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German Pages 725 [727] Year 2017
Beiträge zum ausländischen und internationalen Privatrecht
119 Herausgegeben vom
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren:
Jürgen Basedow, Holger Fleischer und Reinhard Zimmermann
Christian A. Heinze
Schadensersatz im Unionsprivatrecht Eine Studie zu Effektivität und Durchsetzung des Europäischen Privatrechts am Beispiel des Haftungsrechts
Mohr Siebeck
Christian A. Heinze, geboren 1976; Studium der Rechtswissenschaft in Münster, Lausanne und Cambridge (LL.M.); 2007 Promotion; 2014 Habilitation; seit 2014 Professor für Bürgerliches Recht und Immaterialgüterrecht, insbesondere Patent- und Markenrecht an der Leibniz Universität Hannover.
e-ISBN PDF 978-3-16-154202-2 ISBN 978-3-16-154201-5 ISSN 0340-6709 (Beiträge zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http:// dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer tung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck papier gedruckt und von der Großbuchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Für Esther
Vorwort Vorwort
Vorwort
Dies ist die überarbeitete und auf den Stand von Mai 2016 aktualisierte Fassung meiner Habilitationsschrift, die im Wintersemester 2013/14 der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg vorlag. Die Erstellung der Arbeit hat mich an den Rand meiner Geduld gebracht. Ob ihr Inhalt dies wert war, mögen die Leser beurteilen. Das Glück, durch ihre Vollendung die Laufbahn des Hochschullehrers einschlagen zu können, war jedenfalls den Einsatz wert. Die Veröffentlichung der Arbeit gibt Anlass, Dank zu sagen. Dieser gilt zunächst meinem akademischen Lehrer Jürgen Basedow. Er hat mir den Freiraum für die eigene wissenschaftliche Entfaltung gelassen und zugleich Rat und Orientierung gegeben. Vor allem hat er mich als Wissenschaftler und als Mensch immer wieder beeindruckt. Ulrich Magnus danke ich für die zügige und freundliche Abfassung des Zweitgutachtens und manchen Zuspruch während des Verfahrens. Mein Dank gilt sodann dem Hamburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht und meinen ehemaligen Kollegen, die zu zahlreich sind, um sie hier sämtlich zu nennen. Ausdrücklich erwähnen möchte ich die Mitstreiter aus meinem Arbeitsbereich, nämlich Anatol Dutta, Matteo Fornasier, Jan Lüttringhaus, Axel Metzger, Hannes Rösler, Giesela Rühl und Wolfgang Wurmnest. Die gemeinsame Zeit mit ihnen hat mich geprägt, und ich bin jedem von ihnen für die vielen Gespräche dankbar, die meinen Weg erleichtert haben. Den Direktoren des Hamburger Max-PlanckInstituts, Jürgen Basedow, Holger Fleischer und Reinhard Zimmermann, danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Beiträge zum ausländischen und internationalen Privatrecht. Danken möchte ich außerdem den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meines Lehrstuhls an der Universität Hannover, Artur Geier, Miriam Martiny, Lukas Pajunk, Theresia Rasche, Björn Steinrötter, Cara Warmuth und Joris Wendorf, die die Mühe des Korrekturlesens und der Erstellung der Verzeichnisse auf sich genommen haben. Für die Unterstützung bei der Produktion dieses Buches danke ich Christian Eckl und Janina Jentz aus dem Hamburger Institut. Dem Deutschen Akademischen Austauschdienst danke ich für die Unterstützung durch ein Post-Doc-Stipendium zu einem Forschungsaufenthalt an der Harvard Law School zu Beginn meines Habilitationsvorhabens.
VIII
Vorwort
Meinen Eltern Roswitha und Thomas Heinze danke ich für Ihre Begleitung und Unterstützung, ohne die ich niemals eine Habilitationsschrift hätte verfassen können. Mein Bruder Stefan Heinze hat mich in Zeiten der Unsicherheit ermutigt, mit mir viele kluge Ideen geteilt und meinen Horizont über das Unionsprivatrecht hinaus erweitert. Die Schrift ist Esther Roffael gewidmet, die viel zu viel gemeinsame Zeit an diese Arbeit verloren hat. Ihr danke ich für mehr, als ich zum Ausdruck bringen kann. Hannover, im Frühjahr 2017
Christian Heinze
Inhaltsübersicht Inhaltsübersicht
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis ........................................................................................ XI Abkürzungsverzeichnis ............................................................................. XXI
Erster Teil: Einführung ........................................................................... 1 § 1 Ausgangslage und Anlass der Untersuchung ......................................... 2 § 2 Ziel, Einbettung und Ansatz der Untersuchung .....................................87 § 3 Gegenstand und Grundbegriffe der Untersuchung .............................. 106
Zweiter Teil: Bestandsaufnahme....................................................... 147 Abschnitt 1: Rahmensetzung durch den Effektivitätsgrundsatz § 4 Kartelldeliktsrecht .............................................................................. 149 § 5 Verbrauchervertragliche Informationspflichten .................................. 249 Abschnitt 2: Rechtsangleichung durch Richtlinien § 6 Reiserecht........................................................................................... 327 § 7 Produkthaftung ................................................................................... 367 Abschnitt 3: Rechtsvereinheitlichung durch Verordnungen § 8 Luftbeförderungsrecht ........................................................................ 433
Dritter Teil : Ergebnisse ....................................................................... 497 § 9 Ergebnisse im Einzelnen .................................................................... 497 § 10 Ergebnisse in Thesen .......................................................................... 634 Literaturverzeichnis .................................................................................... 639 Rechtsprechungsverzeichnis ....................................................................... 679 Sachverzeichnis .......................................................................................... 697
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Vorwort ...................................................................................................... VII Inhaltsübersicht ........................................................................................... IX Abkürzungsverzeichnis ............................................................................. XXI
Erster Teil: Einführung ........................................................................... 1 § 1 Ausgangslage und Anlass der Untersuchung ......................................... 2 I.
II.
Ausgangslage: Die Zersplitterung des Unionsprivatrechts ..................... 2 1. Horizontale Zersplitterung in Einzelrechtsakte .................................. 4 2. Vertikale Zersplitterung durch Trennung von unionalen Rechten und nationalen Rechtsbehelfen ............................................. 6 3. Abhilfe durch allgemeine Grundsätze des Unionsrechts? ..................12 Anlass: Europäische Vorgaben für die Rechtsdurchsetzung..................16 1. Unmittelbare Anwendbarkeit und Durchsetzungsverpflichtung ........18 2. Der sanktionenrechtliche Effektivitätsgrundsatz ...............................20 a) Kompetenz ................................................................................... 26 b) Grundlage und Herleitung ............................................................ 33 aa) Effektivitätsgrundsatz nach Rewe/Comet ...............................35 bb) Gebot wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender Sanktionen ....................................................38 cc) Recht auf effektiven Rechtsschutz .........................................45 c) Verhältnis zum allgemeinen Effektivitätsgebot ............................47 d) Abgrenzung zum Äquivalenzgrundsatz ........................................51 e) Inhalt und Reichweite ................................................................... 54 aa) Anwendungsvoraussetzungen ................................................54 (1) (Faktisch) Unmittelbar wirksames Unionsrecht ...............54 (2) Initiativberechtigung des individuellen Klägers ...............60 (3) Unvollständige Regelung der Sanktionen im Unionsrecht ..................................................................... 60 bb) Kriterien der Effektivität ........................................................63 (1) Bindung an das Unionsrecht im Übrigen .........................67 (2) Bedeutung des durchzusetzenden Unionsrechts ...............69 (3) Bedeutung der gegenläufigen nationalen Norm ...............70
XII
Inhaltsverzeichnis
(4) Person des und Folgen für den betroffenen Einzelnen ........................................................................ 74 cc) Wirkungsweise ...................................................................... 75 dd) Rechtsfolgen .......................................................................... 80 ee) Unmittelbare Wirkung ........................................................... 81 § 2 Ziel, Einbettung und Ansatz der Untersuchung .....................................87 I. Erkenntnisziele der Untersuchung ........................................................87 II. Einbettung in den Stand der Forschung ................................................89 III. Eigener Ansatz ..................................................................................... 92 1. Unionsrechtsimmante Untersuchung.................................................93 2. Rechtsgebietsübergreifende Untersuchung .......................................99 § 3 Gegenstand und Grundbegriffe der Untersuchung ............................. 106 I.
II.
Gegenstand ......................................................................................... 106 1. Drei Einwirkungsformen ................................................................ 106 a) Rahmensetzung durch den Effektivitätsgrundsatz....................... 107 b) Rechtsangleichung durch Richtlinien ......................................... 109 c) Rechtsvereinheitlichung durch Verordnungen ............................ 111 2. Fünf Sachmaterien .......................................................................... 113 3. Zehn Sachfragen ............................................................................. 114 a) Ausgewählte Fragen des Haftungs- und Schadensrechts ............. 114 b) Einbeziehung des Sonderdeliktsrechts und der Vertragshaftung .......................................................................... 118 Grundbegriffe ..................................................................................... 120 1. Schadensersatz ............................................................................... 120 a) Schadensbegriff .......................................................................... 125 aa) Ersatzfähige Einbußen ......................................................... 127 bb) Differenzhypothese .............................................................. 129 b) Schadenszufügung durch Verhalten des Anspruchgegners ......... 131 c) Abgrenzung zu Nachbarmaterien ............................................... 132 aa) Schadensersatz und Bereicherungsausgleich ........................ 133 bb) Schadensersatz und Unterlassung/Beseitigung ..................... 138 cc) Schadensersatz und vertragliches Äquivalenzinteresse......... 142 2. Unionsprivatrecht ........................................................................... 142 a) Begriff ........................................................................................ 142 b) Ausklammerung der Staatshaftung ............................................. 144
Inhaltsverzeichnis
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Zweiter Teil: Bestandsaufnahme....................................................... 147 Abschnitt 1: Rahmensetzung durch den Effektivitätsgrundsatz § 4 Kartelldeliktsrecht .............................................................................. 149 I.
Existenz eines Schadensersatzanspruchs ............................................ 150 1. Begründung des Schadensersatzanspruchs ...................................... 150 2. Rechtsnatur des Schadensersatzanspruchs ...................................... 151 II. Funktionen des Schadensersatzanspruchs ........................................... 161 1. Kompensations- und Präventionsfunktion ....................................... 162 2. Neujustierung durch die Kartellschadensersatzrichtlinie? ............... 166 III. Aktivlegitimation und Initiativberechtigung ....................................... 170 1. Beteiligte des Kartellrechtsverstoßes .............................................. 174 2. Abnehmer ....................................................................................... 176 a) Unmittelbare Abnehmer ............................................................. 176 b) Mittelbare Abnehmer ................................................................. 177 c) Abnehmer von Kartellaußenseitern ............................................ 184 3. Wettbewerber ................................................................................. 190 4. Investoren und Arbeitnehmer der Kartellgeschädigten.................... 191 5. Verbände und qualifizierte Einrichtungen ....................................... 193 IV. Verschulden ....................................................................................... 193 1. Analogie zum Antidiskriminierungsrecht und Vergaberecht? ......... 194 2. Verschuldenshaftung und Effektivitätsgrundsatz ............................ 198 V. Schadensbegriff und Schadensumfang................................................ 205 1. Europäischer oder nationaler Schadensbegriff? .............................. 205 2. Naturalrestitution und Schadenskompensation ................................ 208 3. Schadensumfang ............................................................................. 211 a) Materielle Schäden ..................................................................... 212 aa) Ersatz des Vermögensschadens ............................................ 214 bb) Entgangener Gewinn ............................................................ 217 cc) Verlorene Marktchancen ...................................................... 220 dd) Schadensberechnung anhand des Verletzergewinns? ........... 224 b) Immaterielle Schäden ................................................................. 226 c) Überkompensatorischer Schadensersatz ..................................... 228 VI. Kausalität ........................................................................................... 229 VII. Mitwirkende Verursachung ................................................................ 231 1. Anspruchsausschluss bei erheblicher Mitverantwortung ................. 231 2. Anspruchsminderung bei Mitverschulden ....................................... 231 VIII. Begrenzung des Schadensersatzes ...................................................... 233 1. Gesetzliche Begrenzung des Schadensersatzes ............................... 233 2. Vertragliche Begrenzung des Schadensersatzes .............................. 233 3. Vorteilsausgleichung und Bereicherungsverbot .............................. 234
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Inhaltsverzeichnis
IX. Verjährung und Ausschlussfristen ...................................................... 237 1. Verjährungsbeginn ......................................................................... 238 2. Verjährungsfrist .............................................................................. 241 3. Verjährungshemmung ..................................................................... 242 4. Absolute Verjährung....................................................................... 243 5. Ergebnisse ...................................................................................... 244 X. Verzinsung ......................................................................................... 245 § 5 Verbrauchervertragliche Informationspflichten.................................. 249 I.
II. III. IV. V.
VI. VII.
Existenz eines Schadensersatzanspruchs ............................................ 253 1. Keine ausdrückliche Regelung von Schadensersatzansprüchen....... 253 2. Schadensersatzansprüche kraft Effektivitätsgebots ......................... 258 a) Vorrang des Widerrufsrechts? .................................................... 259 b) Folgen fehlerhafter Widerrufsbelehrung ..................................... 263 aa) Belehrungsmängelhaftung.................................................... 263 bb) Relevanz im geltenden Verbrauchervertragsrecht ................ 268 c) Allgemeine Verpflichtung zur individualrechtlichen Sanktionierung von Informationspflichtverletzungen ................. 272 d) Abstimmung auf den Zweck der Informationspflicht .................. 281 aa) Kein Schadensersatz ohne Vertragsschluss .......................... 282 bb) Kein Schadensersatz ohne Verbrauchernachteil ................... 283 cc) Vertragsaufhebung als Schadensersatz ................................. 288 dd) Ersatz von Begleitschäden ................................................... 292 ee) Ergebnisse ........................................................................... 293 Funktionen des Schadensersatzanspruchs ........................................... 293 Aktivlegitimation und Initiativberechtigung ....................................... 298 Verschulden ....................................................................................... 299 Schadensbegriff und Schadensumfang ................................................ 301 1. Europäischer oder nationaler Schadensbegriff? .............................. 301 2. Naturalrestitution und Schadenskompensation ................................ 301 3. Schadensumfang ............................................................................. 302 a) Materielle Schäden: Belehrungsmängelhaftung .......................... 303 b) Materielle Schäden: Sonstige Informationspflichten ................... 306 aa) Vertragsaufhebung ............................................................... 306 bb) Vertragsanpassung? ............................................................. 307 cc) Ersatz von Folge- und Begleitschäden ................................. 308 c) Immaterielle Schäden ................................................................. 309 d) Überkompensatorischer Schadensersatz ..................................... 310 Kausalität ........................................................................................... 310 1. Belehrungsmängelhaftung .............................................................. 310 2. Andere Informationspflichtverletzungen ......................................... 315 Mitwirkende Verursachung ................................................................ 319
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VIII. Begrenzung des Schadensersatzes ...................................................... 321 1. Gesetzliche Begrenzung des Schadensersatzes ............................... 321 2. Vertragliche Begrenzung des Schadensersatzes .............................. 321 3. Vorteilsausgleichung und Bereicherungsverbot .............................. 322 IX. Verjährung und Ausschlussfristen ...................................................... 323 X. Verzinsung ......................................................................................... 324 Abschnitt 2: Rechtsangleichung durch Richtlinien § 6 Reiserecht........................................................................................... 327 I. II. III. IV. V.
Existenz eines Schadensersatzanspruchs ............................................ 335 Funktionen des Schadensersatzanspruchs ........................................... 338 Aktivlegitimation und Initiativberechtigung ....................................... 343 Verschulden ....................................................................................... 345 Schadensbegriff und Schadensumfang................................................ 350 1. Europäischer oder nationaler Schadensbegriff? .............................. 351 2. Naturalrestitution und Schadenskompensation ................................ 353 3. Schadensumfang ............................................................................. 353 a) Materielle Schäden ..................................................................... 354 b) Immaterielle Schäden ................................................................. 355 c) Überkompensatorischer Schadensersatz ..................................... 359 VI. Kausalität ........................................................................................... 360 VII. Mitwirkende Verursachung ................................................................ 361 1. Mitverursachung des Geschädigten................................................. 361 2. Mitverursachung Dritter ................................................................. 363 VIII. Begrenzung des Schadensersatzes ...................................................... 364 1. Gesetzliche Begrenzung des Schadensersatzes ............................... 364 2. Vertragliche Begrenzung des Schadensersatzes .............................. 365 3. Vorteilsausgleichung und Bereicherungsverbot .............................. 366 IX. Verjährung und Ausschlussfristen ...................................................... 366 X. Verzinsung ......................................................................................... 367 § 7 Produkthaftung ................................................................................... 367 I. II.
Existenz eines Schadensersatzanspruchs ............................................ 370 Funktionen des Schadensersatzanspruchs ........................................... 371 1. Verbraucherschutz durch Wiedergutmachung von Schäden ............ 372 2. Handelserleichterung und unverfälschter Wettbewerb .................... 374 3. Geordnete Rechtspflege .................................................................. 378 4. Produktinnovation .......................................................................... 379 5. Prävention ...................................................................................... 380 6. Ergebnis ......................................................................................... 383
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Inhaltsverzeichnis
III. Aktivlegitimation und Initiativberechtigung ....................................... 383 IV. Verschulden ....................................................................................... 385 V. Schadensbegriff und Schadensumfang................................................ 393 1. Europäischer oder nationaler Schadensbegriff? .............................. 394 2. Naturalrestitution und Schadenskompensation ................................ 399 3. Schadensumfang ............................................................................. 400 a) Materielle Schäden ..................................................................... 401 aa) Körperschäden ..................................................................... 402 bb) Sachschäden ........................................................................ 405 cc) Vermögensfolgeschäden ...................................................... 411 b) Immaterielle Schäden ................................................................. 415 c) Überkompensatorischer Schadensersatz ..................................... 417 VI. Kausalität ........................................................................................... 417 VII. Mitwirkende Verursachung ................................................................ 422 1. Mitverursachung des Geschädigten................................................. 422 2. Mitverursachung Dritter ................................................................. 423 VIII. Begrenzung des Schadensersatzes ...................................................... 424 1. Gesetzliche Begrenzung des Schadensersatzes ............................... 424 2. Vertragliche Begrenzung des Schadensersatzes .............................. 427 3. Vorteilsausgleichung und Bereicherungsverbot .............................. 428 IX. Verjährung und Ausschlussfrist .......................................................... 428 1. Subjektive Verjährung .................................................................... 429 2. Objektive Ausschlussfrist ............................................................... 429 X. Verzinsung ......................................................................................... 432 Abschnitt 3: Rechtsvereinheitlichung durch Verordnungen § 8 Luftbeförderungsrecht ........................................................................ 433 I.
Existenz eines Schadensersatzanspruchs ............................................ 434 1. Übereinkommen von Montreal ....................................................... 434 2. Fluggastrechteverordnung 261/2004 ............................................... 436 3. Verhältnis und Rechtsnatur der Ansprüche ..................................... 440 II. Funktionen des Schadensersatzanspruchs ........................................... 447 1. Übereinkommen von Montreal ....................................................... 449 2. Fluggastrechteverordnung 261/2004 ............................................... 449 III. Aktivlegitimation und Initiativberechtigung ....................................... 454 1. Übereinkommen von Montreal ....................................................... 454 2. Fluggastrechteverordnung 261/2004 ............................................... 456 IV. Verschulden ....................................................................................... 462 1. Übereinkommen von Montreal ....................................................... 462 2. Fluggastrechteverordnung 261/2004 ............................................... 464
Inhaltsverzeichnis
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V.
Schadensbegriff und Schadensumfang................................................ 468 1. Europäischer oder nationaler Schadensbegriff? .............................. 468 2. Naturalrestitution und Schadenskompensation ................................ 469 3. Schadensumfang ............................................................................. 470 a) Materielle Schäden ..................................................................... 470 aa) Übereinkommen von Montreal............................................. 470 bb) Fluggastrechteverordnung 261/2004 .................................... 472 b) Immaterielle Schäden ................................................................. 473 aa) Übereinkommen von Montreal............................................. 473 bb) Fluggastrechteverordnung 261/2004 .................................... 477 c) Überkompensatorischer Schadensersatz ..................................... 478 VI. Kausalität ........................................................................................... 479 1. Übereinkommen von Montreal ....................................................... 479 2. Fluggastrechteverordnung 261/2004 ............................................... 481 VII. Mitwirkende Verursachung ................................................................ 481 1. Übereinkommen von Montreal ....................................................... 481 2. Fluggastrechteverordnung 261/2004 ............................................... 483 VIII. Begrenzung des Schadensersatzes ...................................................... 485 1. Gesetzliche Begrenzung des Schadensersatzes ............................... 485 2. Vertragliche Begrenzung des Schadensersatzes .............................. 485 3. Vorteilsausgleichung und Bereicherungsverbot .............................. 486 IX. Verjährung und Ausschlussfristen ...................................................... 492 X. Verzinsung ......................................................................................... 494
Dritter Teil: Ergebnisse ....................................................................... 497 § 9 Ergebnisse im Einzelnen ..................................................................... 497 I.
Existenz eines Schadensersatzanspruchs ............................................ 497 1. Begründung ungeschriebener Schadensersatzansprüche ................. 500 a) Primärrecht und Verordnungen .................................................. 500 aa) Wettbewerbsregeln und Verordnungen ................................ 500 bb) Grundfreiheiten .................................................................... 502 cc) Ergebnis ............................................................................... 503 b) Richtlinien .................................................................................. 503 aa) Verbrauchervertragsrecht ..................................................... 504 bb) Antidiskriminierungsrecht.................................................... 508 cc) Ergebnis ............................................................................... 514 c) Gesamtergebnis .......................................................................... 515 aa) Regelvermutung der privaten Durchsetzbarkeit.................... 515 bb) Keine grundsätzliche Ausnahme für Richtlinien .................. 516 2. Voraussetzungen ungeschriebener Schadensersatzansprüche .......... 518
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Inhaltsverzeichnis
a) Unmittelbare Wirkung der verletzten Primärnorm ...................... 518 aa) Primärrecht und Verordnungen ............................................ 518 bb) Richtlinien ........................................................................... 518 b) Anspruchsberechtigung des individuellen Anspruchstellers ....... 520 c) Beeinträchtigung der praktischen Wirksamkeit der Primärnorm bei Nichtdurchsetzung durch Schadensersatzansprüche ........................................................... 521 3. Grenzen ungeschriebener Schadensersatzansprüche ....................... 524 a) Kein materieller Schutz durch die verletzte Primärnorm ............ 524 b) Hinreichende Effektivität durch behördliche Durchsetzung? ...... 526 c) Verhältnis zum zivilrechtlichen Primärrechtsschutz ................... 532 aa) Primärrechtsschutz als Ergänzung des Schadensersatzes ...... 533 bb) Primärrechtsschutz als Ersetzung des Schadensersatzes ....... 535 cc) Europäisches Lauterkeitsrecht als Gegenbeispiel? ............... 535 d) Derogation durch Sekundärrecht ................................................ 538 II. Funktionen des Schadensersatzanspruchs ........................................... 539 1. Kompensation ................................................................................. 539 2. Prävention und Rechtsdurchsetzung ............................................... 541 a) Grenzen der Prävention .............................................................. 546 b) Verhältnis von Prävention und Rechtsdurchsetzung ................... 548 3. Verhältnis von Kompensation und Prävention ................................ 549 4. Sonstige Funktionen ....................................................................... 554 III. Aktivlegitimation und Initiativberechtigung ....................................... 555 1. Die Klagebefugnis im europäisierten Verwaltungsrecht ................. 555 2. Zivilrechtliche Rezeption ................................................................ 558 3. Kritik .............................................................................................. 559 a) Fehlender Haftungsrechtsbezug .................................................. 559 b) Friktionen mit dem geltenden Unionsprivatrecht ........................ 561 4. Eigener Ansatz: Differenzierung anhand des Normzwecks ............. 562 a) Individualschützende Normen .................................................... 563 b) Kollektivschützende Normen ..................................................... 565 c) Wettbewerbsschützende Normen ................................................ 568 aa) Europäisches Lauterkeitsrecht.............................................. 568 bb) Europäisches Kartellrecht .................................................... 570 cc) Grenzen ............................................................................... 572 IV. Verschulden ....................................................................................... 573 V. Schaden .............................................................................................. 579 1. Europäischer oder nationaler Schadensbegriff ................................ 579 2. Naturalrestitution und Schadenskompensation ................................ 583 3. Schadensumfang ............................................................................. 585 a) Materielle Schäden ..................................................................... 589 aa) Körperschäden ..................................................................... 589 bb) Sachschäden ........................................................................ 590
Inhaltsverzeichnis
XIX
cc) Vermögensschäden .............................................................. 591 b) Immaterielle Schäden ................................................................. 595 c) Überkompensatorischer Schadensersatz ..................................... 602 VI. Kausalität ........................................................................................... 603 1. Europäischer oder nationaler Kausalitätsbegriff.............................. 604 2. Konkretisierung des Kausalzusammenhangs ................................... 605 VII. Mitwirkende Verursachung ................................................................ 609 1. Mitverursachung des Geschädigten................................................. 609 2. Mitverursachung Dritter ................................................................. 611 VIII. Begrenzung des Schadensersatzes ...................................................... 612 1. Gesetzliche Begrenzung des Schadensersatzes ............................... 612 2. Vertragliche Begrenzung des Schadensersatzes .............................. 614 3. Vorteilsausgleichung und Bereicherungsverbot .............................. 616 IX. Verjährung und Ausschlussfristen ...................................................... 618 1. Ausschlussfristen im geschriebenen Unionsrecht ............................ 618 2. Ausschlussfristen und Effektivitätsgrundsatz .................................. 621 a) Dauer der Frist ........................................................................... 621 b) Beginn der Frist.......................................................................... 625 c) Kontextabhängigkeit der Frist .................................................... 628 X. Verzinsung ......................................................................................... 631 § 10 Ergebnisse in Thesen .......................................................................... 634 Literaturverzeichnis .................................................................................... 639 Rechtsprechungsverzeichnis ....................................................................... 679 I. Europäische Gerichte ...................................................................... 679 II. Deutsche Gerichte .......................................................................... 693 III. Internationale und ausländische Gerichte ............................................. 695 Sachverzeichnis .......................................................................................... 697
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. ABl. Abs. AcP ADD a. E. AEUV a. F. AG AGB AktG Alt. Anm. AöR Art. AWD
andere Auffassung am angegebenen Ort Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft/Union Absatz Archiv für die civilistische Praxis Arbetsdomstolens domar am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Amtsgericht, Aktiengesellschaft Allgemeine Geschäftsbedingungen Aktiengesetz Alternative Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters
BAG BB BeckRS BGB BGBl. BGH BGHZ BKR BT-Drs. BVerfG bzw.
Bundesarbeitsgericht Betriebs-Berater Elektronische Entscheidungsdatenbank in beck-online Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht beziehungsweise
CAT c.i.c. CLJ CMLR
Competition Appeal Tribunal culpa in contrahendo Cambridge Law Journal Common Market Law Review
DB ders. DCFR d. h.
Der Betrieb derselbe Draft Common Frame of Reference das heißt
XXII
Abkürzungsverzeichnis
dies. DÖV DVBl.
dieselbe(n) Die Öffentliche Verwaltung Deutsches Verwaltungsblatt
EC ECJ ECU EEC EG EGKS EGMR Einf Einl EJLR EL ELR ERCL ERPL ErwG etc. EU EuG EuGH EuR EUV euvr EuZW EWCA civ. EWG EWS
European Community European Competition Journal, European Court of Justice European Currency Unit European Economic Community Europäische Gemeinschaft Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einführung Einleitung European Journal of Law Reform Ergänzungslieferung European Law Review European Review of Contract Law European Review of Private Law Erwägungsgrund et cetera Europäische Union Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften/Gericht Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft/Union Europarecht Vertrag über die Europäische Union Zeitschrift für Europäisches Unternehmens- und Verbraucherrecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht England and Wales Court of Appeal, Civil Division Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht
f. ff. Fn. FS
folgende/r (Singular) folgende (Plural) Fußnote Festschrift
ggf. GmbH GPR GRUR GRUR Int. GS
gegebenenfalls Gesellschaft mit beschränkter Haftung Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Internationaler Teil Gedächtnisschrift
Hrsg.
Herausgeber
i. d. F. i. d. R. i. e. i. e. S.
in der Fassung in der Regel id est im engeren Sinne
Abkürzungsverzeichnis
XXIII
IMO Inc. IPR i. S. d. i. V. m. i. w. S.
International Maritime Organization Incorporated Internationales Privatrecht im Sinne des/der in Verbindung mit im weiteren Sinne
JETL Jura JZ
Journal of European Tort Law Juristische Ausbildung Juristenzeitung
Kap. Kfz KG KOM
Kapitel Kraftfahrzeug Kammergericht Für die anderen Unionsorgane bestimmte Dokumente der Europäischen Kommission
LG LMK LQR lit. Ltd.
Landgericht Beck-Fachnachrichtendienst Zivilrecht (Lindenmaier-Möhring) Law Quarterly Review litera Limited Company
MDR MMR MünchKommBGB MünchKomm Lauterkeitsrecht MünchKomm WettbR m. w. N.
Monatsschrift für Deutsches Recht Multimedia und Recht Münchener Kommentar zum BGB Münchener Kommentar zum Lauterkeitsrecht
n. F. NJOZ NJW NJW-RR No. Nr. NVwZ N.Y.U.L. Rev. NZBau NZM NZG NZKart
neue Fassung Neue Juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift, Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Number Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht New York University Law Review Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Kartellrecht
OGH OLG
Oberster Gerichtshof Oberlandesgericht
Münchener Kommentar zum Europäischen und Deutschen Wettbewerbsrecht mit weiteren Nachweisen
XXIV
Abkürzungsverzeichnis
PETL Pkw PRIIP
Principles of European Tort Law Personenkraftwagen Packaged Retail and Insurance-Based Investment Products
RabelsZ RdE RIW Rn. RRa Rs.
Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Recht der Energiewirtschaft Recht der Internationalen Wirtschaft Randnummer ReiseRecht Aktuell Rechtssache
S. SEC SEK
sog.
Satz, Seite Diverse Dokumente der Europäischen Kommission Ursprünglich interne Arbeitsdokumente der Europäischen Kommission Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts Erster Instanz so genannt(e/er)
TranspR
Transportrecht
u.a. UAbs. UKSC U.S. USA usw. u. U.
unter anderem, und andere Unterabsatz United Kingdom Supreme Court United States Reports United States of America und so weiter unter Umständen
v. verb. Rs. VersR VerwArch vgl. VO VuR
versus verbundene Rechtssachen Versicherungsrecht Verwaltungsarchiv vergleiche Verordnung Verbraucher und Recht
WBl WM WRP WuW WuW/E DE-R, BGH
Wirtschaftsrechtliche Blätter Wertpapier-Mitteilungen Wettbewerb in Recht und Praxis Wirtschaft und Wettbewerb Wirtschaft und Wettbewerb, Entscheidungssammlungen zum Kartellrecht
ZaöRV z. B. ZEuP ZEuS
Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Europarechtliche Studien
Slg.
Abkürzungsverzeichnis ZfRV ZGE ZGR ZGS ZHR Ziff. ZIP ZLW ZPO ZRP z. T. ZUM ZVglRWiss ZVR ZWeR ZZP
XXV
Zeitschrift für Europarecht, internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung Zeitschrift für Geistiges Eigentum Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Schuldrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Luft- und Weltraumrecht Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik zum Teil Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Verkehrsrecht Zeitschrift für Wettbewerbsrecht Zeitschrift für Zivilprozeß
Erster Teil
Einführung Erster Teil: Einführung
Der Anspruch auf Schadensersatz zählt zum Kern der Rechtsordnung. Schaden und Ausgleich, Verletzung und Vorbeugung, Unrecht und Wiedergutmachung sind zentrale Kategorien jeder rechtsstaatlichen Ordnung, die den Ausgleich von Schäden durch den Verursacher als Gebot der Gerechtigkeit ansieht.1 Die folgende Arbeit widmet sich diesem Anspruch aus der Perspektive des Privatrechts der Europäischen Union. Sie wurde geschrieben vor der Ausgangslage einer horizontalen und vertikalen Zersplitterung des Unionsprivatrechts, insbesondere der Regeln zu seiner Durchsetzung, die bisher nicht durch allgemeine Grundsätze des Schadensersatzes auf europäischer Ebene überwunden wird (zur Ausgangslage § 1 I → S. 2). Gleichzeitig bietet sich mit der richterrechtlichen Konturierung europäischer Standards für die Rechtsdurchsetzung durch den Effektivitätsgrundsatz und der zunehmenden sekundärrechtlichen Angleichung von Schadensersatznormen ein Anlass für eine übergreifende unionsprivatrechtliche Untersuchung (zum Anlass § 1 II → S. 16). Vor diesem Hintergrund verfolgt die Arbeit mit einer unionsrechtsimmanenten Untersuchung des Schadensersatzes (zum Ansatz § 2 III → S. 92) das Ziel, den Bestand des Unionsrechts zu ordnen, die Vorgaben des Unionsprivatrechts für die Regelung der Rechtsfolge Schadensersatz in den Mitgliedstaaten zu beschreiben, die rechtsdogmatischen Folgen der Indienstnahme des Schadensersatzanspruchs als Instrument zur dezentralen Durchset1 Vgl. Aristoteles Nikomachische Ethik 1131a ff.; ferner die Nachweise in den Schlussanträgen der Generalanwältin Trstenjak vom 5.7.2012, Rs. C-300/10, ECLI:EU:C:2012: 414 Rn. 1 – Almeida: „Der Gedanke der Wiedergutmachung entspringt dem Streben nach Gerechtigkeit, wie es bereits in der Philosophie der griechischen Antike als Ideal begriffen wurde. So findet sich etwa bei Platon die Überlegung einer über das Strafrecht hinausweisenden Wiedergutmachung aller zugefügten Schäden.“ Ausführlich zum Begriff der ausgleichenden Gerechtigkeit bei Aristoteles Jansen Die Struktur des Haftungsrechts (2003) S. 77 ff.; Canaris Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht (1997) S. 30 f.; Wendehorst Anspruch und Ausgleich (1999) S. 15; zur Einordnung speziell der Gefährdungshaftung auch Honsell FS Mayer-Maly (2002) 287, 301; zur Zuordnung des Unionsprivatrechts zur iustitia commutativa oder iustitia distributiva Steindorff ZHR 162 (1998) 290, 308: „Verstärken des Verbraucherschutzes im neugefaßten Art. 129a EGV könnte bedeuten, daß Kartell- und Zivilrecht vermehrt der iustitia distributiva dienstbar zu machen sind, zum Schaden des Privatrechts, mindestens des Vertragsrechts und der Wettbewerbsordnung.“
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§ 1 Ausgangslage und Anlass der Untersuchung
zung des Unionsprivatrechts durch Private auszuloten und die Bemühungen um Kohärenz der Unionsrechtsordnung auf dem Gebiet des Schadensersatzes zu stärken (zu den Zielen § 2 I → S. 87). Zu diesem Zweck wurden drei Einwirkungsformen des Unionsprivatrechts (dazu § 3 I 1 → S. 106), fünf Sachmaterien (dazu § 3 I 2 → S. 113) und zehn Sachfragen ausgewählt (dazu § 3 I 3 → S. 114, um sich dem Begriff des Schadensersatzes im Unionsprivatrecht (dazu § 3 II → S. 120) anzunähern und zu ausgewählten Sachfragen übergreifende Ergebnisse zu formulieren (zusammenfassend § 9 → S. 497).
§ 1 Ausgangslage und Anlass der Untersuchung § 1 Ausgangslage und Anlass der Untersuchung
I.
Ausgangslage: Die Zersplitterung des Unionsprivatrechts
Mehr als ein halbes Jahrhundert nach ihren Anfängen hat die Gesetzgebung der Europäischen Union heute im Privatrecht eine beachtliche Breite und Tiefe erreicht.2 Mindestens 60 Prozent der auf dem Gebiet des Wirtschaftsrechts verabschiedeten Gesetze sollen sich inzwischen direkt oder indirekt auf in Brüssel und Straßburg getroffene Entscheidungen zurückführen lassen.3 Vom Internethandel bis zur Bankenregulierung, von der Gleichbehandlung der Geschlechter bis zum Schutz des Wettbewerbs vor Verfälschungen – zahlreiche der Gegenwartsprobleme des Privatrechts lassen sich nicht mehr ohne Blick in das europäische Amtsblatt erörtern. Allerdings unterscheidet sich die Rechtsordnung der Union4 in ihrer Struktur grundlegend von den nationalen Rechtsordnungen.5 Während in den Mit2 Siehe nur Basedow AcP 210 (2010) 157, 166: „Zahl der [ausschließlich privatrechtlichen] Rechtsakte dürfte zurzeit bei ungefähr 90 liegen“. Als erste privatrechtliche Richtlinien werden häufig die Produkthaftungsrichtlinie 85/374 und die Haustürwiderrufsrichtlinie 85/577 (ab 13.6.2014 aufgegangen in der Richtlinie 2011/83 über die Rechte der Verbraucher) genannt, siehe Magnus ZEuP 1998, 602, 607; Jansen in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.) Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts I (2009) 548, 550; ders. in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.) The Max Planck Encyclopedia of European Private Law I (2012) 637, 638. Im Sonderprivatrecht (Wettbewerbs-, Gesellschafts- und Arbeitsrecht) finden sich erste europäische Regeln bereits seit den fünfziger und sechziger Jahren, siehe Art. 85 Abs. 2 EWG-Vertrag, Art. 7 der Ersten Gesellschaftsrechtsrichtlinie 68/151 oder Art. 3–6 der Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207, dazu Basedow in: Basedow/Hopt/ Zimmermann (Hrsg.) Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts I (2009) 680, 681. 3 Regelmäßig kursieren Zahlen von 60–80 % der wirtschaftsrelevanten Gesetzgebung, die durch die EU beeinflusst seien, näher Hoppe EuZW 2009, 168, 169; Rösler EJLR 11 (2009) 305, 311 f. 4 Zu ihrer Eigenständigkeit grundlegend EuGH 15.7.1964, Rs. 6/64, Slg 1964, 1141, 1269 – Costa/E.N.E.L.; siehe auch bereits EuGH 6.4.1962, Rs. 13/61, Slg. 1962, 91, 110 – Bosch: innerstaatliches Recht und Recht der Gemeinschaft „zwei selbständige, voneinander verschiedene Rechtsordnungen“. Zum Verständnis von Unionsrecht und nationalem Recht als einheitliche Rechtsordnung oder als unterschiedliche Rechtsordnungen zusam-
I. Ausgangslage: Die Zersplitterung des Unionsprivatrechts
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gliedstaaten durch die Kodifikationen wie das Bürgerliche Gesetzbuch, die Nebengesetze oder zumindest das Richterrecht (general common law)6 eine weitgehend vollständige Regelung durch denselben Hoheitsträger erreicht wird, ist die europäische Gesetzgebung infolge der Bindung ihrer Kompetenzen an einzelne Politikfelder (z. B. Binnenmarktintegration) zwangsläufig fragmentarisch und unvollständig.7 Im Unterschied zu den gewachsenen nationalen Rechtsordnungen fehlt es auf europäischer Ebene insbesondere an einem Konzept übergreifender Ordnung und systematischer Gesetzgebung.8 Stattdessen findet sich als Folge der Bindung der Gesetzgebungskompetenzen der Union an konkrete Politikfelder (z. B. Binnenmarktintegration, Verbraucherschutz, Datenschutz, Kampf gegen Diskriminierung) 9 eine sektorbezogemenfassend Kruis Der Anwendungsvorrang des EU-Rechts in Theorie und Praxis (2013) S. 5 ff. Mit der Aussage zur Eigenständigkeit des Unionsrechts soll hier keine Aussage zu seinem Geltungsgrund getroffen werden, insbesondere nicht die Bedeutung des nationalen Rechtsanwendungsbefehls negiert werden. 5 Zum Ideal der traditionellen Kodifikationen Zimmermann ERCL 8 (2012) 367, 372: „This ideal of completeness has three dimensions: codification should not contain gaps; it should replace the general law prevailing before its enactment and thus constitute the new ‘epicentre’ of the system of sources of law.“ Zu den Konsequenzen der Europäisierung für die Zivilrechtsdogmatik Podszun Wirtschaftsordnung durch Zivilgerichte (2014) S. 275 f.: Zusammenwachsen von Öffentlichem Recht und Privatrecht, geringere systematische Kohärenz des Unionsprivatrechts, Neigung zum Informationsmodell, aber (279): „Systematik des Zivilrechts [bleibt] trotz der europäischen Impulse vom nationalen Gesetzgeber determiniert […], solange dieser die Umsetzungsprärogative hat“, „bestenfalls kleinere Akzentverschiebungen“. 6 Auch in den USA, wo mit Erie v. Tompkins, 304 U.S. 64, 78 (1938) die Aufgabe des Konzepts eines general Federal common law assoziiert wird, steht für die Durchsetzung bundesrechtlich gewährleisteter Rechte (z. B. aus dem Kartellrecht, dem Immaterialgüterrecht oder dem Antidiskriminierungsrecht) ein specialized Federal common law zur Verfügung, das z. T. das Recht des Bundesstaates vollständig verdrängen kann („field preemption“), dazu Friendly N.Y.U.L.Rev. 39 (1964) 383, 405, 421 f. 7 Basedow AcP 210 (2010) 157, 166 f.: „Ein System des Unionsprivatrechts muss daher von den […] Gesetzgebungsgrundlagen im Vertrag ausgehen […]. Das sich aus einem solchen Ansatz ergebende System würde sich grundlegend von traditionellen Konzepten unterscheiden, etwa von der Dreiteilung des französischen Code Civil oder der Einteilung des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches nach dem Pandektensystem“; Podszun Wirtschaftsordnung durch Zivilgerichte (2014) S. 278: „lässt das europäisch initiierte Privatrecht die Kohärenz eines dogmatisch durchdrungenen, systematisch vereinheitlichten Zugriffs (noch) vermissen“; Wilman Private enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 10.39. Es ist bezeichnend, dass das Unionsrecht den Begriff der „kodifizierten Fassung“ für die bloße Rechtskonsolidierung einer Richtlinie verwendet, siehe etwa die „kodifizierte Fassung“ der Softwarerichtlinie 2009/24. 8 Zu diesem Befund im Haftungs- und Schadensrecht Koziol/Schulze in: Koziol/ Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 23/6 ff. 9 Basedow AcP 210 (2010) 157, 164, 167; vgl. auch Micklitz GPR 2009, 254, 255: „Regulierungsprivatrecht“.
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§ 1 Ausgangslage und Anlass der Untersuchung
ne Gesetzgebung,10 deren horizontale und vertikale Zersplitterung in besonderer Weise die zivilrechtlichen Rechtsfolgen und Sanktionen11 einschließlich des Schadensersatzes betrifft.12 1. Horizontale Zersplitterung in Einzelrechtsakte Auf horizontaler Ebene, also innerhalb des Unionsrechts, mangelt es insbesondere an übergreifenden Vorschriften, die allgemeine zivilrechtliche Fragen wie die Frage nach Art und Umfang des Schadensersatzes beantworten.13 Stattdessen ist die Gesetzgebung durch eine Fülle von benachbarten Einzelvorschriften gekennzeichnet, die ähnliche oder identische Fragen jeweils beschränkt für 10 Vgl. die Beispiele in der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat – Ein kohärenteres Europäisches Vertragsrecht – Ein Aktionsplan KOM(2003) 68 Rn. 16 ff., 20 (zum Schadensbegriff); Zimmermann ECRL 8 (2012) 367, 386. Zur Zersplitterung supranationaler Rechtssetzung bereits Kötz FS Zweigert (1981) 481, 485: „Inseln in einem Meer nationaler Rechtsordnungen“; ders. RabelsZ 50 (1986) 1, 5: „pointillistisch“. Zur Kritik der Rechtssetzung im Finanzsektor auch Parmentier BKR 2013, 133, 141. 11 Soweit im Folgenden der Begriff der „Sanktion“ verwendet wird, bezeichnet dies – im Einklang mit der Praxis des Gerichtshofs – auch zivilrechtliche Rechtsfolgen wie den Schadensersatz, vgl. EuGH 10.4.1984, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 Rn. 23 – von Colson und Kamann (Schadensersatz); EuGH 7.1.2004, Rs. C-60/02, Slg. 2004, I-651 Rn. 60 – Strafverfahren gegen X: „zivilrechtliche Sanktionen bei Markenverletzung“; EuGH 26.4.2007, Rs. C-348/04, Slg. 2007, I-3391 Rn. 57 ff. – Boehringer Ingelheim; EuGH 10.12.2015, Rs. C-594/14, ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 24 – Kornhaas (persönliche gesamtschuldnerische Haftung); zum Begriff Böse Strafen und Sanktionen im Europäischen Gemeinschaftsrecht (1996) S. 49 ff.; für eine Beschränkung des Sanktionsbegriffs auf Maßnahmen mit „repressiv-punitiver Wirkung“ demgegenüber Bitter Die Sanktion im Recht der Europäischen Union (2011) S. 243: „Die Sanktion im Recht der Europäischen Union ist eine ein Rechtssubjekt belastende hoheitliche Reaktion auf ein unionsrechtswidriges Verhalten, die eine repressiv-punitive Wirkung entfalten soll und über die bloße (Wieder-)Herstellung des rechtmäßigen Zustands und die Kompensation verwirklichter Schäden hinausgeht.“ 12 Koziol in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 5, 6: „keine Rechtsordnung sondern eine Rechtsunordnung“. Siehe auch Magnus ZEuP 1998, 602, 606, der im Deliktsrecht sogar einen größeren Angleichungsbedarf als im Vertragsrecht sieht, weil eine vorherige Einigung auf das anwendbare Recht im Regelfall ausgeschlossen ist. 13 Vgl. die Schlussanträge des Generalanwalts Léger vom 12.2.2004, Rs. C-397/02, Slg. 2004, I-7947 Rn. 34 – Clinique La Ramée: „So gibt es bis heute keine gemeinschaftsrechtliche Vorschrift, die für die gesamte Gemeinschaft die Haftungsvoraussetzungen und die Regeln festlegt, nach denen sich der ersatzfähige Schaden bemisst“; Magnus in: Schulze (Hrsg.) Common Frame of Reference and Existing EC Contract Law2 (2009) 211, 212: „acquis is still patchwork, that it is fragmentary and not very consistent; this is particularly true with respect to the law of damages“; Karner in: Karlsruher Forum 2015: Europäisierung des Haftungs- und des Versicherungsvertragsrechts (2016) 116: „Patchworksystem“ mit „Schutzlücken und Wertungswidersprüchen“.
I. Ausgangslage: Die Zersplitterung des Unionsprivatrechts
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einen einzelnen Rechtsakt regeln.14 So finden sich unterschiedliche und teilweise überlappende Einzelregeln zum Schadensersatz nicht nur in benachbarten Rechtsakten wie der Pauschalreiserichtlinie 90/314 (nunmehr RL 2015/ 2302) und der Fluggastrechteverordnung 261/2004, selbst innerhalb einheitlicher Sachbereiche fehlt es an einer einheitlichen Regelung der Sanktionen. So wird beispielsweise eine Materie wie das europäische Antidiskriminierungsrecht in mindestens fünf (privatrechtliche) Richtlinien15 mit zum Teil identischen, zum Teil abweichenden16 Rechtsfolgenanordnungen zerlegt, ohne dass überzeugende Sachargumente für diese Regelungstechnik ersichtlich wären.17 Erst recht mangelt es im Unionsprivatrecht an einer rechtgebietsübergreifenden Regelung von grundlegenden Fragen. Die Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden18 wird beispielsweise in Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums ausdrücklich angeordnet,19 in Art. 9 Satz 2 der Produkthaftungsrichtlinie 85/374 ausdrücklich ausZum Haftungsrecht N. Reich ZEuS 2002, 143: „wuchernde Partikularität“; Wilman Private enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 10.37 f. 15 Art. 7, 15 RL 2000/43; Art. 9, 17 RL 2000/78; Art. 8, 14 RL 2004/113; Art. 17, 18 RL 2006/54; Art. 9, 10 RL 2010/41. 16 Während die Richtlinien zum Verbot der Geschlechterdiskriminierung ausdrückliche Haftungsvorschriften vorsehen (Art. 8 Abs. 2 RL 2004/113; Art. 18 RL 2006/54; Art. 10 RL 2010/41), beschränken sich die anderen auf allgemeine Sanktionsklauseln (Art. 7, 15 RL 2000/43; Art. 9, 17 RL 2000/78), dazu G. Wagner/Potsch JZ 2006, 1085, 1087; Grünberger Personale Gleichheit (2013) S. 716 ff. 17 Zuweilen wird vorgebracht, dass sich aus den unterschiedlichen Regeln zur Haftungshöchstgrenze im allgemeinen Diskriminierungsrecht (Art. 8 Abs. 2 Satz 2 RL 2004/ 113: Höchstgrenze wegen der möglichen Vielzahl von Betroffenen zulässig) und im Beschäftigungsrecht (Art. 18 Satz 2 RL 2006/54: Höchstgrenze nur für Fälle zulässig, in denen der Bewerber auch bei diskriminierungsfreier Auswahl die Stelle nicht erhalten hätte) unterschiedlich strenge Maßstäbe im Rechtsfolgenrecht in den beiden Sachgebieten ergeben, vgl. Armbrüster in: Erman, BGB I14 (2014) § 21 AGG Rn. 1, 8: „Erfordernis des Vertretenmüssens [im allgemeinen Antidiskriminierungsrecht im Unterschied zum Arbeitsrecht] nicht europarechtswidrig“; ablehnend Grünberger Personale Gleichheit (2013) S. 718 f. Selbst wenn man dieser Differenzierung folgen wollte, so wären zwei, nicht aber fünf unterschiedliche Rechtsfolgenregelungen erforderlich gewesen. 18 Zu diesem Beispiel Basedow AcP 210 (2010) 157, 176: „uneinheitliche[r] Zustand des Sekundärrechts“. 19 Und zwar auch dann, wenn der Geschädigte den Ersatz seines materiellen Schadens auf Grundlage einer Lizenzanalogie (Art. 13 Abs. 1 UAbs. 2 lit. b RL 2004/48) berechnet, obwohl der immaterielle Schaden nur in der Berechnungsmethode des Art. 13 Abs. 1 UAbs. 2 lit. a RL 2004/48 ausdrücklich erwähnt ist, EuGH 17.3.2016, Rs. C-99/15, ECLI: EU:C:2016:173 Rn. 26 – Liffers. Allerdings ist unsicher, was unter einem immateriellen Schaden bei Immaterialgüterrechtsverletzungen zu verstehen ist, dazu Heinze ZEuP 2009, 282, 308; Metzger in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 209, 222 f.: Schäden des Urheberpersönlichkeitsrechts. Während französische Autoren den Reputationsschaden für ein Unternehmen als Teil des immateriellen Schadens ansehen (vgl. de Candé/Marchais Propriétés intellectuelles 2008, 52, 64), wird 14
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§ 1 Ausgangslage und Anlass der Untersuchung
geschlossen20 und in der alten Pauschalreiserichtlinie 90/314 nicht geregelt.21 Diese fragmentarische Regelungstechnik ist im Deliktsrecht sogar als problematischer angesehen worden als im Vertragsrecht, weil sich im Haftungsrecht im Unterschied zum Vertragsrecht nicht ohne weiteres abgrenzbare „besondere Teile“ (z. B. Kauf, Miete, Pauschalreise) identifizieren lassen.22 2. Vertikale Zersplitterung durch Trennung von unionalen Rechten und nationalen Rechtsbehelfen Fast noch bedeutsamer als die horizontale Zersplitterung innerhalb des Unionsrechts ist die Zersplitterung im vertikalen Verhältnis von Unionsrecht und mitgliedstaatlichem Recht. Ursache ist die unvollständige Gesetzgebung der Union, die sich in der Regel auf die Anordnung primärer Verhaltenspflichten („rights“) beschränkt und die Rechtsdurchsetzung durch prozessuale und materielle Rechtsbehelfe („remedies“) ebenso wie andere Folgefragen (z. B. Ausschlussfristen und Verjährung) nach dem Grundsatz der nationalen Verfahrens-23 oder Rechtsbehelfsautonomie24 dem mitgliedstaatlichen Recht dieser in Deutschland als Teil des materiellen Schadens qualifiziert, BT-Drs. 16/5048 S. 33 (zur Umsetzung der RL 2004/48). Das EuG hat für einen Fall der Urheberrechtsverletzung durch die Kommission als immateriellen Schadensersatz einen symbolischen Betrag von 1.000 Euro zugesprochen, dazu Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón vom 15.11.2012, Rs. C-103/11 P, ECLI:EU:C:2012:714 Rn. 198 – Systran. 20 Wobei sich der Ausschluss dort auf den Anwendungsbereich der Richtlinie bezieht und kein generelles Verbot auch für den Ersatz durch mitgliedstaatliches Recht statuiert. 21 Die neue Pauschalreiserichtlinie 2015/2302 sieht in Erwägungsgrund 34 Satz 6 in Rezeption der Entscheidung EuGH 12.3.2002, Rs. C-168/00, Slg. 2002, I-2631 – Leitner nun ausdrücklich vor, dass „[d]er Schadenersatz […] auch immaterielle Schäden umfassen [sollte], wie beispielsweise entgangene Urlaubsfreuden infolge erheblicher Probleme bei der Erbringung der betreffenden Reiseleistungen“. 22 Zu dieser Kritik von Bar Gemeineuropäisches Deliktsrecht I (1996) § 4 Rn. 394. Seine Feststellung, dass das Deliktsrecht „in allen seinen Aufgliederungen aus praktisch immer denselben, ihrerseits bezeichnenderweise meistens zur Generalklausel tendierenden Grundlagen entfaltet werden“ müsse, enthält einen richtigen Kern, geht aber zu weit, weil zahlreiche spezialgesetzliche Haftungstatbestände existieren (z. B. § 33 GWB, § 139 PatG), die ein Eigenleben jenseits der §§ 823 ff. BGB führen. 23 Den Begriff der Verfahrensautonomie gebraucht inzwischen auch der Gerichtshof regelmäßig, vgl. EuGH 7.1.2004, Rs. C-201/02, Slg. 2004, I-723 Rn. 67 – Wells; EuGH 24.4.2008, Rs. C-55/06, Slg. 2008, I-2931 Rn. 170 – Arcor; EuGH (Große Kammer) 7.12.2010, Rs. C-439/08, Slg. 2010, I-12471 Rn. 63 – VEBIC; EuGH 21.2.2013, Rs. C472/11, ECLI:EU:C:2013:88 Rn. 26 – Banif Plus Bank: „Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass es in Ermangelung unionsrechtlicher Vorschriften nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten ist, die Verfahrensmodalitäten für Klagen festzulegen, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen. Diese Modalitäten dürfen jedoch nicht ungünstiger sein als die, die bei ähnlichen internen Sachverhalten gelten (Grundsatz der Äquivalenz), und nicht so ausgestaltet sein, dass sie die Ausübung der Rechte, die die
I. Ausgangslage: Die Zersplitterung des Unionsprivatrechts
7
überantwortet.25 Damit bleibt die Ausgestaltung der materiellen und prozessualen Vorschriften zur Durchsetzung des Unionsrechts den MitgliedstaaUnionsrechtsordnung einräumt, praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität)“; EuGH 14.3.2013, Rs. C-415/11, ECLI:EU:C:2013:164 Rn. 50 – Aziz; EuGH 11.11.2015, Rs. C-505/14, ECLI:EU:C:2015:742 Rn. 40 – Klauer Holz Niedersachsen; Hatje in: Schwarze EU-Kommentar3 (2012) Art. 4 EUV Rn. 57. Zur Verfahrensautonomie in der Sache bereits EuGH 19.12.1968, Rs. 13/68, Slg. 1968, 680, 693 – Salgoil: „Dagegen ist es Sache der staatlichen Rechtsordnung, zu bestimmen, welches Gericht dafür zuständig ist, diesen Schutz [durch unmittelbar anwendbares Unionsrecht] zu gewähren, und wie die so geschützte individuelle Rechtsstellung rechtlich zu qualifizieren ist“; EuGH 16.12.1976, Rs 33/76, Slg. 1976, 1989 Rn. 5 – Rewe. 24 Der Begriff der Verfahrensautonomie erfasst nicht nur die Regelungsfreiheit der Mitgliedstaaten im Hinblick auf das Verfahrensrecht, sondern auch im Hinblick auf materiellrechtliche Rechtsbehelfe wie den Schadensersatzanspruch und deren Schranken wie Verjährungs- und Ausschlussfristen, siehe etwa EuGH 4.7.2006, Rs. C-212/04, Slg. 2006, I-6057 Rn. 90 ff. – Adeneler; EuGH 7.9.2006, Rs. C-53/04, Slg. 2006, I-7213 Rn. 50 ff. – Marosu und EuGH 7.9.2006 Rs. C-180/04, Slg. 2006, I-7251 Rn. 35 ff. – Vassallo. Wegen dieser Öffnung wird z. T. der Begriff der Rechtsbehelfsautonomie („remedial autonomy“) vorgezogen, vgl. die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 12.1.2012, Rs. C-591/10, ECLI:EU:C:2012:9 Rn. 24 – Littlewoods Retail; Trstenjak/Beysen CMLR 48 (2011) 95, 104 ff.; siehe bereits die Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 15.6.1995, verb. Rs. C-430/93 und C-431/93, Slg. 1995, I-4705 Rn. 14 – van Schijndel: „wobei der Begriff ‚prozessual‘ in einem sehr weiten Sinne verwendet wird, so daß er alle Vorschriften in bezug auf die Ausgestaltung gerichtlicher Rechtsbehelfe und die Zuständigkeit der Gerichte erfasst.“ Zur Entwicklung in der Judikatur des EuGH Galetta Procedural Autonomy of EU Member States: Paradise Lost (2010) S. 7 ff.; für eine Definition Krönke Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (2013) S. 16: „Von der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie sind somit all diejenigen Normkomplexe des nationalen Rechts erfasst, nach denen die Mitgliedstaaten mangels bestehender unionsrechtlicher Regelung zu ‚verfahren‘ haben, um eine positive unionsrechtliche Bestimmung im Einzelfall zu verwirklichen“; ferner Kulms Der Effektivitätsgrundsatz (2013) S. 198 ff.; Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 10.12 f.: nationale Verfahrensautonomie als „default rule“ und „‚residual‘ autonomy“. Zur „institutionellen Autonomie“ EuGH 6.10.2010, Rs. C-389/08, Slg. 2010, I-9073 Rn. 26 – Base. Amort in: Effer-Uhe u. a. (Hrsg.) Richterliche Rechtsfortbildung und kodifiziertes Richterrecht – Jahrbuch junger Zivilrechtswissenschaftler 2014 (2015) 323, 328 führt die Verfahrensautonomie auf den Einzelermächtigungsgrundsatz in Art. 5 Abs. 2 EUV zurück; Binder in: Effer-Uhe u. a. (Hrsg.) Richterliche Rechtsfortbildung und kodifiziertes Richterrecht – Jahrbuch junger Zivilrechtswissenschaftler 2014 (2015) 301, 304 zählt die Verfahrensautonomie zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Unionsrechts (siehe auch Binder a. a. O. 307 f. zur Begründung). 25 Zum Abgabenrecht EuGH 12.6.1980, Rs. 130/79, Slg. 1980, 1887 Rn. 12 – Express Dairy Foods: „Da bedauerlicherweise Gemeinschaftsvorschriften zur Harmonisierung der Verfahren und Fristen fehlen, stellt der Gerichtshof fest, dass diese Lage Unterschiede in der Behandlung auf Gemeinschaftsebene zur Folge hat. Es ist nicht Aufgabe des Gerichtshofes, allgemeine materiell- und verfahrensrechtliche Bestimmungen aufzustellen, die nur von den zuständigen Instanzen erlassen werden können.“ Zur Trennung von Rechten und Rechtsbehelfen Ruffert DVBl. 1998, 69, 73; ders. in: Calliess/Ruffert EUV – AEUV5
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ten vorbehalten, wenn und soweit das Unionsrecht – wie im Regelfall – insofern keine Regelung vorsieht (sogenannte „Soweit-Formel“26 oder „dualistische Theorie“27). Der Grundsatz „ubi ius, ibi remedium“ gilt auf unionsrechtlicher Ebene insofern nicht, als Recht und Rechtsbehelf nicht durch denselben Normgeber geregelt werden.28 (2016) Art. 288 AEUV Rn. 75: „Das Unionsrecht vollzieht hier erkennbar die eigentümliche Trennung von Recht und Rechtsbehelf nach Art der Differenzierung von right und remedy im Common Law nach.“ Manche differenzieren auch zwischen rights, remedies und procedure, van Gerven CMLR 37 (2000) 501, 503 f., ihm folgend Trstenjak/Beysen CMLR 48 (2011) 95, 96: „Accordingly, by way of working definition, the term ‘right’ is used to describe a legal position of an individual which it derives from the law and which can be enforced by that individual before a court of law. This enforcement takes place by means of one or more ‘remedies’, i.e. actions to settle or make good infringements of rights. The exercise of those remedies is governed by ‘procedures’.“ 26 Geprägt wohl durch EuGH 21.9.1983, verb. Rs. 205/82–215/82, Slg. 1983, 2633 Rn. 17 – Deutsche Milchkontor: „Im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen, auf denen das institutionelle System der Gemeinschaft beruht und die die Beziehungen zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten beherrschen, ist es gemäß Artikel 5 EWG-Vertrag Sache der Mitgliedstaaten, in ihrem Hoheitsgebiet für die Durchführung der Gemeinschaftsregelungen […] zu sorgen. Soweit das Gemeinschaftsrecht einschließlich der allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze hierfür keine gemeinsamen Vorschriften enthält, gehen die nationalen Behörden bei dieser Durchführung der Gemeinschaftsregelungen nach den formellen und materiellen Bestimmungen ihres nationalen Rechts vor“ (Hervorhebung nicht im Original). In der Sache ebenso EuGH 4.4.1968, Rs. 34/67, Slg. 1968, 364 – Lück: „Der Artikel beschränkt indessen nicht die Befugnis der zuständigen nationalen Gerichte, unter mehreren nach der innerstaatlichen Rechtsordnung in Betracht kommenden Wegen diejenigen zu wählen, welche zum Schutz der durch das Gemeinschaftsrecht gewährten individuellen Rechte geeignet erscheinen“; EuGH 19.12.1968, Rs. 13/68, Slg. 1968, 680, 693 – Salgoil: „Dagegen ist es Sache der staatlichen Rechtsordnung, zu bestimmen, welches Gericht dafür zuständig ist, diesen Schutz [durch unmittelbar anwendbares Unionsrecht] zu gewähren, und wie die so geschützte individuelle Rechtsstellung rechtlich zu qualifizieren ist“; EuGH (Große Kammer) 15.4.2008, Rs. C-268/06, Slg. 2008, I-2483 Rn. 44 – Impact: „Mangels einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung“; zum Begriff von Danwitz Europäisches Verwaltungsrecht (2008) S. 476; Streinz in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.) Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland X3 (2012) § 218 Rn. 17; Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 10.12: Verfahrensautonomie als „default rule“, auch Rn. 10.14 zur unionsrechtlichen Regelung als Grenze. Ferner Hallstein Der unvollendete Bundesstaat: Europäische Erfahrungen und Bekenntnisse (1970) S. 59: „Die Norm ist, daß die Gemeinschaftsregelungen durch die Mitgliedstaaten ausgeführt werden.“ 27 Steindorff EG-Vertrag und Privatrecht (1996) S. 309 mit Verweis auf Hanna LQR 106 (1990) 2, 4: „dualist view“. 28 Ruffert DVBl. 1998, 69, 73 (mit dem Hinweis, dass sich die Formel im klassischen römischen Recht nicht finde). Allerdings wird die Ebenentrennung durch die Durchsetzungsverpflichtung kompensiert, siehe § 1 II 1 → S. 18 und die Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro vom 1.3.2007, verb. Rs. C-222/05 bis C-225/05, Slg. 2007, I-4233 Rn. 16 – van der Weerd: „Der Grundsatz der Effektivität besagt, dass die Zuerken-
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Auf den ersten Blick scheint diese Arbeitsteilung zwischen unionaler und nationaler Ebene sowohl die Rechtssicherheit wie die Autonomie der Mitgliedstaaten zu achten, indem mittels zweier einfacher vertikaler Kollisionsregeln – Vorrang des Unionsrechts29 und komplementäre Anwendung des mitgliedstaatlichen Rechts30 (nationale Verfahrensautonomie) – in vorhersehbarer Weise die anzuwendenden Normen bestimmt werden. Diese Arbeitsteilung ermöglichte der Gemeinschaft in den ersten Jahrzehnten ihrer Existenz eine Konzentration auf die Angleichung oder Beseitigung der unmittelbar binnenmarkthinderlichen materiellen Normen, ohne sich in dem fest in der Gesamtrechtsordnung der Mitgliedstaaten verwurzelten Rechtsbehelfs- und Verfahrensrecht, das auch kollisionsrechtlich dem lex fori-Prinzip31 folgt, zu
nung von Rechten durch das Gemeinschaftsrecht in der Praxis von Bedeutung sein muss. Er bringt im Kern für die vom Gemeinschaftsrecht zuerkannten Rechte die vertraute Regel zum Ausdruck: ‚Wo ein Recht, da auch ein Rechtsbehelf ‘.“ 29 Zum Vorrangprinzip EuGH 15.7.1964, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251, 1269 – Costa/ E.N.E.L.; EuGH (Plenum) 8.3.2011, Gutachten 1/09, Slg. 2011, I-1137 Rn. 65 – Einheitliches Patentgerichtssystem; siehe auch die 17. Erklärung zum Vorrang als Teil der Erklärungen zur Schlussakte der Regierungskonferenz, die den am 13. Dezember 2007 unterzeichneten Vertrag von Lissabon angenommen hat, ABl. C 115 vom 9.5.2008, S. 344. Zur Erstreckung auf nationales Verfassungsrecht EuGH 9.3.1978, Rs. 106/77, Slg. 1978, 629 Rn. 21/23 – Simmenthal: „jede entgegenstehende Bestimmung des geltenden staatlichen Rechts ohne weiteres unanwendbar“; EuGH 17.12.1970, Rs. 11/70, Slg. 1970, 1125 Rn. 20 – Internationale Handelsgesellschaft; EuGH 19.6.1990, Rs. C-213/89, Slg. 1990, I-2433 Rn. 20 ff. – Factortame; zur Verwerfungskompetenz der nationalen Gerichte auch EuGH (Große Kammer) 19.1.2010, Rs. C-555/07, Slg. 2010, I-365 Rn. 54 f. – Kücükdeveci; EuGH 20.10.2011, Rs. C-396/09, Slg. 2011, I-9915 Rn. 38 – Interedil. Zur Rechtsprechung des Gerichtshofs und den Restvorbehalten der nationalen Verfassungsrechte ausführlich Kruis Der Anwendungsvorrang des EU-Rechts in Theorie und Praxis (2013) S. 44 ff.; zu ihrem „geringen Belang“ (128) im Zivilrecht Rösler Europäische Gerichtsbarkeit auf dem Gebiet des Zivilrechts (2012) S. 126 ff. 30 Zum Charakter als Kollisionsregel Cahn ZEuP 1998, 974 f.: „Verweisung“; Hess Europäisches Zivilprozessrecht (2010) § 11 Rn. 4: „In der Sache handelt es sich [beim Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten] um eine untechnische ‚Verweisung‘ auf die Prozessrechte der Mitgliedstaaten, die dem lex fori-Prinzip im internationalen Zivilprozessrecht ähnelt.“ Das Komplementaritätsprinzip erscheint auf den ersten Blick als zwangsläufige Folge des fehlenden allgemeinen Privat- und Verfahrensrechts auf Unionsebene. Allerdings wäre die Entwicklung eines allgemeinen Privat- und Verfahrensrechts durch richterrechtliche Rechtsfortbildung (Federal oder Union general common law) eine zumindest denkbare Alternative zum Rückgriff auf nationales Recht, wie der Blick auf Art. 340 Abs. 2 AEUV und die Existenz eines Federal general common law in der Zeit von 1847 bis 1938 – vgl. Swift v. Tyson, 41 U.S. 1 (1842) – sowie des specialized Federal common law zur Durchsetzung bundesrechtlicher Rechtsnormen (dazu Fn. 6) in den Vereinigten Staaten zeigen. 31 Dies gilt für das Verfahrensrecht, nicht für die zivilrechtlichen Rechtsfolgen wie Schadensersatz.
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verzetteln.32 Und nicht zuletzt hat die Ausführung der Unionsregeln durch die Mitgliedstaaten nach ihrem eigenen Recht „den schwer zu überschätzenden Vorteil, dem Bürger die ihm noch ‚fremde‘ Wirklichkeit der europäischen Ordnung unter der Autorität und im vertrauten Gewande der nationalen Ordnung – nicht zuletzt – in seiner Sprache nahezubringen“.33
Spätestens seit den siebziger Jahren setzte sich allerdings langsam die Erkenntnis durch, dass eine strikte Trennung zwischen unionalen Rechten und nationalen Rechtsbehelfen in der Rechtsanwendung die Gefahr begründet, dass die europäischen Rechte infolge allzu laxer nationaler Sanktionen zu einem bloßem „law on the books“ verkümmern (dazu unten § 1 II 2 → S. 20). Haben nämlich die nationalen Behörden und Gerichte die im Unionsrecht garantierten subjektiven Rechte allein anhand ihres nationalen Instrumentariums durchzusetzen, so können sie mittelbar auch seine Wirksamkeit und Einheitlichkeit beeinflussen. So macht es beispielsweise für die Wirksamkeit einer unionsrechtlichen Etikettierungsvorschrift für Obst einen entscheidenden Unterschied,34 ob die Durchsetzung ausschließlich einer Behörde mit begrenztem Personal, eingeschränktem Ordnungswidrigkeitsrahmen und (möglicherweise) überschaubarem Verfolgungseifer überlassen wird, oder ob jedem Privaten (Wettbewerber) die Befugnis eröffnet wird, mittels zivilgerichtlicher Maßnahmen die Einhaltung des Unionsrechts durch seine Wettbewerber zu erzwingen.35 Auch im Bereich des privatrechtlichen Schadensersatzes drohen solche faktischen Effektivitätseinbußen, wenn etwa bei Ge32 Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 2.02; zur Langwierigkeit der Gesetzgebungsvorhaben der Union auf dem Gebiet der Rechtsfolgen auch ders. Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 10.15 f., wobei offenbar nur manche Rechtsakte (RL 93/13, RL 85/374, RL 2014/104) besonders langwierig waren, während andere Gesetzgebungsvorhaben relativ schnell abgeschlossen wurden (RL 2004/48; RL 2009/22). Wilman kommt zu dem Ergebnis (Rn. 10.17): „the degree of controversy that a given private enforcement-related legislative proposal generates does not seem primarily related to the ‘intrusiveness’ (seen from the viewpoint of national law) of the measures it contains.“ Als maßgeblich für die Umstrittenheit der Rechtsfolgenangleichung identifiziert Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 10.18 ff. vielmehr das „Overall enforcement framework“ (Existenz starker behördlicher Rechtsdurchsetzung verringert die Akzeptanz privatrechtlicher Angleichung der Rechtsfolgen, Rn. 10.22), die „International Dimension“ (die Existenz von Staatsverträgen zur Rechtsangleichung wie des TRIPS im Fall der RL 2004/48 erleichtert die Angleichung der Rechtsfolgen, Rn. 10.23 f.) und den „Temporal aspect“. 33 Hallstein Der unvollendete Bundesstaat: Europäische Erfahrungen und Bekenntnisse (1970) S. 59. 34 Beispiel angelehnt an EuGH 17.9.2002, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 – Muñoz. 35 Pointiert Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 13.12.2001, Rs. C-253/ 00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 60 – Muñoz: „Denn es kann nicht sein, dass eine Privatperson bei der Verwirklichung der ihr aus einer Verordnung zustehenden Rechte allein vom guten Willen einer Kontrollstelle zur Durchsetzung dieser Rechte abhängig ist.“
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schlechterdiskriminierung im Einstellungsverfahren nur die Portokosten der unterlegenen Bewerberin ersetzt werden,36 oder wenn sich nationale Aufsichtsbehörden entweder von vorneherein nicht zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ausgleichsansprüche nach der Fluggastrechteverordnung 261/2004 berufen sehen oder faktisch kaum jemals zur Wahrung der Passagierrechte einschreiten.37 Diese Gefahr besteht umso mehr im Verhältnis von Union und Mitgliedstaaten, weil der unionale Gesetzgeber mangels eigenen Vollzugsapparates38 stets die Missachtung seiner „fremden“ Regeln durch die Mitgliedstaaten fürchten muss.39 EuGH 10.4.1984, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 Rn. 24 – von Colson und Kamann: „Folglich würde eine nationale Rechtsvorschrift, die die Schadensersatzansprüche von Personen, die Opfer einer Diskriminierung beim Zugang zu Beschäftigung wurden, auf eine rein symbolische Entschädigung wie etwa die Erstattung ihrer Bewerbungskosten beschränkt, den Erfordernissen einer wirksamen Umsetzung der Richtlinie nicht gerecht.“ Zulässig ist eine symbolische Entschädigung demgegenüber im Bereich der Beamtenhaftung, Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 237 f. 37 Zu den von der Kommission wahrgenommenen Durchsetzungsdefiziten Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Verordnung 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Betreuungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen KOM(2011) 174 S. 13 ff.; ferner Hausmann Europäische Fluggastrechte im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung und großer Verspätung von Flügen (2012) S. 517 f.; Schuster-Wolf euvr 2012, 149, 151, 153. 38 Nur in seltenen Ausnahmefällen obliegt der Vollzug des Unionsrechts auch Unionsbehörden wie etwa im Kartellrecht, dazu Art. 4, 7 ff. VO 1/2003. 39 Zu diesem Vollzugsdefizit Masing Die Mobilisierung des Bürgers zur Durchsetzung des Rechts (1997) S. 19, 176; zur besonderen Bedeutung der Wirksamkeit für die Unionsrechtsordnung als reine Rechtsgemeinschaft ohne eigenen Vollzugsapparat Lecheler Der Grundsatz der Effektivität im Gemeinschaftsrecht – Herkunft und Ausprägung (2002) S. 4; Seyr Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH (2008) S. 279, 359. Aus sozialwissenschaftlicher Sicht zur Anwendung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten siehe die Untersuchung von Hartlapp Die Kontrolle der nationalen Rechtsdurchsetzung durch die Europäische Kommission (2005); zur Akzeptanz des Anwendungsvorrangs in den Mitgliedstaaten Kruis Der Anwendungsvorrang des EU-Rechts in Theorie und Praxis (2013) S. 54 ff. Im Regelfall geht die Unionsrechtsordnung allerdings von einer effektiven Durchsetzung des Unionsrechts durch das mitgliedstaatliche Sanktionenrecht aus, siehe die Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 15.6.1995, Rs. C-430/93 und C-431/93, Slg. 1995, I-4705 Rn. 29 f. – van Schijndel: „Die Annahme, die dem durch die Verträge geschaffenen System zugrunde liegt, geht jedoch dahin, daß dem Erfordernis der Wirksamkeit und des angemessenen gerichtlichen Schutzes normalerweise durch nationale Rechtsbehelfe genügt werden kann, die durch die nationalen Gerichte gemäß dem nationalen Verfahrensrecht durchgesetzt werden. […] Dem liegt die Prämisse zugrunde, daß Rechtsstaaten ihre nationale Rechtsordnung in der Weise organisieren, daß die ordnungsgemässe Anwendung des Rechts und ein angemessener Rechtsschutz für ihre Bürger gewährleistet werden. Aus diesem Grund wird der Gerichtshof nur ausnahmsweise einzugreifen haben, um sicherzustellen, daß dem Gemeinschaftsrecht Wirkung verliehen wird.“ 36
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3. Abhilfe durch allgemeine Grundsätze des Unionsrechts? Die Zersplitterung des Unionsprivatrechts wird bisher auch nicht durch allgemeine Grundsätze des Unionsrechts überwunden.40 Zwar hat der EuGH inzwischen eine größere Zahl allgemeiner Grundsätze in seiner Rechtsprechung entwickelt,41 die sich einerseits aus Geist und Systematik der Unionsverträge, andererseits aus den Rechtsordnungen und Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten ergeben.42 Diese Grundsätze beziehen sich in erster Linie auf das Unionsverfassungsrecht einschließlich der Grundrechte,43 umfassen aber inzwischen44 auch einzelne privatrechtliche Prinzipien wie die Verbindlichkeit von Verträgen (pacta sunt servanda).45 Indes konnten diese Grund40 Zur uneinheitlichen Terminologie des EuGH („allgemein anerkannter Rechtssatz“, „allgemein anerkannter Rechtsgrundsatz“, „elementare Rechtsgrundsätze“, „fundamentaler Grundsatz“, „Grundsatz“, „Rechtssatz“, „allgemeine[r] Gleichheitssatz, der zu den Grundprinzipien des Unionsrechts gehört“) Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 8.9.2011, Rs. C-282/10, ECLI:EU:C:2011:559 Rn. 92 – Dominguez m. w. N. Zum Teil wird auch zwischen „allgemeinen Grundsätzen“ des Unionsrechts (z. B. unmittelbare Wirkung, Anwendungsvorrang, Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz) und „allgemeinen Rechtsgrundsätzen“ (gewonnen aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten unterschieden), Weyer in: Frankfurter Kommentar II (2009) Art. 81 EG Zivilrechtsfolgen Rn. 65 m. w. N. 41 Zu Beispielen für allgemeine Rechtsgrundsätze siehe die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 8.9.2011, Rs. C-282/10, ECLI:EU:C:2011:559 Rn. 96 – Dominguez; ferner (aus privatrechtlicher Perspektive) Schulze ZEuP 1993, 442; Riesenhuber ERCL 1 (2005) 297, 318 ff.; Tridimas The General Principles of EU Law2 (2006); Metzger Extra legem, intra ius – Allgemeine Rechtsgrundsätze im Europäischen Privatrecht (2009) S. 323 ff.; Basedow AcP 210 (2010) 157; Lenaerts/Gutiérrez-Fons CMLR 47 (2010) 1629 (zu den Funktionen allgemeiner Rechtsgrundsätze); Weatherhill ERCL 6 (2010) 74; Hartkamp RabelsZ 75 (2011) 241; Mak European Law Journal 17 (2011) 403, 416 ff.; Purnhagen European Law Journal 18 (2012) 844. 42 Zur Unterscheidung nach der Erkenntnisquelle Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 30.6.2009, Rs. C-101/08, Slg. 2009, I-9823 Rn. 69 – Audiolux; Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 8.9.2011, Rs. C-282/10, ECLI:EU:C:2011:559 Rn. 94 – Dominguez. Zum Rückgriff auf allgemeine Rechtsgrundsätze des nationalen Rechts und deren Kontrolle durch das Unionsrechts vgl. die Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro vom 8.4.1992, Rs. C-83/91, Slg. 1992, I-4871 Rn. 21 – Meilicke. 43 So wurden insbesondere die ungeschriebenen Grundrechte des Gemeinschaftsrechts zunächst als allgemeine Grundsätze anerkannt, EuGH 14.5.1974, Rs. 4/73, Slg. 1974, 491 Rn. 13 – Nold. 44 Skeptisch noch Franzen Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft (1999) S. 635: „Es kommt hinzu, dass auch der EuGH im Bereich der privatrechtlichen Rechtsangleichung Rechtsfortbildung durch Rückgriff auf ein Substrat gemeinsamer zivilrechtlicher Rechtsinstitute der Mitgliedstaaten bislang noch nicht versucht hat und sich bietende Möglichkeiten hierzu nicht genutzt hat.“ 45 EuGH 16.6.1998, Rs. C-162/96, Slg. 1998, I-3655 Rn. 49 – Racke (zum Völkervertragsrecht); EuGH 18.7.2007, Rs. C-77/05, Slg. 2007, I-6415 Rn. 24 – Société thermale
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sätze bisher kaum einen Beitrag zur Verknüpfung der sektoriellen Regeln des Unionsprivatrechts leisten.46 Dies beruht weniger auf dem Umstand, dass die allgemeinen Grundsätze im Unionsrecht als Teil des Primärrechts angesehen werden,47 während das Unionsprivatrecht weitgehend dem Sekundärrecht zuzuordnen ist. Dieses normhierarchische Problem ließe sich durch eine Zuordnung der allgemeinen Grundsätze des Unionsprivatrechts zum Sekundärrecht lösen. Größere Schwierigkeiten wirft die Tatsache auf, dass der Gerichtshof allgemeine und rechtsaktübergreifende Grundsätze des Privatrechts nur sehr zurückhaltend formuliert48 und die bisher vom Gerichtshof entwickelten Grundsätze häufig zu allgemein und abstrakt gehalten sind, als dass sie sich für die Subsumtion in konkreten privatrechtlichen Fragestellungen eignen würden.49
(im Kontext des Umsatzsteuerrechts); EuG 25.5.2004, Rs. T-154/01, Slg. 2004, II-1493 Rn. 45 – Distilleria Palma/Kommission. 46 Siehe das Fazit von Metzger Extra legem, intra ius: Allgemeine Rechtsgrundsätze im Europäischen Privatrecht (2009) S. 411: „nur im Ausnahmefall kam es auch zur Herausbildung von Prinzipien im Bereich der privatrechtlichen Richtlinien“. 47 EuGH 15.10.2009, Rs. C-101/08, Slg. 2009, I-9823 Rn. 63 – Audiolux; Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 8.9.2011, Rs. C-282/10, ECLI:EU:C:2011:559 Rn. 95 – Dominguez („nach allgemeiner Ansicht“); zur Kontrolle des Sekundärrechts am Maßstab allgemeiner Grundsätze des Unionsrechts Lenaerts/Gutiérrez-Fons CMLR 47 (2010) 1629, 1649 ff.; zur Verbindlichkeit für Private (horizontalen Wirkung) von allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts Safjan/Miklaszewics European Review of Private Law 18 (2010) 475. 48 Basedow AcP 210 (2010) 157, 181 ff., 185 ff.: „übertriebene Vorsicht, Selbstbeschränkung, Unsicherheit und manchmal Widersprüchlichkeit“; siehe auch die sorgfältige Analyse von Stempel Treu und Glauben im Unionsprivatrecht (2016) S. 265 ff. mit dem Ergebnis (276): „Eine flächendeckende Geltung allgemeiner zivilrechtlicher Grundsätze […] im Unionsprivatrecht hat der Gerichtshof jedenfalls nicht ausgeschlossen […]. Der Gerichtshof selbst ist aber von einer einheitlichen Herangehensweise noch ein ganzes Stück entfernt.“ 49 Basedow AcP 210 (2010) 157, 183: „zu allgemein und zu vage“; zur Kompetenz noch § 1 II 2 a → S. 26. Zur Skepsis gegenüber der Entwicklung übergreifender Rechtsprinzipien von Danwitz ZEuP 2010, 463, 475: „Es ist gewiss nicht Aufgabe des Gerichtshofes, aus den verschiedenen Rechtsakten, die zum europäischen Zivil- und Zivilverfahrensrecht ergangen sind, in einer von prätorischer Kühnheit getragenen Rechtsprechungsentwicklung übergreifende Rechtsprinzipien und Anspruchsinstitute des europäischen Privatrechts zu schaffen.“ Allerdings ist die Kritik offenbar vor allem auf das allgemeine Zivil- und Zivilverfahrensrecht bezogen, dem auch der zitierte Beitrag gewidmet war. Mehr Spielraum für die Fortentwicklung des Unionsrechts scheint von Danwitz in dem hier untersuchten Gebiet des binnenmarktrelevanten Privat- und Wirtschaftsrechts zu sehen, vgl. von Danwitz, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27.03.2007, Nr. 73, S. 8: der Gerichtshof sei verpflichtet, „die Entwicklung der Gemeinschaftsrechtsordnung im Dienste der Integration fortzusetzen. Dies gilt vor allem für die Wirtschafts- und Wettbewerbsordnung des Binnenmarktes.“ Zur Diskussion um eine prinzipielle oder konkrete Beantwor-
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Demonstrieren lässt sich dies am Beispiel der in der Rechtssache Hamilton relevanten Ausschlussfristen zum Widerruf eines beiderseitig vollzogenen Rechtsgeschäfts. Soweit Generalanwalt Poiares Maduro in der „zeitliche[n] Begrenzung der Rechtsausübung […] einen allgemeinen Grundsatz“49 erblickt, „der von den Rechtsordnungen der verschiedenen Mitgliedstaaten geteilt wird“,50 ist ihm ohne weiteres zuzustimmen. In der Rechtsanwendung wird sich im Regelfall allerdings nicht die Frage stellen, ob Ansprüche oder Gestaltungsrechte überhaupt zeitlichen Grenzen unterliegen, sondern vielmehr wie diese ausgestaltet sind, also wann die Fristen beginnen, wie lang sie laufen und wie sie unterbrochen oder gehemmt werden können. Zur Beantwortung solcher Fragen – konkret nach dem Fristbeginn – greift der Generalanwalt in der Folge aber kaum mehr auf allgemeine Grundsätze der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zurück, sondern rekurriert in erster Linie auf die Judikatur des Gerichtshofs zum konkreten Schutzzweck der Haustürwiderrufsrichtlinie und kommt zu dem Ergebnis, dass die Mitgliedstaaten „eine Frist festsetzen können, innerhalb deren der Widerruf wirksam ausgeübt werden kann und die mit dem, wenn auch verspäteten, Erhalt der Information durch den Verbraucher beginnt“.51 Noch klarer auf den konkreten Unionsrechtsakt fokussiert ist die Begründung des Gerichtshofs, der zur Zulässigkeit der Begrenzung des Widerrufsrechts nach vollständiger Erbringung der Leistungen aus einem Darlehensvertrag in erster Linie auf den Wortlaut und den Schutzzweck der Richtlinie und nur am Rande – zur Auslegung des Begriffs der „Verpflichtung“ in Art. 5 Abs. 1 RL 85/577 – auf die „allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts“ rekurriert, konkret auf den Grundsatz, „dass sich die vollständige Durchführung eines Vertrags in der Regel aus der Erbringung der gegenseitigen Leistungen der Vertragsparteien und der Beendigung des entsprechenden Vertrags ergibt“.52 Die in erster Linie auf den konkreten Unionsrechtsakt bezogene Argumentation des Gerichtshofs mag aus richterlicher Sicht den Vorteil geringer Vorfestlegung besitzen und Spielräume für die spätere Entscheidungspraxis offenhalten. Indes wird durch dieses Vorgehen zugleich die Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit der Rechtsanwendung beeinträchtigt, da die Rechtsanwender keine allgemeinen Erkenntnisse über Ausschlussfristen als Grenze unionaler Rechte gewinnen können. Sie können aus der Entscheidung Hamilton keine Aussage über die Ausgestaltung von Ausschlussfristen in anderen Rechtsgebieten, ja nicht einmal über die Ausgestaltung der Ausschlussfristen tung durch den EuGH Rösler Europäische Gerichtsbarkeit auf dem Gebiet des Zivilrechts (2012) S. 330 ff., der (458) eine Erhöhung der Argumentationsdichte anmahnt. 50 Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro vom 21.11.2007, Rs. C-412/06, Slg. 2008, I-2383 Rn. 24 – Hamilton. 51 Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro vom 21.11.2007, Rs. C-412/06, Slg. 2008, I-2383 Rn. 25 ff., 31 – Hamilton. 52 EuGH 10.4.2008, Rs. C-412/06, Slg. 2008, I-2383 Rn. 37 ff., 42 – Hamilton.
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bei anderen verbraucherrechtlichen Widerrufsrechten ableiten, sondern sind auf erneute Vorlageverfahren mit der damit verbundenen zwischenzeitlichen Rechtsunsicherheit verwiesen.53 Hilfreicher für die Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit wäre es, wenn sich der Gerichtshof in der Anwendung und Konkretisierung des Unionsprivatrechts stärker um „Grundsätze mit einem geringeren Grad an Abstraktion und Allgemeinheit“54 bemühen würde, die bisher nur in Ansätzen von der Rechtsprechung entwickelt wurden. Eine entsprechende Kategorie von sekundärrechtlichen Grundsätzen des Unionsprivatrechts deutet sich immerhin mit der Kategorie der „allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts“55 in der Judikatur des Gerichtshofs vorsichtig an.56 Sie
53 Inzwischen hat der Gesetzgeber durch die Begrenzung der Widerrufsfrist bei Nichtaufklärung über das Widerrufsrecht (Art. 10 Abs. 1 RL 2011/83) das Problem entschärft. 54 Basedow AcP 210 (2010) 157, 183; Wurmnest/Heinze in: Schulze (Hrsg.) Compensation of Private Losses (2011) 39, 40. 55 EuGH 18.7.2007, Rs. C-77/05, Slg. 2007, I-6415 Rn. 24 – Société thermale (im Kontext des Umsatzsteuerrechts): „Nach den allgemeinen Grundsätzen des Zivilrechts hat nämlich jede Vertragspartei den Vertrag einzuhalten und die vertraglich bedungene Leistung zu erbringen“; EuGH 10.4.2008, Rs. C-412/06, Slg. 2008, I-2383 Rn. 42 – Hamilton: „Die Verwendung des Begriffs ‚Verpflichtung‘ in dieser Vorschrift weist […] darauf hin, dass das Widerrufsrecht ausgeübt werden kann, es sei denn, dass für den Verbraucher zum Zeitpunkt seiner Ausübung keinerlei Verpflichtung aus dem widerrufenen Vertrag besteht. Diese Logik entspricht einem der allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts, nämlich dem, dass sich die vollständige Durchführung eines Vertrags in der Regel aus der Erbringung der gegenseitigen Leistungen der Vertragsparteien und der Beendigung des entsprechenden Vertrags ergibt“; EuGH 3.9.2009, Rs. C-489/07, Slg. 2009, I-7315 Rn. 26 – Pia Messner: „Demzufolge stehen die Zielsetzung der Richtlinie 97/7 und insbesondere das in ihrem Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 festgelegte Verbot grundsätzlich Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegen, wonach der Verbraucher einen angemessenen Wertersatz zu zahlen hat, wenn er die durch Vertragsabschluss im Fernabsatz gekaufte Ware auf eine mit den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts wie denen von Treu und Glauben oder der ungerechtfertigten Bereicherung unvereinbare Art und Weise benutzt hat“; EuGH 15.4.2010, Rs. C-215/08, Slg. 2010, I-2947 Rn. 48 – E. Friz: „Wie nämlich der Bundesgerichtshof in seiner Vorlageentscheidung ausgeführt hat, soll diese Regel entsprechend den allgemeinen Grundsätzen des Zivilrechts für einen vernünftigen Ausgleich und eine gerechte Risikoverteilung zwischen den einzelnen Beteiligten sorgen.“ (Hervorhebungen jeweils nicht im Original). 56 Auch im Arbeitsrecht scheint die Anerkennung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub nach Art. 7 RL 2003/88 „als besonders bedeutsame[r] Grundsatz des Sozialrechts der Union“ nicht zur Folge zu haben, dass dieser Anspruch – wie es bei allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Primärrechts in der Regel der Fall ist – unmittelbare Wirkung im Verhältnis zwischen Privaten entfaltet, siehe EuGH 24.1.2012, Rs. C-282/10, ECLI:EU:C:2012:33 Rn. 16, 42 – Dominguez: „Sollte dem nicht so sein [eine Ausnahme zum Verbot unmittelbarer Richtlinienwirkung nicht in Betracht kommen], ist daran zu erinnern, dass sogar eine klare, genaue und unbedingte Richtlinienbestimmung, mit der dem Einzelnen Rechte gewährt oder Verpflichtungen auferlegt werden sollen, im Rahmen eines Rechtsstreits, in dem sich ausschließlich Private gegenüberstehen, nicht als solche Anwendung finden kann“; EuGH 26.3.2015,
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lässt sich auch in der Gesetzgebung der letzten Jahre erkennen, die mitunter die vom Gerichtshof auf Grundlage des Effektivitätsgebots entwickelten Anforderungen an die Rechtsdurchsetzung in das geschriebene Sekundärrecht überführt, wie es etwa bei Neufassung der Antidiskriminierungsrichtlinie 76/20757 und auch bei der Kartellschadensersatzrichtlinie 2014/104 erfolgt ist58 (zur rechtsgebietsübergreifenden Begriffsbildung noch § 2 III 2→ S. 99). II. Anlass: Europäische Vorgaben für die Rechtsdurchsetzung Angesichts der horizontalen und vertikalen Zersplitterung des geschriebenen Unionsrechts und der daraus resultierenden Gefahren für seine einheitliche Rs. C-316/13, ECLI:EU:C:2015:200 Rn. 48 – Fenoll. Siehe aber auch EuGH 8.11.2012, Rs. C-229/11 und C-230/11, ECLI:EU:2012:693 Rn. 22 – Heimann. 57 So knüpft Art. 18 RL 2006/54 an den früheren Art. 1 Abs. 5 RL 2002/73 an, durch den Art. 6 Abs. 2 RL 76/207 um eine Schadensersatzregelung ergänzt wurde. Art. 1 Abs. 5 RL 2002/73 wurde wiederum maßgeblich durch die Rechtsprechung des EuGH zu den Folgen der Geschlechterdiskriminierung, insbesondere EuGH 10.4.1984, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 Rn. 23 – von Colson und Kamann, EuGH 10.4.1984, Rs. 79/83, Slg. 1984, 1921 Rn. 26 – Harz, EuGH 2.8.1993, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367 Rn. 34 – Marshall II, EuGH 22.4.1997, C-180/95, Slg. 1997, I-2195 Rn. 40 – Draehmpaehl und EuGH 22.9.1998, Rs. C-185/97, Slg. 1998, I-5199 Rn. 27 – Coote motiviert, siehe Erwägungsgründe 17 und 18 RL 2002/73, Erwägungsgrund 33 RL 2006/54 und den Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 76/207/EWG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen KOM (2000) 334 Rn. 45. Siehe auch die Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer vom 4.6.2008, Rs. C-396/07, Slg. 2008, I-8883 Rn. 53 f. – Juuri, insbesondere Fn. 46 und 47. 58 Die Richtlinie zielt insbesondere bei der Klagebefugnis und der Definition des Schadens auf eine Bestätigung des auf Grundlage des Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatzes geschaffenen acquis communautaire, ohne der Weiterentwicklung vorzugreifen (Erwägungsgrund 12 Satz 1 RL 2014/104). So übernimmt Art. 3 Abs. 2 Satz 2 RL 2014/104 („Er [der vollständige Ersatz] erfasst daher das Recht auf Ersatz der eingetretenen Vermögenseinbuße und des entgangenen Gewinns, zuzüglich der Zahlung von Zinsen“) fast wortgleich die richterrechtlich entwickelten Vorgaben des Effektivitätsgrundsatzes aus EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 95 – Manfredi („ein Geschädigter [muss] nicht nur Ersatz des Vermögensschadens (damnum emergens), sondern auch des entgangenen Gewinns (lucrum cessans) sowie die Zahlung von Zinsen verlangen können“), so ausdrücklich der Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach einzelstaatlichem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union KOM(2013) 404 S. 15 f: „Begriff der Vermögenseinbuße […] stammt aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs“. Anderes gilt etwa für die Verjährung (vgl. Art. 10 Abs. 3 RL 2014/104), bei der die Richtlinie eine Mindestharmonisierung vornimmt und damit über den acquis hinausgeht (der bisher keine vergleichbar konkreten Anforderungen definiert hatte). Zur Stellung des Effektivitätsgrundsatzes zwischen Primärund Sekundärrecht Wurmnest/Heinze in: Schulze (Hrsg.) Compensation of Private Losses (2011) 39, 45 f.; ähnlich W.-H. Roth ZHR 179 (2015) 668, 683 (zum Kartelldeliktsrecht).
II. Anlass: Europäische Vorgaben für die Rechtsdurchsetzung
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Anwendung überrascht es nicht, dass die praktische Wirksamkeit des europäischen Rechts seit den sechziger Jahren ein zentrales Anliegen des Gerichtshofs war. Mangels eigenen europäischen Vollzugsapparates bemühte sich der Gerichtshof von Anfang an um die Initiative privater Kläger zur Durchsetzung des Unionsrechts, deren Klagebefugnisse durch den Grundsatz der unmittelbaren Anwendbarkeit und den Anwendungsvorrang des europäischen Rechts gestärkt wurden (§ 1 II 1 → S. 18). Seit den siebziger und achtziger Jahren erstreckten sich diese Bemühungen auch auf die nationalen Rechtsfolgen einer Verletzung des Unionsrechts, die durch ein übergeordnetes europäisches Effektivitätsgebot sogar außerhalb des harmonisierten Bereichs europäischen Minimalstandards unterworfen wurden (§ 1 II 2 → S. 20). Die judikativen Bemühungen wurden seit den achtziger Jahren durch den Gesetzgeber flankiert, der auf unterschiedlichen Sachgebieten eigene europäische Vorschriften zum Schadensersatz und anderen Rechtsfolgen erließ (für einen Überblick § 3 II 1 → S. 120).59 Infolge dieser doppelten Beschränkung durch Anwendungsvorrang und Effektivitätsgebot ist der Begriff der nationalen Verfahrensautonomie, die sich auch auf materielle Durchsetzungsvorschriften und die inhaltliche Ausgestaltung der sich aus dem Unionsrecht ergebenden Ansprüche bezieht,60 zum Teil als missverständlich kritisiert worden,61 weil
59 Zu den achtziger Jahren als Ausgangspunkt der Gesetzgebung auch Wilman Private enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 1.09, der die Gleichstellungsrichtlinie 76/207 (heute RL 2006/54) und die Produkthaftungsrichtlinie 85/374 als erste Beispiele nennt und drei Phasen ausmacht (Rn. 10.28: „relative inactivity“ bis in die späten 1980er Jahre, „active and ambitious“ von den späten 1980er Jahren bis in die frühen 2000er Jahre, dritte Phase frühe 2000er Jahre bis heute „limits become more visible“); zur Konvergenz der judikativen und legislativen Rechtsangleichung auch ders. Rn. 10.33: „effects that are at least to some extent similar“. Zur Regelung der Rechtsfolgen in den Antidiskriminierungsrichtlinien nach dem Vorbild der EuGH-Judikatur und im Kartelldeliktsrecht oben Fn. 57 und 58; siehe auch die übergreifende Regelung der Rechtsfolgen im Immaterialgüterrecht durch die Richtlinie 2004/48 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums. Zum parallelen Befund im Prozessrecht Hess Europäisches Zivilprozessrecht (2010) § 11 Rn. 2, 17 ff.: „gemeinschaftsrechtliche Mindestvorgaben“ im gewerblichen Rechtsschutz, im Kartellrecht und zunehmend im Verbraucherrecht (Rn. 2). Siehe auch die Entschließung des Rates zur einheitlichen und wirksamen Anwendung des Gemeinschaftsrechts und zu Sanktionen bei Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht im Bereich des Binnenmarkts, ABl. C 188 vom 22.7.1995, S. 1, die „erforderlichenfalls“ eine Aufnahme von Sanktionenvorschriften in die unionsrechtlichen Rechtsakte empfiehlt. 60 Zum Begriff der Verfahrensautonomie und ihrer Erstreckung auch auf materielle Rechtsbehelfe („Rechtsbehelfsautonomie“) bereits die Nachweise in Fn. 24. 61 Kakouris CMLR 34 (1997) 1389, 1406: „the conclusion to be drawn […] is that the expression ‚judicial procedural autonomy’ does not accord with legal reality“, 1411: „institutional autonomy“ (als alternativer Begriff); zur Präzisierung auch Hess Europäisches Zivilprozessrecht (2010) § 11 Rn. 10: „Grundsatz […] beinhaltet mithin (lediglich) das Gebot, das jeweils anwendbare nationale Prozessrecht gemeinschaftsrechtskonform auszu-
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§ 1 Ausgangslage und Anlass der Untersuchung
es sich nicht um einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts handele62 und deshalb Begriffe wie „procedural competence“,63 „presumption of national competence“64 oder „Rechtsbehelfsautonomie“ („remedial autonomy“) (wegen der Einbeziehung materieller Rechtsbehelfe)65 vorzugswürdig seien. 1. Unmittelbare Anwendbarkeit und Durchsetzungsverpflichtung Ausgangspunkt für die Indienstnahme Privater, für die „Mobilisierung des Bürgers“66 zur Durchsetzung des Unionsprivatrechts und damit eine erste Schranke der nationalen Verfahrensautonomie ist der Grundsatz der unmittelbaren Anwendbarkeit des Unionsrechts und die Verpflichtung der nationalen Gerichte zur Durchsetzung desselben.67 Bereits sehr früh hat der Gerichtshof zugleich mit dem Grundsatz der unmittelbaren Anwendbarkeit68 auch die Idee der privaten Durchsetzung des Unionsrechts geprägt und die nationalen Gerichte durch Art. 10 EG (nunmehr Art. 4 Abs. 3 EUV)69 in die Pflicht genommen, gemeinsam mit den Unionsgerichten „die volle Anwendung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten und den Schutz der Rechte zu gewährleisten, die den Einzelnen aus diesem Recht erwachsen“.70 Die unmittelbare legen“; zur Diskussion des Verhältnisses von Verfahrensautonomie und Effektivitätsgrundsatz Kulms Der Effektivitätsgrundsatz (2013) S. 200 f. 62 Trstenjak/Beysen CMLR 48 (2011) 95, 98 f. 63 Van Gerven CMLR 37 (2000) 501, 502; Delicostopoulos European Law Journal 9 (2003) 599, 613: „a combination of national procedural competence and European procedural primacy“. 64 Leczykiewicz ERCL 8 (2012) 47, 51. 65 Siehe bereits die Nachweise in Fn. 24. 66 Masing Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts (1997) S. 19, 176, 178; ders. in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.) Grundlagen des Verwaltungsrechts2 I (2012) § 7 Rn. 92, 93b: „Zentrales Charakteristikum dieser Rechtsprechung und -setzung ist die bewusste Indienstnahme individueller Befugnisse für die Durchsetzung des europäischen Rechts und damit für übergreifende öffentliche Interessen“; zu der damit verbundenen „Publifizierung des Privatrechts“ Podszun Wirtschaftsordnung durch Zivilgerichte (2014) S. 96 ff., 280 ff. mit den Beispielen Verbraucherschutzrecht, Antidiskriminierungsrecht, Lauterkeitsrecht und Kartellrecht. 67 Zur Einbindung der nationalen Gerichte Rösler Europäische Gerichtsbarkeit auf dem Gebiet des Zivilrechts (2012) S. 68: „judikative[r] Föderalismus im Privatrecht“. 68 EuGH 5.2.1963, Rs. 26/62, Slg. 1963, 3, 24 f. – van Gend & Loos. Als Vorläufer wird zuweilen EuGH 16.12.1960, Rs. 6/60, Slg. 1960, 1165 – Humblet genannt, vgl. Reiling Zu individuellen Rechten im deutschen und im Gemeinschaftsrecht (2004) S. 236. 69 Zur Bedeutung der neueren Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV, Art. 291 Abs. 1 AEUV und Art. 47 Abs. 1 GRCh unten § 1 II 2 b → S. 33. 70 EuGH (Plenum) 8.3.2011, Gutachten 1/09, Slg. 2011, I-1137 Rn. 68 – Einheitliches Patentgerichtssystem; siehe bereits EuGH 16.12.1960, Rs. 6/60, Slg. 1960, 1165 1189 – Humblet: „Normalerweise ist aber davon auszugehen, dass einem materiellen Recht die Befugnis des Berechtigten entspricht, dieses Recht selbst und nicht durch Vermittlung eines Dritten im Klagewege geltend zu machen“; EuGH 3.4.1968, Rs. 28/67, Slg. 1968,
II. Anlass: Europäische Vorgaben für die Rechtsdurchsetzung
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innerstaatliche Anwendbarkeit der Regeln des Unionsrechts war dabei von Anfang an Mittel zum Zweck, um sich der „Wachsamkeit der an der Wahrung ihrer Rechte interessierten Einzelnen“ zur Durchsetzung der europäischen Regeln zu bedienen,71 und zwar auch „in Prozessen zwischen Privatpersonen vor nationalen Gerichten“,72 so dass sich die private Rechtsdurchsetzung ausdrücklich und von Anfang auch auf Zivilverfahren bezog.73 Mit 216 – Firma Molkerei-Zentrale Westfalen-Lippe: „Rechte, die eine Gemeinschaftsrechtsnorm den Einzelnen einräumt, können unbeschadet der im Vertrag vorgesehenen Rechtsbehelfe stets mit der Klage vor dem zuständigen nationalen Gericht verfolgt werden“; EuGH 19.12.1968, Rs. 13/68, Slg. 1968, 680, 693 – Salgoil; EuGH 16.12.1976, Rs 33/76, Slg. 1976, 1989 Rn. 5 – Rewe; EuGH 9.3.1978, Rs. 35/76, Slg. 1976, 1871 Rn. 21/23 – Simmenthal; EuGH (Große Kammer) 15.4.2008, Rs. C-268/06, Slg. 2008, I-2483 Rn. 45 – Impact; EuGH (Große Kammer) 19.1.2010, Rs. C-555/07, Slg. 2010, I-365 Rn. 45 – Kücükdeveci; zur Anerkennung subjektiver Rechte in den Anfangsjahren der Union Basedow FS Canaris I (2007) 43, 45: Bürger zu „Akteuren der Integration“ geworden; Seyr Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH (2008) S. 361: Stärkung des Gemeinschaftsbürgers und Sicherung des rechtlichen Zusammenhalts der Gemeinschaft als die zwei großen Linien der Rechtsprechung des EuGH; zur dezentralen Durchsetzung des EURechts Hess Europäisches Zivilprozessrecht (2010) § 11 Rn. 1; Rösler Europäische Gerichtsbarkeit auf dem Gebiet des Zivilrechts (2012) S. 232 ff. 71 EuGH 5.2.1963, Rs. 26/62, Slg. 1963, 3, 26 – van Gend & Loos; Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro vom 28.11.1995, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 67, 70 – Brasserie du Pêcheur: „Daraus folgt, daß sich die traditionellen, sagen wir auch, internationalistischen Instrumente, die vorgesehen sind, um die ordnungsgemäße und pünktliche Erfüllung der Verpflichtungen durch die Mitgliedstaaten zu erreichen, zum größten Teil dahin gewandelt haben und sich weiter dahin wandeln, daß der Rechtsposition des einzelnen höchste und unmittelbare Bedeutung beigemessen wird. Der Grund besteht darin, daß die Verpflichtungen der Staaten und der Gemeinschaftsorgane – in einem System, das ein gemeinschaftliches sein wollte und sein will – vor allem auf die Schaffung von Rechten der einzelnen gerichtet sind.“ Vgl. aus umweltrechtlicher Perspektive Pernice NVwZ 1990, 414, 424: „der dem Bürger so verliehene ‚status activus processualis‘ für den Schutz seiner Umwelt nimmt ihn als Staats- und Gemeinschaftsbürger ernst, materialisiert seine Mitverantwortung im Gemeinwesen und sichert zugleich die effektive Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts im Sinne des Subsidiaritätsprinzips“; Huber EuR 1991, 31, 34: „Marktbürger in Anlehnung an das französische Legalitätsprinzip als eine Art ‚Organ‘ des Gemeinsamen Marktes“; Basedow FS Mestmäcker (1996) 347: „Marktbürger selbst zu Agenten der Integrationspolitik gemacht“; Ruffert Subjektive Rechte im Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaft (1996) S. 222: „Strukturprinzip der funktionalen Subjektivierung […], das den Aspekt des individuellen Rechtsschutzes in erheblichem Umfang zurücktreten lässt“, „Funktionalisierung von Klagen einzelner zur objektiven Rechtskontrolle“; Masing in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.) Grundlagen des Verwaltungsrechts2 I (2012) § 7 Rn. 93. 72 EuGH 5.2.1963, Rs. 26/62, Slg. 1963, 3, 26 – van Gend & Loos. 73 Auf den fehlenden prozessualen Schlussstein, nämlich einen Zugang des Einzelnen zum Gerichtshof, weist Rösler Europäische Gerichtsbarkeit auf dem Gebiet des Zivilrechts (2012) S. 416 hin: „Der dezentrale Individualrechtsschutz im Unionsrecht wäre also erst bei einem Zugang des Einzelnen komplettiert.“
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§ 1 Ausgangslage und Anlass der Untersuchung
dieser Durchsetzungsverpflichtung prägte der EuGH zugleich eine erste Schranke für die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten, denn die unionsrechtliche Verpflichtung, die Durchsetzung der sich aus dem Unionsrecht ergebenden Ansprüche „verfahrensrechtlich“ zu ermöglichen, liegt nicht im Ermessen der Mitgliedstaaten.74 Obwohl der Gerichtshof damit zusammen mit der wenig später in der Rechtssache Costa/E.N.E.L. begründeten Lehre vom Anwendungsvorrang des Unionsrechts75 schon sehr früh die Grundlage für die private Durchsetzung des Unionsrechts gelegt hatte, blieb die Ausgestaltung der materiellen und prozessualen Vorschriften zur Durchsetzung des Unionsrechts, also das „Wie“ der Rechtsdurchsetzung zunächst den Mitgliedstaaten vorbehalten,76 soweit das Unionsrecht keine Regelung vorsah („Soweit-Formel“)77. 2. Der sanktionenrechtliche Effektivitätsgrundsatz Während der Gerichtshof auch nach Entwicklung der Grundsätze der unmittelbaren Anwendbarkeit und des Anwendungsvorrangs in den ersten Jahren der EWG noch von einer klaren Trennung von unionalen Rechten und nationalen Rechtsbehelfen ausging, beschreiben der Vorrang des Unionsrechts und die komplementäre Anwendung nationaler Rechtsbehelfe und Verfahren die Realität der vertikalen Rechtsdurchsetzung im Unionsprivatrecht78 heute nur noch unzureichend.79 Seit den siebziger Jahren80 zeichnete sich nämlich ab, 74 Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 12.1.2012, Rs. C-591/10, ECLI: EU:C:2012:9 Rn. 23 – Littlewoods Retail. 75 Zu Nachweisen bereits Fn. 29. 76 Die zeitversetzten Folgen der Direktwirkungs- und Vorrangdoktrinen für die Verfahrenszahlen des Gerichtshofs beschreibt Rösler Europäische Gerichtsbarkeit auf dem Gebiet des Zivilrechts (2012) S. 81 ff. 77 Zu Nachweisen siehe bereits Fn. 26. 78 Zur Diskussion im Verwaltungsrecht und den dort vertretenen Systematisierungsansätzen jüngst zusammenfassend König Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (2011) S. 222 ff.; ferner Classen Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit (1996); von Danwitz Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration (1996); ders. Europäisches Verwaltungsrecht (2008); Kadelbach Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss (1999); Hegels EG-Eigenverwaltungsrecht und Gemeinschaftsverwaltungsrecht (2001). 79 Bereits aus den achtziger Jahren EuGH 15.10.1986, Rs. 168/85, Slg. 1986, 2945 Rn. 11 – Kommission/Italien: „Möglichkeit für die Rechtsbürger, sich vor den innerstaatlichen Gerichten auf unmittelbar anwendbare Vertragsbestimmungen zu berufen, [stellt] nur eine Mindestgarantie dar und reicht nicht aus, um für sich allein die uneingeschränkte Anwendung des EWG-Vertrags zu gewährleisten“; ebenso EuGH 20.3.1986, Rs. 72/85, Slg. 1986, 1219 Rn. 20 – Kommission/Niederlande; EuGH 26.2.1991, Rs. C-120/88, Slg. 1991, I-621 Rn. 10 – Kommission/Italien; EuGH 26.2.1991, Rs. C-119/89, Slg. 1991, I-641 Rn. 9 – Kommission/Spanien; EuGH 26.2.1991, Rs. C-159/89, Slg. 1991, I-691 Rn. 10 – Kommission/Griechenland.
II. Anlass: Europäische Vorgaben für die Rechtsdurchsetzung
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dass sich die „indirekte Kollision“81 von unionalen Rechten und (potentiell unzureichenden) nationalen Rechtsbehelfen nicht durch den Anwendungsvor80 Im europarechtlichen Schrifttum (Hegels EG-Eigenverwaltungsrecht und Gemeinschaftsverwaltungsrecht (2001) S. 66 ff.; von Danwitz Europäisches Verwaltungsrecht (2008) S. 477 ff.; Tridimas The General Principles of EU Law2 (2006) S. 420 ff.; Ward Judicial Review and the Rights of Private Parties in EU Law2 (2007) S. 87 ff.; Seyr Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH (2008) S. 175 ff., 314 ff. mit statistischer Auswertung; König Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (2011) S. 84 ff.) werden – z. T. mit unterschiedlichen Nuancen – insofern drei Phasen unterschieden: In der frühen ersten Phase seit Rewe/Comet (siehe auch bereits EuGH 11.2.1971, Rs. 39/70, Slg. 1971, 49 Rn. 4 f. – Norddeutsches Vieh- und Fleischkontor) diente der Effektivitätsgrundsatz kaum zur Korrektur des nationalen Rechts, sondern als Mittel gegen willkürliche Beeinträchtigungen des Unionsrechts auf der Ebene der Durchsetzung, vgl. EuGH 27.3.1980, Rs. 66/79, Slg. 1980, 1237 Rn. 21 – Salumi. Zusätzliche Rechtsschutzmöglichkeiten sah der Gerichtshof durch das Effektivitätspostulat nicht veranlasst, vgl. EuGH 7.7.1981, Rs. 158/80, Slg. 1981, 505 Rn. 44 – Rewe. In der zweiten Phase, die grob mit der Erweiterung der Rewe/Comet-Formel durch EuGH 9.11.1983, Rs. 199/82, Slg. 1983, 3595 Rn. 14 – San Giorgio beginnt (Tridimas a. a. O. S. 421 nennt auch bereits EuGH 9.3.1978, Rs. 35/76, Slg. 1976, 1871 Rn. 22 f. – Simmenthal), intensivierte der Gerichtshof seine Einwirkung und verlangte erstmals, dass unzureichende nationale Rechtsschutzmöglichkeiten infolge des Effektivitätsgebots ergänzt werden müssten, vgl. EuGH 19.6.1990, Rs. C-213/89, Slg. 1990, I-2433 Rn. 19 ff. – Factortame; EuGH 19.11.1991, Rs. C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, I-5357 Rn. 32 f., 39 – Francovich. Zudem entwickelte der EuGH den unionsrechtlichen Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes, EuGH 15.5.1986, Rs. 222/84, Slg. 1986, 1651 Rn. 18 f. – Johnston; EuGH 15.10.1987, Rs. 222/86, Slg. 1987, 4097 Rn. 14 – Heylens. In der dritten Phase, die in etwa mit den Entscheidungen EuGH 14.12.1995, Rs. C-312/93, Slg. 1995, I-4599 Rn. 14 – Peterbroeck und EuGH 14.12.1995, verb. Rs. C-430/93 und C-431/93, Slg. 1995, I-4705 Rn. 19 – van Schijndel eingeläutet wird, entwickelte der Gerichtshof dann das Abwägungssystem, das den nationalen Verfahrensvorschriften eigenes Gewicht verleiht und noch heute die Effektivitätsprüfung prägt. Dieses ist nicht als Rückschritt gegenüber der zweiten Phase zu verstehen, denn das Unionsrecht kann nach wie vor die Ergänzung des nationalen Verfahrensrechts durch neue Rechtsbehelfe verlangen, falls die Effektivität nicht gewahrt ist, vgl. EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 25 ff. – Courage; EuGH 17.9.2002, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 22, 30 – Muñoz; EuGH (Große Kammer) 13.3.2007, Rs. C-432/05, Slg. 2007, I-2271 Rn. 40 f., 64 f. – Unibet. Mit der dritten Phase verstärkt sich auch die Einwirkung des Effektivitätsgrundsatzes auf das Zivil- und Zivilverfahrensrecht der Mitgliedstaaten, zum Zivilverfahrensrecht Heinze EuR 2008, 654, 662 ff. Zur Diskussion bis zu den Entscheidungen Rewe/Comet Huthmacher Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts bei indirekten Kollisionen (1985) S. 56 ff., 66 ff. Eine Zäsur zu Beginn der neunziger Jahre sieht auch Nettesheim GS Grabitz (1995) 447, 461 f. unter Verweis auf EuGH 10.7.1990, Rs. C-217/88, Slg. 1990, I-2879 – Kommission/Deutschland; EuGH 21.2.1991, verb. Rs. C-143/88 und C-92/89, Slg. 1991, I-415 – Zuckerfabrik Süderdithmarschen. 81 Zum Begriff Komendera Normenkonflikte zwischen EWG und BRD-Recht – insbesondere indirekte Kollisionen (1974) S. 3, 141: „Darunter sind Konflikte des Gemeinschaftsrechts mit nationalen Normen zu verstehen, die einen nach dem Gemeinschaftsvertrag der Staatshoheit verbliebenen Aufgabenbereich regeln, und dabei inhaltlich mit Ge-
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rang des Unionsrechts im klassischen Sinne82 auflösen lässt, weil sie nicht aus der Missachtung der geschriebenen (vorrangigen) Regeln des Unionsrechts resultiert, sondern aus seiner ungenügenden Durchsetzung durch die komplementären Regeln des nationalen Rechts,83 die regelmäßig nicht in den Anwendungsbereich des (geschriebenen) Unionsrechts fallen.84 Vorrang- und Komplementaritätsprinzip bedurften daher einer Ergänzung durch ein drittes vertikal wirkendes Prinzip, das den Vorrang und die Wirksamkeit des Unionsrechts absichert, indem es das Unionsrecht auch außerhalb seines unmitmeinschaftsnormen anderer Kompetenzbereiche in ihren Folgewirkungen kollidieren“; Huthmacher Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts bei indirekten Kollisionen (1985) S. 134 f.; Weber EuR 1986, 1, 3: „Eine indirekte Kollision liegt dagegen vor, wenn bei unterschiedlichem Regelungsbedarf eine gemeinschaftsrechtlich vorgesehene Rechtsfolge mit nationalem Vollzugsrecht im Anwendungsfall kollidiert“; von Danwitz Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration (1996) S. 115; Jarass/Beljin NVwZ 2004, 1, 3; Streinz in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.) Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland X3 (2012) § 218 Rn. 21; differenzierend Niedobitek VerwArch 92 (2001) 58, 76: „Dies [Unanwendbarkeit effektivitätswidriger nationaler Verfahrensvorschriften] zeigt nun, dass auch bei den sog. indirekten Kollisionen letztlich stets eine direkte, wenn auch nicht so klar erkennbare Kollisionslage besteht. An dem Begriff der indirekten Kollision sollte dennoch festgehalten werden […]. Der Unterschied besteht […] darin, dass bei einer direkten Kollision das nationale Recht die gemeinschaftsrechtliche Rechtsposition als solche negiert, während es bei einer indirekten Kollision die gemeinschaftsrechtliche Rechtsposition […] gewissermaßen ‚durch die Hintertür‘ sabotiert“; ebenso Kruis Der Anwendungsvorrang des EU-Rechts in Theorie und Praxis (2013) S. 102. 82 Allerdings gibt es im europarechtlichen Schrifttum eine Auffassung, die den Effektivitätsgrundsatz als Ausdruck des Vorrangs des Unionsrechts versteht, siehe Schroeder in: Streinz EUV/AEUV2 (2012) Art. 288 EGV Rn. 43. Ähnlich Trstenjak/Beysen CMLR 48 (2011) 95, 99 Fn. 12: „In the majority view among legal writers, the duty of national courts and tribunals to use their national procedural law within the borders drawn by the principles of equivalence and effectiveness can be analysed as a practical expression of the principles of primacy and direct effect of EU law“ (mit Verweis auf Lenaerts/Arts/Maselis Procedural Law of the European Union (2006) 3-003; N. Reich CMLR 44 (2007) 705). Vgl. auch die „Modifikation des Vorrangprinzips bei indirekten Kollisionen“ von Huthmacher Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts bei indirekten Kollisionen (1985) S. 174 ff., 182 ff. Burchardt Die Rangfrage im europäischen Normenverbund (2015) S. 318 f. konstatiert eine „mehrpolige Kollisionslage“, nämlich eine Kollision einerseits zwischen der nationalen Verfahrensnorm und der materiellen Unionsrechtsnorm und eine direkte Kollision andererseits zwischen der nationalen Verfahrensnorm und den Unionsprinzipien der Effektivität und Äquivalenz. 83 Zutreffend verweisen die Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 13.12.2001, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 51 – Muñoz darauf, dass die „effektive Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts Voraussetzung für das Funktionieren der Gemeinschaft“ ist. 84 Zuweilen löst allerdings auch der EuGH solche indirekten Kollisionen durch den Rückgriff auf den Anwendungsvorrang, vgl. EuGH (Große Kammer) 18.7.2007, Rs. C119/05, Slg. 2007, I-6199 Rn. 61 f. – Lucchini; dazu König Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (2011) S. 49.
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telbaren Anwendungsbereichs gegen etwaige nationale Durchsetzungsdefizite durch Einschränkungen der nationalen Verfahrensautonomie absichert,85 so dass es – trotz fehlender oder unvollständiger Harmonisierung – bei der Rechtsdurchsetzung faktisch zu einer Verschränkung von europäischem und nationalem Recht kommt.86 Dieses dritte vertikal wirkende Prinzip ist der sanktionenrechtliche Effektivitätsgrundsatz,87 den der Gerichtshof ausgehend von drei unterschiedlichen judikativen Wurzeln (§ 1 II 2 b → S. 33) seit den siebziger Jahren entwickelt hat. Ausgangspunkt ist dabei, dass es einerseits Aufgabe der nationalen Gerichte ist, den wirksamen Schutz der dem Bürger aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte zu gewährleisten (bereits oben § 1 II 1 → S. 18), andererseits die konkrete Ausgestaltung der entsprechenden gerichtlichen Verfahren und Rechtsbehelfe bei fehlender unionsrechtlicher Regelung dem innerstaatlichen Recht obliegt.88 Um die Wirksamkeit des Unionsrechts gegen potentiell beeinträchtigende (allzu laxe) nationale Verfahrensvorschriften zu sichern, steht die mitgliedstaatliche Ausgestaltung der gerichtlichen Verfahren und Rechtsbehelfe zur Durchsetzung des Unionsrechts unter dem doppelten Vorbehalt des Effektivitäts- und des Äquivalenzgrundsatzes. Danach dürfen die nationalen Verfahren und Rechtsbehelfe zur Durchsetzung des Unionsrechts weder EuGH 16.3.2006, Rs. C-234/04, Slg. 2006, I-2585 Rn. 22 – Kapferer: „Schranken der verfahrensrechtlichen Befugnisse der Mitgliedstaaten“; Seyr Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH (2008) S. 179: „stützt sich auf grundlegende Prinzipien wie den Vorrang des Gemeinschaftsrechts und den effektiven Rechtsschutz des Einzelnen“, Absicherung der „Einheit und Wirksamkeit“ des Unionsrechts; Lenaerts/Maselis/Gutman EU Procedural Law (2014) Rn. 4.04: „equivalence and effectiveness are […] a practical expression of the principles of the primacy and direct effect of Union law“. Mosiek Effet utile und Rechtsgemeinschaft (2003) S. 256 sieht im Effektivitätsgrundsatz einen Ausgleich zwischen dem Grundsatz mitgliedstaatlicher Vollzugsautonomie und dem Bedürfnis nach gemeinschaftsweit einheitlicher Anwendung von Gemeinschaftsrecht. 86 Seyr Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH (2008) S. 363: „Verzahnung“. Die in der Literatur diskutierten Alternativen zum Effektivitätsgrundsatz (dazu Kulms Der Effektivitätsgrundsatz (2013) S. 209 ff. m. w. N.) sollen hier nicht vertieft werden, weil sich das Konzept in der Rechtsprechung des Gerichtshofs auf absehbare Zeit durchgesetzt hat. 87 Zuweilen auch als „Vereitelungsverbot“ (von Danwitz DÖV 1996, 481, 488) oder „Effizienzgebot“ (Streinz in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.) Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland VII (1992) § 182 Rn. 26) bezeichnet. Anschaulich auch Dougan National remedies before the Court of Justice (2004) S. 27: „the most volatile weapon in the Court’s armoury“. 88 EuGH 19.12.1968, Rs. 13/68, Slg. 1968, 680, 693 – Salgoil; EuGH 16.12.1976, Rs. 33/76, Slg. 1976, 1989 Rn. 5 – Rewe; EuGH 16.12.1976, Rs. 45/76, Slg. 1976, 2043 Rn. 11/18 – Comet; EuGH 14.12.1995, verb. Rs. C-430/93 und C-431/93, Slg. 1995, I-4705 Rn. 17 – van Schijndel; EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 29 – Courage; EuGH 4.12.2003, Rs. C-63/01, Slg. 2003, I-14447 Rn. 45 – Evans; EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 62, 71 – Manfredi; EuGH (Große Kammer) 13.3.2007, Rs. C-432/05, Slg. 2007, I-2271 Rn. 39, 42 – Unibet. 85
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§ 1 Ausgangslage und Anlass der Untersuchung
ungünstiger ausgestaltet sein als bei entsprechenden Klagen, die das innerstaatliche Recht betreffen (Äquivalenzgrundsatz),89 noch dürfen sie die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren90 (Effektivitätsgrundsatz)91.92 Aus diesen Vorbehalten ergeben sich zunächst Konsequenzen für die Ausgestaltung des nationalen Verfahrensrechts zur Durchsetzung der Rechte aus dem Unionsrecht,93 etwa für die nationalen Regeln zum Beweismittelzugang94 und zum Beweisverfahren,95 zu Unterlassungsanordnungen,96 zur Rechts89 Auch „Prinzip des nationalen Mindeststandards“ genannt, Steindorff EG-Vertrag und Privatrecht (1996) S. 304. 90 Ursprünglich hatte der EuGH nur überprüft, ob die nationalen Verfahrensregeln die Rechtsverfolgung „praktisch unmöglich“ machen, vgl. EuGH 16.12.1976, Rs. 33/76, Slg. 1976, 1989 Rn. 5 – Rewe, in späteren Entscheidungen es jedoch genügen lassen, dass die nationale Verfahrensregel die Durchsetzung „übermäßig erschwert“, ständige Rechtsprechung seit EuGH 9.11.1983, Rs. 199/82, Slg. 1983, 3595 Rn. 14 – San Giorgio. 91 Zuweilen auch als „Gewährleistungsprinzip“ bezeichnet, Steindorff EG-Vertrag und Privatrecht (1996) S. 304. 92 Zur Formel des Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatzes EuGH 16.12.1976, Rs. 33/ 76, Slg. 1976, 1989 Rn. 5 – Rewe; EuGH 16.12.1976, Rs. 45/76, Slg. 1976, 2043 Rn. 11/ 18 – Comet; EuGH 9.11.1983, Rs. 199/82, Slg. 1983, 3595 Rn. 12, 14 – San Giorgio; EuGH 14.12.1995, verb. Rs. C-430/93 und C-431/93, Slg. 1995, I-4705 Rn. 17 – van Schijndel; EuGH 14.12.1995, Rs. C-312/93, Slg. 1995, I-4599 Rn. 12 – Peterbroeck; EuGH 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 67, 70 – Brasserie du Pêcheur; EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 29 – Courage; EuGH 6.12.2001, Rs. C-472/99, Slg. 2001, I-9687 Rn. 28 – Clean Car; EuGH 21.11.2002, Rs. C-473/00, Slg. 2002, I-10875 Rn. 37 – Cofidis; EuGH 4.12.2003, Rs. C-63/01, Slg. 2003, I-14447 Rn. 45 – Evans; EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 62, 71 – Manfredi; EuGH (Große Kammer) 13.3.2007, Rs. C-432/05, Slg. 2007, I-2271 Rn. 39, 42 – Unibet; EuGH 22.12.2010, Rs. C-279/09, Slg. 2010, I-13849 Rn. 28 – DEB; EuGH 11.11.2015, Rs. C-505/14, ECLI:EU:2015:742 Rn. 40 – Klausner Holz Niedersachsen. Für eine parallele Rechtsprechungslinie zur Durchsetzung des Sekundärrechts unten Fn. 158 und Fn. 159. 93 Zu Einzelheiten Heinze EuR 2008, 654, 661 ff.; Hess Europäisches Zivilprozessrecht (2010) § 11 Rn. 4 ff. 94 Vgl. EuGH 7.9.2006, Rs. C-526/04, Slg. 2006, I-7529 Rn. 55 – Laboratoires Boiron; zur Übertragung auf andere Rechtsgebiete EuGH 28.1.2010, C-264/08, Slg. 2010, I-731 Rn. 33 ff. – Direct Parcel Distribution; zum Zugang zu Kommissionsdokumenten im Kartelldeliktsrecht EuGH (Große Kammer) 14.6.2011, Rs. C-360/09, Slg. 2011, I-5161 Rn. 24 ff. – Pfleiderer (nun allerdings Art. 6, 7 RL 2014/104, zur möglichen Unionsrechtswidrigkeit Schweitzer NZKart 2014, 335, 343); zum Zugang zu Informationen und Auskunftsansprüchen im Antidiskriminierungsrecht EuGH 21.7.2011, Rs. C-104/10, Slg. 2011, I-6813 Rn. 38 f., 54 f. – Kelly; EuGH 19.4.2012, Rs. C-415/10, ECLI:EU:C:2012:217 Rn. 38 ff. – Meister. 95 Zur Abneigung des Unionsrechts gegenüber Beweismittelbeschränkungen EuGH 9.2.1999, Rs. C-343/96, Slg. 1999, I-579 Rn. 48 – Dilexport; zur Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise EuGH 10.4.2003, Rs. C-276/01, Slg. 2003, I-3735 Rn. 78 f. – Steffensen.
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kraft,97 zu Prozesskosten98 und zur Prozesskostenhilfe,99 zu obligatorischen außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren,100 zur Garantie des einstweiligen Rechtsschutzes,101 zur Parteiherrschaft über Anträge,102 Tatsachenstoff103 96 Vgl. zu den Regeln der RL 2004/48 EuGH (Große Kammer) 12.7.2011, Rs. C-324/ 09, Slg. 2011, I-6011 Rn. 131 – L’Oréal; EuGH 24.11.2011, Rs. C-70/10, ECLI:EU:C: 2011:771 Rn. 31 – Scarlet Extended; zu Unterlassungsanordnungen nach der Markenverordnung EuGH 14.12.2006, Rs. C-316/05, Slg. 2006, I-12083 Rn. 49, 51, 57 ff. – Nokia; EuGH (Große Kammer) 12.4.2011, Rs. C-235/09, Slg. 2011, I-2801 Rn. 53 ff., 58 – DHL. 97 EuGH 11.11.2015, Rs. C-505/14, ECLI:EU:2015:742 Rn. 38 f. – Klausner Holz Niedersachsen, siehe auch Rn. 36 zu einer möglichen unionsrechtskonformen Auslegung der Reichweite der Rechtskraft (§ 322 ZPO). 98 Kostenregeln sind i. d. R. mit dem Effektivitätsgebot vereinbar, EuGH 6.12.2001, C-472/99, Slg. 2001, I-9687 Rn. 27, 29 – Clean Car; siehe aber auch EuGH 4.12.2003, Rs. C-63/01, Slg. 2003, I-14447 Rn. 75 ff. – Evans. 99 EuGH 22.12.2010, Rs. C-279/09, Slg. 2010, I-13849 Rn. 28 ff. – DEB. 100 EuGH 18.3.2010, Rs. C-317/08 bis C-320/08, Slg. 2010, I-2213 Rn. 62 ff. – Alassini. 101 EuGH (Große Kammer) 13.3.2007, Rs. C-432/05, Slg. 2007, I-2271 Rn. 72 f., 80 ff. – Unibet. 102 Einen Verstoß gegen den Effektivitätsgrundsatz bei strikter Bindung des Verbrauchers an den einmal gestellten Antrag auf Vertragsaufhebung (anstelle auf Minderung) bejahen die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 28.2.2013, Rs. C-32/12, ECLI:EU:C:2013:128 Rn. 31, 33, 35 – Duarte Hueros. Sie sieht zur Verwirklichung des Effektivitätsgrundsatzes die Möglichkeit der Klageänderung oder großzügigeren Antragsauslegung oder eine engere Fassung der Rechtskraft eines klageabweisenden Urteils (Rn. 49 ff.), nicht aber die Minderung von Amts wegen als durch den Effektivitätsgrundsatz geboten an (Rn. 41 ff.). Der EuGH 3.10.2013, Rs. C-32/12, ECLI:EU:C:201:637 Rn. 39 – Duarte Hueros kam ebenfalls zu dem Ergebnis, dass eine Verfahrensregelung, die es dem nationalen Gericht nicht erlaubt, von Amts wegen den Anspruch des Verbrauchers auf angemessene Minderung zuzuerkennen, obwohl der Verbraucher weder den ursprünglichen Antrag präzisieren noch eine neue Klage erheben darf, gegen den Effektivitätsgrundsatz verstößt. 103 Grundsätzlich respektiert der EuGH die Parteiherrschaft über den Tatsachenstoff im Zivilprozess und verlangt keine Amtsermittlung zur wirksamen Durchsetzung des Unionsrechts, EuGH 14.12.1995, Rs. C-430/93 und C-431/93, Slg. 1995, I-4705 Rn. 20 ff. – van Schijndel. In Richtung einer Amtsermittlungspflicht für Tatsachen im Kontext der Klauselrichtlinie 93/13 aber EuGH (Große Kammer) 9.11.2010, Rs. C-137/08, Slg. 2010, I-10847 Rn. 51, 56 – Ferenc Schneider; siehe auch EuGH 14.6.2012, Rs. C-618/10, ECLI:EU:C: 2012:349 Rn. 44, 46 ff. – Banco Español de Crédito; EuGH 21.2.2013, Rs. C-472/11, ECLI:EU:C:2013:88 Rn. 23 f. – Banif Plus Bank. In der Literatur wird die sekundärrechtlich in Art. 6 und Art. 7 RL 93/13 verankerte Pflicht zur amtswegigen Prüfung als spezielle Ausprägung des Effektivitätgrundsatzes angesehen, Metzger ZEuP 2004, 153; Möslein GPR 2004, 59, 60; Heinze EuR 2008, 654, 664; wohl auch EuGH 21.2.2013, Rs. C-472/11, ECLI:EU:C:2013:88 Rn. 20, 26 – Banif Plus Bank; Dutta ZZP 126 (2013) 153, 160 f. Vgl. auch die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 28.2.2013, Rs. C-32/12, ECLI:EU:C:2013:128 Rn. 40 ff. – Duarte Hueros, die eine Minderung von Amts wegen in der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, im Unterschied zur Klauselkontrolle von Amts wegen in der Klauselrichtlinie 93/13, nicht als durch den Effektivitätsgrundsatz geboten ansieht.
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§ 1 Ausgangslage und Anlass der Untersuchung
und Rechtsfragen104 bis hin zu besonderen Verfahren wie dem Mahnverfahren.105 Effektivität und Äquivalenz betreffen aber auch die materiellrechtliche Seite der Rechtsdurchsetzung einschließlich der hier interessierenden Schadensersatzansprüche106 und Ausschlussfristen.107 a) Kompetenz Die Verbandskompetenz der Union zur Definition von Minimalstandards für die Effektivität der Rechtsdurchsetzung ergibt sich als Annexkompetenz zur Regelungskompetenz für das betreffende Sachgebiet, insbesondere als Annex
104 Dazu EuGH 14.12.1995, Rs. C-430/93 und C-431/93, Slg. 1995, I-4705 Rn. 20 ff. – van Schijndel; EuGH 7.6.2007, Rs. C-222/05 bis C-225/05, Slg. 2007, I-4233 Rn. 29 ff., 40 f. – van der Weerd; zur Klauselrichtlinie 93/13 EuGH 27.6.2000, verb. Rs. C-240/98 bis C-244/98, Slg. 2000, I-4941 Rn. 26, 28 f. – Océano Grupo; EuGH 21.11.2002, Rs. C-473/ 00, Slg. 2002, I-10875 Rn. 32 – Cofidis; deutlicher EuGH 26.10.2006, Rs. C-168/05, Slg. 2006, I-10421 Rn. 27, 35, 38 – Mostaza Claro; EuGH 4.6.2009, Rs. C-243/08, Slg. 2009, I-4713 Rn. 23 f., 31 f. – Pannon; EuGH 6.10.2009, Rs. C-40/08, Slg. 2009, I-9579 Rn. 32 – Asturcom; EuGH (Große Kammer) 9.11.2010, Rs. C-137/08, Slg. 2010, I-10847 Rn. 49, 56 – Ferenc Schneider; EuGH 16.11.2010, Rs. C-76/10, Slg. 2010, I-11557 Rn. 40 – Pohotovosť; EuGH 26.4.2012, Rs. C-472/10, ECLI:EU:C:2012:242 Rn. 41 – Invitel; EuGH 14.6.2012, Rs. C-618/10, Slg. ECLI:EU:C:2012:349 Rn. 42 f. – Banco Español de Crédito; EuGH 21.2.2013, Rs. C-472/11, ECLI:EU:C:2013:88 Rn. 23 f., 28 – Banif Plus Bank; EuGH 21.4.2016, Rs. C-377/14, ECLI:EU:C:2016:283 Rn. 52, 54 – Radlinger. Siehe auch die Rechtsprechung zur (alten) Verbraucherkreditrechtlinie 87/102 EuGH 4.10.2007, Rs. C-429/05, Slg. 2007, I-8017 Rn. 63 ff. – Rampion; zum Kartellrecht EuGH 1.6.1999, Rs. C-126/97, Slg. 1999, I-3055 Rn. 36 ff, 40 – Eco Swiss einerseits und EuGH 14.12.1995, Rs. C-430/93 und C-431/93, Slg. 1995, I-4705 Rn. 20 ff. – van Schijndel andererseits (was im letzteren Fall aber auch daran liegen kann, dass offenbar nicht nur neue Rechtsfragen, sondern auch neue Tatsachen hätten einbezogen werden müssen). Grundlegend zu den Vorgaben des Effektivitätsgebots für die Einführung, Ermittlung und Anwendung ausländischen Rechts Trautmann Europäisches Kollisionsrecht und ausländisches Recht im nationalen Zivilverfahren (2011) S. 289 ff. 105 EuGH 14.6.2012, Rs. C-618/10, Slg. ECLI:EU:C:2012:349 Rn. 46 ff. – Banco Español de Crédito. 106 EuGH 13.7.2006, verb. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 95 – Manfredi (zum Kartelldeliktsrecht); siehe auch EuGH 2.8.1993, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367 Rn. 31 – Marshall II (zum Antidiskriminierungsrecht); EuGH 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 83 – Brasserie du Pêcheur (zum Staatshaftungsrecht); zum Rechtsirrtum als Entlastungsgrund aus der Perspektive des Effektivitätsgebots (im Vergaberecht) EuGH 30.9.2010, Rs. C-314/09, Slg. 2010, I-8769 Rn. 45 – Strabag. 107 EuGH 13.7.2006, Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 78 – Manfredi; siehe auch EuGH 16.7.2009, Rs. C-69/08, Slg. 2009, I-6741 Rn. 43 ff. – Visciano; zu den Fristen und zum Fristlauf EuGH 6.10.2009, Rs. C-40/08, Slg. 2009, I-9579 Rn. 43 ff. – Asturcom; für ein Beispiel einer offenbar unionsrechtswidrigen (zu kurzen) Frist EuGH 29.10.2009, Rs. C-63/08, Slg. 2009, I-10467 Rn. 48, 55 ff. – Pontin.
II. Anlass: Europäische Vorgaben für die Rechtsdurchsetzung
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zur Rechtsangleichungskompetenz gemäß Art. 114 AEUV.108 So hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass der Umstand, dass das Straf- und Strafpro-
108 Siehe bereits EuGH 16.12.1976, Rs. 33/76, Slg. 1976, 1989 Rn. 5 – Rewe: „Die Artikel 100 bis 102 und Artikel 135 EWG-Vertrag [Art. 114–117 und Art. 352 AEUV] gestatten es gegebenenfalls, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Unterschiede in den Rechts- oder Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten in diesem Bereich auszuräumen, wenn sich erweisen sollte, dass sie Verzerrungen hervorrufen oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes zu beeinträchtigen geeignet sind.“ Ebenso EuGH 15.11.1994, Gutachten 1/94, Slg. 1994, I-5267 Rn. 104 – TRIPS; Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012) S. 297; Rott in: Leczykiewicz/Weatherill (Hrsg.) The Involvement of EU Law in Private Law Relationships (2013) 181, 191; Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 10.04 f. (zu Art. 114 AEUV, aber auch Rn. 10.27 und Rn. 10.47); Franck Marktordnung durch Haftung (2016) S. 187; zum Verfahrensrecht Krönke Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (2013) S. 56 f. (nur – ggf. auch auf mehrere – Sachgebiete beschränkte, keine bereichsübergreifende Gesamtregelungskompetenz im Verfahrensrecht, innerhalb der Sachgebiete aber durchaus Kompetenz „zu weitreichenden verfahrensrechtlichen Regelungen“); Wundenberg ZGR 2015, 124, 150; Ahrens in: Karlsruher Forum 2015: Europäisierung des Haftungs- und des Versicherungsvertragsrechts (2016) 108, 110; siehe auch bereits von Danwitz Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration (1996) S. 432: „punktuelle und sachbereichsspezifische“ Vorgaben, innerhalb der Sachbereiche aber „durchaus wesentliche Kompetenzreserven“; zur Diskussion im Beihilfenvollzug Hanf ZaöRV 59 (1999) 51, 73 ff., der die Kompetenz aus (damals) Art. 5 EGV (heute Art. 4 Abs. 3 AEUV) ableitet (80); zum Verwaltungsprozessrecht auch Pache Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum (2001) S. 346 f.: die Kompetenzgrundlage für Rechtsschutzanforderungen des Unionsrechts an das nationale Verwaltungsprozessrecht liege in den einzelnem materiellrechtlichen Ermächtigungen [im Privatrecht insbesondere Art. 114 AEUV] und der „kompetentiellen Komponente des Artikels 10 EGV“ in Verbindung mit den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes. Skeptischer Weyer ZEuP 2003, 319, 338 f.; ders. in: Frankfurter Kommentar II (2009) Art. 81 EG Zivilrechtsfolgen Rn. 21 ff., 46: „nicht abschließend geklärt, ob überhaupt eine Verbandskompetenz der EG zur Regelung privater Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Art. 81 EG besteht“ (mit Diskussion insbesondere des Art. 103 AEUV), aber auch Rn. 49, 51: „kompetenziellen Bedenken […] nicht unüberwindbar“). Für eine Abwägung zwischen dem Effektivitätsgebot und den kompetenziellen Grenzen des Unionsrechts im Einzelfall plädiert Tomasic Effet utile (2013) S. 188, der allerdings im Ergebnis offenbar sowohl der Union die Organ- wie dem EuGH die Verbandskompetenz für eine „einheitlich unionsrechtliche Systembildung“ abspricht, sofern sie nicht die ausschließliche Kompetenz nach Art. 2 Abs. 1, 2 AEUV besitzt (201 f.); für eine fehlende Kompetenz der Union auch bereits Honsell FS Krecji (2001) 1929, 1938. Amort in: Effer-Uhe u. a. (Hrsg.) Richterliche Rechtsfortbildung und kodifiziertes Richterrecht – Jahrbuch junger Zivilrechtswissenschaftler 2014 (2015) 323, 325 hält eine Annexkompetenz für Vollzugsregeln zwar grundsätzlich für möglich, will diese der Union „zur Angleichung nationaler Verfahrensnormen“ aber absprechen. Gegen eine Unionskompetenz zur Regulierung des privaten Anlegerschutzrechts zudem Harnos ZEuP 2015, 546, 550 ff., der eine Annexkompetenz zum Erlass von Durchsetzungsvorschriften an die „Unerlässlichkeit“ zur Verwirklichung einer expliziten Kompetenz knüpfen will, die im privaten Anlegerschutzrecht nicht gegeben sei (557).
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§ 1 Ausgangslage und Anlass der Untersuchung
zessrecht nicht in die Zuständigkeit der Union fällt, den Unionsgesetzgeber nicht daran hindert, „Maßnahmen in Bezug auf das Strafrecht der Mitgliedstaaten zu ergreifen, die seiner Meinung nach erforderlich sind, um die volle Wirksamkeit der von ihm zum Schutz der Umwelt erlassenen Rechtsnormen zu gewährleisten, wenn die Anwendung wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender Sanktionen durch die zuständigen nationalen Behörden eine zur Bekämpfung schwerer Beeinträchtigungen der Umwelt unerlässliche Maßnahme darstellt“.109
Diese Formel dürfte erst recht für zivilrechtliche Rechtsbehelfe gelten, für die die Kompetenzanforderungen noch unter dem Erfordernis der Unerlässlichkeit angesiedelt sein dürften.110 Hier greift in vielen Fällen nämlich auch für die Harmonisierung der Rechtsfolgen bereits die Binnenmarktkompetenz des Art. 114 AEUV. Diese Kompetenznorm darf der Unionsgesetzgeber „im Fall von Unterschieden zwischen den nationalen Regelungen heranziehen, wenn diese Unterschiede geeignet sind, die Grundfreiheiten zu beeinträchtigen111 oder112 Wettbewerbsverzerrungen113 zu verursachen und sich auf diese Weise unmittelbar auf das Funktionieren des Binnenmarkts auszuwirken“.114
Eine Auswirkung auf das Funktionieren des Binnenmarktes ist gegeben, „wenn Handelshemmnisse bestehen oder solche Hemmnisse wahrscheinlich entstehen werden, weil die Mitgliedstaaten hinsichtlich eines Erzeugnisses […] divergierende Maßnahmen erlassen haben […], die ein unterschiedliches Schutzniveau gewährleisten und 109 EuGH (Große Kammer) 13.9.2005, Rs. C-176/03, Slg. 2005, I-7879 Rn. 47 f. – Kommission/Rat. 110 Zurückhaltender Hess Europäisches Zivilprozessrecht (2010) § 11 Rn. 9 (allerdings zur Einbeziehung der Verfahrensrechte der Mitgliedstaaten in ihrer Breite). 111 Dazu EuGH 12.12.2006, Rs. C-380/03, Slg. 2006, I-11573 Rn. 37 – Deutschland/ Parlament und Rat (Tabakwerberichtlinie II). 112 Hervorhebung nicht im Original. Im Schrifttum wird häufig die Binnenmarktkompetenz nach Art. 114 AEUV beschränkt auf Maßnahmen, die dazu dienen, Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten abzustellen. Dies entspricht m. E. nicht der Auslegung dieser Vorschrift durch den EuGH, der ebenfalls Wettbewerbsverzerrungen ausreichen lässt, zu den beiden Kategorien Herresthal in: Langenbucher (Hrsg.) Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht3 (2013) § 2 Rn. 31 f. 113 Dazu EuGH 5.10.2000, Rs. C-376/98, Slg. 2000, I-8419 Rn. 84, 106 – Deutschland/ Parlament und Rat (Tabakwerberichtlinie I). 114 EuGH 10.2.2009, Rs. C-301/06, Slg. 2009, I-593 Rn. 63 – Irland/Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union (Vorratsdatenspeicherung); EuGH 8.6.2010, Rs. C-58/08, Slg. 2010, I-4999 Rn. 32 – Vodafone. Wird Art. 114 AEUV als Rechtsgrundlage bemüht, „um der Entstehung neuer Hindernisse für den Handel infolge einer heterogenen Entwicklung der nationalen Rechtsvorschriften vorzubeugen, muss zudem das Entstehen solcher Hindernisse wahrscheinlich sein und die fragliche Maßnahme ihre Vermeidung bezwecken“, EuGH 10.2.2009, Rs. C-301/06, Slg. 2009, I-593 Rn. 64 – Irland/ Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union (Vorratsdatenspeicherung); EuGH 8.6.2010, Rs. C-58/08, Slg. 2010, I-4999 Rn. 33 – Vodafone.
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dadurch den freien Verkehr mit dem oder den betreffenden Erzeugnissen in der Gemeinschaft behindern“.115
Wie ein kurzer Rundgang durch den acquis im Bereich der zivilrechtlichen Rechtsfolgen (ausführlicher unter § 3 II 1 → S. 120) ergibt, sind die Voraussetzungen des Art. 114 AEUV bereits bei einer Reihe zivilrechtlicher Rechtsbehelfsregelungen als erfüllt angesehen worden.116 So hat der europäische Gesetzgeber beispielsweise die Harmonisierung der Rechtsfolgen für die Verletzung unionaler und nationaler Immaterialgüterrechte (vgl. Art. 2 Abs. 1 RL 2004/48)117 oder die Harmonisierung der Regeln für Schadensersatzklagen wegen Verletzung wettbewerbsrechtlicher Bestimmungen der Union und der Mitgliedstaaten (Art. 2 Nr. 1, 3 RL 2014/104)118 ausdrücklich (auch)119 auf Art. 114 AEUV und das Binnenmarktinteresse an einer einheitlichen120 und wirksamen121 Durchsetzung des jeweiligen materiellen Rechts gestützt. Auch die Angleichung des Produkthaftungsrechts durch die Richtlinie 85/374 EuGH 12.12.2006, Rs. C-380/03, Slg. 2006, I-11573 Rn. 41 – Deutschland/ Parlament und Rat (Tabakwerberichtlinie II). 116 Siehe auch Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 10.02, demzufolge sämtliche von ihm untersuchten Maßnahmen der Union (aus dem Vergaberecht RL 89/665 und RL 92/13; aus dem Immaterialgüterrecht RL 2004/48; aus dem Verbraucherrecht RL 85/374, RL 93/13 und RL 2009/22 und aus dem Kartellrecht RL 2014/104) zur Harmonisierung der Rechtsfolgen auf Art. 114 AEUV gestützt wurden. Die beiden Ausnahmen sind die Produkthaftungsrichtlinie 85/374 (gestützt auf Art. 115 AEUV, Art. 114 AEUV existierte zum Erlasszeitpunkt noch nicht; die Änderungsrichtlinie 1999/34 wurde dann auf Art. 114 AEUV gestützt) und die Kartellschadensersatzrichtlinie 2014/104, die sowohl auf Art. 114 AEUV wie auf Art. 103 AEUV gestützt wurde, weil sie sowohl die Zuwiderhandlung gegen nationales Wettbewerbsrecht (Art. 114 AEUV) wie gegen unionales Wettbewerbsrecht (Art. 103 AEUV) erfasst (Art. 2 Nr. 1, 3 RL 2014/104). Ebenfalls nicht auf Art. 114 AEUV sind die Antidiskriminierungsrichtlinien (gestützt u. a. auf Art. 157 Abs. 3 AEUV) und die Fluggastrechteverordnung (gestützt auf Art. 100 Abs. 2 AEUV) gestützt. 117 Siehe die Einleitung in die Erwägungen (gestützt auf Art. 95 EG = Art. 114 AEUV) und Erwägungsgrund 3 RL 2004/48: „Ohne wirksame Instrumente zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums werden jedoch Innovation und kreatives Schaffen gebremst und Investitionen verhindert. Daher ist darauf zu achten, dass das materielle Recht auf dem Gebiet des geistigen Eigentums, das heute weitgehend Teil des gemeinschaftlichen Besitzstands ist, in der Gemeinschaft wirksam angewandt wird. Daher sind die Instrumente zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums von zentraler Bedeutung für den Erfolg des Binnenmarkts“ (Hervorhebung nicht im Original); McGuire GRUR Int. 2005, 15: „effektive Umsetzung des acquis communautaire sichern“; Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012) S. 297 Fn. 237. 118 Siehe die Einleitung in die Erwägungsgründe der Richtlinie 2014/104 „gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf die Artikel 103 und 114“ sowie Erwägungsgründe 7–9 RL 2014/104. 119 Bei der Kartellschadensersatzrichtlinie kam Art. 103 AEUV wegen der Durchsetzung der Art. 101, 102 AEUV hinzu. 120 Vgl. Erwägungsgründe 7, 8, 10 RL 2004/48 und Erwägungsgründe 7, 9 RL 2014/104. 115
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§ 1 Ausgangslage und Anlass der Untersuchung
wurde auf (damals) Art. 100 EWG (heute Art. 115 AEUV) gestützt, der ähnliche – potentiell sogar engere („unmittelbar“) – Voraussetzungen wie Art. 114 AEUV definiert. Ebenso findet sich in der Leitner-Entscheidung des EuGH bei der Auslegung schadensersatzrechtlicher Normen der ausdrückliche Hinweis, dass eine einheitliche Auslegung geboten sei, um spürbare Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern,122 so dass offenbar durch Divergenzen in den Haftungsvorschriften eine Binnenmarktrelevanz i. S. d. Art. 114 AEUV durchaus gegeben sein kann. Zwar ist in der Literatur gegen die Leitner-Entscheidung des EuGH eingewandt worden, dass Wettbewerbsverzerrungen im Pauschalreiserecht durch unterschiedliche nationale Regeln zur Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden infolge der kollisionsrechtlichen Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt „passiver“ Verbraucher (damals Art. 5 EVÜ) ausgeschlossen seien, so dass eine „Angleichung“ des Schadensbegriffs im Hinblick auf immaterielle Schäden durch den Gerichtshof nicht mehr von Art. 114 AEUV gedeckt sei.123 Dieser Einwand vermag – auch unabhängig von dem Umstand, dass die Pauschalreiserichtlinie 90/314 einen weitergehenden Verbraucherbegriff124 als Art. 5 EVÜ zugrunde legt – nicht zu überzeugen. Auch wenn möglicherweise in Bezug auf dieselbe „passive“ Gruppe von Verbrauchern dasselbe Recht zur Anwendung kommen mag, so ist es gerade das Ziel der Binnenmarktintegration, auch „aktive“ Verbraucher, die nicht von Art. 5 EVÜ erfasst werden und damit ausländischem Reiserecht unterworfen sind, zur Inanspruchnahme von Reisedienstleistungen aus anderen Mitgliedstaaten zu ermuntern.125 Es kommt hinzu, 121 Vgl. Erwägungsgrund 3 RL 2004/48 und Erwägungsgründe 7 und 8 RL 2014/104; siehe auch Erwägungsgründe 1, 4 RL 89/665 und Erwägungsgründe 1, 3 RL 92/13 sowie Erwägungsgrund 4 RL 2009/22. 122 EuGH 12.3.2002, Rs. C-168/00, Slg. 2002, I-2631 Rn. 21 – Leitner: „Bei Pauschalreisen würde aber das Bestehen einer Schadensersatzpflicht für immaterielle Schäden in einigen Mitgliedstaaten und das Fehlen einer solchen Pflicht in anderen zu spürbaren Wettbewerbsverzerrungen führen, da, wie die Kommission ausgeführt hat, immaterielle Schäden in diesem Bereich häufig zu verzeichnen sind.“ 123 W.-H. Roth CMLR 40 (2003) 937, 943 f.: „very weak and unreliable basis in Community law“. 124 In der Pauschalreiserichtlinie wird der Verbraucherschutz umfassender als sonst im Unionsprivatrecht verstanden, weil die Richtlinie in ihrem personellen Anwendungsbereich keine Beschränkung auf den nicht gewerblich tätigen Verbraucher vorsieht (zur alten Richtlinie Art. 2 Nr. 4 RL 90/314). Zur nunmehr etwas engeren Regelung in der neuen Pauschalreiserichtlinie Art. 2 Abs. 2 lit. c, Art. 3 Nr. 6 und Erwägungsgrund 7 RL 2015/ 2302. 125 Zur Binnenmarktdienlichkeit eines hohen Verbraucherschutzniveaus im Pauschalreiserecht durch Gewährleistung „heimischer“ („hoher“) Verbraucherschutzstandards auch bei grenzüberschreitend nachfragenden (aktiven) Verbrauchern Tonner in: Grabitz/Hilf Das Recht der Europäischen Union IV (EL 13 1999) A 12 Pauschalreisen (RL 90/314/ EWG) Vorbemerkung Rn. 35 ff.; a. A. W.-H. Roth CMLR 40 (2003) 937, 944: „regulations concerning compensation for damages do not shape the legal product as such, and therefo-
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dass auch Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten zur Ausdehnung ihrer Geschäftstätigkeit ermuntert werden sollen, was durch die höheren Kosten, die sich aus dem Rechtsgefälle zwischen verschiedenen Mitgliedstaaten ergeben, behindert werden kann.126 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Einbeziehung der sektoriellen Rechtsdurchsetzungsvorschriften in die Gesetzgebungskompetenz des Art. 114 AEUV in den betreffenden Gesetzgebungsverfahren kaum in Zweifel gezogen wurde.127 Gegen eine Unionskompetenz auf dem Gebiet der sektoriellen Rechtsdurchsetzung sprechen schließlich auch nicht der Subsidiaritätsgrundsatz (Art. 5 Abs. 3 EUV), der in der Praxis eher politische und prozedurale (im Sinne etwa von Konsultationserfordernissen) als tatsächlich kompetenzrechtliche Schranken für die Rechtsangleichung setzt,128 oder der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art. 5 Abs. 4 EUV), der durch großzügige Beurteilungsspielräume für den Gesetzgeber relativiert wird. 129 Die Union besitzt damit mindestens als Annex zur durch Art. 114 AEUV gedeckten re do not hinder the interstate provision of services“. Das Argument von Roth mag zutreffen, wenn es um die Beeinträchtigung der Grundfreiheiten geht, indes ist der Anwendungsbereich des Art. 114 AEUV weiter. Ausdrücklich nunmehr auch Erwägungsgrund 6 der neuen Pauschalreiserichtlinie 2015/2302: „Die grenzübergreifende Dimension des Pauschalreisemarkts wird in der Union zurzeit nicht voll genutzt. Unterschiede im Reiseschutz zwischen den Mitgliedstaaten halten Reisende davon ab, Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen in anderen Mitgliedstaaten zu kaufen, und nehmen Reiseveranstaltern und Reisevermittlern den Anreiz, ihre Leistungen in anderen Mitgliedstaaten anzubieten. Damit Reisende und Unternehmer die Vorteile des Binnenmarkts in vollem Umfang nutzen können und gleichzeitig unionsweit ein hohes Verbraucherschutzniveau gewahrt ist, müssen die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen weiter angeglichen werden.“ 126 Ausdrücklich nunmehr Erwägungsgrund 4 der neuen Pauschalreiserichtlinie 2015/ 2302: „Die Richtlinie 90/314/EWG ließ den Mitgliedstaaten einen breiten Umsetzungsspielraum. Daher bestehen erhebliche Unterschiede im jeweiligen Recht der Mitgliedstaaten. Die unterschiedlichen Regelungen haben für die Unternehmen höhere Kosten zur Folge, was ihre Bereitschaft, ihre Geschäftstätigkeit auf andere Mitgliedstaaten auszuweiten, hemmt und damit die Verbraucher in ihren Wahlmöglichkeiten beschränkt.“ 127 Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 10.04 f. m. w. N.: „The foregoing nonetheless seems to allow for the conclusion that the parties concerned mostly agree on the use that can be made of this article [Art. 114 AEUV] so as to adopt EU legislation facilitating the private enforcement of EU law.“ Zur Debatte im Gesetzgebungsverfahren der RL 2004/48 siehe die Ratsdokumente Nr. 6052/04 S. 7 sowie Nr. 6299/04 S. 2; zur Debatte bei der RL 2009/22 Ratsdokument Nr. 7562/98; zur Debatte bei der RL 2014/104 Ratsdokumente Nr. 16176/13 und Nr. 15983/13 S. 2. 128 Siehe etwa EuGH 10.12.2002, Rs. C-491/01, Slg. 2002, I-11453 Rn. 180–185 – British American Tobacco; Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 10.08. 129 Vgl. EuGH (Große Kammer) 8.6.2010, Rs. C-58/08, Slg. 2010, I-4999 Rn. 52 f. – Vodafone; Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 10.09.
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§ 1 Ausgangslage und Anlass der Untersuchung
Harmonisierung im binnenmarktrelevanten Zivilrecht die Kompetenz auch zur Harmonisierung der zugehörigen zivilrechtlichen Rechtsfolgen.130 Auf Grundlage dieser Kompetenz ist es der Union durchaus gestattet, für die von ihrer Kompetenz umfassten Sanktionsnormen übergreifende und einheitliche Lösungen anzustreben.131 Speziell beim richterrechtlichen Effektivitätsgrundsatz kommt hinzu, dass dessen Einfluss weniger intensiv als eine legislative Voll- oder Mindestharmonisierung ist, da der Effektivitätsgrundsatz lediglich einen allgemeinen Wirksamkeitsvorbehalt und damit eine Rahmenharmonisierung der Rechtsfolgen definiert, ohne die Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten innerhalb des als ausreichend wirksam akzeptierten Bereichs zu beschränken.132 Auch die horizontale Kompetenzabgrenzung zwischen Gerichtshof und Gesetzgeber spricht nicht gegen die Herausbildung von Mindeststandards für die Rechtsdurchsetzung durch den EuGH,133 denn der Gerichtshof ist – vorbehaltlich der Grenzen des sachlichen Anwendungsbereichs des jeweils einschlägigen Rechtsakts – durch Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV und Art. 267 AEUV zur Auslegung des Unionsrechts einschließlich seiner Sanktionenbestimmungen und durch Art. 4 Abs. 3 EUV und Art. 291 Abs. 1 AEUV auch außerhalb des harmonisierten Bereichs zur Kontrolle der mitgliedstaatlichen Vollzugsvorschriften zur Durchsetzung des Unionsrechts berufen.134 Zwar mag man gegen eine richterrechtliche Konkretisierung der Sanktionen für Unionsrechtsverstöße mittels des Effektivitätsgrundsatzes einwenden, dass diese die Gewaltenteilung und das institutionelle Gleichgewicht zwischen Gerichtshof und Gesetzgeber störe und die Befugnis des Unionsgesetzgebers, 130 Ebenso Franck ECJ 11 (2015) 135, 152: „the Union legislature is authorised, with each competence granted for a specific subject area or horizontally, to regulate the enforcement of the adopted provisions“. 131 Selbst wenn die einzelnen Sachmaterien fragmentarisch geregelt sein mögen, so besteht doch für jedes dieser Fragmente eine Unionskompetenz, so dass bezogen auf diese Fragmente sowohl fragmentarische wie – hier befürwortete – übergreifende unionale Lösungen zulässig sind, a. A. Tomasic Effet utile (2013) S. 201, der der Union und dem EuGH für eine „einheitlich unionsrechtliche Systembildung“ die Kompetenz abspricht. 132 Siehe auch Poelzig ZGR 2015, 801, 813, die darauf verweist, dass der EuGH seine Rechtsprechung ausschließlich aus dem Effektivitätsgebot abgeleitet und unabhängig von Kompetenzfragen entwickelt habe. 133 In diese Richtung zur Leitner-Entscheidung Tonner ZEuP 2003, 619, 629 ff. mit Hinweis auf den Aktionsplan der Kommission zum Vertragsrecht; zu vertikalen und horizontalen Kompetenzgrenzen auch Schillig Konkretisierungskompetenz und Konkretisierungsmethoden im Europäischen Privatrecht (2009) S. 264 ff.; zweifelnd für das Kartelldeliktsrecht Weyer in: Frankfurter Kommentar II (2009) Art. 81 EG Zivilrechtsfolgen Rn. 46. 134 Zur „hinausreichenden Wirkung“ der Grundsatznormen Krönke Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (2013) S. 131 f.; zur Kompetenzbegründung aus damals Art. 164 EGV (heute Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV) bereits Hanf ZaöRV 59 (1999) 51, 78.
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eine Rechtsangleichung gerade nicht vorzunehmen, verkürze.135 Allerdings bewirkt die richterliche Effektivitätskontrolle der Sanktionen nur eine Rahmenharmonisierung, so dass die (Nicht-)Regelungsfreiheit des Gesetzgebers innerhalb dieses Spielraums bestehen bleibt.136 Auch sprechen die Risiken für die Wirksamkeit der materiellen Unionsrechtsnormen bei Aufgabe des Effektivitätsvorbehalts und die primärrechtliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten auf wirksame Sanktionen nach Art. 4 Abs. 3 EUV, Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV und Art. 291 Abs. 1 AEUV für die Zulässigkeit der Effektivitätskontrolle durch den Gerichtshof,137 die im Einzelfall, sofern es eben die Effektivität gebietet, den Regelungsspielraum auch auf nur eine effektivitätskonforme Lösung reduzieren kann.138 b) Grundlage und Herleitung Seine normative Grundlage findet der sanktionenrechtliche Effektivitätsgrundsatz139 in der Kooperationsverpflichtung der Mitgliedstaaten gemäß Art. 4 135 So Franck ECJ 11 (2015) 135, 155: „For this reason, the ECJ is not entitled to develop requirements for and legal consequences of liability for damages against cartels by building directly on Article 101 TFEU.“ 136 Zu diesem Argument auch Seyr Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH (2008) S. 179 f.: Partielle unionale Vorgaben sind nur „neben den nationalen heranzuziehen und nicht statt dieser“; ferner 364. 137 So auch Franck ECJ 11 (2015) 135, 158, der eine „qualified judicial review“ mit „certain accompanying restraint“ für zulässig hält, so dass auch er dem Gerichtshof eine gewisse (zurückhaltende) Effektivitätskontrolle zubilligt. 138 Bestes Beispiel ist hier das Erfordernis eines privaten Schadensersatzanspruchs im Kartelldeliktsrecht, dazu § 4 I 1 → S. 150. 139 Der Effektivitätsgrundsatz oder die Auslegungsmaxime des „effet utile“ sind keine Neuschöpfungen des Unionsrechts, sondern lassen sich bereits bis auf römisch-rechtliche und völkerrechtliche Vorläufer zurückführen, vgl. Eilmansberger Rechtsfolgen und subjektives Recht im Gemeinschaftsrecht (1997) S. 46; Franzen Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft (1999) S. 453; Honsell FS Krecji (2001) 1929, 1930 ff. So mag man die wirksamkeitsfreundliche Auslegung (effet utile) als Fortschreibung des bereits aus römischen Quellen überlieferten Grundsatzes „ut res magis valeat quam pereat“ ansehen. Auch das Völkerrecht kennt den Grundsatz der Effektivität. Danach ist dem Völkerrecht im Spannungsfeld zwischen Völkerrechtsnormativität und Wirklichkeit mangels hoheitsrechtlicher Durchsetzungsbefugnisse „regelmäßige Wirksamkeit“ oder gar „soviel Wirksamkeit wie möglich“ zu verschaffen. Eine Ableitung des allgemeinen Effektivitätsgrundsatzes stellt die auch völkerrechtlich anerkannte Regel der wirksamkeitsorientierten Vertragsauslegung „ut res magis valeat quam pereat“ dar, die der IGH ausdrücklich als „principe de l’effet utile“ oder „rule of effectiveness“ bezeichnet hat (IGH ICJ Rep. 1950, 221, 229 – Interpretation of Peace Treaties [second phase]). Die Existenz eines ähnlichen Grundsatzes im Völkerrecht zeigt, dass der Effektivitätsgrundsatz vor allem ein Strukturprinzip supranationaler Rechtsordnungen darstellt, um trotz der Ebenentrennung von Rechtssetzung und Rechtsdurchsetzung eine wirksame Durchsetzung supranationaler Normen durch primär nationalstaatlich geprägte Vollzugsapparate zu
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§ 1 Ausgangslage und Anlass der Untersuchung
Abs. 3 EUV, „die volle Anwendung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten und den Schutz der Rechte zu gewährleisten, die den Einzelnen aus diesem Recht erwachsen“.140 Mit dem Vertrag von Amsterdam wurde er zudem in Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV141 verankert. Zudem sieht Art. 291 Abs. 1 AEUV142 nunmehr vor, dass die Mitgliedstaaten alle zur Durchführung der verbindlichen Rechtsakte der Union erforderlichen Maßnahmen nach ihrem innerstaatlichen Recht ergreifen, während nach Art. 291 Abs. 2 AEUV – als Ausnahme zum Grundsatz der mitgliedstaatlichen Durchsetzung – auch der Kommission oder dem Rat Durchführungsbefugnisse übertragen werden können, sofern es „einheitlicher Bedingungen für die Durchführung der verbindlichen Rechtsakte der Union“ bedarf.143 Faktisch handelt es sich beim gewährleisten, zum US-Recht siehe auch Davis v. Wechsler, 263 U.S. 22, 24 (1923); zum Gleichwertigkeitsgrundsatz Testa v. Katt, 330 U.S. 386, 394 (1947); näher Halberstam RabelsZ 66 (2002) 216, 231 ff. 140 EuGH 16.12.1976, Rs. 33/76, Slg. 1976, 1989 Rn. 5 – Rewe; EuGH (Große Kammer) 13.3.2007, Rs. C-432/05, Slg. 2007, I-2271 Rn. 38 f. – Unibet; EuGH (Plenum) 8.3.2011, Gutachten 1/09, Slg. 2011, I-1137 Rn. 66, 68 – Einheitliches Patentgerichtssystem (mit Verweis auch auf Art. 19 Abs. 1 EUV). Von Danwitz Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration (1996) S. 348 will ergänzend auf die „Funktionssicherung des Gemeinschaftsrechts“ zurückgreifen (zur Kritik daran Mosiek Effet utile und Rechtsgemeinschaft (2003) S. 251). Nach Seyr Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH (2008) S. 359 ist „[d]ie Effektivität des Gemeinschaftsrechts […] in der Systematik der Verträge begründet, die keine Gemeinschaft schaffen wollen, die nur Programmsätze oder unverbindliche Maßnahmen erlassen kann.“ 141 „Die Mitgliedstaaten schaffen die erforderlichen Rechtsbehelfe, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist.“ Die Regelung dürfte durch EuGH 25.7.2002, Rs. C-50/00 P, Slg. 2002, I-6677 Rn. 41 – Unión de Pequeños Agricultores inspiriert sein: „Es ist somit Sache der Mitgliedstaaten, ein System von Rechtsbehelfen und Verfahren vorzusehen, mit dem die Einhaltung des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gewährleistet werden kann.“ Zum umfassenden Verständnis als Rechtsbehelfsgarantie Rösler Europäische Gerichtsbarkeit auf dem Gebiet des Zivilrechts (2012) S. 235; Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 1.06, 2.03, 2.11 Fn. 94: „both Art. 47 Charter and Art. 19(1) TEU give expression to the adagio that each right conferred must be accompanied by a corresponding remedy ensuring its enforcement (ubi ius, ibi remedium).“ Zuweilen wird Art. 19 Abs. 1 EUV auch nur als Ausprägung des judiziellen (prozessualen) Rechts auf effektiven Rechtsschutz (Art. 47 GRCh) verstanden, ohne materielle Rechtsbehelfe zu verlangen, vgl. EuGH 26.9.2013, Rs. C-418/11, ECLI:EU:C:2013:588 Rn. 77 f. – Texdata Software; Trstenjak/ Beysen CMLR 48 (2011) 95, 98; Lenaerts/Maselis/Gutman EU Procedural Law (2014) Rn. 4.12. 142 Für das Privatrecht ohne Bedeutung dürfte Art. 197 AEUV sein, der sich aufgrund der Stellung in Titel XXIV Verwaltungszusammenarbeit nur auf die Verwaltung beziehen dürfte. 143 Allerdings dürfte Art. 291 AEUV in erster Linie die vertragliche Verteilung der Durchführungskompetenzen bestätigen, ohne sie zu erweitern, Krönke Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (2013) S. 68 f.
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sanktionenrechtlichen Effektivitätsgrundsatz allerdings, wie sich bereits an der sehr allgemeinen Formulierung des Art. 4 Abs. 3 EUV zeigt, um ein Geschöpf der Rechtsprechung, das sich auf zwei Linien zurückführen lässt, nämlich das allgemeine Effektivitätsgebot aus der Doppelentscheidung Rewe/ Comet und die richtlinienrechtliche Wirksamkeitsverpflichtung aus von Colson und Kamann, wobei enge Beziehungen zum Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Johnston und Heylens, nunmehr Art. 47 GRCh) bestehen.144 aa) Effektivitätsgrundsatz nach Rewe/Comet Der EuGH verwendet den Begriff Effektivitätsgrundsatz (principle of effectiveness, principe d’effectivité) als solchen, der zuweilen auch als die „negative Ausprägung des Effektivitätsgrundsatzes“ bezeichnet wird,145 mit gewissen terminologischen Variationen146 im Zusammenhang mit der Durchsetzung unionsrechtlich gewährleisteter Rechte durch nationale Gerichte und Behörden. Grundlegend sind die Rechtssachen Rewe und Comet, in denen der Gerichtshof die nationale Verfahrensautonomie im Hinblick auf die Durchsetzung unionsrechtlich gewährleisteter Rechte erstmals unter den Vorbehalt des Effektivitäts144 Zu den drei Entwicklungslinien im Fallrecht auch Lenaerts/Maselis/Gutman EU Procedural Law (2014) Rn. 4.05, die den effektiven Rechtsschutz, den Vorrang des Unionsrechts gegenüber nationalem (Verfahrens-)Recht und den Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatz i.e.S. nennen. M. E. fallen die zweite und die dritte Gruppe zusammen, während der sekundärrechtliche Effektivitätsgrundsatz nach von Colson und Kamann zu ergänzen ist (so auch Lenaerts/Maselis/Gutman EU Procedural Law (2014) Rn. 4.42 ff.). 145 Rott Effektivität des Verbraucherrechtsschutzes: Rahmenfestlegungen des Gemeinschaftsrechts (2006) S. 2; ders. in: Leczykiewicz/Weatherill (Hrsg.) The Involvement of EU Law in Private Law Relationships (2013) 181, 182. Nach Rott geht es bei der negativen (auf Rewe/Comet beruhenden) Ausprägung des Effektivitätsgrundsatzes darum, die Inanspruchnahme eines unionalen Rechts nicht zu verhindern, während es bei seiner positiven (auf von Colson und Kamann beruhenden) Ausprägung darum gehe, ein Ziel zu erreichen und zu diesem Zweck die Mitgliedstaaten auf wirksame Maßnahmen zu verpflichten (S. 10). Indes lassen sich m. E. auch aus der Rewe/Comet-Formel zuweilen positive Anforderungen an die nationale Gesetzgebung formulieren, so dass die Rewe/Comet-Formel – ebenso wie der richtlinienrechtliche Effektivitätsgrundsatz – sowohl positiv (begründend) wie negativ (begrenzend) wirken kann, siehe dazu unten § 1 II 2 e cc → S. 75. 146 Zuweilen spricht der Gerichtshof auch von der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die „volle Anwendung [oder Wirksamkeit; vgl. EuGH (Große Kammer) 18.7.2007, Rs. C-119/05, Slg. 2007, I-6199 Rn. 61 – Lucchini] des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten und den Schutz der Rechte zu gewährleisten, die den Einzelnen aus diesem Recht erwachsen“, EuGH (Plenum) 8.3.2011, Gutachten 1/09, Slg. 2011, I-1137 Rn. 68 – Einheitliches Patentgerichtssystem. In anderen Fällen bezieht sich der EuGH direkt auf Art. 4 Abs. 3 EUV (Art. 10 EG), ohne die Rewe/Comet-Formel zu bemühen, vgl. EuGH 13.1.2004, Rs. C-453/00, Slg. 2004, I-837 Rn. 27 – Kühne & Heitz gegenüber dem expliziten Hinweis auf die Effektivitätsformel in EuGH 16.3.2006, Rs. C-234/04, Slg. 2006, I-2585 Rn. 22 – Kapferer.
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und des Äquivalenzgrundsatzes stellte.147 In diesen Verfahren stand die Rückforderung gemeinschaftsrechtswidrig (unter Verstoß gegen das Verbot zollgleicher Maßnahmen bzw. das Verbot von Ausfuhrabgaben) erhobener Gebühren in Rede, die an nationalen Fristenregelungen (wie §§ 58, 70, 74 VwGO) scheiterte. Der Gerichtshof kam zwar zu dem Ergebnis, „dass das Gemeinschaftsrecht es bei seinem gegenwärtigen Stand nicht verbietet, einem Bürger […] den Ablauf der im innerstaatlichen Recht vorgesehenen Frist für die Rechtsverfolgung entgegenzuhalten“. Er stellte die Anwendung der innerstaatlichen Rechtsdurchsetzungsschranken aber – über die Schlussanträge des Generalanwalts148 hinaus – unter einen allgemeinen Vorbehalt von Effektivität und Äquivalenz: „Die in Artikel 13 EWG-Vertrag [heute aufgegangen in Art. 28, 30 AEUV] […] ausgesprochenen Verbote wirken unmittelbar und begründen für die einzelnen Bürger Rechte, welche die innerstaatlichen Gerichte zu schützen haben. Die Aufgabe, den Rechtsschutz zu gewährleisten, der sich für die Bürger aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts ergibt, obliegt entsprechend dem in Artikel 5 des EWG-Vertrag [heute: Art. 4 Abs. 3 EUV] Grundsatz der Mitwirkungspflicht den innerstaatlichen Gerichten. Mangels einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung auf diesem Gebiet sind deshalb die Bestimmung der zuständigen Gerichte und die Ausgestaltung des Verfahrens für die Klagen, die den Schutz der dem Bürger aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten; dabei dürfen freilich diese Bedingungen nicht ungünstiger gestaltet werden als für gleichartige Klagen, die das innerstaatliche Recht betreffen. Die Artikel 100 bis 102 und Artikel 135 EWG-Vertrag [heute Art. 114 AEUV] gestatten es gegebenenfalls, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Unterschiede in den Rechts- oder Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten in diesem Bereich auszuräumen, wenn sich erweisen sollte, dass sie Verzerrungen hervorzurufen oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes zu beeinträchtigen geeignet sind. In Ermangelung solcher Harmonisierungsmaßnahmen müssen die durch das Gemeinschaftsrecht gewährten Rechte vor den innerstaatlichen Gerichten nach den Verfahrensregeln des innerstaatlichen Rechts verfolgt werden. Anders wäre es nur, wenn diese Verfahrensregeln und Fristen die Verfolgung von Rechten, die die innerstaatlichen Gerichte zu schützen verpflichtet sind, praktisch unmöglich machen. Dies lässt sich von der Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung nicht sagen. Die Festsetzung solcher Fristen für die Rechtsverfolgung im abgabenrechtlichen Bereich ist ein Anwendungsfall des grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit, das zugleich die Abgabepflichtigen und die Behörde schützt.“149
Abgesehen von einer erweiternden Präzisierung des Effektivitätsgrundsatzes auf die Formel „praktisch unmöglich oder übermäßig erschwert“150 in der Rechtssache San Giorgio hat der EuGH an der Rewe/Comet-Formel bis heute 147 EuGH 16.12.1976, Rs. 33/76, Slg. 1976, 1989 Rn. 5 – Rewe; EuGH 16.12.1976, Rs. 45/76, Slg. 1976, 2043 Rn. 11/18 – Comet. 148 Verbundene Schlussanträge des Generalanwalts Warner vom 30.11.1976, Rs. 33/76 und Rs. 45/76, Slg. 1976, 1989 – Rewe/Comet. 149 EuGH 16.12.1976, Rs. 33/76, Slg. 1976, 1989 Rn. 5 – Rewe; EuGH 16.12.1976, Rs. 45/76, Slg. 1976, 2043 Rn. 11/18 – Comet. 150 Erstmals in EuGH 9.11.1983, Rs. 199/82, Slg. 1983, 3595 Rn. 14 – San Giorgio.
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festgehalten,151 so dass im Jahr 2008 die Große Kammer des Gerichtshofs die Kriterien wie folgt zusammenfassen konnte: „Fehlt es aber an einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung, ist es Sache des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten, die zuständigen Gerichte zu bestimmen und die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln, die den Schutz der dem Bürger aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, sofern diese Modalitäten nicht weniger günstig ausgestaltet sind als die entsprechender innerstaatlicher Klagen (Äquivalenzgrundsatz) und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz).“152
In der Literatur wird der aus Rewe/Comet gewonnene Effektivitätsgrundsatz zuweilen in eine subjektiv-rechtliche und eine objektiv-rechtliche Ausprägung unterschieden: Während die subjektiv-rechtliche Ausprägung typisch für die Durchsetzung von unionalen Rechten vor den nationalen Gerichten sei, finde die objektiv-rechtliche Ausprägung dann Anwendung, wenn es – wie bei der Rückforderung unionsrechtswidriger Beihilfen – um die Durchsetzung objektiven Unionsrechts zu Lasten des Bürgers gehe.153 Für das Privatrecht soll diese Differenzierung nicht aufgenommen werden,154 da regelmäßig die Durchsetzung unionaler Rechte in Zivilverfahren in Rede steht, so dass der Effektivitätsgrundsatz gleichzeitig zugunsten einer Partei und zum Nachteil der Gegenpartei wirkt155 (zur Differenzierung zwischen begrenzen151 Die etwas abweichende Formulierung in EuGH 21.2.2008, Rs. C-426/05, Slg. 2008, I-685 Rn. 56 – Tele 2 („das innerstaatliche Verfahrensrecht den Schutz der Rechte […] aus der Gemeinschaftsrechtsordnung […] auf eine Weise gewährleistet, die nicht weniger günstig als im Fall vergleichbarer innerstaatlicher Rechte ist und die Wirksamkeit des Rechtsschutzes, den diesen Nutzern und Anbietern Art. 4 der Rahmenrichtlinie garantiert, nicht mindert“, Hervorhebung nicht im Original) hat sich ersichtlich nicht durchgesetzt, Weyer in: Frankfurter Kommentar II (2009) Art. 81 EG Zivilrechtsfolgen Rn. 68. 152 EuGH (Große Kammer) 8.9.2009, Rs. C-478/07, Slg. 2009, I-7721 Rn. 88 – Budĕjovický Budvar. 153 König Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (2011) S. 52 f., 109 ff.; Kulms Der Effektivitätsgrundsatz (2013) S. 37 ff.; Brinker FS Schwarze (2014) 536, 540. Ähnlich bereits zur subjektiven und objektiven Dimension des Gebots effektiven Rechtsschutzes Tonne Effektiver Rechtsschutz durch staatliche Gerichte als Forderung des europäischen Gemeinschaftsrechts (1997) S. 288 ff. 154 Ohnehin scheint die objektiv-rechtliche Wirkung in Reinform einen nur beschränkten Anwendungsbereich im Beihilfenrecht zu haben, Kulms Der Effektivitätsgrundsatz (2013) S. 129 ff. Insbesondere greift sie nie, wenn es um die mitgliedstaatliche Rechtsschutzgewährung geht (Kulms a. a. O. S. 133, mit Kritik S. 184), die im Privatrecht aber zentral ist. 155 Die ambivalenten Wirkungen in privaten Rechtsverhältnissen erkennt auch Kulms Der Effektivitätsgrundsatz (2013) S. 39 f., die gleichwohl an der Differenzierung festhalten will, indem die Wirkung auf „den im Fokus stehenden Einzelnen als Bezugspunkt des
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der und begründender Wirkung noch unten § 1 II 2 e cc → S. 75). Andere Stimmen in der Literatur weisen darauf hin, dass beim Effektivitätsgebot manchmal der Schutz des subjektiven Rechts einer privaten Partei im Vordergrund stehe (Rewe/Comet, Art. 47 GRCh: principle of effective judicial protection), während es in anderen Fällen in erster Linie um die wirksame Anwendung und Durchsetzung des Unionsrecht per se gehe (Simmenthal, Courage: full force and effect), so dass der Effektivitätsgrundsatz eine „Doppelnatur“ habe.156 Auch wenn diese Beobachtung zutreffend sein mag, so verlangt sie keine strikte dogmatische Differenzierung beider Kategorien, da es letztlich in allen Anwendungsfällen des sanktionenrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes sowohl um die wirksame Durchsetzung privater Rechte wie um die wirksame Durchsetzung des Unionsrechts geht, so dass nur im Einzelfall der eine oder der andere Aspekt stärker ausgeprägt ist.157 Allerdings wird diese Beobachtung Folgen für die Zwecke unionaler Schadensersatzansprüche haben, da das Ziel der Durchsetzung des Unionsrechts über den reinen Kompensationszweck hinaus weist (dazu unten § 9 II 2 → S. 541). bb) Gebot wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender Sanktionen Nahezu zeitgleich mit der Rewe/Comet-Rechtsprechung hat der Gerichtshof Anforderungen an nationale Vorschriften zur Durchsetzung des Sekundärrechts formuliert, wenn die Sanktionen in der Richtlinie nicht geregelt sind.158 Effektivitätsgrundsatzes“ für die subjektiv- oder objektiv-rechtliche Ausprägung maßgeblich sein soll. 156 Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 2.19. Siehe auch die Differenzierung von Nebbia ELR 33 (2008) 23, 28 ff.: Unterscheidung von „effectiveness“ als „effective enforcement“ (wo der Schutz individueller Rechte nur Mittel zum Zweck der Durchsetzung des Unionsrechts ist) und „effective judicial protection“ (wo der Schutz individueller Rechte im Vordergrund steht); dies. ELR 33 (2008) 427, 438: „Accordingly, one may question whether ‘effectiveness’ is the most appropriate term to address what are, in fact, two different situations: one (effective compliance) concerns the enforcement of EC law for the benefit – so to speak – of the European Community; the other one (effective judicial protection) concerns the enforcement of EC law for the benefit of private individuals.“ 157 Die Überlappung und wechselseitige Verstärkung beider Aspekte konstatiert auch Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 11.03–11.07, der als mögliche Spannungsfelder beider Ziele leniency applications im Kartellrecht, überkompensatorischen Schadensersatz, außergerichtliche Vergleiche und den Kollektivrechtsschutz ausmacht (Rn. 11.08–11.12) und zudem auf das Risiko einer einseitig-klägergünstigen Ausgestaltung der Rechtsbehelfe bei Überbetonung des Gedankens der Rechtsdurchsetzung per se hinweist (Rn. 11.23). 158 EuGH 8.4.1976, Rs. 48/75, Slg. 1976, 497 Rn. 69/73 – Royer: „Daraus ergibt sich, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, innerhalb der ihnen nach Artikel 189 belassenen Entscheidungsfreiheit die Formen und Mittel zu wählen, die sich zur Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit (effet utile) der Richtlinien unter Berücksichtigung des mit ihnen
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Danach sind die Mitgliedstaaten durch Art. 4 Abs. 3 EUV dazu verpflichtet, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Geltung und Wirksamkeit der Richtlinienbestimmungen durch „wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen“ zu gewährleisten.159 Dieser Grundsatz160 findet sich inzwischen als Generalklausel in zahlreichen – auch zivilrechtlichen161 – Richtlinien162 und Verordnungen163. verfolgten Zwecks am besten eignen“; EuGH 21.9.1988, Rs. 68/88, Slg. 1989, 2965 Rn. 23 f. – Kommission/Griechenland; im zivilrechtlichen Kontext EuGH 10.4.1984, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 Rn. 18, 23, 26 – von Colson und Kamann (arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz); EuGH 7.1.2004, Rs. C-60/02, Slg. 2004, I-651 Rn. 60 – Strafverfahren gegen X (Ansprüche bei Markenverletzung); EuGH 26.4.2007, Rs. C-348/04, Slg. 2007, I-3391 Rn. 57 ff. – Boehringer Ingelheim (markenrechtliche Ansprüche bei Reimport); EuGH 21.7.2011, Rs. C-104/10, Slg. 2011, I-6813 Rn. 35 – Kelly; EuGH 19.4.2012, Rs. C-415/10, ECLI:EU:C:2012:217 Rn. 38 ff. – Meister (Zugang zu Informationen im Antidiskriminierungsrecht); EuGH (Große Kammer) 12.7.2011, C-324/09, Slg. 2011, I-6011 Rn. 136 – L’Oréal. 159 EuGH 21.9.1988, Rs. 68/88, Slg. 1989, 2965 Rn. 23 f. – Kommission/Griechenland; in der Sache bereits EuGH 10.4.1984, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 Rn. 15, 18, 23, 26 – von Colson und Kamann; EuGH (Große Kammer) 3.5.2005, verb. Rs. C-387/02, C-391/02 und C-403/02, Slg. 2005, I-3565 Rn. 65 – Berlusconi: „Nach dieser Rechtsprechung müssen die Mitgliedstaaten, denen allerdings die Wahl der Sanktion verbleibt, namentlich darauf achten, dass Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht nach ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden wie nach Art und Schwere gleiche Verstöße gegen nationales Recht, wobei die Sanktion jedenfalls wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein muss“; EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 69, 95 – Schulte; EuGH 5.7.2007, Rs. C-430/05, Slg. 2007, I-5835 Rn. 53 – Ntionik Anonymi Etaireia Emporias; EuGH (Große Kammer) 15.4.2008, Rs. C-268/07, Slg. 2008, I-2483 Rn. 40 – Impact: „Ferner ist daran zu erinnern, dass die Freiheit bei der Wahl der Mittel und Wege zur Durchführung einer Richtlinie die Verpflichtung der einzelnen Mitgliedstaaten unberührt lässt, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die vollständige Wirksamkeit der Richtlinie entsprechend ihrer Zielsetzung zu gewährleisten“; EuGH 27.3.2014, Rs. C-565/12, ECLI:EU:C:2014:190 Rn. 44 – LCL Le Crédit Lyonnais: „Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, der nunmehr in Art. 4 Abs. 3 EUV verankert ist, die Mitgliedstaaten, denen die Wahl der Maßregeln überlassen bleibt, namentlich darauf achten müssen, dass Verstöße gegen das Unionsrecht nach materiellen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden, die denjenigen ähneln, die bei nach Art und Schwere gleichartigen Verstößen gegen das nationale Recht gelten, und jedenfalls der Sanktion einen wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Charakter verleihen.“ 160 Zur Identität der Verpflichtung aus Art. 4 Abs. 3 EUV (vormals Art. 5 EGV) und den allgemeinen richtlinienrechtlichen Wirksamkeitsklauseln (dort Art. 6 der ersten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie 68/151) ausdrücklich EuGH (Große Kammer) 3.5.2005, verb. Rs. C-387/02, C-391/02 und C-403/02, Slg. 2005, I-3565 Rn. 64 – Berlusconi: „Nichtsdestoweniger ist die Berücksichtigung der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes zu Artikel 5 des Vertrages, aus dem sich ein Erfordernis gleicher Art ergibt, nützlich, um zu klären, wie weit das Erfordernis der Geeignetheit der Sanktionen nach Artikel 6 reicht“ (Hervorhebung nicht im Original).
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Eine Sanktion wird als wirksam angesehen, wenn sie „einen tatsächlichen und wirksamen rechtlichen Schutz der aus der Richtlinie hergeleiteten Rechte gewährleiste[t]“,164 wobei „die Härte der Sanktionen der Schwere der mit ihnen geahndeten Verstöße entsprechen“ muss.165 An der Wirksamkeit fehlt es, wenn die Verhängung der Sanktion von Zufällen abhängt.166 Zur Geltung im Zivilrecht auch G.Wagner AcP 206 (2006) 352, 413. Siehe etwa Art. 4 Abs. 3 Haustürwiderrufsrichtlinie 85/577 (nunmehr Erwägungsgrund 57 und Art. 24 Abs. 1 Verbraucherrechterichtlinie 2011/83); Art. 4 Abs. 1 Irreführungsrichtlinie 84/450 (nunmehr Erwägungsgrund 22 und Art. 11 Abs. 1, 13 Geschäftspraktikenrichtlinie 2005/29 sowie Art. 5 Abs. 1 Irreführungsrichtlinie 2006/114); Art. 7 Abs. 1 Klauselrichtlinie 93/13; Art. 20 E-Commerce-Richtlinie 2000/31; Art. 15 RL 2000/43; Art. 17 Abs. 2 RL 2000/78; Art. 8 Abs. 2, 14 RL 2004/113 (sämtlich Antidiskriminierungsrichtlinien); Art. 11 Finanzdienstleistungsfernabsatzrichtlinie 2002/65; Art. 3 Abs. 2 Durchsetzungsrichtlinie 2004/48; Erwägungsgrund 47 und Art. 23 Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48. Siehe auch die Standard-Formulierung in der Mitteilung der Kommission über die Bedeutung von Sanktionen für die Anwendung des Gemeinschaftsrechts im Binnenmarkt KOM(1995) 162 S. 10 (für Richtlinien) „Die Mitgliedstaaten legen die Sanktionen fest, die bei einem Verstoß gegen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie zu verhängen sind, und treffen alle geeigneten Maßnahmen, um ihre Durchsetzung zu gewährleisten. Diese Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Die Mitgliedstaaten teilen diese Vorschriften der Kommission spätestens an dem in Artikel… genannten Tag (Stichtag für die Umsetzung der Richtlinie) mit und melden so bald wie möglich alle sie betreffenden Änderungen.“ Für weitere Beispiele (Art. 8 Abs. 2 RL 98/6) Magnus in: Schulze (Hrsg.) Common Frame of Reference and Existing EC Contract Law2 (2009) 211, 212 f. 163 Art. 16 Abs. 3 VO 261/2004. Für weitere Beispiele (Art. 7 VO 2560/2001) Magnus in: Schulze (Hrsg.) Common Frame of Reference and Existing EC Contract Law2 (2009) 211, 212. 164 EuGH 25.4.2013, Rs. C-81/12, ECLI:EU:C:2013:275 Rn. 63 – Accept. Siehe auch die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 14.10.2004, verb. Rs. C-387/02, C-391/02 und C-403/02, Slg. 2005, I-3565 Rn. 88 – Berlusconi: Sanktion ist wirksam, „wenn sie so ausgestaltet ist, dass die Verhängung der vorgesehenen Sanktion (und damit die Verwirklichung der vom Gemeinschaftsrecht vorgegebenen Ziele) nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird“ (vgl. die Parallele zur Rewe/CometFormel). Zu den Sanktionsregelungen im Finanzdienstleistungssektor auch die Mitteilung der Kommission Stärkung der Sanktionsregelungen im Finanzdienstleistungssektor KOM (2010) 716 S. 5: Sanktionen sind wirksam, wenn sie „die Einhaltung des EU-Rechts sicherstellen können“. Siehe auch Alexander GRUR Int. 2005, 809, 811: Sanktion praktisch unmöglich, wenn „beispielsweise eine Rechtsfolge an unerfüllbare oder nicht nachweisbare Tatbestandsmerkmale geknüpft wird“. Nach Auffassung von Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012) S. 301 sind auch privatrechtliche Ansprüche unwirksam, bei denen die Berechtigten aus rationalem Desinteresse typischerweise auf die Anspruchsdurchsetzung verzichten. 165 EuGH 25.4.2013, Rs. C-81/12, ECLI:EU:C:2013:275 Rn. 63 – Accept; EuGH 27.3.2014, Rs. C-565/12, ECLI:EU:C:2014:190 Rn. 45 – LCL Le Crédit Lyonnais. 166 EuGH 26.11.2014, verb. Rs. C-22/13, C-61/13 bis C-63/13 und C-418/13, ECLI:EU:C:2014:2401 Rn. 117 – Mascolo. 161 162
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Eine Sanktion ist abschreckend, „wenn sie den Einzelnen davon abhält, gegen die gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen Ziele und Regelungen zu verstoßen. Dabei kommt es nicht nur auf Art und Höhe der Sanktion167 an, sondern auch auf die Wahrscheinlichkeit, mit der sie verhängt werden wird: Wer einen Verstoß begeht, muss befürchten, auch tatsächlich mit der Sanktion belegt zu werden.“168
Die Abschreckung ist nicht gewährleistet, wenn „Unternehmen […] eine mögliche Sanktion in Kauf nehmen, weil sie sich von der Nichtbefolgung des Gemeinschaftsrechts größere Vorteile versprechen“,169 so dass bei der Bestimmung des abschreckenden Charakters einer Sanktion die Folgen zu vergleichen sind, die sich für den Normadressaten aus der Befolgung einerseits und der Verletzung des Unionsrechts andererseits ergeben.170
167 Dazu EuGH 25.4.2013, Rs. C-81/12, ECLI:EU:C:2013:275 Rn. 63 – Accept: „Die Härte der Sanktionen muss der Schwere der mit ihnen geahndeten Verstöße entsprechen, indem sie insbesondere eine wirklich abschreckende Wirkung gewährleistet, zugleich aber den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren“; ebenso EuGH 27.3.2014, Rs. C-565/12, ECLI:EU:C:2014:190 Rn. 45 – LCL Le Crédit Lyonnais. 168 Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 14.10.2004, verb. Rs. C-387/02, C-391/02 und C-403/02, Slg. 2005, I-3565 Rn. 89 – Berlusconi. Ähnlich Sanktionsregelungen im Finanzdienstleistungssektor auch die Mitteilung der Kommission Stärkung der Sanktionsregelungen im Finanzdienstleistungssektor KOM(2010) 716 S. 5: Sanktionen sind abschreckend, „wenn sie schwer genug sind, um einen Urheber von einem weiteren Verstoß und andere potenzielle Rechtsbrecher von einem erstmaligen Verstoß ab[zu]halten“. 169 Mitteilung der Kommission über die Bedeutung von Sanktionen für die Anwendung des Gemeinschaftsrechts im Binnenmarkt KOM(95) 162 vom 3.5.1992, S. 2; zur Bemessung von Verwaltungssanktionen auch EuGH 23.12.2009, Rs. C-45/08, Slg. 2009, I-12073 Rn. 73 – Spector Photo Group: „der aus einem Insider-Geschäft resultierende Vermögensvorteil [kann] ein relevanter Gesichtspunkt für die Zumessung einer wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktion sein […]“. 170 Dazu insbesondere EuGH 27.3.2014, Rs. C-565/12, ECLI:EU:C:2014:190 Rn. 50 – LCL Le Crédit Lyonnais: „Es ist Sache des vorlegenden Gerichts […], zur Beurteilung des wirklich abschreckenden Charakters der Sanktion unter den Umständen der bei ihm anhängigen Rechtssache die Beträge, die der Kreditgeber als Vergütung für das Darlehen erhalten hätte, wenn er seiner vorvertraglichen Verpflichtung zur Beurteilung der Kreditwürdigkeit des Kreditnehmers durch Abfrage einer entsprechenden Datenbank nachgekommen wäre, mit den Beträgen zu vergleichen, die er unter Anwendung der Sanktion für die Verletzung dieser vorvertraglichen Verpflichtung erhalten würde. Bei der Bestimmung der letztgenannten Beträge muss das genannte Gericht sämtliche Gesichtspunkte und insbesondere alle Folgen berücksichtigen, die sich aus seiner Feststellung einer Verletzung der genannten vorvertraglichen Verpflichtung durch den Kreditgeber ergeben können“ (auch Rn. 52: an einer Abschreckung fehlt es, wenn „die an den Kreditgeber infolge der Anwendung dieser Sanktion zu zahlenden Beträge nicht wesentlich geringer sind als diejenigen, die ihm zustünden, wenn er der genannten Verpflichtung nachgekommen wäre“); ferner EuGH 8.6.1994, Rs. C-382/92, Slg. 1994, I-2435 Rn. 56 ff. – Kommission/Vereinigtes Königreich.
