Entstehung einer iranischen Exil-Kultur in den USA. Die Fernsehsendungen, die über eine privat-kommerzielle Sendeplattform terrestrisch ausgestrahlt werden, haben nach Naficy die Funktion, die eigene Selbstkonstruktion (als Teil einer Beheimatungsstrategie) voranzubringen. Der Autor charakterisiert das persischsprachige Exil-Fernsehen zunächst durch seine starke Fokussierung auf das Herkunftsland der TV-Produzent/innen, das als (alte) „Heimat“ idealisiert wird und das, zumindest in der Erinnerung der Migrant/innen, aus politischen Gründen zwangsweise verlassen werden musste. Den TV-Produktionen sind die Erinnerung des Verlusts und ein diffuser und ambivalenter Wunsch nach Rückkehr inhärent. Diese vermeintliche Ethnisierung in den Fernsehsendungen dient jedoch als Katalysator, der letztlich die Integration in die neue Gesellschaft erleichtert. Das iranische Exil-Fernsehen in den USA, das meist den Alltag der Zuschauer/innen von früh bis spät begleitet, knüpft ein sprachliches und vor allem symbolisches Band zwischen den iranischen Migrant/innen, die sich dadurch mit der imagi-

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ned community (vgl. Anderson 1996) der Exil-Iraner/innen identifizieren und ihr zugehörig fühlen. Dies drückt sich in einem bestimmten exilkulturellen Inhalt und einem ästhetischen Stil der iranisch-amerikanischen TV-Sendungen aus. Neben Talk-Formaten, in welchen meist Exil-Politiker oder Wissenschaftler interviewt werden, herrscht das Fernsehformat des Magazins vor (vgl. Kreuzer/Schumacher 1988). Naficy beschreibt die Vorzüge des Magazin-Formats für das iranische ExilFernsehen in den USA: durch die Aneinanderreihung kleiner Sendebausteine kann eine große Themenvarianz in einer Sendung untergebracht werden. Aufwendige und teure Langproduktionen können dadurch vermieden und die Einzelbausteine können immer wieder neu zusammengesetzt und mehrfach wiederverwendet werden, was den eingeschränkten finanziellen, journalistischen und handwerklichen Ressourcen der TV-Produzent/innen entgegenkommt. Die Heterogenität der Sendeteile kann auch die Heterogenität der an der Produktion Beteiligten und der Zuschauer widerspiegeln und Dissonanzen harmonisieren. Werbeblöcke sind im Magazin gut integrierbar (vgl. Naficy 1993, S. 95-124). Unterschiedliche Inhalte und Themen der Fernsehmagazine konkurrieren um das iranisch-amerikanische Exilpublikum. Darunter Jugendsendungen, Satiresendungen, Frauensendungen, welche das Frauenleben im Exil diskutierten oder religiöse Sendungen, die jeweils bestimmten Glaubensbekenntnissen wie islamischen und jüdischen zugeordnet sind. Musikvideos nehmen in all diesen Sendungen einen breiten Raum ein. Die Sendungen unterscheiden sich von amerikanischen durch einen anderen Präsentationsstil, der als familiärer oder warmherziger umschrieben werden kann, wodurch ein emotionales Zusammengehörigkeitsgefühl erzeugt werden soll. So werden die Studios häufig mit Blumen dekoriert und die Zuschauer werden mit Bezeichnungen angesprochen, welche normalerweise Familienmitgliedern vorbehalten ist (Naficy 1993, S. 104-117). Die ästhetische Darstellung arbeitet mit repetitiven Visualisierungen und Überblendungen von Gesichtern; Naficy erkennt darin die Widersprüchlichkeit, Instabilität und Fluidität der Exilsituation (ebd., S. 118-121). Zwei zentrale Ergebnisse von Naficys Studie sollen hier näher erörtert werden: die Fetischisierung der verlassenen/imaginierten Heimat in den Sendungen sowie die Verwobenheit von Identitätspolitik und Konsumkultur in iranischen Musikvideos (vgl. Naficy 1993, S. 127-147). Die Fetischisierung der „Heimat“ verdeutlicht der Autor am Beispiel der Inhalte und der Sende-Logos verschiedener iranischer Exil-Programme. Hier muss betont werden, dass im Zuge der Islamischen Revolution von 1979 vor allem SchahAnhänger aus dem postrevolutionären Iran in die USA migriert waren, so dass Naficy vor allem die immer wiederkehrende Abbildung der „visuellen Fetische“ iranische Landkarte und Flagge als Nationalsymbole vorfindet. Der iranische Löwe als Element der Flagge steht dabei als Symbol für die (untergegangene) Monarchie

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aber auch für die Stärke des iranischen Volkes.35 Doch die nostalgischen Bezüge reichen noch weiter zurück in die Vergangenheit, wenn das Sende-Logo vorislamische, zoroastrische Symbole aufgreift und dadurch auf vergangene persische Großreiche verweist, so dass insgesamt eine Rückwärtsgewandtheit in den Inhalten zu erkennen ist (Naficy 1993, S. 131-138). Dabei kann in der Kommunikation mit Symbolen die „emotionale Desintegriertheit“ (Hafez 2002a, S. 41) abgeschwächt werden. Im Symbol – so Christoph Schneider – „drückt sich […] eine als existenziell empfundene Bedeutung aus, die für Individuen oder Gruppen von hoher Identitätsrelevanz ist“ (Schneider 2004, S. 102). Symbole sind in „Geschichten“ von Individuen und Gruppen eingebettet und beziehen sich auf deren „identitätsrelevante Grenzerfahrungen“. Die Authentizität der mit diesen Erfahrungen verbundenen Gefühle lässt sich sprachlich jedoch kaum vermitteln bzw. läuft im Diskurs stets Gefahr, bezweifelt oder sogar negiert zu werden (ebd., S. 105). „Auf Symbole zurückgreifende Kommunikation jedoch überbrückt dieses Problem: Symbole sind in der Lage, die gefühlte Einmaligkeit bestimmter Momente für die betroffenen Akteure (und nur für diese) wieder zu vergegenwärtigen – und zwar als präsentes Gefühl und nicht als Wissen davon.“ (ebd.)

Gerade die schmerzliche Erfahrung der Emigration und die der Exil-Kultur innewohnenden Brüche und Widersprüche, wie sie Naficy in den iranischamerikanischen TV-Sendungen entdeckt, werden durch die über Symbole vermittelte Imaginisierung der Nation, die es so nicht mehr gibt bzw. nie gegeben hat, ausgeglichen. So können die Sendungen dazu beitragen, dass „Widersprüchliches in sich harmonisiert und damit als Einheit empfunden wird“ (Schneider 2004, S. 106). Oftmals verwischen in den Exil-Produktionen die Grenzen zwischen der Rolle von Fernsehproduzent/innen und Oppositionellen, von Reporter/innen, die über oppositionelle politische Zusammenkünfte berichten, und Aktivist/innen, die sie organisieren (ebd., S. 81-83). In sogenannten Partisan Channels des iranischen ExilFernsehens entstehen, wie Naficy schreibt, bestimmte NachrichtenwertVorstellungen, so dass die Berichterstattung selektiv, virulent anti-islamisch und pro-monarchistisch ist (ebd., S. 83). Naficy führt dies zum Teil auf den Mangel an journalistischer Ausbildung zurück, denn die meisten der TV-Produzent/innen hatten zwar vor ihrer Emigration berufliche Erfahrungen in Medienunternehmen gesammelt, doch eine tatsächlich Ausbildung konnten nur sieben von 62 Sendegestal-

35 In den USA sind die iranischen Migrant/innen zu großen Teilen Anhänger/innen des gestürzten Schah Mohammed Reza Pahlevi. Auch die TV-Produzent/innen sind zumeist Monarchist/innen und verwenden dementsprechend das monarchistische Flaggensymbol einer Trikolore mit einem Löwenemblem, vgl. Naficy 1993.

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ter/innen vorweisen (ebd., S. 82). Die Partisanen-Kanäle übernehmen propagandistische Stilmittel, ohne jedoch die transformierende Kraft der Kleinen Medien zu erreichen, weil es sich kaum um eine gut organisierte Bewegungsöffentlichkeit handelt, die gezielt politische Krisen für sich nutzt, sondern vielmehr um vereinzelte Interessengruppen. (ebd., S. 81-83). Zu den Fetischen gehört auch die iranische Natur, wie die Landschafts- und Gartendarstellung, die in Musikvideos und Moderationen eingeblendet werden (ebd., S. 153-165). Naficy macht deutlich, dass der Fetisch grundsätzlich auf eine instabile Situation hinweist; aufgrund der geografischen Distanz zum Herkunftsland maskiert er, was als fehlend wahrgenommen wird. Auf der anderen Seite sei der Fetisch der erste Schritt, um das Herkunftsland zu vergessen, weil er die Widersprüchlichkeit zur Migrationssituation verkörpert (vgl. Naficy 1993, S. 169) Die „Hybridisierung“ der Programmstile, wie Naficy am Beispiel der Sendesprache deutlich macht, verbindet letztlich als strategischer Essentialismus Herkunfts- und Ankunftskultur miteinander (ebd., S. 166-198). Zu Beginn seines Beobachtungszeitraums werden die Sendungen in persischer Sprache ausgestrahlt, die sich noch an der offiziellen Sprache des Herkunftslandes Iran orientiert. Nach einiger Zeit beobachtet Naficy, dass sich Englisch und Persisch bzw. weitere iranische Sprachen und Dialekte in den Fernsehsendungen vermischen, bzw. dass sie zweisprachig ausgestrahlt werden (vgl. ebd., S. 172). Der Synchretismus, welcher u.a. der Fetischisierung, Nostalgie und Ambivalenz inhärent ist, enthält demnach ein politisches Moment, in dem er eine „dritte Kultur“ kreiert, die, ohne es zu beabsichtigen, sowohl die Authentizität der Herkunftskultur als auch der Ankunftskultur hinterfragt (ebd., S. 188). Ein weiterer zentraler Befund Naficys ist, dass das iranische Exil-Fernsehen auf einem ökonomischen Modell beruht, an welchem der Dreiklang von MusikvideoProduktion, persischsprachigen Popkonzerten und persischen TV-Programmen maßgeblich beteiligt ist. Alle drei Elemente bedingen einander, so produzieren Musikvideoproduzent/innen für das Exil-Fernsehen, dieses strahlt die Videos aus. Durch Musikvideos und Konzertdokumentationen werden die Musiker bekannter und finden dadurch Zugang zu einem millionenschweren diasporischen Musikmarkt, der den Stil der persischen Popmusik weltweit geprägt hat. Die drei Elemente TV-Produzent/innen – Konzerte – Musikvideos sind geprägt durch eine konsumeristische Ideologie, deren tragende Säule die Werbung ist (vgl. Naficy 2002). Doch die Dominanz der Werbeeinblendungen in den Sendungen, etwa für iranische Kleinunternehmer und Ärzte, trägt insgesamt zu einer „Überkommerzialisierung“ der iranischen Sendungen in Los Angeles bei. Dadurch wurden politische Diskurse banalisiert und blieben deshalb von vornherein weitgehend wirkungslos (ebd., S. 70-73).

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Im Umfeld der TV-Sender hat sich dadurch eine iranische Exil-Ökonomie als Bestandteil der Exil-Kultur herausgebildet, die jedoch auf einem bescheidenen Niveau verharrt. In gleichem Maße ist mit den Musikvideos eine Identitätspolitik verbunden, die der iranischen Minderheit in den USA hilft, spezifische Aspekte ihrer Kultur und Sprache zu pflegen. Naficy (2002) beschreibt, wie Los Angeles zum „Persian Motown“ wurde, also zu einem Zentrum iranscher Musikproduktion (ebd. 253). Das Erfolgsmodell dieser exilpersischen Musikindustrie beruht jedoch auf seinem hybridisierten Stil, der lateinamerikanische Rhythmen mit klassischen persischen Musikstilen verbindet. Die Musikvideos thematisieren u.a. ebenfalls die nostalgische Verklärung der Heimat, welche durch die Landschaften, Parks und Vögel visualisiert wird – ein „Zurück-zur-Natur“ als Symbol der Rückkehr in die verlassene Heimat. Doch die exilkulturelle Musikproduktion ist zwischen den verschiedenen ideologischen Auffassungen gespalten; neben den Monarchisten produzieren auch die Volksmodjahedin Musikvideos mit sympathisierenden Sänger/innen wie Marzieh, die allerdings thematisch im krassen Gegensatz zu nostalgischen Videos standen. Diese oppositionelle Guerilla-Organisation, die lange aus dem irakischen Exil operierte, setzte voll und ganz auf ihre militaristische Inszenierung, vernachlässigte dabei aber die kulturelle Dimension der Opposition (vgl. Naficy 2002, S. 260-261). Der „strategische Essentialismus“, der in den Fernsehsendungen zum Ausdruck kommt, also die Präsentation und Inszenierung einer Exil-Kultur und Identität, die trotz der Hybridisierungen stark am Herkunftsland orientiert bleibt, führt jedoch kaum zur Entstehung einer segregierten „Parallelgesellschaft“. Vielmehr dient die ritualisierte Wiederholung bestimmter Symbole und Themen einem anderen Zweck: „Mediatized rituals are those exceptional and performative media phenomena that serve to sustain and/or mobilize collective sentiments and solidarities on the basis of symbolization and a subjunctive orientation to what should or ought to be“ (Cottle 2006, S. 415).

Das iranische Exil-Fernsehen dient somit der Strategie, den kulturellen, identitätsstiftenden Bezug zur Herkunftskultur aufrechtzuerhalten sowie der Selbstorganisation unter dem Eindruck der Migrationserfahrung. Paradoxerweise trägt gerade die nostalgische Hinwendung zur (alten) Heimat dazu bei, dass Sendegestalter/innen wie Konsument/innen der TV-Sendungen einen Platz innerhalb der amerikanischen Gesellschaft finden. Die „Exil-Kultur“ stiftet als „Rückendeckung“ die notwendige kulturelle Geborgenheit, damit die neue Lebensweise und die fremde Sprache keine existenzbedrohende Krise hervorruft. Allerdings kommt Naficy auch zu dem Schluss, dass Exil Nationalismus und Chauvinismus, aber auch den Verlust der Macht reproduziert.

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Eine ähnliche Mediennutzungsstrategie konnte Kai Hafez bei einem Teil der türkischen Migrant/innen in Deutschland ausmachen, die er als „Kultur-Exilanten“ bezeichnet. Gemeint sind damit Einwanderer, die ein kulturelles Unbehagen in Deutschland empfinden. So kritisierten etwa Fernsehzuschauer türkischer Herkunft bei einer Repräsentativbefragung in NRW, dass im deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen ein negatives Türkeibild gezeichnet wird, dass zu wenige türkische Moderatoren auf den Bildschirmen zu sehen sind und das deutsche Serien „zu wenig Gefühl“ zeigen würden (Simon 2007, S. 151). Dieser Nutzertypus bewegt sich in einem diskursiven Raum, in welchem neben dem Leben in der „neuen“ Heimat eine strategische Ethnisierung den Weiterbestand der Exil-Kulturen sichert. Denn die liberalen Prophezeiungen des Einwanderungslandes kommen bei den Exilant/innen vielfach nicht an und der Zugang zur Mehrheitsgesellschaft ist begrenzt. Naficy schließt aus seinen Befunden, dass sich seine exemplarisch untersuchte Fokusgruppe in ein darüber hinaus weisendes Schema einpasst: „By their status as liminal hybrids and syncretic multiples they form a global class that transcends their original or current social and cultural locations.“ (Naficy 1993, S. 2)

Die Aussagen der einzelnen Sendungen sind dabei von Mehrdeutigkeiten geprägt, was nach Naficy u.a. auf den exilic flow zurückgeführt werden kann. Er entsteht durch Programmcluster in den „multiethnischen“ Fernsehstationen, in dem einzelne iranische Exilsendungen nacheinander ausgestrahlt werden. In Anlehnung an Raymond Williams program flow (s. oben) ist der exilic flow eine Gesamterzählung, deren kulturformierende Kraft darin besteht, dass er bestimmte Einstellungen und Leitbilder bezogen auf die iranischen Migrant/innen, ihre Kultur und Musik etc. beeinflussen kann. Der exilic flow wiederum ist in den ethnic flow eingebettet, also in alle anderen Fernsehsendungen von Minderheiten, die in Sprach- und Herkunftsgruppen gruppiert sind. Dieser kann von der Mehrheitsgesellschaft in erster Linie als „anders“, migrantisch, nicht zu uns gehörig etc. wahrgenommen werden. Offene Kanäle, die in dieser Arbeit untersucht werden, sind durch andere Grundbedingungen als die US-amerikanischen, kommerziellen Sendeplattformen gekennzeichnet: Bei ihrer Gründung wurde „bewusst“ ein nicht-kommerzielles System etabliert, das auf ein festes Programmschema verzichtet (obwohl Programmrahmen im Laufe der Zeit zunehmend übernommen wurden). Aufgrund des Fehlens eines kommerziellen „ethnischen Mediensektors“ in Deutschland existiert kein ethnic flow. Ob sich allerdings innerhalb Offener Kanäle ein exilic bzw. migrant flow etabliert hat, wird die folgende empirische Analyse klären. Es wird auch konkret zu fragen sein, ob und ggf. welche eigenen Formen der Exilkultur in dem jeweiligen OK beobachtet werden können.

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2.4.4 Diaspora, Medien und diasporische Teil-Öffentlichkeiten Neben und in Abgrenzung zu Konzepten des Exils wurde in jüngster Zeit das Diaspora-Konzept von der kommunikationswissenschaftlichen Forschung aufgegriffen. In der deutschsprachigen Kommunikationswissenschaft ist das Konzept bislang allerdings kaum existent – wohl auch deshalb, weil die Abgrenzung zu anderen „nomadischen“ Migrationskonzepten nicht immer eindeutig gelingt (vgl. Georgiou 2001). Um Abgrenzungsprobleme mit anderen Mobilitätskonzepten wie Exil oder Nomadentum zu vermeiden, soll der Begriff definiert werden. „Diaspora“ bedeutet im Griechischen „Zerstreuung“ bzw. „Ausstreuung“. Als prototypisch gilt die jüdische Diaspora, die an kollektive Erfahrungen von Leid, gewaltsamer Vertreibung, Heimat-Verlust, Machtlosigkeit und einer „reconstitution-in-dispersion“ gebunden ist (Peters 1999, S. 20; vgl. Mayer 2005, S. 10). Neuere kulturwissenschaftliche Forschungsansätze bestimmen den Begriff „Diaspora“ nicht mehr nur vor einem überwiegend negativen Hintergrund von Leid und Vertreibung, sondern beschreiben die transnationale und transkulturelle Vernetzung von Diaspora-Gemeinschaften als Paradigma der globalisierten Welt (vgl. Tölölyan 1996). Die Diaspora wird dabei zwar durch einen „Gründungsmythos“ oder eine „Schicksalsvision“ – im Falle der iranischen Migrant/innen ist dies die Islamische Revolution von 1979 – aufrechterhalten. Besonders die Utopie eines konkreten Rückkehrwunsches von DiasporaGemeinschaften in die „Heimat“ gilt im Zeitalter der Transmigration (vgl. Pries 2001) als überholt und wird eher dem Exil-Begriff zugeordnet (vgl. Sreberny 2001; Mayer 2005, S. 13). Liegen dem Exil-Begriff politische Motive der (erzwungenen) Emigration von einem Land in ein anderes zugrunde, tritt diese konfliktorientierte Sicht auf die Einzelnen mit den „neuen“ Diasporas in den Hintergrund. DiasporaGemeinschaften müssen sich „mit dem Problem der Heimat auseinandersetzen und der Frage, wie sie eingeordnet, gefunden, gesichert, in Beziehung gesetzt und wiedergewonnen werden kann“ (Silverstone 2002, S. 736). Es sind demnach Schnittmengen mit dem oben vorgestellten Konzept der Beheimatung erkennbar. Das wesentliche Merkmal von Diaspora wird nicht in ihrer Abgrenzung (von der Mehrheitskultur) gesehen, sondern in der Interaktion und Kommunikation über (Kultur-, Sprach-, genetische) Grenzen hinweg (vgl. Georgiou 2005a). Vor allem der Aspekt der reconstitution-in-dispersion macht deutlich, dass Diaspora eine besondere Ausprägung einer verfestigten Migrationssituation umschreibt. Diasporas zeichnen sich durch hochkomplexe Vergemeinschaftungsformen unterschiedlichen Migrationsgruppen eines Herkunftslandes aus. Dabei werden diese Gemeinschaften kontinuierlich und prozesshaft von sich zugehörig fühlenden Menschen definiert und in verschiedenen Kommunikationsräumen artikuliert. (Hepp/Bozdag/Suna 2011, S. 32-44)

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Die Globalisierung wird als Motor der „Diasporisierung der Moderne“ aufgefasst (vgl. Silverstone 2002, S. 734). Die transkulturellen Diaspora-Medien sind für Diasporas demnach konstitutiv, denn so kann trotz der weltweiten Verstreutheit ein gemeinsamer Kommunikationsraum entstehen. Allerdings handelt es sich bei Diaspora-Medien um ein heterogenes Spektrum aus professionellen und nichtprofessionellen Produkten mit unterschiedlichen wirtschaftlichen und politischen Zielen (Georgiou 2005a, S. 482; Dayan 1999). Die Sichtbarkeit der Differenz in Diaspora-Medien (u.a. durch Mehrsprachigkeit) führt dazu, dass diasporische Medienkulturen in das Zentrum politischer Debatten über Inklusion, Segregation, Sicherheit und Demokratie in Europa gerückt werden (vgl. Georgiou 2005b, S. 482). Neben diesem politischen Aspekt steht der theoretische Begriff der Diaspora gegenwärtig für ein positives Verständnis von Kreativität, kultureller Flexibilität, subjektiven Strategien und Kosmopolitismus (vgl. Clifford 1994). Allerdings bleibt offen, ob die Flexibilisierung freiwillig oder unfreiwillig erfolgt. Bei aller Flexibilisierung muss eingewendet werden, dass in der Diaspora Lokalität nicht obsolet wird, denn lokale Strukturen und individuelle Aneignungsprozesse bestimmen Nationen- und Kulturbilder – auch diejenigen von Diasporas – mit (vgl. Hafez 2001b, S. 693). Dies hat Marie Gillespie (1995) in ihrer ethnografischen Studie über die Mediengewohnheiten der südasiatischen Diaspora in Southall, dem „Little India“ in London, beschrieben. Zum einen dienen Hindi-Filme den Jugendlichen dazu, die Herkunftssprache und Kultur ihrer Eltern und Großeltern kennenzulernen. Das gemeinsame Ansehen englischsprachiger Fernsehsendungen, z.B. der Nachrichten, wiederum fungiert für die Jugendlichen als eine Art Initiationsritus, bei dem sie für Eltern oder Großeltern übersetzen und dadurch in der Erwachsenenwelt einen Status- und Prestigegewinn erlangen (vgl. Gillespie 1995, weiter auch 2002). Das Konzept der diasporischen Medien greift die „neuen“ Diasporas und die aktiven, dynamischen Migrant/innen in medialen Kommunikationsprozessen auf (vgl. Karim 2001). Annabelle Sreberny sieht den Unterschied zwischen der (Re-) Konstruktion von Minderheiten als „ethnisch“ oder „diasporisch“ in der Mehrfachcodierung des kulturellen Raums (vgl. Sreberny 2001, S. 155): Während das Konzept der Ethnie Menschen über biologische und/oder kulturelle Faktoren determinierten Gruppe zuordnet, betrachtet das Konzept der Diaspora diese Idee nur noch als Folklore (vgl. Appadurai 1996, S. 21f.). Diaspora-Medien unterscheiden sich von Exil-Medien dahingehend, dass sie weniger nostalgisch auf ein idealisiertes Herkunftsland ausgerichtet sind, sondern die gemeinsam geteilte sprachliche und kulturelle Vorliebe die Folie für innovative Kulturprodukte bildet, die in einem globalisierten Raum zirkulieren (vgl. Georgiou 2005b, S. 482; Bhabha 2000; Hafez 2004, S. 82f). Diasporas knüpfen, als Bestandteile von Globalisierungsprozessen, Netzwerke im Feld grenzüberschreitender Kommunikation (vgl. Karim 2001, S. 645). Die Netzwerke basieren in steigendem Maße auf elektronischen Medien, deshalb wird

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insgesamt eine Zunahme „diasporischer Öffentlichkeiten“ erwartet (vgl. Appadurai 1996, S. 22). Sreberny bezeichnet das Internet auch als „diasporic medium par excellence“ und als Knotenpunkt im Netzwerk der kulturellen Praktiken von „neuen“ Diasporas (Sreberny 2001, S. 156). Die Frage, an wen sich die Diaspora-Medien richten, wurde von Hafez mit Blick auf die Konsument/innen türkischsprachiger Medien in Deutschland formuliert. Die „Diaspora-Nutzer“ türkischer Medien nutzen die herkunftssprachlichen Medien „aus pragmatischen Gründen, weil ihnen deutsche Medien sprachlich nicht zugänglich sind“ (Hafez 2004, S. 82), und aufgrund der weiterhin bestehenden Verbindung zur weltweit verstreuten Diaspora. Deutschland betrachten sie aber als ihre „neue Heimat“ (Hafez 2002a, S. 42). Ähnlich, ordnen Hepp et al. (2011) die Nutzer von Diaspora-Medien drei verschiedenen Aneignungstypen zu, die sie auf Basis empirischer Befunde differenzierter beschreiben, nämlich den Herkunftsorientierten, den Ethnoorientierten und den Weltorientierten. Die Aneignungsmuster des Herkunftsorientierten entsprechen in etwa dem Exil-Medien-Nutzer, jene des Ethnoorientierten dem Bikultur-Nutzer und die des Weltorientierten dem Transkultur-Nutzer bei Hafez (2004). Inwiefern die Zuordnung zu diesen Kategorien immer eindeutig ist muss in weiteren Studien geklärt werden. Schließlich zeigen Milieu-Studien zur Mediennutzung, dass das Herkunftsland nicht die Milieuzugehörigkeit der Migrant/innen determiniert, sondern sich lebensweltliche Muster jenseits der Herkunftsländer herausgebildet haben. Bezogen auf die Radio- und Fernsehnutzung sind demnach die Programmpräferenzen der Migrant/innen „durchaus vergleichbar“ mit denen der deutschen Wohnbevölkerung (vgl. Klingler/Kutterhoff 2009, S. 307). Cunningham/Nguyen (1999) verdeutlichen in ihrer Studie vietnamesischer diasporischer Medien in Australien, dass ein kultureller Austausch in Form einer „assertive hybridity“ – „neither (traditional) Vietnamese, nor Anglo“ – stattfindet, vor allem in der vietnamesisch-diasporischen Musikvideo-Kultur (vgl. Cunningham/Nguyen 1999, S. 78). Was damit gemeint sein kann, beschreibt der Kommunikationswissenschaftler Daniel Dayan. Er betrachtet Medienkonsum und -produktion der Diasporas als partikularistische Bewegungen, die sich sowohl Homogenisierungsbestrebungen als auch dem Universalismus der Massenmedien und deren kulturellen, ökonomischen und politischen Abhängigkeiten widersetzen (vgl. Dayan 1999, S. 25). Dieser Widerstand kann sich auf die Erzeugung eigener Bedeutungen und Lesarten beziehen, die letztlich die politische Dimension der Populärkultur ausmacht, wie Stuart Hall (1999) in Hinblick auf Medienrezeptionsprozesse anmerkt, oder eben darin niederschlagen, dass Migrant/innen eigene Medien produzieren. Zumindest der unbedingte Widerstand gegen ökonomische Strukturen von Diasporas muss dabei angezweifelt werden, denn Diasporas haben sich vielfach in die kapitalistischen Wirtschaftskreisläufe eingeklinkt (vgl. Karim 2001, S. 646). Die Vorstellung diasporischer Medien als kulturelle partikularistische Bewegung entzieht sich allerdings der in Deutschland gängigen Vorstellung von Integration

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sowie der universalistischen Vorstellung eines öffentlich-rechtlichen „Integrationsrundfunks“ (vgl. Mecheril 2006; Maletzke 1980). Diasporische Teil-Öffentlichkeiten (‚diasporic sphericules‘) adressieren laut Cunningham zwar kein Massenpublikum, erfüllen aber die politischen Funktionen von Öffentlichkeit im „Kleinen“ und bilden „Communities“, die sich eindeutiger nationaler Zuschreibungen entziehen (vgl. Cunningham 2001, S. 134). Clifford fasst die komplexen Verknüpfungen in diasporischen Öffentlichkeiten folgendermaßen zusammen: „The Diaspora discourse articulates, or bends together, both roots and routes to construct what Gilroy describes as alternate public spheres […], forms of community consciousness and solidarity that maintain outside the national time/space in order to live inside, with a difference.“ (Clifford 1994, S. 308)

Die Funktionen diasporischer Teil-Öffentlichkeiten lassen sich davon ausgehend näher bestimmen. Erstens findet in diasporischen Teil-Öffentlichkeiten ein innerdiasporischer Dialog statt. Dabei werden Konflikte diskursiv ausgetragen, in dem unterschiedliche Normen und Wertvorstellungen innerhalb der Diaspora öffentlich diskutiert und kritisiert werden (vgl. Kosnick 2004). Zweitens hätten Diasporas vor dem Hintergrund der Globalisierung die vormaligen, vermeintlich klar gefügten Beziehungen von Peripherie und Zentrum aufgehoben (vgl. Dayan 1999) – ob dies angesichts weiter bestehender ungleicher Medienzugänge von Migrant/innen tatsächlich der Fall ist, darf bezweifelt werden. Inhalt und Stilistik von Medienprodukten entsprechen nicht notwendig den homogenisierten Geschmackskulturen, sondern interpretieren das Verhältnis zwischen „mainstream/universalising“ und „particular/minority“ (Georgiou 2005b, S. 491) auf eigene Weise. Dies drückt sich durch bilinguale Medienprodukte, synkretistische und hybride Darstellungsformen aus (vgl. Gillespie 1995, S. 208). Diaspora-Öffentlichkeiten können dadurch einen neuen Bezugsrahmen für Identifikationsstrategien zur Verfügung stellen. Drittens schaffen diasporische Öffentlichkeiten eine bestimmte bedürfnisorientierte Zielgruppe für ihre Produkte. Die Zielgruppe wiederum konstituiert sich durch Medienkonsum. Was viertens dazu führt, dass diasporische Kommunikation eindeutig medienzentriert ist (vgl. Cunningham 2001, S. 134-138). Cunningham geht wie Georgiou (2005) davon aus, dass diasporische Teil-Öffentlichkeiten früher oder später zwangsläufig zu einem Austausch mit einer breiteren Öffentlichkeit gelangen. Daran schließen Hepp et al. (2011, S. 248-252) an; sie sprechen von einer kommunikativen Vernetzung der Diaspora mittels Medien, die multiple Formen der kommunikativen Integration auf mehreren Ebenen ermöglicht, welche das Herkunftsland, den lokalen Wohnort sowie die „globalisierte Welt“ umfassen.