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Eine Sanktion ist schließlich verhältnismäßig, „wenn sie zur Erreichung der mit ihr verfolgten legitimen Ziele geeignet (also insbesondere wirksam und abschreckend) und außerdem erforderlich ist“ und – sofern „mehrere (gleich) geeignete Sanktionen zur Auswahl stehen“ – „die am wenigsten belastende“ gewählt wird, wobei „die Auswirkungen der Sanktion auf den Betroffenen in einem angemessenen Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen [müssen]“.171 Umstände, die im Rahmen einer privatrechtlichen (dort: lauterkeitsrechtlichen) Verhältnismäßigkeitsprüfung „gebührend berücksichtigt“ werden können, sind die „Häufigkeit der vorgeworfenen Praxis, die Frage, ob Vorsatz vorliegt, und das Ausmaß des Schadens, der dem Verbraucher durch sie entstanden ist“.172 Auch müssen die „zuständigen nationalen Behörden sämtliche spezifischen tatsächlichen und rechtlichen Umstände des jeweiligen Einzelfalls berücksichtigen […], um festzustellen, ob eine und gegebenenfalls welche Sanktion […] zu verhängen ist“, wobei insbesondere das Verhalten des Verletzers und sein guter Glaube oder seine betrügerischen Absichten zu würdigen sind.173 Es liegt nahe, den auf die Wirksamkeit des Sekundärrechts ausgerichteten Effektivitätsgrundsatz („wirksam, verhältnismäßig, abschreckend“), der zuweilen auch als „positive Ausprägung des Effektivitätsgrundsatzes“174 bezeichnet wird, gemeinsam mit dem Effektivitätsgrundsatz nach Rewe/Comet als parallele Erscheinungen eines einheitlichen sanktionenrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes zu verstehen.175 So lässt sich neben dem ohnehin paralle171 EuGH (Große Kammer) 9.3.2010, Rs. C-379/08 und C-380/08, Slg. 2010, I-2007 Rn. 86 – ERG; EuGH 9.2.2012, Rs. C-210/10, Slg. 2012, ECLI:EU:C:2012:64 Rn. 24 – Urbán; EuGH 26.9.2013, Rs. C-418/11, ECLI:EU:C:2013:588 Rn. 51 f. – Texdata Software; Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 14.10.2004, verb. Rs. C-387/02, C-391/02 und C-403/02, Slg. 2005, I-3565 Rn. 89 – Berlusconi. Siehe auch die Mitteilung der Kommission Stärkung der Sanktionsregelungen im Finanzdienstleistungssektor KOM (2010) 716 S. 5: Sanktionen sind verhältnismäßig, wenn sie „der Schwere des Verstoßes angemessen sind und nicht über das zur Erreichung der verfolgten Ziele notwendige Maß hinausgehen“. Für ein Beispiel einer unverhältnismäßigen Sanktion EuGH 16.7.2015, Rs. C-255/14, ECLI:EU:C:2015:475 Rn. 30 – Chmielewski. 172 EuGH 16.4.2015, Rs. C-388/13, ECLI:EU:C:2015:225 Rn. 58 – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság. 173 EuGH 29.4.2015, Rs. C-148/14, ECLI:EU:C:2015:287 Rn. 44 – Nordzucker; offenbar enger EuGH 16.7.2015, Rs. C-255/14, ECLI:EU:C:2015:475 Rn. 28 f. – Chmielewski: „Verletzung der Pflicht muss „einfach, wirksam und effizient geahndet werden können […], ohne dass die zuständigen Behörden zwangsläufig andere Umstände – wie etwa den Umstand, dass es sich um eine Vorsatz- oder Wiederholungstat handelt – berücksichtigen müssen“. 174 Rott Effektivität des Verbraucherrechtsschutzes: Rahmenfestlegungen des Gemeinschaftsrechts (2006) S. 9; ders. in: Leczykiewicz/Weatherill (Hrsg.) The Involvement of EU Law in Private Law Relationships (2013) 181, 182. 175 Dougan National remedies before the Court of Justice (2004) S. 39 f.; ders. Cambridge Yearbook of European legal studies 2009–2010 (2010), 73, 106 f.; Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 2.19: „virtually interchangea-
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ble“. Siehe etwa den Zusammenhang in EuGH 26.11.2014, verb. Rs. C-22/13, C-61/13 bis C-63/13 und C-418/13, ECLI:EU:C:2014:2401 Rn. 77 f. – Mascolo: „Wenn das Unionsrecht, wie im vorliegenden Fall, keine spezifischen Sanktionen für den Fall vorsieht, dass dennoch Missbräuche festgestellt worden sind, obliegt es außerdem den nationalen Stellen, Maßnahmen zu ergreifen, die nicht nur verhältnismäßig, sondern auch hinreichend effektiv und abschreckend sein müssen, um die volle Wirksamkeit der zur Durchführung der Rahmenvereinbarung erlassenen Normen sicherzustellen [Effektivität des Sekundärrechts]. Zwar werden in Ermangelung einer einschlägigen Unionsregelung die Einzelheiten der Durchführung solcher Normen nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten durch ihr jeweiliges innerstaatliches Recht geregelt, doch dürfen sie nicht weniger günstig sein als bei entsprechenden Sachverhalten, die nur innerstaatliches Recht betreffen (Äquivalenzgrundsatz), und sie dürfen die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz). [Effektivitätsgrundsatz nach Rewe/Comet].“ Für eine Verbindung des allgemeinen sanktionenrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes nach Rewe/Comet (Art. 4 Abs. 3 EUV) mit einer sekundärrechtlichen Konkretisierung (Art. 3 RL 2004/48) auch EuGH (Große Kammer) 12.7.2011, C-324/09, Slg. 2011, I-6011 Rn. 136 – L’Oréal (mit Verweis auf die Rechtsprechung zum allgemeinen Effektivitätsgrundsatz in van Schijndel und van der Weerd im Zusammenhang mit der Effektivität einer Richtlinienbestimmung); siehe auch EuGH 21.2.2013, Rs. C-472/11, ECLI:EU:C:2013:88 Rn. 20, 26 – Banif Plus Bank (Verweis auf den allgemeinen sanktionenrechtlichen Effektivitätsgrundsatz im Kontext einer Entscheidung zum sanktionenrechtlichen Effektivitätsgrundsatz in Art. 6 Klauselrichtlinie 93/13); siehe auch die Formulierung in EuGH 27.3.2014, Rs. C-565/12, ECLI:EU:C:2014:190 Rn. 44 – LCL Le Crédit Lyonnais: „Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, der nunmehr in Art. 4 Abs. 3 EUV verankert ist, die Mitgliedstaaten, denen die Wahl der Maßregeln überlassen bleibt, namentlich darauf achten müssen, dass Verstöße gegen das Unionsrecht nach materiellen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden, die denjenigen ähneln, die bei nach Art und Schwere gleichartigen Verstößen gegen das nationale Recht gelten [= Äquivalenzgrundsatz], und jedenfalls der Sanktion einen wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Charakter verleihen [= Effektivitätsgrundsatz].“ Aus der Literatur Böse Strafen und Sanktionen im Europäischen Gemeinschaftsrecht (1996) S. 413: „Die primärrechtlichen und sekundärrechtlichen Pflichten entsprechen sich daher im wesentlichen inhaltlich“; Ward Judicial Review and the Rights of Private Parties in EU Law2 (2007) S. 89: „The original ‘effectiveness’ and ‘nondiscrimination’ tests were supplemented in important ways in later case law“ (mit Verweis auf die von Colson-Rechtsprechung); König Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (2011) S. 55 (zum Effektivitätsgebot der Vergaberichtlinien); G. Wagner AcP 206 (2006), 352, 411 f., der EuGH 21.9.1988, Rs. 68/88, Slg. 1989, 2965 Rn. 23 f. – Kommission/Griechenland (zum richtlinienrechtlichen Effektivitätsgrundsatz) im Zusammenhang mit dem allgemeinen Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatz heranzieht: „als Konkretisierungen des Effektivitätsprinzips zu verstehen“; Rott in: Leczykiewicz/Weatherill (Hrsg.) The Involvement of EU Law in Private Law Relationships (2013) 181, 185: „two cases of the codified and non-codified principle of effectiveness shall not be distinguished“. Pohlmann WuW 2005, 1005, 1006 sieht Art. 4 Abs. 3 EUV als subsidiär zu sekundärrechtlichen Vorschriften an, die allgemein die Unionstreue konkretisieren; etwas anders Grundmann Europäisches Schuldvertragsrecht
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§ 1 Ausgangslage und Anlass der Untersuchung
len Erfordernis der Wirksamkeit176 auch der Gedanke der Abschreckung im Effektivitätsgrundsatz nach Rewe/Comet ausmachen, der durchaus abschreckende Sanktionen zur Durchsetzung der Unionsrechtsordnung erforderlich machen kann.177 Die in der sekundärrechtlichen Sanktionenklausel ausdrücklich erwähnte Verhältnismäßigkeit begrenzt schließlich als allgemeiner Rechtsgrundsatz ebenfalls die Vorgaben nach Rewe/Comet.178 Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass sich der sekundärrechtliche Effektivitätsgrundsatz und der allgemeine Effektivitätsgrundsatz nach Rewe/Comet als zwei parallele Erscheinungen eines einheitlichen sanktionenrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes begreifen lassen. Eine solche Konvergenz ermöglicht eine bessere Konkretisierung der unionsrechtlichen Effektivitätskriterien, indem das Fallmaterial der Rechtsprechungslinie Rewe/Comet durch die Entscheidungspraxis zur sekundärrechtlichen Sanktionenklausel ergänzt werden kann. Zudem erlaubt eine Verbindung der Effektivitätskriterien auch, die im Sekundärrecht bestehenden konkreten Rechtsfolgenregelungen in Richtlinien und Verordnungen, die Konkretisierungen der allgemeinen sekundärrechtlichen Sanktionenklausel sind, mit dem Effektivitätsgebot nach Rewe/Comet in Beziehung zu setzen und als Maßstab für die unionsrechtlich gebotene Effektivität zu begreifen, wobei die Verallgemeinerungsfähigkeit aufgrund der Kontextsensitivität des Effektivitätsgrundsatzes stets im Einzelfall zu prüfen ist.179
(1999) Rn. 180: primärrechtliche Anforderungen des Art. 4 Abs. 3 EUV dürfen „jedenfalls nicht abgemildert“ werden. 176 Explizit zur Wirksamkeitsdefinition Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 14.10.2004, verb. Rs. C-387/02, C-391/02 und C-403/02, Slg. 2005, I-3565 Rn. 88 – Berlusconi: „Dies ergibt sich aus dem Effektivitätsgrundsatz.“ 177 Ausführlich unten § 9 II 2 → S. 541. Als Beispiel sei hier die Abschreckung von Wettbewerbsverstößen genannt, EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 27 – Courage (zur Einbettung in den Effektivitätsgrundsatz nach Rewe/Comet Rn. 29). Zur Einbeziehung der Abschreckung in das Effektivitätsgebot auch die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 14.10.2004, verb. Rs. C-387/02, C-391/02 und C-403/02, Slg. 2005, I-3565 Rn. 88 – Berlusconi; Wurmnest RIW 2003, 896; a. A. Weyer ZEuP 1999, 424, 452 f.; ders. in: Frankfurter Kommentar II (2009) Art. 81 EG Zivilrechtsfolgen Rn. 72 f.: „kann der Gedanke abschreckender Sanktionierung nicht mit dem Grundsatz der Effektivität gleichgesetzt werden“. Ähnlich Alexander Schadensersatz und Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsund Kartellrecht (2010) S. 93: „Es kann hiernach [Courage und Manfredi] nicht zweifelhaft sein, dass nach der Rechtsprechung des EuGH die abschreckende Wirkung nicht von der Art des Sanktionsinstruments abhängig ist, sondern vielmehr als ein generelles Gebot des Gemeinschaftsrechts angesehen werden muss“; „wird man die abschreckende Wirkung auch im Privatrecht nicht als bloßen Nebenzweck oder erwünschte Reflexwirkung abtun können, sondern als wesentliches Leitmotiv zu berücksichtigen haben“. 178 Dazu noch unten § 1 II 2 e bb 1 → S. 67. 179 Zu Beispielen zum Schadensersatz unten § 3 II 1 → S. 120 und bereits Fn. 59.
II. Anlass: Europäische Vorgaben für die Rechtsdurchsetzung
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cc) Recht auf effektiven Rechtsschutz In jüngerer Zeit überschneidet sich der sanktionenrechtliche Effektivitätsgrundsatz zunehmend auch mit dem Grundrecht180 auf effektiven Rechtsschutz181 (Art. 47 Abs. 1 GRCh),182 das trotz seiner prozessualen Herleitung in den Rechtssachen Johnston183 und Heylens184 aus Art. 6 und 13 EMRK in der neueren Rechtsprechung sowohl mit dem Effektivitätsgrundsatz nach Rewe/Comet wie mit dem sekundärrechtlichen Effektivititätsgebot nach von Colson und Kamann zu einem einheitlichen Institut zu verschmelzen scheint.185 Angesichts der Konvergenz der Rechtsprechungslinien aus Rewe/ Comet, von Colson und Kamann und Johnston/Heylens und ihrer funktional durch die Ausrichtung auf die Rechtsdurchsetzung kaum möglichen Unterscheidung ist deshalb vorgeschlagen worden, den sanktionenrechtlichen Effektivitätsgrundsatz und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz als einheitliches Institut aufzufassen, 186 wobei der effektive gerichtliche Rechtsschutz manchmal als Oberbegriff angesehen wird.187 Auch wenn dies 180 Neben den subjektiv-rechtlichen Wurzeln werden teilweise auch die objektivrechtlichen Prinzipien von Rechtsgemeinschaft (EuGH 23.4.1986, Rs. 294/83, Slg. 1986, 1339 Rn. 23 – Les Verts) und Rechtsstaatlichkeit (EuGH 25.7.2002, Rs. C-50/00 P, Slg. 2002, I-6677 Rn. 38 – Unión de Pequeños Agricultores) als Grundlage des Gebots effektiven Rechtsschutzes genannt. 181 Zu dessen Anforderungen für das Zivilverfahren Heinze EuR 2008, 654, 656 ff Zuweilen wird der effektive Rechtsschutz auch als Unterkategorie eines allgemeinen Rechts auf ein faires Verfahren verstanden, EuGH (Große Kammer) 26.6.2007, Rs. C-305/05, Slg. 2007, I-5305 Rn. 31 – Ordre des barreaux francophones. 182 Für ein Beispiel formal getrennter Prüfung mit identischen Ergebnissen EuGH 18.3.2010, Rs. C-317/08 bis C-320/08, Slg. 2010, I-2213 Rn. 47 ff., 61 ff. – Alassini. 183 EuGH 15.5.1986, Rs. 222/84, Slg. 1986, 1651 Rn. 18 f. – Johnston. Zuweilen wird auch bereits auf EuGH 19.12.1968, Rs. 13/68, Slg. 1968, 680, 693 – Salgoil verwiesen. 184 EuGH 15.10.1987, Rs. 222/86, Slg. 1987, 4097 Rn. 14 – Heylens. 185 Siehe etwa die Entscheidungen EuGH (Große Kammer) 13.3.2007, Rs. C-432/05, Slg. 2007, I-2271 Rn. 37 f. – Unibet; EuGH (Große Kammer) 15.4.2008, Rs. C-268/06, Slg. 2008, I-2483 Rn. 41 ff. – Impact und EuGH 22.12.2010, Rs. C-279/09, Slg. 2010, I-13849 Rn. 28 f. – DEB, die sich sowohl auf das Effektivitätsgebot aus Rewe/Comet wie auf das Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 47 GRCh beziehen; außerdem EuGH 29.10.2009, Rs. C-63/08, Slg. 2009, I-10467 Rn. 44 – Pontin; EuGH 24.4.2008, Rs. C-55/ 06, Slg. 2008, I-2931 Rn. 190 – Arcor. Aus der Literatur etwa Schwarze FS Starck (2007) 645, 650; Trstenjak/Beysen CMLR 48 (2011) 95, 98: Durchsetzungsverpflichtung der Mitgliedstaaten „manifestation of the general principle of effective judicial protection“. Auf das Verhältnis des Effektivitätsgrundsatzes zum Grundsatz effektiven Rechtsschutzes geht bereits Huthmacher Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts bei indirekten Kollisionen (1985) S. 94 ff. ein. 186 So etwa N. Reich General Principles of EU Civil Law (2014) Rn. 4.1: „principle of effectiveness now written into Article 47(1) of the Charter“. 187 Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 19.11.2009, verb. Rs. C-317/08 bis C-320/08, Slg. 2010, I-2213 Rn. 42 – Alassini: „Im Zusammenhang mit der gerichtlichen
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in vielen Fällen im Ergebnis zutreffend sein mag, weil sich die Anforderungen an die Effektivität decken, so lässt sich der Effektivitätsgrundsatz nach Rewe/Comet und von Colson und Kamann immerhin gedanklich in zwei Punkten vom Recht auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 47 GRCh unterscheiden.188 Zum einen hat die prozessgrundrechtliche Wurzel der Rechtsschutzgarantie aus Art. 47 GRCh zur Folge, dass sich aus ihr in aller Regel nur Anforderungen für die Regeln über die prozessuale Durchsetzung, nicht aber für materiellrechtliche Ansprüche wie den Anspruch auf Schadensersatz gewinnen lassen.189 Zum anderen können das Recht auf effektiven Rechtsschutz und der sanktionenrechtliche Effektivitätsgrundsatz auch in Konflikt geraten, wenn sich ein Kläger auf die Rechtsschutzgarantie beruft, um sich gegen eine unionsrechtliche Regelung zu wehren, so dass das Recht auf effektiven Rechtsschutz auch gegen die Effektivität des Unionsrechts ins Feld geführt werden und sich umgekehrt die Effektivität des Unionsrechts auch gegen den Einzelnen wenden kann.190 Für die Zwecke dieser auf das materielDurchsetzung des Gemeinschaftsrechts ist das Prinzip der Effektivität Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes.“ Für ein Verständnis des Effektivitätsgrundsatzes als Oberbegriff die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 22.1.2009, Rs. C-75/08, Slg. 2009, I-3799 Rn. 28 – Mellor: „Eine konkrete Ausprägung des Effektivitätsprinzips ist das Prinzip des effektiven Rechtsschutzes. Dieses Prinzip verlangt, dass die vom Gemeinschaftsrecht eingeräumten Rechte gerichtlich durchsetzbar sind.“ Siehe auch die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 22.9.2011, Rs. C-411/10, ECLI:EU:C:2011:610 Rn. 161 – N.S.: „Zum Mindestgehalt des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf gehört, dass der dem Anspruchsberechtigten zu gewährende Rechtsbehelf dem Effektivitätsgrundsatz genügen muss. Nach diesem Grundsatz darf die Verwirklichung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich oder übermäßig erschwert werden.“ Ferner EuGH (Große Kammer) 13.3.2007, Rs. C-432/05, Slg. 2007, I-2271 Rn. 37 f. – Unibet. Eine formal getrennte, sachlich aber identische Prüfung nimmt EuGH 18.3.2010, Rs. C-317/08 bis C-320/08, Slg. 2010, I-2213 Rn. 47 ff., 61 ff. – Alassini vor. 188 Zum Meinungsstand Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 2.12: „appear to fulfil a similar function“, „as the law stands it cannot be said with certainty that both principles neatly coincide and that one has ‚absorbed‘ the other“; zu den Unterschieden auch Prechal/Widdershoven Review of European Administrative Law 4 (2011) 31, 38 ff. 189 Zwar wird zuweilen zwischen der negativen Begrenzung durch den Effektivitätsgrundsatz und der positiven Ausprägung des Gebots der praktischen Wirksamkeit unterschieden (dazu unten bei Fn. 310), letzteres ist aber nicht mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 47 GRCh gleichzusetzen, ebenso Franck Marktordnung durch Haftung (2016) S. 206 f.: „Der Norm [Art. 47 Abs. 1 GRCh] ist nichts dazu zu entnehmen, ob Unionsrecht einzelnen Marktteilnehmern Rechte vermittelt.“ 190 Siehe die Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 13.2.2003, Rs. C-230/ 01, Slg. 2004, I-937 Rn. 67 – Pennycoed: „Ich weise darauf hin, dass der Effektivitätsgrundsatz auch allgemein betrachtet zwei Seiten hat. Die Bürger müssen nicht nur die ihnen durch das Gemeinschaftsrecht zuerkannten Rechte ausüben können, sondern sie müssen auch ihren Verpflichtungen nachkommen. Der Effektivitätsgrundsatz impliziert
II. Anlass: Europäische Vorgaben für die Rechtsdurchsetzung
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le Recht bezogenen Arbeit kann dies letztlich dahinstehen, weil das Gebot effektiven Rechtsschutzes in erster Linie Vorgaben für das Zivilverfahren macht,191 so dass es für die Ausgestaltung des materiellen Schadensersatzanspruchs nur von untergeordneter Bedeutung ist. c) Verhältnis zum allgemeinen Effektivitätsgebot Rechtssystematisch lässt sich der auf die Rechtsdurchsetzung bezogene sanktionenrechtliche Effektivitätsgrundsatz als Unterkategorie eines übergeordneten allgemeinen Grundsatzes der praktischen192 Wirksamkeit193 (effet utile) nämlich, dass das vom Gemeinschaftsgesetzgeber angestrebte politische Ziel in den Mitgliedstaaten umgesetzt werden kann und damit die volle Wirkung des Gemeinschaftsrechts sichergestellt wird.“ Siehe ferner die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 14.10.2004, verb. Rs. C-387/02, C-391/02 und C-403/02, Slg. 2005, I-3465 Rn. 88 – Berlusconi. „Dabei gilt der Effektivitätsgrundsatz nicht nur, wenn der Einzelne gegenüber einem Mitgliedstaat seine aus dem Gemeinschaftsrecht fließenden Rechte geltend macht, sondern auch umgekehrt, wenn ein Mitgliedstaat gegenüber dem Einzelnen die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts umsetzt.“ Ein ähnlicher Konflikt innerhalb der Effektivitätsziele des Unionsrechts ergibt sich, wenn die behördliche und die private Kartellrechtsdurchsetzung wie beim Zugang zu Kronzeugenerklärungen in Konflikt geraten, W.-H. Roth WRP 2013, 257, 262: „kann der Effektivitätsgrundsatz in Konflikt mit sich selbst geraten“. 191 Zu einer materiellrechtlichen Fortentwicklung (Erstreckung des Art. 340 Abs. 2 AEUV auf Bereicherungsansprüche) auf Grundlage des Art. 47 GRCh aber EuGH (Große Kammer) 16.12.2008, Rs. C-47/07 P, Slg. 2008, I-9761 Rn. 50 – Masdar (UK). 192 Zuweilen spricht der EuGH statt von praktischer auch von voller Wirksamkeit, vor allem wenn es um die Verpflichtung der nationalen Gerichte geht, das Unionsrecht durchzusetzen, und/oder um die Begründung subjektiver Ansprüche, vgl. EuGH 19.11.1991, Rs. C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, I-5357 Rn. 32 f., 39 – Francovich; EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 26 – Courage (dort sowohl „volle“ wie „praktische“ Wirksamkeit). Damit ist jedoch keine inhaltliche Differenzierung verbunden, ausführlich Bulst Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht (2006) S. 217: „lediglich um eine sprachliche Variation“; ausführliche Analyse bei Seyr Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH (2008) S. 290: „Als Ergebnis kann man somit festhalten, dass der EuGH dadurch, dass er manchmal den Begriff ‚praktische Wirksamkeit‘ verwendet und manchmal den Begriff ‚volle Wirksamkeit‘ keine unterschiedlichen Inhalte bzw. Stufen der Wirksamkeit zum Ausdruck bringen möchte.“ 193 Ersichtlich erstmals wird der Grundsatz der praktischen Wirksamkeit in EuGH 15.7.1963, Rs. 34/62, Slg. 1962, 289, 318 – Kommission/Deutschland („jeder Wirksamkeit berauben würde“) erwähnt, siehe auch EuGH 15.7.1964, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1141, 1270 – Costa/E.N.E.L. mit Verweis auf die „Wirksamkeit“ des Art. 189 EWGV (Art. 288 AEUV); EuGH 6.10.1970, Rs. 9/70, Slg. 1970, 825 Rn. 5 – Grad: „nützliche Wirkung (‚effet utile‘)“. Für die Argumentation des EuGH mit der Nützlichkeit einer Regelung oder deren Wirksamkeit verweist Honsell FS Krecji (2001) 1929, 1934 bereits auf EuGH 29.11.1956, Rs. 8/55, Slg. 1956, 297, 312 – Fédéchar; EuGH 10.7.1957, Rs. 7/56 und 3–7/57, Slg. 1957, 83, 122 – Algera; EuGH 4.2.1959, Rs. 1/58, Slg. 1959, 45, 67 – Stork; EuGH 15.7.1960, Rs. 20/59, Slg. 1960, 681, 708 f. – Italien/Hohe Behörde der EGKS; Honsell nennt ferner allgemeine teleologische Argumente des EuGH, etwa den Hinweis auf die
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des Unionsrechts begreifen,194 der seine Grundlage in Art. 4 Abs. 3 EUV findet.195 Neben dem sanktionenrechtlichen Effektivitätsgrundsatz kennt das Unionsrecht nämlich eine Reihe verwandter richterrechtlicher Institute, die ebenfalls die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts sichern und die man gemeinsam mit dem sanktionenrechtlichen Effektivitätsgrundsatz einem „Effektivitätsgrundsatz im weiteren Sinne“196 zuordnen kann.197 Zu diesen Instituten zählen etwa die unmittelbare Anwendbarkeit und der Anwendungsvor„Funktionsfähigkeit der Gemeinschaften“ oder den „Wortlaut und Geist“ der Verträge (EuGH 15.7.1964, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1141, 1269 f. – Costa/E.N.E.L.). Schroeder Das Gemeinschaftsrechtssystem (2002) S. 436 verweist ebenfalls auf EuGH 29.11.1956, Rs. 8/ 55, Slg. 1956, 297, 311 – Fédéchar. 194 Schroeder Das Gemeinschaftsrechtssystem (2002) S. 440 f.; Weyer ZEuP 2003, 318, 322; Seyr Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH (2008) S. 199: „Vorrang, unmittelbare Anwendbarkeit, die Gebote der Äquivalenz und Effektivität sowie die Staatshaftung erfüllen diese Funktion [Sicherstellung der Wirksamkeit des Unionsrechts] und tragen so zu einer einheitlichen Anwendung und Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts bei“; Heinze in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.) Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts I (2009) S. 337, 338; Metzger Extra legem, intra ius – Allgemeine Rechtsgrundsätze im Europäischen Privatrecht (2009) S. 333; Leczykiewicz ERCL 8 (2012) 47, 54; W.-H. Roth WRP 2013, 257; siehe auch Tichý FS Müller-Graff (2015) 1112, 1117 f., der effet utile und Effektivität als zwei überlappende Begriffe ansieht, „ohne dass der eine dem anderen unterworfen oder sein Teil wäre“. Eine etwas andere Systematisierung nimmt Tomasic Effet utile (2013) S. 74 ff. vor, der den effet utile als „Grundsatz der teleologischen Auslegung“ ansieht (74), durch den der „Einwirkungsanspruch des Europarechts“ (75) zum Ausdruck gebracht werde, wobei zwischen dem Einwirkungsanspruch auf einer institutionellen (Vorrang und unmittelbare Anwendung des Unionsrechts, unmittelbare Wirkung von Richtlinien, Staatshaftung der Mitgliedstaaten) und auf einer materiellen (indirekte Kollisionslagen wie die Rewe/Comet-Rechtsprechung, Tomasic a. a. O. 44 Fn. 196) Ebene unterschieden werden könne. M. E. ist der sanktionenrechtliche Effektivitätsgrundsatz mit dem effet utile als Auslegungsmaxime nicht deckungsgleich, siehe Text bei Fn. 203. 195 Schmidt-Aßmann DVBl. 1993, 924, 931; Lecheler Der Grundsatz der Effektivität im Gemeinschaftsrecht – Herkunft und Ausprägung (2002) S. 9, 16; Schroeder Das Gemeinschaftsrechtssystem (2002) S. 436 ff.; König Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (2011) S. 106. 196 Weyer ZEuP 2003, 318, 322. Für Verengung der praktischen Wirksamkeit auf eine Auslegungsregel aber Schneider Zivilrecht und praktische Wirksamkeit der Artikel 85 und 86 EG-Vertrag (2000) S. 5. 197 Für einen Überblick über die Erscheinungsformen des Effektivitätsgrundsatzes Schroeder Das Gemeinschaftsrechtssystem (2002) S. 439; siehe auch die Systematisierung bei Mosiek Effet utile und Rechtsgemeinschaft (2003) S. 22 ff.: mitgliedstaatliche Zuständigkeiten reduzierender effet utile (Auslegung von Unionskompetenzen), normverdrängender effet utile (z. B. Anwendungsvorrang), normergänzender effet utile (unmittelbare Anwendbarkeit von Richtlinien), normmodifizierender effet utile (gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung, Effektivitätsvorgaben bei mitgliedstaatlichem Vollzug von Unionsrecht, Francovich-Staatshaftung).
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rang des Unionsrechts,198 die Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts und die Auslegung unionsrechtlicher Vorschriften im Interesse ihrer praktischen Wirksamkeit.199 Nach der letztgenannten Maxime ist bei der Auslegung einer Regel des Unionsrechts derjenigen der Vorzug zu geben, die die praktische Wirksamkeit der Vorschrift am besten wahrt,200 indem beispielsweise Umgehungstaktiken der Normunterworfenen durch weite Auslegung vorgebeugt wird.201 Die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts als Auslegungsmaxime hat gewisse Berührungspunkte mit dem sanktionenrechtlichen Effektivitätsgrundsatz, wenn es um die Auslegung von
198 Zur Begründung dieser Grundsätze mit der Wirksamkeit des Unionsrechts EuGH 15.7.1964, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1141, 1270 – Costa/E.N.E.L. mit Verweis auf die „Wirksamkeit“ des Art. 189 EWGV (Art. 288 AEUV); siehe auch EuGH 6.10.1970, Rs. 9/70, Slg. 1970, 825 Rn. 5 – Grad: „nützliche Wirkung (‚effet utile‘)“. Zur „Wirksamkeit“ des Unionsrechts als Argument für seine unmittelbare Anwendbarkeit EuGH 4.12.1974, Rs. 41/74 Slg. 1974, 1337 Rn. 12 – van Duyn. 199 Anweiler Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaftsen (1997) S. 219; Honsell FS Krejci (2001) 1929, 1933; Mosiek Effet utile und Rechtsgemeinschaft (2003) S. 17 f.: effet utile als Maxime, „angebunden an die teleologische Auslegungsmethode“; Seyr Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH (2008) S. 345, 361, 277: „Die Berücksichtigung der praktischen Wirksamkeit einer Norm kann mit anderen Worten als eine gesteigerte, potenzierte Form der Teleologie bezeichnet werden“; Potacs EuR 2009, 465, 469: „Der effet utile ist ein Auslegungsgrundsatz, der in unterschiedlicher Intensität auf die Wirkkraft einer Vorschrift abstellt.“ Jaeger RabelsZ 77 (2013) 465, 479 hält diesen Auslegungsgrundsatz im allgemeinen zivilrechtlichen Kontext für deplatziert und will ihn nur dort anwenden, wo die Regelung „bereits eine bestimmte Werthaltung inkorporiert, also etwa ein Machtgefälle ausgeglichen werden soll“. Zum effet utile als Auslegungsgrundsatz und dessen Grenzen nun auch Tomasic Effet utile (2013), der allerdings auch die Fortbildung der Rechtsfolgen dem effet utile als Auslegungsgrundsatz zuordnet (siehe Tomasic a. a. O. S. 43 ff., 74 f.). Nach hier vertretener Differenzierung (dazu Text bei Fn. 204) handelt es sich – mangels auszulegender Unionsvorschrift – nicht mehr um Auslegung, sondern um die Einstrahlung des sanktionenrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes auf die Rechtsfolgen. 200 Zur Auslegung anhand des Effektivitätsgrundsatzes EuGH 9.3.2006, Rs. C-174/05, Slg. 2006, I-2443 Rn. 20 – Zuid-Hollandse Milieufederatie und Natuur en Milieu; siehe bereits EuGH 15.7.1963, Rs. 34/62, Slg. 1962, 289, 318 – Kommission/Deutschland: „jeder Wirksamkeit berauben würde“; EuGH 19.11.2009, verb. Rs. C-402/07 und C-432/ 07, Slg. 2009, I-10923 Rn. 47 – Sturgeon: „Auch ist bei verschiedenen möglichen Auslegungen einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts derjenigen der Vorzug zu geben, die die praktische Wirksamkeit der Vorschrift zu wahren geeignet ist“; ausführlich Potacs EuR 2009, 465, 469 ff. Kritisch zur „Eindimensionalität“ dieses Ansatzes Remien RabelsZ 60 (1996) 1, 17; allgemein Streinz FS Everling II (1995) 1491, 1495 zur synonymen Verwendung von „effet utile“ und „praktische Wirksamkeit“. 201 EuGH 12.5.2011, Rs. C-122/10, Slg. 2011, I-3903 Rn. 39 – Ving Sverige; EuGH (Große Kammer) 18.10.2011, Rs. C-34/10, Slg. 2011, I-9821 Rn. 50 – Brüstle; siehe auch EuGH 1.12.2011, Rs. C-446/09 und C-495/09, ECLI:EU:C:2011:796 Rn. 72 ff. – Philips.
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Rechtsfolgenanordnungen im Unionsrecht geht.202 Bei einer unvollständigen Regelung der Rechtsfolgen in einem Unionsrechtsakt lässt sich dasselbe Resultat – die Wirksamkeit des Unionsrechts – nämlich regelmäßig sowohl durch eine (weite) Auslegung der unionsrechtlichen Rechtsfolgenanordnungen wie durch Eingrenzung des nationalen Spielraums bei den Rechtsfolgen durch das sanktionenrechtliche Effektivitätspostulat erreichen.203 Allerdings bleibt das Effektivitätsgebot als Auslegungsmaxime des Unionsrechts hinter dem sanktionenrechtlichen Effektivitätsgrundsatz in anderen Fällen zurück,204 da diese Maxime auf die Auslegung des bestehenden Unionsrechts beschränkt ist, während der sanktionenrechtliche Effektivitätsgrundsatz gerade auch außerhalb des geschriebenen Unionsrechts zum Tragen kommt, soweit es um die Durchsetzung des europäischen Rechts durch nationale Regeln geht.205 Im Unterschied zur praktischen Wirksamkeit als Auslegungsmaxime handelt es sich beim sanktionrechtlichen Effektivitätsgrundsatz deshalb nicht um eine Regel zur Auslegung des Unionsrechts – der Effektivitätsgrundsatz wirkt ja auch außerhalb des harmonisierten Bereichs und damit außerhalb des auszulegenden Unionsrechts –, sondern um eine durch richterliche Rechtsfortbildung206 geschaffene primärrechtliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur 202 Siehe etwa die Auslegung des Unterlassungsanspruchs in der Markenverordnung in EuGH 14.12.2006, Rs. C-316/05, Slg. 2006, I-12083 Rn. 49 ff., 57 ff. – Nokia. 203 Für ein Beispiel der Überlappung von Effektivitätsgrundsatz und Auslegung EuGH (Große Kammer) 8.11.2005, Rs. C-443/03, Slg. 2005, I-9611 Rn. 37 ff., 49 – Leffler. 204 Auf der anderen Seite geht das Effektivitätsgebot als Auslegungsgrundsatz über den sanktionenrechtlichen Effektivitätsgrundsatz auch hinaus, da es generell und nicht nur bei Rechtsfolgenanordnungen zum Tragen kommt, was allerdings für die Zwecke dieser auf die Rechtsfolgen fokussierten Arbeit keiner Vertiefung bedarf. 205 Zum Unterschied zwischen der effektiven Anwendung von Unionsrecht und der Effektivität als Schranke nationaler Vorschriften auch Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 10.14 (mit Beispielen zur Abgrenzung). Zu einem anderen Ergebnis kommt man, wenn man die Verpflichtung auf wirksame Sanktionen durch Auslegung der durchzusetzenden Primärnorm gewinnen will, so Bulst Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht (2006) S. 223 (zu Courage, nicht zu Manfredi): „Nach den obigen Ausführungen handelt es sich hierbei [dem Prinzip der praktischen Wirksamkeit] um einen Auslegungsgrundsatz, so dass sich die Frage stellt, welche Norm der EuGH in Courage ausgelegt hat. In Erwägungsgrund 26 [der CourageEntscheidung] wird deutlich, dass es sich dabei um Art. 81 EG handelt – auch wenn ‚Auslegung‘ angesichts des gewohnt apodiktischen Stils etwas hoch gegriffen klingen mag.“ M. E. kann man mangels einer Regelung von Schadensersatzansprüchen in Art. 101 AEUV nicht mehr von Auslegung sprechen, sondern vielmehr handelt es sich um Rechtsfortbildung aufgrund des sanktionenrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes (bzw. des Prinzips der praktischen Wirksamkeit). Dies zeigt sich auch daran, dass der EuGH, wenn er tatsächlich Auslegung betreibt, dies anhand der traditionellen Auslegungsmethoden einleitet und den effet utile als zusätzliches Auslegungselement einbezieht, vgl. die Nachweise in Fn. 200. 206 Zur Diskussion über die Charakterisierung des effet utile als Auslegung oder Rechtsfortbildung Seyr Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH (2008) S. 328 ff.,
II. Anlass: Europäische Vorgaben für die Rechtsdurchsetzung
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effektiven Durchsetzung des Unionsrechts, die das nach dem Grundsatz der nationalen Verfahrensautonomie anwendbare nationale Sanktionenrecht als europäischer Mindeststandard207 überlagert und deshalb als Auslegungs- und Optimierungsgebot auf das nationale Recht einstrahlt.208 Der Effektivitätsgrundsatz wirkt damit an der Grenze zwischen Vorrangprinzip und Komplementaritätsgrundsatz, indem er einerseits als Auslegungsgebot die Wirksamkeit des geschriebenen Unionsrechts absichert und andererseits als sanktionenrechtlicher Ausgestaltungsvorbehalt das Minimum dessen beschreibt, was im nationalen Recht noch als wirksames Durchsetzungsinstrumentarium angesehen werden kann. d) Abgrenzung zum Äquivalenzgrundsatz Neben dem sanktionenrechtlichen Effektivitätsgrundsatz209 beschränkt auch der Äquivalenzgrundsatz (Grundsatz der Gleichwertigkeit)210 als Ausprägung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes211 die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten bei der Durchsetzung unionsrechtlich begründeter Rechte. Der 335 f., 362 f., die ebenfalls zwischen Auslegung und „Weiterentwicklung“ des Rechts anhand des Kriteriums unterscheidet, ob der „EuGH eine Konkretisierung und fortschreitende Ausgestaltung von vorhandenem Recht vornimmt“. Seyr sieht allerdings nur die Entwicklung des Anwendungsvorrangs, der Staatshaftung und der unmittelbaren Anwendung von Richtlinien als „Weiterentwicklung“ an, während sie alle übrigen Erscheinungsformen des effet utile (und damit wohl auch den sanktionenrechtlichen Effektivitätsgrundsatz) der Auslegung zuordnet (344). 207 Begriff nach Hess Europäisches Zivilprozessrecht (2010) § 11 Rn. 8; Ward Judicial Review and the Rights of Private Parties in EU Law2 (2007) S. 104 ff. 208 EuGH 29.10.2009, Rs. C-63/08, Slg. 2009, I-10467 Rn. 75 – Pontin: „Falls das vorlegende Gericht daher einen solchen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 76/207 feststellen sollte, muss es die innerstaatlichen Zuständigkeitsregeln so weit wie möglich dahin auslegen, dass sie zur Erreichung des Ziels beitragen, einen effektiven gerichtlichen Schutz der Rechte zu gewährleisten, die schwangeren Frauen aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsen.“ 209 Zur getrennten Prüfung beider Grundsätze Kulms Der Effektivitätsgrundsatz (2013) S. 162 f. mit Überblick über das vor allem in der europarechtlichen Literatur umstrittene Verhältnis von Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz. 210 EuGH 1.12.1998, Rs. C-326/96, Slg. 1998, I-7835 Rn. 39, 41, 43 – Levez; EuGH 6.12.2001, Rs. C-472/99, Slg. 2001, I-9687 Rn. 30 – Clean Car. 211 EuGH 19.6.2003, Rs. C-34/02, Slg. 2003, I-6515 Rn. 70 – Pasquini: „Denn der Äquivalenzgrundsatz, der verlangt, dass das Verfahren für zwei vergleichbare Sachverhalte, einen mit Gemeinschaftsursprung und einen rein innerstaatlichen, in gleicher Weise gestaltet wird, ist nur eine Ausprägung des Gleichheitssatzes, der eines der Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts darstellt“; EuGH 15.3.2007, Rs. C-35/05, Slg. 2007, I-2425 Rn. 44 – Reemtsma Cigarettenfabriken; EFTA-Gerichtshof 13.6.2013, Rs. E-11/12 Rn. 123 – Swiss Life; zur Begründung als Konkretisierung des Gleichheitssatzes bereits Grabitz NJW 1989, 1776, 1782; von Danwitz Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration (1996) S. 348.
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§ 1 Ausgangslage und Anlass der Untersuchung
Äquivalenzgrundsatz besagt, dass die Verfahren und Rechtsbehelfe zur Durchsetzung unionaler Rechte „nicht weniger günstig gestaltet werden dürfen als bei entsprechenden Klagen, die nur innerstaatliches Recht betreffen“.212 Es geht also um einen Vergleich der nationalen Regeln zur Durchsetzung nationaler und europäischer Rechte oder vergleichbarer europäischer Regeln untereinander,213 nicht um einen Vergleich der Durchsetzungsmodalitäten unterschiedlicher nationaler Rechtsordnungen.214 Nach der Rechtsprechung des EuGH setzt die „Wahrung des Grundsatzes der Äquivalenz […] voraus, dass die streitige Regelung in gleicher Weise für Klagen gilt, die auf die Verletzung des Unionsrechts gestützt sind, wie für solche, die auf die Verletzung des innerstaatlichen Rechts gestützt sind, sofern diese Klagen einen ähnlichen Gegenstand und Rechtsgrund haben“.215
Dies bedeutet allerdings nicht, dass die jeweils „günstigste innerstaatliche Regelung auf alle Klagen zu erstrecken [wäre], die im Bereich des betreffenden Rechtsgebiets erhoben werden“.216 Vielmehr hat das nationale Gericht sowohl „den Gegenstand als auch die wesentlichen Merkmale der als vergleichbar dargestellten Klagen des innerstaatlichen Rechts“ zu würdigen und in jedem Fall, in dem sich eine nationale Vorschrift zur Durchsetzung von Unionsrecht als weniger günstig als die für vergleichbare Klagen des innerstaatlichen Rechts geltenden Vorschriften herEuGH 15.9.1998, Rs. C-231/96, Slg. 1998, I-4951 Rn. 34 – Edis. EuGH 11.10.2007, Rs. C-460/06, Slg. 2007, I-8511 Rn. 52 – Paquay: „Bei der Wahl der zur Verwirklichung des Ziels der Richtlinie 76/207 angemessenen Lösung müssen die Mitgliedstaaten […] darauf achten, dass Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht nach ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden wie nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen das nationale Recht […]. Dies gilt entsprechend für nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht.“ (Hervorhebung nicht im Original). 214 EuGH 3.7.1979, verb. Rs. 185/78 bis 204/78, Slg. 1979, 2345 Rn. 10 – Strafverfahren gegen J van Dam: „Die Anwendung innerstaatlicher Rechtsvorschriften […] kann nicht deshalb als Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtdiskriminierung angesehen werden, weil angeblich einzelne Mitgliedstaaten weniger strenge Vorschriften anwenden.“ 215 EuGH 8.7.2010, Rs. C-246/09, Slg. 2010, I-7003 Rn. 26 – Bulicke; siehe auch EuGH (Große Kammer) 26.1.2010, Rs. C-118/08, Slg. 2010, I-635 Rn. 33 ff. – Transportes Urbanos; zum Äquivalenzgrundsatz bei der Durchsetzung von Richtlinien ebenso EuGH 21.9.1989, Rs. 68/88, Slg. 1989, 2965 Rn. 24 – Kommission/Griechenland, EuGH 22.4.1997, Rs. C-180/95, Slg. 1997, I-2195 Rn. 29 – Draehmpaehl; EuGH 11.10.2007, Rs. C-460/06, Slg. 2007, I-8511 Rn. 52 – Paquay. Indizien für eine ungünstigere Behandlung der Durchsetzung unionaler Rechte sind zusätzliche Kosten oder ungünstigere Fristen, EuGH 1.12.1998, Rs. C-326/96, Slg. 1998, I-7835 Rn. 51 – Levez. 216 EuGH 8.7.2010, Rs. C-246/09, Slg. 2010, I-7003 Rn. 27 – Bulicke. Zulässig ist es beispielsweise, für die Erstattung von Abgaben ungünstigere Verzinsungsvorschriften als für privatrechtliche Erstattungsansprüche vorzusehen, EuGH 10.9.2002, verb. Rs. C-216/ 99 und C-222/99, Slg. 2002, I-6761 Rn. 76 – Prisco. 212 213
II. Anlass: Europäische Vorgaben für die Rechtsdurchsetzung
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ausstellt, „objektiv und abstrakt“ „die Gleichartigkeit der betreffenden Rechtsbehelfe unter dem Gesichtspunkt ihres Gegenstands, ihres Rechtsgrundes und ihrer wesentlichen Merkmale“ „unter Berücksichtigung ihrer Stellung im gesamten Verfahren, des Ablaufs dieses Verfahrens und der Besonderheiten des Vorschriften“ zu prüfen.217 Die Bestimmung der Vergleichbarkeit anhand von Gegenstand und wesentlichen Merkmalen der unterschiedlichen Rechtsbehelfe kann im Einzelfall größere Schwierigkeiten aufwerfen,218 für die Zwecke dieser Arbeit aber dahinstehen. Für die europäisch-autonome Konkretisierung des Schadensersatzrechts ist der Äquivalenzgrundsatz nämlich nur von untergeordnetem Interesse, da er regelmäßig nur eine Nicht-Schlechterstellung gegenüber den vergleichbaren Vorschriften des nationalen Rechts verlangt,219 nicht jedoch positiv europäische Anforderungen an die Ausgestaltung des Schadensersatzrechts formuliert.220 Zwar verlangt der Gerichtshof in neueren Entscheidungen zum Äquivalenzgrundsatz bei der Handhabung der nationalen Durchsetzungsbestimmungen die Berücksichtigung spezifisch unionsrechtlicher Wertungen,221 etwa die unionsrechtskonforme Auslegung des Begriffs der öffentlichen Ordnung, wenn es auf diesen Begriff nach den Kategorien des nationalen Rechts zur Begründung einer Pflicht zur Amtsanwendung von Rechtsvorschriften222 oder zur Durchbrechung der Rechtskraft223 ankommt. Indes knüpft auch in diesen Konstellationen der Äquivalenzgrundsatz an die Kriterien des nationalen Rechts zur Amtsanwendung zwingenden Rechts oder zur Durchbrechung der Rechtskraft an, ohne eigene und unionsautonome Vorga217 EuGH 29.10.2009, Rs. C-63/08, Slg. 2009, I-10467 Rn. 46 – Pontin; EuGH 8.7.2010, Rs. C-246/09, Slg. 2010, I-7003 Rn. 28 f. – Bulicke; EuGH 8.9.2011, Rs. C-177/ 10, Slg. 2011, I-7907 Rn. 90 – Rosado Santana; EuGH (Große Kammer) 19.7.2012, Rs. C-591/10, ECLI:EU:C:2012:478 Rn. 31 – Littlewoods Retail; zusammenfassend zur Äquivalenz die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 14.2.2012, Rs. C-618/ 10, ECLI:EU:C:2012:74 Rn. 62 f. – Banco Español de Crédito; Hess Europäisches Zivilprozessrecht (2010) § 11 Rn. 5: „Gesamtschau von materiellem Recht und Prozessrecht“. 218 Vgl. etwa die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 12.1.2012, Rs. C-591/10, ECLI:EU:C:2012:478 Rn. 39 ff. – Littlewoods Retail zu den Verzinsungsmodalitäten bei Erstattung unionsrechtswidriger Abgaben; ausführlich zur Prüfung des Äquivalenzgrundsatzes Kulms Der Effektivitätsgrundsatz (2013) S. 155 ff. mit einem dreischrittigen Prüfungsmodell. 219 EuGH 16.12.1976, Rs. 33/76, Slg. 1976, 1989 Rn. 5 – Rewe; EuGH 16.5.2000, Rs. C-78/98, Slg. 2000, I-3201 Rn. 31 – Preston. Eine günstigere Behandlung gegenüber der Durchsetzung nationaler Rechte ist zulässig, König Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (2011) S. 94 m. w. N. 220 Vgl. EuGH 10.7.1997, Rs. C-261/95, Slg. 1997, I-4025 Rn. 39 – Palmisani. 221 Darauf weist König Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (2011) S. 103 hin. 222 EuGH 7.6.2007, verb. Rs. C-222/95 bis C-225/05, Slg. 2007, I-4233 Rn. 29 ff. – van der Weerd; EuGH 6.10.2009, Rs. C-40/08, Slg. 2009, I-9579 Rn. 53 f. – Asturcom. 223 EuGH 1.6.1999, Rs. C-126/97, Slg. 1999, I-3055 Rn. 37 – Eco Swiss.
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§ 1 Ausgangslage und Anlass der Untersuchung
ben für die Rechtsdurchsetzung zu entwickeln. Deshalb soll der Äquivalenzgrundsatz für die in dieser Arbeit angestrebte unionsrechtsimmanente Untersuchung der Schadensersatzvorschriften nicht weiter vertieft werden.224 e) Inhalt und Reichweite aa) Anwendungsvoraussetzungen Die Anwendung des sanktionenrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes setzt den Schutz eines unionsrechtlich begründeten Rechts, also seine (faktisch) unmittelbare Wirkung und die Anspruchsberechtigung des konkreten Klägers sowie eine fehlende oder unvollständige Regelung der Haftungsfolgen auf europäischer Ebene voraus. Die Idee, den Effektivitätsgrundsatz zu einem allgemeinen Durchsetzungsprinzip auch im Hinblick auf nationales Recht zu erheben,225 hat der Gerichtshof nicht aufgenommen. Sie dürfte auch mit dem Grundanliegen, die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts und nicht der nationalen Rechtsordnungen zu sichern, nicht vereinbar sein. (1) (Faktisch) Unmittelbar wirksames Unionsrecht Voraussetzung für den Schutz eines unional begründeten Rechts ist zunächst, dass die betreffende Vorschrift überhaupt auch zwischen Privaten unmittelbar wirksam ist.226 Dies ist bei Verordnungen unproblematisch der Fall, da sie 224 Zum Äquivalenzgrundsatz auch Kulms Der Effektivitätsgrundsatz (2013) S. 161: kein allzu strenger Prüfungsmaßstab; Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 2.06: „modest role“. 225 Dreier Kompensation und Prävention (2002) S. 200: „Freilich bindet dieser Grundsatz […] die Mitgliedstaaten einstweilen nur hinsichtlich des primären und des sekundären Gemeinschaftsrechts. Dennoch erscheint in ihm ein allgemeiner Grundsatz angelegt, der über die EG-rechtliche Ableitung hinaus verallgemeinerungsfähig sein dürfte, wenn es darum geht, auch die Befolgung nationalen Rechts im Hinblick auf die Ziele der Gemeinschaft durch gemeinschaftsrechtsfreundliche bzw. konforme Auslegung und ggf. Gestaltung der nationalen Rechtsfolgen sicherzustellen.“ 226 Vgl. Mosiek Effet utile und Rechtsgemeinschaft (2003) S. 239 Fn. 926; andeutend bereits Hanf ZaöRV 59 (1999) 51, 70 f. Zur Verknüpfung von unmittelbarer Wirkung und Effektivitätsgrundsatz bereits EuGH 16.12.1976, Rs. 33/76, Slg. 1976, 1989 Rn. 5 – Rewe: „Die in Artikel 13 EWG-Vertrag und in Artikel der Verordnung Nr. 159/66/EWG ausgeprochenen Verbote wirken unmittelbar und begründen für die einzelnen Bürger Rechte, welche die innerstaatlichen Gerichte zu schützen haben.“ Zur Unterscheidung von unmittelbarer Geltung (Art. 288 Abs. 2 AEUV), unmittelbarer Anwendbarkeit (von hinreichend klaren und unbedingten Normen des Primärrechts) und unmittelbarer Wirkung (von Richtlinien) Reiling Zu individuellen Rechten im deutschen und Gemeinschaftsrecht (2004) S. 278 ff. Zum Begriff der unmittelbaren Geltung EuGH 9.3.1978, Rs. 106/77, Slg. 1978, 629 Rn. 14/16 – Simmenthal: „Unmittelbare Geltung bedeutet […], dass die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts ihre volle Wirkung einheitlich in sämtlichen Mitgliedstaaten vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an und während der gesamten Dauer ihrer Gültigkeit
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gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV mit ihrem Inkrafttreten „allgemeine Geltung“ haben, „in allen ihren Teilen verbindlich“ sind und „unmittelbar in jedem Mitgliedstaat“ gelten, ohne dass es eines Umsetzungsaktes im nationalen Recht227 bedarf. Europäische Verordnungen können daher auch in zivilrechtlichen Rechtsstreitigkeiten „Rechte der Einzelnen begründen, die die nationalen Gerichte schützen müssen“.228 Gleiches gilt für hinreichend klare, vollständige und unbedingte Bestimmungen des Primärrechts, die eine Handlungs- oder Unterlassungspflicht ohne zwischengeschaltete Ausführungsakte begründen und damit die Voraussetzungen der unmittelbaren Anwendbarkeit erfüllen.229 Allerdings kann sich entfalten müssen. Diese Bestimmungen sind somit unmittelbare Quelle von Rechten und Pflichten für alle diejenigen, die sie betreffen, einerlei, ob es sich um die Mitgliedstaaten oder um solche Einzelpersonen handelt, die an Rechtsverhältnissen beteiligt sind, welche dem Gemeinschaftsrecht unterliegen.“ 227 Zum Verbot verordnungsspiegelnder nationaler Gesetze EuGH 10.10.1973, Rs. 34/ 73, Slg. 1973, 981 Rn. 11 – Variola; EuGH 2.2.1977, Rs. 50/76, Slg. 1977, 137 Rn. 4/7 – Amsterdam Bulb. 228 EuGH 17.9.2002, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 27 – Muñoz; EuGH 14.7.2011, Rs. C-4/10 und C-27/10, Slg. 2011, I-6131 Rn. 40 – Bureau national interprofessionnel du Cognac. Zu den Rechtsfolgen bei Verstoß gegen das Effektivitätsgebot bei Verordnungen etwa EuGH 18.1.2007, Rs. C-421/05, Slg. 2007, I-653 Rn. 33 – City Motors Groep; EuGH (Große Kammer) 8.11.2005, Rs. C-443/03, Slg. 2005, I-9611 Rn. 51 – Leffler; EuGH 15.7.2010, Rs. C-256/09, Slg. 2010, I-7353 Rn. 99 – Purrucker. Zwar weist N. Reich in: Micklitz/Cafaggi (Hrsg.) European Private Law after the Common Frame of Reference (2010) 56, 66 f. darauf hin, dass EuGH 18.12.1986, Rs. 10/86, Slg. 1986, 4071 Rn. 12, 16 – VAG Magne für die alte Gruppenfreistellungsverordnung 123/85 entschieden hat, dass sie „weder eine Änderung des Inhalts einer solchen [vertraglichen] Vereinbarung [bewirkt] noch deren Nichtigkeit“. Indes bedeutet dies keine fehlende Horizontalwirkung dieser Verordnung, sondern ist eine Konsequenz der Regelungsstruktur des europäischen Kartellrechts, das in den Gruppenfreistellungsverordnungen bestimmte (typisierte) Ausnahmen vom Kartellverbot definiert, während die vertragliche Nichtigkeitsfolge aus Art. 101 Abs. 2 AEUV folgt und sich die Konsequenzen der Nichtigkeit für den Gesamtvertrag nach nationalem Recht richten, siehe EuGH 18.12.1986, Rs. 10/86, Slg. 1986, 4071 Rn. 14 f. – VAG Magne. Siehe auch EuGH 7.9.2006, Rs. C-125/05, Slg. 2006, I-7637 Rn. 23 ff. – Skandinavisk zur Auslegung der Vorgaben der VO 1400/2002 für die Vertragskündigung. 229 Allgemein EuGH 5.2.1963, Rs. 26/62, Slg. 1963, 3, 25 – van Gend & Loos. Zu den Wettbewerbsvorschriften EuGH 6.4.1962, Rs. 13/61, Slg. 1962, 91, 112 – Bosch; EuGH 14.12.1995, Rs. C-430/93 und C-431/93, Slg. 1995, I-4705 Rn. 13 f. – van Schijndel; EuGH 18.3.1997, Rs. C-282/95 P, Slg. 1997, I-1503 Rn. 39 – Guérin; EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 23 f., 25 ff. – Courage; EuGH 13.7.2006, Rs. C-295/ 04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 39, 62, 71, 77, 89 – Manfredi; EuGH (Große Kammer) 14.6.2011, Rs. C-360/09, Slg. 2011, I-5161 Rn. 19, 28 – Pfleiderer. Zu Diskriminierungsverboten EuGH 8.4.1976, Rs. 43/75, Slg. 1976, 455 Rn. 21/24, 38/39 – Defrenne II; EuGH 28.9.1994, Rs. C-200/91, Slg. 1994, I-4389 Rn. 18 f. – Coloroll (beide Art. 157 AEUV; letztere zur Berechtigung der Hinterbliebenen); EuGH 6.6.2000, Rs. C-
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hier eher als bei Verordnungen das Problem der Drittwirkung gegenüber Privaten stellen.230 Bei den im Unionsprivatrecht verbreiteteren Richtlinien ergibt sich das bekannte Problem, dass Richtlinienbestimmungen grundsätzlich231 in Rechts281/98, Slg. 2000, I-4139 Rn. 35 f. – Angonese (Diskriminierungsverbot als Teil der Arbeitnehmerfreizügigkeit); EuGH (Große Kammer) 19.1.2010, Rs. C-555/07, Slg. 2010, I-365 Rn. 50 f. – Kücükdeveci (Verbot der Altersdiskriminierung als „spezifische Anwendung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes“). Für Gegenbeispiele (keine hinreichend klaren und unbedingten Verpflichtungen) EuGH 10.3.2011, Rs. C-379/09, Slg. 2011, I-1379 Rn. 14 – Casteels; EuGH 3.10.2000, Rs. C-9/99, Slg. 2000, I-8207 Rn. 25 – Echirolles Distribution (Art. 119 AEUV); vgl. auch (zu Art. 169 AEUV) EuGH 7.3.1996, Rs. C-192/94, Slg. 1996, I-1281 Rn. 20 f. – El Corte Inglés. 230 Insbesondere die Warenverkehrsfreiheit (Art. 34, 35 AEUV) ist zwar hinreichend klar und unbedingt für eine Direktwirkung ausgestaltet, entfaltet allerdings keine Direktwirkung in Rechtsverhältnissen zwischen Privaten, siehe EuGH 1.10.1987, Rs. 311/85, Slg. 1987, 3801 Rn. 30 – ASBL Vereniging van Vlaamse Reisbureaus; EuGH 27.9.1988, Rs. 65/86, Slg. 1988, 5249 Rn. 11 – Bayer; EuGH 6.6.2002, Rs. C-159/00, Slg. 2002, I-5031 Rn. 74 – Eco-Emballages; a. A. noch EuGH 22.1.1981, Rs. 58/80, Slg. 1981, 181 Rn. 17 – Dansk Supermarked. Allerdings können sich Private auch in Zivilrechtsstreitigkeiten auf die Warenverkehrsfreiheit zur Auslegung und Anwendung des staatlichen Privatrechts (z. B. des immaterialgüterrechtlichen Erschöpfungsgrundsatzes) berufen, vgl. EuGH 9.6.1992, Rs. C-47/90, Slg. 1992, I-3669 Rn. 29 – Delhaize. Ausführlich zur Drittwirkung der Grundfreiheiten Körber Grundfreiheiten und Privatrecht (2004) S. 632 ff.; Bachmann AcP 210 (2010) 424, 465 ff.; Schmid Die Instrumentalisierung des Privatrechts durch die Europäische Union (2010) S. 524 ff.; siehe auch die Zusammenfassung in den Schlussanträgen der Generalanwältin Trstenjak vom 28.3.2012, Rs. C-171/11, ECLI:EU: C:2012:453 Rn. 29 ff. – Fra.bo. Bei der Dienstleistungsfreiheit (und der Arbeitnehmerund Niederlassungsfreiheit) deutet die Judikatur des Gerichtshofs darauf hin, dass eine Drittwirkung zumindest dann zu bejahen ist, wenn es sich um kollektive Regelungen im Arbeits- oder Dienstleistungsbereich handelt, siehe EuGH 12.12.1974, Rs. 36/74, Slg. 1974, 1405 Rn. 15, 20 – Walrave und Koch; EuGH 11.4.2000, Rs. C-51/96 und C-191/97, Slg. 2000, I-2549 Rn. 47 – Deliège; EuGH 19.2.2002, Rs. C-309/99, Slg. 2002, I-1577 Rn. 120 – Wouters; zur Berücksichtigung der Dienstleistungsfreiheit bei der Kontrolle staatlicher Regelungen, die beschränkende Vereinbarungen in privatrechtlichen Verträgen sanktionieren, auch EuGH (Große Kammer) 4.10.2011, Rs. C-403/08 und C-429/08, Slg. 2011, I-9083 Rn. 88 – Football Association Premier League. Bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit könnte EuGH 6.6.2000, Rs. C-281/98, Slg. 2000, I-4139 Rn. 35 f. – Angonese sogar für generelle Drittwirkung sprechen. Zur Unzulässigkeit der Nichtigkeitsfolge bei Verstoß gegen eine nationale Regelung über die Vertragssprache auch EuGH (Große Kammer) 16.4.2013, Rs. C-202/11, ECLI:EU:C:2013:239 Rn. 31 ff. – Las. 231 Eine Ausnahme (unmittelbare Anwendbarkeit in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten) gilt dann, wenn die konkrete Richtlinienvorschrift zugleich im Rang eines (auch gegenüber Privaten unmittelbar anwendbaren) allgemeinen Grundsatzes des Unionsrechts steht [wie dies etwa im Antidiskriminierungsrecht regelmäßig der Fall ist, zum Verbot der Altersdiskriminierung als „spezifische Anwendung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes“ EuGH (Große Kammer) 19.1.2010, Rs. C-555/07, Slg. 2010, I-365 Rn. 50 f. – Kücükdeveci] oder wenn der Klagegegner eine staatsnahe Einrichtung ist, dazu EuGH
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streitigkeiten zwischen Privaten nicht unmittelbar wirksam sind.232 Dennoch findet der Effektivitätsgrundsatz auch auf Richtlinienbestimmungen Anwendung,233 soweit diese in nationales Recht umgesetzt wurden oder das nationale Recht zumindest im Sinne einer Umsetzung auslegungsfähig ist. In beiden Fällen hat nämlich die Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung 234 zur Folge, dass die Richtlinie zumindest faktisch direkte Wirkung zwischen 19.4.2007, Rs. C-356/05, Slg. 2007, I-3067 Rn. 40 – Farrell; EuGH 23.4.2009, Rs. C-378/ 07 und C-380/07, Slg. 2009, I-3071 Rn. 193 – Angelidaki. Als „Kompensation“ für die fehlende unmittelbare Wirkung von Richtlinien zwischen Privaten eröffnet EuGH 19.11.1991, Rs. C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, I-5357 Rn. 39 ff. – Francovich eine Schadensersatzhaftung der Mitgliedstaaten für fehlerhaft umgesetzte Richtlinien, wenn (1) Ziel der Richtlinie die Verleihung von Rechten an Einzelne ist, (2) der Inhalt dieser Rechte auf der Grundlage der Richtlinie bestimmt werden kann und (3) ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die dem Mitgliedstaat auferlegte Verpflichtung und dem entstandenen Schaden besteht, zusammenfassend EuGH 23.4.2009, C-378/07 und C-380/ 07, Slg. 2009, I-3071 Rn. 202 – Angelidaki. 232 EuGH 26.2.1986, Rs. 152/84, Slg. 1986, 723 Rn. 48 – Marshall I; EuGH 14.7.1994, Rs. C-91/92, Slg. 1994, I-3325 Rn. 20 – Faccini Dori; EuGH 7.7.2007, Rs. C-80/06, Slg. 2007, I-4473 Rn. 20 f. – Carp (zu Entscheidungen); EuGH (Große Kammer) 17.7.2008, Rs. C-152/07 bis C-154/07, Slg. 2008, I-5959 Rn. 35 – Arcor; EuGH (Große Kammer) 19.1.2010, Rs. C-555/07, Slg. 2010, I-365 Rn. 46 – Kücükdeveci; EuGH (Große Kammer) 15.1.2014, Rs. C-176/12, ECLI:EU:C:2014:2 Rn. 36 f. – Association de médiation sociale; EuGH 7.1.2004, Rs. C-201/02, Slg. 2004, I-723 Rn. 56 – Wells: „Hierzu ist festzustellen, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit der Begründung von Verpflichtungen für den Einzelnen durch Richtlinien entgegensteht. Gegenüber dem Einzelnen können die Bestimmungen einer Richtlinie nur Rechte begründen. Daher kann dieser sich nicht gegenüber einem Mitgliedstaat auf eine Richtlinie berufen, wenn es sich um eine Verpflichtung des Staates handelt, die unmittelbar im Zusammenhang mit der Erfüllung einer anderen Verpflichtung steht, die aufgrund dieser Richtlinie einem Dritten obliegt.“ 233 Zu (privatrechtlichen) Richtlinien EuGH 10.4.1984, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 Rn. 26 – von Colson und Kamann; EuGH 2.8.1993, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367 Rn. 24 – Marshall II; EuGH 22.4.1997, Rs. C-180/95, Slg. 1997, I-2195 Rn. 25, 29 – Draehmpaehl; EuGH 21.11.2002, Rs. C-473/00, Slg. 2002, I-10875 Rn. 33 ff., 36 – Cofidis; EuGH (Große Kammer) 15.4.2008, Rs. C-268/07, Slg. 2008, I-2483 Rn. 46 f. – Impact; Grundmann Europäisches Schuldvertragsrecht (1999) Rn. 180; Kandler Sanktionsregelungen für Verstöße gegen die EG-Gleichbehandlungsrichtlinie (76/207/EWG) im deutschen Recht (2003) S. 37; zu unmittelbar anwendbarem Primärrecht EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 62, 71 – Manfredi (Art. 101 AEUV); zu Verordnungen EuGH 17.9.2002, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 30 – Muñoz. Eingehend zur unmittelbaren Wirkung auch des Effektivitätsgrundsatzes im Privatrechtsverhältnis noch unten § 1 II 2 e ee → S. 81. Siehe auch die Analyse der EuGHRechtsprechung von N. Reich in: Micklitz/Cafaggi (Hrsg.) European Private Law after the Common Frame of Reference (2010) 56, 67 ff., der sich für einen „negative direct horizontal effect“ von Richtlinien ausspricht (S. 74); siehe auch S. 76: „non-implementation should in principle be no defence in private law relations“. 234 EuGH (Große Kammer) 5.10.2004, verb. Rs. C-397/01 bis C-403/01, Slg. 2004, I-8835 Rn. 114 – Pfeiffer.
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§ 1 Ausgangslage und Anlass der Untersuchung
Privaten entfaltet235 und deshalb ebenso wie andere Regeln des Unionsrechts von der Durchsetzungsverpflichtung der mitgliedstaatlichen Gerichte gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV erfasst wird.236 Speziell im deutschen Recht kommt verstärkend hinzu, dass im Fall der Richtlinienwidrigkeit der Umsetzungsvorschriften nach der Rechtsprechung des BGH im Zweifel von einer planwidrigen Unvollständigkeit auszugehen ist und damit über die Auslegung hinaus der Weg zur richtlinienkonformen Fortbildung des nationalen Rechts durch Analogie oder teleologische Reduktion eröffnet wird,237 so dass im deutschen Recht die richtlinienkonforme Auslegung auch zur – nach deutschem Verständnis – Rechtsfortbildung über die Wortlautgrenze hinaus führt.238 Weiter 235 Für ein Beispiel BGH 5.10.2010, I ZR 4/06, GRUR 2011, 532 Rn. 25 – MillionenChance II. Zu den Wirkungsweisen der richtlinienkonformen Auslegung Babusiaux Die richtlinienkonforme Auslegung im deutschen und französischen Zivilrecht (2007) S. 64 ff.: Korrekturwirkung, Sperrwirkung, Vorwirkung (Babusiaux selbst verneint aber eine faktisch unmittelbare Wirkung, a. a. O. S. 123 f.). 236 EuGH 10.4.1984, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 Rn. 26 – von Colson und Kamann; EuGH 13.11.1990, Rs. C-106/89, Slg. 1990, I-4135 Rn. 8 – Marleasing; EuGH (Große Kammer) 4.7.2006, Rs. C-212/04, Slg. 2006, I-6057 Rn. 111 – Adeneler: nationale Gerichte sind verpflichtet, „unter Berücksichtigung des gesamten nationalen Rechts und unter Anwendung ihrer Auslegungsmethoden alles [zu] tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit der fraglichen Richtlinie zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel übereinstimmt“; EuGH 10.3.2011, Rs. C-109/09, Slg. 2011, I-1309 Rn. 55 – Deutsche Lufthansa; EuGH (Große Kammer) 15.1.2014, Rs. C-176/12, ECLI:EU:C:2014:2 Rn. 38 – Association de médiation sociale. 237 Siehe BGH 26.11.2008, VIII ZR 200/05, NJW 2009, 427, 428 f. Rn. 21, 24 – Quelle, der aus den Gesetzesmaterialien den Willen zur richtlinienkonformen Umsetzung ableitet und dies als Argument für eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes ansieht; ebenso BGH 21.12.2011, VIII ZR 70/08, NJW 2012, 1073 Rn. 30, 32, 34; BGH 7.5.2014, IV ZR 76/11, NJW 2014, 2646 Rn. 20; zum österreichischen Recht OGH 15.2.2011, 4 Ob 208/10g, Medien und Recht 2011, 41 Rn. 2.3 – Fußballer des Jahres IV. Allgemein zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung Schnorbus AcP 201 (2001) 860; Herresthal Rechtsfortbildung im europarechtlichen Bezugsrahmen (2006) S. 217 ff.; ders. EuZW 2007, 396. In Frankreich scheint man eine derartige richtlinienkonforme Rechtsfortbildung demgegenüber als unzulässig anzusehen, vgl. Babusiaux Die richtlinienkonforme Auslegung im deutschen und französischen Zivilrecht (2007) S. 74 f.: seit 1990 kein Beispiel für die Korrekturwirkung der richtlinienkonformen Auslegung. 238 Siehe etwa BGH 7.5.2014, IV ZR 76/11, NJW 2014, 2646 Rn. 21: „Einer Auslegung im engeren Sinne ist § 5a II 4 VVG aF nicht zugänglich“ und Rn. 22: „Die Vorschrift weist die für eine teleologische Reduktion erforderliche verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes auf.“ Zur Reichweite der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung Langenbucher in: Langenbucher (Hrsg.) Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht3 (2013) § 1 Rn. 106: „kommt eine richtlinienkonforme Auslegung grundsätzlich sowohl jenseits der Grenzen des möglichen Wortsinnes als auch ausnahmsweise bei entgegenstehendem Willen des historischen Gesetzgebers in Betracht“; Stotz in: Riesenhuber (Hrsg.) Europäische Methodenlehre3 (2015) § 22 Rn. 41: „Faktisch
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verstärkt wird die faktische Direktwirkung von Richtlinien durch das Institut der indirekten Horizontalwirkung: Verstößt eine Vorschrift des nationalen Rechts (z. B. über Produktsicherheitsstandards) gegen eine europäische Richtlinie, so kann sich eine Partei auch im Privatrechtsstreit (z. B. gestützt auf § 3a UWG) auf die richtlinienwidrige nationale Vorschrift nicht berufen.239 Die Grenze zur unmittelbaren Wirkung von Richtlinien im Privatrechtsverhältnis und damit auch des Effektivitätsgrundsatzes wird erst dort erreicht, wo der Methodenkanon des nationalen Rechts eine richtlinienkonforme Auslegung nicht mehr zulässt,240 es etwa zu einer Auslegung contra legem käme241 oder allgemeine Rechtsgrundsätze wie das Rechtssicherheitsgebot242 oder das Rückwirkungsverbot verletzt würden.243 Zusammenfassend ist damit festzuhalten, dass der Effektivitätsgrundsatz auch in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten Anwendung findet, sofern die läuft die Rechtsauffassung des BGH darauf hinaus, richtlinienwidrige Bestimmungen eines Umsetzungsgesetzes unter Berufung auf den generellen gesetzgeberischen Willen sowie auf Rechtsfiguren wie die der ‚planwidrigen Unvollständigkeit‘ bzw. der ‚verdeckten Regelungslücke‘ teleologisch zu reduzieren und damit richtlinienkonform fortzubilden“; enger Perner EU-Richtlinien und Privatrecht (2012) S. 109 f.: „Wollte der Gesetzgeber eine Richtlinie umsetzen und ist ihm dabei ein Fehler unterlaufen, ist das Fehlen einer richtlinienkonformen Norm als planwidrige Regelungslücke zu qualifizieren. Ohne feststellbaren Umsetzungswillen des Gesetzgebers bilden Richtlinien hingegen keinen Maßstab der Lückenfeststellung.“ 239 Siehe EuGH 30.4.1996, Rs. C-194/94, Slg. 1996, I-2201 Rn. 54 – CIA Security (Lauterkeitsrecht); EuGH 26.9.2000, Rs. C-443/98, Slg. 2000, I-7535 Rn. 49, 51 – Unilever (Vertragsrecht); EuGH 6.6.2002, Rs. C-159/00, Slg. 2002, I-5031 Rn. 50, 52 – EcoEmballages (Vertragsrecht). Demgegenüber dürfte die mittelbare Reflexwirkung von Richtlinien im Dreiecksverhältnis [dazu EuGH (Große Kammer) 17.7.2008, Rs. C-152/07 und C-154/07, Slg. 2008, I-5959 Rn. 36 – Arcor] eher für die verwaltungsbehördliche als für die zivilgerichtliche Rechtsdurchsetzung relevant werden, offenlassend OGH 15.2.2011, 4 Ob 208/10g, Medien und Recht 2011, 41 Rn. 2.2 – Fußballer des Jahres IV. Zur Reflexwirkung von Richtlinien zwischen Privaten Langenbucher in: Langenbucher (Hrsg.) Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht3 (2013) § 1 Rn. 73 ff. 240 Zu den Unterschieden zwischen Deutschland und Frankreich Babusiaux Die richtlinienkonforme Auslegung im deutschen und französischen Zivilrecht (2007) S. 67 ff. 241 EuGH (Große Kammer) 15.1.2014, Rs. C-176/12, ECLI:EU:C:2014:2 Rn. 39 – Association de médiation sociale. Angesichts der großzügigen Handhabung der richtlinienkonformen Rechtsfortbidlung durch den BGH dürfte sich diese Fallgruppe im Wesentlichen auf solche Fälle beschränken, in denen sich der nationale Gesetzgeber ausdrücklich gegen eine Umsetzung sperrt, vgl. Langenbucher in: Langenbucher (Hrsg.) Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht3 (2013) § 1 Rn. 104. 242 Zum Verhältnis von Effektivitätsgebot und Rechtssicherheit/Vertrauensschutz Rott in: Leczykiewicz/Weatherill (Hrsg.) The Involvement of EU Law in Private Law Relationships (2013) 181, 195 ff. 243 EuGH 10.3.2011, Rs. C-109/09, Slg. 2011, I-1309 Rn. 54 – Deutsche Lufthansa; zu den Grenzen nach deutschem Verfassungsrecht BVerfG 26.9.2011, 2 BvR 2216/06, EuZW 2012, 196 Rn. 51 ff.
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nationalen Gerichte unmittelbar anwendbares oder umgesetztes Unionsrecht anzuwenden haben,244 was auch bei fehlerhaft oder unvollständig umgesetzten Richtlinien der Fall ist, sofern nicht ausnahmsweise eine richtlinienkonforme Auslegung oder Fortbildung des nationalen Rechts ausgeschlossen ist. (2) Initiativberechtigung des individuellen Klägers Neben der unmittelbaren Wirksamkeit der betreffenden Unionsrechtsnorm zwischen Privaten setzt die Berufung auf den Effektivitätsgrundsatz voraus, dass sich auch der konkrete Anspruchsteller auf die betreffende Norm des Unionsrechts beziehen kann. Diese Frage wurde vor allem im Öffentlichen Recht intensiv diskutiert,245 weil die vom EuGH befürwortete Klageberechtigung über die traditionellen deutschen Vorstellungen der Schutznormtheorie hinausgeht (dazu unten § 9 III 1 → S. 555).246 Für das private Haftungsrecht kann die Frage nach der Anspruchsberechtigung des individuellen Klägers nicht generell beantwortet werden, sondern ist – wie im zweiten und dritten Teil der Arbeit zu zeigen sein wird (zusammenfassend § 9 III 4 → S. 562) – von den Zwecken der betreffenden Norm abhängig. (3) Unvollständige Regelung der Sanktionen im Unionsrecht Dritte und letzte Voraussetzung für die Anwendung des sanktionenrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes ist die unvollständige Regelung der Haftungsfolgen auf europäischer Ebene.247 Dies ist infolge des nur fragmentarischen Nachweise bereits oben in Fn. 233. Zur Diskussion Nettesheim AöR 132 (2007) 333, 334 ff. 246 Vgl. EuGH 28.2.1991, Rs. C-131/88, Slg. 1991, I-825 – Kommission/Deutschland; EuGH 12.12.1996, Rs. C-298/95, Slg. 1996, I-6755 – Kommission/Deutschland. Zur Diskussion um den Einfluss des Unionsrechts auf subjektiv-öffentliche Rechte Frenz DVBl. 1995, 408, 409 ff.; Ruffert Subjektive Rechte im Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaft (1996) S. 224 ff.; ders. DVBl. 1998, 69, 70 ff.; von Danwitz DÖV 1996, 481, 484 f.; ders. Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration (1996) S. 176 f., 230 ff.; Eilmansberger Rechtsfolgen und subjektives Recht im Gemeinschaftsrecht (1997) S. 102 ff.; Masing Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts (1997); ders. in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.) Grundlagen des Verwaltungsrechts2 I (2012) § 7 Rn. 107; Kadelbach Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss (1999) S. 372 ff.; Schoch NVwZ 1999, 457, 462; Hölscheidt EuR 2001, 376, 391 ff.; Dörr Der europäisierte Rechtsschutzauftrag deutscher Gerichte (2003) S. 184 ff.; Ehlers DVBl. 2004, 1441, 1445 f.; Reiling Zu individuellen Rechten im deutschen und im Gemeinschaftsrecht (2004); Calliess NVwZ 2006, 1, 3 ff.; Nettesheim AöR 132 (2007) 333, 353 ff., 358: „Ausgangsvermutung zugunsten der Subjektivierung von Rechtspositionen“; Schlacke Überindividueller Rechtsschutz (2008) S. 91 ff. 247 Mosiek Effet utile und Rechtsgemeinschaft (2003) S. 248, 269 f. mit dem Hinweis, dass bei Vorliegen unionaler Vollzugsvorschriften bereits eine direkte Kollision vorliegt, so dass unmittelbar der Anwendungsvorrang greift; Rott in: Leczykiewicz/Weatherill (Hrsg.) The Involvement of EU Law in Private Law Relationships (2013) 181, 190. Zur 244 245
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Sanktionenbestands auf europäischer Ebene selbst bei Vollharmonisierung regelmäßig der Fall, weil auch die Vollharmonisierung in der Regel die Rechtsdurchsetzung und das Verfahrensrecht ausspart. So findet der Effektivitätsgrundsatz Anwendung, wenn unionsrechtliche Vorschriften existieren, die der Ergänzung durch nationales Recht bedürfen.248 Zudem erfasst der Grundsatz nicht nur die Ausgestaltung des geschriebenen Rechts, sondern auch seine Anwendung in der Praxis. So muss bei Verstößen gegen Unionsrecht eine „ernsthafte Gefahr bestehen“, dass Verstöße mit angemessenen Sanktionen belegt werden,249 und die nationalen Instanzen sind verpflichtet, bei der Anwendung von nationalen Vorschriften, die als solche mit dem Unionsrecht in Einklang stehen, dem Effektivitätsgebot Rechnung zu tragen.250 Hat sich der Unionsgesetzgeber allerdings für eine abschließende Regelung der Rechtsfolgen entschieden, wie etwa bei der Höchstdauer der Widerrufsfrist bei fehlerhafter Belehrung in der neuen Verbraucherrechterichtlinie 2011/83, so kann diese Entscheidung nicht durch Rückgriff auf den sanktionenrechtlichen Effektivitätsgrundsatz korrigiert werden.251 In solchen Fällen einer abschließenden unionsrechtlichen Regelung greift allerdings das Gebot wirksamkeitsorientierter Auslegung des Unionsrechts als Unterkategorie des übergeordneten Grundsatzes der praktischen Wirksamkeit (effet utile) oder des Effektivitätsgrundsatzes im weiteren Sinne.252 Regelung auf europäischer Ebene sind auch allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts zu zählen, Trstenjak/Beysen CMLR 48 (2011) 95, 101 Fn. 21. 248 EuGH 14.7.1988, verb. Rs. 123/87 und 330/87, Slg. 1988, 4517 Rn. 17 – Jeunehomme; EuGH 9.6.1992, Rs. C-96/91, Slg. 1992, I-3789 Rn. 12 – Kommission/Spanien; EuGH (Große Kammer) 12.7.2011, C-324/09, Slg. 2011, I-6011 Rn. 136 – L’Oréal. 249 EuGH (Große Kammer) 12.7.2005, Rs. C-304/02, Slg. 2005, I-6263 Rn. 37 – Kommission/Frankreich. 250 EuGH 11.10.2007, Rs. C-241/06, Slg. 2007, I-8415 Rn. 56 – Lämmerzahl: „Selbst wenn eine nationale Ausschlussregelung wie Art. 107 Abs. 3 Satz 2 GWB grundsätzlich als mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang stehend angesehen werden kann, genügt daher ihre Anwendung auf einen Bieter unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens nicht dem sich aus der Richtlinie 89/665 ergebenden Effektivitätsgebot.“ 251 Rott in: Leczykiewicz/Weatherill (Hrsg.) The Involvement of EU Law in Private Law Relationships (2013) 181, 190. 252 Zu diesem Auslegungsgrundsatz oben die Ausführungen bei Fn. 196–200. Für ein Beispiel des Umschlagens der Rahmensetzung durch den sanktionenrechtlichen Effektivitätsgrundsatz (bei Regelung durch die Mitgliedstaaten) in eine wirksamkeitsorientierte Auslegung anhand des Effektivitätsgebots (bei abschließender Regelung der Materie durch die Union) siehe die Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinnen vom 11.12.2014, Rs. C-352/13, ECLI:EU:C:2014:2443 Rn. 27, 31 f. – CDC zur Auslegung der Brüssel I-VO: „Darüber hinaus müssen die prozessualen Normen des Unionsrechts gewissermaßen in den Dienst der materiellen Normen dieses Rechts gestellt werden.“ Der Generalanwalt begründet dies (dort Fn. 23) mit dem Gebot primärrechtskonformer Auslegung des abgeleiteten Rechts: „Entsprechend sollte dieser in Bezug auf Vorschriften des nationalen Rechts aufgestellte Grundsatz der Effektivität von Schadensersatzklagen meines Erachtens erst
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Auch wenn das Erfordernis einer unvollständigen Regelung der Haftungsfolgen im Unionsrecht den Anwendungsbereich des Effektivitätsgrundsatzes bisher kaum einzugrenzen vermag, so hat es eine bedeutsame Funktion für die Kompetenzordnung. Mit diesem Tatbestandsmerkmal kommt nämlich zum Ausdruck, dass der Unionsgesetzgeber – vorbehaltlich einer gewissen Mindesteffektivität primärrechtlich gewährleisteter Rechte – einen Einschätzungsspielraum hat, um eine von der Rechtsprechung des EuGH abweichende sekundärrechtliche Regelung der Rechtsfolgen von Unionsrechtsverstößen zu treffen. Auch wenn der Effektivitätsgrundsatz nämlich seine Grundlage im Primärrecht hat (Art. 4 Abs. 3 EUV), ginge es zu weit, auch sämtlichen seiner Vorgaben für die Durchsetzung des Unionsrechts den Rang des Primärrechts zuzuweisen, zumal wenn das durchzusetzende Unionsrecht selbst nur im Rang von Sekundärrecht steht. Dem Unionsgesetzgeber ist daher bei der Ausgestaltung der Rechtsfolgen ein Einschätzungs- und Regelungsspielraum zuzubilligen, der bei der Durchsetzung sekundärrechtlicher Positionen unbeschränkt ist253 – der Effektivität des durchzusetzenden Rechts kann kein höherer normhierarchischer Rang als dem Recht selbst zukommen – und bei der Durchsetzung primärrechtlicher Vorschriften (z. B. Art. 101 AEUV) innerhalb des vom Gerichtshof definierten Effektivitätsrahmens einen Regelungsspielraum umfasst. Normhierarchisch nehmen die ungeschriebenen Durchsetzungspflichten aus dem Effektivitätsgrundsatz damit eine Zwischenstellung zwischen Primär- und Sekundärrecht ein: Sie sind zwar primärrechtlich (Art. 4 Abs. 3 EUV) geboten, indes ist der normhierarchische Rang der aufgrund des Effektivitätsgrundsatzes unionsrechtlich gebotenen Sanktionen vom Rang der durchzusetzenden Primärpflicht abhängig, so dass der europäische Gesetzgeber vorbehaltlich des durch den Effektivitätsgrundsatz garantierten Kerns wirksamer Sanktionen zur Durchsetzung des Primärrechts die Sanktionen abweichend regeln darf.254 recht die Auslegung und Anwendung der Brüssel-I-Verordnung beeinflussen, in dem Sinne, dass diese – als Rechtsakt des abgeleiteten Rechts, der von der Union selbst erlassen worden ist – nicht auf eine Weise ausgelegt werden kann, dass die Ausgestaltung des erwähnten Vorrechts, das auf der Grundlage des Primärrechts verliehen wird, im Kontext eines grenzüberschreitenden Kartells in der Praxis unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird.“ Der EuGH 21.5.2015, Rs. C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 Rn. 62 – CDC äußert sich zu dieser Frage nicht. 253 Vgl. EuGH 8.11.1990, Rs. C-177/88, Slg. 1990, I-3941 Rn. 22 – Dekker, wo der Gerichtshof auf die fehlende Regelung des Verschuldens als Haftungsvoraussetzung in der Gleichbehandlungsrichtlinie zur Begründung der verschuldensunabhängigen Haftung verweist, woraus man im Gegenschluss folgern kann, dass bei expliziter Regelung des Verschuldens als Haftungsvoraussetzung der Effektivitätsgrundsatz keine verschuldensunabhängige Haftung verlangen würde. In ähnlicher Weise argumentiert der Gerichtshof in EuGH 30.9.2010, Rs. C-314/09, Slg. 2010, I-8769 Rn. 35 – Strabag. 254 Wurmnest/Heinze in: Schulze (Hrsg.) Compensation of Private Losses (2011) 39, 45: „As a result, the European legislator may, possibly subject to an indeniable core of
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Unerheblich für die Anwendung des Effektivitätsgrundsatzes ist schließlich, ob es sich bei der nationalen Vorschrift um eine verfahrensrechtliche255 oder um eine materiellrechtliche256 (z. B. schadensersatzrechtliche) Regelung handelt. Liegt ausnahmsweise einmal eine vollständige Regelung der Haftungsfolgen auf Unionsebene vor, so kommt zwar der sanktionenrechtliche Effektivitätsgrundsatz nicht mehr zur Anwendung. Indes ist bei der Auslegung der unionalen Haftungsfolgen auch das Effektivitätspostulat als Auslegungsmaxime zu berücksichtigen, so dass zusammenfassend kaum eine Regelungssituation mit unionsrechtlichem Bezug denkbar ist, in der der Effektivitätsgrundsatz nicht zum Tragen kommt. bb) Kriterien der Effektivität Ausgangspunkt für eine Annäherung an die Kriterien der Effektivität ist die Verpflichtung, dass die nationalen Schadensersatzvorschriften „die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch effectiveness of substantive rights based on primary law, deviate from ECJ case law by legislative action as much as the legislator could abolish the substantive law itself“; Franck ECJ 11 (2015) 135, 158; ähnlich (im kartelldeliktsrechtlichen Kontext) Pohlmann WuW 2005, 1005, 1006, die Art. 4 Abs. 3 EUV als subsidiär zu sekundärrechtlichen Vorschriften ansieht, die allgemein die Unionstreue konkretisieren; W.-H.- Roth ZHR 179 (2015) 668, 683: „Aussagen des Gerichtshofs zum private enforcement der Kartellrechtsnormen nur in ihrem Kern als durch den effet utile primärrechtlich veranlasst und im Übrigen […] als durch den Gesetzgeber korrigierbar und damit im Range des Sekundärrechts“; möglicherweise strenger Grundmann Europäisches Schuldvertragsrecht (1999) Rn. 180 Fn. 504: primärrechtliche Anforderungen des Art. 4 Abs. 3 EUV dürfen durch Sekundärrecht „jedenfalls nicht abgemildert“ werden; strenger auch Möslein Grenzen unternehmerischer Leitungsmacht im marktoffenen Verband (2007) S. 322 (im Kontext der Durchsetzung der Bestimmungen einer Richtlinie): „Dieser Effektivitätsgrundsatz, der im Primärrecht fußt, ist nicht per Richtlinienregel abdingbar.“ Möslein a. a. O. sieht aber die Beschränkung der Durchsetzbarkeit individueller Rechtspositionen als zulässig an, um das Schutzziel der Richtlinie nicht zu gefährden. 255 EuGH 14.6.2012, Rs. C-618/10, ECLI:EU:C:2012:349 Rn. 46 – Banco Español de Crédito; EuGH 13.12.2012, Rs. C-215/11, ECLI:EU:C:2012:794 Rn. 34 – Szyrocka. Zu den Vorgaben des Effektivitätsgrundsatzes für das mitgliedstaatliche Prozessrecht zusammenfassend Heinze EuR 2008, 654, 661 ff.; aus primär verwaltungsrechtlicher Perspektive König Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (2011) S. 160 ff. 256 Siehe etwa die Prüfung materiellrechtlicher Normen unter dem Gesichtspunkt der Effektivität in EuGH 2.8.1993, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367 Rn. 30 f. – Marshall II (Obergrenze der Entschädigung und Zinsanspruch); EuGH 22.4.1997, Rs. C-66/95, Slg. 1997, I-2163 Rn. 25 – Sutton (Zinsen auf rückständige Leistungen der sozialen Sicherheit); EuGH 8.3.2001, verb. Rs. C-397/98 und C-410/98, Slg. 2001, I-1727 Rn. 87 – Metallgesellschaft (Zuerkennung von Zinsen als „Erstattung“ des ohne Rechtsgrund Geleisteten); EuGH 4.12.2003, Rs. C-63/01, Slg. 2003, I-14447 Rn. 54, 65 ff. – Evans (Verzugszinsen und Schadensausgleich).
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unmöglich machen oder übermäßig erschweren“ dürfen.257 Erforderlich ist damit zunächst die Feststellung der Situation im nationalen Verfahrens- und Sanktionenrecht ohne Berücksichtigung des Effektivitätsgrundsatzes, also die Ermittlung der Folgen der Anwendung der nationalen Rechtsbehelfsvorschriften für die Ausübung des unionsrechtlich gewährleisteten Rechts,258 und zwar bezogen auf den typisiert-konkreten Fall.259 Ergeben sich dabei Wirksamkeitseinbußen, so verlangt das Effektivitätsgebot zunächst, die Intensität dieser Einbußen zu beurteilen, weil nicht übermäßige Erschwerungen hinzunehmen sind („praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren“).260 So ist ein Verstoß gegen den Effektivitätsgrundsatz in aller Regel zu bejahen, wenn die nationale Regelung die Rechtsdurchsetzung „praktisch unmöglich“ macht, weil vom Rechtssuchenden etwas (nahezu) Unmögliches261 oder UnzumutbaEuGH (Große Kammer) 15.4.2008, Rs. C-268/06, Slg. 2008, I-2483 Rn. 46 – Impact. Niedobitek VerwArch 92 (2001) 58, 75 übersetzt diese Formel in das Erfordernis, dass für „jede einzelne gemeinschaftsrechtliche Rechtsposition“ eine „realistische Chance der Rechtsverwirklichung“ bestehen muss. 258 Nettesheim GS Grabitz (1995) 447, 459 f.: „Seine Begriffswahl [praktische Unmöglichkeit] legt ein Verständnis nahe, wonach ein Vergleich der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts unter Anwendung der fraglichen nationalen Norm mit jener unter Außerachtlassung der nationalen Norm einen gewissen, näher festzulegenden Grad empirischer Wirksamkeitsschmälerung nicht überschreiten darf; dabei spricht vieles dafür, den Grad zulässiger Wirksamkeitsschmälerung vom Gewicht der Gründe abhängig zu machen, die hinter der nationalen Vorschrift stehen.“ Vgl. auch Seyr Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH (2008) S. 298, die einen Vergleich der Situation mit und ohne Einwirkung des effet utile verlangt. Für ein Beispiel einer solchen Feststellung der Situation EuGH 3.10.2013, Rs. C-32/12, ECLI:EU:C:2013:637 Rn. 35 ff. – Duarte Hueros (mit Schlussfolgerung Rn. 37). 259 EuGH 21.11.2002, Rs. C-473/00, Slg. 2002, I-10875 Rn. 37 – Cofidis: „Einzelfallbeurteilungen“. Der Gerichtshof stellt auf die konkret durchzusetzende Norm und den konkreten Fall ab, so dass eine allgemeine, abstrakt-generell effektivitätskonforme Durchsetzung des Unionsrechts Wirksamkeitsdefizite im Einzelfall nicht heilen kann, Kulms Der Effektivitätsgrundsatz (2013) S. 149 f. m. w. N. Andererseits scheint der Gerichtshof vom typisierten Einzelfall auszugehen, da etwa auch eine im konkreten Fall bestehende anwaltliche Vertretung die Prämisse von der Schutzbedürftigkeit der Verbraucher wegen mangelnder Rechtskenntnis nicht aufwiegt, EuGH 4.6.2015, Rs. C-497/13, ECLI:EU:C: 2015:357 Rn. 47 – Faber: „Es ist hinzuzufügen, dass die Frage, ob der Verbraucher anwaltlich vertreten wird oder nicht, an dieser Schlussfolgerung nichts zu ändern vermag, da die Auslegung des Unionsrechts sowie die Tragweite der Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz von den konkreten Umständen jedes Einzelfalls unabhängig sind.“ 260 Pache Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum (2001) S. 344: „Das Verbot übermäßiger Erschwerung der Geltendmachung gemeinschaftsrechtlicher Rechtspositionen besagt, daß eine nicht-übermäßige, also eine maßvolle oder angemessene Erschwerung der Ausübung gemeinschaftsrechtlicher Rechtspositionen durch nationales Verfahrensrecht als gemeinschaftsrechtlich zulässig anzusehen ist.“ 261 Für ein Beispiel EuGH 3.10.2013, Rs. C-32/12, ECLI:EU:C:2013:637 Rn. 41 – Duarte Hueros: „übermäßig erschweren, ja sogar unmöglich machen“; für weitere Beispiele 257
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res262 verlangt wird. Handelt es sich andererseits um lediglich geringfügige Wirksamkeitseinbußen wie etwa moderate Formvorschriften, so dürften sich diese gerade im Privatrecht bereits durch die Anerkennung der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie und der daraus zwangsläufig resultierenden Unterschiede in den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten als solche rechtfertigen lassen. Jenseits einer Geringfügigkeitsschwelle ist die Intensität der Wirksamkeitseinbußen zur Konkretisierung der „übermäßigen Erschwerung“ sodann relativ zu den durch die nationalen Rechtsbehelfs- und Verfahrensvorschriften verfolgten Zielen und Zwecken zu beurteilen,263 wobei auch erhebliche Wirksamkeitseinbußen (z. B. kurze Ausschlussfristen) im Interesse der Wahrung wichtiger gegenläufiger Interessen (z. B. der Rechtssicherheit) hinzunehmen sind (zur Abwägung sogleich § 1 II e bb 3 → S. 70). Auch wenn der Effektivitätsvorbehalt mit der Berücksichtigung der Ziele der gegenläufigen nationalen Vorschriften und dem Abwägungsvorgang dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ähnlich ist,264 lässt sich in der Judikatur bisher auch Kulms Der Effektivitätsgrundsatz (2013) S. 104 mit Verweis auf EuGH 9.11.1983, Rs. 199/82, Slg. 1983, 3595 Rn. 14 – San Giorgio; EuGH 21.9.2000, Rs. C-441/98 und C-442/98, Slg. 2000, I-7145 Rn. 36 f. – Michailidis: Ausschluss aller Beweismittel bis auf den Urkundenbeweis und geforderter Nachweis der Nichtabwälzung von rechtsgrundlos gezahlten Abgaben Fall der „praktischen Unmöglichkeit“; EuGH (Große Kammer) 24.3.2009, Rs. C-445/06, Slg. 2009, I-2119 Rn. 33 – Danske Slagterier; EuGH 16.7.2009, Rs. C-69/08, Slg. 2009, I-6741 Rn. 46 ff. – Visciano: Beginn einer Frist lässt sich nicht mit hinreichender Sicherheit ermitteln. 262 Wie etwa die Inkaufnahme der eigenen Strafbarkeit, um inzident die Unionsrechtskonformität einer Norm im Strafverfahren überprüfen zu lassen, EuGH (Große Kammer), Rs. C-432/05, Slg. 2007, I-2271 Rn. 64 – Unibet. 263 Nettesheim GS Grabitz (1995) 447, 459 f.; Hanf ZaöRV 59 (1999) 51, 68; Mosiek Effet utile und Rechtsgemeinschaft (2003) S. 263, 237: „relative“ Verfahrensautonomie; Seyr Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH (2008) S. 297: „Effektivität keine absolut messbare Größe […], sondern ein Relationsbegriff, der einen Bezug zwischen zwei Vergleichsgrößen herstellt.“ Zum Gebot effektiven Rechtsschutzes ebenso bereits Tonne Effektiver Rechtsschutz durch staatliche Gerichte als Forderung des europäischen Gemeinschaftsrechts (1997) S. 295. 264 Für eine Parallele zur Verhältnismäßigkeitsprüfung Pache Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum (2001) S. 344 f.: „Diese Prüfung der Übermäßigkeit ist im Grundsatz eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, also die Untersuchung der Frage, ob mit der die Geltendmachung gemeinschaftsrechtlicher Rechtspositionen erschwerenden nationalen Verfahrensvorschrift ein legitimes Ziel verfolgt wird und ob die Verfahrensvorschrift zur Erreichung dieses Ziels geeignet, erforderlich und angemessen ist. Maßstab ist hier für den Gerichtshof insbesondere die Frage, ob das mit der nationalen Vorschrift verfolgte Ziel auch von der Gemeinschaftsrechtsordnung anerkannt wird. […] [D]ie Abgrenzung der übermäßigen von den hinzunehmenden Beeinträchtigungen der Effektivität […] erfolgt im Wege einer prinzipiengeleiteten Verhältnismäßigkeitsprüfung, innerhalb derer der Gerichtshof den Mitgliedstaaten zuerkennt, mit ihrem nationalen Prozeßrecht auch andere Ziele als ausschließlich die möglichst effiziente Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts zu verfol-
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noch keine klare Orientierung an der Prüfungsfolge der Verhältnismäßigkeit erkennen, so dass manche auch von einer „procedural rule of reason“,265 einem „objective justification approach“,266 einen „balancing approach“267 oder – wegen der Kontextabhängigkeit – einen „contextual approach“268 sprechen. Jedenfalls erweist sich die Konkretisierung der „semantisch unscharfen“ und „auf vor ih[r] liegende Wertungen“ verweisenden Wendung „übermäßig erschwert“ als mühsam, weil der Gerichtshof die Maßstäbe der Effektivität kaum erläutert, so dass die grundlegenden Wertungen bislang allenfalls „umrißartig geklärt werden konnte[n]“.269 Immerhin lassen sich vier (nicht abschließende) Gesichtspunkte identifizieren, die der Gerichtshof im Rahmen der durch den Effektivitätsgrundsatz gebotenen Abwägung berücksichtigt.270 gen.“ Auch Seyr Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH (2008) S. 298 weist dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine „Schlüsselrolle“ zu, zu ihrem Modell unten Fn. 270. 265 Prechal CMLR 35 (1998) 681, 691; Prechal in: Wouters/Stuyck (Hrsg.) Principles of proper conduct for supranational, state and private actors in the European Union (2001) 39, 46. 266 Dougan in: Craig/de Burca (Hrsg.) The evolution of EU law (2011) 407, 419. 267 Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 2.09. 268 Schebesta European Review of Private Law 18 (2010) 847, 859. Siehe auch Binder in: Effer-Uhe u. a. (Hrsg.) Richterliche Rechtsfortbildung und kodifiziertes Richterrecht – Jahrbuch junger Zivilrechtswissenschaftler 2014 (2015) 301, 320 f., die den Abwägungsgvorgang in ein rechtstheoretisches Modell einordnet. 269 Nettesheim GS Grabitz (1995) 447, 459: „Aufgrund seiner semantischen Unschärfe lässt der Begriff der ‚praktischen Unmöglichkeit‘ als solcher keine klare Grenzziehung zu; er verweist auf vor ihm liegende Wertungen, deren Maßstab vom EuGH bislang nur umrißartig geklärt werden konnte“; Seyr Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH (2008) S. 175: „keine einheitliche Linie“, S. 297: „kaum möglich […], eine abstrakte […] Definition zu geben“; Alexander Schadensersatz und Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsund Kartellrecht (2010) S. 91: „weist dieser Grundsatz kaum präzise Strukturen auf“; „Gefahr einer inhaltsleeren Schlagwortargumentation“; „nur unzureichend gelungen, dem Effektivitätsgrundsatz greifbare Gestalt zu geben, seinen Anwendungsbereich genau zu definieren und seine Grenzen abzustecken“. Zusammenfassend zur europarechtlichen Kritik an der Unschärfe des Grundsatzes Kulms Der Effektivitätsgrundsatz (2013) S. 34 f. mit eigener differenzierter Ansicht S. 185 ff., 197: Einsatz des Effektivitätsgrundsatzes „weitgehend vorhersehbar“. 270 Infolge des hier zugrunde gelegten einheitlichen Verständnisses des allgemeinen (Rewe/Comet) und des richtlinienrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes (von Colson und Kamann) werden auch die Effektivitätskriterien einheitlich bestimmt. Siehe auch das Modell von Seyr Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH (2008) S. 300: „Die Kriterien für die einwandfreie Anwendung des effet utile [als Auslegungsgrundsatz] lassen sich wie folgt zusammenfassen: ∙ Der Wortlaut der auszulegenden Norm darf nicht klar und eindeutig sein, sondern muss mehrere Auslegungen zulassen. ∙ Bei einer ausschließlichen Berücksichtigung der klassischen Auslegungsmethoden, besteht die ernsthafte Gefahr, dass die Norm ihre praktische Wirksamkeit nicht entfalten kann, also nicht effektiv ist oder die Funktionsfähigkeit des Gemeinschaftsrechts nicht gewährleistet werden kann. Es entstünden Wirksamkeitseinbußen, die im Interesse der einheitlichen Wirksamkeit des
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(1) Bindung an das Unionsrecht im Übrigen Zunächst haben die nationalen Gesetzgeber und Gerichte bei der Ausgestaltung der Sanktionen für einen Unionsrechtsverstoß das Unionsrecht im Übrigen und seine allgemeinen Grundsätze,271 also insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit272 zu beachten.273 Dies ist zwar nur für den sekundärrechtlichen Effektivitätsgrundsatz ausdrücklich geregelt, der explizit auf „verhältnismäßige Sanktionen“ verpflichtet, gilt aber angesichts der übergeordneten Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch für den allgemeinen sanktionenrechtlichen (Rewe/Comet) Effektivitätsgrundsatz.274 Infolge des Ver-
Gemeinschaftsrechts nicht hingenommen werden können. ∙ Das anhand des effet utile gefundene Auslegungsergebnis muss dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen, also geeignet, erforderlich und angemessen sein, um die Effektivität der auszulegenden Norm bzw. des Gemeinschaftsrechts insgesamt sicherzustellen. ∙ Die gefundene Lösung darf dem Wortlaut der auszulegenden Norm nicht widersprechen, einen eindeutig entgegenstehenden Wortlaut darf auch der effet utile nicht aushebeln.“ 271 Hanf ZaöRV 59 (1999) 51, 69 führt dies auf EuGH 21.9.1983, verb. Rs. 205/82– 215/82, Slg. 1983, 2633 – Deutsche Milchkontor zurück; Mosiek Effet utile und Rechtsgemeinschaft (2003) S. 271, 266: „Berücksichtigung auch gegenläufigen Gemeinschaftsrechts“; Seyr Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH (2008) S. 181: „Der Konflikt zwischen dem Gemeinschaftsrecht und der nationalen Norm kann dabei am besten über die allgemeinen Rechtsgrundsätze gelöst werden, indem eine Abwägung des Grundsatzes der Effektivität des Gemeinschaftsrechts mit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen vorgenommen wird.“ Zum Zusammenspiel von Effektivitätsgrundsatz und allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts auch Metzger Extra legem, intra ius – Allgemeine Rechtsgrundsätze im Europäischen Privatrecht (2009) S. 342 f. 272 Zum sekundärrechtlichen Effektivitätsgebot einer Richtlinie EuGH 25.4.2013, Rs. C-81/12, ECLI:EU:C:2013:275 Rn. 63 – Accept. Zur Bedeutung der Verhältnismäßigkeit bereits Text bei Fn. 264. 273 EuGH 5.7.2007, Rs. C-430/05, Slg. 2007, I-5835 Rn. 53 f. – Ntionik Anonymi Etaireia Emporias; EuGH (Große Kammer) 12.7.2011, Rs. C-324/09, Slg. 2011, I-6011 Rn. 139 f. – L’Oréal (zu Art. 3 RL 2004/48): Maßnahmen müssen gerecht, verhältnismäßig und nicht übermäßig kostspielig sein; „keine Schranken für den rechtmäßigen Handel“; EuGH 9.2.2012, Rs. C-210/10, ECLI:EU:C:2012:64 Rn. 23 f., 54 – Urbán; speziell zum Schadensersatz EuGH 26.4.2007, Rs. C-348/04, Slg. 2007, I-3391 Rn. 63 – Boehringer Ingelheim: „Es ist jedoch Sache des nationalen Gerichts, im Einzelfall insbesondere unter Berücksichtigung des Umfangs des dem Markeninhaber durch den Verstoß des Parallelimporteurs entstandenen Schadens und unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Höhe der finanziellen Entschädigung zu bestimmen“; EuGH 10.7.1997, Rs. C-261/95, Slg. 1997, I-4025 Rn. 26 – Palmisani; Busche in: Leible/Schlachter (Hrsg.) Diskriminierungsschutz durch Privatrecht (2006) 159, 165 f. 274 Siehe die (zum allgemeinen Effektivitätsgrundsatz argumentierenden) Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 28.2.2013, Rs. C-32/12, ECLI:EU:C:2013:128 Rn. 40 – Duarte Hueros: „Dies [Minderung von Amts wegen bei Minderungsrecht nach der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 99/44] geht über das zum Schutz des Verbrauchers Erforderliche hinaus“; siehe auch Weyer ZEuP 1999, 424, 450 ff.; ders. in: Frankfurter Kommentar
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hältnismäßigkeitsgrundsatzes darf „eine Sanktion nicht so sehr außer Verhältnis zur Schwere des Verstoßes stehen, dass sie sich als eine Behinderung der im EG-Vertrag verankerten Freiheiten erweist“,275 der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz begrenzt also die Wirkkraft des Effektivitätspostulats. Neben dem Verhältnismäßigkeitsgebot ergeben sich auch weitere Schranken für das Effektivitätsgebot aus dem Unionsrecht im Übrigen, etwa aus den Verkehrsfreiheiten276 und den Unionsgrundrechten277 (Art. 51 Abs. 1 GRCh) einschließlich der Verfahrensgrundrechte278 (Art. 47 GRCh). So hat das Gebot effektiven Rechtsschutzes zur Folge, dass ein Anspruchsberechtigter von der Rechtsdurchsetzung auch absehen darf, und die Wahrung eines fairen Verfahrens setzt die Möglichkeit zur Stellungnahme der Gegenseite voraus.279 Schließlich zeichnet sich ab, dass das Unionsrecht offenbar zwischen zwingenden und für die Mitgliedstaaten optionalen Begrenzungen der Effektivität durch anderweitiges Unionsrecht unterscheidet: Während etwa das Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht zur Disposition der Mitgliedstaaten steht,280 scheinen etwa das Verbot des eigenen Vorteils aus rechtswidrigem Verhalten oder das Bereicherungsverbot für die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen nicht zwingend zu sein, sondern eröffnen lediglich einen Ausgestaltungsvorbehalt, der von den Mitgliedstaaten nicht zwangsläufig wahrgenommen werden muss.281
II (2009) Art. 81 EG Zivilrechtsfolgen Rn. 64; Säcker/Jaecks in: MünchKommWettbR I2 (2015) Art. 101 AEUV Rn. 696. 275 EuGH 5.7.2007, Rs. C-430/05, Slg. 2007, I-5835 Rn. 54 – Ntionik Anonymi Etaireia Emporias; EuGH 25.4.2013, Rs. C-81/12, ECLI:EU:C:2013:275 Rn. 63 – Accept. 276 Aus den Grundfreiheiten dürfte sich regelmäßig kaum eine begrenzende Wirkung speziell für die Sanktionen, sondern vielmehr für die Ausgestaltung des materiellen Rechts ergeben, weil der EuGH dazu neigt, den Einfluss von Rechtsfolgen und Verfahrensvorschriften, zumindest soweit sie nicht nach der Staatsangehörigkeit diskriminieren, als „zu ungewiss und zu mittelbar“ anzusehen, als dass sie auf den innerunionalen Handel Einfluss hätten, siehe Alexander Schadensersatz und Gewinnabschöpfung im Lauterkeits- und Kartellrecht (2010) S. 94; Heinze EuR 2008, 654, 676 zur Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Prozessrecht. 277 Zu deren Anwendbarkeit auf nationale Vorschriften, die der Durchsetzung („Durchführung“, vgl. Art. 51 Abs. 1 GRCh) dienen, EuGH 26.9.2013, Rs. C-418/11, ECLI:EU:C: 2013:588 Rn. 74 f. – Texdata Software. 278 Dazu EuGH 10.11.1993, Rs. C-60/92, Slg. 1993, I-5683 Rn. 14 – Postbank; EuGH 21.2.2013, Rs. C-472/11, ECLI:EU:C:2013:88 Rn. 29, 33 – Banif Plus Bank. 279 Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 28.2.2013, Rs. C-32/12, ECLI:EU: C:2013:128 Rn. 53 – Duarte Hueros. Zur doppelten Funktion (Begrenzung und Ausgestaltung) des sonstigen Unionsrechts bei der Konkretisierung des Effektivitätsgrundsatzes auch Weyer in: Frankfurter Kommentar II (2009) Art. 81 EG Zivilrechtsfolgen Rn. 64. 280 EuGH 9.2.2012, Rs. C-210/10, ECLI:EU:C:2012:64 Rn. 23 – Urbán: „Sie [die Mitgliedstaaten] sind allerdings verpflichtet, bei der Ausübung ihrer Befugnis das Unionsrecht und seine allgemeinen Grundsätze, also auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, zu beachten.“
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(2) Bedeutung des durchzusetzenden Unionsrechts Aus der Bindung an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergibt sich zum zweiten, dass auch die Bedeutung des durchzusetzenden Unionsrechts Konsequenzen für die Anforderungen an seine effektive Durchsetzung hat. Verfolgt eine Rechtsnorm für die Union zentrale Ziele wie etwa das Ziel unverfälschten Wettbewerbs, den Verbraucherschutz oder auch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung in der Union durch die Möglichkeit nationaler Vorabentscheidungsverfahren (Art. 267 AEUV), so sind die Anforderungen an ihre wirksame Durchsetzung höher, als wenn es sich um eine eher periphere Ordnungsvorschrift handelt.282 Neben der Bedeutung der durchzusetzenden Primärnorm zieht der Gerichtshof bei der Effektivitätsprüfung manchmal auch einen Vergleich des Schadensersatzanspruchs mit anderen Rechtsbehelfen (z. B. Aufhebung einer rechtswidrigen Vergabeentscheidung), an deren Stelle der Schadensersatzanspruch treten kann: Wenn die anderen 281 EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 30 f. – Courage: „Hierzu hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass das Gemeinschaftsrecht die innerstaatlichen Gerichte nicht daran hindert, dafür Sorge tragen, dass der Schutz der gemeinschaftrechtlich gewährleisteten Rechte nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Anspruchsberechtigten führt“ (Hervorhebung nicht im Original). Anderes gilt, wenn solche Grundsätze sekundärrechtlich verankert sind, zum Kartelldeliktsrecht Art. 3 Abs. 3 RL 2014/104. 282 EuGH 20.3.1997, Rs. C-24/95, Slg. 1997, I-1591 Rn. 24 – Alcan; Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar vom 13.5.2015, Rs. C-8/14, ECLI:EU:C:2015:321 Rn. 71 – Peñalva López: „Zu bemerken ist außerdem, dass im Bereich des Verbraucherrechts die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität als Begrenzung der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten besonders wichtig sind, so dass der Gerichtshof auf ihre strikte Wahrung zu achten hat.“ Zur Abhängigkeit der Anforderungen an eine konkrete Sanktion von der verletzten Primärpflicht („Immanenz“) Schwintowski in: Schulze/Ebers/Grigoleit (Hrsg.) Informationspflichten und Vertragsschluss im Acquis Communautaire (2003) 268, 287 ff.; zur Kontextsensitivität des Effektivitätsgrundsatzes auch Heinze in: Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts I (2009) 337, 340; ders. in: Basedow/Hopt/ Zimmermann (Hrsg.) The Max Planck Encyclopedia of European Private Law II (2012) 1316, 1319; Weyer in: Frankfurter Kommentar II (2009) Art. 81 EG Zivilrechtsfolgen Rn. 59; König Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (2011) S. 233. Siehe auch (zur Pflicht zur Amtsanwendung von Unionsrecht) Weyer EuR 2000, 145, 152, 161: „Die Entscheidungen Van Schijndel und Eco Swiss belegen einen Zusammenhang zwischen öffentlichem Gemeinschaftsinteresse und der Pflicht zur Anwendung von Gemeinschaftsrecht im Zivilverfahren“; aus verwaltungsrechtlicher Perspektive Scheuing in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.) Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns (1994) 289, 298 mit der Differenzierung zwischen „Instrumentalisierung“ und „Umorientierung“; ebenso Schmidt-Aßmann in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.) Grundlagen des Verwaltungsrechts2 I (2012) § 5 Rn. 31 f.; Prechal CMLR 35 (1998) 681, 705 Fn. 95: „public-interest approach“. Vgl. auch die Nachweise in Fn. 103 und Fn. 104 zu den rechtsgebietsbezogenen Unterschieden bei der Amtsanwendung von Unionsrecht und der Verpflichtung zur Amtsermittlung der erforderlichen Tatsachen.
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Rechtsbehelfe verschuldensunabhängig ausgestaltet sind, so kann dies auch für eine verschuldensunabhängige Ausgestaltung des Schadensersatzanspruchs sprechen.283 (3) Bedeutung der gegenläufigen nationalen Norm Ferner ist jede dem Effektivitätsgrundsatz gegenläufige Vorschrift des nationalen Rechts „unter Berücksichtigung des allgemeinen Regelungszusammenhangs und des allgemeinen Zwecks, in deren Rahmen die Rechtsschutzmöglichkeit zur Erlangung von Schadensersatz vorgesehen ist“284 zu würdigen, solange gewisse Mindesteffektivitätsgebote nicht unterschritten werden.285 Die Wirkkraft des Effektivitätsgrundsatzes ist also davon abhängig, welchem Zweck eine nationale Begrenzung der Durchsetzung des Unionsrechts dient und welches Gewicht diesem Zweck zuzumessen ist. 286 Der Gerichtshof berücksichtigt dabei die Stellung der nationalen Vorschrift in der Gesamtrechtsordnung, den Verfahrensablauf und die Besonderheiten des Verfahrens einschließlich der „Grundsätze, die dem nationalen Rechtsschutzsystem zugrunde EuGH 30.9.2010, Rs. C-314/09, Slg. 2010, I-8769 Rn. 39 – Strabag. EuGH 30.9.2010, Rs. C-314/09, Slg. 2010, I-8769 Rn. 34 – Strabag: „ist zu prüfen, ob diese Bestimmung in ihrer Auslegung unter Berücksichtigung des allgemeinen Regelungszusammenhangs und des allgemeinen Zwecks, in deren Rahmen die Rechtsschutzmöglichkeit zur Erlangung von Schadensersatz vorgesehen ist, einer nationalen Vorschrift entgegensteht, die […] die Zuerkennung von Schadensersatz […] davon abhängig macht, dass der Verstoß des öffentlichen Auftraggebers gegen das Vergaberecht schuldhaft war“. Die Kontextabhängigkeit der Effektivitätsanforderungen begründet wohl EuGH 14.12.1995, Rs. C-312/93, Slg. 1995, I-4599 Rn. 14 – Peterbroeck, Rodríguez Iglesias EuGRZ 1997, 289, 293; Seyr Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH (2008) S. 177: „neue[r] Aspekt“; zur Kontextabhängigkeit des richtlinienrechtlichen Effektivitätsgebots Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 14.10.2004, verb. Rs. C-387/02, C-391/02 und C-403/02, Slg. 2005, I-3565 Rn. 91 – Berlusconi (unter Verweis auf die Rechtsprechung zum allgemeinen Effektivitätsgrundsatz, u. a. Peterbroeck). Im Regelfall ist die Einschränkung auf Verfahrensnormen bezogen und wird wie folgt (EuGH 21.4.2016, Rs. C-377/14, ECLI:EU:C:2016:283 Rn. 50 – Radlinger) formuliert: „Was den Grundsatz der Effektivität angeht, so ist jeder Fall, in dem sich die Frage stellt, ob eine nationale Verfahrensvorschrift die Anwendung des Unionsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert, unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren, des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen nationalen Stellen zu prüfen.“ 285 Zu dieser in der jüngeren Rechtsprechung entwickelten Einschränkung siehe EuGH 21.4.2016, Rs. C-377/14, ECLI:EU:C:2016:283 Rn. 50 – Radlinger: „Gleichwohl können die spezifischen Merkmale der Verfahren keinen Faktor darstellen, der den Rechtsschutz, der den Verbrauchern nach der Richtlinie 93/13 zu gewähren ist, beeinträchtigen könnte.“ 286 Nettesheim GS Grabitz (1995) 447, 459 f. Als gegenläufige Grundsätze des nationalen Rechts kommen im Bereich des Schadensersatzes etwa der Grundsatz der Rechtssicherheit als Rechtfertigung für zeitliche Ausschlussfristen, aber auch andere Grundsätze wie das Prinzip des Mitverschuldens in Betracht. 283 284
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liegen, wie z. B. der Schutz der Verteidigungsrechte, der Grundsatz der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens“.287 Der Gerichtshof respektiert mithin das System der bestehenden nationalen Rechtsbehelfe und verpflichtet nicht zur Schaffung neuer Klagemöglichkeiten zur Wahrung des Unionsrechts vor den nationalen Gerichten, solange es nach dem System der betreffenden nationalen Rechtsordnung einen Rechtsbehelf gibt, mit dem wenigstens inzident die Wahrung der den Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte wirksam gewährleistet werden kann. 288 Daraus folgt, dass die Grundsätze und Regelungsziele des nationalen Rechtsbehelfssystems die Wirksamkeit des Unionsrechts im Rahmen eines Abwägungsvorgangs289 einschränken können,290 der Ähnlichkeit mit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung aufweist.291 Es kommt konkret zu einer AbwäEuGH 29.10.2009, Rs. C-63/08, Slg. 2009, I-10467 Rn. 47 – Pontin; bereits EuGH 14.12.1995, Rs. C-312/93, Slg. 1995, I-4599 Rn. 14 – Peterbroeck; EuGH 14.12.1995, verb. Rs. C-430/93 und C-431/93, Slg. 1995, I-4705 Rn. 19 – van Schijndel; EuGH 10.4.2003, Rs. C-276/01, Slg. 2003, I-3735 Rn. 66 – Steffensen; EuGH 4.12.2003, Rs. C-63/01, Slg. 2003, I-14447 Rn. 46 – Evans; EuGH (Große Kammer) 13.3.2007, Rs. C-432/05, Slg. 2007, I-2271 Rn. 54 – Unibet. So hat der Gerichtshof bei der Kontrolle mitgliedstaatlicher Verfahrensvorschriften über die Rechtskraft und den Umfang richterlicher Amtsermittlungspflichten eine gewisse Zurückhaltung an den Tag gelegt, die sich mit der grundlegenden Bedeutung der Institute der Rechtskraft und der Parteiherrschaft im Zivilprozess erklären lassen, ähnlich König Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (2011) S. 230 f. 288 EuGH (Große Kammer) 13.3.2007, Rs. C-432/05, Slg. 2007, I-2271 Rn. 41 – Unibet; EuGH (Große Kammer) 3.10.2013, Rs. C-583/11 P, ECLI:EU:C:2013:625 Rn. 103 f. – Inuit Tapiriit Kanatami; zurückhaltender noch (no new remedies rule) EuGH 4.4.1968, Rs. 34/67, Slg. 1968, 364 – Lück; EuGH 7.7.1981, Rs. 158/80, Slg. 1981, 1805 Rn. 44 – Rewe. Eine Korrektur nationaler Rechtsbehelfssysteme findet sich etwa in EuGH 17.9.2014, Rs. C-562/12, ECLI:EU:C:2014:2229 Rn. 71 – Liivimaa Lihaveis. 289 Für die Nähe zur Verhältnismäßigkeit und zum Subsidiaritätsprinzip Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 15.6.1995, Rs. C-430/93 und C-431/93, Slg. 1995, I-4705 Rn. 27 – van Schijndel; zum Abwägungsvorgang Hess Europäisches Zivilprozessrecht (2010) § 11 Rn. 10, 12 f., der zudem herausarbeitet, dass die allgemeinen Verfahrensvorschriften einer weniger strikten Effektivitätskontrolle unterliegen als Regeln, die unmittelbar (oder gar ausschließlich) Unionsrecht umsetzen (Rn. 13). 290 Leczykiewicz ERCL 8 (2012) 47, 56 f. mit Überblick über das englische Schrifttum („objective justification model“). Leczykiewicz deutet an, dass man aus der EuGHRechtsprechung auch folgern könnte, dass eine Rechtfertigung für jede nationale Rechtsbehelfsnorm erforderlich sei, auch wenn sie die Durchsetzung des Unionsrechts nicht übermäßig erschwert. M. E. fließt die Funktion der nationalen Norm im Regelfall bereits in die Abwägung ein, ob überhaupt ein „übermäßiges Erschweren“ gegeben ist, d. h. es wird nicht zwischen Tatbestand („praktisch unmöglich oder übermäßig erschwert“) und Rechtfertigung (z. B. durch das Ziel der Rechtssicherheit) unterschieden. 291 Siehe die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 28.2.2013, Rs. C-32/12, ECLI:EU:C:2013:128 Rn. 33, 35 – Duarte Hueros: „Ergebnis […] unverhältnismäßig“, „Regelungen [des spanischen Prozessrechts gehen] über das hinaus, was erforderlich ist, 287
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§ 1 Ausgangslage und Anlass der Untersuchung
gung zwischen dem Interesse an einer effektiven Durchsetzung des betroffenen Unionsrechts und den Zielen der wirksamkeitsbeschränkenden nationalen Norm, wobei sich die Anforderungen des Effektivitätsgrundsatzes anhand des Ausmaßes der Wirksamkeitsschmälerung des Unionsrechts im Verhältnis zur Bedeutung der gegenläufigen nationalen Norm bestimmen.292 Im Rahmen der Abwägung des Effektivitätsgebots mit den gegenläufigen Zielen der nationalen Norm293 sind gerade (aber nicht nur)294 solche nationalen Vorschriften und nationalen Ziel- und Zwecksetzungen geeignet, die Durchsetzung des Unionsrechts zu begrenzen, die auch die Unionsrechtsordnung anerkennt295; die Existenz paralleler Wertungen oder Regeln im Unionsrecht ist ein Indikator für die Effektivitätskonformität der nationalen Regelung.296 Schließlich kann zur Bestimmung des Effektivitätsmaßstabs nicht nur das Ausmaß der Wirksamkeitsschmälerung im Verhältnis zur Bedeutung der gegenläufigen nationalen Norm, sondern auch die rechtsvergleichende Verbreitung der gegenläufigen nationalen Norm in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten oder ihre Anerkennung als allgemeiner Grundsatz bedeutsam
um die mit ihnen verfolgten Ziele zu erreichen“. Zur Anlehnung an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz siehe bereits die Ausführungen bei Fn. 264 und 269. 292 Nettesheim GS Grabitz (1995) 447, 459 f. 293 Zum Ausgleich zwischen nationaler Verfahrensautonomie und Effektivitätsgebot Kadelbach Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss (1999) S. 117: „Der Prinzipiencharakter des Effektivitätsgebots äußert sich in indirekten Kollisionslagen darin, daß der Gerichtshof aus ihm keinen Vorrang, sondern ein Optimierungsgebot ableitet, dem durch Abwägung zu entsprechen ist“; Hess Europäisches Zivilprozessrecht (2010) § 11 Rn. 10: „(durchaus komplexe) Interessenabwägung im Einzelfall“; Krönke Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (2013) S. 222. 294 Für eine Beschränkung der Abwägung allein auf im Unionsrecht anerkannte Zwecke wohl Schroeder Das Gemeinschaftsrechtssystem (2002) S. 424; Kruis Der Anwendungsvorrang des EU-Rechts in Theorie und Praxis (2013) S. 102; für Berücksichtigung auch rein national fundierter Ziele aber Mosiek Effet utile und Rechtsgemeinschaft (2003) S. 262, 264 f., 270; für eine stärkere Berücksichtigung der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie auch von Danwitz DVBl. 1998, 421, 431 f. Jedenfalls im Privatrecht erscheint eine Beschränkung auf im Unionsrecht anerkannte Zwecke als zu eng, weil zahlreiche Materien des Zivil- und Zivilprozessrechts durch das Unionsrecht nicht berührt werden, so dass die dort verfolgten Zwecke durch das EU-Recht auch nicht abgebildet werden können. Gleichwohl ginge es zu weit, sie deshalb gänzlich zu missachten. 295 Nettesheim GS Grabitz (1995) 447, 460; Pache Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum (2001) S. 345; Kulms Der Effektivitätsgrundsatz (2013) S. 151 f.: Parallelwertungen oder Parallelregelungen im Unionsrecht als Indiz für Effektivitätskonformität. Für ein Beispiel EuGH 21.1.1999, Rs. C-120/97, Slg. 1999, I-223 Rn. 35 – Upjohn. 296 Indes liegt im Zurückbleiben hinter unionalen Durchsetzungsnormen im Gegenschluss nicht zwangsläufig ein Effektivitätsverstoß, Kulms Der Effektivitätsgrundsatz (2013) S. 152 f. mit dem Verweis auf die Zwei-Monats-Klagefrist in Art. 263 Abs. 6 und Art. 265 Abs. 2 Satz 1 AEUV, die die Mitgliedstaaten durchaus unterschreiten dürfen.
II. Anlass: Europäische Vorgaben für die Rechtsdurchsetzung
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sein.297 So hat der EuGH in einigen Judikaten festgehalten, dass Einschränkungen der Effektivität des Unionsrechts umso eher gerechtfertigt sind, je stärker sie sich in möglichst vielen der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen nachweisen lassen.298 Richtigerweise wird man in diesem Strang der Judikatur allerdings keine Widerlegung des Abwägungserfordernisses mit den gegenläufigen Zielen der konkret wirksamkeitshindernden nationalen Norm sehen können, sondern vielmehr einen Indikator für die Bedeutung der gegenläufigen nationalen Norm: Je häufiger sich vergleichbare Normen auch in anderen Rechtsordnungen finden, desto eher könnte es sich um einen rechtsordnungsübergreifend bedeutsamen Grundsatz handeln.299 Allerdings kann der rechtsvergleichende Befund nur eine erste Näherung an die Bedeutung der gegenläufigen nationalen Norm bieten. Zum einen gibt es auch Ordnungsvorschriften eher untergeordneter Bedeutung, die aus bloßer Zweckmä297 Nettesheim GS Grabitz (1995) 447, 460; Metzger Extra legem, intra ius: Allgemeine Rechtsgrundsätze im Europäischen Privatrecht (2009) S. 377, 457; Krönke Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (2013) S. 328: „Versagung der Verfahrensautonomie bei atypischen Regeln“ mit Verweis auf die atypisch-asymmetrische Regelung der Rechtskraft im italienischen Recht in EuGH 3.9.2009, Rs. C-2/08, Slg. 2009, I-7501 – Fallimento Olimpiclub; Kulms Der Effektivitätsgrundsatz (2013) S. 153 f. m. w. N.: Parallelwertungen in anderen Rechtsordnungen als Indiz für Effektivitätskonformität. Siehe auch Kulms Der Effektivitätsgrundsatz (2013) S. 167, die dies mit der Gleichheit der Durchsetzung des Unionsrechts zwischen den Mitgliedstaaten erklärt, die durch parallele nationale Regeln in anderen Staaten indiziert sein kann. 298 EuGH 21.9.1983, verb. Rs. 205/82–215/82, Slg. 1983, 2633 Rn. 30 a. E. – Deutsche Milchkontor; EuGH 1.6.1999, Rs. C-126/97, Slg. 1999, I-3055 Rn. 45 – Eco Swiss: „Frist, die gemessen an den in den Rechtsordnungen der anderen Mitgliedstaaten vorgesehenen Fristen nicht unangemessen kurz erscheint“; siehe auch EuGH 17.6.2004, Rs. C-30/02, Slg. 2004, I-6051 Rn. 22 – Recheio: „Wie sich aus Nummer 41 der Schlussanträge des Generalanwalts ergibt, kann diese Frist [von 90 Tagen] im Vergleich mit den in den Rechtsordnungen mehrerer anderer Mitgliedstaaten festgesetzten ähnlich langen Fristen als angemessen betrachtet werden“; relativierend bei uneinheitlichem Befund in den Mitgliedstaaten EuGH 18.9.2003, Rs. C-125/01, Slg. 2003, I-9375 Rn. 38 – Pflücke: „Auch wenn in anderen Mitgliedstaaten noch kürzere Fristen gleicher Art als die Zweimonatsfrist nach deutschem Recht gelten, sehen doch mehrere andere Mitgliedstaaten wesentlich längere oder gar keine Fristen vor.“ Siehe außerdem Metzger Extra legem, intra ius: Allgemeine Rechtsgrundsätze im Europäischen Privatrecht (2009) S. 377 m. w. N.: „Entwicklung […] noch sehr im Fluss“. Für die Relativität des Effektivitätsgrundsatzes auch Schneider Zivilrecht und praktische Wirksamkeit der Artikel 85 und 86 EG-Vertrag (2000) S. 14; zum Staatshaftungsrecht Kischel EuR 2005, 441, 454. 299 Siehe auch die Relativitätsformel von Nettesheim GS Grabitz (1995) 447, 460: „Je mehr die angegriffene nationale Regelung eine Entsprechung im Gemeinschaftsrecht bzw. in anderen nationalen Rechtsordnungen findet, desto weniger kommt es für ihre Unbedenklichkeit auf ihre empirischen Wirkungen an. Je einzigartiger hingegen eine nationale Vorschrift des Verwaltungs- oder Prozeßrechts ist, desto gewichtigere Gründe müssen vorgebracht werden, um eine Wirksamkeitsbeeinträchtigung des materiellen Gemeinschaftsrechts zu rechtfertigen.“
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§ 1 Ausgangslage und Anlass der Untersuchung
ßigkeit in zahlreichen Rechtsordnungen Verbreitung finden, zum anderen sind auch Interessen, die (bisher) nur in einzelnen Mitgliedstaaten Verankerung finden, unvoreingenommen auf ihre Wertigkeit und Eignung zur Wirksamkeitsbegrenzung zu untersuchen. (4) Person des und Folgen für den betroffenen Einzelnen Schließlich berücksichtigt der Gerichtshof im Rahmen der Effektivitätsprüfung auch, welche Personen durch die nationale Norm an der Durchsetzung ihrer durch das Unionsrecht verliehenen Rechte potentiell gehindert werden und welche Kenntnisse und welches Engagement in der Rechtsdurchsetzung von diesen Personen erwartet werden kann.300 Grundsätzlich legt der Gerichtshof dabei das Bild eines aktiven und engagierten Rechtssuchenden zugrunde, dem durchaus auch komplexe Wege der Rechtsdurchsetzung zugemutet werden können.301 Auch im Hinblick auf die von den Rechtssuchenden abverlangten Kenntnisse legt der Gerichtshof jedenfalls bei professionellen Wirtschaftsteilnehmern hohe Maßstäbe an,302 während er sich bei Verbrauchern und Arbeitnehmern großzügiger erweist und deren Rechtsunkenntnis berücksichtigt.303 Auch von professionellen Wirtschaftsteilnehmern kann allerdings nicht erwartet werden, dass sie von vorneherein mit einer Missach-
Ausführlich Kulms Der Effektivitätsgrundsatz (2013) S. 98 ff. Kulms Der Effektivitätsgrundsatz (2013) S. 98 ff. mit Verweis auf EuGH (Große Kammer) 13.3.2007, Rs. C-432/05, Slg. 2007, I-2271 Rn. 41 ff., 58 f. – Unibet: inzidente Überprüfbarkeit der Unionsrechtskonformität (auch im Rahmen von Schadensersatzklagen) ausreichend; EuGH 15.3.2007, Rs. C-35/05, Slg. 2007, I-2425 Rn. 29 ff. – Reemtsma Cigarettenfabriken: Rückforderung unionsrechtswidriger Steuern vom jeweiligen Vertragspartner unionsrechtskonform (kein direkter Anspruch gegen den Staat geboten); EuGH 21.1.1999, Rs. C-120/97, Slg. 1999, I-223 Rn. 38 ff. – Upjohn: bei Rechtsschutz gegen Entziehung einer Erlaubnis Verweis auf neue Antragstellung zumutbar; EuGH (Große Kammer) 24.3.2009, Rs. C-445/06, Slg. 2009, I-2119 Rn. 60 ff. – Danske Slagterier: Ausschöpfen zumutbarer mitgliedstaatlicher Rechtsbehelfe geboten. 302 Kulms Der Effektivitätsgrundsatz (2013) S. 100 f. mit Verweis auf EuGH 11.7.2002, Rs. C-62/00, Slg. 2002, I-6325 Rn. 36, 38 – Marks & Spencer; EuGH 24.9.2002, Rs. C-255/00, Slg. 2002, I-8003 Rn. 37 – Grundig Italiana zur rückwirkenden Verkürzung einer Frist und der Pflicht zur Kenntnisnahme davon; EuGH 18.12.2008, Rs. C-349/07, Slg. 2008, I-10369 Rn. 41 – Sopropé zu einer Frist von 8–15 Tagen für eine Stellungnahme zu Einfuhren. 303 EuGH 3.10.2013, Rs. C-32/12, ECLI:EU:C:2013:637 Rn. 38 – Duarte Hueros: „weil er [der Verbraucher] den Umfang seiner Rechte nicht kennt oder nicht richtig erfasst“; EuGH 4.6.2015, Rs. C-497/13, ECLI:EU:C:2015:357 Rn. 44 – Faber; ferner Kulms Der Effektivitätsgrundsatz (2013) S. 101 f. mit Verweis auf EuGH 29.10.2009, Rs. C-63/ 08, Slg. 2009, I-467 Rn. 62, 69 – Pontin (schwangere Arbeitnehmerin); zu Verbrauchern EuGH 27.6.2000, verb. Rs. C-240/98 bis C-244/98, Slg. 2000, I-4941 Rn. 26 – Océano Grupo; EuGH 21.11.2002, Rs. C-473/00, Slg. 2002, I-10875 Rn. 32 ff. – Cofidis. 300 301
II. Anlass: Europäische Vorgaben für die Rechtsdurchsetzung
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tung des Unionsrechts durch den Mitgliedstaat rechnen304 oder bessere Rechtskenntnisse als die staatlichen Gerichte haben müssen.305 Schließlich sind auch die Folgen der Inkaufnahme eines unionsrechtswidrigen Handelns für den Einzelnen zu berücksichtigen, dem weder zugemutet werden kann, sich für die Möglichkeit der Überprüfung der Unionsrechtskonformität einer nationalen Regelung dem Vorwurf der Strafbarkeit auszusetzen,306 noch unverhältnismäßige, etwa Verbraucher überlastende finanzielle Risiken für die Rechtsdurchsetzung einzugehen.307 cc) Wirkungsweise Die Verpflichtung auf effektive Durchsetzung überlagert als europäischer Mindeststandard das nach dem Grundsatz der nationalen Verfahrensautonomie anwendbare mitgliedstaatliche Verfahrens- und Sanktionenrecht, ohne jedoch – wie etwa die Harmonisierung durch Richtlinien oder die Rechtsvereinheitlichung durch Verordnungen – eine echte Vereinheitlichung zu bewirken:308 Es steht den Mitgliedstaaten frei, auf welchem rechtstechnischen Weg sie die Minima des Effektivitätsgrundsatzes erreichen. Auf der anderen Seite 304 Kulms Der Effektivitätsgrundsatz (2013) S. 102 f. mit Verweis auf EuGH 15.12.2011, Rs. C-427/10, ECLI:EU:C:2011:844 Rn. 37 ff. – Banca Antoniana Popolare Veneta; EuGH 27.2.2003, Rs. C-327/00, Slg. 2003, I-1877 Rn. 58 ff. – Santex; EuGH 8.3.2001, verb.Rs. C-397/98 und C-410/98, Slg. 2001, I-1727 Rn. 98 ff., 106 – Metallgesellschaft. 305 Vorwegnahme des Ergebnisses der richterlichen Prüfung kann (vom Verbraucher) nicht erwartet werden, EuGH 3.10.2013, Rs. C-32/12, ECLI:EU:C:2013:637 Rn. 40 – Duarte Hueros; ferner Kulms Der Effektivitätsgrundsatz (2013) S. 104 f. mit Verweis auf EuGH 12.2.2008, Rs. C-2/06, Slg. 2008, I-411 Rn. 44 – Kemper. 306 EuGH (Große Kammer) 13.3.2007, Rs. C-432/05, Slg. 2007, I-2271 Rn. 64 – Unibet. 307 Kulms Der Effektivitätsgrundsatz (2013) S. 105 f. mit Verweis auf EuGH (Große Kammer) 24.3.2009, Rs. C-445/06, Slg. 2009, I-2119 Rn. 63 – Danske Slagterier: Unverzinslichkeit einer Vorauszahlung; EuGH (Große Kammer) 15.4.2008, Rs. C-268/06, Slg. 2008, I-2483 Rn. 51 – Impact: erhöhte Kosten durch erforderliche Klagen bei zwei Gerichten; EuGH 27.6.2000, verb. Rs. C-240/98 bis C-244/98, Slg. 2000, I-4941 Rn. 26 – Océano Grupo; EuGH 21.11.2002, Rs. C-473/00, Slg. 2002, I-10875 Rn. 34 – Cofidis: Abschreckung von Verbraucherklagen durch zu hohe Kosten. 308 Weyer EuR 2000, 145, 149; ders. in: Frankfurter Kommentar II (2009) Art. 81 EG Zivilrechtsfolgen Rn. 79 f.; positiver gegenüber Vereinheitlichungseffekten durch den Effektivitätsgrundsatz Cahn ZEuP 1998, 974, 975: „Ihm [dem Grundsatz der Vollzugsund Verfahrensautonomie] werden vielmehr im Interesse einer möglichst effektiven und gleichmäßigen Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts Grenzen gesetzt“; Notaro CMLR 35 (1998) 1385, 1391: „Moreover, since the result of national procedural differences is that remedies for the enforcement of Community law vary from one Member State to the other, the uniform application of Community law could be very much in danger. By limiting the procedural autonomy of the Member States, Emmott was a step forward in overcoming these difficulties.“
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§ 1 Ausgangslage und Anlass der Untersuchung
hat die Rahmensetzung durch den Effektivitätsgrundsatz309 durchaus gewisse, wenn auch beschränkte Vereinheitlichungseffekte, insbesondere wenn das Unionsrecht nur eine Lösung – z. B. die Existenz privater Schadensersatzansprüche bei Kartelldelikten oder die Überwälzung von Vermögensnachteilen bei unrichtiger Widerrufsbelehrung – als effektivitätskonform akzeptiert. Bei näherer Betrachtung der Entscheidungspraxis lassen sich sowohl eine begrenzende (negative) wie eine begründende (positive) Wirkung des Effektivitätsgrundsatzes ausmachen.310 In den meisten Fällen beschränkt sich der Grundsatz auf eine begrenzende (negative) Wirkung, d. h. der Gerichtshof behält sich eine Kontrolle nationaler Vorschriften zur Durchsetzung des Unionsrechts auf ihre Wirksamkeit vor, ohne jedoch deutlich zu machen, welche Regelung den Effektivitätskriterien genügen würde oder anhand welcher Kriterien dies zu entscheiden ist.311 Im Regelfall kommt es nicht einmal zu einer Entscheidung in der Sache, sondern der Gerichtshof bestätigt nur den nationalen Regelungsspielraum und seine Begrenzung durch Effektivitätsund Äquivalenzgrundsatz, ohne darzulegen, welche konkreten Anforderungen sich aus diesen Prinzipien für die in Rede stehende nationale Regelung ergeben. Charakteristisch für diese Vorgehensweise sind Urteilsformeln wie etwa „[i]n Ermangelung einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung ist die Bestimmung der Einzelheiten für die Ausübung dieses Rechts einschließlich derjenigen für die Anwendung 309 Siehe bereits Müller-Graff in: Müller-Graff/Zuleeg (Hrsg.) Staat und Wirtschaft in der EG (1987) 17, 36 (zur Entschädigung nach § 611a Abs. 2 BGB a. F.): „privatrechtliche Rahmengrundsätze“; Pace in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 102, 105 f.: „negative harmonisation framework“ (zum Kartelldeliktsrecht); Rott in: Leczykiewicz/Weatherill (Hrsg.) The Involvement of EU Law in Private Law Relationships (2013) 181, 184: „minimum standard of effectiveness is established by EU law“. 310 So auch König Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (2011) S. 83; W.-H. Roth ZHR 179 (2015) 668, 683 Fn. 75; N. Reich General Principles of EU Civil Law (2014) Rn. 4.2, 4.3, 4.10: „eliminatory“ und „remedial function“. Allerdings sind die Übergänge fließend, weil die konkreten Vorgaben manchmal sehr abstrakt gehalten sind, vgl. König Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (2011) S. 226. Siehe auch Bulst Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht (2006) S. 228 zum Kartelldeliktsrecht. 311 Siehe auch den Befund von Rott in: Leczykiewicz/Weatherill (Hrsg.) The Involvement of EU Law in Private Law Relationships (2013) 181, 195: „Court of Justice has so far demonstrated significant restraint in interfering with national rules on the ground of effectiveness“; „left it to the national court to assess whether the national provision in question rendered the enforcement of rights […] impossible or […] excessively difficult“. Wohl vor allem auf die begrenzende Funktion zielt die Kritik von Alexander Schadensersatz und Gewinnabschöpfung im Lauterkeits- und Kartellrecht (2010) S. 91: „weist dieser Grundsatz [Effektivitätsgrundsatz] kaum präzise Strukturen auf“; „nur unzureichend gelungen, dem Effektivitätsgrundsatz greifbare Gestalt zu geben, seinen Anwendungsbereich genau zu definieren und seine Grenzen abzustecken“.
II. Anlass: Europäische Vorgaben für die Rechtsdurchsetzung
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des Begriffes ‚ursächlicher Zusammenhang‘ Aufgabe des innerstaatlichen Rechts des einzelnen Mitgliedstaats, wobei der Äquivalenz- und der Effektivitätsgrundsatz zu beachten sind“,312
ohne dass im Folgenden die unionsrechtlichen Vorgaben für eine effektivitätskonforme Anwendung des „ursächlichen Zusammenhangs“ erläutert würden. Die begrenzende (negative) Wirkungsweise des Effektivitätsgrundsatzes scheint damit die Funktion eines Platzhalters für künftige judikative Interventionsmöglichkeiten einzunehmen, ohne dass sich der Gerichtshof zu den Kriterien für die Beachtung des Effektivitätsgrundsatzes etwa bei der Auslegung des Kausalzusammenhangs bereits in der konkreten Entscheidung äußern will. Nicht einmal ist es zwangsläufig, dass der Gerichtshof überhaupt intervenieren wird, wie sich etwa an der Entwicklung der Rechtsprechung zu Ausschluss- und Verjährungsfristen zeigt, die, sofern der Fristbeginn dem Betroffenen bekannt ist, durch nationales Recht auf sehr kurze Zeiträume von wenigen Wochen begrenzt werden darf, ohne dass der EuGH darin eine Verletzung des Effektivitätsgrundsatzes erblickte.313 Bei der Dauer der Ausschlussfristen ist das Effektivitätspostulat, obwohl seit den achtziger Jahren stetig in der Rechtsprechung wiederholt, deshalb ohne großen Einfluss geblieben,314 sofern nicht zusätzlich zur kurzen Dauer ein weiteres Merkmal EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 64 – Manfredi; siehe auch die fast identische Rn. 81 zur Verjährungsfrist; ähnlich EuGH 9.12.2010, Rs. C-568/08, Slg. 2010, I-12655 Rn. 90 – Combinatie Spijker Infrabouw: „In Ermangelung einschlägiger Unionsvorschriften ist es Sache jedes Mitgliedstaats, in seiner internen Rechtsordnung die Kriterien zu bestimmen, auf deren Grundlage der Schaden aufgrund eines Verstoßes gegen das Unionsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens festzustellen und zu bemessen ist […], sofern der Äquivalenz- und der Effektivitätsgrundsatz beachtet werden.“ 313 Vgl. zu einer Zweimonatsfrist EuGH 8.9.2011, Rs. C-177/10, Slg. 2011, I-7907 Rn. 95 – Rosado Santana: „nicht ersichtlich ist, dass die Festlegung einer Ausschlussfrist von zwei Monaten die Ausübung der vom Unionsrecht verliehenen Rechte unmöglich machen oder übermäßig erschweren könnte“. Problematisch sind i. d. R. (kurze) Fristen, die zu laufen beginnen, bevor der Betroffene vom Fristbeginn Kenntnis erlangt, vgl. EuGH 8.9.2011, Rs. C-177/10, Slg. 2011, I-7907 Rn. 97 ff. – Rosado Santana. Zusammenfassend zur Rechtsprechung König Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (2011) S. 187 ff. mit dem Ergebnis (S. 188): „In den allermeisten Fällen stellt der Gerichtshof die Angemessenheit der mitgliedstaatlichen Fristen lediglich fest, ohne dies näher zu begründen.“ Eine ausführlichere Untersuchung der Ausschlussfristen findet sich in § 9 IX → S. 618. 314 Die untere Grenze markiert offenbar eine fünfzehntägige Ausschlussfrist nach Kündigung einer Schwangeren unter Verstoß gegen die Richtlinie 92/85, die der EuGH als Verstoß gegen den Effektivitätsgrundsatz angesehen hat, wobei auch in diesem Fall der Gerichtshof ergänzende Gesichtspunkte wie die Einberechnung der Postlaufzeiten in die Frist und die „Lage, in der sich eine Frau zu Beginn der Schwangerschaft befindet“, einbezogen hat, EuGH 29.10.2009 Rs. C-63/08, Slg. 2009, I-10467 Rn. 67 – Pontin. Andererseits scheint auch dies vom Sachgebiet abhängig zu sein, denn der EuGH hat eine Zweiwo312
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(z. B. unklarer Fristbeginn, unterschiedliche Fristen für Kläger und Beklagten) hinzutritt, das einen Effektivitätsverstoß zu begründen vermag (unten § 9 IX → S. 618).315 Ein Gegenbeispiel für eine spätere Ausfüllung der Platzhalterfunktion des Effektivitätsgrundsatzes findet sich in der Rechtsprechung zur Verzinsung unionsrechtswidriger Abgaben. Nachdem der EuGH zunächst in einer Reihe älterer Urteile trotz des allgemeinen Hinweises auf den Effektivitätsgrundsatz entschieden hatte, dass die Zahlung von Zinsen einschließlich des Zinsbeginns und des Zinssatzes eine dem nationalen Recht überlassene Nebenfrage darstellt,316 hat er in neueren Entscheidungen nicht nur den Anspruch auf Erstattung unionsrechtswidriger Abgaben, sondern auch den Anspruch auf Ausgleich der Einbußen aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit von Geldbeträgen als unionsrechtlich geboten angesehen, so dass sich unmittelbar aus dem Unionsrecht eine Verpflichtung zur Verzinsung unionsrechtswidriger Abgaben ergibt.317 Die Bedingungen für die Zahlung solcher Zinsen (Zinssatz und Berechnungsmethode, d. h. einfache Verzinsung oder Zahlung von Zinseszinsen) sind (bisher) durch das nationale Recht vorbehaltlich den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität zu bestimmen (dazu unten § 9 X → S. 631),318 so dass sich der Gerichtshof offenbar weitere Interventionen zur Ausgestalchenfrist im Vergaberecht grundsätzlich gebilligt, EuGH 12.12.2002, Rs. C-470/99, Slg. 2002, I-11617 Rn. 72 f., 75, 77 – Universale Bau; für eine Beschränkung dieser Entscheidung auf das Vergaberecht aufgrund des speziell vergaberechtlichen Effektivitätsgebots König Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (2011) S. 189. Zur Bindung der Fristangemessenheit an den Zweck und den Kontext der durchzusetzenden Norm auch EuGH 18.9.2003, Rs. C-125/01, Slg. 2003, I-9375 Rn. 37 – Pflücke: „In Bezug auf die Erfüllung von Arbeitsentgeltansprüchen, die naturgemäß für den Betroffenen von sehr großer Bedeutung sind, darf die Ausschlussfrist jedoch nicht so kurz sein, dass es dem Betroffenen in der Praxis nicht gelingt, die Frist einzuhalten, und er damit den Schutz verliert, den ihm die Richtlinie 80/987 garantieren soll.“ 315 Ebenso König Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (2011) S. 188: „Insbesondere in den Fällen, in denen der Gerichtshof mitgliedstaatliche Rechtsbehelfsfristen beanstandete, war nicht allein die Länge der Frist ausschlaggebend, sondern das Zusammenspiel der Frist mit sonstigen Umständen, […] welche die Rechtsdurchsetzung erschwerten.“ 316 Siehe etwa EuGH 12.6.1980, Rs. 130/79, Slg. 1980, 1887 Rn. 16 f. – Expreß Dairy Foods; EuGH 15.9.1998, verb. Rs. C-279/96, C-280/96 und C-281/96, Slg. 1998, I-5025 Rn. 27 f. – Ansaldo Energia; später noch EuGH 7.9.2006, Rs. C-470/04, Slg. 2006, I-7409 Rn. 60 – N; siehe auch bereits EuGH 21.5.1976, Rs. 26/74, Slg. 1976, 677 Rn. 11 f. – Roquette. 317 EuGH 8.3.2001, Rs. C-397/98 und C-410/98, Slg. 2001, I-1727 Rn. 87 ff. – Metallgesellschaft; EuGH 12.12.2006, Rs. C-446/04, Slg. 2006, I-11753 Rn. 205 – Test Claimants in the FII Group Litigation; EuGH (Große Kammer) 19.7.2012, Rs. C-591/10, ECLI:EU:C:2012:478 Rn. 25 f. – Littlewoods Retail. 318 EuGH (Große Kammer) 19.7.2012, Rs. C-591/10, ECLI:EU:C:2012:478 Rn. 27 – Littlewoods Retail.
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tung der Verzinsungspflicht vorbehält. Zusammenfassend ist die begrenzende (negative) Wirkung des Effektivitätsgrundsatzes in ihrer bisherigen Praxis durch den Gerichtshof angesichts der häufig vagen und wenig verallgemeinerungsfähigen Kriterien kaum vorhersehbar319 und kann deshalb auch kaum Vorgaben für die Ausgestaltung des Rechtsfolgenregimes vermitteln. Während die begrenzende (negative) Wirkung des Effektivitätsgrundsatzes also im Regelfall nur die Funktion eines Platzhalters für künftige judikative Interventionen hat, lassen sich aus der begründenden (positiven) Wirkung des Effektivitätsgrundsatzes durchaus konkrete Vorgaben für die Ausgestaltung des Verfahrens- und Zivilsanktionenrechts der Mitgliedstaaten bei der Durchsetzung unionaler Rechte und damit auch für die Ausgestaltung des Schadensersatzrechts gewinnen. Mit begründender (positiver) Wirkung des Effektivitätsgrundsatzes sind solche Entscheidungen gemeint, die aus der Pflicht zur wirksamen Durchsetzung des Unionsrechts (Art. 4 Abs. 3, Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV) konkrete Vorgaben für das nationale Recht formulieren. Prägnante Beispiele für solche Vorgaben auf dem Gebiet des Schadensersatzes finden sich in der Rechtsprechung des EuGH etwa zum Kartelldeliktsrecht320 und zur fehlerhaften Widerrufsbelehrung, anhand derer im Folgenden die Vorgaben des Effektivitätsgrundsatzes für Schadensersatzansprüche zwischen Privaten zur Durchsetzung des Unionsrechts entfaltet werden sollen (dazu unten § 4 I 1 → S. 150, § 5 I 2 → S. 258, zusammenfassend § 9 I → S. 497). Wegen der fließenden Übergänge zwischen der negativen und der positiven Wirkungsweise des Effektivitätsgrundsatzes321 werden beide im Folgenden unter dem Oberbegriff des sanktionenrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes zusammengefasst.322 Siehe auch die Kritik von Mäsch EuR 2003, 825, 838: „Konturenlosigkeit“. EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 95 – Manfredi: „Aus dem Effektivitätsgrundsatz und dem Recht einer jeden Person auf Ersatz des Schadens, der ihr durch einen Vertrag, der den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, oder ein entsprechendes Verhalten entstanden ist, folgt, dass ein Geschädigter nicht nur Ersatz des Vermögensschadens (damnum emergens), sondern auch des entgangenen Gewinns (lucrum cessans) sowie die Zahlung von Zinsen verlangen können muss“ (Hervorhebung nicht im Original). 321 Vgl. König Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (2011) S. 226. 322 Andere schlagen vor, die positive Begründung dem effet utile i.w.S. bzw. der praktischen Wirksamkeit der konkret betroffenen Norm (etwa des Art. 101 AEUV) zuzuschlagen, W.-H. Roth ZHR 179 (2015) 668, 683 Fn. 75. M. E. lässt sich kaum die Grenze ziehen, wann eine negative Begrenzung des Regelungsspielraums der Mitgliedwstaaten so eng wird, dass man darin eine positive Vorgabe sehen muss. Zudem spricht auch der Gerichtshof davon, dass sich die Vorgaben etwa für den kartelldeliktischen Schadensersatzanspruch „[a]us dem Effektivitätsgrundsatz und dem Recht einer jeden Person auf Ersatz des Schadens“ ergeben, EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 95 – Manfredi. 319 320
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dd) Rechtsfolgen Hinsichtlich der Rechtsfolgen des Effektivitätsgrundsatzes ist zunächst festzuhalten, dass es bei der Anwendung des nationalen Rechts für die Rechtsfolgen und Sanktionen bleibt; es erfolgt keine Harmonisierung, sondern grundsätzlich nur eine unionsrechtliche Rahmensetzung oder Überlagerung der nationalen Vorschriften.323 Vorbehaltlich des Effektivitätsgebots und anderer Grundsätze des Unionsrechts, wie insbesondere des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, bleibt es damit bei der Freiheit der Mitgliedstaaten, „diejenigen Formen und Mittel zu wählen, die für die Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der Richtlinien unter Berücksichtigung des mit ihnen verfolgten Zweckes am geeignetsten sind“.324 Nur in seltenen Fällen hat die Einwirkung durch den Effektivitätsgrundsatz zur Folge, dass das Unionsrecht konkrete und abschließende Anspruchsvoraussetzungen definiert.325 Aber auch in diesen Fällen bleibt regelmäßig Spielraum für die ergänzende Anwendung nationalen Rechts, etwa wenn es um Fragen des Mitverschuldens oder der Ausschlussfristen geht. Nicht zuletzt bleibt die Einwirkung durch den Effektivitätsgrundsatz hinter anderen Harmonisierungsinstrumenten insofern zurück, als dass die Mitgliedstaaten im Regelfall über die Mindestvorgaben des Unionsrechts hinausgehen können.326 323 EuGH 19.6.2003, Rs. C-34/02, Slg. 2003, I-6515 Rn. 56 – Pasquini: „Zwar findet das nationale Recht auf einen Sachverhalt Anwendung, der sich daraus ergibt, dass eine Rentenaufstockung wegen Überschreitung der zulässigen Einkommenshöchstgrenze rechtsgrundlos erfolgt ist, doch verlangt das Gemeinschaftsrecht, wenn ein Arbeitnehmer von dem im Vertrag vorgesehenen Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, dass die Ausgestaltung des Verfahrens zur Behandlung dieses Sachverhalts die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität einhält.“ 324 EuGH (Große Kammer) 4.7.2006, Rs. C-212/04, Slg. 2006, I-6057 Rn. 93 f. – Adeneler; EuGH 5.7.2007, Rs. C-430/05, Slg. 2007, I-5835 Rn. 53 – Ntionik Anonymi Etaireia Emporias; zum Grundsatz der Wahlfreiheit bei den Sanktionen bereits EuGH 8.4.1976, Rs. 48/75, Slg. 1976, 497 Rn. 75 – Royer; EuGH 2.2.1977, Rs. 50/76, Slg. 1977, 137 Rn. 32 – Amsterdam Bulb: „Artikel 5 EWG-Vertrag […] überlässt dem einzelnen Staat die Wahl der sachgerechten Maßnahmen einschließlich der Wahl der – auch strafrechtlichen – Sanktionen.“ Weitergehend (für eine mitgliedstaatliche Einschätzungsprärogative hinsichtlich der Wirksamkeit) Schlussanträge des Generalanwalts Colomer vom 25.5.2005, Rs. C-176/03, Slg. 2005, I-7879 Rn. 48 – Kommission/Rat. Zur Gestaltungsfreiheit des nationalen Gesetzgebers bei der Herstellung einer effektivitätskonformen Rechtslage auch Kulms Der Effektivitätsgrundsatz (2013) S. 173 f. 325 Vgl. König Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (2011) S. 225. Als Beispiel mag man an die Kriterien des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs denken, siehe EuGH 19.11.1991, Rs. C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, I-5357 Rn. 39 ff. – Francovich; zusammenfassend EuGH 23.4.2009 – C-378/07 und C-380/07 – Slg. 2009, I-3071 Rn. 202 – Angelidaki. Siehe auch die Vorgabe einer Mindestfrist von sechs Monaten in EuGH 24.9.2002, Rs. C-255/00, Slg. 2002, I-8003 Rn. 40 ff. – Grundig Italiana.
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Sofern326 eine nationale Instanz oder der Gerichtshof zu dem Schluss kommt, dass im Einzelfall die Anforderungen der Effektivität nicht mehr gewahrt sind, so müssen die nationalen Gerichte „in der Lage sein, daraus die Schlussfolgerungen nach nationalem Recht zu ziehen“.327 Gibt es nach nationalem Recht unterschiedliche Möglichkeiten, die zum Schutz der durch das Unionsrecht gewährten individuellen Rechte geeignet erscheinen, so liegt die Befugnis beim nationalen Gericht, zwischen mehreren nach der innerstaatlichen Rechtsordnung in Betracht kommenden Wegen zu wählen.328 ee) Unmittelbare Wirkung Schließlich ist der für das Privatrecht interessanten Frage nach der unmittelbaren Wirkung des Effektivitätsgrundsatzes nachzugehen.329 Es geht hier also 326 Etwa indem sie auch Strafschadensersatz zusprechen, EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 92 ff. – Manfredi (inzwischen überholt durch Art. 3 Abs. 3 RL 2014/104); EuGH 17.12.2015, Rs. C-407/14, ECLI:EU:C:2015:831 Rn. 40 – Camacho. 327 EuGH 18.1.2007, Rs. C-421/05, Slg. 2007, I-653 Rn. 33 – City Motors Groep. Siehe auch EuGH 21.6.2007, Rs. C-231/06, Slg. 2007, I-5149 Rn. 41 – Jonkman (zum BürgerStaat-Verhältnis): „die allgemeinen oder besonderen Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, die Beachtung des Gemeinschaftsrechts zu sichern, indem sie insbesondere dafür sorgen, dass das nationale Recht so schnell wie möglich mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang gebracht und den Rechten, die dem Bürger aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsen, die volle Wirksamkeit verschafft wird“. Nettesheim GS Grabitz (1995) 447, 460 schlägt vor, eine effektivitätskonforme und angemessene Regelung „im Wege der Rechtsvergleichung unter Rückgriff auf Gemeinschaftsrecht und andere mitgliedstaatliche Rechtsordnungen zu bestimmen“ (mit Verweis auf EuGH 21.1.1991, verb. Rs. 143/88 und C-92/89, Slg. 1991, I-415 – Zuckerfabrik Süderdithmarschen). 328 EuGH (Große Kammer) 19.7.2012, Rs. C-591/10, ECLI:EU:C:2012:478 Rn. 33 – Littlewoods Retail; siehe auch die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 12.1.2012, Rs. C-591/10, ECLI:EU:C:2012:9 Rn. 59 – Littlewoods Retail (zu den Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen den Äquivalenzgrundsatz). Nur selten gibt der Gerichtshof eigene Vorgaben für eine effektivitätskonforme Regelung wie in EuGH 24.9.2002, Rs. C-255/00, Slg. 2002, I-8003 Rn. 40 ff. – Grundig Italiana: „In einem solchen Fall der Kürzung einer Antragsfrist von zehn oder fünf Jahren auf drei Jahre kann die Dauer der Mindestübergangszeit, die notwendig ist, damit die Effektivität der Geltendmachung der durch das Gemeinschaftsrecht verliehenen Ansprüche dadurch gewährleistet wird, dass es den Abgabenpflichtigen, die die gewöhnliche Sorgfalt anwenden, erlaubt wird, Kenntnis von der neuen Regelung zu nehmen und ihren Antrag unter Voraussetzungen vorzubereiten und zu stellen, die ihre Erfolgschancen nicht beeinträchtigen, bei vernünftiger Betrachtung mit sechs Monaten angesetzt werden.“ 329 Im Öffentlichen Recht geht man offenbar ohne weiteres von der Nichtanwendung nationaler Vorschriften aus, die die Unionsrechtsdurchsetzung übermäßig beschränken, Kulms Der Effektivitätsgrundsatz (2013) S. 171 f. Dort ergeben sich allerdings Probleme, wenn sich aus der Nichtanwendung Rechtsschutzlücken ergeben, Kulms a. a. O. S. 176 f.: Bis zur Neuregelung durch den nationalen Gesetzgeber sind die nationalen Gerichte aufge-
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nicht um die Frage, zur Durchsetzung welcher unionaler Rechte der Effektivitätsgrundsatz überhaupt Anwendung findet (dazu bereits oben § 1 II 2 e aa 1 → S. 54), sondern vielmehr darum, ob sich ein Privater im Zivilprozess330 unmittelbar auf die durch den Effektivitätsgrundsatz gebotenen Rechtsfolgen berufen kann. An der unmittelbaren Wirkung des Effektivitätsgrundsatzes können Zweifel auf zwei Ebenen bestehen. Zum einen kann bereits die durchzusetzende Primärnorm keine unmittelbare Wirkung zwischen Privaten entfalten, sei es, weil sie nicht hinreichend genau und unbedingt formuliert ist, um überhaupt individuelle Rechte zu verleihen, sei es, weil es sich um eine unzureichend umgesetzte Richtlinie handelt, der zwar gegenüber dem Staat, nicht aber – auch nicht unter Berücksichtigung der richtlinienkonformen Auslegung und ggf. Rechtsfortbildung – gegenüber Privaten unmittelbare Wirkung zukommt. Zum zweiten kann man aber auch bei Verletzung einer (zwischen Privaten) unmittelbar anwendbaren Primärnorm wie Art. 101 AEUV an der unmittelbaren Wirkung des Effektivitätsgrundsatzes selbst zweifeln, entweder weil die durch das Effektivitätsgebot geforderten Rechtsfolgen nicht hinreichend genau und unbedingt formuliert sind oder weil die normative Grundlage des Effektivitätsgrundsatzes in Art. 4 Abs. 3 AEUV selbst keine unmittelbare Wirkung entfaltet.331 Richtigerweise wird man für eine Antwort differenzieren müssen: Voraussetzung für die Anwendung des Effektivitätsgrundsatzes ist zunächst, dass die verletzte Primärnorm des Unionsrechts überhaupt – auch zwischen Privaten – unmittelbar anwendbar ist (dazu bereits oben § 1 II 2 e aa 1 → S. 54).332 Dies ist – wie gezeigt – bei hinreichend genau und unbedingt formulierten Primärfordert, mittels Analogie oder anderer Instrumente Regeln zu schaffen, die eine effektivitätskonforme Rechtsdurchsetzung ermöglichen. 330 Hier nicht weiter interessierend sind die Folgen eines Verstoßes gegen das Effektivitätsgebot im Bürger-Staat-Verhältnis, dazu etwa EuGH 22.5.2003, Rs. C-462/99, Slg. 2003, I-5197 Rn. 40 – Connect Austria; EuGH 11.10.2007, Rs. C-241/06, Slg. 2007, I-8415 Rn. – Lämmerzahl: „Wenn eine solche mit dem Zweck der Richtlinie 89/665 im Einklang stehende Auslegung nicht möglich ist, ist das nationale Gericht verpflichtet, die der Richtlinie zuwiderlaufenden nationalen Vorschriften unangewendet zu lassen.“ 331 EuGH 15.1.1986, Rs. 44/84, Slg. 1986, 29 Rn. 46 ff. – Hurd; EuGH 11.3.1992, verb. Rs. C-78/90 u. a., Slg. 1992, I-1847 Rn. 19 – Compagnie Commerciale de l’Ouest: „Auch die Artikel 5 und 6 EWG-Vertrag sind so allgemein formuliert, daß ihre selbständige Anwendung nicht in Frage kommt, wenn die betreffende Fallgestaltung durch eine spezifische Vorschrift des EWG-Vertrags geregelt ist, wie es in der vorliegenden Rechtssache der Fall ist.“ 332 Zur Verknüpfung von unmittelbarer Wirkung und Effektivitätsgrundsatz bereits EuGH 16.12.1976, Rs. 33/76, Slg. 1976, 1989 Rn. 5 – Rewe: „Die in Artikel 13 EWGVertrag und in Artikel der Verordnung Nr. 159/66/EWG ausgeprochenen Verbote wirken unmittelbar und begründen für die einzelnen Bürger Rechte, welche die innerstaatlichen Gerichte zu schützen haben.“
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rechtsnormen333 und Verordnungen334 unproblematisch der Fall. Bei Richtlinienbestimmungen ist erforderlich, dass ihnen (faktisch) unmittelbare Wirkung zwischen Privaten über die richtlinienkonforme Auslegung und/oder Rechtsfortbildung der nationalen Umsetzungsbestimmungen zukommt. Andernfalls mangelt es infolge der fehlenden Horizontalwirkung von Richtlinien bereits an einer zwischen Privaten wirksamen Primärnorm, so dass sich auch nicht die Frage der (hinreichend wirksamen) Durchsetzung dieser Norm stellt. Ist die Hürde der unmittelbar wirksamen Primärnorm überwunden, so stellt sich die zweite Frage, inwiefern die aus dem Effektivitätsgrundsatz gewonnenen Vorgaben für die Ausgestaltung der Rechtsfolgen selbst unmittelbare Wirkung zwischen Privaten entfalten.335 Legte man insofern das Kriterium der hinreichend genauen und unbedingten Regelung zugrunde, so wäre eine unmittelbare Wirkung des ungeschriebenen sanktionenrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes von vorneherein ausgeschlossen, soll dieser doch gerade die wirksame Durchsetzung außerhalb des unionsrechtlich überhaupt geregelten Bereichs sicherstellen. Die Betroffenen wären ausschließlich auf den Staatshaftungsanspruch verwiesen. Indes widerspricht eine solche Sichtweise nicht nur dem Anliegen der Effektivität, sondern dürfte auch vom Gerichtshof nicht geteilt werden. Vielmehr gebietet das Effektivitätspostulat zunächst eine effektivitätsorientierte Auslegung der nationalen Vorschriften des Schadensersatz- und Verfahrensrechts, soweit diese nicht den Minima des Effektivitätsgebots entsprechen.336 Bei dieser Auslegung sind auch mögliche gegenNachweise oben in Fn. 229. Nachweise oben in Fn. 228. 335 Diese Frage fällt nicht mit der ersten Frage nach der unmittelbaren Wirksamkeit der verletzten Primärnorm zusammen. So ist etwa denkbar, dass ein Mitgliedstaat eine Richtlinie umgesetzt hat (oder umsetzen wollte), so dass die Primärnorm qua richtlinienkonformer Auslegung oder Rechtsfortbildung zumindest faktisch unmittelbare Wirkung zwischen den Parteien entfaltet, während bei den qua Effektivitätsgrundsatz gebotenen Rechtsbehelfen keine Umsetzung erfolgt ist und auch nicht erfolgen sollte, so dass eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung ausgeschlossen ist. Hier lässt sich ein Rechtsbehelf nur begründen, wenn man dem Effektivitätsgrundsatz unmittelbare Wirkung zumisst. 336 Vgl. EuGH (Große Kammer) 13.3.2007, Rs. C-432/05, Slg. 2007, I-2271 Rn. 44 – Unibet; EuGH (Große Kammer) 15.4.2008, Rs. C-268/06, Slg. 2008, I-2483 Rn. 54 – Impact; EuGH 29.10.2009, Rs. C-63/08, Slg. 2009, I-10467 Rn. 75 – Pontin: „Falls das vorlegende Gericht daher einen solchen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 76/207 feststellen sollte, muss es die innerstaatlichen Zuständigkeitsregeln so weit wie möglich dahin auslegen, dass sie zur Erreichung des Ziels beitragen, einen effektiven gerichtlichen Schutz der Rechte zu gewährleisten, die schwangeren Frauen aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsen“; EuGH 3.10.2013, Rs. C-32/12, ECLI:EU:C:2013:637 Rn. 42 – Duarte Hueros: „Insoweit obliegt es dem vorlegenden Gericht, zu prüfen, welche nationalen Vorschriften auf den bei ihm anhängigen Rechtsstreit anwendbar sind, sowie unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der dort anerkannten Auslegungsmethoden alles zu tun, was in seiner Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit von Art. 3 Abs. 5 der Richtli333 334
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läufige Wertungen und Grundsätze des nationalen Rechtsbehelfssystems und Verfahrensrechts (z. B. Rechtssicherheit) einzubeziehen, um eine Lösung zu erreichen, die diesen gegenläufigen Interessen gerecht wird.337 Diese effektivitätskonforme Auslegung des nationalen Sanktionen- und Verfahrensrechts ähnelt dem Gebot richtlinienkonformer Auslegung des nationalen Rechts und dürfte in den meisten Fällen eine faktische Direktwirkung des Effektivitätsgebots zur Folge haben, weil angesichts der flexiblen Regelung des Schadensersatzrechts regelmäßig eine effektivitätsoptimierende Auslegung seiner Vorschriften im Einzelfall möglich sein wird.338 Lässt sich über die Auslegung kein effektivitätskonformes Ergebnis erreichen, so stellt sich die Frage, ob unmittelbar unter Rückgriff auf den Effektivitätsgrundsatz gegenläufige Bestimmungen des nationalen Verfahrens- und Sanktionenrechts ausgehebelt werden können. In der Literatur und Teilen der deutschen Rechtsprechung ist insofern eine Sichtweise verbreitet, die die unmittelbare horizontale Wirkung des Effektivitätsgrundsatzes und die damit verbundene Überwindung entgegenstehenden nationalen Rechts parallel (akzessorisch) zur unmittelbaren horizontalen Wirkung der jeweils verletzten Primärnorm (z. B. Primärrecht, Verordnungen, Richtlinien) ausgestalten will.339 Für diesen Ansatz lässt sich auf die Kohärenz von Recht und Rechtsnie 1999/44 zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem mit der Richtlinie verfolgten Ziel im Einklang steht“; EuGH 21.4.2016, Rs. C-377/14, ECLI:EU:C: 2016:283 Rn. 79 – Radlinger. Siehe auch die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 28.2.2013, Rs. C-32/12, ECLI:EU:C:2013:128 Rn. 37 – Duarte Hueros; Rott in: Leczykiewicz/Weatherill (Hrsg.) The Involvement of EU Law in Private Law Relationships (2013) 181, 185, 196; Kulms Der Effektivitätsgrundsatz (2013) S. 171 m. w. N. 337 Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 28.2.2013, Rs. C-32/12, ECLI:EU: C:2013:128 Rn. 39 – Duarte Hueros: „Die der jeweiligen mitgliedstaatlichen Regelung zugrunde liegenden Werteentscheidungen sind bei der Auslegung des nationalen Rechts zu berücksichtigen.“ 338 Siehe aber die Verneinung der Direktwirkung selbst bei möglichen Verstoß gegen die Sanktionenklausel der Massenentlassungsrichtlinie 98/59 durch BAG 18.9.2003, 2 AZR 79/ 02, NZA 2004, 375, 381: „Eine richtlinienkonforme Auslegung der §§ 17 ff. KSchG in dem Sinne, dass die Kündigung des Arbeitgebers bei einem Verstoß gegen § 17 Abs. 2 1 Nr. 6 KSchG bzw. § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG unwirksam ist und nicht nur eine Entlassungssperre begründet, ist jedoch nicht möglich.“ Diese Position wurde nach EuGH 27.1.2005, Rs. C-188/03, Slg. 2005, I-885 Rn. 45, 50 – Junk aufgegeben, so dass eine unterbliebene Massenentlassungsanzeige nun zur Unwirksamkeit der Kündigung nach § 134 BGB führt, Kiel in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht16 (2016) § 17 KSchG Rn. 35. 339 BAG 18.9.2003, 2 AZR 79/02, NZA 2004, 375, 381 f.: „Selbst wenn man auch in diesem Punkt der Revision folgen und annehmen würde, lediglich die Unwirksamkeit der Kündigung wäre eine hinreichend wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktion […], und andere Sanktionen […] kämen nicht in Betracht, wäre die Klage abzuweisen. a) Die Richtlinie 98/59/EG findet im nationalen Recht keine unmittelbare Anwendung“ (zur Aufgabe dieser Rechtsprechung Fn. 338). Grundmann Europäisches Schuldvertragsrecht (1999) Rn. 128 Fn. 511: unmittelbare Wirkung „nicht weitergehend möglich als bei
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behelf verweisen,340 zumal sich manche allgemeine Rechtsbehelfsklauseln („wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen“) in Richtlinien finden.341 Auch hätte eine generelle Direktwirkung des Effektivitätsgrundsatzes zur Folge, dass zwar die ungeschriebenen Vorgaben des Effektivitätsgrundsatzes unmittelbare Wirkung entfalten würden, nicht aber die geschriebenen Rechtsfolgenanordnungen in Richtlinien. Gegen eine Direktwirkung lässt sich auch einwenden, dass Art. 4 Abs. 3 EUV selbst keine Direktwirkung zukommt.342 Indes dürfte der Gerichtshof zumindest in jüngerer Rechtsprechung der Auffassung zuneigen, dass die durch den Effektivitätsgrundsatz gebotenen Anpassungen des nationalen Rechtsfolgenregimes unmittelbare horizontale Wirkung entfalten, jedenfalls soweit es sich um eine Verfahrensregel handelt, die nicht den Einzelnen, sondern die Gerichte trifft.343 Für diese – nicht näher den Regelungen zu den Pflichten selbst, deren Durchsetzung die jeweilige Sanktion dient“; Weyer ZEuP 1999, 424, 463 ff.; ders. in: Frankfurter Kommentar II (2009) Art. 81 EG Zivilrechtsfolgen Rn. 86, 88: „Teilhabe an der unmittelbaren horizontalen Wirkung der Verbotsnormen“; Mosiek Effet utile und Rechtsgemeinschaft (2003) S. 254; Herb Europäisches Gemeinschaftsrecht und nationaler Zivilprozess (2007) S. 205 ff.; Rott in: Leczykiewicz/Weatherill (Hrsg.) The Involvement of EU Law in Private Law Relationships (2013) 181, 196; wohl auch Ehricke ZBB 2005, 443, 451, der allgemein auf die Rechtsprechung zur fehlenden unmittelbaren Wirkung von Richtlinien zwischen Privaten verweist, ohne zwischen der Richtlinie selbst und den Konsequenzen für die in der Richtlinie ungeregelten nationalen Rechtsfolgen zu unterscheiden; wohl a. A. Steindorff EG-Vertrag und Privatrecht (1996) S. 311 ff., der offenbar von einer unmittelbaren Anwendbarkeit des Art. 4 Abs. 3 EUV im Verhältnis zwischen Privaten ausgeht. Generell gegen eine unmittelbare Wirkung des Effektivitätsgrundsatzes zwischen Privaten, die zu einer Aushebelung nationaler Verjährungsfristen führen kann BCL Old Co Limited and others v BASF plc and others [2012] UKSC 45 Rn. 45, 47. 340 Ähnlich Trstenjak/Beysen CMLR 48 (2011) 95, 122 f. 341 Siehe BAG 18.9.2003, 2 AZR 79/02, NZA 2004, 375, 381 f., wo es um die Direktwirkung der Rechtsbehelfsklausel in Art. 6 der Massenentlassungsrichtlinie 98/59 ging. Zur Aufgabe dieser Rechtsprechung Fn. 338. 342 Oben Fn. 331. 343 EuGH (Große Kammer) 8.11.2005, Rs. C-443/03, Slg. 2005, I-9611 Rn. 50 f. – Leffler (allerdings zu einer Verordnung): „muss dabei der Effektivitätsgrundsatz das nationale Gericht dazu veranlassen, die in seiner innerstaatlichen Rechtsordnung vorgesehenen Verfahrensmodalitäten nur insoweit anzuwenden, als sie die Existenzberechtigung und die Zielsetzung der Verordnung nicht in Frage stellen. Wenn die Verordnung die Folgen bestimmter Tatsachen nicht vorsieht, ist es folglich Sache des nationalen Gerichts, grundsätzlich sein nationales Recht anzuwenden, wobei es dafür Sorge zu tragen hat, dass die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts gewährleistet wird. Letzteres kann das Gericht dazu veranlassen, falls erforderlich, eine nationale Vorschrift, die dem entgegensteht, außer Acht zu lassen oder eine nationale Vorschrift, die nur im Hinblick auf einen rein innerstaatlichen Sachverhalt ausgearbeitet worden ist, auszulegen, um sie auf den betreffenden grenzüberschreitenden Sachverhalt anzuwenden.“ Siehe auch EuGH 21.4.2016, Rs. C-377/ 14, ECLI:EU:C:2016:283 Rn. 77 – Radlinger: „Im vorliegenden Fall stellt zum einen die
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§ 1 Ausgangslage und Anlass der Untersuchung
begründete – Sichtweise lässt sich vorbringen, dass der Effektivitätsgrundsatz im Regelfall gerade nicht – im Unterschied zu Richtlinien – eine konkrete Umsetzungsmaßnahme erfordert, sondern den Mitgliedstaaten nur vorgibt, bestimmte Minima der Rechtsdurchsetzung nicht zu verfehlen, die regelmäßig auf unterschiedlichen Wegen sichergestellt werden können. Wenn nun aber der Effektivitätsgrundsatz keinen konkreten Umsetzungsakt erfordert, vermag es auch nicht zu überzeugen, seine Direktwirkung gegenüber Privaten Pflicht, von Amts wegen zu prüfen, ob bestimmte Klauseln missbräuchlich und die obligatorischen Informationen angegeben sind, eine Verfahrensregel dar, die nicht einen Einzelnen, sondern die Gerichte trifft.“ Weniger deutlich (zur Verbrauchsgüterkaufrichtlinie) EuGH 3.10.2013, Rs. C-32/12, ECLI:EU:C:2013:637 Rn. 42 – Duarte Hueros; deutlicher die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 28.2.2013, Rs. C-32/12, ECLI:EU: C:2013:128 Rn. 37 – Duarte Hueros: „Somit stellt sich die Frage, wie dem Effektivitätsgrundsatz im vorliegenden Fall Rechnung getragen werden kann. Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass im Falle eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Effektivität das vorlegende Gericht die nationalen Vorschriften so weit wie möglich dahin auslegen muss, dass sie zur Erreichung des Ziels beitragen, dem Einzelnen einen effektiven Schutz seiner aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte zu gewährleisten [Anm. Nachweise wie oben Fn. 336]. Sollte dies nicht möglich sein, ist es gehalten, die entgegenstehende nationale Bestimmung, d. h. im vorliegenden Fall die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Verfahrensvorschriften, die die strikte Bindung an den Klageantrag regeln, aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet zu lassen“ (mit Verweis auf EuGH 20.10.2011, Rs. C-396/09, Slg. 2011, I-9915 Rn. 38 – Interedil; EuGH (Große Kammer) 5.10.2010, Rs. C-173/09, Slg. 2010, I-8889 Rn. 31 – Elchinov; in diesen Verfahren ging es allerdings nicht um Richtlinien). Ebenso Leczykiewicz ERCL 8 (2012) 47, 52 f. (mit Verweis auf EuGH 1.12.1998, Rs. C-326/96, Slg. 1998, I-7835 Rn. 32 – Levez und EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 26 – Courage). Ähnlich bereits EuGH 8.11.1990, Rs. C-177/88, Slg. 1990, I-3941 Rn. 25 – Dekker: „ohne daß die im nationalen Recht vorgesehenen Rechtfertigungsgründe berücksichtigt werden können“; EuGH 22.4.1997, Rs. C-180/95, Slg. 1997, I-2195 Rn. 22 – Draehmpaehl: „einer innerstaatlichen gesetzlichen Regelung entgegenstehen“. Zurückhaltender noch unter Hinweis auf die nicht hinreichend genaue und unbedingte Formulierung der Rechtsfolgen in Art. 6 RL 76/207 EuGH 10.4.1984, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 Rn. 27 – von Colson und Kamann: „Dagegen begründet die Richtlinie […] hinsichtlich der Sanktionen für eine etwaige Diskriminierung keine unbedingte und hinreichend bestimmte Verpflichtung, auf die sich ein einzelner mangels rechtzeitig erlassener Durchführungsmaßnahmen berufen könnte, um aufgrund der Richtlinie eine bestimmte Wiedergutmachung zu erlangen, wenn eine solche Rechtsfolge nach den nationalen Rechtsvorschriften nicht vorgesehen oder zugelassen ist“; etwas großzügiger EuGH 15.5.1986, Rs. 222/84, Slg. 1986, 1651 Rn. 58 – Johnston. Da es in beiden Fällen um Klagen gegen den Staat ging, stellte sich offenbar nicht das Problem der Drittwirkung des Effektivitätsgrundsatzes gegenüber Privaten, sondern bereits das vorgelagerte Problem der unmittelbaren Anwendbarkeit unzureichend umgesetzter Richtlinien gegenüber dem Staat. Die Rechtslage speziell beim Verbot der Geschlechterdiskriminierung wird heutzutage dadurch kompliziert, dass dieses Recht inzwischen als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts primärrechtlichen Rang genießt, so dass nicht mehr die Vorgaben zur unmittelbaren Wirkung von Richtlinien, sondern zur unmittelbaren Wirkung von Primärrecht anwendbar sein dürften, dazu oben Fn. 231.
I. Erkenntnisziele der Untersuchung
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davon abhängig zu machen, dass im nationalen Recht eine konkrete Umsetzung erfolgt ist. Zudem lässt sich auf eine Parallele zum Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 47 GRCh) verweisen, das – zumindest wenn man die Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Wirkung allgemeiner Rechtsgrundsätze zwischen Privaten zugrunde legt344 – ebenfalls unmittelbare horizontale Wirkung entfaltet. Gegen eine unmittelbare Direktwirkung des Effektivitätsgrundsatzes lässt sich schließlich auch nicht einwenden, dass die konkreten Rechtsfolgen durch den Effektivitätsgrundsatz nicht hinreichend genau und unbedingt formuliert sind, denn der Effektivitätsgrundsatz soll ja gerade außerhalb des unionsrechtlich geregelten (und damit hinreichend genau und unbedingt geregelten) Bereichs auf das nationale Recht einwirken.
§ 2 Ziel, Einbettung und Ansatz der Untersuchung § 2 Ziel, Einbettung und Ansatz der Untersuchung
Die horizontale und vertikale Zersplitterung des Unionsprivatrechts (§ 1 I → S. 2) und die gleichzeitige Herausbildung europäischer Vorgaben für die private Durchsetzung des Unionsrechts (§ 1 II → S. 16) werfen eine Reihe von Fragen für die Entwicklung des Europäischen Privatrechts auf, zu deren Beantwortung die vorliegende Untersuchung einen Beitrag leisten will. Dieser Beitrag zu einem allgemeinen Teil des Unionsprivatrechts lässt sich in vier Punkten zusammenfassen (§ 2 I → S. 87), bevor eine kurze Einbettung in den Stand der Forschung (§ 2 II → S. 89) und eine Vorstellung des eigenen Untersuchungsansatzes (§ 2 III → S. 92) folgen soll. I.
Erkenntnisziele der Untersuchung
Die Folge der Zersplitterung des Unionsrechts ist zunächst eine Unübersichtlichkeit und Unzugänglichkeit der Rechtsmaterie, zu deren Ordnung die folgende Arbeit beitragen will. Ziel der Arbeit ist daher erstens eine horizontale und sektorübergreifende Darstellung des allgemeinen Effektivitätsgrundsatzes (bereits § 1 II 2 → S. 20) und der wichtigsten richterrechtlichen und sekundärrechtlichen Vorgaben des Unionsrechts für den Schadensersatzanspruch am Beispiel von fünf ausgewählten Referenzmaterien (§ 3 II 1 → S. 120), um die Kohärenz der Unionsrechtsordnung auf dem Gebiet des Schadensersatzes zu stärken, die rechtsgebietsübergreifenden Parallelentwicklungen aufzuzeigen und damit letztlich die Rechtssicherheit zu befördern. Sodann stellt sich zweitens im Verhältnis von Unionsrecht und nationalen Rechtsordnungen die Frage, welche Anforderungen sich aus dem Unionsrecht für die Existenz, die Funktionen und die Initiativberechtigung zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Private bei Verletzung unio344
Dazu oben Fn. 231.
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§ 2 Ziel, Einbettung und Ansatz der Untersuchung
naler Rechte ergeben (zusammenfassend § 9 I, II, III → S. 497, 539, 555). Es geht damit um eine Untersuchung der Indienstnahme des Schadensersatzanspruchs als Instrument zur dezentralen Durchsetzung des Unionsprivatrechts durch Private. Die Untersuchung der allgemeinen Vorgaben für die Durchsetzung unionaler Rechte durch Schadensersatzansprüche leitet drittens über zu den Konsequenzen für die konkrete Ausgestaltung der Schadensersatzvorschriften in den Mitgliedstaaten, wenn es um die Folgen für den Verstoß gegen unionale Rechte geht. So bemüht man sich in Deutschland traditionell um ein allgemeines und übergreifendes Verständnis des Schadensrechts, das insbesondere in den §§ 249 ff. BGB, aber auch im Verschuldensprinzip zum Ausdruck kommt.345 Auch wenn unbestreitbar die Besonderheiten der einzelnen Sachgebiete die Entwicklung des Schadensrechts beeinflusst haben, so ist es nach wie vor zumindest im Grundsatz möglich, höchstrichterliche schadensrechtliche Entscheidungen zu einer bestimmten Teilmaterie auf andere Bereiche des Privatrechts zu übertragen. Indes wirft die sektorbezogene Ausdifferenzierung des Unionsrechts die Frage auf, ob an diesem Konzept einer allgemeinen Regelung des Schadensersatzes in den unionsrechtlich überformten Rechtsmaterien festgehalten werden kann.346 Infolge der Autonomie und des Vorrangs des Unionsprivatrechts kann die Antwort nur aus der Perspektive des Unionsrechts gegeben werden, so dass die Frage nach Einheit oder Vielfalt der Haftungsfolgen für Unionsrechtsverstöße im Hinblick auf die Ausgestaltung der Schadensersatzansprüche ein drittes Ziel dieser Untersuchung ist. Die Suche nach übergreifenden Vorgaben für den Schadensersatz ist schließlich viertens nicht nur für das Verhältnis des Unionsrechts zum nationalen Recht, sondern auch innerhalb des Unionsrechts von Interesse. Trotz Zur übergreifenden Begriffsbildung im Schadensrecht Zimmermann in: Zimmermann (Hrsg.) Grundstrukturen eines Europäischen Bereicherungsrechts (2005) 17, 20; Jansen in: Historisch-kritischer Kommentar II/1 (2007) §§ 249–253, 255 Rn. 31 f., 19 ff. Zum Grundsatz der Einheitlichkeit des Schadensrechts auch bei Einbeziehung der Gefährdungshaftung Lukes Reform der Produkthaftung (1979) S. 97 ff. Skeptisch gegenüber einem allgemeinen Teil des Schadensersatzrechts demgegenüber Schmidt-Kessel in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 331, 338. Für die übergreifende Geltung des Schadensrechts der §§ 249 ff. BGB BGH 13.12.2011, BGHZ 192, 90 Rn. 51 – IKB: „§ 249 BGB als Basisnorm des gesamten Schadensrechts“. 346 Zum möglichen Kohärenzverlust auf nationaler Ebene infolge der Umsetzungsverpflichtung der fragmentierten europäischen Regeln auch Herresthal in: Karlsruher Forum 2015: Europäisierung des Haftungs- und des Versicherungsvertragsrechts (2016) 92, 93 f.; Wilman Private enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 10.42, der auch auf mögliche Ungleichbehandlungen bei der Durchsetzung unional und national garantierter Rechte hinweist (Rn. 10.43). Zum Eigenwert nationaler Regelungsstrukturen vgl. EuGH 5.12.2013, Rs. C-413/12, ECLI:EU:C:2013:800 Rn. 38 – ACICL: „die ein allgemeines Interesse der geordneten Rechtspflege und der Vorhersehbarkeit verfolgen“. 345
II. Einbettung in den Stand der Forschung
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der grundsätzlichen Zurückhaltung des Gerichtshofs bei der Ausprägung allgemeiner Grundsätze des Unionsprivatrechts wird in jüngeren Entscheidungen ein Trend zur rechtsaktübergreifenden Auslegung erkennbar, zumindest wenn die parallelen Rechtsakte zu demselben oder verwandten Sachgebieten zählen (dazu noch § 2 III 2 → S. 99). Das vierte und wohl wichtigste Ziel dieser Untersuchung liegt daher in der Stärkung solcher Bemühungen um Kohärenz der Unionsrechtsordnung auf dem Gebiet des Schadensersatzes, indem bereits akzeptierte Lösungen aus einzelnen Teilgebieten des Unionsrechts auf ihre Verallgemeinerungsfähigkeit untersucht werden (zusammenfassend § 9 IV-X → S. 573–631). Derartig übergreifende Konzepte wären nicht nur hilfreich, um Regelungslücken oder Auslegungsunsicherheiten im Sekundärrecht auszufüllen, ohne auf eine Entscheidung des Gerichtshofs zum konkreten Rechtsakt warten zu müssen. Übergreifende Konzepte könnten darüber hinaus auch als Inspirationsquelle dienen, um den unklaren und kasuistischen Effektivitätsgrundsatz und damit die allgemeinen Anforderungen an die nationalen Schadensersatzvorschriften zur Durchsetzung unionaler Rechte zu konturieren. Schließlich kann eine solche Untersuchung auch die Grundlage für eine Konsolidierung des Unionsrechts in einer rechtsgebietsbezogenen oder sogar rechtsgebietsübergreifenden Durchsetzungsrichtlinie legen, wie sie in Teilmaterien des Unionsrechts bereits erlassen wurde.347 II. Einbettung in den Stand der Forschung Angesichts der zentralen Stellung des Schadensersatzanspruchs verwundert es nicht, dass an wissenschaftlichen Untersuchungen zum Schadensersatzund Haftungsrecht kein Mangel besteht. Das Erkenntnisinteresse dieser Arbeiten ist breit gefächert und reicht von überwiegend dogmatischen und dogmatisch-historischen und/oder dogmatisch-rechtvergleichenden348 bis hin zu Siehe etwa die Richtlinie 2004/48 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums oder die Richtlinie 89/665 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in Verbindung mit der Richtlinie 2007/66 zur Änderung der Richtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG im Hinblick auf die Verbesserung der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren bezüglich der Vergabe öffentlicher Aufträge. Skeptisch gegenüber einer generellen Kodifikation der Rechtsfolgen (auch für unionsrechtlich nicht harmonisierte Rechte) Leczykiewicz ERCL 8 (2012) 47, 74 ff., 81. 348 Aus jüngerer Zeit etwa von Bar Verkehrspflichten (1980); ders. Gemeineuropäisches Deliktsrecht I (1996); ders. Gemeineuropäisches Deliktsrecht II (1999); Brüggemeier Prinzipien des Haftungsrecht (1999); ders. Haftungsrecht (2006); Looschelders Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten im Privatrecht (1999); Dreier Kompensation und Prävention (2002); Gsell Substanzverletzung und Herstellung (2003); Jansen Die Struktur des Haftungsrechts (2003); G. Wagner in Zimmermann Grundstrukturen eines Europäischen Deliktsrechts (2003) S. 189 ff.; Ady Ersatzansprüche wegen immaterieller Einbußen (2004); Mäsch Chance und Schaden (2004); Ebert Pönale Elemente im deutschen Privat347
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§ 2 Ziel, Einbettung und Ansatz der Untersuchung
(auch) rechtsökonomischen349 Studien. Trotz seiner zentralen Stellung im Unionsprivatrecht finden sich aber bisher nur vereinzelt Monographien, die sich übergreifend und querschnittsartig mit der Rechtsfolge des Schadensersatzes aus der spezifischen Perspektive des geltenden Unionsprivatrechts befassen.350 Vielmehr bezeichnen die meisten Arbeiten, die das Adjektiv „europäisch“ im Titel oder im Untersuchungsgegenstand erwähnen, damit entweder eine rechtsvergleichende Untersuchung zum allgemeinen Deliktsrecht, und/oder sie wenden den Blick auf die gemeinsamen Wurzeln des heute geltenden Rechts (acquis commun).351 Im Kern lässt sich die Fokussierung auf die wertende Rechtsvergleichung352 auch für die in den letzten Jahren entwickelten Modellregeln der Principles of European Tort Law (PETL)353 und des sechsten Buches354 des recht (2004); Koziol Grundfragen des Schadensersatzrechts (2010); Schubert Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden im Privatrecht (2013); van Dam European Tort Law2 (2013) (Rechtsvergleich D, E, F und EU-Staatshaftungsrecht). 349 Aus jüngerer Zeit etwa Thüsing Wertende Schadensberechnung (2001); G. Wagner Verhandlungen des sechsundsechzigsten Deutschen Juristentages (2006) I A 20 ff.; ders. in: Eger/Schäfer (Hrsg.) Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung (2007) 605, 618 ff.; Ehlgen Probabilistische Proportionalhaftung und Haftung für den Verlust von Chancen (2013); Korch Haftung und Verhalten (2015); Franck Marktordnung durch Haftung (2016). 350 So etwa Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003); Oskierski Schadensersatz im Europäischen Recht (2010); Weitenberg Der Begriff der Kausalität in der haftungsrechtlichen Rechtsprechung der Unionsgerichte (2014). Diese Arbeiten setzen andere Schwerpunkte als die vorliegende Untersuchung, insofern sie sich stärker auf die Staatshaftung (Art. 340 Abs. 2 AEUV, Francovich, Art. 41 EMRK) und die Haftung der Union als Dienstherr konzentrieren und das Sekundärrecht weniger berücksichtigen. Zu den Quellen des Deliktsrechts auf europäischer Ebene bereits Magnus ZEuP 1998, 602, 606 ff. Zu nennen ist auch die Arbeit von Dannemann Schadensersatz bei Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (1994), der sich mit dem Schadensersatz nach Art. 41 (vormals Art. 50) EMRK befasst, und die Beiträge in Koziol/Schulze Tort Law of the European Community (2008). Zur Durchsetzung des Unionsrechts durch Private sind die Arbeiten von Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012); Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) und Franck Marktordnung durch Haftung (2016) zu nennen. Diese Untersuchungen haben einen mindestens teilweise verschiedenen Untersuchungsgegenstand und konzentrieren sich weniger auf die hier interessierenden Aspekte des bürgerlichen Deliktsrechts, sondern stärker auf das Sonderdeliktsrecht v. a. des Wettbewerbs- und Kapitalmarktrechts. 351 So etwa Jansen Die Struktur des Haftungsrechts (2003). 352 Gleiche Einschätzung der PETL und des DCFR durch Schulze in: Schulze (Hrsg.) Compensation of Private Losses (2011) 3, 6 f.: „Amongst the many comparative law research projects in this field“. 353 European Group on Tort Law Principles of European Tort Law – Text and Commentary (2005); zu einer Würdigung Jansen RabelsZ 70 (2006) 732, 752 ff.; für einen konzisen Vergleich von PETL und DCFR Koziol in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 5, 8 ff.
II. Einbettung in den Stand der Forschung
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Draft Common Frame of Reference (DCFR) über „Non-contractual liability arising out of damage caused to another“355 feststellen. Zwar verfolgen diese Arbeiten – anders als frühere Werke – nicht nur rein akademische Ziele, sondern wollen auch eine Blaupause zur Rechtsharmonisierung in Europa bereitstellen.356 Indes wird es wohl – auch mit Blick auf die kritische Rezeption der Modellregeln in der Wissenschaft357 und die sektorbezogene Gesetzgebung der Union – noch längere Zeit dauern, bis eine derart umfassende Harmonisierung des Haftungs- und Schadensrechts den Weg in das europäische Amtsblatt finden wird.358 Es kommt hinzu, dass die PETL und der DCFR offenbar in erster Linie aufgrund einer wertend-rechtsvergleichenden Untersuchung des allgemeinen Delikts- und Schadensrechts formuliert worden sind,359 während die vor allem im Sonderdeliktsrecht verbreiteten genuin unionsrechtlichen Vorbilder weniger stark wahrgenommen wurden.360 Zudem gehen beide 354 Regeln für den vertraglichen Schadensersatz finden sich auch im Abschnitt „Remedies for non-performance“ in Buch 3, Kapitel 3. 355 von Bar/Clive/Schulte-Nölke Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law – Draft Common Frame of Reference (DCFR) Full Edition IV, book VI: Noncontractual liability arising out of damage caused to another (2009). Siehe die ausführliche Diskussion bei Schmidt-Kessel in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privatund Wirtschaftsrecht (2012) 331; siehe auch die Untersuchung des Verhältnisses von Vertrags- und Produkthaftung nach dem DCFR von Gsell in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 281, 286 ff. 356 Für die Principles of European Tort Law (PETL) Spier in: European Group on Tort Law, Principles of European Tort Law – Text and Commentary (2005) General Introduction Rn. 30: „The goal of our Principles is to serve as a basis for the enhancement and harmonisation of the law of torts in Europe“; für den DCFR von Bar/Clive/Schulte-Nölke Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law – Draft Common Frame of Reference (DCFR) Full Edition volume I (2009) Introduction Rn. 6: „this DCFR is (among other things) a possible model for an actual or ‘political’ Common Frame of Reference (CFR)“. 357 Zum DCFR etwa Zimmermann ERCL 8 (2012) 367, 397: „It now appears to be widely acknowledged that the DCFR project was an overambitious aberration.“ 358 Zurückhaltend auch Basedow (2009) 83 Tulane Law Review 83 (2009) 973, 974: „It follows, at least for the intial phase of European codification, that a European instrument should not supersede but supplement the national civil codes.“ 359 Siehe den Befund von Koziol in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 5, 10: „PETL und DCFR haben im Wesentlichen den heute in Europa gesicherten Bestand des Schadensersatzrechts festgehalten, aber doch auch einige bahnbrechende Neuerungen, wie etwa die weitgehende Anerkennung der Proportionalhaftung durch die PETL, vorgeschlagen.“ 360 So entfalten die erläuternden Notes zu Aim and Form of Reparation in VI.-6:101 DCFR (der Auftaktnorm des Deliktsrechts im DCFR) ein beeindruckendes rechtsvergleichendes Panorama, ohne allerdings – soweit ersichtlich – eine einzige Entscheidung des EuGH oder einen Rechtsakt des Unionsrechts zu zitieren. Ähnliches gilt etwa für die Norm zur Kausalität in VI.-4:101 DCFR, obgleich es durchaus Judikatur des EuGH zur Kausalität gibt, siehe die Nachweise in Fn. 419 und nunmehr eingehend Weitenberg Der Begriff der Kausalität in der haftungsrechtlichen Rechtsprechung der Unionsgerichte (2014). Die Unter-
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§ 2 Ziel, Einbettung und Ansatz der Untersuchung
Regelwerke explizit über den acquis hinaus und verstehen sich nicht lediglich als restatement des Schadensersatzrechts in Europa.361 Demgegenüber nimmt die vorliegende Arbeit eine unionsrechtsimmanente Perspektive ein (sogleich § 2 III 1 → S. 93) und hält sich mit Regelungsvorschlägen für unionsrechtlich nicht überformte Materien zurück. Sie konzentriert sich deshalb auf das geltende Unionsprivatrecht und die Kasuistik des EuGH362 und kann die Vorschläge der PETL wie des DCFR nur punktuell berücksichtigen. Einbezogen werden demgegenüber die Principles of the Existing EC Contract Law (Acquis Principles),363 da der dort zugrunde gelegte Ansatz eines restatement des geltenden Unionsprivatrechts dem Zugang dieser Arbeit entspricht. III. Eigener Ansatz Mit der Abgrenzung zum Stand der Forschung ist bereits der Ansatz der Untersuchung umrissen: Sie zielt weder auf eine dogmatische Binnenuntersuchung gewichtung des Unionsrechts im sechsten Buch des DCFR gerade vor dem Hintergrund des Effektivitätsgrundsatzes kritisiert auch Leczykiewicz ERCL 8 (2012) 47, 69 Fn. 86 und 87: „No attempt is also made to connect these notions with the terminology currently used in EU law, such as that of ‘direct effect’ and the ‘granting of rights to individuals’.“ Leczykiewicz ERCL 8 (2012) 47, 72 resümiert: „The use of inapt concepts (‘public function’, ‘statutory provisions’) and the inclusion of provisions whose content does not reflect existing EU law might suggest that the drafters of the DCFR ignored the acquis and the specific legal and institutional setting in which their provisions on non-contractual liability would have to operate.“ Selbst wenn man die Kritik in dieser Form nicht teilt (vgl. auch Art. VI.-2:208 DCFR), so erscheint es nicht übertrieben zu behaupten, dass die Folgen der Einstrahlung des bestehenden Unionsrechts einschließlich des Effektivitätsgrundsatzes für das nationale Schadensersatzrecht (also der Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit) bei der Abfassung des DCFR zumindest nicht im Vordergrund standen. Ähnliches dürfte, soweit ersichtlich, für die Principles of European Tort Law gelten. So verweist etwa der „Overview of Existing Liability Systems“ in den Comments zur Introduction Chapter 2 Damage Rn. 8 allein auf Vorbilder aus den nationalen Rechtsordnungen. Auch die Ausführungen zur Kausalität in den Comments zu Art. 3:101 ff. PETL erwähnen nicht die Rechtsprechung der Unionsgerichte zum unmittelbaren Kausalzusammenhang, und die Comments zum Verschuldenserfordernis (Art. 4:101 PETL) nehmen nicht auf die Diskussion zum Verzicht auf das Verschuldenserfordernis im Kartelldeliktsrecht (vgl. unten § 4 IV → S. 193) oder im Antidiskriminierungsrecht (EuGH 8.11.1990, Rs. C-177/88, Slg. 1990, I-3941 Rn. 25 f. – Dekker) Bezug. 361 Für die Principles of European Tort Law (PETL) Spier in: European Group on Tort Law, Principles of European Tort Law – Text and Commentary (2005) General Introduction Rn. 31: „The Principles are not a restatement of the law of torts in Europe“; allgemein Schulze in: Schulze (Hrsg.) Compensation of Private Losses (2011) 3, 11: „drafts on noncontractual liability will therefore be able to claim, to a lesser extent than the aforementioned drafts on European contract law, to consistently represent ‘common principles’ or an ‘acquis commun’ of European private law.“ 362 Ähnliche Ausgrenzung auch bei Fuchs FS Medicus (2009) 89, 90. 363 Research Group on the Existing EC Contract Law – Principles of the Existing EC Contract Law (Acquis Principles) Contract II (2009).
III. Eigener Ansatz
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des Schadensersatzes innerhalb der deutschen Rechtsordnung noch ist ein Vergleich zwischen den Schadensersatzvorschriften unterschiedlicher nationaler Rechtsordnungen beabsichtigt. Vielmehr geht es um eine induktive364 unionsrechtsimmanente und rechtsgebietsübergreifende Untersuchung des Schadensersatzes anhand der drei Einflussebenen des europäischen Rechts, nämlich der Rahmensetzung durch den Effektivitätsgrundsatz, der Rechtsharmonisierung durch Richtlinien und der Rechtsvereinheitlichung durch Verordnungen. Obwohl die Vorgaben des Effektivitätsgrundsatzes weitreichende Konsequenzen für die zivilrechtlichen Rechtsfolgen und die Verfahrensvorschriften haben, blieben sie in der privatrechtlichen Forschung lange Zeit unbeachtet. Die Aufmerksamkeit konzentrierte sich stattdessen auf rechtsvergleichende Arbeiten mit dem Ziel einer umfassenden Angleichung des Privatrechts oder zumindest des Vertragsrechts in Europa, zu der verschiedene Wissenschaftlergruppen Regelungsvorschläge präsentierten (dazu § 2 II → S. 89). Jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist aus politischen Gründen nicht zu erwarten, dass diese Vorschläge in absehbarer Zukunft Gesetz werden. Gleichzeitig nimmt in der Gerichtspraxis und der Gesetzgebung der Union die Bedeutung des Effektivitätsgebots und seiner legislatorischen Ausprägungen in Gestalt sachgebietsspezifischer Rechtsdurchsetzungsvorschriften stetig zu. Viele dieser Entwicklungen, wie etwa die Verpflichtung zur Überwälzung des Kapitalanlagerisikos bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung des Verbrauchers oder die Ausdehnung der Produkthaftung bei Medizinprodukten, wurden in der Literatur als überraschende Neuerungen aufgefasst und regelmäßig allein im Kontext der betreffenden Sachmaterie diskutiert, obwohl sie sich doch aufgrund der Vorgaben des Effektivitätsgrundsatzes als übergreifender Trend lange andeuteten. Aufgrund des politischen Scheiterns eines umfassenden Angleichung des Vertrags- oder Haftungsrechts in Europa ist absehbar, dass jedenfalls in den nächsten Jahren der Effektivitätsgrundsatz und die partielle Harmonisierung der Rechtsfolgen in ausgewählten Sachmaterien die entscheidenden Schrittmacher der Europäisierung im Bereich der zivilrechtlichen Rechtsfolgen und des Verfahrensrechts sein werden. Gleichzeitig wirft die einzelfall- und sachgebietsbezogene Entwicklung das Problem auf, dass die rechtsgebietsübergreifende Perspektive aus dem Blick gerät und die zivilrechtlichen Rechtsfolgen entlang der Grenzen der Einzelrechtsakte zum Nachteil der Rechtssicherheit zerfasern. 1. Unionsrechtsimmante Untersuchung Für eine Ausrichtung der Untersuchung auf das Unionsprivatrecht spricht in erster Linie die Autonomie des Unionsrechts.365 Nach dieser Maxime müssen 364 Zum Induktionsschluss im Europäischen Privatrecht und seinen erkenntnistheoretischen Grundlagen Metzger Extra legem, intra ius: Allgemeine Rechtsgrundsätze im Europäischen Privatrecht (2009) S. 36 ff., 59, speziell zur Begründung des Effektivitätsgrundsatzes S. 362.
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§ 2 Ziel, Einbettung und Ansatz der Untersuchung
„die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich366 auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel 367 in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten“.368
365 So auch Jansen ZEuP 2004, 441, 443: „Denn hier [im Unionsrecht] will der EuGH den Rückgriff auf national geprägte Termini und Denkmuster möglichst vermeiden und eine autonome Dogmatik entwickeln.“ 366 Für Beispiele eines (expliziten) Verweises auf nationales Recht EuGH 30.1.1997, Rs. C-340/94, Slg. 1997, I-461 Rn. 19 – de Jaeck; EuGH (Große Kammer) 5.7.2011, Rs. C-263/09 P, Slg. 2011, I-5853 Rn. 44, 47 ff. – Edwin Co Ltd.; EuGH 22.11.2012, Rs. C-116/11, ECLI:EU:C:2012:739 Rn. 49 f. – Bank Handlowy und Adamiak (zu Art. 4 Abs. 2 lit. j EuInsVO 2000: „Voraussetzungen und Wirkungen der Beendigung des Insolvenzverfahrens“). In manchen Fällen hat der EuGH explizite Verweise auf das nationale Recht der Mitgliedstaaten in autonome Begriffe umgedeutet, z. B. die Beweislast für den Nachweis der Verwechslungsgefahr nach der alten Markenrichtlinie 2008/95 (vgl. Erwägungsgrund 11 a. E. RL 2008/95, zur Umdeutung EuGH 18.10.2005, Rs. C-405/03, Slg. 2005, I-8735 Rn. 73 ff. – Class International; EuGH 9.11.2006, Rs. C-281/05, Slg. 2006, I-10881 Rn. 26 – Diesel ) oder die – zumindest partielle – unionsrechtliche Konkretisierung des Begriffs der „Belästigung“ in Art. 2 Abs. 3 Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78 (trotz des Verweises auf die „einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“), dazu EuGH (Große Kammer) 17.7.2008, Rs. C-303/06, Slg. 2008, I-5603 Rn. 58 ff. – Coleman (dieses Beispiel wählt W.-H. Roth CMLR 40 (2003) 937, 948 – vor Coleman – für die Konkretisierungsbefugnis der Mitgliedstaaten). Siehe auch den Kriterienkatalog für einen Verweis auf nationale Begriffe bei Scheibeler Begriffsbildung durch den Europäischen Gerichtshof – autonom oder durch Verweis auf die nationalen Rechtsordnungen (2004) S. 285 f. 367 Für ein (seltenes) Beispiel eines impliziten Verweises auf nationales Recht EuGH 12.12.1996, Rs. C-74/95 und C-129/95, Slg. 1996, I-6609 Rn. 30 – Strafverfahren gegen X; zu einer Vorfrage bei Auslegung der Grundfreiheiten EuGH (Große Kammer) 16.12.2008, Rs. C-210/06, Slg. 2008, I-9641 Rn. 109 – Cartesio; zum impliziten Verweis auch Franzen Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft (1999) S. 476 ff.; speziell zum Schadensbegriff in der Pauschalreiserichtlinie W.-H. Roth CMLR 40 (2003) 937, 947 ff., 949. Zur Seltenheit des impliziten Verweises vgl. die übliche Herangehensweise des Gerichtshofs am Beispiel von EuGH (Große Kammer) 3.7.2012, Rs. C-128/11, ECLI:EU:C:2012:407 Rn. 40 – UsedSoft: „Der Wortlaut der Richtlinie 2009/24 verweist in Bezug auf die Bedeutung des Begriffs ‚Verkauf ‘ in Art. 4 Abs. 2 nicht auf die nationalen Rechtsvorschriften. Dieser Begriff ist daher für die Anwendung dieser Richtlinie als autonomer Begriff des Unionsrechts anzusehen, der im gesamten Gebiet der Union einheitlich auszulegen ist.“ Allerdings überlässt der Gerichtshof den nationalen Gerichten neben der Tatsachenfeststellung (vgl. EuGH (Große Kammer) 18.6.2009, Rs. C487/07, Slg. 2009, I-5185 Rn. 33 – L’Oréal; EuGH 25.4.2013, Rs. C-81/12, ECLI:EU: C:2013:275 Rn. 41 – Accept) und der konkreten Subsumtion (vgl. EuGH 18.11.2010, Rs. C-159/09, Slg. 2011, I-11761 Rn. 33 – Lidl SNC; EuGH 12.5.2011, Rs. C-122/10, Slg. 2011, I-3903 Rn. 48, 58, 70 f. – Ving Sverige; siehe bereits EuGH 27.3.1963, Rs. 28/62 bis 30/62, Slg. 1963, 63, 81 – da Costa) zuweilen auch die Konkretisierung von Rechtsbegriffen oder die Abwägung widerstreitender (Grundrechts-)Positionen im Einzelfall, zur Missbräuchlichkeitskontrolle von Vertragsklauseln EuGH 1.4.2004, Rs. C-237/02, Slg. 2004, I-3403 Rn. 22 – Freiburger Kommunalbauten; EuGH 16.11.2010, Rs. C-76/10, Slg. 2010,
III. Eigener Ansatz
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Zwar erfolgt auch die autonome Auslegung nicht vollkommen losgelöst von Vorbildern in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten,369 zumal die Gesetzgebung häufig auf rechtsvergleichenden Vorarbeiten basiert.370 Allerdings
I-11557 Rn. 56, 60 – Pohotovosť; zur Abwägung von Grundrechtspositionen EuGH (Große Kammer) 29.1.2008, Rs. C-275/06, Slg. 2008, I-271 Rn. 68 – Promusicae; zur Abgrenzung von Körper- und Sachschäden bei Zerstörung einer Spenderniere außerhalb des Körpers EuGH 10.5.2001, Rs. C-203/99, Slg. 2001, I-3569 Rn. 27 – Veedfald: „bleibt es dem nationalen Gesetzgeber überlassen, diese beiden Schadensarten genauer zu definieren“. Aus dem Schrifttum für eine umfassende Konkretisierungskompetenz des EuGH Röthel Normkonkretisierung im Privatrecht (2004) S. 407; Basedow AcP 210 (2010) 157, 173; Rösler Europäische Gerichtsbarkeit auf dem Gebiet des Zivilrechts (2012) S. 451 ff.; Stempel Treu und Glauben im Unionsprivatrecht (2016) S. 168: „Der EuGH bestimmt letztverbindlich darüber, welchen Klauselinhalt die Generalklausel verbietet. Das nationale Gericht hat dann als Tatfrage zu beurteilen, ob die ihm vorliegenden Klausel so zu verstehen ist, dass sie tatsächlich einen verbotenen Inhalt hat oder nicht.“ A. A. W.-H. Roth FS Drobnig (1998), 135, 140 ff.; zum Schadensbegriff der Pauschalreiserichtlinie 90/314 ders. CMLR 40 (2003) 937, 947 ff.; differenzierend Schillig Konkretisierungskompetenz und Konkretisierungsmethoden im Europäischen Privatrecht (2009) S. 244 f. (nach Rechtsgrundlage und Zielsetzung des jeweiligen Rechtsakts); M. Schmidt Konkretisierung von Generalklauseln im europäischen Privatrecht (2009) S. 62 (bei Verordnungen umfassende Konkretisierungskompetenz des EuGH, bei Richtlinie allgemeingültige Kompetenzzuweisung nicht möglich); Martens Methodenlehre des Unionsrechts (2013) S. 518 (maßgeblich, „inwieweit bei der Konkretisierung [der Generalklausel bereits] auf Wertungen des Unionsrechts zurückgegriffen werden kann“). Für umfassende Konkretisierungskompetenz des EuGH im Kontext des Lauterkeitsrechts, insbesondere des Art. 5 Abs. 2 RL 2005/29 Sosnitza WRP 2006, 1, 6; Stuyck/Terryn/van Dyck CMLR 43 (2006) 107, 138 ff.; Leistner ZEuP 2009, 56, 83; Apetz Das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken (2011) S. 63 f. Die Konsequenzen dieser Rechtsprechung für das Schadensrecht werden im Zusammenhang mit der Produkthaftungsrichtlinie 85/374 erläutert, dazu unten § 7 V 1 → S. 394. 368 EuGH (Große Kammer) 18.10.2011, Rs. C-34/10, Slg. 2011, I-9821 Rn. 25 – Brüstle (siehe auch den Hinweis auf die Binnenmarktharmonisierung Rn. 27 f. als Argument für autonome Auslegung); siehe auch bereits EuGH 18.1.1984, Rs. 327/82, Slg. 1984, 107 Rn. 11 – Ekro; EuGH 19.9.2000, Rs. C-287/98, Slg. 2000, I-6917 Rn. 43 – Linster; zum Schadensrecht EuGH 14.3.2013, Rs. C-420/11, ECLI:EU:C:2013:166 Rn. 24 – Leth; ferner EuGH 7.12.2006, Rs. C-306/05, Slg. 2006, I-11519 Rn. 31 – SGAE; EuGH 14.12.2006, Rs. C-316/05, Slg. 2006, I-12083 Rn. 21 – Nokia; EuGH (Große Kammer) 3.7.2012, Rs. C-128/11, ECLI:EU:C:2012:407 Rn. 39 – UsedSoft; siehe bereits EuGH 19.3.1964, Rs. 75/63, Slg. 1964, 379, 396 – Unger. 369 Zu den allgemeinen Grundsätzen des Zivilrechts bereits die Nachweise in Fn. 55. Lehrreich zur unterschiedlichen Handhabung der richtlinienkonformen Auslegung in Deutschland und Frankreich Babusiaux Die richtlinienkonforme Auslegung im deutschen und französischen Zivilrecht (2007) S. 123: „zweifelhafte Angleichung“. Selbst wenn der Befund in der Praxis der nationalen Gerichte zutreffen mag, so ändert dies nichts an dem normativen Ziel, dass das Unionsrecht autonom auszulegen ist. 370 Für ein Beispiel siehe die Begründung des Vorschlags für eine Richtlinie über die Maßnahmen und Verfahren zum Schutz der Rechte an geistigem Eigentum KOM(2003) 46
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§ 2 Ziel, Einbettung und Ansatz der Untersuchung
kommt der klassischen Rechtsvergleichung371 zumindest in der jüngeren Rechtsprechung372 des EuGH eine eher untergeordnete Bedeutung bei der Fortentwicklung des Unionsrechts zu.373 Zum einen sind ihre Einflüsse schwer ausS. 14 ff, 21 (zu Art. 5), 22 (zu Art. 8), 24 (zu Art. 11); allgemein Heiderhoff Europäisches Privatrecht4 (2016) Rn. 112. 371 Zum Erfordernis einer stärker „horizontalen Rechtsvergleichung“ zur Umsetzung von Unionsrecht in den Mitgliedstaaten („komparative Implementationsforschung“) Rösler Europäische Gerichtsbarkeit auf dem Gebiet des Zivilrechts (2012) S. 437 f. 372 In den ersten Jahren der Union (damals Gemeinschaft) mag dies anders gewesen sein, siehe die Beispiele bei Anweiler Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (1997) S. 286 ff., dessen jüngstes Beispiel (EuGH 18.5.1982, Rs. 155/79, Slg. 1982, 1575 Rn. 19 ff. – AM & S ) 35 Jahre zurückdatiert. 373 Siehe etwa die – trotz rechtsvergleichender Schlussanträge – auf die Pauschalreiserichtlinie fokussierte Argumentation in EuGH 12.3.2002, Rs. C-168/00, Slg. 2002, I-2631 Rn. 20 ff. – Leitner; siehe auch die explizite Zurückweisung eines rechtsvergleichenden Zugangs in den Schlussanträgen des Generalanwalts Alber vom 24.10.2002, Rs. C-63/01, Slg. 2003, I-14447 Rn. 35 – Evans. Aus der Literatur Höpfner/Rüthers AcP 209 (2009) 1, 17: „kein eigenständiges Auslegungskriterium“; Metzger Extra legem intra ius – Allgemeine Rechtsgrundsätze im Europäischen Privatrecht (2009) S. 556, der einen Bedeutungsverlust der aus der Rechtsvergleichung geschöpften Rechtsgrundsätze prognostiziert; Smits in: Twigg-Flessner (Hrsg.) The Cambridge Companion to European Union Private Law (2010) 33, 40: „autonomous interpretation is not usually based on comparative work“; Glöckner EWS 2011, 359, 365; Rösler Europäische Gerichtsbarkeit auf dem Gebiet des Zivilrechts (2012) S. 459 ff. (der stärker rechtsvergleichende Ausführungen aber befürwortet); Riesenhuber in: Riesenhuber (Hrsg.) Europäische Methodenlehre3 (2015) § 10 Rn. 6 f., 39 zur Bedeutung der autonomen Auslegung und der „grundsätzliche[n] Irrelevanz eines ‚Vorbildrechts‘“; Schwartze in: Riesenhuber (Hrsg.) Europäische Methodenlehre3 (2015) § 4 Rn. 29: EuGH sei „nicht verpflichtet, rechtsvergleichende Analysen vorzunehmen“; zur Leitner-Entscheidung auch Tonner ZEuP 2003, 619, 624, 627 f.: rechtsvergleichende Argumente nicht tragend für den Entscheidungsvorschlag; sie unterstützten lediglich das durch Auslegung von Gemeinschaftsrechtsakten gefundene Ergebnis; siehe auch Henninger Europäisches Privatrecht und Methode (2009) S. 294: „Aus der Einordnung in die teleologische Auslegung resultiert, dass der EuGH bei der Abwägung im Rahmen der Rechtsvergleichung häufig eine Rechtsregel auswählt, die dem Integrationsziel der Gemeinschaft entspricht (sog. ‚wertende Rechtsvergleichung’), anstatt den gemeinsamen Nenner der Rechte der Mitgliedstaaten zu übernehmen.“ Für eine größere Bedeutung der Rechtsvergleichung Everling ZEuP 1997, 796, 802: „Im Unterschied zum Rückgriff auf die Rechtshistorie gehört der Rückgriff auf die Rechtsvergleichung zum täglichen Handwerkszeug des Gerichtshofs“; Anweiler Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (1997) S. 277 ff., der drei Haupanwendungsfälle (Art. 340 Abs. 2 AEUV, Gewinnung ungeschriebenen Unionsrechts, Erläuterung einer geschrieben Unionsrechtsnorm unterscheidet); Martens in: Busch u. a. (Hrsg.) Europäische Methodik: Konvergenz und Diskrepanz europäischen und nationalen Privatrechts – Jahrbuch junger Zivilrechtswissenschaftler 2009 (2010) 27, 32, 39; ders. Methodenlehre des Unionsrechts (2013) S. 150 f., 451 f., 493 ff.: wegen des Gebots der Unionstreue seien „Begriffe des Unionsrechts zwar grundsätzlich autonom, aber doch unter Berücksichtigung ihrer Verträglichkeit mit den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen zu bilden“ (494); Heiderhoff
III. Eigener Ansatz
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zumachen, weil die vergleichenden Vorarbeiten häufig nicht offengelegt werden und weil ein umfassender Vergleich aller nationalen Rechtsordnungen in einer Union mit 28 und mehr Teilrechtsordnungen kaum mehr zu leisten ist. Zum anderen nimmt als Folge der Verdichtung des Unionsrechts die Neigung zu selbstreferentieller Auslegung374 zum Nachteil der Rechtsvergleichung zu. Dieser Trend wird durch den Umstand befördert, dass das Unionsrecht gerade auf dem Gebiet des Wirtschaftsrechts eigene, von den Zielen der nationalen Rechtsordnungen zuweilen abweichende Ziele (etwa Binnenmarktintegration, unverfälschter Wettbewerb, Nichtdiskriminierung) verfolgt, die durch eine vergleichende Analyse der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen nicht adäquat abgebildet werden.375 Gerade bei konkreten Einzelfragen und subsumtionsfähigen Prinzipien greifbarer als ein rechtsvergleichender Zugang sind deshalb die Kriterien der autonomen und einheitlichen Auslegung,376 die sich anhand von Wortlaut,377 Systematik,378 Entstehungsgeschichte379 und Zielen380 der konkreten RegeEuropäisches Privatrecht4 (2016) Rn. 112. Für eine Abstimmung der rechtsvergleichenden Auslegung auf die jeweilige Auslegungsvariante (Entstehungsgeschichte, Systematik, Sinn und Zweck) Schwartze in: Riesenhuber (Hrsg.) Europäische Methodenlehre3 (2015) § 4 Rn. 26 ff. 374 Zum Verweis auf frühere Rechtsprechung Dederichs EuR 2004, 345, 346 ff.; dies. Die Methodik des EuGH – Häufigkeit und Bedeutung methodischer Argumente in den Begründungen des Gerichthofes der Europäischen Gemeinschaften (2004) S. 37 ff. 375 Wurmnest/Heinze in: Schulze (Hrsg.) Compensation of Private Losses (2011) 39, 50. Siehe etwa den Begriff der beruflichen Sorgfalt in Art. 5 Abs. 2 lit. a RL 2005/29, dem trotz seiner (möglichen) Beeinflussung durch nationale Vorbilder etwa aus dem italienischen Recht (Art. 2598 Nr. 3 Codice Civile) eine eigenständige autonome Bedeutung zukommt, vgl. Dröge Lauterkeitsrechtliche Generalklauseln im Vergleich (2007) S. 69 ff., 77 ff.; Dohrn Die Generalklausel der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (2008) S. 132 f. Gleiches gilt für das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken in Art. 8, 9 RL 2005/ 29, Apetz Das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken (2011) S. 52 f. 376 Dazu Anweiler Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (1997) S. 74 ff.; Martens Methodenlehre des Unionsrechts (2013) S. 329 ff. 377 Zum Wortlaut als Ausgangspunkt der Auslegung EuGH 12.5.2011, Rs. C-122/10 Slg. 2011, I-3903 Rn. 31 – Ving Sverige; bereits EuGH 21.12.1954, Rs. 1/54, Slg. 1954, 7, 27 – Französische Republik/Hohe Behörde. Maßgeblich ist der „gewöhnliche Sprachgebrauch“, EuGH 10.3.2005, Rs. C-336/03, Slg. 2005, I-1947 Rn. 21 – easyCar; EuGH 5.7.2012, Rs. C-49/11, ECLI:EU:C:2012:419 Rn. 32 f. – Content Services. Divergenzen zwischen den gleichwertigen (EuGH 17.9.2009, Rs. C-347/08, Slg. 2009, I-8661 Rn. 26 – Vorarlberger Gebietskrankenkasse) Sprachfassungen sind nach dem Zusammenhang und dem Zweck der Regelung aufzulösen, EuGH 27.10.1977, Rs. 30/77, Slg. 1977, 1999 Rn. 13/14 – Bouchereau; EuGH 10.7.2008, Rs. C-173/07, Slg. 2008, I-5237 Rn. 24 f. – Emirates Airlines; EuGH 9.6.2011, Rs. C-52/10, Slg. 2011, I-4973 Rn. 23 f. – Alter Channel. Zur Einbeziehung der Erwägungsgründe EuGH 22.12.2008, Rs. C-549/07, Slg. 2008, I-11061 Rn. 17 – Wallentin-Hermann. 378 Zur rechtsaktimmanenten systematischen Auslegung EuGH 28.7.2011, Rs. C-195/ 09, Slg. 2011, I-7011 Rn. 39 ff. – Synthon; EuGH 2.9.2010, Rs. C-66/09, Slg. 2010, I-7943
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lung und des Gesamtrechtsaktes381 rationalisieren lassen.382 Es überrascht daher nicht, dass der Gerichtshof etwa bei der Auslegung des europäischen Rn. 42 – Kirin Amgen. Zum Grundsatz „singularia non sunt extendenda“ EuGH 20.1.2005, Rs. C-27/02, Slg. 2005, I-481 Rn. 42 f. – Engler; EuGH 15.4.2010, Rs. C-215/08, Slg. 2010, I-2947 Rn. 32 – E.Friz; zu seinen Grenzen EuGH 1.3.2012, Rs. C-166/11, ECLI:EU: C:2012:119 Rn. 27 – Nationale Nederlanden. Zur „eiusdem generis“-Regel EuGH (Große Kammer) 16.12.2008, Rs. C-73/07, Slg. 2008, I-9831 Rn. 41 – Satakunnan Markkinapörssi. Zur rechtsaktübergreifenden Auslegung bei Fn. 389. 379 Für Beispiele EuGH 3.4.2008, Rs. C-306/06, Slg. 2008, I-1923 Rn. 25 – 01051 Telecom; EuGH (Große Kammer) 4.10.2011, Rs. C-403/08 und C-429/08, Slg. 2011, I-9083 Rn. 201 f. – Football Association Premier League; EuGH 4.6.2015, Rs. C-497/13, ECLI:EU:C:2015:357 Rn. 54 – Faber. Zuweilen wird ein entstehungsgeschichtliches Argument dadurch verdeckt, dass sich der Gerichtshof auf die Schlussanträge des Generalanwalts bezieht, der sich wiederum auf die Entstehungsgeschichte stützt, siehe etwa EuGH 22.12.2010, Rs. C-393/09, Slg. 2010, I-13971 Rn. 38 – BSA mit Verweis auf die Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 14.10.2010, Rs. C-393/09, Slg. 2010, I-13971 Rn. 61 – BSA, der wiederum auf die Kommissionsbegründung verweist. Zu den Grenzen der entstehungsgeschichtlichen Auslegung EuGH (Große Kammer) 9.3.2010, Rs. C-518/07, Slg. 2010, I-1885 Rn. 29 – Kommission/Deutschland: keine Berücksichtigung entstehungsgeschichtlicher Argumente, wenn aufgrund von Wortlaut, Zielen und Systematik „klare Auslegung“ möglich ist; EuGH 3.12.1998, Rs. C-233/97, Slg. 1998, I-8069 Rn. 23 – KappAhl Oy; EuGH (Große Kammer) 10.1.2006, Rs. C-402/03, Slg. 2006, I-199 Rn. 42 – Skov und Bilka; EuGH 17.4.2008, Rs. C-404/06, Slg. 2008, I-2685 Rn. 32 – Quelle: nur Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte, wenn die Entwürfe in der endgültigen Fassung des Rechtsaktes Niederschlag fanden. Bei der Würdigung entstehungsgeschichtlicher Argumente zu beachten, dass der gegenwärtige Stand des Unionsrechts Referenzpunkt der Auslegung sein muss, EuGH 14.1.2010, Rs. C-304/08, Slg. 2010, I-217 Rn. 33 – Plus Warenhandelsgesellschaft; EuGH (Große Kammer) 9.11.2010, Rs. C-540/08, Slg. 2010, I-10909 Rn. 19 – Mediaprint; grundlegend EuGH 6.10.1982, Rs. 283/81, Slg. 1982, 3415 Rn. 20 – C.I.L.F.I.T. 380 Teleologische Erwägungen vermögen auch Wortlautbeschränkungen zu überwinden, EuGH 25.10.2001, Rs. C-112/99, Slg. 2001, I-7945 Rn. 35 f. – Toshiba; EuGH 19.4.2007, Rs. C-381/05, Slg. 2007, I-3115 Rn. 61 – de Landtsheer; EuGH (Große Kammer) 18.10.2011, Rs. C-34/10, Slg. 2011, I-9821 Rn. 31 f. – Brüstle. Für eine Auslegung anhand der in den Erwägungsgründen niedergelegten Ziele eines Rechtsaktes EuGH 15.4.2010, Rs. C-511/08, Slg. 2010, I-3047 Rn. 54 – Handelsgesellschaft Heinrich Heine; EuGH 27.1.2011, Rs. C-168/09, Slg. 2011, I-181 Rn. 38 – Flos; EuGH (Große Kammer) 18.10.2011, Rs. C-34/10, Slg. 2011, I-9821 Rn. 27 – Brüstle; EuGH 12.5.2011, Rs. C-122/ 10, Slg. 2011, I-3903 Rn. 29 – Ving Sverige; kritisch zur Vermischung der Ziele einer konkreten Vorschrift und des Gesamtrechtsakts Herresthal ZEuP 2009, 598, 604. Zur Auslegung anhand der Ermächtigungsgrundlage der Binnenmarktintegration EuGH 4.12.1997, Rs. C-97/96, Slg. 1997, I-6843 Rn. 18 ff. – Daihatsu. 381 Einzubeziehen sind nicht nur die konkret auszulegenden Normen, sondern auch die zugehörigen Erläuterungen und Definitionen an anderen Stellen des Rechtsaktes und die vorangestellten Erwägungsgründe (Art. 296 Abs. 2 AEUV), vgl. EuGH (Große Kammer) 25.10.2011, Rs. C-509/09 und C-161/10, Slg. 2011, I-10269 Rn. 55 – eDate Advertising: „In diesem Sinne ist der verfügende Teil eines Unionsrechtsakts untrennbar mit seiner Begründung verbunden und erforderlichenfalls unter Berücksichtigung der Gründe auszu-
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Deliktsgerichtsstands (Art. 5 Nr. 3 EuGVO 2001/Art. 7 Nr. 2 EuGVO 2012) eine Berücksichtigung des anwendbaren nationalen Rechts der außervertraglichen Haftung ausdrücklich zurückgewiesen hat, weil dies die Einheitlichkeit und Vorhersehbarkeit des Unionsrechts in Frage stelle und weil den Regeln des Unionsrechts „andere Erwägungen zugrunde liegen“.383 2. Rechtsgebietsübergreifende Untersuchung Während die autonome Auslegung dem gegenwärtigen Stand des Unionsrechts entspricht, lässt sich dies für den zweiten Zugang dieser Arbeit, die rechtsgebietsübergreifende Begriffsbildung im Schadensersatzrecht, nicht ohne weiteres behaupten. Gegen diese Hypothese lässt sich zunächst einwenden, dass der EuGH in dieser Hinsicht bisher zurückhaltend vorgeht und seine Argumentation regelmäßig auf den konkret auszulegenden Rechtsakt beschränkt (siehe bereits oben § 1 I 3 → S. 12).384 Gegen eine rechtsaktübergreifende Auslegung unter dem Gesichtspunkt der „Einheit der Unionsrechtsordnung“385 lässt sich auch vorbringen, dass die unterschiedlichen Regeln des Unionsrechts auf verschiedenen Ermächtigungsgrundlagen beruhen und unterschiedliche Regelungs- und Zielkonzeptionen verfolgen.386 So ist der übergreifende Ansatz von Generalanwalt Tizzano in der Rechtssache Leitner, der legen, die zu seinem Erlass geführt haben.“ Zwar können die Erwägungsgründe nicht herangezogen werden, um von den Bestimmungen des verfügenden Teils abzuweichen oder sie in offensichtlichem Widerspruch zu ihrem Wortlaut auszulegen, EuGH (Große Kammer) 10.1.2006, Rs. C-344/04, Slg. 2006, I-403 Rn. 76 – IATA und ELFAA. Indes wird die Schwelle zu einer offensichtlichen Abweichung zum Wortlaut nur selten erreicht werden, vgl. EuGH (Große Kammer) 10.1.2006, Rs. C-344/04, Slg. 2006, I-403 Rn. 76 – IATA und ELFAA: „Differenz nicht so erheblich, dass die Regelung widersprüchlich würde“. Schließlich vermögen die in den Erwägungsgründen niedergelegten Regelungsziele sogar den Wortlaut zu überspielen, dazu Fn. 380. 382 EuGH (Große Kammer) 25.10.2011, Rs. C-509/09 und C-161/10, Slg. 2011, I-10269 Rn. 54 – eDate Advertising; EuGH 22.9.2011, Rs. C-482/09, Slg. 2011, I-8701 Rn. 39 – Budějovický Budvar; EuGH 22.9.2011, Rs. C-244/10 und C-245/10, Slg. 2011, I-8777 Rn. 40 – Mesopotamia Broadcast; siehe bereits EuGH 6.10.1982, Rs. 283/81, Slg. 1982, 3415 Rn. 18 ff. – C.I.L.F.I.T.; zum Primärrecht EuGH 5.3.1963, Rs. 26/62, Slg. 1963, 1, 27 – van Gend & Loos: „Geist, Systematik und Wortlaut des Vertrages“. 383 EuGH 19.9.1995, Rs. C-364/93, Slg. 1995, I-2719 Rn. 18 f. – Marinari. 384 Kritisch deshalb u. a. zur Leitner-Entscheidung Basedow AcP 210 (2010) 157, 181 ff., 185 ff., 188: „Die Beschränkung auf solche Argumente, die sich aus dem jeweils in Frage stehenden Rechtsakt ergeben, schließt jegliche Schlussfolgerungen für die Anwendung anderer und ähnlicher Akte des Unionsrechts aus“ (etwa zur Frage des Ersatzes immaterieller Schäden nach dem Montrealer Übereinkommen). 385 Schmid Die Instrumentalisierung des Privatrechts durch die Europäische Union (2010) S. 715. 386 Schmid Die Instrumentalisierung des Privatrechts durch die Europäische Union (2010) S. 716.
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§ 2 Ziel, Einbettung und Ansatz der Untersuchung
zur Auslegung des Schadensbegriffs in der Pauschalreiserichtlinie 90/314 auch die Judikatur zur außervertraglichen Haftung der Union gemäß Art. 340 Abs. 2 AEUV herangezogen hat, gerade vor diesem Hintergrund kritisiert worden: Weder gebe es in der Entstehungsgeschichte der Richtlinie Anhaltspunkte für eine derartige Konkordanz, noch berücksichtige diese Vorgehensweise, dass die Richtlinie auf eine Rechtsharmonisierung ziele und die Grenzen der Kompetenznorm des Art. 114 AEUV nicht überschreiten dürfe, während solche Erwägungen für Art. 340 Abs. 2 AEUV ohne Bedeutung seien.387 Indes vermögen diese Einwände gegen den Versuch einer rechtsgebietsübergreifenden Begriffsbildung nicht durchzugreifen.388 Auch wenn der Zweck und das Umfeld einer Norm gerade im Unionsrecht bei ihrer Auslegung ohne Zweifel zu berücksichtigen sind, so ist unverkennbar, dass es inzwischen zahlreiche benachbarte unionale Rechtsakte gibt, die ähnliche Zwecke verfolgen (z. B. Verbraucherschutz) und auf derselben Kompetenzgrundlage beruhen (i. d. R. Art. 114 AEUV). Es kann daher nicht überraschen, dass nach der jüngeren Rechtsprechung des Gerichtshofs Begriffe in parallelen Richtlinien oder Verordnungen zumindest dann gleich auszulegen sind, wenn der Unionsgesetzgeber keinen abweichenden Willen zum Ausdruck gebracht hat und der betreffende Rechtsakt auf den Grundsätzen und Bestimmungen des betreffenden Sachgebiets beruht.389 Dieses horizontale Kohärenzpostulat erstreckt sich, soweit der Unionsgesetzgeber keinen abweichenden Willen W.-H. Roth CMLR 40 (2003) 937, 946: „the judgments of the Court of First Instance, cited by the Advocate General relate to the concept of damage as set forth in Article 288(2) (ex 215(2)) EC. Article 288(2) EC is, it is submitted, totally irrelevant for the interpretation of Directive 90/314/EEC.“ 388 Zur kohärenten Auslegung des unionalen Haftungsrechts bereits Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 87 ff.; Bulst ZEuP 2008, 178, 189: „dogmatische Bedeutung von Manfredi liegt jedoch in dem Beitrag dieses Urteils zu der Herausbildung eines gemeinschaftsrechtlichen Schadensersatzrechts, das im Grundsatz für alle auf die Verletzung von Gemeinschaftsrecht gestützten Ersatzansprüche Geltung beansprucht“; Magnus in: Schulze (Hrsg.) Common Frame of Reference and Existing EC Contract Law2 (2009) 211, 215: „even in the field of the law of damages it seems possible, though with some difficulty, to infer general principles from the present acquis.“ Schulze in: Schulze (Hrsg.) Compensation of Private Losses (2011) 3, 12 f. Für eine vergleichende Analyse des europäischen Sekundärrechts (Produkt-, Abfall- und Dienstleistungshaftung) siehe auch von Bar FS Lange (1992) 373, 376 ff. Eher skeptisch Koziol in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 5, 10 f: „Derartige Tendenzen [einer von Verschulden und Sorgfaltswidrigkeit, aber auch von einer besonderen Gefährlichkeit unabhängigen Haftung wie im Staatshaftungsrecht oder Antidiskriminierungsrecht] des europäischen Normsetzers oder des Europäischen Gerichtshofs lassen jedenfalls bisher keine verallgemeinerungsfähigen, nachvollziehbaren und umsetzbaren Grundgedanken erkennen, sondern sind wohl nur bedauerliche Beweisstücke für die Konzeptlosigkeit im EU-Bereich.“ Differenzierend Remien in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 359, 377: „Wechselspiel von hergebrachten allgemeinen Grundsätzen und neuen Detailentwicklungen“. 387
III. Eigener Ansatz
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zum Ausdruck gebracht hat, sogar auf die für die Union verbindlichen internationalen Verträge wie das TRIPS390 oder das Montrealer Übereinkommen.391 Dementsprechend müssen auch die Skeptiker einer rechtsaktübergreifenden Auslegung konzedieren, dass „innerhalb der privatrechtlichen Richtlinien, die sich in Bezug auf ihre Zielkonzeption nicht grundlegend unterscheiden – also auch mit Blick auf die hier analysierten Beispiele der Pauschalreise-, Produkthaftungs- und Handelsvertreterrichtlinie – zumindest eine Vermutung zugunsten einer identischen Bedeutung wortgleicher Begriffe angenommen werden“ sollte.392
Aber auch jenseits solcher Verbindungen zwischen den Rechtsakten des Sekundärrechts ist eine übergreifende Auslegung möglich. Trotz der zuweilen zögerlichen Haltung lassen sich nämlich gerade im Schadensrecht durchaus Judikate des Gerichtshofs identifizieren, in denen Auslegungsansätze aus dem 389 Zum horizontalen Kohärenzpostulat EuGH (Große Kammer) 4.10.2011, Rs. C-403/ 08 und C-429/08, Slg. 2011, I-9083 Rn. 187 f. – Football Association Premier League; EuGH 5.7.2012, Rs. C-49/11, ECLI:EU:C:2012:419 Rn. 44 – Content Services; zum Auslegungszusammenhang zwischen Vertrags- und Lauterkeitsrecht auch die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 29.11.2011, Rs. C-453/10, ECLI:EU:C:2011:788 Rn. 88 ff., 125 – Pereničová; ähnlich EuGH 15.3.2010, Rs. C-453/10, ECLI:EU:2012:144 Rn. 43 – Pereničová; zu den Grenzen einer rechtsaktübergreifenden Auslegung infolge einer spezielleren Regelung (lex specialis) aber auch EuGH (Große Kammer) 3.7.2012, Rs. C-128/11, ECLI:EU:C:2012:407 Rn. 60 – UsedSoft; allgemein zur rechtsaktübergreifenden Systematik Grundmann RabelsZ 75 (2011) 882, 909 ff. Eine Auslegungskohärenz mit höherrangigem Unionsrecht ist schon länger akzeptiert, vgl. EuGH 4.2.1988, Rs. 157/ 86, Slg. 1988, 673 Rn. 11 – Murphy; EuGH 29.6.1995, Rs. C-135/93, Slg. 1995, I-1651 Rn. 37 – Spanien/Kommission; EuGH (Große Kammer) 17.4.2007, Rs. C-470/03, Slg. 2007, I-2749 Rn. 59 f. – A.G.M.-COS.MET; EuGH 2.4.2009, Rs. C-421/07, Slg. 2009, I-2629 Rn. 25 ff. – Damgaard; EuGH 19.9.2013, Rs. C-579/12 RX-II, ECLI:EU:C:2013:570 Rn. 40 – Strack; zum Gleichbehandlungsgrundsatz EuGH 19.11.2009, Rs. C-402/07 und C-432/07, Slg. Slg. 2009, I-10923 Rn. 48 – Sturgeon; siehe auch EuGH (Große Kammer) 26.6.2007, Rs. C-305/05, Slg. 2007, I-5305 Rn. 28 – Ordre des barreaux francophones: im Zweifel Auslegung abgeleiteten Rechts zu wählen, die mit dem EG-Vertrag vereinbar ist. Näher Grundmann RabelsZ 75 (2011) 882, 894 f., der drei Arten einer „horizontalen“ systematischen Auslegung unterscheidet; Martens Methodenlehre des Unionsrechts (2013) S. 448 ff. 390 EuGH (Große Kammer) 4.10.2011, Rs. C-403/08 und C-429/08, Slg. 2011, I-9083 Rn. 189 – Football Association Premier League. 391 Für eine rechtsaktübergreifende Auslegung sogar im Völkerrecht EuGH 6.5.2010, Rs. C-63/09, Slg. 2010, I-5239 Rn. 27 – Walz: Auslegung des Schadensbegriffs in Art. 17 und Art. 22 des Montrealer Übereinkommens anhand von Art. 31 Abs. 2 der Artikel über die Verantwortlichkeit der Staaten für völkerrechtswidrige Handlungen: „Schließlich ist bei der Ermittlung der gewöhnlichen Bedeutung der Begriffe „préjudice“ und „dommage“ […] zu berücksichtigen, dass es einen nicht einem Übereinkommen entstammenden Schadensbegriff gibt, der allen völkerrechtlichen Subsystemen gemeinsam ist.“ 392 Schmid Die Instrumentalisierung des Privatrechts durch die Europäische Union (2010) S. 718.
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§ 2 Ziel, Einbettung und Ansatz der Untersuchung
Primärrecht, entweder aus der Judikatur zur Haftung der Union nach Art. 340 Abs. 2 AEUV oder zur Haftung der Mitgliedstaaten nach den FrancovichGrundsätzen, in das Sekundärrecht oder die Vorgaben des Effektivitätsgrundsatzes übernommen wurden. 393 Bei näherer Betrachtung lassen sich zudem jenseits expliziter Bezugnahmen auf frühere Entscheidungen zumindest auf der Ebene der Argumentation sachliche Querverbindungen in den Entscheidungen des EuGH ausmachen. So hatte der Gerichtshof beispielsweise in den achtziger Jahren zu entscheiden, ob der Einwand fehlenden Verschuldens bei einer unzulässigen Geschlechterdiskriminierung zu exkulpieren vermag. Der EuGH verneinte dies im Wesentlichen mit zwei Argumenten, nämlich zum einen mit dem Hinweis auf eine fehlende ausdrückliche Regelung zum Verschulden in der betreffenden Richtlinie 76/207, und zum anderen unter Verweis auf die praktische Wirksamkeit des Rechtsschutzes gegen Diskriminierungen.394 „22 Hierzu ist festzustellen, daß die Richtlinie in Artikel 2 Absätze 2 bis 4 Ausnahmen von dem in ihrem Artikel 2 Absatz 1 aufgestellten Grundsatz der Gleichbehandlung vorsieht, keineswegs aber die Haftung des Urhebers einer Diskriminierung davon abhängig macht, daß ein Verschulden nachgewiesen wird oder kein Rechtfertigungsgrund vorliegt. 23 Artikel 6 der Richtlinie erkennt an, daß die Opfer einer Diskriminierung Rechte besitzen, die sie gerichtlich geltend machen können. Wenn eine vollständige Durchführung der Richtlinie auch nicht eine bestimmte Sanktion für Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot erfordert, so setzt sie doch voraus, daß diese Sanktion geeignet ist, einen tatsächlichen und wirksamen Rechtsschutz zu gewährleisten (Urteil vom 10. April 1984 in der Rechtssache 14/83, von Colson und Kamann, Slg. 1984, 1891, Randnr. 23). Sie muß ferner eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber haben. 24 Wenn die Haftung eines Arbeitgebers für Verstöße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung davon abhinge, daß ein Verschulden des Arbeitgebers nachgewiesen wird und Siehe etwa das Prinzip vollständiger Kompensation aus EuGH 4.10.1979, Rs. 238/ 78, Slg. 1979, 2955 Rn. 20 – Ireks-Arkady und EuGH 3.2.1994, Rs. C-308/87, Slg. 1994, I-341 Rn. 40 – Grifoni, auf das der Gerichtshof sowohl im Antidiskriminierungsrecht (EuGH 2.8.1993, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367 Rn. 31 – Marshall II: „völlige Wiedergutmachung des durch eine diskriminierende Entlassung entstandenen Schadens“; allerdings ohne Zitat der Judikatur zu Art. 340 Abs. 2 AEUV) wie im Entschädigungsfonds der Kfz-Haftpflichtversicherungsrichtlinie zurückkommt (EuGH 4.12.2003, Rs. C-63/01, Slg. 2003, I-14447 Rn. 64, 67 – Evans: „Der Ersatz des Schadens soll das Vermögen des Opfers eines Unfalls so weit wie möglich wiederherstellen“; ausdrücklich mit Zitat von Grifoni Rn. 40). Siehe auch die Verweise in EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/ 04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 94, 97 – Manfredi auf EuGH 4.10.1979, Rs. 238/78, Slg. 1979, 2955 Rn. 13 – Ireks-Arkady (zum Bereicherungsverbot) und EuGH 2.8.1993, Rs. C-271/ 91, Slg. 1993, I-4367 Rn. 26 – Marshall II (zur Verzinsungspflicht). Ebenso verweist die kapitalmarktrechtliche Entscheidung EuGH 19.12.2013, Rs. C-174/12, ECLI:EU:C:2013: 856 Rn. 40 – Hirmann auf die kartellrechtlichen Entscheidungen EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 92 – Manfredi und EuGH 6.6.2013, Rs. C-536/11, ECLI:EU:C:2013:366 Rn. 25–27 – Donau Chemie. 394 EuGH 8.11.1990, Rs. C-177/88, Slg. 1990, I-3941 Rn. 22 ff. – Dekker. 393
III. Eigener Ansatz
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kein durch das anwendbare nationale Recht anerkannter Rechtfertigungsgrund vorliegt, würde dies die praktische Wirksamkeit dieser Grundsätze erheblich beeinträchtigen. 25 Daraus folgt, daß dann, wenn sich ein Mitgliedstaat für eine Sanktion entscheidet, die sich in den Rahmen einer Regelung über die zivilrechtliche Haftung des Arbeitgebers einfügt, jeder Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot für sich genommen ausreichen muß, um die volle Haftung seines Urhebers auszulösen, ohne daß die im nationalen Recht vorgesehenen Rechtfertigungsgründe berücksichtigt werden können.“ [Hervorhebungen nicht im Original]
Mit einer ähnlichen Frage war der EuGH zwanzig Jahre später in anderem Kontext befasst, nämlich ob sich eine nationale Behörde mit dem Einwand fehlenden Verschuldens von der Schadensersatzhaftung für eine rechtswidrige Vergabeentscheidung entlasten kann. Erneut wies der Gerichtshof die Exkulpation zurück, und erneut bezog er sich – in einer zugegebenermaßen etwas ausführlicheren Begründung und ohne Verweis auf die frühere Entscheidung Dekker – auf die fehlende Regelung zum Verschulden und die praktische Wirksamkeit des Rechtsschutzes gegen rechtswidrige Vergaben.395 „35. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass der Wortlaut der Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1, 5 und 6 sowie des sechsten Erwägungsgrundes der Richtlinie 89/665 keinerlei Hinweis darauf enthält, dass der Verstoß gegen die Vergaberegelung, der einen Schadensersatzanspruch des Geschädigten begründen kann, besondere Merkmale aufweisen müsste, wie z. B., dass er mit einem erwiesenen oder vermuteten Verschulden des öffentlichen Auftraggebers verknüpft ist oder dass insoweit kein die Haftung ausschließender Grund vorliegt. […] 39. Vor diesem Hintergrund kann die in Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 89/665 vorgesehene Rechtsschutzmöglichkeit zur Erlangung von Schadensersatz nur dann gegebenenfalls eine verfahrensmäßige Alternative darstellen, die mit dem Effektivitätsgrundsatz, der dem mit der Richtlinie verfolgten Ziel der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren zugrunde liegt […], vereinbar ist, wenn die Möglichkeit der Zuerkennung von Schadensersatz im Fall eines Verstoßes gegen Vergabevorschriften genauso wenig wie die anderen in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie vorgesehenen Rechtsschutzmöglichkeiten davon abhängig ist, dass ein Verschulden des öffentlichen Auftraggebers festgestellt wird.“ [Hervorhebungen nicht im Original]
Ähnliche Parallelen lassen sich zwischen der häufig für ihre reiserechtliche Insularität gescholtenen Leitner-Entscheidung und der Walz-Entscheidung zum Ersatz immaterieller Schäden bei Gepäckverlust im Luftverkehr demonstrieren. In Leitner hatte der EuGH auf einen Anspruch auf Ersatz immaterieller Schäden für entgangene Urlaubsfreuden unmittelbar aus der Pauschalreiserichtlinie 90/314 erkannt, seine Argumentation aber – im Unterschied zu den Schlussanträgen des Generalanwalts396 – (nahezu) ausschließEuGH 30.9.2010, Rs. C-314/09, Slg. 2010, I-8769 Rn. 35 ff. – Strabag. Die ausführlichere Begründung des Generalanwalts Tizzano vom 20.9.2001, Rs. C-168/00, Slg. 2001, I-2631 – Leitner verweist zunächst auf einen Grundsatz verbrau395 396
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§ 2 Ziel, Einbettung und Ansatz der Untersuchung
lich auf richtlinienimmanente Argumente beschränkt. Maßgeblich für die Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden im Reiserecht waren für den EuGH drei Überlegungen, nämlich zum einen die Sorge, dass sich bei unterschiedlicher Handhabung des bei Reiseleistungen besonders bedeutsamen immateriellen Schadensersatzes Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Mitgliedstaaten ergeben können, zum zweiten der Gedanke des Schutzes der Verbraucher, für die der Ersatz entgangener Urlaubsfreude wesentlich ist, und zum dritten der systematische Verweis auf Art. 5 Abs. 2 UAbs. 4 RL 90/314 (heute Art. 14 Abs. 4 Satz 3 RL 2015/2302), der eine vertragliche Beschränkung der Entschädigung bei Nicht-Körperschäden gestattet.397 Nicht nur dasselbe Ergebnis (einheitlicher Schadensbegriff unter Einbeziehung immaterieller Schäden), sondern sachlich durchaus ähnliche Argumente finden sich in der späteren Rechtssache Walz, in der der EuGH den Begriff des Schadens in Art. 22 Abs. 2 des Montrealer Übereinkommens auf materielle wie immaterielle Schäden erstreckte, weil der einheitliche Wortlaut keine Differenzierung nach Schadensarten nahelegt und weil ein einheitlicher Schadenshöchstbetrag eine einfache und schnelle Entschädigung der Fluggäste ermöglicht, ohne den Luftfahrtunternehmen eine schwer feststell- und berechenbare Ersatzpflicht aufzuerlegen.398 Diese Beispiele sollen nicht einer generellen Gleichmacherei im Schadensersatzrecht der Union das Wort reden. Es versteht sich von selbst, dass nicht nur aus sachlichen Gründen der betreffenden Rechtsmaterie, sondern bereits infolge der unterschiedlich intensiven Harmonisierungszugriffe des Unionsrechts (Rahmensetzung, Rechtsangleichung, Rechtsvereinheitlichung, dazu sogleich § 3 I 1 → S. 106) Unterschiede zwischen den Schadensbegriffen und Haftungsvoraussetzungen bestehen können, gerade weil es bei der bloßen Rahmensetzung durch den Effektivitätsgrundsatz im Grundsatz bei der Anwendung nichtharmonisierten Rechts bleibt, während Mindestharmonisierung, Vollharmonisierung und erst recht Rechtsvereinheitlichung zu einer unionsrechtlichen Überlagerung bis hin zur Ersetzung des nationalen Rechts führen. Gleichwohl vermögen die Vorbilder in anderen Vorschriften des Unionsrechts und der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Auslegung nicht nur von parallelen Begriffen des geschriebenen Unionsrechts zu inspirieren, sonchergünstiger Auslegung (Rn. 26), führt dann den allgemeinen und ohne jede Einschränkung verwendeten Begriff des Schadens an (Rn. 28 f.), verweist ferner auf die implizite Anerkennung anderer als Nicht-Körperschäden durch Art. 5 Abs. 2 UAbs. 4 RL 90/314 (Rn. 30) und stützt sich schließlich auf den systematischen Vergleich mit dem expliziten Ausschluss von Nichtvermögensschäden in Art. 9 der Produkthaftungsrichtlinie 85/374, auf die Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden im Rahmen der außervertraglichen Haftung der Union (Rn. 38) und eine rechtsvergleichende – wohl nicht tragende (Tonner ZEuP 2003, 619, 627 f.) – Betrachtung (Rn. 39 ff.). 397 EuGH 12.3.2002, Rs. C-168/00, Slg. 2002, I-2631 Rn. 20 ff. – Leitner. 398 EuGH 6.5.2010, Rs. C-63/09, Slg. 2010, I-4239 Rn. 25, 36 – Walz.
III. Eigener Ansatz
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dern geben auch – unter Berücksichtigung von Regelungsumfeld und Zweck – Fingerzeige für die Definition der schadensersatzrechtlichen Minima, die der sanktionenrechtliche Effektivitätsgrundsatz und möglicherweise eines Tages auch der europäische Gesetzgeber den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen vorgibt.399 Nicht nur wäre es merkwürdig, wenn das Unionsrecht eine Auslegung als effektivitätswidrig verwerfen würde, die es in anderem Kontext selbst vorgibt, vor allem kann die Auslegung des Unionsrechts einschließlich des Effektivitätsgrundsatzes ansonsten kaum auf autonome Vorbilder zurückgreifen. Der Rückgriff auf nationales Recht ist unzulässig, und die Gesetzgebungsmaterialien werden – soweit ihnen überhaupt Anhaltspunkte zur Konkretisierung eines Begriffs zu entnehmen sind – auf Ebene des Unionsrechts im Regelfall nur zurückhaltend berücksichtigt.400 Gerade in einer solchen Situation bietet es sich an, auf die Lösungen benachbarter Unionsrechtsmaterien zu rekurrieren, auch soweit es an einem unmittelbaren Regelungszusammenhang fehlt, selbstverständlich ohne dass die Lösung aus einem anderen Rechtsgebiet automatisch zu übernehmen wäre. Angesichts der Pfadabhängigkeit der EU-Gesetzgebung401 dürfte es zudem nicht unwahrscheinlich sein, dass sich auch die Gesetzgebung bei künftigen Vorhaben am bereits etablierten acquis communautaire in anderen Gebieten des Unionsrechts orientiert. Gegen eine Ordnung des Unionsprivatrechts mit dem Ziel, übergreifende Grundsätze mit einem für die praktische Rechtsanwendung handhabbaren Abstraktionsgrad aufzufinden, lässt sich schließlich auch nicht einwenden, dass damit neue „Rechtsprinzipien und Anspruchsinstitute“ in „prätorischer Kühnheit“ geschaffen würden.402 Vielmehr handelt es sich um die systemati399 Zum möglichen Einfluss auf die Gesetzgebung Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 1.14; zur Inspiration der Effektivitätsvorgaben durch das bestehende Unionsrecht bereits oben Fn. 296. 400 Zur entstehungsgeschichtlichen Auslegung bereits die Nachweise in Fn. 379. 401 Für ein Beispiel siehe die Inspiration der Offenlegungsvorschriften der Kartellschadensersatzrichtlinie 2014/104 (Art. 5–8 RL 2014/104) durch die Regeln der immaterialgüterrechtlichen Durchsetzungsrichtlinie (Art. 6 RL 2004/48), zum Vorbildcharakter der Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach einzelstaatlichem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union KOM(2013) 404 S. 16; zur Pfadabhängigkeit auch Kay JEPP 10 (2003) 405, 405 f. 402 Zu dieser Kritik von Danwitz ZEuP 2010, 463, 475. Allerdings ist die Kritik offenbar vor allem auf das allgemeine Zivil- und Zivilverfahrensrecht bezogen, dem auch der zitierte Beitrag gewidmet war. Mehr Spielraum für die Fortentwicklung des Unionsrechts scheint von Danwitz in dem hier untersuchten Gebiet des binnenmarktrelevanten Privatund Wirtschaftsrechts zu sehen, vgl. von Danwitz, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27.03.2007, Nr. 73, S. 8: der Gerichtshof sei verpflichtet, „die Entwicklung der Gemeinschaftsrechtsordnung im Dienste der Integration fortzusetzen. Dies gilt vor allem für die Wirtschafts- und Wettbewerbsordnung des Binnenmarktes.“
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§ 3 Gegenstand und Grundbegriffe der Untersuchung
sche Durchdringung des bestehenden acquis communautaire mit dem pragmatischen Ziel, das Unionsrecht aus sich selbst heraus auszulegen, um dem Gebot der Autonomie zu genügen, die Köhärenz der Unionsrechtsordnung zu fördern und Widersprüche aufzulösen.403
§ 3 Gegenstand und Grundbegriffe der Untersuchung § 3 Gegenstand und Grundbegriffe der Untersuchung
I.
Gegenstand
Aus dem beachtlichen Bestand an geschriebenen und ungeschriebenen Schadensersatznormen im Unionsprivatrecht404 wurden für diese Untersuchung exemplarisch solche Sachmaterien und Sachfragen ausgewählt, die erstens die drei Typen der Einflussnahme des Unionsprivatrechts auf die nationalen Rechtsordnungen abbilden, zweitens Sachmaterien repräsentieren, zu denen bereits Judikatur des Gerichtshofes zum Schadensbegriff ergangen ist und den traditionellen Materien des Bürgerlichen Rechts nicht allzu fern stehen und die drittens über die Besonderheiten der konkreten Haftungsnorm hinaus die Formulierung allgemeiner Erkenntnisse versprechen. 1. Drei Einwirkungsformen Die Auswahl der Sachmaterien orientierte sich zunächst an der Intensität des Harmonisierungszugriffs des Unionsgesetzgebers, wobei zwischen drei unterschiedlichen Einwirkungsformen des Unionsrechts unterschieden wird, nämlich der bloßen Rahmensetzung durch den Effektivitätsgrundsatz (Kartelldeliktsrecht,405 verbrauchervertragliche Informationspflichten), der Harmonisierung durch Richtlinien (Pauschalreiserecht und Produkthaftung) und der Rechtsvereinheitlichung durch unmittelbar anwendbare Verordnungen (LuftSo auch Stempel Treu und Glauben im Unionsprivatrecht (2016) S. 27 f. Siehe dazu den Überblick bei § 3 II 1 → S. 120. 405 Nach Fertigstellung der Arbeit wurde der vormals im Unionsrecht nicht geregelte kartellrechtliche Schadensersatzanspruch durch Art. 3 und Art. 17 der Kartellschadensersatzrichtlinie 2014/104 geregelt. Allerdings „bestätigt“ die Richtlinie lediglich „den gemeinschaftlichen Besitzstand in Bezug auf das Recht auf Ersatz des durch Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht der Union verursachten Schadens […], ohne der Weiterentwicklung dieses Besitzstands vorzugreifen“ (Erwägungsgrund 12 Satz 1 RL 2014/104; siehe auch Erwägungsgrund 11 Satz 1 und Erwägungsgrund 46 Satz 1 RL 2014/ 104 zur Anwendung des Rechts der Mitgliedstaaten). Deshalb soll dieser Anspruch hier weiterhin als Beispiel der Rahmensetzung durch den Effektivitätsgrundsatz vorgestellt werden (ausdrücklich Art. 4 RL 2014/104), auch wenn die Richtlinie in einigen Punkten, etwa bei der Verjährung (Art. 10 RL 2014/104), der gesamtschuldnerischen Haftung (Art. 11 RL 2014/104) und der Abwälzung des Preisaufschlags (Art. 12–16 RL 2014/104) Präzisierungen gegenüber dem auf Grundlage des Effektivitätsgrundsatzes entwickelten acquis vornimmt. 403 404
I. Gegenstand
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beförderung von Personen). Diese Differenzierung lehnt sich an die Unterscheidung von Rechtsangleichung und Rechtsvereinheitlichung an,406 differenziert sie aber zur Einbindung des Effektivitätsgrundsatzes weiter aus.407 a) Rahmensetzung durch den Effektivitätsgrundsatz Der geringste Harmonisierungszugriff des Unionsrechts erfolgt durch den Effektivitätsgrundsatz.408 Es wurde bereits dargelegt (§ 1 II 2 → S. 22), dass dieser Grundsatz als drittes vertikales Rechtsanwendungsprinzip neben dem Vorrang- und dem Komplementaritätsgrundsatz das Verhältnis von europäischem und nationalem Recht definiert. Er sucht den in Abwesenheit unionsrechtlicher Regelungen an sich unbegrenzten mitgliedstaatlichen Gestaltungsspielraum durch eine Minimalverpflichtung auf gleichwertige und effektive (die Rechtsdurchsetzung nicht übermäßig erschwerende) Rechtsbehelfe zu begrenzen. Der Effektivitätsgrundsatz wirkt damit – soweit es nicht ausnahmsweise um die Auslegung explizit unionsrechtlich geregelter Rechtsbehelfe geht409 – außerhalb des harmonisierten Bereichs auf das nationale Recht ein, indem den Mitgliedstaaten ein Minimalstandard für den „wirksame[n] 406 Vgl. Taupitz Europäische Privatrechtsvereinheitlichung heute und morgen (1993) S. 3 f.: bloße „Rechtsannäherung“ als „Rechtsangleichung“, „Rechtsvereinheitlichung“ nur bei „völlige[r] inhaltliche[r] Übereinstimmung“ (Taupitz selbst gebraucht einen weiten Begriff der Rechtsvereinheitlichung unter Einbeziehung der Rechtsangleichung, S. 3). Zur Abgrenzung auch Steindorff EG-Vertrag und Privatrecht (1996) S. 385: „Rechtsangleichung zielt auf Angleichung der nationalen Rechtsordnungen durch staatliche Rechtsetzung. Sie führt zu einander angeglichenen (harmonisierten) nationalen Normen. Stattdessen kann die Gemeinschaft im Wege der Verordnung gemäß Art. 189 Abs. 2 EGV unmittelbar geltendes Gemeinschaftsprivatrecht setzen“; Kötz RabelsZ 50 (1986) 1, 12 f.: „Im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft sollte auf den genannten Gebieten Rechtsangleichung im Zweifel nur dasjenige leisten, was ihr Name sagt, nämlich Angleichung, und nicht Vereinheitlichung.“ 407 Anders die Unterscheidung von W.-H. Roth in: Karlsruher Forum 2015: Europäisierung des Haftungs- und des Versicherungsvertragsrechts (2016) 123: „Bei der Beschreibung der Europäisierung des Haftungsrechts würde ich drei Ebenen unterscheiden. Zunächst die Ebene des unionalen Haftungsrechts mit den Verordnungen einerseits und dem Unionshaftungsrecht des Art. 340 Abs. 2 AEUV […] andererseits. Eine zweite Ebene wäre die Francovich-Rechtsprechung, die zu einem hybriden Haftungssystem geführt hat; hybrid deswegen, weil sie in wesentlichen Aspekten unionaler Natur ist, aber zugleich ergänzungsbedürftig durch nationales Recht, das seinerseits wieder vom Unionsrecht geprägt wird (Stichworte sind der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz). Und eine dritte Ebene wäre dann der Einfluss des (vor allem sekundären) Unionsrechts auf das nationale Haftungsrecht.“ 408 Demgegenüber ergeben sich aus dem Äquivalenzgrundsatz keine positiven Vorgaben für die Ausgestaltung des nationalen Rechts, vgl. § 1 II 2 d → S. 51. 409 Vgl. § 1 II 2 c → S. 47. Für ein Beispiel siehe die Auslegung von Art. 102 Abs. 1 [vormals Art. 98 Abs. 1] der Unionsmarkenverordnung in EuGH 14.12.2006, Rs. C-316/ 05, Slg. 2006, I-12083 Rn. 32 – Nokia.
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§ 3 Gegenstand und Grundbegriffe der Untersuchung
Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen“ (Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV) vorgegeben wird.410 Die Verpflichtung auf eine effektive Durchsetzung bewirkt damit eine Rahmensetzung für die nationale Rechtsbehelfs- und Verfahrensautonomie, ohne – wie die Harmonisierung durch Richtlinien oder Verordnungen – eine echte Angleichung oder Vereinheitlichung zu erreichen, so dass es grundsätzlich bei der Anwendung des nationalen Rechts bleibt. Auf der anderen Seite kann aber auch die Rahmensetzung durch den Effektivitätsgrundsatz zur Folge haben, dass in bestimmten Fällen nur eine Lösung als effektivitätskonform akzeptiert wird.411 Repräsentativ für den Effektivitätsgrundsatz als Einflussform des Unionsrechts wurden das Kartelldeliktsrecht und das Verbrauchervertragsrecht (konkret: Rechtsfolgen von Informationspflichtverletzungen) ausgewählt. Insbesondere das Beispiel des Kartelldeliktsrechts zeigt, dass zwischen den unterschiedlichen Einflussformen des Unionsrechts enge Verbindungen bestehen, denn die auf den Effektivitätsgrundsatz gegründeten Schadensersatzvorgaben des Gerichtshofs für das Kartelldeliktsrecht dienten der Kommission als Blaupause für die Kartellschadensersatzrichtlinie 2014/104, die in ihren Abschnitten zum Schadensersatz in weiten Teilen die Judikatur des Gerichtshofs zum Effektivitätsgrundsatz lediglich „bestätigt“, „ohne der Weiterentwicklung dieses Besitzstands vorzugreifen“ (Erwägungsgrund 12 Satz 1 RL 2014/ 104). Eine ähnliche Entwicklung hat das Recht der Geschlechterdiskriminierung durchlaufen, wo der Gesetzgeber durch Änderungen der alten Richtlinie 76/207 die zunächst nur auf die allgemeine Sanktionenklausel des Art. 6 RL 76/207 gestützte Rechtsprechung des EuGH kodifiziert und damit die richterrrechtlichen Effektivitätsvorgaben in das geschriebene Recht überführt hat.412 Auch im Verbrauchervertragsrecht sah sich der Gesetzgeber durch die Rechtsprechung zu den Widerrufsfolgen herausgefordert, in der neugefassten Richtlinie über die Verbraucherrechte 2011/83 die Widerrufsfolgen ausführlicher als bisher zu regeln.413
410 EuGH 16.3.2006, Rs. C-234/04, Slg. 2006, I-2585 Rn. 22 – Kapferer: „Schranken der verfahrensrechtlichen Befugnisse der Mitgliedstaaten“; EuGH 8.3.2011 (Plenum), Gutachten 1/09, Slg. 2011, I-1137 Rn. 68 – Einheitliches Patentgerichtssystem: „Insoweit ist es Sache der nationalen Gerichte und des Gerichtshofs, die volle Anwendung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten und den Schutz der Rechte zu gewährleisten, die den Einzelnen aus diesem Recht erwachsen“; Rn. 66: „Nach Art. 19 Abs. 1 EUV wachen der Gerichtshof und die Gerichte der Mitgliedstaaten über die Wahrung dieser Rechtsordnung und des Gerichtssystems der Union.“ 411 Zur Wirkungsweise des sanktionenrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes bereits § 1 II 2 e cc → S. 75. 412 Nachweise in Fn. 57. 413 Ohne allerdings Schadensersatzansprüche zu regeln, dazu unten § 5 I 1 → S. 253.
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b) Rechtsangleichung durch Richtlinien Zwischen der bloßen Rahmensetzung durch den Effektivitätsgrundsatz und der echten Rechtsvereinheitlichung durch Verordnungen steht die Rechtsangleichung durch Richtlinien als die bedeutsamste Erscheinungsform des Unionsprivatrechts. Zwar bedarf die Richtlinie im Unterschied zur Verordnung der Umsetzung414 (Art. 288 Abs. 3 AEUV) und kann deshalb, sofern ihre Regeln nicht zugleich im Rang eines (auch gegenüber Privaten unmittelbar anwendbaren) allgemeinen Grundsatzes des Unionsrechts stehen,415 nur Rechte gegenüber dem Staat, nicht jedoch Verpflichtungen von Privaten begründen.416 Trotz der fehlenden unmittelbaren Anwendbarkeit geht jedoch der Einfluss einer Richtlinie auf das nationale Recht deutlich über die Rahmensetzung durch den Effektivitätsgrundsatz hinaus. Dies ist vor allem eine Folge der ausgeprägteren Regelungstiefe der Richtlinien und der Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts,417 die den nationalen Gerichten ermöglicht, „im Rahmen ihrer Zuständigkeiten die volle Wirksamkeit des Unionsrechts sicherzustellen, wenn sie über die bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten entscheiden“.418 Danach müssen die nationa414 Zu den Anforderungen an die Umsetzung von Richtlinien EuGH 10.5.2001, Rs. C-144/99, Slg. 2001, I-3541 Rn. 20 f. – Kommission/Niederlande; EuGH 7.5.2002, Rs. C-478/99, Slg. 2002, I-4147 Rn. 18 – Kommission/Schweden. 415 Dies ist etwa beim Verbot der Altersdiskriminierung als „spezifische Anwendung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes“ bejaht worden, EuGH (Große Kammer) 19.1.2010, Rs. C-555/07, Slg. 2010, I-365 Rn. 50 f. – Kücükdeveci. 416 EuGH 26.2.1986, Rs. 152/84, Slg. 1986, 723 Rn. 48 – Marshall I; EuGH 14.7.1994, Rs. C-91/92, Slg. 1994, I-3325 Rn. 20 – Faccini Dori; EuGH (Große Kammer) 17.7.2008, Rs. C-152/07 bis C-154/07, Slg. 2008, I-5959 Rn. 35 – Arcor: Ein Einzelner kann sich „nicht gegenüber einem Mitgliedstaat auf eine Richtlinie berufen, wenn es sich um eine Verpflichtung des Staates handelt, die unmittelbar im Zusammenhang mit der Erfüllung einer anderen Verpflichtung steht, die aufgrund dieser Richtlinie einem Dritten obliegt“; EuGH (Große Kammer) 19.1.2010, Rs. C-555/07, Slg. 2010, I-365 Rn. 46 – Kücükdeveci. Zur indirekten Horizontalwirkung von Richtlinien Fn. 239, zur Direktwirkung gegenüber staatsbeherrschten Einrichtungen Fn. 231. 417 EuGH 10.4.1984, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 Rn. 26 – von Colson und Kamann; EuGH 14.7.1994, Rs. C-91/92, Slg. 1994, I-3325 Rn. 26 – Faccini Dori; EuGH (Große Kammer) 5.10.2004, C-397/01 bis C-403/01, Slg. 2004, I-8835 Rn. 110 ff. – Pfeiffer; EuGH (Große Kammer) 19.1.2010, Rs. C-555/07, Slg. 2010, I-365 Rn. 45 ff. – Kücükdeveci; von Danwitz JZ 2007, 697, 700, 702 ff.; Mörsdorf EuR 2009, 219, 222 ff. Auch „überschießend“ angeglichenes Recht ist richtlinienkonform auszulegen, wenn dies „dem Willen des deutschen Gesetzgebers entspricht“, dazu BGH 9.4.2002, XI ZR 91/99, NJW 2002, 1882, 1884; BGH 13.4.2011, VIII ZR 220/11, NJW 2011, 2278 Rn. 47; für ein Gegenbeispiel BGH 17.10.2012, VIII ZR 226/11, NJW 2013, 220 Rn. 20 ff.; kritisch dazu Fornasier EuZW 2013, 159, 160. 418 EuGH (Große Kammer) 24.1.2012, Rs. C-282/10, ECLI:EU:C:2012:33 Rn. 24 – Dominguez.
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§ 3 Gegenstand und Grundbegriffe der Untersuchung
len Gerichte ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens einer Richtlinie 419 „bei der Anwendung des nationalen Rechts dieses so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auslegen“420; sie sind verpflichtet, „unter Berücksichtigung des gesamten nationalen Rechts und unter Anwendung ihrer Auslegungsmethoden alles [zu] tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit der fraglichen Richtlinie zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel übereinstimmt“.421
Zwar orientiert sich die richtlinienkonforme Auslegung am Methodenkanon des nationalen Rechts und darf weder als Grundlage für eine Auslegung contra legem herangezogen werden noch Rechtsgrundsätze wie das Rechtssicherheitsgebot oder das Rückwirkungsverbot verletzen.422 Ungeachtet dieser Schranken kommt die unionsrechtskonforme Auslegung häufig der faktischen Direktwirkung einer Richtlinie zwischen Privaten nahe, zumindest wenn eine Rechtsmaterie wie das Schadensersatzrecht infolge von Generalklauseln und offenen Tatbeständen der Auslegung besonders zugänglich ist und wenn die Vorschriften des nationalen Umsetzungsgesetzes das Ziel der Richtlinienumsetzung verfolgen. In einem solchen Fall ist nämlich zumindest im deutschen Recht im Fall der Richtlinienwidrigkeit der Umsetzungsvorschriften im Zweifel von einer planwidrigen Unvollständigkeit auszugehen, so dass sogar der Weg zur richtlinienkonformen Fortbildung des nationalen Rechts eröffnet wird.423
419 EuGH 23.4.2009, Rs. C-261/07 und C-299/07, Slg. 2009, I-2949 Rn. 39 – VTBVAB; EuGH 14.1.2010, Rs. C-304/08, Slg. 2010, I-217 Rn. 29 – Plus Warenhandelsgesellschaft; Röthel ZEuP 2009, 34. 420 EuGH (Große Kammer) 24.1.2012, Rs. C-282/10, ECLI:EU:C:2012:33 Rn. 24 – Dominguez. 421 EuGH (Große Kammer) 4.7.2006, Rs. C-212/04, Slg. 2006, I-6057 Rn. 111 – Adeneler; EuGH 10.3.2011, Rs. C-109/09, Slg. 2011, I-1309 Rn. 55 – Deutsche Lufthansa; EuGH (Große Kammer) 24.1.2012, Rs. C-282/10, ECLI:EU:C:2012:33 Rn. 27 – Dominguez. 422 EuGH 10.3.2011, Rs. C-109/09, Slg. 2011, I-1309 Rn. 54 – Deutsche Lufthansa; EuGH (Große Kammer) 24.1.2012, Rs. C-282/10, ECLI:EU:C:2012:33 Rn. 25 – Dominguez: „So findet die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts den Inhalt einer Richtlinie heranzuziehen, in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen ihre Schranken und darf nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen“; zu den Grenzen nach deutschem Verfassungsrecht BVerfG 26.9.2011, 2 BvR 2216/06, EuZW 2012, 196 Rn. 51 ff. 423 Siehe BGH 26.11.2008, VIII ZR 200/05, NJW 2009, 427, 428 f. Rn. 24 – Quelle, der aus den Materialien den Willen zur richtlinienkonformen Umsetzung ableitet und diesen als Argument für eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes heranzieht; ebenso BGH 21.12.2011, VIII ZR 70/08, NJW 2012, 1073 Rn. 32, 34; siehe auch BGH 17.10.2012, VIII ZR 226/11, NJW 2013, 220 Rn. 20 ff. Allgemein zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung Schnorbus AcP 201 (2001), 860; Herresthal Rechtsfortbildung im europarechtlichen Bezugsrahmen (2006) S. 217 ff.; ders. EuZW 2007, 396. Zur Vermutung
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Im Ergebnis lässt sich damit festhalten, dass der Erlass von Richtlinien im Regelfall zu einer unionsrechtlichen „Fernsteuerung“424 der angeglichenen Rechtsmaterie führt, die über die bloße Effektivitätskontrolle des nicht angeglichenen nationalen Rechts hinausgeht. Aus dem weiten Feld schadensersatzrechtlicher Vorschriften im Richtlinienrecht wurden diejenigen in die Untersuchung einbezogen, die erstens den traditionellen Materien des Bürgerlichen Rechts nahestehen und zu denen zweitens bereits Entscheidungen des Gerichtshofs zum Schadensersatz vorliegen, konkret die Produkthaftungsrichtlinie 85/374 und die Pauschalreiserichtlinie 2015/2302 (vormals RL 90/314). c) Rechtsvereinheitlichung durch Verordnungen Die harmonisierungsintensivste Maßnahme des Unionsprivatrechts ist die Rechtsvereinheitlichung durch Erlass einer Verordnung. Der Erlass einer Verordnung hat im Wesentlichen drei Konsequenzen: Zum einen hat die Verordnung „allgemeine Geltung“ und gilt verbindlich und „unmittelbar in jedem Mitgliedstaat“ (Art. 288 Abs. 2 AEUV). Daraus folgt nicht nur, dass EUVerordnungen nationalen Vorschriften unmittelbar vorgehen425 und dass sie für Privatpersonen unmittelbare Rechte ebenso wie Pflichten begründen,426 sondern vor allem auch, dass der Gerichtshof im Rahmen der gebotenen europäisch-autonomen Auslegung infolge der unmittelbaren Verbindlichkeit der Verordnung offenbar eher geneigt ist, konkrete Aussagen zur Normauslegung und Normanwendung zu treffen und sich nicht auf allgemeine Auslegungsdirektiven zu beschränken.427 Regeln in Verordnungen sind daher wohl am besder Richtlinienkonformität ausländischer Umsetzungsgesetze LG Berlin 1.6.2010, 16 O 525/08, WRP 2010, 1422 Rn. 54 (juris) – Kreditkartengebühr. 424 Heiderhoff Europäisches Privatrecht4 (2016) Rn. 1: „gleichsam ferngesteuert“. 425 Wegen ihrer unmittelbaren Geltung ist es problematisch, Verordnungen durch gleichgestaltete nationale Durchführungsgesetze zu spiegeln, EuGH 10.10.1973, Rs. 34/73, Slg. 1973, 981 Rn. 11 – Variola; EuGH 2.2.1977, Rs. 50/76, Slg. 1977, 137 Rn. 4/7 – Amsterdam Bulb. 426 Zur Durchsetzung von Verordnungen in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten EuGH 17.9.2002, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 27 – Muñoz; EuGH 14.7.2011, Rs. C-4/10 und C-27/10, ECLI:EU:C:2011:484 Rn. 40 – Bureau national interprofessionnel du Cognac. 427 Vgl. etwa die Auslegung des Schadensbegriffs in der (immerhin vollharmonisierenden) Produkthaftungsrichtlinie 85/374 einerseits (EuGH 10.5.2001, Rs. C-203/99, Slg. 2001, I-3569 Rn. 27 – Veedfald: „Zwar bleibt es dem nationalen Gesetzgeber überlassen, diese beiden Schadensarten genauer zu definieren“) und in Art. 94 Sortenschutzverordnung 2100/94 (EuGH 5.7.2012, Rs. C-509/10, ECLI:EU:C:2012:416 Rn. 36 – Geistbeck: „Da Art. 94 der Verordnung Nr. 2100/94 auf den Ersatz des dem Sortenschutzinhaber aus einer Verletzung entstandenen Schadens abzielt, ist davon auszugehen, dass sich dieser Schaden im Ausgangsverfahren […] mindestens auf den Betrag beläuft, den ein Dritter für die Z-Lizenz hätte entrichten müssen) oder Art. 5 Nr. 3 EuGVO 2001 (= Art. 7 Nr. 2 EuGVO 2012) andererseits (EuGH 19.9.1995, Rs. C-364/93, Slg. 1995, I-2719 Rn. 19 – Marinari:
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§ 3 Gegenstand und Grundbegriffe der Untersuchung
ten geeignet, als Kristallisationspunkt für eine europäisch-autonome Begriffsbildung im Privatrecht zu dienen, weil der Gerichtshof gerade bei der Auslegung von unmittelbar verbindlichen Rechtsakten Farbe bekennen muss. 428 Indes finden sich, auch wenn sich in der sektoriellen Binnenmarktregulierung in jüngerer Zeit ein Trend zum Übergang von der Rechtsharmonisierung durch Richtlinien zur Vereinheitlichung durch Verordnungen abzeichnet,429 bisher nur wenige Verordnungen mit Vorschriften zum Schadensersatz. Zu nennen sind hier insbesondere Art. 94 Abs. 2 der Verordnung 2100/94 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz, Art. 3 Abs. 1 i. V. m. dem Anhang (Wiedergabe des Übereinkommens von Montreal) der (konsolidierten)430 Verordnung 2027/ 97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen, Art. 7 der Verordnung 261/ 2004 über die Rechte von Flugreisenden,431 Art. 11 i. V. m. Anhang I, Art. 26 ff. (Wiedergabe des Vertrags über die internationale Eisenbahnbeförderung (CIV)) der Verordnung 1371/2007 über die Fahrgastrechte im Eisenbahnverkehr, Art. 3 i. V. m. Anhang I und II (Wiedergabe des Athener Übereinkommens und der IMO-Richtlinien) der Verordnung 392/2009 über die Unfallhaftung von Beförderern von Reisenden auf See, Art. 7 der Verordnung „Auslegung des Artikels 5 Nr. 3 des Übereinkommens nach Maßgabe des anwendbaren Rechts der außervertraglichen zivilrechtlichen Haftung fehlt somit die Grundlage“). 428 Überraschend ist deshalb der Verweis auf die „geltenden nationalen Rechtsvorschriften“ für den Anspruch in Art. 7 Abs. 1 und Abs. 2 VO 181/2011 über Fahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr auf Entschädigung bei Tod oder Körperverletzung sowie bei Verlust oder Beschädigung von Gepäck bei aus der Nutzung des Kraftomnibusses resultierenden Unfällen, dazu Erwägungsgrund 5 VO 181/2011: „Bei der Bestimmung des nationalen Rechts, das für die Entschädigung bei Tod – einschließlich angemessener Kosten für die Bestattung – oder Körperverletzung oder bei Verlust oder Beschädigung von Gepäck infolge eines aus der Nutzung des Kraftomnibusses resultierenden Unfalls anwendbar ist, sollten die Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (‚Rom II‘) und die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) berücksichtigt werden.“ 429 Siehe etwa die Ablösung der RL 76/768 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel durch die VO 1223/2009 über kosmetische Mittel, die Ablösung der RL 2000/13 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür durch die VO 1169/2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel, die Ablösung der RL 2003/6 durch die VO 596/2014 über Marktmissbrauch oder die Ablösung der Datenschutzrichtlinie 95/46 durch eine Datenschutz-Grundverordnung 2016/679. Siehe auch den Vorschlag für eine Verordnung über die Sicherheit von Verbraucherprodukten und zur Aufhebung der Richtlinie 87/357/EWG des Rates und der Richtlinie 2001/ 95/EG KOM(2013) 78. 430 Geändert durch Verordnung 889/2002 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 des Rates über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Unfällen. 431 Zur Rechtsnatur dieser Vorschrift noch ausführlich unten § 8 I 3 → S. 440.
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181/2011 über die Fahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr, Art. 35a der Verordnung 1060/2009 über Ratingagenturen in der durch die Verordnung 462/2013 geänderten Fassung,432 Art. 82 der Datenschutz-Grundverordnung 2016/679433 und Art. 68 des noch nicht in Kraft getretenen Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht.434 Von diesen Vorschriften sollen im Folgenden nur die Regeln der Verordnung 261/2004 über Fluggastrechte zusammen mit den Vorschriften des durch Art. 3 Abs. 1 VO 2027/97 in die Unionsrechtsordnung überführten Übereinkommens von Montreal näher untersucht werden, weil die Regeln zur Luftbeförderung zum einen dem Bürgerlichen Recht am nächsten stehen und zum anderen insofern bereits auf eine umfangreiche Judikatur des Gerichtshofs zurückgegriffen werden kann. 2. Fünf Sachmaterien Neben der Repräsentation aller drei Einwirkungsformen des Unionsprivatrechts waren für die Auswahl der fünf einbezogenen Sachmaterien des Kartelldeliktsrechts, des Verbrauchervertragsrechts, des Reiserechts, des Produkthaftungsrechts und der Luftbeförderung von Personen noch zwei weitere Kriterien maßgeblich, nämlich die Reife der Judikatur zum Schadensersatz und die Nähe zum Bürgerlichen Recht. Zu allen fünf untersuchten Sachmaterien sind bereits Entscheidungen des Gerichtshofs zu Existenz, Funktionen, Inhalt und Reichweite des Ersatzanspruchs ergangen, und zumindest vier der untersuchten Sachmaterien weisen eine Nähe zum Bürgerlichen Recht auf, weil die betreffenden Richtlinien entweder im BGB umgesetzt wurden (Verbrauchervertragsrecht, Reiserecht), dem BGB nahe stehen (Produkthaftung) oder einen besonderen Vertragstypus des BGB spezialgesetzlich überformen (Luftbeförderung von Passagieren). 432 Zum Verweis auf die Begriffe des nationalen Rechts in dieser Haftungsnorm Erwägungsgrund 35 VO 462/2013 und Art. 35a Abs. 4: „Begriffe wie ‚Schaden‘, ‚Vorsatz‘, ‚grobe Fahrlässigkeit‘, ‚in vertretbarer Weise verlassen‘, ‚gebührende Sorgfalt‘, ‚Auswirkung‘, ‚angemessen‘ und ‚verhältnismäßig‘, die in diesem Artikel genannt aber nicht definiert werden, werden im Einklang mit dem jeweils geltenden nationalen Recht gemäß den einschlägigen Bestimmungen des internationalen Privatrechts ausgelegt und angewandt. Fragen der zivilrechtlichen Haftung einer Ratingagentur, die nicht von dieser Verordnung geregelt werden, unterliegen dem jeweils geltenden nationalen Recht gemäß den einschlägigen Bestimmungen des internationalen Privatrechts.“ 433 Dazu Gola/Piltz RDV 2015, 279, 282 ff. 434 Die Regelung ist maßgeblich durch Art. 13 RL 2004/48 inspiriert. Die Klagen gegen den Beschluss zur verstärkten Zusammenarbeit wurden vom EuGH abgewiesen, EuGH (Große Kammer) 16.4.2013, verb. Rs. C-274/11 und C-295/11, ECLI:EU:C:2013:240 – Spanien/Rat. Gleiches gilt für die Nichtigkeitsklagen gegen die dem einheitlichen Patent zugrunde liegenden EU-Verordnungen (VO 1257/2012 und VO 1260/2012), EuGH (Große Kammer) 5.5.2015, Rs. C-146/13 und C-147/13, ECLI:EU:C:2015:298 – Spanien/ Parlament und Rat.
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3. Zehn Sachfragen a) Ausgewählte Fragen des Haftungs- und Schadensrechts Hinsichtlich des untersuchten Normenmaterials erstreckt sich die Untersuchung auf solche Regeln des Unionsprivatrechts, die den Ersatz oder Ausgleich eines vom Geschädigten erlittenen Schadens durch den Schädiger infolge einer Verletzung eines unionsrechtlich fundierten Rechts anordnen435 (Schadensersatzrecht, zum Begriff sogleich § 3 II 1 → S. 120) und aus deren Vergleich rechtsgebietsübergreifende, also vom konkreten Haftungstatbestand losgelöste Erkenntnisse zu erwarten sind. Einbezogen wurden dabei Sachfragen sowohl des Rechts der Haftungsvoraussetzungen436 wie des Schadensrechts (verstanden als die Regelung der Haftungsfolgen bezogen auf das Rechtsschutzziel Schadensersatz).437 Der Begriff Schadensersatz soll also 435 Zur Definition des Schadensersatzes Oertmann in: Stier-Somlo/Elfter Handwörterbuch der Rechtswissenschaft V (1928) S. 256: „Schadensersatz ist der Ersatz der Nachteile, die einer Person infolge eines Ereignisses in dem, was sie ist oder was sie hat, erwachsen sind“; Grunsky in: Tilch (Hrsg.) Deutsches Rechts-Lexikon3 (2001) S. 3678: „Schadensersatz ist der Ausgleich eines vom Geschädigten erlittenen Schadens durch den Schädiger“. Mit der Bezeichnung „Ersatz oder Ausgleich“ wird zwar die Kompensationsfunktion des Schadensersatzes unterstrichen, indes schließt dies nicht aus, dass die Schadensersatzverpflichtung auch anderen Zwecken dient, vgl. Koziol FS Magnus (2014) 61, 67 f. = JETL 5 (2014) 257 f., 265, der als Unterschied zwischen dem Recht des Schadensersatzes und dem law of torts u. a. herausarbeitet, dass der Begriff des Schadens (damage) im law of torts nicht immer kompensatorischen Zwecken diene. Siehe auch die Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen – Praktischer Leitfaden zur Ermittlung des Schadensumfangs bei Schadensersatzklagen im Zusammenhang mit Zuwiderhandlungen gegen Artikel 101 oder 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Rn. 1, abrufbar unter : „Schadensersatz bedeutet, den Geschädigten in die Lage zu versetzen, in der er sich befände, wenn keine Zuwiderhandlung stattgefunden hätte.“ 436 Der Begriff Haftungsrecht wird nicht einheitlich gebraucht. Zuweilen werden darunter alle Normen gefasst, „die festlegen, unter welchen Voraussetzungen dem Geschädigten ein Ersatzanspruch gegen seinen Schädiger zusteht“, also im Wesentlichen die Haftungsnormen des Vertragsrechts, des allgemeinen und speziellen Deliktsrechts und der Gefährdungs- und Aufopferungshaftung, Jansen in: Historisch-kritischer Kommentar II/1 (2007) §§ 249–253, 255 Rn. 1 Fn. 1. Andere wollen den Begriff des Haftungsrechts sowohl auf die Haftungsvoraussetzungen wie die Rechtsfolgen beziehen, Koziol FS Magnus (2014) 61, 62 = JETL 5 (2014) 257, 258. Anders wiederum Brüggemeier Haftungsrecht (2006) S. 5, der den Begriff zwar sowohl auf die Haftungsvoraussetzungen wie die Rechtsfolgen bezieht („Das Schadensrecht ist ein selbständiger Zweig des Haftungsrechts“), aber nur die außervertragliche Haftung einbezieht (S. 1); ähnlich Schulte-Nölke in: Karlsruher Forum 2015: Europäisierung des Haftungsrechts (2016) 3, 6: „ein den Begriff ‚Deliktsrecht‘ erweiternder Gegenbegriff zu Vertragsrecht“ oder „Haftung für Schäden aufgrund von Pflichtverletzungen“, wobei Schulte-Nölke den letztgenannten Begriff für vorzugswürdig hält. 437 Das Schadensrecht beschränkt sich auf „die Regelung der Rechtsfolgen im Falle einer Haftungsverpflichtung“, Jansen in: Historisch-kritischer Kommentar II/1 (2007)
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nicht auf das Recht der Haftungsfolgen beschränkt sein,438 sondern Haftungsvoraussetzungen und Haftungsfolgen umfassen,439 wobei die Arbeit nur solche Fragen einbezieht, die einer übergreifenden Untersuchung unabhängig von einzelnen Haftungstatbeständen zugänglich sind. Deshalb wurde der an die Rechtsfolge anknüpfende Begriff des Schadensersatzes als Oberbegriff gewählt,440 unter dessen Dach ausgewählte Sachfragen der unterschiedlichen Haftungstatbestände des Unionsprivatrechts in Abwesenheit eines allgemeinen unionalen Haftungsrechts übergreifend untersucht werden sollen, ohne auf ein national vorgeprägtes Begriffsverständnis des Haftungsrechts zurückgreifen zu müssen.441 Die Untersuchung will also keine umfassende Untersuchung des gesamten unionalen Haftungsrechts bieten, weil ein solcher Untersuchungszuschnitt im Unionsrecht infolge des Fehlens eines allgemeinen Deliktsrechts und der Proliferation sonderdeliktischer Ansprüche sachlich kaum durchführbar erscheint. Es fällt schwer, ein übergreifendes Band zwischen Kartelldelikten, §§ 249–253, 255 Rn. 1 Fn. 1; ebenso Koziol FS Magnus (2014) 61, 62 = JETL 5 (2014) 257, 258. 438 Zur Einbeziehung der Haftungsvoraussetzungen und der Rechtsfolgen sowie der vertraglichen und außervertraglichen Haftung in den Begriff „Recht des Schadensersatzes“ auch der Titel des „Dreyßigste[n] Hauptstück[s]“ des „Zweyte[n] Theil[s]“ des österreichischen ABGB: „Von dem Rechte des Schadensersatzes und der Genugthuung“ (zur Einbeziehung der Vertragshaftung vgl. § 1295 ABGB, zur Einbeziehung auch der Haftungsfolgen §§ 1323 ff. ABGB). Für einen umfassenden Begriff des Schadensersatzrechts auch Koziol FS Magnus (2014) 61, 62 f. = JETL 5 (2014) 257, 258. Für ein engeres Verständnis des Schadensersatzrechts Grunsky in: Tilch (Hrsg.) Deutsches Rechts-Lexikon3 S. 3679: „Vom Haftungsrecht unterscheidet sich das Schadensersatzrecht dadurch, daß es eine Ersatzpflicht des Schädigers voraussetzt“; Wurmnest in: Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts II (2009) 1336: „Das Schadensrecht, auch Schadensersatzrecht genannt, regelt die genauen Rechtsfolgen im Falle einer solchen Haftungsverpflichtung.“ 439 So auch Jansen in: Historisch-kritischer Kommentar II/1 (2007) §§ 249–253, 255 Rn. 1 Fn. 1. 440 Zu den terminologischen Schwierigkeiten bei der Eingrenzung der Materie auch Weitenberg in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 14/1 ff.; Schulze in: Schulze (Hrsg.) Compensation of Private Losses (2011) 3, 8 f. 441 Diese Herangehensweise – Orientierung am Rechtsschutzziel – dürfte auch aus der Perspektive des englischen law of torts nachvollziehbar sein. Zwar bestehen zwischen Schadensersatzrecht und law of torts nicht unerhebliche Unterschiede, ausführlich Koziol FS Magnus (2014) 61, 64 ff. = JETL 5 (2014) 257, 260 ff., etwa das nicht jeder tort überhaupt einen Schaden voraussetzt, dass der Begriff des Schadens je nach tort unterschiedlich sein kann und dass das law of torts nicht immer Kompensationszwecken dient. Eine Teilmenge des law of torts, nämlich die zumindest auch auf Schadensausgleich zielenden torts, lässt sich durchaus mit dem Schadensersatzrecht vergleichen, Koziol FS Magnus (2014) 61, 70 = JETL 5 (2014) 257, 268: „Lediglich jener – immerhin größere – Teil des law of torts, in dem der Eintritt eines Schadens vorausgesetzt wird und als Rechtsfolge dessen Ausgleich vorgesehen wird, kann mit der außervertraglichen Schadenshaftung gleichgesetzt werden.“
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§ 3 Gegenstand und Grundbegriffe der Untersuchung
Markenverletzungen und Diskriminierungsverstößen zu spannen, das nicht nur die Verletzungstatbestände auf einen Nenner bringt, sondern auch noch die – im Sonderdeliktsrecht eng mit dem Haftungstatbestand verknüpften – besonderen Rechtfertigungsgründe zu integrieren vermag. So folgt etwa das Markenrecht mit dem Erfordernis einer Benutzungshandlung (Art. 10 RL 2015/ 2436) auf der Ebene des Verletzungstatbestands grundlegend anderen Kriterien als das bereits auf der Ebene der Haftungsbegründung an die Existenz eines Sach- oder Personenschadens anknüpfende Produkthaftungsrecht (Art. 1, 9 RL 85/374). Auch die Rechtswidrigkeit ist eng mit der Ausgestaltung der einzelnen Verletzungstatbestände verknüpft, wie sich aus der Existenz spezieller Rechtfertigungsgründe wie beispielsweise der Schutzschranken im Immaterialgüterrecht (zum Markenrecht z. B. Art. 14, 15 RL 2015/2436; zum Urheberrecht Art. 5 RL 2001/29)442 oder der Freistellungen vom Kartellverbot443 (Art. 101 Abs. 3 AEUV) ergibt.444 Aus diesen Gründen werden die (i. d. R. sondergesetzlich geprägten) Verletzungstatbestände und die Rechtswidrigkeit445 aus der horizontalen Untersuchung des Unionsrechts ausgeklammert.446
442 Zur großen Bedeutung der Schutzschranken als spezielle „Rechtfertigungsgründe“ im Immaterialgüterrecht Metzger in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 209, 214. 443 Im Kartelldeliktsrecht kommt hinzu, dass in vielen Fällen der Verstoß bereits durch eine gemäß Art. 16 Abs. 1 Satz 1 VO 1/2003 verbindliche Kommissionsentscheidung festgestellt sein wird. 444 Zur geringen Bedeutung der Rechtswidrigkeit im Unionsprivatrecht bereits Magnus ZEuP 1998, 602, 614: „Der Unterschied [der Rechtswidrigkeit] zur objektiven Pflichtwidrigkeit verschwimmt allerdings doch vielfach bis zur Unkenntlichkeit. Eine praktische Rolle spielt damit nicht die Rechtswidrigkeit als solche, sondern spielen positive Rechtfertigungsgründe wie in erster Linie Notwehr oder Einwilligung.“ Siehe auch Kötz RabelsZ 54 (1990) 203, 213: „Kein ausländischer Jurist versteht die Leidenschaft, die bei uns durch die Frage freigesetzt worden ist, ob der Begriff der Rechtswidrigkeit stärker ‚erfolgsbetont‘ oder stärker ‚handlungsbetont‘ zu verstehen oder – wie man gern mit einer Anleihe bei der Astrologie sagt – ‚zu deuten‘ sei.“ Speziell zur Produkthaftungsrichtlinie Taschner ZEuS 2002, 145, 149: „Art. 1 der Richtlinie kennt den Begriff [der Rechtswidrigkeit] nicht. Also ist die Diskussion über die Rechtswidrigkeit im Rahmen der Richtlinie obsolet.“ Skeptisch auch Remien in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 359, 363 f.: „Das entstehende Bild ist also in der Form wenig klar.“ 445 Zu diesen Begriffen Jansen Die Struktur des Haftungsrechts (2003) S. 570 ff. (der allerdings auf das Konzept der Rechtswidrigkeit verzichten will, S. 579). Zur geringen Bedeutung des Begriffs der Rechtswidrigkeit im Unionsrecht die Nachweise in Fn. 444. 446 Siehe auch die – aus rechtsvergleichender Perspektive – formulierte Kritik von Jansen ZEuP 2004, 441, 443 f. am Gedanken eines europaweit einheitlichen Rechtswidrigkeitsbegriffs unter Verweis auf die national unterschiedlichen Wertungen durch das Rechtswidrigkeitsurteil. Weitergehend Zetzsche ZHR 179 (2015) 490, 519, der auch beim Verletzungstatbestand das Deliktsrecht aufgrund europäischer Einflüsse „[a]uf dem Weg zu einer deliktsrechtlichen Generalklausel“ sieht.
I. Gegenstand
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Auf der anderen Seite macht die sonderdeliktische Ausprägung des Unionsrechts eine horizontale Untersuchung nicht generell unmöglich. So lassen sich insbesondere bei den Rechtsfolgen, also im Schadensrecht (Schadensbegriff und Schadensumfang, mitwirkende Verursachung, Begrenzung des Schadensersatzes, Verjährung und Ausschlussfristen, Verzinsungspflicht), aber auch bei einigen allgemeinen Fragen des Haftungsrechts (Existenz und Funktion des Schadensersatzanspruchs, Anspruchsberechtigung, Verschuldenserfordernis und Kausalität447) Parallelen ausmachen, die eine übergreifende Untersuchung lohnend erscheinen lassen. Gerade diese Termini scheinen sich auch nicht – im Unterschied etwa zum Begriff der Rechtswidrigkeit – einer europäisch-autonomen Kategorisierung zu entziehen, da sie auch vom Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung verwendet werden.448 Zusammenfassend erstreckt sich die Untersuchung damit auf zehn Einzelfragen, nämlich (I.) Existenz eines Schadensersatzanspruch, (II.) Funktionen des Schadensersatzanspruchs, (III.) Aktivlegitimation und Initiativberechtigung, (IV.) Verschulden, (V.) Schadensbegriff und Schadensumfang, (VI.) Kausalität, (VII.) Im Unterschied zum deutschen Recht ist es im Unionsrecht nicht ohne weiteres möglich, trennscharf zwischen haftungsbegründender und haftungsausfüllender Kausalität zu unterscheiden, Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 176. Dies ist – ähnlich wie in den romanischen Rechtsordnungen – darauf zurückzuführen, dass die Haftungstatbestände des Unionsrechts im Regelfall keinen dem § 823 Abs. 1 BGB vergleichbaren Enumerationskatalog geschützter „absoluter“ Rechte und Rechtsgüter und kein zweifach gestuftes Haftungskonzept (Handlung – Rechtsgutverletzung – Schaden) kennen, zur Parallelbeobachtung in der Rechtsvergleichung Spickhoff in: Karlsruher Forum 2007: Folgenzurechnung im Schadensersatzrecht: Gründe und Grenzen (2008) 7, 10; Kleinschmidt in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.) Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts II (2009) 969, 969 f.: „Die dem deutschen Recht geläufige konzeptionelle Unterscheidung zwischen haftungsbegründender und haftungsausfüllender Kausalität ist den meisten europäischen Rechtsordnungen unbekannt“; von Hein FS Magnus (2014) 21, 23; zu den konzeptionellen Unterschieden zwischen einfach und zweifach gestuften Haftungsordnungen auch Zetzsche ZHR 179 (2015) 490, 507 ff. Zum Kartelldeliktsrecht siehe auch Lettl WRP 2015, 537, 540 f., der zwar zwischen haftungsbegründender und haftungsausfüllender Kausalität trennt, beide aber an den gleichen Kriterien misst (541). Zetzsche ZHR 179 (2015) 490, 499 sieht im Kausalzusammenhang nach der Jedermann-Formel im Kartelldeliktsrecht (dazu § 4 III → S. 170) eine Element der „haftungsausfüllenden Kausalität“ und eine „schadensrechtliche“ im Unterschied zu einer „haftungsrechtlichen“ (d. h. an den Haftungsvoraussetzungen anknüpfenden) Lösung (506). Im Produkthaftungsrecht ist eine zweiaktige Kausalprüfung (Produktfehler – rechtsgutbezogener Schaden an Körper, Gesundheit, Sacheigentum – Schadensfolgen) aber möglich, G. Wagner in: MünchKommBGB V6 (2013) § 1 ProdHaftG Rn. 22. 448 Siehe nur zur Anspruchsberechtigung, zur Kausalität und zum Schaden die Rechtsprechung des EuGH zum Staatshaftungsrecht, die explizit auf den Verstoß „gegen eine Rechtsnorm, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen“, den Schaden und den Kausalzusammenhang Bezug nimmt, vgl. die zusammenfassende Darstellung in EuG 8.11.2011, Rs. T-88/09, Slg. 2011, II-7833 Rn. 24 ff. – Idromacchine. 447
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§ 3 Gegenstand und Grundbegriffe der Untersuchung
mitwirkende Verursachung, (VIII.) (gesetzliche und vertragliche) Begrenzung des Schadensersatzes, (IX.) Verjährung und Ausschlussfristen und (X.) Verzinsung. Nach Möglichkeit vermieden werden sollen in dieser Arbeit dogmatische Auseinandersetzungen um einzelne Begriffe, weil diese regelmäßig durch nationale Dogmatik beeinflusst werden, während das Unionsrecht in erster Linie das Ergebnis und weniger der dogmatische Weg interessiert. Deshalb soll beispielsweise die Frage, ob der (materiellrechtliche) Begriff der Anspruchsinhaberschaft bei der Rechtsdurchsetzung durch „qualizifizierte Einrichtungen“ und anderen Formen des überindividuellen Rechtsschutzes angebracht ist449 oder ob nicht vielmehr dort allein eine prozessuale Rechtsstellung ohne materiellen Anspruch450 gegeben ist, offen bleiben. Um diese Indifferenz zu verdeutlichen, wurde neben dem (materiellrechtlichen) Begriff der Aktivlegitimation zusätzlich der neutralere Begriff der Initiativberechtigung gewählt. b) Einbeziehung des Sonderdeliktsrechts und der Vertragshaftung Neben der Ausklammerung deliktsspezifischer Elemente des Haftungstatbestandes sollen mit der etwas unspezifischen Bezeichnung „Schadensersatz“ als Untersuchungsgegenstand zwei weitere Konsequenzen für die Ausrichtung der Arbeit zum Ausdruck gebracht werden, nämlich die Einbeziehung des Sonderdeliktsrechts und der vertraglichen Haftung. Wichtiges Charakteristikum der Untersuchung ist zunächst die Einbeziehung ausgewählter Materien auch des Sonderdeliktsrechts der Union.451 Der Grund erschließt sich aus der Struktur des geltenden Unionsprivatrechts: Anders als in den nationalen Rechtsordnungen und im Unterschied auch zum Amtshaftungsrecht (dazu Art. 340 Abs. 2 AEUV und die Francovich-Rechtsprechung) existiert auf unionaler Ebene kein allgemeines Deliktsrecht, das mit den §§ 823 ff. BGB oder den Art. 1382 ff. Code Civil vergleichbar wäre und an dem sich eine haftungsrechtliche Grundnorm („basic rule“ bzw. „basic norm“, vgl. Art. 1:101 PETL; VI.-1:101 DCFR) orientieren könnte. Vielmehr ist das Privatrecht der Europäischen Union infolge der kompetenz- und poli449 So insbesondere BGH 14.11.2006, XI ZR 294/05, GRUR 2007, 624 Rn. 23 – PINgestützter Kontozugriff: „§ 13 Absatz 2 UWG a. F. (jetzt § 8 Absatz 3 UWG) wies den Verbänden nach allgemeiner Auffassung nicht nur eine prozessuale Klagebefugnis zu. Vielmehr begründete die Vorschrift darüber hinaus eine sachliche Anspruchsberechtigung (Aktivlegitimation) der Verbraucherorganisationen, indem sie sie mit einem materiellrechtlichen (Unterlassungs-)Anspruch aus eigenem Recht ausstattete.“ 450 „Selbständige Prozessführungsbefugnis“, Hadding JZ 1970, 305, 310; „personell eingeschränkte Popularklage“, Halfmeier Popularklagen im Privatrecht (2006) S. 279; siehe auch S. 250: „mit ihnen [Popular- und Verbandsklagekompetenzen] werden keine subjektiven Rechte der jeweiligen Kläger durchgesetzt“. 451 Für Einbeziehung des Sonderdeliktsrechts auch Schulze in: Schulze (Hrsg.) Compensation of Private Losses (2011) 3, 14 f.
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tikgetriebenen Gesetzgebung452 durch eine Vielzahl unterschiedlichster Haftungstatbestände gekennzeichnet, die vom Verbrauchervertragsrecht und der Produkthaftung über das Antidiskriminierungsrecht bis in das Feld der marktbezogenen Sonderdelikte (Lauterkeitsrecht, Kartellrecht, geistiges Eigentum) reichen (siehe den Überlick in § 3 II 1 → S. 120). Mangels allgemeiner Haftungsnormen sind deshalb auch wichtige Judikate des EuGH zum Haftungs- und Schadensrecht auf dem Gebiet des Sonderdeliktsrechts ergangen, sei es zur abschreckenden Wirkung und Verschuldensunabhängigkeit der Haftung bei Geschlechterdiskriminierung im Arbeitsleben, zum Ersatz von damnum emergens und lucrum cessans im Kartelldeliktsrecht, zur Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden im Reiserecht oder zur Schadenspauschalierung bei der Luftbeförderung von Passagieren. Aussagen zum Schadensersatz im Unionsprivatrecht lassen sich deshalb nur dann mit hinreichendem Rückhalt in Judikatur und Gesetzgebung formulieren, wenn zumindest einige der bereits seit längerer Zeit unionsrechtlich überformten Sonderdeliktsrechte in die Untersuchung einbezogen werden. Die Einbeziehung des Sonderdeliktsrechts spiegelt zudem die praktische Bedeutung der besonderen Haftungstatbestände und setzt einen gewissen Kontrapunkt zur häufig anzutreffenden Fokussierung der Forschung auf die bürgerlich-rechtlichen Haftungsnormen. Der rechtsfolgenorientierte Untersuchungsansatz bedingt ferner eine Einbeziehung auch der vertraglichen Haftung. Dies ist zum einen geboten, weil sonst wesentliche und dem BGB nahestehende Teile des acquis im Schadensersatzrecht (Verbrauchervertragsrecht, Reiserecht, Transportrecht) ausgespart blieben. Zum anderen lässt sich manche Materie des Unionsprivatrechts wie etwa die Ansprüche gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen nach der VO 261/2004453 oder auch immaterialgüterrechtliche Streitigkeiten zwischen den Lizenzvertragsparteien454 oder aus französischer Perspektive auch die
Dazu bereits oben bei Fn. 9 und 10. Die besseren Gründe sprechen für die Qualifikation als Vertragshaftung, siehe Text und Nachweise in Teil 2 – Fn. 248. Ebenso (Anwendung des Vertragsgerichtsstands nach Art. 7 Nr. 1 EuGVO) BGH 18.8.2015, X ZR 2/15, BeckRS 2015, 14817 Rn. 9: „Der Senat versteht den Anspruch auf Ausgleichszahlung nach Art. 7 FluggastrechteVO als einen gesetzlichen Anspruch gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen auf vertraglicher Grundlage. Der Anspruch folgt zwar nicht unmittelbar aus dem mit einem Luftfahrtunternehmen abgeschlossenen Beförderungsvertrag, setzt aber voraus, dass der Anspruchsteller über eine bestätigte Buchung verfügt, was wiederum regelmäßig vom Bestehen eines Beförderungsvertrages abhängig ist. Der Senat ist bisher davon ausgegangen, dass ein solcher Beförderungsvertrag entweder mit dem ausführenden Luftfahrtunternehmen selbst bestehen kann oder mit einem anderen Unternehmen, für welches das ausführende Luftfahrtunternehmen die Beförderungsleistung erbringt.“ 454 Zur Qualifikation als vertragliche oder außervertragliche Streitigkeit im Sinne des Art. 340 Abs. 1 oder Abs. 2 AEUV im Rahmen eines Softwarevertrages EuGH 18.4.2013, Rs. C-103/11 P, ECLI:EU:C:2013:245 Rn. 62 ff. – Systran. 452 453
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§ 3 Gegenstand und Grundbegriffe der Untersuchung
Produkthaftung455 nicht ohne weiteres dem Vertrags- oder Deliktsrecht zuschlagen.456 Deshalb wurden die vertraglichen Schadensersatznormen nicht von vorneherein aus der Untersuchung ausgenommen. Stattdessen soll im Rahmen der Untersuchung dieser Normen der Fokus auf den Ersatz anderer Interessen als das dem Gewährleistungsrecht nahestehende und deshalb vertragsspezifische Äquivalenzinteresse gerichtet werden. II. Grundbegriffe 1. Schadensersatz Vorschriften mit der Rechtsfolge des Schadensersatzes finden sich im Unionsrecht inzwischen in beachtlicher Zahl.457 Im Primärrecht sind hier vor allem Art. 340 Abs. 2 AEUV und die Haftung der Mitgliedstaaten auf Grundlage der Francovich-Doktrin458 zu nennen, die allerdings in diese Untersuchung nur am Rande einbezogen werden sollen (§ 3 II 2 b → S. 144). Im Sekundärrecht sind zu nennen insbesondere die Art. 20, 21 der Verschmelzungsrichtlinie 78/855, Art. 1, 9 der Produkthaftungsrichtlinie 85/374, Art. 17 Abs. 3 der Handelsvertreterrichtlinie 86/653,459 Art. 5 Abs. 2 der Pauschalreiserichtlinie 90/314 (nunmehr abgelöst durch Art. 14 Abs. 2 RL 2015/2302), Art. 94 Abs. 2 der Verordnung 2100/94 über den gemeinschaftlichen Sorten-
455 Borghetti La responsabilité du fait des produits (2004) S. 432 Rn. 433: „La première caractéristique de la responsabilité prévue par la directive de 1985 est d’échapper à la dichotomie traditionelle entre responsabilité contractuelle et responsabilité extracontractuelle.“ 456 Selbst im Kartelldeliktsrecht gab es offenbar im Instanzenzug im spanischen Zuckerkartell-Verfahren untergerichtliche Entscheidungen, die von einer vertraglichen und nicht einer deliktischen Haftung ausgegangen sind, dazu Suderow WuW 2014, 142, 151 Fn. 53 und 54. 457 Siehe auch den Überblick bei Magnus GS Walz (2007) 435, 436 ff.; ders. in: Schulze (Hrsg.) Common Frame of Reference and Existing EC Contract Law2 (2009) 211, 213 ff.; ders. in: Contract II (2009) Art. 8:401 Rn. 1; Heiderhoff Europäisches Privatrecht4 (2016) Rn. 434 ff. (vertragliche Haftung), Rn. 525 ff. (außervertragliche Haftung). 458 EuGH 19.11.1991, Rs. C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, I-5357 Rn. 39 ff. – Francovich; jüngst zusammenfassend EuGH (Große Kammer) 26.1.2010, Rs. C-118/08, Slg. 2010, I-635 Rn. 30 – Transportes Urbanos; zur Übertragung auf das Vergaberecht EuGH 9.12.2010, Rs. C-568/08, Slg. 2010, I-12655 Rn. 87 – Combinatie Spijker Infrabouw. 459 Allerdings ist der Schadensersatzanspruch dort nur als eine Option neben dem Ausgleichsanspruch vorgesehen, für eine schadensrechtliche Einordnung auch Magnus in: Schulze (Hrsg.) Common Frame of Reference and Existing EC Contract Law2 (2009) 211, 214. Eine Ausgestaltung nur als Ausgleichsanspruch sah noch der Richtlinienvorschlag der Kommission aus dem Jahr 1976 vor, vgl. die Vorlage der Kommission an den Rat vom 17. Dezember 1976, Gleiche Rechte für Handelsvertreter, Bulletin der Europäischen Gemeinschaften Beilage 1/77, Art. 30 mit Erläuterungen auf S. 23 f.
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schutz, Art. 23 Abs. 1 der Datenschutzrichtlinie 95/46460 (nunmehr abgelöst durch Art. 82 Abs. 1 Datenschutz-Grundverordnung 2016/679)461, Art. 3 Abs. 1 i. V. m. dem Anhang (Wiedergabe des Übereinkommens von Montreal) der (konsolidierten)462 Verordnung 2027/97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen, Art. 6 der Richtlinie 1999/93 über elektronische Signaturen; Art. 6 der Wertpapierprospektrichtlinie 2003/71,463 Art. 13 der immaterialgüterrechtlichen Durchsetzungsrichtlinie 2004/48,464 Art. 7 der TransparenzZur Erstreckung auf die elektronische Kommunikation siehe Art. 15 Abs. 2 RL 2002/58, zur Haftungsnorm in Art. 23 RL 95/46 die Nachweise in Teil 3 – Fn. 279. 461 Dazu Gola/Piltz RDV 2015, 279, 282 ff.; zum Überblick über die Entstehungsgeschichte auch Ratsdokument Nr. 13606/15 vom 30.10.2015; zu den Vorschlägen der Mitgliedstaaten Ratsdokument Nr. 14863/1/13 vom 7.11.2013; zum Haftungsschuldner Ratsdokument Nr. 7722/15 vom 13.4.2015, Ratsdokument Nr. 8371/15 vom 4.5.2015 und Ratsdokument Nr. 13606/15 vom 30.10.2015. 462 Geändert durch Verordnung 889/2002 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 des Rates über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Unfällen. 463 In der durch die Richtlinie 2010/73 geänderten Fassung. Zur Ausgestaltung der Zivilsanktionen nach Art. 6 RL 2003/71 und Art. 7 RL 2004/109 EuGH 19.12.2013, Rs. C174/12, ECLI:EU:C:2013:856 Rn. 38 ff. – Hirmann. Art. 6 RL 2003/71 soll, abgesehen vom „Ob“ der Haftung einer der genannten Personen und der Haftungsfreistellung für bloße Zusammenfassungen, „die Ausgestaltung einer Haftung“ in das „Ermessen der Mitgliedstaaten“ stellen, Christ Der Einfluss der EU-Prospektrichtlinie auf das Wertpapierprospekthaftungsrecht in der Bundesrepublik Deutschland (2007) S. 38; Wild Prospekthaftung einer Aktiengesellschaft unter deutschem und europäischem Kapitalschutz (2007) S. 240; Vokuhl in: Veil (Hrsg.) Europäisches Kapitalmarktrecht2 (2014) § 17 Rn. 49. Generell neigt man im Kapitalmarktrecht der Auffassung zu, dass sich aus den europäischen Rechtsakten kaum Vorgaben für den zivilrechtlichen Schadensersatz ergeben, Hellgardt Kapitalmarktdeliktsrecht (2008) S. 6 f.: „ergeht sich der europäische Richtliniengeber in weit gefassten allgemeinen Vorgaben“, „Regelungsarmut auf europäischer Ebene“; Binninger Gewinnabschöpfung als kapitalmarktrechtliche Sanktion (2010) S. 222: „freie Auswahl des Sanktionscharakters“ der Mitgliedstaaten; Furrer/Körner in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 233, 235 f.; Gietzelt/ Ungerer GPR 2012, 333, 336: „nur ungefähre Eckpunkte“; Veil in: Veil (Hrsg.) Europäisches Kapitalmarktrecht2 (2014) § 12 Rn. 4, 7: „Aussagen zu zivilrechtlichen Sanktionen sind in den europäischen Richtlinien eine Ausnahme“; zur Marktmissbrauchsrichtlinie 2003/6 Klöhn in: Kalss/Fleischer/Voigt (Hrsg.) Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2013 (2014) 229, 248 f. Mit Blick auf die Erfahrungen in anderen Rechtsgebieten zweifelt Hellgardt AG 2012, 154, 155 ff. an dem bisher sehr zurückhaltenden Befund des kapitalmarktrechtlichen Schrifttums; offener nun auch Veil in: Veil (Hrsg.) Europäisches Kapitalmarktrecht2 (2014) § 12 Rn. 35; für Schadensersatzansprüche privater Anleger bei Informationspflichtverletzungen auch Einsele JZ 2014, 703, 711, 713; Poelzig JZ 2014, 256, 259 f.; zur Marktmissbrauchsverordnung 596/2014 ebenso dies. ZGR 2015, 801, 816, 828. Siehe auch Wundenberg ZGR 2015, 124, 135 f., der zwischen der Durchsetzung von Richtlinien und Verordnungen differenziert. 464 Ausgeklammert werden die Regeln zur prozessualen Gefährdungshaftung bei unberechtigten einstweiligen Maßnahmen in Art. 9 Abs. 7 und Art. 7 Abs. 4 RL 2004/48, dazu Heinze Einstweiliger Rechtsschutz im europäischen Immaterialgüterrecht (2007) S. 440 ff. 460
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§ 3 Gegenstand und Grundbegriffe der Untersuchung
richtlinie 2004/109,465 Art. 7 Abs. 1 der Fluggastrechteverordnung 261/ 2004,466 Art. 18 der Gleichbehandlungsrichtlinie 2006/54 (= Art. 8 Abs. 2 Gleichbehandlungsrichtlinie 2004/113),467 Art. 50c der Jahresabschlussrichtlinie 78/660 in der durch Art. 1 Nr. 8 der Richtlinie 2006/46 geänderten Fassung, Art. 61 und Art. 75 der Zahlungsdiensterichtlinie 2007/64, Art. 2 Abs. 1 lit. c der Vergabenachprüfungsrichtlinie 89/665 in der Fassung der Richtlinie 2007/66,468 Art. 11 i. V. m. Anhang I, Art. 26 ff. (Wiedergabe des Vertrags Die Regelung zur Haftung für fehlerhafte Finanzberichterstattung in Art. 7 der Transparenzrichtlinie 2004/109 soll den Mitgliedstaaten „erheblichen Interpretations- und Umsetzungsspielraum“ belassen, so Brinckmann in: Veil (Hrsg.) Europäisches Kapitalmarktrecht2 (2014) § 18 Rn. 62 mit Verweis auf Erwägungsgrund 17. Zur Ausgestaltung der Zivilsanktionen nach Art. 6 RL 2003/71 und Art. 7 RL 2004/109 nun EuGH 19.12.2013, Rs. C-174/12, ECLI:EU:C:2013:856 Rn. 38 ff. – Hirmann. 466 Zur Einordnung als Schadensersatzanspruch unten § 8 I 3 → S. 440. 467 Art. 18 RL 2006/54 knüpft an den früheren Art. 1 Abs. 5 RL 2002/73 an, durch den Art. 6 Abs. 2 RL 76/207 um eine Schadensersatzregelung ergänzt wurde. Art. 1 Abs. 5 RL 2002/73 wurde wiederum durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den Folgen der Geschlechterdiskriminierung inspiriert, wie sich aus Erwägungsgründen 17 und 18 RL 2002/73 und Erwägungsgrund 33 RL 2006/54 ergibt. Zur Anknüpfung an die Judikatur des Gerichtshofs zu Art. 6 RL 76/207 auch der Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 76/207/EWG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen KOM(2000) 334 Rn. 45. Weniger spezifisch geregelte Schadensersatzansprüche im Antidiskriminierungsrecht finden sich auch in Art. 15 RL 2000/43 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder ethnischen Herkunft [= Art. 17 RL 2000/78 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf = Art. 14 RL 2004/113 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen]: „Die Mitgliedstaaten legen die Sanktionen fest, die bei einem Verstoß gegen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Anwendung dieser Richtlinie zu verhängen sind, und treffen alle geeigneten [Art. 17 RL 2000/78 und Art. 14 RL 2004/ 113: „erforderlichen“] Maßnahmen, um deren Durchsetzung zu gewährleisten. Die Sanktionen, die auch Schadenersatzleistungen an die Opfer umfassen können, müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.“ 468 Diese Norm passt nicht unbedingt in die Aufzählung, da sie die Haftung des Staates regelt und damit eine Konkretisierung der Staatshaftung nach Francovich darstellt, EuGH 9.12.2010, Rs. C-568/08, Slg. 2010, I-12655 Rn. 87 – Combinatie Spijker Infrabouw. Zum dreistufigen Maßnahmenpaket bei der Vergabenachprüfung EuGH 26.11.2015, Rs. C-166/ 14, ECLI:EU:C:2015:779 Rn. 29 – MedEval; zur Gewährleistung eines Schadensersatzanspruchs im Vergaberecht etwa EuGH 6.5.2010, verb. Rs. C-145/08 und C-149/08, Slg. 2010, I-4165 Rn. 80 – Club Hotel Loutraki: „Nach alledem ist […] zu antworten, dass das Unionsrecht, insbesondere das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz, einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die dahin ausgelegt wird, dass die Mitglieder einer in einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags als Bieterin aufgetretenen Gelegenheitsgesellschaft nicht die Möglichkeit haben, individuell Ersatz des Schadens zu verlangen, den sie aufgrund einer Entscheidung 465
II. Grundbegriffe
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über die internationale Eisenbahnbeförderung (CIV)) der Verordnung 1371/ 2007 über die Fahrgastrechte im Eisenbahnverkehr, Art. 3 i. V. m. Anhang I und II (Wiedergabe des Athener Übereinkommens und der IMO-Richtlinien) der Verordnung 392/2009 über die Unfallhaftung von Beförderern von Reisenden auf See, Art. 6 Abs. 1 und 3 der Zahlungsverzugsrichtlinie 2011/7, Art. 7 der Verordnung 181/2011 über die Fahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr, Art. 35a der Verordnung 1060/2009 über Ratingagenturen in der durch die Verordnung 462/2013 geänderten Fassung469 und – mittelbar470 – Art. 3 und Art. 12 der Kfz-Haftpflichtrichtlinie 2009/103, Art. 11 Abs. 2 der Verordnung 1286/2014 über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger- und Versicherungsanlageprodukte (PRIIP) sowie Art. 14 der Richtlinie 2016/943 über den Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Nur mittelbar für den Schadensersatz relevant sind die Haftungsprivilegierungen in Art. 12–15 der E-Commerce-Richtlinie 2000/31, die nicht die Voraussetzungen für die Verantwortlichkeit der Vermittler harmonisieren, sondern lediglich deren Haftung beschränken.471 Ebenfalls eine bloße Haftungsprivilegierung findet sich in Art. 26 der Geldwäscherichtlinie 2005/60. individuell erlitten zu haben behaupten, die von einer anderen Behörde als dem öffentlichen Auftraggeber, welche nach den geltenden nationalen Rechtsvorschriften an diesem Verfahren beteiligt gewesen ist, getroffen worden ist und die den Ablauf des Verfahrens beeinflussen konnte“. 469 Zum Verweis auf die Begriffe des nationalen Rechts in dieser Haftungsnorm Erwägungsgrund 35 VO 462/2013 und Art. 35a Abs. 4, dazu Nachweise oben in Fn. 432. Dazu Dutta WM 2013, 1729, 1730 ff.; Berger/Ryborz WM 2014, 2241, 2246. 470 Die Kfz-Haftpflichtversicherungsrichtlinie harmonisiert nicht die Regeln über die zivilrechtliche Haftung und den Umfang des Schadensersatzes, sondern knüpft an diese Regeln an, Art. 12 Abs. 3 Satz 2 RL 2009/103; EuGH (Große Kammer) 23.10.2012, Rs. C-300/10, ECLI:EU:C:2012:656 Rn. 28 f. – Almeida; EuGH 24.10.2013, Rs. C-277/ 12, ECLI:EU:C:2013:685 Rn. 32 – Drozdovs; zur Abgrenzung im Einzelfall EuGH 23.1.2014, Rs. C-371/12, ECLI:EU:C:2014:26 Rn. 28 ff. – Petillo. Allerdings dürfen die nationalen Haftpflichtvorschriften die Kfz-Haftpflichtversicherungsrichtlinien nicht ihrer praktischen Wirksamkeit berauben, EuGH 23.1.2014, Rs. C-371/12, ECLI:EU:C:2014:26 Rn. 32, 41 ff. – Petillo. Art. 11 Abs. 2 PRIIP-VO verlangt die Existenz eines Schadensersatzanspruchs, verweist aber für den Ersatz des Verlusts auf den Schadensersatz nach nationalem Recht. 471 EuGH (Große Kammer) 23.3.2010, Rs. C-236/08 bis C-238/08, Slg. 2010, I-2417 Rn. 107 – Google France und Google. Art. 18 Abs. 1 der E-Commerce-RL 2000/31 gewährleistet ein Mindestniveau des Unterlassungs- und Beseitigungsrechtsschutzes. Geboten sind nicht nur Maßnahmen, die zur Beendigung der bereits hervorgerufenen Verletzungen führen, sondern zudem auch Maßnahmen, die wirksam erneuten Verletzungen vorbeugen, vgl. EuGH (Große Kammer) 12.7.2011, Rs. C-324/09, Slg. 2011, I-6011 Rn. 131 ff., 141 f. – L’Oréal; EuGH 16.2.2012, Rs. C-360/10, ECLI:EU:C:2012:85 Rn. 29 – SABAM. Eine Garantie von Schadensersatzansprüchen liegt darin nicht, der „Schaden“ in Art. 18 Abs. 1 bzw. die „Schäden“ in Erwägungsgrund 52 RL 2000/31 beziehen sich auf die Abwehr von Schäden durch den Unterlassungsrechtsschutz.
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§ 3 Gegenstand und Grundbegriffe der Untersuchung
Hinzu kommen richterrechtlich geschaffene Schadensersatzansprüche wie der inzwischen gesetzlich geregelte472 Anspruch auf Schadensersatz bei Geschlechterdiskriminierung,473 der inzwischen ebenfalls gesetzlich bestätigte474 Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen das EU-Wettbewerbsrecht475 oder der Anspruch auf Überwälzung der Risiken einer Immobilienanlage bei Verstoß gegen die Belehrungspflicht über das Haustürwiderrufsrecht.476 Darüber hinaus finden sich verschiedene Kommissionsvorschläge, die nicht verabschiedet wurden oder noch nicht in Kraft getreten sind und damit (noch) nicht Teil des geltenden Unionsprivatrechts geworden sind. Dazu zählen etwa die Schadensersatzvorschriften im gescheiterten Vorschlag für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht477 und in dem aktuellen Vorschlag für eine Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte.478 Zu nennen ist schließlich Art. 68 des noch nicht in Kraft getretenen Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht,479 der sich an Art. 13 der Durchsetzungsrichtlinie 2004/48 orientiert.
Oben Fn. 467. EuGH 2.8.1993, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367 Rn. 25 – Marshall II: „kann jedoch die Gleichheit ohne Wiedereinstellung der diskriminierten Person oder aber finanzielle Wiedergutmachung des ihr entstandenen Schadens nicht wiederhergestellt werden“; siehe bereits EuGH 10.4.1984, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 Rn. 18, 23 – von Colson und Kamann; EuGH 10.4.1984, Rs. 79/83, Slg. 1984, 1921 Rn. 18, 23 – Harz; ferner EuGH 22.4.1997, Rs. C-180/95, Slg. 1997, I-2195 Rn. 25 – Draehmpaehl. 474 Art. 3 RL 2014/104. 475 EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 26 – Courage; EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 – C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 61 – Manfredi; EuGH (Große Kammer) 14.6.2011, Rs. C-360/09, Slg. 2011, I-5161 Rn. 28 – Pfleiderer. 476 EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 101 – Schulte; zur Qualifikation als Schadensersatzanspruch unten § 5 I 2 b aa → S. 263. 477 Dort Art. 2 lit. c, g VO-E und Art. 159 ff. GEK-E, siehe KOM(2011) 635; dazu K. Huber euvr 2013, 197; Remien in: Schmidt-Kessel/Leible/Tichý (Hrsg.) Perspektiven des Verbrauchsgüterkaufs (2015) 143, 145 ff. Zur Kritik Eidenmüller/Jansen/Kieninger/G. Wagner/Zimmermann JZ 2012, 269, 287; zu einer Analyse dieses Vorschlags im Vergleich zur bisherigen Rahmensetzung durch den Effektivitätsgrundsatz Leczykiewicz ERCL 8 (2012) 47, 60 ff. 478 Art. 2 Nr. 5 und Art. 14 sowie Erwägungsgrund 44 im Vorschlag für eine Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte KOM(2015) 634. 479 Die Regelung ist maßgeblich durch Art. 13 RL 2004/48 inspiriert. Die Klagen gegen den Beschluss zur verstärkten Zusammenarbeit wurden vom EuGH abgewiesen, EuGH (Große Kammer) 16.4.2013, verb. Rs. C-274/11 und C-295/11, ECLI:EU:C:2013:240 – Spanien/Rat. Gleiches gilt für die Nichtigkeitsklagen gegen die dem einheitlichen Patent zugrundeliegenden EU-Verordnungen (VO 1257/2012 und VO 1260/2012), EuGH (Große Kammer) 5.5.2015, Rs. C-146/13 und C-147/13, ECLI:EU:C:2015:298 – Spanien/Parlament und Rat. 472 473
II. Grundbegriffe
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Bemüht man sich um eine Gesamtschau der geltenden Regeln zum Schadensersatz im Unionsprivatrecht, so lassen sich zwei Elemente als charakteristisch für Schadensersatzansprüche im Unionsrecht ausmachen, nämlich der Begriff des Schadens und der Charakter als Ersatzansprüche für Einbußen, die durch das Verhalten des Antragsgegners verursacht wurden480 (zum Begriff siehe auch bereits oben § 3 I 3 a → S. 114). a) Schadensbegriff Zum einen ist erforderlich, dass der Kläger den Beklagten auf Ersatz seines Schadens, also auf Schadenshaftung in Anspruch nimmt:481 der „‚Schadensersatzanspruch‘ [bezeichnet] einen Anspruch auf Ersatz des durch eine Zuwiderhandlung […] verursachten Schadens“ (Art. 2 Nr. 5 RL 2014/104).482 480 Zu den notwendigen Elementen eines europäischen Deliktsrechts bereits Magnus ZEuP 1998, 602, 612: „Denn unabhängig von der Ausgestaltung als Verschuldens- oder Gefährdungshaftung setzt das Deliktsrecht aller Vertragsstaaten für eine Haftung in jedem Fall einen Schaden voraus, der kausal auf den Haftungsgrund zurückzuführen sein muss und in seiner Höhe von einem Mitverschulden des Geschädigten beeinflußt sein kann“; ders. in: Research Group on the Existing EC Contract Law – Principles of the Existing EC Contract Law (Acquis Principles) Contract II (2009) Art. 8:401 Rn. 7: „In principle, an entitlement to damages requires a loss on the part of the creditor and its causation by the debtor.“ Siehe auch Brüggemeier Haftungsrecht (2006) S. 1: „Hat jemand zurechenbar ein geschütztes Interesse einer anderen Person verletzt, dann hat er die Schäden, die dieser Person aus der Verletzung entstehen, zu ersetzen. Dies kann als Grundprinzip des außervertraglichen Schadensersatzrechts gelten.“ 481 Siehe (im Kontext der EuGVO) das erste Definitionselement in EuGH 27.9.1988, Rs. 189/87, Slg. 1988, 5565 Rn. 18 – Kalfelis: (das zweite bezieht sich auf die Abgrenzung zum Vertragsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 1 EuGVO und ist nicht zur übergreifenden Definition des Schadensersatzanspruchs geeignet, der auch auf Vertrag gestützt werden kann) „der Begriff ‚unerlaubte Handlung‘ im Sinne von Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens [ist] als autonomer Begriff anzusehen […], der sich auf alle Klagen bezieht, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen ‚Vertrag‘ im Sinne von Artikel 5 Nr. 1 anknüpfen“; ferner (zur Abgrenzung von deliktischer Haftung und zu Klagen, durch die die Wirkungen beeinträchtigender Verfügungen des Beklagten beseitigt werden) EuGH 26.3.1992, Rs. C-261/09, Slg. 1992, I-2149 Rn. 19 – Reichert: „Zweck einer derartigen Klage ist es nicht, den Schuldner zum Ersatz des Schadens verurteilen zu lassen, den er dem Gläubiger durch seine zur Beeinträchtigung von dessen Rechten vorgenommene Verfügungshandlung verursacht hat.“ 482 Ähnlich Art. 2 Nr. 5 im Vorschlag für eine Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte KOM(2015) 634: „‚Schadensersatz‘ einen Geldbetrag, zu dem Verbraucher als Ausgleich für eine wirtschaftliche Schädigung ihrer digitalen Umgebung berechtigt sein können.“ Siehe auch Art. 2 lit. g VO-E im Entwurf für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht KOM(2011) 635: „‚Schadensersatz‘ einen Geldbetrag, zu dem eine Person als Entschädigung für einen erlittenen Verlust oder einen körperlichen oder sonstigen Schaden berechtigt sein kann“, zu dieser Vorschrift K. Huber euvr 2013, 197, 202 f.
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§ 3 Gegenstand und Grundbegriffe der Untersuchung
Dieser Schaden liegt regelmäßig in der individuellen Einbuße (auch in Form eines pauschalen Ausgleichs) eines Einzelnen; ein Angriff auf kollektive Güter oder Interessen stellt allenfalls dann einen Schaden dar, wenn es der Zweck der betreffenden Norm ist, auch solche Rechtsverletzungen mit dem Instrument eines Schadensersatzanspruchs zu bekämpfen.483 Der Begriff des Schadens entzieht sich nach den bisherigen Untersuchungen zum unionalen Haftungs- und Schadensrecht – ähnlich wie im deutschen Recht484 – einer abstrakten Definition.485 Als Schaden im Rechtssinn wird deshalb „jeder 483 Zum kollektiven Rechtsschutz im Verbraucherrecht etwa EuGH 1.10.2002, Rs. C-167/00, Slg. 2002, I-8111 Rn. 42 – Henkel: „Der Begriff des schädigenden Ereignisses“ in Artikel 5 Nummer 3 des Brüsseler Übereinkommens […] erfasst daher im Bereich des Verbraucherschutzes nicht nur Sachverhalte, in denen ein Einzelner einen individuellen Schaden erleidet, sondern u. a. auch Angriffe auf die Rechtsordnung durch die Verwendung missbräuchlicher Klauseln, deren Verhinderung die Aufgabe von Organisationen wie dem Kläger ist.“ Allerdings ist insofern auf Unionsebene bisher nur der Unterlassungsrechtsschutz garantiert. Zum Schutz kollektiver Interessen durch Schadensersatzansprüche zusammenfassend § 9 III 4 b → S. 565. 484 Zur Diskussion um den Schadensbegriff in Deutschland siehe nur Lange/Schiemann Schadensersatz3 (2003) S. 26 ff.; zur geringen Bedeutung dieser Diskussion für die Bewältigung praktischer Fälle bereits Magnus Schaden und Ersatz (1987) S. 4 f.; Kötz RabelsZ 54 (1990) 203, 212: „Der intellektuelle Aufwand, den man in den Dienst der Beantwortung dieser Frage [abstrakter Nutzungsausfall als Schaden] gestellt hat, ist staunenswert, hat aber zu einem Konsens der Gelehrten oder der Gerichte nicht geführt und war für die gerichtliche Praxis offenbar so wenig ergiebig oder so verwirrend, daß […] der Große Senat für Zivilsachen angerufen werden musste“; Stoll Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht (1993) S. 238 Rn. 206: „Die Lehre der Rechtsvergleichung ist eindeutig: Die Probleme des Schadensrechts sind von dem theoretischen Verständnis des Schadens weitgehend unabhängig und lassen sich deshalb durch eine Analyse des Schadensbegriffs nicht lösen“; Thüsing Wertende Schadensberechnung (2001) S. 11: „Unter dem Oberbegriff der Schadenstheorien verbirgt sich eine recht gestaltlose Anhäufung von Konzeptionen von sehr unterschiedlicher Argumentationsdichte und unterschiedlichem Geltungsanspruch“; Dreier Kompensation und Prävention (2002) S. 32: „So wird der Versuch, alle Einzelprobleme des Schadensrechts durch einen einheitlichen Schadensbegriff widerspruchsfrei zu begründen […], heute denn auch zunehmend wohl zu Recht als gescheitert angesehen“; Jansen in: Historisch-kritischer Kommentar II/1 (2007) §§ 249–253, 255 Rn. 5: „Abstrakte Ansätze […] boten dabei keine Hilfe.“ Zu dieser Erkenntnis bereits Ehrenzweig Die Schuldhaftung im Schadensersatzrecht (1936) S. 173 f.: „Will die Rechtsordnung demjenigen Rechtsgenossen, der in seiner Beziehung zur Sache gestört wurde, einen Ersatz verschaffen, der das ihm angetane Übel gutmacht, und nennt sie dieses Übel Schaden, so kann diese Rechtsordnung den Schadensbegriff nur zu umschreiben versuchen; niemals kann sie eine logische Definition des Schadensbegriffes, des Übels finden.“ 485 Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 209: „Die Rechtsprechung der Gemeinschaftsgerichte hat keine abstrakte Definition eines Schadensbegriffs erarbeitet“, S. 330: „Von allen Haftungsvoraussetzungen ist der Begriff des Schadens im Gemeinschaftsrecht am schwächsten ausgeprägt“; Vaquer in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 2/2; Oskierski Schadensersatz im Europäischen Recht (2010) S. 84: „In beiden europäischen Rechtsordnungen [Unionsrecht und
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Nachteil [angesehen], der von der Rechtsordnung als Schaden gewertet wird und entsprechend den haftungsrechtlichen Geboten in einer bestimmten Form zu ersetzen ist“, der Schadensbegriff ist also abhängig „von den Wertungen der Rechtsordnung“.486 Der Schadensbegriff soll deshalb im Folgenden ohne den Versuch einer übergreifenden Definition in zwei Erkenntnisschritten entfaltet werden, nämlich zunächst mit einem Blick auf die vorgelagerte Frage der im Unionsrecht grundsätzlich ersatzfähigen Einbußen, sodann mit Ausführungen zur Methode, mit der eine Einbuße festzustellen ist.487 aa) Ersatzfähige Einbußen Soweit im Schrifttum überhaupt der Versuch der Entfaltung eines unionsrechtlichen Schadensbegriffs unternommen wurde, wird von einem „natürlichen Schadensbegriff“488 ausgegangen, der „jede Beeinträchtigung, jede Einbuße, jede nachteilige Veränderung an einem geschützten Gut oder Interesse“ umfasse, wobei die geschützten und zu ersetzenden Interessen und Rechtsgüter „nicht von vorneherein beschränkt“ seien.489 Zutreffend an dieser Feststellung ist zunächst der Hinweis auf die grundsätzliche Offenheit des unionsrechtlichen Schadensbegriffs. Bei autonomer Auslegung ist der Begriff des Schadensersatzes grundsätzlich weit zu fassen,490 so dass er im Ausgangspunkt EMRK] gibt es somit keine generelle Schadensdefinition. Beide gehen aber von einem natürlichen Schadensbegriff aus, so dass Schaden jede Beeinträchtigung, jede Einbuße, jede nachteilige Veränderung an einem geschützten Gut oder Interesse ist. Die geschützten Interessen und Rechtsgüter, für deren Beeinträchtigung Ersatz zu gewähren ist, sind nicht von vorneherein beschränkt.“ 486 Stoll Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht (1993) S. 239 Rn. 207. 487 Zu dieser Differenzierung und Reihenfolge Dreier Kompensation und Prävention (2002) S. 29. 488 Im deutschen Schrifttum versteht man unter einem „Schaden im natürlichen Sinne“ „eine Einbuße, die jemand infolge eines bestimmten Vorganges oder Ereignisses an seinen Lebensgütern, sei es an seiner Gesundheit, seiner körperlichen Integrität, seinem beruflichen Fortkommen, seinen Erwerbsaussichten oder an bestimmten Vermögensgütern, erleidet“, Larenz Lehrbuch des Schuldrechts I14 (1987) § 27 II a S. 426; Lange/Schiemann Schadensersatz3 (2003) S. 27. 489 Oskierski Schadensersatz im Europäischen Recht (2010) S. 84, 383. Siehe auch den rechtsvergleichenden Befund von Magnus Schaden und Ersatz (1987) S. 296: „Als Schaden definieren sie übereinstimmend jede negative Änderung in der Rechts- und Gütersphäre des Betroffenen. Über die Ersatzfähigkeit des so definierten Schadens ist damit freilich noch nicht entschieden.“ 490 Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 224: „Generell verwendet die Rechtsprechung einen weiten Schadensbegriff“; Heiderhoff Europäisches Privatrecht4 (2016) Rn. 294: „Ingesamt kann gegenwärtig nur festgehalten werden, dass der EuGH eine Tendenz zu einem möglichst weiten Schadensbegriff hat.“ Ebenso bereits aus rechtsvergleichender Perspektive Bünger in: Schlegelberger (Hrsg.) Rechtsvergleichendes Handwörterbuch für das Zivil- und Handelsrecht des In- und Auslandes VI (1938) S. 110.
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den Ersatz materieller und immaterieller Schäden,491 von Erstschäden und Folgeschäden,492 von positiven Schäden und entgangenem Gewinn umfasst. Ungeachtet der Offenheit des unionsrechtlichen Schadensbegriffs ist das Konzept eines nahezu uferlosen („jede Beeinträchtigung“)493 natürlichen Schadensbegriffs allerdings insofern einzuschränken, als sich auch im Unionsprivatrecht einige Beeinträchtigungen (z. B. an Körper, Gesundheit, Sacheigentum) ausmachen lassen, die gewissermaßen als Kern des unionalen Schadensbegriffs stets ersatzfähig sind, während andere Einbußen (z. B. verlorene Zeit, Urlaubsfreude) nur dann ersatzfähig sind, wenn sich dies aus dem Regelungsumfeld und insbesondere dem Schutzzweck der verletzten Primärpflicht ergibt (ausführlich in den Ergebnissen § 9 V 3 → S. 585).494 Ob man diese Begrenzungen der ersatzfähigen Einbußen im Rahmen eines im Kern faktischen, an den Rändern normativen europäischen Schadensbegriffs495 erörtert oder zur Reichweite des Haftungstatbestands, insbesondere zur Rechtswidrigkeit zuschlägt,496 mag man unterschiedlich bewerten. Wenn man die Begrenzungen – aus privatrechtlicher Sicht wohl überzeugender – auf den Schadensbegriff bezieht, so lässt sich in der normbezogenen Begrenzung der Ersatzfähigkeit bestimmter Einbußen eine Tendenz zur Normativierung des Schadensbegriffs erkennen, die in gewisser Weise die Entwicklung des deutschen Schadensbegriffs spiegelt, der sich ausgehend von einem außerrechtlich-wirtschaftlichen Schadenskonzept zu unterschiedlich akzentuierten Mischformen ausdifferenziert hat.497 Die übrigen in der Judikatur zum Staats491 Siehe EuGH 3.2.1994, Rs. C-308/87, Slg. 1994, I-341 Rn. 9 ff., 36 ff. – Grifoni zum Ersatz von Vermögens- und Nichtvermögensschäden. 492 Zu dieser Abgrenzung EuGH 19.9.1995, Rs. C-364/93, Slg. 1995, I-2719 Rn. 14 f. – Marinari. 493 Oskierski Schadensersatz im Europäischen Recht (2010) S. 84, 383. 494 Siehe auch die Definition des Verlusts in Art. 2 lit. c VO-E im Entwurf für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht KOM(2011) 635: „Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck […] ‚Verlust‘ den materiellen Verlust sowie den immateriellen Verlust in Form erlittener Schmerzen und erlittenen Leids, ausgenommen jedoch andere Formen des immateriellen Verlusts wie Beeinträchtigungen der Lebensqualität oder entgangene Freude“, zu dieser Vorschrift K. Huber euvr 2013, 197, 199 ff.; Remien in: Schmidt-Kessel/Leible/Tichý (Hrsg.) Perspektiven des Verbrauchsgüterkaufs (2015) 143, 147. Ähnlich wie hier Vaquer in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 2/5: „reparable damage“; „damage must fulfil certain conditions to be compensable“. 495 So (aus rechtsvergleichender Perspektive) Stoll Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht (1993) S. 239 f. Rn. 207 f. 496 Vgl. die Darstellung zum „spezifischen Schaden“ bei Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 220 ff., der dies als Frage der Rechtswidrigkeit einordnet. 497 Zur Normativierung des Schadensbegriffs im deutschen Recht Dreier Kompensation und Prävention (2002) S. 31 m. w. N. zu den Einzelpositionen: „nurmehr Auffassungen finden, die natürliche und normative Elemente in unterschiedlicher Akzentuierung enthalten“.
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haftungsrecht entfalteten Schadensdefinitionen (tatsächlicher und sicherer Schaden)498 dienen, sieht man von dem Sonderproblem der Ersatzfähigkeit entgangener Chancen ab, vor allem prozessualen Zwecken499 (Einklagbarkeit künftiger Schäden, Beweismaß für den Schadensnachweis) und sollen deshalb nicht weiter vertieft werden. bb) Differenzhypothese Lässt sich somit der Kreis ersatzfähiger Einbußen im Unionsrecht im Kern übergreifend und an den Rändern normativ-schutzzweckorientiert definieren, so stellt sich die Folgefrage nach der Methode, mit der eine Einbuße festzustellen ist. Als auf europäischer Ebene anschlussfähig500 erweist sich hier die Differenzhypothese Mommsens,501 die – in ihrer Anwendung durch die deutschen Gerichte – grundsätzlich einen „Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre“502 erfordert, zugleich aber eine wertend-normative Korrektur der Differenzrechnung zulässt, „wenn die Differenzbilanz die Schadensentwicklung für den Normzweck der Haftung nicht zureichend erfasst“.503 Konkret nachgewiesen wurde die Differenzhypothese im Unionsrecht zunächst in der Rechtsprechung zur Staatshaftung (Art. 340 Abs. 2 AEUV) und zum Beamtenrecht.504 Ferner lässt sich die Differenzhypothese auch bei den EinEuGH 9.11.2006, Rs. C-243/05 P, Slg. 2006, I-10833 Rn. 27 – Agraz: „Nach der zweiten, sich auf den Schaden beziehenden Voraussetzung muss der Schaden, für den Ersatz begehrt wird, tatsächlich und sicher sein.“ 499 Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 223; möglicherweise a. A. Vaquer in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 2/10 ff. (dort als „substantive requirements“ bezeichnet). 500 Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 273. 501 Mommsen Beiträge zum Obligationenrecht – Zweite Abtheilung: Zur Lehre von dem Interesse (1855) S. 3: „die Differenz zwischen dem Betrage des Vermögens einer Person, wie derselbe in einem gegebenen Zeitpunkte ist, und dem Betrage, welchen dieses Vermögen ohne die Dazwischenkunft eines bestimmten beschädigenden Ereignisses in dem zur Frage stehenden Zeitpunkt haben würde“. Zur internationalen Verbreitung Magnus Schaden und Ersatz (1987) S. 301: „Auf eine Differenzrechnung kann kein Schadensrecht verzichten“; G. Wagner in: Eger/Schäfer (Hrsg.) Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung (2007) 605, 624; Viney/Jourdain Les effets de la responsabilité3 (2011) Rn. 57. 502 BGH 14.6.2012, IX ZR 145/11, NZG 2012, 866 Rn. 42. 503 BGH 18.10.2011, VI ZR 17/11, NJW 2012, 50 Rn. 9. 504 Oskierski Schadensersatz im Europäischen Recht (2010) S. 181, 186: „Die Gemeinschaftsgerichte folgen also der Differenzhypothese, die die Situation des gesamten Vermögens des Geschädigten in den Blick nimmt“; aus der Rechtsprechung EuGH 4.10.1979, Rs. 238/78, Slg. 1979, 2955 Rn. 13 – Ireks-Arkady; EuGH 17.2.1987, Rs. 21/86, Slg. 1987, 795 Rn. 9 – Samara: „die Betroffene in die Lage zurückzuversetzen, in der sie sich rechtmäßigerweise hätte befinden müssen“ (Anspruch auf Verzugszinsen i. H. v. 8 % jährlich ab 498
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strahlungen des Effektivitätsgrundsatzes und im Sekundärrecht ausmachen. So kann man im Verbrauchervertragsrecht auf die Entscheidung Schulte hinweisen, wo der Gerichtshof zur Konkretisierung der Verpflichtung zur Überwälzung der Kreditrisiken von den Verbrauchern auf die finanzierende Bank einen Vergleich der „Vermögenslage“ der Verbraucher mit und ohne rechtzeitige Belehrung anstellt, 505 was der Differenzhypothese – zumindest mit wertendem Fälligkeit); EuGH 3.2.1994, Rs. C-308/87, Slg. 1994, I-341 Rn. 40 – Grifoni: „Der Ersatz des Schadens soll soweit wie möglich das Vermögen des Opfers eines Unfalls wiederherstellen“; EuGH 27.1.2000, verb. Rs. C-104/89 und C-37/90, Slg. 2000, I-203 Rn. 63 – Mulder II: „soll der Ersatz des Schadens nach ständiger Rechtsprechung soweit wie möglich das Vermögen des Opfers eines rechtswidrigen Verhaltens der Gemeinschaftsorgane wiederherstellen […]. Um die Opfer in die Lage zu versetzen, in der sie sich befunden hätten, wenn die schädigende Handlung nicht geschehen wäre, ist in erster Linie der tatsächlich eingetretene Schaden zu ersetzen“; siehe auch bereits EuGH 6.10.1982, Rs. 261/ 78, Slg. 1982, 3271 Rn. 12 – Interquell: „sind der Berechnung [des Schadens] die Erstattungen bei der Erzeugung von Quellmehl zur Brotherstellung zugrunde zu legen, deren Zahlung die Klägerin hätte verlangen können, wenn in der betreffenden Zeit die Herstellung von Quellmehl einen Anspruch auf die gleichen Erstattungen begründet hätte wie die Herstellung von Stärke“; EuGH 1.7.1976, Rs. 58/75, Slg. 1976, 1139 Rn. 39/41 – Sergy; EuGH 5.5.1983, Rs. 785/79, Slg. 1983, 1343 Rn. 12 – Pizziola: „steht den Beamten, die aufgrund eines rechtswidrigen Verhaltens des Organs […] nicht wiederverwendet worden sind, Ersatz des Schadens zu, den sie tatsächlich dadurch erlitten haben, dass sie keine Dienstbezüge erhielten. Die hierfür zu zahlende Entschädigung muss grundsätzlich die Nettobezüge erreichen, auf die die Beamten Anspruch gehabt hätten, jedoch abzüglich der für anderweitige berufliche Tätigkeit während dieser Zeit bezogenen Nettoeinkünfte“; EuGH 21.2.2008, Rs. C-348/06 P, Slg. 2008, I-833 – Girardot: „In Bezug auf die Bestimmung der Höhe des Schadensersatzes für den Verlust der Chance eines Bediensteten auf Zeit, dessen Bewerbung rechtswidrig abgelehnt wurde, auf eine Stelle bei einem Gemeinschaftsorgan eingestellt zu werden, führt die Anwendung einer in mehreren nationalen Rechtsordnungen anerkannten Methode, der das Kriterium des Verlusts an Bezügen zugrunde liegt, wobei die Differenz zwischen den erhofften und den tatsächlich erhaltenen Bezügen bestimmt und dann die prozentuale Chance einer Einstellung beurteilt wird, um diesen Verlust zu gewichten“; EuGH 9.12.1965, verb. Rs. 29, 31, 36, 39 bis 47, 50 und 51/ 63, Slg. 1965, 1198, 1234 – Société anonyme des laminoirs: „Für die Bemessung ihres Schadens haben die Klägerinnen sich der einzig brauchbaren Methode bedient, die darin besteht, die Lage zu ermitteln, die sich für jedes der betroffenen Werke beim Schrotteinkauf ergeben haben würde, wenn die Zusagen über die Gewährung der Transportparität unterblieben wären“; zur Schadensabwälzung auch EuGH 4.10.1979, verb. Rs. 241, 242, 245 bis 250/78, Slg. 1979, 3017 Rn. 15 – DGV: „Wenn der Wegfall der Erstattungen wirklich über die Preise abgewälzt worden ist, kann der Schaden in der Tat nicht anhand der nichtgewährten Erstattungen berechnet werden.“ 505 EuGH 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 97–101 – Schulte: „In einem Fall, in dem der Verbraucher, wenn das Kreditinstitut ihn über sein Widerrufsrecht belehrt hätte, es hätte vermeiden können, sich den Risiken auszusetzen, die mit Kapitalanlagen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art verbunden sind, verpflichtet Artikel 4 der Richtlinie daher die Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass ihre Rechtsvorschriften die Verbraucher schützen, die es nicht vermeiden konnten, sich solchen Risiken auszu-
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Einschlag – nahe kommt. Auch in der Rechtsprechung zur Produkthaftungsrichtlinie findet sich ein Hinweis auf die Pflicht zur umfassenden Beseitigung der Schadensfolgen.506 Jüngst wurde die Differenzhypothese im Kartelldeliktsrecht ausdrücklich in Art. 3 Abs. 2 Satz 1 RL 2014/104 verankert,507 und auch Art. 14 Abs. 1 Satz 2 des Vorschlags für eine Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte schlägt eine solche Regelung vor.508 Schließlich plädiert auch Art. 8:402 Abs. 1 Acquis Principles 2009 unter Hinweis auf Art. 4 Abs. 7 Pauschalreiserichtlinie 90/314509 (nunmehr Art. 13 Abs. 5 RL 2015/2302) und Art. 17 Abs. 3 Handelsvertreterrichtlinie 86/653 für eine Verallgemeinerung der Differenzhypothese.510 Sie findet sich ferner in Art. 160 des Kommissionsentwurfs für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht, der als „Grundlage für die Bemessung des Schadensersatzes für den infolge der Nichterfüllung einer Verpflichtung entstandenen Verlust […] de[n] Betrag [vorsieht], der den Gläubiger in die Lage versetzt, in der er sich befunden hätte, wenn die Verpflichtung ordnungsgemäß erfüllt worden wäre, oder wenn dies nicht möglich ist, de[n] Betrag, der den Gläubiger so weit wie möglich in diese Lage versetzt.“
b) Schadenszufügung durch Verhalten des Anspruchgegners Zum zweiten setzt ein Schadensersatzanspruch voraus, dass es um den Ersatz eines Schadens geht, den der Anspruchsteller infolge eines Verhaltens des Anspruchsgegners (oder diesem zuzurechnender Personen) erleidet. Der Umfang des Ersatzanspruchs orientiert sich mithin an den Einbußen, die durch das Verhalten des Anspruchsgegners (Schädigers) an den materiellen und immateriellen Gütern des Anspruchsgegners (Geschädigten) verursacht wurden, nicht jedoch an der Vermögensverschiebung, die durch das Verhalten des Anspruchstellers selbst, des Anspruchsgegners oder Dritter zustande kam. setzen, indem sie Maßnahmen treffen, die verhindern, dass die Verbraucher die Folgen der Verwirklichung dieser Risiken tragen.“ 506 EuGH 5.3.2015, verb. Rs. C-503/13 und C-504/13, ECLI:EU:C:2015:148 Rn. 49 – Boston Scientific. 507 „Der vollständige Ersatz versetzt eine Person, die einen Schaden erlitten hat, in die Lage, in der sie sich befunden hätte, wenn die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht nicht begangen worden wäre.“ 508 „Der Schadensersatz hat den Verbraucher so weit wie möglich in die Lage zu versetzen, in der er sich befunden hätte, wenn die digitalen Inhalte ordnungs- und vertragsgemäß bereitgestellt worden wären“, KOM(2015) 634. 509 Die Vorschrift dürfte allerdings in erster Linie auf die Wiederherstellung des vertraglichen Äquivalenzverhältnisses bzw. die Nacherfüllung zielen. 510 Magnus in: Research Group on the Existing EC Contract Law – Principles of the Existing EC Contract Law (Acquis Principles) Contract II (2009) Art. 8:402 Rn. 9. Nach hier vertretener Auffassung schützt Art. 4 Abs. 7 RL 90/314 das vertragliche Äquivalenzinteresse und steht deshalb eher der Gewährleistung (Minderung) nahe, siehe unten Teil 2 – Fn. 25.
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So hat der EuGH zum europäischen Deliktsgerichtsstand (Art. 7 Nr. 2 VO 1215/2012) entschieden, dass „eine Haftung aus unerlaubter Handlung nur dann in Betracht [kommt], wenn ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Schaden und dem diesem zugrunde liegenden Ereignis (potentiell) feststellbar ist“.511 Ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Schädigers und einer Einbuße des Geschädigten erscheint damit prägend für die unionalen Schadensersatzansprüche, wobei nicht erforderlich ist, dass sich auch das Ausmaß der konkreten Einbuße auf das Verhalten des Schädigers zurückführen lässt, so dass auch der Ersatz von Pauschalbeträgen unabhängig von der konkreten Einbuße des Geschädigten als Schadensersatz im unionsrechtlichen Sinne anzusehen ist, solange nur die Einbuße durch das Verhalten des Anspruchsgegners verursacht wurde.512 c) Abgrenzung zu Nachbarmaterien Die bereits auf Ebene des mitgliedstaatlichen Rechts nicht einfache513 Abgrenzung des Schadensersatzanspruchs von den Rechtsschutzzielen der Nachbarmaterien wie der Herausgabe des Erlangten oder des Wertersatzes nach Bereicherungsrecht, der Unterlassung und Beseitigung oder auch den Regeln zum Schutz des vertraglichen Äquivalenzinteresses514 begegnet im EuGH 30.11.1976, Rs. 21/76, Slg. 1976, 1735 Rn. 15/19 – Bier; EuGH 5.2.2004, Rs. C-18/02, Slg. 2004, I-1417 Rn. 32 – DFDS Torline; zum Kausalitätserfordernis (bei Vermögensschäden) im deutschen Recht auch BGH 14.6.2012, IX ZR 145/11, NZG 2012, 866 Rn. 42: „Die Differenzhypothese umfasst zugleich das Erfordernis der Kausalität zwischen dem haftungsbegründenden Ereignis und einer dadurch eingetretenen Vermögensminderung: Nur eine Vermögensminderung, die durch das haftungsbegründende Ereignis verursacht ist, d. h. ohne dieses nicht eingetreten wäre, ist als ersatzfähiger Schaden anzuerkennen.“ 512 Das Problem eines fehlenden Kausalzusammenhangs zwischen der konkreten Einbuße des Geschädigten und dem Verhalten des Schädigers stellt sich vor allem bei den Ausgleichsansprüchen nach Art. 7 der Fluggastrechteverordnung 261/2004, wo kein Kausalzusammenhang zwischen der konkreten Einbuße (also dem konkreten Zeitverlust des Reisenden) und dem Verhalten der Fluggesellschaft (also der Flugverspätung) besteht, denn nach der Rechtsprechung des EuGH ist jede Verspätung ab drei Stunden – unabhängig von ihrer konkreten Dauer – durch die Pauschalbeträge nach Art. 7 VO 261/2004 zu entschädigen, EuGH (Große Kammer) 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 und C-629/10, ECLI:EU:C:2012: 657 Rn. 53 f. – Nelson. Indes besteht zumindest ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten der Fluggesellschaft (Flugverspätung) und dem Zeitverlust des Reisenden, auch wenn die Ausgleichszahlung vom individuellen Zeitverlust unabhängig ist. Ein ähnliches Problem wirft die Beitreibungspauschale nach Art. 6 Abs. 3 RL 2011/7 auf. 513 Koziol Grundfragen des Schadensersatzrechts (2010) S. 21: „Es wird sich dabei [Abgrenzung des Schadensersatzrechts im Verhältnis zu anderen Rechtsbehelfen] zeigen, dass die einzelnen Schutzsysteme nicht stets scharf von einander abgegrenzt werden können, vielmehr fließende Übergänge festzustellen sind und Mischformen bestehen.“ 514 Nicht vertieft werden kann an dieser Stelle das Verhältnis von Schadensersatz und prozessualen Kostenvorschriften. Im Regelfall sind die Kosten zur Rechtsdurchsetzung als 511
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Unionsrecht der zusätzlichen Herausforderung, dass jedenfalls bereicherungsrechtliche515 und dingliche516 Ansprüche auf Unionsebene kaum harmonisiert worden sind, so dass sich die europäisch-autonomen Konturen der abzugrenzenden Nachbarmaterie nicht ohne weiteres bestimmen lassen. aa) Schadensersatz und Bereicherungsausgleich Bei der Abgrenzung des Schadensersatzes vom Bereicherungsausgleich stellt sich das zusätzliche Problem, dass die einzelnen Ansprüche des Bereicherungsrechts unterschiedliche Zwecke verfolgen,517 die entweder – wie die Teil des Schadensersatzes anzusehen (vgl. Erwägungsgrund 26 a. E. RL 2004/48, ebenso Art. 8:402 Abs. 3 Acquis Principles). Allerdings wird der Ersatz gerichtlicher Kosten – soweit eine Kostenersatzvorschrift für gerichtliche Kosten und Auslagen besteht (z. B. Art. 14 RL 2004/48) – anderweitig abschließend geregelt. Die engere Lesart in EuGH 5.7.2012, Rs. C-509/10, ECLI:EU:C:2012:416 Rn. 50 f. – Geistbeck beruht auf dem besonderen Begriff der „angemessenen Vergütung“ in Art. 94 Abs. 1 Sortenschutzverordnung 2100/94, der vom umfassenderen Schadensersatz (Art. 94 Abs. 2 VO 2100/94) zu unterscheiden ist. 515 Zu den allgemeinen Grundsätzen des mitgliedstaatlichen Bereicherungsrechts (im Kontext des Art. 340 Abs. 2 AEUV) immerhin EuGH (Große Kammer) 16.12.2008, Rs. C-47/07 P, Slg. 2008, I-9761 Rn. 44–48 – Masdar (UK) (unten Fn. 517); siehe auch die Vorgaben zur Rückforderung unionsrechtswidriger Beihilfen in Art. 14 Abs. 3 VO 659/ 1999 (dazu EuGH 20.5.2010, Rs. C-210/09, Slg. 2010, I-4613 Rn. 20 – Scott und Kimberly Clark) und die Rechtsprechung zur Rückzahlung unionsrechtswidriger Abgaben, EuGH 2.10.2003, Rs. C-147/01, Slg. 2003, I-11365 Rn. 93 – Weber’s Wine World; EuGH (Große Kammer) 19.7.2012, Rs. C-591/10, ECLI:EU:C:2012:478 Rn. 24 – Littlewoods Retail. Für einen allgemeinen Bereicherungsanspruch zwischen Privaten nach dem Vorbild der Courage-Haftung plädiert Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 8.36: „In any case it seems a comparatively limited step to transpose the logic underlying this case law [zum Rückforderungsanspruch bei unionsrechtswidrigen Abgaben, diese Fn.] to horizontal situations, that is, to apply it in legal proceedings where one private party claims restitution from another private party on the grounds that the original payment was made as a consequence of an infringement of EU law.“ 516 Rudimentäre sachenrechtsnahe Regeln finden sich lediglich im Ausschluss der Rückgewähransprüche bei unverlangt zugesandter Ware (Art. 27 RL 2011/83), zum Eigentumsvorbehalt (Art. 9 RL 2011/7) und zum Kulturgüterschutz (RL 93/7). 517 Zu den allgemeinen Grundsätzen des mitgliedstaatlichen Bereicherungsrechts EuGH (Große Kammer) 16.12.2008, Rs. C-47/07 P, Slg. 2008, I-9761 Rn. 44–47 – Masdar (UK): „Nach den Grundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind, hat eine Person, die einen Verlust erlitten hat, der zu einem Vermögenszuwachs bei einer anderen Person geführt hat, ohne dass ein Rechtsgrund für diese Bereicherung besteht, im Allgemeinen gegen den Bereicherten einen Herausgabeanspruch bis zur Höhe dieses Verlustes. Hierzu hat das Gericht festgestellt, dass der Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung, wie er in den meisten Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten vorgesehen ist, nicht voraussetzt, dass das Verhalten des Beklagten rechtswidrig oder schuldhaft war. Dieser Anspruch kann jedoch nur bejaht werden, wenn der Bereicherung jede wirksame Rechtsgrundlage fehlt. Diese Voraussetzung ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn die Berei-
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Leistungskondiktion zur Rückabwicklung fehlerhafter Verträge oder sonstiger Güterbewegungen – dem Vertragsrecht bzw. dem Sachenrecht (Vindikation) oder – wie die Eingriffskondiktion zur Abschöpfung von Vorteilen aus rechtswidrigen Eingriffen in fremde Rechtspositionen – dem Deliktsrecht518 oder sogar – wie die Rückgriffskondiktion für Aufwendungen im fremden Interesse – der Geschäftsführung ohne Auftrag nahe stehen.519 Die Vertragsbzw. Deliktsrechtsakzessorietät der unterschiedlichen Ansprüche des Bereicherungsrechts zeigt sich deutlich auf der Ebene des Kollisionsrechts, wo Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO bei enger Verbindung der Bereicherungsansprüche mit einem zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnis – wie einem Vertrag oder einer unerlaubten Handlung – eine akzessorische Anknüpfung an das Vertrags- bzw. Deliktsstatut vorsieht. Angesichts dieser Überlappungen des Bereicherungsrechts mit seinen Nachbarmaterien überrascht es nicht, dass seine klare Abgrenzung zum Schadensersatz auch für den Gerichtshof Schwierigkeiten aufwirft und deshalb zuweilen – z. B. bei der Erstattung unionsrechtswidriger Abgaben – schlichtweg auf formale Kriterien wie den Klageantrag zurückgegriffen wird,520 wo-
cherung ihre Rechtfertigung in vertraglichen Verpflichtungen findet. Da die ungerechtfertigte Bereicherung in der oben definierten Form ein den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsames außervertragliches Schuldverhältnis begründet, kann sich die Gemeinschaft der Anwendung dieser Grundsätze auf sie selbst nicht entziehen, wenn ihr eine natürliche oder juristische Person zur Last legt, sie habe sich zu deren Lasten ungerechtfertigt bereichert.“ 518 Zur Verwandtschaft von Eingriffskondiktion und Deliktsrecht BGH 7.1.1971, VII ZR 9/70, NJW 1971, 609, 611 f. – Flugreisefall zur Anwendung der §§ 827, 828 BGB zur Bestimmung der Kenntnis vom Mangel des rechtlichen Grundes i. S. d. § 819 Abs. 1 BGB. 519 Riehm in: Langenbucher (Hrsg.) Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht3 (2013) § 3 Rn. 6: „teleologisch wie systematisch grundverschiedene Anspruchsgrundlagen“; siehe auch Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 8.34, der „‘pure’ restitution“ (z. B. Rückforderung von Zahlungen auf einen nach Art. 101 Abs. 2 AEUV nichtigen Vertrag oder eine nach der Klauselrichtlinie unzulässige Klausel; zweifeln mag man an seinem weiteren Beispiel der bereicherungsrechtlichen Rückforderung des kartellbedingten Preisaufschlags durch die Kartellabnehmer) und „‘restitutory’ (or gain-based) damages“ (die sich auf die Abschöpfung der Gewinne des Verletzers konzentrieren) unterscheidet und darauf hinweist, dass eine volle Abschöpfung des Verletzergewinns sogar zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des Abschöpfenden führen kann, die nach dem Unionsrecht zulässigerweise verhindert werden darf, vgl. EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 30 – Courage; zum Abgabenrecht bereits EuGH 9.11.1983, Rs. 199/82, Slg. 1983, 3595 Rn. 13 – San Giorgio; EuGH 10.4.2008, Rs. C309/06, Slg. 2008, I-2283 Rn. 41 – Marks & Spencer. 520 EuGH (Große Kammer) 19.7.2012, Rs. C-591/10, ECLI:EU:C:2012:478 Rn. 23 – Littlewoods Retail; Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 12.1.2012, Rs. C591/10, ECLI:EU:C:2012:9 Rn.19 f. – Littlewoods Retail. Nach der Judikatur des EuGH kann eine Schadensersatzklage nach Francovich neben einer bereicherungsrechtlichen
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bei im Bereich der Haftungsfolgen Bereicherungsanspruch und Schadensersatzanspruch parallel entfaltet werden.521 Als Ausgangspunkt zur Abgrenzung von Schadensersatz und Bereicherungshaftung bietet es sich immerhin auch im Unionsrecht an, auf das Kriterium der Vermögensverschiebung abzustellen.522 Orientiert sich das Ausmaß des Ersatzanspruchs nicht an den Einbußen (Schäden) des Anspruchstellers, die durch das Verhalten des Anspruchsgegners verursacht worden sind, sondern ist vielmehr entscheidend, in welchem Umfang der Anspruchsgegner rechtsgrundlos bereichert und der Kläger im Zusammenhang mit dieser Bereicherung entreichert ist, so handelt es sich nach den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsätzen des Bereicherungsrechts523 um einen Bereicherungs- und nicht um einen Schadensersatzanspruch.524 Indes erweist sich die Bestimmung der Scheidelinie Einbuße/Bereicherung als schwierig, soweit es um Tatbestände der (nach deutscher Lesart) EingriffsKlage auf Rückzahlung nicht geschuldeter Abgaben erhoben werden, EuGH 20.10.2011, Rs. C-94/10, Slg. 2011, I-9963 Rn. 32 – Danfoss. 521 Siehe etwa die Problematik der Abwälzung unionsrechtswidriger Abgaben auf die Abnehmer des Abgabepflichtigen, die im Bereicherungsrecht und in der deliktischen Francovich-Haftung nach denselben Kriterien entschieden wird, EuGH 20.10.2011, Rs. C-94/ 10, Slg. 2011, I-9963 Rn. 27 f. gegenüber Rn. 38 („entsprechend dem in Randnr. 28 […] Ausgeführten“ – dort ging es um den Bereicherungsanspruch) – Danfoss. 522 Zur Abgrenzung des Schadensersatzanspruchs von den Leistungs- und Aufwendungskondiktionen anhand des Kriteriums, dass der „Bereicherungsgläubiger selbst […] die rechtsgrundlose Güterbewegung durch seine eigene Handlung auslöst“, Larenz/Canaris Lehrbuch des Schuldrechts13 II/2 (1994) § 69 III S. 188 zu den Aufwendungskondiktionen, allerdings mit dem Zusatz: „Darin [Auslösung der rechtsgrundlosen Güterbewegung durch Handlung des Gläubigers] gleichen sie [die Aufwendungskondiktionen] den Leistungskondiktionen“. Zwar sind dies Unterscheidungen, die zum deutschen Recht entwickelt wurden, indes knüpfen sie an die „natürliche Tatsache“ an, „die zu der rechtsgrundlosen Güterbewegung geführt hat“ (Larenz/Canaris Lehrbuch des Schuldrechts13 II/2 (1994) § 69 IV S. 196) und dürften deshalb auch rechtsordnungsübergreifend verallgemeinerungsfähig sein. 523 Dazu EuGH (Große Kammer) 16.12.2008, Rs. C-47/07 P, Slg. 2008, I-9761 Rn. 44– 49 – Masdar (UK). 524 Zu diesem Kriterium EuGH (Große Kammer) 16.12.2008, Rs. C-47/07 P, Slg. 2008, I-9761 Rn. 49 – Masdar (UK): „Von den aufgrund dieser Regelung [Art. 340 Abs. 2 AEUV] erhobenen Klagen [der außervertraglichen Haftung im engeren Sinne] unterscheidet sich diese [auf ungerechtfertige Bereicherung gestützte] Klage dadurch, dass weder ein rechtswidriges Verhalten des Beklagten nachgewiesen werden noch überhaupt ein Verhalten gegeben sein muss, sondern dass lediglich der Nachweis zu erbringen ist, dass der Beklagte ohne wirksame Rechtsgrundlage bereichert und der Kläger im Zusammenhang mit dieser Bereicherung entreichert ist.“ Einen weiteren Unterschied zu deliktischen Klagen sieht der EuGH darin, dass bei bereicherungsrechtlichen Klagen „weder ein rechtswidriges Verhalten des Beklagten nachgewiesen werden noch überhaupt ein Verhalten gegeben sein muss“. Diese Kriterien erscheinen für die allgemeine Abgrenzung jenseits von Art. 340 Abs. 2 AEUV weniger geeignet, weil man etwa am rechtswidrigen Verhalten des Beklagten in der Produkthaftung zweifeln mag. Siehe auch Wilman Private Enforcement of
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kondiktion geht. Nicht nur existieren hier einzelne Normen des Sekundärrechts,525 die den Verletzergewinn und damit eine Rechtsfolge der (je nach Sichtweise) (verschärften) Bereicherungshaftung oder der angemaßten Eigengeschäftsführung (§§ 687 Abs. 2, 681 Satz 2, 667 BGB)526 bei der Bemessung von Schadensersatz berücksichtigen. Auch die Bemessung der Ausgleichsleistung am Maßstab einer fiktiven Lizenzgebühr findet sich sowohl bei der (einfachen) Bereicherungshaftung unter dem Gesichtspunkt des Wertersatzes wie bei der Bestimmung von Schadensersatzansprüchen.527 Zumindest anhand der EU law before national courts (2015) Rn. 8.33: „For they [bereicherungsrechtliche Ansprüche] concentrate not on the harm caused on the side of the applicant, but on the gains made by the defendant.“ 525 Art. 13 Abs. 1 RL 2004/48. Siehe auch die Diskussion um die Berechnung des Schadensersatzes anhand des Verletzergewinns im Kartelldeliktsrecht, die unionsrechtlich jedenfalls nicht geboten ist, näher § 4 V 3 a dd → S. 224. Vgl. auch (zu einer Verwaltungssanktion bei Verstößen gegen die Marktmissbrauchsrichtlinie 2003/6 – nunmehr Marktmissbrauchsverordnung 596/2014 – wegen Insiderhandels) EuGH 23.12.2009, Rs. C-45/08, Slg. 2009, I-12073 Rn. 72 f. – Spector Photo Group. Boosfeld Gewinnausgleich (2015) S. 206 f., 278 sieht die Schadensermittlung anhand des Verletzergewinns im Immaterialgüterrecht in zwei der drei von ihr untersuchten Rechtsordnungen (England, Frankreich) als „Fremdkörper“ an, dessen Einführung „von deutschen Juristen angeregt worden sein [dürfte]“ (207). 526 Zur traditionellen Lesart im deutschen Recht etwa Helms Gewinnherausgabe als haftungsrechtliches Problem (2007) S. 212: „Nach weit verbreitetem Verständnis kommen als Grundlage vorteilsorientierter Haftungsfolgen nur das Kondiktionenrecht sowie die angemaßte Eigengeschäftsführung in Betracht.“ Helms selbst spricht sich für eine schadensersatzrechtliche Klassifikation der Gewinnhaftung aus, zumindest soweit es um die Verletzung immaterieller Rechtsgüter geht (S. 67, 275 ff., 300 ff., 493). Das Herauszugebende erschöpft sich allerdings auch bei der Eingriffskondiktion wegen Gebrauchs eines immateriellen Schutzgegenstands in der Zahlung einer angemessenen Lizenzgebühr und umfasst – zumindest beim nicht verschärft haftenden Kondiktionsschuldner – nicht auch den Verletzergewinn, BGH 18.5.2010, X ZR 79/07, GRUR 2010, 817 Rn. 40 – Steuervorrichtung. Metzger in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 209, 219 sieht in der Gewinnherausgabe bei einfachem Verschulden im Immaterialgüterrecht deshalb „eine der erhöhten Verletzlichkeit des geistigen Eigentums und den Schwierigkeiten der Ermittlung des konkreten Schadens geschuldete besondere Kombination aus Tatbestand und Rechtsfolge, die sich in die konventionellen Systemvorstellungen nicht ohne Weiteres einfügt“. Koziol in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 5, 21 bezeichnet sie als „neuartige Mischung unterschiedlicher Rechtsinstrumente“; Haedicke GRUR 2005, 529, 530 sieht bei der „Begründung der Gewinnherausgabepflicht als Form des Schadensersatzes […] erhebliche Schwierigkeiten“. Zum Verständnis in Frankreich, den Niederlanden und England Boosfeld Gewinnausgleich (2015) S. 45 („Gleichwohl verortet die französische Rechtswissenschaft die Frage, ob auf Kosten anderer erlangter Gewinne herauszugeben sind, primär im Deliktsrecht“, wobei Boosfeld a. a. O. auch darauf verweist, dass sich die Lehre offenbar nicht vollständig durchsetzen konnte), 113 ff. (Schadensberechnung anhand des Gewinns nach Art. 6:104 Burgerlijk Wetboek), 181 ff. (England). 527 BGH 18.5.2010, X ZR 79/07, GRUR 2010, 817 Rn. 40 – Steuervorrichtung; zum Unionsrecht EuGH 5.7.2012, Rs. C-509/10, ECLI:EU:C:2012:416 Rn. 36 – Geistbeck zur
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Rechtsfolge lassen sich Schadensersatz und Bereicherungsherausgabe bzw. -wertersatz in Eingriffsfällen daher nicht trennscharf abgrenzen. Infolge der Annäherung der Rechtsfolgen gestattet auch die Formel, dass es im Bereicherungsrecht nicht um den Ersatz des Schadens des Verletzten, sondern um eine Abschöpfung der Bereicherung des Verletzers gehe528 und dass der „bereicherungsrechtliche Schutz […] auch dann eingreifen [könne], wenn mangels eines Nachteils das Schadensersatzrecht nicht herangezogen werden kann“,529 keine trennscharfe Unterscheidung von Schadensersatz und Bereicherungshaftung im Unionsrecht, weil gerade bei der Verletzung immaterieller Güter der schadensrechtliche Nachteil häufig so definiert wird, dass sich im Ergebnis kaum mehr ein Unterschied zu den Rechtsfolgen des Bereicherungsrechts ausmachen lässt. Diese Entwicklung wird weiter durch den Umstand befördert, dass sich bei den im Unionsrecht verbreiteten Delikten mit Marktbezug der genaue Schaden des Verletzten ohnehin nicht mit Sicherheit bestimmen lässt, weil niemand sagen kann, wie sich Absatzzahlen und Preise des Verletzten ohne die Verletzungshandlung entwickelt hätten. In einer solchen Situation, insbesondere bei Eingriff in ausschließliche Rechte des Anspruchstellers, bietet es sich zwar aus der Perspektive der Aufklärbarkeit an, den immerhin anhand konkreter Zahlen feststellbaren Verletzergewinn als Anhaltspunkt für die Schadensberechnung zu wählen530 und dem Verletzer den Nachweis zu eröffBerechnung der „angemessenen Vergütung“ gemäß Art. 94 Abs. 1, 14 Abs. 3 Sortenschutzverordnung 2100/94, die – im Unterschied zum Schadensersatz gemäß Art. 94 Abs. 2 VO 2100/94 – ebenso wie der Unterlassungsanspruch verschuldensunabhängig gewährt wird und deshalb der Eingriffskondiktion sehr nahe steht. Siehe auch die restitutionary damages des englischen Rechts, die eine Abschöpfung von Vorteilen aus rechtswidrigen Eingriffen in fremde Rechtspositionen (wohl überwiegend) als besondere Form des Schadensersatzes und nicht als Bereicherungsrecht ansehen, dazu Schlechtriem Restitution und Bereicherungsausgleich in Europa II (2001) Kap. 6 Rn. 39 ff.; Krebs in: Zimmermann (Hrsg.) Grundstrukturen eines europäischen Bereicherungsrechts (2005) S. 141, 142; Zimmermann in: Zimmermann (Hrsg.) Grundstrukturen eines Europäischen Bereicherungsrechts (2005) 17, 38. 528 So die klassische Unterscheidungsformel, Dreier Kompensation und Prävention (2002) S. 98: „Gleicht die Schadensersatzleistung einen Vermögensverlust des Verletzten aus, so macht die Bereicherungshaftung die für den Verletzer durch die Verletzung entstandene vorteilhafte Vermögensänderung rückgängig. Denn im einen Fall wird eine falsche Güterzuordnung korrigiert, im anderen die Folgen der Verletzung einer deliktischen Verhaltensnorm“; Fikentscher/Heinemann Schuldrecht10 (2006) Rn. 1393: „Bereicherungsvorschriften […] wollen rechtswidrige Güterzuordnungen korrigieren, das Deliktsrecht […] will unrechtmäßiges Verhalten wiedergutmachen“; Koziol Grundfragen des Schadensersatzrechts (2010) S. 34: „Das Schadensersatzrecht zielt auf den Ausgleich des dem Beeinträchtigten entstandenen Schadens, das Bereicherungsrecht auf die Abschöpfung der vom Eingreifenden erlangten ungerechtfertigten Bereicherung.“ 529 Dazu Koziol Grundfragen des Schadensersatzrechts (2010) S. 34 f.: „Der bereicherungsrechtliche Schutz kann daher auch dann eingreifen, wenn mangels eines Nachteils das Schadensersatzrecht nicht herangezogen werden kann.“ 530 Koziol Grundfragen des Schadensersatzrechts (2010) S. 49.
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nen, dass nur er und nicht der Verletzte einen Gewinn in diesem Umfang realisieren konnte. Im Ergebnis hat diese Beweislastumkehr allerdings zur Folge, dass nicht mehr der Geschädigte nachweisen muss, dass er den gleichen Gewinn wie der Schädiger hätte erzielen können, sondern umgekehrt der Schädiger den Nachweis erbringen muss, dass der Geschädigte einen geringeren Gewinn erzielt hätte.531 Auch wenn man eine solche Vorgehensweise aus der Perspektive der wirksamen Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen befürworten mag, um den Geschädigten nicht lediglich auf Pauschalen (z. B. entgangene Lizenzgebühr) zu verweisen, so führt sie im Ergebnis zu einer weiteren Annäherung von Schadensersatz und Bereicherungshaftung. Zusammenfassend ist damit festzuhalten, dass sich Schadensersatzhaftung und Bereicherungsausgleich im Unionsrecht im Ausgangspunkt danach unterscheiden lassen, ob sich das Ausmaß des Ersatzanspruchs an den Einbußen (Schäden) des Anspruchstellers orientiert, die durch das Verhalten des Anspruchsgegners verursacht worden sind (dann Schadensersatz), oder ob entscheidend ist, in welchem Umfang der Anspruchsgegner rechtsgrundlos bereichert und der Kläger im Zusammenhang mit dieser Bereicherung entreichert ist (dann Bereichungsausgleich).532 Soweit allerdings das Unionsrecht auch die Abschöpfung von ungerechtfertigt erlangten Bereicherungen in den Schadensersatz einbezieht (vgl. Art. 13 Abs. 1 RL 2004/48), insbesondere von rechtswidrigen Nutzungen oder durch Eingriff erlangten Gewinnen des Verletzers,533 ist eine eindeutige Abgrenzung aus der Perspektive der Rechtsfolgen534 nicht mehr möglich. Dieses Ergebnis dürfte auch dem Befund der Rechtsvergleichung entsprechen, die bei der Abgrenzung von Bereicherungsund Deliktshaftung in den Fällen der Eingriffskondiktion kein einheitliches Bild der europäischen Rechtsordnungen zeichnet.535 bb) Schadensersatz und Unterlassung/Beseitigung Überschneidungen des Schadensersatzanspruchs ergeben sich ferner mit den Rechtsschutzzielen Unterlassung und Beseitigung. Diese Überlappungen sind Zum Modell einer Beweislastlösung Koziol Grundfragen des Schadensersatzrechts (2010) S. 48 f. 532 Nachweise bereits in Fn. 524. 533 Zur Unterscheidung des Wertersatzes für rechtswidrig gezogene Nutzungen (restitutionary damages) und der Herausgabe aus solchen Nutzungen tatsächlich gezogener Gewinne (disgorgement damages) Boosfeld Gewinnausgleich (2015) S. 184. 534 Leichter mag dies bei den Haftungsvoraussetzungen sein, wobei allerdings auch das Verschuldenserfordernis angesichts der z. T. verschuldensunabhängigen Schadensersatzhaftung kein eindeutiges Abgrenzungsmerkmal darstellt. 535 Vgl. Schlechtriem Restitution und Bereicherungsausgleich in Europa II (2001) Kap. 6 Rn. 339: „Während Bereicherungsansprüche als solche, gerichtet auf den Ausgleich des durch Eingriffs Erlangten, nur in einzelnen Rechtssystemen einen anerkannten Platz haben – der freilich auch dort in seiner Ausgestaltung im einzelnen unsicher und umstritten ist –, 531
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unvermeidlich, weil das Prinzip des vollständigen Schadensausgleichs wesentliches Merkmal des Schadensersatzanspruchs auf Unionsebene ist und die ersten Schritte zur Kompensation das Abstellen der rechtswidrigen Beeinträchtigung (also die Unterlassung) und die Beseitigung ihrer rechtswidrigen Folgen (also die Beseitigung) sind.536 Die Rechtsschutzziele Unterlassung und Beseitigung sind damit dem Schadensersatzanspruch in vielen Fällen immanent, um durch vorbeugenden Rechtsschutz eine Schadensentstehung oder -vertiefung abzuwenden.537 Gleichwohl ist diese Aussage in drei Punkten einzuschränken. Zum einen finden sich Schadensersatzanordnungen auch dort, wo Primärrechtsschutz durch Unterlassung nicht zu erlangen ist, weil die eingreifende Handlung rechtmäßig ist, trotz ihrer Rechtswidrigkeit keine Beseitigungspflicht besteht oder weil der Primärrechtsschutz auf die Vertragserfüllung gerichtet ist. Ein Beispiel ist der Ersatzanspruch nach Beendigung eines Handelsvertretervertrages in Art. 17 Abs. 3 RL 86/653, der gewährt wird, obwohl wird der Ausgleich in anderen Rechtssystemen häufig über andere Rechtsbehelfe, wie Geschäftsführung ohne Auftrag oder unerlaubte Handlung, erreicht.“ Siehe auch Boosfeld Gewinnausgleich (2015) S. 278: „Im französischen, niederländischen und englischen Recht besteht kein einheitliches Bild des Gewinnausgleichs.“ 536 Zu den Überschneidungen auch Koziol Grundfragen des Schadensersatzrechts (2010) S. 22 ff.; auch das Verschuldenserfordernis oder die zukunfts- bzw. vergangenheitsbezogenen Wirkungen der Rechtsfolgen gestatten keine randscharfe Abgrenzung von Beseitigung und Schadensersatz, zum Kartellrecht Keßler WRP 2015, 929, 931. Zur abschreckenden Wirkung und Funktion von Unterlassungsansprüchen siehe EuGH 14.12.2006, Rs. C-316/05, Slg. 2006, I-12083 Rn. 60 – Nokia (zu markenrechtlichen Untersagungsanordnungen): „Ein Verbot der Fortsetzung der Handlungen, die eine Gemeinschaftsmarke verletzen oder zu verletzen drohen, das nicht von den Maßnahmen begleitet wäre, die erforderlich sind, um die Befolgung dieses Verbots sicherzustellen, hätte nämlich kaum abschreckende Wirkung“; EuGH (Große Kammer) 12.4.2011, Rs. C-235/09, Slg. 2011, I-2801 Rn. 57 – DHL. Zum präventiven Charakter und Abschreckungseffekt der Unterlassungsklagenrichtlinie 2009/22 (im Kontext der Klauselrichtlinie) EuGH 26.4.2012, Rs. C-472/10, ECLI:EU:C:2012:242 Rn. 37 ff. – Invitel. 537 EuGH 17.9.2002, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 2, 32 – Muñoz; Erwägungsgrund 52 und Art. 18 Abs. 1 E-Commerce-Richtlinie 2000/31 zur Garantie des Unterlassungsrechtsschutzes, um zu verhindern, „daß den Betroffenen weiterer Schaden entsteht“. Siehe auch die Klarstellung in Art. 7 Nr. 2 EuGVO „vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“, dazu EuGH 1.10.2002, Rs. C-167/00, Slg. 2002, I-8111 Rn. 48 – Henkel: „Zudem wäre es widersprüchlich, anzunehmen, dass eine Klage auf Unterlassung eines angeblich unrechten Verhaltens wie die dem Ausgangsverfahren zugrundeliegende, deren Hauptziel gerade in der Vermeidung eines Schadens besteht, erst nach dem Schadenseintritt erhoben werden könnte.“ Zum Kartelldeliktsrecht ebenso Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 22.5.2003, verb. Rs. C-264/01 u. a., Slg. 2004, I-2493 Rn. 104 – AOK Bundesverband: „Dieselbe Beurteilung [Anspruchsberechtigung von jedermann nach Courage] gilt meines Erachtens auch für den Anspruch auf Beseitigung“; Weyer in: Frankfurter Kommentar II (2009) Art. 81 EG Zivilrechtsfolgen Rn. 207.
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die auslösende Handlung, nämlich die Beendigung des Vertrages, als solche rechtmäßig ist.538 In diesen Fällen wird ein Schadensersatzanspruch gewährt, obwohl ein „Unterlassungsbegehren“ (also ein Vorgehen gegen die Kündigung) rechtlich ausgeschlossen ist. Ähnlich ist die Rechtslage im Vergaberecht, wo die nationalen Behörden im Regelfall nicht zur Kündigung des vergaberechtswidrig geschlossenen Vertrages und die nationalen Gerichte nicht zur Gewähr von Unterlassungsrechtsschutz gegen die Vertragsdurchführung verpflichtet sind, sondern lediglich eine Kompensation durch Schadensersatzansprüche erfolgt.539 Auch im Pauschalreiserecht sind Schadensersatzanspruch und Unterlassung nicht kongruent: Infolge der Verpflichtung des Reisenden zur rechtzeitigen Mängelrüge (Art. 5 Abs. 4 RL 90/314; nunmehr Art. 13 Abs. 2 RL 2015/2302) kommt ein Unterlassungsanspruch als „Vorstufe“ zum Schadensersatz nicht in Betracht: Entweder das Reiseunternehmen kommt dem Begehren des Reisenden nach, mit der Konsequenz, dass es insoweit an einer Pflichtverletzung oder zumindest an einem Schaden des Reisenden fehlt, oder die Abhilfe erfolgt nicht rechtzeitig oder nicht in genügendem Umfang, so dass nur noch eine nachträgliche Schadenskompensation möglich ist. An diesem Beispiel zeigt sich zugleich, dass bei vertraglichen Schadensersatzansprüchen der Primäranspruch auf mangelfreie Leistung an die Stelle des Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruchs tritt, weil die Beseitigung der „Störung“ im Regelfall der Erbringung der vertraglich geschuldeten Leistung entspricht.540 Die Existenz von Schadensersatzansprüchen ohne immanente Unterlassung ist zweitens kein Spezifikum des Vertragsrechts, wie sich anhand des Produkthaftungsrechts demonstrieren lässt. Hier wird der Geschädigte regelmäßig erst nach Schadensentstehung auf das Problem aufmerksam. Nach Schadenseintritt begehrt der individuelle Geschädigte aber nicht die Unterlassung oder Beseitigung (Rückruf) des Vertriebs weiterer fehlerhafter Produkte, sondern er will seinen individuellen Schaden ersetzt sehen. Unterlassung und Beseitigung sind in dieser Situation das Anliegen der für die Produktsicher538 Vgl. die Kündigungsgründe nach Art. 15 RL 86/653, die gleichwohl einen Ersatzanspruch auslösen. Siehe auch die Ausschlussgründe nach Art. 18 RL 86/653, die nur in bestimmten Fällen der Vertragsbeendigung (Kündigung wegen schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters oder durch den Vertreter selbst) den Ersatzanspruch ausschließen. 539 EuGH (Große Kammer) 13.4.2010, Rs. C-91/08, Slg. 2010, I-2815 Rn. 65 – Wall: „Daraus folgt, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung und das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, die in den Art. 43 EG und 49 EG verankert sind, sowie die daraus fließende Transparenzpflicht nicht in allen Fällen, in denen behauptet wird, dass diese Pflicht bei der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen verletzt worden sei, die nationalen Behörden zur Kündigung eines Vertrags und die nationalen Gerichte zu einer Unterlassungsanordnung verpflichten.“ (Allerdings zu Dienstleistungskonzessionen, die außerhalb des europäischen Vergaberechts unmittelbar dem Primärrecht unterliegen). 540 Primäransprüche finden sich kaum im Unionsprivatrecht, vgl. aber Art. 18 der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83.
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heit zuständigen Behörden und ggfs. der Wettbewerber, so dass sich Regeln zu Vertriebsverboten und Rückruf nicht in der Produkthaftungsrichtlinie, sondern der öffentlich-rechtlichen Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95 finden.541 Wird der Geschädigte ausnahmsweise bereits vor Schadenseintritt auf den Produktfehler aufmerksam, so wird er sich im Rahmen der vertraglichen Gewährleistungs- und ggfs. auch Schadensersatzansprüche um Rückgabe und Schadensersatz bemühen, kann aber nicht beanspruchen, dass das fehlerhafte Produkt generell nicht mehr in Verkehr gebracht oder zurückgerufen wird.542 Schließlich ist drittens der Unterlassungsrechtsschutz als Minus zum Schadensersatzanspruch in den Fällen zumindest ohne praktische Bedeutung, in denen das Unionsrecht den Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch separat vom Schadensersatzanspruch unter geringeren Voraussetzungen (unabhängig vom Verschulden des Anspruchsgegners) gewährleistet, so dass ein Unterlassungs- oder Beseitigungsrechtsbegehren zumindest in der Praxis wohl kaum im Gewand eines Schadensersatzanspruchs geltend gemacht werden dürfte.543 Als Beispiel sind insofern die Regeln der immaterialgüterrechtlichen Durchsetzungsrichtlinie zu nennen, die unterschiedliche Vorschriften für Schadensersatz (Art. 13 RL 2004/48), Unterlassung (Art. 11 RL 2004/48) und Beseitigung (Art. 10 RL 2004/48) vorsehen. Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die Diskussion um den Unterlassungsrechtsschutz als Minus zum Schadensersatzanspruch nur dann praktische Relevanz erlangt, wenn keine der drei genannten Situationen gegeben ist. In solchen, auf Unionsebene wohl eher seltenen Fällen (denkbar ist das Antidiskriminierungsrecht) ist der Unterlassungsrechtsschutz in der Tat als Teil des Schadensersatzanspruchs anzusehen, um der Schadensentstehung und -vertiefung durch Untersagungs- und Beseitigungsanordnungen wirksam vorbeugen zu können.544
541 Siehe die Befugnisse gemäß Art. 8 Abs. 1 lit. e RL 2001/95: „für alle gefährlichen Produkte das Inverkehrbringen zu verbieten und notwendige Begleitmaßnahmen zur Gewährleistung der Einhaltung dieses Verbots festzulegen“; zum Rückruf Art. 8 Abs. 1 lit. f RL 2001/95. Zur Neufassung der Produktsicherheitsrichtlinie der Vorschlag für eine Verordnung über die Sicherheit von Verbraucherprodukten und zur Aufhebung der Richtlinie 87/357/EWG des Rates und der Richtlinie 2001/95/EG KOM(2013) 78. 542 Zu dieser Sichtweise Borghetti La responsabilité du fait des produits (2004) S. 487 Rn. 507: „il ne fait aucun doute que le texte communautaire n’autorise aucune action preventive“. Der Grund für den Ausschluss präventiver Maßnahmen nach der Produkthaftungsrichtlinie wird darin gesehen, dass neben dem Produktfehler auch der Schadenseintritt Voraussetzung für die Ansprüche nach der Richtlinie sei. 543 Siehe etwa die getrennte Regelung von Unterlassung und Beseitigung (Art. 10, 11 RL 2004/48) und Schadensersatz (Art. 13 RL 2004/48) in der RL 2004/48. 544 Siehe bereits die Nachweise in Fn. 537.
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cc) Schadensersatz und vertragliches Äquivalenzinteresse Infolge der Einbeziehung vertraglicher Schadensersatzansprüche in die Untersuchung stellt sich schließlich die Frage nach deren Verhältnis zum Ersatz des vertraglichen Äquivalenzinteresses. Soweit dies im Unionsrecht relevant wird, lässt sich beobachten, dass neben den Schadensersatzvorschriften zumindest ein Grundbestand von Gewährleistungsregeln besteht, die das vertragliche Äquivalenzinteresse unter erleichterten Bedingungen (i. d. R. verschuldensunabhängig) ersetzen.545 Angesichts dieser leichter zugänglichen Ausgleichsmechanismen konzentriert sich die Arbeit bei der Untersuchung vertraglicher Schadensersatzansprüche auf den Ersatz anderer Schäden als des vertraglichen Äquivalenzinteresses. 2. Unionsprivatrecht a) Begriff Der Begriff des Unionsprivatrechts (Gemeinschaftsprivatrecht) bezeichnet das supranationale Privatrecht der Europäischen Union, in Abgrenzung zum (völkervertraglichen) Konventionsprivatrecht und zum (rechtsvergleichend und rechtshistorisch fundierten) gemeineuropäischen Privatrecht.546 Entscheidend ist der Geltungsgrund im Recht der Union, nicht die einheitliche Geltung in allen Mitgliedstaaten, denn infolge von Regelungsoptionen im Sekun-
545 Siehe die (allerdings rudimentären) Art. 4 Abs. 6 und 7 Pauschalreiserichtlinie 90/ 314 (nunmehr Art. 11 Abs. 4 und Art. 13 Abs. 5 RL 2015/2302; dazu auch unten Teil 2 – Fn. 25); Art. 3 Abs. 2 Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44; ähnlich auch (wenn auch gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen und damit nicht zwangsläufig gegen den unmittelbaren Vertragspartner gerichtet) Art. 8 Fluggastrechteverordnung 261/2004. Siehe auch Art. 16 lit. a Handelsvertreterrichtlinie 86/653, der die fristlose Beendigung des Handelsvertretervertrages nach mitgliedstaatlichem Recht gestattet, wenn eine Partei ihren Pflichten nicht nachgekommen ist. 546 Zum Begriff Müller-Graff in: Müller-Graff/Zuleeg (Hrsg.) Staat und Wirtschaft in der EG (1987) 17, 37 ff.; ders. GPR 2008, 105: Gemeinschaftsprivatrecht „bezeichnet das kraft Gemeinschaftsrechts in allen oder für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft verbindliche Privatrecht“; „Unionsprivatrecht als das kraft Unionsrechts in allen oder für alle Mitgliedstaaten verbindliche Privatrecht“, mit der Einschränkung, dass auch nach dem Vertrag von Lissabon intergouvernementale Teile verbleiben, so dass zu erwägen sei, „den Begriff des Gemeinschaftsrechts auch jenseits der EAG nicht in die Rechtsgeschichte zu verabschieden, sondern zur Abgrenzung gegenüber Unionsrecht ohne supranationalen Charakter beizubehalten“. Hier wird die zutreffende Präzisierung von Basedow in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.) Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts I (2009) 680; ders. in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.) The Max Planck Encyclopedia of European Private Law I (2012) 537, 538 zugrunde gelegt, der im Geltungsgrund und nicht in der einheitlichen Geltung das entscheidende Begriffsmerkmal des Unionsprivatrechts sieht.
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därrecht547 oder der Begrenzung auf einzelne Mitgliedstaaten im System der verstärkten Zusammenarbeit nach Art. 20 EUV und Art. 326, 327 und 329 AEUV ist die einheitliche Geltung kein zwangsläufiges Definitionsmerkmal des Unionsprivatrechts. Zum Unionsprivatrecht sind auch völkerrechtliche Verträge zu zählen, die von der Union geschlossen548 worden sind (vgl. Art. 216 Abs. 2 AEUV)549 oder in deren Anwendungsbereich die Union die zuvor von den Mitgliedstaaten ausgeübten Befugnisse übernommen hat550 oder auf die eine Vorschrift des Unionsrechts verweist.551 Allerdings ist bei der Auslegung des inkorporierten Völkervertragsrechts zu berücksichtigen, dass insofern die Auslegungsregeln des allgemeinen Völkerrechts, insbesondere die Wiener Vertragsrechtsübereinkunft von 1969 maßgeblich sind.552 Trotz der partiellen Expansion in das Konventionsprivatrecht ist der Begriff des Unionsprivatrechts enger als der Terminus des Europäischen Privatrechts, der auch die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten oder zumindest deren gemeinsamen Kern umfassen soll.553 547 Für ein Beispiel für eine Regelungsoption siehe Art. 17 Abs. 1 der Handelsvertreterrichtlinie 86/653: „Anspruch auf Ausgleich nach Absatz 2 oder Schadensersatz nach Absatz 3“. 548 Soweit ein Staatsvertrag nicht von der Union geschlossen wurde, aber ein anderer (späterer) Vertrag den völkerrechtlichen Besitzstand des früheren Vertrages durch Verweisung inkorporiert, ist die Union mittelbar auch an den früheren Vertrag gebunden, zur entsprechenden Argumentation im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 WPPT-Vertrag und das Rom-Abkommen EuGH 15.3.2012, Rs. C-135/10, ECLI:EU:C:2012:140 Rn. 50 – SCF; siehe auch die Anwendung von Art. 351 AEUV auf Art. 1–21 der Berner Übereinkunft durch EuGH 9.2.2012, Rs. C-277/10, ECLI:EU:C:2012:65 Rn. 58, 61 ff. – Luksan. 549 EuGH (Große Kammer) 4.5.2010, Rs. C-533/08, Slg. 2010, I-4107 Rn. 60 – TNT Express (CMR); EuGH (Große Kammer) 10.1.2006, Rs. C-344/04, Slg. 2006, I-403 Rn. 35 f. – IATA und ELFAA (Montrealer Übereinkommen): „fester Bestandteil der Rechtsordnung der Gemeinschaft“; EuGH (Große Kammer) 11.9.2007, Rs. C-431/05, Slg. 2007, I-7001 Rn. 31, 33 – Merck Genéricos (TRIPS, soweit im Rahmen der geteilten Zuständigkeit eine von der Union übernommene Verpflichtung betroffen ist, also wenn die Union in dem betreffenden Bereich Rechtsvorschriften erlassen hat). 550 Dazu EuGH 22.10.2009, Rs. C-301/08, Slg. 2009, I-10185 Rn. 23, 25 – Bogiatzi (zum Warschauer Abkommen). 551 Schlussanträge des Generalanwalts Mazák vom 25.6.2009, Rs. C-301/08, Slg. 2009, I-10185 Rn. 39 f., 42 f., 47 – Bogiatzi. Daneben besteht die Möglichkeit, auch völkerrechtliche Verträge, die für die Union nicht verbindlich sind, als Gesichtspunkt bei der Auslegung zu berücksichtigen (Rn. 49). Indes führt dies nicht dazu, dass der betreffende Vertrag Teil des Unionsrechts würde, denn er bleibt für die Union unverbindlich. 552 Ausdrücklich zur Auslegung des Übereinkommens von Montreal EuGH (Große Kammer) 10.1.2006, Rs. C-344/04, Slg. 2006, I-403 Rn. 40 – IATA und ELFAA; EuGH 6.5.2010, Rs. C-63/09, Slg. 2010, I-5239 Rn. 22 f. – Walz. 553 Zu den unterschiedlichen Definitionen des Europäischen Privatrechts Metzger Extra legem, intra ius – Allgemeine Rechtsgrundsätze im Europäischen Privatrecht (2009) S. 111 ff.