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2.5 Z USAMMENFASSUNG In diesem Kapitel wurden unterschiedliche Ansätze und Denktraditionen erörtert, um einen breiten theoretischer Zugang zum empirischen Material zu bekommen. Zu Beginn dieses Abschnitts wurden zunächst Theorien der Medienbeteiligung diskutiert. Dabei ist die allgemeine Frage zentral, wie sich die Bürger/innen/Zuschauer/innen an Medien und vermittels der Medien an Öffentlichkeit beteiligen können, wobei zunächst massenmediale Ansätze verfolgt werden. Medienbeteiligung wird hier nach ihrem Grad der Mitwirkung in Medienpartizipation, Medienzugang und Medieninteraktion differenziert, wobei Medienpartizipation sich sowohl auf die Inhaltsproduktion, die Repräsentation in der Öffentlichkeit und auf die Entscheidungsebenen des Mediums erstreckt. Migrant/innen sind jedoch bisher von der Produktion von Inhalten, auf den Fernsehbildschirmen, in Entscheidungsgremien und als Zielgruppe weitgehend von der Medienpartizipation in Massenmedien wie dem öffentlich finanzierten Fernsehen ausgeschlossen. Erhalten sie Zugang zur Medienproduktion und -organisation dann meist als visible minorities – die relativ offensichtlich vom bisher üblichen Personal abweichen und zusätzlich zu ihrer Arbeitsrolle die Repräsentation des paradigmatischen „Anderen“ zugewiesen bekommen und als Beweisobjekte einer vermeintlichen „medialen Integration“ dienen. Der unspezifische Begriff Diversity verschleiert dabei, dass die Anliegen von Minderheiten in den Medien häufig zugunsten ökonomischer und integrationistischer Ziele in den Hintergrund treten. Mit der Präsenz von Migrant/innen alleine werden sich die beschriebenen Strukturdefizite in den Massenmedien demnach nicht ändern lassen. Vielmehr müssen die Organisationsstrukturen im Hinblick auf die Einwanderungsgesellschaft partizipativer werden. Anhand partizipationstheoretischer Konzepte wurde erörtert, inwiefern und welche Ansätze zur Untersuchung der TV-Produktion deutsch-iranischer Einwanderer in OK tauglich sind. Der theoretischen Konzeption nach Habermas mangelt es – gemessen an den gesellschaftlichen Verhältnissen – an elementaren Differenzierungsmöglichkeiten, so dass sie als theoretische Grundlage zur Untersuchung der Medienbeteiligung von Migrant/innen nur unzureichende Antworten geben kann. Die vielstimmige Kritik an Habermas hat auf bestehende Defizite wie die Konzentration auf eine zentralistische, bürgerliche, europäische Öffentlichkeit und deren Ausblendung nichtdiskursiver Artikulation und multikultureller Aspekte aufmerksam gemacht. Dazu gehört dessen elitärer Charakter, der jene Gruppen vom Diskurs ausschließt, welche die hohen Hürden des rationalen Diskurses nicht erfüllen (können) oder emotionale und verkörperlichte Themen in die Öffentlichkeit bringen wollen. Die einseitige Konsensorientierung wird dafür verantwortlich gemacht, den freien Diskurs zu beeinträchtigen. Zudem hält das Konzept an der Trennung von „öffentlich“ und „pri-

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vat“ fest, so dass die von der kommunikationswissenschaftlichen Genderforschung aufgedeckten privaten Öffentlichkeiten der Frauen darin keinen Widerhall finden. Eine sinnvolle Weiterentwicklung bietet Charles Husband mit seiner Theorie der „multiethnischen Öffentlichkeiten“ an. Er entwickelt ein Konzept, dass Migrant/innen und Mehrheitsgesellschaft gleichermaßen anspricht und eine moderne, egalitäre Gesellschaft an die Schaffung einer Vielfalt öffentlicher Arenen knüpft. Husband erachtet staatliche Fördermaßnahmen als unerlässlich, damit eine vitale und vielfältige Medienlandschaft entstehen kann. Andererseits sollten die Migrant/innen sich einfacher als bisher in massenmediale Diskurse einbringen können. Im Zuge dessen sind Professionalisierungsmaßnahmen für migrantische Medienprodzent/innen notwendig. Doch auch die Mehrheitsgesellschaft soll sich auf die Vervielfältigung der Medien und Öffentlichkeiten einstellen, in dem sie sich ihnen gegenüber nicht verschließt und nicht alles, was „anders“ ist reflexartig als segregierend wahrnimmt. Husband betont deshalb die Bedeutung nicht näher spezifizierter „offener Kanäle“, die den Kontakt zwischen Einwanderern und Mehrheitsgesellschaft erleichtern sollten. Es bedarf demnach auch zivilgesellschaftlicher Möglichkeiten, damit Einwanderer ihre Interessen selbstständig artikulieren können und zwar auch jene, die nicht den Meinungsführereliten angehören. Die Dynamik der Medienpartizipation von Migrant/innen und transnationalen Öffentlichkeiten kann gegenwärtig vor allem mithilfe zweier theoretischer Stränge erfasst werden: zum einen über Konzepte der Alternativen Medien, zum anderen über kulturtheoretische Konzepte zu Exil- und Diaspora Medien (vgl. Naficy 1993; Dayan 1999; Hafez 2000b; Sreberny 2001; Georgiou 2005b) sowie ihren hybridisierten Kleinst-Öffentlichkeiten (vgl. Cunningham 2001). Alternativen Medien wie Bürgermedien, Citizen’s Media, Community Media oder Small Media, werden grundsätzlich andere Funktionen zugeschrieben als Massenmedien. Die wichtigste Funktion im Zusammenhang dieser Arbeit ist, dass sie demokratische Medienzugänge von Bürger/innen meist im Lokalen bzw. translokalen Nahraum ermöglichen, auch und gerade für Migrant/innen, die in den Massenmedien kaum selbst zu Wort kommen. Sie ermöglichen es auch nichtmassentaugliche Themen einzubringen, die für bestimmte Milieus zentrale Bedeutung haben wie traditionelle Feste. Alternative Medien wie Community Media werden deshalb als Bindeglieder zwischen lokalen und „globalen“ Kommunikationsstrukturen betrachtet. Die Medienbeteiligung in alternativen Medien kann Selbstwahrnehmungs- und Selbst-Empowerment-Prozesse in Gang setzen und dadurch der Beteiligung in breiteren Öffentlichkeiten dienen. Ausgehend von der diskutierten Literatur zu Diaspora- und Exil-Medien können diese spezifische Funktionen für Migrant/innen übernehmen. Dazu gehört der Kontakt und die Pflege der Herkunftskultur und die Schaffung virtueller Diaspora- und

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Exilräume, in welchen die TV-Produzent/innen sich mehr oder weniger explizit mit Konstrukten wie Heimat und Nation auseinandersetzen. Diasporische Medien gelten als innovative Produkte, die sich scheinbar nahtlos an die Vorstellung von kultureller Globalisierung und Kosmopolitisierung anschließen lassen. Die Medienbeteiligung in (zumeist) alternativen Diaspora- und Exilmedien sollte jedoch nicht überschätzt werden. Sie lässt zwar Diversitätsgewinne erwarten, d.h. im Kleinen wird die mediale Partizipation, die Befriedigung herkunftssprachlicher Kommunikationsbedürfnisse, transkultureller und innerdiasporischer Dialog sowie unter Umständen die Selbstorganisation der Beteiligten als möglich erachtet und es findet eine kulturelle Vielstimmigkeit statt. Allerdings besteht die Gefahr, dass sich durch diese Community-Medien eine „mediale Spielwiese“ verfestigt, welche als „Vielfaltsreserve“ die Legitimation dafür liefert, dass Migrant/innen beispielsweise weder im Programm noch in der Organisation der großen Rundfunkanstalten eine Rolle spielen. Alternative Medien und Kleinst-Öffentlichkeiten können folglich eine Ergänzung, aber kein Ersatz für die Partizipation von Migrant/innen in den Massenmedien sein. Die Frage, wie aus dem zersplitterten Diskurs in der mehrfach pluralisierten Gesellschaft eine inklusive Öffentlichkeit erreicht werden kann, lässt sich bis hierhin aus zwei Perspektiven beantworten. Zum einen regt ein Strang der theoretischen Ansätze an, dass gerade pluralistische und komplementäre Teil-Öffentlichkeiten mit unterschiedlichen Komplexitätsgraden letztlich zu einer breiten gesellschaftlichen Debatte führen können (Klaus 2006). Dieser Strang geht folglich davon aus, dass Kleinst-Öffentlichkeiten einen demokratischen Mehrwert in einer pluralistischen Gesellschaft erzeugen, den eine an einem breiten Konsens orientierte Öffentlichkeit alleine nicht erreicht. Ein zweiter theoretischer Strang wie ihn Charles Husband vertritt, betont deshalb die Notwendigkeit, der Medienpartizipation der Migrant/innen in einer Vielzahl von öffentlichen Arenen, also in einem eigenen Mediensektor sowie in den Massenmedien, welche Ihre Beteiligungsstrukturen partizipativer aufstellen müssen. Zudem soll die Mehrheitsgesellschaft offener auf die pluralistische Vielfalt in Medien und Öffentlichkeit zugehen.

3 Historischer Abriss: Migrant/innen und Medien in Deutschland

Dieses Kapitel befasst sich der Medienbeteiligung von Migrant/innen in Deutschland in einer historischen Perspektive. Dabei werden zunächst jene Medien in den Blick genommen, in welchen einige wenige Migrant/innen unter der Ägide deutscher Medien an der Produktion beteiligt wurden. Vor allem die „Gastarbeitersendungen“ und ihre Entwicklung und Funktion seit den 1960er Jahren sind hier zu nennen, weil sie erstmals Migrant/innen als Redakteur/innen oder Moderator/innen Zugang zur Fernsehproduktion verschafften und dabei gleichzeitig Teil einer medienpolitischen Strategie waren, die unter wechselnden Vorzeichen im Zusammenhang mit Migration standen (vgl. Kosnick 2000; Busch 2004). Desweitern wird die eigenständige Medienbeteiligung von Migrant/innen in kommerziellen und nichtkommerziellen Medien anhand einiger Beispiele dargestellt. Diese Übersicht zeigt exemplarisch einige (wenige) Beteiligungsversuche in unterschiedlichen Medien in Deutschland auf, ohne eine detaillierte Analyse der selbstständigen Medienbeteiligung von Migrant/innen, etwa differenziert nach Migrationstyp, Milieu, SprachCommunity oder Herkunftsland, bieten zu können und zu wollen. Die zitierten Zeitungsberichte haben rein illustrativen Charakter.1 Zunächst jedoch wird ein kurzer Überblick über Einwanderung und Migrationspolitik in Deutschland gegeben.

1

Für die Recherche wurden im Jahr 2009 das WDR-Printarchiv, das ZDF-Archiv, und das Zeitungsarchiv der Frankfurter Rundschau sowie die Zeitschrift Media Perspektiven (seit 1970) genutzt und nach den Schlagwörtern Gastarbeiter*, Gastarbeitersendung, Gastarbeiter* und Radio sowie Gastarbeiter* und Fernsehen ausgewertet.

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3.1 Z UR E INWANDERUNG UND STAATLICHEN M IGRATIONSPOLITIK IN D EUTSCHLAND Die in Deutschland zu beobachtende Ein- und Auswanderung ist seit jeher dynamisch. Die historische Entwicklung der Migration und der Migrationspolitik ist in der Literatur recht gut dokumentiert (vgl. u.a. Bade 2004; 2007; Angenendt 2008). Hinsichtlich der vorliegenden Arbeit sollen, neben der verbreiteten „Fehlwahrnehmung“, dass Deutschland im Vergleich mit „klassischen“ Einwanderungsländern einen geringeren Anteil an Zuwanderung hat (vgl. Angenendt 2008, S. 9), einige wichtige Aspekte hervorgehoben werden2: Anders als Großbritannien und Frankreich, die aufgrund ihrer Kolonien im Nahen Osten und Asien bereits seit Längerem eine Migration aus muslimischen Ländern verzeichneten, waren die Deutschen mit der Anwerbung von „Gastarbeiter/innen“ (1955 bis 1973) erstmals mit größeren Gruppen von Muslim/innen – vor allem aus der Türkei, Marokko und Tunesien – und mit deren für sie ungewohntem Aussehen und Gepflogenheiten konfrontiert. Da die Migrant/innen in ihrer Gesamtheit als Gastarbeiter/innen identifiziert wurden, spielte ihr Glaube und die damit assoziierte Kultur zunächst keine oder nur eine untergeordnete Rolle in der Medienberichterstattung und der öffentlichen Wahrnehmung (vgl. Hoffmann 1969; Lammert 1973). Seit der Islamischen Revolution in Iran 1979 begannen sich vielmehr Ressentiments gegenüber Migrant/innen aus dem Nahen Osten zu verfestigen. 3 Mit dem Niedergang des Ostblocks brachen zudem vormalig wirksame Medienbilder vom politischen Feind weg – ein „Vakuum“, das zunehmend vom „Feindbild Islam“ gefüllt wurde (vgl. Hafez 1997). Die selbstverständliche „Einbürgerung“ der Bewohner/innen der ehemaligen DDR nach dem Mauerfall 1989 verwies die Migrant/innen in Westdeutschland, die dort oftmals schon seit Jahrzehnten lebten und mühsam um eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis kämpfen mussten, erneut in die hinteren Ränge der gesellschaftlichen Akzeptanz. Zudem trat 1990 ein neues Ausländergesetz in Kraft, dass jedoch der Einwanderungssituation nicht gerecht wurde, denn mit der Übernahme der

2

Mitte der 1990er Jahre betrug der Anteil der im Ausland Geborenen in Deutschland 11,5 % – während im klassischen Einwanderungsland USA zur gleichen Zeit ein Wert von 9 % gemessen wurde (vgl. Deutscher Bundestag 8/98).

3

Im Jahr 1955 kamen zunächst Arbeitsmigrant/innen aus den EWG-Staaten Italien, 1960 folgten Spanier und Griechen. 1961 setzte die Anwerbung in Nicht-EWG-Staaten beginnend mit der Türkei ein. Es folgten 1964 Portugal, 1965 Tunesien und Marokko, 1968 Jugoslawien und 1974 Südkorea. (vgl. Süddeutsche Zeitung, (Grafik), 21.10.1972; Archiv für publizistische Arbeit (Munzinger-Archiv), Lieferung 20/63 vom 16. April 1963.

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Maastricht-Kriterien 1992 verfestigte sich die Trennung von EU- und Nicht-EUBürger/innen (vgl. Unabhängige Kommission „Zuwanderung“ 2001). EU-Bürger/innen genießen seither Bürgerrechte wie das kommunale Wahlrecht und Freizügigkeit. War bis dahin der „Gaststatus“ aller Ausländer/innen zementiert, avancierte die große Gruppe der europäischen Gastarbeiter/innen zu „Europabürgern mit den entsprechenden Partizipationsrechten“ (Leutheusser-Schnarrenberger 2001, S. 43). Sie sind damit Staatsbürger/innen in ökonomisch und gesellschaftlich bedeutenden Belangen gleichgestellt und werden nicht mehr als „Ausländer/innen“ bezeichnet. Der Begriff „Ausländer/innen“ wird seither in Deutschland meist für außer-europäische und muslimische Migrant/innen verwendet (vgl. Spielhaus 2006). Die rechtliche Trennung der Bevölkerung in europäisch („zu-uns-gehörig“) und nicht-europäisch („fremd“) wird auf diese Weise durch eine kulturalistisch begründete Trennung verstärkt. Der Medienberichterstattung kam (und kommt) im Migrations- und Integrationsdiskurs eine entscheidende Rolle zu (vgl. Scheffer 1997; Hafez 2000, 2001b), insoweit sie durch die diskursive Verknüpfung so unterschiedlicher Themen wie Asyl und Arbeitsmigration, „metaphorische Argumentationsmuster“ wie „Asylantenströme“ und die selektive Verbreitung von Einwanderungszahlen eigene Wirklichkeiten schuf, die mitunter die ablehnende politische Haltung und Ressentiments in der Bevölkerung bekräftigte, wenn nicht gar verursachte (Rosenthal 2000, S. 198 und 200).4 „Die Vorurteile in der Bevölkerung werden oft erst durch politische Initiativen, die entsprechende Einstellungen in der Bevölkerung aufgreifen, in eine Medienagenda umgewandelt.“ (Hafez 2004, S. 71)

4

Hafez 2004 hat auf eine Reihe von nachhaltigen Problemkomplexen hingewiesen. So ist „der abstammungsorientierte ‚Rassismus‘ wie auch die kulturorientierte ‚Fremdenfeindlichkeit‘ nach wie vor ideologisch wirksam“ (ebd., S. 70f.). Jüngstes Beispiel ist das Buch Deutschland schafft sich ab des ehemaligen Mitglieds des Vorstands der Deutschen Bundesbank Thilo Sarazzin. Die darin verbreiteten kulturalistischen und rassistischen Thesen fanden im Spätsommer 2010 ein breites Medienecho sowie große Zustimmung in der Bevölkerung. Denkbar ist auch der umgekehrte Fall; dass öffentliche Diskurse die politische Agenda beeinflussen. Im Nachhall der Sarrazin-Debatte ist beispielsweise die CDU deutlich von der noch 2006 von dem damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) geäußerten Akzeptanz des Islam in Deutschland abgerückt und sieht die deutsche Leitkultur in „christlich-jüdischen Werten“ verwurzelt (vgl. CDU 2010, S. 9-11). Eine systematische Erforschung von Medien und Rassismus ist in Deutschland trotz SarrazinDebatte und der Medienberichterstattung über die neonazistische Mordserie 2011 bislang nicht erfolgt (vgl. Wilson/Gutiérrez/Chao 2003).

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Dies belegt der sogenannte „Asylkompromiss“, welcher nach einer Einigung der Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP mit der SPD in der Opposition 1993 in Kraft trat. Die massive Einschränkung des Asylrechts und nicht etwa Maßnahmen gegen den zunehmenden Rassismus in der Bevölkerung, war die Reaktion auf die Brand- und Mordanschlägen auf ein Vertragsarbeiter- und Flüchtlingsheim in Hoyerswerda im September 1991 sowie auf Häuser von Migrant/innen in RostockLichtenhagen (August 1992), auf Häuser türkischer Familien in Mölln (November 1992) und Solingen (Mai 1993). Die Rede von einer fehlenden Steuerung der Migration bis zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 2000 – der „Einwanderungssituation ohne Einwanderungsland“ (vgl. Bade 1993, S. 393-464) oder dem „Einwanderungsland ohne Einwanderungspolitik“ (vgl. Meier-Braun 2002a, S. 141ff.) – wird von Angenendt (2008) zu Recht als Fehleinschätzung bezeichnet. Vielmehr hatten einige Steuerungsinstrumente unerwünschte Nebenwirkungen wie die Verfestigung der Einwanderung durch den Zugugsstopp 1973 – und nicht etwa die massenhafte Rückkehr der Arbeitsmigrant/innen, wie von der Politik intendiert. Die Reform des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 2000, initiiert durch die rot-grüne Bundesregierung, wurde als „Paradigmenwechsel der Migrationspolitik“ bezeichnet. Die Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft war fortan nicht mehr alleine aufgrund der Abstammung möglich (ius sanguinis), sondern auch auf der Basis des Territorialprinzip (ius soli). Erstmals sollten damit auch länger ansässige Ausländer/innen sowie in Deutschland geborene Kinder von NichtDeutschen durch Einbürgerung die Möglichkeit erhalten, Deutsche zu werden oder eine zweite Staatsbürgerschaft anzunehmen, was nach einer öffentlichen Unterschriftenaktion der hessischen CDU im Landtagswahlkampf 1999 nicht durchgesetzt wurde (vgl. Leutheusser-Schnarrenberger 2001, S. 41). Unter dem Eindruck des Karikaturenstreits, wobei die Veröffentlichung islamfeindlicher Karikaturen in der dänischen Tageszeitung Jyllands-Posten weltweite Protesten auslöste, wurden im Jahr 2006 erstmals ein „Integrationsgipfel“ durch die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sowie die „Deutsche Islamkonferenz“ durch Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) einberufen, die bis heute in wechselnder Besetzung mehrfach getagt haben.5 Von einem Dialog mit muslimischen Verbänden auf Augenhöhe kann noch immer nicht gesprochen werden, denn die „Integration“ der etwa 4-5 Millionen Muslim/innen wird im politischen Diskurs überwiegend als Problem betrachtet. 5

Zuletzt war deren dialogische Komponente durch die sicherheitspolitische Zielrichtung von Innenminister Friedrich (CSU) geschwächt worden, weil dieser von den Islamischen Verbänden eine „Sicherheitspartnerschaft“ verlangte, welche die intensivere Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden vorsah. Vgl. http://www.initiative-sicherheitspartner schaft.de/SPS/DE/Startseite/startseite-node.html, 05.03.2012.

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Dies belegt die Novellierung des Zuwanderungsgesetzes im Jahre 2007, die weite Bereiche des „Paradigmenwechsels“ wieder rückgängig machte. Die Einwanderung aus islamischen Ländern ist seitdem an Vorbedingungen wie den Nachweis von Deutsch-Kenntnissen im Herkunftsland, die verpflichtende Teilnahme an Integrationskursen und ein heraufgesetztes Nachzugsalter von 16 auf nunmehr 18 Jahre geknüpft, obwohl Wohlfahrts- und Industrieverbände die Novellierung kritisierten (vgl. Computer Zeitung 2007; Paritätischer Wohlfahrtsverband 2007). Nachziehende Ehepartner/innen aus als „westlich“ etikettierten Ländern bleiben von diesen Pflichten verschont. In der novellierten Fassung hält das Zuwanderungsgesetz somit an der selektiven – nun verstärkt kulturalistisch begründeten – „Zuwanderungspolitik“ fest. Die Bemühungen der letzten Bundesregierung unter Federführung der CDU, der Einwanderungssituation mit dem Nationalen Integrationsplan (NIP), (2007) und dem Nationalen Aktionsplan Integration (NAP), (2011) gerecht zu werden wirken folglich widersprüchlich (vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 2007 und 2011). So empfiehlt beispielsweise der NIP zu prüfen, ob das kommunale Wahlrecht für „Migranten aus Nicht-EU-Staaten“ – ein wichtiges Instrument zur politischen Partizipation in Deutschland – eingeführt werden kann. In der Fußnote wird jedoch darauf hingewiesen, dass für die dafür benötigte Grundgesetzänderung gegenwärtig keine Mehrheiten zu erwarten seien. Die Bundesregierung werde daher „die bestehenden rechtlichen und politischen Handlungsdispositionen […] ohne Zeitdruck abwägen“ (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 2007, S. 176). Dementsprechend vage fiel die erste Evaluierung im Jahr 2008 aus (vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 2008). Ob der NAP tatsächlich als Integrationsplan taugt ist demnach fraglich. Zusammenfassend kann eine Entwicklung der migrationspolitischen, gesellschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland beobachtet werden, welche die gleichberechtigte gesellschaftliche, kulturelle und politische Partizipation von Migrant/innen, insbesondere aus Nicht-EU-Staaten und vor allem der muslimischen Bevölkerungsteile, erschwert. Womöglich kommen deshalb politische Integrationsabsichten für einen Teil der Migrant/innen zu spät: Das dynamische Wanderungsgeschehen in Deutschland ist von dem Saldo aus Zu- und Fortzügen gekennzeichnet, aus dem sich seit 2008 ein interessantes Bild ergibt. Die Zuzugszahlen waren seit der Wiedervereinigung tendenziell rückläufig, im Jahr 2008 überstiegen die Auswanderungszahlen erstmals diejenigen der Einwanderung. Die Rede vom „Einwanderungsland“ spiegelt somit nur einen Teil der Migrationsrealität wider (vgl. Dernbach 2010). Daten zur Migration Zunächst ist anzumerken, dass die existierenden Statistiken zur Migration auf unterschiedlichen Methodiken beruhen, Inkonsistenzen beinhalten und teilweise er-

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heblich voneinander abweichen. Bereits 2001 kritisierte die Süssmuth-Kommission, „dass die Unzulänglichkeiten der Migrationsstatistiken keine zweifelsfreie Beurteilung des gesamten Wanderungsgeschehens erlauben“ (Unabhängige Kommission „Zuwanderung“ 2001, S. 287). Die Bevölkerungsfortschreibung weist im Jahr 2011 mehr als 7 Millionen Menschen mit ausländischem Pass auf.6 Das entspricht einem Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung von knapp 9 %. Türkische Staatsangehörige stehen an erster Stelle der in Deutschland lebenden Ausländer/innen (ca. 1,6 Mio), mit Abstand gefolgt von Migrant/innen aus dem ehemaligen Jugoslawien (ca. 1 Mio) und Italiener/innen (520 000) (Statistisches Bundesamt 2012a, S. 30/31). Die Zahl der Personen mit Migrationshintergrund in Deutschland wird im Mikrozensus 2011 mit 16 Millionen Personen angegeben, was 19,5 % der Gesamtbevölkerung von ca. 81 Millionen Einwohner/innen entspricht. Hier sind die Türkei (18,5 %), Polen (9,2 %) und die Russische Föderation (7,7 %) die bedeutsamsten Herkunftsländer der Personen mit Migrationshintergrund (Statistisches Bundesamt 2012b, S. 7 und 8). In den größeren Städten und Ballungsräumen leben meist Menschen aus über 170 verschiedenen Nationen zusammen. Dabei wird davon ausgegangen, dass diese Menschen nicht im Sinne abgeschlossener Ethnien oder Herkunftsgruppen zusammenleben. Die von Stephen Vertovec (2006) als „SuperDiversity“ bezeichnete gesellschaftliche Realität definiert er als Interaktion verschiedener Variablen der Migration wie Herkunft, religiöser Zugehörigkeit, Sprache etc. Daraus entstehen hochkomplexe sozio-kulturelle Milieus, die durchaus quer zu Nation oder Kultur verlaufen können. Die Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland, ihre kulturellen Orientierungssysteme, der Sprachen- und Schriftgebrauch sowie die religiösen Überzeugungen hat sich seit der Anwerbung von „Gastarbeiter/innen“ also vervielfältigt. So wurde der Islam zur zweitgrößten Glaubensgemeinschaft nach dem Christentum. Die türkischen Migrant/innen stellen die größte Gruppe der muslimischsunnitischen Migrant/innen dar. Türkische Schiit/innen und iranische Imamit/innen machen mit 225.500 Personen einen Anteil von etwa 7,1 % der Muslim/innen in Deutschland aus.7 Gegenwärtig wird der Anteil der Muslim/innen an der Gesamtbevölkerung auf ca. 4,6 % geschätzt, davon sind etwa 45 % deutsche Staatsangehörige (vgl. Haug et al. 2009, S. 11). In der Wahrnehmung der Bevölkerung wie auch in der Einwanderungspolitik spiegelt sich diese Diversifizierung bis heute zögerlich wider.

6 Dem Ausländerzentralregister (AZR) liegt eine andere Methodik zugrunde. U.a. werden nur jene AusländerInnen gezählt, die sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten, so dass das AZR von leicht rückläufigen Ausländerzahlen ausgeht. 7

Vgl. Haug/Müssig/Stichs 2009, S. 97.

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Im folgenden Kapiteln wird dargelegt, in welchen Medien welche Migrant/innen als Journalist/innen und Redakteur/innen in deutschen Medien beteiligt wurden und werden. Zunächst erfolgt ein kurzer Überblick über die Presse für Migrant/innen. Es folgt die Einordnung fremdsprachiger Zielgruppensendungen im Rundfunk in den historischen und medienpolitischen Kontext, wobei dem Thema der Arbeit entsprechend nur kurz auf die Radiosendungen und ausführlicher auf die Zielgruppensendungen im Fernsehen eingegangen wird. Ein Exkurs erörtert detailliert die Entwicklung im WDR um die Möglichkeiten und Grenzen der Zielgruppensendungen für die Medienbeteiligung herauszuarbeiten. Presse für Migrant/innen Eines der ersten Kommunikationsmedien, das Arbeitsmigrant/innen aus südeuropäischen und islamischen Ländern in Deutschland nutzten waren Zeitungen. Dabei handelte es sich zunächst um Tageszeitungen aus den Herkunftsländern, die auch in Deutschland vertrieben wurden, wenngleich meist nur an Bahnhofskiosken. Die Bahnhofshallen, die an Sonntagen in vielen Städten von den Migrant/innen aufgesucht wurden, um Neuigkeiten auszutauschen, ergänzten als informelle Informationsbörse die Printberichte aus der Heimat um die Dimension des persönlichen Austauschs (vgl. Biedermann 1974). Eine redaktionelle Mitarbeit der für diese qualifizierte Tätigkeit in der Presse kaum ausgebildeten „Gastarbeiter/innen“ war im Rahmen des Anwerbeabkommens in den 1960er Jahren schlichtweg nicht vorgesehen (vgl. Gillesen 1962). Einige deutsche Tageszeitungen wie die Münchner Post ergänzten ihre Blätter seit Mitte der 1960er Jahre mit fremdsprachigen Beilagen, um die immer zahlungskräftigeren Arbeitsmigrant/innen zu erreichen und die informationellen Lücken zu schließen. Es handelte sich dabei um Zeitungen, die deutsche Redaktionen für Migrant/innen herstellten. Sie sollten praxisnahe Information liefern und später auch Hilfestellung bei der Integration bieten. Die an der Herstellung der „Gastarbeiterzeitungen“ beteiligten Migrant/innen arbeiteten zumeist als Übersetzer/innen. Nach dem Ausbleiben der Werbekund/innen und Protesten der deutschen Leser/innen wurden Anadolu (türkisch), El emigrante (spanisch) und L’Elliniki (griechisch) jedoch wieder eingestellt (vgl. Frankfurter Rundschau v. 17.08.1966; Pragal 1971). Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, das Bundesarbeits- und das Sozialministerium sowie die Bundeszentrale für politische Bildung finanzierten einige Zeitungen mit und gaben zudem eigene Informationsbroschüren für Migrant/innen heraus, aber auch diese wurden nach kurzer Zeit eingestellt (vgl. Weber-Menges 2005, S. 254).

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Deutsche Tageszeitungen hatten in den 1990er Jahren, nun unter den Vorzeichen einer zunehmend multikulturellen Gesellschaft ihren Blättern mehrsprachige Beilagen beigefügt. Ausgangspunkt war die Überlegung, dass sich aufgrund der verfestigten Einwanderungssituation eine bikulturelle Generation herausgebildet hatte, die gleichermaßen das Geschehen in Deutschland und im Herkunftsland ihrer Eltern und Großeltern beobachtete. Die Tageszeitung (taz) gründete im September 2000 die deutsch-türkische Wochenbeilage Pershembe (Donnerstag). Ziel der unabhängig agierenden Ausgründung war es, die redaktionelle Lücke zu schließen, die sowohl in türkischen als auch deutschen Zeitungen im Hinblick auf jene wachsende Zielgruppe der Deutschtürk/innen bestand. Ein interkulturelles Redaktionsteam aus Journalist/innen mit türkischen und deutschen Wurzeln widmete sich der Aufgabe, das bikulturelle Publikum an die taz zu binden. Erster Redaktionsleiter war Ömer Ezeren, der mit vier Redaktionsmitgliedern mit türkischen Wurzeln die Zeitungsbeilage herstellte. Die einzige festangestellte Vollzeit-Redakteurin des Teams war jedoch die deutschstämmige Journalistin Claudia Dantschke (vgl Husemann 2001; s. auch Dantschke/Seidel/Yildirim 2000). Bereits im März 2002 wurde Pershembe, wie andere mehrsprachige Printprodukte, mangels Werbekundschaft wieder eingestellt. Gleichwohl hat die Beilage in Medien bewirkt, dass sich in selbstständig produzierten türkischen Zeitungen wie Hürriyet ein Bewusstsein für spezifische Informationsbedürfnisse der Deutschtürk/innen entwickelte, die seither u.a. mit wöchentlichen deutschen Seiten angesprochen werden.

3.3 G ASTARBEITERSENDUNGEN IM ÖFFENTLICH - RECHTLICHEN R UNDFUNK Die Zielgruppenprogramme im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die in den Sprachen der Anwerbeländer gesendet wurden, standen (und stehen) im Dienste einer sich wandelnden staatlichen Migrationspolitik (vgl. Busch 2004, S. 103). Die „Gastarbeiter“-Sendungen im Radio und Fernsehen sollten mit ihrer Etablierung zu Beginn der 1960er Jahren den Zweck der „publizistischen Betreuung“ (vgl. Ahl 1962) erfüllen sowie als „Brückenschlag zur Heimat“ dienen (vgl. Knich 1984). Ihre Aufgabe bestand zunächst mitnichten darin, die soziale Integration oder politische Partizipation der Migrant/innen zu fördern, sondern vielmehr darin, praktische Hinweise für das Leben im „Gastland“ sowie aktuelle Informationen über das Her-

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kunftsland zu liefern.8 Schließlich gingen die Politiker/innen – und teilweise auch die Arbeitsmigrant/innen selbst – noch bis weit in die 1990er Jahre davon aus, die „Gastarbeiter/innen“ würden nach einigen Jahren Deutschland wieder verlassen. Die muttersprachlichen Zielgruppensendungen sollten den Arbeitsmigrant/innen nach ihrer Rückkehr in die Heimat die Wiedereingliederung erleichtern. In einer Zeit, als es noch kein Überangebot an transnationalen Medienangeboten gab, stellten diese Programme einen strategischen Bestandteil der Migrationspolitik der Bundesrepublik Deutschland dar, in dem sie als „Mittel der sozialpolitischen Gestaltung“ der Arbeitsmigration eingesetzt wurden. Erstmals wurden Arbeitsmigrant/innen als Zielgruppen im Rundfunk angesprochen. Der Medienwissenschaftler Roberto Sala (2011) macht deutlich, dass die „Gastarbeiter“-Sendungen im Rundfunk, vor allem im Radio, teilweise auch außenpolitisch aufgrund der politischen Diktaturen in vielen Heimatländern der Arbeitsmigrant/innen, eine wichtige propagandistische Funktion erfüllten, in dem politische Kommentare die gelieferten Sendeteile der Heimatredaktionen ergänzten bzw. weitestgehend durch selbstproduziertes Material ersetzten. Da für die Moderation und Übersetzung Muttersprachler/innen benötigt wurden, eröffneten sich für einige wenige Arbeitsmigrant/innen Berufsperspektiven in diesen Bereichen. Allerdings waren diese Redaktionsmitglieder weniger gut ausgebildet als ihre deutschen Kolleg/innen und wurden fast ausschließlich in den „Gastarbeiter-Redaktionen“ eingesetzt, also jenen interkulturellen Abteilungen, die für die Zielgruppensendungen verantwortlich zeichneten. Zudem waren sie zu etwa zwei Dritteln nicht fest angestellt (vgl. Hujanen 1976). Arbeitsmigrant/innen hatten damit gewisse – wenn auch sehr eingeschränkte und migrationspolitisch bedingte – Möglichkeiten der Medienbeteiligung im gebührenfinanzierten öffentlichrechtlichen Rundfunk. Bis in die 1990er Jahre hinein verantworteten zumeist deutsche Chefredakteur/innen die Gastarbeiter-Reaktionen, so dass von einem Medienzugang der Redaktionsmitglieder „mit Migrationshintergrund“ gesprochen werden konnte. Allerdings gab es vereinzelt auch migrantische Chefredakteur/innen, so dass zumindest rudimentäre Ansätze einer Medienpartizipation, bezogen auf Einzelpersonen erkennbar waren. Wichtig ist hier zu betonen, dass für Zielgruppen wie die iranischen Migrant/innen keine spezifischen Rundfunkangebote zur Verfügung gestellt wurden. Ein Nebeneffekt dieser medialen Vernachlässigung war, dass die migrations- und außenpolitischen Ziele, die mit den Gastarbeitersendungen verknüpft waren, iranische Migrant/innen ebenfalls nicht betrafen. Auch die (geringste) Möglichkeit, der vertrauten Sprache und Kultur im Fernsehen zu begegnen – und damit die Medien8

Auch Werkszeitschriften deutscher Firmen in den Sprachen der bei ihnen beschäftigten Arbeitsmigrant/innen erschienen Anfang der 1960er Jahren, vgl. Frankfurter Rundschau v. 09.01.1961.