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§ 3 Gegenstand und Grundbegriffe der Untersuchung
b) Ausklammerung der Staatshaftung Ausgenommen („Unionsprivatrecht“) aus der Untersuchung werden öffentlich-rechtliche Staatshaftungsansprüche gegen die Union nach Art. 340 Abs. 2 AEUV (Art. 41 Abs. 3 GRCh)554 oder gegen die Mitgliedstaaten infolge der Francovich-Doktrin555 ebenso wie Ansprüche aus beamtenrechtlichen Streitigkeiten556 oder auf Grundlage von Art. 41 EMRK.557 Zwar hatte insbesondere der Staatshaftungsanspruch nach der Francovich-Doktrin teilweise Vorbildcharakter für privatrechtliche Schadensersatzansprüche,558 und insofern wird auf dessen Dogmatik einzugehen sein. Gleichwohl soll kein eigener Abschnitt zur Staatshaftung oder zum Beamtenrecht in die Untersuchung aufgenommen werden. Dies rechtfertigt sich nicht nur durch den Umstand, dass gerade die Staats- und Beamtenhaftung bereits in früheren Untersuchungen auch aus der Perspektive des Privatrechts eingehend gewürdigt wurden,559 sondern auch durch die Besonderheiten beider Sachgebiete. So verweist Art. 340 Abs. 2 AEUV ausdrücklich auf den Schadensersatz „nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind“. Während die außervertragliche Haftung der Union nach Art. 340 Abs. 2 AEUV – und in gewissem Umfang wohl auch die Regeln zur Beamtenhaftung560 – zumindest methodisch an eine Art rechtsvergleichende Summe der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen rückgebunden ist, werden die Schadensersatzvorschriften des Sekundärrechts vom Grundsatz autonomer Auslegung beherrscht, der nur in Ausnahmefällen und nur bei ausdrücklichem Verweis einen Rück-
Art. 41 Abs. 3 GRCh entspricht Art. 340 Abs. 2 AEUV, Pache in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 191, 193 f. 555 EuGH 19.11.1991, Rs. C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, I-5357 Rn. 39 ff. – Francovich; jüngst zusammenfassend EuGH (Große Kammer) 26.1.2010, Rs. C-118/08, Slg. 2010, I-635 Rn. 30 – Transportes Urbanos; im Kontext fehlerhaft umgesetzter Richtlinien EuGH 23.4.2009, Rs. C-378/07 und C-380/07, Slg. 2009, I-3071 Rn. 202 – Angelidaki. 556 Allgemein zum europäischen Begriff des Privatrechts Basedow FS Canaris I (2007) 43, 55 ff. 557 Dazu etwa Dannemann Schadensersatz bei Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (1994); F.Bydlinski FS Bucher (2009) 49. 558 Zum Einfluss des Staatshaftungsrechts auch van Gerven in: Fairgrieve/Andenas/Bell (Hrsg.) Tort Liability of Public Authorities in Comparative Perspective (2002) 125, 142 f.: „ECJ will […] draw inspiration from its earlier case law concerning liability of Community institutions and of Member States“. 559 Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 14 ff., 43 ff., 58 ff., Oskierski Schadensersatz im Europäischen Recht (2010) S. 33 ff., 45 ff., 48 ff. 560 Zur Annäherung der Haftung nach Art. 340 AEUV und der Grundsätze der Beamtenhaftung Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi vom 22.11.2007, Rs. C-348/06 P, Slg. 2007, I-833 Rn. 47 f. – Girardot; siehe auch EuGH 21.2.2008, Rs. C-348/06 P, Slg. 2008, I-833 Rn. 73 – Girardot zur rechtsvergleichenden Absicherung einer Schadensberechnungsmethode bei verlorener Einstellungschance. 554
II. Grundbegriffe
145
griff auf mitgliedstaatliches Recht gestattet.561 Dieses auf den ersten Blick begriffliche Argument ist durchaus ernst zu nehmen, denn die autonome Auslegung des Sekundärrechts rechtfertigt sich durch die autonomen – von der rechtsvergleichenden Summe der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen zu unterscheidenden – Regelungsziele der Unionsgesetzgebung, für die etwa der Schutz des unverfälschten Wettbewerbs, die Binnenmarktintegration oder auch der Verbraucherschutz einen anderen Stellenwert hat als für manche nationalen Gesetzgeber. Anschaulich lässt sich dies an den Zielen des Staatshaftungsanspruchs nach Francovich und des kartelldeliktischen Schadensersatzanspruchs nach Courage und Manfredi demonstrieren. Während ersterer nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ausdrücklich „nicht der Abschreckung oder als Sanktion dient, sondern auf den Ersatz der Schäden gerichtet ist, die Einzelnen durch Verstöße der Mitgliedstaaten gegen Gemeinschaftsrecht entstehen“,562 verfolgt letzterer ausdrücklich auch den Zweck, „die Durchsetzungskraft der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln“ zu erhöhen und „von – oft verschleierten – Vereinbarungen oder Verhaltensweisen abzuhalten, die den Wettbewerb beschränken oder verfälschen können“.563 Es kommt hinzu, dass die meisten Entscheidungen zur Staats- und Beamtenhaftung durch einen spezifisch öffentlich-rechtlichen bzw. beamtenrechtlichen Einschlag geprägt sind (etwa Schutz des legislatorischen und behördlichen Ermessens, Vermeidung ausufernder Haftung bei Wahrnehmung von Aufgaben des Allgemeinwohls,564 besondere Dienst- und Treuebeziehung bei BeamNachweise oben in Fn. 366–368. EuGH (Große Kammer) Rs. C-470/03, Slg. 2007, I-2749 Rn. 88 – A.G.M.-COS. MET. In der Literatur wird allerdings die Direktwirkung von Richtlinien im Verhältnis zum Staat z. T. mit der Sanktionierung des Pflichtenverstoßes begründet, Franzen Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft (1999) S. 249: „tragende[r] Grund“; Perner EU-Richtlinien und Privatrecht (2012) S. 39 ff. Dies hat Bedeutung auch für den Staatshaftungsanspruch (bei fehlerhaft umgesetzten Richtlinien), denn nach Perner a. a. O. S. 41 lassen sich „unmittelbare Richtlinienanwendung und Staatshaftung wegen fehlerhafter Richtlinienumsetzung auf denselben Grundgedanken zurückführen“. Zur Erweiterung der Funktion des Haftungsanspruchs (Erhöhung der Durchsetzungskraft der Umweltverträglichkeitsrichtlinie durch die Möglichkeit, Schadensersatzansprüche auf diese Richtlinie zu stützen) siehe auch die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 8.11.2012, Rs. C-420/11, ECLI:EU:C:2012:701 Rn. 39 – Leth. 563 EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 27 – Courage. 564 Vgl. EuGH 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 45 – Brasserie du Pêcheur: „Die enge Konzeption der Haftung der Gemeinschaft wegen der Wahrnehmung ihrer Rechtsetzungstätigkeit erklärt sich nämlich durch die Erwägung, daß die Wahrnehmung gesetzgeberischer Tätigkeit selbst dann, wenn die Rechtmäßigkeit der Rechtsakte gerichtlicher Kontrolle unterliegt, nicht jedesmal durch die Möglichkeit von Schadensersatzklagen behindert werden darf, wenn das allgemeine Interesse der Gemeinschaft den Erlaß normativer Maßnahmen gebietet, und daß auf einem Rechtsetzungsgebiet, das durch ein für die Durchführung einer Gemeinschaftspolitik unerläßlich weites Ermessen gekennzeichnet ist, die Haftung der Gemeinschaft nur dann ausgelöst werden kann, 561 562
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§ 3 Gegenstand und Grundbegriffe der Untersuchung
ten), der nicht nur auf die Haftungsvoraussetzungen, 565 sondern auch auf die Haftungsfolgen durchgreift.566 So hat der EuGH zum Ersatz für eine verlorene Einstellungschance unlängst entschieden, dass die Höhe des Schadens „nicht den Bezügen gleichgesetzt werden [kann], die der Betroffene erhalten hätte, wenn diese Chance sich erfüllt hätte, da er […] wegen des Ermessens der Kommission in dieser Frage kein Recht auf Einstellung geltend machen kann“.567
wenn das betreffende Organ die Grenzen seiner Befugnisse offenkundig und erheblich überschritten hat“; EuG 9.9.2008, Rs. T-212/03, Slg. 2008, II-1967 Rn. 42 – MyTravel Group/Kommission: „Andernfalls, wenn also die Nichtigerklärung im Urteil Airtours […] ohne nähere Analyse einem hinreichend qualifizierten Verstoß im Sinne des Urteils Bergaderm […] gleichgestellt würde, bestünde nämlich die Gefahr, dass die Kommission die ihr im EG-Vertrag übertragene Aufgabe als Wettbewerbshüterin nicht voll und ganz wahrnehmen könnte, da sich das Risiko, die von dem betreffenden Unternehmen behaupteten Schäden erstatten zu müssen, hemmend auf die Fusionskontrolle auswirken könnte.“ 565 Zum Erfordernis des hinreichend qualifizierten Verstoßes EuGH 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 45 – Brasserie du Pêcheur; EuGH 4.7.2000, Rs. C-352/98 P, Slg. 2000, I-5291 Rn. 42 f. – Bergaderm. 566 Siehe nach einem Vergleich der Judikatur zum Verstoß gegen die arbeitsrechtliche (RL 76/207) und die sozialversicherungsrechtliche (RL 79/7) Gleichbehandlungsrichtlinie das Ergebnis von König Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (2011) S. 139: „Somit spricht vieles dafür, dass der Gerichtshof die Interessen der öffentlichen Hand, insbesondere von Sozialversicherungsträgern, an einer Begrenzung von Zahlungsverpflichtungen aus Gemeinschaftsrecht stärker gewichtet als gleichgerichtete Interessen von Privatpersonen“; S. 160: „bestätigt sich die aus der Analyse der Rechtsprechung zur Richtlinie 76/207/EWG einerseits und 79/7/EWG andererseits entwickelte Hypothese, dass der Gerichtshof finanzielle Interessen der Mitgliedstaaten tendenziell stärker gewichtet als das Interesse von Privatpersonen, durch den Vollzug von Gemeinschaftsrecht nicht übermäßig finanziell belastet zu werden“. Ferner Klauer Die Europäisierung des Privatrechts (1998) S. 153, die zur Vorsicht beim Rückgriff auf staatshaftungsrechtliche Judikatur mahnt. 567 EuGH 21.2.2008, Rs. C-348/06 P, Slg. 2008 I-833 Rn. 65 – Girardot. Der EuGH hat die Entscheidung des EuG dennoch gehalten, weil die Orientierung an den entgangenen Bezügen nur einer von mehreren Gesichtspunkten im Rahmen des richterlichen Ermessens des Tatrichters (EuG) war.
Zweiter Teil
Bestandsaufnahme Zweiter Teil: Bestandsaufnahme – Rahmensetzung durch Effektivitätsgrundsatz
Der zweite Teil der Arbeit ist eine Bestandsaufnahme des Unionsprivatrechts anhand von fünf Referenzgebieten und zehn Sachfragen des Schadensersatzes. Die fünf Referenzgebiete Kartelldeliktsrecht, Verbrauchervertragsrecht (verbrauchervertragliche Informationspflichten), Produkthaftung, Reiserecht und Luftbeförderungsrecht stehen exemplarisch für die Bandbreite des Unionsprivatrechts und seine unterschiedlichen Regelungszugriffe, nämlich die bloße Rahmensetzung durch den Effektivitätsgrundsatz1 (Kartelldeliktsrecht als Beispiel für die Durchsetzung primärrechtlicher Normen,2 Verbrauchervertragsrecht als Beispiel für die Durchsetzung von Richtlinien), die Harmonisierung durch Richtlinien (Reiserecht, Produkthaftung) und die Rechtsvereinheitlichung durch Verordnungen und unionsrezipierte Staatsverträge (Luftbeförderung von Personen).
1 Nach dem hier zugrunde gelegten Verständnis sind sowohl die Vorgaben des Effektivitätsgrundsatzes nach Rewe/Comet wie die Vorgaben des sekundärrechtlichen Effektivitätsgebots nach von Colson und Kamann Emanationen eines allgemeinen sanktionenrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes, dazu bereits oben § 1 II 2 b aa und bb → S. 35, 38. 2 Zur Zuordnung des Kartelldeliktsrechts zur Rahmensetzung durch den Effektivitätsgrundsatz auch nach Inkrafttreten der (nach Abschluss dieser Arbeit verabschiedeten) Kartellschadensersatzrichtlinie 2014/104 bereits oben Teil 1 – Fn. 405.
Abschnitt 1
Rahmensetzung durch den Effektivitätsgrundsatz § 4 Kartelldeliktsrecht § 4 Kartelldeliktsrecht
Das Wettbewerbsrecht zählt zu den historisch und funktional wichtigsten Materien des Unionsprivatrechts. Nicht nur findet sich in Art. 101 Abs. 2 AEUV bereits seit Gründung der EWG eine ausdrückliche Regelung der Nichtigkeitsfolge bei kartellrechtswidrigen Verträgen, vor allem sind die Regeln zum Wettbewerbsrecht in Art. 101 ff. AEUV zentraler Baustein des Systems unverfälschten Wettbewerbs in der Konzeption der Unionsverträge.1 Auch für die private Durchsetzung des Unionsrechts spielt das Wettbewerbsrecht eine wichtige Rolle. Zum einen zählt es – nach dem Antidiskriminierungsrecht – zu den ersten Materien, in denen der EuGH einen eigenen Schadensersatzanspruch ohne ausdrückliche Regelung im geschriebenen Recht unmittelbar aus dem europäischen Effektivitätsgebot entwickelte (dazu sogleich § 4 I 1 → S. 150). Zum anderen stellt das Wettbewerbsrecht die traditionelle Dogmatik des Schadensersatzrechts vor besondere Herausforderungen, weil es im Vergleich mit eher bürgerlich-rechtlichen Materien wie beispielsweise der Produkthaftung noch stärker im Grenzbereich zwischen privatem Schadensausgleich und öffentlicher Wirtschaftsordnung angesiedelt ist, so dass sich bei der Anspruchsinhaberschaft, beim Schadensumfang und der Anspruchsbegrenzung durch Vorteilsausgleichung eigene Fragen stellen. Der folgende Abschnitt widmet sich dem Wettbewerbsrecht am Beispiel des Kartelldeliktsrechts, also der deliktischen Folgen kartellrechtswidriger Absprachen i. S. d. Art. 101 AEUV, und lässt die Rechtsfolgen anderer Verbotstatbestände außer Betracht.2 1 Vgl. das Ziel der „Errichtung eines Systems, das den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes vor Verfälschungen schützt“ in (heute) Art. 3 Abs. 3 EUV i. V. m. dem Protokoll Nr. 27 über den Binnenmarkt und den Wettbewerb, ABl. 2010, C 83, S. 309, zu dessen Rang Art. 51 EUV. Zur Fortgeltung des Ziels unverfälschten Wettbewerbs nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon EuGH 17.2.2011, Rs. C-52/09, Slg. 2011, I-527 Rn. 20 f. – TeliaSonera; EuGH 17.11.2011, Rs. C-496/09, ECLI:EU:C:2011:740 Rn. 60 – Kommission/Italien; zur Komplementarität zu den Grundfreiheiten bereits EuGH 27.9.1988, Rs. 65/86, Slg. 1988, 5249 Rn. 11 – Bayer. 2 Zu Art. 102 AEUV Wurmnest in: Behrens/Braun/Nowak (Hrsg.) Europäisches Wettbewerbsrecht im Umbruch (2004) 213, 246 ff.; Meessen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht (2011) S. 323 ff.; EU-Kommission Entwurf eines
150 I.
§ 4 Kartelldeliktsrecht
Existenz eines Schadensersatzanspruchs
I. Existenz eines Schadensersatzanspruchs
1. Begründung des Schadensersatzanspruchs Ausgangspunkt für die private Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften und damit auch für privatrechtliche Schadensersatzansprüche bei Wettbewerbsverstößen ist die Rechtssache BRT/SABAM aus dem Jahr 1974. Bereits damals stellte der Gerichtshof fest, dass „die in den Artikeln 85 Absatz 1 und 86 enthaltenen Verbote ihrer Art nach geeignet sind, in den Beziehungen zwischen Einzelnen unmittelbare Wirkungen zu erzeugen“ und „unmittelbar in deren Person Rechte entstehen [lassen], welche die Gerichte der Mitgliedstaaten zu wahren haben“.3 Den nächsten Schritt zur ausdrücklichen Anerkennung eines Schadensersatzanspruchs ging der Gerichtshof in der Rechtssache Courage.4 Ausgehend vom Prinzip der unmittelbaren Anwendbarkeit des Unionsrechts aus van Gend & Loos (Rn. 19), der grundlegenden Bedeutung des Art. 101 AEUV für die Unionsrechtsordnung (Rn. 20), der ausdrücklichen und absoluten Nichtigkeitsanordnung in Art. 101 Abs. 2 AEUV (Rn. 21 f.) und der durch BRT/SABAM bestätigten unmittelbaren Wirkung der Wettbewerbsvorschriften (Rn. 23) folgerte der Gerichtshof, dass „ein Einzelner berechtigt ist, sich auf einen Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 EGVertrag zu berufen, auch wenn er Partei eines Vertrages ist, der den Wettbewerb im Sinne dieser Vorschrift beschränken oder verfälschen kann“ (Rn. 24). Leitfadens zur Quantifizierung des Schadens in Schadensersatzklagen wegen Verletzung des Artikels 101 oder 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (2011) Rn. 160 ff. 3 EuGH 30.1.1974, Rs. 127/73, Slg. 1974, 51 Rn. 15/17 – BRT/SABAM; nunmehr auch Erwägungsgrund 3 Satz 1 RL 2014/104. 4 EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 26 – Courage; zu einem solchen Anspruch bereits Europäisches Parlament, Entschließung in Beantwortung der vom Ministerrat der EWG zu dem Vorschlag einer ersten Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des EWG-Vertrages vom Parlament erbetenen Konsultation, ABl. vom 15.11.1961, Nr. 1409, 1410 Rn. 11: „hält es für unerläßlich, daß schon in der ersten Verordnung Sanktionen für Verstöße gegen die Artikel 85 und 86 vorgesehen werden und möglichst bald auch die Frage des Schadensersatzes bei solchen Verstößen einheitlich geregelt werden sollte“; siehe auch EWG Kommission La réparation des conséquences dommageables d’une violation des articles 85 et 86 du traité instituant la CEE, Collection Etudes, Serie concurrence no. 1 (1966); EuG 18.9.1992, Rs. T-24/90, Slg. 1992, II-2223 Rn. 50 – Automec; Beitzke ZfRV 1964, 80; Toepke RIW/AWD 1976, 279, 280; Tilmann ZHR 141 (1977) 32, 55; zusammenfassend zur Vorgeschichte Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 6.10 ff. Siehe auch die Begründung zum unveröffentlichten Proposal for a Council Directive on rules governing actions for damages for infringements of Articles 81 and 82 of the Treaty, S. 2: „this right to compensation is guaranteed by the Treaty itself“ (abgedruckt in Lowe/Marquis European competition law annual 2011: integrating public and private enforcement of competition law – implications for courts and agencies (2014) Annex III) und nunmehr Erwägungsgrund 14 Satz 3 a. E. RL 2014/104: „des durch den AEUV garantierten Schadensersatzanspruchs“.
I. Existenz eines Schadensersatzanspruchs
151
Speziell zur Begründung des Schadensersatzanspruchs bezog sich der Gerichtshof sodann auf die Verpflichtung der nationalen Gerichte zur Gewährleistung der „vollen Wirkung“ des Unionsrechts und des Schutzes der „Rechte […], die das Gemeinschaftsrecht dem Einzelnen verleiht“ (Rn. 25). Diese „volle Wirksamkeit des Artikels 85 EG-Vertrag und insbesondere die praktische Wirksamkeit des in Artikel 85 Absatz 1 ausgesprochenen Verbots wären beeinträchtigt, wenn nicht jedermann Ersatz des Schadens verlangen könnte, der ihm durch einen Vertrag, der den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, oder durch ein entsprechendes Verhalten entstanden ist“ (Rn. 26).5
Ein solcher Schadensersatzanspruch „erhöht nämlich die Durchsetzungskraft der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln und ist geeignet, von – oft verschleierten – Vereinbarungen oder Verhaltensweisen abzuhalten, die den Wettbewerb beschränken oder verfälschen können“,
so dass „Schadensersatzklagen vor den nationalen Gerichten wesentlich zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Gemeinschaft beitragen [können]“ (Rn. 27). Im Kern lassen sich damit die unmittelbare Wirkung der durchzusetzenden Norm des Unionsrechts (Rn. 19–23), die Berechtigung des individuellen Klägers aus dieser Norm (Rn. 24) und die Erforderlichkeit eines Schadensersatzanspruchs zur Wahrung ihrer vollen Wirksamkeit und Durchsetzungskraft (Rn. 25–27) als Bausteine in der Argumentationskette des Gerichtshofs zur Begründung des Schadensersatzanspruchs identifizieren. 2. Rechtsnatur des Schadensersatzanspruchs Die durch Courage begründete Schadensersatzhaftung hat der Gerichtshof in späteren Entscheidungen mehrfach bekräftigt, so dass heute „jedermann Ersatz des ihm entstandenen Schadens verlangen [kann], wenn zwischen dem Schaden und einem nach Art. 81 EG [Art. 101 AEUV] verbotenen Kartell oder Verhalten ein ursächlicher Zusammenhang besteht“.6 Auch Art. 3 Abs. 1 der neuen Kartellschadensersatzrichtlinie 2014/104 bestätigt die Existenz eines solchen Schadensersatzanspruchs, wobei die Richtlinie ausdrücklich von einem „durch den AEUV garantierten Schadensersatzanspruch“ (Erwägungsgrund 14 Satz 3 a. E. RL 2014/104) spricht.7 Es handelt sich also offenEbenso nun Erwägungsgrund 3 Satz 4 RL 2014/104. EuGH (Große Kammer) 6.11.2012, Rs. C-199/11, ECLI:EU:C:2012:684 Rn. 43 – Otis (Rn. 41 zur Existenz des Schadensersatzanspruchs); ferner EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 60 f. – Manfredi; EuGH 18.1.2007, Rs. C-421/05, Slg. 2007, I-653 Rn. 33 – City Motors Groep; EuGH 14.6.2011 (Große Kammer), Rs. C-360/09, Slg. 2011, I-5161 Rn. 28 – Pfleiderer; EuGH 6.6.2013, Rs. C536/11, ECLI:EU:C:2013:366 Rn. 21 – Donau Chemie; EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 21 – Kone. 7 Ebenso der Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach einzelstaatlichem Recht wegen Zuwiderhandlungen 5 6
152
§ 4 Kartelldeliktsrecht
bar um die deklaratorische Bestätigung (Erwägungsgrund 12 Satz 1 RL 2014/104) einer unabhängig von der Richtlinie kraft Primärrechts (AEUV) bestehenden Verpflichtung der Mitgliedstaaten, für Wettbewerbsverstöße einen privatrechtlichen Schadensersatzanspruch zu schaffen.8 Die nähere Ausgestaltung dieses Anspruchs einschließlich der Konkretisierung der vom Unionsrecht allgemein definierten Voraussetzungen (Jedermann, Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht, Schaden, ursächlicher Zusammenhang zwischen Zuwiderhandlung und Schaden, siehe Art. 3 Abs. 1 RL 2014/104) bleibt „mangels einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung […] Sache des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten […], sofern diese Modalitäten nicht weniger günstig ausgestaltet sind als die entsprechender innerstaatlicher Klagen (Äquivalenzgrundsatz) und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz)“9 (ebenso nun auch Art. 4 und Erwägungsgrund 12 RL 2014/104)10.
gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union KOM(2013) 404 S. 4. 8 Geibel FS Müller-Graff (2015) 558, 559 mit Verweis auf Erwägungsgründe 3, 4, 8 und 21; W.-H. Roth ZHR 179 (2015) 668, 684. Ebenso wohl auch Vollrath NZKart 2014, 434, 437: „Damit [Art. 3 Abs. 1 RL 2014/104] nimmt der RL-V Formulierungen des Gerichtshofs aus den Entscheidungen in Courage und Manfredi auf und macht diese[n] primärrechtlichen acquis zu sekundärrechtlichen Normen. […] Da Art. 2 Abs. 1 RL-V [Art. 3 Abs. 1 RL 2014/104] grundsätzlich gerade nicht im Gegensatz zu diesem acquis stehen, diesen vielmehr ‚bestätigen‘ soll, ist der RL-V unter Rückgriff auf jene Rechtsprechung auszulegen.“ 9 EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 29 – Courage; EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C.298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 64 – Manfredi; EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 24 – Kone. Weitergehend die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 30.1.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:45 Rn. 23, 27, 28, 34 f. – Kone, die vorschlägt, dass alle Fragen des „Ob“ des Schadensersatzes (z. B. Anspruchsberechtigung, ersatzfähige Arten von Schäden, Kausalität) unionsrechtlich determiniert seien, während das „Wie“ des Schadensersatzes (Modalitäten der Durchsetzung und Berechnung von Schadensersatzansprüchen sowie Zuständigkeit, Verfahren, Fristen und Beweisführung) dem nationalen Recht vorbehaltlich des Effektivitätsund Äquivalenzgebots überlassen bleibe; kritisch dazu Franck ECJ 11 (2015) 135, 154, der dies unter Hinweis auf die Gewaltenteilung und das institutionelle Gleichgewicht zwischen Gerichtshof und Legislative ablehnt. Angesichts der Rezeption im Sekundärrecht (Art. 3 Abs. 1 RL 2014/104) ist es eine eher theoretische Frage, ob der Unionsgesetzgeber von den durch den Gerichtshof entwickelten Anspruchselementen abweichen dürfte, befürwortend W.-H. Roth ZHR 179 (2015) 668, 684 ff. 10 Die abweichende Formulierung des Effektivitätsgebots in Art. 3 Satz 1 des Vorschlags der Kommission für eine Richtlinie über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach einzelstaatlichem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union KOM(2013) 404 S. 37 hat der Unionsgesetzgeber nicht übernommen, so dass der Diskussion um eine
I. Existenz eines Schadensersatzanspruchs
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Jenseits der unionsrechtlichen Verankerung der Existenz (des „Ob“) dieses Schadensersatzanspruchs ist seine Rechtsnatur allerdings traditionell umstritten. Während ein Teil der Literatur im Anschluss an die Schlussanträge des Generalanwalts van Gerven in der Rechtssache Banks vorschlägt, dass es sich bei den ungeschriebenen Haftungsansprüchen zwischen Privaten wegen Verletzung des Unionsrechts um eine Parallelerscheinung zur FrancovichStaatshaftung der Mitgliedstaaten handeln soll,11 geht die Gegenposition davon aus, dass zwar das Unionsrecht die Existenz eines Schadensersatzanspruchs gebietet, aber keine eigene Anspruchsgrundlage schafft, sondern die nationalen Rechtsfolgenanordnungen lediglich durch den allgemeinen Effektivitätsgrundsatz aus Rewe/Comet überlagert, so dass auch die Anspruchsgrundlage und die Voraussetzungen für den Schadensersatzanspruch aus dem nationalen Recht folgen.12 mögliche Neuausrichtung des Effektivitätsgrundsatzes durch die abweichende Formulierung der Boden entzogen ist. Zur Diskussion des Richtlinienvorschlags Vollrath NZKart 2013, 434, 437, 439: „Art. 3 S. 1 RL-V präzisiert den Effektivitätsgrundsatz in zweierlei Hinsicht: zum einen wird der Maßstab positiv formuliert: die ‚wirksame‘ Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs muss gewährleistet werden. Das geht zumindest in der sprachlichen Fassung über die in der Rechtsprechung eher negativ formulierte Grenze (‚nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren‘) hinaus. Zum anderen enthält der RL-V einen genauen Bezugspunkt dafür, was genau wirksam gemacht werden soll, nämlich der Anspruch des Geschädigten auf ‚vollständigen Ersatz des durch eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht verursachten Schadens‘.“ 11 So insbesondere Schlussanträge des Generalanwalts van Gerven vom 27.10.1993, Rs. C-128/92, Slg. 1994, I-1209 Rn. 43 – Banks; ähnlich Stillfried/Stockenhuber WBl 1995, 345, 347; Steindorff EG-Vertrag und Privatrecht (1996) S. 325: „Art. 5 EGV unmittelbar Grundlage von Schadensersatzverpflichtungen“; Jones Private Enforcement of Antitrust Law in the EU, UK and USA (1999) S. 75 ff.; Nowak EuZW 2001, 717, 718; Mäsch EuR 2003, 825, 842; Röhrig Schadensersatzansprüche im deutschen Kartellrecht nach der 6. GWB-Novelle (2004) S. 143 ff., 154; Keßler WRP 2006, 1061, 1064 f. N. Reich CMLR 44 (2007) 705, 708 f., 741 f. gesteht dem nationalen Recht eine eigene „first-level answer“ (724) zu, die unter dem Vorbehalt des Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatz steht und kommt so zu einem „hybridization approach“ (allerdings unter Beibehaltung des Kriteriums des „sufficiently serious breach“); ähnlich dürften Komninos CMLR 39 (2002) 447, 466 ff. und Eilmansberger in: Streinz EUV/AEUV2 (2012) Art. 101 AEUV Rn. 126 f. einzuordnen sein, die zwar von einem unionsrechtlichen Schadensersatzanspruch ausgehen, allerdings seine Ausgestaltung in das Ermessen der Mitgliedstaaten unter dem Vorbehalt des Effektivitätsgrundsatzes stellen. Siehe außerdem Basedow in: Augenhofer (Hrsg.) Die Europäisierung des Kartell- und Lauterkeitsrechts (2009) 1, 6: „Damit [Courage] war in der Sache eine gemeinschaftsrechtliche Grundlage für Schadensersatzansprüche anerkannt.“ Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012) S. 306 ff. lehnt sich an die FrancovichJudikatur an und will auch am „hinreichend qualifizierten Verstoß“ im Privatrecht festhalten (S. 309), dennoch aber – sofern der Effektivitätsgrundsatz dies zulässt – das Verschulden als zusätzliche Haftungsvoraussetzung akzeptieren (S. 310). 12 Albors-Llorens CLJ 61 (2002) 38, 40; Lettl ZHR 167 (2003) 472, 476 f.; Komninos CMLR 39 (2002) 447, 476; Wurmnest RIW 2003, 896, 897; ders. in: Behrens/Braun/
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§ 4 Kartelldeliktsrecht
Die Diskussion um die Rechtsnatur ist nicht nur akademisch bedeutsam.13 Zwar richten sich auch bei der Francovich-Haftung die Haftungsfolgen nach dem nationalen Recht unter dem Vorbehalt des Effektivitätsgrundsatzes,14 so dass sich insofern kein grundsätzlicher Unterschied zur Rewe/Comet-Doktrin ergibt. Bedeutsam kann der Unterschied allerdings auf der Ebene der Haftungsbegründung werden, denn auf dieser Ebene definieren die drei Francovich-Kriterien – (1) Ziel der verletzten Unionsrechtsnorm muss die Verleihung von Rechten an den Geschädigten sein, (2) der Verstoß gegen die Norm muss hinreichend qualifiziert sein, und (3) zwischen dem Verstoß und dem den Geschädigten entstandenen Schaden muss ein unmittelbarer Kausalzusammenhang bestehen15 – abschließend die Haftungsvoraussetzungen. Die Nowak (Hrsg.) Europäisches Wettbewerbsrecht im Umbruch (2004) 213, 221 f.; Afferni/ Bulst ZEuP 2005, 143, 156 f.; Bundeskartellamt Diskussionspapier Private Rechtsdurchsetzung (2005) S. 6; Bulst Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht (2006) S. 187, 212 f.; ders. ZEuP 2008, 178, 185; Görner Die Anspruchsberechtigung der Marktbeteiligten nach § 33 GWB (2007) S. 57 ff., 69, 89; Ward Judicial Review and the Rights of Private Parties in EU Law2 (2007) S. 251 f.; Logemann Der kartellrechtliche Schadensersatz (2009) S. 127 f.; Weyer in: Frankfurter Kommentar II (2009) Art. 81 EG Zivilrechtsfolgen Rn. 13, 29, 38 ff.; Alexander Schadensersatz und Abschöpfung im Lauterkeits- und Kartellrecht (2010) S. 327 f.; Meessen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht (2011) S. 31 ff., 43; Jaschke Der kartellrechtliche Schadensersatzanspruch (2012) S. 90 f.; Säcker/Jaecks in: MünchKommWettbR I2 (2015) Art. 101 AEUV Rn. 687; Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 2.27, 6.16; in diese Richtung auch EuG 18.9.1992, Rs. T-24/90, Slg. 1991, II-2223 Rn. 50 – Automec. Siehe auch Hempel Privater Rechtsschutz im Kartellrecht (2002) S. 101: „kann momentan noch nicht davon ausgegangen werden, dass ein Schadensersatzanspruch wegen Verstoßes gegen Art. 81, 82 EG unmittelbar aus den genannten Vorschriften besteht“. 13 Zurückhaltender G. Wagner AcP 206 (2006) 352, 420; Bulst ZWeR 2012, 70, 74: „Die praktische Bedeutung der Frage ist jedoch gering und vermutlich auf besondere kollisionsrechtliche Konstellationen begrenzt“; Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012) S. 300: „In der praktischen Anwendung wird sich die dogmatische Einordnung […] nicht auswirken, da sich die Tatbestandsvoraussetzungen unabhängig von der Qualifizierung als unionsrechtlicher oder mitgliedstaatlicher Anspruch jeweils aus dem mitgliedstaatlichen Recht ergeben.“ 14 EuGH (Große Kammer) 26.1.2010, Rs. C-118/08, Slg. 2010, I-635 Rn. 31 – Transportes Urbanos: „Der Gerichtshof hat außerdem klargestellt, dass vorbehaltlich des Anspruchs auf Entschädigung, der seine Grundlage auf diese Weise unmittelbar im Unionsrecht hat, wenn die genannten Voraussetzungen erfüllt sind, der Staat die Folgen des entstandenen Schadens im Rahmen des nationalen Haftungsrechts zu beheben hat, wobei die im nationalen Schadensersatzrecht festgelegten Voraussetzungen nicht weniger günstig sein dürfen als bei ähnlichen Rechtsbehelfen, die nur nationales Recht betreffen (Äquivalenzgrundsatz), und nicht so ausgestaltet sein dürfen, dass sie die Erlangung der Entschädigung praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz).“ 15 Zu den Francovich-Kriterien EuGH 19.11.1991, Rs. C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, I-5357 Rn. 39 ff. – Francovich; zusammenfassend EuGH (Große Kammer) 26.1.2010,
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Mitgliedstaaten dürften deshalb, wenn die Courage-Haftung tatsächlich der Francovich-Haftung entsprechen würde, keine zusätzlichen begrenzenden Voraussetzungen wie etwa das Verschuldenserfordernis einführen, das unter Francovich nur in bestimmten Situationen16 und dann auch nur als ein Abwägungsfaktor im Rahmen des hinreichend qualifizierten Verstoßes,17 nicht aber als zusätzliche Haftungsvoraussetzung berücksichtigt werden darf.18 Die besseren Gründe sprechen indes dafür, dass sich die FrancovichDoktrin nicht auf die Courage-Haftung übertragen lässt, sondern dass es sich vielmehr um eine der Francovich-Rechtsprechung zwar verwandte, aber doch von ihr zu unterscheidende Überlagerung und Rahmenharmonisierung der nationalen Rechtsbehelfe durch den Effektivitätsgrundsatz handelt.19 So weckt bereits eine Analyse der Judikatur des EuGH zu ungeschriebenen privatrechtlichen Schadensersatzansprüchen Zweifel an der Übertragung von Francovich. Zwar ist zutreffend, dass die Entscheidungen zur Staatshaftung, etwa zum entgangenen Gewinn als Teil des Schadensersatzes, auch Einfluss Rs. C-118/08, Slg. 2010, I-635 Rn. 30 – Transportes Urbanos; im Kontext fehlerhaft umgesetzter Richtlinien EuGH 23.4.2009, Rs. C-378/07 und C-380/07, Slg. 2009, I-3071 Rn. 202 – Angelidaki. 16 In manchen Fällen geht der EuGH auch per se von einem „hinreichend qualifizierten Verstoß“ aus, siehe EuGH 8.10.1996, Rs. C-178/94, Slg. 1996, I-4845 Rn. 25 f. – Dillenkofer (unterlassene Richtlinienumsetzung); EuGH 23.5.1996, Rs. C-5/94, Slg. 1996, I-2553 Rn. 28 – Hedley Lomas; EuGH 4.7.2000, Rs. C-424/97, Slg. 2000, I-5123 Rn. 38 – Haim; EuGH 10.12.2002, Rs. C-312/00 P, Slg. 2002, I-11355 Rn. 54 – Kommission/Camar und Tico (zur Haftung der Union bei erheblich verringertem oder auf Null reduziertem Gestaltungsspielraum). 17 EuGH 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 56 – Brasserie du Pêcheur: „gehören zu den Gesichtspunkten, die das zuständige Gericht gegebenenfalls zu berücksichtigen hat, […] die Frage, ob der Verstoß vorsätzlich oder nicht vorsätzlich begangen oder der Schaden vorsätzlich oder nicht vorsätzlich zugefügt wurde, die Entschuldbarkeit oder Unentschuldbarkeit eines etwaigen Rechtsirrtums“. 18 Zur abschließenden Ausgestaltung der Francovich-Voraussetzungen EuGH 19.11.1991, Rs. C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, I-5357 Rn. 39 ff., 41 – Francovich: „Diese Voraussetzungen reichen aus, um dem Einzelnen einen Anspruch zu geben“; EuGH 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 78 ff. – Brasserie du Pêcheur; EuGH 14.3.2013, Rs. C-420/11, ECLI:EU:C:2013:166 Rn. 42 – Leth: „Diese drei Voraussetzungen sind erforderlich und ausreichend.“ Zur Unzulässigkeit des Verschuldenserfordernisses beim Schadensersatzanspruch gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. c der Vergabenachprüfungsrichtlinie 89/665 (nunmehr RL 2007/66), den der Gerichtshof als „Konkretisierung des Grundsatzes der Haftung des Staates für Schäden, die dem Einzelnen durch dem Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Unionsrecht entstehen“ ansieht (vgl. EuGH 9.12.2010, Rs. C-568/08, Slg. 2010, I-12655 Rn. 87 – Combinatie Spijker Infrabouw), EuGH 30.9.2010, Rs. C-314/09, Slg. 2010, I-8769 Rn. 34 – Strabag. 19 Siehe auch Vollrath NZKart 2013, 434, 437: „Vielmehr wären die Mitgliedstaaten, an die die Richtlinie gerichtet ist, zur Schaffung nationaler zivilrechtlicher Ansprüche verpflichtet, die den Anforderungen der Richtlinie zu genügen haben.“
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auf den kartelldeliktischen Schadensersatzanspruch hatten.20 Indes beziehen sich diese Einflüsse vor allem auf den Haftungsumfang, der sowohl nach Francovich wie nach Courage/Manfredi unstreitig allein durch das allgemeine Effektivitätsgebot unionsrechtlich beeinflusst wird (und nunmehr partiell – im Hinblick auf die Schadensschätzung und die Schadensvermutung bei Kartellen – durch Art. 17 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 RL 2014/104 ergänzt wird)21. Zudem sind die Einflüsse nicht auf die Francovich-Rechtsprechung zur Staatshaftung beschränkt, sondern entstammen auch der Rechtsprechung zum Antidiskriminierungsrecht,22 die sich auf den allgemeinen Effektivitätsgrundsatz zurückführen lässt und älter als die Francovich-Doktrin ist. Auch hat der EuGH in Courage,23 im Unterschied zu Francovich24 und Folgeentscheidun-
Siehe die Verweise in EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 96 – Manfredi zum Schadensumfang auf EuGH 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 87 – Brasserie du Pêcheur und EuGH 8.3.2001, Rs. C-397/98 und C-410/98, Slg. 2001, I-1727 Rn. 91 – Metallgesellschaft; siehe auch die Verweise in EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 94 – Manfredi zum Bereicherungsverbot auf EuGH 4.10.1979, Rs. 238/78, Slg. 1979, 2955 Rn. 14 – Ireks-Arkady/Rat und Kommission; EuGH 21.9.2000, Rs. C-441/98 und C-442/ 98, Slg. 2000, I-7145 Rn. 31 – Michaïlidis. 21 Die Regel zum Schadensumfang in Art. 3 Abs. 2 RL 2014/104 („Der vollständige Ersatz versetzt eine Person, die einen Schaden erlitten hat, in die Lage, in der sie sich befunden hätte, wenn die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht nicht begangen worden wäre. Er erfasst daher das Recht auf Ersatz der eingetretenen Vermögenseinbuße und des entgangenen Gewinns, zuzüglich der Zahlung von Zinsen.“) kodifiziert lediglich die bereits zuvor ergangene Rechtsprechung zum Schadensumfang, Vollrath NZKart 2013, 434, 440: „Auch insoweit [Art. 2 Abs. 2 RL-V = Art. 3 Abs. 2 RL 2014/104] übernimmt der RL-V (zum Teil wortgleich) Formulierungen des Gerichtshofs und damit den primärrechtlichen acquis.“ Hinzu kommt die optionale Unterstützungsbefugnis der Kartellbehörden nach Art. 17 Abs. 3 RL 2014/104, die allerdings prozessualer Natur ist. 22 Siehe den Verweis in EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 96 – Manfredi zur Verzinsung auf EuGH 2.8.1993, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367 Rn. 31 – Marshall II. 23 EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 28 f. – Courage. 24 Siehe EuGH 19.11.1991, Rs. C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, I-5357 Rn. 35 – Francovich: „Der Grundsatz einer Haftung des Staates für Schäden, die dem einzelnen durch dem Staat zurechenbare Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, folgt somit aus dem Wesen der mit dem EWG-Vertrag geschaffenen Rechtsordnung“; ferner Rn. 37; EuGH 14.3.2013, Rs. C-420/11, ECLI:EU:C:2013:166 Rn. 40 – Leth: „Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass das Unionsrecht Einzelnen für Schäden, die durch Verstöße gegen das Unionsrecht entstehen, unter bestimmten Bedingungen einen Ersatzanspruch verleiht.“ Im Staatshaftungsrecht ist allerdings nach wie vor umstritten, ob die Francovich-Haftung ihre Grundlage unmittelbar im Unionsrecht findet oder es sich nur um eine unionsrechtliche Überformung des nationalen Staatshaftungsrechts handelt, siehe den Überblick bei Pache in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 191, 201 f. Der BGH geht von einer Grundlage unmittelbar im Unionsrecht aus, BGH 20
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gen etwa zum vergaberechtlichen Schadensersatzanspruch (Art. 2 Abs. 1 lit. c RL 2007/66),25 den Grundsatz der Schadensersatzhaftung nicht aus dem Unionsrecht abgeleitet, und auch zur verwandten Frage der Teilbarkeit der Nichtigkeitsfolge nach Art. 101 Abs. 2 AEUV oder zur Nichtigkeit nach Art. 102 AEUV bemüht der EuGH nationales Recht (§ 139 BGB bzw. § 134 BGB).26 Schließlich ist der Gerichtshof auch dem jüngsten Vorschlag seiner Generalanwältin27 nicht gefolgt, den Kausalzusammenhang als rein unionsrechtlichen Begriff zu verstehen und das Konzept des unmittelbaren Kausalzusammenhangs aus dem Staatshaftungsrecht zu übernehmen, sondern betont weiterhin die grundsätzliche Geltung des mitgliedstaatlichen Rechts.28 Der privatrechtliche Schadensersatzanspruch im Kartelldeliktsrecht ist damit letztlich eine Verdichtung des Effektivitätsgebots, indem der an sich gegebene mitgliedstaatliche Regelungsspielraum auf nur eine unionsrechtskonforme Lösung, nämlich die Existenz privatrechtlicher Ansprüche reduziert wird, während die Ausgestaltung der Haftungsvoraussetzungen über die vom Unionsrecht vorgegebenen allgemeinen Voraussetzungen dem nationalen Recht obliegt, begrenzt durch das Effektivitäts- und Äquivalenzgebot und 14.12.2000, III ZR 151/99, NVwZ 2001, 465, 466: „gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch“. 25 Explizit als Konkretisierung des Francovich-Anspruchs bezeichnet in EuGH 9.12.2010, Rs. C-568/08, Slg. 2010, I-12655 Rn. 87 – Combinatie Spijker Infrabouw. 26 Zur Teilbarkeit der Nichtigkeitsfolge gemäß Art. 101 Abs. 2 AEUV EuGH 30.6.1966, Rs. 56/65, Slg. 1966, 282, 304 – Société Technique Minère; EuGH 14.12.1983, Rs. 312/82, Slg. 1983, 4173, 4174 – Société de Vente de Ciments et Bétons; EuGH 18.12.1986, Rs. 10/86, Slg. 1986, 4071 Rn. 14 f. – VAG Magne; zur Nichtigkeit bei Verstößen gegen Art. 102 AEUV EuGH 11.4.1989, Rs. 66/86, Slg. 1989, 838, 851 – Ahmed saaeed Flugreisen. 27 Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 30.1.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU: C:2014:45 Rn. 34 f. – Kone, die sich für eine Übernahme des Erfordernisses des hinreichend unmittelbaren Kausalzusammenhangs aus dem Staatshaftungsrecht in das Kartelldeliktsrecht mit einer normativen Korrektur ausspricht: „So wird im Rahmen der außervertraglichen Haftung der Unionsorgane gemäß Art. 340 Abs. 2 AEUV nach ständiger Rechtsprechung ein hinreichend unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen dem schädigenden Verhalten und dem geltend gemachten Schaden verlangt. Eben dieses Kriterium sollte aus Gründen der Kohärenz auch auf alle anderen Fälle übertragen werden, in denen Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Unionsrechts in Rede stehen. […] Freilich bedarf auch besagtes Kriterium der Unmittelbarkeit noch der Präzisierung. Um näher zu bestimmen, was unter ‚hinreichend unmittelbarer Kausalität‘ konkret zu verstehen ist, muss letztlich eine normative Betrachtung angestellt werden, wie sie auch in den nationalen Zivilrechtsordnungen im Zusammenhang mit den jeweiligen Regeln über die außervertragliche Haftung gebräuchlich ist“ (Hervorhebung nicht im Original). 28 EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 24, 32 – Kone. Siehe aber auch die frühere Entscheidung EuGH (Große Kammer) 6.11.2012, Rs. C-199/11, ECLI:EU:C:2012:684 Rn. 65 – Otis, wo der Gerichtshof ausdrücklich von einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen Schaden und dem schädigenden Ereignis spricht.
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nunmehr auch die Präzisierungen der Kartellschadensersatzrichtlinie 2014/ 104. Es bleibt daher den nationalen Rechtsordnungen gestattet, über die vom Gerichtshof genannten Haftungsvoraussetzungen – (1) Jedermann, (2) Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht, (3) Schaden und (4) Kausalzusammenhang zwischen Zuwiderhandlung und Schaden – hinauszugehen, solange die Gesamteffektivität des Haftungstatbestands gewährleistet bleibt. Diese Sichtweise wird nun auch durch die neue Kartellschadensersatzrichtlinie 2014/104 bestätigt, deren Erwägungsgrund 11 Satz 1 für Schadensersatzklagen auf die „innerstaatlichen Vorschriften und Verfahren der Mitgliedstaaten“ verweist. Noch deutlicher stellt Erwägungsgrund 11 Satz 5 RL 2014/104 klar, dass die Mitgliedstaaten, wenn sie „in ihrem nationalen Recht andere Voraussetzungen für Schadensersatz vorsehen, wie etwa Zurechenbarkeit, Adäquanz oder Verschulden, […] diese Bedingungen beibehalten können, sofern sie mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dem Effektivitäts- und dem Äquivalenzgrundsatz und den Bestimmungen dieser Richtlinie im Einklang stehen“.29
Die Abweichung von den Francovich-Kriterien ist auch in der Sache sinnvoll, vor allem beim Tatbestandsmerkmal des „hinreichend qualifizierten Verstoßes“.30 Dieses Tatbestandsmerkmal, das wesentlich der Begrenzung der Haftung von Hoheitsträgern bei der Ausübung von legislativen31 und judikativen32 Aufgaben dient33 und deshalb spezifisch für die Staatshaftung ist,34 lässt sich ins Privatrecht nicht ohne weiteres übertragen, weil dort die Kriterien zur Definition eines „hinreichend qualifizierten Verstoßes“35 fehlen. Sinnvoller ist es deshalb, auf das Kriterium zu verzichten und stattdessen auf Siehe auch Vollrath NZKart 2013, 434, 440: „In ihrem Art. 2 […] [Art. 3 RL 2014/ 104] enthält der RL-V die Konturen einer haftungsbegründenden Norm, die die Haftungsbegründung zwar nicht vollständig harmonisiert, aber doch wesentliche Elemente der Haftungsnorm (Aktiv- und Passivlegitimation, Grundzüge der Zurechnung, Maßstab des vollständigen Ersatzes) unionsrechtlich determinieren soll.“ 30 G. Wagner AcP 214 (2014) 602, 604: „Voraussetzung für die Annahme eines qualifizierten Verstoßes […] ist außerhalb der Staatshaftung ohne Sinn“; a. A. N. Reich in: Liber Amicorum Guido Alpa: Private Law Beyond the National Systems (2007) 846, 849 f., der für die Übernahme dieses Kriteriums auch in das Privatrecht plädiert: „Fault may be an element but not a decisive criterion of liability.“ Im Ergebnis nähert sich dieses Konzept einer Organisationshaftung („organizational liability“) an, N. Reich in: Liber Amicorum Guido Alpa: Private Law Beyond the National Systems (2007) 846, 849 Fn. 27 mit Verweis auf Brüggemeier Haftungsrecht (2006) Rn. 117–174. 31 Vgl. EuGH 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 45 – Brasserie du Pêcheur; ferner bereits EuGH 2.12.1971, Rs. 5/71, Slg. 1971, 975, 984 Rn. 11 – Schöppenstedt. 32 Vgl. EuGH 30.9.2003, Rs. C-224/01, Slg. 2003, I-10239 Rn. 119, 124 – Köbler. 33 EuG 9.9.2008, Rs. T-212/03, Slg. 2008, II-1967 Rn. 42 – MyTravel Group/ Kommission. 34 Meessen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht (2011) S. 357. 29
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privatrechtsimmanente und eingeführte Haftungsbegrenzungskriterien zurückzugreifen, die sich zum Teil auch in den unionsprivatrechtlichen Sekundärrechtsakten finden. Zu nennen sind hier beispielsweise die Zurechenbarkeit, die Adäquanz oder das Verschulden (vgl. Erwägungsgrund 11 Satz 5 RL 2014/104), das teilweise auch bei der Prüfung des hinreichend qualifizierten Verstoßes Berücksichtigung findet,36 grundsätzlich aber im Rahmen der unionalen Staatshaftung als zusätzliches eingrenzendes Tatbestandsmerkmal unzulässig ist.37 Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass sich die Courage-Haftung zwar im Wesentlichen38 auf dieselbe Wurzel (Wirksamkeit des Unionsrechts) wie die Francovich-Doktrin zurückführen lässt,39 dass sie sich aber in ihrer Ausgestaltung insofern von Francovich unterscheidet, als dass sowohl die Haftungsvoraussetzungen wie die Haftungsfolgen durch das nationale Recht unter dem Vorbehalt des Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatzes (und nunmehr der Kartellschadensersatzrichtlinie 2014/104) definiert werden, während im Fall der Francovich-Haftung das Unionsrecht die Haftungsvoraussetzungen abschließend selbst bestimmt. Trotz dieser konzeptionellen Unterschiede lassen sich die Argumente der Francovich-Judikatur im Rahmen der Courage-Haftung zumindest berücksichtigen, weil sie gewissen Aufschluss über das unionsrechtlich gebotene Minimum an Effektivität geben
35 Zu dessen Konkretisierung im Unionsrecht EuGH 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 55 f. – Brasserie du Pêcheur. Verfügt eine Einrichtung oder ein Organ nur über ein erheblich verringertes oder gar auf null reduziertes Ermessen, kann die bloße Verletzung des Unionsrechts ausreichen, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß anzunehmen, EuGH 10.12.2002, Rs. C-312/00 P, Slg. 2002, I-11355 Rn. 54 – Kommission/Camar und Tico; EuG 8.11.2011, Rs. T-88/09, Slg. 2011, II-7833 Rn. 24 – Idromacchine. Es ist bemerkenswert (und spricht gegen die Übernahme des „hinreichend qualifizierten Verstoßes“ in das Privatrecht), dass die Unionsgerichte Verstöße gegen Privatrecht (z. B. gegen Urheberrecht), sofern sie ausnahmsweise im Rahmen des Art. 340 Abs. 2 AEUV geltend gemacht werden, ohne weiteres als „hinreichend qualifizierten Verstoß“ ansehen, ohne dem handelnden Unionsorgan insofern einen Ermessensspielraum einzuräumen, siehe die Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón vom 15.11.2012, Rs. C-103/11 P, ECLI:EU:C:2012:714 Rn. 147 – Systran. 36 Nachweis in Fn. 17. 37 Nachweise in Fn. 18. 38 Nicht übertragen lässt sich der Gedanke aus EuGH 19.11.1991, Rs. C-6/90 und C-9/ 90, Slg. 1991, I-5357 Rn. 34 – Francovich, „daß die volle Wirkung der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen […] davon abhängt, daß der Staat tätig wird, und der einzelne deshalb im Falle einer Untätigkeit des Staates die ihm durch das Gemeinschaftsrecht zuerkannten Rechte vor den nationalen Gerichten nicht geltend machen kann“. 39 Siehe die Parallelität von EuGH 19.11.1991, Rs. C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, I-5357 Rn. 31–33 – Francovich und EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 19, 25 f. – Courage.
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können.40 Demonstrieren lässt sich dies am Beispiel der Kausalität als Haftungsvoraussetzung: Unter der Courage/Manfredi-Doktrin wird der Kausalzusammenhang durch das nationale Recht definiert, freilich unter dem Vorbehalt von Effektivität und Äquivalenz.41 Der Effektivitätsgrundsatz begrenzt dabei den Ausgestaltungsspielraum für die nationalen Kausalitätsvorschriften wie etwa die Lehre von der Unterbrechung des Kausalverlaufs, so dass beispielsweise der kategorische Ausschluss von Ansprüchen derjenigen, die bei Kartellaußenseitern kartellbefangene Waren oder Dienstleistungen erworben haben, die volle Wirksamkeit des Art. 101 AEUV in Frage stellt und daher mit dem Effektivitätsvorbehalt nicht zu vereinbaren ist.42 Nach der Francovich-Haftung ist der Kausalzusammenhang zwar ein Merkmal des unionsrechtlichen Haftungstatbestands43 und damit ein unionsrechtlicher Begriff, Weyer ZEuP 1999, 424, 449; Bulst Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht (2006) S. 244 f. (zum Abwälzungseinwand); Jaschke Der kartellrechtliche Schadensersatzanspruch (2012) S. 94. 41 EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C.298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 64 – Manfredi: „In Ermangelung einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung ist die Bestimmung der Einzelheiten für die Ausübung dieses Rechts einschließlich derjenigen für die Anwendung des Begriffes ‚ursächlicher Zusammenhang‘ Aufgabe des innerstaatlichen Rechts des einzelnen Mitgliedstaats, wobei der Äquivalenz- und der Effektivitätsgrundsatz zu beachten sind“; EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 24 – Kone. Daran ändert sich auch unter der Geltung der Kartellschadensersatzrichtlinie nichts, insbesondere nimmt sie keine Vollharmonisierung der Kausalität und des Zurechnungstatbestands vor, vgl. Erwägungsgrund 11 Satz 3 RL 2014/104: „Alle nationalen Vorschriften, die die Geltendmachung des Anspruchs auf Ersatz eines durch eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 101 oder 102 AEUV entstandenen Schadens einschließlich der in dieser Richtlinie nicht behandelten Aspekte (wie den Begriff des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Zuwiderhandlung und dem Schaden) betreffen, müssen dem Effektivitäts- und dem Äquivalenzgrundsatz entsprechen“ (Hervorhebung nicht im Original); Vollrath NZKart 2013, 434, 439; a. A. Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 30.1.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU: C:2014:45 Rn. 34 f. – Kone (Kausalzusammenhang ist Begriff des Unionsrechts). 42 EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 33 – Kone: „Die volle Wirksamkeit von Art. 101 AEUV wäre aber in Frage gestellt, wenn das jedem zustehende Recht, Ersatz des ihm entstandenen Schadens zu verlangen, nach dem nationalen Recht kategorisch und unabhängig von den speziellen Umständen des konkreten Falles vom Vorliegen eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs abhängig gemacht würde und aufgrund der Tatsache ausgeschlossen wäre, dass der Betroffene vertragliche Beziehungen nicht zu einem Kartellbeteiligten, sondern zu einem Kartellaußenseiter hatte, auch wenn dessen Preispolitik eine Folge des Kartells ist, das zu einer Verfälschung der auf wettbewerbsorientierten Märkten herrschenden Preisgestaltungsprozesse beigetragen hat.“ 43 EuGH 20.10.2011, Rs. C-94/10, Slg. 2011, I-9963 Rn. 34 – Danfoss: „In Bezug auf das Erfordernis eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs hat nach ständiger Rechtsprechung das nationale Gericht grundsätzlich zu prüfen, ob sich der behauptete Schaden mit hinreichender Unmittelbarkeit aus dem Verstoß des Mitgliedstaats gegen das Unionsrecht ergibt“; zur Konkretisierung EuG 28.4.1998, Rs. T-184/95, Slg. 1998, II-667 Rn. 72 – Dorsch Consult: „eine bei gewöhnlichem Geschehensablauf objektiv vorhersehbare Fol40
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der durch „sachdienliche Hinweise“ des Gerichtshofs44 geprägt wird. Gleichwohl bleibt die Feststellung der Kausalität im Einzelfall grundsätzlich Sache der nationalen Gerichte.45 Auch wenn sie von unterschiedlichen Ausgangspunkten (Kausalität Begriff des mitgliedstaatlichen bzw. des unionalen Rechts) ausgehen, so liegen im Ergebnis beide Ansätze nicht weit auseinander, weil die unionsrechtliche Konkretisierung des unmittelbaren Kausalzusammenhangs i. S. d. Francovich-Haftung letztlich allgemein bleiben muss und anhand ähnlicher Kriterien erfolgt, wie sie auch dem allgemeinen Effektivitätsgrundsatz zugrunde liegen, nämlich dass die „Erlangung von Schadensersatz [nicht] praktisch unmöglich oder übermäßig erschwert“ werden darf.46 II. Funktionen des Schadensersatzanspruchs
II. Funktionen des Schadensersatzanspruchs
Die Funktion des kartelldeliktischen Schadensersatzanspruchs wird rechtspolitisch unterschiedlich beurteilt.47 Im Einklang mit der autonom-unionsrechtlichen Ausrichtung dieser Arbeit beschränkt sich die folgende Darstellung auf die Vorgaben, die sich aus der Judikatur des Gerichtshofs und der Gesetzgebung der Union für den Schadensersatzanspruch gewinnen lassen. Infolge der Ausgestaltung des kartelldeliktischen Schadensersatzanspruchs als „law-mix“ zwischen Unionsrecht (Existenz des Anspruchs und grundlegende Tatbestandsmerkmale) und nationalem Recht (nähere Ausgestaltung der Anspruchsvoraussetzungen vorbehaltlich des Effektivitätsgrundsatzes und der Richtlinie 2014/104) ist vorgeschlagen worden, auch für die Funktionen dieses Anspruchs sowohl auf das Deliktsrecht der Mitgliedstaaten, das in erster Linie dem Ausgleichsgedanken folgt, wie auf das Unionsrecht in Gestalt der
ge“; zur Übernahme dieses Kriteriums aus der Rechtsprechung zur Haftung der Union (Art. 340 Abs. 2 AEUV) EuGH (Große Kammer) 12.12.2006, Rs. C-446/04, Slg. 2006, I-11753 Rn. 218 – Test Claimants in the FII Group Litigation (mit Verweis auf die Rechtsprechung zur außervertraglichen Haftung der Union). 44 Siehe etwa EuGH 20.10.2011, Rs. C-94/10, Slg. 2011, I-9963 Rn. 35 ff. – Danfoss. 45 EuGH 5.3.1995, Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 65 – Brasserie du pêcheur und Factortame; EuGH 15.6.1999, Rs. C-140/97, Slg. 1999, I-3499 Rn. 72 – Rechberger; EuGH (Große Kammer) 17.4.2007, Rs. C-470/03, Slg. 2007, I-2749 Rn. 83 – A.G.M.-COS.MET; EuGH 25.11.2010, Rs. C-429/09, Slg. 2010, I-12167 Rn. 48, 59 – Fuß; EuGH 14.3.2013, Rs. C-420/11, ECLI:EU:C:2013:166 Rn. 43 – Leth: „Die unmittelbar auf dem Unionsrecht beruhende konkrete Anwendung der Voraussetzungen für die Haftung der Mitgliedstaaten für Schäden, die Einzelnen durch Verstöße gegen das Unionsrecht entstanden sind, obliegt entsprechend den vom Gerichtshof hierfür entwickelten Leitlinien grundsätzlich den nationalen Gerichten.“ 46 EuGH 20.10.2011, Rs. C-94/10, Slg. 2011, I-9963 Rn. 36 f. – Danfoss. 47 Zusammenfassend Meessen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht (2011) S. 66 ff.
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Courage-Judikatur zurückzugreifen.48 Gegen eine solche Sichtweise spricht aber, dass die Existenz des Schadensersatzanspruchs durch das Unionsrecht geboten ist, so dass es auch dem Unionsrecht obliegt, die Funktion dieses Anspruchs zu definieren. Zwar mögen seine Ausgestaltung und seine Anspruchsvoraussetzungen durch mitgliedstaatliches Recht definiert werden, stets allerdings unter dem Vorbehalt der Effektivität des Unionsrechts und damit auch der Zielvorstellungen des Unionsrechts, das das mitgliedstaatliche Recht überlagert und prägt. 1. Kompensations- und Präventionsfunktion Entscheidend für die Funktion des kartelldeliktischen Anspruchs sind damit zunächst die Aussagen in den Rechtssachen Courage und Manfredi, vor allem die Rn. 27 der Entscheidung Courage. Dort verweist der Gerichtshof zur Begründung des Schadensersatzanspruchs auf „die Durchsetzungskraft der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln“, weil ein solcher Anspruch geeignet sei, „von – oft verschleierten – Vereinbarungen oder Verhaltensweisen abzuhalten, die den Wettbewerb beschränken oder verfälschen können“, so dass „aus dieser Sicht Schadensersatzklagen vor den nationalen Gerichten wesentlich zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Gemeinschaft beitragen“. 49 Auch wenn diese Ausführungen die Rechtsdurchsetzungsund Vorbeugungsfunktion des Schadensersatzanspruchs in den Vordergrund stellen,50 bedeutet dies nicht, dass die Ausgleichsfunktion im Kartelldelikts48 Meessen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht (2011) S. 58, 60. 49 EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 27 – Courage; ferner EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 91 – Manfredi; EuGH 14.6.2011 (Große Kammer), Rs. C-360/09, Slg. 2011, I-5161 Rn. 28 – Pfleiderer; EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 23 – Kone; EFTA-Gerichtshof 21.12.2012, Rs. E-14/11, EFTA Court Report 2012, 1178 Rn. 132 – Schenker; EuGH 6.6.2013, Rs. C-536/11, ECLI:EU:C:2013:366 Rn. 23 – Donau Chemie: „erhöht nämlich das Recht eines jeden, Ersatz des Schadens zu verlangen, der ihm durch einen Vertrag, der den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, oder durch ein entsprechendes Verhalten insbesondere unter Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV zugefügt worden ist, die Durchsetzungskraft der Wettbewerbsregeln der Union, da es geeignet ist, von – oft verschleierten – Vereinbarungen oder Verhaltensweisen abzuhalten, die den Wettbewerb beschränken oder verfälschen können, und damit zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Union beiträgt.“ 50 Lettl ZHR 167 (2003) 473, 487; Monopolkommission Das allgemeine Wettbewerbsrecht in der Siebten GWB-Novelle, Sondergutachten 41 (2004) Rn. 78 ff.; Röhrig Schadensersatzansprüche nach der 6. GWB-Novelle (2004) S. 164 f.: Die Aufgabe der Sanktion Schadensersatz „erschöpft sich nicht in der Wiedergutmachung individueller Schäden, sondern definiert sich primär über ihre abschreckende Wirkung“; Ackermann ZWeR 2010, 329, 348 ff. Zum Teil wird dem Kartelldeliktsrecht auch ein „pönales Element“ attestiert, vgl. R. Koch JZ 2013, 390, 395.
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recht keine Bedeutung hat. Im Gegenteil lässt sich spätestens aus den Ausführungen des Gerichtshof in der Rechtssache Manfredi entnehmen,51 dass der Effektivitätsgrundsatz und das Recht jeder Person auf Ersatz des Schadens aus einer Wettbewerbsbeschränkung gebieten, „dass ein Geschädigter nicht nur Ersatz des Vermögensschadens (damnum emergens), sondern auch des entgangenen Gewinns (lucrum cessans) sowie die Zahlung von Zinsen verlangen können muss“, weil andernfalls „insbesondere bei Rechtsstreitigkeiten wirtschaftlicher oder kommerzieller Natur ein Ersatz des Schadens tatsächlich unmöglich sein könnte“.52 Die enge Verbindung dieser Bemerkungen zum Prinzip des vollständigen und angemessenen Schadensausgleichs zeigt sich besonders deutlich, wenn man die in diesem Zusammenhang vom EuGH in Manfredi zitierten Entscheidungen zum Schadensersatz bei Staatshaftung (Brasserie du pêcheur und Factortame) und bei Geschlechterdiskriminierung (Marshall) berücksichtigt, in denen der Ersatz von entgangenem Gewinn und Verzugszinsen gerade mit dem Argument begründet wurde, „daß der von den Mitgliedstaaten zu leistende Ersatz der Schäden, die sie dem einzelnen durch Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht verursacht haben, dem erlittenen Schaden angemessen sein muß“53 bzw. dass für die „völlige Wiedergutmachung des durch eine diskriminierende Entlassung entstandenen Schadens Ebenso Nebbia ELR 33 (2008) 23, 36, die auf die Betonung des individuellen Anspruchs des Geschädigten in Courage und insbesondere Manfredi hinweist; Vollrath NZKart 2013, 434, 435, der darauf hinweist, dass bereits in dem durch Courage verankerten Recht des Einzelnen auf Ersatz des durch die Zuwiderhandlung verursachten Schadens das Ausgleichsziel verankert sei: Ausgleich und Abschreckung als „komplementäre Zielsetzungen“. Siehe auch Vollrath NZKart 2013, 434, 436: „Ein wirksamer Kompensationsmechanismus ist deshalb nicht nur ‚gerecht‘ im Sinne einer kompensatorischen Gerechtigkeit, sondern auch ‚effektiv‘ für die Durchsetzung der Wettbewerbsregeln als solche, da er den Anreiz für Zuwiderhandlungen herabsetzt und verhindert, dass zuwiderhandelnde Unternehmen durch illegitime Gewinne Wettbewerbsvorteile gegenüber rechtstreuen Marktteilnehmern haben.“ 52 EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 95 f. – Manfredi; zur Ausgleichsfunktion auch EuGH 6.6.2013, Rs. C-536/11, ECLI:EU:C:2013: 366 Rn. 24 – Donau Chemie: „Zum anderen bietet dieses Recht einen wirksamen Schutz gegen die nachteiligen Folgen, die ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV für den Einzelnen haben kann, da es den Personen, denen aufgrund dieses Verstoßes ein Schaden entstanden ist, ermöglicht, dessen vollständigen Ersatz zu verlangen, der nicht nur den positiven Schaden (damnum emergens), sondern auch den entgangenen Gewinn (lucrum cessans) und die Zahlung von Zinsen umfasst“; ebenso die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 30.1.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:45 Rn. 71 – Kone: „Ganz allgemein besteht diese Funktion [des Schadensersatzes] darin, die negativen Folgen begangener Rechtsverstöße zu korrigieren, und eben diesem Zweck dient auch die Pflicht der Kartellbeteiligten zum Ersatz der durch ihre wettbewerbswidrigen Machenschaften verursachten Schäden gegenüber jedermann.“ 53 EuGH 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 82, 90 – Brasserie du pêcheur und Factortame. 51
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nicht von Umständen abgesehen werden kann, die, wie der Zeitablauf, den tatsächlichen Wert der Wiedergutmachung verringern können“.54 Diese Vorgaben („Ersatz der Schäden […] dem erlittenen Schaden angemessen“; „völlige Wiedergutmachung“) zeigen auf, dass der kartelldeliktische Schadensersatz nicht nur der Rechtsdurchsetzung und Prävention, sondern insbesondere auch dem angemessenen Schadensausgleich und der vollständigen Wiedergutmachung dient.55 Ausdrücklich aufgenommen wurde das Ziel des Schadensausgleichs nunmehr in Art. 1 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 der Kartellschadensersatzrichtlinie 2014/10456 mit dem Anspruch der durch ein Wettbewerbsdelikt Geschädigten, einen „vollständigen Ersatz dieses Schadens“ verlangen und erwirken zu können. Sind damit sowohl die Ausgleichs- wie die Präventions- und Durchsetzungsfunktion dem kartelldeliktischen Schadensersatzanspruch immanent,57 EuGH 2.8.1993, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367 Rn. 31 – Marshall II. So auch BGH 28.6.2011, KZR 75/10, NJW 2012, 928 Rn. 29 – ORWI: „Kompensationsfunktion des Schadensersatzrechts“, ähnlich Rn. 38: „ist davon auszugehen, dass das Unionsrecht den durch ein Kartell Geschädigten Schadensersatz im Grundsatz unabhängig davon gewährt, ob dies im Einzelfall für die Kartellrechtsdurchsetzung erforderlich oder zweckmäßig ist“. Siehe auch Meessen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht (2011) S. 64: „Auch nach dem Verständnis des Generalanwalts [Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 26.1.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 64 ff. – Manfredi] steht vom Blickwinkel des Unionsprimärrechts die vollständige Kompensation des erlittenen Schadens, eine ‚angemessene Entschädigung‘, und nicht das Ziel einer besonders wirksamen Abschreckung im Vordergrund.“ Dies ist offenbar auch die Sichtweise der Kommission, siehe Weißbuch Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts KOM(2008) 165 S. 8 f. Anders R. Koch JZ 2013, 390, 397, der für den Anspruchsausschluss mittelbarer Abnehmer auch unter Beeinträchtigung der Ausgleichsfunktion des Schadensersatzes plädiert und vor allem die Prävention in den Vordergrund stellt. 56 Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach einzelstaatlichem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union KOM (2013) 404 S. 15: „Die vorgeschlagene Richtlinie geht daher vom Leitgedanken der Kompensation aus.“ Ebenso bereits die Begründung zum unveröffentlichten Proposal for a Council Directive on rules governing actions for damages for infringements of Articles 81 and 82 of the Treaty, S. 3: „The proposed Directive takes a compensatory approach“, S. 3: „guiding principle of compensation“; W.-H. Roth WRP 2013, 257, 262: „fußt […] auf dem Kompensationsprinzip“. 57 Deutlich die Reihung („zum einen“, „zum anderen“) in EuGH 6.6.2013, Rs. C-536/ 11, ECLI:EU:C:2013:366 Rn. 23 f. – Donau Chemie; ebenso auch die Mitteilung der Kommission zur Ermittlung des Schadensumfangs bei Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen Artikel 101 oder 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU C 167 vom 13.6.2013, 19 Rn. 2: „soll mit den Schadensersatzansprüchen der durch eine Zuwiderhandlung entstandene Schaden behoben werden. Darüber hinaus würden sich wirksamere Rechtsmittel für Verbraucher und Unternehmen zur Erlangung von Schadensersatz auch insofern günstig auswirken, als sie von weiteren Zuwider54 55
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so stellt sich die Folgefrage, wie sich beide Funktionen zueinander verhalten. Für einen Vorrang und damit zugleich eine Begrenzungswirkung der Ausgleichsfunktion gegenüber der Präventions- und Durchsetzungswirkung lassen sich zwei Passagen aus den Entscheidungen Courage und Manfredi anführen. Zum einen hat der EuGH in Courage und später in Manfredi bestätigt, dass das Bereicherungsverbot des nationalen Schadensrechts eine unionsrechtlich zulässige Begrenzung des Schadensersatzes darstellt.58 Darüber hinaus hat der Gerichtshof in Manfredi auch entschieden, dass exemplarischer Schadensersatz oder Strafschadensersatz nur im Rahmen des Äquivalenzgrundsatzes – also wenn er bei vergleichbaren Verstößen im nationalen Recht ohnehin vorgesehen ist59 –, nicht aber im Rahmen des Effektivitätsgrundsatzes unionsrechtlich geboten ist.60 Aus diesen Passagen folgert mancher Autor, dass die Ausgleichsfunktion das Abschreckungsziel begrenze, so dass die Ausgleichsfunktion im Vordergrund stehe.61 An dieser Lesart ist zutreffend, dass das Effektivitätsgebot in der Tat nicht die Existenz überkompensatorischer Schadensersatzansprüche verlangt. Gleichzeitig darf aber nicht vergessen werden, dass der Begriff der vollständigen Entschädigung, also die Ausgleichskomponente, unionsrechtlich autonom zu bestimmen ist. Daraus folgt, dass das Unionsrecht auch den Ersatz von Schäden aus Gründen des vollständigen Schadensausgleichs als geboten ansehen kann, die im nationalen Recht nicht ersetzt werden. Mit anderen Worten: Die Pluralität der Funktionen des handlungen in der Zukunft abschrecken und eine bessere Einhaltung dieser Vorschriften gewährleisten würden.“ 58 EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 30 – Courage; EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 94 – Manfredi: „Nach ständiger Rechtsprechung hindert das Gemeinschaftsrecht die innerstaatlichen Gerichte jedoch nicht daran, dafür Sorge zu tragen, dass der Schutz der gemeinschaftsrechtlich gewährleisteten Rechte nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Anspruchsberechtigten führt“; zum Abgabenrecht auch EuGH 10.4.2008, Rs. C-309/06, Slg. 2008, I-2283 Rn. 41 – Marks & Spencer. 59 Zum englischen Recht etwa 2 Travel Group Plc (in liquidation) v Cardiff City Transport Services Limited [2012] CAT 19 Rn. 598. 60 EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 99 – Manfredi: „Infolgedessen muss nach dem Äquivalenzgrundsatz ein besonderer Schadensersatz wie der exemplarische oder Strafschadensersatz, wenn er im Rahmen von Klagen gewährt werden kann, die das innerstaatliche Recht betreffen und den auf das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft gegründeten Klagen vergleichbar sind, auch im Rahmen der letztgenannten Klagen gewährt werden können. Das Gemeinschaftsrecht hindert die innerstaatlichen Gerichte jedoch nicht daran, dafür Sorge zu tragen, dass der Schutz der gemeinschaftsrechtlich gewährleisteten Rechte nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Anspruchsberechtigten führt.“ 61 Meessen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht (2011) S. 63: „Das Abschreckungsziel wird hier [in den Ausführungen zur Zulässigkeit des Bereicherungsverbots] klar durch die Ausgleichsfunktion begrenzt“; S. 105: „Vorrang der Ausgleichsfunktion tief im europäischen Rechtsbewusstsein verankert“.
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Schadensersatzrechts hat im Unionsrecht nicht zur Folge, dass per se überkompensatorischer Ersatz geboten ist. Vielmehr kommt es zu einer Überlagerung der Ausgleichsfunktion durch den Präventions- und Rechtsdurchsetzungsgedanken, die eine weite Auslegung der zu ersetzenden Einbußen (z. B. der Schäden der Erwerber von Kartellaußenseitern, dazu unten § 4 III 2 → S. 184) oder eine enge Auslegung der schadensersatzbegrenzenden Elemente (z. B. der Vorteilsausgleichung, dazu unten § 4 VIII 3 → S. 234) zur Folge hat, ohne dass deshalb – aus der Perspektive des Unionsrechts – überkompensatorischer Schadensersatz geschuldet wäre. 2. Neujustierung durch die Kartellschadensersatzrichtlinie? Dieser Befund findet sich auch durch die neue Kartellschadensersatzrichtlinie 2014/104 bestätigt. Auf den ersten Blick betont die Richtlinie zwar das Kompensationsziel stärker als die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs, indem sie das Bereicherungsverbot, das zuvor nur eine für die Mitgliedstaaten optionale Begrenzung der kartelldeliktischen Schadensersatzansprüche darstellte, in den Rang einer unionsrechtlich zwingenden (sekundärrechtlichen)62 Obergrenze des Schadensersatzes erhebt: „Der vollständige Ersatz im Rahmen dieser Richtlinie darf nicht zu Überkompensation führen, unabhängig davon, ob es sich dabei um Strafschadensersatz, Mehrfachentschädigung oder andere Arten von Schadensersatz handelt“ (Art. 3 Abs. 3 RL 2014/104, siehe auch speziell Art. 12 Abs. 2 RL 2014/104 zur Abwälzung des Preisaufschlags: „Verhinderung von Überkompensation“).63 Folge dieser Neuerung Siehe Kersting/Preuß Umsetzung der Kartellschadensersatzrichtlinie (2014/104/EU) (2015) Rn. 35, die wegen der nur sekundärrechtlichen Verankerung im Konfliktfall dem primärrechtlichen Gebot vollständiger Kompensation auch um den Preis einer möglichen Überkompensation den Vorrang einräumen wollen. 63 Diese im ursprünglichen Kommissionsvorschlag noch nicht vorgesehene Regelung geht auf eine Initiative des Parlaments zurück, siehe die Stellungnahme des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz vom 9.1.2014 für den Ausschuss für Wirtschaft und Währung zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach einzelstaatlichem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, PE 516.968v02-00, A7-0089/2014, Änderungsantrag 18: „Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass Überkompensierung ausgeschlossen ist“ (Begründung: „Überkompensierung muss verhindert werden, da sie dem Ziel gleicher Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt schaden würde“). Im Entwurf einer Legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments vom 4.2.2014 zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach einzelstaatlichem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, PE 516.968v02-00, A7-0089/2014 findet sich in Art. 2 Abs. 2a die Formulierung: „Der vollständige Ersatz umfasst keinen anderen Schadensersatz, etwa Schadensersatz mit Strafwirkung, Mehrfachentschädigungen oder Strafen, die Überkompensation bedingen.“ In der 62
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ist, dass der nach Manfredi zwar unionsrechtlich nicht gebotene, aber nach mitgliedstaatlichem Recht mögliche Straf- oder Mehrfachschadensersatz nunmehr ausgeschlossen ist. Aus dem ausdrücklichen Verbot der Überkompensation in der Richtlinie sind nun auch Konsequenzen für die Funktionen des kartelldeliktischen Schadensersatzanspruchs gezogen worden. So soll die Haftung zwar nach wie vor dem Präventionszweck dienen, insofern das Risiko der Haftung auf kompensatorischen Schadensersatz abschreckend wirke.64 Allerdings habe dieser Präventionszweck „keinen Einfluss auf die Höhe des Schadens“, könne „bei der Bemessung des Schadensersatzes unter Beachtung des Bereicherungsverbots also nicht berücksichtigt werden“.65 Die Prävention sei „nicht mehr als ein Reflex der Haftung in Höhe des auszugleichenden Schadens“.66 Deshalb sei es nunmehr auch unzulässig, dass der Richter seine Legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments vom 17.4.2014 zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach einzelstaatlichem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, P7_TA-PROV(2014)0451, A7-0089/2014 findet sich sodann in Art. 2 Abs. 3 die heutige Formulierung des Art. 3 Abs. 3 RL 2014/104: „Der vollständige Ersatz im Rahmen dieser Richtlinie darf nicht zu Überkompensation führen, unabhängig davon, ob es sich dabei um Strafschadensersatz, Mehrfachentschädigungen oder andere Arten von Schadensersatz handelt.“ Auch der Wirtschafts- und Sozialausschuss sprach sich – allerdings im Kontext der Schadensabwälzung – dafür aus, eine ungerechtfertigte Bereicherung zu vermeiden, Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach einzelstaatlichem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, ABl. C 67 vom 6.3.2014, S. 83 Rn. 4.5.1 Satz 2: „Er hält es für unerlässlich, dass Situationen, in denen eine ungerechtfertigte Bereicherung möglich ist, vermieden werden.“ 64 Brömmelmeyer NZKart 2016, 2, 4. 65 Brömmelmeyer NZKart 2016, 2, 4. Ähnlich auch Geibel FS Müller-Graff (2015) 558, 564: „Schadensinhalt strikt an die Kompensationsfunktion [ge]koppelt“; W.-H. Roth in: Karlsruher Forum 2015: Europäisierung des Haftungs- und des Versicherungsvertragsrechts (2016) 123, 124 f.: „Damit orientiert sich Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie allein an der Kompensations- und nicht an der Präventionsfunktion. […] Die jetzt verabschiedete Richtlinie ist zu deuten im Sinne der Kompensationsfunktion […]. Dies wirft die spannende Frage auf, ob die Richtlinie insoweit mit der Rechtsprechung vereinbar ist. Allerdings erwarte ich als Position des EuGH, dass er sagen wird, im Grunde sei es eine Sache des Gesetzgebers und nicht des EuGH, über solche Fragen zu entscheiden.“ 66 Inderst/Thomas Schadensersatz bei Kartellverstößen (2015) S. 225; ebenso Hempel ZWeR 2014, 203, 219: „Für die Kommission ist die Abschreckungsfunktion der kartellrechtlichen Schadensersatzklage nunmehr nur noch ein nicht unerwünschtes Nebenprodukt.“ Hempel ZWeR 2014, 203, 219 Fn. 99 verweist auch auf die Streichung des „ausschließlich Abschreckungszwecken dienende[n]“ Art. 12 Abs. 2 des ursprünglichen Richtlinienvorschlags (dort war geregelt: „Ist der Preisaufschlag an Personen auf der nächsten Vertriebsstufe weitergegeben worden, für die es rechtlich unmöglich ist, Ersatz des ihnen
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Beurteilungs- und Entscheidungsspielräume einseitig zu Lasten des Schädigers nutze, etwa indem er im Rahmen der Schadensschätzung (vgl. § 33 Abs. 3 Satz 3 GWB) einen Präventionszuschlag67 verhänge.68 Auch wenn das Bereicherungsverbot und das Verbot überkompensatorischen Schadensersatzes durch die Richtlinie nun zweifellos prononcierter hervortritt und einen pauschalen Präventionszuschlag auf die Schadenssumme im Sinne eines Straf- oder Mehrfachschadensersatz untersagt, so ist nicht zu verkennen, dass der Präventionszweck nach wie vor Einfluss auf den Haftungstabestand und die Schadensbemessung hat. Dies beginnt bereits bei der Verpflichtung zum „vollständigen Ersatz“ der Kartellschäden, die nach einhelliger Auffassung auch Präventionswirkungen entfaltet und Präventionszwecken dient.69 Nun mag man entgegnen, dass eine gewisse Präventionswirkung zwangsläufige Folge jedes Haftungsrisikos sei, auch wenn die Haftung auf den Schadensausgleich beschränkt ist, so dass die Prävention nur eine Art unselbständiger Nebenzweck sei. Allerdings lehren die Erfahrungen im Antidiskriminierungsrecht, dass die Verpflichtung zum vollständigen Ersatz aller Schäden durchaus zu einer Neujustierung und Ausdehnung der bisher nach nationalem Schadensrecht ersatzfähigen Positionen führen kann.70 entstandenen Schadens zu verlangen, so kann der Beklagte den im vorstehenden Absatz genannten [Schadensabwälzungs-]Einwand nicht geltend machen“). 67 Vorgeschlagen von Ellger FS Möschel (2011) 191, 221: „Man kann aber in § 33 Abs. 3 S. 3 GWB dennoch einen ersten Schritt vom rein kompensatorischen Schadensersatz hin zu einer (auch) präventiven Sanktion sehen, die auf potentielle Kartellanten eine abschreckende Wirkung ausüben soll“; ders. a. a. O. 222: „Diese [eine über die reine Schadenswiedergutmachung hinausgehende, am Gewinn des Kartellunternehmens orientierte Sanktion] könnte in einem Zuschlag zum nach der Differenzhypothese bestimmten Schaden bestehen (‚Präventionszuschlag‘).“ 68 Brömmelmeyer NZKart 2016, 2, 4. 69 So auch die vorzitierten Inderst/Thomas Schadensersatz bei Kartellverstößen (2015) S. 225 und Brömmelmeyer NZKart 2016, 2, 4. Siehe auch Vollrath NZKart 2013, 434, 436: „Ein wirksamer Kompensationsmechanismus ist deshalb nicht nur ‚gerecht‘ im Sinne einer kompensatorischen Gerechtigkeit, sondern auch ‚effektiv‘ für die Durchsetzung der Wettbewerbsregeln als solche, da er den Anreiz für Zuwiderhandlungen herabsetzt und verhindert, dass zuwiderhandelnde Unternehmen durch illegitime Gewinne Wettbewerbsvorteile gegenüber rechtstreuen Marktteilnehmern haben. Diese ‚Erhöhung der Durchschlagskraft‘ der Wettbewerbsregeln besteht auch dann, wenn das Schadensersatzrecht ‚nur‘ erlittene Schäden kompensiert und auf ausdrücklich pönale Elemente verzichtet. Ein Schadensersatzrecht aber, das die Kompensation von erlittenen Schäden nicht ausreichend ermöglicht, bleibt nicht nur den Geschädigten ihr Recht schuldig, sondern schwächt auch die Durchsetzungskraft der Wettbewerbsregeln.“ 70 Als Beispiel ließe sich hier auf die Neuregelung der Schadensabwälzung durch potentiell widersprechende Abwälzungsvermutungen (vgl. Art. 13 Satz 1 im Verhältnis zum direkten und Art. 14 Abs. 2 Satz 1 RL 2014/104 im Verhältnis zum indirekten Abnehmer) verweisen, mit der die Richtlinie offenbar das Ziel verfolgt, die vollständige Kompensation im Sinne einer Kompensation auch der mittelbaren Abnehmer sicherzustellen, vgl. Erwä-
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Selbst wenn man aber die Präventionswirkungen durch das Gebot vollständigen Schadensausgleichs als bloße Reflexwirkung der Ausgleichsfunktion ansähe,71 so bleibt der Präventionszweck des Schadensersatzanspruchs bedeutsam für seine Auslegung. So hat der Gerichtshof in Kone zum ursächlichen Zusammenhang zwischen Zuwiderhandlung und Schaden entschieden, dass „[d]ie volle Wirksamkeit von Art. 101 AEUV […] in Frage gestellt [wäre], wenn das jedem zustehende Recht, Ersatz des ihm entstandenen Schadens zu verlangen, nach dem nationalen Recht kategorisch und unabhängig von den speziellen Umständen des konkreten Falles vom Vorliegen eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs abhängig gemacht würde und aufgrund der Tatsache ausgeschlossen wäre, dass der Betroffene vertragliche Beziehungen nicht zu einem Kartellbeteiligten, sondern zu einem Kartellaußenseiter hatte, auch wenn dessen Preispolitik eine Folge des Kartells ist, das zu einer Verfälschung der auf wettbewerbsorientierten Märkten herrschenden Preisgestaltungsprozesse beigetragen hat“.72
Vielmehr könne „ein durch das ‚umbrella pricing‘ Geschädigter den Ersatz des ihm durch die Mitglieder eines Kartells entstandenen Schadens verlangen […], wenn erwiesen ist, dass dieses Kartell nach den Umständen des konkreten Falles und insbesondere den Besonderheiten des betreffenden Marktes ein ‚umbrella pricing‘ durch eigenständig handelnde Dritte zur Folge haben konnte, und wenn diese Umstände und Besonderheiten den Kartellbeteiligten nicht verborgen bleiben konnten“.73
Wie sich an dem Verweis auf die „volle Wirksamkeit des Art. 101 AEUV“ und die „Durchsetzungsformel“ aus Courage zeigt,74 hat der Gerichtshof in Kone den ursächlichen Zusammenhang als Haftungsvoraussetzung mit der gungsgrund 41 Satz 2 und 3 RL 2014/104: „Verbraucher oder Unternehmen, auf die die Vermögenseinbuße dementsprechend abgewälzt wurde, erleiden einen […] Schaden. Dieser Schaden sollte von dem Rechtsverletzer ersetzt werden […]“. Gleichzeitig hat diese Neujustierung und Ausdehnung der Abwälzungsvermutung zugunsten der mittelbaren Abnehmer im Vergleich zur ORWI-Rechtsprechung des BGH [dazu BGH 28.6.2011, KZR 75/10, NJW 2012, 928 – ORWI: zwar hat auch der BGH den mittelbaren Abnehmern die Anspruchsberechtigung zuerkannt (Rn. 23 ff.), allerdings akzeptiert der BGH keine generelle Abwälzungsvermutung, sondern verlangt den Nachweis der Kausalität im Einzelfall (Rn. 45) und eröffnet einen Anscheinsbeweis nur unter deutlich engeren Voraussetzungen (Rn. 47) als Art. 14 Abs. 2 Satz 1 RL 2014/104] zur Folge, dass „mit dieser Richtlinie Verhaltenssteuerung betrieben wird“, Pohlmann in: Karlsruher Forum 2015: Europäisierung des Haftungs- und des Versicherungsvertragsrechts (2016) 120 (u. a. mit dem Beispiel der Neuregelung des Abwälzungseinwands mit dem Risiko der Mehrfachkompensation auf 121). Zum Einfluss der Zwecke der Schadensersatzklage auf die Ausgestaltung des Abwälzungseinwands auch Hempel ZWeR 2014, 203, 219. 71 Was angesichts der Erleichterung der Durchsetzung durch weitere Anspruchsberechtigte (mittelbare Abnehmer, dazu vorige Fn.) und der potentiellen Ausdehnung des Umfangs der ersatzfähigen Schäden gegenüber dem nationalen Recht nicht überzeugt. 72 EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 33 – Kone. 73 EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 34 – Kone. 74 EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 23 – Kone.
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Einbeziehung von Preisschirmeffekten weit ausgelegt, um der vollen Wirksamkeit des Art. 101 AEUV und damit auch dem Präventionsziel Rechnung zu tragen.75 Davon ließ er sich auch nicht durch den Hinweis abhalten, dass dies eine Form von Strafschadensersatz sei, weil dem Schaden der Abnehmer keine Bereicherung der Kartellteilnehmer gegenüberstehe, denn „die Regeln über die außervertragliche Haftung [machen] die Höhe eines ersatzfähigen Schadens nicht von dem Gewinn abhängig […], den der Schadensverursacher erzielt hat“.76 An der Einbeziehung von Preisschirmeffekten in die ersatzfähigen Schäden ändert auch die Kartellschadensersatzrichtlinie 2014/104 nichts, die explizit den acquis und damit auch die Entscheidung in Kone bestätigt, „ohne der Weiterentwicklung dieses Besitzstands [die in der Rechtsprechung auch durch das Präventionsziel beeinflusst wird] vorzugreifen“ (Erwägungsgrund 12 Satz 1 RL 2014/104). Zusammenfassend ist damit festzustellen, dass die Kartellschadensersatzrichtlinie 2014/104 zwar pauschale Präventions-, Straf- oder Mehrfachschadensersatzzuschläge auf die geschuldete Schadensersatzsumme verbietet, dadurch aber nicht das Präventionsziel als eigenständige Funktion des kartelldeliktischen Schadensersatzanspruchs verabschiedet. Dieses behält vielmehr seine Bedeutung nicht nur bei der Auslegung des Umfangs des „vollständigen Schadensersatzes“, sondern auch bei der Konkretisierung anderer Haftungsvoraussetzungen wie etwa des ursächlichen Zusammenhangs.77 III. Aktivlegitimation und Initiativberechtigung III. Aktivlegitimation und Initiativberechtigung
Die Besonderheiten des Kartelldeliktsrechts kommen vor allem bei der Bestimmung der Anspruchsberechtigten zum Tragen. Sehr viel stärker als das Verbrauchervertrags- oder das Produkthaftungsrecht, die in erster Linie dem Schutz der Integritäts- oder Vermögensinteressen konkreter Personengruppen dienen, sind die europäischen Wettbewerbsvorschriften „nicht nur dazu bestimmt, die unmittelbaren Interessen einzelner Wettbewerber oder Verbraucher zu schützen, sondern [auch] die Struktur des Marktes und damit den Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 30.1.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU: C:2014:45 Rn. 65 – Kone: „ausdrücklich erwünschte[r] Abschreckungseffekt gegenüber Unternehmen“; zur Kone-Entscheidung auch Lettl WuW 2014, 1032, 1040. Kritisch zur Erreichung des Präventionsziels durch die Haftung von Kartellaußenseitern Franck ECJ 11 (2015) 135, der dem Ersatz von Preisschirmschäden eine systematische Überabschreckung („systematic over-deterrence“, 141) bescheinigt, der aber potentiell durch die systematische Unterabschreckung im Hinblick auf den unzureichenden Ersatz von „deadweight losses“ kompensiert werden könnte (142 f., 146 f.) und letztendlich zu einer ambivalenten Beurteilung (148) gelangt. 76 EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 35 – Kone. 77 Siehe auch Erwägungsgrund 3 Satz 4 RL 2014/104. Für einen Einfluss der Zwecke der kartellrechtlichen Schadensersatzklage auf die „Ausgestaltung oder Auslegung des Rechts“ auch Hempel ZWeR 2014, 203, 219. 75
III. Aktivlegitimation und Initiativberechtigung
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Wettbewerb als solchen“.78 Infolge der Einbeziehung sowohl individueller Interessen einzelner Wettbewerber oder Verbraucher79 wie überindividueller Interessen (Marktstruktur und Wettbewerb als solcher) in den Schutzbereich der Wettbewerbsvorschriften stellt sich in besonderer Weise die Frage, wer zur Durchsetzung dieser Regeln berufen sein soll.80 Diese Frage hat der Gerichtshof im Kartelldeliktsrecht im Sinne einer großzügigen Ausdehnung des Kreises der Anspruchsberechtigten entschieden: Nach der Jedermann-Formel der Entscheidung Courage kann „jedermann Ersatz des Schadens verlangen, der ihm durch einen Vertrag, der den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, oder durch ein entsprechendes Verhalten entstanden ist“ (so nun auch Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Erwägungsgrund 11 Satz 2 RL 2014/104; zur Definition des Geschädigten auch Art. 2 Nr. 6 RL 2014/104).81 Aus der Entscheidung Manfredi folgt ferner, dass die Anspruchsberechtigung nicht von einem „rechtlich relevanten Interesse“ abhängen darf, weil der EuGH 6.10.2009, Rs. C-501/06 P, C-513/06 P, C-515/06 P und C-519/06 P, Slg. 2009, I-9291 Rn. 63 – GlaxoSmithKline; zu Art. 102 AEUV EuGH 17.2.2011, Rs. C-52/ 09, Slg. 2011, I-527 Rn. 24 – TeliaSonera; zum Schutz auch der Verbraucher bereits EuGH 11.12.1973, Rs. 41/73 u. a., Slg. 1973, 1465 Rn. 7 – Générale Sucrière; konkret zu Schadensersatzansprüchen indirekter Abnehmer BGH 28.6.2011, KZR 75/10, NJW 2012, 928 Rn. 24 – ORWI: „Denn bereits die Auslegung des Schutzgesetzkriteriums in § 823 Abs. 2 BGB führt dazu, dass indirekte Abnehmer zu dem durch Art. 101 AEUV geschützten Personenkreis gehören und auch für sie ein Schadensersatzanspruch vom Normgeber gewollt ist“ [allerdings ohne die Feststellung, ob das Unionsrecht „zwingend dieses Ergebnis verlangt“, was angesichts der Akzessorietät des Schutzzwecks des § 823 Abs. 2 BGB zum Schutzzweck des Schutzgesetzes, hier Art. 101 AEUV (zur Bestimmung des Schutzzwecks anhand des Schutzgesetzes Sprau in: Palandt BGB75 (2016) § 823 Rn. 58) überrascht, kritisch auch Ackermann/Franck GRUR 2012, 298 f.: „kühn“, „methodisch zu beanstanden“]. Weitergehend Zetzsche WuW 2016, 65, 68, der den Schutzzweck des Marktmissbrauchsverbots auf die Finanzierungsbereitschaft der Aktionäre eines Wettbewerbers erstrecken will, während die Schädigung des unternehmenstragenden Rechtsträgers nur ein Zwischenziel sei. 79 Kritisch zur Konkretisierung der Anspruchsberechtigten anhand des Verbraucherkriteriums Meessen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Karetellrecht (2011) S. 295 f., der unter Hinweis auf EuG 28.2.2002, Rs. T-68/95, Slg. 2002, II-1011 Rn. 343 ff. – Compagnie générale maritime feststellt, dass die durch das Kartellrecht geschützten Verbraucher auch Personen mitumfassen können, die weder direkte noch indirekte Abnehmer sind, sondern als Teilnehmer auf einem anderen Markt am Effizienzgewinn teilhaben. 80 Siehe Drexl Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1996) S. 297 f., der auf die mögliche Trennung zwischen Schutzobjekt (Verbraucher) und Anspruchsberechtigung (Schutzinstrument) hinweist. 81 EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 26 – Courage; jüngst EuGH (Große Kammer) 6.11.2012, Rs. C-199/11, ECLI:EU:C:2012:684 Rn. 41 – Otis. Hager in: Schwarze (Hrsg.) Rechtsschutz und Wettbewerb in der neueren europäischen Rechtsentwicklung (2010) 107, 115 sieht die Jedermann-Formel durch das französische Deliktsrecht inspiriert. 78
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EuGH auf diese von der deutschen Regierung vorgeschlagene Eingrenzung nicht eingegangen ist.82 Damit ist spätestens seit Courage und Manfredi davon auszugehen, dass die Wettbewerbsvorschriften auch dem Schutz individueller Abnehmer und Verbraucher dienen, so dass deren grundsätzliche Klageberechtigung nicht in Zweifel gezogen werden kann. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob und ggf. auf welche Weise der Kreis der Klageberechtigten anhand des Verbots der Vorteilsziehung aus eigenem rechtswidrigen Verhalten (das bei den Beteiligten des Kartellverstoßes zum Tragen kommt, dazu § 4 III 1 → S. 174) und anhand des Erfordernisses eines Kausalzusammenhangs zwischen Wettbewerbsbeschränkung und Schaden eingegrenzt werden kann, das im Kartelldeliktsrecht wegen des potentiell weiten Kreises der Geschädigten und des Fehlens anderer einschränkender Tatbestandsmerkmale (wie der Verletzung absoluter Rechtsgüter) nicht nur die Funktion eines haftungsbegründenden Tatbestandsmerkmals erfüllt, sondern zumindest theoretisch bestimmte Personenkreise von der Anspruchsberechtigung generell auszuschließen vermag (dazu § 4 III 2, 4 → S. 176, 191). Vor Erörterung dieser Begrenzungen ist allerdings der allgemeinen Frage nachzugehen, ob bei der Feststellung der Kausalbeziehung zwischen Wettbewerbsbeschränkung und Schaden auch Schutzzwecküberlegungen zu berücksichtigen sind. 83 Richtigerweise dürfte dies ebenso wie im StaatshaftungsEuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 55, 61 – Manfredi. 83 Aufgrund der fehlenden Differenzierung zwischen haftungsbegründender und haftungsausfüllender Kausalität wird die Diskussion um die Berücksichtigung von Schutzzwecküberlegungen bei der Kausalität manchmal mit der Frage vermischt, ob bereits bei der Definition des Kreises der Anspruchsberechtigten Schutzzwecküberlegungen zulässig sind, letzteres befürwortend Eilmansberger ecolex 2002, 28, 29 f.; ders. CMLR 41 (2004) 1199, 1206: „selection and determination of the holder and the substance of a right by an analysis of the protective scope of the rule in question“ (siehe auch 1245 f.); etwas strenger ders. CMLR 44 (2007) 431, 466: „The protective scope requirement is reconcilable with the ‘open to any individual’ formula if this is understood to mean that no person or category of persons should be excluded a priori from this claim“; Mäsch EuR 2003, 825, 837: EuGH „sagt [in Courage] […] nicht, dass Einschränkungen des Kreises der Anspruchsberechtigten mit Hilfe des Schutzzweckgedankens überhaupt nicht möglich sind“; N. Reich CMLR 42 (2005) 35, 54 f.; ders. CMLR 44 (2007) 705, 722: „A claim of compensation always depends on whom competition law wants to protect, more precisely, what persons come into the protective ambit of a certain anti-competitive practice“; K. Schmidt FS Canaris I (2007) 1175, 1186; W.-H. Roth FS H.-P. Westermann (2008) 1355, 1368: „neben der Kausalität [muss] ein Zurechnungszusammenhang zwischen kartellrechtlichem Verstoß und entstandenem Schaden gefordert werden“; Meessen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht (2011) S. 309; Bornkamm in: Langen/ Bunte Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht I12 (2014) § 33 Rn. 34; a. A. Bulst Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht (2006) S. 260: „Im Rahmen der in Courage formulierten Schadensersatzvorgabe durch das nationale 82
III. Aktivlegitimation und Initiativberechtigung
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recht84 zu bejahen sein. Zwar ist zuzugeben, dass sich Schutzzweckbeschränkungen weder in der weiten Jedermann-Formel noch in Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 oder in Art. 2 Nr. 6 der Kartellschadensersatzrichtlinie ausmachen lassen.85 Jedoch folgt daraus nicht eine grundsätzliche Irrelevanz des Schutz-
Recht ist hierfür [Schutzzweckerwägungen] kaum mehr Raum“; Drexl FS Canaris I (2007) 1339, 1353: „Für die Anspruchsbegründung kommt es für den EuGH auf den Schutzzweck des Art. 81 EG überhaupt nicht an“; Görner Die Anspruchsberechtigung der Marktbeteiligten nach § 33 GWB (2007) S. 80 f; Poelzig ZGR 2015, 801, 832; differenzierend Zetzsche ZHR 179 (2015) 490, 513, 519; ders. WuW 2016, 65, 69, der im Anschluss an Eilsmansberger CMLR 44 (2007) 431, 466 Schutzzweckerwägungen grundsätzlich für zulässig hält, jedoch dürfe „kein Geschädigter aufgrund eines postulierten Schutzzwecks a priori aus dem Kreis der Anspruchsberechtigten ausgeschlossen sein“. Zusammenfassend Röhrig Schadensersatzansprüche im deutschen Kartellrecht nach der 6. GWB-Novelle (2004) S. 166 ff. mit einer Differenzierung nach Primärrecht und Richtlinien, der zwar eine Schutzzweckbetrachtung ablehnt, den Kreis der Anspruchsberechtigten aber neben dem Erfordernis der unmittelbaren Anwendbarkeit anhand des aus dem Verwaltungsrecht entlehnten Kriteriums der „Betroffenheit“ (vgl. EuGH 19.12.1968, Rs. 13/68, Slg. 1968, 680, 693 – Salgoil: „Interessen der durch eine etwaige Verletzung betroffenen Einzelnen zu wahren“) abgrenzen will, S. 171 ff., 177: „Betroffen und damit zur Geltendmachung des gemeinschaftsrechtlichen Ersatzanspruchs befugt ist demnach, wer ein unmittelbares wirtschaftliches, nicht notwendigerweise zugleich auch rechtliches Interesse daran hat, daß die Vorschriften des europäischen Wettbewerbsrechts zu seinen Gunsten beachtet werden“; ähnlich Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012) S. 285, 287, die sachlich auf eine „normative Schutzintention“ durch „unmittelbaren Bezug zu Individualinteressen“ und personell auf eine „faktische (tatsächliche) Betroffenheit“ abstellt; zusammenfassend Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012) S. 201: „Ob eine unmittelbar anwendbare Norm des Unionsrechts subjektive Rechte im Verhältnis zwischen Privaten begründet, bestimmt das Unionsrecht demnach anhand des Schutzziels der verletzten Norm, der Betroffenheit und der Berührung wirtschaftlicher Interessen des Einzelnen.“ 84 Zur Berücksichtigung von Schutzzweckerwägungen bei Art. 340 Abs. 2 AEUV EuGH 14.7.1967, Rs. 5, 7 und 13 bis 24/66, Slg. 1967, 331, 355 – Kampffmeyer; EuGH 2.12.1971, Rs. 5/71, Slg. 1971, 875, 985 Rn. 11 – Schöppenstedt; EuGH 4.7.2000, Rs. C-352/98 P, Slg. 2000, I-5291 Rn. 46 – Bergaderm; Ruffert in: Calliess/Ruffert, EUV – AEUV5 (2016) Art. 340 AEUV Rn. 18; Gellermann in: Streinz EUV/AEUV2 (2012) Art. 340 AEUV Rn. 20; Berg in: Schwarze EU-Kommentar3 (2012) Art. 340 Rn. 36; zur Francovich-Haftung EuGH 19.11.1991, Rs. C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, I-5357 Rn. 40 – Francovich; EuGH (Plenum) 12.10.2004, Rs. C-222/02, Slg. 2004, I-9425 Rn. 49 – Peter Paul: „Nach der Rechtsprechung kann die Staatshaftung wegen Verletzung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts nur dann begründet werden, wenn u. a. die verletzte Rechtsnorm bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen“; generell für die Maßgeblichkeit des Schutzzwecks zur Feststellung der Individualberechtigung Dörr Der europäisierte Rechtsschutzauftrag deutscher Gerichte (2003) S. 187. Siehe auch die Analyse der Rechtsprechung der Unionsgerichte zum Staatshaftungsrecht und zum Beamtenrecht bei Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 176 ff., der zu dem Ergebnis (S. 185) kommt, dass bei der Eingrenzung der Haftung anhand der Kriterien der Unmittelbarkeit und Vorhersehbarkeit „mehr oder weniger offen wertende Betrachtungen in die Untersuchung“ einfließen.
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zwecks für die Reichweite der Haftung.86 Denn auch wenn der weite Schutzzweck des Art. 101 AEUV „jedermann“ erfasst, so können Schutzzweckerwägungen zumindest innerhalb der konkreten Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen wie etwa des Kausalzusammenhangs zur Anspruchsversagung führen, solange der Effektivitätsgrundsatz nicht beeinträchtigt wird. Nach Erlass der Kartellschadensersatzrichtlinie lässt sich dieses Ergebnis auch durch einen Erst-Recht-Schluss aus Erwägungsgrund 11 Satz 5 RL 2014/104 absichern:87 wenn es danach den Mitgliedstaaten unter dem Vorbehalt des Effektivitätsgebots gestattet bleibt, an zusätzlichen nationalen Haftungsvoraussetzungen wie Zurechenbarkeit, Adäquanz oder Verschulden festzuhalten, so muss dies erst recht für im Unionsrecht selbst verankerte Schutzzweckerwägungen gelten. Dem steht auch nicht der Effektivitätsgrundsatz entgegen, denn im Rahmen der Effektivitätsprüfung bleibt es bei der Bindung an das Unionsrecht und damit auch an seine Schutzzweckanordnungen (oben § 1 II 2 e bb 1 → S. 67). 1. Beteiligte des Kartellrechtsverstoßes Mit der Anspruchsberechtigung der Kartellbeteiligten war der EuGH bereits in Courage befasst. Auf die Frage des englischen Gerichts nach der Anspruchsberechtigung der an der (vertikalen) Kartellvereinbarung beteiligten Partei hat der Gerichtshof unter Hinweis auf das Verbot von Vorteilen aus Zu diesem Argument Zetzsche WuW 2016, 65, 68. Soweit Zetzsche sein Argument auch durch Hinweis auf die Differenzierung des Kreises der Anspruchsberechtigten in Art. 11 Abs. 2 und Abs. 5 RL 2014/104 und die dort [gemeint ist wohl Art. 11 Abs. 6 RL 2014/104] genannten „anderen Geschädigten“ entfaltet, so meint diese Norm nicht (nur) Wettbewerber, sondern insbesondere auch Abnehmer von Kartellaußenseitern. 86 Zur Einstrahlung des Schutzzwecks des Art. 101 AEUV auf die grundsätzlich dem nationalen Recht überlassene Kausalitätsprüfung nun auch EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 32 – Kone: „Zwar ist […] die Bestimmung der Regeln für die Anwendung des Begriffs ‚ursächlicher Zusammenhang‘ grundsätzlich Aufgabe des innerstaatlichen Rechts des einzelnen Mitgliedstaats. Nach der in Rn. 26 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs müssen diese nationalen Regeln jedoch die volle Wirksamkeit des Wettbewerbsrechts der Union sicherstellen […]. Sie müssen daher speziell das mit Art. 101 AEUV verfolgte Ziel berücksichtigen, das darin besteht, die Aufrechterhaltung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs im Binnenmarkt zu gewährleisten und damit Preise, die unter den Bedingungen eines freien Wettbewerbs festgesetzt werden.“ (Hervorhebung nicht im Original). Für eine Übernahme des Konzepts des hinreichend unmittelbaren Kausalzusammenhangs aus Art. 340 AEUV (zur Berücksichtigung von Schutzzweckerwägungen in diesem Konzept oben Fn. 84) mit einer „normativen Korrektur“ in das Kartelldeliktsrecht Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 30.1.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:45 Rn. 34 f. – Kone. 87 Wohl a. A. W.-H. Roth in: Karlsruher Forum 2015: Europäisierung des Haftungs- und des Versicherungsvertragsrechts (2016) 123, 125: „Interessant wäre ein Nachdenken über die Aufgabe des ‚Schutzgesetz‘-Denkens im europäischen Kartellrecht. […] Die Richtlinie kennt dies nicht; sie hätte doch zu diesem Problemkreis eine Aussage treffen können.“ 85
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einem eigenen rechtswidrigen Verhalten gestattet, „dass das innerstaatliche Recht einer Partei, die eine erhebliche Verantwortung für die Wettbewerbsverzerrung trägt, das Recht verwehrt, von ihrem Vertragspartner Schadensersatz zu verlangen“.88 Dabei bemisst sich die „erhebliche Verantwortung“ an der Stärke der Verhandlungsposition und des Verhaltens der beiden Parteien, so dass eine „eindeutig unterlegene“ Partei mit nur beschränkter oder nicht vorhandener Freiheit zur Aushandlung der Vertragsbedingungen und zur Verhinderung des Schadenseintritts durch rechtzeitigen Rechtsschutz schadensersatzberechtigt bleibt.89 Daraus folgt, dass das Unionsrecht einen Ausschluss der Klageberechtigung der Kartellbeteiligten nur bei „erheblicher Verantwortung“ für die Wettbewerbsverletzung gestattet,90 so dass derjenige, der durch eine wettbewerbswidrige Vertikalvereinbarung gebunden ist, für die er (etwa aufgrund deutlich unterlegener Verhandlungsposition) keine maßgebliche Verantwortung trägt, kraft Unionsrechts klageberechtigt sein muss.91 Die gleichen Grundsätze sollten konsequenterweise auch für wettbewerbswidrige Horizontalvereinbarungen gelten, wobei im Horizontalverhältnis seltener eine Situation eintreten kann, an der es an einer „erheblichen Verantwortung“ für die Wettbewerbsverletzung fehlt, so dass in aller Regel Ansprüche unter den Kartellbeteiligten durch das nationale Recht ausgeschlossen werden dürfen.92 EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 31 – Courage. EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 32 f. – Courage; siehe auch Rn. 34 zur Anspruchsberechtigung eines Vertragspartners, der zu einem Netz von ähnlichen Verträgen des Netzinitiators gehört, die sich kumulativ auf den Wettbewerb auswirken. 90 Unsicher ist, ob das Unionsrecht in dieser Sachlage den Anspruchsausschluss gebietet, bejahend Wurmnest RIW 2003, 896, 898: „hat die Partei, die die erhebliche Verantwortung trägt […], keinen Schadensersatzanspruch“; zurückhaltender Weyer in: Frankfurter Kommentar II (2009) Art. 81 EG Zivilrechtsfolgen Rn. 43. 91 W.-H. Roth FS Huber (2006) 1133, 1168; Mestmäcker/Schweitzer Europäisches Wettbewerbsrecht3 (2014) § 23 Rn. 6; Bornkamm in: Langen/Bunte Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht I12 (2014) § 33 Rn. 46. Siehe allerdings auch Weyer ZEuP 2003, 318, 340, der darauf hinweist, dass die Möglichkeit nachträglicher Schadensersatzansprüche den Anreiz mindern kann, sich von vorneherein kartellrechtswidrigen Vereinbarungen zu verweigern. Zu diesem Argument bereits die Schlussanträge des Generalanwalts Mischo vom 22.3.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 57 – Courage: „Ich teile jedoch die Auffassung des Vereinigten Königreichs und der Kommission, dass die Aussicht, Schadensersatz fordern zu können, nicht nur einen Anreiz für die schwächeren Parteien darstellen würde, gegen Artikel 81 EG verstoßende Vereinbarungen aufzukündigen, sondern auch – und dies ist vielleicht wichtiger – ein wirksames Mittel, die Partei, die sich in der stärkeren Position befindet, davon abzuschrecken, eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung durchzusetzen.“ 92 Wurmnest RIW 2003, 896, 898; ders. in: Behrens/Braun/Nowak (Hrsg.) Europäisches Wettbewerbsrecht im Umbruch (2004) 213, 238; Meessen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht (2011) S. 216 f. mit Ausnahme für den Fall, dass im Fall des Fernbleibens vom Kartell glaubhaft die Vernichtung der wirtschaftli88 89
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2. Abnehmer Eine weitere Einschränkung des Kreises der Klageberechtigten, die vor allem für mittelbare Kartellabnehmer oder Abnehmer von Kartellaußenseitern zu erwägen ist, könnte aus dem Erfordernis eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Wettbewerbsbeschränkung und dem Schaden folgen. Seit Manfredi ist „in Ermangelung einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung […] die Bestimmung der Einzelheiten […] für die Anwendung des Begriffes ‚ursächlicher Zusammenhang’ Aufgabe des innerstaatlichen Rechts des einzelnen Mitgliedstaats, wobei der Äquivalenz- und der Effektivitätsgrundsatz zu beachten sind“.93
Damit sind gewisse Einschränkungen des Kreises der Anspruchsberechtigten durch das Kausalitätserfordernis zumindest denkbar, so dass entscheidend ist, wie weit solche Einschränkungen dem Effektivitätsgebot noch genügen, insbesondere ob auch ein genereller Ausschluss bestimmter Personengruppen mit dem Unionsrecht zu vereinbaren ist. a) Unmittelbare Abnehmer Über die Klageberechtigung unmittelbarer Abnehmer94 hat der EuGH in Manfredi bereits entschieden: Nachdem der Gerichtshof das vom vorlegenden italienischen Gericht aufgebrachte „rechtlich relevante Interesse“ nicht aufnahm und stattdessen in diesem Fall die Jedermann-Formel aus Courage bekräftigte,95 bestehen an der unionsrechtlich verbürgten Anspruchsberechtigung der unmittelbaren Marktgegenseite keine Zweifel.96 chen Existenz in Aussicht gestellt wird; Bornkamm in: Langen/Bunte Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht I12 (2014) § 33 Rn. 47 mit dem Hinweis auf ein die kleineren Kartellteilnehmer benachteiligendes Quotenkartell. 93 EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 63 f. – Manfredi; EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 24, 32 – Kone; weitergehend die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 30.1.2014, Rs. C-557/ 12, ECLI:EU:C:2014:45 Rn. 34 f. – Kone, die sich für einen unmittelbar unionsrechtlichen Begriff der Kausalität ausspricht. 94 Bei der Unterscheidung unmittelbarer und mittelbarer Abnehmer ist zu berücksichtigen, dass Mutter- und Tochterunternehmen im Kartelldeliktsrecht im Regelfall als wirtschaftliche Einheit behandelt werden, so dass ein unmittelbarer Abnehmer nicht zwangsläufig von der – kartellbeteiligten – Mutter, sondern auch von ihrer Vertriebstochter erwerben kann, Bulst Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht (2006) S. 232. Zur Zurechnung in der Unternehmensgruppe vgl. nur EuGH 29.9.2011, Rs. C-521/ 09 P, Slg. 2011, I-8947 Rn. 53 f. – Elf Aquitaine. 95 EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 11, 20, 63 f. – Manfredi; siehe nunmehr auch die Klage der Kommission gegen die Beteiligten des Aufzugskartells, EuGH (Große Kammer) 6.11.2012, Rs. C-199/11, ECLI:EU:C:2012:684 Rn. 41, 43 – Otis. Siehe bereits die Schlussanträge des Generalanwalts Mischo vom 22.3.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 38 – Courage.
III. Aktivlegitimation und Initiativberechtigung
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b) Mittelbare Abnehmer Bis in die jüngere Zeit umstritten war demgegenüber, ob das Unionsrecht gestattet, mittelbare Abnehmer aus dem Kreis der Anspruchsberechtigten auszunehmen97 oder ob die Jedermann-Formel auch die Anspruchsberechtigung solcher Personen gebietet.98 Für das deutsche Recht99 hat spätestens100 96 Wurmnest in: Behrens/Braun/Nowak (Hrsg.) Europäisches Wettbewerbsrecht im Umbruch (2004) 213, 241; Meessen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht (2011) S. 234; enger noch BGH 21.4.1999, IV ZR 192–98, NJW 1999, 2741, 2743. 97 Gegen eine unionsrechtliche Verpflichtung auf die Anspruchsberechtigung indirekter Abnehmer Köhler GRUR 2004, 99, 100; G. Wagner in: Eger/Schäfer (Hrsg.) Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung (2007) 605, 641 (mit der Differenzierung, dass Zweitabnehmern die Klagebefugnis einzuräumen sei, wenn sie den Erstabnehmer erfolgslos zur Durchsetzung der Ersatzansprüche aufgefordert haben), 643 ff. (zur unionsrechtlichen Zulässigkeit); siehe aber auch ders. AcP 206 (2006) 352, 416; Dittrich GRUR 2009, 123, 126 f.; Rehbinder in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff Kartellrecht2 (2009) § 33 GWB Rn. 16; Weyer in: Frankfurter Kommentar II (2009) Art. 81 EG Zivilrechtsfolgen Rn. 172, 192; Meessen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht (2011) S. 314; R. Koch JZ 2013, 390, 396; offenlassend Alexander Schadensersatz und Abschöpfung im Lauterkeits- und Kartellrecht (2010) S. 329. Kersting ZWeR 2008, 252, 259 scheint (bei Kritik de lege ferenda) Einschränkungen tendenziell als mit Manfredi unvereinbar anzusehen. 98 Erwägungsgrund 5 im unveröffentlichten Proposal for a Council Directive on rules governing actions for damages for infringements of Articles 81 and 82 of the Treaty, S. 12: „This right [to claim compensation] is recognised for consumers and undertakings alike, irrespective of the existence of a direct contractual relationship with the infringing undertaking“; Jones Private Enforcement of Antitrust Law in the EU, UK and USA (1999) S. 192 f.; Schneider Zivilrecht und praktische Wirksamkeit der Artikel 85 und 86 EGVertrag (2000) S. 174; Lettl ZHR 167 (2003), 473, 481 f.; Monopolkommission Das allgemeine Wettbewerbsrecht in der Siebten GWB-Novelle, Sondergutachten 41 (2004) Rn. 39, 72; Schütt WuW 2004, 1124, 1128 (zu § 33 GWB n. F.); Basedow ZWeR 2006, 294, 302; Bulst Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht (2006) S. 252; ders. ZWeR 2012, 70, 76; Drexl FS Canaris I (2007) 1339, 1352 f.: „lässt sich ein ursächlicher Zusammenhang regelmäßig nicht verneinen“, ders. in: von Bogdandy/Bast (Hrsg.) Europäisches Verfassungsrecht2 (2009) 905, 930 f.; Weißbuch Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts KOM(2008) 165 S. 4; M. Reich WuW 2008, 1046, 1052; W.-H. Roth FS H.-P. Westermann (2008) 1355, 1366 f. (zurückhaltender noch ders. FS Huber (2006) 1133, 1149); Jaeger in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff Kartellrecht2 (2009) Art. 81 Abs. 2 EG Rn. 43 f.; Kießling GRUR 2009, 733, 735; Logemann Der kartellrechtliche Schadensersatz (2009) S. 356 f.; Fuchs ZWeR 2011, 192, 198; Wurmnest in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 27, 45, Stöber EuZW 2014, 257, 258; Poelzig ZGR 2015, 801, 832; Säcker/Jaecks in: MünchKommWettbR I2 (2015) Art. 101 AEUV Rn. 747; Zetzsche ZHR 179 (2015), 490, 499 f.; zur Richtlinie 2014/104 auch Vollrath NZKart 2013, 434, 439: Bezugspunkt des Effektivitätsgrundsatzes sei ein Schadensersatzanspruch, „das den Schaden dort ersetzt, wo er in der ökonomischen Wirklichkeit durch die Zuwiderhandlung entsteht“.
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der Bundesgerichtshof in der Entscheidung ORWI mittelbare Abnehmer ausdrücklich in den Kreis der Anspruchsberechtigten einbezogen, sofern sie die Schadensabwälzung auf ihre Marktstufe darlegen können.101 Dabei stützte sich der Bundesgerichtshof – abgesehen von der Entkräftung rechtstechnischer Einwände102 – vor allem auf zwei Argumente: Zunächst stellte Karlsruhe fest, dass, wenn man mittelbare Abnehmer aus dem Kreis der Anspruchsberechtigten generell ausnähme, letztendlich diejenigen, deren Interessen infolge möglicher Schadensabwälzung in erster Linie durch die Wettbewerbsbeschränkung beeinträchtigt werden (nämlich die Endabnehmer/Verbraucher), nicht berechtigt wären, den Ausgleich ihrer Schäden zu verlangen.103 Zum zweiten sei eine Beschränkung von Schadensersatzansprüchen 99 Der BGH hat die Anspruchsberechtigung mittelbarer Abnehmer bereits aus der Auslegung des deutschen Rechts, nämlich des Schutzgesetzkriteriums in § 823 Abs. 2 BGB abgeleitet und mochte nicht entscheiden, ob „das Unionsrecht zwingend dieses Ergebnis verlangt“, BGH 28.6.2011, KZR 75/10, NJW 2012, 928 Rn. 24 – ORWI. 100 Siehe auch bereits Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit (9. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung - Drucksache 15/3640 – Entwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BT-Drs. 15/5049 S. 49: „Das Schutzgesetzerfordernis wird fallen gelassen.“ 101 BGH 28.6.2011, KZR 75/10, NJW 2012, 928 Rn. 23 (grundsätzliche Anspruchsberechtigung), 44–48 (Kausalitätsnachweis der Schadensabwälzung) – ORWI. Die Vorgaben des BGH für die Schadensabwälzung sind nach Inkrafttreten der Art. 12–16 der neuen Kartellschadensersatzrichtlinie 2014/104 zu modifizieren, weil der BGH von den mittelbaren Abnehmern grundsätzlich den Nachweis der Kausalität im Einzelfall verlangt (Rn. 45) und einen Anscheinsbeweis nur unter deutlich engeren Voraussetzungen (Rn. 47) als Art. 14 Abs. 2 Satz 1 RL 2014/104 eröffnet. 102 Die rechtstechnischen Einwände sind: (1) BGH 28.6.2011, KZR 75/10, NJW 2012, 928 Rn. 27 ff. – ORWI: „Zahl der möglichen Anspruchsberechtigten [werde] vervielfacht […] und Beweisschwierigkeiten [könnten] auftreten […], welcher Marktstufe ein Schaden zuzuordnen ist“ (Rn. 27, Gegenargument des BGH: Vorteilsausgleichung und Abnahme der Wahrscheinlichkeit von Schadensersatzklagen mit jeder weiteren Marktstufe) (2) Zulassung von Klagen indirekter Abnehmer erfordere zugleich Zulassung des Schadensabwälzungseinwands, was das kartellrechtliche Sanktionensystem im Widerspruch zum Effektivitätsgrundsatz schwäche (Rn. 28 ff., Gegenargument des BGH: nicht bei allen Marktverhältnissen haben gerade die direkten Abnehmer einen besonderen Klageanreiz, etwa wenn sie wirtschaftlich verbunden oder abhängig sind, zudem könne den Praktikabilitätsbedenken bei den „Anforderungen an die Ursächlichkeit einer Kartellabsprache für das Preisniveau auf nachgelagerten Marktstufen und insbesondere bei der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast Rechnung“ getragen werden; skeptisch insofern Kersting/ Dworschak JZ 2012, 777, 781). 103 BGH 28.6.2011, KZR 75/10, NJW 2012, 928 Rn. 25 f. – ORWI: „Angesichts der Bedeutung des Kartellverbots für die Wirtschaftsordnung ist es geboten, denjenigen gesetzestreuen Marktteilnehmern deliktsrechtlichen Schutz zu gewähren, auf deren Kosten ein kartellrechtlich verbotenes Verhalten praktiziert wird. […] Indirekte Abnehmer generell von der Anspruchsberechtigung auszunehmen, hätte mithin zur Folge, gerade jenen An-
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auf direkte Abnehmer des Kartellanten mit der Jedermann-Formel und der effektivitätsorientierten Konkretisierung des Kausalzusammenhangs durch das mitgliedstaatliche Recht104 kaum in Einklang zu bringen, weil „der Kreis möglicher Anspruchsteller allein durch das Erfordernis eines Ursachenzusammenhangs zwischen dem Schaden und dem verbotenen Kartell oder Verhalten eingeschränkt [werde], das ohne weiteres auch indirekte Abnehmer erfüllen können“.105
Nähert man sich dieser Frage aus der Perspektive des Unionsrechts, so liegt zunächst ein Blick in die Judikatur zum Kausalitätszusammenhang bei Überwälzung unionsrechtswidriger Abgaben nahe. In Danfoss hatte der EuGH über einen Schadensersatzanspruch106 indirekter Abnehmer von Mineralölprodukten gegen den dänischen Fiskus zu entscheiden, auf die eine vom Hersteller zu entrichtende, unionsrechtswidrig erhobene Verbrauchssteuer abgewälzt worden war. Der Gerichtshof hatte konkret zu entscheiden, „ob die freie Entscheidung des Abgabenpflichtigen, die nicht geschuldete Abgabe auf eine nachgelagerte Stufe abzuwälzen, als Bruch des unmittelbaren Kausalzusammenhangs zwischen der Handlung des Mitgliedstaats und dem Schaden, der dem Abnehmer entstanden ist, betrachtet werden kann“.107
Der EuGH stellte fest, dass ein entsprechender Anspruchsausschluss indirekter Abnehmer im nationalen Recht im Einklang mit dem Effektivitätsgrundsatz stehe, sofern der Abnehmer, auf den die Abgabe abgewälzt wurde, „nach dem nationalen Recht seine Klage auf Ersatz des ihm hierdurch entstandenen sprüche zu verwehren, die häufig in erster Linie durch Kartelle oder verbotene Verhaltensweisen geschädigt werden.“ 104 BGH 28.6.2011, KZR 75/10, NJW 2012, 928 Rn. 34 – ORWI mit Verweis auf EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 61, 64 – Manfredi. 105 BGH 28.6.2011, KZR 75/10, NJW 2012, 928 Rn. 35 – ORWI; siehe auch Kersting/ Dworschak JZ 2012, 777, 779: „Gleichlauf zwischen den Schutzsubjekten des Kartellverbots und dem Kreis der Anspruchsberechtigten“. Zum Gegenargument, dass eine Konzentration des Schadensersatzanspruchs bei den direkten Abnehmern den Klageanreiz und damit die Effektivität des Unionsrecht stärken könne, stellt der BGH fest, dass das europäische Recht „den durch ein Kartell Geschädigten Schadensersatz im Grundsatz unabhängig davon gewährt, ob dies im Einzelfall für die Kartellrechtsdurchsetzung erforderlich oder zweckmäßig ist“, BGH 28.6.2011, KZR 75/10, NJW 2012, 928 Rn. 38 – ORWI; ähnlich Commission Staff Working Paper accompanying the White Paper on Damages actions for breach of the EC antitrust rules SEC(2008) 404 Rn. 27. Kritisch Meessen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht (2011) S. 296 mit dem Hinweis, dass das Kompensationsprinzip nichts über die Voraussetzungen der Ersatzberechtigung aussage, sondern voraussetze, dass ein Schadensposten ersatzfähig ist. 106 Die Kläger machten daneben noch einen bereicherungsrechtlichen Rückzahlungsanspruch geltend, über den im Wesentlichen identisch wie über den Staatshaftungsanspruch entschieden wurde, EuGH 20.10.2011, Rs. C-94/10, Slg. 2011, I-9963 Rn. 27 f. – Danfoss. 107 EuGH 20.10.2011, Rs. C-94/10, Slg. 2011, I-9963 Rn. 31 – Danfoss.
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Schadens gegen diesen [unmittelbar] Abgabenpflichtigen richten kann“.108 Demgegenüber müsse dem indirekten Abnehmer ein eigener direkter Staatshaftungsanspruch gegen den Fiskus eingeräumt werden, wenn der Ersatz der rechtswidrigen Abgabe von seinem Vertragspartner unmöglich ist oder übermäßig erschwert wird, „insbesondere im Fall der Zahlungsunfähigkeit des unmittelbar Abgabepflichtigen“.109 Der Gerichtshof gestattete damit den Ausschluss der Ansprüche mittelbarer Abnehmer bei Abgabenabwälzung nur dann, wenn diese nach nationalem Recht von ihrem Vertragspartner (dem unmittelbaren Abgabepflichtigen) Ersatz des ihnen entstandenen Schadens (überwälzte Abgaben) verlangen können und zusätzlich ein Direktanspruch gegen den ursprünglichen Schädiger (Staat) für den Fall der Zahlungsunfähigkeit des Vertragspartners oder der anderweitigen übermäßigen Erschwerung der Durchsetzung des Anspruchs gegen den unmittelbar Abgabepflichtigen gegeben ist.110 Überträgt man die Danfoss-Anforderungen des Effektivitätsgrundsatzes auf das Kartelldeliktsrecht, so sind diese bereits mangels Rückforderungsanspruchs im Verhältnis des mittelbaren zum unmittelbaren Abnehmer im Hinblick auf die kartellbedingten Preisaufschläge im Regelfall111 nicht112 erfüllt, EuGH 20.10.2011, Rs. C-94/10, Slg. 2011, I-9963 Rn. 37 – Danfoss. EuGH 20.10.2011, Rs. C-94/10, Slg. 2011, I-9963 Rn. 38 – Danfoss: „Entsprechend dem […] Ausgeführten würde jedoch, sollte der Ersatz des Schadens, der dem Abnehmer, der die wirtschaftliche Belastung mit der auf ihn abgewälzten nicht geschuldeten Abgabe getragen hat, entstanden ist, durch den Abgabenpflichtigen unmöglich oder übermäßig erschwert werden, insbesondere im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Abgabenpflichtigen, es der Grundsatz der Effektivität gebieten, dass dieser Abnehmer seinen Antrag auf Erstattung unmittelbar an den Staat richten kann, ohne dass dieser ihm das Fehlen eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs zwischen der Erhebung der nicht geschuldeten Abgabe und dem ihm entstandenen Schaden entgegenhalten könnte.“ Zu einer ähnlichen Begrenzung bereits EuGH 15.3.2007, Rs. C-35/05, Slg. 2007, I-2425 Rn. 29 ff. – Reemtsma Cigarettenfabriken: Rückforderung unionsrechtswidriger Steuern vom jeweiligen Vertragspartner unionsrechtskonform (kein direkter Anspruch gegen den Staat geboten), solange der Vertragspartner nicht insolvent ist. 110 Offen ist, ob ein solcher Rückgriff bei Zahlungsunfähigkeit generell gesetzlich geregelt sein muss, so dass bei fehlender Regelung selbst bei Solvenz des ursprünglichen Erstabnehmers ein Rückgriff möglich wäre. Dieses Detail soll hier nicht vertieft werden, weil es im Kartelldeliktsrecht im Regelfall bereits an Ansprüchen im Verhältnis des mittelbaren zum unmittelbaren Abnehmer fehlen wird. 111 Nur in dem Ausnahmefall, in dem im Vertrag zwischen unmittelbaren und mittelbaren Abnehmer der Abnahmepreis des mittelbaren Abnehmers in Relation zum Einstandspreis des unmittelbaren Abnehmers definiert wurde, ergibt sich ein Ausgleichsanspruch zwischen beiden im Hinblick auf die kartellbedingten Preisaufschläge entweder aus ergänzender Vertragsauslegung oder aus § 812 Abs. 1 Satz 1 2. Var. BGB. Im Fall einer solchen oder ähnlichen Gestaltung („Kosten-Plus-Vertrag“) will auch R. Koch JZ 2013, 390, 397 einen Ausgleichsanspruch des indirekten Abnehmers gegen den direkten Abnehmer bejahen, allerdings gestützt auf § 313 Abs. 2 BGB. 108 109
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so dass es der Effektivitätsgrundsatz bereits nach seiner Ausprägung im Staatshaftungsrecht gebietet, auch mittelbaren Abnehmern die Anspruchsberechtigung einzuräumen.113 An dem Rückforderungsanspruch der mittelbaren gegen den unmittelbaren Abnehmer fehlt es im Kartelldeliktsrecht,114 weil weder das Vertragsrecht eine teilweise Rückforderung des abgewälzten Betrages gestattet,115 noch kommt – bei Nichtbeteiligung des unmittelbaren Ab-
Im Interesse der Rechtssicherheit ist bei der Bestimmung des Kreises der Anspruchsberechtigten eine generalisierende Antwort anzustreben, so dass es nicht darauf ankommen kann, ob im Einzelfall eine „Kosten-Plus-Klausel“ in den Vertrag zwischen dem unmittelbaren und dem mittelbaren Abnehmer aufgenommen wurde. 113 Siehe auch Bulst ZWeR 2012, 70, 76: „Deutlich wird jedenfalls, dass allgemein wirkende Beschränkungen der Anspruchsberechtigung ausgeschlossen sind“, der allerdings einen Anspruchsausschluss bei Existenz eines Rückforderungsanspruchs für möglich hält: „Von wem er diesen [Ersatz] erhält, ist nach Danfoss offenbar kaum erheblich.“ 114 Zu einem generellen Ausgleichsanspruch der mittelbaren Abnehmer gegen den unmittelbaren Abnehmer ohne konkrete „Kosten-Plus-Gestaltung“ käme man – abgesehen von einer Auslobung durch den unmittelbaren Abnehmer (dazu mit Formulierungsvorschlag Kleinlein/Schubert WuW 2012, 345, 347) – allenfalls auf Grundlage der vom Kammergericht befürworteten Lösung über die Gesamtgläubigerschaft gemäß § 428 BGB (KG 1.10.2009, 2 U 10/03 (Kart), WuW/E DE-R, 2773 Rn. 122 ff. – Berliner Transportbeton; bereits Drexl FS Canaris I (2007) 1339, 1357 ff. mit dem Vorschlag der Anordnung einer Gesamtgläubigerschaft in § 33 Abs. 3 GWB), die aber im deutschen Recht aus dogmatischen Gründen – Fehlen einer einheitlichen Leistung, für die Gläubiger grundsätzlich nachteilige Lösung – abzulehnen ist. Zur Kritik Guski ZWeR 2010, 278, 301; Kamann/ Ohlhoff ZWeR 2010, 303, 315 f.; Bulst in: Möschel/Bien (Hrsg.) Kartellrechtsdurchsetzung durch private Schadenersatzklagen (2010) 225, 260 f.; Bornkamm in: Langen/Bunte Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht I12 (2014) § 33 Rn. 121; befürwortend Hager in: Schwarze (Hrsg.) Rechtsschutz und Wettbewerb in der neueren europäischen Rechtsentwicklung (2010) 107, 121. 115 Erwägen mag man im deutschen Recht allenfalls eine Vertragsanpassung durch Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB), weil der Preis infolge des kartellbedingt überhöhten Einkaufspreises überhöht angesetzt wurde, für einen solchen Anspruch Al-Deb’i/ Krause ZGS 2006, 20, 24 f.: „Die Beteiligten begleitet beim Aushandeln und dem Abschluss des jeweiligen Verträge die letztlich für das Ergebnis schwerwiegende Vorstellung, dass die in die Preiskalkulation einfließenden Leistungen vorheriger Erzeuger und Lieferanten zum Wettbewerbs- und nicht zum überhöhten Kartellpreis bezogen worden sind. […] Demnach gehört die Vorstellung der Parteien, in ihre Berechnungen den Wettbewerbspreis eingestellt zu haben, zu ihrer Geschäftsgrundlage. […] Das Institut der Störung der Geschäftsgrundlage wurde jedoch durch den BGH immer dann zur Anpassung der geschlossenen Verträge herangezogen, wenn eine Berechnung infolge eines allseitigen Irrtums aller Vertragsbeteiligten fehlerhaft vorgenommen wurde.“ Indes setzt § 313 BGB eine „schwerwiegende“ Veränderung der Vertragsgrundlage voraus, so dass Leistungserleichterungen (wie die nachträgliche Möglichkeit des Schadensersatzes für kartellbedingt überhöhte Einkaufspreise) nur ausnahmsweise Rechte wegen Änderung der Geschäftsgrundlage begründen, Grüneberg in: Palandt BGB75 (2016) § 313 Rn. 33. Zudem lässt sich gegen die Analogie zum allseitigen Irrtum einwenden, dass sich die Parteien über die 112
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nehmers am Kartell – eine deliktische oder bereicherungsrechtliche Haftung des unmittelbaren Abnehmers in Betracht.116 Die Frage, ob die DanfossKriterien überhaupt auf das Kartelldeliktsrecht übertragbar sind,117 kann daher offen bleiben, weil die Zwecke des Schadensersatzanspruchs im Kartelldeliktsrecht jedenfalls keine engere Definition des Kreises der Anspruchsberechtigten gebieten,118 so dass bereits nach den staatshaftungsrechtlichen Maßstäben der Effektivität eine Klageberechtigung der mittelbaren Abnehmer geboten ist. Dies gilt umso mehr nach der Entscheidung des Gerichtshofs in Kone, die auch den Abnehmern von Kartellaußenseitern die grundsätzliche Klageberechtigung eröffnet (dazu sogleich § 4 III 2 c → S. 184). Zwar mag man unPreisbildung auf vorgelagerten Marktstufen im Regelfall überhaupt keine Vorstellungen machen, so dass ein Irrtum ausscheidet. 116 Zum Bereicherungsausgleich zwischen dem unmittelbaren und dem mittelbaren Abnehmer Drexl FS Canaris I (2007) 1339, 1356: zum einen hat der mittelbare an den unmittelbaren Abnehmer mit Rechtsgrund geleistet, weil dieser Vertrag nicht nach Art. 101 Abs. 2 AEUV unwirksam ist, zum anderen stellt die Schadensersatzzahlung des Kartellanten an einen Beteiligten keine „Verfügung“ i. S. d. § 816 Abs. 2 BGB dar. 117 Für eine Übertragbarkeit der Danfoss-Kriterien in das Kartelldeliktsrecht könnten die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 24.3.2011, Rs. C-94/10, Slg. 2011, I-9963 Rn. 78 ff., 82 – Danfoss ins Feld geführt werden, die auch auf die Rechtslage im Kartelldeliktsrecht hinweisen; vorsichtig bejahend auch Bulst ZWeR 2012, 70, 78: „Die Rechtsprechung der Unionsgerichte enthält jedenfalls keine Anhaltspunkte für das Gegenteil.“ Gegen eine Übertragbarkeit mag man einwenden, dass das Staatshaftungsrecht im Unterschied zum Kartelldeliktsrecht (dazu bereits oben § 4 II) nicht der Prävention dient, EuGH (Große Kammer) 17.4.2007, Rs. C-470/03, Slg. 2007, I-2749 Rn. 88 – A.G.M.COS.MET: Staatshaftung dient „nicht der Abschreckung oder als Sanktion“, „sondern [ist] auf den Ersatz der Schäden gerichtet […], die Einzelnen durch Verstöße der Mitgliedstaaten gegen Gemeinschaftsrecht entstehen“. Zu einem anderen Ergebnis kommt auch Meessen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht (2011) S. 308 f., 312 ff. aufgrund einer Analyse der Rechtsprechung zum Kausalzusammenhang im Kontext der Staatshaftung, der allerdings die Entscheidung Danfoss noch nicht berücksichtigen konnte. 118 Zu einer gegenüber dem Abgabenrecht engeren Definition des Kreises der Klageberechtigten käme man nur dann, wenn man aus dem Präventionszweck im Kartelldeliktsrecht eine Bündelung der Schadensersatzklagen bei den unmittelbaren Abnehmern ableiten will, weil eine Konzentration des Schadensersatzanspruchs bei den direkten Abnehmern den Klageanreiz und damit die Effektivität des Unionsrechts stärke. Indes spricht gegen diesen Gedanken nicht nur, dass das europäische Recht „den durch ein Kartell Geschädigten Schadensersatz im Grundsatz unabhängig davon gewährt, ob dies im Einzelfall für die Kartellrechtsdurchsetzung erforderlich oder zweckmäßig ist“, BGH 28.6.2011, KZR 75/10, NJW 2012, 928 Rn. 38 – ORWI; ähnlich Commission Staff Working Paper accompanying the White Paper on Damages actions for breach of the EC antitrust rules SEC(2008) 404 Rn. 27. Es kommt hinzu, dass es infolge der engeren und potentiell längerfristigen Beziehung der unmittelbaren Abnehmer zu den Kartellbeteiligten keinesfalls sicher ist, dass eher unmittelbare Abnehmer ihre Ansprüche durchsetzen.
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terschiedlicher Auffassung sein, ob sich aus der Klageberechtigung mittelbarer Kartellabnehmer auch auf die Klageberechtigung der Abnehmer von Kartellaußenseitern schließen lässt.119 Jedenfalls wird man aber umgekehrt, wenn selbst die Abnehmer von Kartellaußenseitern anspruchsberechtigt sind, die grundsätzliche Anspruchsberechtigung der mittelbaren Abnehmer der Kartellbeteiligten nicht bestreiten können.120 Die Klageberechtigung mittelbarer Abnehmer wird nunmehr auch durch die Kartellschadensersatzrichtlinie 2014/104 bestätigt. Gemäß Erwägungsgrund 13 Satz 1 RL 2014/104 ist „[d]as Recht auf Schadensersatz […] für jede natürliche oder juristische Person – Verbraucher, Unternehmen wie Behörden – anerkannt […], ohne Rücksicht darauf, ob eine unmittelbare vertragliche Beziehung zu dem zuwiderhandelnden Unternehmen besteht“.
Nach Art. 12 Abs. 1 RL 2014/104 gewährleisten die Mitgliedstaaten, „dass gemäß den Vorschriften dieses Kapitels jeder Geschädigte unabhängig davon, ob er unmittelbarer oder mittelbarer Abnehmer ist, Schadensersatz verlangen kann“. Die Klageberechtigung mittelbarer Abnehmer wird durch die Richtlinie sogar noch deutlich gestärkt. Sie tragen zwar die Beweislast für die für sie günstige Schadensabwälzung auf ihre Marktstufe (Art. 14 Abs. 1 RL 2014/ 104), können allerdings unter verhältnismäßig geringen Anforderungen einen Anscheinsbeweis121 der Schadensabwälzung auf ihre Marktstufe erbringen Für einen solchen Schluss die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 30.1.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:45 Rn. 38 – Kone; Beth/Pinter WuW 2013, 228, 233: „Preisschirmklägern sollte die gleiche Anspruchsberechtigung bei gleicher Darlegungslast für den Schaden gewährt werden, wie es für indirekte Abnehmer der Kartellanten bei Überwälzung kartellbedingter Preisüberhöhungen gilt“; Lettl WuW 2014, 1032, 1041 f.; Pohlmann LMK 2014, 361983: „Der hierfür gebildete Obersatz für die Zurechnung lässt sich unschwer auf andere Situationen übertragen, so etwa auf die indirekten Abnehmer“; ablehnend Pauer WuW 2015, 14, 18 f.: „Während im Fall indirekter Abnehmer das überhöhte Preisniveau in einer Lieferkette meist nur weitergegeben wird, wird die Preisanpassung des Wettbewerbers für seine eigenen Produkte […] nicht nur vom Bestehen des Kartells beeinflusst.“ 120 Lettl WRP 2015, 537, 540 f., der aus Kone für den Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß gegen das Kartellverbot und dem Schaden eines Abnehmers auf einer weiteren Stufe fordert, „dass (1) der Verstoß gegen das Kartellverbot die Abwälzung überhöhter Preise auf weitere Stufen der Lieferkette zur Folge haben kann und (2) dies den Kartellanten nicht verborgen bleiben konnte.“ M. E. ist dieser Kausalzusammenhang nun durch Art. 14 RL 2014/104 geregelt. 121 Erwägungsgrund 41 Satz 4 RL 2014/104. Der Anscheinsbeweis der Abwälzung auf den mittelbaren Abnehmer setzt nach Art. 14 Abs. 2 Satz 1 RL 2014/104 lediglich voraus, dass „a) der Beklagte eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht begangen hat“ (insofern greift bei follow-on Klagen die Tatbestandswirkung der Behördenentscheidung, Art. 9 Abs. 1 RL 2014/104), „b) die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht einen Preisaufschlag für den unmittelbaren Abnehmer des Beklagten zur Folge hatte“ (insofern dürfte bei Kartellen bereits die Schadensvermutung nach Art. 17 Abs. 2 Satz 1 RL 2014/ 119
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mit der Folge, dass im Ergebnis der Kartellbeteiligte auch im Verhältnis zu den mittelbaren Abnehmern die „Glaubhaftmachungslast“ für die Nichtabwälzung trägt (vgl. Art. 14 Abs. 2 Satz 2 RL 2014/104) und es insbesondere bei Nichterweislichkeit der Preisabwälzung zu widerstreitenden (Art. 13 Satz 2 gegenüber Art. 14 Abs. 2 Satz 1 RL 2014/104) – für den Kartellbeteiligten jeweils ungünstigen – Abwälzungsvermutungen kommen kann. Die Richtlinie nimmt also durch die widerstreitenden Vermutungen in Kauf, dass ein Risiko der Mehrfachkompensation entsteht, und sucht dieses lediglich durch die allgemeine Verpflichtung der Mitgliedstaaten auf geeignete Verfahrensvorschriften zur Vermeidung einer Überkompensation (Art. 12 Abs. 2, Art. 15 RL 2014/104) zu bewältigen. c) Abnehmer von Kartellaußenseitern Im Rahmen der Aktivlegitimation der Abnehmer ist schließlich zu erörtern, ob auch die Abnehmer von Kartellaußenseitern anspruchsberechtigt sind. Dazu hatte der Gerichtshof in der Rechtssache Kone zu entscheiden, „ob Art. 101 AEUV einer Auslegung und Anwendung des Rechts eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach es aus Rechtsgründen kategorisch ausgeschlossen ist, dass die an einem Kartell beteiligten Unternehmen zivilrechtlich für Schäden haften, die daraus resultieren, dass ein an diesem Kartell nicht beteiligtes Unternehmen in Anbetracht der Machenschaften des Kartells seine Preise höher festgesetzt hat, als es dies ohne das Kartell getan hätte“ (sogenanntes umbrella pricing).122
Hintergrund war eine Regelung des österreichischen Rechts, der zufolge „der Kausalzusammenhang zwischen dem entstandenen Schaden und dem betreffenden Kartell in Ermangelung einer vertraglichen Beziehung zu einem Kartellbeteiligten durch die eigenständige Entscheidung des Unternehmens, das nicht am Kartell beteiligt ist, aber aufgrund des Kartells einen höheren Preis 104 greifen) und „c) der mittelbare Abnehmer Waren oder Dienstleistungen erworben hat, die Gegenstand der Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht waren oder Waren oder Dienstleistungen erworben hat, die aus solchen hervorgingen oder sie enthielten“ (dies dürfte sich leicht durch Vorlage von Einkaufsbelegen nachweisen lassen). Umstritten ist, ob der Anscheinsbeweis der Abwälzung nach Art. 14 Abs. 2 RL 2014/104 nur auf das Ob oder auch auf das Wie der Abwälzung zu beziehen ist, für eine Vermutung eines Kostenschadens in gleicher Höhe wie beim Erstabnehmer Franck Marktordnung durch Haftung (2016) S. 608 f. 122 EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 19 – Kone; zur Definition des Preisschirmeffekts auch die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 30.1.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:45 Rn. 2 – Kone; Coppik/Haucap WuW 2016, 50, 51. Vor Kone für eine Anspruchsberechtigung der Abnehmer von Kartellaußenseitern Logemann Der kartellrechtliche Schadensersatz (2009) S. 238 f.; (mit ökonomischer Argumentation) Beth/Pinter WuW 2013, 228, 232 f.; a. A. Bulst Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht (2006) S. 255; Fuchs in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 55, 64 Fn. 39.
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festgesetzt hat (‚umbrella pricing‘), unterbrochen wurde“.123 Der österreichische OGH hatte in seinem Vorlagebeschluss zum EuGH demgemäß sowohl die adäquate Kausalität wie den Rechtswidrigkeitszusammenhang verneint, weil „der Schaden durch Umbrella-Pricing […] nur infolge einer Seitenwirkung wegen der selbständigen, aus eigenen unternehmerischen Erwägungen des Kartellaußenseiters motivierten Entscheidung ein[tritt]“, so dass er „als mittelbarer Schaden nicht zu ersetzen“ ist.124 Nach einführenden Hinweisen auf die unmittelbare Wirkung des Art. 101 AEUV, die Jedermann-Formel nach Courage und die durch den Effektivitätsgrundsatz begrenzte Ausgestaltungsbefugnis der Mitgliedstaaten im Hinblick auf den ursächlichen Zusammenhang zwischen Wettbewerbsverstoß und Schaden125 stellte der EuGH zunächst fest, dass nach den Einlassungen der Verfahrensbeteiligten „eine Erscheinung wie das ‚umbrella pricing‘ unter bestimmten Umständen als mögliche Folge eines Kartells anerkannt sei“.126 Auch wenn der Kartellaußenseiter seine Entscheidung über die Festsetzung eines Angebotspreises völlig autonom treffe, so konnte er sie unter Bezugnahme auf einen Marktpreis treffen, der durch das Kartell wettbewerbswidrig verfälscht war.127 Deshalb gehöre „die Schädigung des Kunden eines nicht an einem Kartell beteiligten, aber von den wirtschaftlichen Bedingungen des ‚umbrella pricing‘ profitierenden Unternehmens durch einen Angebotspreis, der höher ist, als er es ohne dieses Kartell gewesen wäre, zu den möglichen Folgen des Kartells, die den Kartellbeteiligten nicht verborgen bleiben können“.128
Vor diesem Hintergrund wäre die volle Wirksamkeit des Art. 101 AEUV „in Frage gestellt, wenn das jedem zustehende Recht, Ersatz des ihm entstandenen Schadens zu verlangen, nach dem nationalen Recht kategorisch und unabhängig von den speziellen Umständen des konkreten Falles vom Vorliegen eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs abhängig gemacht würde und aufgrund der Tatsache ausgeschlossen wäre, dass der Betroffene vertragliche Beziehungen nicht zu einem Kartellbeteiligten, sondern zu einem Kartellaußenseiter hatte, auch wenn dessen Preispolitik eine Folge des Kartells ist, das zu einer Verfälschung der auf wettbewerbsorientierten Märkten herrschenden Preisgestaltungsprozesse beigetragen hat“.129 EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 31 – Kone. OGH 17.10.2012, 7 Ob 48/12b, WuW 2013, 453. 125 EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 20–26, 32 – Kone. 126 EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 28 – Kone. 127 EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 29 – Kone. 128 EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 30 – Kone; kritisch unter Hinweis auf das Risiko systematischer Überabschreckung Franck ECL 11 (2015) 134, 139 ff., der selbst einer ambivalenten Beurteilung (148, 165 f.) zuneigt. 129 EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 33 – Kone; kritisch unter Hinweis auf die Verletzung des institutionellen Gleichgewichts zwischen Gerichtshof und Gesetzgeber (weil mit der Vorgabe der Ersatzfähigkeit qua primärrechtlichem Effektivitätsgebot der Regelungsspielraum des Unionsgesetzgebers verkürzt werde) Franck ECL 11 123 124
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Im Ergebnis könne ein durch das „umbrella pricing“ Geschädigter auch ohne eigene vertragliche Beziehung von den Kartellmitgliedern Ersatz des ihm durch das Kartell entstandenen Schadens verlangen, „wenn erwiesen ist, dass dieses Kartell nach den Umständen des konkreten Falles und insbesondere den Besonderheiten des betreffenden Marktes ein ‚umbrella pricing‘ durch eigenständig handelnde Dritte zur Folge haben konnte, und wenn diese Umstände und Besonderheiten den Kartellbeteiligten nicht verborgen bleiben konnten“.130
Dagegen spreche auch nicht, dass dem Schaden des Kartellaußenseiterabnehmers keine Bereicherung der Kartellteilnehmer gegenüberstehe, weil „die Regeln über die außervertragliche Haftung die Höhe eines ersatzfähigen Schadens nicht von dem Gewinn abhängig machen, den der Schadensverursacher erzielt hat“.131 Die Grundsatzentscheidung für die Ersatzfähigkeit der Schäden der Abnehmer von Kartellaußenseitern wird nun auch durch Art. 11 Abs. 6 RL 2014/104 bestätigt, der für solche Schäden132 eine relative Verantwortung des Kronzeugen vorsieht. Aus der Rechtssache Kone lässt sich zunächst folgern, dass der Gerichtshof einem generellen Ausschluss der Ansprüche von Kartellgeschädigten skeptisch gegenübersteht. Vielmehr verlangt er eine einzelfallbezogene Kausalitätsprüfung „nach den Umständen des konkreten Falles und insbesondere den Besonderheiten des betreffenden Marktes“.133 Dabei kann die Mitursächlichkeit für die Feststellung der Kausalität ausreichen, so dass weder die eigene unternehmerische Entscheidung eines Kartellaußenseiters noch die eigene Entscheidung des Abnehmers den Kausalzusammenhang zwangsläufig unterbrechen.134 Bemerkenswert ist außerdem, dass der Gerichtshof bei der (2015) 134, 159: „ECJ has overstretched the principle of effectiveness“; ebenso Franck Marktordnung durch Haftung (2016) S. 626 f. 130 EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 34 – Kone. 131 EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 35 – Kone. Auch den weiteren Einwand, dass durch diese Schadensersatzhaftung die Bereitschaft zur Unterstützung der kartellbehördlichen Ermittlungen sinke, was wiederum dem Effektivitätsgrundsatz widerspreche, wies der EuGH unter Hinweis auf die fehlende Gesetzeskraft der Kronzeugenmitteilung zurück, die dem Einzelnen nicht das Recht auf Schadensersatz nehmen könne, EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 36 – Kone. Siehe auch die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 30.1.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU: C:2014:45 Rn. 78 – Kone: „Es geht beim Schadensersatz nicht in erster Linie darum, dem Schädiger zu nehmen, was er zu viel hat, sondern darum, dem Geschädigten Genugtuung für das zuzusprechen, was er aufgrund des rechtswidrigen Verhaltens des Schädigers an Nachteil erlitten hat.“ 132 Art. 11 Abs. 6 RL 2014/104: „soweit durch die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht anderen Geschädigten als den unmittelbaren oder mittelbaren Abnehmern oder Lieferanten der Rechtsverletzer ein Schaden entstanden ist“. 133 EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 34 – Kone. 134 Zur eigenen Entscheidung des Kartellaußenseiters EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 29 – Kone; Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom
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Überprüfung der nationalen Kausalitätsvorschriften anhand des Effektivitätsvorbehalts auch die Ziele der Haftungsnorm berücksichtigt.135 Die konkreten Vorgaben des Effektivitätsgrundsatzes an die Kausalitätsprüfung entfaltet der Gerichtshof sodann in zwei Schritten: Es muss erstens erwiesen sein, „dass dieses Kartell nach den Umständen des konkreten Falles und insbesondere den Besonderheiten des betreffenden Marktes ein ‚umbrella pricing‘ durch eigenständig handelnde Dritte zur Folge haben konnte“, und zweitens muss feststehen, dass „diese Umstände und Besonderheiten den Kartellbeteiligten nicht verborgen bleiben konnten“.136 Im Hinblick auf die erstgenannte Voraussetzung („zur Folge haben konnte“) stellt sich zunächst die Frage, ob bereits die generell-abstrakte Möglichkeit eines Preisschirmeffekts bei Kartellen genügt137 oder – was angesichts der Hervorhebung der
30.1.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:45 Rn. 36, 39 – Kone; erstreckend auf die eigene Entscheidung des Abnehmers Lettl WuW 2014, 1032, 1037. Zu einer Unterbrechung des Kausalverlaufs dürfte es allerdings kommen, wenn die verbliebenen Restwettbewerber im Schatten des Kartells ihren Restwettbewerb kartellrechtswidrig einschränken, Coppik/Haucap WuW 2016, 50, 55. 135 EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 32 – Kone: „Sie [die nationalen Gerichte im Rahmen der Kausalitätsprüfung nach nationalem Recht] müssen daher speziell das mit Art. 101 AEUV verfolgte Ziel berücksichtigen, das darin besteht, die Aufrechterhaltung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs im Binnenmarkt zu gewährleisten und damit Preise, die unter den Bedingungen eines freien Wettbewerbs festgesetzt werden.“ 136 EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 34 – Kone. Dunne CMLR 51 (2014) 1813, 1822 und Lettl WuW 2014, 1032, 1038 sehen darin eine objektive (Preisschirmeffekte möglich) und eine subjektive (nicht verborgen bleiben konnten) Voraussetzung. Präzisierend Pohlmann LMK 2014, 361983: „Genauer wird man verlangen müssen, dass der Verstoß ‚umbrella pricing‘ zur Folge hatte und dies erkennbar war.“ Die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 30.1.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C: 2014:45 Rn. 41 ff., 53 ff. – Kone unterscheiden zwischen der „Vorhersehbarkeit der auf Preisschirmeffekten beruhenden Schäden“ (die die Schlussanträge mit der adäquaten Kausalität gleichsetzen, Rn. 41) und der „Vereinbarkeit des Ersatzes von auf Preisschirmeffekten beruhenden Schäden mit der Zielsetzung der verletzten Wettbewerbsregeln“ (Rechtswidrigkeitszusammenhang). Zu den Prüfungsschritten aus ökonomischer Sicht Coppik/ Haucap WuW 2016, 50, 56: (1) „Welche Konstellation lag im konkreten Fall vor, gab es einen Schirmeffekt des Kartells, welche Preiseffekte sind tatsächlich auf diesen zurückzuführen und wären nicht auch ohne die Kartellabrede aufgetreten?“, (2) „Waren diejenigen Effekte unter den konkret für die Preiserhöhung Dritter ursächlichen Gegebenheiten, die auf die Zuwiderhandlung zurückzuführen sind, dem Schädiger bekannt und musste er folglich mit deren Eintritt rechnen?“, (3) „Falls dem Schädiger die konkret ursächlichen Faktoren nicht bekannt waren, hätten sie ihm bei ordnungsgemäßer Ausübung seines Geschäftsbetriebs bekannt sein müssen?“ 137 Zur ökonomischen Theorie Beth/Pinter WuW 2013, 228, 229 ff.; Hartmann-Rüppel/ Schrader ZWeR 2014, 300, 312 ff.; Pauer WuW 2015, 14, 16 f.; zurückhaltend Coppik/ Haucap WuW 2016, 50, 55: „Das Auftreten von Preisschirmeffekten in Reaktion auf eine
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Umstände des konkreten Falles und der Besonderheiten des Marktes plausibler erscheint – ob im konkreten Fall die Möglichkeit eines Preisschirmeffekts dargelegt werden muss.138 Diese Darlegungslast scheint der Gerichtshof allerdings durch gewisse Verallgemeinerungen erleichtern zu wollen.139 So genügt es offenbar für die Darlegung eines Preisschirmeffekts, wenn das Kartell den Marktpreis künstlich hoch hält140 und gleichzeitig „bestimmte Marktbedingungen, insbesondere hinsichtlich der Art des Produkts oder der Größe des von diesem Kartell erfassten Marktes“ erfüllt sind.141 Dabei sind Preisschirmeffekte umso wahrscheinlicher, „je homogener und transparenter der sachlich relevante Markt142“ und je größer der Marktanteil der kartellbeKartellpreiserhöhung mag intuitiv erscheinen, ist jedoch – wie aufgezeigt – keine ausnahmslose ökonomische Gesetzmäßigkeit.“ 138 Ähnlich Pauer WuW 2015, 14, 23: „Entscheidung, ob im konkreten Fall Schadensersatz zu gewähren ist, [wird] nicht ohne wirtschaftliche Fachgutachten erfolgen können“; Coppik/Haucap WuW 2016, 50, 55: „ein Preisschirmeffekt [ist] nicht regelmäßige oder zwangsläufige Folge eines Kartellpreises“. 139 EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 34 – Kone. Lettl WuW 2014, 1032, 1038: „Beweiserleichterung für den Geschädigten“ (zu weit ist m. E. die Bezeichnung als „abstraktes Gefährdungsdelikt“, weil es immerhin der Darlegung bedarf); Zöttl EuZW 2014, 588, 589: „könnten die Zivilgerichte Rn. 34 […] und insbesondere Rn. 30 im Sinne von Beweiserleichterungen weiterentwickeln wollen“; für Anwendung der allgemeinen Beweislastregeln Stöber EuZW 2014, 257, 261. Skeptischer Pauer WuW 2015, 14, 22: „Gerichten werden jedoch keine Kriterien an die Hand gegeben, wann eine derartige Unmittelbarkeit gegeben sein kann.“ Für eine (widerlegbare) Vermutung der Kausalität auf einem Markt mit homogenen Produkten vor Kone bereits Fuchs FS Bornkamm (2014) 159, 169 f. 140 Hier mag man erwägen, künftig die Vermutung des Art. 17 Abs. 2 Satz 1 RL 2014/ 104 heranzuziehen, die sich allerdings auf das Vorliegen eines Schadens bei Kartellen generell, nicht auf die konkrete Preiserhöhung bezieht. 141 EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 29 – Kone. 142 Zu diesem Kriterium die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 30.1.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:45 Rn. 48 – Kone (die es allerdings unter dem Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit diskutiert und es nicht als zwingend ansieht); zur hohen Homogenität der Marktleistungen auch Beth/Pinter WuW 2013, 228, 232; Hartmann-Rüppel/ Schrader ZWeR 2014, 300, 314 (Homogenität der Güter keine Grundvoraussetzung, Substituierbarkeit kann ausreichen); Pauer WuW 2015, 14, 17; ferner Coppik/Haucap WuW 2016, 50, 51: „Grad der Substituierbarkeit und Produktdifferenzierung“ als relevante Faktoren, allerdings begrenze zugleich ein hoher Grad an Substituierbarkeit bei einem verbleibenden wettbewerblichen Rand „die Möglichkeit für ein Kartell, seinen Preis profitabel über das Wettbewerbspreisniveau anzuheben. Bei homogenen Gütern und effektivem Restwettbewerb wäre daher auch ein Preisschirmeffekt eher unwahrscheinlich“ (52). Coppik/Haucap WuW 2016, 50, 51 f. weisen ferner darauf hin, dass eine „Wechselwirkung auch zwischen Produkten unterschiedlicher Märkte gegeben sein kann“ (51 f.), allerdings ergebe sich „[a]us der Marktabgrenzung nach dem Bedarfsmarktkonzept […], dass eine Substituierbarkeit innerhalb eines definierten Marktes höher sein muss als zwischen Gütern, die nicht demselben Markt zugerechnet werden“. Gegen eine Begrenzung der Preis-
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teiligten Unternehmen bzw. je geringer der Marktanteil der Kartellaußenseiter und der Restwettbewerb ist.143 Als weitere Faktoren lassen sich die Unelastizität des Angebots der Kartellaußenseiter,144 die materiellen und immateriellen Wechselkosten für die Nachfrager,145 die Charakteristika des betroffenen Marktes (Preis- oder Mengenwettbewerb)146, die Anzahl der Produzenten und die Intensität des Wettbewerbs zwischen ihnen sowie der „Standort“ des Kartells in der Produktionskette ergänzen.147 Ist die erste Voraussetzung der Wettbewerbspreisüberhöhung und der für Preisschirmeffekte geeigneten Marktstrukturen gegeben, so dürfte der normative Vorhersehbarkeitsmaßstab148 („nicht verborgen bleiben konnten“) nur selten als Begrenzungsfaktor bedeutsam sein, da sowohl die Preisüberhöhung wie die Marktstrukturen den Kartellbeteiligten in aller Regel bekannt waren.149 Angesichts der normativen schirmeffekte auf den vom Wettbewerbsverstoß betroffenen Bedarfsmarkt auch Fuchs FS Bornkamm (2014) 159, 171 f.; Franck ECJ 11 (2015) 135, 161 f. 143 Zu diesem Kriterium die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 30.1.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:45 Rn. 47 – Kone (die es allerdings unter dem Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit diskutiert); zur Bedeutung des verbliebenen Restwettbewerbs auch Coppik/Haucap WuW 2016, 50, 52. 144 Beth/Pinter WuW 2013, 228, 232: „Gerade bei unelastischem Angebot der Kartellaußenseiter und hoher Homogenität der Marktleistungen können sich die Außenseiter kaum preislich unabhängig gegenüber dem Kartell verhalten.“ 145 Zu Wechselkosten Coppik/Haucap WuW 2016, 50, 52. 146 Sog. Bertrand-Wettbewerb im Unterschied zum Cournot-Wettbewerb, Coppik/ Haucap WuW 2016, 50, 53. 147 Pauer WuW 2015, 14, 17. 148 Lettl WuW 2014, 1032, 1039; Dunne CMLR 51 (2014) 1813, 1826: „standard appears to link liability more closely to the actual knowledge of defendants and/or what might reasonably be anticipated in the market context“, „qualitative notions of culpability“. Siehe auch die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 30.1.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:45 Rn. 74 – Kone: „Die Feststellung der Kausalität eines Kartells für bestimmte Arten von Schäden, die den Marktteilnehmern entstanden sein mögen, beruht auf rein objektiven Kriterien. In subjektiver Hinsicht mag zwar die zivilrechtliche Haftung davon abhängen, dass die Kartellbeteiligten vorsätzlich oder fahrlässig gegen die Wettbewerbsregeln der Verträge verstoßen haben. Es kommt aber nicht darauf an, ob die Kartellbeteiligten darüber hinaus auch die konkret eingetretenen Schäden vorsätzlich oder fahrlässig verursacht haben. Ein solches Verschuldenserfordernis wäre mit den allgemeinen Grundsätzen des Zivilrechts nicht vereinbar und würde die praktische Durchsetzung der Wettbewerbsregeln übermäßig erschweren.“ Franck ECJ 11 (2015) 135, 163 f. sieht hier eine Parallele zum common law-Konzept der reasonable foreseeability. 149 Ebenso Franck ECJ 11 (2015) 135, 163: „it seems difficult to imagine a situation in which a cartel member will be able to demonstrate and convince a court that it could not have foreseen the mere possibility of loss resulting from umbrella pricing“. Einschränkend Coppik/Haucap WuW 2016, 50, 56, die darauf verweisen, dass die Kostenverläufe der Wettbewerber und etwaige für den Schirmeffekt relevante verhaltensökonomische Faktoren i. d. R. nicht zugänglich sind und dass es „[h]insichtlich der Reichweite möglicher Informationsbeschaffungspflichten […] auch darum [gehe], welches Ausmaß an Beschaffungsaufwand von
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Begrenzung des Vorhersehbarkeitskriteriums dürfte sich dieses jedenfalls in den Ergebnissen kaum vom Adäquanzfilter unterscheiden.150 Zusammenfassend lässt sich aus der Rechtssache Kone folgern, dass der Gerichtshof pauschalen Kausalitätsbegrenzungen skeptisch gegenübersteht, dass auch die Mitursächlichkeit für die Schadensentstehung genügen kann und dass es der Effektivitätsvorbehalt den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen gestattet, neben der conditio sine qua non-Formel weitere Begrenzungen der Kausalität vorzusehen.151 Diese Kausalitätsbegrenzungen dürfen allerdings nicht die Haftung für Schäden ausschließen, die das schadensstiftende Verhalten nach den Umständen des konkreten Falles zur Folge haben konnte, wenn diese Umstände dem Schädiger nicht verborgen bleiben konnten, was man als normatives Vorhersehbarkeitserfordernis oder als Adäquanz verstehen kann. Schließlich zeichnet sich in Kone ab, dass der Schutzzweck der verletzten Norm Einfluss auf die Reichweite der als kausal zurechenbaren Schäden haben kann. 3. Wettbewerber Als dritte Gruppe sind schließlich auch Wettbewerber anspruchsberechtigt, denen durch die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung ein Schaden entstanden ist,152 denn auch Wettbewerber fallen unter die weite Jedermanndem potenziellen Schädiger verlangt werden soll“, was diffizile Fragen aufwerfe. In der Praxis dürfte sich dieses Problem häufig dadurch lösen lassen, dass nicht zugängliche Informationen prozessual schlicht nicht festgestellt werden können, so dass dadurch weder positiv ein Preisschirmeffekt begründet noch negativ dargetan werden kann, weshalb trotz anderer Anhaltspunkte für einen Schirmeffekt ein solcher dennoch nicht besteht. 150 Gleichsetzend die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 30.1.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:45 Rn. 41 – Kone; für Umsetzung der Kone-Entscheidung im Rahmen der Adäquanz auch Franck ECJ 11 (2015) 135, 165: „Similarly to the ‘reasonable foreseeability’ concept, the criterion of adequacy is based on an assessment of likelihood. […] Thus, the exceptional non-eligibility of umbrella pricing losses for compensation must be implemented in accordance with and in the light of the judgment in Kone by construing the criterion of adequate causation accordingly.“ Ebenso Zetzsche WuW 2016, 65, 68: Dem Kone-Urteil „ist eine Anerkennung der (natürlichen) Kausalität (conditio sine qua, Äquivalenzformel) und der Vorhersehbarkeit (i. e. die Adäquanzformel) zu entnehmen“; Franck Marktordnung durch Haftung (2016) S. 630. 151 Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 30.1.2014, Rs. C-557/12, ECLI: EU:C:2014:45 Rn. 33 – Kone: „Andererseits ist es durchaus legitim, bei der Kausalitätsprüfung Kriterien anzulegen, die sicherstellen, dass es zu keiner uferlosen Schadensersatzpflicht der Kartellbeteiligten für alle möglichen, noch so entfernten Schäden kommt, für die ihr wettbewerbswidriges Verhalten die Ursache im Sinne einer ‚conditio sine qua non‘ (auch äquivalente Kausalität oder But-for-Kausalität genannt) gewesen sein mag.“ 152 Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Mischo vom 22.3.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 38 – Courage: „Die Einzelnen, die diesen Schutz erhalten können, sind natürlich in erster Linie Dritte, d. h. die Verbraucher und die Wettbewerber, die durch das
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Formel, zumal Art. 101 AEUV die „unmittelbaren Interessen einzelner Wettbewerber“ schützt.153 Zudem wäre kaum erklärlich, weshalb die Mitbewerber zur Durchsetzung des Lauterkeitsrechts im Interesse der Lauterkeit des Wettbewerbs explizit klageberechtigt sind (Art. 11 Abs. 1 RL 2005/29, Art. 5 Abs. 1 RL 2006/114),154 ihnen aber eine entsprechende Befugnis im Kartellrecht verwehrt wird. Dabei sind nicht sämtliche Einbußen infolge einer Kartellabsprache ersatzfähig, sondern nur solche, die spezifisch aus der Beschränkung des Wettbewerbs folgen (etwa Schäden aufgrund von Vergeltungsmaßnahmen bei verweigerter Kartellteilnahme,155 nicht aber Rationalisierungsgewinne der Kartellbeteiligten156). In Anlehnung an Art. 1 Abs. 1 lit. c der Vertikalgruppenfreistellungsverordnung 330/2010157 sind zu den klageberechtigten Wettbewerbern sowohl tatsächliche wie potentielle Wettbewerber zu zählen, denn die Wettbewerbsvorschriften sollen die Märkte gerade auch für neu eintretende Akteure offen halten. 4. Investoren und Arbeitnehmer der Kartellgeschädigten Nicht mehr anspruchsberechtigt dürften demgegenüber die Investoren und Arbeitnehmer geschädigter Unternehmen sein. Entscheidend ist hier erneut der Schutzzweck der Wettbewerbsvorschriften, der sich auf „die unmittelbaren Interessen einzelner Wettbewerber oder Verbraucher“ und auf „die Struk-
verbotene Kartell geschädigt werden“; Bulst ZEuP 2008, 178, 187; Bornkamm in: Langen/ Bunte Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht I12 (2014) § 33 Rn. 33. 153 Alexander Schadensersatz und Abschöpfung im Lauterkeits- und Kartellrecht (2010) S. 360: „Ebenso wie im Lauterkeitsrecht ist die Mitbewerbereigenschaft auf Sanktionsebene vorgegeben.“ Vgl. auch EuGH 28.2.1991, Rs. C-234/89, Slg. 1991, I-935 Rn. 21, 27 – Delimitis zur Abschottungswirkung von Exklusivbezugsvereinbarungen für neue Mitbewerber. 154 Siehe zum lauterkeitsrechtlichen Irreführungsschutz bei Durchsetzung von EU-Verordnungen auch EuGH 17.9.2002, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 24, 30, 32 – Muñoz. 155 Weyer in: Frankfurter Kommentar II (2009) Art. 81 EG Zivilrechtsfolgen Rn. 162: Zuerkennung von Schadensersatz bei Nachteilen wegen verweigerter Kartellteilnahme unionsrechtlich geboten. 156 W.-H. Roth in: Frankfurter Kommentar V (2001) § 33 GWB 1999 Rn. 47. 157 Zum Begriff des Wettbewerbers Art. 1 Abs. 1 lit. c VO 330/2010: „‚Wettbewerber‘ ist ein tatsächlicher oder potenzieller Wettbewerber; ein ‚tatsächlicher Wettbewerber‘ ist ein Unternehmen, das auf demselben relevanten Markt tätig ist; ein ‚potenzieller Wettbewerber‘ ist ein Unternehmen, bei dem realistisch und nicht nur hypothetisch davon ausgegangen werden kann, dass es ohne die vertikale Vereinbarung als Reaktion auf einen geringen, aber anhaltenden Anstieg der relativen Preise wahrscheinlich innerhalb kurzer Zeit die zusätzlichen Investitionen tätigen oder sonstigen Umstellungskosten auf sich nehmen würde, die erforderlich wären, um in den relevanten Markt einzutreten.“
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tur des Marktes und damit den Wettbewerb als solchen“ erstreckt.158 Die Aktionäre oder Arbeitnehmer geschädigter Unternehmen sind aber weder Wettbewerber noch Verbraucher auf den kartellierten Märkten oder auf Märkten, auf die die Wettbewerbsbeschränkung Einfluss hat. Vielmehr rührt ihr Schaden daher, dass sie in ein Unternehmen investiert haben159 oder bei einem Unternehmen beschäftigt sind, das als Wettbewerber oder Verbraucher von dem Kartell betroffen ist. In diesem Fall entsteht ein aus Sicht der Wettbewerbsnormen ersatzfähiger Schaden nur bei dem Unternehmen, das durch die Wettbewerbsregeln geschützt wird und daher selbst einen Schadensersatzanspruch geltend machen kann, nicht aber bei den Investoren oder Arbeitnehmern des kartellgeschädigten Unternehmens. Zwar mag es aus gesellschaftsrechtlicher Perspektive diskutabel sein, neben dem Schaden des Unternehmens einen eigenständigen Schaden der Investoren zu bejahen, der sich nicht in der Wertminderung der Gesellschaft als Unternehmensträger erschöpft.160 Aus Sicht des Kartelldeliktsrechts sind deren wettbewerbsrechtliche Ansprüche aber aufgrund des Schutzzwecks der Wettbewerbsvorschriften ausgeschlossen.161 158 EuGH 6.10.2009, Rs. C-501/06 P, C-513/06 P, C-515/06 P und C-519/06 P, Slg. 2009, I-9291 Rn. 63 – GlaxoSmithKline; zu Art. 102 AEUV EuGH 17.2.2011, Rs. C-52/ 09, Slg. 2011, I-527 Rn. 24 – TeliaSonera; zum Schutz auch der Verbraucher bereits EuGH 11.12.1973, Rs. 41/73 u. a., Slg. 1973, 1465 Rn. 7 – Générale Sucrière; konkret zu Schadensersatzansprüchen indirekter Abnehmer BGH 28.6.2011, KZR 75/10, NJW 2012, 928 Rn. 24 – ORWI: „Denn bereits die Auslegung des Schutzgesetzkriteriums in § 823 Abs. 2 BGB führt dazu, dass indirekte Abnehmer zu dem durch Art. 101 AEUV geschützten Personenkreis gehören und auch für sie ein Schadensersatzanspruch vom Normgeber gewollt ist“ [allerdings ohne die Feststellung, ob das Unionsrecht „zwingend dieses Ergebnis verlangt“, was angesichts der Akzessorietät des Schutzzwecks des § 823 Abs. 2 BGB zum Schutzzweck des Schutzgesetzes, hier Art. 101 AEUV (zur Bestimmung des Schutzzwecks anhand des Schutzgesetzes Sprau in: Palandt BGB75 (2016) § 823 Rn. 58) überrascht, kritisch auch Ackermann/Franck GRUR 2012, 298 f.: „kühn“, „methodisch zu beanstanden“]. Anderer Ansicht (indirekte Abnehmer seien nicht in den Schutzbereich des Art. 101 AEUV einbezogen) R. Koch JZ 2013, 390, 396 f. 159 Denkbar erscheint ein Verwässerungsschaden, also ein Schaden durch Reduzierung des relativen Aktienanteils, sowie ein Unterbewertungsschaden durch Veräußerung unter Wert vor Aufdeckung des Wettbewerbsverstoßes, dazu Zetzsche WuW 2016, 65, 66. 160 Dazu Zetzsche WuW 2016, 65, 67, der u. a. auf § 246a Abs. 4 AktG verweist. 161 Für einen Anspruchsausschluss unter Verweis auf den Schutzzweck Eilmansberger ecolex 2002, 28, 30, der außerdem noch die Beeinträchtigung der Marktstellung eines Unternehmens aufgrund der finanziellen Potenz seiner Mitbewerber, die sich aus deren Gewinnen aus kartellrechtswidrigem Verhalten ergibt, als nicht mehr vom Schutzzweck der Art. 101, 102 AEUV erfasst ansieht. Bulst Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht (2006) S. 261 weist darauf hin, dass sich der Anspruchsausschluss von Arbeitnehmern und Anlegern auch durch das Kriterium der unmittelbaren Kausalität erreichen ließe. Nach Emmerich in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.) Wettbewerbsrecht II/15 (2014) § 33 GWB Rn. 14 sind Arbeitnehmer und Gesellschafter keine Akteure oder Teilnehmer am Markt.
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5. Verbände und qualifizierte Einrichtungen Das geltende Recht der Union sieht keine Regelung vor, die es Verbänden oder qualifizierten Einrichtungen gestatten würde, Schadensersatzansprüche wegen Kartellverstößen geltend zu machen.162 IV. Verschulden IV. Verschulden
Eine weitere strittige Frage des Kartelldeliktsrechts ist die Zulässigkeit des Verschuldens als haftungsbegrenzende Tatbestandsvoraussetzung, ob also auch die Schuldhaftigkeit des Wettbewerbsverstoßes Voraussetzung für die Haftung ist.163 Die Auseinandersetzung lässt sich im Wesentlichen auf zwei Punkte fokussieren. Zum einen gehen manche Autoren davon aus, dass die Courage-Haftung nicht nur unionsrechtliche Mindestanforderungen an die Ausgestaltung der Haftung für Kartelldelikte formuliert, sondern diese – ebenso wie die Francovich-Judikatur zur Staatshaftung164 – im Hinblick auf die Haftungsvoraussetzungen abschließend und damit verschuldensunabhänOffenlassend W.-H. Roth in: Karlsruher Forum 2015: Europäisierung des Haftungs- und des Versicherungsvertragsrechts (2016) 123, 125: „‚Jedermann‘, heißt das auch der Aktionär, dessen Aktien an Wert verloren haben, weil die Aktiengesellschaft als Kartellgeschädigte Gewinneinbußen erlitten hat?“ Gegen die Anspruchsberechtigung von Investoren nunmehr auch OLG Düsseldorf 2.7.2014, VI-U (Kart) 22/13 Rn. 51 (juris): „Dass der Gesetzgeber nicht nur das durch den Kartellverstoß betroffene Unternehmen, sondern zugleich auch die Gesellschafter einer selbständigen juristischen Person als Investoren des am Markt tätigen Unternehmen in den Schutzbereich der genannten Vorschriften einbeziehen wollte, weil - so der Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung - es ohne die Investoren auch nicht das Unternehmen als ‚Investitionsvehikel‘ gebe, überzeugt nach alledem nicht. Dieses Verständnis findet weder im Wortlaut der Norm, noch nach ihrem Sinn und Zweck oder in der Rechtsprechung des EuGH irgendeinen Anhaltspunkt.“ Für einen Anspruch der Investoren aber Zetzsche WuW 2016, 65, 68, der den Schutzzweck des Marktmissbrauchsverbots auch auf die Finanzierungsbereitschaft der Aktionäre des Wettbewerbs erstreckt und auch die weiteren Haftungskriterien wie die Kausalität (69) bejaht. 162 Siehe aber Art. 4 Abs. 2 und Art. 6 des unveröffentlichten Proposal for a Council Directive on rules governing actions for damages for infringements of Articles 81 and 82 of the Treaty: „Member States shall ensure that qualified entities within the meaning of Article 7 can effectively bring representative actions pursuant to Article 6 on behalf of injured parties.“ Rechtspolitisch befürwortend Lettl ZHR 167 (2003) 473, 492; Monopolkommission Das allgemeine Wettbewerbsrecht in der Siebten GWB-Novelle, Sondergutachten 41 (2004) Rn. 89 ff. 163 Mit Recht differenzieren Bulst Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht (2006) S. 265, 269 und W.-H. Roth in: Frankfurter Kommentar V (2001) § 33 GWB 1999 Rn. 120 zwischen der Schuldhaftigkeit des Wettbewerbsverstoßes und der Schuldhaftigkeit der Schadensverursachung und kommen zu dem Ergebnis, dass sich die Schuldhaftigkeit nur auf den Verstoß beziehen muss. 164 Dazu EuGH 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 78 ff. – Brasserie du Pêcheur; für die Haftung nach Art. 340 Abs. 2 AEUV im Ergebnis ebenso Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 153 ff.
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gig regelt.165 Selbst wenn man dieser Prämisse wegen der staatshaftungsspezifischen Ausprägung des „hinreichend qualifizierten Verstoßes“ nicht folgt (dazu oben § 4 I 2 → S. 151), so lässt sich die These der Unzulässigkeit des Verschuldens als Haftungsvoraussetzung ferner durch Verweis auf die fehlende Erwähnung des Verschuldens in der Jedermann-Formel untermauern.166 1. Analogie zum Antidiskriminierungsrecht und Vergaberecht? Als weiteres Argument für eine verschuldensunabhängige Haftung mag man auf die Entwicklung in anderen Teilmaterien des Unionsprivatrechts verweisen. In Dekker hatte der EuGH zu entscheiden, ob die Richtlinie 76/207 zur Gleichbehandlung der Geschlechter ausschließt, „dass einer mit der Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung begründete[n] Schadensersatzklage nur dann stattgegeben wird, wenn darüber hinaus nachgewiesen wird, daß sich der Arbeitgeber schuldhaft verhalten hat, und feststeht, daß er sich nicht auf einen Rechtfertigungsgrund berufen kann“.167
Der EuGH entschied, dass, „wenn sich ein Mitgliedstaat für eine Sanktion entscheidet, die sich in den Rahmen einer zivilrechtlichen Haftungsregelung einfügt, jeder Verstoß gegen das DiskriminierungsverSiehe insbesondere die Schlussanträge des Generalanwalts van Gerven vom 27.10.1993, Rs. C-128/92, Banks, Slg. 1994, I-1209 Rn. 46 ff., 50, 53: Vorliegen eines Schadens, […] Kausalzusammenhang zwischen dem der Gegenpartei zur Last gelegten Verhalten und dem geltend gemachten Schaden sowie die Rechtswidrigkeit des der Gegenpartei zur Last gelegten Verhaltens“; van Gerven in: Basedow (Hrsg.) Private Enforcement of EC Competition Law (2007) 19, 28: „As these Articles [Art. 101, 102 AEUV] contain relatively precise prohibitions which have been interpreted in numerous court decisions, unlawful conduct on the part of the undertaking concerned should suffice to find a breach, leaving little space for any criterion of culpability“; Commission Staff Working Paper accompanying the White Paper on Damages actions for breach of the EC antitrust rules SEC(2008) 404 Rn. 170: „This may suggest that the Court considers any infringement of Art. 81 and 82 EC to be in itself sufficiently serious“; für eine Parallele zur verschuldensunabhängigen Staatshaftung auch Commission Staff Working Paper – Annex to the Green Paper – Damages actions for breach of the EC antitrust rules SEC(2005) 1732 Rn. 106, 109. 166 Danach kann „jedermann Ersatz des ihm entstandenen Schadens verlangen, wenn zwischen dem Schaden und einem nach Art. 81 EG verbotenen Kartell oder Verhalten ein ursächlicher Zusammenhang besteht“, EuGH (Große Kammer) 6.11.2012, Rs. C-199/11, ECLI:EU:C:2012:684 Rn. 43 – Otis; EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 61 – Manfredi. Siehe auch das Weißbuch Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts KOM(2008) 165 S. 8: Haftung für vermutetes Verschulden, wobei eine Exkulpation nur bei einem „genuin entschuldbaren Irrtum“ möglich sein soll. Ein solcher Irrtum liege vor, „wenn eine vernünftige Person, die ein hohes Maß an Sorgfalt walten lässt, nicht hätte wissen können, dass ihr Verhalten den Wettbewerb beeinträchtigt.“ 167 EuGH 8.11.1990, Rs. C-177/88, Slg. 1990, I-3941 Rn. 19 – Dekker. 165
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bot für sich genommen ausreicht, um die volle Haftung seines Urhebers auszulösen, ohne daß die im nationalen Recht vorgesehenen Rechtfertigungsgründe berücksichtigt werden können“.168
Zur Begründung bezog sich der Gerichtshof auf zwei Argumente: Zum einen war das Verschulden als Ausnahme von der Haftung für Gleichbehandlungsverstöße in der Richtlinie nicht geregelt. Zum zweiten würde eine vom Nachweis des Verschuldens abhängige Haftung für Gleichbehandlungsverstöße die praktische Wirksamkeit der gerichtlichen Rechtsbehelfsgarantie in Art. 6 RL 76/207, insbesondere die Verpflichtung auf tatsächlichen, wirksamen und abschreckenden Rechtsschutz, „erheblich beeinträchtigen“.169 Diese Lesart bestätigte der EuGH in Draehmpaehl und ergänzte, dass es gleichgültig sei, wie leicht der Nachweis schuldhaften Verhaltens zu erbringen ist.170 Auch beim vergaberechtlichen Schadensersatzanspruch hat sich der EuGH in Strabag gegen die unionsrechtliche Zulässigkeit des Verschuldenserfordernisses ausgesprochen, obwohl im konkreten Fall „bei der Anwendung [der nationalen] Regelung ein Verschulden des öffentlichen Auftraggebers vermutet wird und er sich nicht auf das Fehlen individueller Fähigkeiten und damit auf mangelnde subjektive Vorwerfbarkeit des behaupteten Verstoßes berufen kann“.171
Zur Begründung bezog sich der Gerichtshof neben der fehlenden Regelung des Verschuldens als Haftungsvoraussetzung in der Richtlinie172 und dem Vergleich mit anderen – ebenfalls verschuldensunabhängigen Rechtsbehelfen 168 EuGH 8.11.1990, Rs. C-177/88, Slg. 1990, I-3941 Rn. 25 f. – Dekker; Grünberger Personale Gleichheit (2013) S. 717. 169 EuGH 8.11.1990, Rs. C-177/88, Slg. 1990, I-3941 Rn. 23 f. – Dekker. 170 EuGH 22.4.1997, Rs. C-180/95, Slg. 1997, I-2195 Rn. 20 f. – Draehmpaehl. Zum Teil wird eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf das allgemeine Antidiskriminierungsrecht (in Deutschland die §§ 19 ff. AGG) abgelehnt, Armbrüster in: Erman, BGB I14 (2014) § 21 AGG Rn. 1, 8: „Erfordernis des Vertretenmüssens [im allgemeinen Antidiskriminierungsrecht im Unterschied zum Arbeitsrecht] nicht europarechtswidrig“; a. A. Grünberger Personale Gleichheit (2013) S. 718 f. 171 EuGH 30.9.2010, Rs. C-314/09, Slg. 2010, I-8769 Rn. 30 – Strabag; zuvor bereits ähnlich EuGH 14.10.2004, Rs. C-275/03, [nicht in Slg., nur über ] Rn. 22 – Kommission/Portugal; EuGH 10.1.2008, Rs. C-70/06, Slg. 2008, I-1 Rn. 42 – Kommission/Portugal: „Dass die Portugiesische Republik das Gesetzesdekret Nr. 48 051, das die Gewährung von Schadensersatz an Private davon abhängig macht, dass ein Verschulden oder Arglist nachgewiesen wird, die dem portugiesischen Staat oder den betreffenden öffentlichen Einrichtungen zugerechnet werden können, nicht aufgehoben hat, ist als schwerwiegend anzusehen, weil es ein gerichtliches Vorgehen Privater zwar nicht unmöglich macht, aber […] dieses Vorgehen erschwert und verteuert und damit die volle Wirksamkeit der Politik der Gemeinschaft im Bereich des öffentlichen Auftragswesens beeinträchtigt.“ Für verschuldensunabhängige Haftung im deutschen Recht auch bereits BGH 27.11.2007, X ZR 18/07, BeckRS 2008, 01230 Rn. 21 ff. – Hochwasserschutzanlage. Skeptisch noch Ackermann ZHR 164 (2000) 394, 407 f. 172 EuGH 30.9.2010, Rs. C-314/09, Slg. 2010, I-8769 Rn. 35 – Strabag.
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(Aufhebung der rechtswidrigen Vergabeentscheidung)173 – auf die Gefahr, dass der rechtswidrig übergangene Bieter den Anspruch bei Gelingen des Exkulpationsnachweises verliert, insbesondere wenn sich der öffentliche Auftraggeber auf einen entschuldbaren Rechtsirrtum berufen kann174 oder dass sich zumindest die Zuerkennung des Schadensersatzanspruchs verzögert, was mit dem Grundsatz wirksamer und möglichst rascher Nachprüfung von Vergabeentscheidungen nicht vereinbar wäre.175 Trotz dieser Tendenzen zur strikten Haftung sprechen die besseren Gründe dafür, aus der Rechtslage im Antidiskriminierungsrecht und im Vergaberecht keine generelle Verpflichtung durch den Effektivitätsgrundsatz zur Einführung einer verschuldensunabhängigen Haftung auch im Kartelldeliktsrecht abzuleiten.176 Zunächst trägt nicht die Analogie zur Rechtssache Dekker.
173 EuGH 30.9.2010, Rs. C-314/09, Slg. 2010, I-8769 Rn. 39 – Strabag: „Vor diesem Hintergrund kann die in Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 89/665 vorgesehene Rechtsschutzmöglichkeit zur Erlangung von Schadensersatz nur dann gegebenenfalls eine verfahrensmäßige Alternative darstellen, die mit dem Effektivitätsgrundsatz, der dem mit der Richtlinie verfolgten Ziel der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren zugrunde liegt […], vereinbar ist, wenn die Möglichkeit der Zuerkennung von Schadensersatz im Fall eines Verstoßes gegen Vergabevorschriften genauso wenig wie die anderen in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie vorgesehenen Rechtsschutzmöglichkeiten davon abhängig ist, dass ein Verschulden des öffentlichen Auftraggebers festgestellt wird.“ 174 EuGH 30.9.2010, Rs. C-314/09, Slg. 2010, I-8769 Rn. 41 – Strabag. 175 EuGH 30.9.2010, Rs. C-314/09, Slg. 2010, I-8769 Rn. 42 f. – Strabag. 176 Stillfried/Stockenhuber WBl 1995, 345, 349 f.; Ackermann ZHR 164 (2000) 394, 407 f. (zum Vergaberecht, dazu nun anders der EuGH, siehe Fn. 171–173); Lettl ZHR 167 (2003) 473, 485; Wurmnest RIW 2003, 896, 898; ders. in: Behrens/Braun/Nowak (Hrsg.) Europäisches Wettbewerbsrecht im Umbruch (2004) 213, 238; Röhrig Schadensersatzansprüche im deutschen Kartellrecht nach der 6. GWB-Novelle (2004) S. 159 f.; Bulst Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht (2006) S. 267 f.; ders. ZEuP 2008, 178, 192 f.; Logemann Der kartellrechtliche Schadensersatz (2009) S. 113; Europäisches Parlament Entschließung des Europäischen Parlaments vom 26. März 2009 zu dem Weißbuch: Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts (2008/2154(INI)) Rn. 15; Meessen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht (2011) S. 363 f.; Jaschke Der kartellrechtliche Schadensersatzanspruch (2012) S. 105; Mestmäcker/Schweitzer Europäisches Wettbewerbsrecht3 (2014) § 23 Rn. 40; a. A. (Verschuldenserfordernis unzulässig) Schlussanträge des Generalanwalts van Gerven vom 27.10.1993, Rs. C-128/92, Banks, Slg. 1994, I-1209 Rn. 53; G. Wagner AcP 206 (2006) 352, 420 f.; Commission Staff Working Paper – Annex to the Green Paper – Damages actions for breach of the EC antitrust rules SEC(2005) 1732 Rn. 102, 109 ff.; Commission Staff Working Paper accompanying the White Paper on Damages actions for breach of the EC antitrust rules SEC(2008) 404 Rn. 170; offenlassend W.-H. Roth FS Huber (2006) 1133, 1150 f.: „nicht ausgeschlossen […], dass – ob zu Recht oder zu Unrecht […] – künftige Rechtsprechung des EuGH darauf abzielen mag, auf das Verschuldenserfordernis zu verzichten“. Für eine Anlehnung an die Kriterien zur Staatshaftung (EuGH 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 55 f. – Brasserie du Pêcheur) Weyer ZEuP 1999, 424, 448 f.;
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Zwar hat der Gerichtshof dort – ebenso wie in der vergaberechtlichen Entscheidung Strabag177 – die Unzulässigkeit des Verschuldenserfordernisses aus dem Effektivitätsgrundsatz begründet, der in der allgemeinen Sanktionenklausel in Art. 6 RL 76/207 verankert war.178 Jedoch wurde bereits dargelegt, dass die Anforderungen des Effektivitätsgrundsatzes kontextabhängig und insbesondere von der Bedeutung des durchzusetzenden Unionsrechts und dem Regelungsumfeld abhängig sind (§ 1 II 2 e bb 2 → S. 69). Insofern liegt ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Kartellrecht einerseits und dem Antidiskriminierungsrecht oder dem Vergaberecht andererseits in dem Umstand, dass im Kartellrecht – deutlich ausgeprägter als im Antidiskriminierungsrecht oder im Vergaberecht – eine Durchsetzung auch durch Behörden und Bußgelder erfolgt.179 Für den speziellen Kontext des Vergaberechts kommt hinzu, dass es sich um eine spezialgesetzliche Ausgestaltung des allgemeinen Staatshaftungsanspruchs handelt,180 so dass es nicht überrascht, wenn auch der vergaberechtliche Staatshaftungsanspruch ebenso wie der allgemeine Staatshaftungsanspruch nach Francovich verschuldensunabhängig ausgestaltet ist. Zudem gestattet die maßgebliche Richtlinie, Schadensersatz anstelle des Primärrechtsschutzes zu gewähren (Art. 2 Abs. 6 UAbs. 2 RL 89/665), so dass es nahe liegt, den Schadensersatz unter denselben Voraussetzungen wie den Primärrechtsschutz zu gewähren und damit verschuldensunabhängig auszugestalten.181 Schließlich sind die Unterschiede in der Regelungsdichte des einschlägigen Sekundärrechts zu berücksichtigen. Während der europäische Gesetzgeber sowohl im Antidiskriminierungsrecht wie im Vergaberecht eigene Richtlinien erlassen hat, die zwar den Schadensersatzanspruch regeln, eine Ausders. in: Frankfurter Kommentar II (2009) Art. 81 EG Zivilrechtsfolgen Rn. 196: „bei fehlendem Verschulden ein Schadensausgleich nicht in gleicher Weise geboten“. 177 EuGH 30.9.2010, Rs. C-314/09, Slg. 2010, I-8769 Rn. 39 – Strabag. 178 Meessen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht (2011) S. 351; a. A. Weyer in: Frankfurter Kommentar II (2009) Art. 81 EG Zivilrechtsfolgen Rn. 197: „unmittelbar aus der Richtlinie ab[geleitet], nicht aus dem Gebot abschreckender Sanktionierung“; Bulst Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht (2006) S. 267. Zur Konvergenz des Effektivitätsgrundsatzes nach Rewe/Comet und des richtlinienrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes aus von Colson und Kamann oben § 1 II 2 b bb → S. 38. 179 Bulst Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht (2006) S. 267; Meessen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht (2011) S. 352. Siehe auch EuGH 30.9.2010, Rs. C-314/09, Slg. 2010, I-8769 Rn. 38 f. – Strabag, wo der Umstand, dass der Schadensersatzanspruch an die Stelle anderer Sanktionen tritt, als Argument für eine verschuldensunabhängige Haftung herangezogen wurde. Im Kartellrecht tritt der Schadensersatz neben andere Sanktionen. 180 EuGH 9.12.2010, Rs. C-568/08, Slg. 2010, I-12655 Rn. 87 – Combinatie Spijker Infrabouw. 181 EuGH 30.9.2010, Rs. C-314/09, Slg. 2010, I-8769 Rn. 38 f. – Strabag.
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nahme von der allgemeinen Rechtsbehelfsgarantie bzw. vom Schadensersatzanspruch für den Fall fehlenden Verschuldens aber nicht erwähnen, fehlte es im Kartelldeliktsrecht bis ins Jahr 2014 an einer Harmonisierung der Sanktionen,182 so dass „die Bestimmung der Einzelheiten für die Ausübung dieses Rechts [Anspruch auf Schadensersatz] […] Aufgabe des innerstaatlichen Rechts des einzelnen Mitgliedstaats [war]“.183 Infolge der höheren Regelungsdichte auf Unionsebene ist daher im Antidiskriminierungsrecht und im Vergaberecht nicht nur das Bedürfnis nach einheitlicher Ausgestaltung auch der Sanktionen höher, sondern es lässt sich zudem – anders als im Kartellrecht, wo „die Einzelheiten der Ausübung dieses Rechts“ durch nationales Recht definiert werden – argumentieren, dass der Gesetzgeber eine Exkulpation wegen fehlenden Verschuldens gerade nicht gestatten wollte. Diesen Befund bestätigt nun auch die neue Kartellschadensersatzrichtlinie, deren Erwägungsgrund 11 Satz 5 RL 2014/104 es den Mitgliedstaaten ausdrücklich gestattet, über die in der Jedermann-Formel hinaus genannten Elemente weitere Voraussetzungen „wie etwa Zurechenbarkeit, Adäquanz oder Verschulden“ für den Schadensersatzanspruch vorzusehen, „sofern sie mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dem Effektivitäts- und dem Äquivalenzgrundsatz und den Bestimmungen dieser Richtlinie im Einklang stehen“.184 2. Verschuldenshaftung und Effektivitätsgrundsatz Die ausdrückliche Öffnung für das Verschulden und die Fortgeltung des mitgliedstaatlichen Rechts für die Haftungsvoraussetzungen (Erwägungsgrund 11 Der unveröffentlichte Proposal for a Council Directive on rules governing actions for damages for infringements of Articles 81 and 82 of the Treaty sah die Möglichkeit des Verschuldens als Haftungsvoraussetzung vor, allerdings mit Entlastungspflicht für den Kartelltäter, Art. 14: „To the extent that Member States require fault to be proven in actions for damages, in addition to proof of an infringement of Article 81 and 82 of the Treaty, they shall ensure that, once an injured party has established such an infringement and has proven harm and causation, the infringer is liable for damages unless he shows that he could not reasonably have been aware that his conduct distorted competition.“ Zur Begründung erläutert Erwägungsgrund 21: „The laws of some Member States require that an element of fault (intent or negligence) be proven in actions for damages, in addition to proof of an infringement of Article 81 or 82 of the Treaty. As the evidence needed to prove fault is rarely available to injured parties, it can be excessively difficult or even impossible for them to bring this proof. Once it is established that an undertaking has infringed Article 81 or 82 of the Treaty, it is no longer appropriate that the injured party bear the burden of proof. It should be for the infringing undertaking to demonstrate that it did not act intentionally or negligently, taking into account the high standard of care that flows from the fact that Articles 81 and 82 of the Treaty are a matter of public policy.“ 183 EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 64 – Manfredi. 184 Siehe auch bereits EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 35 – Courage: „differenzierte Beurteilung des Umfangs der Verantwortlichkeiten“. 182
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Satz 1 RL 2014/104) unter dem Vorbehalt des Effektivitätsgrundsatzes leitet über zu der Folgefrage, ob und ggf. unter welchen Umständen das Verschuldenserfordernis die Durchsetzung kartelldeliktischer Schadensersatzansprüche i. S. d. Effektivitätsgrundsatzes praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert. Dazu ist zunächst festzuhalten, dass auch im Bereich der Francovich-Staatshaftung im Rahmen des „hinreichend qualifizierten Verstoßes“ Verschuldenserwägungen zumindest in bestimmten Konstellationen einbezogen werden,185 so dass Verschuldensgesichtspunkte offenbar auch die Staatshaftung effektivitätskonform beschränken können.186 Es kommt hinzu, dass gerade im Kartellrecht angesichts der Komplexität der rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhänge in Grenzfällen eine Exkulpation zur Vermeidung einer übermäßigen Abschreckung und damit zum Erhalt von wettbewerblichen Freiheitsräumen durchaus sinnvoll erscheint.187 Somit kommt es für die Effektivitätsprüfung entscheidend auf die Ausgestaltung des Verschuldenserfordernisses im nationalen Recht an, insbesondere auf die Kriterien für die Entschuldbarkeit eines Verbotsirrtums. Insofern hat EuGH 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 55 f. – Brasserie du Pêcheur. 186 Wurmnest RIW 2003, 896, 898 verweist darauf, dass ein Verzicht auf das Verschuldenserfordernis zu einer strengeren Haftung Privater führen würde, als sie sogar die Staatshaftung vorsieht; für eine Übertragung der staatshaftungsrechtlichen Grundsätze auf das Kartelldeliktsrecht Eder EuZW 2015, 501, 506: „Es gibt aber auch im Wettbewerbsrecht angesichts der hohen Komplexität und Dynamik Fälle, wo die Trennlinie zwischen erlaubtem und unerlaubtem Verhalten nicht eindeutig verläuft und somit Raum für einen entschuldbaren Rechtsirrtum bleibt. Ein derartiges Verschulden ist funktionell und inhaltlich dem hinreichend qualifizierten Verstoß der Staatshaftung vergleichbar.“ Allerdings dient die Staatshaftung – im Unterschied zum Kartelldeliktsrecht – „nicht der Abschreckung oder als Sanktion“, „sondern [ist] auf den Ersatz der Schäden gerichtet […], die Einzelnen durch Verstöße der Mitgliedstaaten gegen Gemeinschaftsrecht entstehen“, EuGH (Große Kammer) 17.4.2007, Rs. C-470/03, Slg. 2007, I-2749 Rn. 88 – A.G.M.-COS.MET. Das verwaltungsrechtliche Schrifttum sucht demgegenüber auch die Staatshaftung für die „funktionale Subjektivierung“ fruchtbar zu machen und attestiert den Staatshaftungsansprüchen den Zweck von „Anreiz“ und „Belohnung“, Masing in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.) Grundlagen des Verwaltungsrechts2 I (2012) § 7 Rn. 93. 187 Vgl. auch Bulst Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht (2006) S. 268 mit dem Hinweis, dass unter Geltung des more economic approach im Kartellrecht von genauen Verhaltenspflichten keine Rede mehr sein könne; siehe auch Meessen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht (2011) S. 356, der dieses Problem an der Wurzel (bei der Auslegung des Verbotstatbestands) angehen will, auf S. 363 aber „angesichts der bisweilen unscharfen Konturen der kartellrechtlichen Verbotstatbestände […] ein zusätzliches Korrektiv […] für erforderlich [hält], um […] den notwendigen Raum für die Fortentwicklung der Rechtsanwendungspraxis zu ermöglichen, ohne damit gleichzeitig erhebliche Haftungsrisiken für die betroffenen Unternehmen auszulösen“; zu dem Problem im Kontext der Preisschirmschäden auch Franck ECJ 11 (2015) 135, 144, der das Verschuldenserfordernis aber nur als ein „rather wide-meshed safety net“ ansieht. 185
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die Kommission die Befürchtung geäußert, dass das Verschuldenserfordernis („Einrede eines entschuldbaren Irrtums“) die Klageanreize und damit die Effektivität der privaten Kartellrechtsdurchsetzung reduziere.188 Indes lässt sich dieser Sorge begegnen, indem man nicht das Verschulden generell als unionsrechtswidrig verwirft, sondern schlichtweg der Exkulpationsmöglichkeit unionsrechtliche Grenzen setzt. Solche Grenzen hat der Gerichtshof in der Rechtssache Schenker im Kontext des Bußgeldtatbestands des Art. 23 Abs. 2 VO 1/2003 definiert. Der EuGH bekräftigte dort zunächst seine ständige Rechtsprechung, wonach eine Zuwiderhandlung i. S. d. Art. 23 Abs. 2 VO 1/2003 als vorsätzlich oder fahrlässig anzusehen ist, „wenn sich das betreffende Unternehmen über die Wettbewerbswidrigkeit seines Verhaltens nicht im Unklaren sein kann, gleichviel, ob ihm dabei bewusst ist, dass es gegen die Wettbewerbsregeln des Vertrags verstößt“.189 Eine rechtlich unrichtige Einstufung des Verhaltens könne „also nicht dazu führen, dass ihm keine Geldbuße auferlegt wird, sofern es sich über die Wettbewerbswidrigkeit dieses Verhaltens nicht im Unklaren sein konnte“.190 Im konkreten Fall hatten sich die Beteiligten über ihre Tarife für den Inlandssammelladungsverkehr abgesprochen, so dass es „auf der Hand [liege], dass sich Unternehmen, die unmittelbar ihre Preise absprechen, nicht über die Wettbewerbswidrigkeit ihres Verhaltens im Unklaren sein können“ und damit die Voraussetzung eines vorsätzlichen oder fahrlässigen Handelns erfüllt sei.191 Auch die ausnahmsweise Nichtverhängung eines Bußgelds trotz schuldhaftem Verstoß gegen Art. 101 AEUV wegen eines widerstreitenden allgemeinen Grundsatzes des Unionsrechts wie des Vertrauensschutzes komme nicht in Betracht, weil weder der Rechtsrat eines Anwalts noch die Negativentscheidung der insofern nicht befugten nationalen Kartellbehörde ein schutzwürdiges Vertrauen begründen konnten.192 188 Vgl. Commission Staff Working Paper – Annex to the Green Paper – Damages actions for breach of the EC antitrust rules SEC(2005) 1732 Rn. 111. Darüber hinaus verwies die Kommission auf eine – wenig überzeugende – Parallele zur Produkthaftungsrichtlinie (Rn. 108; ohne zugleich auf die Entlastungsmöglichkeiten gemäß Art. 7 RL 85/374 und die Beschränkungen beim Schadensersatz auf Körperschäden und Sachschäden vorbehaltlich eines Selbstbehalts einzugehen) und das „existing case law“ des EuGH zur Staatshaftung (Rn. 109). 189 EuGH (Große Kammer) 18.6.2013, Rs. C-681/11, ECLI:EU:C:2013:404 Rn. 37 – Schenker mit Verweis auf EuGH 8.11.1983, Rs. 96/82 bis 102/82, 104/82, 105/82, 108/82 und 110/82, Slg. 1983, 3369 Rn. 45 – IAZ International Belgium u. a./Kommission, EuGH 9.11.1983, Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 Rn. 107 – Nederlandsche Banden-IndustrieMichelin/Kommission; EuGH 14.10.2010, Rs. C-280/08 P, Slg. 2010, I-9555 Rn. 124 – Deutsche Telekom/Kommission. 190 EuGH (Große Kammer) 18.6.2013, Rs. C-681/11, ECLI:EU:C:2013:404 Rn. 38 – Schenker. 191 EuGH (Große Kammer) 18.6.2013, Rs. C-681/11, ECLI:EU:C:2013:404 Rn. 39 – Schenker.
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Die Entscheidung des Gerichtshofs in Schenker vermag nicht zu überzeugen, weil sie sich trotz der deutlich differenzierteren Schlussanträge der Generalanwältin193 nicht einmal die Mühe einer Würdigung des Rechtsirrtums im Kontext des allgemeinen Schuldgrundsatzes („nulla poena sine culpa“) macht.194 Infolge des in diesem Fall – jedenfalls vom Gerichtshof195 – angenommenen Hardcoreverstoßes in Form einer Preisabsprache wird in der Literatur auch bezweifelt, dass die Entscheidung den entschuldigenden Rechtsirrtum tatsächlich „generell verworfen“ hat.196 Vielmehr gehen manche Beobachter davon aus, dass die „der Verschuldensebene zuzuordnende Frage, wann sich ein Unternehmen – jenseits der Hardcoreverstöße – im Unklaren über die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens sein kann bzw. wann ein Verbotsirrtum nicht vorwerfbar ist und der Verhängung einer Geldbuße mangels (und nicht trotz) Verschuldens entgegensteht“, „von der Judikatur ungeklärt bleibt“.197
Unabhängig von ihrer Richtigkeit und Reichweite für das Kartellordnungswidrigkeitenverfahren lässt sich die Rechtssache Schenker jedenfalls nicht als Vorgabe für den Effektivitätsmaßstab zur Begrenzung der nationalen Regelungsspielräume beim Verschuldensprinzip im Kartelldeliktsrecht übernehmen. Hintergrund ist die unterschiedliche Ausgestaltung der behördlichen und privaten Kartellrechtsdurchsetzung. Für die behördliche Durchsetzung EuGH (Große Kammer) 18.6.2013, Rs. C-681/11, ECLI:EU:C:2013:404 Rn. 41 f. – Schenker. 193 Diese wollte die Exkulpation durch Hinweis auf einen Verbotsirrtum nur unter sehr engen Voraussetzungen gestatten, Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 28.2.2013, Rs. C-681/11, ECLI:EU:C:2013:126 Rn. 62 ff. – Schenker; dazu Fleischer EuZW 2013, 326, 328 ff. Siehe auch die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 18.4.2013, Rs. C-501/11 P, ECLI:EU:C:2013:248 Rn. 118, 129 – Schindler zum Verhältnis des Verschuldenserfordernisses in Art. 23 VO 1/2003 zur Akzo-Vermutung und zur Einstandspflicht für „jede Person, die berechtigt ist, für das Unternehmen tätig zu werden“. 194 Dannecker FS Müller-Graff (2015) 583, 589 ff.; für die generelle Anerkennung eines entschuldigenden Rechtsirrtums auch Fleischer EuZW 2013, 326, 327 f. 195 EuGH (Große Kammer) 18.6.2013, Rs. C-681/11, ECLI:EU:C:2013:404 Rn. 39 – Schenker; skeptisch Meyer-Lindemann EuZW 2013, 626, 627: „Es ist aber auch zu bedenken, dass rein nationale Sachverhalte in Österreich zumindest zum Zeitpunkt der in Frage stehenden Handlungen unter einen Bagatelltatbestand subsumiert werden konnten. Vieles spricht also dafür, dass die Unternehmen angesichts dieser Umstände – eine gemeinschaftsweite Wirkung der Absprachen war keineswegs evident – über die Rechtswidrigkeit ihres Tuns im Unklaren sein konnten.“ 196 So die Lesart von Dannecker FS Müller-Graff (2015) 583, 590; ebenso Brettel/ Thomas ZWeR 2013, 272, 275, 285; ähnlich auch Frenz EWS 2013, 272, 273. 197 Eder EuZW 2015, 501, 504; gegen eine Verallgemeinerung im Sinne einer Verabschiedung des exkulpierenden Rechtsirrtums auch Gussone/Lexow NZKart 2013, 327, 329; Kersting WuW 2013, 845, 848 f.; Meyer-Lindemann EuZW 2013, 626, 627; Völcker CMLR 51 (2014) 1497, 1510 ff.; wohl auch von Danwitz Journal of European Competition Law & Practice 4 (2013) 389, 390: „approach of the Court […] is limited to situations in which undertakings cannot be unaware of the anticompetitive nature of their conduct“. 192
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§ 4 Kartelldeliktsrecht
stellt Art. 5 VO 1/2003 klar, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden, sofern die Kommission nicht tätig wird (Art. 11 Abs. 6 VO 1/2003), für die Anwendung der Art. 101, 102 AEUV zuständig sind und Geldbußen, Zwangsgelder oder sonstige in ihrem innerstaatlichen Recht vorgesehene Sanktionen verhängen können. Führen nun die Mitgliedstaaten im Rahmen der Anwendung des Art. 5 VO 1/2003 „im allgemeinen Interessen einer einheitlichen Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV in der Union subjektive Voraussetzungen ein, müssen diese Voraussetzungen, damit die Wirksamkeit des Unionsrechts nicht in Frage gestellt wird, mindestens genauso streng sein wie die in Art. 23 der Verordnung Nr. 1/2003 vorgesehenen“.198 Hintergrund dieses strikten Gleichlaufspostulats199 dürfte das Interesse an der Einheitlichkeit des Kartellrechtsvollzugs sein: die Voraussetzungen der Bußgeldverhängung sollen offenbar nicht davon abhängen, ob die Kommission die Sache an sich zieht oder nicht. Weil der Gerichtshof aber an der sehr restriktiven Auslegung des Verschuldenserfordernisses in Art. 23 VO 1/2003 festhalten wollte, musste er dieses auf Grundlage seines strikten Gleichlaufpostulats in das nationale Bußgeldrecht verlängern. Ein vergleichbares Bedürfnis an der Einheitlichkeit der privaten Kartellrechtsdurchsetzung besteht nicht, weil hier nur eine Durchsetzung durch die mitgliedstaatlichen Gerichte in Betracht kommt, für die auch nach Inkrafttreten der Kartellschadensersatzrichtlinie 2014/104 erhebliche Spielräume etwa bei der Schadensbemessung verbleiben. Angesichts des deutlich geringeren Harmonisierungszugriffs des Unionsrechts erscheint es daher vertretbar, die Effektivitätsbegrenzungen für die Möglichkeit einer Exkulpation nach nationalen Verschuldensmaßstäben niedriger anzusiedeln und mit der Generalanwältin die Exkulpation durch Verbotsirrtum unter engen Voraussetzungen zu gestatten.200 So wird in Fällen von Hardcorekartellen der Einwand fehlenden Verschuldens wohl kaum ernsthaft erhoben, jedenfalls nicht zur Klageabweisung führen.201 Es bleiben damit solche Fälle, in denen ernsthaft ein entschuldbarer Verbotsirrtum zu erwägen ist, etwa weil es sich um eine neuartiEuGH (Große Kammer) 18.6.2013, Rs. C-681/11, ECLI:EU:C:2013:404 Rn. 36 – Schenker. 199 Kritisch dazu Völcker CMLR 51 (2014) 1497, 1515 ff. 200 Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 28.2.2013, Rs. C-681/11, ECLI:EU:C:2013:126 Rn. 62 ff. – Schenker; dazu Fleischer EuZW 2013, 326, 328 ff. Siehe auch die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 18.4.2013, Rs. C-501/11 P, ECLI:EU:C:2013:248 Rn. 118, 129 – Schindler zum Verhältnis des Verschuldenserfordernisses in Art. 23 VO 1/2003 zur Akzo-Vermutung und zur Einstandspflicht für „jede Person, die berechtigt ist, für das Unternehmen tätig zu werden“. Für eine Exkulpation bei unvermeidbarem Rechtsirrtum auch Ackermann FS Köhler (2014) 1, 8 mit Hinweis auf die Rechtsprechung zum Staatshaftungsrecht (EuGH 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 55 f. – Brasserie du Pêcheur). 201 Logemann Der kartellrechtliche Schadensersatz (2009) S. 113. 198
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ge Situation handelt und die Auslegung der europäischen Kartellrechtsnormen auch bei hinreichender Sorgfalt nicht vorhersehbar war. Gerade in diesen Fällen erfüllt ein hinreichend streng gehandhabter Verschuldenseinwand202 aber die sinnvolle Funktion, von neuen Formen des – vielleicht auch aggressiven – Wettbewerbs nicht von vorneherein durch die Gefahr zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche abzuschrecken, damit Unternehmen ihre wettbewerblichen Handlungsspielräume auch tatsächlich ausschöpfen und nicht infolge des Risikos von Schadensersatzansprüchen einen freiheits- und zugleich wettbewerbsbeschränkenden Sicherheitsabstand zu den Verbotstatbeständen des Wettbewerbsrechts halten.203 Für eine gewisse Exkulpationsmöglichkeit lässt sich schließlich auch auf die Rechtssache Kone verweisen, wo der Gerichtshof den Kausalzusammenhang zwischen Zuwiderhandlung und Schaden beim „umbrella pricing“ daran knüpfen will, ob „erwiesen ist, dass dieses Kartell nach den Umständen des konkreten Falles und insbesondere den Besonderheiten des betreffenden Marktes ein ‚umbrella pricing‘ durch eigenständig handelnde Dritte zur Folge haben konnte, und wenn diese Umstände und Besonderheiten den Kartellbeteiligten nicht verborgen bleiben konnten“.204 202 Siehe etwa die restriktiven Vorgaben in Fn. 200 und in der deutschen Judikatur, jüngst OLG Düsseldorf 30.9.2009, VI-U (Kart) 17/08 (V), U (Kart) 17/08 (V), WuW/ E DE-R 2763 Rn. 47 (juris): „Auch im Bereich des gewerblichen sowie wettbewerbsrechtlichen Rechtsschutzes vermag ein Rechtsirrtum das Verschulden nur auszuschließen, wenn der Irrende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen, von seiner Rechtsauffassung abweichenden Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen brauchte. Bei zweifelhaften Rechtsfragen, in denen sich noch keine einheitliche Rechtsprechung gebildet hat und die insbesondere nicht durch höchstrichterliche Entscheidungen geklärt sind, braucht dies nicht zu bedeuten, dass für den rechtsirrig Handelnden die Möglichkeit einer ihm ungünstigen gerichtlichen Entscheidung undenkbar gewesen sein müsste. Jedoch muss durch strenge Anforderungen an seine Sorgfalt verhindert werden, dass er das Risiko der zweifelhaften Rechtslage dem anderen Teil zuschiebt (BGH 16.12.1986, KZR 36/85, WuW/E BGH 2341 ff. – Taxizentrale Essen, zitiert nach juris Rn. 19). Fahrlässig handelt daher, wer sich erkennbar in einem Grenzbereich des rechtlich Zulässigen bewegt, in dem er eine von der eigenen Einschätzung abweichende Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit des fraglichen Verhaltens in Betracht ziehen muss“. Siehe auch den Entwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BT-Drs. 15/3640 S. 53: „So ist im Kartellrecht ein Verschulden nur dann zu verneinen, wenn der Irrende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen brauchte“ (mit Verweis auf BGH 16.12.1986, KZR 36/85, WuW/E BGH 2341, 2344 – Taxizentrale Essen). Weyer in: Frankfurter Kommentar II (2009) Art. 81 EG Zivilrechtsfolgen Rn. 200 will darauf abstellen, ob „Anhaltspunkte vorlagen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für die Wettbewerbswidrigkeit des Verhaltens sprachen“. 203 Weyer in: Frankfurter Kommentar II (2009) Art. 81 EG Zivilrechtsfolgen Rn. 199; Logemann Der kartellrechtliche Schadensersatz (2009) S. 113: „Überabschreckung“; Meessen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht (2011) S. 362 f.
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Der Zusatz „nicht verborgen bleiben konnte“ verweist auf einen (zwar nur) normativen Vorhersehbarkeitsmaßstab205 oder Adäquanzfilter,206 der selten als Begrenzungsfaktor bedeutsam sein mag, aber immerhin nicht generell ausgeschlossen ist. Im Ergebnis steht der Effektivitätsgrundsatz dem Verschuldenserfordernis als Haftungsvoraussetzung nicht entgegen, sondern kann nur im Einzelfall herangezogen werden, sofern eine großzügige nationale Exkulpationsmöglichkeit die Durchsetzung von kartelldeliktischen Schadensersatzansprüchen praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert, z. B. weil Kartellverstöße regelmäßig als nicht schuldhaft angesehen werden.207 Inspiration zur Konkretisierung der Effektivitätskriterien für das Verschuldenserfordernis lässt sich aus der Rechtsprechung zum Staatshaftungsrecht gewinnen, wobei sich die dort entwickelten Kriterien208 nur teilweise auf das Kartelldeliktsrecht übertragen lassen.209 Denkbar ist dies vor allem beim „Maß der Klarheit EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 34 – Kone. Lettl WuW 2014, 1032, 1039; Dunne CMLR 51 (2014) 1813, 1826: „standard appears to link liability more closely to the actual knowledge of defendants and/or what might reasonably be anticipated in the market context“, „qualitative notions of culpability“. Siehe auch die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 30.1.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:45 Rn. 74 – Kone. Franck ECJ 11 (2015) 135, 163 f. sieht hier eine Parallele zum common law-Konzept der reasonable foreseeability. 206 Gleichsetzend die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 30.1.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:45 Rn. 41 – Kone; für Umsetzung der Kone-Entscheidung im Rahmen der Adäquanz auch Franck ECJ 11 (2015) 135, 165; ebenso Zetzsche WuW 2016, 65, 68. 207 Logemann Der kartellrechtliche Schadensersatz (2009) S. 113: „Dem Effektivitätsgrundsatz sollte deshalb nur insoweit Beachtung geschenkt werden, dass die in vielen Fällen schwierige Beurteilung kartellrechtlicher Verhaltensweisen nicht dazu führen kann, dass Verstöße gegen das Kartellrecht häufig aus dem Bereich der Fahrlässigkeit fallen.“ Für eine weitere Beobachtung des Verschuldenserfordernisses Kersting/Preuß Umsetzung der Kartellschadensersatzrichtlinie (2014/104/EU) (2015) Rn. 15, nach deren Auffassung die Rückgängigmachung der Vermögensverschiebung infolge kartellbedingter Preisaufschläge unabhängig vom Verschulden erfolgen sollte. 208 EuGH 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 55 f. – Brasserie du Pêcheur: „Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift, der Umfang des Ermessensspielraums, den die verletzte Vorschrift den nationalen oder Gemeinschaftsbehörden belässt, die Frage, ob der Verstoß vorsätzlich oder nicht vorsätzlich begangen oder der Schaden vorsätzlich oder nicht vorsätzlich zugefügt wurde, die Entschuldbarkeit oder Unentschuldbarkeit eines etwaigen Rechtsirrtums und der Umstand, daß die Verhaltensweisen eines Gemeinschaftsorgans möglicherweise dazu beigetragen haben, daß nationale Maßnahmen oder Praktiken in gemeinschaftsrechtswidriger Weise unterlassen, eingeführt oder aufrechterhalten wurden.“ 209 Für eine Orientierung an den Brasserie du Pêcheur-Kriterien Weyer ZEuP 1999, 425, 449; ders. in: Frankfurter Kommentar II (2009) Art. 81 EG Zivilrechtsfolgen Rn. 196; Bulst Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht (2006) S. 268; Eder EuZW 2015, 501, 506. 204 205
V. Schadensbegriff und Schadensumfang
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und Genauigkeit der verletzten Vorschrift“ (vgl. Art. 101 Abs. 3 AEUV), bei der Entschuldbarkeit eines Rechtsirrtums und beim Beitrag der Verhaltensweisen eines Gemeinschaftsorgans zur unionsrechtswidrigen Praxis (z. B. durch informelle Billigung bestimmter Verhaltensweisen durch die Kommission), während der Umfang des Ermessenspielraums (der bei Befolgung wettbewerbsrechtlicher Vorschriften Privaten nicht eingeräumt wird) wohl spezifisch auf die Staatshaftung zugeschnitten ist und im Kartelldeliktsrecht in aller Regel nicht passt. V. Schadensbegriff und Schadensumfang
V. Schadensbegriff und Schadensumfang
1. Europäischer oder nationaler Schadensbegriff? Ausgangspunkt für die Definition des Schadensumfangs ist im Kartelldeliktsrecht die Feststellung, dass die „Bestimmung der Kriterien für die Ermittlung des Umfangs des Schadensersatzes in Ermangelung einschlägiger Gemeinschaftsvorschriften Aufgabe des innerstaatlichen Rechts des einzelnen Mitgliedstaats [ist], wobei der Äquivalenz-210 und der Effektivitätsgrundsatz zu beachten sind“.211
Es handelt sich damit – ebenso wie im Staatshaftungsrecht212 – um den Schadensbegriff des anwendbaren (Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO) (autonomen) nationalen Rechts, der durch das Effektivitäts- und Äquivalenzgebot unionsrechtlichen Mindestvorgaben unterliegt. Auf den ersten Blick scheint auch die Kartellschadensersatzrichtlinie 2014/104 an der grundsätzlichen Anwendung des nationalen Schadensersatzrechts unter dem Vorbehalt des Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatzes nichts zu ändern. So stellt Erwägungsgrund 11 Satz 1 RL 2014/104 klar, dass in Abwesenheit unionaler Regeln („Da keine entsprechenden unionsrechtlichen Vorschriften bestehen“) „für Schadensersatzklagen die innerstaatlichen Vorschriften und Verfahren der Mitgliedstaaten“ gelten. Erwägungsgrund 46 Satz 1 RL 2014/104 ergänzt, dass „keine unionsrechtlichen Vorschriften über die Ermittlung des Umfangs einer durch eine Zuwiderhandlung gegen das 210 Zur Anwendung des Äquivalenzgrundsatzes im Kartelldeliktsrecht EuGH 14.12.1995, Rs. C-430/93 und C-431/93, Slg. 1995, I-4705 Rn. 13, 17 ff. – van Schijndel (Amtsanwendung von Unionsrecht); EuGH 17.7.1997, Rs. C-242/95, Slg. 1997, I-4449 Rn. 24, 27 – De Danske Statsbaner (Beweislastvorschriften); EuGH 1.6.1999, Rs. C-126/97, Slg. 1999, I-3055 Rn. 37 ff., 44 ff. – Eco Swiss (Überprüfung von Schiedssprüchen); EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 93 – Manfredi (Anspruch auf Strafschadensersatz); EuGH 18.1.2007, Rs. C-421/05, Slg. 2007, I-653 Rn. 35 – City Motors Groep (Kündigung ohne vorherige Einschaltung eines Sachverständigen, Schiedsrichters oder Gerichts). 211 EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 62, 92 – Manfredi. 212 Oben Fn. 14.
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§ 4 Kartelldeliktsrecht
Wettbewerbsrecht verursachten Schadens bestehen“, so dass „es Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats [ist], die eigenen Vorschriften über die Schadensberechnung festzulegen“. Die Richtlinie „bestätigt“ mithin lediglich „den gemeinschaftlichen Besitzstand in Bezug auf das Recht auf Ersatz des durch Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht der Union verursachten Schadens – insbesondere hinsichtlich der Klagebefugnis und der Definition des Schadens im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs –, ohne der Weiterentwicklung dieses Besitzstands vorzugreifen“ (Erwägungsgrund 12 Satz 1 RL 2014/104).
Die Erwägungsgründe legen damit nahe, dass es auch nach Inkrafttreten der Richtlinie jedenfalls beim Recht auf vollständigen Schadensersatz (Art. 3 RL 2014/104) und bei der Ermittlung des Schadensumfangs (Art. 17 RL 2014/104) bei der Anwendung des nationalen Rechts bleiben soll, ohne dass die Richtlinie eine über die bisherigen Vorgaben der Effektivitätsrechtsprechung hinausgehende Harmonisierung bewirken würde. Gegen eine solche Anwendung des nationalen Rechts – beschränkt nur durch die Vorgaben von Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatz – spricht andererseits, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs „die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich213 auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel214 in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten“.215
Nach dieser Logik müssten auch die in der Richtlinie mehrfach verwendeten Begriffe „Schaden“ (Art. 1 Abs. 1 Satz 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 3 Abs. 2 Satz 1, Art. 17 Abs. 1 Satz 2 RL 2014/104) oder „Schadensumfang“ (Art. 17 Abs. 1 Satz 1 RL 2014/104) eine autonom-europäische Auslegung erfahren, zumal die Begriffe „Schadensersatzklage“, „Schadensersatzanspruch“ und „Geschädigter“ im Katalog der Begriffsbestimmungen definiert werden (Art. 2 Nr. 4–6 RL Für Beispiele eines (expliziten) Verweises auf nationales Recht EuGH 30.1.1997, Rs. C-340/94, Slg. 1997, I-461 Rn. 19 – de Jaeck; EuGH (Große Kammer) 5.7.2011, Rs. C-263/09 P, Slg. 2011, I-5853 Rn. 44, 47 ff. – Edwin Co Ltd.; EuGH 22.11.2012, Rs. C-116/11, ECLI:EU:C:2012:739 Rn. 49 f. – Bank Handlowy und Adamiak. 214 Für ein (seltenes) Beispiel eines impliziten Verweises auf nationales Recht EuGH 12.12.1996, Rs. C-74/95 und C-129/95, Slg. 1996, I-6609 Rn. 30 – Strafverfahren gegen X; zu einer Vorfrage bei Auslegung der Grundfreiheiten EuGH (Große Kammer) 16.12.2008, Rs. C-210/06, Slg. 2008, I-9641 Rn. 109 – Cartesio. 215 EuGH (Große Kammer) 18.10.2011, Rs. C-34/10, Slg. 2011, I-9821 Rn. 25 – Brüstle; siehe auch bereits EuGH 18.1.1984, Rs. 327/82, Slg. 1984, 107 Rn. 11 – Ekro; EuGH 19.9.2000, Rs. C-287/98, Slg. 2000, I-6917 Rn. 43 – Linster; zum Schadensrecht EuGH 14.3.2013, Rs. C-420/11, ECLI:EU:C:2013:166 Rn. 24 – Leth; ferner EuGH 7.12.2006, Rs. C-306/05, Slg. 2006, I-11519 Rn. 31 – SGAE; EuGH 14.12.2006, Rs. C-316/05, Slg. 2006, I-12083 Rn. 21 – Nokia; EuGH (Große Kammer) 3.7.2012, Rs. C-128/11, ECLI:EU: C:2012:407 Rn. 39 – UsedSoft; siehe bereits EuGH 19.3.1964, Rs. 75/63, Slg. 1964, 379, 396 – Unger. 213
V. Schadensbegriff und Schadensumfang
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2014/104). Folgt man dieser Lesart, so hätte die Richtlinie zumindest zu einem Perspektivenwechsel geführt, insofern an die Stelle der grundsätzlichen Anwendung des nichtharmonisierten nationalen Rechts, beschränkt nur durch die unionalen Rahmenvorgaben von Effektivität und Äquivalenz, die Anwendung eines grundsätzlich durch die Richtlinie harmonisierten Schadensbegriffs getreten ist, so dass nicht mehr nur die Untergrenze der Effektivität, sondern der Begriff des Schadens insgesamt unionsrechtlich geprägt wäre. Richtigerweise wird die Antwort in der Mitte zwischen beiden Positionen zu suchen sein. Im Ausgangspunkt folgt aus dem allgemeinen Gebot der autonomen und einheitlichen Auslegung des Unionsrechts, dass durch die Richtlinie eine Mindestharmonisierung des Schadensbegriffs vorgenommen wurde, so dass es sich nunmehr um einen europäisch-autonomen und nicht mehr um einen rein nationalen Begriff handelt. Allerdings orientiert sich diese Harmonisierung am Modell der richterrechtlichen Rahmensetzung durch den Effektivitätsgrundsatz, so dass den Mitgliedstaaten (vorbehaltlich des Effektivitätsgebots) bewusst ein Gestaltungsspielraum insbesondere bei den weiteren Haftungsvoraussetzungen wie Zurechenbarkeit, Adäquanz oder Verschulden (Erwägungsgrund 11 Satz 5 RL 2014/104) und bei der Schadensberechnung (Erwägungsgrund 46 Satz 1 RL 2014/104) belassen wurde. Insofern liegt in den Erwägungsgründen eine zulässige 216 Präzisierung des verfügenden Teils der Richtlinie217 dahingehend, dass in diesen Punkten auf das anwendbare nationale Recht verwiesen wird, während die Richtlinie die allgemeinen Parameter des Ersatzanspruchs wie das Gebot des vollständigen Schadensersatzes (Art. 3 Abs. 1 RL 2014/104), die Differenzhypothese (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 RL 2014/ 104), die ersatzfähigen Schadenspositionen (Art. 3 Abs. 2 Satz 2 RL 2014/104), 216 Dazu EuGH 24.11.2005, Rs. C-136/04, Slg. 2005, I-10095 Rn. 32 – Deutsches Milch-Kontor; EuGH (Große Kammer) 10.1.2006, Rs. C-344/04, Slg. 2006, I-403 Rn. 76 – IATA und ELFAA. 217 Dass der verfügende Teil der Richtlinie einen Verweis auf das nationale Recht nicht explizit erwähnt, begründet keinen Widerspruch zu den in den Erwägungsgründen vorgesehenen Verweisen auf das mitgliedstaatliche Recht, weil dem Schweigen des verfügenden Teils kein Rückgriffsverbot zu entnehmen ist. Im Gegenteil führt der Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach einzelstaatlichem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union KOM(2013) 404 S. 15 f., 22 zu den verfügenden Vorschriften der Richtlinie (Art. 3, 17 RL 2014/104) aus, dass mit diesen Regelungen „auf den gemeinschaftlichen Besitzstand hinsichtlich des Unionsrechts auf vollständigen Schadensersatz“ und „hinsichtlich der Klagebefugnis und der Bestimmung des zu ersetzenden Schadens verwiesen“ wird (15 f.) bzw. stellt ausdrücklich klar, dass „für die Quantifizierung des kartellrechtlichen Schadens die einzelstaatlichen Vorschriften und Verfahren zuständig“ (22) sind. Auch die in Richtlinien sonst unübliche ausdrückliche Verankerung des Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatzes (Art. 4 RL 2014/104) belegt, dass der Unionsgesetzgeber auch innerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie die ergänzende Anwendung nationaler Vorschriften nicht ausschließen wollte.
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§ 4 Kartelldeliktsrecht
das Verbot der Über- oder Mehrfachkompensation (Art. 3 Abs. 3 RL 2014/ 104), die Möglichkeit der Schadensschätzung (Art. 17 Abs. 1 Satz 2 RL 2014/104) und die Schadensvermutung bei Kartellen (Art. 17 Abs. 2 RL 2014/104) unionsrechtlich verbindlich vorgibt.218 Im Ergebnis schafft der Unionsgesetzgeber damit einen „halbautonomen Schadensbegriff“, der der Rahmensetzung des nationalen Schadensbegriffs durch effektivitätsgebotene Minima durchaus ähnelt219 und nicht der Harmonisierungsdichte vollharmonisierender Richtlinien oder Verordnungen gleichkommt. 2. Naturalrestitution und Schadenskompensation Die Abgrenzung von Naturalrestitution und Schadenskompensation ist im Kartelldeliktsrecht, sieht man einmal von Belieferungsansprüchen in kartellrechtswidrigen selektiven Vertriebssystemen ab, nur von untergeordneter Bedeutung, da es im Regelfall vor allem um den Ersatz des kartellbedingten Preisaufschlags220 (Erwägungsgrund 39 Satz 1, 43 Satz 1 RL 2014/104), allenfalls noch des entgangenen Gewinns infolge des durch die kartellbedingte Preiserhöhung verringerten Absatzes (Erwägungsgrund 40 RL 2014/104) geht. Beide Schadenspositionen sind in Geld zu entschädigen, so dass die konkrete Begründung der Ersatzpflicht über § 249 Abs. 1 BGB oder § 251 BGB im Regelfall nicht ergebnisrelevant ist.221 Deshalb gibt auch der an den Zu diesem Befund (allerdings bezogen auf die Haftungsbegründung) auch Vollrath NZKart 2013, 434, 440: „nicht vollständig harmonisiert, aber doch wesentliche Elemente der Haftungsnorm (Aktiv- und Passivlegitimation, Grundzüge der Zurechnung, Maßstab des vollständigen Ersatzes) unionsrechtlich determinier[t]“. 219 Allerdings sind die unionalen Vorgaben dichter und z. T. unterschiedlich (z. B. Art. 3 Abs. 3 RL 2014/104) als die richterrechtlichen Vorgaben aufgrund des Effektivitätsgebots, deren Weiterentwicklung die Richtlinie ausdrücklich (Erwägungsgrund 12 Satz 1 RL 2014/104) zulässt. 220 Bei Einkaufskartellen geht es um den kartellbedingten Mindererlös, Erwägungsgrund 43 Satz 3 RL 2014/104. 221 Dies zeigt sich auch an den Unsicherheiten im deutschen Kartelldeliktsrecht über die Bedeutung der Naturalrestitution. Abgesehen von den Belieferungsansprüchen, die zuweilen auch auf § 249 Abs. 1 BGB gestützt werden (vgl. OLG Düsseldorf 30.11.2011, VI-U (Kart) 14/11 Rn. 39 (juris)), werden monetäre Kompensationsansprüche sowohl auf § 249 Abs. 1 (vgl. OLG Düsseldorf 5.5.2004, VI-U (Kart) 29/03, U (Kart) 29/03, RdE 2005, 15 Rn. 32 (juris): „Gemäß 249 Abs. 1 BGB hat sie die Klägerin so zu stellen, wie diese ohne das kartellrechtswidrige Verhalten stünde. Die Beklagte hat der Klägerin folglich den aus der unterbliebenen Netznutzung erwachsenen wirtschaftlichen Schaden zu ersetzen“) wie auf §§ 251, 252 BGB gestützt, Hüschelrath u. a. Schadensermittlung und Schadensersatz bei Hardcore-Kartellen (2012) S. 51; Fuchs in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 55, 84: „nur Entschädigung in Geld nach §§ 251, 252 BGB“; Rauh/Zuchandke/Reddemann WRP 2012, 173, 174: „Da die Naturalrestitution nach § 249 Abs. 1 BGB regelmäßig ausscheiden wird, ist der Kläger in Geld zu entschädigen, §§ 251, 252 BGB.“ Der Ersatz immaterieller Schäden, für den die 218
V. Schadensbegriff und Schadensumfang
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Ergebnissen orientierte Effektivitätsgrundsatz keine konkrete Ausgestaltung des nationalen Schadensrechts in diesem Punkt vor, solange die vollständige Kompensation des tatsächlichen Schadens sichergestellt ist.222 Für eine Überantwortung der Frage in die nationale Regelungsautonomie spricht auch die Entscheidung Automec, wonach es – abgesehen von der Nichtigkeit gemäß Art. 101 Abs. 2 AEUV – „Sache des nationalen Rechts [ist], die übrigen mit einer Verletzung des Artikels 85 EWGVertrag verbundenen Rechtsfolgen wie etwa die Verpflichtung zum Ersatz des einem Dritten zugefügten Schadens oder gegebenenfalls eine Verpflichtung zum Vertragsschluß festzulegen“.223
Aus der Alternativität224 von Schadensersatz und Vertragsschluss (Anspruch auf Belieferung, etwa in selektiven Vertriebssystemen) und der Verneinung einer Befugnis der Kommission, im Rahmen kartellbehördlicher Abhilfemaßnahmen die Begründung vertraglicher Beziehungen aufzugeben225 lässt sich folgern, dass der Effektivitätsgrundsatz die Entscheidung zwischen monetärer Kompensation und Naturalrestitution durch Belieferungsanspruch den natioBegründung über § 249 oder § 251 BGB wegen § 253 BGB relevant sein kann, ist im Kartelldeliktsrecht bisher ersichtlich ohne praktische Bedeutung geblieben. 222 Im Unterschied zu dem – hier nicht erörterten – Art. 102 AEUV lässt sich aus dem Effektivitätsgrundsatz auch nicht ohne weiteres eine Belieferungspflicht bei kartellrechtswidrigen selektiven Vertriebssystemen ableiten, denn in diesem Fall könnte der Kartellrechtsverstoß auch durch Aufgabe des Vertriebssystems abgestellt werden, vgl. Weyer in: Frankfurter Kommentar II (2009) Art. 81 EG Zivilrechtsfolgen Rn. 210: „Seine Grundlage [des Belieferungsanspruchs] wäre nach hiesigem Verständnis zwar nicht im Grundsatz der Effektivität zu finden, weil der Kartellverstoß auch durch Aufgabe bzw. Anpassung des rechtswidrigen Vertriebssystems beendet werden könnte“; zur RL 2014/104 Geibel FS Müller-Graff (2015) 558, 565: kein schadensrechtlicher Kontrahierungszwang; a. A. Mäsch ZIP 1999, 1507, 1515: „Genau dies [Verwirklichung der Gemeinschaftsregelung wird praktisch unmöglich] tritt hier aber ein, wenn man dem Händler einen Belieferungsanspruch verweigert: Auf Geld, das heißt im Wesentlichen auf Ersatz des entgangenen Gewinns (§ 252 BGB), gerichtete Schadensersatzforderungen werden bereits an den fehlenden Möglichkeiten zur Substanziierung und zum Beweis der entsprechenden Beträge scheitern […]. Wie soll der Händler […] darlegen und beweisen, welche Produkte des Herstellers er bei direkter Belieferung in welchen Quantitäten und mit welcher Spanne hätte absetzen können, und wie sich dies auf den Umsatz mit seinem übrigen Sortiment ausgewirkt hätte, immer unter Berücksichtigung der Tatsache, dass er bei Nichtbelieferung durch den Hersteller in ungewissem Umfang und zu ungewissen Preisen ja auch auf den Graumarkt zurückgreifen kann? Es wird ihm nicht gelingen, und so bleibt ihm nur die bittere Erkenntnis, dass der Hersteller ihn zwar ‚eigentlich‘ hätte beliefern müssen, für seine Weigerung, dies zu tun, aber faktisch nicht belangt werden kann.“ 223 EuG 18.9.1992, Rs. T-24/90, Slg. 1992, II-2223 Rn. 50 – Automec. 224 Wurmnest in: Behrens/Braun/Nowak (Hrsg.) Europäisches Wettbewerbsrecht im Umbruch (2004) 213, 245 liest die Entscheidung demgegenüber so, dass aus Automec und dem Effektivitätsgrundsatz ein Anspruch auf Belieferung folge. 225 EuG 18.9.1992, Rs. T-24/90, Slg. 1992, II-2223 Rn. 51 – Automec.
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§ 4 Kartelldeliktsrecht
nalen Rechten überlässt. Davon unberührt bleibt allerdings die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, bei Kartellverstößen neben dem Schadensersatzanspruch Ansprüche auf Unterlassung und Beseitigung vorzusehen.226 An der unionsrechtlichen Indifferenz gegenüber einem an der Naturalrestitution oder der Schadenskompensation ausgerichteten nationalen Schadensrecht ändert auch die Kartellschadensersatzrichtlinie 2014/104 nichts. Zwar scheint der an § 249 Abs. 1 BGB („Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre“) erinnernde Wortlaut von Art. 3 Abs. 2 Satz 1 RL 2014/104 („Der vollständige Ersatz versetzt eine Person, die einen Schaden erlitten hat, in die Lage, in der sie sich befunden hätte, wenn die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht nicht begangen worden wäre“) für eine Orientierung der Richtlinie an der Naturalrestitution zu sprechen, weil die Richtlinie auf die „Herstellung des Zustands, der ohne das schädigende Ereignis bestehen würde“227 abzielt. Indes erkennt die Richtlinie an, dass die Prüfung der hypothetischen Situation ohne die Zuwiderhandlung im Kartellrecht „niemals mit letzter Genauigkeit vorgenommen werden kann“ (Erwägungsgrund 46 Satz 4 RL 2014/104), so dass es sich nicht um eine echte Form der Naturalrestitution handeln kann. Auch finden sich an anderer Stelle Hinweise auf eine Orientierung des Schadensersatzes an der Geldentschädigung (Art. 17 Abs. 1 Satz 2 RL 2014/104: „Höhe des Schadens zu schätzen“; Art. 17 Abs. 3 RL 2014/104: „Höhe des Schadensersatzes“). Vor allem ist es nach Erwägungsgrund 46 Satz 1 RL 2014/104 „Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats, die eigenen Vorschriften über die Schadensberechnung festzulegen“, was auch die Entscheidung für einen Vorrang der Naturalrestitution vor der Schadenskompensation umfasst.228
Siehe die Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 22.5.2003, verb. Rs. C264/01 u. a., Slg. 2004, I-2493 Rn. 104 – AOK Bundesverband: „Dieselbe Beurteilung [Anspruchsberechtigung von Jedermann nach Courage] gilt meines Erachtens auch für den Anspruch auf Beseitigung“; Weyer in: Frankfurter Kommentar II (2009) Art. 81 EG Zivilrechtsfolgen Rn. 207. Die Kartellschadensersatzrichtlinie regelt diese Frage nicht, da ihr Anwendungsbereich auf Schadensersatzansprüche beschränkt ist (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 RL 2014/104). Der Beseitigungsanspruch kann sich in den Rechtsfolgen mit dem Schadensersatzanspruch überschneiden, allgemein oben § 3 II 1 c bb → S. 138, zum Kartellrecht Bien ZWeR 2013, 448, 455 ff.; Keßler WRP 2015, 929, 930 ff. 227 Zu dieser Definition der Naturalrestitution Oetker in: MünchKommBGB II7 (2016) § 249 Rn. 320. 228 Ähnlich Geibel FS Müller-Graff (2015) 558, 564, der allerdings aus Art. 13 RL 2014/104 den Willen des Richtliniengebers schließt, „den Geschädigten grundsätzlich so zu stellen, wie er bei Abschluss eines Vertrages zu vom Kartellverstoß unbeeinflussten Preiskonditionen stünde, mithin das positive Interesse an einer günstigeren Vertragsgestaltung mit demselben Vertragspartner“. 226
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3. Schadensumfang Ausgangspunkt für den Schadensumfang sind die Anforderungen, die der Gerichtshof in Manfredi aus dem Äquivalenz- und dem Effektivitätsgrundsatz entwickelt hat. Grundlegend ist dabei die Vorgabe, dass die „tatsächlich entstandenen Schäden gemäß den anwendbaren staatlichen Regeln in vollem Umfang auszugleichen“ sind,229 wobei die konkreten Schäden durch einen Vermögensvergleich nach der Art der Differenzmethode zu ermitteln sind.230 Art. 3 Abs. 1 RL 2014/104 bestätigt nun ausdrücklich die Verpflichtung zum 229 EuGH 2.8.1993, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367 Rn. 26 – Marshall II. Zwar bezieht sich diese Entscheidung auf das Antidiskriminierungsrecht, kann aber offenbar auch für den kartelldeliktischen Schadensersatz herangezogen werden, wie sich aus dem Verweis in EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 97 – Manfredi zur Verzinsungspflicht ergibt. Für eine Übertragung auch Logemann Der kartellrechtliche Schadensersatz (2009) S. 114. Siehe auch EuGH 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 90 – Brasserie du Pêcheur: „Somit ist den vorlegenden Gerichten zu antworten, daß der von den Mitgliedstaaten zu leistende Ersatz der Schäden, die sie dem einzelnen durch Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht verursacht haben, dem erlittenen Schaden angemessen sein muß.“ Ebenso auch die Begründung zum unveröffentlichten Proposal for a Council Directive on rules governing actions for damages for infringements of Articles 81 and 82 of the Treaty, S. 7: „The notion of actual loss referred to in these provisions is taken from the case-law of the Court of Justice, and does not exclude any type of damage (material or immaterial) that could be caused by an infringement of Articles 81 and 82 of the Treaty“ und Art. 1 des Proposal: „(1) This Directive sets out the rules which need to be adopted in order to ensure that anyone who has suffered a harm by an infringement of Articles 81 or 82 of the Treaty can effectively enforce the right, guaranteed by the Treaty, to full compensation for that harm. (2) Full compensation shall put anyone who has suffered such harm as nearly as possible into the position in which he would have been absent the infringement. It shall thus include compensation for actual loss, for loss of profit and payment of interest from the time occurred until it has actually been compensated.“ 230 EuGH 4.10.1979, Rs. 238/78, Slg. 1979, 2955 Rn. 13 – Ireks-Arkady: „Der Schaden, den die Klägerin geltend macht, soll darauf beruhen, dass der Rat die Erstattungen abgeschafft hat, welche den Herstellern von Quellmehl hätten gezahlt werden müssen, wenn die Gleichbehandlung mit den Herstellern von Maisstärke eingehalten worden wäre. Die Höhe dieser Erstattungen stellt also die Grundlage für die Berechnung des erlittenen Schadens dar.“ Zwar bezieht sich diese Entscheidung auf die Haftung nach Art. 340 Abs. 2 AEUV, kann aber offenbar auch für den kartelldeliktischen Schadensersatz herangezogen werden, wie sich aus dem Verweis in EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 94 – Manfredi zum Bereicherungsverbot ergibt. Siehe auch Art. 1 Abs. 2 des unveröffentlichten Proposal for a Council Directive on rules governing actions for damages for infringements of Articles 81 and 82 of the Treaty (vorige Fn.); OLG Düsseldorf 27.6.2007, VI-2 U (Kart) 9/05, 2 U (Kart) 9/05, WuW/E DE-R, 2109 Rn. 56; EUKommission Entwurf eines Leitfadens zur Quantifizierung des Schadens in Schadensersatzklagen wegen Verletzung des Artikels 101 oder 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (2011) Rn. 10, 109; Monopolkommission Das allgemeine Wettbewerbsrecht in der Siebten GWB-Novelle, Sondergutachten 41 (2004) Rn. 60; für eine Übertragung auch Logemann Der kartellrechtliche Schadensersatz (2009) S. 114.
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„vollständigen Ersatz“ des durch die Wettbewerbsverletzung verursachten Schadens. Gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 1 RL 2014/104 versetzt dieser vollständige Ersatz „eine Person, die einen Schaden erlitten hat, in die Lage, in der sie sich befunden hätte, wenn die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht nicht begangen worden wäre“, so dass sich auch die Differenzmethode in der Richtlinie verankert sieht.231 a) Materielle Schäden Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 2 RL 2014/104 erfasst der nach der Differenzmethode ermittelte vollständige Ersatz „das Recht auf Ersatz der eingetretenen Vermögenseinbuße und des entgangenen Gewinns, zuzüglich der Zahlung von Zinsen“. Auch diese Regelung ist durch eine Wendung in der Entscheidung Manfredi inspiriert, wonach „aus dem Effektivitätsgrundsatz und dem Recht einer jeden Person auf Ersatz des Schadens, der ihr durch einen Vertrag, der den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, oder ein entsprechendes Verhalten entstanden ist, folgt, dass ein Geschädigter nicht nur Ersatz des Vermögensschadens (damnum emergens), sondern auch des entgangenen Gewinns (lucrum cessans) sowie die Zahlung von Zinsen verlangen können muss.“232
Das Gebot der vollständigen Kompensation bedeutet also, dass der Ersatz nicht allein den Vermögensschaden, sondern auch den entgangenen Gewinn insbesondere in Form der infolge der kartellbedingten Verteuerung nicht er231 Mitteilung der Kommission zur Ermittlung des Schadensumfangs bei Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen Artikel 101 oder 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU C 167 vom 13.6.2013, 19 Rn. 3: „Vergleich der aktuellen Lage der Kläger mit der Lage, in der sie sich befinden würden, wäre es nicht zu einer Zuwiderhandlung gekommen“, Rn. 6: „Ersatz für Schaden impliziert, dass die Geschädigten in die Lage versetzt werden, in der sie sich befänden, wäre es nicht zu einer Zuwiderhandlung […] gekommen“, Rn. 9: „Bei der Ermittlung eines solchen Schadens muss die aktuelle Lage des Geschädigten mit der Lage verglichen werden, in der er sich ohne die Zuwiderhandlung befunden hätte“; Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen – Praktischer Leitfaden zur Ermittlung des Schadensumfangs bei Schadensersatzklagen im Zusammenhang mit Zuwiderhandlungen gegen Artikel 101 oder 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Rn. 11, abrufbar unter : „Daher muss die tatsächliche Lage des Geschädigten mit der Lage verglichen werden, in der er sich ohne die Zuwiderhandlung befände. Diese Prüfung wird manchmal mit dem englischen Begriff ‚but for analysis‘ bezeichnet, der sich von dem Ausdruck ‚comparison with the identical situation but for the infringement‘ ableitet“; Brömmelmeyer NZKart 2016, 2, 3 f. 232 EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 95 – Manfredi; Mitteilung der Kommission zur Ermittlung des Schadensumfangs bei Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen Artikel 101 oder 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU C 167 vom 13.6.2013, 19 Rn. 6: „der volle reale Wert“ der Verluste muss erstattet werden.
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zielten Umsätze und die Zinsen (dazu unten § 4 X → S. 245) umfasst.233 Während das Unionsrecht somit gewisse Vorgaben zum Umfang der ersatzfähigen Schadenspositionen macht, bleibt die konkrete Methode zur Schadensbestimmung234 „Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes Mit233 EU-Kommission Entwurf eines Leitfadens zur Quantifizierung des Schadens in Schadensersatzklagen wegen Verletzung des Artikels 101 oder 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (2011) Rn. 18; Lettl ZHR 167 (2003) 473, 486 ff.; Monopolkommission Das allgemeine Wettbewerbsrecht in der Siebten GWB-Novelle, Sondergutachten 41 (2004) Rn. 62, 64; Wurmnest in: Behrens/Braun/Nowak (Hrsg.) Europäisches Wettbewerbsrecht im Umbruch (2004) 213, 242. Unter entgangenen Gewinn könnte man außerdem noch die kartellbedingt reduzierte Gewinnmarge der Abnehmer fassen, die indes bereits durch den Posten der kartellbedingt überhöhten Preise umfasst wird, Hüschelrath u. a. Schadensermittlung und Schadensersatz bei Hardcore-Kartellen (2012) S. 66 Fn. 237. Zur Berechnung des entgangenen Gewinns ausführlich Logemann Der kartellrechtliche Schadensersatz (2009) S. 432 ff. 234 In der (unverbindlichen) Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen – Praktischer Leitfaden zur Ermittlung des Schadensumfangs bei Schadensersatzklagen im Zusammenhang mit Zuwiderhandlungen gegen Artikel 101 oder 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, abrufbar unter unterscheidet die Kommission unterschiedliche Methoden der Schadensschätzung, nämlich die Vergleichsmarktmethoden (also der Vergleich mit Zeiträumen vor oder nach der Zuwiderhandlung oder mit anderen, von der Zuwiderhandlung nicht betroffenen Märkten, dazu Rn. 27, 32–95), die Marktsimulation anhand ökonomischer Modelle (dazu Rn. 28, 96–121), die Kostenmethode (die von den Produktionskosten für das betroffene Produkt und einem Aufschlag für eine „angemessene“ Gewinnspanne ausgeht, dazu Rn. 28, 107–113) und finanzierungsbasierte Ansätze (die von der finanziellen Leistungskraft des Klägers bzw. des Beklagten ausgehen, dazu Rn. 28, 114–118); zu diesen Methoden Doose ZWeR 2014, 282; Brömmelmeyer NZKart 2016, 2, 5 f. Zur Vergleichsmarktmethode und Alternativen auch Fuchs in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 55, 86 ff.; Hüschelrath u. a. Schadensermittlung und Schadensersatz bei Hardcore-Kartellen (2012) S. 55, 58 ff.; Inderst/Schwalbe WuW 2012, 122; Rauh/Zuchandke/Reddemann WRP 2012, 173, 175 ff.; zur praktischen Relevanz der unterschiedlichen Methoden Pohlmann FS Säcker (2011) 911, 919 f. Die deutsche Rechtsprechung scheint eine gewisse Präferenz für die (zeitliche) Vergleichsmarktmethode entwickelt zu haben, BGH 19.6.2007, KRB 12/07, NJW 2007, 3792 Rn. 19 – Papiergroßhandel: „Bei der Ermittlung eines fiktiven Marktpreises ist die Vergleichsmarktbetrachtung grundsätzlich die überlegene Schätzungsmethode“ (zur Einschätzungsprärogative des Richters auch Rn. 12); siehe auch OLG Karlsruhe 11.6.2010, 6 U 118/05 (Kart) Rn. 19 ff. (juris) zur Ermittlung des hypothetischen Wettbewerbspreises anhand der behördlich festgestellten, im Kartell abgesprochenen Preise; ferner KG 1.10.2009, 2 U 17/03, NJOZ 2010, 536 Leitsatz 12 – Zementkartell. Unverbindliche ökonomische Leitlinien für die Schadensberechnung bieten zudem Oxera Quantifying antitrust damages – Towards non-binding guidance for courts (2009), (dazu Pohlmann FS Säcker (2011) 911) und EU-Kommission Entwurf eines Leitfadens zur Quantifizierung des Schadens in Schadensersatzklagen wegen Verletzung des Artikels 101 oder 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (2011).
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§ 4 Kartelldeliktsrecht
gliedstaates“ (Erwägungsgrund 46 Satz 1 RL 2014/104).235 Insbesondere ist auch der Praktische Leitfaden der Kommission zur Ermittlung des Schadensumfangs bei Schadensersatzklagen im Zusammenhang mit Zuwiderhandlungen gegen Artikel 101 oder 102 AEUV236 „rein informativ“ und „nicht rechtsverbindlich“.237 aa) Ersatz des Vermögensschadens Beim Ersatz des Vermögensschadens geht es in erster Linie238 um den Ersatz des kartellbedingten Preisaufschlags („over-charge“), den Art. 2 Nr. 20 RL 2014/104 als „die Differenz zwischen dem tatsächlich gezahlten Preis und dem Preis, der sich ohne die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht ergeben hätte“239 definiert. Art. 17 Abs. 2 Satz 1 RL 2014/104 ergänzt für Kartelle (Art. 2 Nr. 14 RL 2014/104) eine widerlegliche Schadensvermutung „insbesondere durch Auswirkungen auf die Preise“, die sich allerdings nur auf das „Ob“, nicht auf „die konkrete Höhe des Schadens“ bezieht (Erwägungsgrund 47 Satz 1, 3 RL 2014/104).240 Zur Ermittlung des SchadensumMitteilung der Kommission zur Ermittlung des Schadensumfangs bei Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen Artikel 101 oder 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU C 167 vom 13.6.2013, 19 Rn. 8, 14: „[n]ach anwendbarem Recht muss festgelegt werden, welcher Ansatz zur Schadensermittlung als […] zweckmäßig angesehen werden kann“. 236 . 237 Mitteilung der Kommission zur Ermittlung des Schadensumfangs bei Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen Artikel 101 oder 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU C 167 vom 13.6.2013, 19 Rn. 8, 12. 238 Zur Ersatzfähigkeit sonstiger Schäden und zur entsprechenden Geltung bei Einkaufskartellen Erwägungsgrund 43 Satz 1 und Art. 12 Abs. 4 RL 2014/104. 239 Siehe auch Erwägungsgrund 39 Satz 1 RL 2014/104: „Ein Schaden in Form einer tatsächlichen Vermögenseinbuße kann sich aus der Differenz zwischen dem tatsächlich gezahlten Preis und dem Preis ergeben, der ohne die Zuwiderhandlung gezahlt worden wäre.“ Zur Definition bereits Art. 3 Nr. 12 des unveröffentlichten Proposal for a Council Directive on rules governing actions for damages for infringements of Articles 81 and 82 of the Treaty: „’overcharge’ means any positive difference between the price actually paid and the price that would have prevailed in the absence of infringement of Article 81 or 82 of the Treaty“. 240 Die widerlegliche Vermutung geht über den bereits in der deutschen Rechtsprechung anerkannten Anscheinsbeweis hinaus, weil der Beklagte nun den Beweis des Gegenteils (§ 292 ZPO) führen muss, während der Anscheinsbeweis bereits durch die Darlegung einer ernsthaften Möglichkeit eines anderweitigen Geschehensablaufs erschüttert werden kann, Kersting/Preuß Umsetzung der Kartellschadensersatzrichtlinie (2014/104/EU) (2015) Rn. 52; Brömmelmeyer NZKart 2016, 2, 3; wegen des erforderlichen Vortrags von Anknüpfungstatsachen skeptisch zur Bedeutung des Art. 17 Abs. 2 RL 2014/104 Kersting WuW 2014, 564, 573: „gegen Null tendieren dürfte“. Zum Anscheinsbeweis hinsichtlich des „Ob“ einer Kartellbedingtheit der Preiserhöhung bei Quotenkartellen bereits BGH 235
V. Schadensbegriff und Schadensumfang
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fangs muss also geprüft werden, „wie sich der betroffene Markt entwickelt hätte, wenn die Zuwiderhandlung nicht begangen worden wäre“, was „niemals mit letzter Genauigkeit vorgenommen werden kann“ (Erwägungsgrund 46 Satz 3, 4 RL 2014/104),241 so dass den nationalen Gerichten eine Schadensschätzungsbefugnis (Art. 17 Abs. 1 Satz 2 RL 2014/104) einzuräumen ist.242 Da es auf die tatsächliche Entwicklung des betroffenen Marktes ankommt, ist bei der Bestimmung des hypothetischen Wettbewerbspreises nicht auf den Preis bei vollständigem Wettbewerb abzustellen. Maßgeblich ist vielmehr der Preis ohne Kartellverstoß, der auch bei nicht kartellierten (z. B. oligopolistischen) Märkten vom Preis bei vollständigem Wettbewerb abweichen kann.243 Rechtfertigen lässt sich dies zum einen durch den Kompensationszweck, denn den Preis bei vollständigem Wettbewerb hätte der Abnehmer auch ohne Kar28.6.2011, KZR 75/10, NJW 2012, 928 Rn. 50 – ORWI (bei Preiserhöhung wie im Kartell abgesprochen); KG 1.10.2009, 2 U 10/03 (Kart), WuW/E DE-R 2773 Rn. 38 (juris) – Berliner Transportbeton; OLG Karlsruhe 31.7.2013, 6 U 51/12 (Kart), NZKart 2014, 366, 367 – Löschfahrzeuge; zum Bußgeldverfahren BGH 28.6.2005, KRB 2/05, NJW 2006, 163, 164 Rn. 20 (juris) – Quotenkartell; bei Preiskartellen LG Dortmund 1.4.2004, 13 O 55/02, WuW/E DE-R, 1352 Rn. 19 – Vitamine; zu empirischen Daten EU-Kommission Entwurf eines Leitfadens zur Quantifizierung des Schadens in Schadensersatzklagen wegen Verletzung des Artikels 101 oder 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (2011) Rn. 122 ff. Dies gilt indes nicht für im zeitlichen Zusammenhang mit dem Kartell auftretende Preiserhöhungen auf Anschlussmärkten, BGH 28.6.2011, KZR 75/ 10, NJW 2012, 928 Rn. 45 – ORWI mit Verweis auf EuGH 25.2.1988, Rs. C-331/85, Slg. 1988, 1099 Rn. 17 – Bianco und Girard und EuGH 2.10.2003, Rs. C-147/01, Slg. 2003, I-11365 Rn. 96 – Weber’s Wine World. 241 Mitteilung der Kommission zur Ermittlung des Schadensumfangs bei Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen Artikel 101 oder 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU C 167 vom 13.6.2013, 19 Rn. 3: „auf Hypothesen gestützte Beurteilung der vermutlichen Entwicklung der Marktbedingungen und der Interaktionen der Marktteilnehmer ohne die Zuwiderhandlung“, Rn. 9: „Es ist unmöglich, mit Gewissheit festzustellen, wie sich die Marktbedingungen und Interaktionen in einem zuwiderhandlungsfreien Szenario entwickelt hätten.“ 242 Zur Haftung der Union siehe auch EuGH 27.1.2000, Rs. C-104/89 und C-37/90, Slg. 2000, I-203 Rn. 79 – Mulder II: „Zu unterstreichen ist, daß in den vorliegenden Rechtssachen der entgangene Gewinn sich nicht aus einer einfachen mathematischen Berechnung ergibt, sondern das Ergebnis einer Bewertung und Beurteilung komplexer wirtschaftlicher Daten ist. Der Gerichtshof hat insoweit wirtschaftliche Tätigkeiten zu bewerten, die zum großen Teil hypothetischen Charakter besitzen. Er verfügt daher wie die nationalen Gerichte über einen weiten Beurteilungsspielraum sowohl in bezug auf die maßgeblichen statistischen Daten und Werte als auch vor allem in bezug auf die Verwendung dieser Daten und Werte bei der Berechnung und Bemessung des Schadens.“ 243 Hüschelrath u. a. Schadensermittlung und Schadensersatz bei Hardcore-Kartellen (2012) S. 54 f.; Brömmelmeyer NZKart 2016, 2, 4; Franck Marktordnung durch Haftung (2016) S. 538; a. A. G. Wagner in: Eger/Schäfer (Hrsg.) Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung (2007) 605, 626: „Ermittlung der Preisdifferenz […] sollte […] von einem Zustand vollständigen Wettbewerbs [ausgehen]“.
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tellverstoß nicht erzielt. Zum anderen ermöglicht ein Abstellen auf die tatsächlichen Marktpreise die prozessökonomische Anwendung empirischer Methoden wie der Vergleichsmarktmethode, bei der auf tatsächliche Marktpreise vor und nach dem Kartellverstoß oder auf räumlich benachbarten Märkten zurückgegriffen werden kann.244 Ist der hypothetische Preis ohne den Wettbewerbsverstoß vom Gericht ermittelt oder geschätzt worden, so lässt sich der kartellbedingte Preisaufschlag durch Multiplikation der Differenz zwischen Kartellpreis und Wettbewerbspreis mit der Zahl der eingekauften Einheiten ermitteln.245 Ferner verlangt das Unionsrecht, dass ein an spätere Abnehmer abgewälzter kartellbedingter Preisaufschlag („pass-on“) nicht von vorneherein die Schadensentstehung hindert, sondern erst auf der flexibleren Ebene der Schadensabwälzung als Einwendung gegen den Schadensersatzanspruch zu berücksichtigen ist (Art. 13 Satz 1 RL 2014/104), für die der Kartellbeteiligte die Beweislast trägt (Art. 13 Satz 2 RL 2014/104).246 Würde man infolge der Dazu bereits die Nachweise in Fn. 234. Siehe KG 1.10.2009, 2 U 10/03 (Kart), WuW/E DE-R Rn. 31 (juris) – Berliner Transportbeton; OLG Frankfurt 21.12.2010, 11 U 37/09, WuW/E DE-R 3163 Rn. 34 (juris); LG Dortmund 1.4.2004, 13 O 55/02, WuW/E DE-R, 1352 Rn. 19 (juris) – Vitamine; Monopolkommission Das allgemeine Wettbewerbsrecht in der Siebten GWB-Novelle, Sondergutachten 41 (2004) Rn. 62. 246 Siehe Erwägungsgrund 39 Satz 2 RL 2014/104: „Hat ein Geschädigter die Vermögenseinbuße dadurch verringert, dass er sie ganz oder teilweise auf seine Abnehmer abgewälzt hat, so stellt diese Vermögenseinbuße keinen Schaden mehr da, für den die Partei, die ihn abgewälzt hat, Ersatz erhalten muss“ (Hervorhebung nicht im Original). Ebenso BGH 28.6.2011, KZR 75/10, NJW 2012, 928 Rn. 56 – ORWI; Lettl ZHR 167 (2003) 473, 487; Wurmnest in: Behrens/Braun/Nowak (Hrsg.) Europäisches Wettbewerbsrecht im Umbruch (2004) 213, 243; Säcker/Jaecks in: MünchKommWettbR I2 (2015) Art. 101 AEUV Rn. 753; zur Kartellschadensersatzrichtlinie Kersting/Preuß Umsetzung der Kartellschadensersatzrichtlinie (2014/104/EU) (2015) Rn. 34; a. A. noch LG Mannheim 11.7.2003, 7 O 326/02, GRUR 2004, 182, 184 – Vitaminkartell. Zur Ausgestaltung als bloße „defence“ auch Art. 11 Abs. 1 des unveröffentlichten Proposal for a Council Directive on rules governing actions for damages for infringements of Articles 81 and 82 of the Treaty: „Member States shall ensure that the defendant in an action for damages can invoke as a defence against a claim for damages the fact that the claimant passed on the whole or part of the overcharge imposed on him.“ Für eine Berücksichtigung der Schadensabwälzung bereits bei der Frage der Existenz eines Schadens aber offenbar Cour de cassation 15.6.2010, N° 09-15816 – Doux Aliments v. Ajinomoto Eurolysine: „Attendu qu’en se déterminant ainsi, sans rechercher si les sociétés Doux avaient, en tout ou partie, répercuté sur leurs clients les surcoûts résultant de l'infraction commise par la société AE, de sorte que l’allocation de dommages-intérêts aurait pu entraîner leur enrichissement sans cause, la cour d’appel a privé sa décision de base légale“, dazu Bewertung von Thill-Tayara/Giner Asins in: Ilene Knable Gotts The Private Competition Enforcement Review, abrufbar unter , 149, 158: „The Supreme Court suggests that the burden of proving the 244 245
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Möglichkeit der Schadensabwälzung nämlich bereits die Schadensentstehung ausschließen, so hätte dies ähnliche Wirkungen wie eine Vermutung oder Beweisregel, die dem Kartellgeschädigten die Beweislast dafür auferlegt, dass die kartellbedingten Preisaufschläge nicht auf Folgeabnehmer abgewälzt worden sind. In beiden Fällen obläge dem Geschädigten, der für die Existenz des Schadens grundsätzlich darlegungs- und beweisbelastet ist, der Nachweis der Nichtabwälzung. Im Kontext von Schadensersatzansprüchen wegen unionsrechtswidriger Abgaben hat der Gerichtshof aber bereits entschieden, dass solche Vermutungen oder Beweisregeln mit dem Effektivitätsgrundsatz unvereinbar sind,247 so dass auch eine materielle Regelung, die infolge der nur möglichen Überwälzung bereits die Existenz eines Schadens und damit auch von Schadensersatzansprüchen ausschließt, mit dem Effektivitätsgebot in Spannung geriete. Demgegenüber ermöglicht es das flexiblere Instrument der Einwendung, verbunden mit der Möglichkeit der Schätzung der Abwälzung (Art. 12 Abs. 5 RL 2014/104), im Einzelfall eine ungerechtfertigte Bereicherung der direkten Abnehmer auszuschließen (vgl. Art. 12 Abs. 2 RL 2014/ 104) und die gebotene Würdigung der Abwälzung im konkreten Fall vorzunehmen.248 bb) Entgangener Gewinn Ebenso wie im Staatshaftungsrecht249 darf der entgangene Gewinn im Kartelldeliktsrecht absence of passing-on relies on the claimant, since this is part of the demonstration of the damage suffered.“ 247 EuGH 9.2.1999, Rs. C-343/96, Slg. 1999, I-579 Rn. 48 – Dilexport. 248 Vgl. dazu im Abgabenrecht EuGH 2.10.2003, Rs. C-147/01, Slg. 2003, I-11365 Rn. 96, 102 – Weber’s Wine World. 249 Dazu EuGH 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 87, 90 – Brasserie du Pêcheur: „Dazu ist zu bemerken, daß es nicht zulässig sein kann, den entgangenen Gewinn bei einem Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht vollständig vom ersatzfähigen Schaden auszuschließen. Insbesondere bei Rechtsstreitigkeiten wirtschaftlicher oder kommerzieller Natur ist nämlich ein solcher vollständiger Ausschluß des entgangenen Gewinns geeignet, den Ersatz des Schadens tatsächlich unmöglich zu machen. […] Eine nationale Regelung, die den ersatzfähigen Schaden generell auf die Schäden beschränken würde, die an bestimmten, besonders geschützten individuellen Rechtsgütern entstehen, wobei der entgangene Gewinn des einzelnen ausgeschlossen wäre, ist unvereinbar mit dem Gemeinschaftsrecht.“ Siehe auch (zu Art. 340 Abs. 2 AEUV) EuGH 19.5.1992, Rs. C-104/89 und C-37/90, Slg. 1992, I-3061 Rn. 26 – Mulder I: „Was die Höhe des von der Gemeinschaft zu ersetzenden Schadens angeht, ist – wenn nicht besondere Umstände vorliegen, die eine andere Beurteilung rechtfertigen – der entgangene Gewinn zu berücksichtigen, der sich aus der Differenz zwischen den Einkünften, die die Kläger bei normalem Lauf der Dinge aus den Milchlieferungen erzielt hätten, die sie getätigt hätten, wenn sie während des Zeitraums zwischen dem 1. April 1984, dem Tag des Inkrafttretens der Verordnung Nr. 857/84, und dem 29. Maerz 1989, dem Tag des Inkrafttretens der Verordnung Nr. 764/89, die Referenz-
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„bei einem Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht nicht vollständig vom ersatzfähigen Schaden ausgeschlossen werden, da andernfalls insbesondere bei Rechtsstreitigkeiten wirtschaftlicher oder kommerzieller Natur ein Ersatz des Schadens tatsächlich unmöglich sein könnte“.250
Aus der Einschränkung „nicht vollständig“ ist in der Literatur gefolgert worden, dass ein teilweiser Ausschluss des entgangenen Gewinns mit dem Effektivitätsgrundsatz vereinbar wäre.251 Indes dürfte auch ein teilweiser Ausschluss des entgangenen Gewinns der Verpflichtung zum vollständigen Ausgleich des tatsächlich entstandenen Schadens (Art. 3 Abs. 1 RL 2014/104) widersprechen.252 Zulässig dürfte indes ein Ausschluss solcher entgangener Gewinne sein, deren Entstehung sich nicht hinreichend sicher feststellen lässt, so dass sie nicht zum „tatsächlich entstandenen Schaden“ zu zählen sind.253 Zum kartellbedingt entgangenen Gewinn zählt insbesondere der entgangene Gewinn, der sich daraus ergibt, dass der unmittelbare Abnehmer die karmengen erhalten hätten, die ihnen zustanden, und den Einkünften ergibt, die sie aus ihren während dieses Zeitraums außerhalb einer Referenzmenge getätigten Milchlieferungen tatsächlich erzielt haben, zuzüglich der Einkünfte, die sie während desselben Zeitraums aus eventuellen Substitutionstätigkeiten erzielt haben oder hätten erzielen können.“; EuGH 27.1.2000, Rs. C-104/89 und C-37/90, Slg. 2000, I-203 Rn. 26 – Mulder II: „Wie in Randnummer 51 dieses Urteils bereits festgestellt worden ist, soll der Ersatz des Schadens nach ständiger Rechtsprechung soweit wie möglich das Vermögen des Opfers eines rechtswidrigen Verhaltens der Gemeinschaftsorgane wiederherstellen (siehe Urteil Grifoni/EAG, Randnr. 40). Um die Opfer in die Lage zu versetzen, in der sie sich befunden hätten, wenn die schädigende Handlung nicht geschehen wäre, ist in erster Linie der tatsächlich eingetretene Schaden zu ersetzen. Der entgangene Gewinn ist daher soweit wie möglich auf der Grundlage der individuellen Daten und Zahlen zu ersetzen, die die tatsächliche Lage des jeweiligen Klägers und seines Betriebes widerspiegeln.“ Zur Parallelität der Rechtsprechung Bulst ZEuP 2008, 178, 189 f. 250 EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 96 – Manfredi mit Verweis auf EuGH 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 87 – Brasserie du Pêcheur und Factortame und EuGH 8.3.2001, Rs. C-397/98 und C-410/98, Slg. 2001, I-1727 Rn. 91 – Metallgesellschaft. 251 Meessen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht (2011) S. 448. 252 Bereits EuGH 2.8.1993, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367 Rn. 26 – Marshall II. Zwar bezieht sich diese Entscheidung auf das Antidiskriminierungsrecht, kann aber offenbar auch für den kartelldeliktischen Schadensersatz herangezogen werden, wie sich aus dem Verweis in EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 97 – Manfredi zur Verzinsungspflicht ergibt. Für eine Übertragung auch Logemann Der kartellrechtliche Schadensersatz (2009) S. 114. Siehe auch EuGH 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 90 – Brasserie du Pêcheur: „Somit ist den vorlegenden Gerichten zu antworten, daß der von den Mitgliedstaaten zu leistende Ersatz der Schäden, die sie dem einzelnen durch Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht verursacht haben, dem erlittenen Schaden angemessen sein muß.“ 253 So auch Meessen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EUKartellrecht (2011) S. 454 für den Ersatz verlorener Marktchancen.
V. Schadensbegriff und Schadensumfang
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tellbedingten Preisaufschläge zumindest teilweise an seine Abnehmer weitergibt, so dass sich sein Absatz infolge der Preiserhöhungen gegenüber seinen Abnehmern verringert (vgl. Erwägungsgrund 40 RL 2014/104). Spätestens mit der Kartellschadensersatzrichtlinie254 ist der Ersatz des entgangenen Gewinns aufgrund kartellbedingter Absatzeinbußen als eigenständiger Schadensposten zu begreifen, der strikt vom Ersatz der kartellbedingten Preisaufschläge zu trennen ist und auch nicht mit diesen – wie in der ORWIEntscheidung des BGH – durch wertende Instrumentarien wie die Vorteilsausgleichung verbunden werden darf. Die Trennung der Schadenspositionen ergibt sich aus Art. 12 Abs. 3 und Erwägungsgrund 40 RL 2014/104, wonach in Fällen, „in denen die Schadensabwälzung zu einem verringerten Absatz und somit einem Schaden in Form eines entgangenen Gewinns geführt hat, […] das Recht, Schadensersatz für diesen entgangenen Gewinn zu fordern, unberührt“ bleibt. Die ORWI-Entscheidung des BGH, der neben der ernsthaften Möglichkeit einer Überwälzung der kartellbedingt überhöhten Preise für die erfolgreiche Berufung des Kartellbeteiligten auf die Verteidigung der Vorteilsausgleichung zusätzlich verlangt hatte, dass „der Weiterwälzung keine Nachteile des Abnehmers gegenüberstehen, insbesondere kein Nachfragerückgang, durch den die Preiserhöhung (ganz oder teilweise) kompensiert worden ist“255 und damit zwei unterschiedliche Schadenspositionen über die Vorteilsausgleichung verquickt hatte, ist damit überholt.256 In der Praxis hat die Schadensposition des kartellbedingt entgangenen Gewinns allerdings, trotz ihrer seit Manfredi im Grundsatz gesicherten Ersatzfähigkeit, ersichtlich
254 Zuvor war umstritten, ob sich eine Verbindung der beiden Schadenspositionen vor dem Hintergrund des Effektivitätsgrundsatzes durch eine Übertragung der abgabenrechtlichen Rechtsprechung (dazu EuGH 27.2.1980, Rs. 68/79, Slg. 1980, 501 Rn. 26 – Just; EuGH 14.1.1997, verb. Rs. C-192/95 bis C-218/95, Slg. 1997, I-165 Rn. 30 – Comateb; EuGH 2.10.2003, Rs. C-147/01, Slg. 2003, I-11365 Rn. 98 ff. – Weber’s Wine World ) rechtfertigen lässt, ablehnend Meessen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht (2011) S. 515 f. mit dem Hinweis, dass es im Abgabenrecht nur einen potentiellen Anspruchsteller – den Abgabenschuldner – gebe, nicht aber im Kartelldeliktsrecht, wo es – in Kombination mit der Anspruchsberechtigung mittelbarer Abnehmer – zu einer Mehrfachhaftung für denselben Schadensposten kommen könne. 255 BGH 28.6.2011, KZR 75/10, NJW 2012, 928 Rn. 69 – ORWI. Auf den ökonomischen Zusammenhang zwischen den beiden Schadenspositionen „kartellbedingt überhöhte Preise“ und „entgangener Gewinn durch Nachfrageverlust“ weisen Hüschelrath u. a. Schadensermittlung und Schadensersatz bei Hardcore-Kartellen (2012) S. 73: „Der BGH trägt damit dem ökonomisch belegten Zusammenhang zwischen der Weiterwälzung eines Preiserhöhungsschadens und einem Nachfragerückgang Rechnung“ und Hellwig in: Basedow (Hrsg.) Private Enforcement of EC Competition Law (2007) 121, 124 f. hin. 256 Vollrath NZKart 2013, 434, 442; Schweitzer NZKart 2014, 335, 337; Kersting/ Preuß Umsetzung der Kartellschadensersatzrichtlinie (2014/104/EU) (2015) Rn. 39; Makatsch/Mir EuZW 2015, 7, 12.
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§ 4 Kartelldeliktsrecht
keine Rolle gespielt.257 Ebenfalls ersichtlich ohne praktische Bedeutung blieb ein Ersatz entgangener Skaleneffekte infolge eines ohne die Kartellierung möglichen Einkaufs größerer Mengen und der anteilige Ersatz für die Fixkosten, die auf jene Einheiten des Guts entfallen, die infolge des kartellbedingt überhöhten Preises nicht abgesetzt werden konnten.258 cc) Verlorene Marktchancen Während die Ersatzfähigkeit des entgangenen Gewinns sowohl durch den Effektivitätsgrundsatz wie durch die Kartellschadensersatzrichtlinie anerkannt ist, enthält sich die Richtlinie einer Aussage zur Ersatzfähigkeit bloßer Marktchancen. Außerhalb des Kartelldeliktsrechts findet sich mit Art. 2 Abs. 7 der vergaberechtlichen Richtlinie 92/13 eine Vorschrift, wonach der Anspruchsberechtigte einer Schadensersatzforderung für den Ersatz der Kosten der Vorbereitung eines Angebots oder für die Kosten der Teilnahme an einem Auftragsvergabeverfahren „lediglich nachzuweisen [hat], daß ein Verstoß gegen die Gemeinschaftsvorschriften für die Auftragsvergabe oder gegen einzelstaatliche Vorschriften zur Umsetzung dieser Vorschriften vorliegt und daß [er] eine echte Chance gehabt hätte, den Zuschlag zu erhalten, die aber durch den Rechtsverstoß beeinträchtigt wurde“.
257 Hüschelrath u. a. Schadensermittlung und Schadensersatz bei Hardcore-Kartellen (2012) S. 67; zur schwierigen Nachweisbarkeit des deadweight loss auch G. Wagner in: Eger/Schäfer (Hrsg.) Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung (2007) 605, 626 f. Dazu auch Morell WuW 2013, 959, 967, demzufolge es aufgrund der ORWI-Entscheidung des BGH (28.6.2011, KZR 75/10, NJW 2012, 928 Rn. 69) leichter werde, den entgangenen Gewinn der Marktgegenseite geltend zu machen, weil aufgrund der Vorteilsausgleichungslösung des BGH der Schadensabwälzungseinwand im Verhältnis zum unmittelbaren Abnehmer in der Regel scheitern werde, so dass die unmittelbaren Abnehmer den bei ihnen eingetretenen, aber tatsächlich weitergewälzten Kartellaufpreisschaden voll ersetzt erhalten, der sie gewissermaßen als Substitut für den nicht nachweisbaren entgangenen Gewinn infolge des Absatzrückgangs entschädige. Zwar ist zutreffend, dass nach ORWI der Schadensabwälzungseinwand deutlich erschwert wird und deshalb möglicherweise unberechtigterweise der (tatsächlich abgewälzte) Kartellaufpreisschaden der unmittelbaren Abnehmer ersetzt wird, allerdings entspricht dieser keinesfalls zwangsläufig dem entgangenen Gewinn durch verlorene Umsätze. Auch ist die Verknüpfung der Abwälzungseinwands mit dem Nichtverbleiben weiterer Nachteile beim unmittelbaren Abnehmer nicht mit Art. 12 Abs. 3, Art. 13 und Erwägungsgrund 40 der neuen Kartellschadensersatzrichtlinie 2014/104 vereinbar, so dass die ORWI-Entscheidung insofern überholt ist, vgl. Schweitzer NZKart 2014, 335, 337; Kersting/Preuß Umsetzung der Kartellschadensersatzrichtlinie (2014/104/EU) (2015) Rn. 39; Makatsch/Mir EuZW 2015, 7, 12. 258 Zu diesen Positionen, die bei einer Schadensberechnung anhand des Gesamtgewinnentgangs (im Unterschied zur Addition von Preisaufschlägen und kartellbedingt entgangenen Gewinnen) zu berücksichtigen wären, Bulst in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 117, 126, der sich gegen die Schadensberechnung anhand der Gesamtgewinnmethode ausspricht (126).
V. Schadensbegriff und Schadensumfang
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Indes dürfte diese Norm nicht als Anerkennung des Ersatzes von Gewinnoder Marktchancen zu verstehen sein, sondern lediglich den Ersatz der Vorbereitungs- und Teilnahmekosten erleichtern wollen.259 In der Rechtsprechung zur Unionshaftung nach Art. 340 Abs. 2 AEUV wurden entgangene Chancen zum Teil als materieller Schaden (abhängig von einer gewissen Mindestrealisierungswahrscheinlichkeit), in anderen Fällen als immaterieller Schaden (bei verspäteten Beurteilungen und daraus resultierenden Karrierenachteilen) ersetzt, wobei sich diese Judikate im Regelfall auf das Beamtendienstrecht der Union beziehen.260 In den Mitgliedstaaten sind die Ansichten zur Ersatzfähigkeit entgangener (Markt-)Chancen geteilt.261 In der Literatur wird argumentiert, dass das Erfordernis eines „nicht vollständigen“ Ausschlusses des entgangenen Gewinns durchaus den Ausschluss entgangener Marktchancen gestattet.262 259 Ackermann ZHR 164 (2000) 394, 428; Mäsch Chance und Schaden (2004) S. 154; Reider in: MünchKommWettbR III (2011) § 126 GWB Rn. 10; Prieß/Hölzl in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 167, 175. Im ursprünglichen Vorschlag für eine Richtlinie zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften betreffend die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor KOM(90) 297 für Art. 2 Abs. 7 wurden diese Kosten denn auch nur mit 1 % des Auftragswerts angesetzt, sofern der Anspruchsteller keine höheren Kosten nachweist. Weitergehend Fleischer JZ 1999, 766, 771, der für eine Ersatzfähigkeit bei entgangenen Chancen in Wettbewerbs- und Ausschreibungsfällen plädiert und in der deutschen Umsetzungsnorm in § 126 GWB den „letzten Beweis“ für die Sachgerechtigkeit einer solchen Lösung sieht (siehe auch Fn. 58: „Die Vorschrift verfolgt […] das unionsrechtlich vorgegebene Ziel, die Anforderungen an den Kausalitätsbeweis bei Schadensersatzverlangen zu verringern“ mit Verweis auf Baron Das neue Kartellgesetz (1999) S. 200 f., der wiederum den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Vergaberechtsänderungsgesetz wiedergibt, wo im Wesentlichen Art. 2 Abs. 7 RL 92/13 dargestellt wird); ebenso Steindorff EG-Vertrag und Privatrecht (1996) S. 364, 368 f. 260 Siehe die zusammenfassenden Darstellungen bei Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 213 ff.; Vaquer in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 2/42; Oskierski Schadensersatz im Europäischen Recht (2010) S. 348 ff.; ferner EuGH 21.2.2008, Rs. C-348/06 P, Slg. 2008, I-833 Rn. 55 – Girardot: „En l’espèce, il n’est pas contesté que, du fait de l’illégalité commise par la Commission, Mme Girardot a perdu de manière certaine et irrémédiable la chance d’être recrutée à un emploi au sein des services de cette institution à l’issue de la procédure en cause dans la présente affaire et que, partant, cette perte de chance constitue un dommage qui revêt pour elle un caractère réel et certain“; EuGÖD 11.7.2013, Rs. F-9/12, ECLI: EU:F:2013:116 Rn. 114–116 – CC/Parlament. 261 Aktueller Rechtsvergleich bei Meessen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht (2011) S. 405 (D), 428 ff. (England), 440 ff. (F); Mäsch Chance und Schaden (2004); zum deutschen Recht Ehlgen Probabilistische Proportionalhaftung und Haftung für den Verlust von Chancen (2013). 262 Meessen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht (2011) S. 454.
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Insgesamt dürfte sich aus diesem uneinheitlichen Befund keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zum Ersatz entgangener Marktchancen im Kartelldeliktsrecht ableiten lassen. Aus der Perspektive des Effektivitätsgrundsatzes und der Kartellschadensersatzrichtlinie ausreichend, aber auch erforderlich ist der Ersatz entgangenen Gewinns, der nach dem Grundsatz der vollständigen Kompensation auch den entgangenen Gewinn infolge kartellrechtswidrig vereitelten Marktzutritts, hilfsweise den „Wertverlust des behinderten Unternehmens oder die frustrierten Aufwendungen für den Marktzutritt“ umfasst.263 Legt man dies zugrunde, so dürfte die praktische Bedeutung einer expliziten Ersatzfähigkeit verlorener Marktchancen gering sein. Denn selbst in den Rechtsordnungen, die eine solche Doktrin nicht kennen, werden gewisse Nachfrageausfälle oder anderweitige Schäden durch verlorene Marktchancen, abhängig vom Beweismaß und der richterlichen Überzeugung von der Kartellbedingtheit im Einzelfall, ersetzt. Ob dieser Ersatz im Einzelfall höher oder niedriger ausfällt als der – im Regelfall ja nur anteilige – Ersatz verlorener Marktchancen dürfte weniger von der dogmatischen Ausgestaltung des Schadensrechts als vielmehr von der Handhabung der Beweisgrundsätze und der richterlichen Überzeugung im Einzelfall abhängen, zumal ein exakter Beweis über Nachfrageausfälle oder entgangene Marktchancen ohnehin nicht geführt werden kann. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die im Staatshaftungsrecht264 und auch im Vergaberecht265 entwickelten Anforderungen an Wurmnest in: Behrens/Braun/Nowak (Hrsg.) Europäisches Wettbewerbsrecht im Umbruch (2004) 213, 242. 264 Selbst eine statistische Wahrscheinlichkeit von 97,5 % hat das EuG in einem Fall nicht ausreichen lassen, vgl. EuG 17.3.2005, Rs. T-160/03, Slg. 2005, II-981 Rn. 113 – AFCon: „Die Kläger haben insofern zwar auf den Sonderbericht des Rechnungshofes Nr. 16/2000 über die Ausschreibungsverfahren für Dienstleistungsaufträge im Rahmen der PHARE- und TACIS-Programme zusammen mit den Antworten der Kommission (ABl. 2000, C 350, S. 1) verwiesen, aus dem sich ergebe, dass die Kommission bei 117 von 120 im Rahmen dieser Programme geschlossenen Verträgen der Empfehlung des Bewertungsausschusses gefolgt sei. Diese statistischen Angaben lassen jedoch nicht den Schluss zu, dass der Auftrag im vorliegenden Fall mit Sicherheit AFCon erteilt worden wäre, wenn GFA vom Verfahren ausgeschlossen worden wäre.“ 265 Zur fehlenden abschreckenden Wirkung des Ersatzanspruchs infolge des erforderlichen Nachweises einer echten Chance im Vergaberecht der Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG zwecks Verbesserung der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren im Bereich des öffentlichen Auftragswesens KOM(2006) 195 S. 2: „Außerdem haben diese Schadensersatzverfahren für die Auftraggeber kaum abschreckende Wirkung, vor allem deshalb nicht, weil die Unternehmen, die sich geschädigt fühlen, nachweisen müssen, dass sie eine echte Chance gehabt hätten, den Zuschlag zu erhalten.“ Auch in der deutschen Rechtsprechung wird das Erfordernis der „echten Chance“ so eng ausgelegt, so dass Zweifel an der Unionsrechtskonformität (kritisch Prieß/Hölzl NZBau 2011, 21, 23) bestehen, siehe BGH 27.11.2007, X ZR 18/07, BeckRS 2008, 01230 Rn. 27 – Hochwasserschutzanlage. Der BGH verlangt nicht nur, dass das Angebot in die engere Wahl gelangt wäre, sondern darüber hinaus, dass dieses „Ange263
V. Schadensbegriff und Schadensumfang
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eine ersatzfähige hinreichend sichere Chance z. T. so strikt sind, dass dieses Institut wohl nur selten dem Kläger die Durchsetzung seiner Haftungsansprüche erleichtert.266 Für die Effektivitätskonformität des Verzichts auf die Haftung für verlorene Chancen lässt sich zudem auf die Entscheidung Draehmpaehl zum Antidiskriminierungsrecht verweisen, in der der EuGH die gesetzliche Begrenzung des Schadensersatzes auf drei Monatsgehälter als Höchstbetrag für den Fall als unionsrechtskonform angesehen hat, dass der betreffende Bewerber die zu besetzende Position wegen der besseren Qualifikation des bevorzugten Kandidaten auch bei diskriminierungsfreier Auswahl nicht erhalten hätte. Nach Auffassung des Gerichtshofs gestattet der Effektivitätsgrundsatz nämlich, dass der „Schadensersatz der Tatsache Rechnung [trägt], daß bestimmte Bewerber auch bei diskriminierungsfreier Auswahl die zu besetzende Position wegen der besseren Qualifikationen des eingestellten Bewerbers nicht erhalten hätten“, weil solche Bewerber „nur einen Schaden erlitten haben, der sich aus ihrem Ausschluß von dem Einstellungsverfahren ergibt“.267 Deshalb sah der EuGH die Begrenzung des Schadensersatzes auf drei Monatsgehälter im Hinblick auf die ohnehin unterlegenen Bewerber als „nicht unangemessen“ an.268 Er legte aber zugleich dem Arbeitgeber die Beweislast dafür auf, „daß der Bewerber die zu besetzende Position auch dann nicht erhalten hätte, wenn keine Diskriminierung stattgefunden hätte“.269 Die Entscheidung Draehmpaehl spricht für die Zulässigkeit des Verzichts auf eine Haftung für verlorene Chancen und die Vereinbarkeit des haftungsrechtlichen „Alles oder bot besonders qualifizierte Aussichten auf die Zuschlagserteilung hätte haben müssen“. „Dass ein Angebot eine echte Chance auf den Zuschlag gehabt hätte, kann vielmehr erst dann angenommen werden, wenn der Auftraggeber darauf im Rahmen des ihm zustehenden Wertungsspielraums den Zuschlag hätte erteilen dürfen.“ Die „echte Chance“ wurde vom BGH a. a. O. Rn. 25, 29 sogar bei einem zweitplatzierten Angebot verneint. 266 Zwar hat der EuGH im Beamtendienstrecht auch unterhalb der Schwelle der echten Chance Schadensersatz zugesprochen, diesen aber auf einen symbolischen Euro (für die rechtswidrige Abweisung der Bewerbung) begrenzt, vgl. EuG 27.11.2003, verb. Rs. T-331/ 00 und T-115/01, Slg. ÖD 2003, II-1479 Rn. 203 f. – Bories: „Ainsi, même si la décision de rejet de sa candidature est intervenue le 17 mars 2000, Mlle Copes ne pouvait pas légitimement espérer voir son contrat renouvelé pour une durée indéterminée. Dans ces circonstances, il y a simplement lieu d'accorder une indemnité d'un euro pour réparer le préjudice moral subi par Mlle Copes du fait du rejet illégal de sa candidature.“ Diese Form des Schadensersatzes wäre im Antidiskriminierungsrecht wohl als effektivitätswidrig verworfen worden (vgl. EuGH 10.4.1984, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 Rn. 24 – von Colson und Kamann; EuGH 25.4.2013, Rs. C-81/12, ECLI:EU:C:2013:275 Rn. 64 – Accept), so dass im Ergebnis der Schadensersatz wegen verlorener Chance sogar hinter dem effektivitätskonformen Schadensersatz zurückbleibt. 267 EuGH 22.4.1997, Rs. C-180/95, Slg. 1997, I-2195 Rn. 34 – Draehmpaehl. 268 EuGH 22.4.1997, Rs. C-180/95, Slg. 1997, I-2195 Rn. 35 – Draehmpaehl. 269 EuGH 22.4.1997, Rs. C-180/95, Slg. 1997, I-2195 Rn. 36 – Draehmpaehl.
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Nichts“-Modells mit dem Effektivitätsgrundsatz, insofern der EuGH die beiden Konstellationen „ohnehin erfolgloser Bewerber“ (Haftungshöchstgrenze zulässig) und „erfolgreicher Bewerber“ (Haftungshöchstgrenze unzulässig) gegenüberstellt, ohne eine prozentuale Differenzierung der Erfolgschancen als unionsrechtlich geboten anzumahnen. dd) Schadensberechnung anhand des Verletzergewinns? Eine weitere bei Wettbewerbsdelikten diskutierte Besonderheit des Schadensrechts ist die Diskussion um die Anlehnung des Schadensersatzanspruchs an den Gewinn des Verletzers. Angesichts der expliziten Verankerung dieser Berechnungsmethode im europäischen Immaterialgüterrecht (Art. 13 Abs. 1 Satz 2 lit. a RL 2004/48) und der Orientierung der (behördlichen) Sanktionen bei Kapitalmarktdelikten an den aus dem Delikt resultierenden Vermögensvorteilen des Schädigers270 stellt sich die Frage, ob dieses Kriterium auch bei der Bestimmung des zivilrechtlichen Schadensersatzes bei Marktdelikten europarechtlich geboten ist (zum deutschen Recht § 33 Abs. 3 Satz 3 GWB)271. Indes lässt sich die Situation im Immaterialgüterrecht und im Kartellrecht nicht ohne weiteres vergleichen. Immaterialgüterrechtsverletzungen sind durch den Eingriff in ein ausschließliches Recht gekennzeichnet, das der Verletzer ohne Gestattung durch den Rechtsinhaber generell nicht hätte nutzen dürfen und dessen Erträge deshalb dem Rechtsinhaber zustehen. Der Zugriff auf den Verletzergewinn stellt gewissermaßen eine Annäherung an die Marktanteilsverschiebung durch die Rechtsverletzung dar, und selbst insofern mag man Zweifel haben, ob tatsächlich eine schadensersatzrechtliche Rechtfertigung der Gewinnherausgabe trägt.272 EuGH 23.12.2009, Rs. C-45/08, Slg. 2009, I-12073 Rn. 73 – Spector Photo Group (zur Marktmissbrauchsrichtlinie 2003/6, nunmehr Marktmissbrauchsverordnung 596/2014). 271 Die Norm wird – anders als der Anspruch auf Herausgabe des Verletzergewinns im Immaterialgüterrecht – überwiegend nicht als Anspruch auf Herausgabe des Verletzergewinns als Option des Geschädigten, sondern lediglich als zusätzliche Methode zur Schadensschätzung oder gesetzliche Schadensvermutung verstanden, Ellger FS Möschel (2011) 191, 219; Bornkamm in: Langen/Bunte Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht I12 (2014) § 33 Rn. 155; K. Schmidt in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.) Wettbewerbsrecht EU I/25 (2012) Anh. 2 VO 1/2003 Rn. 29: es handele sich um einen „schätzungsbasierten Schadensersatz“; näher zum Streitstand Rauh NZKart 2013, 222, 226 f. mit Nachweis auch abweichender Auffassungen. Umstritten ist außerdem, ob nach § 33 Abs. 3 Satz 3 GWB der anteilige Gesamtgewinn des Verletzers oder nur der anteilige Mehrgewinn, der durch den Kartellverstoß erlangt wurde, herauszugeben ist, dazu ausführlich Rauh NZKart 2013, 222 ff. 272 Skeptisch Metzger in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 209, 218: „Die Umsätze des Verletzers hängen von seinem kaufmännischen Geschick ab und können nicht ohne Weiteres auf den Rechtsinhaber projiziert werden“; positiver Koziol in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und 270
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Demgegenüber sind die Einbußen bei Kartelldelikten anderer Natur.273 Sie können zwar durchaus Konkurrenten betreffen, denen durch kartellrechtswidrige Praktiken (z. B. verbotene Kopplungsgeschäfte) der Marktzutritt verwehrt oder erschwert wird. Insofern mag man erwägen, den Schadensersatz in Anlehnung an die Verletzergewinne zu berechnen, um den Konkurrenten für den kartellrechtswidrig verweigerten Marktzutritt zu entschädigen.274 Auf der anderen Seite ist zu bedenken, dass im Lauterkeitsrecht als Schwesterdisziplin des Kartellrechts zumindest in Deutschland die Schadensberechnung nach dem Verletzergewinn nur bei immaterialgüterrechtsnahen Delikten wie dem ergänzenden wettbewerblichen Leistungsschutz (§ 4 Nr. 3 UWG) und dem Geheimnisschutz (§§ 17, 18 UWG), nicht aber generell gestattet wird.275 Zudem steht auch bei verweigertem Marktzutritt nicht ohne weiteres fest, dass der Verletzergewinn dem entgangenen Gewinn des geschädigten Konkurrenten entspricht, denn die Erträge können auch sehr maßgeblich durch andere Effekte (z. B. Reputation des Kartellanten, Vertriebsstruktur und -organisation, Werbung) beeinflusst sein. Und schließlich lässt sich im Kartellrecht auch nicht – wie im Immaterialgüterrecht – behaupten, dass die Erträge bei rechtmäßigem Verhalten ohnehin dem Geschädigten (zumindest teilweise) zugestanden hätten, denn im Unterschied zum Immaterialgüterrecht verleiht das Wettbewerbsrecht keine Ausschließlichkeitsrechte zur Nutzung bestimmter Zeichen, Schöpfungen oder technischer Lehren.276 Als intuitiv einleuchtender wird eine Schadensberechnung anhand des Verletzergewinns bei den Kartelleinbußen der Abnehmer bis hin zum Endverbraucher empfunden.277 Deren Einbußen durch kartellbedingt überhöhte Preise haben mit den Gewinnen des Verletzers insofern zu tun, als dass der kartellbedingte Zusatzgewinn des Verletzers gerade aus der kartellbedingten Preiserhöhung resultiert. Allerdings besteht auch dieser Zusammenhang nicht Wirtschaftsrecht (2012) 5, 23: „der immaterialgüterrechtlichen Norm durch Analogie generelle Geltung zu verschaffen“. 273 Ebenso (zu § 33 Abs. 3 Satz 3 GWB) Meessen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht (2011) S. 423 f. 274 Vgl. Meessen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EUKartellrecht (2011) S. 423; anders Logemann Der kartellrechtliche Schadensersatz (2009) S. 464 f., der die Schadensberechnung anhand des Verletzergewinns bei Konkurrentenschäden für ungeeignet hält, weil „der Gewinn des Delinquenten keinerlei Bezug zur tatsächlichen Schadenshöhe des Verletzten aufweist“. 275 Ohly in: Ohly/Sosnitza, UWG6 (2014) § 9 Rn. 15. 276 K. Schmidt in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.) Wettbewerbsrecht EU I/25 (2012) Anh. 2 VO 1/2003 Rn. 29: das Kartellrecht habe „vielfach mit einer Vielzahl von Anspruchsberechtigten zu tun“ und „vor allem nicht mit dem Eingriff in ein dem Betroffenen ausschließlich zugewiesenes Recht“. 277 Logemann Der kartellrechtliche Schadensersatz (2009) S. 464 zu Abnehmerschäden: „Hier entspricht der Mehrgewinn durch eine Preiserhöhung tatsächlich dem Schaden des Abnehmers.“
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mit dem Gesamtgewinn des Verletzers, sondern mit dem Gewinnanteil, der aus den konkreten Umsatzgeschäften mit dem betreffenden Abnehmer resultiert. Zudem dürfte er dem kartellbedingten Preisaufschlag nahe kommen, den der Abnehmer ohnehin als Vermögensschaden geltend machen kann. Der Verletzergewinn ist deshalb nicht generell geeignet, bei Kartelldelikten eine Annäherung an das Prinzip vollständiger Kompensation zu leisten, und deshalb auch nicht qua Unionsrechts verpflichtend bei der Schadensbestimmung einzubeziehen.278 b) Immaterielle Schäden Auch wenn weder die Rechtsprechung noch die Richtlinie dies ausdrücklich thematisieren, so folgt aus dem Grundsatz der vollständigen Schadenskompensation auch eine Ersatzpflicht für immaterielle Schäden.279 Als Beispiel eines immateriellen Schadens – sieht man einmal vom Ersatz für entgangene Marktchancen ab, die das EuG zuweilen als immaterielle Schäden ansieht (bereits oben § 4 V 3 a cc → S. 220) – lässt sich im Kartelldeliktsrecht an den Nutzenverlust bei den Endverbrauchern denken, die infolge der kartellbedingt überhöhten Preise von einem Erwerb abgesehen haben, zu Wettbewerbspreisen aber die Ware oder Dienstleistung erworben hätten. Zuweilen wird vorgeschlagen, auch diese Schäden – ökonomisch durchaus konsequent – zu ersetzen, indem als Schaden wegen „Nutzenverlusts“ ein arithmetisches Mittel zwischen Wettbewerbspreis und Kartellpreis herangezogen werden soll.280 Indes wirft dieser Vorschlag das Problem auf, dass der individuelle Nutzen Auch in der deutschen Rechtsprechung hat man von § 33 Abs. 3 Satz 3 GWB ersichtlich keinen Gebrauch gemacht und greift bevorzugt auf konkrete Berechnungsmethoden, insbesondere die Vergleichsmarktmethode zurück, BGH 19.6.2007, KRB 12/07, NJW 2007, 3792 Rn. 19 – Papiergroßhandel; Hüschelrath u. a. Schadensermittlung und Schadensersatz bei Hardcore-Kartellen (2012) S. 57; siehe bereits die Nachweise in Fn. 234. Kritisch zur deutschen Norm des § 33 Abs. 3 Satz 3 GWB bzw. zur Übertragung der immaterialgüterrechtlichen Schadensberechnung auch G. Wagner in: Eger/Schäfer (Hrsg.) Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung (2007) 605, 656 ff.; Logemann Der kartellrechtliche Schadensersatz (2009) S. 460 ff. 279 Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach einzelstaatlichem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union KOM(2013) 404 S. 15 f.: „Der Begriff der Vermögenseinbuße (damnum emergens), auf den in diesem Artikel [Art. 3 RL 2014/104] Bezug genommen wird, stammt aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs und schließt keinerlei (materiellen oder immateriellen) Schaden aus, der durch Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsvorschriften verursacht werden kann.“ 280 Vgl. den Vorschlag der Monopolkommission Das allgemeine Wettbewerbsrecht in der Siebten GWB-Novelle, Sondergutachten 41 (2004) Rn. 63, 65, wonach der Schaden durch Nutzenverlust das arithmetische Mittel zwischen Wettbewerbspreis und Kartellpreis darstellen soll. 278
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einer Ware oder einer Dienstleistung beim Endverbraucher in unterschiedlichsten Formen auftreten kann. Das deutsche Schadensrecht beschränkt aber den „Nutzungsausfallersatz auf Sachen, deren ständige Verfügbarkeit für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise von zentraler Bedeutung ist“ (z. B. Wohnung, Auto, neuerdings Internetzugang)281; im Übrigen handelt es sich um nicht ersatzfähige immaterielle Schäden.282 Auch aus der Perspektive des Unionsrechts lässt sich – auf Grundlage des spärlichen Fallmaterials – jedenfalls nicht der zwingende Schluss begründen, dass der Nutzungsausfall auch nicht wirtschaftlich genutzter Sachen zum ersatzfähigen Schaden zu zählen ist.283 Es kommt hinzu, dass sich der im Einzelfall aus dem nicht erworbenen Produkt mögliche individuelle Nutzenüberschuss kaum auch nur einigermaßen nachvollziehbar zu Marktpreisen quantifizieren lässt. Auch das vorgeschlagene arithmetische Mittel zwischen Wettbewerbspreis und Kartellpreis dürfte dies nicht leisten, weil der Verlauf der Nachfragefunktion unbekannt ist.284 Unsicher ist auch, welchen Verbrauchern der Anspruch für entgangene BGH 9.7.1986, GSZ 1/86, NJW 1987, 50, 50 f.; BGH 24.1.2013, III ZR 98/12, NJW 2013, 1072 Rn. 9. 282 W.-H. Roth in: Frankfurter Kommentar V (2001) § 33 GWB 1999 Rn. 141; Fuchs FS Bornkamm (2014) 159, 171; skeptisch auch Pohlmann FS Säcker (2011) 911, 921: „Die Überlegungen der [Oxera-]Studie, wie Schäden durch Mengeneffekte beim Endverbraucher zu bemessen sind, dürften daher müßig sein.“ 283 Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 11.7.2002, Rs. C-112/00, Slg. 2003, I-5659 Rn. 45 f. – Schmidberger: „Eine andere vom vorlegenden Gericht besonders gestellte Frage geht dahin, ob dann, wenn zwar der Verlust einer Verdienstmöglichkeit, nicht aber die genaue Höhe des Schadens nachgewiesen werden kann, eine Entschädigung zuzusprechen ist, etwa auf der Grundlage eines Pauschalsatzes für jede Stunde, in der LKWs standen. Es ist nicht Sache des Gerichtshofes, einer nationalen Rechtsordnung eine bestimmte Methode der Schadensberechnung vorzugeben. Es ist lediglich daran zu erinnern, dass die Entschädigung dem entstandenen Schaden angemessen sein muss. Der allgemeine Grundsatz für die Berechnung eines Vermögensschadens ist der, dass die Lage des Geschädigten, wie sie durch den Schadensfall entstanden ist, mit seiner (hypothetischen) Lage ohne den fraglichen Schadensfall verglichen werden muss. Kann der Schaden in der Praxis nicht auf diese Weise genau berechnet werden, so erscheint stattdessen eine abstrakte pauschale Entschädigung sinnvoll, solange sie ‚dem entstandenen Schaden angemessen‘ ist.“ Großzügiger EuG 6.3.2001, Rs. T-77/99, Slg. ÖD 2001, II-293 Rn. 64 f. – Ojha (immaterieller Schaden durch Nutzungsverlust eines Autos: „privé de la jouissance de son véhicule pendant une période de deux ans environ“); zusammenfassend Oskierski Schadensersatz im Europäischen Recht (2010) S. 203 f.: „Ersatz für reinen Nutzungsausfall bei einer nicht wirtschaftlich genutzten Sache gibt es demnach im Gemeinschaftsrecht nicht“ (aus der von Oskierki ebenfalls zitierten Entscheidung EuG 17.5.2006, Rs. T-241/ 03, ECLI:EU:T:2006:129 Rn. 43 – Marcuccio ergibt sich aus meiner Sicht keine Entscheidung dieser Frage). 284 Vgl. G. Wagner in: Eger/Schäfer (Hrsg.) Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung (2007) 605, 627. 281
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§ 4 Kartelldeliktsrecht
subjektive Nutzenüberschüsse zustehen soll, vor allem bei Gütern, die typischerweise nur einmal angeschafft werden.285 Aus diesen Gründen ist ein Ersatz subjektiver Nutzenüberschüsse bei Endverbrauchern jedenfalls unionsrechtlich nicht geboten.286 Eine Schwächung der Durchsetzungskraft des Unionskartellrechts droht dadurch nicht, denn diese Ansprüche wären ohnehin weit verstreut und würden sich auf geringe Beträge belaufen, so dass individuelle Schadensersatzklagen bereits an fehlenden Klageanreizen scheitern würden. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass auch im Kartelldeliktsrecht der Ersatz immaterieller Schäden geboten ist, jedoch die individuellen Nutzenverluste nicht als solcher Schaden aufzufassen sind. c) Überkompensatorischer Schadensersatz Zur Frage des überkompensatorischen Schadensersatzes hat der Gerichtshof in Manfredi entschieden, dass „ein besonderer Schadensersatz wie der exemplarische oder Strafschadensersatz im Rahmen der auf das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft gegründeten Klagen gewährt werden können [muss], wenn er im Rahmen vergleichbarer, auf das innerstaatliche Recht gegründeter Klagen zugesprochen werden kann“.287
Über diese Gleichbehandlungsverpflichtung hinaus sind die nationalen Rechtsordnungen durch das Unionsrecht aber nicht positiv verpflichtet, derartigen Schadensersatz zuzusprechen.288 Vielmehr hindert das Unionsrecht „die innerstaatlichen Gerichte […] nicht daran, dafür Sorge zu tragen, dass der Schutz der gemeinschaftsrechtlich gewährleisteten Rechte nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Anspruchsberechtigten führt“.289 Die Rechtslage entspricht damit der im Staatshaftungsrecht nach Brasserie du pêcheur.290 G. Wagner in: Eger/Schäfer (Hrsg.) Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung (2007) 605, 628 schlägt vor, die Schäden den Abnehmern zu ersetzen, die tatsächlich kartellierte Ware erworben haben, was bei diesen wohl zu einer Überkompensation führt. 286 Zum deutschen Recht ebenso Meessen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht (2011) S. 404 f. 287 EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 93 – Manfredi. Daraus dürfte zugleich folgen, dass weder das ne bis in idem-Verbot noch Art. 16 VO 1/2003 der Verhängung von überkompensatorischem Schadensersatz entgegenstehen, Meessen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht (2011) S. 452. 288 Rechtspolitisch befürwortend Monopolkommission Das allgemeine Wettbewerbsrecht in der Siebten GWB-Novelle, Sondergutachten 41 (2004) Rn. 75 ff. 289 EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 94 – Manfredi; Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 26.1.2006, verb. Rs. C-295/ 04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 70 – Manfredi. 290 EuGH 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 89 – Brasserie du Pêcheur: „Insbesondere zum ‚exemplarischen‘ Schadensersatz (exemplary damages) 285
VI. Kausalität
229
Während sich die Judikatur zur Frage des überkompensatorischen Schadensersatzes indifferent verhalten hatte, sieht Art. 3 Abs. 3 RL 2014/104 nunmehr ein Verbot des überkompensatorischen Schadensersatzes in Form von Straf- oder Mehrfachschadensersatz vor (ebenso Art. 12 Abs. 2 RL 2014/104 im Kontext der Abwälzung des Preisaufschlags), ohne allerdings das Präventionsziel als eigenständige Funktion des kartelldeliktischen Schadensersatzanspruchs insgesamt zu verabschieden (oben § 4 II 2 → S. 166). Dieses behält seine Bedeutung nicht nur bei der Auslegung des Umfangs des „vollständigen Schadensersatzes“, sondern auch bei der Konkretisierung anderer Haftungsvoraussetzungen wie etwa des ursächlichen Zusammenhangs (oben § 4 II 2 → S. 166). VI. Kausalität VI. Kausalität
Die Kausalität wird im Kartelldeliktsrecht zuweilen bereits im Zusammenhang mit der Anspruchsinhaberschaft oder dem ersatzfähigen Schaden behandelt.291 Will man sie als eigenständigen Punkt erörtern, so ist zunächst festzustellen, dass der ursächliche Zusammenhang zwischen der Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht und dem Schaden eines der unional vorgegebenen Elemente des kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs ist (vgl. Art. 3 Abs. 1 RL 2014/104: „durch eine Zuwiderhandlung […] verursachten Schaden“).292 Trotz der Erwähnung in der Jedermann-Formel des EuGH und dem Text der Kartellschadensersatzrichtlinie ist die Konkretisierung des Begriffs der Kausalität allerdings „Aufgabe des innerstaatlichen
ist zu bemerken, daß diese Art der Entschädigung, wie das vorlegende Gericht ausgeführt hat, im nationalen Recht auf der Feststellung beruht, daß die betreffenden öffentlichen Stellen in unbilliger, willkürlicher oder verfassungswidriger Weise gehandelt haben. Da diese Verhaltensweisen einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht begründen oder verstärken können, kann die Gewährung eines ‚exemplarischen‘ Schadensersatzes nicht ausgeschlossen werden, wenn er, gestützt auf das Gemeinschaftsrecht – gegebenenfalls auch in Form einer Klage – geltend gemacht wird, sofern ein solcher, auf nationales Recht gestützter Schadensersatz zugesprochen würde.“ 291 Meessen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht (2011) S. 335. Aspekte der Kausalität spielen vor allem bei der Bestimmung des Kreises der Anspruchsberechtigten, insbesondere der Anspruchsberechtigung mittelbarer Abnehmer eine Rolle, dazu § 4 III 2 b → S. 177, ferner im Rahmen der Vorteilsausgleichung, dazu § 4 VIII 3 → S. 234. 292 EuGH (Große Kammer) 6.11.2012, Rs. C-199/11, ECLI:EU:C:2012:684 Rn. 43 – Otis (Rn. 41 zur Existenz des Schadensersatzanspruchs); ferner EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 60 f. – Manfredi; EuGH 18.1.2007, Rs. C-421/05, Slg. 2007, I-653 Rn. 33 – City Motors Groep; EuGH 14.6.2011 (Große Kammer), Rs. C-360/09, Slg. 2011, I-5161 Rn. 28 – Pfleiderer; EuGH 6.6.2013, Rs. C-536/11, ECLI:EU:C:2013:366 Rn. 21 – Donau Chemie; EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/ 12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 21 – Kone.
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§ 4 Kartelldeliktsrecht
Rechts des einzelnen Mitgliedstaats, wobei der Äquivalenz- und der Effektivitätsgrundsatz zu beachten sind“.293 Dabei ist der Gerichtshof in Kone dem Vorschlag seiner Generalanwältin294 nicht gefolgt, den Kausalzusammenhang als rein unionsrechtlichen Begriff zu verstehen und das Konzept des unmittelbaren Kausalzusammenhangs aus dem Staatshaftungsrecht zu übernehmen, sondern betont weiterhin die grundsätzliche Geltung des mitgliedstaatlichen Rechts, die nur durch den Effektivitätsvorbehalt begrenzt wird.295 Andererseits lassen sich auch aus der Effektivitätsschranke seit Kone gewisse unionale Mindestanforderungen an den Kausalzusammenhang gewinnen (bereits oben § 4 III 2 c → S. 184), nämlich dass der Gerichtshof pauschalen Kausalitätsbegrenzungen skeptisch gegenübersteht, dass auch die Mitursächlichkeit (auch neben dritten Verursachern) für die Schadensentstehung genügen kann296 und dass es der Effektivitätsvorbehalt den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen gestattet, neben der conditio sine qua non-Formel weitere Begrenzungen der Kausalität vorzusehen. Diese Kausalitätsbegrenzungen dürfen allerdings nicht die Haftung für Schäden ausschließen, die das schadensstiftende Verhalten nach den Umständen des konkreten Falles zur Folge haben konnte, wenn diese Umstände dem Schädiger nicht verborgen bleiben konnten, was man als normatives Vorhersehbarkeitserfordernis297 oder als Adäquanz verstehen kann. Schließlich zeichnet sich in Kone ab, dass der Schutzzweck der verletzten Norm Einfluss auf die Reichweite der als kausal zurechenbaren Schäden haben kann. Nach diesen Kriterien dürfte es mit dem Effektivitätsgrundsatz vereinbar sein, den Kausalzusammenhang etwa bei Schäden zu verneinen, die den Abnehmern dadurch entstehen, dass sie auf Produkte eines nicht kartellgebundenen Unternehmens ausgewichen sind und sich diese später als mangelhaft erweisen.298 Auch in Fällen, in denen kartellierte Waren weiterverarbeitet 293 EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 64 – Manfredi; EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 24 – Kone; ebenso Erwägungsgrund 11 Satz 3 RL 2014/104: „Begriff des ursächlichen Zusammenhangs“ zählt zu den „in dieser Richtlinie nicht behandelten Aspekte[n]“. Zur Kausalität der Kartellabsprache für die Preiserhöhungen für indirekte Abnehmer siehe BGH 28.6.2011, KZR 75/10, NJW 2012, 928 Rn. 44 ff. – ORWI und nunmehr Art. 12–16 RL 2014/104. 294 Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 30.1.2014, Rs. C-557/12, ECLI: EU:C:2014:45 Rn. 34 f. – Kone. 295 EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 24, 32 – Kone. Siehe aber auch die frühere Entscheidung EuGH (Große Kammer) 6.11.2012, Rs. C-199/11, ECLI:EU:C:2012:684 Rn. 65 – Otis, wo der Gerichtshof ausdrücklich von einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen Schaden und dem schädigenden Ereignis spricht. 296 Lettl WRP 2015, 537, 540. 297 Lettl WRP 2015, 537, 540: „Vorhersehbarkeit“. 298 Zu diesem Beispiel Lettl ZHR 167 (2003) 473, 489. Als weiteres Beispiel nennt Lettl Umsatzeinbußen, die bei den Unternehmen entstehen, die mit dem unmittelbar geschädigten Unternehmen in Geschäftsbeziehung standen.
VII. Mitwirkende Verursachung
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wurden oder in denen Dienstleistungen kartelliert wurden kann es im Einzelfall an der Kausalität fehlen.299 Allerdings spricht gegen eine generelle Ausnahme für Verarbeitungs- oder Dienstleistungsfälle, dass sich im Einzelfall der Wert der kartellierten Ausgangsprodukte oder der Dienstleistung noch im Preis des Endprodukts niederschlagen kann. So geht auch die Richtlinie 2014/104 in Art. 14 Abs. 2 Satz 1 lit. c RL 2014/104 davon aus, dass allein die Weiterverarbeitung keinesfalls den Kausalzusammenhang mit dem kartellbedingten Preisaufschlag ausschließt, denn sonst wäre es für die Begründung des Anscheinsbeweises der Schadensabwälzung kaum ausreichend, dass mittelbare Abnehmer „Waren oder Dienstleistungen erworben“ haben, „die aus solchen [kartellierten Waren oder Dienstleistungen] hervorgingen oder sie enthielten“. VII. Mitwirkende Verursachung VII. Mitwirkende Verursachung
1. Anspruchsausschluss bei erheblicher Mitverantwortung Als Ausprägung der mitwirkenden Verursachung im Kartelldeliktsrecht könnte man zunächst eine Wendung in der Entscheidung Courage verstehen, wonach „das innerstaatliche Recht einer Partei, die eine erhebliche Verantwortung für die Wettbewerbsverzerrung trägt, das Recht verwehr[en darf], von ihrem Vertragspartner Schadensersatz zu verlangen“, weil „nach einem in den meisten Rechtssystemen der Mitgliedstaaten anerkannten Grundsatz, den der Gerichtshof bereits angewandt hat“, „ein Einzelner nämlich nicht aus seinem eigenen rechtswidrigen Verhalten Nutzen ziehen“ darf.300 Auf diesen Aspekt wurde bereits bei der Anspruchsinhaberschaft eingegangen (§ 4 III 1 → S. 174). 2. Anspruchsminderung bei Mitverschulden Während sich die Ausführungen des EuGH in Courage auf den Einwand „ex turpi causa non oritur actio“ beziehen, der im Unterschied zum Mitverschuldenseinwand zum vollständigen Anspruchsausschluss führt, ist für den Mitverschuldenseinwand die allgemeine Feststellung am Ende der CourageEntscheidung von Interesse, dass eine „differenzierte Beurteilung des Umfangs der Verantwortlichkeiten“ im Hinblick auf „zivilrechtliche Folgen eines 299 Näher Bulst Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht (2006) S. 255 ff., der dies unter Hinweis auf die fehlende Unmittelbarkeit begründet; siehe bereits ders. NJW 2004, 2201, 2202 f. Selbst wenn man keine unmittelbare Kausalität i. S. d. Staatshaftungsrecht fordert, so lässt sich die Kausalitätsbegrenzung auch anhand der normativen Vorhersehbarkeit oder Adäquanz im Einzelfall begründen, dazu auch Zetzsche WuW 2016, 65, 70: „Im Rahmen der Effektivitätsbetrachtung könnte jedoch beachtlich sein, […] ob sich die Natur des Wirtschaftsguts auf einer Wirtschaftsstufe so fundamental verändert, dass sich der nachfolgende Abnehmer nicht als Teil der Lieferkette versteht; dann wird er einen ihm zugesprochenen Anspruch nicht geltend machen. Es ist ineffizient, in solchen Fällen eine Anspruchsberechtigung zuzusprechen.“ 300 EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 31 – Courage.
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§ 4 Kartelldeliktsrecht
Verstoßes“ gegen Art. 101 AEUV zulässig sei.301 Noch deutlicher zum Mitverschuldenseinwand äußert sich Generalanwalt Mischo in seinen Schlussanträgen. Er hält es aufgrund eines entsprechenden Grundsatzes im Unionsrecht für zulässig, selbst bei fehlender „erheblicher Verantwortung“ von einer Partei den Nachweis zu fordern, „dass sie bei der Begrenzung des Schadensumfangs eine angemessene Sorgfalt hat walten lassen“.302 Auch der EuGH ist der Auffassung, dass sich der Geschädigte nach einem allgemeinen, den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsatz „in angemessener Form um die Verhinderung des Schadenseintritts oder um die Begrenzung des Schadensumfangs bemühen [muss], wenn er nicht Gefahr laufen will, den Schaden selbst tragen zu müssen“.303 Von der Geltung dieser allgemeinen Regel ist deshalb auch im Kartelldeliktsrecht auszugehen.304 Auch wenn der Mitverschuldenseinwand damit grundsätzlich möglich ist, dürfte er im Kartelldeliktsrecht keine allzu große Bedeutung erlangen. So lässt sich ein Sorgfaltsverstoß des Geschädigten nicht allein durch den Umstand begründen, dass er nicht vom Abschluss der kartellrechtswidrigen Vereinbarung abgesehen hat.305 Ebenfalls kein Mitverschulden begründet die Nichtweiterabwälzung kartellbedingt überhöhter Preise oder anderer Einbußen, denn durch die Abwälzung wäre der Schaden nicht entfallen oder gemindert, sondern nur verlagert worden.306 In Anlehnung an das Staatshaftungsrecht dürfte auch der unterbliebene Einsatz von Primärrechtsschutz (z. B. Unterlassung und Beseitigung) einen Mitverschuldenseinwand nur begründen, sofern der Gebrauch des fraglichen Rechtsmittels dem Geschädigten zumutbar war.307 EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 35 – Courage. Schlussanträge des Generalanwalts Mischo vom 22.3.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 75 f. – Courage. 303 Zu Art. 340 Abs. 2 AEUV EuGH 7.11.1985, Rs. 145/83, Slg. 1985, 3539 Rn. 53 – Adams; EuGH 27.3.1990, Rs. C-308/87, Slg. 1990, I-1203 Rn. 17 – Grifoni; EuGH 19.5.1992, verb. Rs. C-104/89 und C-37/90, Slg. 1992, I-3061 Rn. 33 – Mulder I; zur Haftung der Mitgliedstaaten EuGH 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 84 f. – Brasserie du Pêcheur; EuGH (Große Kammer) 24.3.2009, Rs. C-445/ 06, Slg. 2009, I-2119 Rn. 61 – Danske Slagterier; EuGH 25.11.2010, Rs. C-429/09, Slg. 2010, I-12167 Rn. 76 – Fuß. 304 Weyer in: Frankfurter Kommentar II (2009) Art. 81 EG Zivilrechtsfolgen Rn. 196. 305 Schlussanträge des Generalanwalts Mischo vom 22.3.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 77 – Courage (allerdings soll dies eine Beschränkung der Höhe des tatsächlich geschuldeten Schadensersatzes rechtfertigen können); ähnlich Baur EuR 1988, 257, 272; Lettl ZHR 167 (2003) 473, 490: Mitverschulden durch unterlassene Nutzung zumutbarer Möglichkeiten „zur Erschließung von alternativen, gleichwertigen Bezugsquellen“; ebenso Wurmnest in: Behrens/Braun/Nowak (Hrsg.) Europäisches Wettbewerbsrecht im Umbruch (2004) 213, 242. 306 Baur EuR 1988, 257, 272 Fn. 109; Lettl ZHR 167 (2003) 473, 490; Bulst Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht (2006) S. 248; Meessen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht (2011) S. 535. 301 302
VIII. Begrenzung des Schadensersatzes
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VIII. Begrenzung des Schadensersatzes VIII. Begrenzung des Schadensersatzes
1. Gesetzliche Begrenzung des Schadensersatzes Eine gesetzliche Begrenzung der Schadensersatzansprüche bei Kartelldelikten sieht das geltende Unionsrecht nicht vor.308 2. Vertragliche Begrenzung des Schadensersatzes Angesichts der Verankerung des Kartellrechts in der öffentlichen Ordnung der Union309 und der ausdrücklichen Nichtigkeitsfolge kartellrechtswidriger Vereinbarungen (Art. 101 Abs. 2 AEUV) wird davon ausgegangen, dass Haftungsbeschränkungen für Kartellverstöße gemäß Art. 101 Abs. 2 AEUV310 oder zumindest nach den nationalen Nichtigkeitsgründen für Gesetzesverstöße (§ 134 BGB) unwirksam sind.311 Anders dürfte indes die Rechtslage bei den beispielsweise in Vergabeverträgen anzutreffenden Schadenspauschalierungen sein,312 die in der Regel für die Kartellgeschädigten günstig sind, da sie den schwierigen Nachweis der Schadenshöhe erleichtern. Solche Pauschalen können demgemäß wirksam sein, wenn sie beiden Seiten die Geltendmachung eines höheren oder auch niedrigeren Schadens gestatten und eine angemessene Schadenspauschale vorsehen (vgl. § 309 Nr. 5 BGB).313
EuGH (Große Kammer) 24.3.2009, Rs. C-445/06, Slg. 2009, I-2119 Rn. 64 – Danske Slagterier; zum Kartelldeliktsrecht Lettl ZHR 167 (2003) 473, 490. 308 Zur Skepsis gegenüber Schadenshöchstgrenzen im Antidiskriminierungsrecht EuGH 2.8.1993, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367 Rn. 30 – Marshall II; zur Unzulässigkeit des generellen Ausschlusses des entgangenen Gewinns EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 95 f. – Manfredi. 309 EuGH 1.6.1999, Rs. C-126/97, Slg. 1999, I-3055 Rn. 36 f. – Eco Swiss: Art. 101 AEUV „grundlegende Bestimmung […], die für die Erfüllung der Aufgaben der Gemeinschaft und insbesondere für das Funktionieren des Binnenmarktes unerläßlich ist“. 310 Lettl ZHR 167 (2003) 473, 490 f.; Säcker/Jaecks in: MünchKommWettbR I2 (2015) Art. 101 AEUV Rn. 733. 311 Weyer in: Frankfurter Kommentar II (2009) Art. 81 EG Zivilrechtsfolgen Rn. 170. 312 Für Beispiele OLG Karlsruhe 31.7.2013, 6 U 51/12 (Kart.), NZKart 2014, 366 – Löschfahrzeuge: „Wenn der Auftragnehmer aus Anlass der Vergabe nachweislich eine Abrede getroffen hat, die eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung darstellt, hat er 15 v. H. der Abrechnungssumme an den Auftraggeber zu zahlen, es sei denn, dass ein Schaden in anderer Höhe nachgewiesen wird“; LG Potsdam 22.10.2014, 2 O 29/14,WuW 2015, 287 – Pauschalierter Schadensersatz; siehe auch BGH 21.12.1995, VII ZR 286/94, NJW 1996, 1209; OLG Celle 6.10.2011, 6 U 61/11, IBR 2012, 506. 313 Müller-Graff/Kainer WM 2013, 2149, 2154. Umstritten ist, ob für die Angemessenheit auf den konkreten Fall (so OLG Karlsruhe 31.7.2013, 6 U 51/12 (Kart.), NZKart 2014, 366 – Löschfahrzeuge) oder auf eine abstrakte Betrachtungsweise (so LG Potsdam 22.10.2014, 2 O 29/14, WuW 2015, 287 – Pauschalierter Schadensersatz; Wilde/Anders WuW 2015, 246, 248 f.) abzustellen ist. 307
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§ 4 Kartelldeliktsrecht
3. Vorteilsausgleichung und Bereicherungsverbot Fragen der Vorteilsausgleichung und des Bereicherungsverbots werden im Kartelldeliktsrecht vor allem im Zusammenhang mit der Abwälzung des kartellbedingten Preisaufschlags von den unmittelbaren Kartellabnehmern auf ihre Folgeabnehmer diskutiert. Ausgangspunkt für die unionsrechtliche Zulässigkeit des Einwands der Schadensabwälzung ist die Feststellung in Courage, „dass das Gemeinschaftsrecht die innerstaatlichen Gerichte nicht daran hindert, dafür Sorge tragen, dass der Schutz der gemeinschaftrechtlich gewährleisteten Rechte nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Anspruchsberechtigten führt“.314
Mit dieser Bemerkung in Courage und der dortigen Bezugnahme auf seine Rechtsprechung zur Berücksichtigung der Schadensabwälzung in der außervertraglichen Haftung der Union (Ireks)315 und bei der Erstattung unionsrechtswidriger Abgaben (Just316 und Michailidis317) stellt der Gerichtshof EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 30 – Courage; EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 94, 99 – Manfredi. Siehe auch den Vorschlag im Weißbuch Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EGWettbewerbsrechts KOM(2008) 165 S. 9 mit einer gegenläufigen Vermutung der Schadensabwälzung (bei Klagen direkter Abnehmer Vermutung, dass keine Abwälzung erfolgt ist, bei Klagen indirekter Abnehmer Vermutung, dass vollständige Abwälzung erfolgt ist). 315 EuGH 4.10.1979, Rs. 238/78, Slg. 1979, 2955 Rn. 14 – Ireks-Arkady: „Gegen diese Methode der Schadensberechnung haben der Rat und die Kommission eingewandt, die Hersteller von Quellmehl hätten den Schaden durch Abwälzung des Nachteils aus dem Wegfall der Erstattungen in ihren Preise vermieden oder jedenfalls vermeiden können. Grundsätzlich kann ein solcher Einwand im Rahmen einer Schadensersatzklage nicht von vorneherein von der Hand gewiesen werden, wenn der Wegfall der Erstattungen wirklich über die Preise abgewälzt worden ist, kann der Schaden in der Tat nicht anhand der nichtgewährten Erstattungen berechnet werden. In diesem Fall träte die Preiserhöhung an die Stelle der Erstattungen und würde den Hersteller schadlos stellen“; ebenso EuGH 4.10.1979, verb. Rs. 241, 242, 245 bis 250/78, Slg. 1979, 3017 Rn. 15 – DGV; EuGH 4.10.1979, verb. Rs. 261/78, Slg. 1979, 3055 Rn. 17 – Interquell; dazu Wurmnest in: Behrens/Braun/Nowak (Hrsg.) Europäisches Wettbewerbsrecht im Umbruch (2004) 213, 243. 316 EuGH 27.2.1980, Rs. 68/79, Slg. 1980, 501 Rn. 26 – Just: „Der Schutz der einschlägigen von der Gemeinschaftsrechtsordnung gewährleisteten Rechte verlangt keine Erstattung von ohne rechtlichen Grund erhobenen Steuern unter Umständen, die zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des Anspruchsberechtigten führen würden. Nach Gemeinschaftsrecht steht es deshalb den innerstaatlichen Gerichten frei, nach ihrem nationalen Recht den Umstand zu berücksichtigen, dass ohne rechtlichen Grund erhobene Steuern in die Preise des steuerpflichtigen Unternehmens einfließen und auf die Abnehmer abgewälzt werden konnten. Es entspricht auch gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen, wenn die mit Erstattungsklagen befassten Gerichte nach ihrem innerstaatlichen Recht den Schaden berücksichtigen, den ein Importeur möglicherweise erlitten hat, weil die diskriminierenden oder schützenden steuerlichen Maßnahmen im Ergebnis zu einem Rückgang der Einfuhren aus anderen Mitgliedstaaten geführt haben.“ 317 EuGH 21.9.2000, verb. Rs. C-441/98 und C-442/98, Slg. 2000, I-7145 Rn. 31 – Michailidis: „Zum ersten Teil der zweiten Frage ist festzustellen, dass nach ständiger Recht314
VIII. Begrenzung des Schadensersatzes
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klar, dass der Einwand der Schadensabwälzung als unionsrechtlich zulässige Ausnahme318 die Reichweite des Schadensersatzanspruchs begrenzen kann (so nun auch Erwägungsgrund 39 Satz 2 RL 2014/104), so dass die nationalen Gesetzgeber diesen Einwand in ihren nationalen Schadensersatzsystemen vorsehen dürfen bzw. nach Art. 13 Satz 1 RL 2014/104 nunmehr vorsehen müssen. In Analogie zu den Abwälzungskriterien im Abgabenrecht lassen sich dabei zwei europarechtlich vorgeprägte Voraussetzungen für den Einwand der Schadensabwälzung gewinnen,319 die die Kriterien des nationalen Rechts zur Vorteilsausgleichung320 überlagern. Aus der Perspektive des Unionsrechts setzt der Einwand der Schadensabwälzung zunächst voraus, dass der kartellbedingt überhöhte Preis überhaupt abgewälzt wurde. Dies ist nicht vom unmittelbaren Abnehmer,321 sondern vom Schädiger darzulegen und zu beweisen (ebenso nun Art. 13 Satz 2 RL 2014/104),322 wobei der Schädiger zu diesem Zweck „in angemessener Weise Offenlegungen von dem Kläger oder Dritten verlangen kann“. Erforderlich ist also eine Feststellung der Schadensabwälzung im Licht der Umstände und der sprechung der Schutz der einschlägigen von der Gemeinschaftsrechtsordnung gewährleisteten Rechte keine Erstattung von ohne rechtlichen Grund erhobenen Steuern unter Umständen verlangt, die zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Anspruchsberechtigten führen würden.“ 318 Für eine enge Auslegung EuGH (Große Kammer) 6.9.2011, Rs. C-398/09, Slg. 2011, I-7375 Rn. 20 – Lady & Kid u. a. Zur Rechtsnatur dieser Ausnahme Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón vom 7.12.2010, Rs. C-398/09, Slg. 2011, I-7375 Rn. 34, 44 – Lady & Kid u. a.: „Der Gerichtshof hat so die Begriffe ‚Abwälzung‘ und ‚ungerechtfertigte Bereicherung‘ autonom ausgelegt, diese Ausnahme von der Erstattung zu einer unionsrechtlichen Regel erhoben und sich damit zu eigen gemacht, was ursprünglich nur eine Regel des innerstaatlichen Rechts gewesen war“; zustimmend Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 24.3.2011, Rs. C-94/10, Slg. 2011, I-9963 Fn. 9 – Danfoss. 319 Bulst Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht (2006) S. 245; zur Anlehnung an die abgabenrechtliche Rechtsprechung auch ders. ZEuP 2008, 178, 192. 320 In Deutschland das Erfordernis eines adäquat-kausalen Zusammenhangs zwischen Vorteil und schädigendem Ereignis sowie die Vereinbarkeit der Vorteilsanrechnung mit dem Zweck der Ersatzpflicht, die den Geschädigten nicht unzumutbar belasten und den Schädiger nicht unbillig begünstigen darf, dazu BGH 16.5.1980, V ZR 91/79, NJW 1980, 2187, 2188; BGH 6.6.1997, V ZR 115/96, NJW 1997, 2378. 321 Mit dem Effektivitätsgrundsatz unvereinbar sind im Abgabenrecht nämlich „Vermutungen oder Beweisregeln, die dem Abgabenpflichtigen die Beweislast dafür auferlegen, daß die zu Unrecht gezahlten Abgaben nicht auf andere Personen abgewälzt worden sind“, EuGH 9.2.1999, Rs. C-343/96, Slg. 1999, I-579 Rn. 48 – Dilexport. 322 Erwägungsgrund 39 Satz 4 RL 2014/104; ebenso bereits (mit etwas anderer Nuancierung, vor allem zu den Offenlegungsansprüchen des Schädigers) BGH 28.6.2011, KZR 75/10, NJW 2012, 928 Rn. 64 – ORWI: „Im Einklang mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgebot liegt die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen der Vorteilsausgleichung und insbesondere die Kausalität des Vorteils beim Schädiger“; ebenso bereits LG Dortmund 1.4.2004, 13 O 55/02 (Kart.) WuW/E DE-R 1352 Rn. 19 (juris) – Vitamine.
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Marktstruktur in jedem Einzelfall; eine generelle Vermutung der Schadensabwälzung ist auch im Handel nicht angebracht.323 Maßgebliche Kriterien dürften „die Preiselastizität von Angebot und Nachfrage, die Dauer des Verstoßes sowie die Intensität des Wettbewerbs“ auf der nachgelagerten Marktstufe ebenso wie fehlende Ausweichmöglichkeiten der Marktgegenseite sein,324 während ein eigener Preissetzungsspielraum des unmittelbaren Abnehmers infolge besonderer kaufmännischer Leistungen oder die Hinzufügung maßgeblicher eigener Wertschöpfungsanteile z. B. durch Weiterverarbeitung325 gegen eine kartellbedingte Preiserhöhung sprechen können.326 Gemäß Art. 12 Abs. 5 RL 2014/104 haben die nationalen Gerichte die Befugnis zur Schätzung, ob und in welchem Umfang der kartellbedingte Preisaufschlag weitergegeben wurde. Wenn eine Abwälzung des Preisaufschlags nach diesen Kriterien dargetan ist, so ist in einem zweiten Schritt zu erwägen, auch die weiteren Nachteile zu berücksichtigen, die der unmittelbare Abnehmer möglicherweise durch die Kartellpreisüberhöhung erlitten hat, insbesondere ein möglicher Rückgang seiner Absätze durch die Verteuerung der Produkte.327 Art. 13 RL 2014/104 323 Zum Abgabenrecht EuGH 2.10.2003, Rs. C-147/01, Slg. 2003, I-11365 Rn. 110 f., 113, 117, 96 – Weber’s Wine World: „auch dann, wenn indirekte Abgaben nach nationalem Recht auf den Endverbraucher abgewälzt werden sollen und im Handel gewöhnlich auch ganz oder zum Teil abgewälzt werden, [kann] nicht generell davon ausgegangen werden […], dass die Abgabe tatsächlich in jedem Falle abgewälzt wird. Denn die tatsächliche völlige oder teilweise Abwälzung hängt bei jedem Geschäftsvorgang von mehreren Faktoren ab, die ihn von anderen Fallkonstellationen unterscheiden. Somit ist die Frage der Abwälzung oder Nichtabwälzung einer indirekten Abgabe in jedem Einzelfall eine Sachverhaltsfrage, die in die Zuständigkeit des nationalen Gerichts fällt, das in der Würdigung der ihm vorgelegten Beweise frei ist.“ Ausführlicher zu den Kriterien zur Feststellung einer Schadensabwälzung BGH 28.6.2011, KZR 75/10, NJW 2012, 928 Rn. 46 ff. – ORWI. 324 BGH 28.6.2011, KZR 75/10, NJW 2012, 928 Rn. 47 – ORWI; Haucap/Stühmeier WuW 2008, 413, 421. 325 Soweit man den BGH dahin verstehen würde, den Nachweis der Vorteilsausgleichung in Weiterverarbeitungsfällen generell abgeschnitten zu haben (so Hüschelrath u. a. Schadensermittlung und Schadensersatz bei Hardcore-Kartellen (2012) S. 75 Fn. 291; ähnlich bereits Bulst NJW 2004, 2201, 2202 f.: Abnehmer eines „neuen“ Produkts i. S. d. § 950 BGB nicht als anspruchsberechtigt i. S. d. Courage-Formel anzusehen, weil sie nicht mehr an dem ursprünglich durch die Wettbewerbsverletzung betroffenen Markt teilnehmen), so ginge dies zu weit, weil auch Weiterverarbeitungsfälle denkbar sind, in denen die kartellbedingte Preisüberhöhung auf die Abnehmer durchschlägt, siehe bereits oben § 4 VI. 326 BGH 28.6.2011, KZR 75/10, NJW 2012, 928 Rn. 47, 69, 75 – ORWI. 327 So zum Abgabenrecht EuGH 27.2.1980, Rs. 68/79, Slg. 1980, 501 Rn. 26 – Just; EuGH 14.1.1997, verb. Rs. C-192/95 bis C-218/95, Slg. 1997, I-165 Rn. 30 – Comateb; EuGH 2.10.2003, Rs. C-147/01, Slg. 2003, I-11365 Rn. 98 ff. – Weber’s Wine World: „Der Gerichtshof hat ferner entschieden, dass die Erstattung von zu Unrecht erhobenen Abgaben selbst dann, wenn sie nachweislich ganz oder teilweise auf Dritte abgewälzt wurden, nicht unbedingt zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des Abgabepflichtigen führt. Selbst
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stellt allerdings klar, dass der Einwand der Schadensabwälzung nur den Nachweis der Weitergabe des kartellbedingten Preisaufschlags voraussetzt und damit stets auf die konkrete Schadensposition zu beziehen ist. Soweit weitere Nachteile für den unmittelbaren Abnehmer verbleiben, insbesondere ein entgangener Gewinn aufgrund von Absatzrückgängen durch die Preissteigerungen, werden diese durch einen vom Ersatz für den Preisaufschlag unabhängigen Schadensersatzanspruch ausgeglichen (Art. 12 Abs. 3 und Erwägungsgrund 40 RL 2014/104). Die verbleibenden Nachteile durch den Absatzrückgang haben aber auf die Einwendung der Abwälzung des Preisaufschlags keinen Einfluss, schließen insbesondere – entgegen der Judikatur des BGH in ORWI 328 – den Einwand der Preisabwälzung hinsichtlich der kartellbedingten Preisaufschläge nicht aus.329 IX. Verjährung und Ausschlussfristen IX. Verjährung und Ausschlussfristen
Die unionsrechtlichen Grenzen für Verjährungs- und Ausschlussfristen im Kartelldeliktsrecht waren Gegenstand der dritten Vorlagefrage in der Rechtssache Manfredi. Auch wenn in der Literatur darauf hingewiesen wird, dass die dritte Vorlagefrage in Manfredi auf einem unrichtigen Verständnis der italienischen Verjährungsvorschriften beruhte,330 lassen sich aus der Antwort des Gerichtshofs in Manfredi und der benachbarten Judikatur einige Eckpunkte für die Anforderungen des Effektivitätsgrundsatzes an das kartelldeliktische Verjährungsregime gewinnen. Ausgangspunkt ist zunächst, dass „die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung im Interesse der Rechtssicherheit […] mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist“, weil „solche Fristen […] nicht geeignet [sind], die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren“.331 Gleichwohl kann die Ausgestaltung der Verjäh-
dann, wenn die Abgabe in vollem Umfang in den Preis eingeflossen ist, könnte dem Abgabepflichtigen aus einem Absatzrückgang ein wirtschaftlicher Schaden entstehen. Vorliegen und Umfang der ungerechtfertigten Bereicherung, zu der die Erstattung einer gemeinschaftsrechtswidrig erhobenen Abgabe bei einem Abgabepflichtigen führt, lassen sich daher erst nach einer wirtschaftlichen Untersuchung feststellen, bei der alle maßgeblichen Umstände berücksichtigt werden.“ 328 BGH 28.6.2011, KZR 75/10, NJW 2012, 928 Rn. 69 – ORWI. 329 Vollrath NZKart 2014, 434, 442. 330 Meessen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht (2011) S. 545 f. weist darauf hin, dass nach Art. 2947 Codice Civile zwar die Verjährungsfrist bei unerlaubten Handlungen fünf Jahre von dem Zeitpunkt laufe, an dem sich der Normverstoß manifestiert, dass diese Norm aber im Lichte der allgemeinen Regeln des Art. 2935 Codice Civile ausgelegt werde, wonach Verjährungsfristen erst an dem Tag beginnen, an dem der Anspruch durchsetzbar wird, was voraussetzt, dass der Geschädigte von dem Schaden hätte Kenntnis nehmen können.
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rungsfristen im Einzelfall, wie die Entscheidung Manfredi zeigt, mit dem Effektivitätsgrundsatz kollidieren. In Manfredi hatte das italienische Gericht gefragt, ob Art. 101 AEUV „einer nationalen Vorschrift entgegensteht, nach der die Verjährungsfrist für die Geltendmachung eines Anspruchs auf Ersatz des Schadens, der durch ein nach Artikel 81 EG verbotenes Kartell oder Verhalten entstanden ist, von dem Tag an zu laufen beginnt, an dem dieses Kartell oder Verhalten verwirklicht worden ist“.332
Der Gerichtshof stellte fest, dass „eine nationale Vorschrift, nach der die Verjährungsfrist an dem Tag zu laufen beginnt, an dem das Kartell oder abgestimmte Verhalten verwirklicht wird, […] die Geltendmachung des Anspruchs auf Ersatz des durch dieses verbotene Kartell oder Verhalten entstandenen Schadens praktisch unmöglich machen [könnte], insbesondere wenn diese innerstaatliche Vorschrift außerdem eine kurze Verjährungsfrist vorsieht, die nicht unterbrochen werden kann. Unter solchen Umständen ist nämlich bei fortgesetzten oder wiederholten Zuwiderhandlungen nicht ausgeschlossen, dass die Verjährungsfrist sogar vor Beendigung der Zuwiderhandlung abgelaufen ist, so dass ein nach Ablauf dieser Frist Geschädigter keine Klage mehr erheben könnte“.333
1. Verjährungsbeginn Für den Beginn der Frist ergibt sich aus Manfredi, dass bei fortgesetzten oder wiederholten Zuwiderhandlungen sichergestellt sein muss, dass die Verjährungsfrist nicht bereits vor Beendigung der Zuwiderhandlung abgelaufen ist, damit nach Ablauf der Verjährungsfrist, aber vor Beendigung der Zuwiderhandlung Geschädigte die Möglichkeit zur Klage behalten. Aus dieser Vorgabe könnte man folgern, dass die Verjährungsfrist grundsätzlich nicht beginnen darf, „bevor die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht beendet wurde“ (so nun Art. 14 Abs. 2 RL 2014/104). Indes dürfte eine derartige Hinausschiebung des Verjährungsbeginns nicht durch den Effektivitätsgrundsatz geboten sein. Aus der expliziten Bezugnahme und Fortführung von Manfredi in der staatshaftungsrechtlichen Entscheidung Danske Slagterier lässt sich nämlich ableiten, dass es mit dem Effektivitätsgebot bereits vereinbar ist, wenn die kartelldeliktische Verjährung auf die zur Schädigung des konkreten Anspruchstellers führende Verwirklichung des deliktischen HaftungstatbeEuGH (Große Kammer) 24.3.2009, Rs. C-445/06, Slg. 2009, I-2119 Rn. 32 – Danske Slagterier; zur Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten bei Verjährungsfristen im Kartelldeliktsrecht auch EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 77 – Manfredi. 332 EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 73 – Manfredi. 333 EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 78 f. – Manfredi. Auch insofern handelt es sich um eine Parallele zu Rechtsprechung zu Art. 340 Abs. 2 AEUV, Bulst ZEuP 2008, 178, 191 mit Hinweis auf EuGH 7.11.1985, Rs. 145/83, Slg. 1985, 3539 – Adams. 331
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stands, also den Eintritt der ersten Schadensfolgen beim konkreten Anspruchsteller abstellt, sofern der Verjährungsbeginn zugleich an ein subjektives Erfordernis in der Person des Geschädigten geknüpft ist. So hat der Gerichtshof in Danske Slagterier eine nationale Verjährungsfrist (§ 852 BGB), die bereits mit Eintritt der ersten Schadensfolgen zu laufen beginnt, obschon weitere Schadensfolgen absehbar sind, als mit dem Effektivitätsgebot vereinbar angesehen.334 In expliziter Auseinandersetzung mit den Rn. 78 f. der Entscheidung Manfredi führte der EuGH aus, dass eine Verjährungsfrist, die „erst dann zu laufen beginnt, wenn der Verletzte vom Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt hat“, mit dem Effektivitätsgrundsatz vereinbar ist, weil es „unter solchen Umständen […] nicht möglich [ist], dass sich ein Geschädigter in der Lage befindet, dass die Verjährungsfrist zu laufen beginnt oder sogar schon abgelaufen ist, ohne dass er überhaupt weiß, dass er einen Schaden erlitten hat, wie dies in der Rechtssache [Manfredi] […] hätte der Fall sein können, in der die Verjährungsfrist ab der Verwirklichung des Kartells […] zu laufen begann, wovon einige Betroffene möglicherweise erst sehr viel später erfahren“.335
Aus Danske Slagterier lässt sich mithin folgern, dass es mit dem Effektivitätsgebot vereinbar ist, wenn der Verjährungsbeginn an den Eintritt der ersten Schadensfolgen beim konkret Geschädigten anknüpft, sofern zusätzlich die Kenntnis (oder das Kennenmüssen) des Verletzten vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen für den Verjährungsbeginn erforderlich ist. Eine solche Anknüpfung an die konkrete Schädigung, kombiniert mit einem subjektiven Erfordernis in der Person des Geschädigten, entspricht auch der Struktur des kartelldeliktischen Haftungstatbestands, der – anders als der kartellordnungsrechtliche Tatbestand – gerade auch den Eintritt eines individuellen Schadens voraussetzt. An diesem Punkt zeigt sich zugleich, dass eine Anknüpfung des Verjährungsbeginns an – wie von der Kommission vorgeschlagen336 und nunmehr in Art. 14 Abs. 2 RL 2014/104 umgesetzt – die 334 EuGH (Große Kammer) 24.3.2009, Rs. C-445/06, Slg. 2009, I-2119 Rn. 49 – Danske Slagterier. 335 EuGH (Große Kammer) 24.3.2009, Rs. C-445/06, Slg. 2009, I-2119 Rn. 52 – Danske Slagterier. 336 Art. 15 im unveröffentlichten Proposal for a Council Directive on rules governing actions for damages for infringements of Articles 81 and 82 of the Treaty lautet: „(1) Member States shall lay down rules stipulating when the limitation period for seeking compensation for harm caused by an infringement of Article 81 or 82 of the Treaty begins to run, the duration of that period and the circumstances and which that period can be interrupted or suspended. Member States shall ensure that the applicable national rules do not prevent an injured party from effectively seeking compensation once it knows, or can reasonably be expected to have knowledge, of the infringement and of the fact that the infringement caused harm to it. (2) Member States shall ensure that the limitation period does not begin to run before the day on which a continuous or repeated infringement ceas-
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Beendigung der Zuwiderhandlung insgesamt337 nicht zu überzeugen vermag,338 denn es geht bei deliktischen Ansprüchen nicht um die Ahndung des Kartells insgesamt, sondern um die Kompensation individueller Schäden einzelner Abnehmer, so dass auch die deliktischen Verjährungsfristen individuell anhand des Eintritts der einzelnen Schäden bestimmt werden sollten. Eine Anknüpfung des Verjährungsbeginns an die individuelle Schädigung würde auch die Rechtsunsicherheit über den Verjährungsbeginn bei vorzeitigem Aussteigen einzelner Teilnehmer aus dem Kartell vermeiden, während aus der „Beendigung der Zuwiderhandlung“ nicht eindeutig gefolgert werden kann, ob es auf die Beendigung des Kartells insgesamt durch alle Beteiligte oder auf die Beendigung der Beteiligung am Kartell durch den vorzeitig aussteigenden Teilnehmer ankommt. Aus Danske Slagterier und wohl auch Manfredi lässt sich ferner eine Präferenz des Gerichtshofs für eine subjektive Anknüpfung der Verjährung entnehmen. So betont der EuGH in Danske Slagterier, dass die Anknüpfung des Verjährungsbeginns an die Kenntnis des Verletzten vom Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen die – als problematisch empfundene – Situation vermeidet, „dass die Verjährungsfrist zu laufen beginnt oder sogar schon abgelaufen ist, ohne dass er [der Geschädigte] überhaupt weiß, dass er einen Schaden erlitten hat“. 339 Dementsprechend ist es konsequent, wenn Art. 14 Abs. 2 RL 2014/104 für den Beginn der Verjährung neben der Beendigung es. (3) Where compensation is sought for harm caused by an infringement that was found by a competition authority or a review court, Member States shall ensure that the injured party can bring an action for damages during a period of at least two years after the infringement decision has become final.“ Dazu Soyez ZWeR 2011, 407, 419 f. Siehe auch Weißbuch Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts KOM(2008) 165 S. 10. 337 Im Unterschied zum Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach einzelstaatlichem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union KOM(2013) 404 S. 43 (dort Art. 10 Abs. 3: „Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass die Verjährungsfrist nicht vor dem Tag beginnt, an dem eine dauernde oder fortgesetzte Zuwiderhandlung beendet ist“; ebenso Art. 25 Abs. 2 Satz 2 VO 1/2003) stellt Art. 10 Abs. 2 der verabschiedeten Richtlinie nicht auf die Beendigung der „dauernde[n] oder fortgesetzte[n] Zuwiderhandlung“, sondern schlicht auf die Beendigung der „Zuwiderhandlung“ (vgl. Art. 2 Nr. 1 RL 2014/104) ab. Gleichwohl soll es nach der Literatur auch bei der dauernden oder fortgesetzten Zuwiderhandlung dabei bleiben, dass die Zuwiderhandlung insgesamt beendet sein muss, Bürger/Aran NZKart 2014, 423, 427 („keine Änderung in der Sache“); Pohlmann WRP 2015, 546, 548 (mit Kritik: „[s]achlich nicht zwingend“). Siehe auch Erwägungsgrund 36 Satz 4 RL 2014/104: „Die Verjährungsfrist sollte nicht beginnen, bevor die Zuwiderhandlung eingestellt wurde.“ 338 Meessen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht (2011) S. 549 f. 339 EuGH (Große Kammer) 24.3.2009, Rs. C-445/06, Slg. 2009, I-2119 Rn. 52 – Danske Slagterier.
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der Zuwiderhandlung außerdem verlangt, dass der Geschädigte340 von bestimmten Umständen „Kenntnis erlangt hat oder diese Kenntnis vernünftigerweise erwartet werden kann“, nämlich „a) von dem Verhalten und der Tatsache,341 dass dieses eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht darstellt, b) der Tatsache, dass ihm durch die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht ein Schaden entstanden ist, und c) der Identität des Rechtsverletzers“ (dazu Art. 2 Nr. 2 RL 2014/104).
2. Verjährungsfrist Schließlich lässt sich aus Danske Slagterier auch ein Hinweis entnehmen, welche Verjährungsfristen effektivitätskonform sind, denn eine nationale Verjährungsfrist von drei Jahren sah der Gerichtshof für das Staatshaftungsrecht zumindest dann als unionsrechtskonform an, wenn die Verjährungsfrist im Voraus festgelegt ist und damit ihren Zweck, die Rechtssicherheit zu gewährleisten, erfüllen kann:342 es muss „aus den nationalen Rechtsvorschriften klar hervorgeh[en]“,343 welches Ereignis den Lauf der Frist auslöst. Dies schließt eine analoge Anwendung von Verjährungsvorschriften nicht aus, solange keine „durch erhebliche Rechtsunsicherheit geprägte Situation“ entsteht, in der mögliche Anspruchsteller „nicht in der Lage wären, die anwendbare Verjährungsfrist mit hinreichender Sicherheit zu ermitteln“.344 Ob diese
340 Die Richtlinie spricht vom „Kläger“, damit dürfte der Geschädigte als naheliegender Kläger gemeint sein. 341 Hier handelt es sich streng genommen nicht um eine Tatsache, sondern um die rechtliche Beurteilung, ob das Verhalten unter eine Verbotsnorm zu subsumieren ist, wobei der Geschädigte rechtlichen Rat einholen muss, sonst handelt er fahrlässig, Pohlmann WRP 2015, 546, 549 f. 342 EuGH (Große Kammer) 24.3.2009, Rs. C-445/06, Slg. 2009, I-2119 Rn. 32 f. – Danske Slagterier. 343 EuGH 28.1.2010, Rs. C-456/08, Slg. 2010, I-859 Rn. 57 – Kommission/Irland; nicht erforderlich ist, dass es „ohne jeden Zweifel“ klar hervorgeht, BCL Old Co Limited and others v BASF plc and others [2012] UKSC 45 Rn. 20 ff., 24, 43. Der Umstand, dass Unsicherheiten über den Beginn der Verjährungsfrist erst durch die Berufungsentscheidungen ausgeräumt werden, begründet für sich noch keine Rechtsunsicherheit, die einem effektivitätskonformen Beginn der Verjährungsfrist entgegen steht, BCL Old Co Limited and others v BASF plc and others [2012] UKSC 45 Rn. 39. 344 EuGH (Große Kammer) 24.3.2009, Rs. C-445/06, Slg. 2009, I-2119 Rn. 33 – Danske Slagterier; für ein Beispiel eines Effektivitätsverstoßes wegen der analogen Anwendung einer Ausschlussfrist auf Zwischenentscheidungen im Vergaberecht, weil „die dadurch entstehende Rechtslage […] nicht hinreichend klar und bestimmt [ist], um die Gefahr ausschließen zu können, dass den betroffenen Bewerbern und Bietern durch ein nationales Gericht auf der Grundlage einer von ihm vorgenommenen Auslegung dieser Bestimmung ihr Recht auf Nachprüfung genommen wird“ EuGH 28.1.2010, Rs. C-456/08, Slg. 2010, I-859 Rn. 66 – Kommission/Irland. Allerdings wurde die betreffende irische Regelung von
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Judikatur auf das Kartelldeliktsrecht übertragbar ist, bedarf keiner Entscheidung mehr, denn Art. 10 Abs. 3 der Kartellschadensersatzrichtlinie 2014/104 gibt nunmehr eine Mindestverjährungsfrist von fünf Jahren vor. Auch dürfte Art. 10 Abs. 1 RL 2014/104 für das Kartelldeliktsrecht im Interesse der Rechtssicherheit eine ausdrückliche Regelung von Verjährungsbeginn, Dauer und Hemmung oder Unterbrechung vorschreiben. 3. Verjährungshemmung Auch der von der Kommission ursprünglich vorgeschlagene Beginn einer neuen Verjährungsfrist nach Bestandskraft einer Behörden- oder Gerichtsentscheidung345 lässt sich aus dem Effektivitätsgebot nicht begründen, denn der Gerichtshof hat für den Fall der Staatshaftungsklage entschieden, dass die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, während der Dauer von Vertragsverletzungsverfahren die Verjährung zu unterbrechen oder zu hemmen, und zwar selbst dann nicht, wenn bei Einlegung nationaler Rechtsbehelfe die Verjährung der Amtshaftungsansprüche gehemmt wird, weil „ein Einzelner Schadensersatz nach den im nationalen Recht vorgesehenen Verfahrensmodalitäten geltend machen [kann], ohne ein den Verstoß des Mitgliedstaats gegen das Gemeinschaftsrecht feststellendes Urteils abwarten zu müssen“.346
Allerdings stellt sich während der Dauer kartellbehördlicher Verfahren und anschließender Gerichtsprozesse die Frage, ob die Geschädigten bereits die Möglichkeit hinreichend sicherer Kenntnisnahme vom Kartellverstoß i. S. d. subjektiven Voraussetzungen für den Verjährungsbeginn haben. Um diese Diskussion nicht in jedem Einzelfall im Kontext der Fahrlässigkeit als Voraussetzung für den Verjährungsbeginn zu führen, erscheint eine – nun auch in Art. 10 Abs. 4 Satz 1 der Kartellschadensersatzrichtlinie 2014/104 vorgesehene – Hemmung der Verjährung für den Fall sinnvoll, dass eine Wettbewerbsbehörde „Maßnahmen im Hinblick auf eine Untersuchung oder ihr Verfahren wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht trifft, auf die sich die Schadensersatzklage bezieht“347. Die Hemmung endet nach den Gerichten gegen ihren Wortlaut ausgelegt, dazu BCL Old Co Limited and others v BASF plc and others [2012] UKSC 45 Rn. 18. 345 Art. 15 Abs. 3 im unveröffentlichten Proposal for a Council Directive on rules governing actions for damages for infringements of Articles 81 and 82 of the Treaty. 346 EuGH (Große Kammer) 24.3.2009, Rs. C-445/06, Slg. 2009, I-2119 Rn. 39, 45 – Danske Slagterier. 347 Dieser Begriff dürfte nicht nur die Verfahrenseinleitung i. S. d. Art. 2 VO 772/2004 erfassen, sondern auch sonstige Ermittlungsmaßnahmen wie z. B. Durchsuchungen, die (je nach anwendbarem Verfahrensrecht) bereits vor formeller Verfahrenseinleitung veranlasst werden können, Gussone/Schreiber WuW 2013, 1040, 1052: „Zeitpunkt der Durchsuchung, auch wenn dabei ein Verfahren noch nicht notwendigerweise förmlich eingeleitet worden sein muss“; unklar Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über bestimmte
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Art. 10 Abs. 4 Satz 2 RL 2014/104 frühestens ein Jahr, nachdem die Entscheidung über die Zuwiderhandlung bestandskräftig geworden oder das Verfahren auf andere Weise beendet worden ist.348 4. Absolute Verjährung Neben der in Art. 10 RL 2014/104 geregelten kenntnisabhängigen (subjektiven) Verjährung belässt Erwägungsgrund 36 Satz 5 RL 2014/104 den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, „allgemein anwendbare absolute Verjährungsfristen beizubehalten oder einzuführen, sofern die Dauer dieser absoluten Verjährungsfristen die Ausübung des Rechts auf Schadensersatz in voller Höhe nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren“.
Dies führt zurück zum allgemeinen Effektivitätsgrundsatz und der Frage, wie lang objektive Verjährungsfristen mindestens sein müssen und an welchen Beginn sie anknüpfen müssen, um noch effektivitätskonform zu sein. Aus Manfredi lässt sich dazu nur entnehmen, dass „eine nationale Vorschrift, nach der die Verjährungsfrist an dem Tag zu laufen beginnt, an dem das Kartell oder abgestimmte Verhalten verwirklicht wird, […] die Geltendmachung des Anspruchs auf Ersatz des durch dieses verbotene Kartell oder Verhalten entstandenen Schadens praktisch unmöglich machen [könnte], insbesondere wenn diese innerstaatliche Vorschrift außerdem eine kurze Verjährungsfrist vorsieht, die nicht unterbrochen werden kann. Unter solchen Umständen ist nämlich bei fortgesetzten oder wiederholten Zuwiderhandlungen nicht ausgeschlossen, dass die Verjährungsfrist sogar vor Beendigung der Zuwiderhandlung abgelaufen ist, so dass ein nach Ablauf dieser Frist Geschädigter keine Klage mehr erheben könnte.“349
Daraus lässt sich nur folgern, dass eine an den Beginn des Kartells anknüpfende objektive (kenntnisunabhängige) Verjährungsfrist, die zudem „kurz“ ausgestaltet ist und nicht unterbrochen werden kann, effektivitätswidrig ist. Knüpft indes die objektive Verjährungsfrist (wie § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB) an die Entstehung des konkreten Schadensersatzanspruchs (also i. d. R. den Vorschriften für Schadensersatzklagen nach einzelstaatlichem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union KOM(2013) 404 S. 19: „Wenn eine Wettbewerbsbehörde ein Verfahren wegen einer mutmaßlichen Zuwiderhandlung einleitet “ (obwohl der Text bereits des Kommissionsvorschlags weiter formuliert war). 348 Schwierigkeiten bei der Bestimmung der genauen Dauer der Hemmung können sich ergeben, wenn die abschließende Behördenentscheidung nur von einem Teil der Adressaten angefochten wird, zur Lösung einer solchen Konstellation im englischen Recht Deutsche Bahn v Morgan Crucible [2014] UKSC 24 Rn. 21 f., 25 f. 349 EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 78 f. – Manfredi. Auch insofern handelt es sich um eine Parallele zu Rechtsprechung zu Art. 340 Abs. 2 AEUV, Bulst ZEuP 2008, 178, 191 mit Hinweis auf EuGH 7.11.1985, Rs. 145/83, Slg. 1985, 3539 – Adams.
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Schadenseintritt) an, so fällt dies nicht unter das Diktum in Manfredi.350 Die Rechtsprechung zu objektiven Verjährungs- und Ausschlussfristen außerhalb des Kartelldeliktsrechts deutet zudem darauf hin, dass auch kürzere Fristen wie etwa drei bis vier Jahre zulässig sein können,351 wobei dazu nicht einmal erforderlich zu sein scheint, dass die Unionsrechtswidrigkeit bei Fristbeginn bereits objektiv (z. B. durch Urteil des EuGH) geklärt war.352 Allerdings steht dies unter dem Vorbehalt „besonderer Umstände“, so dass der Gerichtshof möglicherweise aufgrund der Verschleierung von Kartellabsprachen in solchen Fällen eine längere absolute Verjährungsfrist anmahnen könnte, wobei zehn Jahre (vgl. § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB) insofern ausreichend erscheinen.353 5. Ergebnisse Zusammenfassend lässt sich zur Verjährung festhalten, dass eine an die Kenntnis des Geschädigten von Rechtsverletzung, Schaden und Schädiger anknüpfende354 subjektive Verjährungsfrist von drei Jahren aus Sicht des Pohlmann WRP 2015, 546, 551. Zu einer nationalen Verjährungsfrist von drei Jahren, die um neun Monate verlängert werden kann EuGH 15.4.2010, C-542/08, Slg. 2010, I-3189 Rn. 29 – Barth: „Daher kann mangels besonderer dem Gerichtshof zur Kenntnis gebrachter Umstände eine Verjährungsbestimmung wie die dem Beschwerdeführer des Ausgangsverfahrens entgegengehaltene, die eine Verjährungsfrist von drei Jahren vorsieht, die um einen Zeitraum von neun Monaten verlängert werden kann, nicht als Verstoß gegen den Effektivitätsgrundsatz angesehen werden“ (zur Verweigerung unionsrechtswidrig vorenthaltener Pensionszahlungen); ähnlich EuGH 15.9.1998, Rs. C-231/96, Slg. 1998, I-4951 Rn. 35 – Edis: „Unter diesem Gesichtspunkt erscheint eine nationale Ausschlußfrist von drei Jahren, die vom Zeitpunkt der fraglichen Zahlung an läuft, angemessen“ (zur Erstattung unionsrechtswidriger Abgaben); wie Edis auch EuGH 15.9.1998, Rs. C-260/96, Slg. 1998, I-4997 Rn. 19 – Spac (drei Jahre); EuGH 17.11.1998, Rs. C-228/96, Slg. 1998, I-7141 Rn. 19 – Aprile (drei Jahre); EuGH 9.2.1999, Rs. C-343/96, Slg. 1999, I-579 Rn. 42 – Dilexport (drei Jahre). 352 Diese Einschränkung formuliert Pohlmann WRP 2015, 546, 550 f. Nach meinem Verständnis war aber beispielsweise in EuGH 15.4.2010, C-542/08, Slg. 2010, I-3189 – Barth die Unionsrechtswidrigkeit bei Beginn der Dreijahresfrist noch nicht bekannt. M. E. unergiebig für die Dauer objektiver Verjährungsfristen ist die Entscheidung EuGH 2.2.1988, Rs. 309/85, Slg. 1988, 355 Rn. 19 – Barra, da dort die Erstattung unionsrechtswidriger Einschreibegebühren generell für alle Betroffenen ausgeschlossen wurde, die nicht vor Ergehen der EuGH-Entscheidung, die die Unionsrechtswidrigkeit feststellte, Erstattungsklage erhoben hatten. Effektivitätswidrig ist es danach offenbar, gezielt auf die Rechtsklärung durch den Gerichtshof als Ausschlusstermin abzustellen, nicht aber eine objektive Frist vorzusehen, die auch Fälle erfasst, die sich vor der Klärung der Rechtslage durch den Gerichtshof ereignet haben. 353 Vgl. auch Pohlmann WRP 2015, 546, 552, die eine absolute Frist von zehn Jahren für zulässig hält, diese aber an die Beendigung der Zuwiderhandlung anknüpfen will und für die Anknüpfung an die Zuwiderhandlung selbst eine Frist von 30 Jahren vorsehen will. 354 So im Wesentlichen nun auch – abgesehen vom Erfordernis der Beendigung der Zuwiderhandlung – Art. 10 Abs. 2 RL 2014/104. 350 351
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Unionsrechts effektivitätskonform erscheint, auch wenn das Sekundärrecht nun eine Mindestfrist von fünf Jahren verlangt (Art. 10 Abs. 3 RL 2014/104), die zudem nicht vor Beendigung der Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht beginnen soll (Art. 10 Abs. 2 RL 2014/104). Auch erscheint es zulässig, der positiven Kenntnis die fahrlässige Unkenntnis gleichzustellen. Dies entspricht nicht nur der Kartellschadensersatzrichtlinie (Art. 10 Abs. 2 RL 2014/104), sondern lässt sich auch anhand der EuGH-Rechtsprechung zum Ausschluss von Staatshaftungsansprüchen bei vorsätzlicher oder fahrlässiger Versäumung von Primärrechtsschutz (vgl. § 839 Abs. 3 BGB) rechtfertigen.355 Aus der Perspektive des Effektivitätsgrundsatzes nicht geboten ist ein Neubeginn der Verjährung nach Abschluss eines kartellbehördlichen Verfahrens, weil der Dauer kartellbehördlicher Verfahren und der daraus resultierenden Unsicherheit der Geschädigten über das Vorliegen einer Zuwiderhandlung ausreichend durch eine Hemmung der Verjährung wie in Art. 10 Abs. 4 RL 2014/104 Rechnung getragen werden kann. Ersichtlich keine klare Aussage lässt sich der Judikatur zu der Frage entnehmen, in welchen Grenzen eine objektive (absolute), d. h. von der Kenntnis bzw. dem Kennenmüssen des Geschädigten unabhängige Verjährung zulässig ist. Allerdings spricht vieles dafür, eine Frist von zehn Jahren insofern als effektivitätskonform anzusehen. X. Verzinsung X. Verzinsung
Neben dem Anspruch auf Ersatz von unmittelbarem Schaden und entgangenem Gewinn hat der Gerichtshof in Manfredi den Anspruch auf Zinsen356 als dritte Komponente eines effektivitätskonformen Schadensersatzanspruchs formuliert357 (so nun auch Art. 3 Abs. 2 Satz 2 RL 2014/104). Zur BegrünDie allerdings die Rechtswegerschöpfung unter das zusätzliche Kriterium der Zumutbarkeit gestellt hat, EuGH (Große Kammer) 24.3.2009, Rs. C-445/06, Slg. 2009, I-2119 Rn. 58 ff., 64 – Danske Slagterier. 356 Zur grundsätzlichen Gebotenheit einer Verzinsung von Schadensersatzansprüchen Schlussanträge des Generalanwalts Alber vom 24.10.2002, Rs. C-63/01, Slg. 2003, I-14447 Rn. 43 – Evans: „Gemeinsam ist diesen Urteilen [Ireks-Arkady, Marshall und Grifon] jedoch, dass der Gerichtshof unter genauer zu bestimmenden Voraussetzungen grundsätzlich die Zuerkennung von Zinsen als Chrakteristikum eines Schadensersatzanspruchs anerkennt.“ 357 EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 95 – Manfredi. Zum Anspruch auf Zinsen im Staatshaftungsrecht (Art. 340 Abs. 2 AEUV) bereits EuGH 4.10.1979, Rs. 238/78, Slg. 1979, 2955 Rn. 20 – Ireks-Arkady: „Über diesen Anspruch [auf Zinsen i.H.v. 6 % ab dem Zeitpunkt der Zuwiderhandlung] ist, weil er im Zusammenhang mit der außervertraglichen Haftung der Gemeinschaft nach Artikel 215 Absatz 2 EWG-Vertrag erhoben wird, im Lichte der den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamen allgemeinen Rechtsgrundsätze zu entscheiden, auf die diese Vorschrift verweist. Danach ist ein Zinsanspruch grundsätzlich gegeben. Unter Berücksichtigung der vom Gerichtshof für die Schadensberechnung zugrunde gelegten Kriterien ent355
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dung verwies der EuGH auf die Rechtsprechung zum Schadensersatz wegen Verstößen gegen die Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207, wonach „die Zuerkennung von Zinsen nach den anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften als unerlässlicher Bestandteil einer Entschädigung anzusehen ist“.358 Aufschluss über die Reichweite der in Manfredi nicht näher konkretisierten Anforderungen des Effektivitätsgrundsatzes an die Ausgestaltung des Zinsanspruchs gibt in erster Linie die dort zitierte Rechtsprechung zum Antidiskriminierungsrecht. In Marshall II begründet der EuGH die Erforderlichkeit eines Zinsanspruchs mit dem Hinweis, „daß für die völlige Wiedergutmachung des durch eine diskriminierende Entlassung entstandenen Schadens nicht von Umständen abgesehen werden kann, die, wie der Zeitablauf, den tatsächlichen Wert der Wiedergutmachung verringern können. Die Zuerkennung von Zinsen nach den anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften ist daher als unerläßlicher Bestandteil einer Entschädigung anzusehen, die die Wiederherstellung tatsächlicher Gleichbehandlung ermöglicht.“359
Die Garantie eines Zinsanspruchs beruht damit auf der Erwägung, dass der Wert der Entschädigung nicht durch bloßen Zeitablauf abnehmen soll,360 insbesondere dass der Geschädigte für die zwischenzeitliche Geldentwertung361 und die Einbußen infolge der Nichtverfügbarkeit des Kapitals362 komsteht der Zinsanspruch mit dem vorliegenden Urteil, soweit es die Pflicht zum Schadensersatz feststellt. Der anzuwendende Zinssatz beträgt 6 vom Hundert jährlich.“ 358 EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 97 – Manfredi mit Verweis auf EuGH 2.8.1993, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367 Rn. 31 – Marshall II. 359 EuGH 2.8.1993, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367 Rn. 31 – Marshall II; für eine Übertragung auch auf das Vergaberecht Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón vom 14.9.2010, Rs. C-568/08, Slg. 2010, I-12665 Rn. 111 – Combinatie Spijker Infrabouw: „Noch offenkundiger ist meiner Meinung nach die Notwendigkeit, in den nationalen Vorschriften im Sinne eines effektiven Ausgleichs die Zuerkennung von Zinsen vorzusehen, denn diese sind, wie sich aus dem Urteil Marshall ergibt, ‚als unerlässlicher Bestandteil einer Entschädigung anzusehen‘.“ Siehe auch EuGH (Große Kammer) 19.7.2012, Rs. C-591/10, ECLI:EU:C:2012:478 Rn. 26 – Littlewoods Retail zu der sich aus dem Unionsrecht ergebenden Verzinsungspflicht bei Erstattung unionsrechtswidriger Abgaben. Demgegenüber gebieten die Antidiskriminierungsrichtlinien keinen Anspruch auf Zinsen bei Leistungen der sozialen Sicherheit, die nicht „den Charakter der Wiedergutmachung eines entstandenen Schadens“ haben, EuGH 22.4.1997, Rs. C-66/95, Slg. 1997, I-2163 Rn. 23 f., 27 – Sutton. 360 So auch EuGH (Große Kammer) 4.12.2003, Rs. C-63/01, Slg. 2003, I-14447 Rn. 68 – Evans: „Für den Ausgleich eines Schadens kann daher nicht von Umständen abgesehen werden, die, wie der Zeitablauf, den tatsächlichen Wert der Ausgleichsleistung verringern können“; Rn. 71: Ausgleichsleistung muss „den Zeitablauf bis zur tatsächlichen Zahlung der zuerkannten Beträge berücksichtigen […], um eine ausreichende Entschädigung der Geschädigten zu garantieren“; Bueren RabelsZ 77 (2013) 504, 538 f. 361 EuGH 3.2.1994, Rs. C-308/87, Slg. 1994, I-341 Rn. 40 – Grifoni: „Der Ersatz des Schadens soll soweit wie möglich das Vermögen des Opfers eines Unfalls wiederherstel-
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pensiert wird.363 Allerdings lassen sich diese Ziele grundsätzlich auch auf anderem Wege als durch einen Zinsanspruch erreichen, etwa indem anstelle von Zinsen Folgeschäden durch entgangene Kapitalnutzung zugesprochen werden364 oder unter Zugrundelegung der Geldentwertung Pauschalbeträge auf den Schadensersatz aufgeschlagen werden.365 Deshalb stellt es die Kartellschadensersatzrichtlinie den Mitgliedstaaten frei, „ob diese Zinsen gemäß dem nationalen Recht als Ausgleichs- oder Verzugszinsen gelten“ und „ob der Zeitablauf als gesonderte Kategorie (Zinsen) oder als Bestandteil der eingetretenen Vermögenseinbuße oder des entgangenen Gewinns berücksichtigt wird“ (Erwägungsgrund 12 Satz 3 2. Halbsatz RL 2014/104). Die Funktion der Zinsansprüche, den Wert der Entschädigungszahlung für den Geschädigten zu erhalten, indem die Geldentwertung und Nichtverfügbarkeit des Kapitals ausgeglichen wird, erlaubt auch Rückschlüsse auf Zinsbeginn und Zinshöhe. Der Zinsbeginn ist mit dem Schädigungszeitpunkt (Schadenslen. Hieraus folgt, daß die Geldentwertung nach Eintritt des schädigenden Ereignisses tatsächlich zu berücksichtigen ist“; EuGH 27.1.2000, Rs. C-104/89 und C-37/90, Slg. 2000, I-203 Rn. 51 – Mulder II: „Sofern die Voraussetzungen der außervertraglichen Haftung erfüllt sind, dürfen daher die nachteiligen Folgen, die sich aus dem zeitlichen Abstand zwischen dem Eintritt des schädigenden Ereignisses und der Zahlung der Entschädigung ergeben, trotz dieser ausdrücklichen Erklärung des Klägers insoweit nicht außer acht gelassen werden, als die Geldentwertung zu berücksichtigen ist.“ EuG 26.2.1992, verb. Rs. T-17/89, T-21/89 und T-25/89, Slg. 1992, II-293 Rn. 40 – Brazzelli Lualdi: „Das Gericht sieht es als erwiesen an, daß den Klägern durch diese pflichtwidrige Verzögerung ein Schaden entstanden ist, und zwar in Gestalt des Kaufkraftverlustes ihrer rückständigen Bezüge, die ihnen bereits im Jahre 1984 und nicht erst Jahre später hätten ausgezahlt werden müssen.“ 362 Zur Verzinsung bei Erstattung unionsrechtswidriger Abgaben EuGH 8.3.2001, Rs. C-397/98 und C-410/98, Slg. 2001, I-1727 Rn. 87 ff. – Metallgesellschaft: Ersatz aus der fehlenden Verfügbarkeit von Geldbeträgen ist der „Zinsbetrag […], der auf die […] nicht mehr verfügbare Summe angefallen wäre“ (Rn. 88); EuGH (Große Kammer) 12.12.2006, Rs. C-446/04, Slg. 2006, I-11753 Rn. 205 – Test Claimants in the FII Group Litigation; EuGH (Große Kammer) 19.7.2012, Rs. C-591/10, ECLI:EU:C:2012:478 Rn. 25 – Littlewoods Retail. 363 Zur Erstattung unionsrechtswidriger Abgaben EuGH (Große Kammer) 19.7.2012, Rs. C-591/10, ECLI:EU:C:2012:478 Rn. 29 – Littlewoods Retail. Siehe auch Europäische Kommission Entwurf eines Leitfadens zur Quantifizierung des Schadens in Schadensersatzklagen wegen Verletzung des Art. 101 oder 102 AEUV (2011) Rn. 17. 364 Vgl. Bueren RabelsZ 77 (2013) 504, 539. 365 So etwa das Vorgehen im Kontext des Art. 340 Abs. 2 AEUV in EuGH 3.2.1994, Rs. C-307/87, Slg. 1994, I-341 Rn. 40 f. – Grifoni: „Der Ersatz des Schadens soll soweit wie möglich das Vermögen des Opfers eines Unfalls wiederherstellen. Hieraus folgt, daß die Geldentwertung nach Eintritt des schädigenden Ereignisses tatsächlich zu berücksichtigen ist. Im vorliegenden Fall ist der Betrag des zu ersetzenden Schadens, der sich auf insgesamt 148 210 529 LIT beläuft, aufgrund von Angaben berechnet worden, die sich auf den Zeitpunkt des Unfalls beziehen. Er ist also unter Zugrundelegung der Geldentwertung zu aktualisieren; für acht Jahre ist ein Pauschalbetrag von 120 000 000 LIT hinzuzufügen.“
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eintritt),366 nicht mit dem Urteilserlass anzusetzen, denn es geht um „völlige Wiedergutmachung“ und den Erhalt des Wertes der Schadensersatzleistung gerade auch für die Zeit von der Schädigung bis zum Erlass eines Schadensersatzurteils (so nun ausdrücklich Erwägungsgrund 12 Satz 3 2. Halbsatz RL 2014/104: „Zinsen sollten daher ab dem Zeitpunkt, zu dem der Schaden entstanden ist, bis zu dem Zeitpunkt, zu dem der Ersatz gezahlt worden ist, anfallen“). Die Zinshöhe schließlich muss zumindest die Geldentwertung ausgleichen, um den Wert der Entschädigungszahlung zu erhalten: 367 „Im Kontext der Bestimmung der Modalitäten eines sich aus dem Unionsrecht ergebenden Zinsanspruchs käme eine Verletzung des Effektivitätsgrundsatzes demnach nur in Betracht, wenn die Verzinsung im Ergebnis derart niedrig ausfallen würde, dass sie den sich aus dem Unionsrecht ergebenden Zinsanspruch inhaltlich übermäßig aushebeln würde.“368
Nachweise bereits oben Fn. 221; EuGH 2.8.1993, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367 Rn. 28 – Marshall II: „Die zweite Frage geht dahin, ob […] die Wiedergutmachung die Zuerkennung von Zinsen auf den Hauptbetrag vom Tag der Diskriminierung bis zum Tag der Zahlung der Entschädigung einschließt“ (Hervorhebung nicht im Original). Zum Kartelldeliktsrecht Commission Staff Working Paper accompanying the White Paper on Damages actions for breach of the EC antitrust rules SEC(2008) 404 Rn. 187; Schlussanträge des Generalanwalts van Gerven vom 27.10.1993, Rs. C-128/92, Slg. 1994, I-1209 Rn. 54 – Banks; Jones Private Enforcement of Antitrust Law in the EU, UK and USA (1999) S. 231 f. (pre-judgment interest); Bueren WuW 2012, 1056, 1061: „Darüber hinaus spricht viel dafür, dass eine solche Verzinsung auch europarechtlich geboten ist.“ Zur Rückforderung unionsrechtswidriger Beihilfen Art. 14 Abs. 2 Satz 2 VO 659/1999: „Die Zinsen sind von dem Zeitpunkt, ab dem die rechtswidrige Beihilfe dem Empfänger zur Verfügung stand, bis zu ihrer tatsächlichen Rückzahlung zahlbar.“ Zum Staatshaftungsrecht (Abgabenrecht) EuGH 18.4.2013, Rs. C-565/11, ECLI:EU:C:2013:250 Rn. 28 – Irimie: „Die Einbußen hängen nämlich u. a. davon ab, wie lange der unter Verstoß gegen das Unionsrecht zu Unrecht gezahlte Betrag nicht zur Verfügung stand, und entstehen somit grundsätzlich im Zeitraum vom Tag der zu Unrecht erfolgten Zahlung der fraglichen Steuer bis zum Tag ihrer Erstattung.“ Anders noch EuGH 8.3.2001, Rs. C-397/98 und C-410/98, Slg. 2001, I-1727 Rn. 86 – Metallgesellschaft zur Verzinsung unionsrechtswidriger Abgaben: „Es ist ferner Sache des nationalen Rechts, alle mit der Erstattung zu Unrecht erhobener Abgaben zusammenhängenden Nebenfragen wie etwa die Zahlung von Zinsen einschließlich des Zeitpunkts, von dem an die Zinsen zu berechnen sind, und des Zinssatzes zu regeln.“ Zur Verdichtungstendenz der unionsrechtlichen Vorgaben für die Zinsansprüche im Abgabenrecht Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 12.1.2012, Rs. C-591/10, ECLI:EU:C:2012:9 Rn. 26 ff. – Littlewoods Retail. 367 So auch Bueren RabelsZ 77 (2013) 504, 538 f. Die von den Unionsgerichten im Bereich der Staatshaftung zugesprochenen Zinssätze lassen sich nicht unmittelbar übertragen, weil sich die Verzinsung einschließlich des Zinssatzes grundsätzlich nach nationalen Regeln bestimmt, Meeßen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EUKartellrecht (2011) S. 539 f. 368 Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 12.1.2012, Rs. C-591/10, ECLI:EU:C:2012:9 Rn. 34 – Littlewoods Retail. 366
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Nicht beanstandet hat der EuGH eine Verzinsungsregelung, die bei einer Zinsschuld in britischen Pfund über etwa dreißig Jahre zu einer Zinsforderung führt, die den Hauptbetrag um mehr als 25 % übersteigt.369 Schließlich ist es Sache des innerstaatlichen Rechts, die Bedingungen für die Verzinsung, insbesondere den über den Inflationsausgleich hinausgehenden Zinssatz und die Berechnungsmethode für die Zinsen (einfache Verzinsung oder Zahlung von Zinseszinsen) festzulegen.370
§ 5 Verbrauchervertragliche Informationspflichten
§ 5 Verbrauchervertragliche Informationspflichten § 5 Verbrauchervertragliche Informationspflichten
Spätestens seit der Haustürwiderrufsrichtlinie 85/577 aus dem Jahr 1985 gehört der Verbraucherschutz zu den bedeutsamsten Betätigungsfeldern des Unionsgesetzgebers. Wie auf anderen Feldern ist das unionale Verbraucherrecht durch zwei Anliegen motiviert: Zum einen geht es um den Schutz der wirtschaftlichen371 Interessen der Verbraucher, zum anderen um die Errichtung eines reibungslos funktionierenden Binnenmarktes.372 Diese sowohl marktfunktionale wie individualschützende Zielsetzung hat Konsequenzen für die Auslegung der einzelnen Regeln der Richtlinien, die manchmal marktfunktionalen, manchmal individualschützenden und manchmal beiden Zwecken dienen. Eine erste Annäherung an den Bestand des europäischen Verbraucherrechts gibt die Aufzählung in Art. 3 lit. a und dem Anhang der VO (EG) 2006/2004 über die Zusammenarbeit der nationalen Behörden im Verbraucherschutz, die inzwischen373 nicht weniger als 21 unionale „Gesetze zum 369 EuGH (Große Kammer) 19.7.2012, Rs. C-591/10, ECLI:EU:C:2012:478 Rn. 30 – Littlewoods Retail; ausdrücklich für Vereinbarkeit mit dem Effektivitätsgrundsatz die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 12.1.2012, Rs. C-591/10, ECLI:EU: C:2012:9 Rn. 33 – Littlewoods Retail: Beachtung des Effektivitätsgrundsatzes „ohne Weiteres [zu] bejahen“, dort auch Rn. 36 zur Berechnung anhand des durchschnittlichen Basiskreditsatzes von sechs Clearingbanken; Zinsbeginn war der Tag, an dem die Steuerbehörde die Zahlung erhalten hat. 370 EuGH (Große Kammer) 19.7.2012, Rs. C-591/10, ECLI:EU:C:2012:478 Rn. 25 – Littlewoods Retail (zur Verzinsungspflicht bei unionsrechtswidrigen Abgaben). 371 Vgl. Art. 1 RL 2005/29. In jüngerer Zeit mehren sich die Interventionen der Union zum Schutz anderer als wirtschaftlicher Interessen, z. B. zum Schutz vor Belästigung, zum Schutz der Privatsphäre oder zum Gesundheitsschutz, vgl. Anhang I Nr. 14, Nr. 16 und Nr. 26 RL 2005/29; Leistner ZEuP 2009, 56, 74 ff., 88; Peukert ZHR 173 (2009) 536, 561 f. Allerdings sind diese Interventionen bisher weitgehend auf das (besondere) Lauterkeitsrecht (Sonderwerberecht) beschränkt und erfassen (noch) nicht das allgemeine Verbrauchervertragsrecht. 372 Siehe etwa Erwägungsgründe 7–9 der Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48 und EuGH 12.7.2012, Rs. C-602/10, ECLI:EU:2012:443 Rn. 62 – SC Volksbank Romania. 373 In ihrer konsolidierten Fassung vom 9.1.2016.
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Schutz der Verbraucherinteressen“ nennt. Diese Aufzählung umfasst allerdings auch nicht verbrauchervertragsrechtliche (lauterkeitsrechtliche) Instrumente wie die Richtlinie 2005/29 über unlautere Geschäftspraktiken, die Richtlinie 2006/114 über irreführende und vergleichende Werbung und die Richtlinie 98/6 über Preisangaben, Regeln des Sonderwerberechts wie die Richtlinie 2001/83 über Humanarzneimittel und die Richtlinie 2010/13 über audiovisuelle Mediendienste sowie Regeln des Datenschutzes wie die Richtlinie 2002/58.374 Reduziert man den Katalog des Art. 3 lit. a VO 2006/2004 auf genuin vertragsrechtliche Regelungen und klammert das gesondert untersuchte Pauschalreiserecht und das Recht der Fluggastentschädigung375 sowie das in Art. 3 lit. a VO 2006/2004 ohnehin nicht erwähnte Versicherungsrecht aus, so verbleiben376 die Richtlinien 85/577 über Haustürgeschäfte und 97/7 über Fernabsatz (beide ab 2013 zusammengefasst in der Richtlinie 2011/83 über die Rechte der Verbraucher), die vertragsrechtlichen Regeln der ECommerce-Richtlinie 2000/31, die Richtlinie 2008/48 über den Verbraucherkredit, die Richtlinie 93/13 über missbräuchliche Vertragsklauseln, die Richtlinie 2008/122 über Teilzeitnutzungsrechte an Immobilien, die Richtlinie 2002/65 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen und die Richtlinie 1999/44 über den Verbrauchsgüterkauf. Diese Richtlinien sollen Gegenstand der folgenden Ausführungen sein, wobei sich die Darstellung auf eine Untersuchung des Schadensersatzanspruchs für die Verletzung von verbrauchervertraglichen Informationspflichten377 konzentriert, weil diese Pflichten im Verbrauchervertragsrecht besonders ausgeprägt378 und zugleich für das UnionsNicht erwähnt wird die allgemeine Datenschutzrichtlinie 95/46. Ebenso wie die VO 1177/2010 über Fahrgastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr. 376 Diese Regeln dienen (als Teil der Regeln über „kommerzielle Kommunikationen“) der Lauterkeit des Handelsverkehrs und dem Verbraucherschutz, Erwägungsgrund 29 RL 2000/31 (siehe auch Art. 10 Abs. 1 RL 2000/31 zur Unabdingbarkeit im Verhältnis zu Verbrauchern). Zur Auslegung des Art. 5 Abs. 1 lit. c RL 2000/31 EuGH 16.10.2008, Rs. C-298/07, Slg. 2008, I-7841 Rn. 40 – deutsche internet versicherung; EuGH (Große Kammer) 7.12.2010, verb. Rs. C-585/08 und C-144/09, Slg. 2010, I-12527 Rn. 78 – Pammer. 377 Siehe außerdem Art. 22 der Dienstleistungsrichtlinie 2006/123. Diese Vorschrift dient dem Schutz der Dienstleistungsempfänger und insbesondere der Verbraucher und steht den verbraucherrechtlichen Regeln damit nahe, vgl. EuGH (Große Kammer) 5.4.2011, Rs. C-119/09, Slg. 2011, I-2551 Rn. 28 – Société fiduciaire nationale d’expertise comptable. 378 Siehe etwa Art. 3, 4 Finanzdienstleistungsfernabsatzrichtlinie 2002/65; Art. 5–7, 10–12, 18 Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48; Art. 4, 5 Abs. 2–4 Timesharingrichtlinie 2008/122; Art. 5, 6 Verbraucherrechterichtlinie 2011/83 (vormals Art. 4 Haustürwiderrufsrichtlinie 85/577 und Art. 4 Fernabsatzrichtlinie 97/7); Art. 11, 13–15 Wohnimmobilienkreditrichtlinie 2014/17. Siehe auch Art. 6 und 10 Abs. 1, 2 E-Commerce-Richtlinie 2000/ 31, Art. 5 Pauschalreiserichtlinie 2015/2302 und Art. 6 Abs. 2, 3 Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 99/44/EG; zum Lauterkeitsrecht Art. 7 RL 2005/29 und die Aufzählung in Anhang II zur RL 2005/29. Die Klauselrichtlinie 93/13 enthält keine Informationspflichten, sondern nur ein allgemeines Transparenzgebot für Vertragsklauseln, Angermann Die Ver374 375
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recht – nicht nur im Verbrauchervertragsrecht im engeren Sinne379 – besonders charakteristisch sind380 (vgl. Art. 169 AEUV)381. Ausgeklammert aus der letzung vertragsschlussbezogener Informationspflichten des Europäischen Privatrechts (2010) S. 120 f. Die Haftung für die durch die Warenbeschreibung und öffentliche Äußerungen definierte Vertragsmäßigkeit der Kaufsache nach Art. 2 Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 99/44 schafft einen Anreiz zur korrekten Beschreibung und damit mittelbare Informationspflichten, Riesenhuber in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.) Party Autonomy and the Role of Information in the Internal Market (2001) 348, 353: „incentive to inform“. Neben den – lauterkeitsrechtlich über Art. 7 Abs. 5 RL 2005/29 bewehrten – vorvertraglichen Informationspflichten finden sich außerdem eigene Vorschriften zu Inhalten von Werbung, vgl. Art. 4 Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48; Art. 3 Timesharingrichtlinie 2008/122; Art. 11 Wohnimmobilienkreditrichtlinie 2014/17. Allerdings wirken sich auch die Werberegeln mittelbar auf die vertraglichen Informationspflichten aus, insofern der Inhalt der Werbung Einfluss auf den Inhalt des Vertrages haben kann, siehe Art. 5 Abs. 2 iVm Art. 4 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 Timesharingrichtlinie 2008/122; Art. 2 Abs. 2 lit. a und d Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 99/44. Nicht vertieft werden kann hier die rechtspolitische Kritik, die die z. T. sehr weitreichenden Informationspflichten als überbordend (information overload), als zu wenig adressaten- und situationsspezifisch und als zu starr ansieht, dazu Stuyck/Terryn/van Dyck CMLR 43 (2006) 107, 121 f.; Leistner ZEuP 2009, 56, 72 ff.; ders. ZGE 2009, 3, 41 ff.; ders. in: Fleischer/Zimmer (Hrsg.) Beitrag der Verhaltensökonomie (Behavioral Economics) zum Handels- und Wirtschaftsrecht (2011) S. 122, 167 f.; Leible/Schäfer WRP 2012, 32; Glöckner in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.) Europarecht – Handbuch für die deutsche Rechtspraxis3 (2015) § 17 Rn. 58 f. Bemerkt sei nur, dass nicht vergessen werden sollte, dass gerade die Normen des Unionsrechts im Interesse ihrer einheitlichen Anwendung subsumierbar bleiben müssen. Eine stärkere Flexibilisierung der Informationspflichten hätte wohl in erster Linie nicht einen größeren Einfluss der Rechtsempirie zur Folge, sondern vor allem eine uneinheitliche Auslegung durch nationale Gerichte, die letztlich den Harmonisierungseffekt kompromittieren könnte. Auch sei daran erinnert, dass die Bemühungen um einen „more economic approach“ im Kartellrecht beim Gerichtshof offenbar eher auf reservierte Skepsis denn auf offene Begeisterung gestoßen sind, vgl. zu Art. 101 AEUV EuGH 4.6.2009, Rs. C-8/08, Slg. 2009, I-4529 Rn. 29 ff. – T-Mobile Netherlands; EuGH 6.10.2009, Rs. C-501/06 P, C-513/06 P, C-515/06 P und C-519/06 P, Slg. 2009, I-9291 Rn. 63 – GlaxoSmithKline; zu Art. 102 AEUV EuGH 15.3.2007, Rs. C-95/04 P, Slg. 2007, I-2331 Rn. 106 – British Airways; EuGH 17.2.2011, Rs. C-52/09, Slg. 2011, I-527 Rn. 24 – TeliaSonera. Und schließlich lassen sich die Ziele der europäischen Gesetzgebung nicht allein auf ökonomische Kriterien reduzieren, denn es geht – ganz abgesehen von der Ausdifferenzierung der Unionsziele in Art. 2 und 3 EUV – auch bei der Binnenmarktintegration mindestens ebenso sehr um Integration wie um Binnenmarkt, so dass sogar aus Sicht der Ökonomik problematische Maßnahmen wie eine Preisregulierung gerechtfertigt sein können, vgl. EuGH (Große Kammer) 8.6.2010, Rs. C-58/08, Slg. 2010, I-4999 Rn. 47 – Vodafone. 379 Eine parallele Diskussion zeichnet sich bei Verletzung kapitalmarktrechtlicher oder versicherungsrechtlicher Informationspflichten ab, die durch das Unionsrecht (etwa die MiFiD II-RL 2014/65 oder die PRIIP-VO 1286/2014, vgl. Art. 11 Abs. 2 VO 1286/2014) begründet werden, dazu Herresthal ZBB 2012, 89, 94 ff.; Grigoleit ZHR 177 (2013) 264, 270 ff.; Einsele JZ 2014, 703, 711, 713; Langenbucher in: Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht (2015) 5, 26 f.; Heiss in: Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und
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Darstellung bleiben die Vorschriften des gescheiterten Entwurfs über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht382 und der noch nicht verabschiedeten Vorschläge für eine Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte383 und für eine Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Online-Warenhandels und anderer Formen des Fernabsatzes von Waren.384
europäischem Kapitalmarktrecht (2015) 41, 56 f.; Wundenberg ZGR 2015, 124, 135 f.; zu diesem Thema auch EuGH 30.5.2013, Rs. C-604/11, ECLI:EU:C:2013:344 Rn. 57 – Genil 48 SL: „In Ermangelung einer Regelung der Union hierzu kommt es der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten zu, die vertraglichen Folgen eines Verstoßes gegen diese Verpflichtungen festzulegen, wobei die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität beachtet werden müssen“; ebenso EuGH 3.12.2015, Rs. C-312/14, ECLI:EU: C:2015:794 Rn. 79 – Banif Plus Bank; siehe auch EFTA-Gerichtshof 13.6.2013, Rs. E-11/ 12 Rn. 135 – Swiss Life mit dem Hinweis auf das Bestehen eines zivilrechtlichen Entschädigungsanspruchs neben der Verwaltungsbeschwerde. Gegen eine Verpflichtung auf indivdualrechtliche Ansprüche aus der Richtlinie 2004/39 oder dem Effektivitätsgrundsatz BGH 17.9.2013, XI ZR 332/12, BKR 2014, 32, 35 f. Rn. 26, 30 f.; zur Bedeutung privater Schadensersatzansprüche zur Durchsetzung kapitalmarktrechtlicher Informationspflichten aber auch EuGH 19.12.2013, Rs. C-174/12, ECLI:EU:C:2013:856 Rn. 43 – Hirmann. 380 Zur Klauselrichtlinie 93/13 EuGH 21.3.2013, Rs. C-92/11, ECLI:EU:C:2013:180 Rn. 44 – RWE Vertrieb: „Für den Verbraucher ist es nämlich von grundlegender Bedeutung, dass er vor Abschluss eines Vertrags über die Vertragsbedingungen und die Folgen des Vertragsschlusses informiert ist. Insbesondere auf der Grundlage dieser Information entscheidet er, ob er sich durch die vom Gewerbetreibenden vorformulierten Bedingungen binden möchte.“ Ausgangspunkt für die Informationspflichen waren die Judikatur des EuGH zu den Grundfreiheiten (vgl. EuGH 7.3.1990, Rs. 362/88, Slg. 1990, I-667 Rn. 17 – GB-INNO-BM; zur Etikettierungsrechtsprechung bereits EuGH 20.2.1979, Rs. 120/78, Slg. 1979, 649 Rn. 13 – Rewe (Cassis de Dijon); EuGH 17.3.1983, Rs. 94/82, – Slg. 1983, 947 Rn. 8 – de Kikvorsch; EuGH 6.11.2003, Rs. C-358/01, Slg. 2003, I-13145 Rn. 50 – Kommission/Spanien) und die Verbraucherschutzprogramme seit den siebziger Jahren, etwa die Entschließung des Rates vom 14. April 1975 betreffend ein Erstes Programm der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für eine Politik zum Schutz und der Unterrichtung der Verbraucher, ABl. C 92 vom 25.4.1975, S. 1, das Zweite Gemeinschaftsprogramm für die Verbraucher – Aktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaften für die Verbraucher, Mitteilung der Kommission an den Rat vom 27.6.1979, Bulletin der Europäischen Gemeinschaften Beilage 4/1979 Rn. 39 ff. („Unterrichtung der Verbraucher“) und die Entschließung des Rates vom 19. Mai 1981 betreffend ein zweites Programm der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für eine Politik zum Schutz und zur Unterrichtung der Verbraucher, ABl. C 133 vom 3.6.1981, S. 1; zur Bezugnahme auf diese Programme EuGH 7.3.1990, Rs. 362/88, Slg. 1990, I-667 Rn. 18, 13 ff. – GB-INNO-BM. 381 Art. 169 AEUV selbst begründet allerdings keine einklagbaren Verpflichtungen, vgl. EuGH 7.3.1996, Rs. C-192/04, Slg. 1996, I-1281 Rn. 20 f. – El Corte Inglés. 382 KOM(2011) 635, dort insbesondere Art. 159 ff. zu den Rechtsfolgen; zum Schadensersatz K. Huber euvr 2013, 197; Remien in: Schmidt-Kessel/Leible/Tichý (Hrsg.) Perspektiven des Verbrauchsgüterkaufs (2015) 143, 148 ff. 383 KOM(2015) 634.
I. Existenz eines Schadensersatzanspruchs
I.
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Existenz eines Schadensersatzanspruchs
I. Existenz eines Schadensersatzanspruchs
1. Keine ausdrückliche Regelung von Schadensersatzansprüchen Trotz der früh erkannten Bedeutung der Rechtsdurchsetzung für den Verbraucherschutz385 findet sich, abgesehen von der gesondert untersuchten Pauschalreiserichtlinie (dazu § 6 → S. 327), in keiner der verbrauchervertragsrechtlichen Richtlinien eine ausdrückliche Regelung zum Schadensersatz.386 Ähnlich selten sind explizite Regeln zu den Rechtsfolgen von Informationspflichtverletzungen im Verhältnis zwischen Verbraucher und Unternehmer. KOM(2015) 635. Entschließung des Rates vom 14. April 1975 betreffend ein Erstes Programm der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für eine Politik zum Schutz und zur Unterrichtung der Verbraucher, ABl. C 92 vom 25.4.1975, S. 1, 8: der Verbraucher muss „bei Klagen und bei Schäden, die er durch Kauf oder Gebrauch fehlerhafter Waren und unzureichender Dienstleistungen erleidet, Beratung und Beistand erhalten. Er hat außerdem Anspruch auf eine angemessene Wiedergutmachung solcher Schäden, und zwar mittels schneller, wirksamer und wenig kostspieliger Verfahren.“ Siehe auch bereits Memorandum der Kommission: Rechtsbeihilfe [sic] des Verbrauchers, KOM(84) 692. Kritisch zur fehlenden Harmonisierung der Rechtsbehelfe als Unterminierung der Vollharmonisierung Mittwoch Vollharmonisierung und Europäisches Privatrecht (2013) S. 279 f. 386 Explizit Art. 8 Abs. 1 Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 99/44; ferner Grundmann Europäisches Schuldvertragsrecht (1999) § 1 Rn. 176 ff.; Magnus in: Schulze/Ebers/Grigoleit (Hrsg.) Informationspflichten und Vertragsschluss im acquis communautaire (2003) 291, 294; ders. ZEuP 2007, 260, 266; ders. in: Schulze (Hrsg.) Common Frame of Reference and Existing EC Contract Law2 (2009) 211, 212; ders. in: Research Group on the Existing EC Contract Law – Principles of the Existing EC Contract Law (Acquis Principles) Contract II (2009) Art. 8:401 Rn. 1 f., 5; Riesenhuber Europäisches Vertragsrecht2 (2006) Rn. 217; Twigg-Flessner/Wilhelmsson in: Research Group on the Existing EC Private Law (Acquis Group) Contract II (2009) Art. 2:208 Rn. 1 a. E. Siehe auch die Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament zum Europäischen Vertragsrecht KOM(2001) 398 S. 23: „zu den Lücken bei EG-Richtlinien über Vertragsrecht auch die Tatsache gehört, dass kein Hinweis auf den Vertragsabschluss und die Sanktionen besteht, die für den Fall gelten, dass die in den Richtlinien über vorvertragliche Informationen enthaltenen Verpflichtungen nicht eingehalten werden“; ebenso das Grünbuch Die Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstands im Verbraucherschutz KOM(2006) 744 Ziffer 4.10 (Allgemeines Recht auf Schadenersatz) S. 26: „Derzeit ist die Schadensfrage im gemeinschaftlichen Verbraucherrecht nicht geregelt, mit Ausnahme der Richtlinie über Pauschalreisen.“ Im Grünbuch werden vier Regelungsoptionen präsentiert (keine Regelung, Regelung nur des Anspruchsgrunds, Regelung von Anspruchsgrund und Anspruchshöhe für materielle Schäden, Regelung von Anspruchsgrund und Ersatz materieller wie immaterieller Schäden). Eine Schadensersatzvorschrift findet sich nun in Art. 14 des Vorschlags für eine Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte KOM(2015) 634. Zuweilen wird in Art. 3 Abs. 5 RL 1999/44 ein versteckter Schadensersatzanspruch für die immateriellen Einbußen des Käufers während der Abhilfe gesehen, indes handelt es sich wohl eher um eine Erweiterung des Maßstabs für das Äquivalenzverhältnis, zur Diskussion Schubert Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden im Privatrecht (2012) S. 437. 384 385
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Allenfalls mag man in der Verlängerung der Widerrufsfrist eine ausdrücklich geregelte Sanktion sehen, denn die Widerrufsfrist begann – vor Inkrafttreten der Maximalfrist387 von einem Jahr und 14 Tagen in Art. 10 Abs. 1 RL 2011/ 83388 (vgl. Erwägungsgrund 43 RL 2011/83), die allerdings nicht für Finanzdienstleistungen gilt389 (Art. 3 Abs. 3 lit. d RL 2011/83) – bei Haustürgeschäften, Finanzdienstleistungen und Verbraucherdarlehensverträgen390 ohne korrekte Information des Verbrauchers391 nicht zu laufen.392 Der Unternehmer Eine Maximalfrist fand sich zuvor in Art. 6 Abs. 1 UAbs. 3 Fernabsatzrichtlinie 97/7. Die neueren Richtlinien sehen regelmäßig – wenn auch nicht durchgängig (zu einer Ausnahme siehe die Finanzdienstleistungsfernabsatzrichtlinie 2002/65) – Höchstfristen für die Ausübung des Widerrufsrechts auch bei fehlerhafter Belehrung vor, siehe neben Art. 10 Abs. 1 RL 2011/83 auch bereits Art. 6 Abs. 1 UAbs. 3 RL 97/7 und Art. 6 Abs. 3 RL 2008/122. 389 Allerdings gestattet Erwägungsgrund 23 a. E. der neuen Wohnimmobilienkreditrichtlinie 2014/17 das Recht auf Widerruf in Fällen enden zu lassen, „in denen der Verbraucher Schritte unternimmt, die gemäß nationalem Recht die Begründung oder Übertragung eines Rechts an einer Immobilie im Zusammenhang mit oder unter Verwendung von Finanzmitteln, die er im Rahmen des Kreditvertrags erhalten hat, zur Folge haben, oder in denen er gegebenenfalls die Finanzmittel an eine dritte Partei überträgt.“ Da das Widerrufsrecht nach der RL 2014/17 Vorrang vor dem Widerrufsrecht nach Art. 6 Finanzdienstleistungsfernabsatzrichtlinie 2002/65 hat (Art. 14 Abs. 6 Satz 6 RL 2014/17), wirkt sich dies auch auf das nach der RL 2002/65 eröffnete Widerrufsrecht aus. Das Widerrufsrecht nach der Verbraucherdarlehensrichtlinie 2008/48 war ohnehin nie auf Realkreditverträge anwendbar (Erwägungsgrund 14, Art. 2 Abs. 2 lit. a, b RL 2008/48), so dass das deutsche Recht (§§ 503, 491 ff. BGB) insofern überschießend war. Allerdings hat der deutsche Gesetzgeber in § 356b Abs. 2 Satz 4 BGB nun eine „absolute Erlöschensregelung“ für das Widerrufsrecht bei Wohnimmobilienkreditverträgen aufgenommen, die als europarechtlich zulässig angesehen wird, weil „[d]ie Wohnimmobilienkreditrichtlinie […] insoweit keine einschränkenden Vorgaben [enthält]“, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie, BT-Drs. 18/5922 S. 74. 390 Zur Erstreckung auf den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen und auf Verbraucherdarlehensverträge Angermann Die Verletzung vertragsschlussbezogener Informationspflichten des Europäischen Privatrechts (2010) S. 163; Eichel ZfPW 2016, 52, 53. 391 Die Verlängerung der Widerrufsfrist wird in manchen Richtlinien nicht nur für eine unterbliebene oder fehlerhafte Widerrufsbelehrung vorgesehen, sondern auch auf die Verletzung anderer Dokumentations- und/oder Informationspflichten erstreckt, vgl. Art. 6 Abs. 1 Satz 3 2. Alt. Finanzdienstleistungsfernabsatzrichtlinie 2002/65: „Die Widerrufsfrist beginnt zu laufen […] an dem Tag, an dem der Verbraucher die Vertragsbedingungen und Informationen gemäß Artikel 5 Absatz 1 oder 2 erhält, wenn dieser Zeitpunkt später als der im ersten Gedankenstrich genannte liegt.“ Die Informationen gemäß Art. 5 Abs. 1 und 2 RL 2002/65 umfassen „alle Vertragsbedingungen“ sowie die Pflichtinformationen gemäß Art. 3 Abs. 1 Nr. 1–4 (Informationen betreffend den Anbieter, die Finanzdienstleistung, den Fernabsatzvertrag und den Rechtsbehelf). Eine entsprechende Regelung findet sich in Art. 14 Abs. 1 lit. b Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48: „Widerrufsfrist beginnt […] an dem Tag, an dem der Verbraucher die Vertragsbedingungen und die Informationen gemäß Artikel 10 erhält, sofern dieser nach dem in Buchstabe a des vorliegenden Unterabsatzes genannten Datum liegt“. Art. 10 RL 2008/48 regelt die zwingenden Angaben in 387 388
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konnte sich damit „ewigen“ Widerrufsrechten ausgesetzt sehen, solange die korrekte Information über das Widerrufsrecht nicht erfolgt und der Vertrag nicht beiderseitig vollständig erfüllt war.393 Neben der Verlängerung der Widerrufsfrist findet sich als weitere geregelte „Sanktion“ einer Informationspflichtverletzung die vertragliche Bindung an vorvertraglich übermittelte Informationen, selbst wenn diese unrichtig sind.394 So hat der Verbraucher beispielsweise bei unterbliebener Information über zusätzliche Kosten oder über die Kosten für die Rücksendung der Waren derartige Kosten nicht zu tragen.395 Schließlich dürften die Informationspflichten aufgrund ihrer AusgeKreditverträgen, zu denen auch Informationen über den Anbieter, die Vertragskonditionen und Rechtsbehelfsverfahren zählen. Demgegenüber beschränkt Art. 10 Abs. 1 Verbraucherrechterichtlinie 2011/83 die Verlängerung der Widerrufsfrist auf die unterlassene Widerrufsbelehrung („Hat der Unternehmer den Verbraucher nicht gemäß Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe h über sein Widerrufsrecht belehrt, so läuft die Widerrufsfrist 12 Monate nach Ablauf der ursprünglichen Widerrufsfrist gemäß Artikel 9 Absatz 2 ab“). Die Timesharingrichtlinie 2008/122 differenziert zwischen Fehlern, die das gesonderte Formblatt für den Widerruf betreffen (Art. 6 Abs. 3 lit. a RL 2008/122: Widerrufsfrist 1 Jahr und 14 Tage) und Fehlern im Hinblick auf andere vorvertragliche Informationen (Art. 6 Abs. 3 lit. b RL 2008/122: 3 Monate und 14 Tage), wobei die Richtlinie die Mitgliedstaaten explizit auf weitere Sanktionen auch nach Ablauf der Widerrufsfrist verpflichtet („Darüber hinaus sehen die Mitgliedstaaten geeignete Sanktionen gemäß Artikel 15 insbesondere für den Fall vor, dass der Gewerbetreibende bei Ablauf der Widerrufsfrist die Informationsanforderungen nach dieser Richtlinie nicht erfüllt hat“). 392 EuGH 13.12.2001, Rs. C-481/99, Slg. 2001, I-9945 Rn. 48 – Heininger; zur Übertragung auf das Rücktrittsrecht nach der Lebensversicherungsrichtlinie 79/267, geändert durch die RL 90/619 EuGH 19.12.2013, Rs. C-209/12, ECLI:EU:C:2013:864 Rn. 26, 28 – Endress; zum Vorlagebeschluss BGH 28.3.2012, IV ZR 76/11, VersR 2012, 608; zur Umsetzung im deutschen Recht durch richtlinienkonforme teleologische Reduktion BGH 7.5.2014, IV ZR 76/11, NJW 2014, 2646 Rn. 21 ff. 393 Bei beiderseitig vollständiger Erfüllung ist eine nationale Regelung zulässig, die das Widerrufsrecht nach einem Monat erlöschen lässt, EuGH 10.4.2008, Rs. C-412/06, Slg. 2008, I-2383 Rn. 45 – Hamilton: „eine Maßnahme, die vorsieht, dass die allseits vollständige Erbringung der Leistungen aus einem langfristigen Darlehensvertrag zum Erlöschen des Widerrufsrechts führt, [ist] eine ‚geeignete Maßnahme‘ im Sinne von Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie über Haustürgeschäfte“, zur Zulässigkeit der Monatsfrist Rn. 48. Siehe auch Art. 16 lit. a der neuen Verbraucherrechterichtlinie 2011/83. 394 Siehe insbesondere Art. 5 Abs. 2 der Timesharingrichtlinie 2008/122; ähnlich – wengleich nicht auf verpflichtende vorvertragliche Angaben bezogen – auch Art. 6 Abs. 1 Verbrauchergüterkaufrichtlinie 99/44 (zu Garantien); siehe auch Art. 6 Abs. 5 Verbraucherrechterichtlinie 2011/83: „Die Informationen nach Absatz 1 sind fester Bestandteil des Fernabsatzvertrags oder des außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrags und dürfen nicht geändert werden, es sei denn, die Vertragsparteien vereinbaren ausdrücklich etwas anderes.“ 395 Art. 6 Abs. 6, Art. 14 Abs. 1 UAbs. 2 Verbraucherrechterichtlinie 2011/83. Vgl. auch Art. 14 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 lit. a i RL 2011/83, wonach der Verbraucher bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung keinen Wertersatz schuldet.