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beteiligung in Zielgruppenprogrammen, ergab sich für iranische Migrant/innen nicht. Sie waren also gezwungen, selbst aktiv zu werden, um über lokale Ereignisse zu informieren und informiert zu werden. (s. Kapitel 5). Radio: „Gastarbeiterfunk“ Die Radiosendungen für Arbeitsmigrant/innen der ARD-Anstalten bildeten den Ausgangspunkt des spannungsreichen Verhältnisses zwischen öffentlichrechtlichem Rundfunk und den Migrant/innen als Zielgruppe (vgl. Darkow/Eckhardt/Maletzke 1985, S. 108-120). Mit den Radioprogrammen für „Gastarbeiter/innen“, die erstmals 1961 in den ARD-Anstalten auf Sendung gingen, wurden fremdsprachige Radiobeiträge im öffentlich-rechtlichen Rundfunk institutionalisiert (vgl. Darkow et al. 1985, S. 108120). Für die Migrant/innen stellten sie eine einfache Möglichkeit dar, muttersprachliche Radioprogramme in Deutschland zu konsumieren, denn Radiosendungen aus den Herkunftsländern zu empfangen, war über Kurzwelle nur unter Schwierigkeiten möglich, da es sich meist um Sender mit kleiner Leistung handelte, die nur mit einem technisch aufwendigen Rundfunkempfänger zu hören waren (vgl. Ahl, 15.08.1962). Die Gastarbeitersendungen bestanden zu großen Teilen aus Magazinbeiträgen, welche in den Herkunftsländern hergestellt wurden. Um die Kontrolle über die Inhalte der ausländischen Partnersender zu behalten, war die Redaktionsleitung in den Gastarbeiter-Redaktionen meist mit deutschen Mitarbeiter/innen besetzt, die von herkunftssprachlichen Sprecher/innen und Übersetzer/innen unterstützt wurde (vgl. Sala 2011, S. 260). Im Kalten Krieg sollte auf diese Weise der politische Einfluss kommunistischer, aber auch faschistischer Heimatregime auf die Arbeitsmigrant/innen kontrolliert und unterbunden werden (vgl. Sala 2011, S. 260268; Kallenbach 1963; Roitsch 1980; Asbrock 1963). Umgekehrt sollten die Gastarbeiter/innen nicht mit kritischen Perspektiven über Deutschland konfrontiert werden. So wurden nicht nur Radiosendungen sondern auch Kinofilme entsprechend für Migrant/innen „zertifiziert“ (vgl. Frankfurter Rundschau v. 10.02.1965). Teilweise erhielten die ausländischen Redaktionen einen großen Spielraum und konnten dadurch eine kritische politische Haltung gegenüber den Heimatregimen in ihren Sendungen verbreiten, was wiederum aufgrund der außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland ausdrücklich erwünscht war (Sala 2011, S. 101f). Begonnen wurde mit Radioprogrammen in den Sprachen Italienisch (1961), Spanisch, Griechisch (1962), Türkisch (1964) und später Serbokroatisch (eigene Recherche; Sala 2011). Mit der ersten türkischsprachigen Sendung am 21. Mai 1964 vereinbarten die ARD-Anstalten, aus vereinzelten Initiativen eine kontinuierliche Gemeinschaftsaufgabe zu machen, wobei Produktion und redaktionelle Betreuung zunächst von WDR und BR, später auch vom RBB mitverantwortet wurden. Im Jahre 1976 existierten 14 verschiedene Zielgruppensendungen im Radio, die zwar nicht flächendeckend, jedoch von mehreren ARD-Anstalten übernommen

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und in ihrem jeweiligen Sendegebiet ausgestrahlt wurden (vgl. epd/Kirche und Rundfunk 1977, S. 3). Seitdem, und verstärkt innerhalb der letzten Dekade, ist – entsprechend veränderten Migrationsursachen und -politik – ein anhaltender Trend zur Abschaffung von Zielgruppensendungen im Radio zu beobachten. Durch den Rückzug des SWR im Jahr 2003 aus der Finanzierung des gemeinsamen fremdsprachigen Radioprogramms der ARD entstand ein Fehlbetrag von rund 1 Million Euro, der das gemeinschaftlich finanzierte Modell insgesamt gefährdete. Mit Verweis auf sinkende Gebühreneinnahmen wurde im Jahr 2008 die Absetzung des erfolgreichen RBB-Programms Radio Multikulti begründet, obwohl es in der gesamten Bevölkerung große Akzeptanz genoss (vgl. Wierth, 25.10.2008). Trotz bundesweiter Proteste des „Freundeskreises Radio Multikulti“ wurde das Programm vom RBB Ende 2008 eingestellt, jedoch von Ehrenamtlichen als Internetradio multicult.fm weitergeführt.9 Auch die „Ausländerredaktion“ des HR stand Mitte des Jahres 2010 aufgrund von Sparmaßnahmen vor der Auflösung und ging schließlich als interkulturelles Magazin in der Sendung hr2 Weltzeit auf.10 Die seit 1966 auf Mittelwelle in bis zu 14 Sprachen ausgestrahlten Sendungen wurden eingestellt. Nach der Abwicklung des mehrsprachigen HR-Programms gehört nunmehr Funkhaus Europa (WDR) zum letzten verbliebenen fremdsprachigen Programm im öffentlich-rechtlichen Radio.11 Medienzugang im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Mit Aufkommen der Zielgruppensendungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Deutschland im Jahr 1965 beteiligte sich erstmals eine kleine Gruppe von Arbeitsmigrant/innen aktiv an der Produktion der Zielgruppenprogramme. Migrant/innen waren jedoch fast ausschließlich in den Ausländerredaktionen eingestellt, an der Produktion der Mainstream-Programme wurden sie kaum beteiligt. Vor der Liberalisierung des Rundfunks in Deutschland Mitte der 1980er Jahre und der zunehmenden Verbreitung von Satelliten-Empfangstechnik stellten die Zielgruppenprogramme die einzige Möglichkeit für Migrant/innen dar, herkunftssprachliche Fernsehsendungen zu sehen (vgl. Müller 2005b). Die zumeist 15-minütigen „Gastarbeiterprogramme“ im Radio waren in den 1960er Jahren einfach zu kurz geworden, um „dem Informations- und Unterhaltungsbedürfnis großer ausländischer Bevölke9

Vgl. Mack 2002; http://www.taz.de/regional/berlin/aktuell/artikel/1/radio-multikulti-darfhoffen; 25.10.08 taz.

10 Vgl. Apell der „Ausländerredaktion“ des HR: „Der hr braucht in Zukunft eine Interkulturelle Fachredaktion“. Juni 2009 (Unveröffentlichtes Papier). Vgl. Medienpolitik ver.di Hessen: „Programmkürzungen beim hr sind ein fatales Signal für die Akzeptanz des hr“. http://medien-kunst-industrie.hessen.verdi.de/medienpolitik/hrrundfunkrat; 18.08.2009. 11 Vgl. http://www.funkhauseuropa.de/index.phtml; 26.05.2009.

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rungsteile“ nachzukommen (vgl. Ahl 1962). Außerdem verfügten auch immer mehr Arbeitsmigrant/innen über ein Fernsehgerät. Der öffentliche Auftrag der Fernsehsender, die gesamte Gesellschaft mit Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung zu versorgen, sollte somit auch jenen Migrant/innen zugutekommen, die nur über geringe Sprachkenntnisse verfügten (vgl. Darkow et al. 1985, S. 108-111). Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gingen Kooperationsverträge mit den Sendern der Herkunftsländer ein, so konnten sie auf fremdsprachige Redakteur/innen vor Ort verzichten. Der maximale fremdproduzierte Programmanteil pro Fernsehsendung betrug im ZDF 35 Minuten. Als eine der ersten Untersuchungen zur Mitarbeiterschaft „mit Migrationshintergrund“ in öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten gilt die Studie von Hujanen von 1976. Sein Länderfokus richtete sich auf Belgien, Großbritannien, die Niederlande, Frankreich, Schweden, Westdeutschland und die Schweiz. In der BRD untersuchte er den BR, HR, WDR (Fernsehen und Radio) sowie das ZDF (Fernsehen) (vgl. Hujanen 1976, S. 53). Demnach arbeiteten 1976 in diesen westeuropäischen Ländern zusammen 172 Migrant/innen an der Gestaltung der Sendungen mit, wobei die Hälfte (87) in deutschen Rundfunkanstalten tätig war, davon 64, also zwei Drittel, als freie Mitarbeiter/innen.12 Bemerkenswert ist dabei, dass Deutschland (West) zu jener Zeit vergleichsweise fortschrittlich auf dem Gebiet der Beteiligung von Migrant/innen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk agierte, obwohl Länder wie Frankreich und Großbritannien auch damals schon eine stärkere Tradition als Einwanderungsländer hatten. Im WDR-Fernsehen waren 13 und im ZDF sieben Redaktionsmitarbeiter/innen mit Migrationshintergrund beschäftigt, drei respektive zwei von diesen waren fest angestellt, so dass in Deutschland insgesamt fünf festangestellte und fünfzehn freie migrantische Mitarbeiter/innen an der Fernsehproduktion der Zielgruppensendungen beteiligt waren, womit sich die Vorreiterstellung Deutschlands auf dem Gebiet der Medienbeteiligung von Migrant/innen auf einem niedrigem Niveau befand. Der WDR hatte für die ARD-Anstalten die Verantwortung für die Produktion der Zielgruppensendungen übernommen, so dass BR und HR nicht daran beteiligt waren (vgl. Hujanen 1976, S. 53). Hujanen (1976) erklärt die unsicheren Beschäftigungsverhältnisse der Migrant/innen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zum einen mit dem als temporär begriffenen Phänomen der „Gastarbeiter/innen“, zum anderen mit ihrer schlechten journalistischen Ausbildung. Der Import von Beiträgen aus den Herkunftsländern führte außerdem dazu, dass in den deutschen Anstalten weniger Kräfte benötigt wurden. Ein nicht zu unterschätzender Nebeneffekt dieser Senderpolitik war, dass die Artikulationsmöglichkeiten lokaler Interessengruppen, wie Migrant/innenverbänden vor allem in den Gastarbeitersendungen weitgehend ausgeschlossen wurden. 12 Der rechtliche Status wird nicht weiter differenziert.

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Es entwickelten sich unterschiedliche Fernsehformate der Zielgruppensendungen, die jeweils den Wandel des Migrationsgeschehens sowie der Migrationspolitik widerspiegeln. Sie werden im Folgenden drei aufeinanderfolgenden Modellen zugeordnet, wobei die Übergänge der Phasen graduell verlaufen und in den Sendeanstalten voneinander abweichen. Die Bedingungen der Medienbeteiligung für Migrant/innen unterscheiden sich in ihnen nur unwesentlich: 1) „Gastarbeiter-Sendungen“ 2) „Europa-Magazine“ 3) „Integrationsmagazine“ Die muttersprachlichen „Gastarbeiter-Sendungen“ bilden das erste Modell, das ca. von Anfang der 1960er bis Ende der 1980er Jahre maßgeblich war. Ähnlich wie schon in den Radiosendungen standen die Rückkehr der Arbeitsmigrant/innen sowie der (als befristet gedachte) Aufenthalt in Deutschland im Zentrum des Interesses, so dass sie eine „Brücke zur Heimat“ darstellten (vgl. Kosnick 2000). Die Migrant/innen wurden mit politischen, gesellschaftlichen und touristischen Informationen aus der „Heimat“ sowie Schlüsselinformationen zum Alltag in Deutschland versorgt. Ende der 1980er Jahre veränderte sich das Klima in der Bundesrepublik – die Wirtschaftskrise sowie eine Verfestigung der Einwanderungssituation förderten ausländerfeindliche Ressentiments der Mehrheitsbevölkerung zutage. Die damalige Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen, Liselotte Funke (FDP), leitete ein Schriftstück an die Rundfunkanstalten, das von ihnen forderte, sich mit dem „Ausländerthema in den Medien“ zu befassen, „um Vorurteile auch auf der emotionalen und nicht nur auf der kognitiven Ebene abzubauen“ (Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen 1989, S. 6). Dem kam das zweite Modell der Europa-Magazine entgegen, die etwa bis Ende der 1990er Jahre ausgestrahlt wurden. Die Magazinsendungen wurden zumeist zweisprachig moderiert, um die gegenseitige Verständigung von Minderheiten und Mehrheitsgesellschaft vor dem Hintergrund des fortschreitenden Prozesses der europäischen Einigung zu fördern (vgl. Breuer-Ücer 1996). Sie rückten außerdem sprachliche und kulturelle Besonderheiten der einzelnen Einwanderergruppen in den Vordergrund. Angesichts der Vervielfältigung der Migrationsursachen und Herkunftsländer ist hier jedoch die klare Begrenzung des thematischen Horizonts auf die europäischen Migrant/innen auffällig. Im Zuge der europäischen Integration und der Überzeugung der Unumkehrbarkeit der Einwanderung wurde schließlich Ende der 1990er Jahr bzw. Anfang des neuen Jahrtausends der Schritt zum Modell der Integrationsmagazine vollzogen, welche durchweg mit deutschsprachigen Beiträgen und Moderationen die Bevölkerung als Ganze über das alltägliche Zusammenleben, Information der deutschen

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Bevölkerung über Migrant/innen, integrationspolitische Maßnahmen, aber auch Probleme in der „Einwanderungsgesellschaft“ informieren sollten. Der Westdeutsche Rundfunk, das nordrhein-westfälische Regionalprogramm, ist neben dem ZDF maßgeblich an der Produktion dieser Zielgruppensendungen beteiligt, zeichnet sich aber durch eine vergleichsweise, seit den 1960er Jahren ununterbrochene, Kontinuität aus. Ein ähnliches, jedoch weniger stringentes Konzept wie der WDR, verfolgte das ZDF mit seinen deutschlandweit ausgestrahlten Zielgruppensendungen für Gastarbeiter/innen, die erstmals 1966 auf Sendung gingen. Allerdings gab der Sender 1999 seine Zielgruppenformate trotz der innovativen Konzeption der 1998 gestarteten Sendung schwarzrotbunt endgültig auf (vgl. Protest des Interkulturellen Rats in Deutschland, Epd medien 1999).

E XKURS I:

WDR: I HRE H EIMAT – U NSERE H EIMAT , B ABYLON UND C OSMO TV

Am Beispiel der Zielgruppensendungen des WDR wird nun näher auf die drei Modelle der Zielgruppensendungen eingegangen. Am 17. Dezember 1965 startete der WDR mit Ihre Heimat – Unsere Heimat (IHUH) die Ära der muttersprachlichen Sendungen im Fernsehen. Erstmals wirkten Migrant/innen an einer Sendung im deutschen Fernsehen mit, wenn auch zunächst nur als Sprecher/innen und Übersetzer/innen (Sala 2011, S. 209). IHUH wurde zwischen 1965 und 1993 vom WDR produziert und von den dritten Programmen der ARD übernommen. Die Sendung wurde zunächst wochentäglich ausgestrahlt, wobei an jedem Tag eine andere Nationalität im Zentrum stand (vgl. Frankfurter Rundschau v. 10.8.1973). Die interkulturelle Redaktion von IHUH bestand anfangs aus zwei Deutschen, einer Türkin und einem Griechen sowie zwei weiteren festangestellten und mehreren freiberuflichen Mitarbeiter/innen (vgl. Busch 1980). Die interkulturelle Redaktion war sowohl mit der Sprache und den Gepflogenheiten der wichtigsten Herkunftsländer der Arbeitsmigrant/innen als auch mit der deutschen Gesellschaft vertraut. Im Jahr 1978 erhielt die Sendung mit dem Sonntagnachmittag einen neuen Sendeplatz – die ursprünglich fünf Sendtermine wurden auf einen reduziert und auf einen unattraktiven Sendeplatz verwiesen, was einer Marginalisierung von IHUH im Programm gleichkam (vgl. Darkow/Eckhardt/Maletzke 1985, S. 149). Jeder Nation standen alle zwei Wochen 20 Minuten Sendezeit zur Verfügung. Diese Situation verschlechterte sich 1980 durch eine Sendeverschiebung von einer halben Stunde und hatte zur Folge, „dass RB, NDR und SFB die Sendung nicht mehr ausstrahlen“ konnten (Schall 1985, S. 108). Trotz allem lag die Sehbeteiligung Anfang der 1980er Jahre auf einem hohen Niveau: IHUH war 71 % der repräsentativ befragten „Gastarbeiter/innen“ bekannt (vgl. Darkow et al. 1985, S. 42).

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Als wichtigste Sendeinhalte bewertete die Zielgruppe in einer Umfrage „Nachrichten aus der Heimat“ gefolgt von „Musik aus der Heimat“, „Kulturberichte und Unterhaltung“ sowie „Ratschläge für das Leben in der Bundesrepublik“ (vgl. Schall 1985, S. 109f.). 1987 beschloss der Rundfunkrat des WDR, vor allem den Aspekt des „normalen Zusammenlebens“ stärker zu berücksichtigen (vgl. WDR Information 1987). In der Konsequenz wurde IHUH allerdings erst sechs Jahre später durch das neue Format Babylon abgelöst, womit der WDR den Schritt von der „Gastarbeiter-Sendung“ zum „Europa-Magazin“ vollzog, das nicht nur über die Herkunftsländer, sondern auch über das Leben der Migrant/innen in Deutschland berichtete (vgl. Breuer-Ücer 1996). Zu Beginn der Ausstrahlung 1993 war Babylon 60 Minuten lang. Die neue Sendung wurde zunächst mit dem bewährten interkulturellen Team „von vier Redakteur/innen, Aysim Alpmann, Yagmur Atsiz, Nikolaus Kostopoulos und Gisela Palmes – und über 20 freien Mitarbeiter/innen“ (Breuer-Ücer 1996) produziert, wobei ein deutscher Redakteur die Redaktion verlassen musste. Somit war ein Wandel darin ablesbar, dass überwiegend Einwander/innen die journalistische Gestaltung der Sendung verantworteten. Bis 1994 sendete Babylon in den Sprachen der Anwerbeländer. Ab 1995 wurde die Sendung im Zweikanalton und somit zweisprachig ausgestrahlt, so dass sowohl Migrant/innen mit eigener Migrationserfahrung, ihre Kinder sowie das deutschsprachige Publikum angesprochen werden konnten. Babylon erreichte 1996 im Schnitt 167.000 ausländische sowie 70.000 deutsche Zuschauer/innen in Nordrhein-Westfalen – „eine Reichweite […], die von vielen anderen Sendungen im WDR-Fernsehen kaum oder nie erreicht wird“.13 Deutsche Zuschauer/innen waren vor allem an der Vorstellung von weit entfernten Regionen interessiert, wodurch sie ihr Fernweh befriedigen konnten (vgl. Kosnick 2000, S. 319). Trotz des Erfolgs erhielt die Redaktion in Köln regelmäßig ablehnende Briefe von deutschen Zuschauer/innen. Vor allem nach Fernsehbeiträgen über Türken und Türkinnen und Muslimen und Musliminnen in Deutschland erreichte die BabylonMacher/innen regelmäßig „Hasspost“.14 Im Jahr 2001 erhielt Babylon ein facelift, eine inhaltliche Überarbeitung, im Zuge derer die Sendezeit von 60 auf 30 Minuten verkürzt und die vollständige Hinwendung zu einem deutschsprachigen Integrationsmagazin vollzogen wurde. Die Redaktionsleitung übernahm die deutsche Redakteurin Ingrid Skrobicki, die der „Programmgruppe Ausland“ angegliedert war. Carmen Becker moderierte. Neben den drei deutschen Mitarbeiter/innen, davon eine Frau, wurde die Zahl der „festen“ 13 Schreiben der WDR-Medienforschung (Dr. Josef Eckhardt) an den Intendanten, WDR Köln, 15.08.1996 (unveröffentlicht, liegen der Autorin vor). 14 Beispielsweise: Zuschauerbrief vom 27. Juni 1997. Eins von mehreren unveröffentlichten Originaldokumenten des WDR (liegen der Autorin vor). Während der Recherche wurden vor Ort mehrere Leitz-Ordner mit Hassbriefen durchgesehen.

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Redakteur/innen „mit Migrationshintergrund“ auf zwei Mitarbeiterinnen reduziert, so dass die Redaktion überwiegend von Frauen geleitet wurde. Zusätzlich zu Babylon etablierte der WDR das einstündige deutschsprachige Talk-Format namens Vetro, das beruflich erfolgreiche Migrant/innen als Ausweis der Normalität einer multikulturellen Gesellschaft vorstellte. Gastgeber/innen waren Isabel Schayani und Juri Rescheto (vgl. WDR 2003). 2003 beschloss der Rundfunkrat des WDR Vetro und Babylon zu der 60Minuten-Sendung Cosmo TV zu verschmelzen und am Samstagnachmittag auszustrahlen (WDR 2003, S. 1 und 3). Die Sendung, die seither als „Integrationsmagazin im WDR Fernsehen“ firmiert,15 wurde jedoch bald in unregelmäßiger Folge ausgestrahlt, so dass die Sendung an Attraktivität verlor. Zudem wurden, wie schon seit 2001, weitere freie Mitarbeiter/innen mit Migrationshintergrund eingespart. Bis heute wird Cosmo TV am Wochenende und mit verkürzter Sendezeit ausgestrahlt. In den dritten Programmen der ARD wird die Sendung lediglich im HR und SWR auf dem äußerst unattraktiven Sendeplatz am frühen Sonntagmorgen gezeigt (Stand März 2010). Nach mehreren Wechseln wird das fünfköpfige interkulturelle Team nunmehr von Tibet Sinha geleitet, die Mehrzahl der freien Mitarbeiter/innen hat keinen Migrationshintergrund. Die Sendung hat sich zu einem special interest-Magazin entwickelt, die sich als einzige in Deutschland auf das Zusammenleben von Migrant/innen und Deutschen spezialisiert hat, sie berichtet über Integrationspolitik und gesellschaftspolitische Themen wie Terrorbekämpfung, Rassismus, Menschenhandel, verpflichtende Deutschkurse für Migrant/innen oder Naziterror. Da dabei auch die Sichtweisen der Migrant/innen zu Wort kommen, erfüllt Cosmo TV, zumindest im Regionalfernsehen, eine Ergänzungsfunktion zu den deutschlandweit ausgestrahlten Hauptprogrammen. Im Anschluss an die theoretischen Überlegungen zur Medienbeteiligung kann daraus geschlossen werden, dass in diesem Fall ein regional verankertes Medium – neben alternativen Medien im (trans-)lokalen Nahraum – die vereinzelt vorhandenen Möglichkeiten zur Medienbeteiligung zumindest beibehalten wurden. Der WDR nimmt derzeit als einzige deutsche Sendeanstalt vor allem die Außendarstellung des Senders zum Themenkomplex Medien und Integration wahr. Im Jahr 2011 gründete der WDR zusätzlich einen Beirat für Integration und Vielfalt, der dazu beitragen soll, dass Thema Integration und Medien senderintern mit Inhalt zu füllen und auszubauen (vgl. WDR Pressemitteilung 25.11.2001). Verglichen mit den Beteiligungsmöglichkeiten in den Zielgruppensendungen haben sich die Artikulations- und Partizipationsmöglichkeiten von Migrant/innen in den Massenprogrammen nach der weitgehenden Abschaffung der Zielgruppensendungen jedoch kaum verbessert.

15 Vgl. http://www.wdr.de/tv/cosmotv/zursendung/; 15.02.2011.

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3.4 M EDIENPARTIZIPATION

VON

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Die Darstellung dieses Kapitels ergänzt den historischen Abriss des Medienzugangs zu Zielgruppensendungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens im vorangegangenen Kapitel um die selbstständige Medienpartizipation der Migrant/innen, zumeist in privatwirtschaftlich organisierte Medien wie Presse, kommerziellem Fernsehen, nichtkommerziellen Medien und dem Internet. Die zugrundeliegenden Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Medienzugang und Medienpartizipation können auf diese Weise konkretisiert werden. Presse Die selbstständige und aktive redaktionelle Mitarbeit von Migrant/innen war zunächst vereinzelt in den jeweiligen Publikationen der politisch linken und rechten „Exilgruppen“ aus den Anwerbeländern möglich. Vor allem kommunistische Zentralorgane wie die italienische L’Unita, die spanische Mundo Obrero und die nationalistische türkische Yeni Cag standen aufgrund der befürchteten politischen Aufwiegelung der Arbeitsmigrant/innen in Deutschland jedoch unter Beobachtung (vgl. Asbrock 1963). Die Beteiligung von Migrant/innen in der Presse wurde erst mit dem Aufkommen von nicht-deutschsprachigen, aber in Deutschland hergestellten Presse-Erzeugnissen möglich. Den Anfang machte der italienischsprachige katholische Corriere d’Italia mit dem Chefredakteur Silvano Ridolfi, der 1966 erstmals „schreibende Gastarbeiter“ beschäftigte (vgl. Frankfurter Rundschau v. 09.06.1966). Die Region um Frankfurt am Main entwickelte sich seither zum wichtigen Zentrum der Produktion von fremdsprachigen Tages- und Wochenzeitungen von und für Migrant/innen aus unterschiedlichen Ländern. Insbesondere türkischsprachige Europa-Ausgaben der Tageszeitungen von türkischen Verlegern und Medienunternehmen wie der World Media Group (Zaman) und der Dogan-Gruppe (Hürriyet) werden noch heute unweit des Stadtzentrums erstellt, allerdings verlegte Zaman seine Chefredaktion von Offenbach nach Berlin und Hürriyet plant, mit seiner Chefredaktion von Mörfelden-Walldorf nach Istanbul umzuziehen (vgl. Reckmann, 13.02.2013; Tinç, 05.03.2013). Ebenfalls nahe Frankfurt am Main ansässig sind der Corriere d’Italia (Italienisch) und Vesti (Serbisch) sowie russischsprachige Zeitungs- und Magazinverlage. Sie werden von dort aus im ganzen Bundesgebiet bzw. in West- und Nordeuropa vertrieben. Die höchsten Auflagen erzielt in Deutschland die türkisch- und russischsprachige Presse, die den spezifischen Informationsbedarf ihrer jeweiligen Zielgruppe abdeckt. Allerdings wird ein großer Teil des redaktionellen Inhalts aus dem Mutterland der Redaktionen importiert. Weber-Menges (2005) beziffert für das Jahr 2002 die Auflagen türkischer Tagesund Wochenzeitungen zusammen auf ca. 245.000 (vgl. Weber-Menges 2005, S. 277). Die russischsprachige Zielgruppe wird von Branchenvertreter/innen auf zwi-

116 | M EDIEN – M IGRATION – P ARTIZIPATION

schen 3,5 und 5 Millionen Personen (bezogen auf Deutschland respektive den gesamten deutschsprachigen Raum) angegeben, um deren Aufmerksamkeit rund 50 russischsprachige Zeitungen und Zeitschriften werben (vgl. LTC- Media Verlag 2010; Margolina 19.06.2009). Die Berliner RusMedia, das „größte russischsprachige Medienhaus in Westeuropa“, erreicht nach eigenen Angaben mit ihren Medien „um die 80 % der russischsprachigen Bevölkerung in Deutschland“ und beschäftigt 120 Mitarbeiter/innen (vgl. Mohtachem/Cruz 2011). Aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen liegen kaum vor, wobei v.a. türkischsprachige Medien akademische Aufmerksamkeit erfahren, was der Anzahl türkischstämmiger Bürger/innen in Deutschland und einem entsprechend ausdifferenzierten deutsch-türkischen Medienmarkt geschuldet ist. Eine Studie zur Einstellung deutsch-türkischer Journalist/innen von Schneider/Arnold (2004) enthält auch eine Bestandsaufnahme, wo diese Medienproduzent/innen tätig sind (vgl. Tabelle 3; Schneider/Arnold 2004, S. 249). Ein wichtiger Befund ihrer Studie ist – zumindest was die deutsch-türkischen Journalist/innen in Tageszeitungen betrifft –, dass diese häufiger bei türkischen Zeitungen arbeiten, die von und für Migrant/innen mit türkischem Migrationshintergrund produziert werden, als bei deutschen Tageszeitungen. Presseprodukte von und für Migrant/innen mit kleinerer Reichweite wie beispielsweise die türkischsprachige kostenlose Monatszeitung Hessen Toplum wurden bei der oben genannten Studie nicht berücksichtigt.16 Auch Printmedien wie die Kulturzeitschrift Diyalog sowie das Wirtschaftsmagazin Eurotürk, ein bilinguales Magazin für deutsch-türkische Unternehmer/innen in Deutschland, wurden bislang nicht untersucht und stellen einen eigenen, schnell wachsenden Sektor im Medienmarkt dar. Ähnliche Printerzeugnisse werden in verschiedenen Herkunftssprachen, bilingual oder deutschsprachig von Migrant/innen herausgegeben und richten sich an Teil-Öffentlichkeiten, deren Basis so genannte „ethnische Ökonomien“ darstellen, die überall in europäischen Städten entstanden sind.17

16 Vgl. „Hessen Toplum. Regional, Hessisch, aber Türkisch“, http://www.hessen toplum.com/; 12.05.2009. 17 Vgl. Busch (2004), S. 123. Ethnische Ökonomien lassen sich dabei keineswegs immer klar voneinander abgrenzen. Apitzsch (2005) hat am Beispiel der italienischen „Gastarbeiter/innen“ gezeigt, dass aufgrund des sozialen Aufstiegs der zweiten und dritten Generation die italienische Pizzeria zu einem transkulturellen Raum geworden ist, der längst häufig von nicht-italienischen Migrant/innen betrieben wird.

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Tabelle 2: Türkischstämmige Journalist/innen in ausgewählten türkischsprachigen und deutschsprachigen Zeitungen in Deutschland Türkische

Anzahl der

Deutsche

Anzahl der

Zeitung

Beschäftigten

Zeitung

Beschäftigten

Türkiye

20

Haller Tageblatt

2

Hürriyet

18

Berliner Morgenpost

2

Dünya

8

Tagesspiegel

2

3

Frankfurter Rund-

1

18

Milliyet

schau Gesamt: ca. 49 Journalist/innen mit tür-

Gesamt: ca. 9 Journalist/innen mit türki-

kischem Migrationshintergrund in aus-

schem Migrationshintergrund in ausge-

gewählten türkischen Zeitungen

wählten deutschen Zeitungen

Quelle: Schneider/Arnold (2004). Eigene Darstellung.

Ausschlaggebend für das Entstehen dieser lokalen Ökonomien war einerseits die Nachfrage nach spezifischen Produkten oder Dienstleistungen sowie andererseits „Diskriminierungen auf dem enger werdenden Arbeitsmarkt, welche Migrant/innen bewogen, selbst Unternehmen zu gründen“ (Busch 2004, S. 123f.). Dies schließt den Mediensektor ein. Diese Presseerzeugnisse stellen den Kontakt mit der Infrastruktur der Sprach- oder Herkunfts-Community her – mit ihren Geschäften, Arztpraxen, Reparaturwerkstätten, Restaurants, Bücherläden –, vor allem mittels Anzeigen. Die Hilfestellungen bei bürokratischen Hürden, Vernetzung mit der Diaspora oder die Vermittlung von Arbeitsstellen zählen zu weiteren Funktionen. „Dabei geht es nicht nur um die Produktion von Medien, sondern auch um die Distribution wie den Verkauf […]. Oft steht dies in Verbindung mit der Organisation von kulturellen Veranstaltungen, wie auf spezifische Gruppen ausgerichtete Filmwochen oder Konzerte“ (Busch 19

2004, S. 121).

Bemerkenswert ist, dass neue Printmedien in jüngster Zeit vor allem von jungen Einwanderinnen herausgegeben werden. Sie spiegeln damit das wachsende Selbstbewusstsein sowie das Teilhabe- und Informationsbedürfnis der Frauen aus den verschiedenen Migrantengruppen wider. Die Frauenzeitschrift Gazelle, die von Si-

18 Mittlerweile eingestellt. 19 Werbung für Unternehmer/innen mit dem jeweiligen Migrationshintergrund wie für Arztpraxen, Autowerkstätten sowie das gesamte Spektrum an Dienstleistungen nimmt darin einen ebenfalls breiten Raum ein.

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neb El Masrar seit 2006 herausgegeben wird, stellt den Versuch dar, vor allem Frauen „mit Migrationshintergrund“ mit einem deutschsprachigen Magazin zu erreichen. Die Zeitschrift thematisiert, ähnlich wie „klassische“ deutsche Frauenmagazine, Lifestyle-Themen, Mode und Kochen, allerdings mischt sie sich auch in aktuelle gesellschaftspolitische Debatten rund um Migration, Integration und Diskriminierung ein. Durch dieses selbstständig hergestellte Medium von Einwanderinnen besteht die Möglichkeit, der medialen Konstruktion der „fremden Frau“, die auf wenigen Stereotypen aufbaut, eine eigene Sichtweise entgegenzusetzen (vgl. Lünenborg et al. 2011, S. 81-104). Die Printausgabe von Gazelle hatte zuletzt eine Auflage von 12.000 Exemplaren (vgl. Ehrenberg 2011), aufgrund mangelnder Abonnements erscheint es derzeit aber nur noch online.20 Speziell an muslimische Frauen richtet sich Imra’ah, das im Jahr 2010 von Sandra Adeoye gegründet wurde. Das Heft wurde mit einer Auflage von 1.500 Exemplaren über das Internet vertrieben und richtete sich an Musliminnen in Deutschland, jenseits vorurteilsbeladener Nachrichten über den Islam (vgl. Ehrenberg 2011). Es wurde jedoch wenig später wieder eingestellt. Partizipation der Migrant/innen im kommerziellen Rundfunk Seit der Liberalisierung des Rundfunkmarkts und der Erweiterung der technischen Möglichkeiten (Satellitenkanäle, Digital- und Internet-Medien) haben sich die Möglichkeiten der selbstständigen Medienbeteiligung von Migrant/innen aus unterschiedlichen Herkunftsländern in Deutschland verbessert. Deutschland ist der größte Kabel- und Satellitenmarkt Europas (vgl. Meier-Braun 2002b) und Migrant/innen nutzen hauptsächlich kommerzielle Kabelsender und nicht-kommerzielle Freie Radios, um herkunftssprachliche Radio- und Fernsehprogramme zu empfangen, aber auch um zu produzieren und zu verbreiten. Somit kann davon ausgegangen werden, dass in diesen Medien anteilsmäßig auch mehr Produzent/innen mit Migrationshintergrund tätig sind. Aufgrund mangelnder Fördermöglichkeiten können sich jedoch nur jene Programme am Markt halten, die ein marktkonformes Produkt erzeugen. Dies gelingt wiederum nur solchen migrantischen Communities, die zugleich eine signifikante Zielgruppe ansprechen können, aus welcher sie wiederum Werbekunden generieren können, also vor allem den Deutsch-Türk/innen und Deutsch-Russen und Russinnen. Wissenschaftliche Studien zur Radioproduktion von Migrant/innen in Deutschland sind rar. Bezogen auf die Radionutzung verdeutlicht die ARD/ZDF-Repräsentativstudie „Migranten und Medien 2007“, signifikante Unterschiede zwischen einzelnen Migrantengruppen (vgl. Oehmichen 2007). Erfolgreichstes kommerzielles Projekt ist gegenwärtig der deutsch-türkische Sender 94,8 Metropol FM. Das in Berlin ansässige Radio sendet auf Deutsch und Türkisch 20 Vgl. http://www.gazelle-magazin.de/2012/04/21/gazelle-wieder-als-print-aktion/#more2587.

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Popmusik, News und Informationen. Geschäftsführung und Radio-Jockeys sind Deutsch-Türk/innen, die Verlegerfamilie Schaub ist über die Medien Union GmbH jedoch zu 100 % Gesellschafter von Radyo Metropol. In diesem Sender ist somit nur die Teil-Partizipation der Migrant/innen möglich.21 Was das Fernsehen betrifft, kann über Kabel und Satellit eine unüberschaubare Zahl fremd- oder mehrsprachiger Kanäle empfangen werden, wobei einige Betreiber/innen eine Sendelizenz in Deutschland haben.22 Es handelt sich dabei vor allem um Satellitensender, die über Hotbird, Türksat u.a. zu empfangen sind und sich fast ausschließlich an die jeweilige Sprachgruppe wenden. Neben den frei empfangbaren deutsch-türkischen Lizenznehmer/innen kommerzieller Kanäle betreiben vor allem Deutsch-Iraner/innen vier der frei empfangbaren Fernsehprogramme (Free TV) – eine vergleichsweise gute Repräsentanz der „kleinen“ deutsch-iranischen Minderheit im Satellitenfernsehen, die auf das ansonsten fehlende Angebot im Rundfunk für diese Minderheit zurückgeführt werden kann (vgl. Tabelle 3). Deutsch-russische Lizenznehmer/innen bieten entweder nur Pay-TV-Sender an oder sind mit ihren Free-TV-Angeboten noch nicht auf Sendung (Stand: März 2013). Die Ursache für die gute Repräsentanz iranischer Migrant/innen kann zum einen in der hohen Affinität der Iraner für das Fernsehen gesehen werden, oder wie ein Betreiber es formuliert: „Iraner lieben Fernsehen“. (vgl. Mauder 2004). Noch ist weitgehend unerforscht, inwieweit diese Fernsehsender zur Meinungsbildung beitragen.

21 Vgl. http://www.kek-online.de/db/index.php?c=1006&mt=-1&s=Medien+Union&f=0; 06.03.1013, http://www.metropolfm.de; 12.03.2012. 22 Vgl. http://www.die-medienanstalten.de/service/datenbanken/tv-senderdatenbank.html; 14.08.2012.

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Tabelle 3: Ausgewählte herkunftssprachliche Free-TV-Sender von Migrant/innen für Migrant/innen in Deutschland Nr.

Kanal

Inhaber/in

Sendestart

Verbreitung

Programmumfang

Programmcharakteristik

1

Kanal Avrupa, Duisburg

Kanal Avrupa Media GmbH, Ali Pasa Akbas

2005

Kabel, Satellit, Web-TV

k.A.

Informationssendungen, Musikformate, Unterhaltungssendungen, überw. türkischspr. Programm mit interkulturellem Anspruch

2

Dügün TV, Köln

TeleBazaar Marketing GmbH, Güler Balaban

2006

Satellit

24 Std./Tag

Dokumentationen, Shows, Musik- Magazin- und Beratungssendungen z. d. Themen Hochzeit, Partnerschaft, Ehe und Familie, überwiegend türkischsprachiges Programm

3

Samanyolu TV Avrupa, Offenbach

Peyk Media GmbH, Mustafa Altas

2008

Kabel, Satellit

24 Std./Tag

Spartenprogramm in türkischer und deutscher Sprache, Musik, Information, Dokumentation und Unterhaltung

4

Türk Show, Köln

Sonfilm Marketing Film und TV GmbH , Güler Balaban

2005

Kabel

24 Std./Tag

Vollprogramm für türk. und türkischstämmige Zuschauer/innen in türk. und dt. Sprache

5

TR 1

tr 1 tv GmbH, Hakan Ceray

2010

Satellit

24 Std./Tag

Fernsehvollprogramm, überwiegend in türkischer Sprache

6

Türkshop

TeleBazaar Marketing GmbH, Güler Balaban

2004

Satellit

k.A.

Türkischsprachiges TeleshoppingAngebot

7

Mobility Channel

MC TV GmbH

2011

Satellit

k.A.

Spartenprogramm, Schwerpunkt Mobilität und Lifestyle, überwiegend Türkisch, aber auch Deutsch und Englisch

8

PDFChannel, Wasserliesch

PDF Channel GmbH , Bahman Dashtizadeh

2007

Kabel, Satellit

24 Std./Tag (12 Std. im RepeatFormat)

Vollprogramm, Kultursendungen in persischer und deutscher Sprache mit jeweiligen Untertiteln

9

Iran Beauty, Trier

Iran Beauty GbR, Millad Azizzadeh (50 %), Morteza Azizzadeh (50 %)

2008

Satellit

12 Std./Tag

Persischsprachiges Programm zum Thema Schönheit

10

Iran Music, Trier

Iran Music GmbH, Millad Azizzadeh (50 %), Morteza Azizzadeh (50 %)

2006

Satellit

12 Std./Tag

Persischsprachiges Musikprogramm

11

Mohajer TV (MITV)

Mohajer International GmbH, Morteza Azizzadeh

2005

Satellit

24 Std./Tag

Persischsprachiges Vollprogramm, Schwerpunkt Musik und Kultur

Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage der Senderdatenbank der ALM. http://www.alm.de/programmveranstalter/index.php. Stand: 10.08.2012.

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Was Karl-Heinz Meier-Braun 2002 schrieb, gilt noch heute: „Weitere Untersuchungen über das Angebot ausländischer und deutscher Medien, über Inhalte und Berichterstattung, über die Wirkung auf das Zusammenleben zwischen Deutschen und Ausländern sowie über die Nutzung dieser Programme sind dringend erforderlich.“ (MeierBraun 2002b, S. 9)

Medienbeteiligung in nicht-kommerziellen Bürger- und Alternativmedien Untersuchungen zur Medienbeteiligung von Migrant/innen in Bürgermedien fehlen, bis auf wenige Ausnahmen, weitgehend (vgl. Konsnick 2002; Bentzin et al. 2007). Kleinsteuber (1991) hat in einer breit angelegten Vergleichsstudie zu nichtkommerziellen Lokalradios in 15 Ländern festgestellt, dass das Programmangebot in Nichtkommerziellen Lokalradios, trotz der unterschiedlichen Entstehungsgeschichte, Strukturen und Finanzierungsmodelle, wiederkehrende Programmelemente enthielt. Programme für „ethnisch-nationale Minderheiten“ werden dabei als Programmbaustein an erster Stelle genannt, ohne jedoch eine Analyse der unterschiedlichen Programme vorzunehmen (vgl. Kleinsteuber 1991, S. 5). Eine im Jahr 2001 durchgeführte Studie bestätigt die rege mehrsprachliche Medienproduktion von Migrant/innen: „Von über 20 solchen Radiostationen in der Schweiz, in Deutschland und in Österreich […] senden derzeit nur zwei ausschließlich in deutscher Sprache.“ (Busch 2004, S. 122)

Eine eigene Befragung von 61 nicht-kommerziellen Lokalradios in Deutschland im Jahr 2010 im Rahmen der EU-Grundtvig-Lernpartnerschaft „Intercultural Media Literacy“ verdeutlicht die anhaltend hohe Produktionsaktivität unterschiedlicher Einwanderergruppen in Freien Radios.23 Die nicht-repräsentative Umfrage deutet darauf hin, dass in Freien Radios und nichtkommerziellen Lokalradios vor allem die Sprachenvielfalt bemerkenswert ist. Dabei liegt der Anteil der Sendungen in außereuropäischen Sprachen um zwei Drittel höher als der von Sendungen in offiziellen EU-Sprachen. Beispielsweise sendet Radio RadaR (Darmstadt) neben deutschsprachigen Programmen auch Angebote in zehn weiteren Sprachen, darunter Arabisch, Afghanisch (dari) und Russisch. In Kapitel 2.3 wurde auf bestehende gesetzliche Hürden der Medienbeteiligung in Bürgermedien eingegangen, die dazu führen, dass Migrant/innen sich in Bundesländern wie Hessen und NRW nicht mehr in ihren Herkunftssprachen auf Sendung gehen können. 23 Die Autorin war in den Jahren 2010 und 2011 Referentin im Projekt Intercultural Media Literacy für die Projektpartner Radio Corax (Halle/Saale) und medienost.e.V. Weitere Projektpartner sind Freie Radios und Bildungsinstitutionen aus der Schweiz, Österreich, Ungarn und Irland.

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Internet Das Internet bietet weltweite Vernetzungsmöglichkeiten und wurde deshalb vor allem in Zusammenhang von Diasporas und ihrer Internetnutzung untersucht. Annabelle Sreberny (2001) betrachtet das Internet als „diasporic medium par exellence“ (ebd., S. 156), weil es die Möglichkeit biete, virtuelle Communities zu bilden, die Nationalgrenzen überschreiten. Für exilpolitische Ziele sei dies wichtig, die sich im Internet, trotz Überwachungsstrukturen, organisieren könnten. Nach Karim H. Karim (2001) stellt die transnationale Kommunikation von Angehörigen der Diasporas multi-lokale Netzwerke her, deren charaktieristische Eigenschaft es ist, die kulturelle Hybridisierung voranzubringen und die Kommunikation zwischen Süden und Norden zu stärken.. Migrant/innen können im Internet barrierefrei, also ohne Forderungen nach Deutschsprachigkeit o.ä. Einschränkungen beachten zu müssen zu Produzent/innen von Medieninhalten werden. In ihrer umfangreichen Studie über die politischen Sphären von Migrant/innen im Internet analysierten Kissau/Hunger (2009) 99 (deutsch-)postsowjetische, 108 (deutsch-) türkische und 102 (deutsch-) kurdische Webseiten, auf welchen sich Migrant/innen aktiv mit eigenen Beiträgen beteiligen (vgl. Kissau/Hunger 2009, S. 35, 41-54). Dabei sind 74,6 % der Anbieter/innen in Deutschland verortet und lediglich 7,8 % im Herkunftsland. Die befragten Betreiber/innen haben größtenteils selbst einen Migrationshintergrund. Als Hauptmotive für das Betreiben ihrer Seite gaben sie die „Informationsbereitstellung […] für Migranten“ sowie die Bereitstellung eines „Forums zum Austausch und Kontakt“ an (vgl. Kissau/Hunger 2009, S. 47). Alle Anbieter/innen betreiben die Angebote nebenberuflich bzw. in der Freizeit. Ein Drittel der Seiten sind ausschließlich in deutscher Sprache verfasst, wobei sich die politischen Aktivitäten der Nutzer/innen meist auf „Diskussion und Meinungsäußerung“ beziehen. Kissau/Hunger kommen zu dem Schluss, dass die politischen Sphären der untersuchten Migrant/innen durchlässig sind und im Austausch mit einer breiteren Öffentlichkeit und dem deutschen Publikum stehen (vgl. Kissau/Hunger 2009, S. 57, 111). Ob die aktive Medienbeteiligung der Migrant/innen im Netz dadurch tatsächlich zu einem zunehmend wichtigen Faktor für die öffentliche Meinungsbildung wird, wie Kissau/Hunger konstatieren, ist noch fraglich (vgl. Hafez, Juni 2006, S. 735). Schließlich handelt es sich um special-interest-Angebote, die meist eine mediale Nische darstellen und die Präsenz der Migrant/innen in den Hauptprogrammen des Rundfunks nicht erhöhen. Mit den Internetmedien und grenzüberschreitender Kommunikation hat sich die Forderung nach gerechten Medienzugängen keinesfalls erledigt (vgl. Hafez 2005, S. 138; Dahlgren 2005; Papacharissi 2002). Tatsächlich deutet Einiges darauf hin, dass das Internet nicht zu einer Informationsrevolution geführt hat, weil es „die Mediensysteme dieser Welt nicht grundlegend geöffnet und demokratisiert hat.“ (Hafez 2005, S. 138).

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3.5 Z WISCHENFAZIT Die Dominanz der Medien in Deutschland, die für Migrant/innen bereitgestellt wurden hat, anders als in europäischen Ländern wie etwa Frankreich oder Großbritannien, die eine eigene Medienlandschaft der Einwanderer und Einwanderinnen förderten, hat dazu geführt, dass, nur wenigen Migrant/innen der Zugang zu Massenmedien wie dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gewährt wurde. Andererseits sind diese wenigen Beteiligungsmöglichkeiten zu Beginn der Etablierung der Zielgruppensendungen in den 1960er Jahren im Vergleich häufiger möglich, als bei seinen migrationserfahreneren Nachbarländern, weil Deutschland Medien als Mittel der Gestaltung seiner Migrationspolitik begriffen hat. Diese top-down-Medienbeteiligung führte auch dazu, dass sich signifikante Netzwerke selbstständiger Medienpartizipation von Migrant/innen (buttom-up), vor allem jene mit großer Meinungsführerfunktion wie Presse und Rundfunk, in Deutschland bislang kaum etabliert haben. Die Darstellung eigener Sichtweisen auf die deutsche Gesellschaft sowie die Pflege des kulturellen und sprachlichen Erbes kommt in den Hauptprogrammen im Fernsehen ohnehin zu kurz. Die wenigen bisher durchgeführten Studien sowie die eigene Recherche legen den Schluss nahe, dass in etablierten deutschen Massenmedien tendenziell weniger Migrant/innen beschäftigt sind als in den herkunftssprachlichen Medien, welche in Deutschland ansässig sind. Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und der deutschen Presse sind Migrant/innen gegenwärtig nur vereinzelt fest angestellt (vgl. Exkurs I). In Alternativmedien kehrt sich das Bild um: In Freien Radios sind Migrant/innen aus unterschiedlichen Herkunftsländern sehr präsent und aktiv an der Produktion beteiligt (vgl. Kleinsteuber 1991). Auch im Internet sind sie aktive Betreiber/innen von Webseiten, was jedoch in den Hauptprogrammen nicht zu mehr Beteiligung von Migrant/innen führt (vgl. Kissau/Hunger 2009). Auch die historischen Entwicklungen wirken bis heute fort: die ersten Gastarbeitersendungen im Radio zielten nicht darauf ab, die soziale Distanz zwischen Migrant/innen und Deutschen zu verringern. Deren Entwicklung zu mehrsprachigen Europa-Magazinen bis hin zum deutschsprachigen Integrationsmagazin müssen im Kontext der Außenpolitik, der Migrations- und Integrationspolitik in Deutschland sowie des sich wandelnden Migrationsgeschehens, betrachtet werden. Paradoxerweise wurden im Zuge dessen die Zielgruppensendungen für Migrant/innen weitgehend abgeschafft, ohne an anderer Stelle zu signifikanten Verbesserungen der Rahmenbedingungen der Medienpartizipation in der mehrfach pluralisierte Gesellschaft geführt zu haben.

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E XKURS II: G EGENWÄRTIGE B EDINGUNGEN DER M EDIENBETEILIGUNG VON M IGRANT / INNEN B EISPIEL DES ÖFFENTLICH - RECHTLICHEN R UNDFUNKS

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In diesem Exkurs werden zunächst die aktuellen Bedingungen der Medienbeteiligung von Migrant/innen am Beispiel des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, als Paradigma eines öffentlich geförderten Rundfunkmodells, dargestellt. Öffentlichrechtliche Rundfunkanstalten wie der NDR und das ZDF sind Unterzeichner der „Charta der Vielfalt“. ARD und ZDF haben sich im Rahmen des Nationalen Integrationsplans dazu verpflichtet, in Programmgestaltung und Berichterstattung den Alltag von Menschen mit Migrationshintergrund als Teil der gesellschaftlichen Normalität differenziert darzustellen. Zudem übernimmt der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland zentrale Funktionen: In seinem ersten Fernsehurteil vom 28.02.1961 hat das Bundesverfassungsgericht auf die, im Vergleich mit anderen Massenmedien wie der Presse, „zentrale Rolle im Rahmen gesellschaftlicher Meinungsbildung“ hingewiesen (Bleicher 2001, S. 501). Das Bundesverfassungsgericht betont außerdem die „gesellschaftliche Integrationsfunktion“ der Medien, vor allem des Rundfunks (Radio und Fernsehen) (ebd., S. 502; vgl. Maletzke, 1980).24 Insofern muss die Frage gestellt werden, ob und inwiefern der öffentlich-rechtlich Rundfunk seiner Aufgabe gerecht wird, die gesamte Bevölkerung mit Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung zu versorgen. Die kommunikationswissenschaftliche Forschung hat bisher vor allem die mediale Repräsentation von Migrant/innen untersucht und auf negativistische und stereotype Medienbilder hingewiesen (vgl. Hafez 2004; Lünenborg et al. 2011). Migrant/innen, die an der Herstellung von Medieninhalten – vor allem im Fernsehen – beteiligt sind, wurde vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Die Frage des Zugangs von Migrant/innen zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk soll im Folgenden auf vier Ebenen bezogen werden: auf ihre mediale Repräsentation, ihre journalistische Tätigkeit, ihre medienpolitischen Einflussmöglichkeiten und auf Migrant/innen als Zielgruppen von Fernsehsendungen. Die Berichterstattung über Migrant/innen in den Medien, verstanden als diskursiver Rahmen ihrer Medienbeteiligung ist – auch im öffentlich finanzierten Fernsehen – überwiegend negativ geprägt (vgl. Schiffer 2005; Hafez/Richter 2007). Massen- und Leitmedien wie das Fernsehen sind folglich an dem negativen Image der Migrant/innen in der von Medien hergestellten Öffentlichkeit maßgeblich beteiligt.

24 Fernsehen ist das „Leitmedium“ der Migrant/innen, die zu 70%-89% Stammnutzer/innen des deutschsprachigen Fernsehens sind (vgl. ARD/ZDF Medienkommission 2007; Weiß/Trebbe 2001, S. 26).

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Ein Fokus auf Krisen und Konflikte, gepaart mit einer starken Tendenz zum Negativismus und der Thematisierung aktueller Ereignisse, prägt bis heute die Berichterstattung über Migration.25 So steht z.B. die Rede vom „kriminellen Ausländer“, die gerade das Bild von Muslim/innen und Nicht-Europäer/innen in der Öffentlichkeit maßgeblich mitbestimmt hat (vgl. Schiffer 2005; Hafez/Richter 2007), für eine umfassende „Gefahrensemantik“, die mit Migrant/innen verbunden wird (Ruhrmann/Demren 2000). Nationale bzw. weltanschauliche Zuschreibungen treten in Nachrichtenformaten häufig in Zusammenhang mit Kriminalität in den Vordergrund, ohne dass dies für das Verständnis des Berichteten notwendig wäre. Das Bild des Straftäters „mit Migrationshintergrund“ wird im Vergleich zu deutschen explizit männlich konstruiert, wesentlich negativer und brutaler dargestellt und eher mit organisiertem Verbrechen in Zusammenhang gebracht.26 Der Befund, dass der aktuelle politische Diskurs mit dazu beiträgt, dass antiislamische Stereotype die Berichterstattung über Muslim/innen dominieren, dass die Medienberichterstattung Migrant/innen insgesamt nach ihrer Herkunft kategorisiert, sie als Opfer oder Eindringlinge und als Objekte staatlicher Maßnahmen konstruiert und kaum als aktiv handelnde Subjekte darstellt (vgl. EUMC, S. 43-49; Müller 2005, S. 90), deutet darauf hin, „dass die professionelle Selbstkontrolle“ des Journalismus „versagt hat“ (Hafez 2004, S. 72). Der Journalismus wird demnach seiner Aufgabe, die verschiedenen sozialen Gruppen übereinander zu informieren, nicht gerecht. Doch auch fiktionale Angebote tragen kaum dazu bei, bestehende Klischees und Stereotype im deutschtürkischen Verhältnis abzuschwächen, wie eine Studie zur Vorabendserie „Türkisch für Anfänger“ (ARD) offenbarte (Henning, Spitzner und Reich, 2007, S. 19-21). Dies wird auch im mangelnden Wissen der Bevölkerung in Bezug auf (muslimische) Migrant/innen deutlich: So sprachen bei einer repräsentativen Befragung 2007 im Auftrag des ZDF 43 % der Bundesbürger/innen von einem „weniger guten“ und 18 % von einem „überhaupt nicht guten“ Kenntnisstand über Muslim/innen in Deutschland (vgl. Forschungsgruppe Wahlen e.V. 2007, S. 1). Die Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus (2006) hat darauf hingewiesen, dass die Me25 Selbstverpflichtungen der Fernsehsender sowie die im NIP festgeschriebene Leitlinie hat zwar zu einem gestiegenen Bewusstsein geführt. Ob sich dies über punktuelle fairere Berichterstattung hinaus auch in der Breite niedergeschlagen hat, ist jedoch fraglich. 26 Eindringlichstes Beispiel aus jüngster Zeit ist die rassistische Mordserie der rechtsextremistischen Terrororganisation „Nationalsozialistischer Untergrund“, die 2011 öffentlich wurde. In diesem Zusammenhang wird nicht nur von einem Versagen der Ermittlungsbehörden, sondern auch von einem Versagen der Medien gesprochen, welche weitgehend unhinterfragt die Behauptung übernommen hätten, die Opfer, bis auf eine Polizistin allesamt Migrant/innen, seien aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu kriminellen Banden ermordet worden, vgl. Quack 2011, S. 33.

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dien häufig keinen Unterschied zwischen Menschen, die aus islamischen Ländern stammen, und (gläubigen) Muslim/innen machen. Stefan Weidner (2010), Redakteur der transkulturellen Kulturzeitschrift Fikrun wa Fan (Art and Thought) des Goethe-Instituts, sieht eine „Sinnkrise des Journalismus“. Medien würden hier einen „dankbaren Resonanzboden“ für schrille Thesen bilden, wie sie Thilo Sarrazin oder Udo Ulfkotte vortragen. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sollen sich jedoch ihrer besonderen Funktion und ihres öffentlichen Auftrags als Repräsentanten von Qualitätsjournalismus von kommerziellen Angeboten unterscheiden. Neben den oben genannten, vom Bundesverfassungsgericht festgelegten Funktionen sowie den Selbstverpflichtungen öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten in Deutschland gibt die European Broadcasting Union (EBU), als übergeordnete europäische Institution ihren Mitgliedern vor, ein ausgewogenes Programm anzubieten, dass sich an alle Bevölkerungsgruppen wendet und explizit Minderheiten berücksichtigt (s. Kapitel 2.1.1).. Im Artikel 3, §3 der Mitgliedsstatuten ist dazu folgendes vermerkt: (b) they [members] are under an obligation to, and actually do, provide varied and balanced programming for all sections of the population, including programmes catering for special/minority interests of various sections of the public, irrespective of the ratio of programme cost to audience.

Einzelne Sendungen in öffentlich-rechtlichen Programmen erfüllen diese Kriterien sicher, wie in der Antwort des Hamburger Senats auf die Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Phylliss Demirel aufgelistet wurde (Ds 20/7898, 14.05.2013). Offenbar mangelt es jedoch an einem verbindlichen Gesamtkonzept. Wie die Untersuchung von Hafez/Richter (2007) veranschaulicht wurden nicht nur Nachrichtenformate, sondern 37 verschiedene Magazin- und Talk-Sendungen wie Monitor und Beckmann (ARD) oder 37 Grad und Frontal 21 (ZDF) auf die Darstellung des Islam hin analysiert. Themen wie Terrorismus und Extremismus (23 %), internationale Konflikte (17 %) und Integrationsprobleme (16 %) dominierten dabei die Agenda. Die vielfach zugrunde liegenden sozialpolitischen Ursachen für vermeintliche Integrationsprobleme, wie nicht anerkannte Bildungsabschlüsse und Diskriminierung bei der Arbeitssuche, die oftmals zu Armut und Arbeitslosigkeit führen, sowie die allgemeine gesellschaftliche Entsolidarisierung werden in der Berichterstattung hingegen vernachlässigt und bestehende Probleme somit einseitig den Migrant/innen angelastet (vgl. Decker et al. 2010). Zum einen kann demnach eine Individualisierung der Migrationsproblematik in den Medien konstatiert werden, die fremdenfeindliche Einstellungen in der Bevölkerung verstärken kann (vgl. Esser/Scheufele/Brosius 2002). Zum anderen kann mangelnde Differenzierung aber auch dazu führen, dass Migrant/innen kaum als Subjekte wahrgenommen werden.

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Die Ursachen für die negative Medienberichterstattung über Migrant/innen sieht Hafez (2001c) zum anderen in der foreign news at home genannten Kategorie der Auslandsberichterstattung, denn es wird vor allem über die Konflikte, Kriege und Krisen in den Herkunftsländern der Migrant/innen berichtet. Statt als „‚SinnÜbersetzer‘ zwischen den Kulturen“ (Hafez 2001b, S. 692-702) zu fungieren, liefern die (oft genug die Landessprache nicht beherrschenden) Korrespondent/innen häufig einseitige Sichtweisen. Dies führt zu „innergesellschaftlichen Anschlussdiskursen der inter-/transkulturellen Kommunikation“ (ebd., S. 699), d.h. das in der Auslandsberichterstattung gezeichnete Bild des Herkunftslandes der Migrant/innen sich auf ihr (Medien)image im Einwanderungsland auswirkt. Hafez (2001c) hat überdies darauf hingewiesen, dass ganze Themenbereiche wie die Entwicklung von Zivilgesellschaft und Kultur in asiatischen Ländern in der Auslandsberichterstattung ausgeblendet werden, so dass auch aufgrund der selektiven Thematisierungen v.a. ein ereignisbezogenes, und das bedeutet meist ein negatives Bild des Herkunftslandes vorliegt. Notwendig ist vor diesem Hintergrund, neben einer Gesamtkonzeption zur kultursensiblen Repräsentation von Migrant/innen im Fernsehen, eine Versachlichung der Debatte und eine Aufklärung der Mehrheitsgesellschaft über die Migrant/innen, v.a. aus überwiegend islamischen Ländern, und umgekehrt. Derzeit wird diese Versachlichung weitgehend von wissenschaftlichen Studien geliefert, die freilich nur sehr begrenzt die breitere Öffentlichkeit erreichen (vgl. zur SarrazinDebatte: Foroutan 2010). Migrant/innen als Redakteur/innen oder Journalist/innen, die Medieninhalte und speziell Fernsehprogramme gestalten, sind in Deutschland kaum vertreten (s. Kapitel 2). Aktuelle Daten liegen nicht vor, doch Schätzungen gehen davon aus, dass die Zahl der Mitarbeiter/innen mit Migrationshintergrund in der deutschen Fernsehindustrie seit mehr als zehn Jahren konstant bei ca. 2–3 % verharrt (vgl. Oulios 2010, S. 24). Im Rahmen einer vergleichenden Studie, die in den 1990er Jahren in verschiedenen europäischen Ländern durchgeführt wurde, hat Ouaj u.a. mehrere ARD-Anstalten, das ZDF sowie die kommerziellen Sender RTL, Sat1 und Pro7 auf die Beteiligung von Migrant/innen an Fernsehproduktionen hin untersucht. Im Rundfunksender WDR, der sich selbst als Vorreiter bei der Integration sieht, sind von 4.476 Beschäftigten 138 nicht-deutsch – wobei aus den zur Verfügung gestellten Daten meist nicht hervorgeht, ob diese an der Produktion beteiligt sind oder nicht (vgl. Ouaj 1999, S. 36). Die Zahl derer, die tatsächlich journalistisch tätig sind, wird auf der Basis einer Befragung der IG Medien auf 1 % geschätzt (vgl. MMB Institut für Medien- und Kompetenzforschung 2005, S. 24). „Aufgrund der geringen Durchlässigkeit zu den allgemeinen Redaktionen sowie der eingeschränkten Zugänglichkeit senderinterner Fortbildungen ist es für Migranten besonders schwierig, in andere Arbeitsfelder zu wechseln: sie erhalten nur selten Arbeitsangebote von

128 | M EDIEN – M IGRATION – P ARTIZIPATION Redaktionen für Mainstreamprogramme“ (MMB Institut für Medien- und Kompetenzforschung 2005, S. 8).

Einzelne Künstler und Anchorpersons, die im Fernsehen auftreten wie die Nachrichtenmoderatorin Dunja Hayali, die Kabarettisten Django Asül oder Bülent Ceylan und Schauspielerinnen wie Minh-Kai Phan-Thi sind durchaus positiv zu bewerten, weil sie dazu beitragen, die in mehrfacher Hinsicht pluralisierte Gesellschaft medial abzubilden. Ob diese visible minorities zu partizipativeren Strukturen in den Sendeanstalten führen, ist fraglich – wobei der Begriff visible minorities ohnehin mit dem politischen Konzept der medialen Integration verknüpft ist, in dem Partizipation nicht vorgesehen ist (vgl. Geissler 2010, S. 12). Vielversprechender sind Vernetzungsstrukturen von Journalist/innen mit Migrationshintergund wie etwa die Neuen Deutschen Medienmacher. Entscheidungsträger in deutschen Medien äußern dennoch kaum Interesse an Journalist/innen mit Migrationshintergrund, wie eine Expertise zur „Ausbildung von Volontären in den Medien“ verdeutlicht (vgl. MMB Institut für Medien- und Kompetenzforschung 2005, S. 14-19). Es hat zwar eine Sensibilisierung der Rundfunkanstalten bezüglich des Themas stattgefunden – entsprechende Konzepte und Zielsetzungen zur Steigerung des Anteils von Migrant/innen stehen aber nach wie vor aus.27 Medienpolitische Einflussmöglichkeiten über die Rundfunk- und Fernsehräte, die wichtigsten Beschlussgremien der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, die ein möglichst breites Spektrum der gesellschaftlich relevanten Gruppen widerspiegeln sollen, sind für Migrant/innen kaum gegeben.28 In nur fünf von zehn öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten ist jeweils ein Sitz für Ausländervertreter/innen vorgesehen.29 Muslim/innen werden in den Rundfunkräten als gesonderte Gruppe gar 27 S. Abschnitt 2.4. In Großbritannien und den Niederlanden wird bereits seit Beginn der 1990er Jahre angestrebt, durch schulische und außerschulische Ausbildungskonzepte sowie Quotenregelungen den Anteil der Medienschaffenden mit Migrationshintergrund im Rundfunk als Spiegel einer vielfältigen Gesellschaft zu erhöhen. Vgl. Frachon/Vargaftig (1995), S. 261-277. 28 Der Rundfunkrat vertritt die Interessen der Allgemeinheit. Er wählt den Intendanten, ist in die Programmgestaltung eingebunden und überwacht ggf. die Einhaltung der Programmgrundsätze. Er ist an der Wahl der Verwaltungsratsmitglieder beteiligt und trifft Entscheidungen in Zusammenhang von Zuschauerbeschwerden. In den 14 Landesmedienanstalten des privatwirtschaftlichen Rundfunks übernimmt jeweils der Landesrundfunkausschuss bzw. die Versammlung ähnliche Aufgaben. 29 Quellen: HR, WDR, SWR, RBB, Radio Bremen TV. In den Rundfunkräten von NDR, BR, MDR, SR sowie dem Fernsehrat des ZDF gibt es derzeit keine Repräsentanz von Migrant/innen (Stand 03.09.2012).

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nicht berücksichtigt, obwohl der Islam wie schon erwähnt neben dem Christentum die zweitgrößte Religionsgemeinschaft in Deutschland darstellt. Die Schaffung eines Sitzes in den Rundfunkräten, der die muslimische Bevölkerung in Deutschland vertritt, wurde bislang abgelehnt. Begründet wurde dies staatlicherseits damit, dass die Muslim/innen nicht wie andere Religionsgemeinschaften in einer Organisation zusammengeschlossen seien, die als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt werden könne. Mit dem Status der Körperschaft sind etliche Privilegien verbunden. Dazu gehören Steuerprivilegien wie die Kirchensteuer. Auch Nicht-Kirchenmitglieder sind zu etwa 20 Milliarden Euro pro Jahr an der Mitfinanzierung der Kirchen beteiligt (vgl. Halfmann 2004). In den Schulen und Universitäten sind den Kirchen Bildungs- und Ausbildungsaufgaben übertragen. Im Rundfunk erhalten anerkannte Kirchen zusätzlich das so genannte Drittsenderecht. Dieses räumt den staatlich anerkannten Glaubensgemeinschaften das Recht ein, eigenverantwortlich Rundfunkprogramme in öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten herzustellen und zu senden. Neben den beiden christlichen Kirchen sind auch die israelitischen Kultusgemeinden als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt. Die christlichen Kirchen können eigene Redaktionen in den öffentlichrechtlichen Anstalten unterhalten und Verkündigungssendungen wie Das Wort zum Sonntag (ARD) ausstrahlen.30 Der Islam als die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft in Deutschland ist derzeit nicht mit den christlichen Kirchen gleichgestellt und wird nicht, wie der Zentralrat der Juden seit 2003, flächendeckend auf der Grundlage eines Staatsvertrags gefördert.31 Der Zentralrat der Muslime (ZMD) sah dementsprechend im Jahr 2006 einen Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik und den in Deutschland lebenden Muslim/innen als Ziel der Islamkonferenz (DIK) an (vgl. Ziegler/Thiel 30.09.2006). Bei 69 verschiedenen muslimischen Verbänden in Deutschland ist die Frage, wer den Islam offiziell vertritt, nicht unproblematisch. Die Bundesregierung lehnt eine völlige Gleichstellung islamischer Glaubensgemeinschaften mit den christlichen Kirchen als „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ schon wegen der fehlenden rechtlichen Organisationsform des Islams ab.32 Um ihrem Ziel eines Staatsvertrags näherzukommen, gründeten die vier großen is30 Kirchlich orientierte Redaktionen liefern daneben häufig Dokumentarisches wie die Sendung 37 Grad (ZDF) sowie die Online-Plattform für Muslime Forum am Freitag (ZDF), die von der Redaktion „Kirche und Leben“ im ZDF verantwortet werden, die sich evangelische und katholische Kirche teilen. Vgl. ZDF-Pressemitteilung: ZDF richtet „Forum zum Freitag“ als Dialogplattform im Internet ein. www.zdf.de/ZDFde/inhalt/29/0,1872, 1020669,00.html, 23.02.2007. 31 Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Deutschland. Vgl. http://www.zentralratdjuden.de/de/article/1.html. 32 Vgl. www.wdr.de/themen/politik/nrw03/islam/index.jhtml?rubrikenstyle=politik; 01.10.2006.

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lamischen Dachverbände Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.(Diyanet Iúleri Türk øslam Birli÷i, DiTib), Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V. (ZMD), Verband der Islamischen Kulturzentren e.V. (VIKZ) und Islamrat eigens zu diesem Zweck im April 2007 den Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland (vgl. Koordinierungsrat der Muslime KRM 2007). Bereits kurz nach der Gründung wurde der Dachverband jedoch von führenden CDU-Politiker/innen wie der Integrationsbeauftragten Maria Böhmer abgelehnt, weil er nach ihrer Einschätzung nach nur 15 % der Muslim/innen in Deutschland vertrete (vgl. Lau 2007). Der KRM selbst spricht von 90 % der organisierten Muslim/innen (vgl. Pürlü 2008, S. 3). Der KRM wurde zum fünften Plenum der DIK 2010 unter der Leitung von Innenminister Thomas de Maizière (CDU) nicht mehr eingeladen, wie dies in den zwei Jahren zuvor der Fall gewesen war. Die Einschätzung, dass mit der DIK „verbesserte Beziehungen zu Muslimen und die Anerkennung des Islam in Deutschland gesucht werden“ (Hafez 2009, S. 113), ist aufgrund der Haltung der Bundesregierung inzwischen mehr als fraglich. Vielmehr lässt die sicherheitspolitische Zielrichtung der DIK unter Leitung von Innenminister Friedrich (CSU) erkennen, dass es der aktuellen Bundesregierung vor allem um Erkenntnisgewinn über islamische Organisationen und Einzelpersonen geht. Sicherlich lässt sich aus einer religionskritischen Position heraus argumentieren, besondere Privilegien der Religionsgemeinschaften grundsätzlich abzulehnen, wie dies säkulare Interessenvertretungen, etwa der Zentralrat der Ex-Muslim/innen fordert. Die Staatsverträge mit islamischen Verbänden in den Stadtstaaten Hamburg und Bremen deuten jedoch auf einen politischen Konsens in sozialdemokratischen Landesparlamenten zugunsten der staatlichen Anerkennung auch der Muslime hin – womit dann auch der Sitz in den Rundfunkgremien und das Drittsenderecht im Regionalfernsehen verbunden wäre (vgl. epd, 25.07.2012 und 15.08.2012). Migrant/innen werden immer noch kaum als programmatisch und werbekommerziell relevante Zielgruppe von öffentlich-rechtlichem Radio und Fernsehen wahrgenommen. Dies hängt auch damit zusammen, dass sie in der Zuschauerforschung nicht berücksichtigt werden, weil die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF) in dieser Frage zerstritten sind:33 Während sich ARD und ZDF auf eigene Studien berufen, fordern die Privatkanäle die Messung der Sehgewohnheiten von rund sieben Millionen ausländischen Staatsbürger/innen in Deutschland (vgl. ARD/ZDF Medienkommission 2007; Meyen 2001, S. 74-79). Unter Marktgesichtspunkten werden neue inhaltliche Perspektiven und Programmformen zur Generierung neuer Publikumsschichten als Lösungsmodell betrachtet, wie man dem Zuschauerschwund begegnen kann. Es ist jedoch kritisch zu sehen, wenn Migrant/innen allein aus Gründen der Existenzsicherung von Presse und 33 Die AGF ist ein Zusammenschluss von ARD, Pro7Sat1Media AG, Mediengruppe RTL Deutschland und ZDF. http://www.agf.de/agf. Stand: 17.06.2009.