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staltung als Ansprüche der Verbraucher (dazu sogleich § 5 I 2 c → S. 272) auch durch einen vertraglichen Erfüllungsanspruch durchsetzbar sein, wobei im Regelfall das Interesse des Verbrauchers weniger auf die Erfüllung der Informationspflicht denn auf die Beseitigung der Folgen der unterlassenen Information gerichtet sein wird.396 Darüber hinaus fehlt es an expliziten Regeln zu den individualrechtlichen Konsequenzen von Informationspflichtverletzungen, etwa zur Kündigung,397 zur Nichtigkeit398 oder auch zu möglichen Schadensersatzansprüchen. Folge dieses Normenmangels ist eine kontroverse Diskussion, ob sich das Unionsrecht auf die Garantie der ausdrücklich geregelten Rechtsbehelfe (i. d. R. das Widerrufsrecht) beschränkt oder ob die Mitgliedstaaten über die expliziten Vorschriften der Richtlinien hinaus zur Schaffung weiterer nationaler Individualrechtsbehelfe bei Verletzung unionsrechtlicher Informationspflichten verpflichtet sind. Vor einer Auseinandersetzung mit dieser Diskussion sei noch erwähnt, dass das Unionsrecht außerdem eine lauterkeitsrechtliche Durchsetzung von Informationspflichten durch Klagen der Mitbewerber399 und der „qualifizierten Einrichtungen“ nach der Unterlassungsklagenrichtlinie 2009/22400 vor396 Riesenhuber Europäisches Vertragsrecht2 (2006) Rn. 236: „Erfüllungsanspruch sinnlos, wenn der Schutzzweck der Information nur bei spontaner Erfüllung erreicht wird“. Zum Erfüllungsanspruch Grüneberg in: Palandt BGB75 (2016) Einf v 238 EGBGB Rn. 6 mit Differenzierung zwischen vor- und nachvertraglichen Informationspflichten. Der Erfüllungsanspruch ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung, so dass seiner unionsrechtlichen Fundierung nicht nachgegangen wird. 397 Nur beispielhaft erwähnt wird ein mögliches Sonderkündigungsrecht in Art. 11 Finanzdienstleistungsfernabsatzrichtlinie 2002/65: „Zu diesem Zweck [Sanktionen] können sie insbesondere vorsehen, dass der Verbraucher den Vertrag jederzeit kündigen kann, ohne dass ihm daraus Kosten entstehen oder er eine Vertragsstrafe zahlen muss.“ 398 Zur Nichtigkeit als Folge eines Belehrungsfehlers nach der Haustürwiderrufsrichtlinie 85/577 EuGH 17.12.2009, Rs. C-227/08, Slg. 2009, I-11939 Rn. 34 f. – Eva Martín Martín; zur Nichtigkeit als Konsequenz eines Verstoßes gegen die Klauselrichtlinie (vgl. Art. 6 Abs. 1 RL 93/13) auch EuGH 14.6.2012, Rs. C-618/10, ECLI:EU:C:2012:349 Rn. 65 – Banco Español de Crédito, ferner EuGH 4.6.2009, Rs. C-243/08, Slg. 2009, I-4713 Rn. 33 – Pannon. Zu Erstattungsansprüchen bei missbräuchlichen Klauseln die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 6.12.2011, Rs. C-472/10, ECLI:EU: C:2011:806 Rn. 74 – Invitel. 399 Siehe Art. 11 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Art. 7 Abs. 5 und Anhang II (Informationspflichten) bzw. Art. 5 Abs. 2 RL 2005/29. 400 Siehe die Aufzählung in Anhang I der Unterlassungsklagenrichtlinie 2009/22 (Nr. 1, 2, 5, 6, 7, 10, 13) und Art. 7 Abs. 2 Klauselrichtlinie 93/13; Erwägungsgrund 26 Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44; Art. 13 Abs. 2 Finanzdienstleistungsfernabsatzrichtlinie 2002/65; Art. 13 Abs. 2 Timesharingrichtlinie 2008/122; Art. 23 Abs. 2 Verbraucherrechterichtlinie 2011/83; außerhalb des Verbrauchervertragsrechts i.e.S. auch Art. 80 Zahlungsdiensterichtlinie 2007/64; Art. 18 Abs. 2 E-Commerce-Richtlinie 2000/31 (Anhang I Nr. 8 Unterlassungsklagenrichtlinie 2009/22).
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sieht, die jedenfalls in Deutschland praktisch bedeutsamer als die individuelle Durchsetzung durch einzelne Verbraucher ist.401 Allerdings sind die individualrechtliche und die lauterkeitsrechtliche Sanktionierung nicht vollständig kongruent. Abgesehen von den Unterschieden in der Klageberechtigung (Verbraucher bzw. Mitbewerber/qualifizierte Einrichtungen) dienen nämlich nicht sämtliche Vorschriften der Verbraucherrichtlinien zugleich auch dem Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher (Art. 1 Abs. 2 Unterlassungsklagenrichtlinie 2009/22),402 so dass nicht jede Vorschrift des Verbrauchervertragsrechts auch der Durchsetzung durch Unterlassungsklagen zugänglich ist. Ebenso wenig dürfte trotz Art. 7 Abs. 5 i. V. m. Anhang II RL 2005/29403 automatisch jede Verletzung verbraucherschützender Vorschriften des Unionsrechts lauterkeitsrechtlich zu sanktionieren sein, da zusätzlich das Erfordernis einer „Geschäftspraxis“ i. S. d. Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 lit. d RL 2005/29 und der „Entscheidungsbeeinflussung“ des Verbrauchers (Art. 5 Abs. 2 lit. b i. V. m. Art. 2 lit. f, Art. 6 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1 RL 2005/29) erfüllt sein muss.404 401 Zur Durchsetzung der deutschen Umsetzungsnormen der Informationspflichten weist juris fast ausschließlich lauterkeitsrechtliche Entscheidungen aus. 402 Zur Ausnahme für aufsichtsrechtliche Vorschriften Micklitz/Rott in: Grabitz/Hilf Das Recht der Europäischen Union IV (EL 29 2005) A 25 Unterlassungskl. z. Schutz d. Verbraucher (RL 98/27/EG) Art. 1 Rn. 35 (Kreditvergabe oder Kreditvermittlung ohne eine entsprechende behördliche Zulassung) unter Verweis auf EuGH (Plenum) 12.10.2004, Rs. C-222/02, Slg. 2004, I-9425 – Peter Paul, wo ein Staatshaftungsanspruch aufgrund von Verstößen gegen die Einlagensicherungsrichtlinie ausgeschlossen wird; zu anderen als verbraucherschützenden Vorschriften in der Fernsehrichtlinie 2010/13 (vormals RL 89/ 552) auch Micklitz/Rott a. a. O. Rn. 38. 403 Art. 7 Abs. 5 RL 2005/29: „Die im Gemeinschaftsrecht festgelegten Informationsanforderungen in Bezug auf kommerzielle Kommunikation einschließlich Werbung oder Marketing, auf die in der nicht erschöpfenden Liste des Anhangs II verwiesen wird, gelten als wesentlich“ (dazu auch Erwägungsgrund 15 RL 2005/29). Andere Einfallstore für Verstöße gegen Verbrauchervertragsrecht in das Lauterkeitsrecht bieten der Maßstab der beruflichen Sorgfalt in der lauterkeitsrechtlichen Generalklausel (Art. 5 Abs. 2 lit. a RL 2005/29, vgl. die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 29.11.2011, Rs. C453/10, ECLI:EU:C:2011:788 Rn. 106 – Pereničová: „Von einem Gewerbetreibenden ist nämlich zu erwarten, dass er seine geschäftliche Tätigkeit im Einklang mit der relevanten Gesetzgebung ausübt und besondere Sorgfalt im Umgang mit einem Verbraucher an den Tag legt, zumal Letzterer auf das fachmännische Können des Gewerbetreibenden angewiesen ist“) und die Irreführung über den „Umfang der Verpflichtungen des Gewerbetreibenden“ z. B. bei Verwendung unzulässiger AGB (Art. 6 Abs. 1 lit. c RL 2005/29), oder die Irreführung über den Preis (Art. 6 Abs. 1 lit. d RL 2005/29, dazu EuGH 15.3.2012, Rs. C-453/10, ECLI:EU:2012:144 Rn. 41 – Pereničová). 404 Zwar zählt zu den Geschäftspraktiken nunmehr auch das nachvertragliche Verhalten (Art. 3 Abs. 1 RL 2005/29). Dennoch werden unterschiedliche begrenzende Ansätze vertreten, um zu vermeiden, dass jede Schlechterfüllung eines Verbrauchervertrags sogleich auch lauterkeitsrechtliche Konsequenzen nach sich zieht. Für ein Erfordernis der Breitenoder Außenwirkung über den konkreten Einzelfall hinaus Glöckner WRP 2009, 1175,
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2. Schadensersatzansprüche kraft Effektivitätsgebots Ausgangspunkt der Diskussion über eine individualrechtliche Sanktionierung der verbrauchervertraglichen Informationspflichten sind die allgemeinen Sanktionsklauseln der Verbraucherrichtlinien, also zum einen die Verpflichtung der Mitgliedstaaten auf „angemessene Sanktionen“ für Richtlinienverstöße, die „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein müssen,405 zum anderen die eher prozessual inspirierte Vorgabe „geeigneter406 und wirksamer 1181 f.; für eine potentiell marktbezogene Außenwirkung durch Verhalten eines Unternehmens in gleichartigen Fällen in gleicher Weise Keller in: Harte-Bavendamm/HenningBodewig UWG3 (2013) § 2 Rn. 35; für eine „Verbraucherrelevanz“ Scherer WRP 2009, 761, 767; für eine Verneinung der Wiederholungsgefahr unter bestimmten Umständen (z. B. bloßen Versehen) Köhler WRP 2009, 898, 902 f. (unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit, des erforderlichen öffentlichen Interesses und des Rechtsmissbrauchsverbots); für die Ausklammerung geringfügiger oder nicht leistungsbezogener (und deshalb nicht zur Entscheidungsbeeinflussung geeigneter) Vertragsverstöße Fritzsche in: H. Roth (Hrsg.) Europäisierung des Rechts – Ringvorlesung der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg 2009/2010 (2010) 27, 36; für Ausscheiden nicht entscheidungsbeeinflussender Verstöße und eine Widerleglichkeit des Vorliegens einer für eine Geschäftspraktik erforderlichen Geschäftsstrategie Heinze in: Großkommentar UWG2 II (2014) Europäisches Wettbewerbsrecht Rn. 257 f. Skeptisch gegenüber begrenzenden Ansätzen nun aber EuGH 16.4.2015, Rs. C-388/13, ECLI:EU:C:2015:225 Rn. 37 – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság (zum Vorliegen einer irreführenden Geschäftspraxis bei unrichtiger Auskunft gegenüber nur einem Verbraucher). 405 Art. 11 Finanzdienstleistungsfernabsatzrichtlinie 2002/65; Art. 23 Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48; Art. 15 Timesharingrichtlinie 2008/122; Art. 24 Abs. 1 und Erwägungsgrund 57 Verbraucherrechterichtlinie 2011/83; außerhalb des Verbraucherrechts Art. 20 E-Commerce-Richtlinie 2000/31; Art. 81 Zahlungsdiensterichtlinie 2007/64; außerdem die Nachweise in Teil 1 – Fn. 161 und 161. Auf den ursprünglich in Art. 24 RL 2011/83 vorgesehenen Verweis auf „wirksame vertragsrechtliche Rechtsbehelfe“ hat man verzichtet, um die nicht als außervertraglich qualifizierte culpa in contrahendo (vgl. Art. 2 Abs. 1 Rom II-VO) auszuschließen, Mittwoch Vollharmonisierung und Europäisches Privatrecht (2013) S. 278. 406 Zu diesem Begriff (im Kontext der alten Haustürwiderrufsrichtlinie 85/577) EuGH 10.4.2008, Rs. C-412/06, Slg. 2008, I-2383 Rn. 38 ff. – Hamilton: „Dazu ist darauf zu verweisen, dass der in Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie über Haustürgeschäfte verwendete Ausdruck ‚geeignete Maßnahmen zum Schutz des Verbrauchers‘ darauf hindeutet, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber diesen Maßnahmen einheitliche Tragweite auf Gemeinschaftsebene beimessen wollte. Im Übrigen zeigt der Begriff ‚geeignete‘ in dieser Bestimmung, dass die entsprechenden Maßnahmen nicht auf einen absoluten Schutz des Verbrauchers abzielen. Das Ermessen, über das die Mitgliedstaaten verfügen, ist nämlich im Einklang sowohl mit dem Hauptzweck der Richtlinie über Haustürgeschäfte als auch mit den anderen Bestimmungen dieser Richtlinie auszuüben. Zwar bezweckt die Richtlinie über Haustürgeschäfte, wie in Randnr. 32 des vorliegenden Urteils ausgeführt, hauptsächlich den Schutz des Verbrauchers, doch deuten sowohl das allgemeine System dieser Richtlinie als auch der Wortlaut einiger ihrer Bestimmungen darauf hin, dass für diesen Schutz bestimmte Grenzen gelten.“ Siehe auch EuGH 17.12.2009, Rs. C-227/08, Slg. 2009, I-11939
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Mittel“ oder „Rechtsbehelfe“ zur Einhaltung der durch die Richtlinien vorgesehenen Regeln407. Dahinter steht letztlich der allgemeine sanktionenrechtliche Effektivitätsgrundsatz (Art. 4 Abs. 3, 19 Abs. 1 EUV),408 verstärkt durch die unionale Rechtsbehelfsgarantie (Art. 47 Abs. 1 GRCh),409 so dass sich die Frage nach den erforderlichen Sanktionen unabhängig von der konkreten Formulierung einer Sanktionsklausel in der betreffenden Richtlinie stellt.410 Ob sich aus dem Effektivitätsgrundsatz individuelle Ansprüche einzelner Verbraucher oder sogar ein Schadensersatzanspruch ableiten lässt, ist unsicher. Aufgrund der ausdrücklichen Entscheidung des Gerichtshofs zu den Folgen einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung in der Rechtssache Schulte soll diese Frage zunächst im Hinblick auf fehlerhafte Widerrufsbelehrungen und sodann allgemein im Hinblick auf Informationspflichtverletzungen untersucht werden. Zuvor ist allerdings der Frage nachzugehen, ob die ausdrückliche Regelung des Widerrufsrechts mitsamt verlängerter Widerrufsfrist bei fehlerhafter Information nationale Schadensersatzansprüche für Informationspflichtverletzungen entbehrlich macht, soweit diese auf eine vergleichbare Rechtsfolge, nämlich die Vertragsaufhebung, gerichtet sind. a) Vorrang des Widerrufsrechts? So ist in der Literatur die Sichtweise anzutreffen, dass das Unionsrecht mit der Regelung des Widerrufsrechts in den Fernabsatz-, Finanzdienstleistungsfernabsatz- und Timesharingrichtlinien zum Ausdruck bringe, „unter welchen Bedingungen es ein Recht zur Lösung vom Vertrag vorgibt“.411 Im UmkehrRn. 29 – Eva Martín Martín: Fehlerhaftigkeit einer Widerrufsbelehrung kann von Amts wegen berücksichtigt werden. 407 Nachweise sogleich in Fn. 409. 408 Zur Konvergenz sekundärrechtlicher und allgemeiner Effektivitätsgebote bereits § 1 II 2 b aa und bb → S. 35, 38. 409 Zur eher prozessual ausgerichteten Verpflichtung auf wirksame Rechtsbehelfe im Sekundärrecht siehe Art. 7 Abs. 1 Klauselrichtlinie 93/13; Art. 13 Abs. 1 Finanzdienstleistungsfernabsatzrichtlinie 2002/65; Art. 13 Abs. 1 Timesharingrichtlinie 2008/122; Art. 23 Abs. 1 Verbraucherrechterichtlinie 2011/83; zum Verhältnis zum Effektivitätsgrundsatz oben § 1 II 2 b cc → S. 45. 410 Zur allgemeinen Verpflichtung auf wirksame Sanktionen Teil 1 – Fn. 158 und 159. 411 Hoffmann ZIP 2005, 829, 834; ähnlich Grigoleit NJW 2002, 1151, 1155: „Regeln des Widerrufs grundsätzlich als leges speciales zu qualifizieren, die das Merkmal der Zumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag (§ 324 BGB) ausfüllen“; Eckert in: Bamberger/ Roth BeckOK BGB (2016) § 482 Rn. 13; Grüneberg in: Palandt BGB75 (2016) Einf v 238 EGBGB Rn. 11; a. A. (keine Begrenzungswirkung des Widerrufsrechts für Schadensersatzansprüche wegen Informationspflichtverletzung) Martinek in: Staudinger §§ 433–487; Leasing (2004) § 485 Rn. 33; Kocher ZEuP 2006, 785, 795; Franzen in: MünchKommBGB III6 (2012) § 482 Rn. 11. Thüsing in: Staudinger §§ 311, 311a, 312, 312a-i (2013) § 312c Rn. 105 weist darauf hin, dass bei Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen des Verbrauchers regelmäßig das Widerrufsrecht dem Schaden entgegensteht.
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schluss sei daraus zu folgern, dass „die Mitgliedstaaten ein solches Recht ansonsten nicht gewähren müssen – wenn es ihnen auch in den meisten Fällen frei steht, autonom einen weiter gehenden Verbraucherschutz zu schaffen“.412 Dieser Auffassung ist zunächst darin beizupflichten, dass ein Schadensersatzanspruch gerichtet auf Vertragsaufhebung nicht geboten ist, soweit die Informationspflichtverletzung in einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung besteht und der Verbraucher sich aus diesem Grund auch noch nach Ablauf der regulären Widerrufsfrist vom Vertrag lösen will. In diesem Fall ist die Regelung über die Verlängerung der Widerrufsfrist in der Tat als abschließend anzusehen und sollte nicht durch zusätzliche schadensersatzrechtliche Vertragsaufhebungsansprüche unterlaufen werden. Der Spezialitätslehre ist ferner darin beizupflichten, dass andererseits ein Vorrang des Widerrufsrechts bei Informationspflichtverletzungen ausscheidet, die nicht durch ein Widerrufsrecht sanktioniert werden.413 Dies betrifft nicht nur Richtlinien mit Informationspflichten, aber ohne Widerrufsrecht,414 sondern auch die Fälle, in denen das Widerrufsrecht nach der jeweiligen Richtlinie tatbestandlich nur in Fällen fehlerhafter Widerrufsbelehrung und nicht bei sonstigen Informationspflichtverletzungen greift. So beschränkt Art. 10 Abs. 1 der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83 – im Unterschied zur früheren Fernabsatzrichtlinie 97/7415 – die Verlängerung der Widerrufsfrist auf die unterlassene Widerrufsbelehrung und erfasst nicht sonstige Informationspflichtverletzungen.416 In solchen Fällen fehlt es in den Richtlinien an einer inneren Verbindung zwischen den Informationspflichten (außerhalb der Widerrufsbelehrung) und dem Widerrufsrecht. Im Gegenteil ordnen die Richtlinien neben dem Widerrufsrecht Ausführlich bereits Janal Sanktionen und Rechtsbehelfe bei der Verletzung verbraucherschützender Informations- und Dokumentationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr (2003) S. 199 ff. 412 Hoffmann ZIP 2005, 829, 834. Den Übergang zur Vollharmonisierung durch die Verbraucherrechterichtlinie 2011/83 konnte Hoffmann noch nicht berücksichtigen. 413 So auch Hoffmann ZIP 2005, 829, 835: „Festzuhalten ist, dass eine Notwendigkeit zur weiter gehenden Sanktionierung nicht mehr besteht, soweit ein verbraucherschützendes Widerrufsrecht reicht“ (Hervorhebung nicht im Original). 414 Z. B. Art. 22 Dienstleistungsrichtlinie 2006/123; Art. 5 ff. E-Commerce-Richtlinie 2000/31. 415 Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich RL 97/7: „Die Frist für die Wahrnehmung dieses Rechts [Widerrufsrecht] beginnt bei Waren mit dem Tag ihres Eingangs beim Verbraucher, wenn die Verpflichtungen im Sinne des Artikels 5 erfüllt sind.“ Art. 5 RL 97/7 regelte die „schriftliche Bestätigung der Information“, und zwar der Information nach Art. 4 Abs. 1 lit. a-f RL 97/7, also neben der eigentlichen Widerrufsbelehrung (Art. 4 Abs. 1 lit. f RL 97/ 7) auch die Information über die Identität des Lieferanten, die Eigenschaften der Ware, den Preis, die Lieferkosten und Zahlungsbedingungen (Art. 4 Abs. 1 lit. a-e RL 97/7). 416 „Hat der Unternehmer den Verbraucher nicht gemäß Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe h über sein Widerrufsrecht belehrt, so läuft die Widerrufsfrist 12 Monate nach Ablauf der ursprünglichen Widerrufsfrist gemäß Artikel 9 Absatz 2 ab.“
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ausdrücklich wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen für die Verletzung anderer Pflichten an (siehe etwa Art. 24 RL 2011/83), so dass das Widerrufsrecht kaum als abschließende Sanktion für sonstige Informationspflichtverletzungen gedacht sein kann.417 Eine Sperrwirkung des Widerrufsrechts scheidet außerdem in solchen Fällen aus, in denen der Schaden des Verbrauchers aus der Informationspflichtverletzung auch durch die Beseitigung der Vertragsbindung mittels Widerrufs nicht (vollständig) ausgeglichen wird, wie dies etwa bei der Belehrungsmängelhaftung nach der Rechtssache Schulte der Fall war, in der der Verbraucher auch bei Widerruf des Darlehensvertrags noch an den nachteiligen Immobilienkaufvertrag gebunden blieb.418 Berücksichtigt man diese Einschränkungen, so erweist sich die Sperrwirkung des Widerrufsrechts auch nach den Befürwortern einer Spezialität als eher schmal. Ein Vorrang des Widerrufsrechts kommt nämlich im Kern nur in Betracht, soweit es um den Anspruch auf Vertragsaufhebung geht, der an die Verletzung der Pflicht zur Widerrufsbelehrung anknüpft; insoweit sind die Vorgaben des Unionsrechts zur Verlängerung der Widerrufsfrist (z. B. Art. 10 Abs. 1 RL 2011/83; Art. 6 Abs. 3 Satz 1 RL 2008/122) abschließend. Darüber hinaus mag man einen Vorrang auch für solche Fälle erwägen, in denen die Verlängerung der Widerrufsfrist nicht nur an die unrichtige Widerrufsbelehrung,419 sondern auch an die Verletzung anderer Informations- oder Dokumentationspflichten anknüpft. Dies ist der Fall bei Art. 6 Abs. 1 Satz 3 2. Alt. Finanzdienstleistungsfernabsatzrichtlinie 2002/65,420 Art. 14 Abs. 1 lit. b Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48421 und Art. 6 Abs. 3 Timesharingrichtlinie 417 Angermann Die Verletzung vertragsschlussbezogener Informationspflichten des Europäischen Privatrechts (2010) S. 260 f. 418 Dazu sogleich § 5 I 2 b → S. 263. Zur Koexistenz von Widerrufsrecht und Belehrungsmängelhaftung auch EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 96, 98 ff. – Schulte („sofern der Widerruf […] wirksam erfolgt ist“ gleichwohl noch Folgenbeseitigungsverpflichtung). Eine mittelbare Begrenzung begleitender Ansprüche i. S. d. Schulte-Haftung ergibt sich allerdings aus der zeitlichen Begrenzung des Widerrufsrechts, weil mit Ablauf der (verlängerten) Widerrufsfrist auch die begleitenden Ansprüche aus Belehrungsmängelhaftung ausscheiden, denn dann ist ein wirksamer Widerruf als Voraussetzung dieser Ansprüche ausgeschlossen. 419 Insofern ist die Verlängerung der Widerrufsfrist als abschließende Spezialregelung anzusehen. 420 Art. 6 Abs. 1 Satz 3 2. Alt. Finanzdienstleistungsfernabsatzrichtlinie 2002/65: „Die Widerrufsfrist beginnt zu laufen […]: an dem Tag, an dem der Verbraucher die Vertragsbedingungen und Informationen gemäß Artikel 5 Absatz 1 oder 2 erhält, wenn dieser Zeitpunkt später als der im ersten Gedankenstrich genannte liegt.“ Die Informationen gemäß Art. 5 Abs. 1 und 2 RL 2002/65 umfassen „alle Vertragsbedingungen“ sowie die Pflichtinformationen gemäß Art. 3 Abs. 1 Nr. 1–4 (Informationen betreffend den Anbieter, die Finanzdienstleistung, den Fernabsatzvertrag und den Rechtsbehelf). 421 Art. 14 Abs. 1 lit. b RL 2008/48: „Widerrufsfrist beginnt […] an dem Tag, an dem der Verbraucher die Vertragsbedingungen und die Informationen gemäß Artikel 10 erhält, sofern dieser nach dem in Buchstabe a des vorliegenden Unterabsatzes genannten Datum
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2008/122.422 Praktisch bedeutsam sind hier aber nur die Fälle, in denen die verlängerte Widerrufsfrist zeitlich kürzer ist als die Verjährungsfrist des Schadensersatzanspruchs auf Vertragsaufhebung (weil sonst immer der Widerruf als einfacherer Weg der Vertragslösung gewählt wird), was angesichts der – vorbehaltlich der vollständigen beiderseitigen Vertragserfüllung – unbegrenzten Widerrufsfristen nach der Fernabsatzfinanzdienstleistungsrichtlinie 2002/65 und der Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48423 ersichtlich nur bei der Timesharingrichtlinie 2008/122 der Fall ist (vgl. Art. 6 Abs. 3 RL 2008/ 122)424. Just für diese Richtlinie sieht aber Art. 6 Abs. 3 Satz 2 RL 2008/122 – im unmittelbarem Anschluss an die Regelung zur verlängerten Widerrufsfrist – ausdrücklich vor, dass die Mitgliedstaaten „[d]arüber [also offenbar über die Verlängerung der Widerrufsfrist] hinaus […] geeignete Sanktionen gemäß Artikel 15 insbesondere für den Fall vor[sehen], dass der Gewerbetreibende bei Ablauf der Widerrufsfrist die Informationsanforderungen nach dieser Richtlinie nicht erfüllt hat“.
Dies spricht dafür, dass der Unionsgesetzgeber im ersichtlich einzigen Fall, in dem ein Vorrang des (verlängerten) Widerrufsrechts für andere Informationspflichten als die Pflicht zur Widerrufsbelehrung425 praktisch relevant werden könnte, sich gegen einen solchen Vorrang entschieden hat.426 liegt“; Art. 10 regelt die zwingenden Angaben in Kreditverträgen, zu denen auch Informationen über den Anbieter, die Vertragskonditionen und Rechtsbehelfsverfahren zählen. 422 Die Timesharingrichtlinie 2008/122 differenziert zwischen Fehlern, die das gesonderte Formblatt für den Widerruf betreffen (Art. 6 Abs. 3 lit. a RL 2008/122: Widerrufsfrist 1 Jahr und 14 Tage) und Fehlern im Hinblick auf andere vorvertragliche Informationen (Art. 6 Abs. 3 lit. b RL 2008/122: 3 Monate und 14 Tage). 423 Das Widerrufsrecht ist allerdings insofern begrenzt, als es nach vollständiger Vertragsabwicklung erlöschen darf, Eichel ZfPW 2016, 52. Am „unbegrenzten“ Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehensverträgen ändert auch die neue Verbraucherrechterichtlinie 2011/83 nichts, da sie auf Finanzdienstleistungen nicht anwendbar ist (Art. 3 Abs. 3 lit. d RL 2011/83). 424 Abhängig von der verletzten Informationspflicht ein Jahr und 14 Kalendertage oder drei Monate und 14 Kalendertage ab dem Tag des Abschlusses des Vertrags oder verbindlichen Vorvertrags (Art. 6 Abs. 3 lit. a und b RL 2008/122). 425 Soweit es um die Verletzung der Informationspflicht „Widerrufsbelehrung“ geht, sind die Regeln zur verlängerten Widerrufsfrist indes als abschließende Spezialregelung im Hinblick auf den Vertragsaufhebungsanspruch zu verstehen, oben Text nach Fn. 412. 426 Gegen eine aus Sicht des Effektivitätsgrundsatzes abschließende Regelung durch die verlängerte Widerrufsmöglichkeit spricht zudem, dass das Widerrufsrecht grundsätzlich anderen Zielen dient, nämlich der Kompensation der fehlenden Inspektionsmöglichkeit der Ware im Fernabsatz oder der psychologischen Drucksituation bei Haustürgeschäften, Erwägungsgrund 37 RL 2011/83; zum Widerrufsrecht im Fernabsatz EuGH 3.9.2009, Rs. C-489/07, Slg. 2009, I-7315 Rn. 20 – Pia Messner: „Das Widerrufsrecht soll also den Nachteil ausgleichen, der sich für einen Verbraucher bei einem im Fernabsatz geschlossenen Vertrag ergibt, indem ihm eine angemessene Bedenkzeit eingeräumt wird, in der er die Möglichkeit hat, die gekaufte Ware zu prüfen und auszuprobieren.“ Siehe auch EuGH
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Im Ergebnis ist also festzuhalten, dass die Verlängerung der Widerrufsfrist nur den Schadensersatzanspruch auf Vertragsaufhebung, nicht auf Ersatz von weiteren Schäden sperrt, und dies auch nur, soweit die Informationspflichtverletzung in einer unrichtigen Belehrung eben über das Widerrufsrecht liegt. Es ist daher nun der Frage nachzugehen, ob und in welchem Umfang das allgemeine Effektivitätsgebot nationale Schadensersatzansprüche wegen Verletzung verbrauchervertraglicher Informationspflichten erforderlich macht. b) Folgen fehlerhafter Widerrufsbelehrung Lehnt man eine Sperrwirkung des Widerrufsrechts für die individualrechtliche Sanktion von Informationspflichtverletzungen ab, so stellt sich die Folgefrage, ob und ggf. welche Ansprüche das Unionsrecht in solchen Fällen verlangt. aa) Belehrungsmängelhaftung Die bisher deutlichste Manifestation einer Verpflichtung auf bürgerlich-rechtliche Sanktionen bei Informationspflichtverletzungen findet sich in der Rechtsprechung des EuGH zu fehlerhaften oder unterlassenen427 Widerrufsbelehrungen428 („Belehrungsmängelhaftung“)429. In diesen sogenannten Schrottimmobilienfällen hatte der Gerichtshof zu entscheiden, welche Konsequenzen sich aus der Nichtbeachtung der Widerrufsbelehrungspflicht bei einem Darlehensvertrag ergeben, dessen Valuta zum Erwerb einer Anlageimmobilie mit zweifelhafter Werthaltigkeit (Schrottimmobilie) eingesetzt wurde. Für die betroffenen Verbraucher ergab sich das Problem, dass bei unterlassener Belehrung über die Widerrufsmöglichkeit des Darlehensvertrags ein Widerruf 17.12.2009, Rs. C-227/08, Slg. 2009, I-11939 Rn. 34 – Eva Martín Martín: Schutz der Willensbildung des Verbrauchers; ähnlich Erwägungsgrund 11 RL 2008/122: Einräumung einer Überlegensfrist, Erwägungsgrund 23 RL 2002/65; allgemeiner Erwägungsgrund 34 RL 2008/48: Verbraucherschutzerwägungen. Auch erscheint zweifelhaft, ob der EuGH das verbraucherbegünstigende Widerrufsrecht in Stellung bringen würde, um dem Verbraucher weitergehende Schadensersatzansprüche wegen Verletzung anderer Informationspflichten als der Widerrufsbelehrung abzuschneiden, vgl. Kocher ZEuP 2006, 785, 795: „Rechte der Verbraucher begründen, nicht abschneiden“. 427 Zur Gleichsetzung von fehlerhafter und unterbliebener Widerrufsbelehrung (soweit durch die fehlerhafte Belehrung der Zweck der Belehrung vereitelt wird, dem Verbraucher seine Rechte zu verdeutlichen, was z. B. bei fehlerhaftem Datum nicht der Fall sein soll, Hoffmann ZIP 2005, 1985, 1988 Fn. 24) Hoffmann ZIP 2005, 1985, 1988; Staudinger NJW 2005, 3521, 3523; Freitag WM 2006, 61, 66 f.; Rösler ZEuP 2006, 869, 877. (Zweck der Belehrungsmängelhaftung liege in beiden Fällen darin, den Verbraucher über die Lösungsmöglichkeit vom Vertrag zu informieren und damit die Ausübung des Widerrufsrechts zu ermöglichen). 428 Zuweilen wird die Verlängerung der Widerrufsfrist auch für die unterlassene Information über andere Pflichtangaben angeordnet, siehe oben Text bei Fn. 420–422. 429 Mörsdorf ZIP 2012, 845, 846 Fn. 3.
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des finanzierten Immobilienkaufvertrags wegen der Ausnahme für Immobilienerwerbsgeschäfte (Art. 3 Abs. 2 lit. a RL 85/577) nicht möglich war, während der Widerruf des Darlehensvertrags nicht den Immobilienkaufvertrag erfasste.430 Der Verbraucher hätte somit nur den Darlehensvertrag widerrufen können, sich damit aber einer sofortigen Rückzahlungsverpflichtung des gesamten Darlehensbetrags ausgesetzt,431 ohne sich zugleich vom nachteiligen Immobilienkaufvertrag lösen zu können. Um dieses Problem zu bewältigen, folgerte der Gerichtshof aus der Haustürwiderrufsrichtlinie zwar keine unionsrechtliche Verpflichtung zur Erstreckung der Rückabwicklung auch auf den Immobilienkaufvertrag als verbundenes Geschäft (Verbundlösung).432 Er widmete sich aber in einem eigenen Abschnitt seiner Entscheidung den „Erfordernissen, die sich aus der Richtlinie für den Fall der Nichtbeachtung der Verpflichtung ergeben, den Verbraucher über sein Widerrufsrecht zu belehren“.433 Wegen der Bedeutung dieser Passage für die unionsrechtlich gebotenen Konsequenzen von Belehrungsmängeln soll sie im Wortlaut wiedergegeben werden: „94. Die Richtlinie steht zwar grundsätzlich nicht der Anwendung nationaler Vorschriften, wonach der Verbraucher, der einen Darlehensvertrag widerruft, das Darlehen zuzüglich der marktüblichen Zinsen sofort vollständig zurückzahlen muss, in Fällen entgegen, in denen der Gewerbetreibende seiner Verpflichtung zur Belehrung des Verbrauchers nach Artikel 4 der Richtlinie nachgekommen ist. Dies gilt jedoch nicht zwangsläufig auch dann, wenn der Gewerbetreibende dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist. 95. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass die Mitgliedstaaten nach Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie dafür zu sorgen haben, dass ihre innerstaatlichen Rechtsvorschriften geeignete Maßnahmen zum Schutz des Verbrauchers vorsehen, wenn die Belehrung über das Widerrufsrecht nicht erfolgt. 96. Ein für die Beurteilung des Ausgangsrechtsstreits relevanter Umstand besteht – sofern der Widerruf nach Ansicht des vorlegenden Gerichts wirksam erfolgt ist – darin, dass die Bausparkasse die Eheleute Schulte nicht über deren Widerrufsrecht belehrt hat und dass diese den Darlehensvertrag erst nach mehreren Jahren widerrufen haben.
430 EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 76, 81 – Schulte. 431 EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 86, 89 – Schulte. 432 EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 76, 81 – Schulte. 433 Wegen der Ablehnung der Verbundlösung einerseits und der Bejahung eines Schadensersatzanspruchs andererseits wird die Entscheidung zuweilen als widersprüchlich angesehen, vgl. Freitag WM 2006, 61, 65; a. A. (unter Hinweis auf den Umstand, dass die unterlassene Belehrung als zusätzliches Element ein Hinausgehen über den bloßen Widerruf des Darlehensvertrages rechtfertige) Hoffmann ZIP 2005, 1985, 1987: „nur scheinbar […] Wertungswiderspruch“.
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97. Hätte die Bausparkasse die Eheleute Schulte rechtzeitig über deren Widerrufsrecht nach dem HWiG belehrt, so hätten diese sieben Tage Zeit gehabt, um ihre Entscheidung, den Darlehensvertrag zu schließen, rückgängig zu machen. Hätten sie sich zu diesem Zeitpunkt zum Widerruf entschlossen, so steht fest, dass in Anbetracht des Verhältnisses zwischen dem Darlehensvertrag und dem Kaufvertrag Letzterer nicht zustande gekommen wäre. 98. In einem Fall, in dem ein Kreditinstitut der ihm nach Artikel 4 der Richtlinie obliegenden Belehrungspflicht nicht nachgekommen ist, trägt der Verbraucher, wenn er das Darlehen nach deutschem Recht in seiner Auslegung durch den Bundesgerichtshof zurückzahlen muss, die mit Kapitalanlagen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art verbundenen Risiken, die in Randnummer 52 des vorliegenden Urteils erwähnt sind.434 99. In einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens hätte aber der Verbraucher, wenn er rechtzeitig über sein Widerrufsrecht belehrt worden wäre, es vermeiden können, sich diesen Risiken auszusetzen. 100. Unter solchen Umständen verpflichtet die Richtlinie die Mitgliedstaaten, geeignete Maßnahmen zu treffen, damit der Verbraucher nicht die Folgen der Verwirklichung derartiger Risiken zu tragen hat. Die Mitgliedstaaten müssen also dafür sorgen, dass unter diesen Umständen das Kreditinstitut, das seiner Belehrungspflicht nicht nachgekommen ist, die Folgen der Verwirklichung dieser Risiken trägt, damit der Pflicht, die Verbraucher zu schützen, genügt wird. 101. In einem Fall, in dem der Verbraucher, wenn das Kreditinstitut ihn über sein Widerrufsrecht belehrt hätte, es hätte vermeiden können, sich den Risiken auszusetzen, die mit Kapitalanlagen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art verbunden sind, verpflichtet Artikel 4 der Richtlinie daher die Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass ihre Rechtsvorschriften die Verbraucher schützen, die es nicht vermeiden konnten, sich solchen Risiken auszusetzen, indem sie Maßnahmen treffen, die verhindern, dass die Verbraucher die Folgen der Verwirklichung dieser Risiken tragen. 102. Wie in Randnummer 71 des vorliegenden Urteils ausgeführt, ist es Sache der nationalen Gerichte, die nationale Regelung so weit wie möglich so auszulegen, dass das in Randnummer 101 des vorliegenden Urteils genannte Ergebnis erzielt wird.“
Zusammenfassend leitet der Gerichtshof also aus der Verpflichtung auf „geeignete Maßnahmen zum Schutz der Verbraucher“ (Art. 4 Satz 4 RL 85/577)435 bei unterbliebener Widerrufsbelehrung und damit im Kern aus dem allgemeinen Effektivitätsgrundsatz eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten ab, „geeignete Maßnahmen zu treffen, damit der Verbraucher nicht die Folgen der Verwirklichung derartiger Risiken [des Immobilienerwerbs] zu tragen hat“. Die Zu diesen Risiken EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 101 f., 98, 52 – Schulte: „mit solchen Kapitalanlagen neben der Gefahr, dass die Wohnung zum Zeitpunkt ihres Kaufs zu hoch bewertet wird, insbesondere das Risiko verbunden ist, dass sich die veranschlagten Mieteinnahmen nicht erzielen lassen und dass sich die Erwartungen in Bezug auf die Entwicklung des Immobilienpreises als falsch erweisen.“ 435 Nunmehr findet sich in Art. 10 RL 2011/83 eine ausdrückliche Regelung zum Erlöschen des Widerrufsrechts. 434
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Mitgliedstaaten müssen dafür sorgen, dass „das Kreditinstitut, das seiner Belehrungspflicht nicht nachgekommen ist, die Folgen der Verwirklichung dieser Risiken trägt, damit der Pflicht, die Verbraucher zu schützen, genügt wird“.436 Der EuGH verpflichtet die Mitgliedstaaten somit auf die Überwälzung der Folgen der Verwirklichung der Risiken des Immobilienerwerbs437 auf das Kreditinstitut, sofern der Haftungsgrund der Nichtbelehrung oder fehlerhaften Belehrung438 beim Darlehensvertrag,439 ein wirksamer Widerruf440 und das Erfordernis einer kausalen Verknüpfung zwischen dem Darlehensvertrag und den Risiken des Immobilienerwerbs gegeben sind,441 ohne sich jedoch festzulegen, auf welchem dogmatischen Weg dieses Ergebnis erreicht wird.442 Außerdem hat der Gerichtshof zumindest zwei denkbare Folgenbeseitigungslösungen verworfen bzw. als nicht unionsrechtlich zwingend angesehen. Dies betrifft zum einen den Gedanken, der Verbraucher habe das Darlehen bereits nicht erhalten (da direkt an den Immobilienverkäufer weitergereicht) und schulde deshalb auch nicht die Rückgewähr,443 und andererseits 436 EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 100 f. – Schulte. 437 Zu diesen Risiken bereits Fn. 434. 438 Zur Gleichsetzung von fehlerhafter und unterbliebener Belehrung bereits Fn. 427. 439 EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 94, 101 f. – Schulte. 440 Zu diesem Erfordernis EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 96 – Schulte: „sofern der Widerruf nach Ansicht des vorlegenden Gerichts wirksam erfolgt ist“; Hoffmann ZIP 2005, 1985, 1989; Freitag WM 2006, 61, 67 f.; Mörsdorf ZIP 2012, 845, 849. 441 EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 97, 99 f. – Schulte. 442 EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 102 – Schulte: „Sache der nationalen Gerichte, die nationale Regelung so weit wie möglich auszulegen, dass das in Randnummer 101 […] genannte Ergebnis erzielt wird“; Möllers/ Grassl VuR 2010, 3, 6. Bemerkenswert ist allerdings ein Hinweis in EuGH 10.4.2008, Rs. C-412/06, Slg. 2008, I-2383 Rn. 38 – Hamilton: „Dazu [zu Art. 4 Satz 4 Haustürwiderrufsrichtlinie 85/577] ist darauf zu verweisen, dass der in Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie über Haustürgeschäfte verwendete Ausdruck „geeignete Maßnahmen zum Schutz des Verbrauchers“ darauf hindeutet, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber diesen Maßnahmen einheitliche Tragweite auf Gemeinschaftsebene beimessen wollte.“ In der nächsten Randnummer (Rn. 39) verweist der EuGH allerdings auf das „Ermessen, über das die Mitgliedstaaten verfügen“, so dass offenbar nur eine Einheitlichkeit im Ergebnis, nicht aber in der dogmatischen Konstruktion gefordert ist; siehe auch EuGH 17.12.2009, Rs. C-227/08, Slg. 2009, I-11939 Rn. 34 f. – Eva Martín Martín (auch Nichtigkeit des Vertrages bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung „geeignet“ i. S. v Art. 4 Satz 4 RL 85/577, wenn Verbraucherinteressen an Vertragsfortbestand berücksichtigt werden). 443 In diese Richtung Derleder BKR 2005, 442, 448: Empfang der Darlehensvaluta zu verneinen, wenn Kreditnehmer „bei rechtzeitiger Belehrung Vertrag und Valuta alsbald abgelehnt hätte“; ähnlich bereits Häublein ZBB 2004, 1, 7; Knops WM 2006, 70, 71 f.; dazu auch Franzen FS Canaris I (2007) 251, 262 ff.; ablehnend aber EuGH (Große Kam-
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die Argumentation, der Schutzzweck der Richtlinie gebiete eine Verbundenheit von Darlehensvertrag und Immobilienerwerb und damit ein Durchschlagen des Widerrufs auch auf den Immobilienkaufvertrag (Verbundlösung).444 Damit wurden die Mitgliedstaaten, die nicht für die Verbundlösung optierten, dazu verpflichtet, die Folgenbeseitigung über einen vertraglichen Schadensersatzanspruch sicherzustellen, so dass die Existenz eines Schadensersatzanspruchs zumindest als eine Alternative unionsrechtlich geboten war.445 Demmer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 85 – Schulte: „Im Übrigen kann entgegen dem Vorbringen der Eheleute Schulte nicht angenommen werden, dass der Darlehensnehmer die vom Kreditinstitut unmittelbar an den Verkäufer der Immobilie ausbezahlte Darlehensvaluta nicht erhalten hat, wenn das Kreditinstitut – wie im Ausgangsverfahren – auf Weisung der Verbraucher gehandelt hat, die als Gegenleistung für die Zahlung des Darlehensbetrags das Eigentum an einer Immobilie erwerben konnten“; ablehnend auch BGH 16.5.2006, XI ZR 6/04, NJW 2006, 2099, 2102 Rn. 31 f. Siehe auch den Vorschlag von Knops WM 2006, 70, 77, der von einem vom Verbraucher nicht zu ersetzenden unverschuldeten Untergang der zu ersetzenden Sache ausgeht; ablehnend dazu BGH 16.5.2006, XI ZR 6/04, NJW 2006, 2099, 2102 Rn. 33. 444 Die Verbundlösung ist unionsrechtlich zulässig, aber nicht geboten, EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 80 – Schulte: „Unter diesen Umständen schließt es die Richtlinie zwar nicht aus, dass das nationale Recht für den Fall, dass die beiden verbundenen Verträge eine wirtschaftliche Einheit bilden, vorsieht, dass sich der Widerruf des Realkreditvertrags auf die Gültigkeit des Kaufvertrags über eine Immobilie auswirkt, doch schreibt sie in einem Fall, wie ihn das vorlegende Gericht schildert, ein solches Ergebnis nicht vor.“ Der BGH hat sie für das deutsche Recht abgelehnt, BGH 16.5.2006, XI ZR 6/04, NJW 2006, 2099, 2101 Rn. 29. Siehe aber die Bemerkung von Hoffmann ZIP 2005, 1985, 1986: „verlangt der EuGH wegen der unterbliebenen Belehrung einen Schutz, der wirtschaftlich einer Anerkennung der Grundsätze verbundener Geschäfte weitgehend entspricht“. Für eine Verbundlösung etwa Hofmann BKR 2005, 487, 492 ff.; Staudinger NJW 2005, 3521, 3525; Rott GPR 2006, 25, 26. Die von Tonner/ Tonner WM 2006, 505, 510 ff. vorgeschlagene Lösung über eine ergänzende Anwendung des Bereicherungsrechts (§§ 817 Satz 2, 818 Abs. 3 BGB) führt (unter den dort vorgeschlagenen Voraussetzungen) letztendlich ebenfalls zu einer Beschränkung der Ersatzpflicht des Immobilienerwerbers gegenüber der Bank auf Rückgabe der Immobilie anstelle des Darlehens und damit im Kern zum gleichen Ergebnis wie die Verbundlösung; zu dieser Lösung auch (aus der Perspektive des deutschen Rechts) BGH 16.5.2006, XI ZR 6/04, NJW 2006, 2099, 2102 Rn. 34. Eine andere „bereicherungsrechtliche Lösung“ (so Franzen FS Canaris I (2007) 251, 260 mit Verweis auf u. a. auf Häublein ZBB 2004, 1, 7; Derleder BKR 2005, 442, 448 f.) besteht darin, dass mit dem Widerruf des Darlehens auch die Auszahlungsanweisung an die Bank widerrufen wird, zur dogmatischen Kritik Franzen FS Canaris I (2007) 251, 261 f. 445 Für ein Verständnis als Schadensersatzanspruch auch Hoffmann ZIP 2005, 1985, 1987: „Die Vorstellung des EuGH ist offenbar, dass das nationale Recht an diese Pflichtverletzung eine Schadensersatzpflicht des Kreditgebers zu knüpfen hat, in deren Rahmen er den Verbraucher so zu stellen hat, als hätte er bereits in der ersten Woche nach Vertragsschluss sein Widerrufsrecht ausgeübt“; Freitag WM 2006, 61, 66: Begründung mit dem Ausgleich „realisierter Risiken“ und die Kausalitätsüberlegungen sprächen dafür, „den Anspruch schadensersatzrechtlich zu qualifizieren“; zu den verschiedenen Umset-
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entsprechend hat die deutsche Rechtsprechung die unionsrechtlichen Vorgaben durch einen Schadensersatzanspruch aus culpa in contrahendo (§§ 311 Abs. 2, 280, 241 BGB) wegen unterbliebener Widerrufsbelehrung umgesetzt446 und die unterlassene Widerrufsbelehrung als echte Pflichtverletzung (und nicht lediglich als bloße Obliegenheit) angesehen,447 die zum Schadensersatz verpflichtet, sofern „das Unterlassen der Widerrufsbelehrung auf einem Verschulden der finanzierenden Bank – insbesondere einem […] festzustellenden verschuldeten Rechtsirrtum – beruht und die Schadensursächlichkeit des Belehrungsverstoßes feststeht“448 (zu Kausalität und Verschulden als Anspruchsvoraussetzungen noch unten § 5 IV und VI → S. 299, 310).
bb) Relevanz im geltenden Verbrauchervertragsrecht Hat die Rechtssache Schulte somit die Belehrungsmängelhaftung in das Unionsrecht eingeführt, so wirft die zwischenzeitliche Reform des Verbrauchervertragsrechts durch die Richtlinie 2011/83 über die Rechte der Verbraucher und die Richtlinie 2014/17 über Wohnimmobilienkreditverträge die Frage nach der Zukunft der Belehrungsmängelhaftung auf. In der Literatur ist dazu darauf verwiesen worden, dass die praktische Bedeutung des Instituts abnehmen werde, da mit der zeitlichen Beschränkung des Widerrufsrechts bei unterlassener Belehrung auf zwölf Monate nach Ablauf der ursprünglichen Widerrufsfrist (Art. 10 Abs. 1 RL 2011/83) auch die Belehrungsmängelhafzungsmöglichkeiten im deutschen Recht Staudinger NJW 2005, 3521, 3525 f.; Habersack JZ 2006, 91, 93; Tonner/Tonner WM 2006, 505, 510 ff.; Piekenbrock WM 2006, 466, 472 ff.; Rott GPR 2006, 25, 26; Franzen FS Canaris I (2007) 251, 264 ff. und die Nachweise in den Fn. 443 und 444. 446 BGH 19.9.2006, XI ZR 204/04, NJW 2007, 357, 360 Rn. 40; BGH 26.2.2008, XI ZR 74/06, NJW 2008, 1585, 1586 Rn. 18; vorsichtiger noch BGH 16.5.2006, XI ZR 6/04, NJW 2006, 2099, 2102 Rn. 36: „Schadensersatzanspruch wird […] diskutiert“. Der alternative Vorschlag einer relativen Nichtigkeit des Vertrages mit einem Verbot des Leistungsaustausches oder der Leistungsrückforderung durch den Unternehmer [dazu Schwintowski in: Schulze/Ebers/Grigoleit (Hrsg.) Informationspflichten und Vertragsschluss im Acquis Communautaire (2003) 267, 278 f.; Lerche Die Umsetzung privatrechtsangleichender Richtlinien auf dem Prüfstand des effet utile (2004) S. 326 ff.] erscheint demgegenüber weniger überzeugend, weil – abhängig von dem Zeitpunkt der Abstandnahme des Verbrauchers vom Haustürkreditvertrag und der bis dahin geleisteten Rückzahlungen – zu einer Über- (wenn der noch ausstehende Darlehensbetrag den Wertverlust bei der Anlageimmobilie übersteigt) oder Unterkompensation (wenn der Verbraucher bereits substantielle Tilgungen geleistet hat und der ausstehende Darlehensbetrag den Wertverlust der Immobilie nicht aufwiegt) führen kann. 447 BGH 19.9.2006, XI ZR 204/04, NJW 2007, 357, 360 Rn. 41. Vor der EuGH-Rechtsprechung wurde die Widerrufsbelehrung verbreitet noch als reine Obliegenheit angesehen, BGH 16.5.2006, XI ZR 6/04, NJW 2006, 2099, 2102 Rn. 37 (offenlassend). 448 BGH 6.11.2007, XI ZR 322/03, NJW 2008, 644, 648 f. Rn. 55; siehe auch BGH 16.5.2006, XI ZR 6/04, NJW 2006, 2099, 2102 Rn. 37 f.
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tung einer entsprechenden Begrenzung unterliege.449 Noch grundsätzlicher mag man indes zweifeln, ob die Belehrungsmängelhaftung für den Widerruf nach der Verbraucherrechterichtlinie angesichts des Ausschlusses von Finanzdienstleistungen (Art. 3 Abs. 3 lit. d RL 2011/83) aus ihrem Anwendungsbereich noch praktische Bedeutung erlangen kann, weil sich die in Schulte in Frage stehende Überwälzung von Kapitalanlagerisiken (konkret: des Immobilienerwerbs) ersichtlich nur bei der Überlassung von Geld stellen kann, die nun als Finanzdienstleistung (vgl. Art. 2 Nr. 12 RL 2011/83) nicht mehr unter die Richtlinie 2011/83 fällt. Allenfalls mag man an eine analoge Überwälzung der Risiken aus der Verwendung der Waren oder Dienstleistungen denken, die aufgrund des durch späteren Widerruf vernichteten Geschäfts überlassen wurden. Hier dürfte es sich, wenn man Schulte überhaupt die Verpflichtung auf eine generelle Überwälzung von Verwendungsrisiken entnehmen will,450 aber im Regelfall um die Risiken der Verschlechterung oder des Untergangs der überlassenen Ware handeln, für die Art. 14 Abs. 3 Satz 2 RL 2011/83 bei unterbliebener Widerrufsbelehrung bereits einen Ausschluss der Haftung des Verbrauchers vorsieht. Für akzessorische Verträge (Art. 2 Nr. 15 RL 2011/83) sieht ferner Art. 15 RL 2011/83 eine automatische Beendigung vor, zudem ist der Verbraucher nach Widerruf eines Vertrages über Waren oder Dienstleistungen an einen damit verbundenen Kreditvertrag gemäß Art. 15 Abs. 1 RL 2008/48 nicht mehr gebunden. Die speziellen Regeln der Art. 14 Abs. 3 und Art. 15 RL 2011/83 zu den Folgen des Widerrufs für die Verwendungsrisiken der überlassenen Sache legen zusammen mit dem Konzept der Vollharmonisierung451 (Art. 4 RL 2011/83) nahe, dass spätestens 449 Mörsdorf ZIP 2012, 845, 854; zur Beibehaltung der Belehrungsmängelhaftung unter der Verbraucherrechterichtlinie auch Möllers/Grassl VuR 2010, 3, 16 zum früheren Vorschlag für eine Richtlinie über Rechte der Verbraucher KOM(2008) 614/4. Zur Verknüpfung mit dem wirksamen Widerruf EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 96 – Schulte. 450 Ablehnend Freitag WM 2006, 61, 68: „Dagegen enthält keines der beiden Urteile eine generelle Aussage dergestalt, dass der Unternehmer den Verbraucher für sämtliche Nachteile zu entschädigen hätte, die adäquat kausal darauf beruhen, dass der Verbraucher das Haustürgeschäft nicht widerrufen hat. Daraus kann man ableiten, dass der EuGH an den Fall des vermittelten Immobiliendarlehens gedacht hat […], während er eine allgemeine Haftung für sonstige Folgeschäden nicht verlangt“ (Hervorhebung nicht im Original). 451 Erwägungsgrund 48 Satz 2 RL 2011/83 verweist für den Fall der Nichterfüllung der „Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Ausübung des Widerrufs“ auf die Sanktionen, „die gemäß dieser Richtlinie in innerstaatlichen Vorschriften festgelegt sind, sowie vertragsrechtliche Bestimmungen.“ Die Vorschrift sagt indes nichts zu den Verpflichtungen, die sich aus der Nichtbelehrung über das Widerrufsrecht ergeben. Zuzugeben ist allerdings, dass es in der Vorschrift des Art. 13 RL 2011/83 zu den „Pflichten des Unternehmers im Widerrufsfall“ im Unterschied zur Regelung der „Pflichten des Verbrauchers im Widerrufsfall“ in Art. 14 RL 2011/83 an einer ausdrücklich abschließenden Vorschrift wie Art. 14 Abs. 5 RL 2011/83 fehlt.
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unter Geltung der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83 eine Überwälzung der Verwendungsrisiken in dem Sinne, dass der Unternehmer aufgrund der fehlerhaften Widerrufsbelehrung452 für jegliche Folgen aus der Verwendung der erlangten Waren oder Dienstleistungen haftet, nicht geboten ist.453 Fortbestehen dürfte die Belehrungsmängelhaftung allerdings auch nach Inkrafttreten der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83 in Gestalt einer Haftung gemäß §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 2, 241 Abs. 2 BGB für die Verletzung der Pflicht zur ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung als Informationspflichtverletzung,454 die wegen der Sonderregelung in Art. 14 Abs. 3 Satz 2 und Art. 15 RL 2011/83 allerdings nicht auf die Verwendungsrisiken der überlassenen Sache zu erstrecken ist. Anders stellt sich die Rechtslage für den Widerruf bei Finanzdienstleistungsverträgen nach Art. 6 RL 2002/65 (Fernabsatz von Finanzdienstleistungen) und Art. 14 RL 2008/48 (Verbraucherdarlehensverträge) dar, die nicht der Richtlinie 2011/83 unterfallen. Hier bleibt es im Ausgangspunkt beim Widerrufsrecht bis zur vollständigen beiderseitigen Vertragserfüllung, weil die Verbraucherrechterichtlinie 2011/83 auf Finanzdienstleistungen nicht anwendbar ist (Art. 3 Abs. 3 lit. d RL 2011/83; vgl. auch § 356 Abs. 3 Satz 3 BGB).455 Im Unterschied zur Verbraucherrechterichtlinie fehlt es ersichtlich auch an einer Harmonisierung der Widerrufsfolgen im Hinblick auf die Haftung des Unternehmers gegenüber dem Verbraucher,456 so dass im Anwendungsbereich der Richtlinien 2002/65 und 2008/48 die Grundsätze der Belehrungsmängelhaftung nach Schulte fortgelten dürften (vgl. auch die Beschränkung des § 356b Abs. 2 Satz 4 BGB auf Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträge).457 Allerdings hat der Gerichtshof in E.Friz die Belehrungsmängel452 Anderes gilt für Folgen, die sich aus der etwaigen Mangelhaftigkeit der überlassenen Sache ergeben. 453 Weitergehend für einen generellen Ausschluss Grüneberg in: Palandt BGB75 (2016) § 361 Rn. 1: „Dagg hat der Verbr iF einer nicht ordngsgem Widerrufsbelehrg […] keinen Anspr auf SchadErs aus c.i.c., weil die RFolgen einer fehlerh Belehrg in §§ 355 ff abschließd geregelt sind.“ 454 Stadler in: Jauernig BGB16 (2015) § 361 Rn. 1; Fritzsche in: MünchKommBGB II7 (2016) § 361 Rn. 8; zur Haftung für die Rechtsberatungskosten des Verbrauchers im Zusammenhang mit dem Widerruf AG Segeberg 13.4.2015, 17 C 230/14, NJW-RR 2015, 921, 924; a. A. Grüneberg in: Palandt BGB75 (2016) § 361 Rn. 1. 455 Habersack/Schürnbrand ZIP 2014, 749; Lechner WM 2015, 2165, 2168. 456 Auch Art. 15 RL 2008/48 zu verbundenen Kreditverträgen betrifft nicht das Verwendungsrisiko im Hinblick auf die aufgrund des widerruflichen Kreditvertrags überlassene Geldsumme, sondern bezieht sich umgekehrt auf die Beendigung des Verbraucherkreditvertrags, wenn der mit dem Kreditvertrag verbundene Vertrag widerrufen wird oder aufgrund dieses Vertrags Rechte geltend gemacht werden. 457 Differenzierend Eichel ZfPW 2016, 52, 61, der grundsätzlich vom Fortbestand der Belehrungsmängelhaftung nach Schulte ausgeht, sie aber aufgrund von Schutzzweckerwägungen auf die Opportunitätskosten durch Verzicht auf ein günstigeres Darlehen infolge
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haftung insoweit zurück genommen, als dass die nationalen „allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts“, die „für einen vernünftigen Ausgleich und eine gerechte Risikoverteilung zwischen den einzelnen Beteiligten sorgen“, auch eine (teilweise) Risikoüberwälzung auf den Verbraucher gestatten, wenn diese Risiken mit der betreffenden Form der Kapitalanlage verbunden sind und dadurch Mitgesellschafter und/oder Drittgläubiger geschützt werden, die an der Unterzeichnung des widerruflichen Geschäfts nicht beteiligt waren.458 Schließlich hat sich die Problematik für ihren Anlassfall, nämlich die Schrottimmobiliensachverhalte, erledigt,459 weil weder die Verbraucherrechterichtlinie 2011/83 als Nachfolgerin der Haustürwiderrufsrichtlinie 85/577460 (Art. 3 Abs. 3 lit. d iVm Art. 2 Nr. 12 RL 2011/83) noch die Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48461 (Art. 2 Abs. 2 lit. a, b RL 2008/48) Realkredite erfassen. Die nunmehr einschlägige Wohnimmobilienkreditrichtlinie 2014/17 gestattet den Mitgliedstaaten nun eine nationale Regelung, nach der „die Bedenkzeit oder das Recht auf Widerruf in Fällen endet, in denen der Verbraucher Schritte unternimmt, die gemäß nationalem Recht die Begründung oder Übertragung eines Rechts an einer Immobilie im Zusammenhang mit oder unter Verwendung von Finanzmitteln, die er im Rahmen des Kreditvertrags erhalten hat, zur Folge haben, oder in denen er gegebenenfalls die Finanzmittel an eine dritte Partei überträgt“ (Erwägungsgrund 23 a. E. RL 2014/17; siehe auch § 356b Abs. 2 Satz 4 BGB).
Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass der EuGH für den Fall einer fehlerhaften Belehrung über das Recht zum Widerruf bei Haustürgeschäften aus dem Effektivitätsgrundsatz eine unionsrechtliche Verpflichtung auf individuelle Schadensersatzansprüche der Verbraucher abgeleitet hat, die auch nach der Reform des europäischen Verbrauchervertragsrechts für die mit unionalem Widerrufsrecht ausgestatteten Finanzdienstleistungsverträge (Art. 14 RL 2008/48; Art. 6 RL 2002/65) – wenn auch in abgemilderter Form (E.Friz) – fortgelten dürfte, sich aber für Realkreditverträge durch die Bereichsausnahmen zugunsten der Richtlinie 2014/17 erledigt hat. Außerhalb der Finanzdienstleistungsverträge, also im Anwendungsbereich der Richtlinie 2011/83 gilt die Belehrungsmänirrigen Glaubens an die Gebundenheit an den Kreditvertrag, nicht aber auf die Risiken aus dem Anlagegeschäft erstrecken will. 458 EuGH 15.4.2010, Rs. C-215/08, Slg. 2010, I-2947 Rn. 48 f. – E.Friz; vgl. auch EuGH 19.12.2013, Rs. C-174/12, ECLI:EU:C:2013:856 Rn. 60 ff. – Hirmann (auch zur Differenzierung nach der Frage, ob der Widerrufsgegner für die „Unregelmäßigkeit“ verantwortlich ist). 459 Zum Erlöschen des „ewigen“ Widerrufsrechts nun Art. 229 § 38 Abs. 3 EGBGB. 460 EuGH 13.12.2001, Rs. C-481/99, Slg. 2001, I-9945 Rn. 40 – Heininger. 461 Durch die Wohnimmobilienkreditrichtlinie 2014/17 wurden allerdings „[u]nbesicherte Kreditverträge mit dem Zweck der Renovierung einer Wohnimmobilie mit einem Gesamtkreditbetrag von mehr als 75 000 EUR“ in die Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48 einbezogen, siehe Erwägungsgrund 18 und Art. 46 RL 2014/17 (Einfügung eines neuen Art. 2 Abs. 2a RL 2008/48).
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gelhaftung ebenfalls fort, erfasst aber wegen der abschließenden Regelung der Widerrufsfolgen in Art. 14 Abs. 3 und Art. 15 RL 2011/83 im Hinblick auf die Verwendungsrisiken nicht mehr die Risiken der Verwendung der überlassenen Waren oder Dienstleistungen. Sie dürfte auch insgesamt wegen der deutlich geringeren Bedeutung des Verwendungsrisikos bei anderen Gegenständen als Geld nur noch geringe praktische Bedeutung haben. c) Allgemeine Verpflichtung zur individualrechtlichen Sanktionierung von Informationspflichtverletzungen Die Judikatur zur Haftung bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung wirft die allgemeine Frage auf, ob auch andere Informationspflichten des Verbrauchervertragsrechts durch individuelle Schadensersatzansprüche der Verbraucher zu sanktionieren sind. Diese Frage kann nicht allein durch Verweis auf die Belehrungsmängelhaftung nach Schulte beantwortet werden, weil die Bandbreite der unionsrechtlichen Informationspflichten groß ist und sich die einzelnen Pflichten maßgeblich in Ausgestaltung und Bedeutung von der Belehrungspflicht über das Widerrufsrecht unterscheiden. 462 Abgesehen von der Verpflichtung zur Widerrufsbelehrung463 lassen sich die Informationspflichten grob464 in sechs Kategorien einteilen, nämlich Informationspflichten im Gegen eine Übertragung der Schulte-Rechtsprechung Angermann Die Verletzung vertragsschlussbezogener Informationspflichten des Europäischen Privatrechts (2010) S. 200, die allerdings allgemein eine Haftung für die Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten für „wahrscheinlich“ und für die effektive Sanktionierung der Informationspflichten besonders geeignet hält (S. 204 f.); Börger Sanktionen für die Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten (2010) S. 68. 463 Art. 6 Abs. 1 lit. h Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU (i. V. m. mit den Angaben zur Identität und Anschrift des Unternehmers in Art. 6 Abs. 1 lit. b, c RL 2011/83; vormals Art. 4 Haustürwiderrufsrichtlinie 85/577 und Art 4 Abs. 1 lit. f Fernabsatzrichtlinie 97/7); Art. 10 Abs. 2 lit. p Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48; Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. a Finanzdienstleistungsfernabsatzrichtlinie 2002/65; Art. 5 Abs. 4 Timesharingrichtlinie 2008/122. 464 Vgl. die Unterscheidung in Art. 3 Abs. 1 Nr. 1–4 Finanzdienstleistungsfernabsatzrichtlinie 2002/65 (Anbieter, Finanzdienstleistung, Fernabsatzvertrag, Rechtsbehelf); siehe auch die Kategorisierung bei Fleischer ZEuP 2000, 772, 786 (Leistungsgegenstand des Anbieters, Preis, Vertragsbedingungen und Rechtsbehelfe); Kocher ZEuP 2006, 785, 789 (Anbieter, Finanzdienstleistung, Fernabsatzvertrag, Rechtsbehelf, Transparenz); Hoffmann ZIP 2005, 829, 830 ff. (geschützter Personenkreis, Zeitpunkt der Informationserteilung); Ackermann ZEuP 2009, 230, 258 ff. Zur Kategorisierung der Informationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr in Art. 5 ff. E-Commerce-Richtlinie 2000/31 siehe Janal Sanktionen und Rechtsbehelfe bei der Verletzung verbraucherschützender Informationsund Dokumentationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr (2003) S. 137 ff.: Gewährleistung eines transparenten Vertragsschlussverfahrens (Art. 10 Abs. 1 lit. a, c, Art. 11 Abs. 1 RL 2000/31), Schutz der Willensbildung der Verbraucher, Sicherung der Rechtsposition des Vertragspartners, Referenzmöglichkeit durch flankierende Informationen sowie lauterkeitsrechtliche Vorschriften. Auf höherer Ebene siehe auch die Unterscheidung von 462
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Hinblick auf die Person des Unternehmers (Identität, Handelsname, Anschrift, Kontaktdaten),465 den Leistungsgegenstand (Eigenschaften der Waren oder Dienstleistungen),466 den Preis und sonstige Kosten,467 die sonstigen Vertragsbestimmungen (z. B. Zahlungsmodalitäten, Lieferung, Laufzeit, Beendigung) einschließlich der Nebenpflichten (z. B. Kundendienst, Garantien, Bedienungsanleitungen)468 und die Rechtsdurchsetzung (außergerichtliche Beschwerdeverfahren).469 Neben diesen materiellen Informationspflichten stehen formale Anforderungen an die Informationen wie Lesbarkeit, Verständlichkeit, Zugänglichkeit und Dauerhaftigkeit der Informationen470 bis hin zur Verpflichtung zur Übergabe konkreter Dokumente.471 Schließlich ist auch zwischen vorvertraglichen und vertraglichen Informationspflichten zu unterscheiden, weil bei vorvertraglichen Informationspflichten die Entscheidung über das Ob und Wie des Vertragsschlusses im Vordergrund steht, wäh-
Fleischer ZEuP 2000, 772, 777 von abstrakten (ohne geschäftlichen Kontakt) und konkreten (Anbahnung eines Vertragsschlusses) Informationspflichten bzw. (784 f.) von nachfrageschützenden und marktunterstützenden Informationspflichten. Die hier interessierenden Informationspflichten des Verbrauchervertragsrechts ordnet Fleischer den nachfragestützenden (mikrojuristischen) Pflichten zu. 465 Art. 6 Abs. 1 lit. b-d Verbraucherrechterichtlinie 2011/83; Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 Finanzdienstleistungsfernabsatzrichtlinie 2002/65. 466 Art. 6 Abs. 1 lit. a Verbraucherrechterichtlinie 2011/83. 467 Art. 6 Abs. 1 lit. e, f, i Verbraucherrechterichtlinie 2011/83. 468 Art. 6 Abs. 1 lit. g, m, o, p, q, r, s Verbraucherrechterichtlinie 2011/83. 469 Art. 6 Abs. 1 lit. t Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU. 470 Dazu EuGH 5.7.2012, Rs. C-49/11, ECLI:EU:C:2012:419 Rn. 38 ff. – Content Services (zum dauerhaften Datenträger bei Internet-Seiten). 471 Art. 7, 8 Verbraucherrechterichtlinie 2011/83; zum Zweck dieser Normen EuGH 5.7.2012, Rs. C-49/11, ECLI:EU:C:2012:419 Rn. 34, 36 – Content Services: „In Bezug auf den Zusammenhang, in dem die in Rede stehenden Begriffe verwendet werden, ist darauf hinzuweisen, dass Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 97/7 sicherstellen soll, dass dem Verbraucher die Informationen übermittelt werden, die zur ordnungsgemäßen Vertragserfüllung und vor allem zur Ausübung seiner Verbraucherrechte, insbesondere seines Widerrufsrechts, erforderlich sind. Wie die italienische Regierung unterstreicht, enthält diese Bestimmung eine ganze Reihe von Anforderungen zum Schutz der Verbraucher, die bei im Fernabsatz eingegangenen Vertragsbeziehungen die schwächere Partei sind“; „Die Zielsetzung der Richtlinie 97/7 besteht darin, den Verbrauchern einen weitreichenden Schutz zukommen zu lassen, indem ihnen bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz bestimmte Rechte gewährt werden. Wie dem 11. Erwägungsgrund dieser Richtlinie zu entnehmen ist, wollte der Unionsgesetzgeber verhindern, dass die Verwendung von Fernkommunikationstechniken zu einer Verringerung der dem Verbraucher vermittelten Information führt.“ Siehe auch die Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi vom 6.3.2012, Rs. C-49/11, ECLI:EU:C:2012:419 Rn. 25 f. – Content Services (zur Information durch Abruf eines Internet-Links); ferner Fleischer ZEuP 2000, 772, 786 ff., der neben Verständlichkeit, Griffigkeit (Prägnanz) und Zugänglichkeit noch die Vergleichbarkeit und die Rechtzeitigkeit als Einzelbausteine identifiziert.
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rend nachvertragliche Pflichten eher der Sicherung der Vertragsdurchführung und der Beweissicherung dienen.472 Zur Durchsetzung dieser Pflichten sehen die verbraucherrechtlichen Richtlinien keine erschöpfende Regelung vor, sondern beschränken sich auf punktuelle Vorschriften zu den Konsequenzen von Informationspflichtverletzungen, etwa zur Verlängerung der Widerrufsfrist bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung (Art. 10 RL 2011/83), zur Bindung an vorvertragliche Informationen (Art. 6 Abs. 5 RL 2011/83),473 zum Übergang der Sende- und Zusatzkosten auf den Unternehmer bei unterlassener Information über diese Kosten (Art. 6 Abs. 6, Art. 14 Abs. 1 UAbs. 2 RL 2011/83) und zum Ausschluss des Wertersatzes bei Rückabwicklung (Art. 14 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 lit. a i RL 2011/83). Die „allgemeinen vertraglichen Rechtsbehelfe“ bleiben indes dem nationalen Recht überlassen (Erwägungsgrund 14 Satz 3 RL 2011/83; Erwägungsgrund 47 RL 2008/48),474 so dass Grundlage für eine unionsrechtliche Verpflichtung auf Schadensersatzansprüche bei Informationspflichtverletzungen im Regelfall nur der Effektivitätsgrundsatz sein kann. Ob dieser eine individualvertragsrechtliche Sanktionierung unionsrechtlicher Informationspflichten gebietet, ist umstritten.475 472 Hoffmann ZIP 2005, 830, 838; Grüneberg in: Palandt BGB75 (2016) Einf v Art 238 EGBGB Rn. 2. 473 „Die Informationen nach Absatz 1 sind fester Bestandteil des Fernabsatzvertrags oder des außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrags und dürfen nicht geändert werden, es sei denn, die Vertragsparteien vereinbaren ausdrücklich etwas anderes.“ 474 Fleischer ZEuP 2000, 772, 792. 475 Für Verpflichtung auf bürgerlich-rechtliche Sanktionen Micklitz in: Grabitz/Hilf Das Recht der Europäischen Union IV (EL 14 1999) A 2 Haustürwiderrufsrichtlinie (RL 85/ 577/EWG) Art. 4–7 Rn. 67 (zur Widerrufsbelehrung nach der Haustürwiderrufsrichtlinie): „Letzte Sanktion muß die Auflösung des Vertrages sein, in welcher Form sie auch erreicht wird“ (vgl. auch ders. in: Grabitz/Hilf Das Recht der Europäischen Union IV (EL 15 2000) A 3 Fernabsatzrichtlinie (RL 97/7/EG) Art. 11, 17 Rn. 153: „Lauterkeitsrechtliche Regeln reichen dann nicht aus, wenn die Richtlinie dem Verbraucher eine subjektive Rechtsposition nach Maßgabe der Francovich-Doktrin einräumt, über deren Durchsetzbarkeit aber nach Maßgabe des Art. 11 Abs. 2 nicht der Verbraucher selbst zu wachen hat, sondern die klagebefugten Verbraucherverbände“); Riesenhuber Europäisches Vertragsrecht2 (2006) Rn. 235: „In jedem Fall aber erscheint es erforderlich, den Begünstigten individuelle Sanktionsrechte einzuräumen“; Magnus in: Schulze/Ebers/Grigoleit (Hrsg.) Informationspflichten und Vertragsschluss im Acquis communautaire (2003) 291, 298; Janal Sanktionen und Rechtsbehelfe bei der Verletzung verbraucherschützender Informations- und Dokumentationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr (2003) S. 222 Fn. 84; Hoffmann ZIP 2005, 829, 835; von Vogel Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragesrecht (2006) S. 151 f.; Schmidt-Kessel in: Schlachter/Ohler Europäische Dienstleistungsrichtlinie (2008) Art. 22 Rn. 39 ff.; ders. GPR 2008, 63, 69 f. (zur DienstleistungsRL 2006/123); Börger Sanktionen für die Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten (2010) S. 77; Tamm Verbraucherschutzrecht (2011) S. 504; vorsichtig befürwortend und nach Einzelpflichten differenzierend auch Ackermann ZEuP 2009, 230, 255 f., 267. Siehe auch
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Zum Teil wird dies unter Hinweis auf die parallele „institutionelle Sanktionierung“ durch die Regeln zur Unterlassungsklage476 und durch das – ebenfalls unionsrechtlich vorgeprägte477 – Lauterkeitsrecht bestritten, die beide den Mitbewerbern478 und „klagebefugten Einrichtungen“479 die Durchsetzung der Informationspflichten ermöglichen.480 Infolge der fehlenden Effektivität vertragsrechtlicher Sanktionen, des Präventionsdrucks durch eine breitflächige institutionelle Sanktionierung und des schonenderen Eingriffs in das mitgliedstaatliche Privatrecht durch nur institutionelle Sanktionierung bedürften „die unionsrechtlichen Aufklärungspflichten jedenfalls nicht notwendig einer eigenständigen vertragsrechtlichen Sanktionierung“.481 Ein Absehen von einer vertragsrechtlichen Sanktionierung unionaler Informationspflichten ist nach dieser Auffassung jedenfalls dann mit dem Effektivitätsgrundsatz vereinbar, „wenn die unionsrechtliche Aufklärungspflicht keine gewichtige, nur mit vertragsrechtlichen Instrumenten im Individualrechtsverhältnis durchzusetzende Funktion hat“.482 Schwintowski in: Schulze/Ebers/Grigoleit (Hrsg.) Informationspflichten und Vertragsschluss im Acquis Communautaire (2003) 267, 287 ff., der abhängig vom Regelungsbestand der Richtlinien gewisse Sanktionen als „zielimmanent“ ansieht. Siehe auch Art. 2:208 Abs. 2 und 3 Acquis Principles (Remedies for Breach of Information Duties). Generell skeptisch Grigoleit in: Eidenmüller u. a. (Hrsg.) Revision des Verbraucher-acquis (2011) 223, 252, 262. Siehe auch die Diskussion um eine zivilrechtliche oder gewerberechtliche Sanktionierung bei Umsetzung der versicherungsrechtlichen Informationspflichten der sogenannten Dritten Richtlinien (Art. 31 RL 92/49 (Dritte Richtlinie Schadenversicherung); Art. 31 RL 92/96 (Dritte Richtlinie Lebensversicherung)), BT-Drs. 12/6959, S. 116 Ziffer 3 (privatrechtlich zu verankern) gegenüber BT-Drs. 12/6959 S. 134 („gewerberechtlich angelegt“), zum Nichterlöschen des Widerrufsrechts nach § 5a VVG a. F. bei unterbliebener Belehrung des Versicherungsnehmers nun auch EuGH 19.12.2013, Rs. C209/12, ECLI:EU:C:2013:864 Rn. 26, 28 – Endress; zum Vorlagebeschluss BGH 28.3.2012, IV ZR 76/11, VersR 2012, 608; zur Umsetzung im deutschen Recht durch richtlinienkonforme teleologische Reduktion BGH 7.5.2014, IV ZR 76/11, NJW 2014, 2646 Rn. 21 ff. 476 Art. 1, 2 i. V. m. dem Anhang zur Unterlassungsklagenrichtlinie 2009/22. 477 Vgl. Art. 7 Abs. 5 Geschäftspraktikenrichtlinie 2005/29. 478 Art. 11 Abs. 1 Satz 2 Geschäftspraktikenrichtlinie 2005/29. 479 Art. 3 Unterlassungsklagenrichtlinie 2009/22. 480 Grigoleit in: Eidenmüller u. a. (Hrsg.) Revision des Verbraucher-acquis (2011) 223, 226 f., 252, 262; ausführlich zu diesem Ansatz auch Lerche Die Umsetzung privatrechtsangleichender Richtlinien auf dem Prüftstand des effet utile (2004) S. 323 ff., der je nach Richtlinie unterschiedliche Sanktionen als „zielimmanent“ ansieht, Schadensersatzansprüchen aber wegen der schwierigen Bezifferbarkeit und der Einführung „eines pönalem Elements“ in die nationalen Rechtsordnungen skeptisch gegenübersteht (siehe etwa S. 327, 331). 481 Grigoleit in: Eidenmüller u. a. (Hrsg.) Revision des Verbraucher-acquis (2011) 223, 252, 262. 482 Grigoleit in: Eidenmüller u. a. (Hrsg.) Revision des Verbraucher-acquis (2011) 223, 252 f.; siehe auch ders. ZHR 177 (2013) 264, 272, 273, 275 f. zur Parallelproblematik der Durchsetzung unionaler Verhaltenspflichten im Kapitalanlegerrecht.
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Diese Argumentation baut konsequent auf dem Grundsatz der mitgliedstaatlichen Wahlfreiheit der Sanktionen auf,483 der eine Alternativität von zivil- und verwaltungsrechtlichen, lauterkeits- und bürgerlich-rechtlichen Sanktionen nahelegt.484 Indes steht sie in einem Spannungsverhältnis zu der vom EuGH aus dem allgemeinen Effektivitätspostulat abgeleiteten Verpflichtung zur individuellen Folgenbeseitigung bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung in der Schrottimmobilienjudikatur (Schulte).485 Die dort geforderte individuelle Folgenbeseitigung lässt sich kaum mit einer Beschränkung der Rechtsbehelfe auf aufsichts- und/oder lauterkeitsrechtliche Instrumente vereinbaren, die dem Verbraucher regelmäßig kein individuell durchsetzbares Recht auf Kompensation (Folgenbeseitigung) zubilligen. Selbst wenn man die Schulte-Rechtsprechung auf die spezielle Konstellation der Belehrungsmängelhaftung reduzieren wollte, so sprechen der Regelungszusammenhang und Zweck der Informationspflichten entscheidend für eine unionsrechtliche Verpflichtung auf individuelle Rechtsbehelfe einzelner Verbraucher bei Informationspflichtverstößen, denn das mitgliedstaatliche Ermessen zur Ausfüllung der allgemeinen Sanktionenklauseln durch nationa483 Siehe auch Erwägungsgrund 47 Satz 2 Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48: „Die Wahl der Sanktionen bleibt zwar den Mitgliedstaaten überlassen, doch sollten die vorgesehenen Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein“; zudem Nachweise in Teil 1 – Fn. 324. 484 Zur Paralleldiskussion im Kapitalmarktrecht (Art. 19 Abs. 4, 5 und Art. 51 RL 2004/39) jüngst EuGH 30.5.2013, Rs. C-604/11, ECLI:EU:C:2013:344 Rn. 57 – Genil 48 SL: „In Ermangelung einer Regelung der Union hierzu kommt es der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten zu, die vertraglichen Folgen eines Verstoßes gegen diese Verpflichtungen festzulegen, wobei die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität beachtet werden müssen“; ebenso EuGH 3.12.2015, Rs. C-312/14, ECLI:EU: C:2015:794 Rn. 79 – Banif Plus Bank; siehe auch EFTA-Gerichtshof 13.6.2013, Rs. E-11/ 12 Rn. 135 – Swiss Life mit dem Hinweis auf das Bestehen eines zivilrechtlichen Entschädigungsanspruchs neben der Verwaltungsbeschwerde. Die Diskussion über individualrechtliche Ansprüche der Anleger (zu Nachweisen oben Fn. 379) soll hier nicht nachgezeichnet, sondern allein auf verbrauchervertragliche Ansprüche eingegangen werden. M. E. erscheint es aber zu weitgehend, aus dem bloßen Hinweis auf den Effektivitätsgrundsatz durch den EuGH in Genil 48 SL zu folgern, dass auch das Ob vertraglicher oder individueller Ansprüche der Anleger im freien Ermessen der Mitgliedstaaten steht, denn dieses ist gerade durch den Effektivitätsgrundsatz beschränkt, ähnlich Einsele JZ 2014, 703, 713 Fn. 96, die darauf verweist, dass die Klägerinnen im Verfahren Genil 48 SL die Feststellung vertraglicher Nichtigkeit verlangten; gegen ein Entscheidung durch Genil 48 SL auch Poelzig JZ 2014, 256, 259. Gegen eine Verpflichtung auf indivdualrechtliche Ansprüche aus der Richtlinie 2004/39 oder dem Effektivitätsgrundsatz allerdings BGH 17.9.2013, XI ZR 332/12, BKR 2014, 32, 35 f. Rn. 26, 30 f.; zur Bedeutung privater Schadensersatzansprüche zur Durchsetzung kapitalmarktrechtlicher Informationspflichten aber auch EuGH 19.12.2013, Rs. C-174/12, ECLI:EU:C:2013:856 Rn. 43 – Hirmann. 485 Oben § 5 I 2 b aa → S. 263 und EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 100 f. – Schulte.
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le Rechtsbehelfe ist „im Einklang sowohl mit dem Hauptzweck der Richtlinie […] als auch mit den anderen Bestimmungen dieser Richtlinie auszuüben“.486 Zwar formulieren die Art. 5 und 6 der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83 die Informationspflichten des Unternehmers nicht unmittelbar als Ansprüche des Verbrauchers, sondern als Verpflichtung der Unternehmer („informiert der Unternehmer den Verbraucher“).487 Andererseits sind die Informationen „fester Bestandteil des Fernabsatzvertrags oder des außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrags und dürfen nicht geändert werden, es sei denn, die Vertragsparteien vereinbaren ausdrücklich etwas anderes“ (Art. 6 Abs. 5 RL 2011/83). Zudem sollen die Informationspflichten in den Verbraucherrichtlinien sicherstellen, „dass dem Verbraucher die Informationen übermittelt werden, die zur ordnungsgemäßen Vertragserfüllung und vor allem zur Ausübung seiner Verbraucherrechte, insbesondere seines Widerrufsrechts, erforderlich sind“.488 Es geht damit bei den Informationspflichten um den „Schutz der Verbraucher, die bei im Fernabsatz eingegangenen Vertragsbeziehungen die schwächere Partei sind“489 und damit – wie in den Richtli486 EuGH 10.4.2008, Rs. C-412/06, Slg. 2008, I-2383 Rn. 39 – Hamilton; EuGH 17.12.2009, Rs. C-227/08, Slg. 2009, I-11939 Rn. 32, 34 – Eva Martín Martín. 487 Ähnliche Formulierungen finden sich in Art. 5 und 6 der Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48/EG („erteilt der Kreditgeber […] dem Verbraucher […] die Informationen“), Art. 4 Timesharingrichtlinie 2008/122 („Gewerbetreibende stellt dem Verbraucher rechtzeitig […] Informationen […] wie folgt zur Verfügung“) und Art. 5 Abs. 1 Finanzdienstleistungsfernabsatzrichtlinie 2002/65 („übermittelt der Anbieter“). 488 EuGH 5.7.2012, Rs. C-49/11, ECLI:EU:C:2012:419 Rn. 34 – Content Services (zu den Informationspflichten der E-Commerce-Richtlinie 2000/31); ähnlich EuGH 21.4.2016, Rs. C-377/14, ECLI:EU:C:2016:283 Rn. 64 – Radlinger (zu den Informationspflichten der Verbraucherdarlehensrichtlinie 2008/48): „ist es für den Verbraucher von grundlegender Bedeutung, dass er vor und bei Abschluss des Vertrags über die Vertragsbedingungen und die Folgen des Vertragsschlusses informiert ist. Insbesondere auf der Grundlage dieser Information entscheidet er, ob er sich durch die vom Gewerbetreibenden vorformulierten Bedingungen binden möchte.“ 489 EuGH 5.7.2012, Rs. C-49/11, ECLI:EU:C:2012:419 Rn. 34 – Content Services (zu den Informationspflichten der E-Commerce-Richtlinie 2000/31). Zu ähnlichen Schutzzwecken der Informationspflichten der Verbraucherkreditrichtlinie EuGH 23.3.2000, Rs. C208/08, Slg. 2000, I-1741 Rn. 21 – Berliner Kindl: „Daß dem Kreditnehmer nach Artikel 4 der Richtlinie bei Vertragsschluß alle Angaben zur Verfügung stehen müssen, die Auswirkungen auf den Umfang seiner Verpflichtung haben können, wozu auch die Sicherheiten gehören, hat somit den Zweck, den Verbraucher gegen unbillige Kreditbedingungen zu schützen, und soll ihn umfassend über die Einzelheiten der Vertragserfüllung ins Bild setzen“; zur neuen Verbraucherdarlehensrichtlinie 2008/48 EuGH 21.4.2016, Rs. C-377/ 14, ECLI:EU:C:2016:283 Rn. 61, 63 – Radlinger; zu Art. 5 der E-Commerce-Richtlinie 2000/31 siehe auch EuGH 16.10.2008, Rs. C-298/07, Slg. 2008, I-7841 Rn. 23 – deutsche internet versicherung: „die von dem Diensteanbieter mitgeteilten Informationen [ermöglichen] den Nutzern des Dienstes […], die Tragweite ihrer zukünftigen Verpflichtung zu beurteilen und so die Gefahr bestimmter Irrtümer zu vermeiden, die zum Abschluss eines nachteiligen Vertrags führen können“. Vgl. auch (eher marktfunktional) zu den Informati-
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nien insgesamt – um das Ziel, „ein hohes Verbraucherschutzniveau zu erreichen und damit zum ordnungsgemäßen Funktionieren des Binnenmarktes beizutragen“ (Art. 1 RL 2011/83).490 Aus einer entsprechenden Formulierung im sechsten Erwägungsgrund der Klauselrichtlinie 93/13 („den Bürger in seiner Rolle als Verbraucher beim Kauf von Waren und Dienstleistungen mittels Verträgen zu schützen“) hat der EuGH bereits gefolgert, dass diese Richtlinie darauf abzielt, den Verbrauchern individuelle Ansprüche zuzuweisen.491 Auch die zwingende Ausgestaltung einer Vorschrift492 hat der EuGH im Kontext der Klauselrichtlinie 93/13 bereits als Indiz für die Verleihung individueller Rechte angesehen.493 Eine eindeutige Formulierung der Informationspflichten als individuelle Ansprüche der Verbraucher494 findet sich zudem in Erwägungsgrund 27 onspflichten der Verbraucherkreditrichtlinie EuGH 4.3.2004, Rs. C-264/02, Slg. 2004, I-2157 Rn. 26 – Sylvain Sachithanathan: „Zum einen trägt diese Unterrichtung, die nach Artikel 3 der Richtlinie schon in der Werbung zu erfolgen hat, zur Transparenz des Marktes bei, da sie es dem Verbraucher ermöglicht, Kreditangebote zu vergleichen. Zum anderen ermöglicht sie es dem Verbraucher, den Umfang seiner Verpflichtung einzuschätzen.“ 490 Ähnliche Zielvorgaben finden sich in Erwägungsgrund 3 Satz 2 Finanzdienstleistungsfernabsatzrichtlinie 2002/65: „hohes Verbraucherschutzniveau“; Art. 1 Abs. 1 Timesharingrichtlinie 2008/122: „Erreichen eines hohen Verbraucherschutzniveaus“; etwas vorsichtiger Erwägungsgrund 8 Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48: „ausreichendes Verbraucherschutzniveau“. Allerdings gelten für den Verbraucherschutz unter der Haustürrichtlinie 85/577 nach EuGH 10.4.2008, Rs. C-412/06, Slg. 2008, I-2383 Rn. 40 – Hamilton auch „bestimmte Grenzen“. 491 Vgl. EuGH 10.5.2001, Rs. C-144/99, Slg. 2001, I-3541 Rn. 18 – Kommission/ Niederlande: „Wie der Gerichtshof hervorgehoben hat, ist diese letzte Voraussetzung besonders wichtig, wenn die Richtlinie darauf abzielt, den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten Ansprüche zu verleihen […]. Gerade das ist hier jedoch der Fall, denn die Richtlinie bezweckt nach ihrer sechsten Begründungserwägung u. a., den Bürger in seiner Rolle als Verbraucher beim Kauf von Waren und Dienstleistungen mittels Verträgen zu schützen, für die die Rechtsvorschriften anderer Mitgliedstaaten gelten“; EuGH 7.5.2002, Rs. C-478/ 99, Slg. 2002, I-4147 Rn. 18 – Kommission/Schweden: „Diese Bestimmungen, die bezwecken, den Verbrauchern Ansprüche zu verleihen, definieren das mit der Richtlinie angestrebte Ergebnis“; EuGH 4.6.2009, Rs. C-243/08, Slg. 2009, I-4713 Rn. 21 – Pannon: „die den Mitgliedstaaten gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie auferlegte Verpflichtung bezweckt, dem Bürger in seiner Rolle als Verbraucher einen Anspruch zu verleihen“. Zur alten Haustürwiderrufsrichtlinie 85/577 siehe auch EuGH 14.7.1994, Rs. C-91/92, Slg. 1994, I-3325 Rn. 28 – Faccini Dori: „Die Richtlinie über die außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträge hat unbestreitbar die Verleihung von Rechten an Bürger zum Ziel“; zur alten Pauschalreiserichtlinie 90/314 EuGH 8.10.1996, verb. Rs. C-178/94, C-179/94, C-188/94, C-189/94 und C-190/94, Slg. 1996, I-4845 Rn. 33–46 – Dillenkofer. 492 Erwägungsgrund 35 Satz 1 Verbraucherrechterichtlinie 2011/83. 493 EuGH 9.9.2004, Rs. C-70/03, Slg. 2004, I-7999 Rn. 17 – Kommission/Spanien: „Klarstellung in Artikel 5 Satz 3 der Richtlinie [93/13] eine normative und zwingende Regel, die den Verbrauchern Rechte verleiht und dazu beiträgt, das von dieser Richtlinie vorgegebene Ziel zu definieren“.
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Satz 1 der Richtlinie 2008/48 über Verbraucherkreditverträge („Obwohl der Verbraucher Anspruch auf vorvertragliche Informationen hat“)495 und Erwägungsgrund 10 Satz 1 der Richtlinie 2008/122 über Timesharing („Verbraucher haben das Recht zu verlangen, dass ihnen vorvertragliche Informationen […] zur Verfügung gestellt werden“; siehe auch Erwägungsgrund 12 Satz 4 RL 2008/122). Wenn es sich nun aber bei den Informationspflichten um eigene Ansprüche der Verbraucher bzw. einen „festen Bestandteil“ des Verbrauchervertrages handelt,496 dann erscheint es wenig überzeugend, den Verbrauchern individuelle Rechtsbehelfe zur Durchsetzung eben dieser Rechte zu verweigern. Vielmehr ist ihre wirksame Durchsetzung nur dann gewährleistet, wenn sie auch der einzelne Verbraucher im individuellen Klageverfahren mit den Mitteln des Zivilrechts geltend machen kann, ohne wie bei der verwaltungs- oder der lauterkeitsrechtlichen Durchsetzung auf die Initiative einer Behörde, eines Wettbewerbers oder eines Verbandes angewiesen zu sein.497 Für eine Durchsetzbarkeit der verbraucherrechtlichen Informationspflichten mittels individueller Ansprüche der Verbraucher spricht nicht zuletzt, dass der Effektivitätsgrundsatz die nationalen Gerichte dazu verpflichtet, „von Amts wegen die Einhaltung der […] Informationspflicht zu prüfen“498 und dass eine Überwälzung der Beweislast für den Nachweis der Beachtung der Informationspflichten auf den Verbraucher gegen das Effektivitätsgebot verstößt.499 Wenn es sich bei den Informationspflichten nicht um individuelle Ansprüche der Verbraucher handeln würde, so wäre es kaum So auch Riesenhuber Europäisches Vertragsrecht2 (2006) Rn. 230 f., 235. Zur Garantie individualvertraglicher Rechtsbehelfe auch Erwägungsgrund 38 Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48, der dem Verbraucher gestattet, bei Problemen im Zusammenhang mit dem Kaufvertrag Rechte gegenüber dem Kreditgeber geltend zu machen, dazu EuGH 4.10.2007, Rs. C-429/05, Slg. 2007, I-8017 Rn. 46 ff. – Rampion. Siehe ferner EuGH 18.12.2014, Rs. C-449/13, ECLI:EU:C:2014:2464 Rn. 27 ff. – CA Consumer Finance zum Verstoß gegen den Effektivitätsgrundsatz bei Überwälzung der Beweislast auf den Verbraucher, dass die Informationspflichten erfüllt wurden. Dies wäre nicht erklärbar, wenn aus den Informationspflichten nicht auch individuelle Ansprüche der Verbraucher resultierten. Auch der Verpflichtung zur Bonitätsprüfung nach Art. 8 RL 2008/48 hat der EuGH verbraucherschützende Wirkungen zugemessen, EuGH 27.3.2014, Rs. C-565/12, ECLI:EU:C:2014:190 Rn. 42 f. – LCL Le Crédit Lyonnais, wobei umstritten bleibt, ob dies auch individuelle Ansprüche der Verbraucher begründet, ablehnend Herresthal EuZW 2014, 497, 499 (kein Individualschutz, aufsichtsrechtliche Sanktion ausreichend); Franck Marktordnung durch Haftung (2016) S. 285 f. 496 Einsele ZHR 180 (2016) 233, 255: „Die verbraucherschützenden Informationspflichten sind also – wenngleich zwingendes Recht – unproblematisch als zivilrechtliche Pflichten zu qualifizieren.“ 497 Zu den Befürwortern dieser Sichtweise bereits die Nachweise oben in Fn. 475. 498 EuGH 21.4.2016, Rs. C-377/14, ECLI:EU:C:2016:283 Rn. 74, 60 ff. – Radlinger. 499 EuGH 18.12.2014, Rs. C-449/13, ECLI:EU:C:2014:2464 Rn. 27 ff. – CA Consumer Finance. 494 495
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verständlich, weshalb der Effektivitätsgrundsatz Vorgaben für ihre wirksame Durchsetzung im Zivilverfahren machen sollte. Mit einer Interpretation als individualrechtlich bewehrte Rechte des Verbrauchers steht schließlich auch in Einklang, dass zumindest einzelne Vorschriften des Sekundärrechts nicht nur den Widerruf als Sanktion für die Verletzung von Informationspflichten vorsehen, sondern die Mitgliedstaaten darüber hinaus zur Schaffung (weiterer) wirksamer nationaler Rechtsbehelfe bei Nichtbeachtung von Informationspflichten verpflichten.500 Gar einen allgemeinen (möglicherweise sogar verschuldensunabhängigen)501 Schadensersatzanspruch bei Verletzung von Informationspflichten – neben den Ansprüchen aus culpa in contrahendo (Art. 2 Abs. 2) und dem gewährleistungsrechtlichen Schadensersatzanspruch (Art. 106 Abs. 1 lit. e) – sah Art. 29 Abs. 1 des Vorschlags für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht vor:502 „Eine Partei, die eine sich aus diesem Kapitel ergebende Pflicht nicht erfüllt, haftet für jeden Verlust, der der anderen Partei durch diese Pflichtverletzung entsteht.“
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz eine Bewehrung von verbrauchervertraglichen Informationspflichtverstößen durch individuelle Rechtsbehelfe der Verbraucher gebietet. Indes folgt daraus nicht, dass nun jeder Verstoß gegen eine Informationspflicht automatisch einen individuellen Schadensersatzanspruch der Verbraucher zur Folge hätte. Vielmehr ist der Schadensersatzanspruch auf den Zweck der 500 Eine entsprechende Regelung findet sich in Erwägungsgrund 12 Satz 1 der Timesharingrichtlinie 2008/122, demzufolge Verbraucher (nicht lediglich Mitbewerber oder Verbraucherverbände) über „wirksame Rechtsbehelfe für den Fall verfügen [müssen], dass Gewerbetreibende die Bestimmungen über die vorvertraglichen Informationen oder den Vertrag nicht einhalten, insbesondere jene, denen zufolge der Vertrag alle erforderlichen Informationen enthalten muss und dem Verbraucher zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses eine Kopie des Vertrags auszuhändigen ist“. Dazu zählt die Richtlinie nicht nur die verlängerte Widerrufsmöglichkeit, sondern auch nach Ablauf der Widerrufsfrist „nach Maßgabe der nationalen Rechtsvorschriften Rechtsbehelfe wegen der Nichtbeachtung der Informationsvorschriften“ (Erwägungsgrund 12 Satz 4 Timesharingrichtlinie 2008/122). Auch Art. 11 Abs. 1 Finanzdienstleistungsfernabsatzrichtlinie 2002/65 verpflichtet die Mitgliedstaaten auf „angemessene Sanktionen zur Ahndung von Verstößen des Anbieters gegen in Umsetzung dieser Richtlinie erlassene einzelstaatliche Vorschriften“, die „insbesondere“ vorsehen können, „dass der Verbraucher den Vertrag jederzeit kündigen kann, ohne dass ihm daraus Kosten entstehen oder er eine Vertragsstrafe zahlen muss“ (Art. 11 Abs. 2 RL 2002/65). 501 Ausführlich Stempel EuZW 2013, 174, 176 zum Begriff „entschuldigt“ in Art. 88 Abs. 1 des Vorschlags für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht; zur möglichen Analogie zu Art. 88 auch K. Huber euvr 2013, 197, 210; kritisch Eidenmüller/Jansen/ Kieninger/G. Wagner/Zimmermann JZ 2012, 269, 277. 502 KOM(2011) 635 S. 55 Art. 29 (Abhilfen bei Verletzung von Informationspflichten); dazu ausführlich Wiese in: Schmidt-Kessel/Leible/Tichý (Hrsg.) Perspektiven des Verbrauchsgüterkaufs (2015) 63, 68 ff.
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Informationspflicht und andere parallele Sanktionen für Informationspflichtverletzungen abzustimmen, worauf sogleich einzugehen ist. d) Abstimmung auf den Zweck der Informationspflicht Infolge der unionsrechtlichen Verpflichtung zur individualrechtlichen Sanktionierung von Informationspflichtverletzungen sind diese grundsätzlich geeignet, das (vor-)vertragliche Pflichtenprogramm zu konkretisieren und damit einen Anspruch insbesondere503 aus culpa in contrahendo (§§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB) zu begründen.504 Indes folgt daraus nicht, dass nun jeder Verstoß gegen eine Informationspflicht automatisch einen individuellen Schadensersatzanspruch der Verbraucher zur Folge hätte.505 Vielmehr ist es unionsrechtlich gestattet und geboten, die Rechtsfolge auf den jeweiligen Inhalt der Informationspflicht abzustimmen.506 In vielen Fällen wird dies zur Folge haben, dass Schadensersatzansprüche mangels ersatzfähiger Schäden ausscheiden, weil die Pflichtverletzung bereits durch andere Instrumente des Bürgerlichen Rechts neutralisiert wird oder weil der Pflichtverstoß mit dem Instrument eines individuellen Schadensersatzanspruchs infolge der primär marktordnungsrechtlichen und nicht individualschützenden Ausrichtung der Informationspflicht im Einzelfall507 nicht adäquat zu fassen ist.508 503 Beispielsweise im Reiserecht können Informationspflichtverletzungen auch einen Reisemangel begründen und Gewährleistungsansprüche auslösen, OLG Frankfurt 9.12.1999, 16 U 66/99, NJW-RR 2002, 272, 273; LG Darmstadt 23.11.2011, 25 S 142/11 Rn. 20 (juris). 504 Fleischer ZEuP 2000, 772, 792; ders. Informationsasymmetrie im Vertragsrecht (2001) S. 436; Kocher ZEuP 2006, 785, 794; Stadler in: Jauernig BGB16 (2015) § 312d Rn. 11. Siehe auch Leistner Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb (2007) S. 733: wettbewerbsrechtliche Informationspflichten könnten mit dem Programm vorvertraglicher Aufklärungspflichten „zumindest im groben durchaus konvergieren“. 505 Zu dieser Sorge Grigoleit ZHR 177 (2013) 264, 272: „Es müsste dann – um tatsächlich jede Pflichtwidrigkeit im Privatrechtsverhältnis zu sanktionieren – eine verschuldensunabhängige Haftung postuliert und immaterieller Straf-Schadensersatz gewährt, also auf einen individuellen Schadensnachweis verzichtet werden.“ 506 Vgl. EuGH 10.4.2008, Rs. C-412/06, Slg. 2008, I-2383 Rn. 39 – Hamilton: „Im Übrigen zeigt der Begriff ‚geeignete‘ [Maßnahmen] in dieser Bestimmung, dass die entsprechenden Maßnahmen nicht auf einen absoluten Schutz des Verbrauchers abzielen. Das Ermessen, über das die Mitgliedstaaten verfügen, ist nämlich im Einklang sowohl mit dem Hauptzweck der Richtlinie über Haustürgeschäfte als auch mit den anderen Bestimmungen dieser Richtlinie auszuüben.“ 507 Siehe die Tabelle bei Börger Sanktionen für die Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten (2010) S. 99 f., der bei Informationen über die Identität des Anbieters und über Beschwerdeverfahren primär den Markt- und nicht den Individualschutz berührt sieht. Zu den unterschiedlichen Rechtsfolgen von Informationspflichtverletzungen und den möglichen Konkurrenzen im Gemeinsamen Europäischen Kaufrecht und im deutschen Recht Wiese in: Schmidt-Kessel/Leible/Tichý (Hrsg.) Perspektiven des Verbrauchsgüter-
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aa) Kein Schadensersatz ohne Vertragsschluss So scheidet ein Schadensersatzanspruch regelmäßig aus, wenn zwar eine vorvertragliche Informationspflicht verletzt wurde, es aber nicht zu einem Vertragsschluss zwischen Unternehmer und Verbraucher gekommen ist. In diesen Fällen ließe sich ein Schaden allenfalls mit dem Argument begründen, dass dem Verbraucher infolge der unzutreffenden Information ein günstiges Angebot entgangen ist. Indes dienen die Informationspflichten zwar dem übergeordneten Ziel der Markttransparenz,509 vermitteln dem Verbraucher aber kein subjektives Recht auf Erkennbarkeit des für ihn günstigsten Angebots am Markt,510 so dass es an einem ersatzfähigen Schaden fehlt.511 Eine Ausnahme ist nur für die Fälle zu machen, in denen der Vertragsschluss scheitert, weil der Unternehmer unrichtig über die einzelnen technischen Schritte informiert hat, die zu einem Vertragsschluss führen (vgl. Art. 10 Abs. 1 lit. a E-Commerce-RL 2000/31), und der Verbraucher deshalb irrtümlich seine invitatio ad offerendum bereits für einen Vertragsschluss gehalten hat. In diesem Fall zielt die Informationspflicht auf die Vermeidung eines Irrtums über die Verbindlichkeit des Vertragsschlusses,512 so dass dem Verkaufs (2015) 63, 68 ff. mit dem Ergebnis (73): „Das Europäische Kaufrecht scheint daher dem Grundsatz der freien Konkurrenz der Rechtsbehelfe zu folgen.“ 508 Grigoleit in: Eidenmüller u. a. (Hrsg.) Revision des Verbraucher-acquis (2011) 223, 257; wohl a. A. Art 2:208(3) Acquis Principles, der einen generellen Schadensersatzanspruch bei Informationspflichtverletzungen vorsieht. Siehe auch Angermann Die Verletzung vertragsschlussbezogener Informationspflichten des Europäischen Privatrechts (2010) S. 269: Informationspflichtverletzung werde eine ersatzfähige Vermögenseinbuße weniger häufig zur Folge haben als die Verletzung einer leistungsbezogenen Pflicht. 509 Vgl. EuGH 4.3.2004, Rs. C-264/02, Slg. 2004, I-2157 Rn. 26 – Sylvain Sachithanathan: „Zum einen trägt diese Unterrichtung, die nach Artikel 3 der Richtlinie schon in der Werbung zu erfolgen hat, zur Transparenz des Marktes bei, da sie es dem Verbraucher ermöglicht, Kreditangebote zu vergleichen. Zum anderen ermöglicht sie es dem Verbraucher, den Umfang seiner Verpflichtung einzuschätzen.“ 510 Zur Selbstinformationsobliegenheit der Nachfrager auch Fleischer ZEuP 2000, 772, 791. Ohnehin wird jeder Unternehmer ein eigenes Interesse daran haben, sich so günstig wie möglich darzustellen, so dass es eines zusätzlichen Anreizes durch eine Haftung bei unrichtigen Informationen nicht bedarf, wenn überhaupt kein Vertrag geschlossen wurde. 511 Siehe auch Angermann Die Verletzung vertragsschlussbezogener Informationspflichten des Europäischen Privatrechts (2010) S. 192, die bereits einen einklagbaren Erfüllungsanspruch auf vorvertragliche Informationen ablehnt; a. A. Bech Serrat Selling Tourism Services at a Distance (2012) S. 91: „right to damages available regardless of whether or not a contract is concluded“, aber auch anerkennend „Contractual remedies are less help in a situation where there has been a failure to comply with a pre-contractual information duty, but no contract has been concluded.“ 512 Ausführlich Janal Sanktionen und Rechtsbehelfe bei der Verletzung verbraucherschützender Informations- und Dokumentationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr (2003) S. 147 ff., die den Schutzzweck des Art. 10 Abs. 1 lit. a RL 2000/31 zwar
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braucher der Vertrauensschaden zu ersetzen ist, der sich etwa aus dem Absehen von einem anderweitigen Vertragsschluss ergeben kann.513 bb) Kein Schadensersatz ohne Verbrauchernachteil Aber auch nach erfolgreichem Vertragsschluss kann ein Schaden zu verneinen sein, wenn die Informationspflichtverletzung für den individuellen Verbraucher keinen Nachteil mit sich bringt.514 Als Beispiel lassen sich unrichtige Angaben über die Identität des Unternehmers nennen, wenn diese Angaben aus Sicht des Verbrauchers untergeordnete Gesichtspunkte wie etwa den korrekten Handelsnamen oder die Aufsichts- oder Registerbehörde betreffen, solange der Vertragspartner für den Verbraucher erreichbar und identifizierbar bleibt (so dass kein Schaden durch besonderen Nachforschungsaufwand515 entsteht) und sofern der Verbraucher auf die Identität des Unternehmers bei Vertragsschluss keinen besonderen Wert gelegt hat.516 Ähnliches gilt für unnicht in der Sicherstellung der ordnungsgemäßen Abgabe einer Willenserklärung, aber in der Aufklärung über die Bindungswirkung des Online-Angebots sieht. 513 Janal Sanktionen und Rechtsbehelfe bei der Verletzung verbraucherschützender Informations- und Dokumentationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr (2003) S. 150 f. 514 Vgl. EuGH 4.3.2004, Rs. C-264/02, Slg. 2004, I-2157 Rn. 27 – Sylvain Sachithanathan: Unterrichtung über Gesamtkosten eines Kredits nach der Verbraucherkreditrichtlinie „vor allem in der entscheidenden Phase vor Abschluss des Vertrages nützlich. Später, etwa bei einer Verlängerung des Vertrages zu unveränderten Konditionen, ist die – bereits erfolgte – Unterrichtung von geringer Bedeutung.“ 515 Grigoleit in: Eidenmüller u. a. (Hrsg.) Revision des Verbraucher-acquis (2011) 223, 258: „Nachforschungsaufwand“ als Einbuße. 516 Zur regelmäßig untergeordneten Bedeutung der exakten Angaben über die Identität des Unternehmers für den Verbraucher Ackermann ZEuP 2009, 230, 259; Martens AcP 211 (2011) 845, 864 (im Kontext des Anfechtungsrechts) mit dem Hinweis, dass nicht jede vorsätzliche Informationspflichtverletzung wie etwa die unterlassene Mitteilung der Telefonnummer (Art. 13 Abs. 1 lit. c, 15 lit. c EU-KaufrechtsVO-E) das Anfechtungsrecht auslösen sollte; Ackermann/Franck ERCL 8 (2012) 113, 123 mit den Beispielen des Art. 15 und Art. 24 Abs. 3 EU-KaufrechtsVO-E (= Art. 10 Abs. 1 E-Commerce-Richtlinie 2000/31). Siehe auch bereits Riehm Jura 2000, 505, 510, der auf den Vertragsschluss mit dem tatsächlichen Geschäftsinhaber nach den vertretungsrechtlichen Grundsätzen über unternehmensbezogene Geschäfte hinweist. Zumindest denkbar ist es, dass sich infolge der unterbliebenen oder unrichtigen Information zusätzliche Kosten des Verbrauchers ergeben, z. B. für die Rechtsverfolgung gegen einen Unternehmer mit unbekannter oder unrichtiger Anschrift (Art. 6 Abs. 1 lit. b–d RL 2011/83), bei der Zustellungen zunächst scheitern können oder die Anschrift ermittelt werden muss. Zum Teil sind derartige Kosten bereits im nationalen Recht aufgrund des allgemeinen Vertrags- oder Kostenrechts ersatzfähig, etwa als Teil eines Verzugsschadens im Hinblick auf den Hauptanspruch. Auch kann die Identität und Anschrift des Unternehmers für den Verbraucher von Interesse sein, wenn der Sitz und/oder die Identität des Unternehmers die Inanspruchnahme der Leistung (z. B. den Leistungsort) oder ihre Qualität (bestimmter Hersteller) beeinflusst, in diesen Fällen ist ein
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richtige Informationen über den Zugang zu außergerichtlichen Beschwerdeund Rechtsbehelfsverfahren,517 sofern sich daraus für den Verbraucher nicht ausnahmsweise zusätzliche Kosten oder andere Rechtsnachteile ergeben518 (z. B. weil er es infolge der Pflichtverletzung unterlässt, bei der zuständigen Stelle Klage/Beschwerde zu erheben oder ein obligatorisches Schlichtungsverfahren durchzuführen).519 Als weitere Beispiele sind die fehlerhafte Information über die verfügbaren Sprachen, über die Speicherung des Vertrags beim Anbieter oder die von ihm beachteten Verhaltenskodizes zu nennen,520 zumindest soweit letztere keinen Einfluss auf das Qualitätsversprechen der Leistung haben. In anderen Fällen ist die vorenthaltene Information zwar durchaus für den Verbraucher relevant, jedoch fehlt es trotz unrichtiger Information z. B. über den Leistungsinhalt oder die Vertragspflichten an einem Schaden, weil bereits durch andere Institute des Bürgerlichen Rechts der Inhalt des Vertrages an die Vorstellungen des Verbrauchers „angepasst“ wird bzw. von vorneherein entweder überhaupt kein Vertrag521 oder nur ein Vertrag mit dem Inhalt der Verbrauchervorstellungen zustande kommt.522 Als Beispiel lässt sich hier die Bindung523 des Unternehmers an die (unrichtige) vorvertragliche Beschreibung des Leistungsgegenstands (Art. 6 Abs. 1 lit. a RL 2011/83), des Preises oder sonstiger Vertragsinhalte nennen, weil die vorvertragliche BeSchadensersatzanspruch sachgerecht, dazu (und zur Anfechtung) Janal Sanktionen und Rechtsbehelfe bei der Verletzung verbraucherschützender Informations- und Dokumentationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr (2003) S. 204 f., 294. 517 Ähnlich Börger Sanktionen für die Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten (2010) S. 99 f., der bei Informationen über die Identität des Anbieters und über Beschwerdeverfahren primär den Markt- und nicht den Individualschutz berührt sieht, so dass Schadensersatzansprüche nicht geboten seien. 518 Demgegenüber dürften unrichtige Informationen über Rechtsbehelfe kaum je kausal für den Vertragsschluss sein, so dass ein Vertragsaufhebungsrecht ausscheidet. 519 Börger Sanktionen für die Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten (2010) S. 95; siehe auch ders. S. 159: „kaum ein Fall denkbar, in dem der Verbraucher […] ursächlich einen Schaden erleidet“. Siehe auch Jansen Revision des Verbraucher-acquis? (2012) S. 29: „Wenn beispielsweise eine alternative Form der Streitbeilegung weder gesetzlich vorgeschrieben noch wirksam vereinbart worden ist, braucht ein Verbraucher sich selbstverständlich nicht darauf einzulassen.“ 520 Grigoleit WM 2001, 597, 602; Hassemer MMR 2001, 635, 639. 521 Siehe Riehm Jura 2000, 505, 510 mit dem Hinweis auf die fehlende Einigung über essentialia negotii. 522 Vgl. dazu mit rechtsvergleichender Perspektive (D, E, F) Börger Sanktionen für die Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten (2010) S. 130 ff. 523 Denkbar ist, dass sich der Unternehmer aufgrund eines Willensmangels (§ 119 BGB) vom Vertrag lösen kann. Der Schaden des Verbrauchers entsteht dann aber nicht durch die unrichtige Information, sondern durch die Lösung vom Vertrag aufgrund des Willensmangels, so dass im nationalen Recht der Interessenausgleich zu suchen ist (zum deutschen Recht § 122 BGB).
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schreibung zum Vertragsinhalt geworden ist,524 so dass die Interessen des Verbrauchers – die sich, abgesehen von der üblichen Beschaffenheit, nur an den kommunzierten Leistungsmerkmalen orientieren können – bereits durch den Erfüllungsanspruch und die Gewährleistungsansprüche525 gewahrt sind.526 In anderen Fällen werden vorvertraglich unterlassene Angaben nach den Regeln über Vertragsschluss und Vertragsauslegung unter Berücksichtigung der AGB-rechtlichen Einbeziehungsvoraussetzungen bereits nicht Vertragsinhalt,527 so dass sich auch nicht die Frage nach einer Beeinträchtigung des Vertragspartners und eines Schadensersatzanspruchs stellt. Informiert der 524 Zur Bindung an die Leistungsbeschreibung Art. 5 Abs. 2 Timesharingrichtlinie 2008/122; ähnlich auch Art. 6 Abs. 1 Pauschalreiserichtlinie 2015/2302 und Art. 2 Abs. 2 lit. d und Art. 6 Abs. 1 Verbrauchergüterkaufrichtlinie 99/44 (zu Garantien); siehe auch Art. 6 Abs. 5 Verbraucherrechterichtlinie 2011/83: „Die Informationen nach Absatz 1 sind fester Bestandteil des Fernabsatzvertrags oder des außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrags und dürfen nicht geändert werden, es sei denn, die Vertragsparteien vereinbaren ausdrücklich etwas anderes.“ Siehe allerdings auch Erwägungsgrund 25 Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48: „Die Frage, ob die Informationen, die dem Verbraucher vor Abschluss des Kreditvertrags zu geben sind, möglicherweise verbindlichen Charakter haben, und die Dauer des Zeitraums, während dessen der Kreditgeber an diese Informationen gebunden sein soll, können von den Mitgliedstaaten geregelt werden.“ Für eine Verallgemeinerung der Verbindlichkeit vorvertraglicher Pflichtangaben von Vogel Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht (2005) S. 177. 525 Siehe auch Jansen Revision des Verbraucher-acquis? (2012) S. 35 zum Konkurrenzverhältnis zwischen der Haftung für eine Informationspflichtverletzung und dem Gewährleistungsrecht. Jansen geht davon aus, dass „jeder Sachmangel einen Verstoß gegen die Informationspflicht über diesen Mangel (Art. 13(1)(a) DCESL = Art. 5 Abs. 1 lit. a RL 2011/ 83) bedeutet“. M. E. trägt diese Prämisse nicht zwangsläufig, wenn es sich um den – bei Verbraucherverträgen vorherrschenden – Gattungskauf handelt: Bei diesen Geschäften bezieht sich die Vereinbarung und die vorvertragliche Information regelmäßig auf einen mangelfreien Gegenstand, nur der gelieferte Gegenstand entspricht nicht dem vertraglich Vereinbarten. Darin liegt aber nicht notwendigerweise eine Informationspflichtverletzung, sondern nur eine Leistungsstörung nach Vertragsschluss. Zum Konkurrenzverhältnis auch Janal Sanktionen und Rechtsbehelfe bei der Verletzung verbraucherschützender Informations- und Dokumentationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr (2003) S. 206, 211. 526 Grigoleit in: Eidenmüller u. a. (Hrsg.) Revision des Verbraucher-acquis (2011) 223, 259; Ackermann ZEuP 2009, 230, 263: Information über die Merkmale der Dienstleistung keine Pflicht, nicht einmal Obliegenheit, „allenfalls […] Informationslast“; Wendehorst in: MünchKommBGB II7 (2016) § 312d Rn. 18: „Soweit Informationen unzutreffend erteilt werden, muss sich der Unternehmer wegen § 312d Abs. 1 S. 2 regelmäßig zugunsten des Verbrauchers an ihnen festhalten lassen“; ausführlich Janal Sanktionen und Rechtsbehelfe bei der Verletzung verbraucherschützender Informations- und Dokumentationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr (2003) S. 192 f.; 205 ff. (zum Leistungsgegenstand und zu Gewährleistungsansprüchen), 221 (zu sonstigen Vertragspflichten und zum Widerrufsrecht); weitergehend Art 2:208(2) Acquis-Principles, die in solchen Fällen den Vertragsinhalt anhand der (nicht vereinbarten) „legitimen Erwartungen“ des Verbrauchers bestimmen wollen („contract contains the obligations which the other party could reasonably expect as a consequence of the absence or incorrectness of the information“).
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Unternehmer beispielsweise nicht über Zusatz- oder Rücksendekosten (vgl. Art. 6 Abs. 1 lit. e, i RL 2011/83) oder nennt er einen zu niedrigen Preis (Art. 6 Abs. 1 lit. c RL 2011/83), dann sind die Zuschläge nicht vertraglich vereinbart und vom Verbraucher nicht geschuldet (vgl. Art. 6 Abs. 6, Art. 14 Abs. 1 Satz 3 RL 2011/83; ähnlich Art. 6 RL 2015/2302).528 Dieser Rechtsgedanke kommt auch in Art. 22 RL 2011/83 zum Ausdruck, wonach der Unternehmer, bevor der Verbraucher durch ein Angebot gebunden ist, „dessen ausdrückliche Zustimmung zu jeder Extrazahlung einholen [muss], die über das vereinbarte Entgelt für die Hauptleistungspflicht des Unternehmers hinausgeht“, wobei der Unternehmer „diese Zustimmung nicht durch Verwendung von Voreinstellungen herbeiführen [kann], die vom Verbraucher abgelehnt werden müssen, wenn er diese zusätzliche Zahlung vermeiden will“.529 Der Rückgriff auf die dispositiven Regeln des Vertragsrechts530 bietet ferner eine Lösung für die zahlreichen „gegebenenfalls“ erforderlichen Informationen (Art. 6 Abs. 1 lit. m-s RL 2011/83), die sich regelmäßig auf gesetzlich 527 Einzelheiten sind hier streitig. Insbesondere Wendehorst in: MünchKommBGB II7 (2016) § 312d Rn. 13, 17 plädiert für eine Angleichung der Maßstäbe zur Einbeziehung von AGB und zur vorvertraglichen Information der Verbraucher: „Da der Verbraucher einen gesetzlichen Anspruch darauf hat, in der von § 312d mit Art. 246a und 246b EGBGB vorgeschriebenen Form über die dort genannten Punkte informiert zu werden, darf er ferner darauf vertrauen, dass ihm diese Punkte auch nicht als AGB ‚untergeschoben‘ werden und hätten sie insofern als ‚überraschende Klauseln‘ iSv § 305c Abs. 1 zu gelten“; Janal Sanktionen und Rechtsbehelfe bei der Verletzung verbraucherschützender Informations- und Dokumentationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr (2003) S. 222 f.; ferner Ackermann ZEuP 2009, 230, 260 (zur Dienstleistungsrichtlinie); Fleischer ZEuP 2000, 772, 793. Skeptischer gegenüber einer Verknüpfung von Informationspflichten und AGB-Einbeziehungskontrolle Riehm Jura 2000, 505, 510; Grigoleit NJW 2002, 1151, 1156: „keine besonderen Einbeziehungsvoraussetzungen“; Basedow in: MünchKommBGB II7 (2016) § 305 Rn. 56: „Keine Bedeutung für die Frage der Einbeziehung haben hingegen die im Rahmen von Fernabsatz-, Versicherungs- und Reiseverträgen geltenden besonderen Informationspflichten.“ 528 Eidenmüller/Jansen/Kieninger/G. Wagner/Zimmermann JZ 2012, 269, 277; Jansen Revision des Verbraucher-acquis? (2012) S. 31 (zur parallelen Regelung im Vorschlag für ein europäisches Kaufrecht KOM(2011) 635); siehe auch AG Halle 27.4.2010, 95 C 254/ 10 (095) (juris) zu einer Konstellation, in der mangels Einigung über den Preis wohl nicht einmal ein Vertrag zustande gekommen ist; LG Düsseldorf 25.7.2003, 22 S 3/02, NJW 2003, 3062 Rn. 2 (juris) (Stornopauschale gemäß § 651i Abs. 3 BGB nicht geschuldet, soweit nicht wirksam vereinbart). 529 Zu diesem Grundsatz auch EuGH 19.7.2012, Rs. C-112/11, ECLI:EU:C:2012:487 Rn. 16 – ebookers zu Art. 23 Abs. 1 letzter Satz der VO 1008/2008 über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft. 530 Zum Rückgriff auf die dispositiven Regeln des BGB (etwa §§ 448, 269; § 271; §§ 541, 614, 641; § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB) Janal Sanktionen und Rechtsbehelfe bei der Verletzung verbraucherschützender Informations- und Dokumentationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr (2003) S. 224 ff. (Preis, Leistungsort, Leistungszeitpunkt, Fälligkeit, Mindestlaufzeit, Beschaffungsrisiko, gesetzliches Widerrufsrecht).
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nicht geschuldete Leistungen des Unternehmers beziehen. Fehlt es an einer entsprechenden Information und Vertragseinigung, dann gelten entweder die dispositiven Vorschriften (z. B. zur Vertragslaufzeit und Mindestdauer, Art. 6 Abs. 1 lit. o, p RL 2011/83; zur Information über die Funktionsweise digitaler Inhalte und zur Interoperabilität digitaler Inhalte mit Hard- und Software, Art. 6 Abs. 1 lit. r, s;531 zur Lieferung Art. 18 RL 2011/83), oder die über das dispositive Recht hinausgehenden Verpflichtungen sind nicht vereinbart (z. B. ein Kundendienst oder zusätzliche Garantien, Art. 6 Abs. 1 lit. m RL 2011/ 83).532 Die formalen Anforderungen an die Lesbarkeit, Klarheit und Transparenz (Art. 7 Abs. 1 Satz 2 RL 2011/83) der vorvertraglichen Informationen schließlich lassen sich zumindest zum Teil über die Regeln zu Vertragsschluss und Vertragsinhalt des AGB-Rechts (Transparenzgebot und kundenfreundliche Interpretation, vgl. Art. 5 RL 93/13) auffangen,533 ohne dass es einer Sanktion durch Schadensersatzansprüche bedürfte.534 Andere Formverstöße etwa bei der Dokumentation des Vertragsschlusses lassen sich durch Modifikationen der Beweislast bewältigen, ohne dass es eines Schadensersatzanspruchs bedurfte.535 So muss der Unternehmer nach Art. 7 Abs. 1 RL 531 Insofern dürfte das dispositive Recht als vertragliche Nebenpflicht einen Anspruch auf eine Bedienungsanleitung vorsehen, BGH 5.7.1989, VIII ZR 334/88, NJW 1989, 3222, 3223. 532 Jansen Revision des Verbraucher-acquis? (2012) S. 29: „Nachteilige Folgen für den Verbraucher können daraus nicht resultieren.“ 533 Siehe Kocher ZEuP 2006, 785, 805 f., die bei Abweichung der Vertragskonditionen im Widerspruch zu Informationspflichten auf die Unbeachtlichkeit überraschender Klauseln (§ 305c Abs. 1 BGB) verweist. Einzelheiten zum Verhältnis von Einbeziehung und Informationspflichten sind streitig, vgl. bereits die Nachweise in Fn. 527. Umstritten ist darüber hinaus, ob auch der Verstoß gegen die Möglichkeit der Dokumentation der Vertragsbedingungen (vgl. Art. 10 Abs. 3 E-Commerce-Richtlinie 2000/31, Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Verbraucherrechterichtlinie 2011/83) Konsequenzen für die Einbeziehung von AGB hat, Janal Sanktionen und Rechtsbehelfe bei der Verletzung verbraucherschützender Informations- und Dokumentationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr (2003) S. 265 f. 534 In anderen Fällen kann der Verstoß gegen die formalen Anforderungen dazu führen, dass die (formwidrige) Information als nicht erteilt anzusehen ist, Janal Sanktionen und Rechtsbehelfe bei der Verletzung verbraucherschützender Informations- und Dokumentationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr (2003) S. 194. Verstöße gegen die Dokumentationspflichten haben regelmäßig Konsequenzen für die Beweislast, z. T. auch für den Beginn der Widerrufsfrist (Art. 6 Abs. 1 Satz 3 zweiter Spiegelstrich Finanzdienstleistungsfernabsatzrichtlinie 2002/65), z. T. sind sie durch eigene Erfüllungsansprüche sanktioniert oder führen zu Schadensersatzansprüchen für zusätzliche Informationsbeschaffungskosten. Schließlich kann eine für den Verbraucher günstigere Dokumentation der Vertragspflichten zu einer Vertragsänderung führen, zu Einzelheiten Janal Sanktionen und Rechtsbehelfe bei der Verletzung verbraucherschützender Informations- und Dokumentationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr (2003) S. 264 ff. 535 Zur Verteilung der Beweislast EuGH 18.12.2014, Rs. C-449/13, ECLI:EU:C: 2014:2464 Rn. 28 – CA Consumer Finance: „Demgegenüber wird die Effektivität der
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2011/83 die vorvertraglichen Informationen sowie eine Kopie des unterzeichneten Vertragsdokuments oder die Bestätigung des geschlossenen Vertrages dem Verbraucher „auf Papier oder, sofern der Verbraucher dem zustimmt, auf einem anderen dauerhaft lesbaren Datenträger“ bereitstellen. Fehlen in der schriftlichen Dokumentation verpflichtende vorvertragliche Angaben, so ist zugunsten des Verbrauchers im Sinne einer tatsächlichen Vermutung davon auszugehen, dass die Informationen nicht erteilt wurden.536 Besteht die Verpflichtung des Unternehmers in der Dokumentationsmöglichkeit für den Verbraucher (Art. 10 Abs. 3 E-Commerce-Richtlinie 2000/31), so rechtfertigt dies eine Umkehr der objektiven Beweislast, sofern der Verbraucher substantiiert einen bestimmten Inhalt der Vereinbarung vorträgt.537 cc) Vertragsaufhebung als Schadensersatz Während bestimmte Informationspflichtverletzungen also von vorneherein mangels Schadens keine Ansprüche auslösen können, liegen Schadensersatzansprüche des Vertragspartners vor allem bei solchen Pflichtverletzungen nahe, die sich auf Informationen über den Leistungsgegenstand, den Preis und die sonstigen Vertragspflichten beziehen, weil es hier in erster Linie um Individualschutz geht.538 So hat der Gerichtshof im Kontext der Informationspflichten der E-Commerce-Richtlinie 2000/31 entschieden, dass
Ausübung der durch die Richtlinie 2008/48 eingeräumten Rechte durch eine innerstaatliche Bestimmung, nach der der Kreditgeber grundsätzlich verpflichtet ist, vor dem Richter den Beweis für die ordnungsgemäße Erfüllung dieser vorvertraglichen Verpflichtungen zu erbringen, gewährleistet. Eine solche Bestimmung soll […] den Verbraucherschutz gewährleisten, ohne unverhältnismäßig in das Recht des Kreditgebers auf ein faires Verfahren einzugreifen. Wie der Generalanwalt in Nr. 35 seiner Schlussanträge betont, muss sich ein sorgfältiger Kreditgeber nämlich der Notwendigkeit bewusst sein, Beweise für die Erfüllung der ihm obliegenden Informations- und Erläuterungspflichten zu sammeln und zu sichern.“ 536 Janal Sanktionen und Rechtsbehelfe bei der Verletzung verbraucherschützender Informations- und Dokumentationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr (2003) S. 235 (zu Vorgängervorschriften der RL 2011/83). 537 Janal Sanktionen und Rechtsbehelfe bei der Verletzung verbraucherschützender Informations- und Dokumentationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr (2003) S. 236. 538 Zur Funktion der Preisinformation etwa EuGH 4.3.2004, Rs. C-264/02, Slg. 2004, I-2157 Rn. 26 – Sylvain Sachithanathan: „Die Unterrichtung des Verbrauchers von den Gesamtkosten des Kredits in Form eines nach einer einheitlichen mathematischen Formel berechneten Zinssatzes ist dabei von besonderer Bedeutung. Zum einen trägt diese Unterrichtung, die nach Artikel 3 der Richtlinie schon in der Werbung zu erfolgen hat, zur Transparenz des Marktes bei, da sie es dem Verbraucher ermöglicht, Kreditangebote zu vergleichen. Zum anderen ermöglicht sie es dem Verbraucher, den Umfang seiner Verpflichtung einzuschätzen.“
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„es die von dem Diensteanbieter mitgeteilten Informationen den Nutzern des Dienstes ermöglichen, die Tragweite ihrer zukünftigen Verpflichtung zu beurteilen und so die Gefahr bestimmter Irrtümer zu vermeiden, die zum Abschluss eines nachteiligen Vertrags führen können“.539
Wenn nun aber der Zweck der Informationspflichten die Information der Verbraucher über die Tragweite ihrer Verpflichtung zwecks Vermeidung von Irrtümern ist, dann liegt es nahe, bei unrichtiger Information und einem darauf beruhenden „Abschluss eines nachteiligen Vertrags“ den Unternehmer – analog zum Risikoüberwälzungsgedanken aus Schulte – zur Aufhebung des nachteiligen540 Vertrages zu verpflichten, um den Verbraucher in die Situation zu versetzen, in der er sich bei korrekter Information befunden hätte, und zwar unabhängig von der wirtschaftlichen Nachteiligkeit des Vertragsschlusses. 541 So ist durchaus denkbar, dass der Verbraucher in der vorvertraglichen Phase unrichtig informiert wird und sich zum Abschluss eines Vertrages entschließt, in dessen Bedingungen aber das vorvertragliche „Versprechen“ nicht aufgenommen wird und auch nicht im Wege der Auslegung eingeführt werden kann (z. B. bei explizit abweichender Regelung im Vertragstext).542 Zwar ist zutreffend, dass auch die Wissenserklärungen im Vorstadium der rechtsgeschäftlichen Erklärungen zu Angebot und Annahme den Vertragsinhalt beeinflussen können. Jedoch lässt sich aus vorvertraglichen Erklärungen nicht in 539 EuGH 16.10.2008, Rs. C-298/07, Slg. 2008, I-7841 Rn. 23 – deutsche internet versicherung; ebenso zur Information über die Gesamtkosten eines Kredits EuGH 4.3.2004, Rs. C-264/02, Slg. 2004, I-2157 Rn. 26 – Sylvain Sachithanathan: „Zum anderen ermöglicht sie es dem Verbraucher, den Umfang seiner Verpflichtung einzuschätzen“; zum Versicherungsrecht EuGH 5.3.2002, Rs. C-386/00, Slg. 2002, I-2209 Rn. 28 – Axa Royale Belge: Ziel, „dem Versicherungsnehmer die Informationen zu verschaffen, die er benötigt, um den seinen Bedürfnissen am ehesten entsprechenden Vertrag auswählen und dadurch die ihm zur Verfügung stehende größere Auswahl von Verträgen im Rahmen eines einheitlichen Versicherungsmarkts voll nutzen zu können“. 540 Bereits an einem nachteiligen Vertrag fehlt es, wenn andere Institute des Bürgerlichen Rechts den Inhalt des Vertrages an die Vorstellungen des Verbrauchers „anpassen“, dazu oben § 5 I 2 d bb → S. 283. 541 Der BGH macht die wirtschaftliche Nachteiligkeit des Vertrages zwar grundsätzlich zur Voraussetzung des Schadensersatzanspruchs, bejaht diese Voraussetzung aber trotz objektiver Werthaltigkeit bei subjektiver Zweckverfehlung, BGH 8.3.2005, XI ZR 170/04, NJW 2005, 1579, 1580: „kann sogar bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung einen Vermögensschaden dadurch erleiden, dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist“. Zur Anknüpfung an die Verletzung der Willensbildungsfreiheit als Schaden Grüneberg in: Palandt BGB75 (2016) § 311 Rn. 13: „bereits der Eingriff in die persönl EntschFreih den Anspruch begründet“. 542 Darauf weist Kocher ZEuP 2006, 785, 797 hin, die selbst aber das Problem über die Vertragsauslegung vor dem Hintergrund der vorvertraglichen Angaben lösen will (801 ff.); ähnlich Angermann Die Verletzung vertragsschlussbezogener Informationspflichten des Europäischen Privatrechts (2010) S. 193. Zur Verknüpfung von AGB-Einbeziehung und vorvertraglichen Informationspflichten die Nachweise oben in Fn. 527.
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allen Fällen auf eine auch vertraglich verbindliche Vereinbarung schließen.543 So bestimmt Erwägungsgrund 25 der Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48 ausdrücklich, dass „[d]ie Frage, ob die Informationen, die dem Verbraucher vor Abschluss des Kreditvertrags zu geben sind, möglicherweise verbindlichen Charakter haben, und die Dauer des Zeitraums, während dessen der Kreditgeber an diese Informationen gebunden sein soll, […] von den Mitgliedstaaten geregelt werden“ können.
In einer solchen Situation besteht ein Bedürfnis, die Irreführung (auch) durch einen individuellen Schadensersatzanspruch auf Vertragsaufhebung zu sanktionieren, falls die Divergenz von vorvertraglicher und vertraglicher Erklärung als Informationspflichtverletzung (und nicht lediglich als zulässige und hinreichend deutliche Korrektur der unrichtigen vorvertraglichen Information) anzusehen ist.544 Hat die unrichtige Information über wesentliche Eigenschaften der Waren oder Dienstleistungen nämlich eine unrichtige Vorstellung des Verbrauchers über den Vertragsgegenstand zur Folge und hätte der Verbraucher den Vertrag in Kenntnis der wahren Umstände so nicht abgeschlossen, „so hat sich in der Divergenz zwischen Vertragsinhalt und Erwartungen des Verbrauchers das schutzzweckspezifische Risiko [der Informationspflicht über wesentliche Eigenschaften der Waren oder Dienstleistungen] realisiert“.545 Ein ähnliches Interesse für einen Anspruch auf Vertragsaufhebung besteht bei Informationspflichtverletzungen, die sich auf den technischen Ablauf des 543 Vgl. Art. 2 Abs. 4 und Erwägungsgrund 8 Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 99/44: Vermutung der Vertragsmäßigkeit „stellt keine Einschränkung des Grundsatzes der Vertragsfreiheit dar“, „in Ermangelung spezifischer Vertragsklauseln“. 544 Wohl a. A. Jansen Revision des Verbraucher-acquis? (2012) S. 32, der darauf verweist, dass Informationen über die Eigenschaften der Kaufsache zwar nicht bereits aufgrund des Vertragsschlussmechanismus entbehrlich seien, aber die Informationsinteressen des Käufers „bereits durch seine Gewährleistungsansprüche einerseits und sein Widerrufsrecht andererseits adäquat geschützt werden“. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Gewährleistungsansprüche von der vertraglichen Einigung über den Kaufgegenstand abhängen, die durchaus, wie sich an Art. 2 Abs. 4 und Erwägungsgrund 8 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44 („in Ermangelung spezifischer Vertragsklauseln“) zeigt, vom Inhalt vorvertraglicher Information abweichen kann, ohne dass dies dem Verbraucher hinreichend klar zur Kenntnis gebracht wurde. Das Widerrufsrecht wiederum besteht regelmäßig nur 14 Tage, weil jedenfalls im allgemeinen Verbrauchervertragsrecht nicht jeder Belehrungsfehler (z. B. über den Vertragsinhalt) den verlängerten Lauf der Widerrufsfrist auslöst, sondern nur die fehlerhafte Widerrufsbelehrung (vgl. Art. 10 Abs. 1 RL 2011/83). Vgl. auch OLG Celle 23.3.2009, 11 U 45/09, RRa 2009, 174 Rn. 9 (juris), das eine Informationspflicht des Reiseveranstalter über ihm bekannte Beeinträchtigungen (= Reisemängel) verneint. 545 Janal Sanktionen und Rechtsbehelfe bei der Verletzung verbraucherschützender Informations- und Dokumentationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr (2003) S. 216 f.; zum Schutzzweck der Informationspflichten EuGH 16.10.2008, Rs. C-298/07, Slg. 2008, I-7841 Rn. 23 – deutsche internet versicherung.
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Vertragsschlusses beziehen, also die Information über die technischen Schritte zum Vertragsschluss und die technischen Mittel zur Korrektur von Eingabefehlern (Art. 10 Abs. 1 lit. a, c, Art. 11 Abs. 2 E-Commerce-Richtlinie 2000/31), sofern es aus Perspektive eines objektivierten Empfängers trotz der unrichtigen Angaben zum Vertragsschluss gekommen ist.546 Auch bei Verletzung der Pflicht zur Bestätigung einer elektronischen Bestellung (Art. 11 Abs. 1 E-Commerce-Richtlinie 2000/31) ist dem Verbraucher ein Vertragsaufhebungsanspruch zuzubilligen, soweit er seinen Bedarf zwischenzeitlich anderweitig gedeckt hat und er bei rechtzeitiger Information den zweiten Vertrag nicht abgeschlossen hätte.547 Zwar mögen in vielen der hier genannten Fälle auch die nationalen Regeln über Nichtigkeit548 oder Willensmängel549 bereits eine Abhilfe ermöglichen. Indes löst eine Informationspflichtverletzung weder zwangsläufig ein Anfechtungsrecht aus (weil die Tatbestände des Irrtums und der Informationspflichtverletzung nicht vollständig kongruent sind550 und weil sich die Beweisanforderungen an die Kausalität der Informationspflichtverletzung für
546 Hassemer MMR 2001, 635, 639; Grigoleit NJW 2002, 1151, 1157; a. A. Janal Sanktionen und Rechtsbehelfe bei der Verletzung verbraucherschützender Informationsund Dokumentationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr (2003) S. 180 f. (Verantwortlichkeit für Erklärungsirrtümer und fehlendes Erklärungsbewusstsein liege auch bei unrichtigen Angaben zum Vertragsschlussmechanismus beim Erklärenden, Abhilfe sei nur über ein Anfechtungsrecht nach § 119 Abs. 1 BGB analog möglich). Ist bereits nach §§ 133, 157 BGB kein Vertrag geschlossen worden, bedarf es keines Aufhebungsanspruchs, es sei denn, der Verbraucher vertraute auf die Rechtsverbindlichkeit seiner invitatio ad offerendum, dazu oben § 5 I 2 d aa → S. 282. 547 Janal Sanktionen und Rechtsbehelfe bei der Verletzung verbraucherschützender Informations- und Dokumentationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr (2003) S. 185 f. 548 Dazu EuGH 17.12.2009, Rs. C-227/08, Slg. 2009, I-11939 – Eva Martín Martín. Zur Nichtigkeit bzw. Nichtdurchsetzbarkeit des Vertrages bei Informationspflichtverletzungen im französischen und englischen Recht vgl. Börger Sanktionen für die Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten (2010) S. 126, 128. 549 §§ 119 Abs. 1 und 2, 123 BGB; dazu Grüneberg in: Palandt BGB75 (2016) Einf v 238 EGBGB Rn. 4; Martens AcP 211 (2011) 845 (zum Vorschlag für ein einheitliches Europäisches Kaufrecht). 550 Auch wenn man davon ausgeht, dass jeder Irrtum über Merkmale des Vertragsgegenstands, der durch eine unrichtige Information über die Eigenschaften der Ware oder Dienstleistung hervorgerufen wurde, einen Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften i. S. d. § 119 Abs. 2 BGB darstellt (so Janal Sanktionen und Rechtsbehelfe bei der Verletzung verbraucherschützender Informations- und Dokumentationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr (2003) S. 215), so folgt daraus nicht zwangsläufig auch, dass der Verbraucher die Erklärung „bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde“, zum Ausschluss der Irrtumsanfechtung bei unwesentlichen Nebenpunkten Ellenberger in: Palandt BGB75 (2016) § 119 Rn. 31.
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den Vertragsschluss bei c.i.c. und Anfechtung unterscheiden),551 noch sind die Rechtsfolgen des Willensmängelrechts uneingeschränkt geeignet, um die Informationspflichten des Unionsrechts durchzusetzen.552 dd) Ersatz von Begleitschäden Neben dem Abschluss eines in dieser Form nicht gewollten Vertrages kann eine Informationspflichtverletzung zur Folge haben, dass die Vertragsdurchführung beeinträchtigt wird oder sich Folge- und Begleitschäden außerhalb des Vertragsverhältnisses ergeben. So ist denkbar, dass sich der Verbraucher auf eine unrichtige Information verlassen hat, aus der sich für ihn ein Nachteil ergibt, der nicht unmittelbar aus dem Vertrag mit dem Unternehmer folgt (z. B. die verweigerte Einreise bei unrichtiger Information über Visabestimmungen in einem Pauschalreisevertrag,553 die Angabe des unrichtigen Flughafens auf der Reisebestätigung554 oder die Nebenkosten des von einem Dritten angebotenen elektronischen Bezahlsystems555). Der Ersatz von Begleitschäden als weitere Dimension des Schadensersatzanspruchs bei Informationspflichtverletzungen scheint in einer Entscheidung des Gerichtshofs zur Auslegung des Begriffs der „schriftlichen Bestätigung der Informationen“ in Art. 5 Abs. 1 RL 97/7 auf. Dort hat der EuGH klargestellt, dass die formalen Anforderungen an die Information des Verbrauchers „sicherstellen soll[en], dass dem Verbraucher die Informationen übermittelt werden, die zur ord-
551 Zur Anfechtung vgl. Weiler in: Tamm/Tonner Verbraucherrecht (2012) § 18 Rn. 69: „Bei gesetzlichen Informationspflichten muss die Kausalität stets positiv festgestellt werden“ gegenüber ders. in: Tamm/Tonnner Verbraucherrecht (2012) § 18 Rn. 96 (im Kontext des Schadensersatzanspruchs): „Indessen gilt für die Verletzung von Aufklärungspflichten die Vermutung aufklärungsgerechten Verhaltens“; kritisch zu den unterschiedlichen Standards bei c.i.c. und Anfechtungsrecht Grigoleit Vorvertragliche Informationshaftung (1997) S. 163, 178. 552 Einpassungsprobleme ergeben sich beim Ausschluss des Schadensersatzanspruchs des Unternehmers gemäß § 122 BGB; zur Lösung über § 122 Abs. 2 BGB oder § 242 BGB Börger Sanktionen für die Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten (2010) S. 131 f.; Grüneberg in: Palandt BGB75 (2016) Einf v 238 EGBGB Rn. 4. 553 Zu diesem Beispiel OGH 18.9.2009, 6 Ob 142/09 i, ZVR 2010/97, 204 ff.; OLG Rostock 7.8.2008, 1 U 143/08, NJW-RR 2009, 346 Rn. 18 f. (juris) (Sanktion nicht über § 280 BGB, sondern Anspruch aus § 651f Abs. 1 BGB); siehe auch LG Frankfurt 30.4.2009, 2-24 S 136/08, 2/24 S 136/08, RRa 2009, 221 Rn. 23 (juris); AG Leipzig 6.4.2011, 113 C 6263/10, RRa 2011, 120 Rn. 27 (juris) (dort Passivlegitimation des Reisebüros verneint); AG Baden-Baden 10.7.2009, 16 C 2/09, RRa 2009, 281 Rn. 19 (juris). 554 Beispiel nach AG Rostock 23.4.2010, 43 C 212/09, RRa 2010, 265 Rn. 23 (juris) (Lösung über einen vertraglichen Schadensersatzanspruch gemäß § 651f Abs. 1 BGB). 555 Zu diesem Beispiel Janal Sanktionen und Rechtsbehelfe bei der Verletzung verbraucherschützender Informations- und Dokumentationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr (2003) S. 230 f.
II. Funktionen des Schadensersatzanspruchs
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nungsgemäßen Vertragserfüllung […] erforderlich sind“.556 Wenn nun aber die Information der ordnungsgemäßen Vertragserfüllung dienen soll, dann sollten auch die Rechtsbehelfe bei Informationspflichtverletzungen an diesem Ziel orientiert sein und den Unternehmer für die Schäden haftbar machen, die eine ordnungsgemäße Vertragserfüllung (z. B. den Antritt einer Urlaubsreise) infolge einer Informationspflichtverletzung vereiteln. ee) Ergebnisse Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Unionsrecht individuelle Schadensersatzansprüche für die Verletzung (vor-)vertraglicher Informationspflichten vorgibt, soweit diese nicht für den Verbraucher bedeutungslos war und soweit der Schaden des Verbrauchers nicht bereits durch andere Instrumente des Vertragsrechts aufgefangen wird. Schadensersatzansprüche wegen Informationspflichtverletzungen kommen damit in erster Linie bei leistungsbezogenen Informationspflichten in Betracht, wobei sie regelmäßig auf zwei Ziele gerichtet sein können: Zum einen ist möglich, dass der Verbraucher am Vertrag festhalten will, aber einen Folge- oder Begleitschaden aufgrund der Informationspflichtverletzung liquidieren will (z. B. zusätzliche Rechtsverfolgungskosten wegen unrichtiger Anschrift des Unternehmers oder fehlender Angaben über Streitbeilegungsmechanismen).557 Zum anderen ist denkbar, dass der Verbraucher infolge der unrichtigen Information an einen vom ihm so nicht gewünschten Vertrag gebunden ist, so dass ihm ein Recht zur Vertragsaufhebung zwecks Kompensation seines Schadens, nämlich der Bindung an den Vertrag, offen stehen kann. In diesen Fällen hängt es davon ab, ob der Informationspflichtverstoß kausal für den Schaden, nämlich den Vertragsschluss wurde, insbesondere ob die Information hinreichend gewichtig und entscheidungserheblich war, um dem Verbraucher eine Vertragsaufhebung zu gestatten. Auf diesen Aspekt ist bei der Kausalität zurückzukommen (§ 5 VI 2 → S. 315).558 II. Funktionen des Schadensersatzanspruchs II. Funktionen des Schadensersatzanspruchs
Die Funktion des Schadensersatzanspruchs im Verbrauchervertragsrecht liegt zunächst in der Kompensation der Verbraucher für die durch die InformatiEuGH 5.7.2012, Rs. C-49/11, ECLI:EU:C:2012:419 Rn. 34 – Content Services; siehe auch Rn. 36. 557 Vgl. aber auch Ackermann ZEuP 2009, 230, 261 (der allerdings auch auf die Möglichkeit eines Nebenanspruchs zum Leistungsstörungsanspruch hinweist, 259); siehe auch Grigoleit in: Eidenmüller u. a. (Hrsg.) Revision des Verbraucher-acquis (2011) 223, 259 f., der eine Lösung über Beweiserleichterungen oder Verlängerung von Fristen vorschlägt. 558 Vgl. Ackermann ZEuP 2009, 230, 259, der ein generelles „Reuerecht“ bei Verstoß gegen personenbezogene Informationspflichten ablehnt, gleichzeitig aber die Möglichkeit einer Vertragsaufhebung über eine Anfechtung nach §§ 119 Abs. 2, 123 BGB oder culpa in contrahendo (§§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1, 249 Abs. 1 BGB) bejaht. 556
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§ 5 Verbrauchervertragliche Informationspflichten
onspflichtverletzung erlittenen Nachteile. So verpflichtet der EuGH die Mitgliedstaaten in seiner Entscheidung Schulte zur Belehrungsmängelhaftung, „dafür zu sorgen, dass ihre Rechtsvorschriften die Verbraucher schützen, die es nicht vermeiden konnten, sich solchen Risiken [Risiken des Immobilienerwerbs] auszusetzen, indem sie Maßnahmen treffen, die verhindern, dass die Verbraucher die Folgen der Verwirklichung dieser Risiken tragen“.559
Dem EuGH geht es um die „Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands“560 und damit zunächst um ein kompensatorisches Anliegen. Seine Begründung beruht maßgeblich auf hypothetischen Erwägungen zum Ablauf des Geschehens, wenn die Bank die Verbraucher ordnungsgemäß über ihr Widerrufsrecht belehrt hätte; der Folgenbeseitigungsanspruch dient der Wiederherstellung dieser Situation.561 Auf der anderen Seite ist nicht zu übersehen, dass der Gerichtshof in Schulte mehr zugesprochen hat als die „Wiederherstellung der ursprünglichen Situation“. Die „ursprüngliche Situation“ bestand in einem siebentägigen Widerrufsrecht für einen Vertrag, der aus Sicht der vertragsschließenden Verbraucher zum Abschlusszeitpunkt wirtschaftlich attraktiv erschien. Die Einräumung eines Vertragslösungsrechts nach vielen Jahren in Kenntnis der wirtschaftlich ungünstigen Entwicklung der Geldanlage mit der Möglichkeit einer Risikoverlagerung auf die finanzierende Bank ist etwas anderes als ein Lösungsrecht wenige Tage nach Vertragsschluss, wenn die Entwicklung der Kapitalanlage noch erfolgsversprechend, mindestens unsicher erscheint.562 559 EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 101 – Schulte. 560 EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 92 (auch Rn. 88: „Wiederherstellung der ursprünglichen Situation“) – Schulte; EuGH 15.4.2010, Rs. C-215/08, Slg. 2010, I-2947 Rn. 45 – E.Friz. Dezidiert enger noch BGH 27.1.2004, XU ZR 37/03, NJW 2004, 1376, 1378: „Das Widerrufsrecht nach § 1 Abs. 1 HWiG dient dem Zweck, die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit des Kunden zu gewährleisten, indem es ihm die Möglichkeit einräumt, sich von einem aufgrund einer – mit einem Überraschungsmoment verbundenen – Haustürsituation geschlossenen Vertrag zu lösen. Bei einem Darlehensvertrag dient das Widerrufsrecht jedoch nicht dem Ziel, das wirtschaftliche Risiko der Verwendung des Darlehens vom Darlehensnehmer auf den Darlehensgeber abzuwälzen.“ 561 EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 97 – Schulte: „Hätte die Bausparkasse die Eheleute Schulte rechtzeitig über deren Widerrufsrecht nach dem HWiG belehrt, so hätten diese sieben Tage Zeit gehabt, um ihre Entscheidung, den Darlehensvertrag zu schließen, rückgängig zu machen. Hätten sie sich zu diesem Zeitpunkt zum Widerruf entschlossen, so steht fest, dass in Anbetracht des Verhältnisses zwischen dem Darlehensvertrag und dem Kaufvertrag Letzterer nicht zustande gekommen wäre“; siehe auch Rn. 99. 562 Deutlich Benedict AcP 206 (2006) 56, 64: „Die volle Last der Rückabwicklung aber damit begründet zu sehen, sie [die Banken] wären ihrer ‚Verpflichtung‘ (sic!), den Anleger ‚über sein Widerrufsrecht zu belehren‘ nicht nachgekommen, muss jedem, der ganz losge-
II. Funktionen des Schadensersatzanspruchs
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Zumindest wenn man – wie es nach Schulte unionsrechtlich unvermeidbar erscheint (unten § 5 VI 1 → S. 310) – das Risiko der Nichtaufklärbarkeit des Widerrufs auf die Bank verlagert, dann dient die Risikoüberwälzung mindestens zugleich, möglicherweise sogar vor allem auch dazu, einen Anreiz dafür zu schaffen, künftige Belehrungsverstöße zu vermeiden.563 Jedes Kreditinstitut wird sehr sorgfältig auf die Wahrung der Belehrungsformalitäten achten, wenn der Preis für die Unachtsamkeit die Überwälzung von Risiken fehlgeschlagener Immobilieninvestments für mehrere Jahre ist.564 Der Gedanke der Prävention, der in Schulte zwar nicht ausdrücklich, aber in den Konsequenzen aufscheint, lässt sich explizit in der benachbarten Judikatur zum Verbraucherrecht nachweisen.565 So hat der EuGH in der Entscheidung Heininger zur löst von allem ökonomischen Kalkül nur ein Quentchen Rechtsbewußtsein in sich trägt, ein kalter Schlag ins Gesicht sein.“ 563 Hoffmann ZIP 2005, 1985, 1987: „Dies deutet darauf hin, dass die Haftung Sanktionscharakter hat und die Unternehmer von einer Verletzung ihrer Belehrungspflichten abgeschreckt werden sollen“; Staudinger NJW 2005, 3521, 3523: „Die überschießende Sanktion hat damit abschreckenden Charakter“; vgl. auch Franzen FS Canaris I (2007) 251, 256: „EuGH instrumentalisiert seine Risikoüberlegungen für einen ganz anderen Zweck: sie sollen den Umstand kompensieren, dass die Richtlinien 85/577/EWG keine aus Sicht des EuGH hinreichende Sanktionsregelung […] enthält“; Angermann Die Verletzung vertragsschlussbezogener Informationspflichten des Europäischen Privatrechts (2010) S. 203. Weitergehend („Strafe“) Benedict AcP 206 (2006) 56, 61 „quasi Strafschadensersatz“, 64: „Zumutungen distributiver Gerechtigkeitsvorstellungen“; Jungmann WM 2006, 2193, 2194: „Haftung wird Strafcharakter beigemessen“ (in Fn. 38 allerdings „Sanktionscharakter“); Börger Sanktionen für die Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten (2010) S. 62 konstatiert „eindeutig pönale Elemente, da der Bank das Verwendungsrisiko für den Kredit für den Fall des Zusammenarbeitens von Bank und Verkäufer auferlegt wird“; ebenso S. 179. Der Begriff der „Sanktion“ ist im Unionsrecht nicht strafrechtlich vorgeprägt, sondern erfasst auch zivilrechtliche Rechtsbehelfe ohne Strafzweck, siehe bereits oben Teil 1 – Fn. 11. Dies scheint in den Stellungnahmen zur Schulte-Entscheidung nicht immer eindeutig getrennt zu werden, wenn die Bezeichnung als „Sanktion“ dazu verleitet, der Haftung „Strafcharakter“ zuzumessen. 564 Zu „präventive[n] und repressive[n] Züge[n]“ in der Schadensberechnung bei Aufklärungspflichtverletzungen nach deutschem Recht bereits Basedow NJW 1982, 1030, 1031 (zu BGH 1.4.1981, VIII ZR 51/80, NJW 1981, 2050); anders Grigoleit Vorvertragliche Informationshaftung (2002) S. 205 Fn. 121, der die Entscheidung mit einem vertraglichen Schutz der Erwartungen des Informationsberechtigten erklärt. 565 Zur Berücksichtigung der Steuerungswirkung im Verbraucherrecht siehe auch (im Kontext der Überwälzung von Rücksendekosten auf den Verbraucher bei Ausübung des Widerrufsrechts) EuGH 3.9.3009, Rs. C-489/07, Slg. 2009, I-7315 Rn. 19 – Pia Messner: „Wäre dieses Recht nämlich mit negativen Kostenfolgen verbunden, könnte dies den Verbraucher davon abhalten, von diesem Recht Gebrauch zu machen“; EuGH 15.4.2010, Rs. C-511/08, Slg. 2010, I-3047 Rn. 54, 58 – Handelsgesellschaft Heinrich Heine: „Da mit Art. 6 daher eindeutig das Ziel verfolgt wird, den Verbraucher nicht von der Ausübung seines Widerrufsrechts abzuhalten, liefe eine Auslegung, nach der es den Mitgliedstaaten erlaubt wäre, eine Regelung vorzusehen, die dem Verbraucher im Fall eines solchen Wi-
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Begründung der unbefristeten Widerrufsmöglichkeit bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung566 oder in Calderón Camino zur Begründung der zwingenden Nichtigkeitsfolge bei missbräuchlichen Vertragsklauseln567 auch Präventionsgesichtspunkte herangezogen.568 Für eine durch mehr als nur kompensatorische Anliegen geprägte Sichtweise spricht auch die Judikatur zu den prozessualen Konsequenzen eines Belehrungsmangels (Amtsermittlung), die das Widerrufsrecht immerhin in den Rang der öffentlichen Ordnung erhebt.569 Hier derrufs die Kosten der Zusendung in Rechnung stellt, diesem Ziel zuwider“; „Zudem kann die abschreckende Wirkung, die es auf die Ausübung des Widerrufsrechts durch den Verbraucher hätte, wenn ihm diese Kosten auferlegt würden, nicht dadurch beseitigt werden, dass er vor Vertragsschluss über die Höhe der Zusendungskosten unterrichtet worden ist“ (Hervorhebung nicht im Original). 566 EuGH 13.12.2001, Rs. C-481/99, Slg. 2001, I-9945 Rn. 47 – Heininger: „Zu dem Vorbringen, dass eine Befristung des Widerrufsrechts aus Gründen der Rechtssicherheit unerlässlich sei, ist schließlich zu bemerken, dass solche Gründe zurücktreten müssen, soweit sie eine Einschränkung der Rechte implizieren, die dem Verbraucher mit der Haustürgeschäfterichtlinie ausdrücklich verliehen worden sind, um ihn vor den Gefahren zu schützen, die sich daraus ergeben, dass Kreditinstitute bewusst Realkreditverträge außerhalb ihrer Geschäftsräume abschließen. Wenn die Kreditinstitute nämlich so verfahren, um ihre Dienste zu vermarkten, so können sie sowohl den Verbraucherinteressen als auch ihrem eigenen Bedürfnis nach Rechtssicherheit ohne Schwierigkeit dadurch Rechnung tragen, dass sie ihrer Obliegenheit zur Belehrung des Verbrauchers nachkommen“ (Hervorhebung nicht im Original). 567 Dazu EuGH 14.6.2012, Rs. C-618/10, ECLI:EU:C:2012:349 Rn. 69 – Banco Español de Crédito: „In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass […], wenn es dem nationalen Gericht freistünde, den Inhalt der missbräuchlichen Klauseln in solchen Verträgen abzuändern, eine derartige Befugnis die Verwirklichung des langfristigen Ziels gefährden könnte, das mit Art. 7 der Richtlinie 93/13 verfolgt wird. Diese Befugnis trüge nämlich dazu bei, den Abschreckungseffekt zu beseitigen, der für die Gewerbetreibenden darin besteht, dass solche missbräuchlichen Klauseln gegenüber dem Verbraucher schlicht unangewendet bleiben“ (Hervorhebung nicht im Original); ebenso EuGH 30.4.2014, Rs. C-26/ 13, ECLI:EU:C:282 Rn. 79 – Kásler: „Abschreckungseffekt“ (aber auch Rn. 80: Rückgriff auf dispositives nationales Recht zur Ersetzung nichtiger Klausel zulässig). 568 In EuGH 4.10.2007, Rs. C-429/05, Slg. 2007, I-8017 Rn. 66 – Rampion hatte die beklagte Bank im Rahmen eines Verbraucherkreditgeschäfts ausdrücklich ausgeführt, dass eine Sanktion, die von Amts wegen vom Gericht angeordnet wird und zum Verlust des Zinsanspruchs des Kreditgebers führe, eine „Privatstrafe“ sei, die nicht von Amts wegen verhängt werden könne, ohne dass der Dispositionsgrundsatz und der in Art. 6 EMRK niedergelegte Anspruch auf einen fairen Prozess verletzt würde. Der Gerichtshof hat sich zu diesem Argument nicht geäußert. 569 EuGH 17.12.2009, Rs. C-227/08, Slg. 2009, I-11939 Rn. 29 – Eva Martín Martín: fehlerhafte Belehrung über das Haustürwiderrrufsrecht kann von Amts wegen berücksichtigt werden, da das Widerrufsrecht Teil der öffentlichen Ordnung sei (Rn. 28); ähnlich zu Art. 11 Abs. 2 der Verbraucherkreditrichtlinie 87/102 EuGH 4.10.2007, Rs. C-429/05, Slg. 2007, I-8017 Rn. 63 ff. – Rampion; zu den Informationspflichten der neuen Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48 EuGH 21.4.2016, Rs. C-377/14, ECLI:EU:C:2016:283 Rn. 60 ff. – Radlinger.
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greift der EuGH auf die Formulierung „Verstoß gegen eine Verpflichtung ahndet“ („sanctionne“)570 zurück, um eine nationale Maßnahme (Nichtigkeitsfolge bei fehlerhafter Belehrung) als „geeignet“ i. S. d. allgemeinen Sanktionsklausel der Haustürwiderrufsrichtlinie einzustufen.571 Die Verbindung zwischen der Information der Verbraucher und der Ausübung der Verbraucherrechte, die ein Abfärben der wirksamkeitsorientierten Auslegung des Verbraucherrechts auf die Rechtsbehelfe nahelegt, lässt sich schließlich auch anhand der Judikatur zum Zweck der Informationspflichten belegen: Dient die Information des Verbrauchers der „ordnungsgemäßen Vertragserfüllung und vor allem [der] Ausübung seiner Verbraucherrechte, insbesondere seines Widerrufsrechts“,572 dann sollten auch die Rechtsbehelfe bei Informationspflichtverletzungen an diesen Zielen orientiert sein. Zuletzt ist die Doppelfunktion der Verbraucherrichtlinien zu bedenken: Sie dienen nicht allein dem Verbraucherschutz, sondern auch der Errichtung eines gemeinsamen Marktes für die von Verbrauchern nachgefragten Güter und Dienstleistungen.573 Aus binnenmarktfunktionaler Perspektive dient aber die Durchsetzung der einheitlichen Marktverhaltensregeln auch durch die Rechtsbehelfe individueller Verbraucher der Binnenmarktintegration, so dass dieses Rechtsdurchsetzungsziel auf die individuellen Rechtsbehelfe abfärbt. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Judikatur zu den Belehrungsmängeln zumindest auch, möglicherweise sogar im Kern durch Präventionsgesichtspunkte und den Gedanken der wirksamen Durchsetzung unionsrechtlicher Verbraucherschutzstandards geprägt ist. Auf der anderen Seite wird in der jüngeren Judikatur die Notwendigkeit einer ausgewogenen Ausgestaltung der Rechtsbehelfe wieder stärker betont,574 die „entsprechend den allgemeinen Grundsätzen des Zivilrechts für einen vernünftigen Ausgleich und eine gerechte Risikoverteilung zwischen den einzelnen Beteiligten sorgen“ sollen,575 so dass der Ausgleichsgedanke wieder stärker in den Vordergrund tritt. Unabhängig vom Rangverhältnis der beiden Funktionen lässt sich jedenfalls festhalten, dass die Schadensersatzansprüche bei Verletzung verbrauchervertraglicher Pflichten sowohl der Kompensation wie der Prävention 570 EuGH 17.12.2009, Rs. C-227/08, Slg. 2009, I-11939 Rn. 34 – Eva Martín Martín (Hervorhebung nicht im Original). 571 Siehe auch EuGH 26.4.2012, Rs. C-472/10, ECLI:EU:C:2012:242 Rn. 38 ff. – Invitel zum „präventiven Charakter und Abschreckungseffekt“ des Rechtsschutzes nach der Unterlassungsklagenrichtlinie 2009/22. 572 EuGH 5.7.2012, Rs. C-49/11, ECLI:EU:C:2012:419 Rn. 34 – Content Services; zur Funktion der Informationspflichten siehe auch EuGH 16.10.2008, Rs. C-298/07, Slg. 2008, I-7841 Rn. 23 – deutsche internet versicherung. 573 Ausdrücklich (zur Verbraucherkreditrichtlinie) EuGH 4.10.2007, Rs. C-429/05, Slg. 2007, I-8017 Rn. 59 – Rampion. 574 EuGH 10.4.2008, Rs. C-412/06, Slg. 2008, I-2383 Rn. 39 f. – Hamilton. 575 EuGH 15.4.2010, Rs. C-215/08, Slg. 2010, I-2947 Rn. 48 – E.Friz.
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dienen,576 wobei die Bedeutung des Präventionsziels im Einzelfall vor allem von der Bedeutung der konkret verletzten Primärpflicht abhängt.577 III. Aktivlegitimation und Initiativberechtigung
III. Aktivlegitimation und Initiativberechtigung
Neben der Klageberechtigung des individuellen Verbrauchers (dazu bereits oben § 5 I 2 → S. 258) und der alternativen Streitbeilegung578 sieht das Unionsrecht auch eine Durchsetzung der verbraucherrechtlichen Richtlinien durch Unterlassungsklagen von „qualifizierten Einrichtungen“ (Art. 2, 3 i. V. m. Anhang Nr. 1, Nr. 6 RL 2009/22) und lauterkeitsrechtliche Klagen von Mitbewerbern vor (Art. 5 Abs. 1, Abs. 4 i. V. m. Art. 7 Abs. 1, Abs. 5 i. V. m. Art. 11 Abs. 1 Satz 2 RL 2005/29). Allerdings sind diese Rechtsbehelfe auf Unterlassungsansprüche (samt Unterlassungsvollstreckung) und Veröffentlichungsanordnungen begrenzt und umfassen nicht das Rechtsschutzziel des Schadensersatzes. Im Hinblick auf den Rechtsschutz durch „qualifizierte Einrichtungen“ ergibt sich dies aus der Richtlinie 2009/22 über Unterlassungsklagen, die in ihrem mit „Unterlassungsklagen“ überschriebenen Art. 2 die Rechtsbehelfe der Verbraucherorganisationen auf Unterlassungsanordnungen (Art. 2 lit. a RL 2009/22), Veröffentlichungsanordnungen (Art. 2 lit. b RL 2009/29) und Zwangsgelder zur Durchsetzung der Unterlassungsanordnungen (Art. 2 lit. c RL 2009/22) begrenzt.579 Für lauterkeitsrechtliche Klagen von Mitbewerbern folgt das gleiche Ergebnis aus Art. 11 Abs. 2 RL 576 Zu Art. 14 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 RL 2011/83 auch Wendehorst GPR 2015, 55, 59: „unverkennbar, dass §§ 14 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 RL auch Sanktionszwecke erfüllen“. 577 Zur Bedeutung etwa des Widerrufsrechts („mehr als ein bloß formales Recht“, Erwägungsgrund 14 RL 97/7) EuGH 3.9.2009, Rs. C-489/07, Slg. 2009, I-7315 Rn. 19 – Pia Messner; EuGH 15.4.2010, Rs. C-511/08, Slg. 2010, I-3047 Rn. 45 – Handelsgesellschaft Heinrich Heine; zur Bedeutung der Belehrungspflicht EuGH 17.12.2009, Rs. C-227/08, Slg. 2009, I-11939 Rn. 27 – Eva Martín Martín: die „Belehrungspflicht nach Art. 4 der Richtlinie […] [nimmt] im allgemeinen System der Richtlinie eine zentrale Stellung als wesentliche Garantie für die tatsächliche Ausübung des Widerrufsrechts und daher für die praktische Wirksamkeit des vom Gemeinschaftsgesetzgeber angestrebten Verbraucherschutzes ein“; Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi vom 6.3.2012, Rs. C-49/11, ECLI:EU:C:2012:126 Rn. 28 – Content Services: „Wie ferner die Rechtsprechung des Gerichtshofs hervorgehoben hat, ist der Verbraucherschutz eine der Säulen der Richtlinie. Vor allem stellt das Widerrufsrecht eines der wesentlichen Instrumente dar, mit deren Hilfe sich dieser Schutz verwirklicht, und die Richtlinie soll sicherstellen, dass es für den Verbraucher wirksam ist.“ 578 Siehe dazu die Richtlinie 2013/11/EU über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG (Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten), ABl. L 165 vom 18.6.2013, S. 63 und die Verordnung (EU) Nr. 524/2013 über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG (Verordnung über OnlineStreitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten), ABl. L 165 vom 18.6.2013, S. 1.
IV. Verschulden
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2005/29 und – für die Irreführung im B2B-Bereich – aus Art. 5 Abs. 3 RL 2006/114, die lediglich die Rechtsschutzziele Unterlassung und Urteilsveröffentlichung, nicht aber eine Verpflichtung auf Schadensersatz vorsehen. Für das Rechtsschutzziel des Schadensersatzes ist daher keine Klageberechtigung anderer als individueller Verbraucher vorgesehen. IV. Verschulden
IV. Verschulden
Unsicher ist, ob ein Schadensersatzanspruch wegen Informationspflichtverletzung von einem Verschulden des Anspruchsgegners abhängig gemacht werden darf. Kontrovers diskutiert wurde die Frage der strikten Haftung insbesondere im Kontext der Belehrungsmängelhaftung als Folge der Schrottimmobilienjudikatur. Während einige Stimmen das Verschuldenserfordernis insbesondere wegen der Nichterwähnung in der EuGH-Entscheidung Schulte als unionsrechtswidrig einstuften,580 sehen andere eine verschuldensunabhängige Garantiehaftung als mit dem europäischen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dem Verschuldensprinzip des deutschen Rechts nicht vereinbar an,581 zumal sich in den Schrottimmobilienfällen die Kreditinstitute angesichts der strengen Anforderungen an den unverschuldeten Rechtsirrtum in aller Regel ohnehin nicht exkulpieren könnten.582 579 Zur Reichweite der Unterlassungsanordnungen EuGH 26.4.2012, Rs. C-472/10, ECLI:EU:C:2012:242 Rn. 38 – Invitel. 580 OLG Bremen 2.3.2006, 2 U 20/02, NJW 2006, 1210, 1214 f.; Derleder BKR 2005, 442, 448; Hoffmann ZIP 2005, 1985, 1989, 1991; Hofmann BKR 2005, 487, 492; Schwintowski EuZW 2005, 724, 726; Jungmann WM 2006, 2193, 2195; Habersack JZ 2006, 91, 93; Häublein NJW 2006, 1553, 1555 (vorsichtig); Wielsch ZBB 2006, 16, 20; Rösler ZEuP 2006, 869, 882; Kuhlke NJW 2007, 360, 361; Mörsdorf ZIP 2012, 845, 850: „beredtes Schweigen im Sinne einer verschuldensunabhängigen Haftung“. 581 BGH 19.9.2006, XI ZR 204/04, NJW 2007, 357 Rn. 42; BGH 26.2.2008, XI ZR 74/06, NZG 2008, 378, 380 Rn. 20; Franzen FS Canaris I (2007) 251, 269; Möllers/Grassl VuR 2010, 3, 11; für eine Vereinbarkeit der deutschen Verschuldenshaftung mit dem effet utile auch Freitag WM 2006, 61, 67: Unvereinbarkeit des deutschen Verschuldenserfordernisses lasse sich „ernstlich kaum behaupten“; Sauer NZM 2006, 333, 335; Piekenbrock WM 2006, 466, 475 f.; Thume/Edelmann BKR 2005, 477, 482: „Dass es nach der Auffassung des EuGH auf ein Verschulden des Vertragspartners überhaupt nicht ankommen soll, ergibt sich jedoch gerade nicht aus den beiden Entscheidungen“; Angermann Die Verletzung vertragsschlussbezogener Informationspflichten des Europäischen Privatrechts (2010) S. 201 f., 267 f. 582 Ob die Exkulpation im Fall der Schrottimmobilien tatsächlich von vorneherein ausgeschlossen war, erscheint angesichts der zunächst unrichtigen Richtlinienumsetzung unsicher, vgl. insbesondere BGH 16.5.2006, XI ZR 6/04, NJW 2006, 2099, 2102 Rn. 37, wo – unter Hinweis auf die damalige innerstaatliche Gesetzeslage (§ 5 Abs. 2 HWiG) – offenbar ein Entlastungsbeweis nicht von vorneherein ausgeschlossen wird; deutlich zurückhaltender BGH 26.2.2008, XI ZR 74/06, NZG 2008, 378, 380 Rn. 22; für schuldhaftes Handeln auch Lechner NZM 2005, 921, 926.
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Richtigerweise dürfte sich die Frage nach dem Verschulden nicht einheitlich, sondern nur vor dem Hintergrund des Zwecks der konkret verletzten Richtlinienvorschrift entscheiden lassen. Da es sich im Verbrauchervertragsrecht nicht um einen unionsrechtlich vollständig harmonisierten, sondern nur durch Einstrahlung des Effektivitätsgebots beeinflussten nationalen Schadensersatzanspruch handelt und eine unmittelbare Übernahme der Francovich-Kriterien in das Unionsprivatrecht nach dem bisherigen Stand des Unionsrechts nicht zu überzeugen vermag (dazu bereits § 4 I 2 → S. 151), richtet sich das Verschuldenserfordernis im Grundsatz nach den Regeln des jeweiligen Mitgliedstaats. Sehen diese – wie das deutsche Recht (§§ 280 Abs. 1 Satz 2, 276 BGB) – das Verschuldenserfordernis vor, dann ist dieses grundsätzlich auch auf Unionsrechtsverstöße anwendbar. Allerdings kann die Wirksamkeit des Unionsrechts im Einzelfall verlangen, dass strenge Anforderungen an den Exkulpationsbeweis gestellt werden.583 Dies kann wegen der Kontextabhängigkeit des Effektivitätsgrundsatzes und der Vielgestaltigkeit der Informationspflichten nicht generell entschieden werden, ist aber dann zu bejahen, wenn die konkret verletzte Unionsrechtsvorschrift ein zentrales Regelungsziel des Unionsrechts betrifft oder die Regelungsziele des Unionsrechts durch Exkulpation weitgehend leerzulaufen drohen. So ist es etwa in den Fällen der Belehrungsmängelhaftung geboten, die Anforderungen an eine Exkulpation sehr streng zu definieren, weil gerade in diesen Fällen ein Kernanliegen des Unionsrechts – nämlich das (verschuldensunabhängige) Widerrufsrecht – betroffen ist584 und die Möglichkeit der Exkulpation unter Hinweis auf die fehlerhafte nationale Umsetzung letztendlich zur Folge hätte, dass die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, „geeignete Maßnahmen zu treffen, damit der Verbraucher nicht die Folgen der Verwirklichung derartiger Risiken zu tragen hat“,585 unterlaufen würde, wenn infolge der fehlerhaften nationalen Umsetzung in den meisten Fällen der Exkulpationsbeweis gelänge.586 Zudem ist zu berücksichtigen, dass sich der Verbraucher bei rechtzeitiger Belehrung von dem Vertrag auch ohne Verschulden des Vertragspartners hätte lösen können, so dass diese Situation auch bei fehlerhafter Belehrung wiederherzustellen ist.587 Auf der anderen Seite erscheint es zu weitgehend, 583 Vgl. OLG Bremen 2.3.2006, 2 U 20/02, NJW 2006, 1210, 1214 f., das darauf verweist, dass in manchen Fällen „eine strengere […] Haftung“ i. S. d. § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB ‚bestimmt‘ ist“; a. A. (nur in gesetzlich geregelten Fällen sei etwas „anderes bestimmt“) Sauer NZM 2006, 333, 335. 584 Zur Bedeutung des Widerrufsrechts oben Fn. 577. 585 EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 100 – Schulte. 586 In letzter Konsequenz würde dann die Allgemeinheit infolge der FrancovichDoktrin den Schaden tragen, vgl. Benedict AcP 206 (2006) 56, 65, sofern man die Voraussetzungen des „qualifizierten Verstoßes“ i. S. d. Staatshaftungsrechtsprechung bejaht. 587 Mörsdorf ZIP 2012, 845, 850.
V. Schadensbegriff und Schadensumfang
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den Unternehmer beispielsweise auch bei der Verletzung von Informationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr (z. B. zur unverzüglichen Bestätigung eines Vertragsschlusses, Art. 11 Abs. 1 RL 2000/31) strikt haften zu lassen – nicht nur, weil es sich dabei um eine weniger bedeutsame Verpflichtung handelt, sondern vor allem, weil ein Verstoß auch durch technische Unzulänglichkeiten etwa des Servers oder des lokalen Internetabschnitts verursacht worden sein kann, auf die der Unternehmer keinen Einfluss hat.588 V. Schadensbegriff und Schadensumfang
V. Schadensbegriff und Schadensumfang
1. Europäischer oder nationaler Schadensbegriff? Mangels unionsrechtlicher Harmonisierung des Schadensersatzanspruchs bei Informationspflichtverstößen richtet sich der Begriff des Schadens zunächst nach den Regeln des anwendbaren nationalen Rechts.589 Dies hat indes die Überformungen zu beachten, die sich aus der Ausstrahlung des Effektivitätsgrundsatzes ergeben, so dass es sich um einen nationalen Begriff handelt, dem durch den Effektivitätsgrundsatz gewisse Minima vorgegeben werden. Entsprechend der unionsrechtlichen Ausrichtung dieser Arbeit sollen nur diese im Folgenden herausgearbeitet werden. 2. Naturalrestitution und Schadenskompensation Hinsichtlich der Vorgaben des Unionsrechts zum Verhältnis von Naturalrestitution und Schadenskompensation könnte man die Ausführungen des Gerichtshofs in Schulte zum hypothetischen Geschehensablauf bei rechtzeitiger Widerrufsbelehrung590 und der daraus abgeleiteten Risikoüberwälzung als Fingerzeig interpretieren, dass es dem Gerichtshof bei Informationspflichtverstößen um eine Form der Naturalrestitution geht, indem der Verbraucher Vgl. Janal Sanktionen und Rechtsbehelfe bei der Verletzung verbraucherschützender Informations- und Dokumentationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr (2003) S. 183 („generelle Kommunikationsrisiko des Internet“). 589 EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 100 – Schulte: „Wie in Randnummer 71 des vorliegenden Urteils ausgeführt, ist es Sache der nationalen Gerichte, die nationale Regelung so weit wie möglich so auszulegen, dass das in Randnummer 101 des vorliegenden Urteils genannte Ergebnis erzielt wird“ (Hervorhebung nicht im Original); siehe auch Hoffmann ZIP 2005, 1985, 1990: „konkrete Ausgestaltung von Schadensberechnung und Abwicklung bleibt also dem nationalen Recht überlassen, das lediglich an das vom EuGH formulierte Ziel gebunden ist“. 590 EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 76, 97 – Schulte: „Hätte die Bausparkasse die Eheleute Schulte rechtzeitig über deren Widerrufsrecht nach dem HWiG belehrt, so hätten diese sieben Tage Zeit gehabt, um ihre Entscheidung, den Darlehensvertrag zu schließen, rückgängig zu machen. Hätten sie sich zu diesem Zeitpunkt zum Widerruf entschlossen, so steht fest, dass in Anbetracht des Verhältnisses zwischen dem Darlehensvertrag und dem Kaufvertrag Letzterer nicht zustande gekommen wäre.“ 588
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in die Situation zurückversetzt wird, die bei ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung bestanden hätte.591 Indes zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass der EuGH die Mitgliedstaaten nicht auf einen Vorrang der Naturalrestitution verpflichtet. Zum einen ordnet der Gerichtshof nämlich an, dem Verbraucher nicht nur den Widerruf seines Kreditvertrages zu gestatten, auf den sich der Belehrungsverstoß bezieht, sondern auch die Risiken des finanzierten Geschäfts auf die Bank zu verlagern, so dass mindestens ein weites Verständnis der Naturalrestitution zugrunde gelegt wird.592 Die Indifferenz zwischen Kompensation und Naturalrestitution zeigt sich noch deutlicher in dem Umstand, dass es der EuGH den Mitgliedstaaten überlässt, ob sie dem Verbraucher lediglich die Wertminderung und die Investitionsrisiken ersetzen oder sogar – im Wege der vollständigen Naturalrestitution – dem Verbraucher das Recht zubilligen, von der Bank die Übernahme der finanzierten Immobilie durch Annahme eines verbundenen Geschäfts zu verlangen. Da der Gerichtshof die Mitgliedstaaten nämlich explizit nicht auf die Annahme eines verbundenen Geschäfts verpflichtet, bleibt die konkrete Abwicklung des Schadensersatzes durch Restitution oder Kompensation dem nationalen Recht überlassen.593 Näher kommt man dem deutschen Gedanken der Naturalrestitution, wenn man die Vertragsaufhebung bei Verstoß gegen Informationspflichten als Rechtsfolge von Schadensersatzansprüchen gestattet (oben § 5 I 2 d cc → S. 288, unten § 5 V 3 b aa → S. 306). Hier sprechen der Schutzzweck der Informationspflichten und die fehlende Harmonisierung des Willensmängelsrechts für die Vertragsaufhebung als Ziel des Schadensersatzanspruchs. 3. Schadensumfang Ausgangspunkt für die Schadensbemessung ist auch bei Informationspflichtverletzungen das Prinzip vollständiger und angemessener Entschädigung in den Grenzen des Schutzzwecks der verletzten Norm, wobei der Bezugspunkt der Schadensbemessung die Situation ist, in der sich der Verbraucher befände, wenn er rechtzeitig und richtig informiert worden wäre. Diese Grundsätze lassen sich vor allem in der Rechtsprechung zur Belehrungsmängelhaftung nachweisen, deuten sich aber auch bei sonstigen Informationspflichtverstößen an.
591 Siehe Mörsdorf ZIP 2012, 845, 851; vgl. auch Hoppe/Linz ZBB 2006, 24, 26, die den Schadensersatz unter dem Oberbegriff der Naturalrestitution erläutern. 592 Vgl. Mörsdorf ZIP 2012, 845, 851. 593 Hoffmann ZIP 2005, 1985, 1990; Freitag WM 2006, 61, 68: „Bedenklich wäre ein Anspruch auf Naturalrestitution im Bereich widerruflicher Darlehensverträge deswegen, weil er im Ergebnis die auch vom EuGH abgelehneten Rechtsfolgen des verbundenen Geschäfts zeitigte.“
V. Schadensbegriff und Schadensumfang
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a) Materielle Schäden: Belehrungsmängelhaftung Der Grundsatz der vollständigen Kompensation am Maßstab der rechtzeitigen und ordnungsgemäßen Belehrung lässt sich zunächst anhand der SchulteEntscheidung zur Belehrungsmängelhaftung nachweisen. Dort führt der Gerichtshof aus, dass der Kaufvertrag über die Immobilie nicht zustande gekommen wäre, wenn die Eheleute Schulte von der Bank ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht belehrt worden wären und sich zum Widerruf594 entschlossen hätten.595 In einem solchen Fall hätte also „der Verbraucher, wenn er rechtzeitig über sein Widerrufsrecht belehrt worden wäre, es vermeiden können, sich diesen Risiken [die in Rn. 98 i. V. m. Rn. 52 erwähnt werden596] auszusetzen“.597 Infolge dieser Vermeidungschance „verpflichtet die Richtlinie die Mitgliedstaaten, geeignete Maßnahmen zu treffen, damit der Verbraucher nicht die Folgen der Verwirklichung derartiger Risiken zu tragen hat. Die Mitgliedstaaten müssen also dafür sorgen, dass unter diesen Umständen das Kreditinstitut, das seiner Belehrungspflicht nicht nachgekommen ist, die Folgen der Verwirklichung dieser Risiken trägt, damit der Pflicht, die Verbraucher zu schützen, genügt wird“.598
Mit dieser Begründung nimmt der Gerichtshof die Situation, in der sich der Verbraucher befände, wenn er „rechtzeitig über sein Widerrufsrecht belehrt worden wäre“, zum Ausgangspunkt der Schadensbemessung. Da der Verbraucher bei rechtzeitiger Widerrufsbelehrung „hätte vermeiden können, sich den Risiken auszusetzen, die mit Kapitalanlagen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art verbunden sind“ – und nach Ansicht des EuGH richtig594 Aus Sicht des Unionsrechts dürfte es geboten sein, im Sinne einer Vermutung den Widerruf zu unterstellen, ausführlich unten § 5 VI 1 → S. 310 zur haftungsausfüllenden Kausalität. 595 EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 97 – Schulte. 596 EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 98 – Schulte verweist auf „die mit Kapitalanlagen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art verbundenen Risiken, die in Randnummer 52 des vorliegenden Urteils erwähnt sind“. Rn. 52 der Entscheidung Schulte erwähnt neben „der Gefahr, dass die Wohnung zum Zeitpunkt ihres Kaufs zu hoch bewertet wird“, „insbesondere das Risiko […], dass sich die veranschlagten Mieteinnahmen nicht erzielen lassen und dass sich die Erwartungen in Bezug auf die Entwicklung des Immobilienpreises als falsch erweisen.“ 597 EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 99 – Schulte. 598 EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 100 – Schulte; ebenso EuGH a. a. O. Rn. 101: „In einem Fall, in dem der Verbraucher, wenn das Kreditinstitut ihn über sein Widerrufsrecht belehrt hätte, es hätte vermeiden können, sich den Risiken auszusetzen, die mit Kapitalanlagen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art verbunden sind, verpflichtet Artikel 4 der Richtlinie daher die Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass ihre Rechtsvorschriften die Verbraucher schützen, die es nicht vermeiden konnten, sich solchen Risiken auszusetzen, indem sie Maßnahmen treffen, die verhindern, dass die Verbraucher die Folgen der Verwirklichung dieser Risiken tragen.“
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erweise zu vermuten ist, dass er sie auch vermieden hätte (zur Kausalität § 5 VI 1 → S. 310) –, muss durch „geeignete Maßnahmen“ sichergestellt werden, dass nicht der Verbraucher, sondern das Kreditinstitut, das seiner Belehrungspflicht nicht nachgekommen ist, die Folgen der Verwirklichung von Anlage- und Finanzierungsrisiken zu tragen hat. Bei näherer Betrachtung spricht der EuGH dem Verbraucher hier – wie gezeigt (§ 5 II → S. 293) – mehr zu als die bloße Wiederherstellung der Situation bei rechtzeitiger Widerrufsbelehrung. Während nämlich das Widerrufsrecht nur das Überraschungsmoment und die psychologische Drucksituation für das Haustürgeschäft (also den Darlehensvertrag) kompensieren soll, soll es nicht im Sinne einer echten Aufklärungspflicht über die Anlagerisiken den Verbraucher vor einer ungünstigen Immobilieninvestition bewahren. 599 Auf der anderen Seite wäre die Alternative des Fortbestehens des Widerrufsrechts lediglich für den Kreditvertrag „in Anbetracht des Verhältnisses zwischen Darlehensvertrag und Kaufvertrag“600 für den Verbraucher wirtschaftlich sinnlos. Der Gerichtshof stand also vor der Wahl zwischen einem weitgehend unwirksamen oder einem überschießenden Verbraucherschutz und hat sich – mit Blick auf die effektive Durchsetzung des Verbraucherrechts, seine Schutzanliegen und die Prävention zukünftiger Verstöße gegen die Belehrungspflicht – mit der vollständigen Risikoüberwälzung für eine über den Schutzzweck des Widerrufsrechts hinausgehende Lösung entschieden.601 Ist damit die Wiederherstellung der Situation bei rechtzeitiger Ausübung des Widerrufsrechts in den Schrottimmobilienfällen Bezugspunkt der Risikoverlagerung, so stellt sich die Folgefrage, welche Risiken konkret auf die Bank zu überwälzen sind. Die Formulierung des Gerichtshofs, der nur einige Risiken beispielhaft („insbesondere“) nennt, spricht auf den ersten Blick dafür, von einer vollständigen Risikoüberwälzung auszugehen.602 Die Grenze
Franzen FS Canaris I (2007) 251, 256: abgesehen von der zu hohen Bewertung der Immobilie beim Kauf könnten „post-kontraktuelle“ Widerrufsrechte bei den Risiken der Vermietbarkeit und der späteren Wertentwicklung nicht weiterhelfen; Mörsdorf ZIP 2012, 845, 851. 600 EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 97 – Schulte. 601 Zur Verschiebung des Schutzzwecks der Widerrufsbelehrung infolge der Möglichkeit der Risikoverlagerung Mörsdorf ZIP 2012, 845, 851 f. 602 Hoffmann ZIP 2005, 1985, 1990: „keine eingeschränkte, sondern eine umfassende Risikoabwälzung gemeint“; „nicht nur das Wert-, sondern auch das Rendite- und sogar das Wertentwicklungsrisiko“ erfasst; „liegt diesen Äußerungen offenbar die Vorstellung einer im nationalen Recht zu verankernden Schadensersatzpflicht zugrunde, in deren Rahmen der Verbraucher so zu stellen ist, als hätte er nach ordnungsmäßiger Belehrung bei Vertragsschluss den Vertrag widerrufen und daher die genannten Risiken nicht zu tragen gehabt“; Rösler ZEuP 2006, 869, 882; Angermann Die Verletzung vertragsschlussbezogener Informationspflichten des Europäischen Privatrechts (2010) S. 197: „Das Ausmaß der 599
V. Schadensbegriff und Schadensumfang
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der Ersatzpflicht ergibt sich allerdings aus der Anknüpfung an die rechtzeitige Belehrung über das Widerrufsrecht, durch die der Verbraucher die Risiken hätte vermeiden können, so dass der Schutzzweck der verletzten Norm die Grenzen des Entschädigungsanspruchs definiert. Daraus ergibt sich, dass der Verbraucher zunächst nicht besser zu stellen ist, als er durch einen rechtzeitigen Widerruf stehen würde, so dass ihm nicht die erwarteten Wertsteigerungen der Immobilie oder sonstige aus dem Geschäft erhoffte Gewinne zu ersetzen sind.603 Der Ausgleichsanspruch ist „nur verlustbezogen, nicht aber auch gewinnbezogen zu verstehen“;604 er ist auf den Ersatz des Schadens beschränkt, „den der Verbraucher infolge der Realisierung der vom EuGH herausgestellten und durch ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung vermeidbaren Anlagerisiken erlitten hat“.605 Auch der Ersatz von sonstigen Folgeschäden, die mit dem Risiko der Kapitalanlage nicht verbunden sind, wird nicht erfasst.606 Auf den ersten Blick scheint diese am Schutzzweck der Belehrungsmängelhaftung orientierte Auslegung im Widerspruch zum Rückverweis in Rn. 98 auf Rn. 52 der Entscheidung Schulte zu stehen, denn die vom EuGH neben dem Risiko der Falschbewertung genannten Risiken verminderHaftung ist beträchtlich: grundsätzlich sind alle Schäden erfasst, die der Verbraucher infolge der Risikoverwirklichung erlitten hat.“ 603 Der für die Schadensbestimmung maßgebliche Zeitpunkt ist umstritten: Während Hoffmann ZIP 2005, 1985, 1990 grundsätzlich auf eine „Abrechnung zum Zeitpunkt des Widerrufs“, sofern sich die Immobilie nicht als unveräußerlich erweist, abstellen will, schlägt Habersack JZ 2006, 91, 93 vor, auf den Zeitpunkt abzustellen, „in dem der Verbraucher Kenntnis hinsichtlich seines Widerrufsrechts erlangt hat und dieses erstmals hätte ausüben können“. 604 Hoffmann ZIP 2005, 1985, 1990. 605 Habersack JZ 2006, 91, 93: „Seinem Umfang nach zielt der Schadensersatzanspruch (so er denn besteht) auf Ersatz des Schadens, den der Verbraucher infolge der Realisierung der vom EuGH herausgestellten und durch ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung vermeidbaren Anlagerisiken erlitten hat“; ausführlich Hoffmann ZIP 2005, 1985, 1990, 1992; möglicherweise enger Käseberg/Richter EuZW 2006, 46, 49: nur Wegfall der Verzinsungspflicht (m. E. mit Schulte nicht vereinbar, so auch Hoppe/Linz ZBB 2006, 24, 25 Fn. 14); enger nun auch Eichel ZfPW 2016, 52, 61, der aufgrund des Schutzzwecks der Widerrufsbelehrung den Anspruch auf die Opportunitätskosten durch Verzicht auf ein günstigeres Darlehen beschränken und den Ersatz der Risiken aus dem Anlagegeschäft ausschließen will. Anders Ehricke ZBB 2005, 443, 449, der dem Verbraucher einen Anspruch auf die „Differenz zwischen den tatsächlichen Erträgen aus Mieteinkünften und den versprochenen Erträgen“ und damit offenbar einen Anspruch auch auf die erhofften Gewinne aus dem Immobilienerwerb zubilligt. 606 Freitag WM 2006, 61, 68: „Dagegen enthält keines der beiden Urteile eine generelle Aussage dergestalt, dass der Unternehmer den Verbraucher für sämtliche Nachteile zu entschädigen hätte, die adäquat kausal darauf beruhen, dass der Verbraucher das Haustürgeschäft nicht widerrufen hat. Daraus kann man ableiten, dass der EuGH an den Fall des vermittelten Immobiliendarlehens gedacht hat […], während er eine allgemeine Haftung für sonstige Folgeschäden nicht verlangt.“
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ter Mieteinnahmen und einer ausgebliebenen Wertsteigerung deuten in Richtung des Ersatzes auch für entgangenen Gewinn.607 Indes findet sich die eher allgemeine Aufzählung der Anlagerisiken in Rn. 52 in den „Vorbemerkungen“ des Gerichtshofs und dürfte nicht auf den konkreten Kontext der später (Rn. 97 ff.) entfalteten Risikoüberwälzung abgestimmt sein, so dass die Aufzählung dieser Risiken keine Ausdehnung des Schadensersatzanspruchs über die durch seine Begründung anhand des unterbliebenen Widerrufs und seinen Schutzzweck gezogenen Grenzen hinaus rechtfertigen kann. Schließlich hat der Gerichtshof in jüngerer Rechtsprechung sogar eine teilweise Belassung der Anlagerisiken beim Verbraucher gestattet, wenn die dies anordnenden (nationalen) „allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts“ „für einen vernünftigen Ausgleich und eine gerechte Risikoverteilung zwischen den einzelnen Beteiligten sorgen“.608 Im Rahmen dieser Beurteilung scheint es von Bedeutung zu sein, ob mit der betreffenden Kapitalanlage bestimmte Risiken verbunden sind und ob durch die Begrenzung der Risikoüberwälzung (mit der Folge, dass der widerrufende Verbraucher Anlagerisiken zu tragen hat) Mitgesellschafter und/oder Dritte geschützt werden, die an der Unterzeichnung des widerruflichen Geschäfts nicht beteiligt waren und für die „Unregelmäßigkeiten“ nicht verantwortlich sind.609 Die Bestimmung der Reichweite der Risikoüberwälzung anhand der Verantwortlichkeit für den Verstoß oder die „Unregelmäßigkeiten“ unterstreicht abermals die Bedeutung der Schutzzweckbetrachtung für die Reichweite des unional gebotenen Schadensersatzanspruchs. b) Materielle Schäden: Sonstige Informationspflichten aa) Vertragsaufhebung Zum Umfang der Schadensersatzverpflichtung bei sonstigen Informationspflichtverletzungen existiert ersichtlich keine Rechtsprechung des Gerichtshofes, und auch vertragsrechtliche – im Unterschied zu lauterkeitsrechtlichen – Entscheidungen aus den Mitgliedstaaten zu den Folgen von Informationspflichtverletzungen sind selten. Immerhin hat der EuGH zum Zweck der Informationspflichten der E-Commerce-Richtlinie 2000/31 entschieden, dass „es die von dem Diensteanbieter mitgeteilten Informationen den Nutzern des Dienstes ermöglichen [sollen], die Tragweite ihrer zukünftigen Verpflichtung zu beurteilen und so die Gefahr bestimmter Irrtümer zu vermeiden, die zum Abschluss eines nachteiligen Vertrags führen können“.610 Vgl. Knops WM 2006, 70, 72 f. EuGH 15.4.2010, Rs. C-215/08, Slg. 2010, I-2947 Rn. 48 f. – E.Friz. 609 EuGH 15.4.2010, Rs. C-215/08, Slg. 2010, I-2947 Rn. 48 f. – E.Friz; vgl. auch EuGH 19.12.2013, Rs. C-174/12, ECLI:EU:C:2013:856 Rn. 60 ff. – Hirmann (auch zu einer Differenzierung nach dem Kriterium, ob der Widerrufsgegner für die „Unregelmäßigkeit“ verantwortlich ist). 607 608
V. Schadensbegriff und Schadensumfang
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Wenn nun aber der Zweck der Informationspflichten in der Information der Verbraucher über die Tragweite ihrer Verpflichtung liegt, dann liegt es nahe, bei unrichtiger Information und einem darauf beruhenden irrtumsbedingten „Abschluss eines nachteiligen Vertrags“ den Unternehmer analog zum Risikoüberwälzungsgedanken in Schulte zur Aufhebung des nachteiligen Vertrages zu verpflichten, um den Verbraucher in die Situation (ohne Vertrag) zurückzuversetzen, in der er sich bei korrekter Information (und Absehen von einem Vertragsschluss mit diesem Unternehmer) befunden hätte (bereits oben § 5 I 2 d cc → S. 288). Die Bindung an einen nachteiligen oder irrtumsbedingten („Irrtümer vermeiden“) und unerwünschten Vertrag stellt damit eine schadensrechtlich relevante Einbuße für den Verbraucher dar, von dem er durch ein Vertragslösungsrecht – vorbehaltlich der Kausalität der Informationspflichtverletzung für den Vertragsabschluss (dazu § 5 VI → S. 310) – zu befreien ist, ohne dass es zusätzlicher Begründungsansätze wie etwa eines Vermögensschadens oder einer subjektiven Zweckverfehlung bedarf.611 bb) Vertragsanpassung? Ist ein Recht auf Vertragsaufhebung bei fehlerhafter Information damit im Grundsatz anzuerkennen, so stellt sich die Folgefrage, ob dem Verbraucher – vielleicht sogar vorrangig – ein Recht auf Anpassung des Vertrages an die unrichtige vorvertragliche Informationen zuzubilligen ist.612 Die besseren 610 EuGH 16.10.2008, Rs. C-298/07, Slg. 2008, I-7841 Rn. 23 – deutsche internet versicherung; zur Information über die Gesamtkosten eines Kredits EuGH 4.3.2004, Rs. C-264/02, Slg. 2004, I-2157 Rn. 26 – Sylvain Sachithanathan: „Zum anderen ermöglicht sie es dem Verbraucher, den Umfang seiner Verpflichtung einzuschätzen“; zum Versicherungsrecht EuGH 5.3.2002, Rs. C-386/00, Slg. 2002, I-2209 Rn. 28 – Axa Royale Belge: Ziel, „dem Versicherungsnehmer die Informationen zu verschaffen, die er benötigt, um den seinen Bedürfnissen am ehesten entsprechenden Vertrag auswählen und dadurch die ihm zur Verfügung stehende größere Auswahl von Verträgen im Rahmen eines einheitlichen Versicherungsmarkts voll nutzen zu können“. Siehe auch Erwägungsgrund 19 Satz 1 Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48: „Damit der Verbraucher in voller Sachkenntnis entscheiden kann, sollten ihm vor dem Abschluss des Kreditvertrags ausreichende Informationen über die Bedingungen und Kosten des Kredits sowie über die Verpflichtungen, die er mit dem Vertrag eingeht, gegeben werden, die er mitnehmen und prüfen kann.“ 611 Dazu im deutschen Recht die Nachweise oben in Fn. 541. 612 Zum einseitigen Vertragsanpassungsrecht auf schadensrechtlicher Grundlage im deutschen Recht BGH 6.4.2001, V ZR 394/99, NJW 2001, 2875, 2876 f.: „Wenn der Geschädigte, wie hier die Kläger, an dem Vertrag festhalten will, obwohl dieser infolge der Pflichtverletzung zu für ihn ungünstigen Bedingungen zustande gekommen ist, so ist er so zu behandeln, als wäre es ihm bei Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, den Kaufvertrag zu einem günstigeren Preis abzuschließen“; a. A. Grigoleit Vorvertragliche Informationshaftung (1997) S. 181 ff., 210; S. Lorenz NJW 1999, 1001, 1002: „Rechtsprechung widerspricht schlicht dem in § 249 S. 1 BGB verankerten Grundsatz der Naturalrestitution und ist überdies auch mit § 463 BGB nicht zu vereinbaren“.