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Rundfunk als Zielgruppe betrachtet werden. Obwohl laut Studien (Weiß/Trebbe 2001) Migrant/innen zu 70 % Stammnutzer/innen deutscher Fernsehprogramme sind, beruht die Beteiligung der Migrant/innen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland weitgehend auf ihrem finanziellen Beitrag: Muttersprachliche Radiosendungen sind im öffentlich-rechtlichen Rundfunk weitgehend abgeschafft worden. Dennoch nimmt die ARD allein von den „rund 700.000 deutsch-türkischen Haushalten jedes Jahr 120 Millionen Euro an Rundfunkgebühren“ ein (Becker 2004). Im Gegenzug investiert sie etwa 1–2 Million Euro in das einzige verbliebene muttersprachliche Hörfunkangebot Funkhaus Europa (WDR) sowie in die (deutschsprachige) Zielgruppensendung Cosmo TV (WDR). Es besteht folglich eine steigende Diskrepanz zwischen der Pluralisierung der Bevölkerung, den eingenommen Rundfunkgebühren, auch von Migrant/innen, und den im Gegenzug getätigten Investitionen. Es wird hier die These vertreten, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland seinem Auftrag zu umfassender Berichterstattung, der Minderheiten einschließt, derzeit weniger gerecht wird, als dies noch vor 30 Jahren der Fall war. Die beschriebene Realität hat dazu geführt, dass von einer selbstverständlichen Alltagswahrnehmung der nicht-deutschen durch die deutsche Bevölkerung über die Medien bis heute nicht gesprochen werden kann. Auch bei Minderheitenangehörigen kann sich im Gegenzug kaum der Eindruck etablieren, dass die deutschen Medien sie angemessen repräsentieren (vgl. Tsapanos 1995, S. 328f.). Dies gilt insbesondere für die ca. 4-5 Millionen Muslim/innen (vgl. Hafez/Richter 2007). Eine „Kulturisierung der Medienpolitik“ (Kleinsteuber 1991, S. 17), die Fernsehen vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels neu bestimmt hätte, hat demnach hauptsächlich in Form eines medialen Kulturalismus stattgefunden. Die empirischen Fakten im Mediensektor sprechen demnach für eine Form der Gleichstellungspolitik in den Medien, welche auch das Entstehen einer migrantischen Medienlandschaft einschließt.

4 Offene Kanäle in Deutschland: Entwicklung, Struktur und Produktionsbedingungen für Migrant/innen

In der Regel wird unter einem Offenen Kanal (OK) in Deutschland eine lokale (Radio- und/oder) Fernsehstation verstanden, die als „Bürgermedium“ und Plattform der lokalen Kommunikation dient:1 Der nicht-kommerzielle Kanal wird als „Interaktionsmedium“ für den Bürger bereitgestellt und aus Rundfunkgebühren finanziert bzw. mitfinanziert. Er dient so als kommunikativer Begegnungsraum und als Experimentierfeld der lokalen Kommunikation gleichermaßen, in dem sich „alle Meinungsrichtungen – auch diejenigen von Minderheiten“ – artikulieren können (vgl. Schenke 1998, S. 66-139). Vor dem Hintergrund der technologischen Weiterentwicklung des Fernsehens und insbesondere von Web-2.0-Plattformen im Internet können Offene Kanäle als Vorläufer des user-generated-content (nutzergenerierte Inhalte), also der Produktion und Verbreitung selbstgestalteter audio-visueller Beiträge betrachtet werden. Anders als in Internetmedien, in welchen sich Nutzer häufig anonym zu Wort melden können, zeichnen die Produzent/innen im OK für ihre Inhalte verantwortlich und müssen dementsprechend ihren Namen veröffentlichen. Die Produktionen weisen somit Schnittmengen mit journalistischer Ethik auf.

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An dieser Stelle sei angemerkt, dass die Definition, was Offene Kanäle sind, aufgrund ihrer Struktur und Organisation in der Geschichte immer wieder Veränderungen erfahren hat. Unter „Bürgermedien“ als Oberbegriff werden alle bürgernahen Rundfunksender verstanden, wozu mittlerweile auch Ausbildungs- und Erprobungskanäle gezählt werden. Einige Offene Kanäle bedienen sich zusätzlich des Internets, um die zur Verfügung gestellten TV-Produktionen auch translokal verbreiten zu können. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Offene Kanäle –Fernsehen (s. Kapitel 2.3).

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4.1 E NTSTEHUNGSZUSAMMENHANG UND V ERBREITUNG O FFENER K ANÄLE Im Folgenden soll auf die technologischen, ökonomischen, politischen und kulturellen Bedingungen eingegangen werden, unter denen in Offenen Kanälen Sendungen produziert wurden und werden. Die OK nehmen in der deutschen und der europäischen Rundfunklandschaft eine Sonderstellung ein. Sie wurden in Deutschland 1984 neben dem öffentlich-rechtlichen und privatwirtschaftlichen Rundfunk, zunächst als „Experiment“, in die Medienlandschaft eingeführt. Die Betreiber Offener Kanäle rechnen sie zu den „alternativen Medien“ (vgl. Breunig 1998; WinterhoffSpurk/Heidinger/Schwab 1992), aber diese Zuschreibung ist in struktureller Hinsicht als problematisch anzusehen, wie noch erläutert wird. Im Folgenden wird die Entwicklungsgeschichte der OK in einem Überblick zusammengefasst. 4.1.1 Die Diskussion um ein duales Rundfunkmodell als Ausgangspunkt des Offenen Kanals Der Begriff „Rundfunk“ wird in Deutschland als Oberbegriff für „Hörfunk“ und „Fernsehen“ verwendet, zu welchem auch die Offenen Kanäle (Radio und Fernsehen) gezählt werden. Die Einführung Offener Kanäle in den 1980er Jahren vollzog sich in einem medienpolitischen Kontext, der von ideologischen, oftmals heute nur noch schwer nachvollziehbaren Kämpfen entbrannt war. Ausgangspunkt war die Mitte der 1970er Jahre aufgekommene Frage, ob das öffentlich-rechtliche Rundfunkmodell auch angesichts neuer Übertragungswege mittels Kabel und Satellit in Deutschland weiterhin seine Monopolstellung behalten, oder durch kommerzielle Angebote ergänzt werden sollte. Die weltweit einzigartige Struktur des deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems beruht auf einem Kompromiss der westlichen Alliierten im Nachkriegsdeutschland beim Wiederaufbau des Rundfunkwesens. Mit Blick auf die Gleichschaltung der Medien im Nationalsozialismus sollte die Dezentralisierung gewährleisten, „die publizistische Macht des Rundfunks“ einzuschränken (Donsbach und Mathes, 2000, S. 483). Um größtmögliche Staatsferne und ökonomische Unabhängigkeit zu erreichen, einigte man sich auf einen Rundfunk, der weder staatlich noch privat-kommerziell sein, von den Ländern und nicht vom Bund verantwortet werden und aus Rundfunkgebühren und zum Teil durch Werbeeinnahmen finanziert werden sollte (vgl. Kleinsteuber 1973, S. 15). Das Resultat war das bis Mitte der 1980er Jahre gültige öffentlich-rechtliche Rundfunkmodell. Aufgrund der vergleichsweise großen Präsenz politischer Parteien in den Rundfunkgremien wurde und wird die Staatsferne jedoch immer wieder angezweifelt (vgl. Witte 2002, S. 12).

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Fernsehen erhielt von seinen Begründern im Nachkriegsdeutschland unter dem Primat des öffentlich-rechtlich legitimierten Rundfunkwesens „die Konturen und Inhalte eines ethisch fundierten Programm-Mediums, das sich sowohl allgemeinen humanistischen Werten als auch demokratisch-aufklärerischen Zielsetzungen und den daraus resultierenden journalistischen Maßstäben verpflichtet“ sah (Kreimeier 2003, S. 4). Nach dem „ersten Fernsehurteil“ des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) von 1961 nimmt der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland als audio-visuelles und diskursives Medium eine herausragende Position als kulturelles Gut und Faktor der öffentlichen Meinungsbildung ein (vgl. Bausch 1980, Bd. 3, S. 436). In den 1970er Jahren wurden dann durch Weiterentwicklungen der Rundfunkund Sendetechnik, wie z.B. kabel- und satellitengebundene Übertragungswege, die Sendekapazitäten erweitert. Der neue Gestaltungsspielraum führte zu einer heftigen gesellschaftlichen Debatte über die Einführung privatwirtschaftlicher Hörfunk- und Fernsehkanäle, an der sich alle gesellschaftlich bedeutenden Interessengruppen beteiligten. „Die 1945 begonnene Auseinandersetzung um die Beteiligung kommerzieller Programmproduzenten setzt sich unter dem Stichwort ‚Kabelfernsehen‘ fort.“ (Efler 1979, S. 8).

Dabei drehte sich die Diskussion allein um die Alternative zwischen kommerziellen und öffentlich-rechtlichen Angeboten – andere Programmformen wurden nicht bedacht. Die Befürworter/innen des Privatrundfunks forderten die Einführung privater Konkurrenzprogramme, wobei vordergründig mit der Erweiterung des Meinungsspektrums argumentiert wurde, letztlich jedoch kommerzielle Interessen der Industrie und deren Wettbewerbsfähigkeit in einem erweiterten Rundfunkmarkt im Vordergrund standen. Die Kritiker/innen des kommerziellen Rundfunks warnten vor einem bevorstehenden Qualitätsverlust der Programme sowie hierarchischen Kommunikationsflüssen, da sie davon ausgingen, dass die privaten Anbieter durch populäre Sendungen, meist importierte US-amerikanische Produktionen, die Einschaltquote und damit die Werbeeinnahmen zu steigern versuchen würden (vgl. Kleinsteuber 1973, S. 164-166). Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wurden unerwünschte Rückkoppelungseffekte wie eine „schleichende Kommerzialisierung“ (vgl. Kleinsteuber, 1973, S. 188) sowie der Verlust der kulturellen Identität prognostiziert. Das Primat der Einschaltquote stand im Verdacht, sowohl den Auftrag des öffentlichrechtlichen Rundfunks als auch die Beziehungen der ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen zum politischen System auszuhöhlen.2 Als Radio Bremen

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Vgl. Kleinsteuber (1973), S. 188. Die ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen der etablierten Medien und ihre Beziehungen zum ökonomischen und politischen

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1974 einen Antrag auf Erprobung des Kabelfernsehens in einem Wohngebiet stellte, lehnte der zuständige Bundespostminister Horst Ehmke (SPD) mit der Begründung ab, dass es nicht zu einem „Wildwuchs“ in der Rundfunklandschaft kommen dürfe, und bekräftigte damit die Regelungsverantwortung (und den Regelungsanspruch) des Bundes neben den für den Rundfunk zuständigen Ländern. Zudem verwies er auf die neu einberufene Kommission für den Ausbau des technischen Kommunikationssystems (KtK), die im Februar 1974 ihre Arbeit aufnahm, um „Vorschläge für ein wirtschaftlich vernünftiges und gesellschaftlich wünschenswertes Kommunikationssystem der Zukunft zu erarbeiten“ (Longolius 1981, S. 5). Der Telekommunikationsbericht, der nach fast zweijähriger Tätigkeit der KtK Ende 1975 vorgelegt wurde, empfahl die Erprobung von Kabelfernsehen in so genannten Kabelpilotprojekten, um die Auswirkungen der neuen Programmvielfalt zunächst testen und fallweise rückgängig machen zu können. Eine wichtige Forderung des Telekommunikationsberichts bestand darin, dass es den Zuschauer/innen erstmals ermöglicht werden sollte, aktiv an den „Neuen Medien“ zu partizipieren (vgl. Longolius 1981, S. 5-6). Bund und Länder folgten den Empfehlungen der KtK und befürworteten diesbezüglich Offene Kanäle, die später in Berlin, Dortmund und Ludwigshafen erprobt wurden. Die Einführung Offener Kanäle in Deutschland ist folglich eng mit der Einführung der dualen Rundfunkordnung verbunden. 4.1.2 Entwicklungsphasen Offener Kanäle 1. Phase: Diskussion und Planung Die Planung und Gründung Offener Kanäle in Deutschland unterscheidet sich grundsätzlich von der Entstehungsgeschichte der Bürgermedien in den USA, weil sie auf eine staatlich beauftragte Expertengruppe Offener Kanal (EOK) zurückgehen und nicht auf Druck aktivistischer „Graswurzel-Bewegungen“ entstanden. New Yorker Aktivist/innen betrachteten bereits zu Beginn der 1970er Jahre die neue Erfindung Video als „ein Instrument progressiver Politik. Die Idee, für nicht-professionelle bzw. nichtkommerzielle Videofilmer ein Forum in Form eines Kabelfernsehkanals zu verlangen, war ein Teil der Bemühungen dieser Gruppen, aus den Universitätszirkeln heraus zu gelangen in die Lebenswelt der ‚arbeitenden Bevölkerung‘“ (Daumann 1985, S. 486).

Die Federal Communication Commission (FCC), die zentrale staatliche Regulierungsbehörde in den USA für alle Arten terrestrischer, digitaler, kabel- und satellitengebundener Fernsehübertragung und Telekommunikationsdienste, verpflichtete

System entscheiden gegenwärtig schließlich mehr denn je darüber mit, welchen Interessen letztlich publizistische Möglichkeiten eingeräumt werden.

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aufgrund der Erfahrungen in New York alle größeren Kabelnetzbetreiber dazu, so genannte public-access channels einzurichten. Im Jahr 1974 waren bereits 130 dieser frei zugänglichen Fernsehkanäle in den USA auf Sendung (vgl. Daumann 1985, S. 487). Ganz anders in Deutschland: Hier löste der Ende 1975 vorgelegte Telekommunikationsbericht zunächst kontroverse politische Debatten darüber aus, ob den Bürger/innen überhaupt der freie Zugang zum Rundfunk gestattet werden sollte. Die politischen Parteien erwarteten von den „Neuen Medien“ unterschiedliche Formen der Bürgerbeteiligung, so dass auch die Frage ob ein Offener Kanal eingeführt werden sollte ein Politikum war. Die SPD befürwortete die Erweiterung der Distributionsmöglichkeiten Mitte der 1970er Jahre hinsichtlich der Herstellung von chancengleichen Medienzugängen zunächst (vgl. epd/Kirche und Rundfunk, Nr.58 vom 28.07.1979, S. 6). Allerdings stand sie privaten Interessen am Rundfunk skeptisch gegenüber, entwickelte also eine eher ablehnende Haltung zum kommerziellen Kabelfernsehen und damit wiederum zum Offenen Kanal. Nachdem das duale Rundfunksystem sich Anfang der 1980er Jahre zu etablieren begann, schwenkte die Partei um und forderte die Einrichtung Offener Kanäle im Lokalen, weil sie damit ein Demokratisierungspotenzial der Medien verband. Nach 1984 änderten SPDregierte Länder ihre Mediengesetzte zugunsten der OK. Finanzielle Mittel über den Rundfunkgebührenanteil hinaus waren jedoch nicht vorgesehen. Die CDU betrachtete die Neuordnung des Rundfunkwesens nach marktlichen Gesichtspunkten, mit welchen sich, ähnlich wie im Printbereich, „außenpluralistische Ordnungsvorstellungen“ durchsetzen ließen (Vogel 1991, S. 255). Was Offene Kanäle betraf war ihre Haltung uneinheitlich. Insgesamt betrachtete sie Bürgerbeteiligung unter dem Aspekt der Befriedigung individueller und gesellschaftlicher Kommunikationsbedürfnisse (vgl. Jaenicke 2003, S. 93) und folgte damit einem stärker konsumptiv als partizipativ ausgerichteten Kommunikationsmodell. Das Kabelpilotprojekt in Ludwigshafen wurde mit politischer Unterstützung der CDU Rheinland-Pfalz unter dem damaligen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel (CDU) realisiert. In Baden-Württemberg entschied sich die CDU nach innerparteilichen Querelen gegen Kabelpilotprojekt und Offenen Kanal. Der damalige Ministerpräsident Lothar Späth (CDU) begründete den Schritt in einem Interview mit dem Rheinischen Merkur/Christ und Welt: „Wir haben hier so etwas hinter uns, was man neumodisch einen Lernprozess nennt. Alle vorbereitenden Diskussionen auf diesem Gebiet haben doch gezeigt, daß die Propagandisten, die den Offenen Kanal dann auch tatsächlich nutzen wollen, nicht an den sprachlosen Bürger denken, sondern diese Möglichkeit ergreifen wollen, um festgefügte Gruppen mit bestimmter ideologischer Tendenz ein neues Forum zu schaffen. Wir nehmen von dieser Illusion, die zur Manipulation des Bürgers führen wird, noch rechtzeitig Abschied.“ (Barsig, 17.04.1981, S. 50).

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Die FDP stand den Kabelpilotprojekten zunächst „mit großer Skepsis“ gegenüber (Funk Report 3/79, 9.02.1979). Das Kabelpilotprojekt Ludwigshafen nannte der FDP-Medienexperte Helmut Schäfer „zum Teil erschreckend dilettantisch“ und fand es „zu groß, zu teuer, zu staatsfern und zu bürgerfern“. Er empfahl stattdessen den begrenzten Versuch zur Erprobung des Offenen Kanals (epd/Kirche und Rundfunk Nr.23 vom 26.03.1980, S. 10). Seit 1986 orientierte sich die FDP an ihrem neuen Koalitionspartner CDU und lehnte zugangsoffene Sendeplätze ab. Hauptziel war und ist die Liberalisierung des Medienmarktes (vgl. Vogel 1991, S.259). Die Grünen, die in Westdeutschland 1980 gegründet wurden, lehnten jegliche Form kommerziellen Rundfunks ab. Die Partei setzte sich für Freie Radioinitiativen wie Radio Dreyeckland ein und forderte das Lokale und Regionale zu fördern, in dem Zugangsendeplätze zur Verfügung gestellt würden, die jenseits staatlicher Verantwortung von den Sendegestalter/innen selbst organisiert werden sollten. Auch sollten ARD und ZDF Sendeflächen für Bürgerfernsehen zur Verfügung stellen (vgl. Vogel 1991, S. 261). Die Institutionalisierung alternativer Programmformen wurde in Deutschland auch deshalb zunehmend als wichtig erachtet, weil Forderungen von Rundfunkaktivist/innen nach einer Demokratisierung des Rundfunkwesens im Kern entkräftet werden sollten. So genannte Piratensender wie Radio Freies Wendland oder Radio Dreyeckland, die aus der Studenten- und später aus der Anti-Atomkraft- und Ökologie-Bewegung entstanden waren, hatten seit den 1960er Jahren durch ihre regelmäßigen illegalen Rundfunksendungen das Rundfunkmonopol der öffentlich-rechtlichen Anstalten immer wieder in Frage gestellt und damit begonnen, eine mediale „Gegenöffentlichkeit“ zu etablieren.3 Weil sie ihre Sendetechnik häufig im europäischen Ausland installiert hatten, sah sich der Bundespostminister Werner Dollinger (CSU) 1968 sogar zu einem Gesetz genötigt, dass europäische Staaten verpflichten sollte, gegen Piratensender vorzugehen (vgl. Frankfurter Rundschau 30.11.1968). Wenn auch nur eine verschwindend kleine Minderheit der Bürger/innen den Zugang zum Rundfunk auf diese Weise einforderte, so wurde Piratenfunk doch als ein ernst zu nehmender Störfaktor im Mediensystem der Bundesrepublik verstanden, weil die illegalen Sender Defizite der demokratischen Institutionen bei der Berücksichtigung der Interessen der Bürger/innen offenbarten.4 3

Aufgrund des hohen technischen Aufwandes beschränkte sich die Sendetätigkeit der Piratensender auf das Radio.

4

Auch heute sehen sich die nicht-kommerziellen Freien Radios, die als Radiovereine zwar Teil der Bürgermedienbewegung, jedoch selbstverfasst sind, als Alternative zu den stärker reglementierten Offenen Hörfunkkanälen. Die Rundfunkaktivist/innen von Radio Dreyeckland schalten sich immer wieder mit der Forderung nach Demokratisierung des Rundfunks und der Offenen Kanäle ein, wie auch während der Gründungsveranstaltung des Bundesverbands Bürger- und Ausbildungsmedien (BV BAM) auf dem 5. Bundes-

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Unter der Federführung von Christian Longolius von der Bundeszentrale für Politische Bildung wurde 1978 schließlich die achtköpfige EOK gegründet. Dies legt den Schluss nahe, dass Offene Kanäle gerade aus Sorge um die Selbstorganisation marginalisierter gesellschaftlicher Gruppen ins Leben gerufen wurden. In der EOK versammelten sich je ein/e Vertreter/in des baden-württembergischen Landtags, der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, der katholischen Bischofskonferenz, der evangelischen Kirche, des DGB, des ZDF, SFB und SDR. Die Expertengruppe sollte die Ausgestaltung der neuen Produktions- und Sendeform „Offener Kanal“ erarbeiten, Praxisbedingungen in den Kabelpilotprojekten prüfen und auf der Grundlage der Erkenntnisse Empfehlungen aussprechen. In dem die EOK und nicht etwa Rundfunkaktivistinnen mit der Planung der OK betraut wurden, war gewährleistet, dass der Staat von Beginn an die Hoheit der Lizenzierung und Kontrolle eines „Bürgerfunks“ nach öffentlich-rechtlichem Muster beibehielt. Die mit der Planung betrauten Mitglieder der EOK, wollten nicht etwa den Bürger/innen alleine das Feld überlassen, sondern meldeten in einem frühen Planungsstadium selbst Interesse an der Mitgestaltung Offener Kanäle an, was „kommunikationspädagogische Maßnahmen“ ebenso beinhalten sollte wie „pastorale, soziale und caritative Dienste“ der Kirche (vgl. Bischof Dr. Georg Moser 07.06.1979). Offenbar waren diese Institutionen auf der Suche nach neuen Vertriebswegen für die politische Willensbildung und der Vermittlung eines christlichen Weltbildes. Der Offene Kanal war auch deshalb umstritten und wurde als „Alibi“ bezeichnet: „Bürgerbeteiligung im audiovisuellen Medium Fernsehen ist immer nur ein Abfallprodukt medienpolitischer Reformbestrebungen und insofern ein Ergebnis der Wechselfälle politischer und ökonomischer Interessen.“ (Daumann 1985, S. 490).

Doch nicht jede „institutionell eröffnete Beteiligungsmöglichkeit [darf] unbesehen als legitimationsheischendes Alibi zurückgewiesen werden.“ (Vogel 1991, S. 31). Vielmehr muss zunächst anhand von zuvor festgelegten Kriterien überprüft werden, in welchem Fall der Vorwurf zutrifft und in welchem nicht. In der öffentlich geführten Debatte, in die sich u.a. der Deutsche Städtetag einschaltete, wurde der Offenen Kanal letztlich als „Element der Beteiligung des Bürgers oder Zuschauers und als Möglichkeit für Gruppierungen, ein eigenes Programm zu entwickeln und zu senden“, betrachtet (Deutscher Städtetag 1979, S. 2). In den „Regeln für den Offenen Kanal“ (vgl. Longolius 1980, S. 23-27) einigte sich die EOK schließlich darauf, selbstinitiierte, -produzierte und -verantwortete

kongress der Bürgermedien in Deutschland 2007 in Bremen. Kritisiert wurde u.a., dass der BV BAM kein unabhängiger Dachverband sei, sondern eine Kooperation der Offenen Kanäle und der Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten darstelle.

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audiovisuelle Beiträge von Bürger/innen und Gruppen in den Vordergrund des „Experiments Offener Kanal“ rückten, so dass damit vor allem der Medienzugang für Bürger/innen, die in herkömmlichen Medien kaum öffentlich zu Wort kommen, gewährt werden sollte (vgl. Expertengruppe „Offener Kanal“ 28.08.1979). Den „Regeln für den Offenen Kanal“ waren intensive Recherchen über die amerikanischen, englischen und niederländischen public access channels sowie die Erfahrungen des ersten deutschsprachigen Bürgerfernsehens in Wil/Schweiz vorausgegangen, das als Modell für die weitere Planung diente, weil das von Amateuren gestaltete Programm dort auf erstaunliche Resonanz stieß (vgl. Daumann 1985, S. 489-490). Programmliche Koordination wurde zugunsten des „Prinzips der Schlange“ (first come first serve) fallengelassen, es ging um die unmittelbare Beteiligung der Bürger am lokalen Kommunikationsgeschehen – „nicht das große Kino, sondern die lokalen Geschichten“, wie Norbert Wortmann, ehemaliger Leiter des OK Dortmund im Interview verdeutlichte. 2. Phase: Erprobung und rundfunkpolitischer Paradigmenwechsel Der erste Kabelsender (mit Offenem Kanal) ging 1984 in Ludwigshafen auf Sendung. Insgesamt einigte man sich auf drei Standorte der Kabelpilotprojekte (in der Reihenfolge der Realisierung): Ludwigshafen, Dortmund und Berlin. Ein viertes Kabelpilotprojekt, das in München unter der rundfunkrechtlichen Obhut von BR und ZDF stattfinden sollte, wurde auf Intervention des bayerischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß (CSU) wegen der „politischen Brisanz“ nicht umgesetzt (vgl. epd/Kirche und Rundfunk Nr. 54/55 vom 18.07.1981; Longolius 1981, S. 26). Der Gesetzentwurf zur „Erprobung und Entwicklung neuer Rundfunkangebote“ in Bayern vom Januar 1984 sah keinen Offenen Kanal mehr vor (vgl. FUNKKorrespondenz 24.02.1984, S. B6). Auch das CDU-geführte Land BadenWürttemberg lehnte Offene Kanäle weitgehend ab. Witte spricht vom größten „wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Feldexperiment, das bisher in Deutschland stattgefunden hatte“ (Witte 2002, S. 15). Wie zunächst beschlossen, wurden umfangreiche Begleitstudien durchgeführt, mit denen die Option verbunden war, das Kabelfernsehen wieder rückgängig zu machen, sollten negative Effekte auf die Gesellschaft festgestellt werden. Die vorbereitende Arbeitsgruppe zur Einführung des Kabelfernsehens in Berlin hatte bestätigt, dass sich staatliches Handeln in der modernen Industriegesellschaft in besonderem Maße legitimieren müsse, „indem es berechtigte Leistungserwartungen erfüllt und die Bürger am Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß beteiligt“ (Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Kabelkommunikation Berlin 1978, S. 2).

Die „mangelnde partizipatorische Effizienz der bereits vorhandenen Medien“ (ebd., S. 3) sollte deshalb vom Kabelfernsehen ferngehalten werden. Gesellschaftspoliti-

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sches Engagement der Bürger/innen sollte ermöglicht werden, womit erstmals in Deutschland die Bedeutung der Kommunikation zwischen dem Volk als Souverän und den Regierungsvertreter/innen betont wurde. Der zweite Offene Kanal in Dortmund war zunächst an den WDR angegliedert, der jedoch den Verantwortlichen vor Ort weitgehend freie Hand in der Ausgestaltung ließ, wie Wortmann im Interview deutlich machte. In der Öffentlichkeit wurden Offenen Kanälen mitunter als Sender für „Chaoten, Amateure und notorische Querulanten“ betitelt und die Idee des Rollenwechsels vom Zuschauer zum Sender grundsätzlich in Frage gestellt (vgl. Kain 2000). Der Bundespostminister Schwarz-Schilling (CDU) wartete die Ergebnisse der Kabelbegleitforschung nicht ab und beschloss kurzerhand die bundesweite Verkabelung mit Breitbandnetzen (vgl. Witte 2002, S. 12). Die Möglichkeit, die Kabelexperimente wieder rückgängig zu machen, wurde zugunsten einer Bestandssicherheit der privat-wirtschaftlichen Sender über die Projektphase hinaus gewährleistet. Damit war der rundfunkpolitische Paradigmenwechsel vom öffentlich-rechtlichen Rundfunkmonopol hin zum dualen Rundfunksystem eingeleitet. Nach dem offiziellen Abschluss der Kabelpilotprojekte 1988 und der Begleitforschung zu den Offenen Kanälen in Dortmund, Berlin und Ludwigshafen, zogen die Bundesländer in ihrer Mediengesetzgebung unterschiedliche Konsequenzen aus den gewonnenen Erkenntnissen. Die CDU/CSU-geführten Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg, die einen privat-kommerziellen Rundfunk befürworteten, entschieden sich gegen Offene Kanäle. Die SPD-regierten Bundesländer Nordrhein-Westfalen (1984), Berlin (1985) und Rheinland-Pfalz (1987) gründeten dagegen die ersten Offenen Kanäle. Die anderen Bundesländer wie etwa Hessen verhielten sich teils mehrere Jahre indifferent zu Offenen Kanälen, bevor sie sich entschlossen, sie ebenfalls einzuführen. 3. Phase: Etablierung und Wachstum Die positiven Erfahrungen mit Offenen Kanälen führte dazu, dass sich weitere Bundesländer anschlossen: 1988 wurde in Hamburg der erste Offene Kanal eröffnet, der nicht aus einem der Pilotprojekte hervorging. Es folgten das Saarland und Schleswig-Holstein (1989); Bremen und Hessen (1992) entschieden als letzte westliche Bundesländer die Etablierung Offener Kanäle. Niedersachsen verabschiedete 1993 ein neues Landesrundfunkgesetz, dass die Einführung Offener Kanäle als fünfjährigen Betriebsversuch vorsah. Nach der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten 1990 entstanden auch in den neuen Bundesländern Thüringen, SachsenAnhalt und Mecklenburg-Vorpommern Offene TV-Kanäle, wobei Thüringen 1996 den Anfang machte. In den folgenden Jahren stieg die Zahl der OK sprunghaft an, wobei Rheinland-Pfalz die zahlenmäßige Vorreiterposition einnahm und bis heute das „Kernland“ Offener Kanäle darstellt. Anfang des Jahres 1997 waren in Deutschland 50 Offene Kanäle (Radio und Fernsehen) auf Sendung, 1998 gab es sie in sieben von sechzehn Bundesländern (vgl. Jaenicke 2003).

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4. Phase: Umstrukturierungen bzw. Abkehr von der Bürgermedien-Idee Um das Jahr 2000 hatte die Zahl Offener Kanäle mit über siebzig Sendern einen Höchststand erreicht. Dennoch sahen sich Offene Kanäle zunehmender Kritik von Politiker/innen ausgesetzt. Unter dem Eindruck einer neoliberalen Wirtschaftsordnung vollzogen nun auch SPD-Politiker/innen eine Abkehr von ihren ursprünglich positiven Positionen zu Offene Kanälen und sahen sie als verzichtbar an (vgl. epd, 01.03.2000). Neu gegründete privat-kommerzielle Sender erhoben Anspruch auf die lukrativen Kabelkanäle, die von Offenen Kanälen belegt wurden. Auch dem Verband der Verleger/innen VPRT „war der gesetzliche Anspruch der Bürger auf Beteiligung“ im Rundfunk „von Anfang an ein Dorn im Auge“ (vgl. Lendzian 2008, S. 61). Da Offene Kanäle öffentliche Gelder erhalten, betrachtet der VPRT sie, wie auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, grundsätzlich als wettbewerbsverzerrend. Presse- und Printmedien sehen sich hingegen dem freien Unternehmertum verpflichtet. Offene Kanäle erscheinen aus dieser Perspektive mehr und mehr als Störfaktor in der Entwicklung lokaler Medienmärkte, weil sie, so der Einwand der Medienunternehmer, als öffentlich-geförderte und nicht-kommerzielle Medien bereits (ungerechtfertigter) Weise einen Teil des Publikums an sich binden (vgl. proMedia Berlin+Brandenburg 2000). Mit dem vierten Rundfunkänderungsstaatsvertrag vom April 2000 konfrontierte der Gesetzgeber jene Landesmedienanstalten in den Bundesländern, die sich für Offene Kanäle entschieden hatten, mit einer erweiterten gesetzlichen Regelung, die auch die Förderung der Medienkompetenz explizit vorsah. Im dritten Rundfunkänderungsstaatsvertrag von 1997 hatte es in § 40 Absatz 2 geheißen: „Formen der nichtkommerziellen Veranstaltung von lokalem und regionalem Rundfunk können […] durch den Landesgesetzgeber gefördert werden.“ (Vgl. GVBL 1998)

Im vierten Rundfunkänderungsstaatsvertrag aus dem Jahr 2000 hieß es an entsprechender Stelle: „Formen der nichtkommerziellen Veranstaltung von lokalem und regionalem Rundfunk und Projekte zur Förderung der Medienkompetenz können […] durch den Landesgesetzgeber gefördert werden.“ (Vgl. GVBL 2000)

Einige Landesmedienanstalten wie in Hessen nahmen dies zum Anlass, den Schwerpunkt ihrer Offenen Kanäle vor allem auf die Vermittlung von Medienkompetenz zu verlagern. Nicht mehr der Bürger und seine Medienbeteiligung steht damit im Zentrum des OK, sondern die „Multiplikatoren“ in der Kinder- und Erwachsenenbildung (s. Kapitel 4.3.1). Das größte Bundesland Nordrhein-Westfalen verabschiedete sich im Januar 2009 vollständig vom freien und unzensierten Zugang für Jedermann/frau zum

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Rundfunk, in dem die nordrhein-westfälischen Offenen Kanäle in den „Ausbildungs- und Erprobungskanal NRW“ überführt wurden (vgl. LFM – Der Direktor, Pressemitteilung, 16.09.2008). Den Ausschlag zu diesem Schritt der LFM (Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen) unter der Leitung von Norbert Schneider gab eine Studie im Auftrag der LfM, die das Bürgerfernsehen auf seine Einschaltquoten und Wirtschaftlichkeit hin untersuchte und den Schluss nahelegte, dass eine reguläre Weiterführung der Offenen Kanäle nicht zu empfehlen sei (vgl. Volpers; Werner 2007). Allerdings wurden hier die Kriterien Quote und Wirtschaftlichkeit als Maßstab herangezogen, die für öffentlich-rechtliches und mehr noch für kommerzielles Fernsehen relevant sind, nicht jedoch für Offene Kanäle, denn hier sollen die Bürger/innen ihr Recht auf Kommunikation im Fernsehen wahrnehmen dürfen. Insgesamt ist die Position Offener Kanäle, vor dem Hintergrund ökonomischer und medientechnologischer Entwicklungen, in dieser Phase viel weniger stabil als noch in den 1990er Jahren. Erst in jüngster Zeit erfuhren die Offenen Kanäle als Community Medien wieder eine politische Aufwertung zunächst auf europäischer und dann auf deutscher Ebene. Die übergeordnete Strategie der sukzessiven Umwandlung der Bürgermedien in Ausbildungskanäle ist jedoch in Deutschland weiterhin dominant, so dass zukünftig damit zu rechnen ist, dass der niedrigschwellige Zugang zur Fernsehproduktion für Jedermann/frau weiter zurückgehen wird (vgl. Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien 2008, S. 181/182). 4.1.3 Gesetzliche Grundlage Offener Kanäle Die Grundbedingungen des Rundfunks sind zunächst durch das Grundgesetz (GG) festgelegt, das in Artikel 5 im Rahmen der Meinungs- und Informationsfreiheit auch die Freiheit und den Schutz des Rundfunks gewährleistet. Die Rundfunkfreiheit wurde durch die Rechtsprechung des BVerfG ständig weiterentwickelt. Eine präzise Bestimmung des Rundfunkbegriffs kann man in Artikel 2 des vierten Rundfunkänderungsstaatsvertrages aus dem Jahr 2000 finden: „Rundfunk ist die für die Allgemeinheit bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von Darbietungen aller Art in Wort, in Ton und in Bild unter Benutzung elektronischer Schwingungen ohne Verbindungsleiter oder längs oder mittels eines Leiters. Der Begriff schließt Darbietungen ein, die verschlüsselt verbreitet werden oder gegen besonderes Entgelt empfangbar sind, sowie Fernsehtext.“ (GVBL 2000)

Diese Definition deckt die terrestrischen und digitalen Formen der Verbreitung von Hörfunk- und Fernsehprogrammen ab. Sie verdeutlicht, dass der öffentlichrechtliche Rundfunk für die Allgemeinheit sendet. Sie lässt offen, wer produziert. Die Gesetzgebung soll die Pluralität der Meinungen im Rundfunk unterstützen und verhindern, dass einseitige Interessen die Meinungsvielfalt bedrohen. Mit dem drit-

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ten Rundfunkurteil des BVerfG vom Juni 1981 wurde ein Ordnungsrahmen für ein zukünftiges Rundfunkwesen bestimmt und damit grundsätzlich die Verfassungskonformität Offener Kanäle bestätigt (vgl. Donsbach 2000, S. 498-504). Das Gericht bezweifelte jedoch, dass die Vielfalt der Meinungsäußerungen durch die duale Rundfunkordnung und angesichts der zunehmenden Kommerzialisierung der Medien nachhaltig gesichert sei. In seinem vierten Rundfunkurteil vom November 1986 forderte das BVerfG dann von kommerziellen Rundfunkanbietern, in ihren Programmen ein möglichst breites Spektrum von Meinungen zu berücksichtigen – einschließlich die von Minderheiten –, z.B. durch die Einrichtung eines Offenen Kanals (vgl. Ricker 2000, S. 259). Von Offenen Kanälen als einer gleichwertigen „dritten Säule“ neben dem dualen Rundfunk kann aufgrund der nur lokalen Reichweite sowie der in der Regel begrenzten materiellen und personellen Ressourcen aber keine Rede sein. Bis heute werden Offene Kanäle im § 40 des Rundfunkstaatsvertrags nur als „Kann“-Bestimmung geführt. Rundfunk ist Ländersache, so dass die rundfunkrechtlichen Rahmenbedingungen in den Ländern je unterschiedlich umgesetzt werden, was sich auch auf die Offenen Kanäle auswirkt. Letztlich entscheidet jedoch die jeweilige Landesmediengesetzgebung darüber, ob ihr Offene Kanäle als geeignetes Mittel erscheinen, den geforderten Meinungspluralismus sicherzustellen. Auf der Basis des Rundfunkstaatsvertrags legen die Landesrundfunkgesetze den rechtlichen Rahmen für Offene Kanäle fest, worauf weiter unten näher eingegangen wird. Dieser dient zur Ausarbeitung der Satzung für Offene Kanäle des jeweiligen Bundeslandes. Auf der Grundlage der Satzung wiederum wird die Nutzungsordnung festgeschrieben, die als Leitfaden von den TV-Produzent/innen beachtet werden muss. Darin wird festgelegt, welche Bestimmungen zur Sendeanmeldung erfüllt sein müssen, welches die Voraussetzungen zur Benutzung der technischen Infrastruktur sind, welche Sendungen zulässig sind, wie viel Sendezeit den TVProduzent/innen maximal zur Verfügung steht sowie die Haftungsfragen bei Beschädigung des Materials und die Öffnungszeiten des jeweiligen Offenen Kanals. 4.1.4 Verbreitungsgebiet Offener Kanäle Die Verbreitungsgebiete der offenen Hörfunk- und Fernsehsender sind grundsätzlich lokal bzw. regional begrenzt. Prinzipiell können Einzelpersonen oder Gruppen, die Interesse am Medium haben und im jeweiligen Verbreitungsgebiet wohnen, eigenständig Sendungen produzieren. Sie sind es, die durch ihre unbezahlte Arbeit das Sendeangebot der OK ermöglichen. So entstehen vielfältige Programme, die zumeist weder im kommerziellen Privatfunk noch im gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine Chance auf Veröffentlichung hätten, weil sie sich mit ihren Inhalten an ein eng umrissenes Publikum wenden. Gegenwärtig sind 44

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Offene Fernsehkanäle in acht Bundesländern auf Sendung.5 In Bayern, BadenWürttemberg und Sachsen sehen die Mediengesetze keine Offenen Kanäle vor. In Brandenburg sind sie zwar zulässig, jedoch nicht geplant. Wieder abgeschafft bzw. in Ausbildungskanäle – teils mit kommerzieller Ausrichtung – überführt wurden die Offenen Kanäle im Saarland (2001), Hamburg (2002) und NRW (2008). Dabei traf es auch und gerade solche OK, die von Minderheiten stark frequentiert waren, wie der OK in Hamburg (Gehlsdorf 2003). Hinsichtlich der Verbreitung Offener Kanäle ist zu berücksichtigen, dass der Rundfunk in Deutschland nicht nur eine technische Dimension umfasst, sondern darüber hinaus mit der rechtlichen Zuordnung von Kommunikationswegen und der Frage ihrer politischen Regelungskompetenz durch die Länder verknüpft ist (vgl. Hebestreit 2005, S. 467). Die bestehenden 44 Offenen TV-Kanäle verteilen sich überwiegend auf die Mitte Deutschlands und die Stadtstaaten. „Stammland“ der Offenen Kanäle ist Rheinland-Pfalz mit über der Hälfte aller OK im Bundesgebiet (25), gefolgt von SachsenAnhalt (8) und Hessen (4). Aufgrund der Novellierung des Hamburgischen Rundfunkgesetzes durch die regierende Koalition von CDU und der rechtspopulistischen Partei Rechtsstaatliche Offensive musste der OK Hamburg nach 15-jähriger Tätigkeit und über 40.000 ausgestrahlten Sendungen im Juni 2003 schließen. Massiver Protest kam von Betroffenen (vgl. Gehlsdorf 24.04.2003), Wissenschaftler/innen (vgl. Kleinsteuber 2003) und Politiker/innen des linksliberalen Spektrums, die insbesondere die vielen muttersprachlichen Sendungen des OK Hamburg hervorhoben (vgl. Goetsch 2003). Doch selbst eine Volkspetition konnte an der Abwicklung des OK Hamburg nichts ändern (vgl. Wirtschaftsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft, 06.11.2003). Die bestehenden Strukturen wurden zum Teil in den Ausbildungskanal „Tide“ überführt und entsprechend der „Ökonomisierung der Medienpolitik“ (vgl. Hoffmann-Riem 1987, S. 13) einer gänzlich anderen Bestimmung zugeführt. Das vorläufig letzte Beispiel der Umwidmung eines Offenen Kanals stammt aus Nordrhein-Westfalen: Auch dort wurden Offene Kanäle im Jahr 2008 in Ausbildungskanäle überführt. Einige der ehemaligen OK, allen voran der OK Dortmund, bieten mangels Kabelkanal seither eine Internet-basierte Plattform als Bürgersender an. Außer dem ehemaligen OK Dortmund gelingt es den kleineren Bürgersendern jedoch kaum, die nötige Finanzierung dieses Angebots sicherzustellen, so dass zukünftig „ok-dortmund.de“ mit großer Wahrscheinlichkeit als zentra-

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Stand März 2013. Quellen: Homepages der Landesmedienanstalten: http://www.mahsh.de/fernsehen-radio/brgermedien-fernsehen/; http://www.radioweser.tv/?L=1&; http://www.lmk-online.de/offenerkanal/; Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten in der Bundesrepublik Deutschland (ALM) (2009/2010); Bundesverband Offener Kanäle (BOK).

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ler Bürgersender in NRW die landesweiten Beiträge bündeln und im Netz zur Verfügung stellen wird.

4.2 S TRUKTURMERKMALE

DES

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In der Novellierung des Rundfunkstaatsvertrages von 1987 wurden Offene Kanäle gesetzlich verankert. Die Landesmedienanstalten erhalten in der Regel 2 % des Rundfunkgebührenaufkommens.6 Daraus werden wiederum Offene Kanäle zu großen Teilen bzw. komplett finanziert.7 Es ist im Kontext dieser Arbeit von Bedeutung, dass somit auch Migrant/innen Offene Kanäle über die Rundfunkgebühren mitfinanzieren. Die an der Etablierung Offener Kanäle Interessierten müssen Bestand, Entwicklung und Finanzierung aufgrund ihrer schwachen rechtlichen Verankerung in jedem Bundesland politisch durchsetzen. Wie gezeigt, sind nicht in allen Bundesländern Offene Kanäle im Mediengesetz vorgesehen, und wo sie zugelassen sind, lastet auf ihnen ein grundsätzlicher Legitimationsdruck (vgl. Kamp 2003). Die Heterogenität der Organisations- und Strukturmodelle, die im Rahmen der föderalen Rundfunkordnung von Bundesland zu Bundesland variieren, beruht einerseits auf der politischen Einschätzung der jeweiligen Landesregierung vom Nutzen Offener Kanäle, andererseits auf der damit verbundenen Mediengesetzgebung. Ein einheitliches medienpolitisches Konzept existiert daher weder auf Länder- noch auf Bundesebene. Die unterschiedlichen Interessen von konservativen (vgl. Barsig 1984) und sozialdemokratisch bzw. partizipativ (vgl. Medienkommission beim SPD-Parteivorstand, 21.11.2006, These 6,) ausgerichteten Mediengesetzen hat im Hinblick auf die Verbreitung Offener Kanäle zu einem „Flickenteppich“ geführt.8 Bei Ersteren stehen ökonomische Ziele stärker im Vordergrund als die Beteiligung der Bürger/innen an lokaler Kommunikation. Diese Ziele

6

Die Landesanstalt für privaten Rundfunk (LPR) in Hessen erhält allerdings nur 1,25 % der im Land anfallenden Rundfunkgebühren. „Die Differenz zu diesem sog. ‚2%-Anteil‘ bekommt der Hessische Rundfunk, dem auch alle weiteren in Hessen anfallenden Rundfunkgebühren (also 98,75 %) in Höhe von insgesamt derzeit jährlich 500 Mio. Euro zufallen.“ Landesmedienanstalt Hessen: http://www.lpr-hessen.de/default.asp?m=28&# seite379, Stand: 06.02.2010.

7

Voll aus Rundfunkgebühren finanziert werden z.B. Hessen, Berlin. Andere Bundesländer haben sich für eine Mischfinanzierung aus Trägervereinen und Rundfunkgebühren entschieden (z.B. Rheinland Pfalz).

8

Vgl. www.eumann.de/Sonstiges_2006/06.11.21_Positionsbestimmung_Medienpolitik.pdf 10.12.2006.

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sind kaum in Einklang zu bringen mit einem Fernsehsender, der zwar einen Kabelkanal beansprucht, aber keinen Gewinn erzeugt, denn „Kommerzialität steht dem Bedürfnis nach lokaler Kommunikation prinzipiell feindlich gegenüber“ (vgl. Kleinsteuber 1991, S. 25). Im Ergebnis führte dies zu grundsätzlich unterschiedlichen Möglichkeiten der Bürger/innen in den verschiedenen Bundesländern, sich an lokalen Medien zu beteiligen. In den Bundesländern, die Offene Kanäle eingerichtet haben, unterstehen die Bürgersender entweder direkt oder indirekt der Aufsicht der Landesmedienanstalten. Offene Kanäle sind Rundfunk und bedürfen, ebenso wie privat-kommerzielle Rundfunkanbieter und anders als Medienwerkstätten, einer Sendeerlaubnis in Form einer Lizenz. Diese Lizenz erteilt die jeweilige Landesmedienanstalt auf der Grundlage des Landesmediengesetzes. Die Zulassung besteht aus einem Komplex von Einzelregelungen u.a. zu folgenden Punkten:

– befristete oder unbefristete Sendeerlaubnis, – freie oder gebundene Trägerschaft, – Regelbetrieb oder Modellprojekt, – offen für landesweite Bewerber/innen oder begrenzt auf bestimmte Verbreitungsgebiete. Historisch sind aus den Kabelpilotprojekten Ludwigshafen, Dortmund und Berlin drei Grundtypen der Organisation und Finanzierung hervorgegangen. Sie basieren teils auf unterschiedlichen Kostenmodellen sowie Vorgaben durch den Gesetzgeber bzw. sind „in unterschiedlichem Umfang durch die Gremien respektive die Verwaltungen der Landesmedienanstalten gesteuert und geprägt“ (vgl. Kamp 2003, o. S.): 1. Die anstaltsgebundenen Offenen Kanäle, zu welchen auch der OKOF und der OKB gehören, orientieren sich am Modell „Berlin“ und unterstehen den Landesmedienanstalten. Der anstaltseigene Offene Kanal in Berlin diente als Vorbild für die OK in den Stadtstaaten Bremen und Hamburg sowie für die Flächenländer Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Der Vorteil dieses Modells liegt in der relativen Stabilität der Rahmenbedingungen, denn die Kosten für Infrastruktur und Personal werden aus Rundfunkgebühren getragen. Die Mitarbeiter/innen arbeiten i.d.R. längerfristig im OK und nehmen an Schulungen teil. Zudem steht der/die verantwortliche Leiter/in eines OK in direkter Verbindung zum/zur Ansprechpartner/in in der Landesmedienanstalt und muss nicht erst einen Vereinsvorstand in Entscheidungen einbeziehen, wie dies bei OK in freier Trägerschaft der Fall ist. Außerdem haben die Landesmedienanstalten durch Lizenzierung und Kontrolle große Einflussmöglichkeiten, die bis in personelle und programmatische Entscheidungen hineinreichen und der Mitbestimmung von

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Mitarbeiter/innen und TV-Produzent/innen in dieser Hinsicht enge Grenzen setzen. 2. Die anstaltsfreien Offenen Kanäle sind an einen Trägerverein gebunden und folgen dem Modell „Dortmund“. Sie finden sich in Rheinland-Pfalz und SachsenAnhalt und unterstehen nicht direkt einer Landesmedienanstalt, was u.a. zur Folge hat, dass ihre finanzielle Basis weniger gesichert ist als die der anstaltsgebundenen OK. Zumeist fördert die jeweilige Landesmedienanstalt die Produktionsund Sendetechnik, während sich das Personal aus Vereinsbeiträgen oder zusätzlich eingeworbenen Projektfördermitteln von öffentlichen und privaten Projektpartnern wie Kirchen und Privatunternehmen finanziert. Ein Trägerverein bietet ein flexibleres Strukturmodell und größere Gestaltungsspielräume, was im „Kernland“ der Offenen Kanäle Rheinland-Pfalz gut funktioniert. Allerdings kann die in diesem Modell strukturell bedingte finanzielle Unsicherheit zu erheblichen Problemen führen, wie das Beispiel des OK Dortmund gezeigt hat: Durch geringere Fördermittel oder Projektzuschüsse wurde ein Ausweichen auf städtische Randgebiete nötig, die jedoch von den Sendegestalter/innen kaum mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreicht werden konnten. Eingeschränkte Öffnungszeiten aufgrund von Personalmangel führten dazu, dass der OK immer weniger nachgefragt wurde, woraufhin die Projektpartner die Legitimationsgrundlage des OK in Frage stellten (vgl. Interview mit dem Leiter des OK Dortmund, 27.06.2006). Die Belebung des Meinungsspektrums ergänzt in diesem Modell die politische Bildung und den Medienkompetenzerwerb (s. unten). Aus diesen beiden Modellen entwickelten sich Mischformen wie etwa der Offene Kanal in Gera als Modellprojekt mit Werkstattcharakter. Er wurde von der Thüringer Anstalt für privaten Rundfunk, der dortigen Landesmedienanstalt, mit dem Ziel eingerichtet, weitere Offene Kanäle einzurichten, die durch Dritte getragen werden (vgl. Kamp 2003, o. S.). 4.2.1 Kommunikationsmodell Offene Kanäle verstehen sich selbst als Partizipations- und Interaktionsmedien (vgl. Schenke, 1998, S. 83). Im Vergleich mit privat-kommerziellem und öffentlichrechtlichem Fernsehen sind die Nichtkommerzialität und lokale Verankerung ihr Alleinstellungsmerkmal (vgl. AKOK 2001). Unabhängig von der Staatsbürgerschaft können erwachsene Bürger/innen von ihrem Grundrecht Gebrauch machen, sich in Medien zu beteiligen und einen Offenen Kanal nach kurzer Einführung in die Aufnahme- und Sendetechnik zu Produktion eigener TV-Sendungen zu nutzen. Dieses Alleinstellungsmerkmal, das unzensierte Senderecht jedes Einzelnen, weist dem OK eine Sonderstellung in der deutschen Rundfunklandschaft zu.

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Im Vergleich zu den Massenmedien erreichen Offene Kanäle oft nicht die Professionalität und die Reichweite der öffentlich-rechtlichen und privat-kommerziellen Rundfunksender. Dies ist auch nicht ihre Aufgabe, denn sie sollen zunächst den Zugang zur Produktions- und Distributionstechnik sichern. Innerhalb der Alternativen Medien nehmen Offene Kanäle ebenfalls eine Sonderstellung ein, denn sie erfüllen nicht alle Kriterien der Alternativmedien im Hinblick auf die partizipative Organisationsstruktur und die Selbstorganisation der Beteiligten. Sie ermöglichen „die kommunikative Begegnung von Bürgern und Bürgerinnen einer Stadt“ (vgl. Schenke 1998, S. 83) und damit ihre „diskursive Partizipation“ in lokalen Öffentlichkeiten (Koopmanns 2004). „Hoher Zeitaufwand, neue menschliche Kontakte, Bestätigung der eigenen Kreativität, Verstärkung des eigenen sozialen oder kulturellen Engagements und ein kritischer Umgang mit Medien sind erkennbare Folgen und Auswirkungen der Arbeit im Offenen Kanal. (Pätzold 1987: 10).

Aus diesem Grund werden Offene Kanäle von der EU-Kommission zu Community Media gezählt und als solche anerkannt (s. unten). In den „Regeln für den Offenen Kanal“ (1979) formulierte die EOK zunächst grundlegende Zweckbestimmungen für das „Experiment“ Offener Kanäle, u.a. „1) Der Offene Kanal bezweckt die Erprobung und Entwicklung neuer Kommunikationsformen auf lokaler und regionaler Ebene und deren Auswirkungen auf das kulturelle und soziale Leben, sowie auf die kommunikative Kompetenz der Beteiligten. […] 2) Dabei sind solche Bevölkerungsgruppen, Themen, Meinungen und Gestaltungsformen zu begünstigen, die im herkömmlichen Kommunikationprozess vernachlässigt werden. Bei der personellen, finanziellen und technischen Ausstattung des Offenen Kanals sowie bei der Ausgestaltung von Benutzerregelungen ist diesem Ziel Rechnung zu tragen. 3) […] 4) Der Offene Kanal darf nicht für Zwecke der kommerziellen Werbung benutzt werden.“ (Expertengruppe „Offener Kanal“ 1979, S. 1f.).

Demnach erfüllt ein OK keine festgelegten kommunikativen Aufgaben, sondern schafft grundsätzliche Möglichkeiten für individuell verschiedene Funktionen und Verwendungsformen. Die Abwesenheit von eindeutig definierten Aufgaben, die Zensurfreiheit und das individuelle Senderecht (im Gegensatz zu einem Senderecht für Institutionen und Interessengruppen wie etwa im norwegischen Frikanalen) ist ein entscheidendes Charakteristikum des „Kommunikationsmodells“ Offener Kanal. Zu den vorgetragenen Idealen, die mit der Gründung Offener Kanäle verknüpft

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wurden, gehörte die Etablierung von „Gegenöffentlichkeit, Neuerfindung des Fernsehens, Veränderung herkömmlicher Massenmedien und Motor zur Beschleunigung allgemeiner gesellschaftlicher Veränderungen“ (Jaenicke/Fingerling 1999, S. 11). Doch wie Angelika Jaenicke, eine der „Gründungsmütter“ Offener Kanäle und Mitarbeiterin in der EOK schreibt: „[Erst] nachdem die ersten Offenen Kanäle Gegenstand von Forschungsprojekten […] geworden waren, entstand ein breites Theoriefundament auf der Basis von Brechts ‚Radiotheorie‘, Enzensbergers ‚Baukasten zu einer Theorie der Medien‘ und allem dazu Publizierten.“ (Ebd., S. 11)

Der emanzipatorische Gedanke entsprang demnach einer Erwartungshaltung, die von außen, seitens der Wissenschaft, an den OK herangetragen wurde. Der Intention der Gründer/innen lag er kaum zugrunde, was sich auch in der Praxis widerspiegelt: An die demokratischen Strukturen der Freien Radios reichen die Offenen Kanäle nicht heran, wie noch zu zeigen sein wird. Die Entstehungsbedingungen, die kaum definierten Aufgaben und die Einschätzung, dass die OK ein Nebenprodukt der Liberalisierung des Rundfunkmarktes in den 1980er Jahren sind, werden von Kritiker/innen Offener Kanäle als Beleg dafür gewertet, dass sie kaum mehr als ein Alibi und „Vielfaltsreserve“ sein können (vgl. Daumann, 1985, S. 490). Wie Alternative Medien auch, können Offene Kanäle dadurch die Legitimation liefern, Migrant/innen in den Massenmedien nicht umfassender zu beteiligen. Ergänzend zu den oben zitierten Grundprinzipien präzisierten die Wegbereiter/innen des OK weitere Ziele, die jedoch unterschiedliche und teils widersprüchliche Schwerpunkte innerhalb der EOK erkennen lassen (vgl. Expertengruppe „Offener Kanal“ 1979b): 1) Das Ziel der „Qualifizierung der lokalen Kommunikation“ und die Erweiterung des Meinungsspektrums deutet darauf hin, dass der „Aspekt der Rezeption des OK durch seine Zuschauer einen höheren Stellenwert als der Aspekt der Ermutigung zur Produktion von Beiträgen“ hat (Expertengruppe „Offener Kanal“ 1979b, S. 4). Die Möglichkeiten des OK standen demnach im Mittelpunkt und nicht der eigentliche Sendeinhalt. Das Vertrauen in die selbstverantworteten Beiträge der TV-Produzent/innen war offenbar nur eingeschränkt vorhanden, denn die EOK erwog damals bereits Modifikationsmöglichkeiten: 2) „Daraus kann sich die Forderung nach einer Anpassung von ‚Programmgestaltung‘ (Strukturierung, Bündelung von Beiträgen zu thematischen Schwerpunkten

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u.ä.) an Sehgewohnheiten von Fernsehzuschauern ableiten […]“ (Expertengruppe „Offener Kanal“ 1979b, S. 5) (Leitgedanke der medialen Ergänzung).9 3) „Soziale Qualifizierung von Bürgern“, um dadurch bisher im Rundfunk unterrepräsentierten Personengruppen neue Teilhabemöglichkeiten am öffentlichen Leben aufzuzeigen. „Insbesondere erscheint es unter dieser Zielsetzung wünschenswert, wenn Gruppen […] durch ihre Erfahrungen beim OK dazu ermutigt werden, sich ‚zu organisieren‘, Ressourcen zu erschließen, Bündnisse einzugehen“ (Expertengruppe „Offener Kanal“ 1979b, S. 5). Hier scheint der Gedanke des Empowerment durch. An der Ausgestaltung der Verhaltensregeln, die als Nutzerregeln10 bzw. „Einzelbedingungen“11 von allen TV-Produzent/innen eingehalten werden müssen, sind die Sendegestalter/innen jedoch nicht beteiligt. Einige Offene Kanäle treten bei Struktur- und Organisationsfragen in Dialog mit den TV-Produzent/innen, entscheiden jedoch eigenmächtig, ob sie deren Vorschläge aufnehmen oder nicht. 4) Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit sollte durch die Möglichkeit der Produktion und Verbreitung selbstverantworteter TV-Sendungen eingeübt, gefördert und institutionalisiert werden (vgl. Rolli 1981, S. 24). Ende der 1990er Jahre ist dieser Leitgedanke auf den reinen Medienzugang zusammengeschrumpft, denn die Nutzer Offener Kanäle sollen „direkt und unredigiert chancengleich an Medien partizipieren“ können (Jaenicke/Fingerling 1999, S. 10). (Leitgedanke der Teilhabe am Rundfunk). 5) Stärkung der aktiven Partizipation durch Förderung der kommunikativen Kompetenz der Rezipient/innen (vgl. Expertengruppe „Offener Kanal“ 1979b, S. 6). Dieses Ziel hebt den „Aspekt des Rollenwechsels vom Fernsehkonsumenten zum OK-Produzenten“ hervor (vgl. Expertengruppe „Offener Kanal“ 1979b, S. 6). Medienkompetenz wurde zunächst als politische und nicht pädagogische Kategorie definiert (vgl. Sarcinelli 2000; Hansen 2001, S. 150-152). Leitbild ist der/die mündige Bürger/in, der seine/ ihre Lernprozesse selbst steuert. Diesem Prinzip liegt die Überlegung zugrunde, dass Medien nicht nur Spiegel der Gesellschaft sind, sondern Agenten des gesellschaftlichen Wandels. Wird „das Mediale als eine Dimension des Politischen“ begriffen, so steht im Mittelpunkt dieses Medienkompetenz-Begriffs „nicht nur die ‚Aufklärung‘ über die mediale ‚Darstellung‘ von Politik, sondern auch die vertiefende Auseinandersetzung mit den medienabhängigen und -unabhängigen Faktoren der ‚Herstellung‘ von Politik“ (Sar9

Vgl. http://www.tlm.de/tlm/buergerrundfunk/offene_kanaele/index.php; 29.09.2010.

10 In hessischen Offenen Kanälen legen die „Nutzerregeln“ die Produktions- und Sendebedingungen der TV-Produzent/innen fest. 11 Im OKB regelt das halbjährlich aktualisierte Schriftstück die Verteilung der Sendezeiten und Sendekontingente pro „Nutzergruppe“, die Auswahl und Buchung der Sendezeiten sowie die Zusammenfassung zu Sendeschienen.

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cinelli 2000, S. 10). Medienkompetenz wird somit als „Basisqualifikation demokratischer Bürgerkompetenz“ verstanden (ebd.). Mit Medienkompetenz in Offenen Kanälen wird idealerweise auch „die Hoffnung verbunden, dass Wirkungen auf das Massenmedium Fernsehen eintreten zugunsten […] partizipatorisch konzipierter Anstaltsprogramme“12 (Expertengruppe „Offener Kanal“ 1979b, S. 6) (Leitgedanke der Aneignung von Medienkompetenz). Allerdings wurde die Medienkompetenzdefinition mit Verweis auf den vierten Rundfunkänderungsstaatsvertrag aus dem Jahr 2000 in einigen Bundesländern geändert (s. Kapitel 4.1.2). Mit Verweis auf die rundfunkrechtliche Vorgabe zur Förderung von Medienkompetenz, wird der vierte Rundfunkänderungsstaatsvertrag seitens der hessischen Landesregierung unter dem Protest der Opposition dahingehend ausgelegt, dass vorwiegend die Offenen Kanäle für die Umsetzung von Medienkompetenz verantwortlich seien. Die Landesmedienanstalt in Hessen vollzog im Jahr 2004 die Umbenennung des Offenen Kanals in Medienkompetenzzentrum Offener Kanal (MOK) und betrachtet es seither als definierte Aufgabe ihrer vier Offenen Kanäle, Medienkompetenz, im Sinne einer pädagogischen Funktion an Schüler/innen und Mulitplikator/innen der Jugendbildung zu vermitteln. Die Prinzipien Offener Kanäle ergeben folglich kein kohärentes und in sich geschlossenes Kommunikationsmodell, sondern vielmehr eine Rahmenvorstellung, die sowohl individuelle Aspekte wie Medienkompetenzentwicklung aber auch gesellschaftlich relevante wie die Förderung der lokalen Kommunikation und zivilgesellschaftliches Engagement umfasst. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass im Rahmen der Gründung Offener Kanäle eingewanderte Minderheiten nicht als Zielgruppen erwähnt wurden. Bei der Gründung Offener Kanäle wurde zwar angedeutet, dass die „deutsche Staatsbürgerschaft“ […] keine Zugangsvoraussetzung“ sei (vgl. Willers 1999, S. 5), eine allgemeine Leitidee des offenen Medienzugangs speziell für Migrant/innen stand jedoch bei deren Einführung nicht im Vordergrund. Lediglich der Deutsche Städtetag empfahl, die Offenen Kanäle für die „Ausländerbildung“ wie z.B. Sprachförderung und deren „Einführung in das öffentliche Leben in der Bundesrepublik Deutschland“ einzusetzen (vgl. Deutscher Städtetag 1979, S. 3).

12 Dieser Gedanke ist weniger abwegig, als er zunächst scheint, denn öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten streben nach partizipativen Sendeformen zum Zwecke der Zuschauerbindung. Vgl. Jakubowicz (2008).

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4.2.2 Partizipationspotentiale Offener Kanäle und ihre Grenzen Von OK ausgestrahlte Fernsehsendungen können innerhalb des Sendegebiets genauso wie der öffentlich-rechtliche und privat-kommerzielle Rundfunk von den Zuschauer/innen empfangen werden, sofern das entsprechend Endgerät über einen Kabelzugang verfügt. Für OK-Sendungen gilt dasselbe grundlegende Kommunikationsprinzip wie für die Massenprogramme des Fernsehens: TV-Produzent/innen (Kommunikator/innen) stellen Beiträge mit verschiedenen Inhalten (Botschaft) und Intentionen her und verbreiten sie über einen OK (Medium), damit sie von einer umrissenen Zielgruppe (lokales Teil-Publikum) wahrgenommen und rezipiert werden. Offene Fernsehkanäle sind vom Grundgedanken her „ein Zielgruppenangebot insofern, als es bevorzugt Rezipienten mit hohen Vorkenntnissen, hohem Interesse und hoher Betroffenheit anspricht“ (Daumann 1985, S. 495). Das Publikum ist womöglich Teil des persönlichen oder (sub-)kulturellen Umfelds der Sendegestalter/innen. Diese Konstellation, in der kleinräumige (lokale/translokale) Konnektivitäten stärker hervortreten, wird treffend vom englischen Begriff narrowcasting (statt broadcasting) umschrieben. Damit verbunden ist eine tendenziell höhere Wahrscheinlichkeit, dass Produzent/in und Zuschauer/in vermittels einer TVSendung im OK in einen Dialog treten, da womöglich die „Hemmschwelle“ eine/n Produzent/in, der/die bekannt ist zu kontaktieren generell niedriger liegen dürfte als bei den Massenprogrammen. Hierzu sind die Sendegestalter/innen verpflichtet eine Kontaktadresse und Telefonnummer in ihren TV-Sendungen einzublenden. Ganz anders der öffentlich-rechtliche und privat-kommerzielle Rundfunk: Dieser setzt die feste Rollenteilung zwischen den aktiven Sender/innen, die „Darbietungen aller Art“ verbreiten (Hebestreit 2005, S. 475), und den rezeptiven Empfänger/innen voraus. Damit verbunden ist ein vom Massenmedium Fernsehen angesprochenes disperses Publikum, das nur über Zuschauerpost bzw. Online-Foren die Möglichkeit erhält, am öffentlichen Meinungsaustausch teilzunehmen. Offener Kanal ist demnach „kein Fernsehen im üblichen Sinne“ und unterscheidet sich davon auf der Ebene der Beteiligung und der Produktion in mehreren Punkten, die im Folgenden näher betrachtet werden sollen (vgl. Daumann 1985, S. 491). 1. Zugang und Nutzung der technischen Infrastruktur In Offenen Kanälen kann die gesamte Produktionstechnik, die zur Herstellung von Fernsehsendungen benötigt wird, von den TV-Produzent/innen kostenlos genutzt werden. Zur Ausstattung Offener Kanäle gehören Studios für Live-Übertragungen und Aufzeichnungen von Sendungen, Schnittplätze, Dekorationsmaterialien, Mikrofone für Außen- und Innenaufnahmen, Beleuchtung, Mess- und Regeltechnik etc. Finanziert wird die Ausstattung aus 2 % des Gebührenaufkommens, das für die Landesmedienanstalten vorgesehen ist. Die finanziellen Ressourcen der OK sind

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damit nicht vergleichbar mit denen der öffentlich-rechtlichen oder privatkommerziellen Rundfunkanstalten, so liegt der Gesamtetat der vier hessischen OK z.B. bei jährlich etwa 1,6 Millionen Euro. Die TV-Produzent/innen bzw. „Nutzer/innen“ der Offenen Kanäle sind nach einer kurzen Einführung in die Kamera-, Schnitt- und Sendetechnik berechtigt, diese kostenlos zu bedienen und eigene Fernsehsendungen in das lokale Kabelnetz einzuspeisen – eine Möglichkeit, die allein wegen der hohen Produktionskosten in den Massenprogrammen einzigartig ist. So liegen die Kosten für fiktionale Formate im öffentlich-rechtlichen Fernsehen etwa zwischen 7.000 und 15.000 € pro Minute, für Magazin-Sendungen bei ca. 1.000 € pro Minute (Ehlerding 2005). In Offenen Kanälen ist Werbung zu kommerziellen und politischen Zwecken nicht erlaubt. Doch nicht alle Interessierten können jeden OK nutzen. Die Zugangsbedingungen unterscheiden sich je nach Bundesland erheblich: Lediglich Offene Kanäle in Berlin13 und Sachsen-Anhalt (vgl. Ministerialblatt für das Land Sachsen-Anhalt, 10.04.2007, §7 (2)a) können von allen Bürger/innen in der Bundesrepublik genutzt werden. Offene Kanäle in Schleswig-Holstein14 und Mecklenburg-Vorpommern (vgl. Medienanstalt Mecklenburg-Vorpommern, 24.02.2010, § 1) stehen ausschließlich den Einwohner/innen des jeweiligen Bundeslandes offen. In Hessen, Rheinland-Pfalz15, Nordrhein-Westfalen (vgl. Landesanstalt für Medien NRW 08.01.2009) und Thüringen (vgl. Thüringer Landesmedienanstalt, TLM, 26.04.2004, § 12 (1)) erhalten nur jene eine Sendeberechtigung, die im Sendegebiet eines Offenen Kanals leben. Hinsichtlich der hier verfolgten Fragestellung ist es von Bedeutung, dass Staatsbürgerschaft und Aufenthaltstatus keine Rolle für eine Zugangs- und Sendeberechtigung spielen. Nach Vorlage eines Ausweises und einem kurzen praktischen Lehrgang in die Kameratechnik und -führung können die vorhandenen Kameras zur eigenen TV-Produktion ausgeliehen und Studios, Schnittplätze sowie Übertragungswege genutzt werden. Die Sendeberechtigung kann jedoch wieder entzogen werden, wenn Nutzer/innen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik oder gegen die Nutzerregeln verstoßen. Jede TV-Produktionsgruppe benötigt einen verantwortlichen Sendeanmelder bzw. eine Sendeanmelderin, der/die innerhalb des Sendegebiets seinen Hauptwohn13 Das betrifft auch die neue Satzung von ALEX, als Nachfolgesender des OKB. Medienanstalt Berlin-Brandenburg (22.06.2010), § 3. 14 In Schleswig-Holstein können auch Bürger/innen der angrenzenden Regionen teilnehmen, was vorwiegend die deutsche Minderheit in Dänemark betrifft, vgl.: http://www.okkiel.de/sh/informieren/rechtsfragen/ok-nutzungssatzung.php. (29.09.2010). Satzung vom 18.10.2007, § 2(1). 15 http://www.lmk-online.de/service/rechtsgrundlagen/rechtsgrundlagen-lmk/ok-satzung; 29.09.2010, §5 (2).