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Gründe sprechen dafür, dass ein solcher Vertragsanpassungsanspruch unionsrechtlich nicht geboten ist. Wollte man nämlich einen Anspruch auf Vertragsanpassung aus dem Unionsrecht begründen, so müsste man argumentieren, dass die Effektivität der verbraucherrechtlichen Informationspflichten nicht gewahrt wäre, wenn der Verbraucher neben dem Anspruch auf Vertragsauflösung und/oder Ersatz von Begleitschäden nicht auch einen Anspruch auf Vertragsanpassung hätte. Indes würde man damit dem Verbraucher nicht nur ein Recht zustehen, dass er bei ordnungsgemäßer Information nicht gehabt hätte – dann hätte er den Vertrag nämlich zu den Bedingungen des Unternehmers oder – jedenfalls mit diesem Unternehmer – gar nicht abschließen können, ihn aber regelmäßig nicht einseitig ändern können. Entscheidend gegen eine solche Vertragsanpassungsbefugnis spricht außerdem, dass es sich bei den in Rede stehenden Verbrauchergeschäften um den Vertrieb standardisierter Waren und Dienstleistungen handelt.613 Viele Unternehmer sind nicht auf eine individuelle Anpassung ihrer Produkte an (i. d. R. versehentlich) unrichtig erteilte vorvertragliche Informationen ausgerichtet und orientieren ihre Kalkulation und Infrastruktur anhand der von ihnen vorgenommen Standardisierungen. Erlaubte man nun einzelnen Verbrauchern, ihre Verträge an die unrichtigen vorvertraglichen Informationen anzupassen, so erhielten sie letztendlich eine Leistung, die in dieser Form in vielen Fällen zumindest von dem konkreten Anbieter überhaupt nicht am Markt angeboten wird. Zwar kann es zu diesem Ergebnis auch kommen, wenn infolge vorvertraglicher Informationspflichtverletzungen bereits ein Vertrag mit einem vom Unternehmen nicht gewollten Inhalt zustande kommt (dazu bereits oben § 5 I 2 d bb → S. 283). Während im Fall des Vertragsschlusses aber immerhin die Verbindlichkeit der rechtsgeschäftlichen Erklärung und die Rechtssicherheit für die Bindung – vorbehaltlich etwaiger Anfechtung – des Unternehmens an das in dieser Form nicht gewollte Leistungsversprechen streitet, so ist dies bei der Zubilligung eines Vertragsanpassungsrechts qua Schadensersatz nicht der Fall. Zudem liegt der Zweck der Informationspflichten in der Vermeidung von Irrtümern, die zum Abschluss eines nachteiligen Vertrages führen können.614 Dieser Zweck kann aber bereits durch ein Vertragslösungsrecht erreicht werden, indem der Verbraucher von der Bindung an den irrtümlich abgeschlossenen Vertrag befreit wird. cc) Ersatz von Folge- und Begleitschäden Soweit es nicht um die Lösung vom unerwünschten Vertrag, sondern um den Ersatz von anderen Schäden (Begleitschäden) infolge der Informationspflicht613 Vgl. die Argumentation bei Janal Sanktionen und Rechtsbehelfe bei der Verletzung verbraucherschützender Informations- und Dokumentationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr (2003) S. 218. 614 Nachweise in Fn. 610.
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verletzung geht, lässt sich zur ersten Orientierung in der Judikatur des Gerichtshofs auf eine Entscheidung zu den formalen Anforderungen an die Verbraucherinformation zurückgreifen. Nach der Rechtssache Content Services sollen die formalen Anforderungen an die Information des Verbrauchers sicherstellen, „dass dem Verbraucher die Informationen übermittelt werden, die zur ordnungsgemäßen Vertragserfüllung und vor allem zur Ausübung seiner Verbraucherrechte, insbesondere seines Widerrufsrechts, erforderlich sind“.615 Dient die unionsrechtlich vorgeschriebene Information also der Sicherung der ordnungsgemäßen Vertragserfüllung und der Ausübung der Verbraucherrechte, dann liegt es nahe, den Schadensersatz bei fehlerhafter oder unterbliebener Information an der Situation zu orientieren, die bei ordnungsgemäßer Vertragserfüllung bestünde. Dementsprechend ist dem Verbraucher der infolge einer Fehlvorstellung entstandene Schaden zu ersetzen, bei einer unrichtigen Angabe über den Abflughafen in einer Pauschalreisebestätigung und der daraus resultierenden Flugversäumung etwa die Kosten für eine anderweitige Fluganreise zum Urlaubsort616 oder bei zusätzlichen Kosten für ein von einem Dritten angebotenes Bezahlsystem die Kosten für die Nutzung dieses Systems.617 c) Immaterielle Schäden Ein Ersatz immaterieller Schäden kommt bei Informationspflichtverletzungen wohl in erster Linie in Betracht, wenn man die Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Informationsberechtigten als ersatzfähiges immaterielles Interesse ansieht und das Recht auf Vertragsaufhebung entsprechend begründet.618 Nach der hier vertretenen Auffassung ist die Bindung an den unerwünschten Vertrag allerdings bereits als materieller Schaden durch einen Anspruch auf Vertragsaufhebung bei vertragsabschlusskausalen Informationspflichtverletzungen zu kompensieren, weil in der Belastung mit den Pflichten aus einem nachteiligen oder auch nur irrtumsbedingt abgeschlossenen Vertrag ein materieller Nachteil für den Verbraucher liegt. Es bedarf daher nicht eines argumentativen Umwegs über den immateriellen Schadensersatz, indem man die Wiederherstellung der Entscheidungsfreiheit oder den EuGH 5.7.2012, Rs. C-49/11, ECLI:EU:C:2012:419 Rn. 34 – Content Services. AG Rostock 23.4.2010, 43 C 212/09, RRa 2010, 265 Rn. 23 (juris) (dort Lösung über einen vertraglichen Schadensersatzanspruch gemäß § 651f Abs. 1 BGB). 617 Janal Sanktionen und Rechtsbehelfe bei der Verletzung verbraucherschützender Informations- und Dokumentationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr (2003) S. 231: „Kosten, welche dem Verbraucher durch die Abwicklung des Vertrages unerwartet gegenüber einem Dritten entstehen, weil es der Unternehmer versäumt hat, auf diese […] hinzuweisen, hat der Unternehmer folglich nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB zu ersetzen“. 618 Zu diesem Gedanken Angermann Die Verletzung vertragsschlussbezogener Informationspflichten des Europäischen Privatrechts (2010) S. 268 f. 615 616
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Zweckverfehlungsgedanken als immaterielle Einbußen ansieht. Für eine eher materielle als immaterielle Klassifikation lässt sich auch auf das Grundanliegen des europäischen Verbrauchervertragsrechts verweisen, das in erster Linie auf den Schutz der wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit, nicht aber der allgemeinen Willensfreiheit der Verbraucher abzielt (vgl. Art. 1 RL 2005/29). d) Überkompensatorischer Schadensersatz Eine Verpflichtung zur Leistung überkompensatorischen Schadensersatzes lässt sich bei verbrauchervertraglichen Informationspflichtverletzungen unionsrechtlich nicht ausmachen. Allerdings wird die Reichweite der Haftung für Informationspflichtverletzungen, insbesondere soweit es sich um aus Perspektive des Unionsrechts zentrale Rechte wie das Widerrufsrecht handelt, maßgeblich durch den Schutzzweck der jeweiligen Rechte gesteuert und zum Teil erweitert (siehe insbesondere die Belehrungsmängelhaftung oben § 5 V 3 a → S. 303). Dies führt zwar nicht zu einem Präventionszuschlag bei den Haftungssummen, verschiebt aber die Parameter bei der Definition ersatzfähiger Schäden, was im Ergebnis durchaus verhaltenssteuernde Impulse setzt, wenn etwa das Widerrufsrecht bei unterbliebener Widerrufsbelehrung durch einen Anspruch auf Überwälzung der Risiken der Immobilienanlage auf die finanzierende Bank durchgesetzt wird (zum Zweck der Schadensersatzansprüche bereits § 5 II → S. 293). VI. Kausalität VI. Kausalität
Im Ausgangspunkt ist auch zur Kausalität festzuhalten, dass sie infolge der bloßen Rahmensetzung durch das Effektivitätsgebot nach den Kriterien des nationalen Rechts zu bestimmen ist und das Unionsrecht nur einen allgemeinen Wirksamkeitsvorbehalt formuliert. Die folgende Darstellung beschränkt sich auf diesen Effektivitätsvorbehalt, wobei sich in erster Linie die Frage stellt, ob das Unionsrecht eine „Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens“ verlangt. 1. Belehrungsmängelhaftung Zum Erfordernis der Kausalität bei der Belehrungsmängelhaftung ist erneut auf die Rechtssache Schulte zu rekurrieren. In der Entscheidungsbegründung finden sich verschiedene Passagen, die sich für eine unionsrechtliche Überformung der Kausalität619 durch den Effektivitätsgrundsatz fruchtbar machen lassen. Der Kausalzusammenhang in Schulte wird auf die haftungsausfüllende Kausalität bezogen, siehe etwa Hoffmann ZIP 2005, 1985, 1987: „Die ausdrücklich verlangte Überwälzung der Risiken stellt sich dann lediglich als eine Frage der haftungsausfüllenden Kausalität im Rahmen dieses Schadensersatzanspruchs dar“; Freitag WM 2006, 61, 67: unter „Haftungsfolgen“; Möllers/Grassl VuR 2010, 3, 12. 619
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„97. Hätte die Bausparkasse die Eheleute Schulte rechtzeitig über deren Widerrufsrecht nach dem HWiG belehrt, so hätten diese sieben Tage Zeit gehabt, um ihre Entscheidung, den Darlehensvertrag zu schließen, rückgängig zu machen. Hätten sie sich zu diesem Zeitpunkt zum Widerruf entschlossen, so steht fest, dass in Anbetracht des Verhältnisses zwischen dem Darlehensvertrag und dem Kaufvertrag Letzterer nicht zustande gekommen wäre. […] 99. In einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens hätte aber der Verbraucher, wenn er rechtzeitig über sein Widerrufsrecht belehrt worden wäre, es vermeiden können, sich diesen Risiken auszusetzen. 100. Unter solchen Umständen verpflichtet die Richtlinie die Mitgliedstaaten, geeignete Maßnahmen zu treffen, damit der Verbraucher nicht die Folgen der Verwirklichung derartiger Risiken zu tragen hat. Die Mitgliedstaaten müssen also dafür sorgen, dass unter diesen Umständen das Kreditinstitut, das seiner Belehrungspflicht nicht nachgekommen ist, die Folgen der Verwirklichung dieser Risiken trägt, damit der Pflicht, die Verbraucher zu schützen, genügt wird. 101. In einem Fall, in dem der Verbraucher, wenn das Kreditinstitut ihn über sein Widerrufsrecht belehrt hätte, es hätte vermeiden können, sich den Risiken auszusetzen, die mit Kapitalanlagen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art verbunden sind, verpflichtet Artikel 4 der Richtlinie daher die Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass ihre Rechtsvorschriften die Verbraucher schützen, die es nicht vermeiden konnten, sich solchen Risiken auszusetzen, indem sie Maßnahmen treffen, die verhindern, dass die Verbraucher die Folgen der Verwirklichung dieser Risiken tragen.“
Aus diesen Ausführungen lassen sich unterschiedliche Schlüsse ziehen. Zunächst stellt sich die für die Wirksamkeit des Schadensersatzanspruchs wohl wichtigste Frage, ob das Unionsrecht eine entsprechende Anwendung620 der „Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens“621 in der Weise gebietet, dass bei Nichtaufklärbarkeit zu unterstellen ist, der Verbraucher hätte den Vertrag widerrufen. Der Bundesgerichtshof lehnt dies ab: Nach Auffassung des BGH soll es für die Ursächlichkeit nicht genügen, dass der Verbraucher „bei ord620 Man kann nur von einer entsprechenden Anwendung sprechen, weil es sich bei der Widerrufsbelehrung nicht um eine echte Aufklärungs- oder Beratungspflicht handelt, die vor den Risiken des Geschäfts schützen soll, sondern vielmehr geht es um eine Art Bedenkzeit zum Ausgleich der psychischen Drucksituation des Haustürgeschäfts, vgl. Erwägungsgrund 21 Verbraucherrechterichtlinie 2011/83: „Außerhalb von Geschäftsräumen steht der Verbraucher möglicherweise psychisch unter Druck oder ist einem Überraschungsmoment ausgesetzt.“ 621 Zum Begriff BGH 20.11.2012, XI ZR 415/11, BKR 2013, 68, 69 Rn. 9: „Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist derjenige, der vertragliche oder vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt hat, beweispflichtig dafür, dass der Schaden auch eingetreten wäre, wenn er sich pflichtgemäß verhalten hätte, der Geschädigte den Rat oder Hinweis also unbeachtet gelassen hätte. Diese ‚Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens‘ gilt für alle Aufklärungs- und Beratungsfehler eines Anlageberaters […]. Hierbei handelt es sich nicht lediglich um eine Beweiserleichterung im Sinne eines Anscheinsbeweises, sondern um eine zur Beweislastumkehr führende widerlegliche Vermutung.“
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nungsgemäßer Belehrung die Möglichkeit gehabt hätte, mit dem Widerruf der Darlehensverträge auch Risiken des Anlagegeschäfts zu vermeiden“. Vielmehr müsse der Verbraucher „konkret nachweisen, dass er die Darlehensverträge bei ordnungsgemäßer Belehrung tatsächlich widerrufen und die Anlage nicht getätigt hätte“.622 Ein derart konkreter Kausalitätsnachweis ist aus Sicht des BGH geboten, weil eine Anknüpfung an die bloße Möglichkeit, „mit dem Widerruf des Darlehensvertrags auch Risiken des Anlagegeschäfts zu vermeiden“, „mit dem Grundprinzip des nationalen Schadensersatzrechts, dass eine Pflichtverletzung nur dann zum Ersatz des Schadens verpflichten kann, wenn er auch auf den Pflichtenverstoß ursächlich zurückzuführen ist, schlechthin unvereinbar“ sei.623 Auch die im Kapitalanlagerecht verbreitete Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens könne den Verbraucher nicht vom konkreten Kausalitätsnachweis entlasten, weil die zugrunde liegende Prämisse, dass es „bei Belehrung über sein Widerrufsrecht damals nur eine bestimmte Möglichkeit der Reaktion gab“, bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung nicht zutreffe, denn es sei „nichts dafür ersichtlich“, „dass die Risiken des Vertragswerks vom Kl. innerhalb der einwöchigen Widerrufsfrist erkannt worden wären“.624 Zur Untermauerung dieser Auffassung ließe sich ergänzend auf den Halbsatz „Hätten sie sich zu diesem Zeitpunkt zum Widerruf entschlossen“ in Rn. 97 der Schulte-Entscheidung verweisen, der in der Tat den Nachweis des Widerrufs durch den Verbraucher nahezulegen scheint. Bei näherer Betrachtung erweist sich, dass diese Judikatur aus Perspektive des Effektivitätsgrundsatzes kaum zu überzeugen vermag. Nicht nur höhlt die Beweislast des Verbrauchers den Anspruch auf Belehrungsmängelhaftung faktisch aus,625 auch entspricht es gerade dem Gedanken der Risikoüberwälzung, dass im Zweifel die Kreditinstitute das Risiko der Unaufklärbarkeit tragen sollen. So findet sich auch in den wohl entscheidenden Rn. 99 und 101 der Schulte-Entscheidung nur die Wendung, dass der Verbraucher „es hätte vermeiden können, sich den Risiken auszusetzen“,626 nicht dass er es tatsächlich vermieden hätte.627 Das Unionsrecht gebietet es daher, das Risiko der Unaufklärbarkeit des Widerrufs bei ordnungsgemäßer Belehrung dem Belehrungsverpflichteten aufzubürden,628 sei es durch entsprechende Anwendung 622 BGH 6.11.2007, XI ZR 322/03, NJW 2008, 644, 648 f. Rn. 55; ebenso Piekenbrock WM 2006, 466, 476. 623 BGH 19.9.2006, XI ZR 204/04, NJW 2007, 357, 360 Rn. 43. 624 BGH 19.9.2006, XI ZR 204/04, NJW 2007, 357, 360 Rn. 43. 625 Freitag WM 2006, 61, 67; Habersack JZ 2006, 91, 93. 626 EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 101 – Schulte. 627 Hoffmann ZIP 2005, 1985, 1989; Möllers/Grassl VuR 2010, 3, 12; siehe auch Mörsdorf ZIP 2012, 845, 851. 628 OLG Bremen 2.3.2006, 2 U 20/02, NJW 2006, 1210, 1214; Hoffmann ZIP 2005, 1985, 1989, 1992; Staudinger NJW 2005, 3521, 3523; Freitag WM 2006, 61, 67; Haber-
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der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens,629 sei es, indem man den Widerruf zugunsten des Verbrauchers vermutet, weil er bei ordnungsgemäßer Belehrung auch aus subjektiven und irrationalen Gründen hätte widerrufen können,630 wobei der Bank der Nachweis eröffnet bleibt, der Verbraucher hätte den Vertrag auch bei korrekter Belehrung nicht widerrufen.631 Dieser Sichtweise dürfte sich inzwischen wohl auch der BGH anschließen, der das Erfordernis, dass der Anleger bei richtiger Aufklärung vernünftigerweise nur eine Handlungsalternative gehabt hätte, inzwischen nicht mehr als Voraussetzung der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens ansieht.632 Ist damit aus Gründen der Wirksamkeit des Widerrufsrechts der rechtzeitige Widerruf durch den Verbraucher zu vermuten, so stellt sich die Anschlussfrage, ob die Verbraucher nur von den Folgen derjenigen Risiken zu entlasten sind, die durch eine korrekte Belehrung und die Möglichkeit des Widerrufs überhaupt hätten vermieden werden können, oder ob bei Belehrungsmängeln generell eine Risikoüberwälzung auf die Bank geboten ist. Die besseren Gründe sprechen hier dafür, an der Kausalität zwischen Belehrungsfehler und realisierten Anlagerisiken festzuhalten. An der Kausalität fehlt es also, wenn sack JZ 2006, 91, 93; Rösler ZEuP 2006, 869, 882; Jungmann NJW 2007, 1562, 1565; a. A. Thume/Edelmann BKR 2005, 477, 483 f. (durch eine solche Vermutung werde das Kausalitätserfordernis unterlaufen); Lechner NZM 2005, 921, 926; Sauer NZM 2006, 333, 336; Benedict AcP 206 (2006) 56, 62: „statistische Wahrscheinlichkeit für einen Widerruf auch bei entsprechender Belehrung gegen Null“, 81: „phantastische Hypothese zur Lebenswirklichkeit, die nicht dadurch an Wahrhaftigkeit gewinnt, dass sie der EuGH nunmehr allen Ernstes als Prämisse seiner ‚Heininger II/III‘-Entscheidung unterstellt“; Franzen FS Canaris I (2007) 251, 267 f. Zur Folge der Beweislastumkehr (nicht lediglich Beweiserleichterung) durch die „Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens“ BGH 20.11.2012, XI ZR 415/11, BKR 2013, 68, 69 Rn. 9. 629 Für unwiderlegliche Vermutung Derleder BKR 2005, 442, 449; Hoffmann ZIP 2005, 1985, 1992; Kulke NJW 2007, 360, 361; für widerlegliche Vermutung Habersack JZ 2006, 91, 93. 630 Möllers/Grassl VuR 2010, 3, 12. Zur Kritik an der entsprechenden Anwendung der Vermutung auch Mörsdorf ZIP 2012, 845, 851: Die Vermutung könne nicht angewendet werden, weil es kein aufklärungsrichtiges Verhalten bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung gebe. 631 Für die Möglichkeit eines solchen Entlastungsbeweises Habersack JZ 2006, 91, 93; Freitag WM 2006, 61, 67; Rösler ZEuP 2006, 869, 882; a. A. Hoffmann ZIP 2005, 1985, 1989, 1992: „wobei nach den Vorgaben des EuGH von einer unwiderlegbaren Vermutung auszugehen sein wird“. 632 BGH 8.5.2012, XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 33: „Der Senat hält nach nochmaliger Überprüfung nicht daran fest, dass die Kausalitätsvermutung nur dann eingreift, wenn der Anleger bei gehöriger Aufklärung vernünftigerweise nur eine Handlungsalternative gehabt hätte, er sich also nicht in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte. Das Abstellen auf das Fehlen eines Entscheidungskonflikts ist mit dem Schutzzweck der Beweislastumkehr nicht zu vereinbaren. Die Beweislastumkehr greift daher bereits bei feststehender Aufklärungspflichtverletzung ein.“
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§ 5 Verbrauchervertragliche Informationspflichten
der Verbraucher den notariellen Immobilienkaufvertrag vor dem Darlehensvertrag bzw. der Abgabe eines bindenden Darlehensvertragsangebots633 abgeschlossen hat, weil er dann auch bei rechtzeitiger Widerrufsbelehrung nicht hätte vermeiden können, sich den Anlagerisiken auszusetzen.634 Der Belehrungsmangel beim Darlehensvertrag war in diesen Fällen nicht für die Übernahme der Risiken des Immobilienerwerbs kausal, weil bereits im Zeitpunkt des Kreditvertrages die Risiken aus dem Immobiliengeschäft vom Verbraucher übernommen worden sind. Eine weitergehende Auslegung635 unter dem Gesichtspunkt, dass die geforderte Reihenfolge von Darlehens- und Kaufvertrag häufig zufällig sei und dem Gedanken eines effektiven Verbraucherschutzes widerspreche, ist mit der grundlegenden Konzeption der Belehrungsmängelhaftung unvereinbar, weil sie letztendlich die Haftung vom – auf den Kreditvertrag bezogenen – Belehrungsmangel entkoppelt und allgemein an den Haustürvertrieb der Schrottimmobilien anknüpft, für deren Vertrieb die Richtlinie aber kein Widerrufsrecht gewährt. Im Ergebnis zeichnet sich damit eine schutzzweckorientierte Auslegung des Kausalitätskriteriums ab: Es geht im Kern um die Beseitigung (nur) derjenigen Risiken, die der Verbraucher deshalb nicht vermeiden konnte, weil das Kreditinstitut ihn nicht (zutreffend) über sein Widerrufsrecht belehrt hat.636 Der effektive Verbraucherschutz verlangt zwar grundsätzlich eine 633 Zu dieser Präzisierung Möllers/Grassl VuR 2010, 3, 13, 15 unter Hinweis auf Art. 1 Abs. 4 Haustürwiderrufsrichtlinie. 634 BGH 16.5.2006, XI ZR 6/04, NJW 2006, 2099, 2102 Rn. 38; BGH 6.11.2007, XI ZR 322/03, NJW 2008, 644, 648 f. Rn. 55; so wohl auch EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 97 – Schulte. Aus der Literatur Hoffmann ZIP 2005, 1985, 1989; Lechner NZM 2005, 921, 926; Freitag WM 2006, 61, 68; Habersack JZ 2006, 91, 93; Sauer NZM 2006, 333, 335 f.; Jungmann NJW 2007, 1562, 1564 f.; Mörsdorf ZIP 2012, 845, 850. Möllers/Grassl VuR 2010, 3, 14 sind der Auffassung, dass die Haustürwiderrufsrichtlinie die meisten Fälle bereits nicht erfasse, weil sowohl der Kaufvertrag wie der Darlehensvertrag in der Haustürsituation lediglich angebahnt und nicht abgeschlossen wurde bzw. ein bindendes Angebot des Verbrauchers abgegeben wurde (Art. 1 Abs. 1, Abs. 4 RL 85/577). Im Ergebnis stimmen sie der Auslegung des BGH aber zu (15). 635 In diese Richtung (auch Darlehensverträge nach Immobilienerwerb erfasst) Derleder BKR 2005, 442, 449: „Widerruf kann schließlich auch schlicht wegen mangelnden Bedarfs erklärt werden“; Staudinger NJW 2005, 3521, 3523; Knops WM 2006, 70, 73 f.; Kahl/Essig ZIP 2009, 659, 660, 666; Börger Sanktionen für die Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten (2010) S. 181 f.: zufällige Reihenfolge der Verträge könne keine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Verwiesen wird auch darauf, dass in EuGH 25.10.2005, Rs. C-229/04, Slg. 2005, I-9273 Rn. 49 – Crailsheimer Volksbank bei einem der Beklagten der Immobilienkauf dem Darlehensvertrag vorausging. 636 Aus Gründen des Schutzzweckzusammenhangs ist die fehlerhafte oder unterbliebene Belehrung auch „kein Anknüpfungspunkt für den Ersatz von Schäden, die daraus entstehen, dass ein Verbraucher zu seinen Ungunsten zur Ausübung des unbefristeten Widerrufsrechts motiviert wird“, Eichel ZfPW 2016, 52, 59 m. w. N. zur Gegenansicht.
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Vermutung des rechtzeitigen Widerrufs, um die Schadensersatzansprüche nicht in den allermeisten Fällen leerlaufen zu lassen, geht aber andererseits nicht so weit, dass er einen generellen Verzicht auf die Kausalitätsverknüpfung zwischen Belehrungsfehler und Schaden gestatten würde. 2. Andere Informationspflichtverletzungen Während der EuGH im Fall der Belehrungsmängelhaftung einigermaßen eindeutig klargestellt hat, dass es auf die Möglichkeit der Risikovermeidung, nicht auf ihren Nachweis ankommt, stellt sich beim Anspruch auf Vertragsaufhebung infolge einer allgemeinen Informationspflichtverletzung die Frage nach dem Kausalzusammenhang zwischen unrichtiger Information und Abschluss des Vertrages in etwas anderem Kontext. Zwar mag es auf den ersten Blick auch hier nahe liegen, in Fortschreibung der Schulte-Rechtsprechung bei Verletzung einer unionsrechtlichen Informationspflicht auf die Möglichkeit des Nichtabschlusses des Vertrages abzustellen und dem Verbraucher generell ein Recht auf Vertragsaufhebung einzuräumen. Dogmatisch ließe sich dies durch eine entsprechende Anwendung der Vermutung aufklärungsgerechten Verhaltens637 zugunsten des Informationsberechtigten erreichen.638 Dies hätte zur Folge, dass grundsätzlich die Informationspflichtverletzung einen Vertragsaufhebungsanspruch begründet, sofern der Unternehmer nicht nachweisen kann, dass es auch bei korrekter Information zum Vertragsschluss gekommen wäre. Für eine solche Lösung, wenn auch gekleidet in das Gewand der Anfechtung, hat sich auch der Entwurf für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht entschieden, insofern Art. 48 Abs. 2 lit. b ii – vorbehaltlich der Vertragskausalität – offenbar ein Anfechtungsrecht gewähren will, sofern „die andere Partei […] den irrtumsbehafteten Vertragsschluss durch Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten nach Kapitel 2 Abschnitte 1 bis 4 verursacht hat“. 637 Dazu BGH 5.7.1973, VII ZR 12/73, BGHZ 61, 118, 122 – Bastel-Wettbewerb II; BGH 4.4.2001, VIII ZR 32/00, NJW 2001, 2163, 2165: „Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH ist derjenige, der vertragliche oder vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt, beweispflichtig dafür, dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre“; ausführlich Grigoleit Vorvertragliche Informationshaftung (1997) S. 163 ff. Die dogmatische Einordnung der Vermutung (Beweislastumkehr, Anscheinsbeweis oder Beweismaßreduzierung nach § 287 ZPO; vgl. Grigoleit Vorvertragliche Informationshaftung (1997) S. 166 ff.) ist unsicher, kann aber aus der unionsrechtlichen Perspektive dieser Arbeit dahinstehen. 638 In diese Richtung etwa Janal Sanktionen und Rechtsbehelfe bei der Verletzung verbraucherschützender Informations- und Dokumentationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr (2003) S. 204: „Diese Erwägungen tragen auch eine Beweislastumkehr im Falle einer Verletzung der vorvertraglichen Informationspflichten nach § 312c Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB i. V. m. § 1 Abs. 1 InfoV. Der Nachweis, dass es auch bei korrekter Information zu einem Vertragsschluss gekommen wäre, obliegt damit dem Unternehmer.“
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Indes dürfte ein solch genereller Vertragsaufhebungsanspruch zu weit reichen. Im Unterschied zur Aufklärung über das für das europäische Verbraucherrecht zentrale Widerrufsrecht erfassen die Informationspflichten neben für den Vertragsschluss wesentlichen Gesichtspunkten auch eine Reihe von Informationen, die kaum jemals die Entscheidung des Verbrauchers über den Vertragsschluss beeinflussen dürften. Dazu zählen etwa unrichtige Angaben über die Identität des Unternehmers, wenn diese aus Sicht des Verbrauchers nicht den Vertragsgegenstand oder die Vertragsabwicklung berühren (weil es sich um eine austauschbare Massenware handelt), oder auch Informationen über den Zugang zu außergerichtlichen Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren639 (siehe oben § 5 I 2 d bb und dd → S. 283, 292). Nun könnte man versucht sein, aus diesen Gründen in das andere Extrem zu verfallen und stets im Einzelfall zu verlangen, dass der Verbraucher die Kausalität der Informationspflichtverletzung für den Vertragsabschluss nachweist. Jedoch führt dies nicht nur in vielen Fällen zu einer praktisch kaum überwindbaren und damit der Effektivität der Informationspflichten widersprechenden Nachweisschwelle, sondern dürfte auch mit dem Äquivalenzgrundsatz in Spannung treten: Wie der BGH unlängst bekräftigt hat, ist im autonomen deutschen Recht „derjenige, der vertragliche oder vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt hat, beweispflichtig dafür, dass der Schaden auch eingetreten wäre, wenn er sich pflichtgemäß verhalten hätte“.640 Für diese Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens ist nicht mehr erforderlich, dass der Anleger bei gehöriger Aufklärung vernünftigerweise nur eine Handlungsalternative gehabt hätte, sich also nicht in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte.641 Aufgrund des Schutzzwecks der Beweislastumkehr greift sie vielmehr „bereits bei bestehender Aufklärungspflichtverletzung ein“,642 denn der Zweck der Aufklärungs- und Beratungspflichten werde nur erreicht, „wenn Unklarheiten […] zu Lasten des Aufklärungspflichtigen“ gehen: „Dem Ersatzberechtigten wäre wenig damit gedient, wenn er seinen Vertragspartner zwar an sich aus schuldhafter Verletzung einer solchen Aufklärungspflicht in Anspruch nehmen könnte, aber regelmäßig daran scheitern würde, den Beweis zu erbringen, wie er auf den Hinweis, wenn er denn gegeben worden wäre, reagiert hätte.“
Umgekehrt hätte der Aufklärungsverpflichtete „wenig zu befürchten, wenn er sich bei Verletzung seiner Hinweispflicht darauf zurückziehen könnte, dass kaum zu beweisen sei, was der andere Teil auf den Hinweis hin getan hätte“.643 639 Ähnlich Börger Sanktionen für die Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten (2010) S. 99 f., der bei Informationen über die Identität des Anbieters und über Beschwerdeverfahren primär den Markt- und nicht den Individualschutz berührt sieht und deshalb Schadensersatzansprüche als nicht erforderlch ansieht. 640 BGH 8.5.2012, XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 28. 641 BGH 8.5.2012, XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 33. 642 BGH 8.5.2012, XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 33.
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Grundlage der Beweislastumkehr bei der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens ist damit bereits nach deutschem Recht nicht mehr die Vermutung, der Anleger hätte sich in einer bestimmten Art und Weise verhalten, sondern der „besondere Schutzzweck der Aufklärungspflicht“.644 Diese Differenzierung anhand des Schutzzwecks der verletzten Aufklärungs- oder Informationspflicht lässt sich auch auf den Nachweis der Vertragsabschlusskausalität bei Verstoß gegen unionale Informationspflichten übertragen, nicht zuletzt weil gerade die Auslegung des europäischen Verbrauchervertragsrechts in besonderer Weise durch den Schutzzweckgedanken gesteuert wird.645 Anstelle einer konturenlosen Einzelfallprüfung der Vertragskausalität, die im Regelfall ohnehin nur Beweislastentscheidungen produziert, ist deshalb typisiert anhand der Inhalte und Schutzzwecke der konkret verletzten Informationspflicht zu unterscheiden.646 Eine solche Hierarchisierung der Informationspflichten ist inzwischen auch im Unionsrecht angelegt, insofern Art. 8 Abs. 2 und Abs. 4 RL 2011/83 für auf elektronischem Wege oder per Fernkommunikationsmittel geschlossene Fernabsatzverträge einen klaren und hervorgehobenen Hinweis unmittelbar vor der Bestellung auf die Informationen gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. a, e, o und p647 bzw. Art. 6 Abs. 1 lit. a, b, e, h und o RL 2011/83,648 also gerade nicht auf alle Informationen aus dem Katalog des Art. 6 RL 2011/83 verlangen. Eine (widerlegliche) Vermutung der Abstandnahme des Verbrauchers vom Vertrag ist also nur bei solchen Informationspflichten angezeigt, deren Zweck darin besteht, den Verbrauchern zu ermöglichen, „die Tragweite ihrer zukünftigen Verpflichtung zu beurteilen und so die Gefahr bestimmter Irrtümer zu vermeiden, die zum Abschluss eines nachteiligen Vertrags führen können“.649 BGH 8.5.2012, XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 35. BGH 8.5.2012, XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 35. 645 Ähnlich Grüneberg in: Palandt BGB75 (2016) Einf v 238 EGBGB Rn. 10: Vermutung aufklärungsgerechten Verhaltens greife nur ein, wenn die verletzte Pflicht die Aufgabe hatte, die Entscheidungsgrundlage zu sichern. 646 Für eine solche typisierende oder „differenzierende Herangehensweise“ auch Tamm Verbraucherschutzrecht (2011) S. 505 f. in Anlehnung an Micklitz in: Micklitz/Tonner Handkommentar Vertriebsrecht (2002) § 312c Rn. 135 f. 647 Wesentliche Eigenschaften der Waren oder Dienstleistungen, Gesamtpreis der Waren oder Dienstleistungen, Laufzeit des Vertrags oder die Bedingungen der Kündigung unbefristeter Verträge oder sich automatisch verlängernder Verträge, Mindestdauer der Verpflichtungen, die der Verbraucher mit dem Vertrag eingeht. 648 Wesentliche Eigenschaften der Waren oder Dienstleistungen, Identität des Unternehmers, beispielsweise seinen Handelsnamen, Gesamtpreis der Waren oder Dienstleistungen, im Falle des Bestehens eines Widerrufsrechts die Bedingungen, Fristen und Verfahren für die Ausübung dieses Rechts gemäß Artikel 11 Absatz 1 sowie das Muster-Widerrufsformular gemäß Anhang I Teil B, Laufzeit des Vertrags oder die Bedingungen der Kündigung unbefristeter Verträge oder sich automatisch verlängernder Verträge. 649 Zu den Informationspflichten im E-Commerce EuGH 16.10.2008, Rs. C-298/07, Slg. 2008, I-7841 Rn. 23 – deutsche internet versicherung; ebenso zur Information über 643 644
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Unter Zugrundelegung einer solchen am Schutzzweck orientierten und im Zweifel ein Vertragslösungsrecht des Verbrauchers gestattenden Auslegung lässt sich – am Beispiel der Richtlinie 2011/83 – wie folgt differenzieren: Die Kausalität für den Vertragsschluss ist zu vermuten bei Informationen über wesentliche Eigenschaften der Waren und Dienstleistungen (Art. 6 Abs. 1 lit. a RL 2011/83), über den Preis (Art. 6 Abs. 1 lit. e RL 2011/83), die Laufzeit des Vertrages und die Mindestdauer (Art. 6 Abs. 1 lit. o, p RL 2011/83) sowie die Funktionsweise digitaler Inhalte und ihre Interoperabilität (Art. 6 Abs. 1 lit. r, s RL 2011/83). Bei diesen für das individuelle Vertragsverhältnis besonders bedeutsamen Informationspflichten kann sich der Verbraucher auf die Vermutung informationsgerechten Verhaltens berufen, so dass die Informationspflichtverletzung einen Anspruch auf Vertragsaufhebung zur Folge hat, sofern der Unternehmer nicht im Einzelfall bereit ist, den Vertrag an die unrichtige Information anzupassen (oder bereits kraft der gesetzlichen Regeln an den Inhalt der unrichtigen vorvertraglichen Information gebunden ist, dazu oben § 5 I 2 d bb → S. 283). Demgegenüber lassen sich andere Informationspflichten identifizieren, die vorrangig der Marktordnung und Markttransparenz dienen650 oder die sich in weniger bedeutsamer Weise auf die Vertragspflichten beziehen, so dass keine Vermutung der Vertragsabschlusskausalität angezeigt erscheint. Dies sind etwa (bei Massengeschäften ohne Relevanz des konkreten Anbieters) die Information über die Identität des Unternehmers (Art. 6 Abs. 1 lit. b RL 2011/83),651 seine Anschrift und Kontaktdaten samt Geschäftsanschrift (Art. 6 Abs. 1 lit. c, d RL 2011/83), die Kosten für die zum Vertragsschluss eingesetzte Fernkommunikationstechnik (Art. 6 Abs. 1 lit. f RL 2011/83),652 die Zahlungs-, Liefer- und Leistungsbedingungen (Art. 6 Abs. 1 lit. g RL die Gesamtkosten eines Kredits EuGH 4.3.2004, Rs. C-264/02, Slg. 2004, I-2157 Rn. 26 – Sylvain Sachithanathan: „Zum anderen ermöglicht sie es dem Verbraucher, den Umfang seiner Verpflichtung einzuschätzen“; zum Versicherungsrecht EuGH 5.3.2002, Rs. C-386/ 00, Slg. 2002, I-2209 Rn. 28 – Axa Royale Belge: Ziel, „dem Versicherungsnehmer die Informationen zu verschaffen, die er benötigt, um den seinen Bedürfnissen am ehesten entsprechenden Vertrag auswählen und dadurch die ihm zur Verfügung stehende größere Auswahl von Verträgen im Rahmen eines einheitlichen Versicherungsmarkts voll nutzen zu können“. 650 Siehe auch die Systematisierung bei Börger Sanktionen für die Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten (2010) S. 87 ff. mit Übersicht S. 99 f., der als primär marktschützende Informationspflichten die Information über die Identität des Anbieters und die Beschwerdeverfahren identifiziert. 651 Allerdings sieht Art. 8 Abs. 4 RL 2011/83 die Information über die Identität des Vertragspartners für den Fall als wesentlich an, dass der Vertragsschluss mittels eines Fernkommunikationsmittels geschlossen wird, auf dem für die Darstellung der Informationen nur begrenzter Raum bzw. begrenzte Zeit zur Verfügung steht. 652 Dies bezieht sich nicht auf die Kosten des Vertrages, sondern auf die Kosten des Verfahrens zum Vertragsschluss.
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2011/83), die Kosten für die Rücksendung der Waren bei Widerruf (Art. 6 Abs. 1 lit. i RL 2011/83),653 der Hinweis auf gesetzliche Gewährleistungsansprüche (Art. 6 Abs. 1 lit. l RL 2011/83),654 über Kundendienste und Garantien (Art. 6 Abs. 1 lit. m RL 2011/83), auf einschlägige Verhaltenskodizes (Art. 6 Abs. 1 lit. n RL 2011/83), die Stellung einer Kaution oder Sicherheit (Art. 6 Abs. 1 lit. q RL 2011/83)655 sowie den Zugang zu einem außergerichtlichen Beschwerdeverfahren (Art. 6 Abs. 1 lit. t RL 2011/83). Auch in diesen Fällen sollte dem Verbraucher der Nachweis offenstehen, dass die konkrete Information für seine Vertragsschlussentscheidung kausal war, indes ist eine Vermutung der Vertragskausalität aus Gründen der Effektivität nicht geboten. Im Hinblick auf unrichtige Informationen über das Widerrufsrecht (Art. 6 Abs. 1 lit. h RL 2011/83) schließlich ist die verlängerte Widerrufsfrist (Art. 10 RL 2011/83) bereits als Spezialregelung zu einem schadensersatzrechtlichen Vertragsaufhebungsanspruch anzusehen (dazu bereits oben § 5 I 2 a → S. 259), im Übrigen ist für die Folgenüberwälzung auf die Ausführungen zur Belehrungsmängelhaftung zu verweisen (§ 5 VI 1 → S. 310). Eine besondere Regelung existiert auch für die unterlassene Information über die Verpflichtung zum Wertersatz im Widerrufsfall (Art. 6 Abs. 1 lit. j RL 2011/83), der gemäß Art. 14 Abs. 4 lit. a i RL 2011/83 bei unterlassener Information vom Verbraucher nicht geschuldet wird. VII. Mitwirkende Verursachung VII. Mitwirkende Verursachung
Auch die Frage der Anspruchskürzung aufgrund mitwirkender Verursachung des Verbrauchers wird in den Verbraucherrichtlinien nicht geregelt. Es bleibt damit bei der Anwendung der Regeln der nationalen Rechtsordnungen unter dem Vorbehalt, dass die nationalen Regeln für die Geltendmachung unionsrechtlicher Ansprüche keine ungünstigeren Regeln vorsehen (Äquivalenzgrundsatz) und die Durchsetzung der europäisch fundierten Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen (Effektivitätsgrundsatz). Bei Anwendung dieser Grundsätze ist zunächst festzuhalten, dass die grundsätzliche Möglichkeit der Anspruchskürzung wegen mitwir653 Bei unterlassener Information sind diese Kosten schlichtweg nicht geschuldet (Art. 6 Abs. 6 RL 2011/83) und können daher auch nicht mehr vertragskausal sein. 654 Zwar betrifft diese Verpflichtung die vertraglichen Pflichten der Parteien (so dass man sie auch als vertragskausal einstufen könnte); allerdings handelt es sich um Pflichten, die kraft Gesetzes unabhängig von der Einigung der Parteien bestehen. Der Verbraucher wäre deshalb mit den gleichen Rechten konfrontiert, wenn er den Vertrag bei einem anderen Anbieter abgeschlossen hätte, so dass ihr Schutzzweck nicht die Entscheidungsfreiheit über den Abschluss des konkreten (individuellen) Vertrages erfasst. 655 Hier handelt es sich zwar um eine Vertragspflicht (und damit um einen Grenzfall), jedoch handelt es sich um eine untergeordnete Sicherungspflicht, die bei unrichtiger Information angemessen durch die Nichtvereinbarung der entsprechenden Kaution sanktioniert werden kann.
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kender Verursachung im Unionsrechts anerkannt ist. So hat der EuGH im Kontext des Staatshaftungsanspruchs gegen einen Mitgliedstaat wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht bereits mehrfach entschieden, dass sich der Geschädigte „nach einem allgemeinen, den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsatz […] in angemessener Form um die Begrenzung des Schadensumfangs bemühen [muss], wenn er nicht Gefahr laufen will, den Schaden selbst tragen zu müssen“.656
Es ist daher auch möglich, bei Verletzung unionsrechtlicher Informationspflichten den Schadensersatzanspruch des Verbrauchers wegen mitwirkender Schadensverursachung einzuschränken.657 Dabei darf allerdings der Schutzzweck der Informationspflichten nicht aus den Augen verloren werden. So entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass „der Informationspflichtige dem Geschädigten grundsätzlich nicht nach § 254 BGB entgegenhalten [kann], er habe den Angaben nicht vertrauen dürfen und sei deshalb für den entstandenen Schaden mitverantwortlich“, weil der Einwand des Mitverschuldens „im Gegensatz zum Grundgedanken der Aufklärungs- und Beratungspflicht [stünde], nach dem der Anleger regelmäßig auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der ihm erteilten Beratung vertrauen darf“.658 Diese Grundsätze lassen sich auch auf die unionsrechtlichen Informationspflichten übertragen, weil diese den Verbrauchern die Informationen verschaffen sollen, um „die Tragweite ihrer zukünftigen Verpflichtung zu beurteilen und so die Gefahr bestimmter Irrtümer zu vermeiden, die zum Abschluss eines nachteiligen Vertrags führen können“659 und „die zur ordnungsgemäßen Vertragserfüllung und vor allem zur Ausübung seiner Verbraucherrechte […] erforderlich sind“.660 Mit diesen Zielen wäre eine Obliegenheit zur Überprüfung der Unternehmerinformation nicht vereinbar, so dass der Verbraucher grundsätzlich auf die Richtigkeit der Nachweise in Fn. 170, insbesondere EuGH 25.11.2010, Rs. C-429/09, Slg. 2010, I-12167 Rn. 76 – Fuß m. w. N. Dort hat der Gerichtshof auch erneut bekräftigt, „dass die Ausübung der Rechte, die den Einzelnen aus den unmittelbar anwendbaren Vorschriften des Unionsrechts erwachsen, unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert würde, wenn ihre auf den Verstoß gegen das Unionsrecht gestützten Schadensersatzklagen bereits deswegen ganz oder teilweise abgewiesen werden müssten, weil die Betroffenen es unterlassen haben, das ihnen durch die Unionsbestimmungen verliehene und vom nationalen Recht verweigerte Recht geltend zu machen, um mittels der dafür vorgesehenen Rechtsbehelfe unter Berufung auf den Vorrang und die unmittelbare Wirkung des Unionsrechts gegen die Ablehnung durch den Mitgliedstaat vorzugehen“ (Rn. 78). 657 Zur Anwendung des § 254 BGB auf die Informationspflicht des Reiseveranstalters nach Art. 4 Abs. 1 lit. a RL 90/314 über Pass- und Visumserfordernisse LG Münster 12.2.2009, 8 S 131/08, NJW-RR 2009, 1418. 658 BGH 22.3.2011, XI ZR 33/10, NJW 2011, 1949, 1953 Rn. 41 m. w. N. 659 Nachweise bereits in Fn. 610. 660 EuGH 5.7.2012, Rs. C-49/11, ECLI:EU:C:2012:419 Rn. 34 – Content Services. 656
VIII. Begrenzung des Schadensersatzes
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Information vertrauen darf und nicht zur Vermeidung einer Anspruchskürzung aufgrund des Mitverschuldenseinwands gehalten ist, die Informationen des Unternehmers zu überprüfen. Ein Mitverschulden kommt daher erst dann in Betracht, wenn sich für den Verbraucher – insbesondere nach Erhalt der Ware oder Dienstleistungen – Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der vorvertraglichen Information ergeben haben und er dennoch nichts unternimmt, um eine Schadensvertiefung zu vermeiden.661 Für die Anwendung mitgliedstaatlicher Regeln über das Mitverschulden lässt sich auch auf Art. 5 Abs. 2 RL 1999/44 verweisen, der es den Mitgliedstaaten frei stellt, vom Verbraucher eine Geltendmachung seiner Gewährleistungsansprüche binnen zwei Monaten nach Feststellung der Vertragswidrigkeit zu verlangen. VIII. Begrenzung des Schadensersatzes
VIII. Begrenzung des Schadensersatzes
1. Gesetzliche Begrenzung des Schadensersatzes Eine ausdrückliche gesetzliche Begrenzung der Schadensersatzansprüche bei Informationspflichtverletzungen sieht das geltende Unionsrecht nicht vor. 2. Vertragliche Begrenzung des Schadensersatzes Eine Regelung zur vertraglichen Begrenzung von Schadensersatzansprüchen findet sich in Nr. 1 lit. a und lit. b des Anhangs zu Art. 3 Abs. 3 der Klauselrichtlinie 93/13, die eine Einschränkung der gesetzlichen Haftung für Tötung oder Körperschäden oder eine „ungebührliche“ Einschränkung der Ansprüche des Verbrauchers bei Nicht- oder Schlechterfüllung vertraglicher Verpflichtungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen als missbräuchlich einstuft. Zudem sieht Nr. 1 lit. e des Anhangs vor, dass „unverhältnismäßig“ hohe Entschädigungsbeträge dem seine Pflichten nicht erfüllenden Verbraucher nicht per AGB auferlegt werden dürfen. Grundsätzlicher stellt sich jenseits dieser Regeln die Frage, ob die Ersatzansprüche für Informationspflichtverletzungen überhaupt beschränkt werden dürfen. Nach Erwägungsgrund 35 RL 2011/83 sollen nämlich die vom Unternehmer zur Verfügung zu stellenden Informationen „obligatorisch sein“ und „nicht geändert werden“. Gestattet ist allerdings „eine ausdrückliche Vereinbarung über die Änderung des Inhalts des anschließend abgeschlossenen VerSiehe auch Janal Sanktionen und Rechtsbehelfe bei der Verletzung verbraucherschützender Informations- und Dokumentationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr (2003) S. 200, 217, die aus der Obliegenheit zur Schadensminderung eine Prüfungspflicht des Verbrauchers samt Verpflichtung zum Widerruf ableitet. Die Widerrufsverpflichtung dürfte indes zu weit gehen, weil der Widerruf in der Regelungsstruktur zumindest der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83 nicht an die Verletzung sonstiger Informationspflichten gekoppelt ist, sondern dem Ausgleich der Wareninspektionsmöglichkeit bzw. der Drucksituation bei Haustürgeschäften dient (Erwägungsgrund 37 RL 2011/83). 661
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trags, etwas hinsichtlich der Lieferbedingungen“. Art. 25 RL 2011/83 (Art. 22 Abs. 2 Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48)662 ergänzt, dass „Vertragsklauseln, die einen Verzicht auf die sich aus dieser Richtlinie ergebenden Rechte […] unmittelbar oder mittelbar bewirken, […] für den Verbraucher nicht bindend [sind]“. Wenn nun die Primäransprüche auf Information zwingend ausgestaltet sind, dann wäre zumindest die Wirksamkeit dieser Verbraucherrechte beeinträchtigt, wenn Ersatzansprüche bei Informationspflichtverletzung vor Entstehen der Streitigkeit ausgeschlossen oder beschränkt werden dürften. Die zwingende Ausgestaltung der Informationsansprüche bedingt daher auch eine zwingende Ausgestaltung der korrespondierenden Ersatzansprüche.663 3. Vorteilsausgleichung und Bereicherungsverbot Die Frage von Vorteilsausgleichung und Bereicherungsverbot ist im Verbraucherrecht vor allem im Zusammenhang mit der Belehrungsmängelhaftung diskutiert worden. Hier waren tatsächliche oder vermeintliche Steuervorteile nicht selten Triebfeder des Immobilienerwerbs, so dass sich die Frage stellt, wie solche Vorteile oder auch empfangene Mietzahlungen im Rahmen des Schadensausgleichs zu berücksichtigen sind. Mit Recht gehen Literatur und Rechtsprechung davon aus, dass derartige Vorteile vom Ersatzanspruch des Verbrauchers abzuziehen sind, damit es nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung kommt.664 Schließlich ist der Verbraucher so zu stellen, wie er bei ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung (und rechtzeitigem Widerruf) gestanden hätte, nicht besser. Außerhalb der Belehrungsmängelhaftung lässt sich für die Anerkennung eines Grundsatzes der Vorteilsausgleichung auch auf die Rechtsprechung zu den Widerrufsfolgen verweisen. Wie der EuGH in der Rechtssache Pia Messner entschieden hat, ist es mit europäischem Verbraucherrecht vereinbar, wenn „der Verbraucher einen angemessenen Wertersatz zu zahlen hat, wenn er die durch Vertragsabschluss im Fernabsatz gekaufte Ware auf eine mit den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts wie denen von Treu und Glauben oder der ungerechtfertigten Bereicherung unvereinbare Art und Weise benutzt hat“.665
Siehe auch Art. 12 Abs. 1 Finanzdienstleistungsfernabsatzrichtlinie 2002/65. Vgl. (zur Ausgestaltung der primären Informationspflichten) Ackermann ZEuP 2009, 230, 258: „eignen sich – wenn überhaupt – allein zwingende privatrechtliche Regeln“; a. A. Schmidt-Kessel in: Schlachter/Ohler Europäische Dienstleistungsrichtlinie (2008) Art. 22 Rn. 3. 664 OLG Stuttgart 29.12.2011, 6 U 79/11, VuR 2012, 145, 146 (Steuervorteile); Hoffmann ZIP 2005, 1985, 1990 (Mietzahlungen); Habersack JZ 2006, 91, 93: „im Gegenzug muss sich der Verbraucher allerdings erzielte Vorteile (steuerlicher und sonstiger Art) anrechnen lassen“; Knops WM 2006, 70, 73 (Steuervorteile). 665 EuGH 3.9.2009, Rs. C-489/07, Slg. 2009, I-7315 Rn. 26 – Pia Messner; zur Verzinsungspflicht bei Widerruf von Verbraucherkreditverträgen auch Art. 14 Abs. 3 lit. b RL 662 663
IX. Verjährung und Ausschlussfristen
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Der Verweis auf die Regeln der ungerechtfertigten Bereicherung, der sich auch bereits in den Schlussanträgen der Generalanwältin findet, bezieht sich zwar auf das Rückabwicklungsregime nach Widerruf. Indes ist dieser Rechtsgedanke auch bei einer Rückabwicklung infolge eines schadensrechtlichen Vertragsaufhebungsrechts zu berücksichtigen und untermauert die These von der Vereinbarkeit der Regeln zum Bereicherungsverbot mit dem unionalen Schadensersatzrecht. IX. Verjährung und Ausschlussfristen IX. Verjährung und Ausschlussfristen
Zu Verjährung und Ausschlussfristen von Schadensersatzansprüchen wegen Informationspflichtverletzung findet sich im Unionsrecht keine Regelung. Ihre Festlegung obliegt damit dem nationalen Recht in den Grenzen des europäischen Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatzes. Zwar existiert auch Rechtsprechung speziell zum Effektivitätsgrundsatz bei Ausschlussfristen im Verbrauchervertragsrecht,666 aber infolge der bei den Ausschlussfristen anzutreffenden Verknüpfung der Rechtsprechung aus unterschiedlichen Fachgebieten soll der Einfluss des Effektivitätsgrundsatzes im Ergebnisteil zusammenfassend dargestellt werden (§ 9 IX → S. 618). An dieser Stelle ist allerdings noch zu erörtern, ob nicht zumindest in den Fällen der Belehrungsmängelhaftung eine entsprechende Anwendung der Fristen für die Ausübung des Widerrufsrechts in Betracht kommt. Insofern ließe sich generell gegen die Zulässigkeit von Ausschlussfristen für die Geltendmachung des Widerrufsrechts bei unrichtiger Widerrufsbelehrung einwenden, dass der EuGH in Heininger die im deutschen Recht vorgesehene Befristung des Widerrufsrechts auf ein Jahr nach Vertragsschluss als richtlinienwidrig verworfen hat. Indes sieht die neue Richtlinie 2011/83 über die Rechte der Verbraucher in Art. 10 Abs. 1 ausdrücklich vor, dass die Widerrufsfrist bei Nichtbelehrung 12 Monate nach Ablauf der ursprünglichen Wider2008/48. Unsicher ist, ob Pia Messner nach der Neuregelung der Widerrufsfolgen in Art. 14 Verbraucherrechterichtlinie 2011/83 Bestand haben kann, denn Art. 14 Abs. 2 RL 2011/83 sieht nur eine Haftung der Verbraucher für den Wertverlust vor, der „auf einen zur Prüfung der Beschaffenheit, Eigenschaften und Funktionsweise der Waren nicht notwendigen Umgang mit den Waren zurückzuführen ist“, während Art. 14 Abs. 5 RL 2011/83 weitergehende Ansprüche gegen den Verbraucher ausschließt. Indes dürfte sich unter Art. 14 Abs. 2 RL 2011/83 neben dem Verschlechterungswertersatz wohl auch der Nutzungswertersatz subsumieren lassen, um eine ungerechtfertigte Bereicherung des Verbrauchers zu vermeiden, Unger ZEuP 2012, 270, 295; ebenso Schwab/Giesemann EuZW 2012, 253, 256: „Hiermit wird lediglich bestätigt, was in Umsetzung der Messner-Entscheidung des EuGH bereits geltendes Recht ist und auch vom BGH in seinem Wasserbett-Urteil zur Reichweite des Prüfungsrechts bei einem Fernabsatzkauf anerkannt wurde.“ 666 Siehe etwa EuGH 21.11.2002, Rs. C-473/00, Slg. 2002, I-10875 – Cofidis (zur Verbraucherkreditrichtlinie); EuGH 6.10.2009, Rs. C-40/08, Slg. 2009, I-9579 – Asturcom (zur Klauselrichtlinie).
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§ 5 Verbrauchervertragliche Informationspflichten
rufsfrist abläuft. Da sich die Argumentation in Heininger maßgeblich auf die Fassung der ursprünglichen Haustürwiderrufsrichtlinie und nicht so sehr auf den allgemeinen Effektivitätsgrundsatz bezieht,667 dürften mit dieser Rechtsänderung auch Bedenken hinsichtlich der zeitlichen Begrenzung der Verbraucherfolgeansprüche bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung ausgeräumt sein. Angesichts der nunmehr vorgesehenen Befristung des Widerrufsrechts bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung stellt sich vielmehr die Frage, ob die Ausschlussfrist von einem Jahr und 14 Tagen (oder sogar von 14 Tagen bei korrekter Belehrung) nicht auf andere Ersatzansprüche wegen Informationspflichtverletzungen entsprechend anzuwenden ist. Bereits aus Schulte ergibt sich, dass dies jedenfalls für die Ansprüche aus Belehrungsmängelhaftung zu bejahen sein dürfte, denn wenn der EuGH dort den Anspruch auf Risikoüberwälzung an die Ausübung des Widerrufsrechts knüpft, dann folgt bei einer zeitlichen Befristung des Widerrufsrechts, dass mit Ablauf der (verlängerten) Widerrufsfrist auch der Anspruch auf Risikoüberwälzung entfällt. Für eine weitergehende Übertragung auf sämtliche Informationspflichtverletzungen fehlt es indes an einer tragfähigen Grundlage. So bezieht sich Art. 10 Abs. 1 RL 2011/83 (vgl. Erwägungsgrund 43) ausdrücklich nur auf das Widerrufsrecht und die fehlerhafte Belehrung über dieses Recht. Die unterbliebene oder fehlerhafte Information über andere Punkte im Katalog des Art. 6 RL 2011/83, zu der der Unternehmer verpflichtet ist, hat auf den Lauf der Widerrufsfrist keinen Einfluss.668 Demgemäß wäre es auch überraschend, wenn man aus Art. 10 der Richtlinie 2011/83 eine generelle unionsrechtliche Verpflichtung auf eine Ausschlussfrist von einem Jahr für Schadensersatzansprüche aufgrund unionsrechtlicher Informationspflichtverletzungen ableiten wollte. X. Verzinsung
X. Verzinsung
Zu Verzinsung und Inflationsausgleich lässt sich im Hinblick auf die Belehrungsmängelhaftung zugrunde legen, dass der Ersatzanspruch auf die monetäre (nicht tatsächliche, weil die Verbundlösung und die damit einhergehende 667 Vgl. EuGH 13.12.2001, Rs. C-481/99, Slg. 2001, I-9945 Rn. 45 f. – Heininger: „Die Haustürgeschäfterichtlinie bestimmt somit ausdrücklich, dass die für den Widerruf vorgesehene Mindestfrist von sieben Tagen ab dem Zeitpunkt zu rechnen ist, zu dem dem Verbraucher die Belehrung über sein Widerrufsrecht erteilt wurde, und dass es dem Gewerbetreibenden obliegt, diese Belehrung zu erteilen. Diese Bestimmungen erklären sich dadurch, dass der Verbraucher das Widerrufsrecht nicht ausüben kann, wenn es ihm nicht bekannt ist. Angesichts des Wortlauts und des Zweckes von Artikel 5 der Haustürgeschäfterichtlinie kann Artikel 4 Absatz 3 dieser Richtlinie nicht dahin ausgelegt werden, dass der nationale Gesetzgeber vorsehen kann, dass das Widerrufsrecht des Verbrauchers auf jeden Fall innerhalb eines Jahres ausgeübt werden muss, selbst wenn der Verbraucher vom Gewerbetreibenden nicht über dieses Recht belehrt worden ist.“ 668 Siehe bereits oben Nachweise in Fn. 416.
X. Verzinsung
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Abgabe der Immobilie an die Bank nicht unionsrechtlich geboten ist) Wiederherstellung der Situation bei rechtzeitigem Widerruf gerichtet ist. Es stellt sich damit die Frage, ob als Teil dieser Wiederherstellung dem Verbraucher auch die entgangenen Nutzungen des von ihm eingesetzten Eigenkapitals oder immerhin ein darauf bezogener Inflationsausgleich zu ersetzen ist. Richtigerweise wird man dies aus unionsrechtlicher Perspektive wegen des Grundsatzes vollständiger Schadenskompensation im Anwendungsbereich der Richtlinien 2008/48 und 2002/65, soweit die Belehrungsmängelhaftung fortgilt (dazu oben § 5 I 2 b bb → S. 268), wohl bejahen müssen, weil das Eigenkapital des Anlegers im Fall eines Widerrufs und der rechtzeitigen Lösung vom Immobilienerwerb „erfahrungsgemäß nicht ungenutzt geblieben, sondern zu einem allgemein üblichen Zinssatz angelegt worden wäre“.669 Im Regelfall wird dieser Anspruch aber einen Inflationsausgleich nicht übersteigen, weil ein Anleger, der sich für ein eher risikoreiches kreditfinanziertes Immobilienengagement entschieden hat, kaum wird darlegen können, dass er sich bei rechtzeitiger Widerrufsbelehrung ansonsten für eine sichere Kapitalanlage mit sicherem Zinsertrag über der Inflationsrate entschieden hätte.670 Zu einem anderen Ergebnis gelangt man nur, wenn der betreffende Anleger ansonsten stets sichere Anlagen gewählt hat, so dass es naheliegt, dass er nur durch die Initiative der finanzierenden Bank oder ihrer Vermittler zur Immobilienanlage bewegt wurde. Im Anwendungsbereich der allgemeinen Verbraucherrechterichtlinie sieht Art. 13 RL 2011/83 demgegenüber lediglich vor, dass der Unternehmer dem Verbraucher „alle Zahlungen, die er vom Verbraucher erhalten hat“ unverzüglich zurückzahlen muss, sobald er über den Widerruf informiert wurde; eine Verzinsungspflicht ist nicht vorgesehen. Scheitert ein über die Inflationsrate hinausgehender Verzinsungsanspruch des Anlegers damit regelmäßig an der Darlegungs- und Beweislast, so stellt sich umgekehrt die Frage nach der Verzinsungspflicht des Verbrauchers im Hinblick auf den von der Bank erhaltenen Darlehensbetrag. Unter Geltung der alten Haustürwiderrufsrichtlinie 85/577 sprachen sich manche Autoren für einen Wegfall der Verzinsungspflicht des Verbrauchers jedenfalls bei unrichtiger Widerrufsbelehrung aus.671 Demgegenüber sieht die Verbraucher669 BGH 24.4.2012, XI ZR 360/11, NJW 2012, 2266 Rn. 11 (zum Schadensersatzanspruch aus Prospekthaftung und Anlageberatung nach deutschem Recht). 670 Siehe nur die Konstellation in BGH 24.4.2012, XI ZR 360/11, NJW 2012, 2266 Rn. 13 (zum Schadensersatzanspruch aus Prospekthaftung und Anlageberatung nach deutschem Recht). 671 Zur Rechtslage unter der alten Haustürwiderrufsrichtlinie 85/577 Knops WM 2006, 70, 79, Rösler ZEuP 2006, 869, 878, 883, die eine Verzinsungspflicht verneinen, weil der Verbraucher auch bei rechtzeitigem Widerruf keine Zinsen hätte zahlen müssen; für die Möglichkeit einer Verzinsung abhängig vom nationalen Recht aber Möllers/Grassl VuR 2010, 3, 6. Zwar steht die Haustürwiderrufsrichtlinie „grundsätzlich nicht der Anwendung nationaler Vorschriften, wonach der Verbraucher, der einen Darlehensvertrag widerruft,
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kreditrichtlinie 2008/48 eine Verzinsungspflicht offenbar auch bei fehlerhafter Belehrung vor (vgl. Art. 14 Abs. 3 lit. b RL 2008/48). Unter Geltung der neuen Verbraucherrechterichtlinie 2011/83 dürfte die Frage demgegenüber kaum Bedeutung erlangen, weil Finanzdienstleistungen und damit die Überlassung von Geld an Verbraucher aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeklammert sind (Art. 3 Abs. 3 lit. d RL 2011/83), so dass sich auch nicht die Frage der Verzinsungspflicht stellen dürfte.672
das Darlehen zuzüglich der marktüblichen Zinsen sofort vollständig zurückzahlen muss, in Fällen entgegen, in denen der Gewerbetreibende seiner Verpflichtung zur Belehrung des Verbrauchers nach Artikel 4 der Richtlinie nachgekommen ist. Dies gilt jedoch nicht zwangsläufig auch dann, wenn der Gewerbetreibende dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist“, EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 93 – Schulte. Siehe auch Müller/Fuchs WM 2015, 1094; Piekenbrock/Rodi WM 2015, 1085. 672 Will man sie dennoch beantworten, so dürfte Folgendes gelten: Da bei Belehrungsfehlern eine Wertersatzpflicht wegen fehlender Rückgabemöglichkeit der Sache in natura nach Art. 14 Abs. 2 Satz 2 RL 2011/83 offenbar ausgeschlossen ist (zumindest wenn es sich um einen zufälligen Untergang handelt, vgl. Unger ZEuP 2012, 270, 293), der Verbraucher bei Belehrungsfehlern auch für erbrachte Dienstleistungen nicht aufkommen muss (Art. 14 Abs. 4 lit. a ii RL 2011/83) und den Verbraucher über die Richtlinie hinaus keine Verpflichtungen treffen (Art. 14 Abs. 5 RL 2011/83), dürfte die Verbraucherrechterichtlinie nahe legen, dass keine Verzinsung geschuldet ist. Siehe aber Unger ZEuP 2012, 270, 294 f., der den Nutzungswertersatz des Verbrauchers durch Art. 14 Abs. 5 RL 2011/ 83 nicht ausgeschlossen sieht; ferner Zimmermann in: Eidenmüller u. a. (Hrsg.) Revision des Verbraucher-acquis (2011) 167, 188, der bei Darlehensgewähr das Erlangte nicht nur in der Darlehensvaluta als solcher, sondern auch in der damit eingeräumten Nutzungsmöglichkeit sieht, was einen Zinsanspruch aus der Verpflichtung zum Wertersatz eröffne, weil eine Rückgabe in natura nicht möglich sei.
Abschnitt 2
Rechtsangleichung durch Richtlinien § 6 Reiserecht
§ 6 Reiserecht
§ 6 Reiserecht
Die Richtlinie 90/314 über Pauschalreisen (nunmehr Richtlinie 2015/2302 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen) zählt zu den frühen Harmonisierungsmaßnahmen der Union auf dem Gebiet des Privatrechts.1 Sie ist das Ergebnis einer in den achtziger Jahren aufgenommenen Gesetzgebungsinitiative der Kommission, die vor allem durch zwei Anliegen motiviert war.2 Zum einen sah man in den Unterschieden des sich seit den siebziger Jahren in den Mitgliedstaaten entwickelnden Pauschalreiserechts3 ein Hindernis für einen einheitlichen europäischen Pauschalreisemarkt und ein Risiko für Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Reiseveranstaltern.4 Zum anderen verwies die Kommission auf Studien zur Unzufriedenheit der Verbraucher mit den Pauschalreiseleistungen,5 die z. T. auf die Spezifika des 1 Einen früheren Versuch zur Angleichung des Reisevertragsrechts stellt die Convention internationale relative au contrat de voyage (CCV) aus dem Jahr 1970 dar, die wegen geringer Ratifikationen gescheitert ist, Tonner in: Grabitz/Hilf Das Recht der Europäischen Union IV (EL 13 1999) A 12 Pauschalreisen (RL 90/314/EWG) Vorbemerkung Rn. 7; zur Konvention Rebmann DB 1971, 1949 ff., 2012 ff. 2 Siehe auch bereits die Mitteilung der Kommission an den Rat – Erste Überlegungen zu einer Fremdenverkehrspolitik der Gemeinschaft, Beilage 4/82 im Bulletin der Europäischen Gemeinschaften S. 7, 19: „Rechtsschutz für Touristen“; Mitteilung der Kommission an den Rat – Vorgehen der Gemeinschaft im Bereich des Fremdenverkehrs, Beilage 4/86 im Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, S. 14 Rn. 47: „Er [der Entwurf für eine Pauschalreiserichtlinie] soll alle Bürger vor unzulänglichen Informationen über Pauschalreisen schützen, die Haftung der Reiseveranstalter gegenüber dem Reisenden sowohl vor als auch nach dem Aufenthalt festlegen, ein einfaches Verfahren einführen, mit dem Schwierigkeiten behoben und gegebenenfalls Beschwerden am Urlaubsort oder andernorts entgegengenommen werden können, und gleiche Wettbewerbsbedingungen im Pauschalreiseverkehr herstellen.“ 3 Dazu Tonner Reiserecht in Europa (1992) S. 39 ff.; Meyer/Kubis ZVglRWiss 92 (1993) 179. 4 Für eine vergleichende Analyse dieses in verschiedenen Richtlinien anzutreffenden Begriffs Basedow FS Mestmäcker (1996) 347, 353. 5 Zur praktischen Bedeutung des Pauschalreisevertrags Tonner in: MünchKommBGB IV6 (2012) Vor § 651a Rn. 57, 60: 75,7 % aller Bürger über 14 Jahre haben 2009 eine Pauschal- oder Individualreise unternommen, 43,8 % aller Reisen (2010) wurden als Pauschalreise gebucht.
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Pauschalreiserechts (etwa die Vorleistungsverpflichtung des Reisenden) zurückgeführt wurden und denen durch europaweit einheitliche Verbraucherschutzstandards begegnet werden sollte.6 Diese beiden Anliegen – Binnenmarktintegration und Verbraucherschutz – spiegeln sich auch in der endgültigen Richtlinie7 (nunmehr ausdrücklich Art. 1 RL 2015/2302). Sie zielt zum einen – schon aus kompetenziellen Gründen (Art. 114 AEUV) – auf die Vollendung des Binnenmarktes auf dem Gebiet der Pauschalreiseleistungen.8 Daneben zielt sie mit dem Schutz der Verbraucher9 auch auf ein materielles Anliegen,10 wobei der Verbraucherschutz umfassender als sonst im Unionsprivatrecht verstanden wird, weil die Richtlinie in ihrem personellen Anwendungsbereich keine Beschränkung auf den nicht gewerblich tätigen Reisenden (Verbraucher) vorsieht (Art. 2 Nr. 4 RL 90/314; nunmehr etwas enger11 Art. 2 Abs. 2 lit. c, Art. 3 Nr. 6 und Erwägungsgrund 7 RL 2015/2302).12 Sachlicher 6 Vorschlag für eine Richtlinie über Pauschalreisen, darunter auch Pauschalurlaubsreisen und Pauschalrundreisen KOM(88) 41 S. 11 f, Anhang S. 1 (mit Begründung auch abgedruckt in BT-Drs. 11/3701). Den Zahlen der Kommission wurden von Seiten der Reiseveranstalter günstigere Zufriedenheitszahlen entgegen gesetzt, Tonner Reiserecht in Europa (1992) S. 237. 7 Staudinger in: Staudinger §§ 651a–651m; Anhang zu § 651a: BGB-InfoV (Reisevertragsrecht) (2016) Vorbem zu §§ 651a–m Rn. 46. 8 Siehe die Erwägungsgründe 1–3, 7 RL 90/314 und die Erwägungsgründe 4–6 RL 2015/2302. 9 Vgl. Erwägungsgründe 4, 6, 8, 9 und RL 90/314 und Erwägungsgründe 3, 5, 6, RL 2015/2302: „hohes Verbraucherschutzniveau“. Die Pauschalreiserichtlinie wird im Anhang Nr. 5 zu Art. 3 lit. a der VO 2006/2004 über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz als „Gesetz zum Schutz der Verbraucherinteressen“ aufgeführt. Siehe auch EuGH 16.2.2012, Rs. C-134/11, ECLI:EU:C:2012:98 Rn. 24 – Blödel-Pawlik: „hohes Niveau des Verbraucherschutzes“. 10 Zur Binnenmarktdienlichkeit eines hohen Verbraucherschutzniveaus im Pauschalreiserecht durch Gewährleistung hoher Verbraucherschutzstandards auch bei grenzüberschreitend nachfragenden Verbrauchern Erwägungsgrund 6 RL 2015/2302. 11 Dazu Standpunkt des Rates in erster Lesung im Hinblick auf den Erlass einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, Ratsdokument Nr. 9173/3/15 REV 3 ADD 1 vom 22.9.2015 S. 7 Ziffer 21: „Generell ausgeschlossen sind Geschäftsreisen, seien es Pauschalreisen oder verbundene Reisearrangements, die auf der Grundlage eines allgemeinen Vertrags für die Organisation von Geschäftsreisen zwischen einem Unternehmer und einer anderen natürlichen oder juristischen Person, die zu Zwecken handelt, die ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können, erworben werden, da es für Geschäftsreisen gegenüber Urlaubspauschalreisen bereits ein vergleichbares Schutzniveau gibt.“ 12 Durch die Neufassung der Pauschalreiserichtlinie wurden die – vormals von der Richtlinie (sofern sie nicht nur gelegentlich tätig waren) erfassten – nicht gewerblich tätigen Reiseveranstalter (vgl. Art. 2 Nr. 2 RL 90/314, z. B. Sportvereine) aus dem Anwendungsbereich ausgeschlossen, vgl. die Definition des Reiseveranstalters in Art. 3 Nr. 8 RL 2015/2302 mit Bezugnahme auf den „Unternehmer“ (Art. 3 Nr. 7 RL 2015/2302).
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Anknüpfungspunkt der Richtlinie ist der Begriff der Pauschalreise (Art. 2 Nr. 1 RL 90/314; Art. 3 Nr. 2 RL 2015/2302)13 als „eine Kombination aus mindestens zwei verschiedenen Arten von Reiseleistungen für den Zweck derselben Reise“, die entweder „von einem Unternehmer auf Wunsch oder entsprechend einer Auswahl des Reisenden vor Abschluss eines einzigen Vertrages über sämtliche Leistungen zusammengestellt werden“ (Art. 3 Nr. 2 lit. a RL 2015/2302) oder – bei Erwerb von mehreren Unternehmern auf einer einheitlichen Internetplattform oder Vertriebsstelle – die in Art. 3 Nr. 2 lit. b RL 2015/2302 genannten Kriterien erfüllt.14 Die neugefasste15 und erheblich ausführlichere Richtlinie 2015/2302 reagiert vor allem auf die Bedeutung des 13 Dazu Erwägungsgründe 8–12 RL 2015/2302 und EuGH 30.4.2002, Rs. C-400/00, Slg. 2002, I-4051 Rn. 16, 20 – Club-Tour, Viagens e Turismo (zum Begriff der Pauschalreise bei Organisation einer Reise nach den Vorgaben des Reisenden und zum Begriff der „im Voraus festgelegten Verbindung“); EuGH 11.2.1999, Rs. C-237/97, Slg. 1999, I-825 Rn. 34 – AFS Intercultural Programs Finland (Schüleraustausch keine Pauschalreise i. S. d. Richtlinie); zur Abgrenzung zur Reisevermittlung BGH 30.9.2010, Xa ZR 130/08, NJW 2011, 599 f. Rn. 12 ff.; dazu kritisch Tonner RRa 2011, 58, 59 f. 14 Die alte Richtlinie 90/314 verstand unter Pauschalreise eine „im voraus festgelegte Verbindung von mindestens zwei der folgenden Dienstleistungen, die zu einem Gesamtpreis verkauft oder zum Verkauf angeboten wird, wenn diese Leistung länger als 24 Stunden dauert oder eine Übernachtung einschließt: a) Beförderung, b) Unterbringung, c) andere touristische Dienstleistungen, die nicht Nebenleistungen von Beförderung oder Unterbringung sind und einen beträchtlichen Teil der Gesamtleistung ausmachen“ (Art. 2 Nr. 1 RL 90/314). Zum Begriff der Pauschalreise, insbesondere zum „click through“ (ein „click through“ liegt vor, „wenn mindestens zwei verschiedene Arten von Reiseleistungen von separaten Unternehmern durch verlinkte Online-Buchungsvorgänge erworben werden und der Name, die E-Mail-Adresse und die Zahlungsangaben des Reisenden innerhalb von 24 Stunden zwischen den Unternehmern weitergeleitet werden“) Standpunkt des Rates in erster Lesung im Hinblick auf den Erlass einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, Ratsdokument Nr. 9173/3/ 15 REV 3 ADD 1 vom 22.9.2015 S. 4 Ziffer 12. 15 Dazu insbesondere Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen KOM(2013) 512 mit Besprechung Tonner ZRP 2014, 5; Bericht vom 18.2.2014 über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Pauschal- und Bausteinreisen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates, Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz, PE 524.596v 02-00, A7-0124/2014: Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. März 2014 zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Pauschal- und Bausteinreisen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/ 2004 und der Richtlinie 2011/83/EU sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates, P7_TA(2014)0222. Die endgültige Fassung der Richtlinie entspricht dem Standpunkt des Rates in erster Lesung im Hinblick auf den Erlass einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, Ratsdokumente Nr. 9173/3/15 REV 3 vom 22.9.2015 (Richtlinientext) und Nr. 9173/3/15 REV 3 ADD 1 (Erläuterungen) vom 22.9.2015.
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Internets als Vertriebsplattform für Reiseleistungen und die damit verbundenen Möglichkeiten des Kunden, die Reiseleistungen nach seinen Vorgaben zusammen zu stellen.16 Ihr Anwendungsbereich erstreckt sich deshalb über Pauschalreisen hinaus auf „verbundene Reiseleistungen“ (Art. 2 Abs. 1 RL 2015/2302), also mindestens zwei verschiedene Arten von Reiseleistungen, die für den Zweck derselben Reise von unterschiedlichen Veranstaltern erworben, allerdings in engem zeitlichen Zusammenhang durch einen Unternehmer vermittelt werden (zum Begriff Art. 3 Nr. 5 RL 2015/2302). Trotz des nur geringen zeitlichen Abstands zur Produkthaftungsrichtlinie war die Pauschalreiserichtlinie 90/314 einer neuen Generation von Rechtsakten zuzuordnen,17 die nicht mehr auf eine vollständige Rechtsangleichung, sondern lediglich auf eine Mindestharmonisierung zugunsten des Reisenden (Art. 8 RL RL 90/314) abzielten,18 so dass die Mitgliedstaaten auch eine striktere (etwa verschuldensunabhängige Gewährleistungs-) Haftung vorsehen konnten (vgl. § 651c BGB).19 Von diesem Ansatz hat man sich in der 16 Erwägungsgründe 2, 8 RL 2015/2302. Ausführlich zu den Schwächen der alten RL 90/314 Commission Staff Working Document Impact Assessment Accompanying the document on package travel and assisted travel arrangements, amending Regulation (EC) No 2006/2004l and Directive 2011/83/EU and repealing Council Directive 90/314/EEC, SWD(2013) 263 Annex 3 S. 70 ff. 17 Zur geänderten Strategie der Kommission vgl. (für den freien Warenverkehr) das Weißbuch der Europäischen Kommission an den Rat Vollendung des Binnenmarktes, KOM 85(310) Rn. 65 S. 19; zur Übertragbarkeit dieser Strategie auf das Pauschalreiserecht Tonner in: Grabitz/Hilf Das Recht der Europäischen Union IV (EL 13 1999) A 12 Pauschalreisen (RL 90/314/EWG) Art. 1 Rn. 3; speziell zum Verbraucherschutz und zum Pauschalreiserecht Mitteilung der Kommission Notwendigkeit eines neuen Impulses für die Politik zum Schutz der Verbraucher, Beilage 6/86 im Bulletin der Europäischen Gemeinschaften S. 8, 15 Rn. 37. 18 Demgegenüber schlug das Parlament eine Vollharmonisierung vor, Änderung Nr. 30 zu Art. 9 des Kommissionsvorschlags, ABl. C 69 vom 20.3.89 S. 95, 101; ebenso Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie über Pauschalreisen, darunter auch Pauschalurlaubsreisen und Pauschalrundreisen KOM(89) 348 S. 12. 19 Die ursprüngliche Richtlinie von 1990 sah nur eine rudimentäre Gewährleistungshaftung vor, dazu Tonner in: Grabitz/Hilf Das Recht der Europäischen Union IV (EL 13 1999) A 12 Pauschalreisen (RL 90/314/EWG) Art. 4 Rn. 61: „Dagegen kennt die Richtlinie keine generelle verschuldensunabhängige Mängelgewährleistung wie das deutsche Recht. Der Begriff ‚Mängelgewährleistung‘ ist der Richtlinie fremd. Bei ‚einfachen‘ Mängeln haftet der Reiseveranstalter lediglich nach Maßgabe der Haftungsstandards des Art. 5; erst wenn die Mängel die Qualität des Fehlens einer wesentlichen Teilleistung erreichen, greift die strikte Haftung nach Art. 4(7) ein.“ Die Neufassung sieht eine ausführlichere Regelung vor, die zwischen den Pflichten zur Abhilfe bei Mängeln (Art. 13 Abs. 3–6 RL 2015/2302) sowie dem Recht auf Preisminderung und Schadensersatz (Art. 14 Abs. 1, 2 RL 2015/ 2302) differenziert, zur Regelungsstruktur siehe den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Pauschal- und Bausteinreisen KOM(2013) 512 S. 9 f.
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Neufassung auf Wunsch des Parlaments20 nun zugunsten einer Vollharmonisierung verabschiedet (Art. 4 RL 2015/2302).21 In der Sache umfassen die Regelungen der Richtlinie zum einen Vorschriften über vorvertragliche Informationen (Art. 5 RL 2015/2302), die vorbehaltlich abweichender Vereinbarungen den Inhalt des Pauschalreisevertrages definieren (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 RL 2015/2302) und dort zu dokumentieren sind (Art. 7 RL 2015/2302).22 Zum anderen sehen sie zwingende (Art. 23 Abs. 2, 3 RL 2015/2302) vertragliche Rechte des Reisenden vor, nämlich u. a. das Recht zur Übertragung des Reisevertrages (Art. 4 Abs. 3 RL 90/314; Art. 9 RL 2015/2302), die Begrenzung von Preiserhöhungen (Art. 4 Abs. 4 20 Bericht vom 18.2.2014 über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Pauschal- und Bausteinreisen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates, Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz, PE 524.596v 02-00, A7-0124/2014, Änderungsantrag 32 (Vorschlag für einen neuen Artikel 1a) und Begründung: „Voll- oder Minimumharmonisierung Da eines der Ziele der Europäischen Union ein gemeinsamer Binnenmarkt ist, sollten die Reisenden einen einheitlichen Schutz sowie klare und deutliche Rechte haben, die sich nicht davon unterscheiden sollten, ob sie in verschiedenen Mitgliedstaaten leben. Der Ausschuss hat sich daher für eine Vollharmonisierung im Interesse der europäischen Verbraucher, und aus Wettbewerbsgründen auch der europäischen Unternehmen, ausgesprochen. Um eine einheitliche Vorgehensweise zu garantieren wurde daher ein neuer Artikel ‚Grad der Harmonisierung‘ gleichlautend mit Artikel 4 der Verbraucherrechterichtlinie in die Richtlinie integriert. Danach dürfen die Mitgliedstaaten weder von den Bestimmungen dieser Richtlinie abweichende innerstaatliche Rechtsvorschriften aufrechterhalten noch solche einführen, sofern diese Richtlinie nichts anderes bestimmt.“ Siehe auch Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. März 2014 zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Pauschal- und Bausteinreisen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates, P7_TA(2014)0222, Abänderung 32. 21 Zum Harmonisierungsniveau siehe den Standpunkt des Rates in erster Lesung im Hinblick auf den Erlass einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, Ratsdokument Nr. 9173/3/15 REV 3 ADD 1 vom 22.9.2015 S. 3 Ziffer 11: „Harmonisierungsniveau (Artikel 2 Absatz 3 und Artikel 4) Auf eine Abänderung des EPs hin hat der Rat einen speziellen neuen Artikel [= Art. 4 RL 2015/2302] über das Harmonisierungsniveau aufgenommen, indem der Grundsatz der größtmöglichen Harmonisierung hervorgehoben wurde, und einen weiteren Absatz (aus der Verbraucherschutzrichtlinie) hinzugefügt, durch den das innerstaatliche Vertragsrecht erhalten bleibt [Art. 2 Abs. 3 RL 2015/2302; siehe auch Erwägungsgrund 20]. Durch die Anwendung dieses Grundsatzes soll der Markt, insbesondere der Online-Markt, transparenter gestaltet werden, um das Verbrauchervertrauen zu stärken und die Nachfragen anzuregen.“ 22 In der Richtlinie 90/314 fanden sich die vorvertraglichen Informationspflichten samt Irreführungsverbot in Art. 3, 4 Abs. 1, 2, Anhang RL 90/314; zur lauterkeitsrechtlichen Durchsetzung vgl. Art. 7 Abs. 5 i. V. m. Anhang II RL 2005/29; EuGH 12.5.2011, Rs. C-122/10, Slg. 2011, I-3903 Rn 25, 57 – Ving Sverige.
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RL 90/314; Art. 10 RL 2015/2302) und anderer Vertragsänderungen (Art. 11 Abs. 1 RL 2015/2302), Rücktrittsrechte und Erstattungsansprüche bei einer Differenz zwischen den vorgesehenen und den erbrachten Reiseleistungen (Art. 4 Abs. 5–7 RL 90/314; Art. 11 Abs. 2–5, Art. 13 Abs. 5–7 RL 2015/ 2302) sowie ein Recht zur Beendigung und zum Widerruf des Pauschalreisevertrags vor Beginn der Reise (Art. 12 RL 2015/2302) und eine Beistandsverpflichtung des Veranstalters (Art. 16 RL 2015/2302). In der Praxis als besonders bedeutsam haben sich die Vorgaben zur Insolvenzsicherung des Reisenden erwiesen (Art. 7 RL 90/314; Art. 17, 18 RL 2015/2302).23 Für die Zwecke dieser Untersuchung ist in erster Linie die Haftung für die Erbringung der vertraglichen Leistungen in Art. 5 Abs. 2 RL 90/314, nunmehr Art. 14 Abs. 2 RL 2015/2302 von Interesse. Außer Betracht bleiben demgegenüber die Erstattungs- und Minderungsansprüche bei Änderung oder Stornierung der Reise durch den Veranstalter oder bei Rücktritt des Reisenden infolge einer wesentlichen Leistungs- oder Preisänderung vor Antritt der Reise (Art. 4 Abs. 6 RL 90/314; Art. 11 Abs. 4, 5, Art. 12 Abs. 3, 4 RL 2015/ 2302) und bei unvollständiger Erbringung der Reiseleistungen nach Reiseantritt (Art. 4 Abs. 7 RL 90/314; Art. 13 Abs. 6 RL 2015/2302), weil diese Ansprüche, wenn auch hinsichtlich des Umfangs unionsrechtlich im Unterschied zur Richtlinie 90/31424 nunmehr wohl harmonisiert, auf das vertragliche Äquivalenzinteresse zielen und deshalb eher der Minderung (dazu nunmehr ausdrücklich Art. 14 Abs. 1 RL 2015/2302) oder den Rückgewähransprüchen nach einem Rücktritt zuzurechnen sind.25 Ebenfalls außer Betracht bleibt die 23 Dazu EuGH 15.6.1999, Rs. C-140/97, Slg. 1999, I-3499 – Rechberger; EuGH 1.12.1998, Rs. C-410/96, Slg. 1998, I-7875 – Strafverfahren gegen André Ambry (Sicherheit durch ausländisches Kreditinstitut); EuGH 14.5.1998, Rs. C-364/96, Slg. 1998, I-2949 – Verein für Konsumenteninformation gegen Österreichische Kreditversicherungs AG; EuGH 8.10.1996, verb. Rs. C-178/94, C-179/94, C-188/94, C-189/94 und C-190/94, Slg. 1996, I-4845 – Dillenkofer; EuGH 16.2.2012, Rs. C-134/11, ECLI:EU:C:2012:98 – Blödel-Pawlik. 24 Vor dem vereinbarten Abreisetag gab Art. 4 Abs. 6 RL 90/314 dem Verbraucher bei Rücktritt nach Art. 4 Abs. 5 RL 90/314 (wegen erheblicher Leistungs- oder Preisänderung durch den Veranstalter) oder Stornierung der Reise durch den Veranstalter einen Anspruch auf Teilnahme an einer gleichwertigen Pauschalreise oder auf Erstattung aller gezahlten Beträge und auf Entschädigung wegen Nichterfüllung des Vertrages, die „gemäß den Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaates […] geleistet wird“. Wegen dieses Verweises lag es nahe, dass der Umfang des Entschädigungsanspruchs unionsrechtlich nicht harmonisiert war, für Anwendung nationalen Rechts Meyer/Kubis TranspR 1991, 411, 414. 25 Die Neufassung der Richtlinie 2015 vermeidet dementsprechend in Art. 11 und Art. 12 den Begriff „Schadensersatz“ oder „Entschädigung“ und spricht stattdessen von „Preissenkung“ oder „Erstattung“. Art. 13 Abs. 6 Satz 1 RL 2015/2302 differenziert beim Rücktritt wegen Vertragswidrigkeit zwischen „Preisminderung und/oder Schadensersatz“ und verweist damit auf die Differenzierung in Art. 14 Abs. 1 und 2 RL 2015/2302. In der Fassung von 1990 begründete Art. 4 Abs. 7 UAbs. 1 RL 90/314 zwar nach der Abreise im
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neu eingeführte Haftung des Unternehmers für Buchungsfehler (Art. 21 RL 2015/2302; vgl. auch bereits die Verpflichtung zu Korrekturmechanismen bei Eingabefehlern Art. 9 Abs. 2 RL 2000/31). Durch die Reform der Pauschalreiserichtlinie26 wurde auch der hier interessierende Schadensersatzanspruch teilweise neu gefasst.27 So wurde zuFall der Nichterbringung erheblicher Teilleistungen einen verschuldensunabhängigen Anspruch auf eine „Entschädigung, deren Höhe dem Unterschied zwischen dem Preis der vorgesehenen und der erbrachten Dienstleistungen entspricht“, soweit die „angemessenen Vorkehrungen“ des Veranstalters für die weitere Durchführung der Reise nicht genügend sind. Allerdings handelte es sich dabei („Unterschied zwischen dem Preis der vorgesehenen und der erbrachten Dienstleistung“) sachlich um eine Art der Minderung. Art. 4 Abs. 7 UAbs. 2 RL 90/314 ergänzte – falls Vorkehrungen für die weitere Durchführung der Pauschalreise nicht getroffen werden können oder vom Verbraucher aus triftigen Gründen nicht akzeptiert werden – einen Anspruch auf Rückkehr zum Ort der Abreise und „gegebenenfalls“ auf Entschädigung. Auch die nicht näher spezifizierte Entschädigungsverpflichtung in Art. 4 Abs. 7 UAbs. 2 RL 90/314 bei Abreise war als Minderung anzusehen, weil „auch bei der Rückreise die Differenz zwischen der vertraglich vereinbarten und der mangelhaften Leistung der entscheidende Maßstab für die Minderung sein sollte“, Rössler Reisegewährleistungsrecht und allgemeines europäisches Leistungsstörungsrecht (2008) S. 209; zur Orientierung der Entschädigung gemäß Art. 4 Abs. 7 UAbs. 2 RL 90/314 an der Differenz zwischen dem Preis der geschuldeten und dem Wert der tatsächlichen Leistung Grundmann Europäisches Schuldvertragsrecht (1999) 4.01 Rn. 27 Fn. 79. Riesenhuber Europäisches Vertragsrecht2 (2006) Rn. 771 sieht Art. 4 Abs. 7 UAbs. 1 als Minderung, Art. 4 Abs. 7 UAbs. 2 als Schadensersatz an. Ders. EU-Vertragsrecht (2013) § 13 Rn. 28 f. sieht die Entschädigungspflicht nun in beiden Fällen als funktionale Minderung an; zur Nähe zur Minderung auch Abeltshauser EWS 1991, 97, 99; M. Bydlinski in: Schuhmacher (Hrsg.) Verbraucherschutz in Österreich und der EG (1992) 211, 222. Neben dem verschuldensunabhängigen Ausgleich des Äquivalenzinteresses durch Art. 4 Abs. 7 RL 90/314 (= Minderung) konnte der Verbraucher ergänzend gemäß Art. 5 RL 90/314 eine Entschädigung wegen Nichterfüllung verlangen, weil der Reisende „sonst keinen Ersatz für etwaige über den bloßen Minderwert der Reise hinausgehende Schäden verlangen könnte“, Rössler Reisegewährleistungsrecht und allgemeines europäisches Leistungsstörungsrecht (2008) S. 244; Staudinger in: Staudinger §§ 651a–651m; Anhang zu § 651a: BGB-InfoV (Reisevertragsrecht) (2016) Vorbem zu §§ 651a–m Rn. 70. Zum Teil wird der Entschädigungsanspruch nach Art. 4 Abs. 7 RL 90/314 generell als Verweis auf Art. 5 Abs. 2 RL 90/ 314 verstanden, Gerber in: Schulte-Nölke/Twigg-Flessner/Ebers EG-Verbraucherrechtskompendium (2007) S. 330; offenlassend Howells/Wilhelmsson EC Consumer Law (1997) S. 243. Dagegen lässt sich einwenden, dass die Entschädigungsregeln in Art. 4 Abs. 7 keine oder abweichende Exkulpationsmöglichkeiten vorsehen, was gegen einen Verweis auf Art. 5 Abs. 2 spricht, Meyer/Kubis TranspR 1991, 411, 414. Allgemein zur unklaren und in den Mitgliedstaaten divergierenden Auslegung des Art. 4 Abs. 7 RL 90/314 Commission Staff Working Document Impact Assessment Accompanying the document on package travel and assisted travel arrangements, amending Regulation (EC) No 2006/2004l and Directive 2011/83/EU and repealing Council Directive 90/314/EEC, SWD(2013) 263 Annex 3 S. 81: „It is unclear if the rule in Article 4(7) thereby is an independent liability rule or if it merely refers to the rule in Article 5(2).“ 26 Dazu bereits die Nachweise oben Fn. 15.
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nächst der Anspruch auf Ersatz für immaterielle Schäden nach der Rechtssache Leitner in Erwägungsgrund 34 Satz 7 RL 2015/2302 ergänzt28 und die vertragliche Begrenzung von Schadensersatzansprüchen für Nicht-Körperschäden, die nach Art. 5 Abs. 2 UAbs. 4 RL 90/314 möglich war und nur unter dem Vorbehalt der Unangemessenheit stand, in Art. 14 Abs. 4 Satz 3
27 Zu den Reformbestrebungen die Mitteilung der Kommission – Verbraucherpolitische Strategie der EU (2007–2013) – Stärkung der Verbraucher – Verbesserung des Verbraucherwohls – wirksamer Verbraucherschutz KOM(2007) 99 und die Nachweise auf der Internetseite . Zu den Vorarbeiten siehe Commission Working Document on the Council Directive 90/314/EEC of 13 June 1990 on package travel, package holidays and package tours vom 26.7.2007 S. 12. Siehe auch die Antworten in der Anhörung der Kommission, zusammengefasst im Working Document of the Commission Responses to the consultation on the Council Directive 90/314/EEC of 13 June 1990 on package travel, package holidays and package tours – Summary of responses S. 4: „There are divergent views as to whether consumers' right to moral damages should be clarified or elaborated on by the Directive. Consumer stakeholders are generally in favour of such a clarification underlining the specificity of holiday arrangements in which consumers have very high expectations and where important interests are at stake. Businesses are against such a clarification. Member States are divided over the issue, the majority of which indicating that a right to moral damages already exists in their own national legislation.“ Auch die Summary of responses to the consultation launched to gather stakeholders’ opinions on the existing problems and preferred solutions in order to identify preferred policy options as part of the Commission’s review of the Package Travel Directive vom März 2010 konzentriert sich in erster Linie auf andere Fragen als die Schadensersatzhaftung, betont aber (S. 5) eine Präferenz für eine strikte Haftung, wobei unklar bleibt, ob sich diese auf sämtliche Schäden beziehen soll: „There was a clear preference among most Member State stakeholders for a strict liability approach regarding non-performance of contracts, with 78% of respondents opting for holding the responsible party liable simply for non-performance against what was promised in both the contract and the marketing materials, even where the nonperformance is not necessarily the fault of the party.“ 28 Erwägungsgrund 34 Satz 7 RL 2015/2302 lautet: „Der Schadenersatz sollte auch immaterielle Schäden umfassen, wie beispielsweise entgangene Urlaubsfreuden infolge erheblicher Probleme bei der Erbringung der betreffenden Reiseleistungen.“ Siehe auch den Vorschlag der Kommission KOM(2013) 512 Ziffer 4.5 S. 10, die sich für eine ausdrückliche Regelung in Art. 12 Abs. 2 (nunmehr Art. 14 Abs. 2) aussprach: „Entsprechend dem Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-168/00, Simone Leitner, wird in Absatz 2 präzisiert, dass auch immaterieller Schaden ersetzt werden muss.“ Die Überführung in einen bloßen Erwägungsgrund findet sich ersichtlich erstmals im Standpunkt des Rates in erster Lesung im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, Ratsdokument Nr. 9173/3/ 15 REV 3 vom 22.9.2015, S. 17, 52 mit begleitender Erläuterung im Ratsdokument Nr. 9173/3/15 REV 3 ADD 1 Ziffer 19 S. 6: „Der Rat hat den Anspruch auf Schadensersatz bestätigt. Dies schließt auch den Ersatz eines immateriellen Schadens ein, da in einem Erwägungsgrund aufgeführt wird, dass auch bei immateriellen Schäden, beispielsweise einer nutzlos aufgewendeten Urlaubszeit infolge erheblicher Probleme bei der Erfüllung der betreffenden Reiseleistungen, ein Schadensersatz gewährt werden sollte.“
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RL 2015/2302 engeren Schranken unterworfen.29 Zudem wurde eine Verpflichtung zur „unverzüglichen“ Leistung des Schadensersatzes aufgenommen (Art. 14 Abs. 2 Satz 2 RL 2015/2302), die Exkulpationsmöglichkeit des Unternehmers in Art. 14 Abs. 3 RL 2015/2302 klarer gefasst, das Verhältnis des reiserechtlichen Schadensersatzanspruchs zu Entschädigungsleistungen aufgrund von transportrechtlichen Verordnungen der Union (etwa der Fluggastrechteverordnung 261/2004) und von internationalen Übereinkommen (etwa dem Montrealer Übereinkommen) geregelt (Art. 14 Abs. 5 RL 2015/ 2302) und eine Mindestverjährungsfrist von zwei Jahren angeordnet (Art. 14 Abs. 6 RL 2015/2302).30 I.
Existenz eines Schadensersatzanspruchs
I. Existenz eines Schadensersatzanspruchs
Art. 5 Abs. 1 RL 90/314 (Art. 13 Abs. 1 RL 2015/2302) begründet zunächst eine unmittelbare Haftung des Veranstalters und – soweit im nationalen Recht zusätzlich vorgesehen (Erwägungsgrund 23 RL 2015/2302) – des Vermittlers31 gegenüber dem Reisenden für die ordnungsgemäße Erfüllung der reiseWird die Begrenzung des Schadensersatzes nicht nur durch völkerrechtliche Staatsverträge gestattet (Art. 14 Abs. 4 Satz 1, 2 RL 2015/2302), so „kann der vom Reiseveranstalter zu leistende Schadenersatz im Pauschalreisevertrag [nur] eingeschränkt werden, sofern diese Einschränkung nicht für Personenschäden oder vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführte Schädnen gilt und nicht weniger beträgt als das Dreifache des Gesamtreisepreises der Pauschalreise“ (Art. 14 Abs. 4 Satz 3 RL 2015/2302). Zur uneinheitlichen Rechtslage unter der Richtlinie 90/314 Commission Staff Working Document Impact Assessment Accompanying the document on package travel and assisted travel arrangements, amending Regulation (EC) No 2006/2004l and Directive 2011/83/EU and repealing Council Directive 90/314/EEC, SWD(2013) 263 Annex 3 S. 82. 30 Ausführlich zu dem von der Kommission wahrgenommenen Anpassungsbedarf bei der Schadensersatzhaftung Commission Staff Working Document Impact Assessment Accompanying the document on package travel and assisted travel arrangements, amending Regulation (EC) No 2006/2004l and Directive 2011/83/EU and repealing Council Directive 90/314/EEC, SWD(2013) 263 Annex 3 S. 81 ff. 31 Die Kommission hatte für die Neufassung die Begrenzung der Haftung auf den Reiseveranstalter (Art. 11 Abs. 1 des Richtlinienvorschlags) vorgeschlagen, konnte sich damit aber nicht durchsetzen, dazu Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen KOM(2013) 512 S. 9: „Entgegen der Richtlinie 90/ 314/EWG haftet ausschließlich der Reiseveranstalter für die Erfüllung der Pauschalreiseleistungen. Hiermit soll eine Verdopplung der Kosten und Rechtsstreitigkeiten vermieden werden. Zugleich sollen einheitliche Haftungsregeln Reiseveranstaltern und -vermittlern grenzüberschreitende Geschäfte erleichtern.“ Auf Vorschlag des Parlaments wurden Erwägungsgrund 23 und Art. 13 Abs. 1 Satz 2 RL 2015/2302 aufgenommen, Bericht vom 18.2.2014 über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Pauschal- und Bausteinreisen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/ 2004 und der Richtlinie 2011/83/EU sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates, Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz, PE 524.596v02-00, A7-0124/ 2014, Änderungsanträge 17 und 109. 29
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vertraglichen Verpflichtungen, unabhängig davon, ob er selbst oder ein Dienstleistungsträger die reisevertraglichen Leistungen erbringt. Mit Art. 5 Abs. 1 RL 90/314 wollte die Kommission auf die Unzufriedenheit der Verbraucher mit den Pauschalreiseleistungen reagieren, indem der Verbraucher einen einheitlichen Verantwortlichen für die Erfüllung des Pakets der Pauschalreiseleistungen erhält.32 Durch die Bündelung der Verantwortlichkeit sollte sichergestellt werden, dass der Reiseveranstalter bei der Auswahl der Leistungserbringer „gehörige Sorgfalt“ anwendet, da er für deren Leistungen einzustehen hat.33 Die damit angeordnete Haftung des Veranstalters auch für das Verschulden der Erfüllungsgehilfen spiegelt sich wider bei den Exkulpationstatbeständen des Art. 5 Abs. 2 RL 90/314 (Art. 14 Abs. 3 RL 2015/ 2302), die eine Entlastung infolge der einem Dritten zuzurechnenden Vertragswidrigkeit nur dann zulassen, wenn der Dritte „an der Erbringung der in dem Pauschalreisevertrag inbegriffenen Reiseleistungen nicht beteiligt ist, und die Vertragswidrigkeit weder vorhersehbar noch vermeidbar war“ (Art. 14 Abs. 3 lit. b RL 2015/2302, ähnlich bereits Art. 5 Abs. 2 RL 90/314 „an der Bewirkung der vertraglich vereinbarten Leistungen nicht beteiligt ist“). Die Richtlinie ordnet damit eine Zurechnung des Verschuldens der Erfüllungsgehilfen wie Beförderungsunternehmen oder Hotelbetrieben an.34 Ob neben dem Veranstalter auch der Vermittler für die Pauschalreise haften soll, überlässt die Richtlinie (Art. 13 Abs. 1 Satz 2 und Erwägungsgrund 23 RL 2015/2302) aus Rücksicht auf die unterschiedlichen Regelungstraditionen 32 Siehe Erwägungsgrund 18 des ursprünglichen Kommissionsvorschlags für eine Richtlinie über Pauschalreisen, darunter auch Pauschalurlaubsreisen und Pauschalrundreisen KOM(88) 41: „Die Unzufriedenheit der Verbraucher könnte erheblich gemindert werden, wenn die Person, welche die Pauschalreise zusammenstellt oder vermittelt, dazu verpflichtet wäre, sicherzustellen, daß sämtliche vertraglich vereinbarten Dienstleistungen rechtzeitig und auf mangelfreie Weise erbracht werden“; siehe auch die Begründung im Kommissionsvorschlag Vorschlag für eine Richtlinie über Pauschalreisen, darunter auch Pauschalurlaubsreisen und Pauschalrundreisen KOM(88) 41 S. 18 f. (mit Begründung auch abgedruckt in BT-Drs. 11/3701 S. 22): „Die Pauschalreise muss funktionieren“; „damit der Verbraucher einen Gesprächspartner hat, wenn Schwierigkeiten auftreten“; ferner die Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses, ABl.C 102 vom 24.4.89, S. 27, 29 unter 2.8.1: Haftung der Reiseveranstalter für die „Qualität der von ihnen erbrachten Dienstleistungen ebenso wie Hersteller und/oder Einzelhändler für ihre Produkte“. 33 Vorschlag für eine Richtlinie über Pauschalreisen, darunter auch Pauschalurlaubsreisen und Pauschalrundreisen KOM(88) 41 S. 19 (mit Begründung auch abgedruckt in BTDrs. 11/3701 S. 22); siehe auch das Zitat der deutschen Kommissionsbegründung in der Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses, ABl.C 102 vom 24.4.89, S. 27, 29 unter 2.8.3. 34 Grundmann Europäisches Schuldvertragsrecht (1999) 4.01 Rn. 28; Riesenhuber Europäisches Vertragsrecht2 (2006) Rn. 797; Rössler Reisegewährleistungsrecht und allgemeines europäisches Leistungsstörungsrecht (2008) S. 269 f.; Führich Reiserecht7 (2015) § 3 Rn. 35.
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dem Recht der Mitgliedstaaten.35 Diese Regelungslücke wurde als unbefriedigend empfunden, weil sie den Rechtsschutz bei drittstaatlichen Reiseveranstaltern verkürzen kann.36 Allerdings konnte sich die Kommission mit dem Vorschlag der generellen Abschaffung der Vermittlerhaftung im Gesetzgebungsverfahren nicht durchsetzen.37 Während Art. 5 Abs. 1 RL 90/314 (Art. 13 Abs. 1 RL 2015/2302) die Verantwortlichkeit für das Gelingen der Pauschalreise auf den Veranstalter (und ggf. den Vermittler) bündelt, ordnet Art. 5 Abs. 2 RL 90/314 (Art. 14 Abs. 2 RL 2015/2302) eine Schadensersatzhaftung des Veranstalters für die Schäden an, die der Reisende infolge der Vertragswidrigkeit (dazu Art. 3 Nr. 13 RL 2015/2302: Nichterbringung oder mangelhafte Erbringung der in einer Pauschalreise zusammengefassten Reiseleistungen) erlitten hat, es sei denn, dass die Vertragswidrigkeit dem Reisenden zuzurechnen ist (Art. 14 Abs. 3 lit. a RL 2015/2302), einem Dritten zuzurechnen ist, der an der Erbringung der in dem Pauschalreisevertrag inbegriffenen Reiseleistungen nicht beteiligt ist, und die Vertragswidrigkeit weder vorhersehbar noch vermeidbar (Art. 14 Abs. 3 lit. b RL 2015/2302) oder durch unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände bedingt war (Art. 14 Abs. 3 lit. c RL 2015/2302)38.39 Die Pauschal-
Zum fakultativen Charakter auch BGH 30.9.2010, Xa ZR 130/08, NJW 2011, 599 Rn. 15. Insbesondere das französische Recht sah eine Verantwortlichkeit des Vermittlers („agent de voyages“) vor, während das deutsche Recht den Veranstalter haftbar machte, Vorschlag für eine Richtlinie über Pauschalreisen, darunter auch Pauschalurlaubsreisen und Pauschalrundreisen KOM(88) 41 S. 4 f., 19 (mit Begründung auch abgedruckt in BTDrs. 11/3701 S. 15, 22); siehe auch Art. 5 Abs. 2 des ursprünglichen Kommissionsvorschlags: „entweder der Veranstalter oder (falls bestimmte Mitgliedstaaten dies vorziehen) der Vermittler dem Verbraucher für jeden Mangel bei der Ausführung dieser Leistungen haftet“; siehe auch Führich Reiserecht7 (2015) § 3 Rn. 35, demzufolge Art. 5 Abs. 1 RL 90/314 „die Details der Haftung des Veranstalters wegen Vertragsverletzungen dem Mitgliedstaat“ überlasse. Das Parlament sprach sich noch für eine gesamtschuldnerische Haftung von Veranstalter und Vermittler aus, Änderung Nr. 27 zu Art. 5 Nummer 2 des Kommissionsvorschlags, ABl. C 69 vom 20.3.89, S. 95, 101; ablehnend der geänderte Kommissionsvorschlag KOM(89) 348 S. 2, 11. Zur Abgrenzung zwischen Reisevermittlung und Reiseveranstaltung bei Reisebüros BGH 30.9.2010, Xa ZR 130/08, NJW 2011, 599 Rn. 12 ff.; kritisch Tonner RRa 2011, 58, 59 f. 36 SEK(1999) 1800 Ziffer 1.2.2 Haftung S. 9 f.; Arbeitspapier zur Richtlinie 90/314/ EWG vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen Ziffer 5 S. 13; Stenzel US-amerikanisches und europäisches Reiserecht im Vergleich (2009) S. 383; kritisch bereits die Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses, ABl.C 102 vom 24.4.89, S. 27, 29 unter 2.8.2. 37 Oben Fn. 31. 38 Art. 5 Abs. 2 RL 90/314 formulierte etwas anders: Haftungsausschluss, soweit die Nichterfüllung oder mangelhafte Erfüllung weder auf ein Verschulden des Veranstalters und/oder Vermittlers noch auf ein Verschulden eines anderen Dienstleistungsträgers zurückzuführen ist, weil die Versäumnisse dem Verbraucher oder einem Dritten zuzurechnen oder auf höhere Gewalt oder auf ein Ereignis zurückzuführen sind, das der Veranstalter 35
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reiserichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten damit ausdrücklich zur Schaffung eines Schadensersatzanspruchs des Reisenden unmittelbar gegen den Veranstalter (oder Vermittler). Zur Beweislast ergibt sich aus der Regelungsstruktur des Art. 5 RL 90/314 (Art. 13, 14 RL 2015/2302), dass der Verbraucher die Vertragswidrigkeit nachweisen muss, während es dem Veranstalter obliegt, einen der Entlastungstatbestände des Art. 5 Abs. 2 RL 90/314 (Art. 14 Abs. 3 RL 2015/2302) darzulegen („es sei denn“ bzw. „wenn der Reiseveranstalter nachweist“).40 II. Funktionen des Schadensersatzanspruchs
II. Funktionen des Schadensersatzanspruchs
Den Zweck des Schadensersatzanspruchs in Art. 5 Abs. 2 RL 90/314 (Art. 14 Abs. 2 RL 2015/2302) hat der Gerichtshof anhand der allgemeinen Zwecke der Richtlinie bestimmt: Ebenso wie die gesamte Richtlinie „bezweckt […] ihr Artikel 5 den Schutz der Verbraucher“ und die Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Mitgliedstaaten, die sich durch unterschiedliche Schadensersatzvorschriften ergeben können.41 Vor dem Hintergrund dieser Regelungsziele hat der EuGH den immateriellen Schadensersatz wegen entgangener Urlaubsfreude als von der Richtlinie umfasst angesehen (ausdrücklich nunmehr Erwägungsgrund 34 Satz 7 RL 2015/2302).42 Unzweifelhaft lässt sich damit festhalten, dass der Schadensersatzanspruch der Pauschalreiserichtlinie der Kompensation dient, und zwar der vollständigen Kompensation einschließlich möglicher immaterieller Schäden wie erlittener Schmerzen oder entgangener Urlaubsfreuden. Dementsprechend misst auch der BGH der deutschen Umsetzung des Entschädigungsanspruchs (§ 651f Abs. 2 BGB) die Funktion zu, „dem Kunden einen Ausgleich für die entgangene Urlaubsfreude zu verschaffen“.43 Indes erschöpft sich der Zweck des Ersatzanspruchs für entgangene Urlaubsfreude nicht im Ausgleich immaterieller Einbußen. Dies lässt sich anund/oder der Vermittler bzw. der Leistungsträger trotz aller gebotenen Sorgfalt nicht vorhersehen oder abwenden konnte (vgl. auch Erwägungsgrund 18 RL 90/314). 39 Umstritten ist, ob die drei genannten Exkulpationstatbestände abschließend sind, siehe unten § 6 IV → S. 345. 40 BGH 9.11.2004, X ZR 119/01, RRa 2005, 12 Rn. 23; a. A. wohl die englische Rechtsprechung, die offenbar einen Nachweis des Verschuldens durch den Reisenden verlangt, siehe die Darstellung bei Grant/Mason Holiday Law5 (2012) S. 143 ff., 149: „It is not for the defendant [Veranstalter] to prove anything.“ Die Kommission weist auf die fehlende Regelung der Beweislast als Schwäche der Richtlinie 90/314 hin, Commission Staff Working Document Impact Assessment Accompanying the document on package travel and assisted travel arrangements, amending Regulation (EC) No 2006/2004l and Directive 2011/83/EU and repealing Council Directive 90/314/EEC, SWD(2013) 263 Annex 3 S. 82. 41 EuGH 12.3.2002, Rs. C-168/00, Slg. 2002, I-2631 Rn. 21 f. – Leitner. 42 EuGH 12.3.2002, Rs. C-168/00, Slg. 2002, I-2631 Rn. 21 ff. – Leitner. 43 BGH 11.1.2005, X ZR 118/03, NJW 2005, 1047, 1049.
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schaulich anhand des Malediven-Falls des BGH illustrieren. Dort hatte der Reiseveranstalter wegen Überbuchung des Urlaubsressorts den Reisenden mitgeteilt, dass eine Unterbringung im zugesagten Hotel nicht möglich sei. Das angebotene Ersatzquartier lehnten die Urlauber ab, da es anders als das gebuchte Hotel nicht über ein Hausriff verfügte. Der Bundesgerichtshof bestätigte die Entscheidung des Berufungsgerichts, das den Urlaubern – neben den unstreitig erstatteten Reisekosten – auch eine Entschädigung nach § 651f Abs. 2 BGB in Höhe von etwa der Hälfte des Reisepreises zugesprochen hatte. Dabei ging der BGH davon aus, dass sich der Schadensersatzanspruch wegen entgangener Urlaubsfreude des Reisenden auf den „konkreten Nutzen seiner Urlaubszeit, nämlich den Erfolg der von ihm beim Reiseveranstalter gebuchten Reise“44 bezieht. Dieser Schadensersatzanspruch entfalle auch dann nicht, wenn der Reisende in derselben Zeit einen von ihm organisierten Ersatzurlaub antrete oder durch Weiterarbeit den Urlaub auf einen späteren Zeitpunkt verschiebe; auch ein „Resterholungswert“ eines daheim verbrachten Urlaubs sei nicht in Abzug zu bringen.45 Damit hat der BGH den Bezugspunkt des Ersatzanspruchs nach § 651f Abs. 2 BGB von der generell „nutzlos aufgewendete[n] Urlaubszeit“ (§ 651f Abs. 2 BGB) zu den entgangenen Urlaubsfreuden des konkret gebuchten Urlaubs verschoben. Es geht nicht mehr darum, ob die Reisenden ihre wertvolle Urlaubszeit überhaupt nutzlos aufgewendet haben (was bei einem Ersatzurlaub möglicherweise zu verneinen wäre) und ein „Erholungserlebnis“46 ausgeblieben ist oder wie viel die Urlaubszeit des einzelnen Reisenden wert ist,47 sondern es geht um die Frage, ob BGH 11.1.2005, X ZR 118/03, NJW 2005, 1047, 1049. BGH 11.1.2005, X ZR 118/03, NJW 2005, 1047, 1049, 1050. 46 Hofbauer Die mangelhafte Reise (2009) S. 441 sieht das „Erholungserlebnis“ bzw. die „subjektive Erholungsfrucht“ als Entschädigungsgegenstand an; siehe auch ders. S. 459: „hochgradig subjektive[s], letztlich weitgehend emotional bestimmte[s] Schutzgut“ des § 651f Abs. 2 BGB. 47 Für eine Orientierung des Ersatzanspruchs an dem Vermögensopfer, das der Reisende für seinen Urlaubsanspruch erbringen muss, aber Gregor MDR 2006, 1084, 1086 f. und die frühere Rechtsprechung, die sowohl den Reisepreis wie das Nettoeinkommen berücksichtigt hat, BGH 23.9.1982, VII ZR 22/82, NJW 1983, 35, 36: „bei der Bemessung der Entschädigung neben den Einkommensverhältnissen des Kl. auch seinen Aufwand zur Erreichung des Urlaubszweckes, also die gesamten Reisekosten“; zur Rechtslage vor Inkrafttreten des deutschen Reisevertragsrechts BGH 10.10.1974, VII ZR 231/73, NJW 1975, 40, 41; BGH 7.5.1956, III ZR 243/54, NJW 1956, 1234, 1235: „Bei dem mit der Seereise erstrebten und normalerweise erzielten Genuß handelt es sich nicht um einen rein immateriellen, ideellen Wert, vielmehr ist ein solcher ‚Genuß‘ angesichts dessen, daß er in aller Regel nur durch entspr. Vermögensaufwendungen ‚erkauft‘ werden kann und auch hier tatsächlich erkauft worden ist, in gewissem Umfang kommerzialisiert, so daß eine Beeinträchtigung dieses Genusses auch eine Beeinträchtigung des mit den gemachten Vermögensaufwendungen erstrebten – vermögenswerten – Äquivalentes darstellt“ (mit der beachtenswerten Nuance, dass die Beeinträchtigung durch Verwendung derselben Klei44 45
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der konkrete Veranstalter ihnen die versprochene Urlaubsfreude durch sein konkretes Angebot verschafft hat.48 Ist dies nicht der Fall und sind bestimmte Geringfügigkeitsgrenzen überschritten, so hat der Veranstalter die entgangene Urlaubsfreude als immateriellen Nachteil gemessen am Reisepreis zu ersetzen, und zwar unabhängig von einer anderweitigen Nutzung der Reisezeit und – da bezogen auf den Reisepreis, den vereinbarten Zweck der Reise und die Schwere und Dauer des Mangels49 – unabhängig vom Wert der Urlaubsfreude für die Person des einzelnen Reisenden, insbesondere seinem individuellen Erwerbseinkommen.50 In seiner Wirkung ähnelt der Schadensersatzanspruch damit einem pauschalierten (da an den Reisepreis gekoppelten) Strafversprechen für Nichterfüllung, um die Reisebranche zur vertragsgemäßen Erfüllung anzuhalten und von der systematischen Überbuchung der Kapazitäten abzubringen.51
dung, in der die Seereisenden angereist sind, für die Ehefrau doppelt so hoch war wie für den Ehemann). 48 Gregor MDR 2006, 1084, 1085 sieht darin einen Ausgleich des Affektionsinteresses, nämlich des Nachteils, der darin liegt, dass der Reisende nicht den geschuldeten Gegenstand (die konkret gebuchte Reise), sondern nur einen gleichwertigen Gegenstand erhält. 49 Zu den Kriterien zur Bemessung des Ersatzanspruchs für immaterielle Schäden OGH 29.9.2009, 4 Ob 130/09k, RRa 2010, 97, 101: „Schwere und Dauer des Mangels, […] Grad des Verschuldens, […] vereinbarte[r] Zweck der Reise und […] Höhe des Reisepreises“; Führich MDR 2009, 906, 912 „Reisepreis, […] Reisedauer und […] Grad der Beeinträchtigung“. Der „Grad des Verschuldens“ wurde im deutschen Gesetzgebungsverfahren zu § 651f Abs. 2 BGB gestrichen. Hofbauer Die mangelhafte Reise (2009) S. 453 begründet dies mit dem Hinweis, dass eine gesetzliche Strafsanktion dem deutschen Zivilrecht fremd sei. 50 BGH 11.1.2005, X ZR 118/03, NJW 2005, 1047, 1049: „Einkommen des Reisenden kein geeigneter Maßstab für die Höhe der Entschädigung“; a. A. noch die Begründung zum autonomen deutschen Ersatzanspruch BT-Drs. 8/2343 S. 11, die neben dem „Ausmaß der Beeinträchtigung“ und der Höhe des Reisepreises auch auf den „Aufwand“ abstellt, „der für die Beschaffung eines Ersatzurlaubs erforderlich wäre“. Noch stärker auf das individuelle Erholungsbedürfnis stellt das Modell von Müller Schadensersatz aufgrund verdorbenen Urlaubs (1986) S. 188 ab, der unterschiedliche Erholungswerte für unterschiedliche Personen feststellt (von 20 für Rentner, bei denen es nur um Abwechslung gehe, über 50 für Nur-Studenten und 80 für nebenberuflich arbeitende Studenten bis zu 200 für einen Rechtsanwalt mit 60-Stunden-Woche). 51 Gregor MDR 2006, 1084, 1085: „vertragsstrafenähnliche[r] Anspruch im Rahmen des Entschädigungsrechts“; Tonner Der Reisevertrag5 (2007) § 651f Rn. 56 attestiert dem Anspruch auf immateriellen Schadensersatz, sofern er am Reisepreis orientiert wird, eine Nähe zu den general damages des englischen Rechts. Zur Vereitelung der Überbuchungspraxis Fischer RRa 2005, 98: „Ähnlich wie bei verbreiteter Praxis von Fluggesellschaften wird der Vertragsbruch von Reiseveranstaltern aus ökonomischen Gründen (regelmäßig) bereits bei Vertragsschluss einkalkuliert, so dass adäquate zivilrechtliche Sanktionen nicht nur aus Gründen des (deutschen und europäischen) Verbraucherschutzes, sondern auch wegen notwendiger Rechtssicherheit (pacta sunt servanda) wünschenswert sind. Auf Seiten des Reisenden ist dabei regelmäßig problematisch, dass die (oft lange im Voraus geplante)
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Diese Akzentverschiebung – zumindest für den immateriellen Schadensersatz – vom reinen Schadensausgleich zum pauschalierten Ausgleich mit Präventionsfunktion ist, wie der BGH mit Recht ausführt,52 nicht nur durch das deutsche Recht, sondern auch durch die Pauschalreiserichtlinie geboten, die dem Reisenden einen Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens, einschließlich des Schadens wegen entgangener Urlaubsfreude gewährt.53 Zwar ist zutreffend, dass sich die Entscheidung Leitner auf einen Fall bezieht, in dem nicht nur der konkrete Urlaub, sondern generell die Urlaubszeit durch eine Salmonellenvergiftung verleidet wurde.54 Auch lässt sich die Funktionserweiterung des Haftungsanspruchs zumindest aus der Perspektive des Binnenmarktziels nicht ohne weiteres begründen. So bezweckt die Richtlinie „die Beseitigung der Unterschiede […], die zwischen den Regelungen und Praktiken der einzelnen Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Pauschalreisen festgestellt wurden und zu Verzerrungen des Wettbewerbs zwischen den in den verschiedenen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen des Reisegewerbes führen können“.
Dies bedeutet zunächst aber nur, dass ein einheitliches Mindestniveau auch bei der Schadensersatzhaftung sichergestellt wird, definiert aber nicht, wo dieses Niveau angesiedelt sein muss und welche Zwecke damit verfolgt werden. Entscheidend für die Pluralisierung der Zwecke des immateriellen Schadensersatzes nach der Pauschalreiserichtlinie sprechen indes zwei andere Gesichtspunkte: Zum einen nimmt die Pauschalreiserichtlinie ausdrücklich den Veranstalter in die Erfolgsverantwortung für das Gelingen der konkreten Pauschalreise (vgl. Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 RL 90/314 bzw. Art. 13 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 2 RL 2015/2302): „Die Pauschalreise muss funktionieren.“55 Reise kaum verlegt werden kann (man denke an Urlaubsplanung, Schulferien, Visa oder Impfungen), was den Reiseveranstaltern bekannt ist und womit sie u. U. sogar rechnen.“ 52 BGH 11.1.2005, X ZR 118/03, NJW 2005, 1047, 1049 f.; a. A. Gregor MDR 2006, 1084, 1086. 53 EuGH 12.3.2002, Rs. C-168/00, Slg. 2002, I-2631 Rn. 21 ff. – Leitner. 54 Darauf verweist die Kritik von Gregor MDR 2006, 1084, 1086. Siehe auch die Unterscheidung in der Folgeentscheidung des Landesgerichts Linz 2.5.2002, 15 R 5/00m, RRa 2002, 134, das zwischen der Entschädigung für die Salmonellenvergiftung für die Dauer von 7 Tagen (400 Euro) und der Minderung des Reisepreises für die erforderliche Pflege eines erkrankten Familienangehörigen i. H. v. 30 % unterscheidet. 55 Vorschlag für eine Richtlinie über Pauschalreisen, darunter auch Pauschalurlaubsreisen und Pauschalrundreisen KOM(88) 41 S. 18 f. (mit Begründung auch abgedruckt in BTDrs. 11/3701 S. 22). Ebenso auch Staudinger RRa 2015, 62, 63: Veranstalter verantwortlich, „dass sich der Erholungserfolg beim Reisenden einstellen kann“. Kritisch zu dieser Grundhaltung Heitmann NJW 1997, 236: „Früher hieß es auch, Reisen bildet; jede Reise war in gewisser Weise ein Abenteuer. Heute sorgen das Reisevertragsrecht und die EGPauschalreiserichtlinie dafür, dass jedes Risiko ausgeschaltet wird. Dies hat natürlich auch unangenehme Folgen. Der erforderliche Nervenkitzel fehlt.“ M. E. mag man indes zweifeln, ob der Pauschalreisende auf den Nervenkitzel aufgrund von Nicht- oder Schlechterfüllung des Reiseveranstalters – wie offenbar Heitmann – tatsächlich gesteigerten Wert
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Diese Erfolgsverantwortung korrespondiert mit einem Anspruch auf immateriellen Schadensersatz, der wie eine pauschalisierte Vertragsstrafe für Nichtoder Schlechterfüllung wirkt. Ein solcher Anspruch schafft, wie der österreichische OGH festgestellt hat, für die Reiseveranstalter einen zusätzlichen „Anreiz […], ihre vertraglichen Zusagen einzuhalten und die von ihnen übernommenen Leistungen ordnungsgemäß zu erbringen“.56 Zum anderen soll die Richtlinie die Verbraucher durch den Abbau von rechtlichen Unterschieden dazu ermutigen, Pauschalreisen in einem anderen Mitgliedstaat zu buchen (vgl. Erwägungsgründe 8 und 9 RL 90/314 bzw. Erwägungsgrund 6 RL 2015/2302). Auf diese binnenmarktintegrierende Facette des Verbraucherschutzes hat auch der EuGH in Leitner zurückgegriffen, um einen Ersatzanspruch für immaterielle Schäden zu begründen, weil für die Verbraucher „bei Urlaubsreisen der Schadensersatz wegen entgangener Urlaubsfreude besondere Bedeutung“ hat,57 so dass der Verbraucherschutz das wichtigste Argument für die Verankerung des immateriellen Schadensersatzes in Art. 5 der Pauschalreiserichtlinie 90/314 lieferte.58 Das Ziel des Verbraucherschutzes, das der Gerichtshof von den allgemeinen Richtlinienzielen auf die Rechtsfolgen der Haftungsnorm überträgt, hat also eine Materialisierung der Zwecke des Schadensersatzes zur Folge, der das materielle Ziel des Verbraucherschutzes und damit auch der Prävention in sich aufnimmt. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das materielle Schutzziel des Verbraucherschutzes Einfluss auf die Bemessung des Ersatzanspruchs insbesondere für immaterielle Schäden hat, dass aber andererseits nicht explizit überkompensatorische Ziele von der Richtlinie verfolgt werden. Das Ziel des Verbraucherschutzes hat im Reiserecht also nicht etwa einen pauschalen „Präventionszuschlag“ auf die Schadensersatzsummen zur Folge,59 sondern wirkt sich in erster Linie auf die Voraussetzungen und den Umfang der Ersatzansprüche aus, indem dem Reiseveranstalter der Einwand abgeschnitten legt, zumal sich das gesellschaftliche Umfeld seit den Bildungsreisen des 19. Jahrhunderts geändert hat. 56 OGH 18.9.2009, 6 Ob 231/08, RRa 2010, 46 Rn. 7.3. 57 EuGH 12.3.2002, Rs. C-168/00, Slg. 2002, I-2631 Rn. 22 f. – Leitner. 58 Die beiden anderen Begründungsstränge – Anerkennung immateriellen Schadensersatzes im Interesse einheitlicher Regeln im Binnenmarkt sowie ein Umkehrschluss aus Art. 5 Abs. 2 UAbs. 4 RL 90/314 sprechen weniger eindeutig für die Lösung des Gerichtshofs, weil die von der Richtlinie damals noch lediglich angestrebte (Art. 8 RL 90/314) Mindestharmonisierung im Binnenmarkt auch ohne einheitliche Regeln über immateriellen Schadensersatz erreicht werden kann und sich die Zulässigkeit der Haftungsbeschränkung in Art. 5 Abs. 2 UAbs. 4 RL auch auf andere Nicht-Körperschäden, insbesondere Sachschäden, beziehen kann. Ausführlich zur Argumentation in Leitner noch unten Text bei Fn. 101. 59 Wie Stenzel US-amerikanisches und europäisches Reiserecht im Vergleich (2009) S. 422 herausarbeitet, werden auch im US-amerikanischen Recht nur selten Strafschadensersatzzahlungen in reiserechtlichen Fällen verhängt.
III. Aktivlegitimation und Initiativberechtigung
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wird, der Reisende habe durch eine Ersatzreise oder daheim verbrachte Urlaubszeit einen anderweitigen Erholungswert erhalten, der den Veranstalter für die Nichterfüllung seines Leistungsversprechens partiell zu entlasten vermag. Der immaterielle Schadensersatz wirkt damit ähnlich wie ein pauschaliertes Vertragsstrafeversprechen, das die Nicht- oder Schlechterfüllung durch den Veranstalter sanktionieren und auf diese Weise von Vertragsverstößen abhalten soll. III. Aktivlegitimation und Initiativberechtigung III. Aktivlegitimation und Initiativberechtigung
Die Pauschalreiserichtlinie bezweckt die Schaffung individueller Rechte des Reisenden gegen den Veranstalter der Reise, wie sich aus dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 2 RL 90/314 (Art. 14 Abs. 2 RL 2015/2302) ergibt und wie der EuGH zur Insolvenzabsicherung nach Art. 7 RL 90/314 (Art. 17 f. RL 2015/2302) bereits entschieden hat.60 Anspruchsberechtigt ist der „Reisende“ i. S. d. Art. 3 Nr. 6 RL 2015/2302, also „jede Person, die auf der Grundlage dieser Richtlinie einen Vertrag schließen möchte oder die zu einer Reise auf der Grundlage eines im Rahmen dieser Richtlinie geschlossenen Vertrags berechtigt ist“. Unter Geltung der Richtlinie 90/314 und des dort verwendeten Begriffs des Verbrauchers61 war umstritten, ob zum Kreis der Anspruchsberechtigten auch Personen ohne eigenen Vertragsanspruch wie mitreisende Familienmitglieder zählen.62 Nach Erwägungsgrund 10 RL 90/314 galt der Schutz der Richtlinie auch für „den Verbraucher, der einen Pauschalreisevertrag durch Abtretung erworben hat oder Mitglied einer Gruppe ist, für die eine andere Person einen Pauschalreisevertrag geschlossen hat“. Daraus wurde gefolgert, „daß nur solche Personen geschützt sind, die einen eigenen Vertragsanspruch haben“.63 Allerdings war eine solche Deutung weder nach dem Wortlaut noch nach der Entstehungsgeschichte64 zwingend, weil die Formulierung „für die eine ande60 EuGH 8.10.1996, verb. Rs. C-178/94, C-179/94, C-188/94, C-189/94 und C-190/94, Slg. 1996, I-4845 Rn. 33 ff. – Dillenkofer. 61 Definiert in Art. 2 Nr. 4 RL 90/314 als „die Person, welche die Pauschalreise bucht oder zu buchen sich verpflichtet (‚der Hauptkontrahent‘), oder jede Person, in deren Namen der Hauptkontrahent sich zur Buchung der Pauschalreise verpflichtet (‚die übrigen Begünstigten‘), oder jede Person, der der Hauptkontrahent oder einer der übrigen Begünstigten die Pauschalreise abtritt (‚der Erwerber‘)“. 62 Im deutschen Recht geht der BGH von einem eigenen Anspruch aufgrund eines Vertrags zugunsten Dritter aus, vgl. BGH 26.5.2010, Xa ZR 124/09, NJW 2010, 2950 Rn. 14 f. 63 Tonner in: Grabitz/Hilf Das Recht der Europäischen Union IV (EL 13 1999) A 12 Pauschalreisen (RL 90/314/EWG) Art. 2 Rn. 17. 64 Im Kommissionsvorschlag findet sich zum damaligen Art. 8 nur der Hinweis, dass der Schutz der Richtlinie „nicht nur für den vertragschließenden Pauschalreiseteilnehmer, sondern auch für die Personen [gilt], für die er den Vertrag abschließt“, Vorschlag für eine
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re Person einen Pauschalreisevertrag geschlossen hat“ auch im Sinne einer lediglich wirtschaftlichen Begünstigung („für die“) und nicht nur im Sinne einer rechtlichen Vertretung gedeutet werden kann. Auch mag man bei Zugrundelegung einer engen Lesart am Sinn der Erwähnung der „übrigen Begünstigten“ zweifeln, denn die Anwendbarkeit des Pauschalreiserechts auf eine durch Stellvertretung in den Vertrag einbezogene Partei dürfte eine Selbstverständlichkeit darstellen. Es lag daher näher, in Art. 2 Nr. 4 RL 90/314 eine Ausdehnung des Schutzbereichs der Richtlinie auch auf solche Beteiligte zu sehen, die zwar keinen eigenen Vertragsanspruch haben, die aber vom Buchenden ausdrücklich als Reiseteilnehmer bezeichnet wurden, insbesondere also mitreisende Familienangehörige. Dies dürfte auch der Auffassung des EuGH entsprechen, denn auch die im Schadenszeitpunkt gerade zehnjährige Klägerin Simone Leitner wurde als mitreisendes Familienmitglied in einem Pauschalurlaub geschädigt, der durch „die Familie der Klägerin“ gebucht worden war.65 Spätestens die Neudefinition des Reisenden in Art. 3 Nr. 6 RL 2015/2302 dürfte mit der Wendung „die zu einer Reise auf der Grundlage eines im Rahmen dieser Richtlinie geschlossenen Vertrags berechtigt ist“ letzte Zweifel an dieser Lesart beseitigt haben. Neben dem individuellen Verbraucher und den „übrigen Begünstigten“ sind auch „qualifizierte Einrichtungen“ i. S. d. Art. 3 der Unterlassungsklagenrichtlinie 2009/22 zur Durchsetzung der Rechte aus der Richtlinie klagebefugt (Art. 1, Anhang I Nr. 4 RL 2009/22).66 Allerdings beschränkt sich diese Klagebefugnis auf die in Art. 2 Abs. 1 lit. a–c RL 2009/22 definierte Unterlassungsklage, also auf einen Rechtsbehelf, der auf eine (auch im Dringlichkeitsverfahren mögliche) Anordnung der Einstellung oder des Verbots eines Verstoßes, die Veröffentlichung der Anordnung und, sofern das nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats möglich ist, die Anordnung eines Ordnungsgeldes abzielt. Neben der Beschränkung auf den Unterlassungsrechtsschutz (samt Urteilsveröffentlichung und Ordnungsgeldsanktion) ist die Unterlassungsklagenrichtlinie für die Durchsetzung reiserechtlicher SchadenserRichtlinie über Pauschalreisen, darunter auch Pauschalurlaubsreisen und Pauschalrundreisen KOM(88) 341 S. 22 (mit Begründung auch abgedruckt in BT-Drs. 11/3701 S. 23). Zur allgemeinen Verbraucherdefinition wird erläutert, dass es sich bei dem geschützten Verbraucher im Sinne der Richtlinie auch um jemand handeln könne, „in dessen Namen solch ein Vertrag geschlossen wurde, z. B. wenn er Mitglied eines Clubs ist, oder wenn es sich um ein Schulkind handelt, das mit seinen Klassenkameraden eine Pauschalreise macht, und nur ein Vertrag für alle abgeschlossen wurde“, Vorschlag für eine Richtlinie über Pauschalreisen, darunter auch Pauschalurlaubsreisen und Pauschalrundreisen KOM(88) 341 S. 14 (mit Begründung auch abgedruckt in BT-Drs. 11/3701 S. 20). Gerade im letztgenannten Fall dürfte das Schulkind wohl keinen eigenen Vertrag abgeschlossen haben. 65 Vgl. EuGH 12.3.2002, Rs. C-168/00, Slg. 2002, I-2631 Rn. 7 f. – Leitner. 66 Zum präventiven Charakter und Abschreckungseffekt der Unterlassungsklagenrichtlinie (im Kontext der Klauselrichtlinie) EuGH 26.4.2012, Rs. C-472/10, ECLI:EU:C:2012: 242 Rn. 37 ff. – Invitel.
IV. Verschulden
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satzansprüche auch deshalb nur von untergeordneter Bedeutung, weil sie allein der Durchsetzung kollektiver Verbraucherinteressen dient. Nicht vorgesehen ist eine Bündelung der Schadensersatzansprüche mehrerer Verbraucher, weil die durch die Richtlinie geschützten „Kollektivinteressen der Verbraucher“ (Art. 1 Abs. 1 RL 2009/22) nicht mit den kumulierten Interessen mehrerer durch einen Verstoß geschädigter Verbraucher gleichzusetzen sind (Erwägungsgrund 3 RL 2009/22). Im Ergebnis dürfte die Rechtsdurchsetzung nach der Unterlassungsklagenrichtlinie 2009/22 damit vor allem Verstöße gegen das Irreführungsverbot und die Informationspflichten der Pauschalreiserichtlinie betreffen. Zumindest denkbar ist aber, dass auch die systematische Zurückweisung von begründeten Haftungsansprüchen der Verbraucher oder die Aufnahme unzulässiger Haftungsbeschränkungsklauseln in AGB durch die präventiv wirkende Unterlassungsklage bekämpft werden kann.67 Nicht möglich ist aber die Zuerkennung konkreter Schadensersatzzahlungen an einzelne oder mehrere individuelle Verbraucher. IV. Verschulden IV. Verschulden
Im Ausgangspunkt ähnelt das Haftungsregime der Pauschalreiserichtlinie der strikten Haftungsordnung der Produkthaftungsrichtlinie 85/374, weil Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 erster Halbsatz RL 90/314 (Art. 13 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 2 RL 2015/2302) das Verschulden nicht als Voraussetzung der Haftung des Veranstalters erwähnen. Die noch deutlich kürzer gefasste Vorgängervorschrift im ersten Kommissionsvorschlag68 wurde dementsprechend als verschuldensunabhängige Haftung aufgefasst.69 Indes entlässt die Kompromissvorschrift70 des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz der endgültigen Richtlinie 90/314 den Veranstalter aus der Haftung („es sei denn“), sofern die Nichterfüllung oder mangelhafte Erfüllung weder auf sein Verschulden noch
67 Micklitz/Rott in: Grabitz/Hilf Das Recht der Europäischen Union IV (EL 29 2005) A 25 Unterlassungskl. z. Schutz d. Verbraucher (RL 98/27/EG) Art. 1 Rn. 41. 68 Vorschlag für eine Richtlinie über Pauschalreisen, darunter auch Pauschalurlaubsreisen und Pauschalrundreisen KOM(88) 341 (mit Begründung auch abgedruckt in BT-Drs. 11/3701 S. 9) Art. 5: „Bezüglich der Erfüllung des Vertrages treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um zu gewährleisten, daß […] 2. entweder der Veranstalter oder (falls bestimmte Mitgliedstaaten dies vorziehen) der Vermittler dem Verbraucher für jeden Mangel bei der Ausführung dieser Leistungen haftet.“ 69 Zum Verständnis als strikte Haftungsnorm die Kritik in BT-Drs. 11/3701 S. 4: „Die Vorschrift sollte dahin ergänzt werden, dass hinsichtlich des Schadensersatzes eine Verschuldenshaftung ausreichend ist“; Tonner in: Grabitz/Hilf Das Recht der Europäischen Union IV (EL 13 1999) A 12 Pauschalreisen (RL 90/314/EWG) Art. 5 Rn. 4. 70 Zum Kompromisscharakter zwischen strikter und verschuldensabhängiger Haftung Tonner EuZW 1990, 409, 410; ders. Reiserecht in Europa (1992) S. 271 f.
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auf ein Verschulden eines anderen Dienstleistungsträgers zurückzuführen ist, weil entweder – die festgestellten Versäumnisse bei der Erfüllung des Vertrages dem Verbraucher zuzurechnen sind; oder – diese unvorhersehbaren oder nicht abwendbaren Versäumnisse einem Dritten zuzurechnen sind, der an der Bewirkung der vertraglich vereinbarten Leistungen nicht beteiligt ist; oder – diese Versäumnisse auf höhere Gewalt […] oder auf ein Ereignis zurückzuführen sind, das der Veranstalter und/oder der Vermittler bzw. der Leistungsträger trotz aller gebotenen Sorgfalt nicht vorhersehen oder abwenden konnte. In der Neufassung der Reiserichtlinie wurde diese Regelung gestrafft und teilweise neu gefasst. Nach Art. 14 Abs. 3 RL 2015/2302 hat der Reisende „keinen Anspruch auf Schadenersatz, wenn der Reiseveranstalter nachweist, dass die Vertragswidrigkeit a) dem Reisenden zuzurechnen ist, b) einem Dritten zuzurechnen ist, der an der Erbringung der in dem Pauschalreisevertrag inbegriffenen Reiseleistungen nicht beteiligt ist, und die Vertragswidrigkeit weder vorhersehbar noch vermeidbar war oder c) durch unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände bedingt war.“
Es verwundert nicht, dass die juristische Qualifikation dieses Kompromissgeschöpfes einige Schwierigkeiten bereitet hat.71 Die Regelung wurde entweder als eine Verschuldenshaftung mit Beweislastumkehr hinsichtlich des Verschuldens72 oder als eine modifizierte Form der strikten Haftung verstanden,73
Zu den Auslegungsunterschieden Commission Staff Working Document Impact Assessment Accompanying the document on package travel and assisted travel arrangements, amending Regulation (EC) No 2006/2004l and Directive 2011/83/EU and repealing Council Directive 90/314/EEC, SWD(2013) 263 Annex 3 S. 82: „It is not totally clear from the wording of Article 5 what type of liability it imposes. Most Member States seem to have interpreted Article 5 as imposing a ‘strict liability’ […]. However, in at least two Member States (Ireland and the UK) the courts seem to interpret Article 5 as imposing only a faultbased liability as regards personal injury claims. In several Member States the organiser is not liable if he can prove that he did not act intentionally or negligently.“ 72 Eckert ZRP 1991, 454, 457; Meyer/Kubis TranspR 1991, 411, 414; M. Bydlinski in: Schuhmacher (Hrsg.) Verbraucherschutz in Österreich und der EG (1992) 211, 223; Tonner Reiserecht in Europa (1992) S. 272: „eingeschränkte Verschuldenshaftung“; Pellet Die reisevertragliche Gewährleistung in Deutschland, England und Frankreich und die Auswirkungen der EG-Pauschalreiserichtlinie (1993) S. 155; Grundmann Europäisches Schuldvertragsrecht (1999) 4.01 Rn. 28; Rössler Reisegewährleistungsrecht und allgemeines Leistungsstörungsrecht (2008) S. 232; Schulte-Nölke in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.) Europarecht – Handbuch für die deutsche Rechtspraxis3 (2015) § 23 Rn. 104: „verschuldensabhängige Haftung des Reiseveranstalters mit einer Beweislastumkehr zu dessen Lasten“. 71
IV. Verschulden
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weil der Entlastungsbeweis nach der Richtlinie nur auf die dort abschließend74 aufgezählten Exkulpationsgründe gestützt werden kann, nämlich eine dem Reisenden zuzurechnende Vertragswidrigkeit (z. B. störendes Verhalten75 oder Verspätung beim Reiseantritt), eine einem an der Leistungserbringung nicht beteiligten Dritten zuzurechnende Vertragswidrigkeit, wobei die Vertragswidrigkeit weder vorhersehbar noch vermeidbar gewesen sein darf (z. B. Kriminalität oder Vandalismus)76, oder eine durch unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände bedingte Vertragswidrigkeit. Vor allem bei der dritten Fallgruppe scheint die neue Pauschalreiserichtlinie 2015/2302 eine Haftungsverschärfung bewirken zu wollen, weil nach Art. 5 Abs. 2 der alten Pauschalreiserichtlinie 90/314 eine Exkulpation nicht nur bei höherer Gewalt,77 sondern auch bei einem Ereignis möglich war, „das der Veranstalter Zur Gebotenheit eines Schadensersatzanspruchs bereits bei leichtem Verschulden auch OGH 23.11.2004, 5 Ob 242/04 f, RRa 2005, 88, 93: „Er [der EuGH] ließ auch keinen Zweifel daran offen, dass die diesbezüglich angestrebte Harmonisierung der unterschiedlichen Schadensersatzregelungen in den Mitgliedstaaten der EG auf Basis einer Anknüpfung an leichtes Verschulden zu erfolgen hat, weil sich nur auf diese Weise Wettbewerbsverzerrungen beseitigen lassen“; für Verschuldenshaftung auch Hone v Going Places Leisure Travel Limited [2001] EWCA Civ 947 (zu weitgehend, soweit dort vom Anspruchsteller auch der Nachweis des Verschuldens gefordert wird). 73 Riesenhuber Europäisches Vertragsrecht2 (2006) Rn. 784: „Weil das sogenannte Verschulden nur durch drei Gründe ausgeschlossen werden kann, diese drei Gründe jedoch nicht alle Fälle erfassen, in denen die subjektive Zurechnung zum Verpflichteten fehlt, handelt es sich nicht um eine Verschuldenshaftung“; ebenso ders. EU-Vertragsrecht (2013) § 13 Rn. 32: „Garantiehaftung, denn das ‚Verschulden‘ ist nur in drei bestimmten Fällen ausgeschlossen“; Magnus ZEuP 2007, 260, 265: „objektive Haftung mit Entlastungsmöglichkeit“; Grant/Mason Holiday Law5 (2012) S. 137: „form of qualified strict liability – by which we mean that their liability has been extended beyond fault liability but falls some way short of strict liability“. 74 BGH 9.11.2004, X ZR 119/01, NJW 2005, 418, 420: „Der zweite Teil enthält zwar eine abschließende, also nicht bloß beispielhafte Aufzählung der Tatbestände, die ein fehlendes Verschulden des Veranstalters begründen können.“ 75 Tonner in: Grabitz/Hilf Das Recht der Europäischen Union IV (EL 13 1999) A 12 Pauschalreisen (RL 90/314/EWG) Art. 5 Rn. 9. Entgegen Führich EuZW 1993, 347, 350 dürften ökologische Störungen im Urlaubsgebiet (z. B. Meeresverschmutzung) nicht als „eigenes Lebensrisiko“ des Reisenden unter Art. 5 Abs. 2 erster Spiegelstrich fallen, weil derartige Störungen nicht „dem Verbraucher zuzurechnen sind“. Indes dürften sie entweder unter den Begriff der höheren Gewalt (Art. 5 Abs. 2 dritter Spiegelstrich 1. Var.) fallen oder als „Ereignis“ anzusehen sein, „das der Veranstalter und/oder Vermittler bzw. der Leistungsträger trotz aller gebotenen Sorgfalt nicht vorhersehen oder abwenden konnte“ (Art. 5 Abs. 2 dritter Spiegelstrich 2. Var.). 76 Hier stellt sich aber die Frage von Schutzvorkehrungen, wenn das Verhalten der Dritten für den Veranstalter vorhersehbar war. 77 Der Begriff wird in Art. 4 Abs. 6 UAbs. 2 Ziffer ii) definiert als „ungewöhnliche und unvorhersehbare Ereignisse, auf die derjenige, der sich auf höhere Gewalt beruft, keinen Einfluss hat und deren Folgen trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht hätten ver-
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und/oder der Vermittler bzw. der Leistungsträger trotz aller gebotenen Sorgfalt nicht vorhersehen oder abwenden konnte“. Diesem letztgenannten, offenbar vom Begriff der höheren Gewalt zu unterscheidenden Exkulpationstatbestand wurde unter der Richtlinie 90/314 generell der Einwand fehlenden Verschuldens zugeordnet,78 so dass sich die Begrenzung auf drei Exkulpationstatbestände im Ergebnis nicht auswirkte.79 In der Neufassung scheint die Kommission mit dem Begriff der „unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände“ allerdings über den allgemeinen Fahrlässigkeitsmaßstab hinausgehen mieden werden können“; dazu zählt nicht die Überbuchung oder das Auftreten eines Hurrikans in der Hurrikansaison, OGH 29.9.2009, 4 Ob 130/09k, RRa 2010, 97, 101. Nach Tonner Reiserecht in Europa (1992) S. 268 f. ist dies an die französische Definition angelehnt, so dass es sich nicht um ein von außen kommendes Ereignis handeln müsse und auch Streiks der Leistungsträger höhere Gewalt sein können. Für eine Subsumtion von Streiks der Leistungsträger unter Art. 5 Abs. 2 dritter Spiegelstrich zweite Alternative (nicht vorhersehbares oder abwendbares Ereignis) Grant/Mason Holiday Law5 (2012) S. 140. Allgemein zum Begriff der höheren Gewalt im Unionsrecht die Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen vom 14.3.2013, Rs. C-509/11, ECLI:EU:C:2013:167 Rn. 31 ff. – ÖBB Personenverkehr; ablehnend zur Anerkennung dieses Grundsatzes ohne Erwähnung im Text der auszulegenden EuGH 26.9.2013, Rs. C-509/11, ECLI:EU:C:2013:613 Rn. 49 f. – ÖBB Personenverkehr. 78 Umstritten ist allerdings, ob auf die Sicherheitsvorschriften im Reiseland oder im Heimatstaat des Reisenden (dessen Recht regelmäßig auf den Vertrag anwendbar ist) abzustellen ist, dazu Gouldbourn v Balkan Holidays Ltd [2010] EWCA Civ 372; Grant/ Mason Holiday Law5 (2012) S. 146 ff., 152 f.: grundsätzlich lokale Standards maßgeblich: „local standards defence“. 79 BGH 9.11.2004, X ZR 119/01, NJW 2005, 418, 420: „Diese Aufzählung beschränkt sich aber nicht auf das eigene Verschulden des Verbrauchers, das Verschulden eines nicht beteiligten Dritten und höhere Gewalt, sondern nennt als weiteren und letzten Entlastungsgrund ‚ein Ereignis, das der Veranstalter und/oder der Vermittler bzw. der Leistungsträger trotz aller gebotenen Sorgfalt nicht vorhersehen oder abwenden konnte’. Dies entspricht der Definition der fehlenden Fahrlässigkeit nach deutschem Recht. Nichts deutet darauf hin, daß im Vergleich zu der durch § 276 Abs. 2 BGB verlangten Einhaltung der ‚im Verkehr erforderlichen‘ Sorgfalt die Richtlinie mit ihrer Forderung nach Einhaltung ‚aller gebotenen‘ Sorgfalt strengere Anforderungen stellt, etwa im Sinne eines gesteigerten Sorgfaltsmaßstabes, der nur durch Anwendung der äußersten möglichen Sorgfalt erreicht wird.“ Siehe auch Führich Reiserecht7 (2015) § 3 Rn. 36: „kleine Generalklausel der Haftungsfreistellung“; Staudinger in: Staudinger §§ 651a–651m; Anhang zu § 651a: BGBInfoV (Reisevertragsrecht) (2016) Vorbem zu §§ 651a–m Rn. 72; Schulte-Nölke/MeyerSchwickrath in: Schulte-Nölke/Twigg-Flessner/Ebers EG-Verbraucherrechtskompendium (2007) S. 344: „Im Grundsatz besteht ein Unterschied zwischen den von der Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen und einer Verschuldenshaftung, jedoch fällt es schwer, Fälle zu finden welche dieses durch unterschiedliche Ergebnisse veranschaulichen. Insbesondere, wenn die Beweislast beim Veranstalter/Vermittler liegt und jener nachweisen muss, dass er nicht fahrlässig gehandelt hat, wird die Rechtspraxis wahrscheinlich zu denselben Ergebnissen kommen.“ Etwas anders Tonner in: MünchKommBGB IV6 (2012) § 651f Rn. 36 f., der aber ebenfalls davon ausgeht, dass die Beschränkung der Entlastungsgründe kaum praktische Bedeutung hat.
IV. Verschulden
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und eine Form der strikten Haftung mit gewissen Ausnahmen anordnen zu wollen. Gemäß Art. 3 Nr. 12 RL 2015/2302 bezeichnen „unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände“ nämlich „eine Situation außerhalb der Kontrolle der Partei, die eine solche Situation geltend macht, deren Folgen sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen worden wären“.80 Damit dürfte eine strengere Haftung als die Fahrlässigkeitshaftung gemeint sein, wie sich an der Möglichkeit der Haftungsbegrenzung für nicht „vorsätzlich oder fahrlässig“ herbeigeführte Schäden in Art. 14 Abs. 4 Satz 3 RL 2015/2302 zeigt, die keinen Anwendungsbereich hätte, wenn bei nicht fahrlässig herbeigeführten Schäden bereits eine Entlastung nach Art. 14 Abs. 3 lit. c RL 2015/2302 möglich wäre.81 Demgemäß ist der Begriff der „unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände“ nicht mit fehlendem Verschulden gleichzusetzen, sondern vielmehr enger als eine modifizierte Form der strikten Haftung anzusehen.82 Das Festhalten der ursprünglichen Richtlinie am Verschuldensprinzip ist in Deutschland vor allem deshalb kritisiert worden, weil damit auch der Ersatzanspruch für den Minderwert der Reise an das Verschulden des Veranstalters geknüpft wurde.83 Hier zeigte sich die Schwäche der Regelung in einer einheitlichen Haftungsnorm bei gleichzeitigem Fehlen eines (vollständigen) Gewährleistungsrechts: Während der Ausschluss von Schadensersatzansprüchen bei fehlendem Verschulden des Veranstalters noch einzusehen sein mag, ist nicht nachvollziehbar, weshalb der Reiseveranstalter auch den vollen Reisepreis bei einer schuldlos mangelhaften Reiseleistung behalten soll. Das deutsche Recht hatte deshalb für solche Fälle über den Mindeststandard der Richtlinie hinaus eine verschuldensunabhängige Gewährleistungshaftung eingeführt (§§ 651c, 651d, 651e BGB).84 Indes findet sich in der neu gefassten Richtlinie nun eine ausdrückliche Regelung zur Minderung in Art. 14 Abs. 1 RL 2015/2302, die 80 In der Literatur ist umstritten, ob der Begriff in der neuen Reiserichtlinie mit dem Begriff der „außergewöhnlichen Umstände“ in Art. 5 Abs. 3 VO 261/2004 gleichzusetzen ist, bejahend Tonner EuZW 2016, 95, 98; verneinend Bergmann VuR 2016, 43, 50: „Dies klingt eher nach einem unabwendbaren Ereignis, denn nach höherer Gewalt.“ 81 Siehe auch Commission Staff Working Document Impact Assessment Accompanying the document on package travel and assisted travel arrangements, amending Regulation (EC) No 2006/2004l and Directive 2011/83/EU and repealing Council Directive 90/314/ EEC, SWD(2013) 263 Annex 4 S. 95, Annex 5 S. 132. Die dortigen Ausführungen legen nahe, dass die Kommission offenbar in der Neufassung eine Form von strikter Haftung sieht. 82 So auch Tonner EuZW 2016, 95, 99: „Allerdings verwendet der Unionsgesetzgeber jetzt den Begriff der ‚unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände‘, der in § 651f Abs. 1 BGB verankert werden muss, da er mit Verschulden nicht identisch ist.“ Trotz dieser Änderung soll es nach Tonner EuZW 2016, 95, 99 bei einer „Verschuldenshaftung mit Umkehr der Beweislast“ bleiben. M. E. ist dies zweifelhaft, weil die Exkulpationstatbestände nun enger gefasst sind. 83 Zur Kritik Tonner in: Grabitz/Hilf Das Recht der Europäischen Union IV (EL 13 1999) A 12 Pauschalreisen (RL 90/314/EWG) Art. 5 Rn. 16.
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unabhängig von den Entlastungstatbeständen für die Schadensersatzhaftung in Art. 14 Abs. 3 RL 2015/2302 ausgestaltet ist, so dass sich diese Kritik am Verschuldensprinzip erledigt haben dürfte. Die nunmehr neu eingeführte Kategorie der „unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände“, die offenbar über den allgemeinen – ohnehin strikten – Fahrlässigkeitsmaßstab hinausgehen, gleichzeitig aber nicht auf höhere Gewalt verengt sein soll (jedenfalls findet sich der Begriff im Unterschied zur Vorgängerrichtlinie nicht mehr), versucht sich nun an einem Kompromiss durch eine modifizierte Form der strikten Haftung, die sich im Ergebnis allerdings kaum spürbar von der Verschuldenshaftung mit Beweislastumkehr hinsichtlich des Verschuldens unterscheiden wird. Entscheidend wird in beiden Fällen sein, was die Gerichte als „unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände“ ansehen, wobei sich diese Subsumtion im Einzelfall der vollständigen Harmonisierung durch die Richtlinie schon aufgrund der strukturellen Ausgrenzung von Tatsachenfragen und Einzelfallentscheidungen aus dem Vorabentscheidungsverfahren entzieht. Für die Zwecke unserer Untersuchungsfrage ist festzuhalten, dass die Richtlinie jedenfalls in ihrer Neufassung nach den Vorstellungen der Kommission eine modifizierte Form der verschuldensunabhängigen Haftung anordnet. V. Schadensbegriff und Schadensumfang V. Schadensbegriff und Schadensumfang
Aufschluss über den Schadensbegriff und die Reichweite der Schadenshaftung nach Art. 5 Abs. 2 RL 90/314 (Art. 14 Abs. 2 RL 2015/2302) gibt die Rechtssache Leitner. In diesem Verfahren hatte sich Frau Leitner in einem Cluburlaub der TUI eine Salmonellenvergiftung zugezogen. Das mit dem Schadensersatzbegehren von Frau Leitner befasste österreichische Gericht 84 Siehe auch die Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen vom 14.3.2013, Rs. C-509/11, ECLI:EU:C:2013:167 Rn. 34 – ÖBB Personenverkehr, der eine Einschränkung des Fahrpreiserstattungsanspruchs nach Art. 17 VO 1371/2007 auch bei höherer Gewalt ablehnt (Rn. 42: „gerechte Risikoverteilung“), im Ergebnis ebenso EuGH 26.9.2013, Rs. C-509/11, ECLI:EU:C:2013:613 Rn. 49 f. – ÖBB Personenverkehr. Auch Art. 12 Abs. 3 im Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen KOM(2013) 512 sah für den Anspruch auf Minderung und den Anspruch auf Schadensersatz noch identische Ausschlussgründe vor. Dem hat das Parlament mit Recht widersprochen, siehe Bericht vom 18.2.2014 über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Pauschal- und Bausteinreisen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates, Stellungnahme des Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr für den Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz, PE 524.596v02-00, A7-0124/2014, Änderungsantrag 83: „In dem Vorschlag sind dieselben Bestimmungen für Entschädigungen aufgrund von Fehlern und Preisminderungen aufgrund von Mängeln vorgesehen. Der Reisende sollte im Fall der Nichterfüllung oder mangelhaften Erfüllung der im Rahmen der Pauschalreise vorgesehenen Leistungen, die auf außergewöhnliche Umstände oder ein einem Dritten anzulastendes Versäumnis zurückzuführen ist, Anspruch auf eine Preisminderung haben.“
V. Schadensbegriff und Schadensumfang
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legte dem Gerichtshof die Frage vor, ob Art. 5 Abs. 2 RL 90/314 dahin auszulegen ist, dass er dem Verbraucher grundsätzlich einen Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens verleiht, der auf der Nichterfüllung oder einer mangelhaften Erfüllung der eine Pauschalreise ausmachenden Leistungen beruht.85 Der EuGH bejahte diese Frage mit folgenden Erwägungen: „19 Nach Artikel 5 Absatz 2 Unterabsatz 1 der Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen, damit der Reiseveranstalter die Schäden ersetzt, die dem Verbraucher aus der Nichterfüllung oder einer mangelhaften Erfüllung des Vertrages entstehen. 20 Dazu ergibt sich aus der zweiten und der dritten Begründungserwägung der Richtlinie, dass sie u. a. die Beseitigung der Unterschiede bezweckt, die zwischen den Regelungen und Praktiken der einzelnen Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Pauschalreisen festgestellt wurden und zu Verzerrungen des Wettbewerbs zwischen den in den verschiedenen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen des Reisegewerbes führen können. 21 Bei Pauschalreisen würde aber das Bestehen einer Schadensersatzpflicht für immaterielle Schäden in einigen Mitgliedstaaten und das Fehlen einer solchen Pflicht in anderen zu spürbaren Wettbewerbsverzerrungen führen, da, wie die Kommission ausgeführt hat, immaterielle Schäden in diesem Bereich häufig zu verzeichnen sind. 22 Außerdem bezweckt die Richtlinie, insbesondere ihr Artikel 5, den Schutz der Verbraucher. Für sie hat bei Urlaubsreisen der Schadensersatz wegen entgangener Urlaubsfreude besondere Bedeutung. 23 Artikel 5 der Richtlinie ist vor diesem Hintergrund auszulegen. Wenn auch in Absatz 2 Unterabsatz 1 dieses Artikels nur allgemein auf den Begriff des Schadens Bezug genommen wird, so erkennt doch die Richtlinie einen grundsätzlichen Schadensersatzanspruch für Nicht-Körperschäden, darunter immaterielle Schäden, implizit dadurch an, dass nach ihrem Artikel 5 Absatz 2 Unterabsatz 4 die Mitgliedstaaten zulassen können, dass bei Schäden, die nicht Körperschäden sind, die Entschädigung vertraglich beschränkt wird, soweit diese Beschränkung nicht unangemessen ist. 24 Daher ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Artikel 5 der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er dem Verbraucher grundsätzlich einen Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens verleiht, der auf der Nichterfüllung oder einer mangelhaften Erfüllung der eine Pauschalreise ausmachenden Leistungen beruht.“
Auch wenn die Entscheidung in erster Linie für die Einbeziehung immaterieller Schäden in den Schadensbegriff der Pauschalreiserichtlinie bedeutsam ist, so lassen sich ihr auch Hinweise für andere Fragen des Schadensrechts entnehmen. 1. Europäischer oder nationaler Schadensbegriff? Zunächst deutet die Entscheidung Leitner darauf hin, dass Art. 5 Abs. 2 RL 90/314 (Art. 14 Abs. 2 RL 2015/2302) ein europäisch-autonomer Schadens85 Nach OGH 29.9.2009, 4 Ob 130/09k, RRa 2010, 97, 100 f. haftet der Reiseveranstalter „auch dann für die entgangene Urlaubsfreude, wenn sich eine Gefahr verwirklicht, über deren Bestehen er den Kunden vor Abschluss des Reisevertrags hätte aufklären müssen“.
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begriff und nicht eine bloße (ungeschriebene) Verweisung auf das jeweils anwendbare Schadensrecht des betreffenden Mitgliedstaates86 zugrunde liegt. Für eine solche Lesart spricht insbesondere der Hinweis des Gerichtshofs, dass eine unterschiedliche Handhabung immaterieller Schäden zu spürbaren Wettbewerbsverzerrungen führen würde, die dem Rechtsangleichungsziel der Richtlinie zuwider liefen. Dies gilt umso mehr, nachdem die neue Richtlinie zum Konzept der Vollharmoninisierung übergegangen ist (Art. 4 RL 2015/ 2302). Für ein europäisch-autonomes Verständnis des Schadensbegriffs hat sich auch der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen zu Leitner ausgesprochen.87 Zudem folgt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs „aus dem Gebot der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts wie auch aus dem Gleichheitssatz, dass die Begriffe einer unionsrechtlichen Vorschrift, die für die Ermittlung ihres Sinns und ihrer Tragweite nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen“.88
Der europäisch-autonome Schadensbegriff hat allerdings nicht zur Folge, dass alle Einzelheiten der Schadensbemessung durch den Gerichtshof zu entscheiden wären. Vielmehr ist von einer Arbeitsteilung mit den mitgliedstaatlichen Gerichten auszugehen, die grundlegende Fragen (wie die Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden) dem Gerichtshof zuweist, während Einzelfragen nach dem Beurteilungs- und Bewertungsermessen nationaler Gerichte (vgl. § 287 ZPO) zu würdigen sind. Zu Recht weist dementsprechend der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen darauf hin, dass auch in nationalen Gesetzestexten regelmäßig keine detaillierte Definition des Schadens erfolgt, sondern die Kriterien für die Bestimmung des Schadens und die entsprechenden Beurteilungs- und Bemessungssysteme in der Regel sogar dann weitgehend in das richterliche Ermessen gestellt sind, wenn Berechnungskriterien und -tabellen vorgegeben sind. 89 Daraus lässt sich folgern, dass selbst bei einem grundsätzlich europäisch-autonomen Verständnis des Schadensbegriffs nicht jede Be86 Für die Anwendung nationalen Rechts vor der Leitner-Entscheidung Grundmann Europäisches Schuldvertragsrecht (1999) 4.01 Rn. 36: „Nur ein Minimum ist vorgesehen: Materieller Schaden – davon geht wohl bereits die Pauschalreise-Richtlinie aus – ist zu ersetzen“; Remien RabelsZ 66 (2002) 503, 527 f.; nach der Leitner-Entscheidung noch Doehner EuZW 2002, 340, 341; Rössler Reisegewährleistungsrecht und allgemeines Leistungsstörungsrecht (2008) S. 233: Argumentation des EuGH „kann nicht überzeugen, da der immaterielle Schadensersatz in der Richtlinie selbst nicht ausdrücklich angesprochen wird und damit auch nicht in den Regelungsbereich der Richtlinie fallen kann.“ 87 Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano vom 20.9.2001, Rs. C-168/00, Slg. 2002, I-2631 Rn. 25 – Leitner. 88 EuGH 30.4.2014, Rs. C-26/13, ECLI:EU:C:2014:282 Rn. 37 – Kásler; EuGH 10.12.2015, Rs. C-350/14, ECLI:EU:C:2015:802 Rn. 21 – Lazar. 89 Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano vom 20.9.2001, Rs. C-168/00, Slg. 2002, I-2631 Rn. 33 – Leitner.
V. Schadensbegriff und Schadensumfang
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messungsfrage durch den Gerichtshof zu entscheiden ist, sondern den nationalen Gerichten ein Spielraum verbleibt, um die Höhe des Schadensersatzes anhand der europäisch definierten Kriterien im Einzelfall zu bestimmen. 2. Naturalrestitution und Schadenskompensation In der Reiserichtlinie findet sich keine explizite Aussage zum Verhältnis von Naturalherstellung und Geldersatz. Andeutungsweise lässt sich allerdings aus der Systematik der Richtlinie (zunächst: „Haftung für die ordnungsgemäße Erfüllung“ in Art. 5 Abs. 1 RL 90/314 und Art. 13 Abs. 1 RL 2015/2302, sodann Haftung für die Schäden, Art. 5 Abs. 2 RL 90/314 und Art. 14 Abs. 2 RL 2015/2302), aus dem „Bemühen um geeignete Lösungen“ bei Beanstandungen der Reise (Art. 6 RL 90/314) bzw. der Abhilfeverpflichtung des Veranstalters (Art. 13 Abs. 3 RL 2015/2302) und der Verpflichtung auf „angemessene andere Vorkehrungen“ zur Fortsetzung der Reise (Art. 4 Abs. 7 RL 90/314; Art. 13 Abs. 5 RL 2015/2302) eine gewisse Präferenz für die vorrangige Nachbesserung der vertraglichen Leistung durch den Unternehmer ableiten.90 Auch die Pflicht zur unverzüglichen Mitteilung von Mängeln bei der Erfüllung des Vertrages (Art. 5 Abs. 4 RL 90/314; Art. 13 Abs. 2 RL 2015/2302) erscheint vor allem sinnvoll, um dem Reiseveranstalter die Gelegenheit zur Nachbesserung seiner Leistung zu geben.91 3. Schadensumfang Maßgeblich für die Bestimmung des Schadensumfangs nach der Pauschalreiserichtlinie ist die Feststellung in der Rechtssache Leitner, dass Art. 5 Abs. 2 (Art. 14 Abs. 2 RL 2015/2302) ein weiter und unqualifizierter92 Schadensbegriff zugrunde liegt,93 der sowohl materielle wie immaterielle Schäden umfasst. Im Unterschied zur Produkthaftungsrichtlinie handelt es sich um einen Siehe Rössler Reisegewährleistungsrecht und allgemeines europäisches Leistungsstörungsrecht (2008) S. 194, die dies als Ausprägung eines Erfüllungsanspruchs einordnet. 91 Zur Ausgestaltung der Nacherfüllung (Abhilfe) als vorrangiger Rechtsbehelf des Verbrauchers Riesenhuber Europäisches Vertragsrecht2 (2006) Rn. 793; zur „Heilungsmöglichkeit“ des Veranstalters auch Rössler Reisegewährleistungsrecht und allgemeines europäisches Leistungsstörungsrecht (2008) S. 150 ff. 92 Siehe insbesondere die Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano vom 20.9.2001, Rs. C-168/00, Slg. 2002, I-2631 Rn. 29 – Leitner: „Aus dem Umstand, dass in der Richtlinie allgemein und ohne jede Einschränkung der Begriff ‚Schaden‘ verwendet wird, folgt grundsätzlich, dass alle Schadensarten in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen sollten.“ 93 Tonner ZEuP 2003, 619, 629. Siehe auch die Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, ABl. C 170/73 vom 5.6.2014, S. 76 Ziffer 8.1, der – im Zusammenhang mit der Übernahme von Rückbeförderungskosten (dazu Art. 13 Abs. 6 und Abs. 7 RL 2015/2302) den Grundsatz der Totalrestitution als „allgemeinen Rechtsgrundsatz in allen EU-Mitgliedstaaten“ bezeichnet. 90
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vertraglichen Haftungsanspruch, der alle (auch immaterielle) Schäden im Zusammenhang mit der Nichterfüllung vertraglicher Pflichten umfassen kann (ausdrücklich nunmehr Erwägungsgrund 34 Satz 7 RL 2015/2302).94 Dies betrifft nicht nur den Ersatz von Schäden an sonstigen Rechtsgütern des Reisenden, sondern soll auch den Ersatz von Schäden umfassen, die sich aus dem Minderwert der Reise und damit aus der Störung des vertraglichen Äquivalenzverhältnisses ergeben können.95 Allerdings hat sich für den Ersatz des mangelbedingten Minderwertes der Reise durch die Neufassung der Richtlinie insofern eine Einschränkung ergeben, als dass Art. 13 Abs. 3 Satz 1 RL 2015/2302 nun eine Abhilfeverpflichtung des Veranstalters vorsieht und erst für den Fall der Nichtabhilfe (Art. 13 Abs. 3 Satz 2 RL 2015/2302) auf die Ansprüche auf Minderung und Schadensersatz nach Art. 14 RL 2015/2302 verweist. Zudem regelt Art. 13 Abs. 4 RL 2015/2302 ein Selbstabhilferecht des Reisenden, dessen Voraussetzungen (Fristsetzung) nicht durch einen voraussetzungslosen Rückgriff auf Art. 14 RL 2015/2302 umgangen werden dürfen. Und schließlich kennt die neue Richtline nun auch ein an geringere Voraussetzungen geknüpftes Minderungsrecht (Art. 14 Abs. 1 RL 2015/ 2302), das jedenfalls in der Praxis vorrangig vor dem Ersatz des mangelbedingten Minderwerts der Reise über den Schadensersatzanspruch nach Art. 14 Abs. 2 RL 2015/2302 geltend gemacht werden dürfte. Im Ergebnis dürfte der Ausbau des Gewährleistungsrechts der Richtlinie also dazu führen, dass der Schadensersatzanspruch nach Art. 14 Abs. 2 RL 2015/2302 für den Ersatz des mangelbedingten Minderwerts einer Reise und damit die Störung des vertraglichen Äquivalenzverhältnisses kaum noch bedeutsam sein wird, sondern vor allem für den Ersatz sonstiger Schäden relevant ist. a) Materielle Schäden Art. 5 Abs. 2 RL 90/314 (Art. 14 Abs. 2 RL 2015/2302) verpflichtet zunächst zum Ersatz der materiellen Schäden, die dem Verbraucher aus der Nichterfüllung oder mangelhaften Erfüllung (= Vertragswidrigkeit, Art. 3 Nr. 13 RL 2015/2302) entstehen. Dies lässt sich für Körperschäden bereits aus einem Umkehrschluss aus Art. 5 Abs. 2 UAbs. 4 RL 90/314 entnehmen, der den Mitgliedstaaten gestattet, für „Schäden, die nicht Körperschäden sind“, eine angemessene vertragliche Haftungsbeschränkung zuzulassen.96 In der NeuSchlussanträge des Generalanwalts Tizzano vom 20.9.2001, Rs. C-168/00, Slg. 2002, I-2631 Rn. 34 – Leitner; Alleweldt/Tonner/McDonald/Kara/Ayata/Stenzel Study on Safety and Liability Issues Relating to Package Travel (2008) S. 3 f. 95 Tonner in: Grabitz/Hilf Das Recht der Europäischen Union IV (EL 13 1999) A 12 Pauschalreisen (RL 90/314/EWG) Art. 5 Rn. 1. 96 Zu weitgehend ist die Andeutung in den Schlussanträgen des Generalanwalts Tizzano vom 20.9.2001, Rs. C-168/00, Slg. 2002, I-2631 Rn. 30 – Leitner, dass die Körperschäden neben physischen auch psychische Störungen und damit den Ersatz von Schmerzens94
V. Schadensbegriff und Schadensumfang
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fassung der Richtlinie findet sich eine entsprechende Bestimmung in Art. 14 Abs. 4 Satz 3 RL 2015/2302, die eine vertragliche Einschränkung des Schadensersatzes erlaubt, „sofern diese Einschränkung nicht für Personenschäden oder vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführte Schäden gilt und nicht weniger beträgt als das Dreifache des Gesamtreisepreises der Pauschalreise“. Neben der Ersatzfähigkeit von Körperschäden folgt aus dieser Vorschrift, dass die Richtlinie auch einen „grundsätzlichen Schadensersatzanspruch für NichtKörperschäden“97 mindestens in Form von Sachschäden implizit anerkennt, denn die Möglichkeit der Haftungsbegrenzung in Art. 5 Abs. 2 UAbs. 4 zielte ursprünglich auf Sachschäden, nicht auf den Ersatz immaterieller Schäden.98 b) Immaterielle Schäden Ausdrücklich anerkannt wurde in der Entscheidung Leitner (nunmehr auch in Erwägungsgrund 34 Satz 7 RL 2015/2302) zudem ein Anspruch des Verbrauchers auf Ersatz des immateriellen Schadens für entgangene Urlaubsfreuden (unabhängig vom Schmerzensgeld für Körper- oder Gesundheitsschäden),99 der auf der Nichterfüllung oder einer mangelhaften Erfüllung der eine Pauschalreise ausmachenden Leistungen beruht. Geboten ist ein „angemessene[r] Ausgleich für alle mit der Vereitelung bzw. erhebliche[n] Beeinträchtigung der Reise zusammenhängenden Nachteile“.100 Maßgeblich für die Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden waren für den EuGH drei Überlegungen,101 nämlich zum einen die Sorge, dass sich bei ungeld erfassen. Zwar ist der Begriff des Körperschadens nicht auf physische Beeinträchtigungen zu verengen, indes dient das Schmerzensgeld nicht dem Ausgleich psychischer Schäden, sondern soll für erlittene Schmerzen entschädigen. Es ist daher dem Ersatz immaterieller Schäden zuzuordnen. 97 EuGH 12.3.2002, Rs. C-168/00, Slg. 2002, I-2631 Rn. 23 –Leitner. 98 Tonner/Lindner NJW 2002, 1475. 99 Offenbar von vorneherein nicht in Zweifel stand nach österreichischem Recht der Anspruch auf Schmerzensgeld, vgl. EuGH 12.3.2002, Rs. C-168/00, Slg. 2002, I-2631 Rn. 10 – Leitner; Tonner ZEuP 2003, 619, 630. Tonner/Lindner NJW 2002, 1475, 1476 gehen davon aus, dass die Ausführungen in den Schlussanträgen des Generalanwalts Tizzano vom 20.9.2001, Rs. C-168/00, Slg. 2002, I-2631 Rn. 30 – Leitner (oben Fn. 96) in Richtung einer Einbeziehung des Schmerzensgelds in den Anspruch aus Art. 5 Abs. 2 RL 90/314 weisen. Die ältere Debatte im deutschen Recht um den Charakter des Anspruchs auf entgangene Urlaubsfreuden als materieller oder immaterieller Schadensersatz ist damit für das Unionsrecht entschieden, zur früheren Diskussion in Deutschland Maslow Der Schutz des immateriellen Erfüllungsinteresses bei Vertragsverletzung durch Schadensersatz (2015) S. 113 ff. 100 Führich MDR 2009, 906, 912. 101 Die ausführlichere Begründung des Generalanwalts Tizzano vom 20.9.2001, Rs. C-168/00, Slg. 2001, I-2631 – Leitner verweist zunächst auf einen Grundsatz verbrauchergünstiger Auslegung (Rn. 26), führt dann den allgemeinen und ohne jede Einschränkung verwendeten Begriff des Schadens an (Rn. 28 f.), verweist ferner auf die implizite
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terschiedlicher Handhabung des bei Reiseleistungen besonders bedeutsamen immateriellen Schadensersatzes Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Mitgliedstaaten ergeben könnten,102 zum zweiten der Gedanke des Schutzes der Verbraucher, für die der Ersatz entgangener Urlaubsfreude wesentlich ist, und zum dritten der Verweis auf Art. 5 Abs. 2 UAbs. 4 RL 90/314 (Art. 14 Abs. 4 Satz 3 RL 2015/2302), der eine vertragliche Beschränkung der Entschädigung bei Nicht-Körperschäden gestattet. Nicht alle Elemente dieser Begründung sind gleichermaßen überzeugend. So lässt sich aus dem Ausschluss von Haftungsbeschränkungen bei Körperschäden zwar durchaus folgern, dass andere Schäden als Körperschäden ersatzfähig sein sollen. Daraus folgt indes nicht zwangsläufig, dass auch immaterielle Schäden zu ersetzen sind, weil die Haftungsbeschränkung offenbar mit Blick auf Sachschäden eingeführt wurde.103 Der Verweis auf die binnenmarkteinheitliche Regelung war jedenfalls zum Entscheidungszeitpunkt wohl auch nicht ausschlaggebend, denn angesichts der (damaligen)104 bloßen Mindestharmonisierung (Art. 8 RL 90/314) ließe sich ebenso argumentieren, dass der Ersatz immaterieller Schäden vom einheitlichen Mindestniveau der Richtlinie nicht verbindlich vorgegeben wird.105 Das entscheidende Argument für die Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden dürfte deshalb der Schutz der Verbraucher gewesen sein, für die „bei Urlaubsreisen der Schadensersatz wegen entgangener Urlaubsfreude besondere Bedeutung“ hat.106 Angesichts der europarechtlichen Verankerung eines Ersatzanspruchs wegen entgangener Urlaubsfreuden stellt sich die Frage, ob die im deutschen Anerkennung anderer als Nicht-Körperschäden durch Art. 5 Abs. 2 UAbs. 4 RL 90/314 (Rn. 30) und stützt sich schließlich auf den systematischen Vergleich mit dem expliziten Ausschluss von Nichtvermögensschäden in Art. 9 der Produkthaftungsrichtlinie 85/374, auf die Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden im Rahmen der außervertraglichen Haftung der Union (Rn. 38) und eine rechtsvergleichende – wohl nicht tragende (vgl. Tonner ZEuP 2003, 619, 627 f.) – Betrachtung (Rn. 39 ff.). 102 A. A. insofern W.-H. Roth CMLR 40 (2003) 937, 944. 103 Zu dieser Kritik Doehner EuZW 2002, 340, 341; Tonner/Lindner NJW 2002, 1475. 104 Zum Übergang zur Vollharmonisierung in der Neufassung 2015 Art. 4 RL 2015/ 2302. 105 Kritisch deshalb Tonner/Lindner NJW 2002, 1475, 1476: EuGH kehre „die beabsichtigte Minimalharmonisierung in eine Maximalharmonisierung um“. 106 EuGH 12.3.2002, Rs. C-168/00, Slg. 2002, I-2631 Rn. 22 – Leitner; ausdrücklich Doehner EuZW 2002, 340, 342: „Verbraucherschutz wird zum überragenden Auslegungsprinzip“. Bemerkenswert ist auch der Umstand, dass der Generalanwalt gleich zu Beginn seiner Schlussanträge darauf hinweist, „dass sich die Auslegung der Richtlinie an dem allgemeinen Kriterium auszurichten hat, wonach ihre Bestimmungen im Zweifelsfall am günstigsten für denjenigen auszulegen sind, der durch sie geschützt werden soll, also für den Verbraucher touristischer Dienstleistungen“, was sich nicht nur „aus der systematischen Analyse von Wortlaut und Zielsetzung der Richtlinie“, sondern auch aus Art. 114 Abs. 3 AEUV ergebe, Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano vom 20.9.2001, Rs. C-168/00, Slg. 2002, I-2631 Rn. 26 – Leitner.
V. Schadensbegriff und Schadensumfang
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Recht insofern vorgesehene Erheblichkeitsschwelle in § 651f Abs. 2 BGB mit dem Unionsrecht vereinbar ist, weil die Haftungsbeschränkungsregeln zugunsten des Verbrauchers in Art. 5 Abs. 2 UAbs. 2–4 RL 90/314 (Art. 14 Abs. 4 RL 2015/2302) grundsätzlich abschließend zu verstehen sind, dort aber nur eine vertragliche Begrenzung des Ersatzanspruchs bei NichtKörperschäden (Art. 5 Abs. 2 UAbs. 4; Art. 14 Abs. 4 Satz 3 RL 2015/2302) bzw. eine Begrenzung gemäß den internationalen Übereinkommen (Art. 5 Abs. 2 UAbs. 3; Art. 14 Abs. 4 Satz 1, 2 RL 2015/2302) gestattet wird. Richtigerweise wird man die europarechtliche Zulässigkeit einer solchen Erheblichkeitsschwelle verneinen müssen.107 Zwar mag man angesichts des Bewertungs- und Beurteilungsermessens dem nationalen Gericht gestatten,108 eher geringfügige Beeinträchtigungen noch nicht als immateriellen Schaden i. S. d. Art. 5 Abs. 2 RL 90/314 (Art. 14 Abs. 2 RL 2015/2302) anzusehen,109 jedoch darf die Erheblichkeitsschwelle (z. T. Ersatzanspruch erst bei Minderungsmöglichkeit um die 50 %)110 nicht allzu hoch angesetzt werden.111 107 Tonner ZEuP 2003, 619, 631; Hofbauer Die mangelhafte Reise (2009) S. 434 f.; Herresthal in: Langenbucher (Hrsg.) Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht3 (2013) § 2 Rn. 194 („deutlich reduzierte Erheblichkeitsschwelle“); für Richtlinienkonformität Doehner EuZW 2002, 340, 342; Führich MDR 2009, 906, 906 f., 908 unter Hinweis darauf, dass es dem nationalen Gesetzgeber überlassen bleibe, „diese Schadensart inhaltlich zu regeln“; ebenso OLG Köln 14.7.2008, 16 U 82/07, NJW-RR 2008, 1588, 1590: „Artikel 5 der Pauschalreise-Richtlinie verschafft einem Reisenden nach der Rechtsprechung des EuGH zwar ‚grundsätzlich‘ einen Anspruch auf immaterielle Entschädigung bei einem Reisemangel, was aber nicht ausschließt, dass der nationale Gesetzgeber, der einen solchen Anspruch normiert, auch die Voraussetzungen regelt. Die Erheblichkeitsschwelle des § 651f BGB stellt eine derartige Umschreibung der Anspruchsvoraussetzungen dar.“ Siehe auch die jüngere Judikatur des OGH, der nunmehr bei deutlich niedrigeren Minderungsquoten bereits einen Ersatzanspruch wegen entgangener Urlaubsfreude zuspricht, zusammengefasst etwa in OGH 17.6.2010, 2 Ob 45/10x, RRa 2010, 285, 286; enger noch OGH 23.1.2007, 2 Ob 79/06s, RRa 2008, 195, 197 (kein Ersatz immaterieller Schäden bei Minderung von lediglich 30 %). 108 Zur Anerkennung des tatrichterlichen Ermessens im deutschen Recht auch BGH 11.1.2005, X ZR 118/03, NJW 2005, 1047, 1049. 109 Weitergehend Führich MDR 2009, 906. 907, der die inhaltliche Regelung des immateriellen Schadens dem nationalen Gesetzgeber überlassen sieht. 110 Für eine Minderungsschwelle von mindestens 50 % noch LG Frankfurt 7.12.2007, 2-24 S 53/07, 2/24 S 53/07, RRa 2008, 76, 77; für Vereinbarkeit der Erheblichkeitsschwelle mit der Pauschalreiserichtlinie auch LG Hannover 29.1.2003, 6 S 120/02, RRa 2003, 93. 111 Bereits zu hoch dürfte die vom LG Duisburg 24.9.2009, 12 S 154/08, RRa 2010, 53 befürwortete Grenze bei einer Minderungsmöglichkeit des Reisepreises von 25 % sein; eher ist an immateriellen Ersatz bereits ab einer Minderungsmöglichkeit von 10–20 % zu denken. Nicht auf Bedenken stößt demgegenüber der Ausschluss von Schmerzensgeld bei Bagatellschäden (unsicher Tonner/Lindner NJW 2002, 1475, 1476; für Richtlinienkonformität Doehner EuZW 2002, 340, 342), weil es bei solchen bereits tatbestandlich am Vorliegen eines immateriellen Schadens fehlt. Ein gänzliches Fehlen entgangener Urlaubsfreude wird man bei Minderungsquoten zwischen 20 und 50 % allerdings nicht behaupten können.
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§ 6 Reiserecht
Im Rahmen des Ersatzanspruchs für entgangene Urlaubsfreude (bzw. „nutzlos aufgewendete Urlaubszeit“ nach § 651f Abs. 2 BGB) ist ferner daran zu erinnern, dass nach der Rechtsprechung des BGH die Entstehung des immateriellen Schadens weder dadurch verhindert wird, dass ein berufstätiger Reisender den bewilligten Urlaub widerruft, stattdessen weiterarbeitet und den Urlaub auf später verschiebt (Weiterarbeit), noch dass er in der geplanten Reisezeit eine andere Reise durchführt, die ihm nicht der Reiseveranstalter angeboten hat (Ersatzurlaub).112 Ebenso wenig wird der Anspruch durch den „Resterholungswert“ eines zu Hause verbrachten Urlaubs gemindert.113 Der BGH begründet dies damit, dass durch solches Verhalten weder der ursprünglich eingetretene Schaden entfalle noch eine Vorteilsanrechnung stattfinde, weil es sich um eigene überpflichtmäßige Anstrengungen des Geschädigten handele, die den Schädiger nicht entlasten sollen (dazu bereits oben § 6 II → S. 338). Hinter diesem dogmatischen Argument verbirgt sich, und dies ist für den Umfang des Ersatzes für immaterielle Schäden von Interesse, eine Tendenz zur Typisierung und Pauschalisierung des Anspruchs auf Schadensersatz wegen entgangener Urlaubsfreude, der nicht nur dem Ersatz entgangener Urlaubsfreuden dient – dann dürfte er im Fall eines Ersatzurlaubs nicht gewährt werden – sondern vielmehr auch dazu eingesetzt wird, die Nicht- oder Schlechterfüllung des vertraglich geschuldeten Inhalts (Urlaubsfreude) in der Art einer Vertragsstrafe zu sanktionieren (dazu oben § 6 II → S. 338). Die Typisierung des Ersatzanspruchs spiegelt sich in der Anknüpfung an von der Person des Reisenden grundsätzlich unabhängige Beeinträchtigungsgrade und der Kopplung an den Reisepreis, weil der „Reisepreis zeigt, wie viel Geld der mit der geplanten Reise verbundene immaterielle Gewinn dem Kunden wert 112 BGH 11.1.2005, X ZR 118/03, NJW 2005, 1047, 1049. Siehe auch OGH 29.9.2009, 4 Ob 130/09k, RRa 2010, 97, 100 f.: Schadensersatz für entgangene Urlaubsfreuden auch dann geboten, wenn der Reisende bei pflichtgemäßem Verhalten (konkret: einer rechtzeitigen Hurrikanwarnung) von einer Buchung abgesehen bzw. die Buchung storniert hätte, weil die Urlaubsfreuden dann durch eine Alternativreise hätten erreicht werden können. M. E. lässt sich dieses Ergebnis besser mit dem Schutzzweck des Pauschalreisevertrages als mit dem dogmatischen Hinweis auf das Alternativverhalten des Reisenden bei korrekter Information erklären. Anders Hofbauer Die mangelhafte Reise (2009) S. 444 f., der unter Zugrundelegung des „Erholungserlebnisses“ als Entschädigungsgegenstand danach differenzieren will, ob durch die Ersatzreise ein gleichwertiges Erholungserlebnis erreicht wurde (was m. E. kaum je nachweisbar sein wird). 113 BGH 11.1.2005, X ZR 118/03, NJW 2005, 1047, 1050. Zustimmend, aber mit anderer Begründung Tonner VuR 2005, 184, 187, der die Nichtberücksichtigung des „Resterholungswertes“ damit begründet, dass sich die Freude auf einen gebuchten Urlaub aufgrund einer vereitelten oder mangelhaft durchgeführten Reise schnell in Ärger und weitere nervliche Belastungen umwandele, so dass von einem Resterholungswert kaum gesprochen werden könne. Führich MDR 2009, 906, 910 verweist darauf, dass eine Berücksichtigung des Resturlaubswertes „letztlich gegen den immateriellen Charakter der Entschädigung nach § 651f Abs. 2 BGB“ verstoße.