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sitz hat, um eine Sendelizenz erhalten zu können. Diese/r Sendeverantwortliche ist, offiziell verantwortlich für die Produktion, den Inhalt der Sendung sowie für den Text der Programmankündigung. Er/sie dient als Ansprechpartner/in einer Gruppe und für die Zuschauerrückmeldungen und koordiniert Termine zur Nutzung der Einrichtungen zwischen den Co-Produzent/innen und dem Offenen Kanal. Der/die Sendeverantwortliche bürgt dafür, dass ausgeliehene Geräte pfleglich behandelt werden. Durch die Einblendung seines/ihres vollen Namens und der Adresse zu Beginn und Ende einer Sendung wird dies dokumentiert. Somit ist für die Zuschauer/innen transparent, wer die TV-Produktion zu verantworten hat – nämlich die TVProduzent/innen selbst und nicht der Offene Kanal. TV-Produzent/innen können kostenlos bzw. mit einer geringen Gebühr an unterschiedlichen Weiterbildungsangeboten der Offenen Kanäle teilnehmen. 2. Produktion der Sendungen Bevor eine Sendung produziert werden kann, sind potentielle Sendegestalter/innen verpflichtet, Einführungskurse zu besuchen, in welchen ihnen Grundlagen der Produktions- und Sendetechnik vermittelt werden. Zum Angebot der Offenen Kanäle gehören weiterführende Kurse in Bildschnitt, Licht, Ton und Montage (je 2-4 Stunden) sowie Medienrecht, welche die nötigen technischen und juristischen Grundlagen für die erfolgreiche TV-Produktion vermitteln. Redaktionelle und journalistische Kompetenzen werden meist nicht geschult, da sie nicht zum „Kerngeschäft“ Offener Kanäle gehören. Offene Kanäle können somit als eines der frühen Praxisfelder verstanden werden, in dem sich auf Grundlage der medientechnologischen Entwicklung der Paradigmenwechsel von der durch Medienkonsum verursachten „Programmierung“ der Zuschauer/innen hin zur Medienaktivität vollzogen hat. Im Kontext der vorliegenden Arbeit ist wichtig anzumerken, dass Fernsehen andere Öffentlichkeiten herstellt als das Internet. Fernsehen als „Leitmedium“ ist in so gut wie jedem Haushalt – egal ob mit oder ohne „Migrationshintergrund“ – vorhanden und lässt sich als so genanntes lean-back-Medium quasi voraussetzungslos konsumieren. Ganz anders das Web 2.0 – dieses lean-forward-Medium erfordert unterschiedliche Voraussetzungen wie Computer-Kenntnisse und einen Internetanschluss, die weniger flächendeckend vorhanden sind, wie das Konzept der digitalen Spaltung (digital divide) verdeutlicht (vgl. Zillien 2006). Zum anderen unterscheiden sich eigene audiovisuelle Beiträge im Web 2.0 von Offenen Kanälen darin, dass Letztere mit der Idee nichtkommerzieller Medienpraxis verknüpft sind. Offene Kanäle veränderten das hergebrachte Verhältnis von Sender/Senderin und Empfänger/Empfängerin radikal, insofern die Zuschauer/innen erstmals auch zu Sender/innen werden konnten. Es waren und sind mithin Amateur/innen, die als TV-Produzent/innen eine zentrale Stellung im Kommunikationsprozess der Offenen Kanäle einnehmen. Dadurch dass Konsument/innen zu Sendegestalter/innen wer-

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den, ergeben sich grundsätzlich andere Rollenverteilungen im Produktionsprozess. In einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt sind arbeitsteilig eine Redaktion und die Produktion am Sendeprojekt beteiligt. Die Redaktion „orchestriert“, gestaltet und überwacht die inhaltliche und formale Umsetzung des zu produzierenden Stoffs, sie ist die eigentliche Herstellerin einer Fernsehsendung. Produktion bezeichnet demgegenüber den Arbeitsbereich und die Akteur/innen, welche in erster Linie organisatorische und finanzielle Abläufe des Herstellungsprozesses einer Sendung sicherstellen (vgl. Stader 1994, S. 15/16). Diese beiden in professionellen Rundfunkanstalten voneinander getrennten Bereiche der Fernsehgestaltung werden in einem Offenen Kanal anders definiert. Ähnlich wie in den Anfangsjahren des öffentlich-rechtlichen Rundfunks fließen in Offenen Kanälen Redaktion und Produktion in den hier als „TV-Produzent/innen“ bzw. „Sendegestalter/innen“ bezeichneten Personen zusammen. Eine redaktionelle Betreuung findet in Offenen Kanälen grundsätzlich nicht statt. Den Mitarbeiter/innen Offener Kanäle kommen medienpädagogische und technische Arbeitsrollen zu, wie noch erläutert wird. TV-Produzent/innen sind zugleich beides: verantwortliche Redakteur/innen und Produktionsorganisator/innen. Daraus ergeben sich Besonderheiten der bürgerproduzierter Fernsehbeiträge. Vogel (1991, S. 246) benennt die Elemente Erfahrungsauthentizität, Subjektivität und Emotionalität. Authentizität kann dadurch entstehen, dass die Betroffenen mit eigenen Erfahrungen selbst zu Wort kommen. Die Rolle des gatekeepers, der Nachrichten selektiert und mitgestaltet, verschwindet „zugunsten einer authentischen Berichterstattung […], bei der jeder aktive Bürger potentiell sein bester und glaubwürdigster Anwalt wird“ (Kleinsteuber 1991, S. 333). Subjektivität kommt durch Meinungsbeiträge und „somit unverfälscht und ungebrochen zum Ausdruck, nicht nur als glatt gesprochener Kommentar, sondern in allen Facetten des Beitrags“ (Vogel 1991, S. 246). Emotionalität wird deutlich, wenn nicht nur die Sachebene eines Themas angesprochen wird, „sondern auch eigene Gefühle und Stimmungen“ eingebracht werden, weshalb ein über die lokalen (Sub-)Kulturen hinausweisendes politisches Partizipationspotential Offener Kanäle nicht erwartet wird (vgl. Hoffmann-Riem 1983, S. 974). „Die Emotionalität tritt auch über die Stimme und die Wortwahl stärker in den Vordergrund als in den geschulten und hochsprachlich standardisierten Äußerungen professioneller Journalisten“ (ebd.).

3. Ausstrahlung der Sendungen Offene Kanäle stellen den Programmablauf des tradierten Fernsehens in Frage, weil die Ausstrahlung sendebereiter Bänder in der Reihenfolge der Abgabe zu einer Abkehr vom typischen Programmfluss herkömmlicher TV-Sender geführt hat (s. Kapitel 2). Dabei können sowohl vorproduzierte als auch Live-Sendungen im lokalen

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Kabelnetz ausgestrahlt werden. Dieses „Prinzip der Schlange“ birgt Vor-, aber auch Nachteile, die bereits der EOK bewusst war: Einerseits wird so die „absolute Gerechtigkeit“ eingehalten und dem Recht auf Meinungsfreiheit Rechnung getragen (vgl. Expertengruppe „Offener Kanal“ 1979b, S. 12). Andererseits ist die Orientierung im Sendeablauf erschwert, so dass die EOK empfahl, über die Veröffentlichung des Programms in der Lokalpresse hinaus alle Möglichkeiten der Bekanntmachung zu nutzen, was 1979 neben Aushängen in öffentlichen Gebäuden auch die „Kontaktpflege mit Pfarrern, Lehrern“ umfasste. Die praktischen Erfahrungen führten seitens der Verantwortlichen Offener Kanäle zu einem Überdenken der ursprünglichen von der EOK formulierten „Philosophie“. Die nicht-programmgebundene Sendeabfolge und der kulturelle Pluralismus führen bei den Zuschauer/innen immer wieder zu Irritationen, so dass stark frequentierte Offene Kanäle in Ballungszentren wie Offenbach/Frankfurt und Berlin sich von dem ursprünglichen Ideal der Programmfreiheit entfernten. Vielmehr glichen sie sich beim Programmablauf den etablierten Rundfunkanstalten sowie den nichtkommerziellen Lokalradios (NKL) dahingehend an, dass sie feste Sendeplätze und Programschemata einführten, so dass die Zuschauer/innen die Sendungen verlässlicher auffinden konnten. Durchstrukturierte Programmschemata, wie sie der ehemalige OK Dortmund als trägergebundener Offener Kanal und der OKB als anstaltsgebundener Kanal eingeführt hatten, rückten den Fokus weg von den Sendegestalter/innen und ihrem praktischen Medienzugang hin zu den Zuschauer/innen und ihren Programmwünschen. Dies verstärkte die Gefahr, dass Gruppen ausgeschlossen wurden, die sich nicht in diese Strukturen einfügen ließen. Diese „Verhärtung der Strukturen der Produzentenschaft“ wurde durchaus kritisch gesehen (Gellner/Tiersch 1993, S. 204), denn es konnte eine Bevorzugung bei der Vergabe von festen Sendeplätzen an jene TVProduzent/innen festgestellt werden, die eine Sendequalität ablieferten, welche mit professionellem Fernsehen vergleichbar war. 4. Struktur der Produzent/innenschaft: der Gender-Gap Die Begleitforschung der Landesmedienanstalten zu Offenen Kanälen hat deutlich gemacht, dass die Zusammensetzung der TV-Produzent/innen eine spezifische Struktur aufweist. So war der typische „Nutzer“ eines Offenen Kanals relativ jung und männlich (vgl. Schäfer/Lakemann 1999, S. 34f). Er verfügte über einen hohen bzw. mittleren Bildungsabschluss, war erwerbstätig bzw. in Ausbildung. Zudem konnte er einer „Informationselite“ zugerechnet werden, da beim eigenen Fernsehkonsum vorwiegend Nachrichten, Spielfilme, politische Sendungen, soziale und lokale Ereignissen von Interesse waren (vgl. Lenk/Hilger/Tegeler 2001). An diesem Grundmuster ändert sich nur langsam etwas: Der Frauenanteil bewegt sich seit Jahrzehnten auf einem Niveau, das teilweise weit unterhalb des männlichen Produzentenanteils liegt. Der Frauenanteil wird zwischen 13 und 25 %,

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(Jarren/Grothe/Müller 1993, S. 318f; Schäfer/Lakemann 1999, S. 35; Schöwer 2007, S. 10) angegeben. Schätzungen für Sachsen-Anhalt gehen von 30-40% Frauenanteil aus (Kertscher 2004, S. 215). Diese deutliche geschlechtsspezifische Nutzerstruktur, die auch in den untersuchten deutsch-persischen Sendungen zu beobachten ist, wird hier zum Anlass genommen, sie mit Befunden der kommunikationswissenschaftlichen Geschlechterforschung in Beziehung zu setzen, um mögliche Ursachen dieser (Fehl-)Entwicklung einzugrenzen. Die empirische Begleitforschung zum OK im Saarland legt nahe, dass der „Spaß am Produzieren“, der Zugang zur „kostenlosen Technik“ sowie die „Faszination OK“ die häufigsten Nennungen bei der Frage nach Motiven waren (Winterhoff-Spurk 1992, S. 139). Kertschers (2004) empirische Studie deutet darauf hin, dass die hohe Bedeutung der „Nutzung moderner Technik“ für die Nutzer/innen (60,6%) mit einem hohen Grad an „nichtberuflichen Vorkenntnissen“ in der Medientechnik (46%) korreliert. Die damit in Verbindung gebrachte „Technikbegeisterung“ (Winterhoff-Spurk 1992 S. 214) wirft die Frage nach technikinduzierten Faktoren der geschlechtsspezifischen Nutzung des OK auf. In Ermangelung eigener Studien zu Frauen in OK, werden Studien zu anderen Beteiligungsmedien und der Ko-Konstruktion von Technik und Geschlecht herangezogen. Johanna Dorer (2001) geht für das Internet davon aus, dass die sozial wirksamen Geschlechterverhältnisse auf die neue Technologien übertragen werden, dass Technik eine „geschlechtlich codierte soziale Konstruktion“ ist (Dorer 2001, S. 245). Mit der Gründung des Internet ging ein dominanter Technikdiskurs einher. Dieser hat zur „Konstruktion des ‚idealen’ Internetanwenders – männlich, weiß, besser ausgebildet“ geführt, der lange die öffentliche Debatte beherrschte (Dorer 2001, S. 241/242). Hier können Schnittmengen mit dem OK konstatiert werden, weil die „Einführung neuer Techniken im Medienbereich“ ein zentraler Aspekt der öffentlichen Debatte um den OK war und somit von Beginn an eine männliche Codierung des OK naheliegt (u.a. Deutscher Städtetag, 20.12.1979). Unter anderem gilt die Darstellung von Frauen in den Medien als ein Faktor, der Geschlechterbilder mitkonstruiert, wie Klaus (2005, S. 220f) auf der Grundlage zweier Studien am Beispiel des Fernsehens in Deutschland zusammenfasst. So sind Frauen u.a. unterrepräsentiert, werden stereotyp als Hausfrau und Mutter und unpolitisch dargestellt. Allerdings sind diese selektiven Darstellungsmodi Teil des kulturellen Rahmens, in dem die Identitätsbildung der Frauen stattfindet (vgl. Dorer, 2001, S. 247). Insofern wird die vorliegende Untersuchung berücksichtigen, ob und wenn ja inwiefern kulturelle Orientierungsmodelle der deutsch-iranischen TVProduzent/innen einen spezifischen Einfluss auf ihre ebenfalls weniger häufige Beteiligung in OK hat.

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Medientechnologische Entwicklung wie das Internet sind zumeist männlich codiert, weshalb Frauen (zumindest in kapitalistischen Gesellschaften) neue Technologien als Herausforderung wahrnehmen, so die These. Dabei, so Dorer, basiert diese Konstruktion des „männlichen Internet“ auf einer selektiven Sichtweise, da Frauen maßgeblich an der technischen Entwicklung des Internet beteiligt waren. Ihre Befragung von Internet-Expertinnen, die beruflich mit der neuen Technologie arbeiten, macht jedoch deutlich, dass der dominate Technikdiskurs sich selbst bei den befragten weiblichen Internetprofis in Form von „Selbstabwertungstendenzen“ aber auch Abgrenzungstendenzen zum männlich konnotierten Technikfetischismus niederschlägt – einem „weiblichen Technikdiskurs“, […] „der gemeinhin als ‚Technikdistanz’ bezeichnet wird“ (Dorer 2001, S. 258). Mit der Fortwirkung der sozialen Differenzkategorie „Geschlecht“ in Offenen Kanälen sowie mit Technikdistanz alleine lässt sich jedoch die geringe Beteiligung von Frauen im OK nicht hinreichend erklären. Schließlich beteiligen sich Frauen im Internet an einer Vielzahl von Frauenforen. Handelt es sich um gemischtgeschlechtliche Foren tritt wiederum die Gender-Lücke zu Tage. Einer weltweiten Befragung der Wikimedia-Foundation, der Stiftung, welche die Online-Enzyklopädie Wikipedia betreibt, zufolge sind von 172 192 Befragten über 83% der Frauen Leserinnen der Wikipedia-Einträge im Verhältnis zu 63% männlichen Lesern. Bei den Autor/innen verkehrt sich das Bild: etwa 37% der männlichen Befragten haben selbst schon einen Artikel bearbeitet, doch weniger als die Hälfte (16%) der Autoren ist weiblichen Geschlechts16. Die kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung legt ein plausibles Erklärungsmodell vor, in dem sie auf die verschiedenen Öffentlichkeiten von Männern und Frauen aufmerksam macht. Demnach ist auch das Verhältnis von privat und öffentlich weiblich und männlich konnotiert, was bei der Verbreitung eigener Medieninhalte zum Tragen kommt; so kultivieren Frauen seit Jahrhunderten „heimliche Öffentlichkeiten“ im Privaten, die sich kaum auf der Ebene komplexer Öffentlichkeiten finden. Das führt letztlich dazu, „dass Öffentlichkeit kein Ort für Frauen ist (Klaus, 2005, S. 106/107, Hervorheb. im Original). Anhand konversationsanalytischer Untersuchungen gemischtgeschlechtlicher Gruppen in Fernsehdiskussionen lässt sich das Unbehagen der Frauen in der Öffentlichkeit und die ungleiche Bewertung weiblicher Redebeiträge belegen. Cornelia Hummel (1997, S.258-287) wies nach, dass sich Frauen gegenüber männlichen Gesprächspartnern statusniedriger positionieren, obwohl sie über die gleiche oder größere professionelle Kompetenz verfügen. So neigen Frauen dazu, sich auf die Vorwürfe männlicher Gesprächspartner hin zu entschuldigen (ebd. S. 262-264) und dreimal weniger Rededauer für sich zu beanspruchen als Männer (ebd. S. 285). 16 Vgl. Wikipedia Survey 2010, S. 7, http://wikipediastudy.org/docs/Wikipedia_Overview _15March2010-FINAL.pdf; 13.03.2013.

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Männer reden andere Männer im Gespräch häufiger mit Namen an als Frauen und erkennen dadurch ihren Status als gleichwertig oder höher an. Frauen hingegen werden von Männern etwa fünfmal häufiger unterbrochen als andere Männer (ebd. S. 272f und S. 286). Weibliche und männliche Gesprächsstile in den Massenmedien sind Teilbereiche der öffentlichen Artikulation und Autorschaft. Als solche legen sie Gründe nahe, warum Frauen weniger als Akteurinnen und Autorinnen auch im OK zu finden sind. Die ungleichen Geschlechterverhältnisse im Offenen Kanal bilden somit nicht die Ausnahme sondern die Regel der ungleichen Geschlechterverhältnisse in Gesellschaft und Medien ab. 5. Motive der Nutzer/innen Offener Kanäle In ihrer unabhängigen empirischen Studie zu den für die Sendegestalter/innen wesentlichen Aspekten der TV-Produktion in Offenen Kanälen benennt Kertscher (2004) eine Rangfolge der dreizehn wichtigsten Motive. Noch vor der oben beschriebenen Technikbegeisterung (2. Stelle), steht der Wunsch nach „Anleitung und Betreuung durch OK-Mitarbeiter“ (ebd. S. 208). Vor allem Frauen ist dies sehr wichtig (87,2%; Männer: 57,6%; ebd., S. 209). Eine gute technische Umsetzung der Themen und damit eine Bild- und Tonqualität, die der Zuschauer akzeptiert, war 23,8% (sehr wichtig) bzw. 29,7% (wichtig). Dieser Punkt wird in der zitierten Studie jedoch erst an achter Stelle genannt. „Teamarbeit“ (4. Stelle), Bildungsmöglichkeiten (5. Stelle), „Zuschauerreaktionen“ (6. Stelle) und „Gespräche über die eigenen Beiträge“ (7. Stelle) sind bevorzugte Motive der TV-Produzent/innen und bestätigen, dass den TV-Produzent/innen die Plattform für Kommunikation im wie auch außerhalb des OK wichtiger ist, als die technisch perfekte Sendung. Die Themenkreise „Kultur/Geschichte“ (30%) stehen an erster Stelle der thematischen Interessen der 120 befragten Sendegestalter, gefolgt von „regional/lokal“ (27,5). „Soziale Probleme (16,7%), Überregionales (10%) und, an letzter Stelle Politik mit immerhin noch 6,7% der Nennungen zählen zu den beliebtesten Themen. Allerdings macht diese Untersuchung keine Angaben zu Migrant/innen. Lenk et al. gehen auf diese Nutzergruppe nur sehr unspezifisch ein, und umreißen die thematischen Schwerpunkte. Demnach wenden sich „die Migranten stärker den Themen Migration, Diskriminierung und allgemeine Politik“ sowie, seltener, lokaler Politik zu (ebd., S. 176). Die Literatur lässt auf eine Diskrepanz zwischen den Interessen der deutschstämmigen gegenüber den migrantischen Sendegestalter/innen schließen. Vergleichende Studien hierzu liegen jedoch nicht vor.

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6. Akzeptanz bei den Zuschauer/innen Zur Akzeptanz der Offenen Kanäle bei den Zuschauer/innen existieren kaum unabhängige Studien.17 Die OK selbst führen im Allgemeinen auch keine Akzeptanzmessungen durch, haben aber entsprechende Untersuchungen als Planungs- und Legitimationsgrundlage in Auftrag gegeben. Diese bestätigen überwiegend eine hohe Akzeptanz bei den Zuschauer/innen (vgl.Gellner/Schrader 03.07.1999, S. 8). Wenngleich es auch Kritik an den Offenen Kanälen gab, manche Zuschauer/innen sich z.B. mehr Sendungen zu aktuellen, und politischen Themen wünschten, erhielten die lokalen Bürgermedien starken Rückhalt aus der Bevölkerung (vgl. Heyen 2003, S. 169). Gellner/Schrader präsentieren darüber hinaus einen Befund, der im Rahmen dieser Arbeit besonders interessant ist: „Gesellschaftliche Randgruppen wie Behinderte und Ausländer werden von Produzenten und Zuschauern im Programm der OKs explizit vermisst.“ (Gellner/Schrader 1999, S. 9)

Lenk/Hilger bemerken in der Begleitstudie zu niedersächsischen Offenen Kanälen eine Diskrepanz zwischen der positiven Selbstwahrnehmung der Sendegestalter/innen und der Bewertung durch die Zuschauer/innen: Über 40 % der Zuschauer/innen bewerteten demnach die inhaltliche Qualität als „schlecht“ (vgl. Lenk/ Hilger 1999, S. 83). Gellner/Tiersch sahen die Offenen Kanäle in einem „Zielkonflikt“, denn zum einen sollen die Bürgersender das freie Zugangsrecht zum Rundfunk sichern und zum anderen sollen sie „ein akzeptiertes Medium für lokales Geschehen sein“, was jedoch an der teils nicht professionellen Kriterien folgenden Gestaltung scheiterte (Gellner/Tiersch 1993, S. 203). Jeanicke/Fingerling stellten in ihrer Untersuchung zu den Zuschauer/innen des OK Kassel die Frage, ob sich Zuschauer/innen kürzlich über eine Sendung gefreut oder geärgert hätten. Demnach haben sich über 50 % der Befragten „richtig über eine Sendung gefreut“ und 15 % haben aus Freude über die Sendung direkt Kontakt mit den Sendegestalter/innen gesucht, ca. 23 % meldeten sich aus Ärger über eine Sendung bei den TV-Produzent/innen (Jaenicke/Fingerling 1999, S. 136). Aus Sicht dieser Studien wird die lokale Kommunikation zwischen Produzent/innen und Zuschauer/innen durch die Sendungen angeregt. Dabei spielt der Aspekt der persönlichen Betroffenheit bei den Sendungen des OK offenbar eine größere Rolle bei der Bewertung durch die Zuschauer/innen als technische und vor allem inhaltliche Qualitätskriterien, wie sie von den großen öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern geprägt wurden (vgl. Jaenicke/Fingerling 1999, S. 136-137).

17 Eine Rezeptionsanalyse der Produktionen iranisch-deutscher Sendegestalter/innen in Offenen Kanälen bedarf einer anderen Fragestellung und ist folglich nicht Gegenstand dieser Untersuchung.

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Heyen stellt folgerichtig die wechselseitige Toleranz in den Mittelpunkt der Beziehung zwischen Sendegestalter/innen und Zuschauer/innen und erinnert daran, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung unabhängig von der Qualitätsfrage betrachtet werden muss. „Wenn wir von OK-Nutzern qualitativ ansprechende Beiträge zu (lokal-)politisch wichtigen Themen und entsprechende Hörerzahlen fordern, dann bieten wir den Menschen in Offenen Kanälen kein Artikulationsforum für ihre Anliegen und ihre Meinungen […].“ (Heyen (2003), S. 163-164).

4.2.3 Interkulturelle Kompetenz und dialogischer Journalismus in Offenen Kanälen? Offene Fernseh-Kanäle entwickelten sich in den 1990er Jahren zu dem wichtigsten audio-visuellen Publikationsorgan für Migrant/innen (vgl. Hansen 2001, S. 151). Das starke Interesse dieser gesellschaftlichen Gruppen an Offenen TV-Kanälen, welches an der Vielfalt und Quantität der gesendeten Beiträge ablesbar war, setzte jeweils kurz nach Eröffnung eines OK ein. Bis zur Mitte des neuen Jahrtausends stellten Offene Kanäle einen Teil des urbanen Lebens dar, in ihnen wurde der kulturelle und religiöse Pluralismus der Städte medial sichtbar. Der Anteil der Sendegestalter/innen mit Migrationshintergrund entsprach dabei in etwa ihrem Anteil an der Bevölkerungsstruktur in den jeweiligen Sendegebieten. Bis zu 35% des Sendeaufkommens wurde somit von migrantischen TV-Produzent/innen gestaltet.18 Nachdem der damalige Bundespräsident Roman Herzog 1999 in seiner Berliner Erklärung über den interkulturellen Dialog zur intensiveren interkulturellen Zusammenarbeit aufgerufen hatte, rückte das Thema des gegenseitigen Verständnisses von Einheimischen und Migrant/innen auch in den Offenen Kanälen stärker in den Vordergrund. Zu Beginn des Jahres 2001 formulierte der AKOK als Verband der Offenen Kanäle ein neues Selbstverständnis, wonach die OK in zweierlei Hinsicht für Interkulturalität einstehen sollten: „Einmal in der uneingeschränkten Akzeptanz muttersprachlicher Sendungen und zum anderen in der Förderung eines interkulturellen Dialogs via Medien. Ein solches skizziertes Modell weist Sprache – sowohl die jeweilige Muttersprache als auch die lingua franca – als integrations-politisches Instrument aus. Gleichzeitig fördert ein damit verbundener interkultu-

18 Vgl. Hansen spricht von ca. 25% Migrant/innen in Offenen TV-Kanälen (2001, S. 151) Eine eigene Auswertung der Sendedaten im OKOF von April bis September 2002 führte zu dem Ergebnis, dass 35,8% ausgestrahlten Sendungen von migrantischen Produzent/innen hergestellt worden war. Quelle: Offener Kanal Offenbach (unveröffentlicht, Daten liegen der Autorin vor).

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reller Dialog die soziale Kontrolle, da die Verantwortlichen einer Sendung immer mehrere Kulturen im Blick haben und ihre Inhalte zur Diskussion stellen müssen. Ein solches Konzept pluraler Auseinandersetzung entspricht dem Grundgedanken eines Offenen Kanals.“ (Arbeitskreis Offener Kanäle 2001).

Die Forderung, dass Offene Kanäle „Interkulturalität“ aktiv zu befördern hätten war neu und im eigentlichen Sinne auch nicht Aufgabe der OK, betrachteten sie sich bis dato lediglich als Plattform der Kommunikation, die kaum gestaltend in die Themen und Medieninhalte einzugreifen hatte. Bei den eigentlichen Verantwortlichen der OK führte das große Interesse der Migrant/innen, und dass allgemeine gesellschaftliche Klima der vorsichtigen interkulturellen Öffnung dazu, die eigene Rolle im Hinblick auf die Einwanderungsgesellschaft zu überdenken. Der Leiter des (damals noch existenten) Offenen Kanals Hamburg, Leo Hansen, zielte auf „die Schlüsselqualifikation ‚interkulturelle Kompetenz‘“, die er durch den OK Hamburg gefördert sah. Dies bedeute, „die Fähigkeit zum Perspektivwechsel einzuüben, die Relativität der eigenen Position zu erkennen und in der Folge konfliktfähiger zu werden“ (Hansen 2001, S. 149). Demnach sollten Offene Kanäle einer pluralistischen Öffentlichkeit und dem interkulturellen Dialog dienen, gerade weil im „Fernsehen […] die Offenen Kanäle eindeutig das Sprachrohr für Minderheiten, besonders für die eher kleineren“ sind (Hansen 2001, S. 151). Damit traten zu dem grundsätzlichen Senderecht und dem zensurfreien Zugang zur Medienproduktion, welche auch fremdsprachliche oder polemische Inhalte einschließen, integrationspolitische Ziele hinzu. Die deutschstämmige Mehrheitsgesellschaft beobachtete die Entwicklung in Offenen Kanälen teilweise skeptisch, da sie auf authentische Erfahrungen mit Migrant/innen im Fernsehen kaum vorbereitet war. Fernsehen war und ist auch in Deutschland ein weitgehend „nationales“ Medium (vgl. Morley 2001, S. 29). Der Leiter des OK Berlin verfolgte mit seinem „Integrationsmodell Offener Kanal“ (1996) deshalb die Förderung der Toleranz in der multikulturellen Stadtgesellschaft durch Offene Kanäle und begann als einer der ersten, die kritischen Zuschauer/innenstimmen hinsichtlich fremdsprachlicher Sendeteams zu berücksichtigen (s. Kapitel 9). Der Politikwissenschaftler Hans J. Kleinsteuber betrachtete Offene Kanäle „als Lernort für dialogischen Journalismus“ (Kleinsteuber 2004, S. 60). Offene Kanäle erhalten demnach ihre Bedeutung durch die Weiterentwicklung eines „dialogischen Journalismus“ (vgl. Kleinsteuber 2004), S. 60-62), also den Rollenwechsel von Zuschauer/in zu Produzent/in von Fernsehinhalten, allerdings nur im nicht-professionellen Rahmen. Die Erprobung von transkulturellen Nachrichtenwerten, gerade im lokalen Umfeld der „multikulturellen“ Metropolen wurde als wichtiger Impuls für die Weiterentwicklung des Journalismus in der mehrfach pluralisierten Gesellschaft gewertet. Nicht-kommerzielle Medien wie Offene Kanäle könnten aufgrund

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der kulturellen Vielfalt der Nutzer/innen den transkulturellen Sektor im Medienverbund repräsentieren (vgl. Kleinsteuber 2004, S. 60). Durch die Zugangsoffenheit und den experimentellen Charakter sollten Offene Kanäle erste Medienzugänge für Minderheiten bieten, die „in der ansonsten fest formierten Medienlandschaft“ isoliert seien, so Kleinsteuber (ebd., S. 62). Diese Minderheitenpositionen können sich auf kulturelle, symbolische, religiöse, sprachliche und politische Dimensionen beziehen. Bentzin et al. (2007) haben am Beispiel islamischer (Verkündigungs-)sendungen im OKB gezeigt, dass diese vor allem innermuslimische Dialoge initiierten. Durch und indem sie religiöse Alltagsfragen in ihren TV-Produktionen behandelten, bildeten diese TV-Beiträge einen eigenständigen Gegenentwurf zu der häufig negativen und stereotypen Repräsentation von Muslim/innen in der medialen Öffentlichkeit. Diese öffentlichen und eigenständigen Selbstverständigungsprozesse sind als Bestandteil eines demokratischen Gemeinwesens zu betrachten. In einer Rede anlässlich der Jahrestagung Offener Kanäle im europäischen Jahr für interkulturellen Dialog 2008 forderte Thomas Krüger, der Direktor der Bundeszentrale für politische Bildung, welche die Einführung offener Kanäle in Deutschland von Beginn an mitgestaltet hatte, sogar eine umfassende interkulturelle Ausrichtung dieser Bürgermedien. Er forderte die Verantwortlichen Offener Kanäle auf, die interkulturelle Öffnung ihrer Institutionen, den Erwerb interkultureller Kompetenzen und die Förderung des interkulturellen Dialogs voranzutreiben. Offene Kanäle betrachtet er dabei als Bestandteil der Zivilgesellschaft, die ein unerlässlicher Faktor der Umsetzung dieser Forderungen ist. Einer einheitlichen nationalen Leitkultur erteilte Krüger eine Absage und bestimmte angesichts der postnationalen Konstellation die Funktion der Offenen Kanäle neu. „Offene Kanäle als Bürgermedien können Brückenfunktion des interkulturellen Dialogs sein, weil sie eine andere Wirklichkeit als die Mainstream-Medien bieten.“

Des Weiteren können sie „eine pluralistische Medienpraxis unter Einbezug der Bürgerinitiativen, NGOs, Vereine, Migrantenselbstorganisationen und politischen Gruppen Wirklichkeit werden lassen.“ (Krüger, 19

2008).

Wie schwierig und widersprüchlich die Positionierung Offener Kanäle zwischen dem eigentlichen Anspruch, das Senderecht zu gewährleisten, den an sie herangetragenen Forderungen nach interkulturellem Dialog und der politischen Realität ist, wird auch gegenwärtig deutlich: Trotz des Bekenntnisses des Bundesverbands Offener Kanäle im „Kassel Commitment“ (2012) zur Unterstützung der „Entschlie19 Abrufbar unter: http://www.bpb.de/presse/51135/zivilgesellschaft-und-interkulturellerdialog; 13.03.20013.

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ßung des Europäischen Parlaments vom 25. September 2008 zu gemeinnützigen Bürger- und Alternativmedien in Europa“ (s. Kapitel 2.3) wurden die darin festgeschriebenen Forderungen wie der „diskriminierungsfreie Zugang zu den Bürgermedien“ bis heute nicht umgesetzt (ebd., S. 2). Im Gegenteil: von Migrant/innen stark frequentierte Offene Kanäle wurden ganz eingestellt, wie der OK Hamburg oder der OK Dortmund (florianTV), der zum Jahresbeginn 2009 nach 23 Jahren geschlossen und in das Bürgerfernsehen NRW umgewandelt wurde, einem Ausbildungs- und Erprobungskanal, in dem alle Produktionen in deutscher Sprache ausgestrahlt werden müssen (§40b (1), Landesrundfunkgesetz NRW, -13. Rundfunkänderungsgesetz- 2009). Auch in hessischen Offenen Kanälen gelten ähnliche Richtlinien zur Deutschsprachigkeit, welche dadurch den Stellenwert einer normativen Grundbedingung als Zugangsvoraussetzung zum OK erhält, somit die tatsächliche Mehrsprachigkeit der Bundesrepublik Deutschland negiert und in Widerspruch zum Senderecht in Offenen Kanälen steht (s. Kapitel 8). Nicht der interkulturelle Dialog, sondern die zumindest sprachliche Assimilation der herkunftssprachlichen Sendeproduzent/innen wird hier vorausgesetzt. Diese Regelungen exkludieren somit jene, deren Sprachkenntnisse noch nicht ausreichen und jene, welche TV-Sendungen produzieren, um ihre Herkunftskultur und sprache in der Migration zu pflegen – eine Intention, die in den aus Rundfunkgebühren finanzierten Offenen Kanälen wohl nicht als „gesellschaftlich tolerabler Ausdruck kultureller Präferenzen im Einklang mit weltweiten Trends zur Globalisierung von Kultur“ betrachtet wird (Hafez 2004, S. 83). 4.2.4 Die Bedeutung der Organisationsstruktur Offener Kanäle für Medienbeteiligung Während Offene Kanäle zwar Möglichkeiten zur aktiven Medienbeteiligung bieten, ist die Selbstverwaltung durch die Sendegestalter/innen nicht vorgesehen. Dieser Aspekt führte auf Seiten der alternativen Medien, allen voran der Freien Radios, zu heftiger Kritik, als im Jahr 2010 das Community Media Forum Europe (CMFE)20

20 Der CMFE vereint höchst heterogene europäische Bürgermedien, was die rechtlichen und ökonomischen Gegebenheiten angeht, unter seinem Dach. Während Bürgerradios in Spanien bis vor kurzem illegal waren, besteht etwa in Norwegen ein breiter Konsens, dass diese Medien sinnvoll sind. Norwegen verfügt über einen landesweiten BürgerfernsehKanal, „Frikanalen“, der digital terrestrisch sendet sowie über Internet verfügbar ist. http://www.frikanalen.no/english; 27.01.2010.

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vorschlug, die Offenen Kanäle in den CMFE aufzunehmen. 21 Schließlich sind Offene Kanäle nicht einfach mit den demokratischen Idealen der Freien Radios nach Selbstverwaltung, Minderheitenpartizipation, Anti-Rassismus und Gegenöffentlichkeiten gleichzusetzen. Das charakteristische Unterscheidungsmerkmal gegenüber Freien Radios ist jedoch das individuelle und justiziable Senderecht – der Bürger kann dies notfalls gerichtlich einklagen.22 Bisher verläuft die Organisation Offener Kanäle top-down, von oben nach unten: Dies verdeutlicht das Feldschema der kommunikativen Wechselbeziehungen, welches sich am Beispiel der hessischen Landesanstalt für privaten Rundfunk (LPR) orientiert (s. Abbildung 1). Das Mediengesetz und das jeweilige Landesmediengesetz bilden den übergeordneten Rahmen, wobei beide unter dem Einfluss der politischen Mehrheitsverhältnisse gestaltet werden. Die Landesmedienanstalt als gesetzausführende Institution organisiert die Versammlung, deren Vertreter von der Landesregierung vorgeschlagen werden. Sie bildet, ähnlich den Rundfunk- und Fernsehräten, das wichtigste Entscheidungsgremium des kommerziellen Rundfunks, der auch für die Aufsicht und Kontrolle der Offenen Kanäle zuständig ist. Der Direktor einer Landesmedienanstalt setzt auf der Basis der Empfehlungen der Versammlung Entscheidungen um und bestimmt die/den Verantwortliche/n für Offene Kanäle im jeweiligen Bundesland. Diese/r steht im engen Austausch mit der OK-Leitung vor Ort. Diese kümmert sich idealerweise um die interessierten Nutzer/innen, die technische und räumliche Infrastruktur und die Vergabe der Sendeplätze. Sie muss darauf achten, dass die Nutzerregeln eingehalten werden. Die TVProduzent/innen stehen als letztes Glied am Endpunkt einer aufwändigen Organisationstruktur., welche so gut wie keine Möglichkeiten haben auf die Organisation einzuwirken. Lediglich die Kommunikationswege zwischen Sendegestalter/innen und Publikum sind grundsätzlich wechselseitig permeabel. Das lokale Publikum kann sich jedoch auch direkt an den Offenen Kanal wenden. Daneben entsteht aufgrund der Medienresonanz auf die TV-Produktionen von Migrant/innen ein zweiter öffentlicher Raum, welche auf die Organisation des OK, auf die Sendegestalter/innen selbst sowie auf das Lokalpublikum zurückwirkt. 21 Diskussionen wurden beispielsweise auf der Tagung „Zukunftswerkstatt Bürgermedien“, am 19./21.03 2010 in Halle an der Saale geführt, an der etwa fünfzig Vertreter Freier Radios und Offener Kanäle teilnahmen. 22 Wie schon ausgeführt spielt die Staatsangehörigkeit im Hinblick auf das Senderecht in OK dabei keine Rolle. Dies (sowie die Zensurfreiheit Offener Kanäle, wo eingerichtet) stellt – zumindest theoretisch – sicher, dass chancengleich an Offenen Kanälen partizipiert werden kann. Am Beispiel der Übersetzungsregel (OKOF) und der Sendezeitbegrenzung (OKB) wird deutlich, dass Offene Kanäle ihren eigenen Prinzipien nach Zugang und Offenheit allerdings nicht immer gerecht werden. Auf diesen Punkt wird in den Fallstudien noch näher eingegangen.

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Abbildung 1: Feldschema der Organisation und kommunikativen Wechselbeziehungen anstaltsgebundener Offener Kanäle23 Landesregierung / Gesetzgeber Mediengesetz

Landesmedienanstalt / Gesetzausführung

Direktor / 2. Organ

Versammlung bzw. Me dienrat / Oberstes Organ

richtet OK ein, genehmigt Anschaffungen (Mittel), genehmigt Neuerungen

beschließt OK einzurichten, beschließt die Satzung und Nutzungsordnung, beschließt Änderungen in Satzungs und Nutzungsordnung, genehmigt Neuerungen

Beauftragte/r für Offene Kanäle 3. Organ

Offener Kanal / 4. Organ beantragt Mittel und Neuerungen, achtet auf Einhaltung der Satzungs- und Nutzungsordnung, erteilt Sendeerlaubnis

Sendegestalter/innen (lokal) Medienresonanz Sendeerlaubnis an Einhaltung der Satzung und Nutzungsordnung gebunden

Lokales Publikum

Quelle: Eigene Darstellung.

23 Schematische Darstellung der Organisationsstrukturen und Kommunikationsprozesse am Beispiel der anstaltsgebundenen Offenen Kanäle in Hessen und Berlin. Auf die horizontalen Wechselwirkungen zwischen TV-Produzent/innen und lokalem Publikum wird in den Fallstudien eingegangen.

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4.3 B EDINGUNGEN UND G RENZEN DER TV-P RODUKTION FÜR M IGRANT / INNEN IM OKOF UND IM OKB In diesem und dem nächsten Unterkapitel wird nun näher auf die konkreten Bedingungen eingegangen, unter denen v.a. Migrant/innen, in den anstaltsgebundenen Offenen Kanälen Berlin24 und Offenbach/Frankfurt am Main TV-Sendungen produzieren können. Dabei werden sowohl die rechtlichen als auch organisatorische und strukturelle Bedingungen in den Blick genommen. Hinsichtlich der deutsch-iranischen Produktion in Offenen Kanälen können vier Akteure identifiziert werden, welche direkt oder indirekt daran beteiligt sind bzw. sie beeinflussen. Neben den TV-Produzent/innen selbst sind dies zuvorderst das Landesmediengesetz und die Organisationsebene in der Landesmedienanstalt in mehr oder weniger enger Abstimmung mit den Offenen Kanäle vor Ort. Offener Kanal Berlin und Offener Kanal Offenbach/Frankfurt unterscheiden sich hinsichtlich 1. der Geschichte: Der OKB war Teil der Kabelpilotprojekte, während der OKOF erst entstand, nachdem Erfahrungen in vielen Offenen Kanälen gesammelt waren. 2. der Organisationsstruktur: In Berlin entscheiden Landtagsabgeordnete im Medienrat über Wohl und Wehe des Offenen Kanal, in Hessen die Versammlung, ein Gremium, das ähnlich wie die öffentlich-rechtlichen Rundfunkgremien von Vertreter/innen aus Politik, Verbänden und wichtigen gesellschaftlichen Institutionen gebildet wird. 3. des Standorts: Der OKB befindet sich in der Metropole Berlin, während der OKOF aus Offenbach nahe Frankfurt am Main, einer mittleren Großstadt sendet. 4. der Verbreitungsmöglichkeit: der OKB hat einen vollen Kabelkanal zur Verfügung, während sich der OKOF einen Kabelkanal teilen muss. 5. der Sendezeit: Der OKB sendet als 24-Stunden-Vollprogramm, während der OKOF im Verlauf der Untersuchung mehrfach seine Sendezeiten verkürzte und zuletzt täglich zwischen 18.00 und 22.00 Uhr auf Sendung ist (ohne Wiederholungen, Stand März 2013). Vergleichbar ist in beiden Offenen Kanälen die Quantität der Sendetätigkeit der Fernsehproduzent/innen mit Migrationshintergrund, wobei die iranischen Migrant/innen in beiden Kanälen zu den aktivsten Sendegestalter/innen gehören.

24 Der Offene Kanal Berlin wurde am 27.05.2009 auf Beschluss der mabb sowie des Berliner Abgeordnetenhauses in ALEX Offener Kanal Berlin umbenannt. Diese Arbeit untersucht die Bedingungen des Vorgänger-Kanals, der folglich mit der vormaligen Abkürzung „OKB“ bezeichnet wird.

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4.3.1 Produktions- und Sendebedingungen für Migrant/innen im Offenen Kanal Offenbach/Frankfurt (OKOF) Entwicklung des OKOF25 Im Jahr 1989 wurde die LPR eingerichtet. Nach Verhandlungen einigten sich die Mitglieder der „Versammlung“ im Frühjahr 1991 auf ein für drei Jahre befristetes Pilotprojekt für einen Offenen Fernsehkanal in Kassel. Im September 1994 wurde die Erprobungsphase für beendet erklärt und die Einrichtung des OK Kassel sowie weiterer Offener Kanäle in Hessen beschlossen (vgl. Jaenicke/Fingerling 1999, S. 15). Nacheinander wurden in Gießen (1996), Offenbach/Frankfurt (1997) und Fulda (1998) weitere Bürgersender (Fernsehen) etabliert. Der Offene Kanal Offenbach startete sein Programm am 15. Mai 1997 um 18.00 Uhr, nachdem über ein Jahr nach geeigneten Räumlichkeiten gesucht worden war (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.01.1996). Die beiden ersten Sendungen waren die (deutschsprachigen) Fan-Magazine Magic Galaxy (18.00 Uhr) und Kickers-TV (18.46–19.23 Uhr). Der OKOF ist derzeit der größte Offene Kanal Hessens und einer der größten im Bundesgebiet. Das Sendezentrum ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen. Bis zu Beginn des Jahres 2007 konnten die Sendegestalter/innen zwei Studios nutzen – davon eines zur Live-Produktion. Ein Studio wurde geschlossen, weil der Raum für Medienkompetenzprojekte mit größeren Gruppen benötigt wurde. Fünf Schnittplätze und zwei Seminarräume umgeben den so genannten OK-Treff, einen Gemeinschaftsraum, der Pausen und Zusammenkünften der Sendegestalter/innen und Medienassistent/innen dient. Die lokale Etablierung des OKOF hat die regen öffentlichen Diskussionen im Vorfeld seiner Eröffnung schnell vergessen lassen. Dabei stellten die Befürworter/innen wie auch die hessische Landesmedienanstalt dessen demokratisches und „Kommunikations-stiftendes Potential“ für die Bürger/innen heraus (vgl. Offenbach Post 1997), denn dort könne „jeder produzieren und senden, was er will“ (vgl. Hetzer 1997). Aktiv gefordert wurde der Offene Kanal von Vereinen und Sozialverbänden, die sich im Medienpädagogischen Arbeitskreis Offener Kanal zusammengeschlossen hatten. Der Verein für Fernsehen in Frankfurt – FüF, ein knapp 100 Mitglieder zählender Interessenverband für die Errichtung eines Offenen Kanals, begann bereits 1995 mit Videoprojekten, die später im OKOF ausgestrahlt werden sollten. Darunter war ein Projekt mit „Videofilmern aus verschiedenen Nationen“ (vgl. Frankfurter Nachrichten 1995). Die Kritiker/innen der Offenen Kanäle äußerten sich skeptisch und befürchteten, dass aufgrund der Zugangsoffenheit „nur Spinner und Radikale“ den OKOF nutzen würden (vgl. Weil 1997). Neben den allge-

25 Der Name „Offener Kanal Offenbach/Frankfurt“ wird im Folgenden mit OKOF abgekürzt.

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meinen Grundsätzen für Offene Kanäle, wie sie die EOK 1979 formuliert hatte, dienten die Erfahrungen des bereits bestehenden OK Kassel als Leitlinie bei der Gestaltung der Satzung sowie der „Nutzerregeln“. Darin ist u.a. die maximale Länge der Beiträge auf 60 Minuten geregelt (vgl. LPR Hessen 2001, 2007: Nutzungsordnung für die Offenen Kanäle in Hessen Abs. 4). Bis Mitte 2001 strahlte der OKOF in der Regel zwischen fünf bis neun Sendungen täglich an sieben Tagen in der Woche aus. Die Erstsendungen liefen circa fünf Stunden täglich zwischen 17.00 und 22.00 Uhr. Drei Wiederholungsschienen wurden jeweils vormittags ab 10.00 Uhr, in den späten Abendstunden ab 22.00 Uhr und an den Wochenenden zwischen 11.00 und 02.00 Uhr nachts ausgestrahlt. An Dienstagen bleibt der OKOF für die Öffentlichkeit geschlossen. Seit Juli 2001 ist die Sendezeit auf die Nachmittagsund Abendstunden begrenzt, da die Landesmedienanstalt die Senderechte auf dem Programmplatz des OKOF von 4 bis 15 Uhr dem Shopping-Sender QVC zugeteilt hat (vgl. Schöwer 2007, S. 15). Die Anzahl der TV-Produzent/innen stieg zwischen Mai 1997 und März 2007 kontinuierlich auf insgesamt 3.232, die Zahl der Beiträge im gleichen Zeitraum auf 12 736 an. Bereits im Jahr 2000 waren insgesamt 1.500 TV-Produzent/innen im OKOF eingetragen, die insgesamt 49 verschiedenen Nationalitäten angehörten (Quelle: Sendeanmeldedaten OKOF, LPR Hessen). Die meisten Sendungen strahlte der OKOF bislang im Jahr 2000 aus (1.532), die Anzahl sinkt seither beständig (vgl. Schöwer 2007, S. 15). Im Jahr 2006 entschloss sich die LPR, Offene Kanäle in Hessen offiziell zu „Medienprojektzentren Offener Kanal (MOK)“ mit pädagogisch-didaktischem Auftrag umzuwandeln, welche sich schwerpunktmäßig der Medienbildung von Kindern und Multiplikator/innen widmen.26 Kaum berücksichtigt wurde bei dieser Entscheidung offenbar, dass die eigenständige Produktionstätigkeit bereits den „Blick hinter die Kulissen“ des Fernsehens und ermöglichte und dadurch „quasi nebenbei“ dem Medienkompetenzerwerb diente (vgl. Offener Kanal Offenbach/Frankfurt 2001, S. 5). Die Umwandlung des OK in ein Medienprojektzentrum hat u.a. dazu geführt, dass die ohnehin knappen personellen und technischen Ressourcen nun verstärkt für die Betreuung von Kindergartengruppen und Schulklassen in Anspruch genommen werden und nur noch teilweise für die Produktion von Bürgerfernsehen genutzt werden können.27

26 Der vierte Rundfunkänderungsstaatsvertrag vom 01.04.2000, § 40, 2, sieht die Förderung der Medienkompetenz als Funktion Offener Kanäle an. 27 Quelle: Elektronische Nachricht der Beauftragten für Offene Kanäle vom 02.07.2007. LPR Hessen, Stand 4/2009.

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Mediengesetz und Organisation Im historischen Vergleich mit anderen Bundesländern ist Hessen ein „Spätzünder“ in der Errichtung von Offenen Kanälen, obwohl der HR bereits 1975 Planungen zu einem Kabelkanal für die Bewohner vorlegte (vgl. Jaenicke/Fingerling 1999, S. 15). In seiner Fassung vom 30.11.1988 erwähnte das Hessische Privatrundfunkgesetz (HPRG) in den §§ 29 und 30 erstmals die Möglichkeit der Einrichtung Offener Kanäle im Rahmen einer „Kann“-Bestimmung. Die Funktionsbeschreibung Offener Kanäle hat sich seither nicht geändert und lautet auch in der aktuellen Fassung des HPRG vom 27.09.2012, § 38 wie folgt: „Offene Kanäle sollen gesellschaftlichen Gruppen, Organisationen, Institutionen und Einzelpersonen Gelegenheit geben, eigene Beiträge zu verbreiten.“

Hier stellt sich die Frage, ob die oben beschriebene neue Funktionsbestimmung der MOK nicht der primären Funktion zuwiderläuft, den Leitgedanken der Teilhabe am Rundfunk zu fördern, wie es das HPRG vorsieht.28 Die Hessische Landesanstalt für privaten Rundfunk (LPR) überwacht, wie alle anderen Landesmedienanstalten, die Einhaltung des Mediengesetzes im privatkommerziellen Rundfunk. Neben der Lizensierung und Kontrolle des kommerziellen Radio- und Fernsehprogramme obliegt einer eigens dafür eingerichteten Organisationseinheit die Trägerschaft und Prüfung der vier Offenen Kanäle in Hessen (Fulda, Giessen, Frankfurt/Offenbach und Kassel). Sie wird aus 1,24 % der Rundfunkgebühren finanziert.29 (s. Abbildung 2). Gesellschaftlich relevante Gruppen wie Gewerkschaften, Kirchen, Vertreter der jüdischen Gemeinden in Hessen und Unternehmerverbände entsenden Delegierte in die Versammlung, dem Gremium, das auch über die Offenen Kanäle entscheidet. Migrant/innen aus einer Vielzahl unterschiedlicher Herkunftsländer werden lediglich durch einen Sitz vertreten, welcher der Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte vorbehalten ist. Die Entscheidungsorgane der LPR, Versammlung und Direktor, beschließen gemeinsam, ob ein Kabelkanal für den Offenen Kanal zur Verfügung gestellt werden kann. Die Organe befinden auch „über die Zulassung der Verbreitung einzelner Beiträge“ (HPRG §39 Abs. 4) und behalten sich durch dieses normative Instrument Eingriffe in den Sendeablauf der Offenen Kanäle und in die Inhalte der TV-Produktionen vor.

28 S. Abschnitt 3.2 (Prinzipien Offener Kanäle). 29 Vgl. http://www.lpr-hessen.de/default.asp?m=31#seite754, Stand: 09.04.2009

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Abbildung 2: Organisationsstruktur der hessischen Landesmedienanstalt (LPR)30

Versammlung (30 Verteter gesellschaftlich relevanter Gruppen)

Direktor Gremienbüro

Programmausschuss (15 Mitglieder)

Bereich I Grundsatz, Recht, Telemedien, Technik und Verwaltung

Haushaltsausschuss (9 Mitglieder)

Bereich II Programme, Nichtkommerzieller Lokaler Hörfunk (NKL), Medienkompetenz, Medienwirtschaft, Presse und Öffentlichkeitsarbeit

Rechts- und Satzungsausschuss (7 Mitglieder) Bereich III Medienrpojektzentren Offener Kanal

Quelle: LPR-Hessen. Eigene Darstellung.

Das HPRG sieht die Anstaltsgebundenheit der Offenen Kanäle vor.31 Offene Kanäle können durch eine einfache politische Mehrheit im hessischen Landtag abgeschafft werden. Im Jahr 2007 kam es fast soweit: Die Vorlage des CDU-Referentenentwurfs zur Novellierung des HPRG sah eine Umverteilung der Mittel zugunsten neuer Übertragungstechniken (Stichwort: Handy-TV) vor und hätte die Schließung von zwei der vier hessischen Offenen TV-Kanäle nach sich gezogen (vgl. elektronische Nachricht der Beauftragten Offener Kanäle in Hessen vom 01.11.2006). Nichtkommerziellen Radios sollte die finanzielle Grundlage gänzlich entzogen werden. Nach massivem Einspruch von Bürger/innen, Sendegestal30 Eigene Grafik. Quelle: www.lpr-hessen.de/default.asp?m=28, Stand: 08.09.2008) 31 Vgl. Hessisches Privatrundfunkgesetz (HPRG) vom 05.06.2007, §38.

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ter/innen und Mitarbeiter/innen Offener Kanäle wurde dies abgewendet und eine Kompromisslösung gefunden. Der politische Kompromiss führte bei den öffentlich geförderten Bürgermedien nicht zur Schließung, aber zu Kürzungen des für sie vorgesehenen Etats um 18 %.32 Der Haushalt der vier Offenen Kanäle betrug 2007 insgesamt 1.750.000 Euro, wovon 378.000 Euro auf den OKOF entfielen (Quelle: Beauftragte für Offene Kanäle in Hessen. Elektronische Nachricht vom 03.07.2007). Die Zahl der Mitarbeiter/innen im OKOF stagniert seit Jahren bei etwa 5,5 Stellen, wobei neben der Leitung und der Verwaltungsassistentin vor allem sogenannte Medienassistent/innen angestellt sind. Diese sollen die TV-Produzent/innen in technischen Fragen, der Raumplanung bzw. ggf. als Medienpädagog/innen unterstützen, nicht jedoch inhaltlich-redaktionell (vgl. Schöwer 2003, S. 44; LPRHessen). Diese eingeschränkte Aufgabenbeschreibung ergibt sich aus der Funktionsbestimmung Offener Kanäle die in erster Linie den Medienzugang sicherstellen sollen. Verpflichtende interkulturelle Schulungen für die Mitarbeiter/innen wurden bisher nicht eingeführt, obwohl noch Mitte des vorigen Jahrzehnts über ein Drittel der Sendegestalter/innen einen Migrationshintergrund hatten und herkunftsbzw. mehrsprachige Sendungen produzierten. Die Verantwortung für die Beiträge liegt bei den Sendegestalter/innen. Der überwiegende Teil der Mitarbeiter/innen ist weiblichen Geschlechts, so dass sich die weiter oben diagnostizierte GeschlechterLücke innerhalb der Produzent/innenschaft im Mitarbeiterstab nicht widerspiegelt. Migrant/innen waren in der über 15-jährigen Geschichte des OKOF nicht als feste Mitarbeiter eingestellt (Stand: März 2013) Die erste Anlaufstelle für die TV-Produzent/innen ist die Verwaltungsassistentin, bei welcher auch die Sendebänder hinterlegt und anschließend in der Reihenfolge der Abgabe bzw. auf dem mit den Sendegestalter/innen vereinbarten Sendeplatz ausgestrahlt werden. Ein ehrenamtlicher Mitarbeiter betreut die Ausleihe der mobilen technischer Geräte wie Kameras und Mikrofone. Empfangsgebiet Seit der Neueinrichtung des digitalen Kabelnetzes im August 2008 erreicht der OKOF ca. 550.000 Haushalte und damit deutlich mehr als über die bis dahin nur analoge Übertragung allein (360.000). Das Empfangsgebiet des OKOF wurde im Laufe der Zeit immer weiter ausgedehnt, so dass es sich mittlerweile weit über die Stadtgrenzen Frankfurts und Offenbachs bis in den angrenzenden Taunus, das Rheingau und den Main-Kinzig-Kreis erstreckt.33 Während des Bestehens des OKOF haben sich die Grenzen des Empfangsgebiets auch aufgrund technischer 32 Vgl. www.lpr-hessen.de/files/hprg_060607.pdf; 20.06.2007. 33 Das aktuelle Sendegebiet des MOK ist hier abrufbar: http://www.lpr-hessen.de/ default. asp?m=71.

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Umstrukturierungen des Kabelnetzbetreibers mehrmals verändert. Dies blieb nicht ohne Auswirkungen auf die lokalen Teil-Öffentlichkeiten: zeitweise war die Gemeinde Kelsterbach vom Sendenetz des OKOF abgeschnitten. In der westlich von Frankfurt gelegenen Kleinstadt machen Migrant/innen über ein Drittel der Bevölkerung aus. Die betroffenen TV-Produzent/innen und Zuschauer/innen protestierten dagegen und erhielten öffentliche Resonanz in der Lokalpresse, da „sich doch viele Beiträge des OK mit ihren Heimatländern und Kulturen“ beschäftigten (vgl. Frankfurter Neue Presse 21.01.2005). TV-Produzent/innen mit Migrationshintergrund im OKOF Die frühe, im Rahmen der klassisch konservativen Abwertung von nichtbürgerlichen (Sub-)Kulturen geäußerten Befürchtungen, dass radikale Gruppen den OK nutzen würden, bewahrheitete sich nicht (vgl. Offenbach Post, 21.06.2001). Überraschend für die Gründer/innen war jedoch, dass schon kurz nach der Eröffnung auch Migrant/innen die Möglichkeit für sich entdeckten, eigenverantwortlich Fernsehsendungen zu produzieren und auszustrahlen, wie die ehemalige Leiterin des OKOF Christiane Schöwer, im Interview deutlich machte. Als erste bilinguale Sendung überhaupt wurde im Juni 1997 das Magazin Afghan TV auf Dari und Deutsch ausgestrahlt.34 Im gleichen Monat lief die erste Sendung einer deutschiranischen Produzent/innengruppe, Simaye Iran („Gesichter des Iran“), und war danach weitgehend regelmäßig einmal pro Woche zu sehen, ab Dezember 1997 ebenfalls bilingual auf Persisch mit deutschsprachigen Sendeanteilen. Im Zeitraum zwischen der Eröffnung 1997 bis zum März 2006 strahlten 30 unterschiedliche deutsch-persische TV-Produktionsgruppen mit insgesamt 71 Sendegestalter/innen ihre Beiträge im OKOF aus (Quelle: OK Offenbach). Zwischen 1999 bis 2004 wurde über ein Drittel aller TV-Produktionen im OKOF muttersprachlich bzw. bilingual ausgestrahlt. Im Zeitraum März bis September 2002 produzierten beispielsweise 626 Nutzer/innen in ihrer Freizeit Programmbeiträge, davon 224 oder 35,8 % von Migrant/innen.35 Der Anteil entsprach damit in etwa der Wohnbevölkerung mit Migrationshintergrund im Sendegebiet und belegt das große Interesse dieser Bevölkerungsgruppen an selbstproduzierten Fernsehsendungen. Bis zum Jahr 2005 hatten sich neben deutschen TVProduzent/innen Sendegestalter/innen aus 66 anderen Staaten angemeldet (OKOF, Stand 2005). Außereuropäische TV-Produzent/innen, insbesondere aus dem Iran, Afghanistan, Eritrea und Pakistan, gehörten zu den regelmäßig sendenden TVProduzent/innen. Ein Teil von ihnen nutzte feste Sendeplätze mit einer wöchentli34 Dari, das v.a. in Afghanistan gesprochen wird, ist mit dem persischen Farsi eng verwandt und kann problemlos von iranisch-sprachigen Zuschauer/innen verstanden werden. 35 Die übrigen 402 (64,2 %) Sendungen entfielen auf deutsche Produktionen. Quelle: OK Offenbach/Frankfurt.

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chen Sendeverpflichtung, die zu Beginn eines Jahres mit den Sendeverantwortlichen vereinbart wurden. Der OKOF wurde dadurch immer mehr zum öffentlichen Artikulationsraum u.a. für die lokale iranische Minderheit. Dies erregte Aufmerksamkeit und führte dazu, dass sich unterschiedliche Interessengruppen kritisch zu den bilingualen bzw. herkunftssprachlichen Sendungen in der Öffentlichkeit äußerten, woraufhin der OKOF mit verschiedenen Maßnahmen reagierte, die Deutschsprachigkeit zu erhöhen (s. Kapitel 8.5.2). Dazu gehört seit April 2002 die Verpflichtung, Beiträge sprachlich so zu gestalten, dass sie für deutsche Zuschauer/innen „nachvollziehbar“ sind. Diese Regelung erschwerte jedoch den Zugang für Migrant/innen, forderte er doch, dass Beiträge zumindest teilweise übersetzt werden mussten. Die deutsch-iranischen Produktionsteams reagierten zunächst mit unterschiedlichen Strategien, die weiter unten näher beschrieben werden. Letztendlich gaben sie ihre Produktionstätigkeit im Jahr 2004 bis auf weiteres auf (s. Kapitel 8). 4.3.2 Produktions- und Sendebedingungen für Migrant/innen im Offenen Kanal Berlin-Brandenburg (OKB) Geschichte und Struktur des OKB Der Offene Kanal Berlin (OKB) ist seit August 1985 auf Sendung und gehört zu einer der größten OK im Bundesgebiet. Entstanden ist der OKB aus einem der drei Kabelpilotprojekte neben Dortmund und Ludwigshafen. Auf der Funkausstellung 1979 in Berlin simulierte die medienoperative berlin e.V., die maßgeblich an der Entwicklung eines Offenen Kanals in Berlin beteiligt war, unter Verantwortung des SFB in einem „gläsernen Studio“ den Offenen Kanal, um zu demonstrieren, wie ein solcher Kanal im Kabelfernsehen funktionieren würde (vgl. Horst, 29.09.1979). Für das Pilotprojekt waren ein Vorprojekt, eine Erprobungsphase und eine Überprüfungsphase vorgesehen. Im Jahr 1985 wurden zwei, später zwei weitere Trägervereine zugelassen. Erst nach der zweiten Phase des Berliner Kabelpilotprojekts wurde 1986 entschieden, dass nicht nur die Trägervereine, sondern auch interessierte Bürger/innen direkten Zugang zum OKB haben sollten (vgl. epd Kirche und Rundfunk, 08.08.1987). 1987 wurde die Eigenständigkeit der Offenen Kanäle im Rundfunkstaatsvertrag festgeschrieben. Der OKB (heute: ALEX) befindet sich seit seiner Eröffnung auf dem ehemaligen AEG Werksgelände in der Voltastraße in Berlin in Sichtweite der Deutschen Welle. Damit ist er räumlich zentral in einen Medienstandort eingebettet, was seine Zugehörigkeit zur (trans-)lokalen Medienlandschaft hervorhebt. Waren im Jahre 2006 für die insgesamt über 296 Sendeanmelder/innen im Rundfunkangebot des OKB noch 19 Mitarbeiter/innen (davon acht Festangestellte, drei Teilzeit-Kräfte und bis zu acht Praktikanten) zuständig, so stieg die Zahl kontinuierlich auf 27 Mitarbeiter/innen, davon 14 weiblichen Geschlechts (Quelle:

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ALEX, Stand: März 2013). Der erste Leiter des OKB, Jürgen Linke, wurde 1987 von der Vorgängerinstitution der MABB bestimmt und war bis 2007 im Amt. Er hat das Leitbild des OKB in seinem über 20-jährigen Bestehen entscheidend geprägt. In Zusammenhang mit den TV-Produzent/innen mit Migrationshintergrund blieb sein Engagement jedoch nicht ohne Widersprüche, wie in Kapitel 9.1.2 näher erläutert wird. Der OKB (Fernsehen) verfügt über einen eigenen Kabelkanal und sendete bereits 1991 zwischen 15 Uhr und Mitternacht Beiträge der Sendegestalter/innen. 2006 gingen die TV-Produktionen zwischen 22 und 2 Uhr nachts auf Sendung und derzeit wird im Vollprogramm, d.h. 24 Stunden täglich, ausgestrahlt. Die TVProduktionen des OKB können von insgesamt ca. 1,1 Mio. Haushalten im Großraum Berlin empfangen werden (vgl. Elektronische Nachricht von Till Reinhold, OKB; Stand: 11.07.2007). Von Juli 2007 bis Februar 2008 wurde der OKB von Till Reinhold kommissarisch geleitet, seither ist Volker Bach für den Offenen Kanal sowie für anschließende die Umstrukturierung und Umbenennung zu ALEX verantwortlich. Seit 2009 ist der OKB zur trimedialen Plattform im Radio, Fernsehen und Internet ausgebaut und im Zuge dessen umgetauft worden. Auch wurde eine feste Programmstruktur eingeführt. Mediengesetz und Organisation Der aus dem Kabelpilotprojekt Berlin hervorgegangene Offene Kanal Berlin (OKB), der seit Mai 2009 unter ALEX firmiert, besteht seit 1986 und ist der einzige OK im Sendegebiet Berlin-Brandenburg. Im Februar 1992 wurde der OKB im „Staatsvertrag über die Zusammenarbeit von Berlin und Brandenburg im Bereich des Rundfunks“ festgeschrieben. Der MStV sieht die Anstaltsgebundenheit der Offenen Kanäle vor. Das bedeutet, dass der MABB die Trägerschaft des OKB obliegt und für dessen „Planung und Durchführung“ verantwortlich ist (MStV § 8 Abs. 6). Die Funktionsbeschreibung des Offenen Kanals lautet: „Offene Kanäle geben ihren Nutzern Gelegenheit zur Darstellung ihrer Anliegen und Meinungen durch selbstgestaltete Beiträge“ (MStV, §42 (1)).

Anders als bei den hessischen Offenen Kanälen wird demnach der Beitrag des OKB zur Meinungsbildung als Leitgedanke der medialen Ergänzung hervorgehoben. Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) agiert auf der Grundlage des Medienstaatsvertrages Berlin-Brandenburg (vgl. Staatsvertrag über die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg im Bereich des Rundfunks (MStV) i.d. Fassung vom 04.12.2006/10.01.2007) und wird wie die meisten anderen Medienanstalten über 2 % der Rundfunkgebühren finanziert, so wurden etwa im Jahre 2007 1,3 Millionen Euro zur Finanzierung der personellen und technischen Infrastruktur aus Rundfunkgebühren aufgewendet (Quelle: OKB, Stand: 11.07.2007).

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Abbildung 3: Organigramm der MABB DĞĚŝĞŶƌĂƚ

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