V. Schadensbegriff und Schadensumfang
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war“.114 Diese Typisierung der Bemessung immaterieller Schäden ist zu begrüßen, weil sie im Unterschied zur früheren Rechtsprechung zur Gleichbehandlung aller Teilnehmer einer Pauschalreise führt, deren Entschädigungsansprüche bei gleichem Reisemangel und gleichem Reisepreis dieselbe Höhe erreichen, unabhängig davon, ob und in welcher Höhe die Reisenden Erwerbseinkommen beziehen.115 Vor dem Hintergrund des Zwecks, den Veranstalter zur ordnungsgemäßen Vertragserfüllung anzuhalten, ist auch eine Begrenzung des Ersatzanspruchs für immaterielle Schäden auf maximal den gesamten Reisepreis abzulehnen.116 Zwar wird der Anspruch in der Praxis wegen der Anknüpfung an den Reisepreis als Indikator für den „Wert“ des Erholungserlebnisses kaum jemals 100 % des Reisepreises übersteigen. Berücksichtigt man jedoch auch die hier befürwortete Funktion des Ersatzanspruchs als Anreiz zur Vertragserfüllung, so kann eine Deckelung auf maximal den Gesamtreisepreis im Niedrigpreissegment und bei Lockvogelangeboten möglicherweise keine ausreichende Anreizwirkung entfalten, so dass im Ausnahmefall auch Ersatzansprüche für entgangene Urlaubsfreude jenseits von 100 % des Reisepreises denkbar sind. Im Ergebnis lässt sich also für die Pauschalreiserichtlinie festhalten, dass ihr der Grundsatz vollständiger und angemessener Kompensation materieller und immaterieller Schäden zugrunde liegt, der neben Körper- auch Sach- und Vermögensfolgeschäden (z. B. den Verdienstausfall infolge einer Verletzung während einer Pauschalreise) umfasst. Die Grenze der Ersatzfähigkeit dürfte dort erreicht werden, wo durch einen Reisemangel Schäden bei anderen Personen als dem Reisenden oder den in den Vertrag einbezogenen „übrigen Begünstigten“ des Reisevertrages (vgl. Art. 3 Nr. 6 RL 2015/2302) entstehen (vgl. Art. 5 Abs. 2 RL 90/314: „Schäden, die dem Verbraucher“; Art. 14 Abs. 2 RL 2015/2302: „Der Reisende hat“). Zu denken ist hier an Schadensersatzansprüche naher Angehöriger wegen Schock- oder Trauerschäden, die selbst an der Reise nicht teilgenommen haben.117 c) Überkompensatorischer Schadensersatz Eine Verpflichtung auf überkompensatorischen Schadensersatz sieht die Pauschalreiserichtlinie nicht vor. Im Gegenteil wurde in der Neufassung der Richtlinie eine Anrechnungsvorschrift im Verhältnis zu den Ansprüchen aus BGH 11.1.2005, X ZR 118/03, NJW 2005, 1047, 1050. Rodegra MDR 2004, 550, 554 f.; Tonner VuR 2005, 184, 186. 116 So aber Hofbauer Die mangelhafte Reise (2009) S. 461. 117 EuGH 8.10.1986, Rs. 169/83, Slg. 1986, 2801 Rn. 22 – Leussink (nicht zum Reiserecht): kein Schadensersatz für die „Folgen [insbesondere psychischer Art], die der Unfall für das Familienleben nach sich gezogen hat“. Zum Anspruch bei Tötung naher Angehöriger (Lebensgefährte verstarb nach einem Haibiss aufgrund einer Tauchsafari) nach autonomen österreichischen Recht OGH 24.5.2011, 1 Ob 80/11p, RRa 2011, 261, 263 Ziffer 3. 114 115
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dem europäischen Personenbeförderungsrecht wie der Fluggastrechteverordnung 261/2004 aufgenommen, „um eine Überkompensation zu verhindern“ (Art. 14 Abs. 5 Satz 3 und Erwägungsgrund 36 Satz 2 RL 2015/2302). Der Anreiz zur ordnungsgemäßen Vertragserfüllung wird vielmehr durch die Ausgestaltung des Ersatzanspruchs für entgangene Urlaubsfreude (dazu oben § 6 II → S. 338) erreicht. VI. Kausalität
VI. Kausalität
Zur Kausalität findet sich in der Richtlinie nur die lapidare Formulierung, dass es sich um Schäden handeln müsse, „die dem Verbraucher aus der Nichterfüllung oder mangelhaften Erfüllung des Vertrages entstehen“ (Art. 5 Abs. 2 RL 90/314)118 bzw. „den er [der Reisende] infolge der Vertragswidrigkeit erlitten hat“ (Art. 14 Abs. 2 RL 2015/2302).119 Diese Formulierung stellt zunächst klar, dass nur solche Schäden zu ersetzen sind, die in kausalem Zusammenhang („aus der“; „infolge der“) mit der Vertragswidrigkeit, also der Nichterfüllung oder mangelhaften Erfüllung des Vertrages stehen.120 Zugleich definiert die Anknüpfung an die Erfüllung der Vertragspflichten die Grenzen des Haftungsanspruchs: Für Schäden, die sich nicht auf eine mangelhafte Erfüllung der Vertragspflichten zurückführen lassen, ist der Reiseveranstalter nach Unionsrecht nicht verantwortlich. Mit dieser Anknüpfung wird die Schadensersatzhaftung an die Reichweite der Vertragspflichten und damit gewissermaßen an den Schutzbereich des Vertrages geknüpft, so dass neben der Kausalität der Schutzzweck des Pauschalreisevertrags die ReichDazu auch Micklitz/Möller in: Magnus/Micklitz (Hrsg.) Liability for the Safety of Services (2006) 427, 431: „Since not stated otherwise in the Directive, the normal rules on causation apply. As emerges from Article 6 (2) [gemeint ist wohl Art. 5 Abs. 2] first subparagraph, damage must be caused by the non-performance or the bad performance of the retailer/organizer.“ 119 Dazu auch Commission Staff Working Document Impact Assessment Accompanying the document on package travel and assisted travel arrangements, amending Regulation (EC) No 2006/2004l and Directive 2011/83/EU and repealing Council Directive 90/314/ EEC, SWD(2013) 263 Annex 3 S. 82: „The Directive does not set up clear conditions for the liability, for instance the burden of proof and the need for a causal link are not touched upon, leaving it to Member States to interpret this.“ 120 Zur Handhabung des Kausalitätserfordernisses in England und den z. T. hohen Hürden für den Kausalitätsnachweis Grant/Mason Holiday Law5 (2012) S. 160 f. (allerdings zur haftungsbegründenden Kausalität); zur überholenden Kausalität im Reiserecht LG Frankfurt 20.8.1999. 2/21 O 6/99, 2-21 O 6/99, RRa 1999, 233: Wird eine mangelhafte Reise infolge eines Todesfalls vorzeitig abgebrochen, so entfällt der Schaden ab diesem Zeitpunkt wegen überholender Kausalität; etwas anders OLG Celle 19.9.2002, 11 U 1/02, RRa 2002, 260, 262: keine Anspruchskürzung, wenn der Reisende bei stornierter Reise in der ursprünglichen geplanten Reisezeit (ohne Einwirkung des Veranstalters) an einer Lungenentzündung erkrankt; differenzierend nach Reisestörungen vor Reiseantritt und während der Reisezeit Hofbauer Die mangelhafte Reise (2009) S. 449 f. 118
VII. Mitwirkende Verursachung
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weite der zu ersetzenden Schäden bestimmt. Deshalb hat der Bundesgerichtshof den Zurechnungszusammenhang auch dann bejaht, wenn die Reisenden ein Deckungsgeschäft getätigt haben, das geeignet ist, den Reisemangel vollständig oder zumindest weitgehend zu beheben, weil der Zweck des Schadensersatzanspruchs darin liegt, dem Reisenden nach Möglichkeit den beeinträchtigten Leistungserfolg doch noch zugute kommen zu lassen.121 In der Neufassung der Richtlinie dürften solche Deckungsgeschäfte allerdings in vielen Fällen vorrangig durch den Ersatzanspruch für die Selbstvornahme der Mangelbeseitigung erfasst werden (Art. 13 Abs. 4 RL 2015/2302), dessen Voraussetzungen – insbesondere die Fristsetzung zur Abhilfe durch den Veranstalter – nicht durch Rückgriff auf den allgemeinen Schadensersatzanspruch des Art. 14 Abs. 2 RL 2015/2302 umgangen werden sollten. Im Rahmen der Kausalitätsprüfung ist zudem zu berücksichtigen, wie sich der Reisende bei pflichtgemäßem Verhalten des Veranstalters verhalten hätte.122 VII. Mitwirkende Verursachung VII. Mitwirkende Verursachung
1. Mitverursachung des Geschädigten Die Möglichkeit der Anspruchsbeschränkung bei mitwirkendem Verschulden des Anspruchstellers ergibt sich mittelbar aus Art. 5 Abs. 2 UAbs. 1 erster Spiegelstrich RL 90/314 (Art. 14 Abs. 3 lit. a RL 2015/2302). Nach dieser Vorschrift wird der Veranstalter von der Schadenshaftung befreit, wenn „die festgestellten Versäumnisse bei der Erfüllung des Vertrages dem Verbraucher zuzurechnen sind“ bzw. wenn „die Vertragswidrigkeit dem Reisenden zuzurechnen ist“. Denkbar ist hier etwa der Fall, dass der Reisende aufgrund seines störenden Verhaltens von einer Pauschalreise ausgeschlossen wird123 oder aufgrund unachtsamen Verhaltens zur Schadensentstehung beiträgt.124 Aufgrund der weiten Definition des „Verbrauchers“ in Art. 2 Nr. 4 RL 90/314 (bzw. des „Reisenden“ in Art. 3 Nr. 6 RL 2015/2302) schließt dies nicht nur das Verhalten des unmittelbaren Vertragspartners („Hauptkontrahenten“), sondern auch der sonstigen Begünstigten ein. Zwar handelt es sich bei Art. 5 Abs. 2 UAbs. 1 erster Spiegelstrich RL 90/314 (Art. 14 Abs. 3 lit. a RL 2015/2302) nicht um eine Mitverschuldensregelung im klassischen Sinne, sondern vielmehr um eine Exkulpationsmöglichkeit für den Veranstalter, bei deren Durchgreifen dessen Haftung vollständig entfällt.125 Andererseits regelt BGH 17.4.2012, X ZR 76/11, NJW 2012, 2107 Rn. 29. Siehe OGH 29.9.2009, 4 Ob 130/09k, RRa 2010, 97, 100 (zur haftungsbegründenden Kausalität). 123 Tonner in: Grabitz/Hilf Das Recht der Europäischen Union IV (EL 13 1999) A 12 Pauschalreisen (RL 90/314/EWG) Art. 5 Rn. 9. 124 Zur contributory negligence in der englischen Gerichtspraxis des Pauschalreiserechts Grant/Mason Holiday Law5 (2012) S. 157 f. 125 Meyer/Kubis TranspR 1991, 411, 414. 121 122
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die Vorschrift nur den Fall, dass dem Reisenden „die [gesamten] festgestellten Versäumnisse“ zuzurechnen sind,126 so dass sie Raum lässt für eine bloße Anspruchskürzung wegen Mitverschuldens, wenn die Versäumnisse nicht allein dem Reisenden zuzurechnen sind.127 Dies zeigt sich auch an den Konsequenzen einer Verletzung der besonderen Obliegenheit des Reisenden, dem Veranstalter „jede während der Erbringung der in dem Pauschalreisevertrag enthaltenen Reiseleistungen bemerkte Vertragswidrigkeit unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände“ unverzüglich mitzuteilen (Art. 13 Abs. 2 RL 2015/2302; Art. 5 Abs. 4 RL 90/314). Auf diese Anzeigeobliegenheit muss im Vertrag klar, verständlich und deutlich hingewiesen werden (Art. 7 Abs. 2 lit. e, Abs. 4 RL 2015/2302; Anhang lit. k zur RL 90/314). Nicht geregelt wurde in der ursprünglichen Richtlinie 90/314, welche Sanktion ein Verstoß gegen die Mitteilungsobliegenheit zur Folge hat.128 In ihrem Entwurf zur Neufassung der Richtlinie hatte die Kommission vorgeschlagen, bei Versäumung der Anzeigeobliegenheit die Ansprüche des Reisenden auf Preisminderung oder Schadensersatz insgesamt entfallen zu lassen.129 Dem hat der Ausschuss für Verkehr und Fremdenverkehr mit dem Hinweis auf die Unverhältnismäßigkeit einer solchen Sanktion mit Recht widersprochen.130 Sachgerechter ist deshalb die heutige Regelung in Erwägungsgrund 34 Satz 8 RL 2015/2302, wonach „dieses Versäumnis bei Meyer/Kubis TranspR 1991, 411, 414. Zur Kürzung wegen Mitverschuldens etwa OLG Düsseldorf 28.5.2002, 20 U 30/02, RRa 2003, 14, 17: „Dieses Mitverschulden ist auch bei dem Anspruch auf Minderung des Reisepreises gemäß § 651 d BGB zu berücksichtigen. Zwar greift insoweit – entgegen der Auffassung des Landgerichts – § 254 BGB nicht ein, weil er unmittelbar nur für die Leistung von Schadensersatz gilt. Es ist jedoch § 242 BGB anzuwenden […]. Eine schuldhafte Mitverursachung ist über diese Bestimmung nämlich anerkanntermaßen auch bei Gewährleistungsansprüchen zu berücksichtigen“; Rodegra MDR 2004, 550, 554. 128 Meyer/Kubis TranspR 1991, 411, 415. 129 Art. 12 Abs. 3 lit. b im Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen KOM(2013) 512. 130 Bericht vom 18.2.2014 über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Pauschal- und Bausteinreisen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates, Stellungnahme des Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr für den Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz, PE 524.596v02-00, A7-0124/2014, Änderungsantrag 84: „Es wäre ungerecht und unverhältnismäßig, wenn dem Reisenden Nachteile entstünden, nur weil er die Nichterfüllung einer Leistung nicht unverzüglich anzeigt. Eine solche Vorschrift ist in keiner Gesetzgebung eines EU-Mitgliedstaats vorgesehen und widerspricht dem allgemeinen Recht auf Schadensersatz bei nichtvertragsgemäßer Erbringung von Leistungen. Der Reisende könnte aus verschiedenen Gründen daran gehindert werden, Mängel anzuzeigen (keine Internetverbindung, abgelegene Region, Reiseveranstalter ist nicht erreichbar usw.). Diese Beschränkung ist in der derzeitigen Richtlinie nicht vorgesehen und würde zu einer Senkung des derzeitigen Schutzniveaus führen.“ 126 127
VII. Mitwirkende Verursachung
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der Festlegung der angemessenen Preisminderung oder eines angemessenen Schadenersatzes berücksichtigt werden [kann], wenn eine solche Mitteilung den Schaden verhindert oder verringert hätte“. Diese Regelung lässt sich als besondere Form der mitwirkenden Verursachung begreifen,131 die als allgemeines Institut also durch die Pauschalreiserichtlinie anerkannt wird. Regelmäßig kein Mitverschulden stellt es dar, wenn der Verbraucher ein nicht gleichwertiges Ersatzangebot nicht annimmt, weil sich die Verpflichtung des Veranstalters auf die konkret gebuchte Reise konkretisiert hat.132 Nicht geregelt wird die Frage, ob eine Anspruchsminderung oder ein Anspruchsausschluss nur bei schuldhaftem Verhalten des Verbrauchers in Betracht kommt; Art. 14 Abs. 3 lit. a RL 2015/2302 spricht nur von einer dem Reisenden „zuzurechnenden“ Vertragswidrigkeit. Jedenfalls für Schäden an sonstigen Rechtsgütern des Verbrauchers, insbesondere Körperschäden, sollte die mitwirkende Verursachung nur dann zum Anspruchsausschluss führen, wenn sie als schuldhaft anzusehen ist. 2. Mitverursachung Dritter Zur Mitverursachung Dritter lässt sich aus einer Zusammenschau von Art. 5 Abs. 1 (Verantwortlichkeit des Veranstalters für seine Dienstleistungserbringer) und Art. 5 Abs. 2 UAbs. 2 zweiter Spiegelstrich RL 90/314 (Art. 13 Abs. 1 Satz 1 und Art. 14 Abs. 3 lit. b RL 2015/2302) folgern, dass sich der Veranstalter nur dann von seiner Haftung entlasten kann, wenn die Vertragswidrigkeit einem Dritten zuzurechnen ist, der an der Erbringung der vertraglich vereinbarten Leistungen nicht beteiligt ist, und die Vertragswidrigkeit weder vorhersehbar noch vermeidbar war. Daraus folgt, dass die mitwirkende Verursachung Dritter den Veranstalter nicht automatisch entlastet, sondern seine Verantwortung gegenüber dem Reisenden fortbesteht, sofern die Störung nicht unvorsehbar und unvermeidbar war. Dies zeigt sich auch an der Regelung für den Rückgriff gegen Dritte, die im Rahmen der Neufassung der Richtlinie in Art. 22 RL 2015/2302 aufgenommen wurde. Nach dieser Vorschrift stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass in den Fällen, in denen ein 131 Zur Anzeigeobliegenheit der alten RL 90/314 Meyer/Kubis TranspR 1991, 411, 415; M. Bydlinski in: Schuhmacher (Hrsg.) Verbraucherschutz in Österreich und der EG (1992) 211, 225. 132 BGH 11.1.2005, X ZR 118/03, NJW 2005, 1047, 1048: „Grundsätzlich obliegt es deshalb nicht dem Reisenden, Rechtfertigungsgründe für seine Nichtannahme des Ersatzangebots vorzutragen […], sondern ist es Sache des Reiseveranstalters, besondere Umstände darzutun und erforderlichenfalls zu beweisen, deretwegen die Ablehnung des Reisenden ausnahmsweise gegen Treu und Glauben verstieß. Diese Umstände müssen letztlich den Schluss rechtfertigen, dass nicht die Unterschiede zwischen den beiden Reiseleistungen der hauptsächliche Beweggrund des Reisenden für seine Ablehnung waren, sondern dass ihn andere, im Verhältnis zum Reiseveranstalter nicht schutzwürdige Motive antrieben, etwa schlichte Vertragsreue.“
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Reiseveranstalter Schadensersatz leistet, eine Preisminderung gewährt oder die sonstigen sich aus dieser Richtlinie ergebenden Pflichten erfüllt, der Veranstalter das Recht hat, bei Dritten, die zu dem Ereignis beigetragen haben, das den Schadensersatz, die Preisminderung oder sonstige Pflichten begründet, Regress zu nehmen.133 VIII. Begrenzung des Schadensersatzes VIII. Begrenzung des Schadensersatzes
1. Gesetzliche Begrenzung des Schadensersatzes Eine eigene gesetzliche Begrenzung des Schadensersatzanspruchs findet sich in der Richtlinie nicht. Art. 14 Abs. 4 Satz 1 RL 2015/2302 ordnet allerdings an, dass in den Fällen, in denen der Haftungsumfang oder die Haftungsvoraussetzungen durch für die Union verbindliche völkerrechtliche Übereinkünfte eingeschränkt werden, diese Einschränkungen auch für den Veranstalter gelten. Sind die völkerrechtlichen Übereinkünfte nicht für die Union verbindlich, so eröffnet Art. 14 Abs. 4 Satz 2 RL 2015/2302 den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, den Schadensersatz entsprechend einzuschränken. Diese Regelung dient, wie bereits die Vorgängervorschrift in Art. 5 Abs. 2 UAbs. 3 RL 90/314, der „Kohärenz“ (Erwägungsgrund 35 Satz 1 RL 2015/2302; Erwägungsgrund 19 RL 90/314) mit den Haftungsbegrenzungen nach den internationalen Abkommen auf dem Gebiet des Transportrechts, wie sich aus den beispielhaft genannten Übereinkommen von Montreal zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, dem Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) und dem Athener Übereinkommen über den Seeverkehr ergibt.134 Die Reiseveranstalter sollen nicht für die von Leistungsträgern verursachten Schäden haften, für die sie ihre Erfüllungsgehilfen nicht ihrerseits in die Haftung nehmen können.135
Während Art. 20 des ursprünglichen Vorschlags der Kommission für eine Richtlinie über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen KOM(2013) 512 noch offen ließ, ob die Richtlinie positiv einen Regressanspruch schaffen will, wurde dies – in Anlehnung an einen entsprechenden Änderungsantrag des Parlaments, Bericht vom 18.2.2014 über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Pauschalund Bausteinreisen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates, Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz, PE 524.596v02-00, A7-0124/2014, Änderungsantrag 128 – vom Rat ausdrücklich aufgenommen, Standpunkt des Rates in erster Lesung im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, Ratsdokument Nr. 9173/3/15 REV 3 vom 22.9.2015. Nicht übernommen wurde der Vorschlag des Parlaments, dem Veranstalter einen vertraglich unabdingbaren und vorrangigen Regress gegen den Beförderer, z. B. nach der Fluggastrechteverordnung 261/2004 einzuräumen. 134 Zu Einzelheiten Tonner in: Grabitz/Hilf Das Recht der Europäischen Union IV (EL 13 1999) A 12 Pauschalreisen (RL 90/314/EWG) Art. 5 Rn. 22 ff. 133
VIII. Begrenzung des Schadensersatzes
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2. Vertragliche Begrenzung des Schadensersatzes Zur vertraglichen Begrenzung der Schadenshaftung bestimmt Art. 14 Abs. 4 Satz 3 RL 2015/2302 (in Präzisierung des früheren Art. 5 Abs. 2 UAbs. 4 RL 90/314), dass der Reiseveranstalter den zu leistenden Schadensersatz im Pauschalreisevertrag vorab einschränken darf, „sofern diese Einschränkung nicht für Personenschäden136 oder vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführte Schäden gilt und nicht weniger beträgt als das Dreifache des Gesamtreisepreises der Pauschalreise137“. Der Anwendungsbereich dieser Haftungsbegrenzungsoption ist schmal, nicht nur wegen der Ausnahme von Personenschäden. Er zielt, wie bereits dargelegt (§ 6 IV→ S. 345), auf den zumindest theoretisch denkbaren Grenzbereich, in dem einerseits noch keine Exkulpation des Veranstalters nach Art. 14 Abs. 3 RL 2015/2302 möglich ist (da keine unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände vorliegen), andererseits ihm aber auch noch keine Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann.138 Im Übrigen darf von den Haftungsvorschriften nicht durch vertragliche Vereinbarung abgewichen werden (Art. 23 Abs. 2 RL 2015/2302; bereits Art. 5 Abs. 3 RL 90/314). Damit sind die Ansprüche für Personenschäden und für vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführte sonstige Schäden der vertraglichen Einschränkung entzogen. 135 Tonner EuZW 1990, 409, 410 f.; Grundmann Europäisches Schuldvertragsrecht (1999) 4.01 Rn. 31. 136 Die frühere Fassung sprach von Körperschäden. Daran wurde die Nichterwähnung der Tötung kritisiert, was von Bar Gemeineuropäisches Deliktsrecht I (1996) § 4 Rn. 390 mit einer „Ungeschicklichkeit“ des Gesetzgebers erklärt. 137 Bereits der noch offener formulierte Art. 5 Abs. 2 UAbs. 4 RL 90/314 wurde einschränkend ausgelegt. Danach durften die Mitgliedstaaten nur eine summenmäßige Beschränkung der Ersatzansprüche vorsehen, nicht aber den generellen Ausschluss der Ansprüche für bestimmte Schadensarten (etwa Sachschäden oder immaterielle Schäden), M. Bydlinski in: Schuhmacher (Hrsg.) Verbraucherschutz in Österreich und der EG (1992) 211, 223 f.: „Wenn die RL von der Möglichkeit der Einschränkung der „Entschädigung“ spricht, hat sie wohl eine Beschränkung der Haftung der Höhe nach im Auge“; Rössler Reisegewährleistungsrecht und allgemeines europäisches Leistungsstörungsrecht (2008) S. 277. Zudem war die Grenze der Unangemessenheit in der alten Richtlinie wie in Art. 3 der Klauselrichtlinie 93/13 zu konkretisieren (dazu EuGH 14.3.2013, Rs. C-415/11, ECLI:EU:C:2013:164 Rn. 68 f., 71 – Aziz), wobei eine Begrenzung auf den einfachen Reisepreis (Tonner in: Grabitz/Hilf Das Recht der Europäischen Union IV (EL 13 1999) A 12 Pauschalreisen (RL 90/314/EWG) Art. 5 Rn. 38) oder ein Ausschluss der Haftung für grobe Fahrlässigkeit (so die Auffassung der Kommission, SEC(1999) 1800 S. 6) als „unangemessen“ angesehen wurden. 138 Aus prozessualen Gründen miterfasst sein dürfte der Bereich der Nichtfeststellbarkeit der Fahrlässigkeit, in dem sich auch keine unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände i. S. d. Art. 14 Abs. 3 lit. c RL 2015/2302 feststellen lassen. Dann scheitert der Entlastungsbeweis des Veranstalters nach Art. 14 Abs. 3 RL 2015/2302 (für den der Veranstalter beweispflichtig ist), aber auch der Reisende kann sich nicht auf die Unwirksamkeit der Haftungsbegrenzung berufen, weil im Rahmen des Art. 14 Abs. 4 Satz 3 RL 2015/2302 die Beweislast für die Unwirksamkeit der Haftungsbegrenzung beim Reisenden liegen dürfte.
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3. Vorteilsausgleichung und Bereicherungsverbot In der Neuregelung der Richtlinie wurde nun erstmals auch eine Anrechnungsregelung im Verhältnis zu Schadensersatzzahlungen oder Preisminderungen eingeführt, die aufgrund der Regelungen des europäischen Personenbeförderungsrechts oder aufgrund internationaler Übereinkommen gewährt wurden (Art. 14 Abs. 5 Satz 3 RL 2015/2302). Die damit verbundenen Fragen werden im Zusammenhang mit der Kumulation von Ansprüchen aus der Fluggastrechteverordnung 261/2004 diskutiert; auf die Darstellung des Art. 12 Abs. 1 VO 261/2004 sei verwiesen (§ 8 VIII 3 → S. 486). Außerdem wurde die Vorteilsausgleichung relevant bei der Berücksichtigung des Erholungswerts einer Ersatzreise. Der BGH hat eine Vorteilsausgleichung in dieser Situation mit dem dogmatischen Argument „überpflichtmäßiger Anstrengungen des Geschädigten“ verneint, hinter dem sich letztlich eine Tendenz zur Instrumentalisierung des Schadensersatzanspruchs als pauschale Sanktion für die Nichterfüllung des Reisevertrags verbirgt.139 Damit lässt sich auch für das Reiserecht eine Einstrahlung der materiellen Regelungsziele und Schutzzwecke der Haftungsnorm auf die Vorteilsausgleichung beobachten. IX. Verjährung und Ausschlussfristen
IX. Verjährung und Ausschlussfristen
Während die ursprüngliche Pauschalreiserichtlinie zu Verjährung und Ausschlussfristen keine Regelungen vorsah und damit diese Fragen – in den Grenzen des allgemeinen Effektivitäts- und Äquivalenzgebots – den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten vorbehalten blieben, ordnet Art. 14 Abs. 6 RL 2015/2302 nunmehr an, dass die Verjährungsfrist für Ansprüche nach diesem Artikel (also auch Schadensersatzansprüche) nicht weniger als zwei Jahre betragen darf.140 Nicht geregelt werden der Fristbeginn und die mögliche FristunSiehe bereits die Darstellung bei Fn. 112. Während der Kommissionsvorschlag eine Mindestdauer der Verjährung von einem Jahr vorsah (Art. 12 Abs. 6 im Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen KOM(2013) 512), sprach sich das Parlament für eine Mindestverjährungsfrist von drei Jahren aus, Bericht vom 18.2.2014 über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Pauschalund Bausteinreisen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates, Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz, PE 524.596v02-00, A7-0124/2014, Änderungsantrag 113 („Die in Artikel 12 Absatz 6 vorgesehene Verjährungsfrist ist zu kurz: Sie sollte zumindest drei Jahre betragen, um das Recht des Reisenden auf Rechtsbehelf zu wahren“); Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. März 2014 zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Pauschal- und Bausteinreisen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates, P7_TA(2014) 0222, Abänderung 113. 139 140
X. Verzinsung
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terbrechung. Zu bedenken ist zudem die Anzeigeobliegenheit bei Reisemängeln („unverzüglich“) nach Art. 13 Abs. 2 RL 2015/2302 (dazu bereits § 6 VII 1). X. Verzinsung
X. Verzinsung
Zum Zinsanspruch finden sich keine Regeln in der Richtlinie, so dass diese Frage – in den Grenzen des Effektivitätsgebots (dazu zusammenfassend § 9 X → S. 631) – dem mitgliedstaatlichen Recht unterliegt. Allerdings ordnet Art. 14 Abs. 2 RL 2015/2302 nunmehr an, dass der Schadensersatz „unverzüglich zu leisten“ sei, was für den Verzinsungsbeginn maßgeblich sein dürfte.
§ 7 Produkthaftung § 7 Produkthaftung
§ 7 Produkthaftung
Auf dem Gebiet der Produkthaftung hat der europäische Gesetzgeber bereits in den achtziger Jahren eine Vollharmonisierung durch die Richtlinie 85/374 vorgenommen.141 Diese Richtlinie ordnet eine zwingende (Art. 12 RL 85/374) und verschuldensunabhängige142 (Erwägungsgrund 2 RL 85/374) Haftung für den Schaden (Art. 9 RL 85/374) an, der durch den Fehler (Art. 6 RL 85/374)143 eines Produkts (Art. 2 RL 85/374)144 verursacht worden ist (Art. 1 RL 85/374).145 141 Zur Entstehungsgeschichte Taschner/Frietsch Produkthaftungsgesetz und EGProdukthaftungsrichtlinie2 (1990) Einführung Rn. 171 ff.; Micklitz in: Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht4 (2003) § 27 Rn. 27.3. Zur Anwendung der Richtlinie siehe die Kommissionsberichte KOM(1995) 617, KOM(2000) 893, KOM(2006) 496 und KOM(2011) 547; außerdem den Lovells-Bericht Die Produkthaftung in der Europäischen Union (2003) und die Datenbank . Für einen Überblick zur Umsetzung der Richtlinie und zur Ausstrahlung auf außereuropäische Jurisdiktionen Posch in: Campbell International Product Liability (2006) 23, 24 ff.; aus europäischer Perspektive Magnus ZEuS 2002, 131, 133: „Wegen der Verklammerung von Vertrags- und Deliktsrecht muss – und wird – die Produkthaftung deshalb essentielles Element jeder künftigen Gesamtregelung des allgemeinen Zivilrechts in Europa sein“; siehe auch ders. ZEuS 2002, 131, 139 zur Verallgemeinerung in Richtung einer allgemeinen Haftungsregelung für professionell Tätige (auch Dienstleister); zusammenfassend zur Entwicklung der Richtlinie jüngst Wuyts JETL 5 (2014) 1. Zum Reformbedarf der Richtlinie aus jüngerer Zeit Fairgrieve/Howells/ Pilgerstorfer JETL 4 (2013) 1. 142 Dazu ausführlich unten § 7 IV → S. 385. 143 Zur Haftung für wirkungslose Produkte Anderle Der Haftungsumfang des harmonisierten Produkthaftungsrechtes (1990) S. 154 ff.; zur Haftung für vermutete Produktfehler in einer Baureihe von Herzschrittmachern EuGH 5.3.2015, verb. Rs. C-503/13 und C-504/ 13, ECLI:EU:C:2015:148 Rn. 38, 41 – Boston Scientific. 144 Nicht für einen Verstoß gegen lebensmittelrechtliche Etikettierungsvorschriften, EuGH 23.11.2006, Rs. C-315/05, Slg. 2006, I-11181 Rn. 55 – Lidl Italia. 145 Präziser müsste man Art. 1 und Art. 7 RL 85/374 zusammenfassen und wie folgt formulieren: „Grund der Haftung des ‚Herstellers‘, daß er aus wirtschaftlichen Beweggründen [Art. 7 lit. c RL 85/374] ein Produkt in den Verkehr gebracht hat [Art. 7 lit. a RL
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Nach der Richtlinie haftet nicht nur der tatsächliche Hersteller146 für Produktfehler („Hersteller stricto sensu“,147 Art. 3 Abs. 1 1. Var. RL 85/374), sondern auch jede Person, die sich durch Kennzeichnung der Ware als Hersteller ausgibt (Quasi-Hersteller,148 Art. 3 Abs. 1 2. Var. RL 85/374), der gewerbliche Importeur unionsfremder Waren (Art. 3 Abs. 2 RL 85/374) und sogar – falls der Hersteller nicht festgestellt werden kann149 – jeder Lieferant des Produkts, sofern er nicht „dem Geschädigten von sich aus ohne Säumen“150 den Hersteller oder seinen eigenen Lieferanten benennt (Art. 3 Abs. 3 RL 85/374).151 Der Zweck des erweiterten Herstellerbegriffs ist es, im Interesse des Verbraucherschutzes (Erwägungsgrund 4 RL 85/374) eine Haftung aller am Produktionsprozess Beteiligten zu begründen und diese durch eine Ausfallhaf85/374], daß dieses Produkt im Zeitpunkt der Inverkehrgabe fehlerhaft war [Art. 7 lit. b RL 85/374] und daß der ‚Hersteller‘ für dessen Fehlerhaftigkeit einzustehen hat, insbesondere weil das Produkt bei objektiver Betrachtung hätte fehlerfrei hergestellt werden können oder der Fehler vor der Inverkehrgabe hätte entdeckt werden können [Art. 7 lit. d, e RL 85/ 374]“, Wandt Internationale Produkthaftung (1995) § 1 Rn. 10. 146 Hersteller ist, wer „in eigener Verantwortung an dem Prozeß der Herstellung der Sache beteiligt war“, Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 15 Ziffer 7. Grundsätzlich haften dabei „alle am Produktionsprozess Beteiligten“, Erwägungsgrund 4 RL 85/374, dazu Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 15 Ziffer 7, allerdings mit der Möglichkeit der Exkulpation bei Teilprodukten, Art. 7 lit. f RL 85/374. Bei konzernverbundenen Unternehmen können Mutter- und Tochterunternehmen gemeinsam Hersteller i. S. d. Art. 3 Abs. 1 1. Var. RL 85/374 sein, wenn das Tochterunternehmen „nur als Vertriebshändler oder Verwahrer des von der Muttergesellschaft hergestellten Produkts auftritt“, EuGH 9.2.2006, Rs. C-127/04, Slg. 2006, I-1313 Rn. 30 – O’Byrne; Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 8.9.2009, Rs. C-358/08, Slg. 2009, I-11305 Rn. 95 – Aventis Pasteur (funktionale Auslegung des Herstellerbegriffs); (wohl) bestätigt durch EuGH (Große Kammer) 2.12.2009, Rs. C-358/08, Slg. 2009, I-11305 Rn. 52 f. – Aventis Pasteur: „tatsächlich die Muttergesellschaft […] bestimmt hat, dass es [das Produkt] in den Verkehr gebracht wird“. 147 Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 8.9.2009, Rs. C-358/08, Slg. 2009, I-11305 Rn. 35 – Aventis Pasteur. 148 Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 8.9.2009, Rs. C-358/08, Slg. 2009, I-11305 Rn. 35 – Aventis Pasteur; BGH 21.6.2005, VI ZR 238/03, NJW 2005, 2695 Rn. 20 – Grillanzünder: „Nach Sinn und Zweck des § 4 Abs. 1 Satz 2 ProdHaftG und des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 85/374/EWG braucht der Quasi-Hersteller die Anbringung seines Namens oder eines sonstigen, auf ihn als Hersteller weisenden Zeichens auf dem Produkt nicht selbst zu bewirken; vielmehr steht dem gleich, wenn er eine solche Anbringung mit seinem Einverständnis durch andere, insbesondere den tatsächlichen Hersteller vornehmen läßt.“ 149 Dazu Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 8.9.2009, Rs. C-358/08, Slg. 2009, I-11305 Rn. 97 – Aventis Pasteur: „Geschädigter muss […] den Nachweis erbringen, dass er die Identität des Herstellers nicht feststellen konnte“. 150 EuGH 2.12.2009, Rs. C-358/08, Slg. 2009, I-11305 Rn. 58 – Aventis Pasteur. 151 Benennt der Lieferant nicht den Hersteller, so ist er selbst als Hersteller anzusehen, EuGH 2.12.2009, Rs. C-358/08, Slg. 2009, I-11305 Rn. 60 – Aventis Pasteur.
§ 7 Produkthaftung
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tung des Importeurs oder Lieferanten zu flankieren,152 wenn der Anspruch gegen den (außereuropäischen oder unbekannten) Hersteller nicht durchgesetzt werden kann. Die Richtlinie gestattet es allerdings nicht, die Lieferantenhaftung über die in Art. 3 Abs. 3 RL 85/374 genannten Fälle auszudehnen, um eine Verteuerung der Produkte durch zusätzliche Versicherungen der Lieferanten und eine Häufung von Regressklagen der in Anspruch genommenen Händler gegen ihre Lieferanten und/oder den Hersteller zu vermeiden.153 Die Richtlinie bezweckt für die in ihr geregelten Fragen eine vollständige Harmonisierung, so dass sie abweichende mitgliedstaatliche Regelungen (z. B. Abschaffung des Selbstbehalts bei Sachschäden von 500 Euro154 oder Ausdehnung der Haftung des Lieferanten155 oder Einschränkung der Ausnahmen nach Art. 7 lit. d und e RL 85/374)156 der Haftung für fehlerhafte Produkte nicht gestattet.157 Unberührt bleiben gemäß Art. 13 RL 85/374 allerdings Ansprüche, die ein Geschädigter aufgrund der Vorschriften über die vertragliche oder außervertragliche Haftung geltend machen kann, also solche Regeln der vertraglichen oder außervertraglichen Haftung, die wie die Haftung für verdeckte Mängel oder für Verschulden auf anderen Grundlagen beruhen.158 Unberührt bleiben ferner Ansprüche aufgrund einer zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der 152 Zur Haftung des Lieferanten für Verstöße gegen Etikettierungspflichten, die nicht der Produkthaftungsrichtlinie unterfallen EuGH 23.11.2006, Rs. C-315/05, Slg. 2006, I-11181 Rn. 54–57 – Lidl Italia. 153 EuGH (Große Kammer) 10.1.2006, Rs. C-402/03, Slg. 2006, I-199 Rn. 28 ff. – Skov und Bilka unter Rückgriff auf die Begründung des ursprünglichen Vorschlags einer Richtlinie zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte KOM(76) 372 mit Erläuterung im Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 14 Ziffer 6. Gegen eine (weitere) Ausdehnung der Lieferantenhaftung nach dem Vorbild der Produktsicherheitsrichtlinie spricht sich auch der (zweite) Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 85/374 über die Haftung für fehlerhafte Produkte KOM(2000) 893 S. 26, Ziffer 3.2.7 aus. 154 EuGH 25.4.2002, Rs. C-52/00, Slg. 2002, I-3827 Rn. 26 ff., 35 – Kommission/ Französische Republik; EuGH 25.4.2002, Rs. C-154/00, Slg. 2002, I-3879 Rn. 34 – Kommission/Griechenland. 155 EuGH 25.4.2002, Rs. C-52/00, Slg. 2002, I-3827 Rn. 36 ff., 41 – Kommission/ Französische Republik. Auch die Entschließung des Rates 2003/C26/02 vom 19.12.2002 zur Änderung der Richtlinie über die Haftung für fehlerhafte Produkte, ABl. 26 vom 4.2.2003, S. 2, Ziffern 4, 8 hat an dieser Rechtslage nichts geändert, EuGH (Große Kammer) 10.1.2006, Rs. C-402/03, Slg. 2006, I-199 Rn. 37, 40 ff. – Skov und Bilka. 156 EuGH 25.4.2002, Rs. C-52/00, Slg. 2002, I-3827 Rn. 47 – Kommission/Französische Republik. Zulässig ist es im Fall des (für die Mitgliedstaaten) fakultativen Art. 7 lit. e RL 85/374 auch nicht, die Haftungsbefreiung an eine zusätzliche Voraussetzung (Produktbeobachtungspflicht) zu knüpfen, EuGH a. a. O. 157 EuGH 25.4.2002, Rs. C-183/00, Slg. 2002, I-3901 Rn. 30 – González Sánchez; EuGH (Große Kammer) 10.1.2006, Rs. C-402/03, Slg. 2006, I-199 Rn. 23, 33, 39 – Skov und Bilka; EuGH (Große Kammer) 2.12.2009, Rs. C-358/08, Slg. 2009, I-11305 Rn. 36 f. – Aventis Pasteur.
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Richtlinie bestehenden besonderen Haftungsregelung, die auf einen bestimmten Produktionssektor wie insbesondere den Arzneimittelsektor begrenzt ist (Art. 13 und Erwägungsgrund 13 Satz 3 RL 85/374).159 Unberührt von der Richtlinie bleiben schließlich die mitgliedstaatlichen Haftungsregelungen für Schäden an einer Sache, die für den beruflichen Gebrauch bestimmt ist und beruflich verwendet wird160 und für Schäden, die durch Dienstleister verursacht werden, selbst wenn sie fehlerhafte Produkte verwenden.161 I.
Existenz eines Schadensersatzanspruchs
I. Existenz eines Schadensersatzanspruchs
Art. 1 RL 85/374 ordnet ausdrücklich die Haftung des Herstellers für den Schaden an, der durch einen Fehler des Produkts verursacht worden ist. Die Richtlinie begründet damit einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch des individuell Geschädigten, sofern er den Schaden, den Fehler des Produktes und den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Fehler und dem Schaden beweisen kann (Art. 4 RL 85/374).162 In der Diskussion nach Erlass der Richtlinie wurde die Existenz des Anspruchs nicht in Frage gestellt, sondern vor allem die traditionelle Beweislastzuweisung zum Geschädigten kritisiert, ohne dass dies bisher zu einer Änderung der Richtlinie geführt hätte.163 Kriti158 EuGH 25.4.2002, Rs. C-52/00, Slg. 2002, I-3827 Rn. 22 – Kommission/ Französische Republik; EuGH 25.4.2002, Rs. C-183/00, Slg. 2002, I-3901 Rn. 31 – González Sánchez. Zu den Grenzen der Vollharmonisierung auch Freitag Der Einfluß des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf das internationale Produkthaftungsrecht (2000) S. 63 ff. 159 EuGH 25.4.2002, Rs. C-52/00, Slg. 2002, I-3827 Rn. 23 – Kommission/Französische Republik; EuGH 25.4.2002, Rs. C-183/00, Slg. 2002, I-3901 Rn. 32 – González Sánchez; EuGH 20.11.2014, Rs. C-310/13, ECLI:EU:C:2014:2385 Rn. 21 – Novo Nordisk: Auskunftsanspruch über die Nebenwirkungen eines Arzneimittels von der RL 85/374, auch von deren Beweislastregelung nicht erfasst. 160 EuGH 4.6.2009, Rs. C-285/08, Slg. 2009, I-4733 Rn. 28, 31 – Moteurs Leroy Somer. 161 EuGH (Große Kammer) 21.12.2011, Rs. C-495/10, ECLI:EU:C:2011:869 Rn. 29 ff. – Centre hospitalier universitaire de Besançon. 162 Vgl. EuGH 25.4.2002, Rs. C-52/00, Slg. 2002, I-3827 Rn. 22 – Kommission/ Französische Republik; EuGH 25.4.2002, Rs. C-183/00, Slg. 2002, I-3901 Rn. 31 – González Sánchez; EuGH 25.4.2002, Rs. C-154/00, Slg. 2002, I-3879 Rn. 18 – Kommission/Griechenland. Zu den Auseinandersetzungen um Beweiserleichterungen Bericht der Kommission – Dritter Bericht über die Anwendung der Richtlinie zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte KOM(2006) 496 S. 10 unter Ziffer 4 erster Spiegelstrich. 163 (Zweiter) Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 85/374 über die Haftung für fehlerhafte Produkte KOM(2000) 893 S. 26 S. 15, Ziffer 3.2.1. Keinen Änderungsbedarf sieht der Vierte Bericht über die Anwendung der Richtlinie 85/374/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte KOM(2011) 547 S. 12. Kritisch bereits Brüggemeier/ Reich WM 1986, 149, 154, die darin eine „gravierende Verschlechterung der Position des Geschädigten/Verbrauchers“ gegenüber der deutschen Rechtslage sehen.
II. Funktionen des Schadensersatzanspruchs
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siert wurde vor allem, dass aufgrund der technischen Komplexität der Materie, der hohen Kosten für Sachverständigengutachten und des Verbrauchs des vermeintlich fehlerhaften Produkts (z. B. Lebensmittel oder Arzneimittel) der Nachweis der Fehlerhaftigkeit und des Ursachenzusammenhangs in vielen Fällen nicht mehr geführt werden könne.164 Dieser Kritik wurde entgegen gehalten, dass sich die Beweisprobleme über judikative Beweiserleichterungen165 und das von der Richtlinie unberührte166 nationale Verfahrensrecht lösen lassen,167 indem unter dem Gesichtspunkt des unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes die nationalen Gerichte zu einer wirksamkeitsfreundlichen Auslegung ihrer Regeln zur Beweisvorlage, zur Beweiserleichterung und zum Beweismaß insbesondere bei Kausalitätsfragen verpflichtet werden.168 Auch wenn eine flexible verfahrensrechtliche Lösung angesichts der Vielgestaltigkeit der denkbaren Beweisschwierigkeiten gewisse Vorteile hat und die Beweislast des Geschädigten auch der Ausgewogenheit des Produkthaftungsrechts aus Sicht der Hersteller dient,169 so stellt der Rückgriff auf das nationale Verfahrensrecht für zentrale Fragen wie den Nachweis des Haftungstatbestands den Harmonisierungserfolg der Richtlinie in Frage.170 II. Funktionen des Schadensersatzanspruchs II. Funktionen des Schadensersatzanspruchs
Mit der europaweiten Harmonisierung der Produkthaftung zielt die Richtlinie 85/374 auf einen Interessenausgleich durch „gerechte Zuweisung der mit der modernen technischen Produktion verbundenen Risiken“ (Erwägungsgrund 2 RL 85/374, siehe auch Erwägungsgrund 2 der Änderungsrichtlinie 1999/34).171 Zu diesen Interessen zählen nach den Erwägungsgründen 1 und 9 der Richtli164 (Zweiter) Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 85/374 über die Haftung für fehlerhafte Produkte KOM(2000) 893 S. 15, Ziffer 3.2.1. 165 Siehe die Bemerkung des Wirtschafts- und Sozialausschusses, ABl. C 114 vom 7.5.79, S. 17, Ziffer 2.1.1, dass „den Gerichten der Mitgliedstaaten […] ein Ermessensspielraum hinsichtlich der Möglichkeit bleiben muss, an Sicherheit grenzende Vermutungen bei der Urteilsfindung zu berücksichtigen“, siehe auch Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 17 Ziffer 21: „Wie dieser Kausalzusammenhang [zwischen Fehler und Schaden] zu bewerten ist, bleibt Sache der Rechtsprechung jedes Mitgliedstaates.“ 166 Zur Nichtregelung des Beweismaß durch die Richtlinie Wuyts JETL 5 (2014) 1, 23 f.; zur Ausstrahlung der Richtlinie allerdings EuGH 9.2.2006, Rs. C-127/04, Slg. 2006, I-1313 Rn. 34 (Parteiwechsel) – O’Byrne; EuGH (Große Kammer) 2.12.2009, Rs. C-358/ 08, Slg. 2009, I-11305 Rn. 35 (Parteiwechsel), 52 (Beweisrecht) – Aventis Pasteur. 167 Taschner/Frietsch Produkthaftungsgesetz und EG-Produkthaftungsrichtlinie2 (1990) Art. 4 Richtl. Rn. 3; Wuyts JETL 5 (2014) 1, 24. 168 Vgl. EuGH (Große Kammer) 2.12.2009, Rs. C-358/08, Slg. 2009, I-11305 Rn. 44 – Aventis Pasteur. 169 Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Grünbuch: Die zivilrechtliche Haftung für fehlerhafte Produkte, ABl. C 117 vom 26.4.2000, S. 1, Ziffer 3.4.1. 170 Kritisch deshalb Schaub ZEuP 2011, 41, 59.
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nie „die Gewährleistung eines unverfälschten Wettbewerbs, die Erleichterung des Handels innerhalb des Gemeinsamen Marktes, de[r] Verbraucherschutz und das Bemühen um eine geordnete Rechtspflege“,172 aber auch die „Förderung der Innovation und die Entwicklung von Wissenschaft und Technik“173 sowie eine „stärkere Sensibilisierung der Wirtschaftsteilnehmer für die Produktsicherheit“ (Erwägungsgrund 2 Änderungsrichtlinie 99/34). Damit lassen sich fünf unterschiedliche Ziele der Richtlinie identifizieren:174 der Verbraucherschutz, die Binnenmarktintegration, die geordnete Rechtspflege, die Stimulation von Innovationen und die „Sensibilisierung für die Produktsicherheit“ (Schadensverhütung). Jedes ist daraufhin zu untersuchen, in welcher Weise es auf die Funktion des Schadensersatzanspruchs ausstrahlt. 1. Verbraucherschutz durch Wiedergutmachung von Schäden Zunächst und in erster Linie dient die Richtlinie dem Verbraucherschutz175 (besser: Schutz des Geschädigten, da bei Personenschäden auch gewerbliche Nutzer geschützt werden)176, indem sie ein verbindliches Niveau für die „Wiedergutmachung“ (Erwägungsgrund 9 RL 85/374) von Körper- und Sachschäden aufgrund fehlerhafter Produkte in der Europäischen Union festschreibt. Dieses Anliegen spiegelt sich nicht nur im Hinweis auf den Schutz des Verbrauchers bzw. Geschädigten in zwölf der achtzehn Erwägungsgründe (Erwägungsgründe 1, 4, 5, 6, 8, 9, 10, 11, 12, 14, 15, 16 RL 85/374), sondern auch in der ursprünglichen Kommissionsbegründung aus dem Jahr 1976. 171 Nach Einschätzung der Kommission wurde dieses Gleichgewicht durch die Richtlinie erreicht, so dass eine Änderung gegenwärtig nicht angestrebt wird, Vierter Bericht über die Anwendung der Richtlinie 85/374/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte KOM (2011) 547 S. 12. 172 EuGH 25.4.2002, Rs. C-154/00, Slg. 2002, I-3879 Rn. 27 – Kommission/Griechenland. 173 EuGH (Große Kammer) 2.12.2009, Rs. C-358/08, Slg. 2009, I-11305 Rn. 42 – Aventis Pasteur. 174 Im Wesentlichen gleichsinnig auch Erwägungsgrund 20 Rom II-VO: „Die Kollisionsnorm für die Produkthaftung sollte für eine gerechte Verteilung der Risiken einer modernen, hochtechnisierten Gesellschaft sorgen, die Gesundheit der Verbraucher schützen, Innovationsanreize geben, einen unverfälschten Wettbewerb gewährleisten und den Handel erleichtern.“ 175 EuGH (Große Kammer) 21.12.2011, Rs. C-495/10, ECLI:EU:C:2011:869 Rn. 22, 31 – Centre hospitalier universitaire de Besançon. 176 EuGH 9.2.2006, Rs. C-127/04, Slg. 2006, I-1313 Rn. 25 – O’Byrne. Zum Verbraucherschutzrecht zählt die Richtlinie 85/374 etwa Remien Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten des EG-Vertrags (2003) S. 123 f.; Schulte-Nölke in: Schulze/Zuleeg/ Kadelbach (Hrsg.) Europarecht – Handbuch für die deutsche Rechtspraxis3 (2015) § 23 Rn. 28; Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 5.24: „cornerstone of the EU’s consumer protection acquis“.
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Unter Hinweis auf die Schwierigkeit des Verschuldensnachweises in Produkthaftungsfällen, die den Verbraucher „in der Praxis meist schutzlos“ stelle,177 schlug die Kommission ein haftungsrechtliches „Risikoumlageprinzip“178 vor, in dem der Hersteller die Kosten der Produkthaftung „als Herstellungskosten in die Preiskalkulation eingehen lassen und so auf alle Verbraucher gleicher, jedoch fehlerhafter Produkte verteilen kann“.179 Dabei verfolgte die Kommission nicht nur das Ziel eines ausreichenden, sondern auch eines europaweit einheitlichen Verbraucherschutzniveaus, um einen „gemeinsame[n] Markt für die Verbraucher“ zu verwirklichen.180 Auch wenn der Gedanke der haftungsrechtlichen Risikoumlage durch ein absolutes System der objektiven Haftung in der endgültigen Fassung der Richtlinie durch die Möglichkeit der Exkulpation bei Entwicklungsrisiken (Art. 7 lit. e RL 85/374) aufgeweicht wurde, so ist der Gedanke der Risikoumlage für die Regeln zum Haftungsumfang nach wie vor von Interesse, weil die Definition des Schadens in Art. 9 der Richtlinie – abgesehen vom Selbstbehalt für Sachschäden181 und der ausdrücklichen Ausnahme immaterieller Schäden – in wesentlichen Elementen dem ursprünglichen Kommissionsvorschlag entspricht.182 Die ambivalente (nicht allein verbraucherschutzmaximierende) Zielsetzung 177 So Erwägungsgrund 4 im ursprünglichen Kommissionsvorschlag, ABl.C 241 vom 14.10.1976, S. 9 und die Erläuterung im Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 13. 178 Oechsler in: Staudinger §§ 826–829, ProdHaftG (2014) Einl zum ProdHaftG Rn. 14; siehe auch die Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro vom 23.1.1997, Rs. C300/95, Slg. 1997, I-2649 Rn. 17 – Kommission/Vereinigtes Königreich, der den Kommissionsvorschlag auf frühere US-amerikanische Modelle der sechziger Jahre zurückführt (Rn. 16), die ebenfalls den Gedanken der Risikoverteilung zugrunde legen. 179 Erwägungsgrund 5 im ursprünglichen Kommissionsvorschlag, ABl.C 241 vom 14.10.1976, S. 9 mit Erläuterung im Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 13, 14: „Er [der Hersteller] kann den durch ein vom Verschulden gelöste Haftung auf ihn überwälzten Schaden wirtschaftlich auf alle Benutzer oder Verbraucher fehlerfreier Produkte derselben Serie oder seiner gesamten Produktion durch Aufnahmen der ihm entstandenen Unkosten (Schadensersatzleistung oder Prämienzahlung für Versicherungsschutz) in seine allgemeinen Produktionskosten und in seine Preiskalkulation verteilen. Damit tragen letztlich alle Verbraucher in einem vertretbaren Umfang den Schaden.“ Zustimmend auch die Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses, ABl. C 114 vom 7.5.79, S. 16 f., 1.1.3, 1.1.4. 180 Erwägungsgründe 4 und 5 im ursprünglichen Kommissionsvorschlag, ABl.C 241 vom 14.10.1976, S. 9: „Ein gemeinsamer Markt für die Verbraucher besteht daher insoweit bisher nicht“; „gleichwertiger und ausreichender Schutz des Verbrauchers“. 181 Der Kommissionsvorschlag sah stattdessen einen Höchstbetrag für die Haftung bei Sach- und Personenschäden vor, Art. 7 des ursprünglichen Kommissionsvorschlags, ABl.C 241 vom 14.10.1976, S. 11 (15.000 Europäische Rechnungseinheiten – ERE – bei beweglichen und 50.000 ERE bei unbeweglichen Sachen, zudem 25 Mio. ERE für die Gesamtheit der Körperschäden; vgl. demgegenüber Art. 16 Abs. 1 RL 85/374: fakultative Höchstgrenze für die Gesamtheit der Körperschäden bei 70 Mio. ECU).
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der Richtlinie erklärt auch die Unterschiede in der Auslegung einzelner Vorschriften der Richtlinie, die der Gerichtshof zuweilen (z. B. die Ausnahme von der Herstellerhaftung in Art. 7 RL 85/374) im Interesse der Geschädigten (eng) auslegt,183 während er sich im Kontext anderer Vorschriften (zeitliche Begrenzung der Haftung) im Interesse der Rechtssicherheit für eine neutrale (objektive) Interpretation ausgesprochen hat.184 Die explizite Betonung der „Wiedergutmachung“ (Erwägungsgrund 9 RL 85/374) von Körper- und Sachschäden und das Risikoumlageprinzip weisen darauf hin, dass der Schadensersatzanspruch in der Richtlinie in erster Linie der Schadenskompensation dient: Der Verbraucherschutz soll verwirklicht werden, indem die Richtlinie eine „angemessene und vollständige Entschädigung der durch ein fehlerhaftes Produkt Geschädigten“185 sicherstellt. Dabei ist der Umfang der ersatzfähigen Schäden, etwa „der Begriff des ‚durch Tod und Körperverletzung verursachten Schadens‘“ in Art. 9 Satz 1 lit. a RL 85/374 „im Hinblick auf die von dieser Richtlinie nach ihren Erwägungsgründen 1 und 6 verfolgten Ziele des Schutzes der Sicherheit und Gesundheit der Verbraucher weit auszulegen“.186 Über den vollständigen Schadensausgleich hinausgehende Schadensersatzfunktionen, insbesondere ein Präventionszweck lassen sich aus dem Verbraucherschutzgedanken nur dann ableiten, wenn neben der Schadenskompensation auch die Schadensverhütung beabsichtigt wäre (dazu unten § 7 II 5 → S. 380). 2. Handelserleichterung und unverfälschter Wettbewerb Verbatim gleichrangig neben dem Verbraucherschutz187 zielt die Produkthaftungsrichtlinie auf die Gewährleistung eines unverfälschten Wettbewerbs 182 So auch Taschner ZEuS 2002, 145, 147: „auf der versicherungsrechtlichen Lösung beruhende verschuldensunabhängige Herstellerhaftung“. 183 EuGH 9.2.2006, Rs. C-127/04, Slg. 2006, I-1313 Rn. 25 – O’Byrne. 184 EuGH 9.2.2006, Rs. C-127/04, Slg. 2006, I-1313 Rn. 26 – O’Byrne; siehe auch EuGH (Große Kammer) 21.12.2011, Rs. C-495/10, ECLI:EU:C:2011:869 Rn. 22 – Centre hospitalier universitaire de Besançon: Richtlinie „Ergebnis einer komplexen Abwägung u. a. dieser verschiedenen [in Erwägungsgrund 1 genannten] Interessen“. 185 EuGH 10.5.2001, Rs. C-203/99, Slg. 2001, I-3569 Rn. 27 – Veedfald; EuGH 5.3.2015, verb. Rs. C-503/13 und C-504/13, ECLI:EU:C:2015:148 Rn. 46 – Boston Scientific: „angemessene und vollständige Entschädigung der durch ein fehlerhaftes Produkt Geschädigten“; Borghetti La responsabilité du fait des produits (2004) S. 485 Rn. 504: „puisque le premier but de la reponsabilité du fait des produits a toujours été, et dans tous le pays, d’assurer l’indemnisation des dommages corporels“. 186 EuGH 5.3.2015, verb. Rs. C-503/13 und C-504/13, ECLI:EU:C:2015:148 Rn. 47 – Boston Scientific. 187 Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak 8.9.2009, Rs. C-358/08, Slg. 2009, I-11305 Rn. 75 – Aventis Pasteur: „Im Nebeneinander dieser drei Regelungsziele [Verbraucherschutz, unverfälschter Wettbewerb, freier Warenverkehr] kommt dem Verbraucherschutz im Rahmen der Richtlinie 85/374 keine Priorität im Verhältnis zu den beiden
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zwischen den Herstellern und die Erleichterung des freien Warenverkehrs,188 um durch eine Harmonisierung des Haftungsrechts zu vermeiden, dass „unterschiedlich strenge Haftungsregeln“ zu „unterschiedlichen Kostenbelastungen der Wirtschaft in den verschiedenen Mitgliedstaaten und insbesondere von im Wettbewerb miteinander stehenden Herstellern in verschiedenen Mitgliedstaaten“ führen189 und „der freie Warenverkehr innerhalb des Gemeinsamen Marktes durch unterschiedliche Rechtsregeln beeinflusst werden kann“.190 Indes ist dieses in erster Linie kompetenzrechtlich begründete Anliegen191 durch die Öffnungsklauseln für die nationalen Regeln zur Gewährleistungs- und Verschuldenshaftung (Art. 13 RL 85/374) und die vom EuGH als Öffnungsklausel interpretierte Ausnahme für Sachschäden bei gewerblich genutzten Produkten192 ausgehöhlt worden,193 weil die ursprünglich bei Erlass anderen Regelungszielen zu“; siehe auch EuGH (Große Kammer) 10.1.2006, Rs. C-402/03, Slg. 2006, I-199 Rn. 44 – Skov und Bilka: Absinken des Verbraucherschutzniveaus in einem Mitgliedstaat kann nur durch Änderung des Unionsrechts entgegen gewirkt werden; siehe auch die „neutrale“ Auslegung des Art. 11 RL 85/374 im Interesse der Rechtssicherheit, EuGH 9.2.2006, Rs. C-127/04, Slg. 2006, I-1313 Rn. 26 – O’Byrne; dazu auch EuGH (Große Kammer) 2.12.2009, Rs. C-358/08, Slg. 2009, I-11305 Rn. 39 – Aventis Pasteur: Vereinheitlichung der Verjährungsregeln „sowohl im Interesse des Geschädigten als auch des Herstellers“. 188 EuGH (Große Kammer) 21.12.2011, Rs. C-495/10, ECLI:EU:C:2011:869 Rn. 22, 31 – Centre hospitalier universitaire de Besançon. 189 So Erwägungsgrund 1 im ursprünglichen Kommissionsvorschlag, ABl.C 241 vom 14.10.1976, S. 9 mit Erläuterung im Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 13. Zweifelnd an der Binnenmarktbehinderung durch unterschiedliche Haftungsvorschriften Schlechtriem VersR 1986, 1033, 1043; großzügiger Basedow FS Mestmäcker (1996) 347, 353. 190 Erwägungsgrund 2 im ursprünglichen Kommissionsvorschlag, ABl.C 241 vom 14.10.1976, S. 9 mit Erläuterung im Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 13. 191 Die Produkthaftungsrichtlinie wurde auf die Binnenmarktkompetenz des Art. 100 EWGV (= Art. 115 AEUV) gestützt, weil damals noch keine andere europäische Kompetenzgrundlage für Rechtsangleichungsmaßnahmen existierte. Im Unterschied zu Art. 100a EWGV (= Art. 114 AEUV) gestattet Art. 115 AEUV allerdings den Mitgliedstaaten nicht, abweichende nationale Regeln beizubehalten, EuGH 25.4.2002, Rs. C-52/00, Slg. 2002, I-3827 Rn. 14 – Kommission/Französische Republik; EuGH 25.4.2002, Rs. C-154/00, Slg. 2002, I-3879 Rn. 10 – Kommission/Griechenland,; EuGH 25.4.2002, Rs. C-183/00, Slg. 2002, I-3901 Rn. 23 – González Sánchez. 192 EuGH 4.6.2009, Rs. C-285/08, Slg. 2009; I-4733 Rn. 17 ff. – Moteurs Leroy Somer; kritisch Schaub ZEuP 2011, 41, 57. 193 Vgl. EuGH 4.6.2009, Rs. C-285/08, Slg. 2009; I-4733 Rn. 29 – Moteurs Leroy Somer: „Dieser Auslegung [Zulässigkeit nationaler Haftungsvorschriften zum Ersatz beruflich genutzter Sachen] steht nicht entgegen, dass die Richtlinie 85/374 […] nicht nur einen unterschiedlichen Verbraucherschutz vermeiden, sondern auch einen unverfälschten Wettbewerb zwischen den Wirtschaftsbeteiligten gewährleisten und den freien Warenverkehr erleichtern soll.“ Treffend auch die Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses
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der Richtlinie geplante „umfassendere Harmonisierung“ des Haftungsrechts (Erwägungsgrund 17 RL 85/374) und die damit verbundene Überprüfung der Öffnungsklauseln (Erwägungsgrund 18 RL 85/374) nicht mehr verwirklicht wurde.194 Das nationale Vertrags- und Deliktsrecht bleibt deshalb bedeutsam, weil es im Unterschied zur Richtlinie auch den Schadensersatz für Sachschäden unter 500 Euro, für immaterielle Schäden, für Schäden am fehlerhaften Produkt selbst und für Schäden an für berufliche Zwecke genutzten Sachen abdeckt.195 Inzwischen sieht auch die Kommission die vollständige Harmonisierung des Haftungsrechts nicht nur als unrealistisch, sondern auch als nicht erforderlich an, „da ein Verzicht darauf kaum (wenn überhaupt) Auswirkungen auf den Binnenmarkt hat“.196 Angesichts der unvollständigen Harmoni-
zu dem Grünbuch: Die zivilrechtliche Haftung für fehlerhafte Produkte, ABl. C 117 vom 26.4.2000, S. 1, Ziffer 2.6.: „gemeinsames Fundament von Bewertungsgrundsätzen und – verfahren in Haftungsfragen“. Positiver Tamm Verbraucherschutzrecht (2011) S. 779: „Die Bedeutung der Produkthaftungsrichtlinie ist nicht zu unterschätzen. Sie trägt maßgeblich zur Harmonisierung des europäischen Binnenmarktes bei, da die Produkthersteller in den Mitgliedstaaten durch sie einheitlichen Standards für fehlerhafte Produkte unterworfen werden.“ 194 Siehe aber noch EuGH 25.4.2002, Rs. C-52/00, Slg. 2002, I-3827 Rn. 20 – Kommission/Französische Republik; EuGH 25.4.2002, Rs. C-183/00, Slg. 2002, I-3901 Rn. 29 – González Sánchez: „fortschreitende[s] Harmonisierungskonzept“ (zur Änderungsrichtlinie 99/34, mit der die Produkthaftungsrichtlinie auf landwirtschaftliche Erzeugnisse ausgeweitet wurde). Es kommt hinzu, dass die Anknüpfung des Produkthaftungsrechts in der Regel nicht vom Sitz des Herstellers abhängig ist (Art. 5 Rom II-VO) und dass der Gerichtshof eine Handelsbehinderung durch striktes (vertragliches) Haftungsrecht zumindest im Kontext der Grundfreiheiten verneint hat, EuGH 24.1.1991, Rs. C-339/89, Slg. 1991, I-107 Rn. 15 – Alsthom Atlantique: „Die in der vorliegenden Rechtssache angeführte Rechtsprechung der französischen Cour de cassation gilt jedoch unterschiedslos für alle dem französischen Recht unterliegenden Handelsbeziehungen und hat weder den Zweck noch die Wirkung, speziell die Ausfuhrströme zu beschränken und somit die nationale Produktion oder den nationalen Binnenmarkt zu begünstigen.“ 195 (Zweiter) Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 85/374 über die Haftung für fehlerhafte Produkte KOM(2000) 893 S. 9, Ziffer 2.1.1, S. 30 f., Ziffer 4, S. 33, Ziffer 4.1.2. 196 Bericht der Kommission – Dritter Bericht über die Anwendung der Richtlinie zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte KOM(2006) 496 S. 9; optimistischer noch der (zweite) Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 85/374 über die Haftung für fehlerhafte Produkte KOM(2000) 893 S. 34, Ziffer 4.1.2. Siehe auch die Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Grünbuch: Die zivilrechtliche Haftung für fehlerhafte Produkte, ABl. C 117 vom 26.4.2000, S. 1, Ziffer 2.6.: „Überdies scheinen die unterschiedlichen Gegebenheiten, die aus spezifischen einzelstaatlichen Vorschriften auf der Grundlage anderer Haftungsregeln, sei es bei der vertraglichen oder deliktischen Haftung, keine negativen Auswirkungen auf den Handel zu haben.“
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sierung ist die wirkungsvolle Beseitigung von Handelshemmnissen durch die Angleichung des Produkthaftungsrechts bezweifelt worden.197 Trotz dieser gewandelten Rahmenbedingungen hält der Gerichtshof daran fest, dass innerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie198 „der Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten bei der Regelung der Haftung für fehlerhafte Produkte zur Gänze von der Richtlinie selbst festgelegt wird“199 und die von der Richtlinie intendierte „vollständige Harmonisierung“200 auch nicht aus Gründen des Verbraucherschutzes von den nationalen Gesetzgebern überwunden werden darf.201 Dementsprechend hat der EuGH verschiedene für den Verbraucher günstige nationale Abweichungen von der Richtlinie verworfen,202 ohne verhindern zu können, dass manche dieser Regelungen auf 197 Franzen Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft (1999) 225. Siehe auch Posch in: Campbell International Product Liability (2006) 23, 33: result „not a uniform law but a sort of ‘soft European Common Law of Strict Product Liability’, an incompletely ‘approximated law’“; Heiderhoff in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.) Zivilrecht unter europäischem Einfluss2 (2010) Kapitel 17 Rn. 21. 198 Zu dieser Beschränkung EuGH 4.6.2009, Rs. C-285/08, Slg. 2009; I-4733 Rn. 25 – Moteurs Leroy Somer: „Auch wenn die Richtlinie 85/374 […] für die in ihr geregelten Punkte eine vollständige Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten bezweckt, soll sie, wie aus ihrem 18. Erwägungsgrund hervorgeht, doch nicht den Bereich der Haftung für fehlerhafte Produkte über die betreffenden Punkte hinaus abschließend harmonisieren.“ 199 EuGH 25.4.2002, Rs. C-52/00, Slg. 2002, I-3827 Rn. 17 – Kommission/Französische Republik; EuGH 25.4.2002, Rs. C-183/00, Slg. 2002, I-3901 Rn. 25 – González Sánchez; EuGH (Große Kammer) 10.1.2006, Rs. C-402/03, Slg. 2006, I-199 Rn. 22 – Skov und Bilka. 200 EuGH 25.4.2002, Rs. C-52/00, Slg. 2002, I-3827 Rn. 24 – Kommission/ Französische Republik; EuGH (Große Kammer) 10.1.2006, Rs. C-402/03, Slg. 2006, I-199 Rn. 23 – Skov und Bilka; EuGH (Große Kammer) 21.12.2011, Rs. C-495/10, ECLI:EU:C: 2011:869 Rn. 20 – Centre hospitalier universitaire de Besançon. 201 EuGH (Große Kammer) 10.1.2006, Rs. C-402/03, Slg. 2006, I-199 Rn. 44 – Skov und Bilka: „Was das Vorbringen der dänischen Regierung angeht, dass diese Auslegung der Richtlinie in Dänemark ein Absinken des Niveaus des Verbraucherschutzes herbeiführen könne, ist festzustellen, dass eine eventuelle Ausdehnung der durch die Richtlinie eingeführten Haftung auf die Lieferanten in die Zuständigkeit des Gemeinschaftsgesetzgebers fällt, der gegebenenfalls eine Änderung der betreffenden Vorschriften vorzunehmen hat“; Schaub ZEuP 2003, 562, 570. 202 EuGH 25.4.2002, Rs. C-154/00, Slg. 2002, I-3879 Rn. 34 – Kommission/ Griechenland (Abschaffung des Selbstbehalts bei Sachschäden); EuGH 25.4.2002, Rs. C-52/00, Slg. 2002, I-3827 Rn. 26 ff. (Abschaffung des Selbstbehalts bei Sachschäden), 39 f. (Ausdehnung der Haftung des Lieferanten über Art. 3 Abs. 3 RL 85/374 hinaus), 47 (Verengung der Tatbestandsvoraussetzungen für die Haftungsfreistellung nach Art. 7 lit. d, e RL 85/374) – Kommission/Französische Republik; EuGH (Große Kammer) 10.1.2006, Rs. C-402/03, Slg. 2006, I-199 Rn. 37, 45 – Skov und Bilka; bestätigt durch EuGH 5.7.2007, Rs. C-327/05, Slg. 2007, I-93 – Kommission/Dänemark (Eintritt des Lieferanten in die Herstellerhaftung); EuGH 14.3.2006, Rs. C-177/04, Slg. 2006, I-2461
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dem Umweg über das allgemeine Deliktsrecht und eine kaum widerlegliche Verschuldensvermutung nach wie vor geltendes Recht im betreffenden Mitgliedstaat sind.203 Für das hier untersuchte Recht des Schadensersatzes werfen die Zwecke der Handelserleichterung und des unverfälschten Wettbewerbs im Binnenmarkt die Frage auf, inwieweit sich daraus spezifische Funktionen des Schadensersatzes im Produkthaftungsrecht ableiten lassen. Insofern lässt sich zunächst bemerken, dass das Ziel des Abbaus von Handelshemmnissen durch unterschiedliche Haftungsvorschriften auf den ersten Blick nur die Vereinheitlichung als solche, nicht jedoch das Niveau der Vereinheitlichung oder die Zwecke des vereinheitlichten Haftungsrechts determiniert. Auf der anderen Seite mag man erwidern, dass ein hohes Haftungsniveau – analog der Diskussion zum hohen Schutzniveau im Verbraucher- und Reisevertragsrecht – eher dazu angetan ist, das Verbrauchervertrauen in ausländische Produkte zu stärken und damit die grenzüberschreitende Nachfrage zu stimulieren. Abgesehen von grundsätzlichen Unsicherheiten über den Einfluss rechtlicher Regeln auf Verbraucherentscheidungen verfängt der Gedanke der consumer confidence im Produkthaftungsrecht indes weniger als im Verbrauchervertragsrecht, denn das Produkthaftungsrecht betrifft in größerem Maße als das Verbrauchervertragsrecht auch Personen, die gar nicht über den Erwerb des Produkts entschieden haben, etwa indem sie als bystander durch ein fehlerhaftes Produkt geschädigt werden, das sie nicht erworben haben. Auch sind hohe Standards in der Produkthaftung nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit hohen Produktsicherheitsstandards, weil letztere auch auf anderem Weg (z. B. durch aufsichtsbehördlich und lauterkeitsrechtlich sanktionierte Sicherheitsvorschriften) gewährleistet werden können, so dass die Prüfplakette für die Sicherheitserwartung des Verbrauchers möglicherweise wichtiger ist als der Anspruch auf hohe Haftungssummen im Schadensfall. Aus diesen Gründen und aufgrund der Aushöhlung der Harmonisierungswirkungen der Richtlinie dürften sich aus den Zielen der Handelserleichterung und des Schutzes des unverfälschten Wettbewerbs im Produkthaftungsrecht keine Folgerungen für den Zweck der Haftungsnorm ableiten lassen. 3. Geordnete Rechtspflege Als drittes, im Kontext des Selbstbehalts für die Sachschadenshaftung (Art. 9 lit. b RL 85/374) relevantes Ziel der Richtlinie hat der Gerichtshof die geordRn. 50 f. – Kommission/Französische Republik (Beschränkung der Haftungsbefreiungsmöglichkeit des Lieferanten); EuGH (Große Kammer) 21.12.2011, Rs. C-495/10, ECLI: EU:C:2011:869 Rn. 24 – Centre hospitalier universitaire de Besançon. 203 Riehm EuZW 2010, 567, 571; siehe auch EuGH (Große Kammer) 10.1.2006, Rs. C-402/03, Slg. 2006, I-199 Rn. 48 – Skov und Bilka: Eintritt des Lieferanten in die Verschuldenshaftung des Herstellers richtlinienkonform.
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nete Rechtspflege identifiziert (vgl. Erwägungsgrund 9: „[z]ur Vermeidung einer allzu großen Zahl von Streitfällen“).204 Auch wenn das Ziel einer Entlastung der Gerichte aus der Perspektive des Mikrokosmos der Richtlinie durch den Selbstbehalt (verstanden als Rechtsschutzschwelle, § 7 V 3 a bb → S. 405) plausibel erscheint, so konterkariert die Möglichkeit einer Klage aus allgemeinem Haftungsrecht die Entlastungswirkung. Bei geringfügigen Sachschäden hat der unionsrechtliche Selbstbehalt von 500 Euro nämlich zur Folge, dass entsprechende Klagen nicht auf die Haftungsregeln der Richtlinie, sondern nur auf die vertraglichen oder außervertraglichen Haftungsregeln des allgemeinen (nationalen) Zivilrechts gestützt werden.205 Ungeachtet dieser zweifelhaften Wirksamkeit lassen sich aus dem Gedanken der geordneten Rechtspflege über den Selbstbehalt hinaus keine Hinweise für die allgemeinen Funktionen des Schadensersatzanspruchs in der Richtlinie gewinnen. 4. Produktinnovation Als weiteres Ziel der Produkthaftungsrichtlinie ist die Förderung der Produktinnovation zu nennen. Dieser Gedanke kommt nicht nur in Erwägungsgrund 2 der Änderungsrichtlinie 99/54 zum Ausdruck („Förderung der Innovation und die Entwicklung von Wissenschaft und Technik“), sondern liegt auch der Möglichkeit des Entlastungsbeweises für Entwicklungsrisiken (Art. 7 lit. e RL 85/374, siehe Erwägungsgrund 7: „gerechte Verteilung der Risiken“),206 den Verjährungsfristen (Erwägungsgrund 10 RL 85/374)207 und der Zulässigkeit von Haftungshöchstgrenzen (Art. 16 RL 85/374) zugrunde. Der Gedanke der Produktinnovation spricht gegen weitreichende Schadensersatzverpflich204 EuGH 25.4.2002, Rs. C-52/00, Slg. 2002, I-3827 Rn. 29 – Kommission/Französische Republik. 205 EuGH 25.4.2002, Rs. C-52/00, Slg. 2002, I-3827 Rn. 30 – Kommission/Französische Republik unter Hinweis auf die Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 18.9.2001, Rs. C-52/00, Slg. 2002, I-3827 Rn. 68 – Kommission/Französische Republik: „Abwägung zwischen den materiellen Rechtsinteressen und der Zweckmäßigkeit des Rechtsschutzes“, also zwischen „dem Schutz des Verbrauchers in Fällen von geringem materiellem Schaden und der Gefahr der Überlastung der Gerichte“; ebenso EuGH 25.4.2002, Rs. C-154/00, Slg. 2002, I-3879 Rn. 30 – Kommission/Griechenland. 206 Hervorgehoben in EuGH 5.3.2015, verb. Rs. C-503/13 und C-504/13, ECLI:EU:C: 2015:148 Rn. 42 – Boston Scientific. 207 EuGH (Große Kammer) 2.12.2009, Rs. C-358/08, Slg. 2009, I-11305 Rn. 42 – Aventis Pasteur: „wollte der Gemeinschaftsgesetzgeber mit der Festlegung besonderer zeitlicher Grenzen für die verschuldensunabhängige Haftung in der durch die Richtlinie 85/374 eingeführten Regelung auch dem Umstand, dass diese Regelung den Hersteller stärker belastet als die Haftung nach den herkömmlichen Regeln, Rechnung tragen, um so den technischen Fortschritt nicht zu behindern und die Deckung dieses spezifischen Haftungsrisikos durch Versicherungen weiter zu ermöglichen“ mit Hinweis auf den (zweiten) Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 85/374 über die Haftung für fehlerhafte Produkte KOM(2000) 893 S. 22, Ziffer 3.2.4.
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tungen und insbesondere gegen überkompensatorischen Schadensersatz, da dies für die Produktinnovation abschreckend wirken kann. 5. Prävention Bei der Untersuchung der Ziele der Richtlinie und ihrer Konsequenzen für den Schadensersatzanspruch ist schließlich bemerkenswert, dass das gerade im Produkthaftungsrecht naheliegende Ziel der Prävention durch Schadensverhütung nur am Rande erwähnt wird.208 Im Gegenteil deutet die Existenz besonderer, explizit auf die Schadensverhütung ausgerichteter Regeln wie der Produkt-
208 Siehe Erwägungsgrund 2 der Änderungsrichtlinie 99/34 „stärkere Sensibilisierung der Wirtschaftsteilnehmer für die Produktsicherheit“; ferner Grünbuch Die zivilrechtliche Haftung für fehlerhafte Produkte KOM(1999) 396 S. 14: „Die Richtlinie trägt dazu bei, den Schutz gegenüber fehlerhaften Produkten zu verstärken, und zwar aus zwei Gründen: sie stellt eine Art ‚Damoklesschwert‘ dar, das die Hersteller zwingt, Produkte ohne unnötige Risiken für Gesundheit und Unversehrtheit des Menschen herzustellen (und spielt auf diese Weise eine ergänzende Rolle zu den Vorschriften und Kontrollen, die verhindern sollen, daß fehlerhafte Produkte vermarktet werden). Außerdem gibt sie den Geschädigten [das Recht], falls diese präventiven Maßnahmen versagt und sich Unfälle ereignet haben (denn ein Nullrisiko gibt es nicht), Schadensersatzansprüche auf Entschädigung gegenüber den Herstellern geltend zu machen.“ Siehe außerdem die Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Grünbuch: Die zivilrechtliche Haftung für fehlerhafte Produkte, ABl. C 117 vom 26.4.2000, S. 1, Ziffer 2.5, 3.2, 3.4.2, 4.4 und den (zweiten) Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 85/374 über die Haftung für fehlerhafte Produkte KOM(2000) 893 S. 10 f., Ziffer 2.2: „Die Stellungnahmen zum Grünbuch bestätigen, dass die Richtlinie über Produkthaftung auf Hersteller und Lieferanten abschreckend wirkt und sie dazu anhält, parallel zu den Verpflichtungen im Rahmen der vorgenannten Sicherheitsvorschriften das Sicherheitsniveau zu verbessern.“ Siehe auch von Hippel BB 1978, 721, 723: „Wichtiger noch als eine optimale Kompensation von Produktschäden ist freilich, daß solche Schäden von vorneherein möglichst weitgehend verhütet werden. Zwar veranlaßt erfahrungsgemäß eine Verschärfung der Einstandspflicht für Produktschäden viele Hersteller wegen der steigenden Kosten zu verstärkten Bemühungen um eine Schadensprophylaxe. Gleichwohl sind nach den bisherigen Erfahrungen zusätzliche präventive Maßnahmen erforderlich. Wichtig ist insbesondere die Erarbeitung angemessener Sicherheitsstandards für alle gefahrenträchtigen Produkte.“ Zum „Perspektivenwandel“ durch präventive Regulierung des Produktionsprozesses Simitis FS Duden (1977) 605, 637 ff., der die Aufgabe der Prävention vor allem in der Kontrolle der Produktion verwirklicht sieht: „Der Übergang zur verschuldensunabhängigen Haftung stellt, so gesehen, immer nur eine, wenngleich unentbehrliche Reaktion der Rechtsordnung auf die veränderten Produktionsbedingungen dar, die andere, nicht minder notwendige, ja langfristig entscheidende ist die Schadensverhütung.“ Zu den gesellschaftlichen Unterschieden zum US-amerikanischen Produkthaftungssystem auch Micklitz ZEuS 2002, 77, 98 ff. Siehe auch Monopolkommission Das allgemeine Wettbewerbsrecht in der Siebten GWB-Novelle, Sondergutachten 41 (2004) Rn. 79, die in den Tatbeständen der Gefährdungshaftung nach dem Produkthaftungsgesetz den „Gedanken der Prävention und Schadensverhütung“ verankert sieht.
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sicherheitsrichtlinie209 und der europäischen Normungs- und Zertifizierungsregeln darauf hin, dass die Produkthaftungsrichtlinie in erster Linie auf Kompensation zielt.210 Für eine solche Sichtweise lässt sich auch vorbringen, dass die Produkthaftungsrichtlinie von vorneherein keine präventiven Maßnahmen wie etwa den Produktrückruf eröffnet, weil neben dem Produktfehler der Schadenseintritt Voraussetzung für Ansprüche nach der Richtlinie ist.211 Auf der anderen Seite ist unbestreitbar, dass dem Ziel des Verbraucherund Gesundheitsschutzes (Art. 168, 169 AEUV sowie Art. 35, 38 GRCh) am besten durch eine Einbeziehung des Präventionszwecks auch in die Auslegung der zivilrechtlichen Produkthaftungsvorschriften gedient ist. So lässt sich argumentieren, dass bereits die Haftungszuweisung durch die Richtlinie 85/374 präventiven Funktionen dient, „indem sie demjenigen die Haftung auferlegt, der, da er durch die Herstellung eines fehlerhaften Produkts das Risiko ganz unmittelbar geschaffen hat, am besten in der Lage ist, diesem Risiko vorzubeugen und Schäden mit dem geringsten Aufwand zu vermeiden“.212
Auch das Ziel der „gerechten Verteilung“ der Produktionsrisiken legt nahe, dass die Verhütung von Produkthaftungsfällen durchaus ein selbständiges Ziel des unionalen Produkthaftungsrechts darstellt.213 Allerdings lässt sich dem Präventionsziel im Rahmen des Produkthaftungsrechts auch ohne die Zuerkennung überkompensatorischen Schadensersatzes Rechnung tragen. Will man die Präventionsbemühungen der Produktsicherheitsvorschriften durch die Produkthaftungsrichtlinie ergänzen, so ist es geboten, die durch fehlerhafte Produkte entstandenen Schäden möglichst vollständig und umfassend zu ersetzen (dazu § 7 V 3 → S. 400) und dabei auch die Kosten für schadensvorbeugende Eingriffe (z. B. den Austausch eines (Zweiter) Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 85/374 über die Haftung für fehlerhafte Produkte KOM(2000) 893 S. 23, Ziffer 3.2.4: „Es sei darauf hingewiesen, dass sich die Richtlinie 92/59 und 85/374 gegenseitig ergänzen: die erste stellt sicher, dass nur sichere Produkte auf den Markt gebracht werden (Prävention), die zweite legt die Regeln fest, nach denen Schadensersatz geleistet wird für Personen- und Sachschäden, die durch ein fehlerhaftes Produkt verursacht werden (Ausgleich).“ Siehe auch die Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Grünbuch: Die zivilrechtliche Haftung für fehlerhafte Produkte, ABl. C 117 vom 26.4.2000, S. 1, Ziffer 4.4. 210 Ebenso N. Reich in: Liber Amicorum Guido Alpa: Private Law Beyond the National Systems (2007) 846, 867: „Product liability law should also take over the principle of deterrence which so far has not been the case.“ 211 Borghetti La responsabilité du fait des produits (2004) S. 487 Rn. 507: „il ne fait aucun doute que le texte communautaire n’autorise aucune action preventive“. 212 Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 21.10.2014, verb. Rs. C-503/13 und C-504/13, ECLI:EU:C:2014:2306 Rn. 38 – Boston Scientific mit Verweis auf Borghetti La responsabilité du fait des produits (2004) S. 613 Rn. 645. 213 Vgl. EuGH 5.3.2015, verb. Rs. C-503/13 und C-504/13, ECLI:EU:C:2015:148 Rn. 42 – Boston Scientific. 209
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potentiell gefährlichen Produkts) einzubeziehen.214 Auch ist die Feststellung der Haftung zu erleichtern, so dass ein Produktfehler jedenfalls bei besonders sicherheitssensiblen Produkten bereits bei einem bloß erhöhten, anormalen Schadensrisiko einer Produktreihe bejaht werden kann, ohne dass ein Fehlernachweis im Einzelfall erforderlich ist.215 Eine Erleichterung der Haftungsfeststellung und eine weite Auslegung des kompensatorischen Schadensersatzes haben nämlich zur Folge, dass mehr Geschädigte tatsächlich (mehr) Kompensation erhalten, so dass die Gesamtsumme der Kompensationszahlungen (und damit der Anreiz für die Schadensverhütung durch die Hersteller) steigt. Gegen eine Berücksichtigung des Präventionsgedankens bei der Schadensbemessung216 im Sinne eines überkompensatorischen Schadensersatzes spricht im Produkthaftungsrecht zudem der dem Unionsrecht zugrunde liegende Gedanke der haftungsrechtlichen Risikoumlage, die gewisse Produktrisiken in Kauf nimmt und ihre Folgekosten auf die Gesamtheit der Verbraucher zu verteilen sucht. Nimmt man das Konzept der haftungsrechtlichen Risikoumlage ernst, so würde eine Zubilligung überkompensatorischen Schadensersatzes aus Gründen der Prävention letztendlich zu einer Umlage auch des überkompensatorischen Betrages auf alle Produktnutzer führen und damit den Zweck der Risikoumlage verfehlen, die – ähnlich wie eine Versicherung – lediglich den bei einzelnen Produktgeschädigten zufällig auftretenden Schaden kompensieren soll. Die Erhöhung von Haftungssummen aus Präventionsgründen kann zudem zu Lasten der Kompensationsansprüche anderer Geschädigter gehen, wenn der betreffende Mitgliedstaat – wie etwa Deutschland – von der fakultativen Haftungshöchstgrenze für sämtliche Personenschäden (Art. 16 Abs. 1 RL 85/374) Gebrauch gemacht hat. Es kommt hinzu, dass Ausdrücklich Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 21.10.2014, verb. Rs. C503/13 und C-504/13, ECLI:EU:C:2014:2306 Rn. 74 – Boston Scientific: „Die Anerkennung der Ersatzfähigkeit von Schäden, die durch Maßnahmen entstehen, die der Vorbeugung der Gefahr eines viel größeren Schadens dienen, ist geeignet, den Herstellern einen Anreiz für die Verbesserung der Sicherheit ihrer Produkte zu bieten und ein besseres Gleichgewicht zwischen dem Erfordernis einer Entschädigung der Opfer und dem Ziel der Vermeidung von Schäden zu erzielen.“ 215 EuGH 5.3.2015, verb. Rs. C-503/13 und C-504/13, ECLI:EU:C:2015:148 Rn. 41 – Boston Scientific; zur Verbindung mit dem Präventionsgedanken Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 21.10.2014, verb. Rs. C-503/13 und C-504/13, ECLI:EU:C:2014:2306 Rn. 38 – Boston Scientific. 216 Auch die Befürworter einer ökonomischen Analyse des Rechts in den USA scheinen inzwischen das Produkthaftungsrecht und seine verhaltenssteuernden Wirkungen kritisch zu sehen, vgl. Polinsky/Shavell Harvard Law Review 123 (2010) 1437, 1491 f., die als Ergebnis einer Kosten-Nutzen-Analyse sogar vorschlagen, über eine Gesetzgebung nachzudenken „that would limit or eliminate product liability in certain industries or for certain widely sold products“. Siehe dazu die kritische Replik von Goldberg/Zipursky Harvard Law Review 123 (2010) 1919, 1922 ff. 214
III. Aktivlegitimation und Initiativberechtigung
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sowohl die Produktinnovation wie die Gewährleistung günstiger Verbraucherpreise immer mit gewissen Risiken behaftet sind. Eine Erhöhung der Haftungssummen unter dem Gesichtspunkt der Prävention könnte zur Folge haben, dass die Marktakteure aus Sorge vor unkontrollierbaren Haftungsbeträgen von Innovation oder auch nur günstigeren Angeboten Abstand nehmen und damit an sich erwünschtes Verhalten vermieden wird. 6. Ergebnis Zusammenfassend lässt sich für das Produkthaftungsrecht festhalten, dass das Unionsrecht keinen überkompensatorischen Schadensersatz vorschreibt, sondern vielmehr auf eine angemessene und vollständige Entschädigung der durch ein fehlerhaftes Produkt Geschädigten zielt. Zwar hat die daraus resultierende weite Auslegung des Schadensumfangs217 wie auch der Ersatz der Kosten für schadensvorbeugende Eingriffe218 und die Erleichterung der Haftungsfeststellung bei erhöhtem Schadensrisiko besonders sicherheitssensibler Produkte219 neben dem Kompensationsziel durchaus gewisse Präventionswirkungen. Allerdings werden diese durch die der Richtlinie zugrunde liegende Konzeption einer haftungsrechtlichen Risikoumlage und das Ziel des Schutzes auch der Produktinnovation zum Teil aufgewogen, so dass das Produkthaftungsrecht, möglicherweise auch infolge seines Alters, neben dem Ziel des Schadensausgleichs nur zurückhaltend Präventionszwecke verfolgt. III. Aktivlegitimation und Initiativberechtigung III. Aktivlegitimation und Initiativberechtigung
Anspruchsberechtigt unter der RL 85/374 ist der „Geschädigte“ (Art. 4, 13 RL 85/374), also jede Person, die durch die fehlerhafte Sache einen Schaden i. S. d. Art. 9 erlitten hat, gleichgültig ob der Geschädigte Eigentümer der Sache ist oder ob er mit ihr nur zufällig in Kontakt gekommen ist.220 Dies EuGH 10.5.2001, Rs. C-203/99, Slg. 2001, I-3569 Rn. 27 – Veedfald; EuGH 5.3.2015, verb. Rs. C-503/13 und C-504/13, ECLI:EU:C:2015:148 Rn. 46 f. – Boston Scientific, siehe auch dort Rn. 54 zu den Grenzen. 218 Ausdrücklich Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 21.10.2014, verb. Rs. C-503/13 und C-504/13, ECLI:EU:C:2014:2306 Rn. 74 – Boston Scientific: „Die Anerkennung der Ersatzfähigkeit von Schäden, die durch Maßnahmen entstehen, die der Vorbeugung der Gefahr eines viel größeren Schadens dienen, ist geeignet, den Herstellern einen Anreiz für die Verbesserung der Sicherheit ihrer Produkte zu bieten und ein besseres Gleichgewicht zwischen dem Erfordernis einer Entschädigung der Opfer und dem Ziel der Vermeidung von Schäden zu erzielen.“ 219 EuGH 5.3.2015, verb. Rs. C-503/13 und C-504/13, ECLI:EU:C:2015:148 Rn. 41 – Boston Scientific; zur Verbindung mit dem Präventionsgedanken Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 21.10.2014, verb. Rs. C-503/13 und C-504/13, ECLI:EU:C:2014:2306 Rn. 38 – Boston Scientific. 220 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 14 Ziffer 4. Zur Anspruchsberechtigung des Geschädigten EuGH 14.3.2006, Rs. C-177/04, Slg. 2006, I-2416 217
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§ 7 Produkthaftung
kann grundsätzlich nicht nur ein Verbraucher, sondern auch ein Unternehmer sein.221 Neben Personenschäden (Art. 9 lit. a RL 85/374) sind jedoch nur Schäden an Sachen ersatzfähig, die gewöhnlich für den privaten Ge- oder Verbrauch bestimmt sind und vom Geschädigten hauptsächlich zum privaten Gebrauch verwendet worden sind (Art. 9 Satz 1 lit. b RL 85/374),222 so dass sich die Ansprüche für Sachschäden auf Nicht-Unternehmer beschränken. Demgegenüber können bei Personenschäden auch einem Unternehmer Ansprüche aufgrund der Richtlinie zustehen.223 Abgesehen von dem unmittelbar durch einen Produktfehler Geschädigten gewährt die Richtlinie im Fall eines durch den Tod224 verursachten Schadens auch „Ersatzansprüche de[n]jenigen, die (Unterhalts-)Ansprüche gegen den Verstorbenen hatten“,225 so dass auch Angehörige zu den Berechtigten zählen können. Die in den europäischen Rechtsordnungen besonders umstrittene Frage eines Angehörigenschmerzensgelds regelt die Richtlinie nicht, da immaterielle Schäden explizit dem Recht der Mitgliedstaaten überlassen werden (Art. 9 Satz 2 und Erwägungsgrund 9 Satz 3 RL 85/374). Regeln zur kollektiven Rechtsdurchsetzung finden sich in der Produkthaftungsrichtlinie ebenfalls nicht, insbesondere findet die Unterlassungsklagenrichtlinie keine Anwendung (vgl. Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Anhang I der RL 2009/22). Aufgrund der Begrenzung der Richtlinie 2009/22 auf die Rechtsschutzziele Unterlassung, Urteilsveröffentlichung und Zwangsgeldanordnung (Art. 2 Abs. 1 lit. a, b und c RL 2009/22) ist dies konsequent, da nach der gesetzgeberischen Konzeption des europäischen Produkthaftungsrechts die Produkthaftungsrichtlinie lediglich den Schadensersatz regelt, während die Rn. 49 – Kommission/Französische Republik: „Aus dem klaren und genauen Wortlaut von Artikel 3 Absatz 3 der Richtlinie 85/374 geht hervor, dass diese Bestimmung den Geschädigten bestimmte Rechte verleihen soll, die sie gegen die Lieferanten unter den genauen Umständen geltend machen können, die sie festlegt.“ Zurückhaltender die Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer vom 14.12.2000, Rs. C-203/99, Slg. 2001, I-3569 Rn. 34 – Veedfald: „Was in der Richtlinie 85/374 nicht angegeben ist, ist die Person des Geschädigten. Deshalb muss im Recht der Mitgliedstaaten bestimmt werden, welche Personen einen Anspruch auf Schadensersatz haben“ (zum Fall der Beschädigung einer Niere, die dem Spender zu Transplantationszwecken entnommen wurde und einem Empfänger eingesetzt werden sollte). 221 Heiderhoff in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.) Zivilrecht unter europäischem Einfluss2 (2010) Kapitel 17 Rn. 7. 222 EuGH 4.6.2009, Rs. C-285/08, Slg. 2009, I-4733 Rn. 28 – Moteurs Leroy Somer. 223 Vgl. die Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 8.4.1992, Rs. C-26/91, Slg. 1992, I-3967 Rn. 13 – Handte: „Wenn das von TMCS gekaufte Absaugsystem so mangelhaft gewesen wäre, daß es einen Arbeiter im Werk von TMCS verletzt hätte, könnte ein Fall von Produkthaftung vorliegen.“ 224 Zur Einbeziehung des nasciturus und zur Definition des Todes als Hirntod Graf von Westphalen in: Foerste/Graf von Westphalen Produkthaftungshandbuch3 (2012) § 45 Rn. 13. 225 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 17 Ziffer 17.
IV. Verschulden
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Schadensprävention in erster Linie durch behördliche Eingriffsbefugnisse nach der Produktsicherheitsrichtlinie gewährleistet werden soll.226 Auch zielt die Unterlassungsklagenrichtlinie nach Art. 1 Abs. 1 RL 2009/22 auf den „Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher“, die nach Erwägungsgrund 3 RL 2009/22 gerade nicht mit einer Kumulierung der Interessen der durch einen Verstoß geschädigten Personen gleichzusetzen sind. Die Richtlinie 2009/22 ordnet daher eine „deutliche Trennung zwischen der Bündelung von Einzelansprüchen und den Kollektivinteressen der Verbraucher“ an, so dass Sammel- oder Gruppenklagen aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie ausgegrenzt werden.227 Diese Rechtslage könnte sich ändern, falls die Bestrebungen zur Einführung kollektiver Rechtschutzinstrumente zur Geltendmachung von Schadensersatzklagen auf unionaler Ebene Erfolg haben sollten.228 Eine vorbeugende Durchsetzung von Produktsicherheitsstandards bereits de lege lata ist außerdem auf dem lauterkeitsrechtlichen Umweg über die Richtlinie 2005/29 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern denkbar, indem Mitbewerber (Art. 11 Abs. 1 RL 2005/29) Verstöße gegen gesetzliche Sicherheitsstandards als Verstöße gegen die berufliche Sorgfaltspflicht (Art. 5 Abs. 2 lit. a i. V. m. Art. 2 lit. h RL 2005/29) lauterkeitsrechtlich zu untersagen suchen. Allerdings geht es dann nicht um die Durchsetzung von individuellen oder gebündelten Schadensersatzansprüchen einzelner Geschädigter, sondern um die Durchsetzung genereller Produktsicherheitsstandards. IV. Verschulden IV. Verschulden
Ziel der Produkthaftungsrichtlinie ist nach ihrem Erwägungsgrund 2 die vollständige Harmonisierung der „verschuldensunabhängigen Haftung des Herstellers“ für fehlerhafte Produkte, so dass der Ersatzanspruch nach Art. 1 RL 85/374 nach Auffassung des Unionsgesetzgebers kein Verschulden voraussetzt.229 Auf der anderen Seite gestattet die Vorschrift des Art. 7 RL 85/374 226 (Zweiter) Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 85/374 über die Haftung für fehlerhafte Produkte KOM(2000) 893 S. 28, Ziffer 3.2.10. 227 Micklitz/Rott in: Grabitz/Hilf Das Recht der Europäischen Union IV (EL 29 2005) A 25 Unterlassungskl. z. Schutz d. Verbraucher (RL 98/27/EG) Art. 1 Rn. 5. 228 Siehe etwa die Anhörung der Kommission SEK(2011) 173 und die Entschließung des Parlaments Kollektiver Rechtsschutz: Hin zu einem kohärenten europäischen Ansatz, P7_TA-PROV(2012)0021, A7-0012/2012 Rn. 20: „der horizontale Rahmen sollte Schadensersatz nur für den tatsächlich verursachten Schaden abdecken; Strafschadensersatz ist zu verbieten; mittels des Wiedergutmachungskonzepts ist der zugesprochene Schadensersatz im Verhältnis zu dem individuell erlittenen Schaden auf die einzelnen Geschädigten zu verteilen; im Großen und Ganzen sind Erfolgshonorare in Europa unbekannt und sollten nicht Bestandteil des verbindlichen horizontalen Rahmens sein“. 229 Die entsprechende Klarstellung in Art. 1 Abs. 1 a. E. des ursprünglichen Kommissionsvorschlags, ABl.C 241 vom 14.10.1976, S. 11 mit Erläuterung im Bulletin der Europäi-
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§ 7 Produkthaftung
eine Entlastung des Herstellers,230 wenn er beweist, dass er das Produkt nicht oder nicht fehlerhaft231 in Verkehr gebracht hat (Art. 7 lit. a, b RL 85/374),232 dass er das Produkt nicht für wirtschaftliche oder berufliche Zwecke hergestellt oder vertrieben hat (Art. 7 lit. c),233 dass der Fehler auf die Einhaltung
schen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 13 Ziffer 2 ist bei den Beratungen im Ministerrat als überflüssig fallen gelassen worden, Taschner/Frietsch Produkthaftungsgesetz und EGProdukthaftungsrichtlinie2 (1990) Art. 1 Richtl. Rn. 1; siehe auch EuGH 29.5.1997, Rs. C300/95, Slg. 1997, I-2649 Rn. 24 – Kommission/Vereinigtes Königreich. 230 Trotz der im Gesetzgebungsverfahren erfolgten Ausweitung der Entlastungsgründe (Art. 7 lit. c, d, e RL 85/374) ist die im Kommissionsentwurf noch als allgemeiner Grundsatz der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen unterstellte Entlastungsmöglichkeit wegen höherer Gewalt (Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 17 Ziffer 16) nicht mehr explizit aufgenommen worden. Dennoch soll nach einer im französischen Schrifttum verbreiteten Auffassung auch die höhere Gewalt als Entlastungstatbestand dienen können, weil das Eingreifen höherer Gewalt den Kausalzusammenhang unterbreche, Borghetti La responsabilité du fait des produits (2004) S. 497 Rn. 519: „la force majeure vient rompre le lien de causalité qui pourrait exister entre le défaut du produit et le dommage“; ähnlich Magnus in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 12/59. 231 Erforderlich ist, „daß der Fehler der Sache seinen Ursprung im Produktionsbereich des Herstellers hat“, d. h. die Haftung ist ausgeschlossen, wenn der Fehler erst nach dem Inverkehrbringen entstanden ist, Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/ 76, S. 16 Ziffer 14. 232 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 16 Ziffer 15: „Gewöhnlicherweise ist eine Sache in Verkehr gebracht, wenn sie der Verteilungskette übergeben wurde.“ An einem Inverkehrbringen fehlt es demgegenüber, wenn eine andere Person als der Hersteller das Produkt aus dem Herstellungsprozess herausnimmt oder wenn die Verwendung des Produkts „gegen den Willen des Herstellers“ (Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 16 Ziffer 14, z. B. durch Diebstahl) erfolgt, „etwa wenn der Herstellungsprozess noch nicht abgeschlossen ist, das Produkt zu privaten Zwecken benutzt wird oder ähnliche Situationen gegeben sind“, EuGH 10.5.2001, Rs. C-203/ 99, Slg. 2001, I-3569 Rn. 16 – Veedfald. Zum Begriff des Inverkehrbringens in Art. 11 RL 85/374 EuGH 9.2.2006, Rs. C-127/04, Slg. 2006, I-1313 Rn. 32 – O’Byrne: „ein Produkt [ist] in den Verkehr gebracht […], wenn es den vom Hersteller eingerichteten Prozess der Herstellung verlassen hat und in einen Prozess der Vermarktung eingetreten ist, in dem es in ge- oder verbrauchsfertigem Zustand öffentlich angeboten wird“. Bei Weitergabe an ein Konzernunternehmen kann es an einem Inverkehrbringen fehlen, wenn das Tochterunternehmen „nur als Vertriebshändler oder Verwahrer des von der Muttergesellschaft hergestellten Produkts auftritt“, EuGH 9.2.2006, Rs. C-127/04, Slg. 2006, I-1313 Rn. 30 – O’Byrne; Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 8.9.2009, Rs. C-358/08, Slg. 2009, I-11305 Rn. 85 – Aventis Pasteur: „rein konzerninterne Transaktion, ohne dass der Hersteller dadurch die Kontrolle über das Produkt verliert“. 233 Dazu bedarf es einer unbezahlten Tätigkeit. Nicht ausreichend ist, dass die Tätigkeit im Rahmen eines aus öffentlichen Mitteln (Steuermitteln) finanzierten Krankenhauses erbracht wird und für die Patienten unentgeltlich ist, EuGH 10.5.2001, Rs. C-203/99, Slg. 2001, I-3569 Rn. 21 f. – Veedfald.
IV. Verschulden
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verbindlicher hoheitlicher Normen zurückzuführen ist (Art. 7 lit. d),234 dass der Fehler nach dem Stand von Wissenschaft und Technik zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens nicht erkannt werden konnte (Art. 7 lit. e)235 oder wenn der Hersteller eines Teilproduktes nachweist, dass der Fehler durch die Konstruktion des Hauptproduktes oder durch Anleitungen des Herstellers des Hauptproduktes verursacht worden ist (Art. 7 lit. f).236 Vor allem die Entlastungsmöglichkeit für Konstruktionsfehler eines Produkts237 im Fall der Nichterkennbarkeit des Fehlers nach dem Stand von Wissenschaft und Technik zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens (Art. 7 lit. e RL 85/374), aber auch die Feststellung des Produktfehlers (Art. 6 RL 85/374) bei Konstruktions- und Instruktionsfehlern anhand eines Rückgriffs auf verhaltensbezogene Sorgfaltspflichten238 hat eine lebhafte Diskussion im Schrifttum Zur Anwendung dieser Norm Vierter Bericht über die Anwendung der Richtlinie 85/374/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte KOM(2011) 574 S. 9. 235 EuGH 29.5.1997, Rs. C-300/95, Slg. 1997, I-2649 Rn. 29 – Kommission/Vereinigtes Königreich: der vorhandene Fehler darf „nach dem objektiven Stand der Wissenschaft und Technik – der den höchsten Stand einschließt – zu dem Zeitpunkt, zu dem er das betreffende Produkt in Verkehr brachte, nicht erkannt werden“ können; allerdings müssen die relevanten wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse „zugänglich gewesen sein“. Gegen eine Ausnahme für Entwicklungsschäden noch Art. 1 Abs. 2 des ursprünglichen Kommissionsvorschlags, ABl.C 241 vom 14.10.1976, S. 11 mit Erläuterung im Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 14 Ziffer 2; unentschieden die Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses, ABl. C 114 vom 7.5.79, S. 17 Ziffer 1.2.1; für eine entsprechende Ausnahme die Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments, ABl. C 127 vom 21.5.1979, S. 61, 62, Änderung von Art. 1 Abs. 2 und Einfügung eines neuen Art. 1a (Verpflichtung zur rechtzeitigen und angemessenen Unterrichtung der Öffentlichkeit bei möglicher Kenntnis vom Produktfehler). Zur uneinheitlichen Anwendung des Art. 7 lit. e RL 85/374 in den Mitgliedstaaten Vierter Bericht über die Anwendung der Richtlinie 85/374/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte KOM(2011) 547 S. 9 f. 236 Eine entsprechende Ausnahme fand sich im ursprünglichen Kommissionsvorschlag nicht, weil die Haftungsbegrenzung auf denjenigen von mehreren Herstellern von Teilprodukten, „dessen Fabrikat fehlerhaft war“, als „selbstverständlich“ angesehen wurde, Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 15 Ziffer 7. 237 Art. 7 lit. e RL 85/374 [§ 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG] ist auf Konstruktionsfehler beschränkt und findet auf Fabrikationsfehler keine Anwendung, BGH 9.5.1995, VI ZR 158/ 94, NJW 1995, 2162 Rn. 17 (juris) m. w. N. 238 Dazu Simitis FS Duden (1977) 605, 625: „Formulierungen wie ‚man‘ und ‚Fehler‘ öffnen dem Verschuldensgrundsatz Hintertüren“; Brüggemeier ZHR 152 (1988) 511, 517: „Produktbezogen ist in den USA bis heute ausschließlich die […] Haftung des Herstellers für objektive Fabrikationsfehler. Die Haftung für Konstruktions- und Instruktionsfehler ist verhaltensbezogene (objektive) Fahrlässigkeitshaftung. Die Haftung für Entwicklungsrisiken ist dagegen weder produkt- noch (fehl-)verhaltensbezogen, sondern bedeutet Prozeß-/ Aktivitätsverantwortung.“; ders. Prinzipien des Haftungsrecht (1999) S. 79: „Teilweise hat 234
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§ 7 Produkthaftung
über die Frage entfacht, ob das Produkthaftungsrecht nicht insbesondere bei den Konstruktions- und Instruktionsfehlern auf die „Ebene der verhaltensbezogenen Sorgfaltspflichten“ wechsele und damit als „Kombination aus Elementen der Verschuldens- und der strikten Haftung“ erscheine, wobei die Verschuldenshaftung klar dominiert“.239 Während wohl die Mehrheit der Autoren der Richtlinie deshalb eine „Kombination aus Elementen der Verschuldens- und der strikten Haftung“,240 ein „Mischsystem aus Haftung für Verhaltensunrecht und Gefahr“241 oder einen „quasi-objektiven Hybridcharakter“242 attestiert, halten andere Stimmen an der Qualifikation als Gefähr-
man versucht, sie [die Produkthaftung] als Sonderfall einer objektiven Fehlerhaftung zu konzeptionalisieren. Dies scheitert jedoch daran, daß Produktfehler und Produzentenfehlverhalten sich nicht streng trennen lassen. Der Produktfehler ist m.a.W. nicht durchgängig objektivierbar: Der Fabrikationsfehler ist objektiv, Konstruktions- und Instruktionsfehler sind verhaltensbezogen“ […] „Der Produktfehler dient m.a.W. dazu, das spezifische Betriebsrisiko des Herstellers zu umschreiben“; Kötz FS Werner Lorenz (1991) 109, 112 ff.: Haftung für Fabrikationsfehler stehe vertraglicher Garantiehaftung nahe (113), während zur Feststellung von Konstruktions- und Instruktionsfehlern darauf abgestellt werde, was ein „sorgfältiger Hersteller […] vernünftigerweise hätte tun müssen“ (119); Schlechtriem ZEuS 2002, 15, 17. 239 G. Wagner in: MünchKommBGB V6 (2013) Einl ProdHaftG Rn. 15, 19; ähnlich bereits Brüggemeier ZHR 152 (1988) 511, 517; Kötz FS Werner Lorenz (1991) 109, 112 ff.; siehe auch Schlechtriem VersR 1986, 1033, 1035: „Für sogenannte Konstruktionsfehler dürfte die Haftung nach den Vorschriften der Richtlinie nicht über das geltende deutsche Recht hinausgehen“; W. Lorenz ZHR 51 (1987) 1, 14: „Eine verschuldensunabhängige Haftung für Konstruktionsfehler hat die Richtlinie also nicht gebracht“; Cahn ZIP 1990, 482, 483. Noch weitergehend von Bar FS Lange (1992) 373, 389, der selbst bei Fabrikationsfehlern eine Haftung für die Verletzung von Verhaltenspflichten sieht. 240 G. Wagner in: MünchKommBGB V6 (2013) Einl ProdHaftG Rn. 19. 241 Oechsler in: Staudinger §§ 826–829, ProdHaftG (2014) Einl zum ProdHaftG Rn. 27, 42: „Im Ergebnis ist das ProdHaftG nicht eindeutig einem bestimmten Haftungstyp zuzuordnen. Die Haftungsbegründung erfolgt vielmehr […] uneinheitlich: Soweit die Haftung aus Konstruktions-, Instruktions- und Entwicklungsfehlern begründet wird, stehen Verhaltensaspekte bei der Konkretisierung des Fehlerbegriffs bzw. bei der Entlastung von diesem [Art. 7 lit. e RL 85/374] im Vordergrund. Nach hier vertretener Auffassung besteht dann kein sachlicher Unterschied mehr zur echten Verschuldenshaftung. Dagegen knüpft das zentrale, § 1 Abs. 2 Nr. 2 [Art. 7 lit. b RL 85/374] zugrunde liegende Haftungsprinzip gerade nicht an Verhaltenselemente an: Der Hersteller haftet für alle Sicherheitsdefizite zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens, für die von ihm selbst ‚verschuldeten‘ ebenso wie für die von dritter Seite verursachten und durch ihn nicht kontrollierbaren.“ Ähnlich Schaub in: Weber u. a. (Hrsg.) Europäisierung des Privatrechts: Zwischenbilanz und Perspektiven – Jahrbuch junger Zivilrechtswissenschaftler 1997 (1998) 69, 82: „im Ergebnis der Verschuldenshaftung an[ge]nähert“. 242 Brüggemeier Prinzipien des Haftungsrecht (1999) S. 79; Le Tourneau Droit de la responsabilité et des contrats10 (2014) Rn. 8350: „responsabilités […] quasi objectives“, „responsabilité mixte“.
IV. Verschulden
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dungshaftung243 oder verschuldensunabhängige Haftung für objektives Verhaltensunrecht244 oder schlicht verschuldensunabhängiger Haftung245 fest. Manche ziehen auch eine Parallele zwischen dem Haftungsstandard der Produkthaftungsrichtlinie 85/374 und dem „hinreichend qualifizierten Verstoß“ im Sinne der Francovich-Doktrin.246 Nähert man sich dieser Kontroverse aus der Perspektive des Unionsrechts, so ist zunächst festzuhalten, dass die Richtlinie nach der Konzeption des Unionsgesetzgebers zumindest verbatim von einem Grundsatz einer verschuldensunabhängigen Haftung ausgeht (Erwägungsgrund 2 RL 85/374).247 Soweit die Befürworter eines Mischsystems auf die Nähe zur Sorgfaltspflichtverletzung bei Konstruktionsfehlern infolge der Definition des Produktfehlers (Art. 6 RL 85/374) und der Entlastungsmöglichkeit wegen Nichterkennbarkeit des Fehlers nach dem Stand von Wissenschaft und Technik zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens (Art. 7 lit. e RL 85/374) verweisen, ist ihnen zuzugeben, dass darin in der Tat eine Annäherung an die verschuldensabhängige Produzentenhaftung – zumindest in ihrer Gestalt im deutschen Recht – liegt. Auf der anderen Seite hat es der Gerichtshof zur Voraussetzung des Entlastungsbeweises nach Art. 7 lit. e RL 85/374 gemacht, 243 So insbesondere Taschner NJW 1986, 611, 612: „Grundsatz der Gefährdungshaftung“ durch Art. 1 RL 85/374 „festgelegt“; zuletzt Taschner ZEuS 2002, 145, 149: „der Begriff verschuldensunabhängige Haftung ist der richtige“; auch Hollmann DB 1985, 2389: „reine Gefährdungshaftung“; ferner (zum Richtlinienentwurf der Kommission) Lukes Reform der Produkthaftung (1979) S. 92: „zur Kausalhaftung erweiterte Gefährdungshaftung“; Rolland Produkthaftungsrecht (1990) § 1 ProdHaftG Rn. 7 f. Gegen diese Bezeichnung als Gefährdungshaftung wird vorgebracht, dass das Inverkehrbringen unsicherer Produkte keine „erlaubte Tätigkeit“ ist, an die die Gefährdungshaftung aber typischerweise (vgl. BGH 27.1.1981, VI ZR 204/79, BGHZ 79, 259, 262) anknüpft, vgl. Fn. 262 und statt vieler von Bar FS Lange (1992) 373, 387 f. 244 Schmidt-Salzer in: Schmidt-Salzer/Hollmann Kommentar EG-Richtlinie Produkthaftung I (1986) Art. 1 Rn. 16: „Unrechtstatbestand, der kein Verschulden voraussetzt, sondern verschuldensunabhängig ist“. Noch weitergehend offenbar Simitis FS Duden (1977) 605, 626, demzufolge der Produzent unabhängig von einem Produktfehler „sämtliche Schäden auszugleichen [hat], die seine Produkte verursachen, vorausgesetzt, sie sind bestimmungsgemäß verwendet worden“. 245 Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak 8.9.2009, Rs. C-358/08, Slg. 2009, I-11305 Rn. 48 Fn. 17 – Aventis Pasteur: „In dieser Debatte wird allerdings meist übersehen, dass mit der Richtlinie 85/374 eine gemeinschaftsrechtliche Haftungsregelung eingeführt worden ist, worauf die für das nationale Recht entwickelten Haftungsbegriffe nicht ohne Weiteres angewendet werden können. Weil nach Wortlaut, Zweck und Systematik der Richtlinie 85/374 Verschulden eben nicht Haftungsvoraussetzung ist, ist die darin normierte Haftung gemeinschaftsrechtlich als verschuldensunabhängige Haftung einzuordnen.“ 246 So der Ansatz von N. Reich in: Liber Amicorum Guido Alpa: Private Law Beyond the National Systems (2007) 846, 850 ff. 247 So auch die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak 8.9.2009, Rs. C-358/08, Slg. 2009, I-11305 Rn. 48 Fn. 17 – Aventis Pasteur.
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§ 7 Produkthaftung
„daß der vorhandene Fehler [vom Hersteller] nach dem objektiven Stand der Wissenschaft und Technik – der den höchsten Stand einschließt – zu dem Zeitpunkt, zu dem er das betreffende Produkt in den Verkehr brachte, nicht erkannt werden konnte“, wobei „die relevanten wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse […] zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des betreffenden Produkts zugänglich gewesen“ sein müssen.248
Es genügt damit offenbar nicht, dass der Entlastungsbeweis anhand der „subjektiven Kenntnisse eines – im Hinblick auf die in dem betreffenden Industriesektor üblichen Vorsichtsmaßnahmen – normal sorgfältigen Herstellers“ beurteilt wird,249 vielmehr ist der „höchste Stand“ maßgeblich. Die Orientierung nicht am „normal sorgfältigen“ Hersteller, sondern am „höchsten Stand“ könnte man – ebenso wie die generell enge Auslegung der Entlastungstatbestände des Art. 7 RL 85/374250 und die hohen Anforderungen an ihren Nachweis251 – als Hinweis verstehen, dass im Rahmen der Entlastungsvorschrift des Art. 7 RL 85/374 höhere Maßstäbe als für die traditionelle fahrlässigkeitstypische Sorgfaltspflichtverletzung gelten. Auf der anderen Seite hat der BGH für das deutsche Recht die Maßstäbe der deliktischen Produzentenhaftung mit denen des Produkthaftungsrechts gleichgesetzt,252 so dass zumindest für das deutsche Recht insofern ein Gleichlauf von verschuldensabhängiger und verschuldensunabhängiger Haftung erreicht ist.
248 EuGH 29.5.1997, Rs. C-300/95, Slg. 1997, I-2649 Rn. 29 – Kommission/Vereinigtes Königreich. 249 Die Kommission sah in einem solchen Maßstab einen Richtlinienverstoß. Der EuGH wies dies mit dem Argument zurück, dass die Kommission einen solchen Maßstab im nationalen Recht und damit eine fehlerhafte Umsetzung nicht dargetan habe, EuGH 29.5.1997, Rs. C-300/95, Slg. 1997, I-2649 Rn. 32 ff. – Kommission/Vereinigtes Königreich. 250 EuGH 10.5.2001, Rs. C-203/99, Slg. 2001, I-3569 Rn. 15 – Veedfald; EuGH 9.2.2006, Rs. C-127/04, Slg. 2006, I-1313 Rn. 25 – O’Byrne. 251 Neben den Entlastungsgründen regelt die Richtlinie auch die Beweislast und das Beweismaß für den Entlastungsnachweis. Danach setzt der Entlastungsbeweis „ein hohes, die Überzeugung des Richters bildendes Maß an Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen der zu beweisenden Tatsache entsprechend der allgemeinen Lebenserfahrung“ voraus, wobei im Rahmen der Wahrscheinlichkeit die Art des Fehlers, die Natur der fehlerhaften Sache und der Zeitablauf seit Inverkehrbringen „als objektive Kriterien besonders berücksichtigt“ werden sollen, Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 16 Ziffer 14; siehe auch die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 8.9.2009, Rs. C-358/08, Slg. 2009, I-11305 Rn. 107 – Aventis Pasteur. Für einen verbleibenden Ermessensspielraum der mitgliedstaatlichen Gerichte, „an Sicherheit grenzende Vermutungen bei der Urteilsfindung zu berücksichtigen“ auch die Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses, ABl. C 114 vom 7.5.79, S. 17, Ziffer 2.4.1. 252 BGH 16.6.2009, VI ZR 107/08, NJW 2009, 2952 Rn. 28: „Der im Rahmen der deliktischen Produkthaftung relevante Maßstab für die objektiv zu bestimmende Erkennbarkeit des Fehlers und damit für die objektive Pflichtwidrigkeit unterscheidet sich insoweit nicht vom Maßstab des § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG [Art. 7 lit. e RL 85/374].“
IV. Verschulden
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Berücksichtigt man sodann das zweite Argument für eine Annäherung an die Verschuldenshaftung, die Definition des Produktfehlers, so ist unionsrechtlicher Ausgangspunkt Art. 6 Abs. 1 RL 85/374. Nach dieser Vorschrift ist ein Produkt fehlerhaft, „wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere a) der Darbietung des Produkts, b) des Gebrauchs des Produkts, mit dem billigerweise gerechnet werden kann, und c) des Zeitpunkts, zu dem das Produkt in den Verkehr gebracht wurde, zu erwarten berechtigt ist“.
Art. 6 Abs. 2 RL 85/374 ergänzt, dass ein Produkt nicht allein deshalb als fehlerhaft angesehen werden kann, weil später ein verbessertes Produkt in den Verkehr gebracht wurde.253 Erwägungsgrund 6 RL 85/374 ergänzt weiter, dass zum Schutz des Verbrauchers in seiner körperlichen Unversehrtheit und seinem Eigentum „zur Bestimmung der Fehlerhaftigkeit eines Produkts nicht auf dessen mangelnde Gebrauchsfähigkeit, sondern auf einen Mangel an Sicherheit abzustellen [ist], die von der Allgemeinheit254 berechtigterweise erwartet werden kann“.
Zu dieser Vorschrift, die im Kern auf den ursprünglichen Richtlinienvorschlag zurückgeht,255 stellt die Kommissionsbegründung im Wesentlichen fest, dass das Maß an Sicherheit „in jedem einzelnen Fall den Umständen gemäß nach objektiven Kriterien zu entscheiden“ ist, wobei die subjektiv begründete Schadensgeneigtheit eines Konsumenten nur dann relevant ist, wenn der Hersteller einen Hinweis auf allgemein bekannte Risiken unterlassen hat.256 Während sich ein solcher objektiver Maßstab bei Fabrikationsfehlern relativ leicht ausmachen lässt (nämlich der vom Hersteller selbst gesetzte Standard, von denen das fabrikationsfehlerhaft erzeugte Produkt abweicht), wird vor allem für Konstruktionsfehler diskutiert, auf die Perspektive eines „pflichtgemäß handelnden Herstellers“ abzustellen257 und damit die Produkthaftung der Produzentenhaftung anzunähern. Auch dies hat die deutsche 253 Eine Art. 6 Abs. 2 Satz 1 RL 85/374 entsprechende Formulierung fand sich bereits in der Begründung des ursprünglichen Richtlinienvorschlags, Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, Ziffer 13, S. 16. Dort wurde auch bereits auf den maßgeblichen Zeitpunkt des Inverkehrbringens (heute Art. 6 Abs. 1 lit. c RL 85/374) hingewiesen. 254 Präziser: von dem im konkreten Fall vom Produkt allgemein angesprochenen Personenkreis erwartet werden kann, Kullmann ProdHaftG6 (2010) § 3 ProdHaftG Rn. 6. 255 Dort hieß es in Art. 4 lediglich: „Eine Sache ist fehlerhaft, wenn sie für Personen und Sachen nicht die Sicherheit bietet, die man zu erwarten berechtigt ist“, Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 9. Zur Anknüpfung an den ursprünglichen Richtlinienvorschlag auch Schmidt-Salzer in: Schmidt-Salzer/Hollmann Kommentar EG-Richtlinie Produkthaftung I (1986) Art. 6 Rn. 43. 256 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, Ziffer 13, S. 16. 257 Etwa Kötz FS Werner Lorenz (1991) 109, 112 ff., 119; gegen den Maßstab des „pflichtgemäß handelnden Herstellers“ Kullmann ProdHaftG6 (2010) § 3 ProdHaftG Rn. 16.
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Rechtsprechung inzwischen für die nach Art. 6 Abs. 1 RL 85/374 (§ 3 ProdHaftG) maßgeblichen Sicherheitserwartungen nachvollzogen, die sich „grundsätzlich nach denselben objektiven Maßstäben wie die Verkehrspflichten des Herstellers im Rahmen der deliktischen Haftung gemäß § 823 Abs. 1 BGB“ beurteilen,258 so dass es auch insofern zu einer Kongruenz von verschuldensabhängiger und verschuldensunabhängiger Haftung kommt. Ähnliches dürfte für die Haftung für Instruktionsfehler gelten (vgl. Art. 6 Abs. 1 RL 85/374: „Darbietung“), die an die Verletzung von Verhaltenspflichten des Herstellers anknüpft.259 Die Annäherung zwischen verschuldensunabhängiger und verschuldensabhängiger Haftung über den Begriff des Produktfehlers zeigt sich besonders anschaulich auch in den Parallelen zwischen der Definition des Produktfehlers in Art. 6 RL 85/374 und den Kriterien des Verschuldens im – gescheiterten – Entwurf für eine verschuldensabhängige Dienstleistungshaftung.260 Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass die als verschuldensunabhängige Haftung konstruierte Produkthaftungsrichtlinie zumindest für Konstruktionsfehler deutliche Parallelen zur verschuldensabhängigen Produzentenhaftung nach deutschem Recht aufweist. Indes sind diese Parallelen nicht durch das Unionsrecht vorgegeben,261 sondern beruhen auf einer Parallelisierung der beiden Haftungsordnungen durch die Rechtsprechung der nationalen (deutschen) Gerichte. Deshalb lässt sich die Produkthaftungsrichtlinie aus der Perspektive des Unionsrechts als ein System der verschuldensunabhängigen Haftung262 mit besonderen (vertypten) Entlastungstatbeständen begreifen, von 258 BGH 17.3.2009, VI ZR 176/08, NJW 2009, 1669 Rn. 6 – Kirschtaler; allgemein zum Sicherheitsmaßstab bei Konstruktionsfehlern auch BGH 5.2.2013, VI ZR 1/12, NJW 2013, 1302 Rn. 13 – Heißwasser-Untertischgerät. 259 Kötz FS Werner Lorenz (1991) 109, 119; von Bar FS Lange (1992) 373, 389. 260 Nach Art. 6 Abs. 1 RL 85/374 liegt ein Produktfehler vor, wenn ein Produkt „nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände […] zu erwarten berechtigt ist“. Art. 6 Abs. 2 RL 85/374 ergänzt, dass ein Produkt nicht allein deshalb als fehlerhaft angesehen werden kann, weil später ein verbessertes Produkt in den Verkehr gebracht wurde. Gemäß Art. 1 Abs. 3 des Vorschlags für eine Richtlinie über die Haftung bei Dienstleistungen KOM(90) 482 S. 8 ist „[b]ei der Beurteilung des Verschuldens […] zu berücksichtigen, ob das Verhalten des Dienstleistenden unter normalen und vorhersehbaren Bedingungen die Sicherheit gewährleistet, die berechtigterweise erwartet werden kann.“ Nach Art. 1 Abs. 4 dieses Vorschlags begründet „[d]ie Tatsache allein, daß es zum Zeitpunkt der Erbringung der Dienstleistung oder danach eine bessere Dienstleistung gab oder die Möglichkeit dazu bestand, […] kein Verschulden.“ Zu diesen Parallelen von Bar FS Lange (1992) 373, 383 f.; Schlechtriem ZEuS 2002, 15, 17. 261 Siehe die Differenzierung zwischen dem „höchsten“ Stand und dem normal sorgfältigen Hersteller in Fn. 248 und 249. 262 Um eine Gefährdungshaftung handelt es sich nicht, denn es fehlt an einer Haftung für rechtmäßiges Verhalten. Wie sich insbesondere aus Art. 3 Abs. 1 der Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95 („Die Hersteller dürfen nur sichere Produkte in Verkehr bringen“) folgern lässt, ist das Inverkehrbringen fehlerhafter Produkte – auch wenn die produkthaf-
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denen die Ausnahme für Entwicklungsrisiken und der Fehlerbegriff bei Konstruktionsfehlern eine Nähe zur traditionellen deliktischen Verschuldenshaftung aufweisen. Abschließend sei noch bemerkt, dass die praktische Bedeutung der begrifflichen Auseinandersetzung beschränkt sein dürfte,263 auch wenn sie offenbar auch in anderen Mitgliedstaaten außer in Deutschland diskutiert wird.264 V. Schadensbegriff und Schadensumfang
V. Schadensbegriff und Schadensumfang
Der Schaden stellt neben dem Produktfehler und dem ursächlichen Zusammenhang zwischen Fehler und Schaden die dritte Säule des Haftungssystems der RL 85/374 dar. Zum Schaden findet sich eine Regelung in Art. 9 RL 85/374 und Erwägungsgrund 9: „Der Begriff ‚Schaden‘ im Sinne des Artikels 1 umfasst a) den durch Tod und Körperverletzungen verursachten Schaden; b) die Beschädigung oder Zerstörung einer anderen Sache als des fehlerhaften Produktes – bei einer Selbstbeteiligung von 500 ECU –, sofern diese Sache i) von einer Art ist, wie sie gewöhnlich für den privaten Ge- oder Verbrauch bestimmt ist, und ii) von dem Geschädigten hauptsächlich zum privaten Ge- oder Verbrauch verwendet worden ist. Dieser Artikel berührt nicht die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend immaterielle Schäden. Erwägungsgrund (9): Der Schutz des Verbrauchers erfordert die Wiedergutmachung von Schäden, die durch Tod und Körperverletzungen verursacht wurden, sowie die Wiedergutmachung von Sachschäden. Letztere ist jedoch auf Gegenstände des privaten Getungsrechtliche und die produktsicherheitsrechtliche Perspektive nicht immer kongruent sein mögen – auch aus Sicht des Unionsrechts unzulässig. Pointiert Taschner ZEuS 2002, 145, 149: „Plagen wir uns auch nicht mit dem Erfordernis der Rechtswidrigkeit. […] Art. 1 der Richtlinie kennt den Begriff nicht. […] Also ist die Diskussion über die Rechtswidrigkeit im Rahmen der Richtlinie obsolet.“ 263 Aus richterlicher Sicht Kullmann ProdHaftG6 (2010) § 1 ProdHaftG Rn. 26 Fn. 35: „Ob diese Haftung als Gefährdungshaftung zu qualifizieren ist […] oder als Unrechtshaftung […] bzw. als Haftung für sorgfaltswidriges Verhalten ist für die Praxis ohne große Bedeutung“ (mit Hinweis auf den Unterlassungsanspruch und die internationalprivatrechtliche Anknüpfung); ferner Schiemann in: Erman, BGB II14 (2014) Vorbemerkung ProdHaftG Rn. 2. Oechsler in: Staudinger §§ 826–829, ProdHaftG (2014) Einl zum ProdHaftG Rn. 28 verweist darauf, dass die Konzeption der Gefährdungshaftung von einer Haftung für grundsätzlich erlaubtes Verhalten ausgeht, so dass Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche im Hinblick auf das Inverkehrbringen ausscheiden müssten. 264 Siehe die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak 8.9.2009, Rs. C-358/08, Slg. 2009, I-11305 Rn. 48 Fn. 17 – Aventis Pasteur; aus Perspektive anderer Rechtsordnungen Le Tourneau Droit de la responsabilité et des contrats10 (2014) Rn. 8350: „responsabilités sont quasi objectives“, „responsabilité mixte“ (mit Abgrenzung zur „responsabilité de plein droit“); Wuyts Tijdschrift voor Belgisch Burgerlijk Recht 2008, 3, 7: „objectieve aansprakelijkheid met eerbiedigend karakter“.
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bzw. Verbrauchs zu beschränken und zur Vermeidung einer allzu großen Zahl von Streitfällen um eine Selbstbeteiligung in fester Höhe zu vermindern. Die Richtlinie berührt nicht die Gewährung von Schmerzensgeld und die Wiedergutmachung anderer seelischer Schäden, die gegebenenfalls nach dem im Einzelfall anwendbaren Recht vorgesehen sind.“
1. Europäischer oder nationaler Schadensbegriff? Trotz der vergleichsweise detaillierten Regelung in Art. 9 RL 85/374 ist bis heute umstritten, ob Art. 9 eine europäische Definition des Schadensbegriffs vorgibt265 oder ob es sich um eine bloße europäische Teilfestlegung einzelner Schadenspositionen mit einem Verweis auf den Schadensbegriff des nationalen Rechts im Übrigen handelt.266 Diese Kontroverse zieht sich bereits durch die Materialien. Während die Kommissionsbegründung einigermaßen ausführlich zum Schadensbegriff Stellung nimmt und offenbar – ähnlich wie in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen – nur den nationalen Gerichten, nicht aber den nationalen Gesetzgebern einen Spielraum zur Schadensfeststellung im Einzelfall eröffnen möchte,267 ging der Wirtschafts- und Sozialaus265 Für einen europäisch-autonomen Schadensbegriff, soweit die Richtlinie nicht selbst auf nationales Recht verweist (z. B. für den Regress in Art. 5 und Art. 8 Abs. 1 RL 85/374) Sack VersR 1988, 439, 439 f.; Magnus JZ 1990, 1100, 1103; Wolf FS Lange (1992) 779, 786 f.; Schaub ZEuP 2011, 41, 55; Rösler Europäische Gerichtsbarkeit auf dem Gebiet des Zivilrechts (2012) S. 451: „Selbstverständlich ist es Aufgabe des EuGH, Systembegriffe wie z. B. Verbraucher, Unternehmer und Schaden zu definieren.“ Aus der Perspektive der Entstehungsgeschichte Lindemeyer WRP 1975, 712, 714. 266 Krämer EWG-Verbraucherrecht (1985) S. 318; Whittaker Yearbook of European Law 5 (1985) 233, 273; Brüggemeier/Reich WM 1986, 149, 151; Schlechtriem VersR 1986, 1033, 1041; Schmidt-Salzer BB 1986, 1103, 1104; Fagnart Cahiers de droit européen 23 (1987) 3, 14 f.; H. Koch ZHR 152 (1988) 537, 544; Bartl Produkthaftung nach neuem EG-Recht (1989) § 1 Rn. 35; Hohloch FS Keller (1989) 433, 438 f.; Anderle Der Haftungsumfang des harmonisierten Produkthaftungsrechts (1990) S. 43 f.; Rolland Produkthaftungsrecht (1990) § 1 ProdHaftG Rn. 23; Hodges Product Liability – European Laws and Practice (1993) Rn. 2–100; Taschner/Frietsch Produkthaftungsgesetz und Produkthaftungsrichtlinie2 (1990) Art. 9 Rn. 1 („Aufgabe unlösbar“); Franzen Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft (1999) S. 515; Hakenberg ZEuS 2002, 65, 69 (zur Veedfald-Entscheidung): „überwiegend den mitgliedstaatlichen Rechten überlassen bleibt, den Begriff näher zu definieren, während das Gemeinschaftsrecht in Art. 9 nur die verschiedenen Schadensarten festlegt“; Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 65 f.; Heiderhoff in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.) Zivilrecht unter europäischem Einfluss2 (2010) Kapitel 17 Rn. 26. Differenzierend Welser/Rabl Produkthaftungsgesetz2 (2004) § 1 Rn. 10: „Eine europarechtliche Bindung besteht für die geschützten Rechtsgüter, die Abgrenzung zwischen dem Schaden an dem Produkt und einer anderen Sache […] und für die Beschränkung des Ersatzes des Sachschadens auf ‚private Sachen‘. Steht fest, daß ein Körperschaden oder Sachschaden im Sinne der Richtlinie vorliegt, bestimmt die nationale Rechtsordnung den Umfang der Haftung.“ 267 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 17 Ziffer 21, siehe auch Ziffern 17–20 zu den Einzelpositionen des Schadensersatzes. Franzen Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft (1999) S. 513 interpretiert den Satz in
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schuss davon aus, dass „in der Richtlinie der Begriff des zu ersetzenden Schadens, wie er in den nationalen Rechtsordnungen gilt, nicht angetastet wird“.268 Fast ein Vierteljahrhundert später hat der Gerichtshof in der Entscheidung Veedfald mit kryptischen Bemerkungen zum Schadensbegriff269 überraschend wenig dazu beigetragen, diese Frage zu klären. In Veedfald ging es um den Schadensersatzanspruch für die Schäden an einer Spenderniere, die dem Bruder des Nierenkranken entnommen worden war und die vor der beabsichtigten Implantation in den Empfänger mit einer fehlerhaften Perfusionsflüssigkeit durchspült wurde, so dass die Niere nicht mehr für die Transplantation verwendbar war. Das dänische Gericht fragte den EuGH, ob die Beschädigung einer Spenderniere außerhalb des Körpers als ein durch „Tod oder Körperverletzungen verursachte[r] Schaden“ (Art. 9 lit. a RL 85/374) oder als eine „Beschädigung oder Zerstörung einer anderen Sache“ (Art. 9 lit. b RL 85/374) angesehen werden kann. In seiner Antwort stellte der Gerichtshof klar, dass es zwar den nationalen Gesetzgebern überlassen bleibe, die beiden Schadensarten des Art. 9 lit. a und b RL 85/374 näher zu definieren.270 Jedoch müsse – abgesehen vom immateriellen Schaden, dessen Ersatz sich ausschließlich nach dem Recht der Mitgliedstaaten richte – „für beide Schadensarten eine angemessene und vollständige Entschädigung der durch ein fehlerhaftes Produkt Geschädigten sichergestellt werden“.271 Ein Mitgliedstaat dürfe daher „die Arten des zu ersetzenden materiellen Schadens, der durch Tod oder Körperverletzungen verursacht wird oder sich aus der Beschädigung oder Zerstörung einer Sache ergibt, nicht einschränken“.272 Zudem folge aus der abschließenden Aufzählung der Schadensarten in Art. 9,
der Kommissionsbegründung, dass „diese Frage [wie weit der Schaden […] im Einzelfall zu ersetzen ist] auch nicht durch die Richtlinie geregelt [ist], sondern […] den einzelstaatlichen Rechtsprechungen überlassen [bleibt]“ demgegenüber als Verweisung auf das jeweils anwendbare innerstaatliche Recht. Wie hier als Verweis auf die Konkretisierung durch den nationalen Richter anhand europäisch-autonomer Maßstäbe und nicht auf den nationalen Gesetzgeber verstehen Lindemeyer WRP 1975, 712, 714 und Wolf FS Lange (1992) 779, 786 diesen Passus. 268 Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses, ABl. C 114 vom 7.5.79, S. 18, Ziffer 2.7.1. 269 So auch Hakenberg ZEuS 2002, 65, 69, die immerhin als Mitarbeiterin eines der Richter an der Entscheidung beteiligt war. 270 EuGH 10.5.2001, Rs. C-203/99, Slg. 2001, I-3569 Rn. 27 – Veedfald. 271 EuGH 10.5.2001, Rs. C-203/99, Slg. 2001, I-3569 Rn. 27 – Veedfald. 272 EuGH 10.5.2001, Rs. C-203/99, Slg. 2001, I-3569 Rn. 28 – Veedfald; siehe auch die Schlussanträge des Generalanwalts Colomer vom 14.12.2000, Rs. C-203/99, Slg. 2001, I-3569 Rn. 30 – Veedfald: „Folglich sind die Mitgliedstaaten […] an diese Definition des Schadensbegriffs gebunden und besitzen keinen Ermessensspielraum, um dessen Bedeutung zu ändern.“
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„dass das innerstaatliche Gericht nach der Richtlinie zu prüfen hat, unter welche Schadensart der Sachverhalt […] zu subsumieren ist, d. h., ob der entstandene Schaden unter Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a oder Buchstabe b der Richtlinie fällt, oder ob es sich um einen immateriellen Schaden handelt, der möglicherweise vom innerstaatlichen Recht erfasst wird. Es kann jedoch nicht jede Schadensersatzpflicht aufgrund der Richtlinie mit der Begründung verneinen, dass, obwohl die übrigen Haftungsvoraussetzungen erfüllt sind, der entstandene Schaden unter keine der genannten Schadensarten fällt.“273
Zentral für die Auslegung des Schadensbegriffs ist in Veedfald die Feststellung,274 dass sowohl für Personen- wie für Sachschäden (vorbehaltlich der zwingenden Selbstbeteiligung) 275 „eine angemessene und vollständige Entschädigung der durch ein fehlerhaftes Produkt Geschädigten sichergestellt werden“ muss, die Mitgliedstaaten also „die Arten des zu ersetzenden materiellen Schadens, der durch Tod oder Körperverletzungen verursacht wird oder sich aus der Beschädigung oder Zerstörung einer Sache ergibt, nicht einschränken“ dürfen, sofern es sich nicht um den durch Erwägungsgrund 9 Satz 3 RL 85/374 explizit dem mitgliedstaatlichen Recht vorbehaltenen Ersatz für immaterielle Schäden oder für Schäden an einer beruflich genutzten Sache276 handelt. Zur Begründung verweist der Gerichtshof auf die „praktische Wirksamkeit der Richtlinie“ und die Verpflichtung, „das nationale Recht im Licht des Wortlauts und des Zweckes der Richtlinie“ auszulegen, so dass das Prinzip der vollständigen Kompensation offenbar durch die Richtlinie vorgegeben wird.277 Im Rahmen dieser Vorgaben belässt der Gerichtshof den Mitgliedstaaten allerdings die Definitionshoheit über die Schadensarten („bleibt es dem nationalen Gesetzgeber überlassen, diese beiden Schadensarten näher zu definieren“,278 „ist die Bestimmung des genauen Inhalts der von Artikel 9 der Richtlinie erfassten Schadensarten zum Teil den nationalen Gesetzgebern überlassen“279). Der Grundsatz der praktischen Wirksamkeit (Effektivität) und das Gebot richtlinienkonformer Auslegung definieren damit offenbar nach Ansicht des Gerichtshofs (lediglich) die Mindestanforderungen 273 EuGH 10.5.2001, Rs. C-203/99, Slg. 2001, I-3569 Rn. 33 – Veedfald; siehe auch EuGH 25.4.2002, Rs. C-154/00, Slg. 2002, I-3879 Rn. 23 – Kommission/Griechenland. 274 EuGH 10.5.2001, Rs. C-203/99, Slg. 2001, I-3569 Rn. 27 f. – Veedfald. 275 Zum zwingenden Charakter der Selbstbeteiligung EuGH 25.4.2002, Rs. C-154/00, Slg. 2002, I-3879 Rn. 34 – Kommission/Griechenland. Der Zweck der Selbstbeteiligung, also die „Vermeidung einer übermäßigen Anzahl an Rechtsstreitigkeiten“ bei geringfügigen materiellen Schäden, stellt keine Beeinträchtigung des Rechts auf Zugang zu den Gerichten dar, EuGH 25.4.2002, Rs. C-52/00, Slg. 2002, I-3827 Rn. 29–31 – Kommission/ Französische Republik; EuGH 25.4.2002, Rs. C-154/00, Slg. 2002, I-3879 Rn. 29–31 – Kommission/Griechenland. 276 EuGH 4.6.2009, Rs. C-285/08, Slg. 2009, I-4733 Rn. 28 – Moteurs Leroy Somer. 277 EuGH 10.5.2001, Rs. C-203/99, Slg. 2001, I-3569 Rn. 28 – Veedfald. 278 EuGH 10.5.2001, Rs. C-203/99, Slg. 2001, I-3569 Rn. 27 – Veedfald. 279 EuGH 25.4.2002, Rs. C-154/00, Slg. 2002, I-3879 Rn. 23 – Kommission/Griechenland.
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an die im Übrigen dem nationalen Recht zu entnehmende Definition des Schadens, so dass es im Ergebnis zu einer Überblendung des nationalen Schadensbegriffs durch europäische Vorgaben in der Art eines halbautonomen Schadensbegriffs kommt.280 Dabei bleibt es den Mitgliedstaaten vorbehalten, die Schadenskategorien der Richtlinie auszufüllen, jedoch nur im Rahmen der Verpflichtung auf eine „angemessene und vollständige Entschädigung der durch ein fehlerhaftes Produkt Geschädigten“. Angesichts der durch die Produkthaftungsrichtlinie bezweckten Vollharmonisierung ist es wenig überzeugend, dass sich der EuGH in Veedfald nicht zu einer klareren Aussage zugunsten eines europäisch-autonomen Schadensbegriffs durchringen konnte, zumal nach seiner eigenen Rechtsprechung jede Bestimmung des europäischen Rechts, „die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Gemeinschaft autonom und einheitlich auszulegen sind“.281 Zwar trifft es zu, dass auch nationale Rechtsordnungen gerade auf dem Gebiet des Schadensrechts ihren Gerichten und insbesondere den Tatsacheninstanzen einigen Spielraum belassen, um im Einzelfall den Schaden zu bestimmen. Indes ist ein Entscheidungsspielraum für die Tatsacheninstanzen, wie er auch in der ursprünglichen Kommissionsbegründung angelegt ist, mit einem europäisch-autonomen Schadensbegriff nicht unvereinbar. Vielmehr findet sich in der Rechtsprechung des EuGH zur Aufgabenteilung zwischen Gerichtshof und nationalen Gerichten ein Modell, das auch für das Schadensrecht mobilisiert werden könnte. Nach diesem Modell obliegt dem Gerichtshof die Definition allgemeiner Leitlinien zur Auslegung der autonomen Begriffe der Richtlinien, eine Konkretisierungskompetenz der nationalen Gesetzgeber ist nicht anzuerkennen.282 Dieses Modell lässt sich – Einen teilweise unionsrechtlich determinierten Schadensbegriff leiten aus Veedfald auch Hakenberg ZEuS 2002, 65, 69 und Welser/Rabl Produkthaftungsgesetz2 (2004) § 1 Rn. 10 ab: „Eine europarechtliche Bindung besteht für die geschützten Rechtsgüter, die Abgrenzung zwischen dem Schaden an dem Produkt und einer anderen Sache […] und für die Beschränkung des Ersatzes des Sachschadens auf ‚private Sachen‘. Steht fest, daß ein Körperschaden oder Sachschaden im Sinne der Richtlinie vorliegt, bestimmt die nationale Rechtsordnung den Umfang der Haftung.“ Heiderhoff in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.) Zivilrecht unter europäischem Einfluss2 (2010) Kapitel 17 Rn. 26 deutet die VeedfaldEntscheidung als Indiz für einen europäischen Schadensbegriff in der Produkthaftungsrichtlinie (hält indes selbst einen nationalen Begriff für vorzugswürdig). 281 Nachweise bereits in Teil 1 – Fn. 368. Im deliktsrechtlichen Kontext Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano vom 20.9.2001, Rs. C-168/00, Slg. 2002, I-2631 Rn. 25 – Leitner. 282 Für eine umfassende Konkretisierungskompetenz des EuGH Röthel Normkonkretisierung im Privatrecht (2004) S. 407; Basedow AcP 210 (2010) 157, 173; Rösler Europäische Gerichtsbarkeit auf dem Gebiet des Zivilrechts (2012) S. 451 ff.; Stempel Treu und Glauben im Unionsprivatrecht (2016) S. 168: „Der EuGH bestimmt letztverbindlich darüber, welchen Klauselinhalt die Generalklausel verbietet. Das nationale Gericht hat dann als Tatfrage zu 280
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mit mehr oder weniger konkreter Definition der unionsrechtlichen Leitlinien durch den Gerichtshof – auch auf anderen Rechtsgebieten erblicken, wo der Gerichtshof die Einzelfragen zur Missbräuchlichkeitskontrolle von Vertragsklauseln nach der Richtlinie 93/13283 oder die Abwägung widerstreitender Grundrechtspositionen bei Auskunftsansprüchen im Urheberrecht284 an die nationalen Gerichte zurückdelegiert hat, so dass es zur Herausbildung von halbautonomen Rechtsbegriffen kam. Auch wenn es der Gerichtshof in der Judikatur zur Klauselrichtlinie und zur Grundrechtsabwägung mit der Rückdelegation übertrieben hat, so erscheint der grundsätzliche Gedanke einer Aufgabenteilung zwischen Gerichtshof (Definition allgemeiner Leitlinien) und nationalen Gerichten (Tatsachenfeststellung285 und Subsumtion im Einzelfall286) gerade für das Schadensersatzrecht sinnvoll, so dass Einzelfragen wie die Bemessung der Höhe des Schmerzensgelds anhand der vom Gerichtshof definierten Leitlinien den nationalen Gerichten obliegen, mit der gewünschten Folge, dass der EuGH von der befürchteten Vorlageflut freigehalten wird. Auf diesem Weg gelangt man zu einer Arbeitsteilung zwischen beurteilen, ob die ihm vorliegenden Klausel so zu verstehen ist, dass sie tatsächlich einen verbotenen Inhalt hat oder nicht.“ A. A. W.-H. Roth FS Drobnig (1998), 135, 140 ff.; zum Schadensbegriff der Pauschalreiserichtlinie 90/314 ders. CMLR 40 (2003) 937, 947 ff.; differenzierend Schillig Konkretisierungskompetenz und Konkretisierungsmethoden im Europäischen Privatrecht (2009) S. 244 f. (nach Rechtsgrundlage und Zielsetzung des jeweiligen Rechtsakts); Schmidt Konkretisierung von Generalklauseln im europäischen Privatrecht (2009) S. 62 (bei Verordnungen umfassende Konkretisierungskompetenz des EuGH, bei Richtlinie allgemeingültige Kompetenzzuweisung nicht möglich); Martens Methodenlehre des Unionsrechts (2013) S. 518 (maßgeblich, „inwieweit bei der Konkretisierung [der Generalklausel bereits] auf Wertungen des Unionsrechts zurückgegriffen werden kann“). 283 EuGH 1.4.2004, Rs. C-237/02, Slg. 2004, I-3403 Rn. 22 – Freiburger Kommunalbauten; EuGH 16.11.2010, Rs. C-76/10, Slg. 2010, I-11557 Rn. 56, 60 – Pohotovosť; EuGH 14.3.2013, Rs. C-415/11, ECLI:EU:C:2013:164 Rn. 66 – Aziz: „Nach ständiger Rechtsprechung erstreckt sich die Zuständigkeit des Gerichtshofs auf die Auslegung des Begriffs ‚missbräuchliche Klausel‘ in Art. 3 Abs. 1 und im Anhang der Richtlinie sowie auf die Kriterien, die das nationale Gericht bei der Prüfung einer Vertragsklausel im Hinblick auf die Bestimmungen der Richtlinie anwenden darf oder muss, wobei es Sache des nationalen Gerichts ist, unter Berücksichtigung dieser Kriterien über die konkrete Bewertung einer bestimmten Vertragsklausel anhand der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden. Infolgedessen muss sich der Gerichtshof darauf beschränken, dem vorlegenden Gericht Hinweise an die Hand zu geben, die dieses bei der Beurteilung der Missbräuchlichkeit der betreffenden Klausel zu beachten hat“; siehe aber auch die deutlicheren Hinweise in EuGH 14.3.2013, Rs. C-415/11, ECLI:EU:C:2013:164 Rn. 67 ff. – Aziz. 284 EuGH (Große Kammer) 29.1.2008, Rs. C-275/06, Slg. 2008, I-271 Rn. 68 – Promusicae. 285 Vgl. EuGH (Große Kammer) 18.6.2009, Rs. C-487/07, Slg. 2009, I-5185 Rn. 33 – L’Oréal; EuGH 25.4.2013, Rs. C-81/12, ECLI:EU:C:2013:275 Rn. 41 – Accept. 286 Vgl. EuGH 18.11.2010, Rs. C-159/09, Slg. 2011, I-11761 Rn. 33 – Lidl SNC; EuGH 12.5.2011, Rs. C-122/10, Slg. 2011, I-3903 Rn. 48, 58, 70 f. – Ving Sverige; siehe bereits EuGH 27.3.1963, Rs. 28/62 bis 30/62, Slg. 1963, 63, 81 – da Costa.
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dem EuGH und den nationalen Gerichten, ohne zugleich den nationalen Gesetzgebern einen Konkretisierungsspielraum zu eröffnen, der die Einheitlichkeit des Unionsrechts in Frage stellen würde. Mit Blick auf die Betonung des Grundsatzes autonomer Auslegung der Produkthaftungsrichtlinie in späteren Entscheidungen287 sollte die kryptische Veedfald-Entscheidung des Gerichtshofs – gerade auch vor dem Hintergrund der Vollharmonisierung – also so verstanden werden, dass der Schadensbegriff der Produkthaftungsrichtlinie ein europäisch-autonomer Begriff ist, dass aber die Konkretisierung im Einzelfall im Rahmen der vom Gerichtshof vorgesehenen europäischen Leitplanken Sache nationaler Instanzen (nationaler Gerichte) bleibt.288 Ein solches Verständnis lässt sich auch den Materialien entnehmen, die zwar zu einzelnen Schadenskategorien (Reparatur- und Wiederbeschaffungsaufwendungen) Stellung nehmen, andererseits aber betonen, dass sich die Frage, „[w]ie weit der Schaden auf der Grundlage dieser Grenzziehung [des Art. 9 RL 85/374] im Einzelfall zu ersetzen ist, […] bereits in den einzelstaatlichen Rechtsordnungen der Festlegung durch den Gesetzgeber [entzieht]“.289 Daher sei „diese Frage auch nicht durch die Richtlinie geregelt, sondern bleibt den einzelstaatlichen Rechtsprechungen überlassen“.290 Im Ergebnis sprechen die besseren Gründe also dafür, die Entscheidung Veedfald als erste Manifestation eines autonom-europäischen Schadensbegriffs anzusehen, wobei sich die Rückdelegation zur Abgrenzung einzelner Schadensarten und zur Konkretisierung des Schadensbegriffs nicht auf die nationalen Gesetzgeber, sondern auf die nationalen Gerichte bezieht, die im Lichte der autonomen und vom EuGH zu klärenden Grundlinien des Schadensbegriffs im Einzelfall über die ersatzfähigen Positionen zu entscheiden haben. 2. Naturalrestitution und Schadenskompensation Die Richtlinie verpflichtet den Hersteller des mangelhaften Produkts zwar zur (angemessenen und vollständigen) „Wiedergutmachung von Schäden“ (Er287 Siehe etwa EuGH (Große Kammer) 10.1.2006, Rs. C-402/03, Slg. 2006, I-199 Rn. 26 – Skov und Bilka: „Die Begriffe „Schaden“, „Fehler“ und „Produkt“ sind in den Artikeln 9, 6 bzw. 2 der Richtlinie definiert“; EuGH 4.6.2009, Rs. C-285/08, Slg. 2009, I-4733 Rn. 20 – Moteurs Leroy Somer: „Es trifft zu, dass der Gerichtshof entschieden hat, dass der Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten bei der Regelung der Haftung für fehlerhafte Produkte zur Gänze von der Richtlinie 85/374 selbst festgelegt wird und aus deren Wortlaut, Zweck und Systematik abzuleiten ist.“ 288 Ausdrücklich für eine entsprechende Handhabung des sich unmittelbar aus dem Unionsrecht ergebenden Staatshaftungsanspruch EuGH 14.3.2013, Rs. C-420/11, ECLI: EU:C:2013:166 Rn. 45 f. – Leth: „wobei es ebenfalls dem nationalen Gericht obliegt, entsprechend den vom Gerichtshof entwickelten Leitlinien zu überprüfen, ob dieser Kausalzusammenhang vorliegt“. 289 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 17 Ziffer 21. 290 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 17 Ziffer 21.
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wägungsgrund 9 RL 85/374), nimmt aber nicht ausdrücklich zu der Frage Stellung, ob Schadensersatz durch Naturalherstellung oder durch Schadenskompensation zu leisten ist. Es bleibt damit innerhalb der Vorgaben der Richtlinie den nationalen Gesetzgebern überlassen, die Form des Schadensersatzes zu bestimmen. Angesichts der Art der Schäden dürfte regelmäßig allein die monetäre Schadensersatzleistung in Betracht kommen, da die Richtlinie bei der Selbstbeteiligung für Sachschäden (Art. 9 lit. b RL 85/374) und den Höchstgrenzen für Körperschäden (Art. 16 Abs. 1 RL 85/374) die Grenzen in Geldsummen ausdrückt. Ob diese im Gewand von Naturalrestitution oder Schadenskompensation erfolgt, ist aus der Perspektive des Europarechts gleichgültig, solange der Ersatz der Kosten der Heilbehandlung und der Reparatur oder Wiederbeschaffung der (vom fehlerhaften Produkt verschiedenen) beschädigten oder zerstörten Sache gewährleistet ist.291 Auch unter Zugrundelegung eines rein kompensatorischen Schadensausgleichs lässt sich nämlich ein Ersatz der Reparaturaufwendungen anstelle der Wiederbeschaffungskosten rechtfertigen, sofern eine Ersatzbeschaffung dem Geschädigten nicht zumutbar ist.292 3. Schadensumfang Vorbehaltlich der explizit ausgenommenen immateriellen Schäden und des Selbstbehalts sowie des Ersatzes für beruflich genutzte Gegenstände zeichnet sich in der Rechtssache Veedfald ein umfassendes Verständnis des (materiellen) Schadensbegriffs ab („angemessene und vollständige Entschädigung der durch ein fehlerhaftes Produkt Geschädigten“)293, also ein Prinzip vollständiger und angemessener Entschädigung in den Grenzen des Schutzzwecks der Norm. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs umfasst der Schadensersatz „alles, was erforderlich ist, um die Schadensfolgen zu beseitigen und das Sicherheitsniveau wiederherzustellen, das man nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie zu erwarten berechtigt ist“.294 Dabei ist der Begriff des Schadens jedenfalls bei dem durch Tod und Körperverletzungen verursachten Schaden (Art. 9 Satz 1 lit. a RL 85/374) im Interesse der Sicherheit und Gesundheit
Für Indifferenz des Unionsrechts hinsichtlich der Frage einer Einmalzahlung oder Geldrente bei Vermögensfolge- und Drittschäden der Körperverletzung und Tötung auch Anderle Der Haftungsumfang des harmonisierten Produkthaftungsrechtes (1990) S. 63. 292 Jansen in: Historisch-kritischer Kommentar II/1 (2007) §§ 249–253, 255 Rn. 91 Fn. 639 mit Verweis auf Magnus in: Magnus (Hrsg.) Unification of Tort Law: Damages (2001) 185, 197, 199 f., 214 f. 293 EuGH 10.5.2001, Rs. C-203/99, Slg. 2001, I-3569 Rn. 27 – Veedfald; EuGH 5.3.2015, verb. Rs. C-503/13 und C-504/13, ECLI:EU:C:2015:148 Rn. 46 – Boston Scientific. 294 EuGH 5.3.2015, verb. Rs. C-503/13 und C-504/13, ECLI:EU:C:2015:148 Rn. 49 – Boston Scientific. 291
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der Verbraucher weit auszulegen295 und erfasst auch die Kosten für den Austausch des fehlerhaften Produkts, bei besonders sicherheitssensiblen Produkten (Herzschrittmachern) selbst dann, wenn nur ein Fehlerverdacht bestand.296 Für ein weites, umfassendes Verständnis des Schadensbegriffs in der Produkthaftungsrichtlinie spricht auch der Hinweis des Gerichtshofs, dass die Art. 1 und 9 der RL 85/374 die möglichen Schadensarten (Körperschaden, Sachschaden, immaterieller Schaden) abschließend aufzählen und die Richtlinie die nationalen Gerichte verpflichtet, eine Subsumtion unter eine dieser drei Schadenskategorien vorzunehmen.297 Gleichzeitig zeigt die Berücksichtigung der Harmonisierungsziele und Anwendungsbereichsausnahmen, dass das Prinzip vollständiger Kompensation durch die Schutzzwecke der Richtlinie gesteuert und begrenzt wird.298 a) Materielle Schäden Gemäß Art. 9 Satz 1 RL 85/374 umfasst der Begriff des Schadens sowohl „den durch Tod und Körperverletzungen verursachten Schaden“ (Art. 9 lit. a) wie „die Beschädigung oder Zerstörung einer anderen Sache als des fehlerhaften Produkts, sofern diese Sache i) von einer Art ist, wie sie gewöhnlich für den privaten Ge- oder Verbrauch bestimmt ist, und ii) von dem Geschädigten hauptsächlich zum privaten Ge- oder Verbrauch verwendet worden ist“.
Die Richtlinie beschränkt den Schadensersatz damit auf Körperschäden und bestimmte Sachschäden. Zur (konkreten oder abstrakten) Schadensberechnung findet sich in der Richtlinie keine Regelung, so dass man sie im ersten Zugriff als „genauere Definition der Schadensarten“ dem nationalen Gesetzgeber überlassen möchte. Indes steht dieser Regelungsauftrag unter dem europarechtlichen Ausge295 EuGH 5.3.2015, verb. Rs. C-503/13 und C-504/13, ECLI:EU:C:2015:148 Rn. 47 – Boston Scientific. 296 EuGH 5.3.2015, verb. Rs. C-503/13 und C-504/13, ECLI:EU:C:2015:148 Rn. 50 – Boston Scientific; kritisch Brock/Lach PharmR 2013, 480, 484. 297 EuGH 10.5.2001, Rs. C-203/99, Slg. 2001, I-3569 Rn. 32 f. – Veedfald; siehe auch die Schlussanträge des Generalanwalts Colomer vom 14.12.2000, Rs. C-203/99, Slg. 2001, I-3569 Rn. 30 – Veedfald: „Folglich sind die Mitgliedstaaten […] an diese Definition des Schadensbegriffs gebunden und besitzen keinen Ermessensspielraum, um dessen Bedeutung zu ändern.“ Kritisch zur fehlenden Trennung von Rechtsgutsverletzung und Schaden von Bar Gemeineuropäisches Deliktsrecht I (1996) Rn. 397. 298 Siehe dazu EuGH 5.3.2015, verb. Rs. C-503/13 und C-504/13, ECLI:EU:C:2015: 148 Rn. 54 – Boston Scientific: Sache der nationalen Gerichte zu entscheiden, ob eine Deaktivierung bestimmter Funktionen implantierbarer Defibrillatoren auch ohne Austausch bereits ausreicht, um den Fehler des Produkts in Gestalt des „anormalen Schadensrisiko[s]“ zu beseitigen. Bei richtigem Verständnis des Schwellenbetrages („Selbstbehalts“) stellt auch dieser keine Ausnahme vom Prinzip der vollständigen Kompensation dar, dazu unten Text nach Fn. 346.
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§ 7 Produkthaftung
staltungsvorbehalt, dass „für beide Schadensarten eine angemessene und vollständige Entschädigung der durch ein fehlerhaftes Produkt Geschädigten sichergestellt werden“ muss.299 Die Ausrichtung auf Angemessenheit und Vollständigkeit des Schadensersatzes (mit Ausnahme des immateriellen Schadens) sowie der Schutz des Verbrauchers „in seiner körperlichen Unversehrtheit und seinem Eigentum“ (Erwägungsgrund 6 RL 85/374) und das Abstellen auf die Reparatur- oder Wiederbeschaffungskosten300 (anstelle des Verkaufswertes) der beschädigten Sache sprechen dafür, eine abstrakte Schadensberechnung anhand des Marktpreises auch ohne Nachweis eines konkreten Deckungsgeschäfts genügen zu lassen. Andererseits hat der EuGH sogar die Abgrenzung unterschiedlicher Schadensarten den nationalen Instanzen überlassen,301 so dass er dies wohl auch – zumal er im Verfahren nach Art. 267 AEUV nicht als Tatsacheninstanz entscheidet – für die Methode der Schadensbestimmung so sehen würde. aa) Körperschäden Gemäß Art. 9 Satz 1 RL 85/374 umfasst der Begriff des Schadens zunächst „den durch Tod und Körperverletzungen verursachten Schaden“ (Art. 9 lit. a RL 85/374), wobei die Richtlinie in ihren unterschiedlichen Sprachfassungen hier nicht einheitlich gefasst ist.302 Deshalb ist eine Auslegung anhand des Zusammenhangs und der Ziele der Vorschrift geboten. Dabei ergibt sich, dass die Richtlinie zur „Wiedergutmachung von Schäden, die durch Tod und Körperverletzungen verursacht wurden“ (Erwägungsgrund 9 Satz 1 RL 85/374) auf den umfassenden Schutz der „Gesundheit“ (Erwägungsgrund 1 RL 85/ 374) bzw. der „körperlichen Unversehrtheit“ (Erwägungsgrund 6 Satz 1)
EuGH 10.5.2001, Rs. C-203/99, Slg. 2001, I-3569 Rn. 27 – Veedfald. Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 17 Ziffer 21. 301 Vgl. EuGH 10.5.2001, Rs. C-203/99, Slg. 2001, I-3569 Rn. 33 – Veedfald: „Daraus ergibt sich, dass das innerstaatliche Gericht nach der Richtlinie zu prüfen hat, unter welche Schadensart der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens zu subsumieren ist.“ 302 Dazu Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 21.10.2014, verb. Rs. C-503/13 und C-504/13, ECLI:EU:C:2014:2306 Rn. 58 f. – Boston Scientific: „So sieht die genannte Vorschrift in ihrer deutschen Sprachfassung vor, dass der Begriff ‚Schaden‘ den durch Tod und ‚Körperverletzungen‘ verursachten Schaden umfasst, was darauf hindeuten könnte, dass die dem Hersteller auferlegte Verpflichtung […] nur die Schäden betrifft, die infolge eines Unfalls, der durch die plötzliche und gewaltsame Einwirkung einer äußeren Ursache gekennzeichnet ist, eingetreten sind. Die spanische, die französische und die portugiesische Sprachfassung ebendieser Vorschrift verweisen allerdings auf den Begriff „Körperverletzungen“ ohne eine wie auch immer geartete Einschränkung, während die englische und die italienische Sprachfassung noch allgemeiner auf durch Personenverletzungen verursachte Schäden Bezug nehmen.“ 299 300
V. Schadensbegriff und Schadensumfang
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zielt, so dass der Schadensbegriff weit auszulegen303 und alle „direkten“304 Körper- und Gesundheitsschäden zu ersetzen sind.305 Der durch den Tod306 verursachte Schaden bezieht sich zum einen auf die „Ersatzansprüche des Geschädigten, die zwischen dem schädigenden Ereignis und seinem Ableben entstanden sind“ (z. B. für Heilbehandlungskosten), zum anderen auf „die Ersatzansprüche derjenigen, die (Unterhalts-)Ansprüche gegen den Verstorbenen hatten“.307 Hinzu treten die Kosten der Beerdigung.308 Die durch Körperverletzungen verursachten Schäden umfassen „die Behandlungskosten und alle Aufwendungen zur Wiederherstellung der Gesundheit309 sowie jede Beeinträchtigung der Erwerbstätigkeit, die die Folge des Körperschadens ist“310 und damit auch den Verdienstausfall als wichtigste Kategorie der Folgeschäden bei Körperverletzungen.311 Bei fehlerhaften ImEuGH 5.3.2015, verb. Rs. C-503/13 und C-504/13, ECLI:EU:C:2015:148 Rn. 47 – Boston Scientific; siehe auch die Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 21.10.2014, verb. Rs. C-503/13 und C-504/13, ECLI:EU:C:2014:2306 Rn. 61 – Boston Scientific: „alle der Person des Verwenders des fehlerhaften Produkts verursachten Schäden zu umfassen hat“; Rn. 66: „alle materiellen Schäden, die Folge einer Verletzung der Person sind, [müssen] vollständig ersetzt werden“. 304 Zu Folgeschäden (Erwerbsausfall) sogleich; zum Ersatz „direkter“ Körperschäden Anderle Der Haftungsumfang des harmonisierten Produkthaftungsrechtes (1990) S. 60. 305 Zur Ersatzfähigkeit von Gesundheitsschäden (vgl. Erwägungsgrund 1 RL 85/374), obwohl in Art. 9 RL 85/374 nicht ausdrücklich erwähnt, auch Anderle Der Haftungsumfang des harmonisierten Produkthaftungsrechtes (1990) S. 59 f.: natürlicher Wortsinn der „Körperverletzung“ erfasse „alle äußeren Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit“; körperliche Integrität umfasse „sowohl das physische wie das psychische Wohlbefinden der Menschen“; ebenso Rolland Produkthaftungsrecht (1990) § 1 ProdHaftG Rn. 29. 306 Zur Einbeziehung des nasciturus und zur Definition des Todes oben Fn. 224. 307 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 17 Ziffer 17. Daraus folgt eine Ersatzberechtigung mittelbar unterhaltsberechtigter Geschädigter, unsicher Lukes Reform der Produkthaftung (1979) S. 91: „bleibt auch offen, wer eigentlich im Fall des Todes Anspruchsberechtigter sein soll“. Für Anwendung nationalen Rechts insofern Schlechtriem VersR 1986, 1033, 1041; Anderle Der Haftungsumfang des harmonisierten Produkthaftungsrechtes (1990) S. 61 f. 308 Taschner/Frietsch Produkthaftungsgesetz und EG-Produkthaftungsrichtline2 (1990) Art. 9 Richtl. Rn. 5. 309 Daraus lässt sich folgern, dass die Körperverletzung auch die Gesundheitsverletzung umfasst, siehe bereits Ausführungen in Fn. 305. 310 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 17 Ziffer 17. Die letztgenannte Position dürfte bereits ein mittelbarer und nicht mehr ein unmittelbarer Schaden sein. Zur Bezugnahme auf die Kommissionsbegründung in diesem Zusammenhang auch Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 21.10.2014, verb. Rs. C-503/13 und C-504/13, ECLI:EU:C:2014:2306 Rn. 62 – Boston Scientific. 311 Unsicher ist, ob die Richtlinie auch Folgeschäden wie nutzlose Aufwendungen für eine Theaterkarte erfasst, die der Geschädigte infolge seiner Verletzung nicht mehr genießen kann, für ergänzende Anwendung nationalen Rechts insofern Anderle Der Haftungsumfang des harmonisierten Produkthaftungsrechtes (1990) S. 61. Nach hier vertretener Auffassung ist 303
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§ 7 Produkthaftung
plantaten umfasst der Schadensersatz auch die Kosten im Zusammenhang mit dem Austausch des fehlerhaften Produkts.312 Von der Richtlinie nicht erfasst, aber auch nicht ausgeschlossen wird der Ersatz immaterieller Schäden durch Schmerzensgeld oder Wiedergutmachungsleistungen für andere seelische Schäden (Art. 9 Satz 2, Erwägungsgrund 9 Satz 3 RL 85/374) nach den Regeln des nationalen Rechts. Ob es sich im Einzelfall (z. B. bei Verletzung von Körperbestandteilen) um einen Sach- oder Körperschaden handelt, hat das innerstaatliche Gericht nach den Vorgaben der Richtlinie zu prüfen, wobei es die Aufgabe des Gerichtshofs ist, die Grundlinien der Abgrenzung zu definieren.313 Unerheblich für den Schadensersatz für Körperschäden ist, ob das fehlerhafte Produkt „privat“ oder „gewerblich“ genutzt wurde.314
diese Frage anhand eines autonom-europäischen Schadensbegriffs zu beantworten, wobei die Feststellung der Ersatzfähigkeit im Einzelfall Sache der Rechtsprechung ist. 312 EuGH 5.3.2015, verb. Rs. C-503/13 und C-504/13, ECLI:EU:C:2015:148 Rn. 50 – Boston Scientific. Die Körperverletzung scheint in diesem Fall in dem durch den Produktfehler erforderlichen Eingriff zwecks Austauschs des Implantats zu liegen, Timke NJW 2015, 3060, 3062 f.; Reich EuZW 2015, 320, 321: „Der EuGH geht zu Recht auf diese dogmatischen Feinheiten nicht ein, sondern argumentiert aus der Sicht des betroffenen Patienten, der bei einer fehlerfreien Produktgruppe sich auf das Operationsrisiko und damit auf den Eingriff in seine körperliche Integrität nicht hätte einlassen müssen, auch wenn die OP lege artis erfolgte.“ Koch VersR 2015, 1467, 1470 sieht die Körperverletzung durch die Austauschoperation nicht als geeigneten Anknüpfungspunkt und will stattdessen an die „potenzielle Körper-/Gesundheitsverletzung als Rechtsgutsverletzung“ anknüpfen. Auf potentielle Gefahren für Sachen will Koch VersR 2015, 1467, 1471 die Rechtsprechung nicht ausdehnen: „Die Haftung für den Austausch auf der Ebene der haftungsausfüllenden Kausalität scheitert in diesen Fällen an dessen fehlender Erforderlichkeit, soweit man nicht bereits den Zurechnungszusammenhang verneint.“ Ebenso Reich EuZW 2015, 320, 321: „In diesem Fall auf die Produktgruppe abzustellen und einen bloßen Verdacht ausreichen zu lassen, ist unangebracht; eine haftungsvermeidende Rückrufaktion reicht in diesem Stadium noch aus.“ 313 Zurückhaltend EuGH 10.5.2001, Rs. C-203/99, Slg. 2001, I-3569 Rn. 33 – Veedfald (zu Schäden an transplantierten Organen). Die (insofern überzeugenderen) Schlussanträge des Generalanwalts Colomer vom 14.12.2000, Rs. C-203/99, Rs. C-203/99, Slg. 2001, I-3569 Rn. 33 – Veedfald sprechen sich für die Einordnung als Körperschaden aus, wollen es aber dem nationalen Recht überlassen, den Anspruchsinhaber (Organspender oder Organempfänger) zu definieren (Rn. 34). 314 Schmidt-Salzer in: Schmidt-Salzer/Hollmann Kommentar EG-Richtlinie Produkthaftung I (1986) Art. 9 Rn. 16; Graf von Westphalen in: Foerste/Graf von Westphalen Produkthaftungshandbuch3 (2012) § 45 Rn. 13. Erforderlich ist allerdings, dass das Produkt in Verkehr gebracht wurde (Art. 7 lit. a RL 85/374), so dass sich die Arbeitnehmer in der Betriebsstätte des Herstellers nicht auf die Richtlinie berufen können („Betriebsstättenschaden“), eingehend Schmidt-Salzer in: Schmidt-Salzer/Hollmann Kommentar EGRichtlinie Produkthaftung I (1986) Art. 9 Rn. 17 ff.
V. Schadensbegriff und Schadensumfang
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bb) Sachschäden Zur „Wiedergutmachung von Sachschäden“ (Erwägungsgrund 9 Satz 1 RL 85/374) an „Eigentum“315 (Erwägungsgründe 1, 6 Satz 1 RL 85/374) des Verbrauchers umfasst der ersatzfähige Schaden außerdem „die Beschädigung oder Zerstörung einer anderen Sache als des fehlerhaften Produkts“ (Art. 9 lit. b RL 85/374). Der Begriff der Sache ist autonom auszulegen316 und umfasst sowohl bewegliche wie unbewegliche Gegenstände.317 Der Ersatzanspruch für Sachschäden erstreckt sich sowohl auf die Aufwendungen zur Reparatur oder Wiederbeschaffung der (vom fehlerhaften Produkt verschiedenen) beschädigten oder zerstörten Sache (direkte Schäden) wie auf weitere Schäden (z. B. Transportkosten,318 Kosten der Schadensfeststellung,319 Gebühren,320 Kosten des Austausches fehlerhafter Teile321), soweit zwischen Fehler und Schaden ein Kausalzusammenhang besteht, dessen Bewertung der Rechtsprechung der Mitgliedstaaten überlassen bleibt (sogleich § 7 VI → S. 417).322 Als eine Beschädigung oder Zerstörung ist es nicht nur anzusehen, 315 Auch die Verletzung anderer dinglicher Rechtspositionen kann einen Ersatzanspruch nach der Richtlinie begründen, Welser/Rabl Produkthaftungsgesetz2 (2004) § 1 Rn. 17; G. Wagner in: MünchKommBGB V6 (2013) § 1 ProdHaftG Rn. 5 unter Verweis auf den Begriff der „Sachbeschädigung“; Graf von Westphalen in: Foerste/Graf von Westphalen Produkthaftungshandbuch3 (2012) § 45 Rn. 23. Unsicher ist die Ersatzberechtigung des bloßen Besitzers oder Anwartschaftsberechtigten, befürwortend G. Wagner in: MünchKommBGB V6 (2013) § 1 ProdHaftG Rn. 5 (begrenzt auf das Nutzungsinteresse); ablehnend von Bar Gemeineuropäisches Deliktsrecht I (1996) § 4 Rn. 397 unter Verweis auf Erwägungsgrund 6 RL 85/374; anders noch ders. FS Lange (1992) 373, 377; ablehnend auch Welser/Rabl Produkthaftungsgesetz2 (2004) § 1 Rn. 17. Ob der Anspruchsteller tatsächlich Eigentümer ist, ist eine von der Richtlinie nicht geregelte Vorfrage, die sich nach dem anwendbaren Sachenrecht richtet. 316 Graf von Westphalen in: Foerste/Graf von Westphalen Produkthaftungshandbuch3 (2012) § 45 Rn. 21. 317 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 18 Ziffer 25. 318 Lindemeyer WRP 1975, 712, 714. 319 Zu beiden Wolf FS Lange (1992) 779, 789. 320 Lindemeyer WRP 1975, 712, 714; Taschner/Frietsch Produkthaftungsgesetz und EG-Produkthaftungsrichtline2 (1990) Art. 9 Richtl. Rn. 12. 321 Zum Austausch fehlerhafter Herzschrittmacher als Teil des Körperschadens nach Art. 9 Satz 1 lit. a RL 85/374 EuGH 5.3.2015, verb. Rs. C-503/13 und C-504/13, ECLI:EU:C:2015:148 Rn. 50, 52 – Boston Scientific. 322 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 17 Ziffer 21; zu den Vorstellungen der Kommission siehe auch die Erläuterung des Vorentwurf II bei Lindemeyer WRP 1975, 712, 714: „Nach den Vorstellungen der Kommission sollen folgende Sachschäden ersetzt werden: 1. Aufwendungen zur Neubeschaffung oder zur Wiederherstellung der durch die fehlerhafte Sache beschädigten Vermögensgegenstände des Opfers, a) Wiederbeschaffungskosten, b) Nebenkosten, die der Wiederbeschaffung dienen (Transportkosten, Gebühren, Auslagen etc.), c) Reparaturkosten, d) Nebenkosten zur Ermöglichung der Reparatur (Transportkosten, Auslagen, etc.). 2. Schäden, die durch 1. nicht
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§ 7 Produkthaftung
wenn die Sachsubstanz verändert wird; auch eine (dauerhafte) Einschränkung der Gebrauchstauglichkeit (z. B. die fehlende Nutzungs- oder Verkaufsfähigkeit einer Sache) kann einen Sachschaden begründen.323 Auch wenn die Richtlinie grundsätzlich den Ersatz von Sachschäden gewährleistet, so sind diese gemäß Art. 9 lit. b RL 85/374 auf „die Beschädigung oder Zerstörung einer anderen Sache als des fehlerhaften Produktes“ begrenzt,324 und zwar auch dann, wenn das an sich fehlerfreie Gesamtprodukt325 durch ein fehlerhaftes Teilprodukt326 in seiner Gesamtheit zerstört oder beschädigt wird.327 Unsicher ist, anhand welcher Kriterien der Begriff gedeckt werden, aber durch die Fehlerhaftigkeit der Sache im Vermögen des Opfers entstanden sind.“ 323 G. Wagner in: MünchKommBGB V6 (2013) § 1 ProdHaftG Rn. 6 (für Einbeziehung von Nutzungsbeeinträchtigungen in den Begriff der Sachbeschädigung); einschränkend Graf von Westphalen in: Foerste/Graf von Westphalen Produkthaftungshandbuch3 (2012) § 45 Rn. 26: „Denn immer wird es entscheidend darauf ankommen, ob in der Tat eine ‚Beschädigung‘ der Sache in diesen Fällen zu bejahen ist.“ 324 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 17 Ziffer 20; SchmidtSalzer in: Schmidt-Salzer/Hollmann Kommentar EG-Richtlinie Produkthaftung I (1986) Art. 9 Rn. 27; Magnus JZ 1990, 1100, 1104 f.; Tiedtke NJW 1990, 2961, 2962; G. Wagner in: MünchKommBGB V6 (2013) § 1 ProdHaftG Rn. 9; Schmid Die Instrumentalisierung des Privatrechts durch die Europäische Union (2010) S. 702. Hinter der Ausnahme steht die Erwägung, dass der Ersatz der fehlerhaften Sache durch das Kaufrecht hinreichend gewährleistet werde, kritisch zu dieser Prämisse Sack VersR 1988, 439, 444. 325 Eine Ausnahme wird erwogen, wenn der Schaden am Gesamtprodukt durch ein zugeliefertes Teilprodukt eines anderen Herstellers als des Herstellers des Endprodukts verursacht wird. In dieser Situation könnte man – auch aus Verbraucherschutzgründen – für eine separate Haftung des Teileherstellers plädieren, weil gemäß Art. 2 Satz 1 RL 85/374 auch Teile anderer Sachen „Produkte“ i. S. d. Richtlinie sind und weil aus der Perspektive des Herstellers des Teilprodukts bereits das Teilprodukt sein „Endprodukt“ darstellt, siehe Schmidt-Salzer in: Schmidt-Salzer/Hollmann Kommentar EG-Richtlinie Produkthaftung I (1986) Art. 9 Rn. 28; Magnus JZ 1990, 1100, 1105; Kullmann ProdHaftG6 (2010) § 1 ProdHaftG Rn. 9; a. A. (mit dem Hinweis, dass dies zu dem absurden Ergebnis führe, dass dann zwar der Teilehersteller, nicht aber der Hersteller des Gesamtprodukts, der selbst das fehlerhafte Teil produziert hat, hafte) Cahn ZIP 1990, 482, 484; G. Wagner in: MünchKommBGB V6 (2013) § 1 ProdHaftG Rn. 12; Welser/Rabl Produkthaftungsgesetz2 (2004) § 1 Rn. 22 ff., 24. Ausführlich zu den sogenannten Weiterfresserschäden (aus der Perspektive des deutschen Deliktsrechts) Gsell Substanzverletzung und Herstellung (2003) S. 300 ff. 326 Nicht genügen soll ein nicht fehlerhaftes, sondern bloß ungeeignetes Teil, Sack VersR 1988, 439, 444. M. E. lässt sich dies nicht generell verneinen, weil auch die „Darbietung des Produkts“ und der „billigerweise“ zu erwartende Gebrauch einen Fehler begründen können, vgl. Art. 6 Abs. 1 lit. a, b RL 85/374. 327 Andernfalls könnte die Haftungsbeschränkung in Art. 9 lit. b RL 85/374 und die Fokussierung der Haftung auf die Herstellung des „Endprodukts“ (Art. 3 Abs. 1 RL 85/ 374) unterlaufen werden, vgl. Bulletin der Europäischen Gemeinschaften Beilage 11/76 S. 17 Ziffer 20.
V. Schadensbegriff und Schadensumfang
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der „anderen Sache als des fehlerhaften Produktes“ zu konkretisieren ist. Zum Teil wird vorgeschlagen, ebenso wie die deutsche Rechtsprechung zu den „Weiterfresser-Schäden“ auf die funktionale Abgrenzbarkeit abzustellen,328 andere Stimmen erwägen eine Anlehnung an die – anhand der lex rei sitae zu bestimmenden – Kriterien des Sachenrechts.329 Die Materialien zur Richtlinie weisen allerdings darauf hin, dass der Zweck der Ausnahme darin besteht, dass die Richtlinie in die Regeln des Kaufrechts über „die Haftung für die Qualität eines neu erworbenen Gegenstands, seine Gebrauchsfähigkeit für den vereinbarten Zweck einschließlich seiner Fehlerfreiheit in dem Sinne, daß er durch Fehler eines Teiles nicht in seiner Gesamtheit beschädigt oder zerstört wird“
nicht eingreifen will.330 Der Haftungsausschluss ist deshalb weiter zu verstehen als die „Weiterfresserdogmatik“ des deutschen Deliktsrechts, die wesentlich durch die Begrenzungen des deutschen Kaufgewährleistungsrechts motiviert ist. Da auch über das – in der Union nicht harmonisierte – Sachenrecht kein europäisch-autonomer Begriff gewonnen werden kann, bleibt nur die Verkehrsauffassung als Maßstab für die Konkretisierung der „anderen Sache“ in Art. 9 lit. b RL 85/374.331 Angesichts der Beschränkung des Sachschadensersatzes auf die Beschädigung anderer Sachen als des fehlerhaften Produkts mag man zweifeln, ob der Grundsatz der vollständigen Kompensation überhaupt für Sachschäden GelH. Koch ZHR 152 (1988) 537, 548: „selbständige und vom fehlerhaften Produkt funktional klar zu unterscheidende Sache“; a. A. Landfermann RIW/AWD 1980, 161, 168; Sack VersR 1988, 439, 445, der an der Übertragbarkeit der deutschen Grundsätze zu Weiterfresserschäden auf die Richtlinie zweifelt; ebenso ablehnend Rolland Produkthaftungsrecht (1990) § 1 ProdHaftG Rn. 77. Im deutschen Recht geht der Begriff des „weiterfressenden Mangels“ offenbar auf Schmidt JZ 1952, 167 zurück: „wenn der Schwamm nach dem Erwerb weiterfrißt“. 329 Unsicher hinsichtlich der Kriterien für das Vorliegen einer „anderen Sache“ Schlechtriem VersR 1986, 1033, 1041 f. 330 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften Beilage 11/76 S. 17 Ziffer 20. 331 Welser/Rabl Produkthaftungsgesetz2 (2004) § 1 Rn. 27. So auch der Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 11/2447 zu § 1 Haftung: „Nach der Verkehrsauffassung wird sich vielmehr in aller Regel das komplette Endprodukt – so wie es der Geschädigte erworben hat oder wie es aus sonstigen Gründen bei ihm vorhanden ist – als die eine Sache darstellen, die eine andere Sache des Geschädigten beschädigt hat. Die Qualifizierung eines Teils einer Sache als andere Sache wird aber jedenfalls dann zutreffend sein, wenn dieses Teil später als Ersatz vom oder beim Geschädigten in die restlichen Teile einer Sache eingefügt worden ist.“ Anders Bartl Produkthaftung nach neuem EG-Recht (1989) § 1 Rn. 22, der auf die Parteivereinbarungen zur Abgrenzung der „anderen Sache“ abstellen will, die auch für die Gewährleistung maßgeblich sind. Umstritten ist ferner, ob die „Verkehrsauffassung“ aus der Perspektive des Herstellers (so Anderle Der Haftungsumfang des harmonisierten Produkthaftungsrechtes (1990) S. 142 ff.) oder aus der Perspektive des Geschädigten (so Graf von Westphalen in: Foerste/Graf von Westphalen Produkthaftungshandbuch3 (2012) § 46 Rn. 8) zu beurteilen ist. 328
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tung beansprucht. Indes erklärt sich die Ausnahme für das fehlerhafte Produkt durch den Umstand, dass der Schutz der Produkthaftungsrichtlinie von vorneherein nur auf das Eigentum und die körperliche Unversehrtheit (Erwägungsgrund 1, 6 Satz 1 RL 85/374) zielt, nicht auf die Sicherung der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung des zugrunde liegenden Erwerbsgeschäfts, die den – durch die Richtlinie unberührten (Art. 13 RL 85/374) – vertragsrechtlichen Rechtsbehelfen vorbehalten bleiben sollte.332 Der Ersatz des Äquivalenzinteresses wurde deshalb bewusst vom Schutz der Produkthaftung ausgenommen und erst später durch die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/ 44 geregelt,333 so dass es innerhalb des Anwendungsbereichs der Produkthaftungsrichtlinie beim Grundsatz der vollständigen Kompensation bleibt. Eine zweite Ausnahme vom Sachschadensersatz betrifft Schäden an Sachen, die nicht gewöhnlich für den privaten Ge- oder Verbrauch bestimmt oder die von dem Geschädigten nicht hauptsächlich334 zum privaten Ge- oder Verbrauch verwendet worden sind.335 Privat bezeichnet die „nichtberufliche Sphäre des Geschädigten“,336 während sich der gewerbliche Bereich auf HanVgl. den (zweiten) Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 85/ 374 über die Haftung für fehlerhafte Produkte KOM(2000) 893 S. 28, Ziffer 3.2.9; siehe auch Bulletin der Europäischen Gemeinschaften Beilage 11/76 S. 17 Ziffer 20. 333 Zur Reichweite des dortigen Nachbesserungsanspruchs (Art. 3 Abs. 2 und 3 RL 1999/44) EuGH 16.6.2011, verb. Rs. C-65/09 und C-87/09, ECLI:EU:C:2011:396 Rn. 57, 62 – Gebr. Weber; S. Lorenz NJW 2011, 2241, 2243 sieht darin einen verschuldensunabhängigen Anspruch auf nahe Mangelfolgeschäden. Damit wird das Ziel der Haftungskanalisierung auf den Hersteller durchbrochen, siehe Schaub ZEuP 2011, 41, 63, was aber angesichts der parallel bestehenden nationalen Vertragsansprüche (Art. 13 RL 85/374) ohnehin nicht erreicht werden kann. 334 Nicht erforderlich ist ein ausschließlich privater Gebrauch, vgl. die Bitte des Wirtschafts- und Sozialausschuss, ABl. C 114 vom 7.5.79, S. 18, Ziffer 2.9.1, 2.9.2 um Klarstellung bei gelegentlich privat genutzten Gegenständen. Siehe auch die Klarstellung in der Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments, ABl. C 127 vom 21.5.1979, S. 61, 64 (Art. 6 lit. b ii): „nicht ausschließlich“ für berufliche Zwecke verwendet, so auch Anderle Der Haftungsumfang des harmonisierten Produkthaftungsrechts (1990) S. 128. In Richtung einer Schwerpunktprüfung aber (im Kontext des Verbrauchervertragsrecht) Erwägungsgrund 17 der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83: „Wird der Vertrag jedoch teilweise für gewerbliche und teilweise für nichtgewerbliche Zwecke abgeschlossen (Verträge mit doppeltem Zweck) und ist der gewerbliche Zweck im Gesamtzusammenhang des Vertrags nicht überwiegend, so sollte diese Person auch als Verbraucher betrachtet werden“; noch enger im prozessualen Kontext (aber ersichtlich durch den Schutz des Beklagtengerichtsstands motiviert) EuGH 20.1.2005, Rs. C-464/01, Slg. 2005, I-439 Rn. 39 – Gruber. 335 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 17 Ziffer 18 f. 336 Zum Versuch einer europäisch-autonomen Definition des Kernbereichs privater Nutzung Anderle Der Haftungsumfang des harmonisierten Produkthaftungsrechts (1990) S. 111: „Privater Ge- oder Verbrauch ist die Sachnutzung einer natürlichen Person zum persönlichen oder familiären Gebrauch, losgelöst von jeglichem Erwerbsstreben.“ 332
V. Schadensbegriff und Schadensumfang
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del, Gewerbe und freie Berufe erstreckt,337 so dass „Sachschäden im Rahmen selbständiger beruflicher Tätigkeit nicht unter den Schutzbereich der Richtlinie fallen“.338 Die Ausnahme für zur beruflichen Nutzung bestimmte oder beruflich genutzte Sachen beruht auf einem politischen Kompromiss: Während eine Einbeziehung der Sachschäden im gewerblichen Bereich aus Sicht der Richtlinienverfasser „kaum lösbare Probleme aufgeworfen hätte, und zwar namentlich bei den Folgeschäden“,339 wollte man andererseits auf eine grundsätzliche Ersatzfähigkeit der Sachfolgeschäden zum Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher nicht verzichten,340 so dass offenbar nur eine Lösung durch Ausschluss der Schäden im gewerblichen Bereich möglich war.341 Angesichts ihres Kompromisscharakters lässt sich die Be-
Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 17 Ziffer 19. Zu Einzelheiten der Abgrenzung privat/gewerblich Schmidt-Salzer in: Schmidt-Salzer/Hollmann Kommentar EG-Richtlinie Produkthaftung I (1986) Art. 9 Rn. 41 ff.; Anderle Der Haftungsumfang des harmonisierten Produkthaftungsrechts (1990) S. 107 ff. (mit Würdigung der Entstehungsgeschichte); Taschner/Frietsch Produkthaftungsgesetz und EG-Produkthaftungsrichtline2 (1990) Art. 9 Richtl. Rn. 8 ff.; Kullmann ProdHaftG6 (2010) § 1 ProdHaftG Rn. 11 ff. 338 Anderle Der Haftungsumfang des harmonisierten Produkthaftungsrechts (1990) S. 115 ff. mit ausführlicher Abgrenzung in Grenzfällen (Gewerblichkeitsfiktionen, private Kapitalnutzung/Vermietung, Arbeitnehmerschäden, Nutzung durch juristische Personen, etwa im Rahmen der kollektiven Verwirklichung privater Interessen z. B. in Vereinen, Nutzung durch öffentlich-rechtliche Einrichtungen). 339 Lindemeyer WRP 1975, 712, 714: „Die Haftung für Sachschäden ist gegenüber dem Vorentwurf I weiter präzisiert und ausgebaut worden. Jedoch wurde eine Einschränkung gemacht: Der Begriff des zu ersetzenden Schadens erfaßt nur die ‚Beschädigung einer Sache, wenn diese von dem Geschädigten nicht für Zwecke seines Handels, Gewerbes oder Berufs erworben oder verwendet worden sind‘ (Art. 9 Abs. 1 lit. b). Die Beschränkung auf den Ersatz für Sachschäden im privaten Bereich beruht auf der Erwägung, daß eine Einbeziehung der Sachschäden des gewerblichen Benutzers kaum lösbare Probleme aufgeworfen hätte, und zwar namentlich bei den Folgeschäden“ [mit Verweis auf ein Gutachten von Jolowicz: Product liability and property damage, Arbeitsdokument Nr. 7, XI/359/75 – E, S. 3 ff. (Nr. 4)]. 340 Lindemeyer WRP 1975, 712, 714: „In der Frage der Sachschadenshaftung bot sich ebenfalls die Lösung an, eine Haftung für Folgeschäden gänzlich herauszunehmen und dafür Schäden im privaten und gewerblichen Bereich gleichermaßen zu erfassen, wobei jedoch der Ersatz auf die Kosten für die Reparatur oder die Neuanschaffung der beschädigten Sache beschränkt werden sollte. Diese Lösung wurde verworfen, da man auf den Ersatz der Folgeschäden beim privaten Verbraucher nicht verzichten wollte“ [mit Verweis auf ein Gutachten von Jolowicz: Product liability and property damage, Arbeitsdokument Nr. 7, XI/359/75 – E, S. 8 (Nr. 8)]. Ebenso die Position des Europäischen Parlaments, siehe den Calewaert-Bericht Rn. 30, Anlage 5 in: Rolland Produkthaftungsrecht (1990) S. 484 mit Verweis auf das Erste Verbraucherschutzprogramm. 341 Eine andere Begründung findet sich bei Simitis FS Duden (1977) 605, 615, der die Restriktion mit dem Hinweis begründet, dass Geschädigte im gewerblichen Bereich „dank 337
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schränkung auf Sachen im Privatgebrauch deshalb ebenfalls nicht als Grundsatzentscheidung des Unionsgesetzgebers für eine Durchbrechung des Prinzips vollständiger Kompensation verstehen,342 zumal es sich um ein von der Richtlinie in Gänze ausgenommenes Feld handelt, so dass die Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten für die verschuldensunabhängige Haftung bei beruflich genutzten Gegenständen fortbesteht.343 Auf den ersten Blick um eine echte Durchbrechung des Prinzips vollständiger Kompensation handelt es sich demgegenüber bei der dritten Ausnahme, der „Selbstbeteiligung in fester Höhe“ („threshold of a fixed amount“; „déduction d'une franchise d'un montant fixe“) in Höhe von 500 Euro bei Sachschäden (Art. 9 lit. b RL 85/374). Diese Regelung wird durch das Ziel der geordneten Rechtspflege „zur Vermeidung einer allzu großen Zahl von Streitfällen“ gerechtfertigt (Erwägungsgrund 9 RL 85/374),344 so dass bei geringfügigen Sachschäden entsprechende Klagen nur auf die vertraglichen oder außervertraglichen Haftungsregeln des allgemeinen (nationalen) Zivilrechts gestützt werden können.345 Da ein Verständnis des Art. 9 lit. b RL 85/374 als echter Selbstbehalt, also eine Anwendung auch bei Sachschäden jenseits von 500 Euro dem Ziel der Reduzierung von Bagatellverfahren aber nicht dienlich wäre (über die Klagen müsste ja ohnehin entschieden werden, nur die zugesprochene Summe wäre um 500 Euro niedriger), empfiehlt sich ein Verständnis der Selbstbeteiligung als Rechtsschutzschwelle, so dass bei Schäden jenseits von 500 Euro ein Abzug nicht veranlasst ist.346 Bei einem solchen Verständnis handelt es sich auch nicht mehr um eine echte Ausnahme vom Prinihrer ökonomischen Position und ihrer professionellen Beteiligung am Markt von sich aus Risiken des Produktionsprozesses aufzufangen vermögen.“ 342 Gegen eine Verallgemeinerung dieser Regel auch Magnus ZEuS 2002, 131, 139. 343 EuGH 4.6.2009, Rs. C-285/08, Slg. 2009; I-4733 Rn. 28 – Moteurs Leroy Somer. 344 EuGH 25.4.2002, Rs. C-52/00, Slg. 2002, I-3827 Rn. 29 – Kommission/Französische Republik. 345 EuGH 25.4.2002, Rs. C-52/00, Slg. 2002, I-3827 Rn. 30 – Kommission/Französische Republik unter Hinweis auf die Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 18.9.2001, Rs. C-52/00, Slg. 2002, I-3827 Rn. 68 – Kommission/Französische Republik: „Abwägung zwischen den materiellen Rechtsinteressen und der Zweckmäßigkeit des Rechtsschutzes“, also zwischen dem „Schutz der Verbraucher in Fällen von geringem materiellem Schaden und der Gefahr der Überlastung der Gerichte“; ebenso EuGH 25.4.2002, Rs. C-154/00, Slg. 2002, I-3879 Rn. 30 – Kommission/Griechenland. 346 Wie hier H. Koch ZHR 152 (1988) 537, 551 f.; Sack VersR 1988, 439, 446 f.; Heiderhoff in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.) Zivilrecht unter europäischem Einfluss2 (2010) Kapitel 17 Rn. 29: „bloße Zugangsschwelle“; Riehm in: Langenbucher (Hrsg.) Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht3 (2013) § 3 Rn. 55 (der allerdings aus den unterschiedlichen Sprachfassungen ein Wahlrecht für die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung ableitet); a. A. Taschner/Frietsch Produkthaftungsgesetz und EG-Produkthaftungsrichtline2 (1990) Art. 9 Richtl. Rn. 14; Schulte-Nölke in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.) Europarecht – Handbuch für die deutsche Rechtspraxis3 (2015) § 23 Rn. 58 unter Hinweis auf den – in den verschiedenen Sprachfassungen unterschiedlichen – Wortlaut der Richtlinie. Zum
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zip vollständiger Kompensation, sondern lediglich um eine Bagatellgrenze, weil bei Erreichen der Rechtsschutzschwelle die vollständige Kompensation – in den Grenzen des Anwendungsbereichs der Richtlinie – sichergestellt ist. cc) Vermögensfolgeschäden Während sich zum Ersatz direkter Schäden wie Heilbehandlungskosten oder Reparatur- und Wiederbeschaffungsaufwendungen explizite Hinweise in den Materialien finden, ist der Befund bei mittelbaren Schäden (Vermögensfolgeschäden) weniger eindeutig. Als wohl gesichert lässt sich zunächst festhalten, dass die Formulierung des Art. 9 lit. a und b RL 85/374 („durch Tod und Körperverletzungen verursachten Schaden“; „Beschädigung oder Zerstörung einer anderen Sache als des fehlerhaften Produkts“) einen Ersatz der sogenannten „primären“, „unmittelbaren“ oder „reinen“ Vermögensschäden, „die im Vermögen des Betroffenen auftreten, ohne daß ihnen ein Personen- oder Sachschaden vorangegangen ist“, mit Ausnahme des Angehörigenunterhalts347 ausschließt348 (Beispiel: Lieferung einer mangelhaften Maschine, durch die es zu Produktionsausfällen kommt; Einnahmeausfälle des Fußballclubs bei Verletzung des Mittelfeldstars). Insofern bleibt es bei einer Kompensation nur über das allgemeine nationale Vertrags- oder Deliktsrecht (Art. 13 RL 85/374). unterschiedlichen Verständnis der Norm in den Mitgliedstaaten Bericht der Kommission – Dritter Bericht über die Anwendung der Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte KOM(2006) 496 S. 12 unter Ziffer 4 vierter Spiegelstrich. 347 Diesen dürfte die Richtlinie zu den (ersatzfähigen) unmittelbaren Körperschäden zählen, Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 17 Ziffer 17, Text oben bei Fn. 307. 348 Lukes Reform der Produkthaftung (1979) S. 93; Sack VersR 1988, 439, 449; Schmidt-Salzer in: Schmidt-Salzer/Hollmann Kommentar EG-Richtlinie Produkthaftung I (1986) Art. 9 Rn. 36; Anderle Der Haftungsumfang des harmonisierten Produkthaftungsrechtes (1990) S. 44; Wolf FS Lange (1992) 779, 780; Bischof Produkthaftung und Vertrag in der EU (1994) S. 30; Schlechtriem ZEuS 2002, 15, 19 f.; Borghetti La responsabilité du fait des produits (2004) S. 487 f. Rn. 507, der zudem darlegt, dass sich auch aus der Veedfald-Entscheidung keine andere Sichtweise, insbesondere keine Qualifikation der Vermögensfolgeschäden als „immaterielle Schäden“ folgern lässt; Welser/Rabl Produkthaftungsgesetz2 (2004) § 1 Rn. 31 f. (auch kein Ersatz für Haftungsschäden, also den Schaden durch eine Ersatzpflicht gegenüber geschädigten Dritten); Schmid Die Instrumentalisierung des Privatrechts durch die Europäische Union (2010) S. 702; Gsell in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 281, 291. Ein Vorentwurf zur Richtlinie sah noch einen Ersatz auch für Vermögensschäden vor, siehe Art. 1, 4 im Richtlinienentwurf XI 334/74 – D- August 1974, abgedruckt in WRP 1975, 428 mit Erläuterung Lindemeyer WRP 1975, 420, 424. Im Vorentwurf II ist die Beschränkung des heutigen Art. 9 aufgenommen worden, siehe WRP 1975, 715 mit Erläuterung von Lindemeyer WRP 1975, 712, 714. Für Ersatzfähigkeit sämtlicher Vermögensschäden nichtkommerzieller Benutzer aber Simitis FS Duden (1977) 605, 619.
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Diese Ausnahme lässt sich durch den Schutzzweck des Produkthaftungsrechts erklären, der eben nicht auf den Schutz reiner Vermögensinteressen, sondern auf den „Schutz des Verbrauchers vor Schädigungen seiner Gesundheit und seines Eigentums durch ein fehlerhaftes Produkt“ (Erwägungsgrund 1 RL 85/374) zielt. Umstrittener und in den Umsetzungsgesetzen der Mitgliedstaaten offenbar uneinheitlich geregelt349 ist die Ersatzfähigkeit der sekundären Vermögensschäden oder Vermögensfolgeschäden, also der Schäden, die als Folgeschäden aus einem von der Richtlinie erfassten Primärschaden wie Tod, Körperverletzung oder Sachbeschädigung/-zerstörung350 resultieren. Als Beispiele solcher Vermögensfolgeschäden sind zum einen der Verdienstausfall bei Körperverletzungen zu nennen, zum anderen entgangene Nutzungen oder Gebrauchsvorteile oder entgangener Gewinn bei privat genutzten Gegenständen, wenn infolge eines mangelhaften Produkts eine andere Sache (z. B. Ausfall eines privat genutzten Pkw wegen des Gebrauchs fehlerhaften Motorenöls) beschädigt wird, aus deren Ausfall sich entsprechende Einbußen ergeben.351 Die praktische Relevanz dieser Fragestellung dürfte bei Sachschäden gering bleiben, weil Schäden an einer Sache, die für den beruflichen Gebrauch bestimmt ist und beruflich verwendet wird, ohnehin nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen,352 so dass der Ersatz von entgangenem Gewinn (z. B. wegen Ausfalls einer Maschine) bei Sachschäden wohl nur selten größere Dimensionen erlangen wird.353 Auf den ersten Blick legt der Wortlaut der Richtlinie nahe, bei Vermögensfolgeschäden zwischen Körperschäden und Sachschäden zu differenzieren. Während die Richtlinie zum Schaden bei Körperverletzungen „den durch Tod oder Körperverletzungen verursachten Schaden“ (Art. 9 lit. a RL 85/374) Siehe den Überblick bei Wolf FS Lange (1992) 779, 784 f. Ausführlich zur Ersatzfähigkeit der Folgeschäden bei Sachbeschädigung Wolf FS Lange (1992) 779, 787 ff. 351 Als weiteres Beispiel nennt Wolf FS Lange (1992) 779, 790 ff. den Haftungsschaden gegenüber Dritten, die sich für den Nutzer des Produkts daraus ergeben, dass er die Dritten durch das fehlerhafte Produkt (z. B. Auto) schädigt und gegenüber diesen für die Schädigung haftet (z. B. nach § 7 StVG). Die Ersatzfähigkeit solcher Schäden lehnt Wolf FS Lange (1992) 779, 792 allerdings unter Hinweis auf die Beschränkung auf den Privatgebrauch im Ergebnis ab; ebenso Welser/Rabl Produkthaftungsgesetz2 (2004) § 1 Rn. 32, die dies als reinen Vermögensschaden ansehen. 352 EuGH 4.6.2009, Rs. C-285/08, Slg. 2009; I-4733 Rn. 28 – Moteurs Leroy Somer. 353 Wolf FS Lange (1992) 779, 781 f. bemüht das eher theoretische Beispiel der verspäteten Abgabe eines nachweislich richtigen Toto- oder Lottowettscheins wegen Motorschadens infolge fehlerhaften Motorenöls. Siehe auch Borghetti La responsabilité du fait des produits (2004) S. 485 Rn. 504:„Les restrictions posées à la reparation du dommage matériel sont cependant en harmonie avec la logique qui sous-tend l’ensemble de la responsabilité du fait des produits et qui vise d’abord à assurer la protection des particuliers, et non celle des intérêts économiques des professionnels.“ 349 350
V. Schadensbegriff und Schadensumfang
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rechnet, umfasst der Schaden bei Sachschäden nur „die Beschädigung oder Zerstörung einer anderen Sache als des fehlerhaften Produkts“ (Art. 9 lit. b RL 85/374).354 Gleichwohl sprechen die besseren Gründe dafür, Vermögensfolgeschäden sowohl bei Körper- wie bei Sachschäden unter den Schadensbegriff der Richtlinie zu subsumieren.355 Für eine solche Lesart lässt sich bei Körperschäden neben dem offen gefassten Wortlaut zunächst anführen, dass die Kommissionsmaterialien „jede Beeinträchtigung der Erwerbstätigkeit, die die Folge eines Körperschadens ist“356 als Schaden ansehen und damit offenbar den Ersatz des durch die ausgefallene Arbeitsleistung entgangenen Gewinns als Schaden anerkennen. Ein Hinweis auf ein ähnlich offenes Verständnis lässt sich in den Materialien aber auch bei Sachschäden finden („Ersatz weiterer Schäden“ unter der Voraussetzung eines Kausalzusammenhangs zwischen Fehler und Schaden).357 Es kommt hinzu, dass in der Entstehungsgeschichte anstelle der Ausnahme für Zur Wortlautdifferenzierung auch Whittaker Yearbook of European Law 5 (1985) 233, 271 zum Schadensbegriff bei Körperverletzung: „‘Damage’ itself would appear to have a very broad meaning […] and could include economic and other losses“; Welser/Rabl Produkthaftungsgesetz2 (2004) § 1 Rn. 35. Zwar spricht der Wortlaut von Art. 9 lit. b RL 85/374 lediglich von der Beschädigung oder Zerstörung einer anderen Sache als des fehlerhaften Produkts. Diese Formulierung kann angesichts der Entstehungsgeschichte jedoch nicht als Beschränkung auf den unmittelbaren Sachschäden verstanden werden, Anderle Der Haftungsumfang des harmonisierten Produkthaftungsrechts (1990) S. 101 ff.; Franzen Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft (1999) S. 531 Fn. 48. 355 Für Ersatzfähigkeit des Verdienstausfalls bei Körperschäden Schmidt-Salzer in: Schmidt-Salzer/Hollmann Kommentar EG-Richtlinie Produkthaftung I (1986) Art. 9 Rn. 14: „m. E. nicht bestreitbar“; G. Wagner in: MünchKommBGB V6 (2013) § 1 ProdHaftG Rn. 3, §§ 7–9 ProdHaftG Rn. 7; zur Einbeziehung bestimmter Vermögensfolgeschäden einer Körperverletzung auch § 8 ProdHaftG („Erwerbseinbußen“); für Ersatzfähigkeit der Vermögensfolgeschäden bei Sachschäden Simitis FS Duden (1977) 605, 619; Schmidt-Salzer in: Schmidt-Salzer/Hollmann Kommentar EG-Richtlinie Produkthaftung I (1986) Art. 9 Rn. 35; Anderle Der Haftungsumfang des harmonisierten Produkthaftungsrechtes (1990) S. 101 ff., 105; Graf von Westphalen in: Foerste/Graf von Westphalen Produkthaftungshandbuch3 (2012) § 45 Rn. 27 (unter Aufgabe der abweichenden Ansicht in der Vorauflage); Oechsler in: Staudinger §§ 826–829, ProdHaftG (2014) § 1 ProdHaftG Rn. 39; siehe auch Ficker FS Duden (1977) 93, 107: „Beschränkung des Schadensersatzes auf die Kosten für Reparatur oder Ersatz des direkt geschädigten Gegenstandes […] würde der Interessenlage kaum gerecht werden“; a. A. zum Ersatz entgangenen Gewinns Taschner/Frietsch Produkthaftungsgesetz und EG-Produkthaftungsrichtline2 (1990) Art. 9 Richtl. Rn. 12: dieser sei „nur bei Verletzung vertraglicher Ansprüche zu gewähren“; für Ersatz der Vermögensfolgeschäden nur bei Körper-, nicht bei Sachschäden Hollmann DB 1985, 2439; dies dürfte auch die überwiegende Ansicht in Österreich sein, Welser/Rabl Produkthaftungsgesetz2 (2004) § 1 Rn. 12, 35 (kein Ersatz für entgangenen Gewinn und entgangene Nutzungen infolge eines Sachschadens). Siehe auch die Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 8.4.1992, Rs. C-26/91, Slg. 1992, I-3967 Rn. 13 – Handte. 356 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 17 Ziffer 17. 357 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 17 Ziffer 21. 354
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gewerblich genutzte Sachen auch diskutiert wurde, zwar Schäden sowohl an privat wie an gewerblich genutzten Sachen zu ersetzen, jedoch die Folgeschäden auszuschließen.358 Dass diese Beschränkung nicht aufgenommen wurde, spricht für die Einbeziehung der Sachfolgeschäden. Zudem wurde die Beschränkung auf Sachschäden privater Nutzer im Gesetzgebungsverfahren auch mit den Problemen begründet, die eine Einbeziehung gewerblicher Nutzer wegen der Folgeschäden aufgeworfen hätte,359 so dass offenbar die Kommission von der Ersatzfähigkeit von Sachfolgeschäden ausging. Auch aufgrund der Versicherbarkeit von Sachfolgeschäden, ihres häufigen Zusammentreffens mit Sachschäden und vor allem als Folge des in der Richtlinie explizit verankerten Gebots vollständiger Kompensation (Erwägungsgrund 5 RL 85/374: „vollen Ersatz des Schadens“) sprechen die besseren Gründe für eine Einbeziehung auch von Sachfolgeschäden in den Schadensbegriff des Art. 9 RL 85/374.360 Nur eine solche Auslegung entspricht auch dem Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher, so wie er als Ziel im Ersten Verbraucherschutzprogramm361 verankert ist und bei der Abfassung der Produkthaftungsrichtlinie Pate stand:362 Das Erste Verbraucherschutzprogramm 358 Lindemeyer WRP 1975, 712, 714: „In der Frage der Sachschadenshaftung bot sich ebenfalls die Lösung an, eine Haftung für Folgeschäden gänzlich herauszunehmen und dafür Schäden im privaten und gewerblichen Bereich gleichermaßen zu erfassen, wobei jedoch der Ersatz auf die Kosten für die Reparatur oder die Neuanschaffung der beschädigten Sache beschränkt werden sollte. Diese Lösung wurde verworfen, da man auf den Ersatz der Folgeschäden beim privaten Verbraucher nicht verzichten wollte“ [mit Verweis auf ein Gutachten von Jolowicz: Product liability and property damage, Arbeitsdokument Nr. 7, XI/359/75 – E, S. 8 (Nr. 8)]. 359 Lindemeyer WRP 1975, 712, 714: „Die Haftung für Sachschäden ist gegenüber dem Vorentwurf I weiter präzisiert und ausgebaut worden. Jedoch wurde eine Einschränkung gemacht: Der Begriff des zu ersetzenden Schadens erfaßt nur die ‚Beschädigung einer Sache, wenn diese von dem Geschädigten nicht für Zwecke seines Handels, Gewerbes oder Berufs erworben oder verwendet worden sind‘ (Art. 9 Abs. 1 lit. b). Die Beschränkung auf den Ersatz für Sachschäden im privaten Bereich beruht auf der Erwägung, daß eine Einbeziehung der Sachschäden des gewerblichen Benutzers kaum lösbare Probleme aufgeworfen hätte, und zwar namentlich bei den Folgeschäden“ [mit Verweis auf ein Gutachten von Jolowicz: Product liability and property damage, Arbeitsdokument Nr. 7, XI/359/75 – E, S. 3 ff. (Nr. 4)]. 360 Ausführlich Schmidt-Salzer in: Schmidt-Salzer/Hollmann Kommentar EG-Richtlinie Produkthaftung I (1986) Art. 9 Rn. 29 ff.; ebenso (allerdings unter Verzicht auf den Hinweis auf die Versicherbarkeit und das häufige Zusammentreffen mit Sachschäden) Anderle Der Haftungsumfang des harmonisierten Produkthaftungsrechtes (1990) S. 101 ff., 105. 361 Entschließung des Rates vom 14. April 1975 betreffend ein Erstes Programm der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für eine Politik zum Schutz und der Unterrichtung der Verbraucher, ABl. C 92 vom 25.4.1975, S. 1. 362 Siehe Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 17 Ziffer 18, das die Einbeziehung von Sachschäden mit dem Verbraucherschutzprogramm begründet: „Das erwähnte Erste Programm für eine Politik zum Schutze und der Unterrichtung der Verbrau-
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verpflichtet zum Ersatz für „Schäden, die er [der Verbraucher] durch Kauf oder Gebrauch fehlerhafter Waren und unzureichender Dienstleistungen erleidet“.363 Infolge der Orientierung des Schadensbegriffs der Richtlinie an der Funktion der Sachen für den privaten Ge- und Verbrauch (vgl. auch Art. 9 lit. b i, ii RL 85/374) ist deshalb auch der Ersatz entgangener privater Gebrauchsvorteile durch die Richtlinie geboten,364 soweit diese die „gewöhnlichen Ge- und Verbrauchsfunktionen“ betreffen, die man „typischerweise mit einem bestimmten Produkt verbindet“365 und sofern den Gebrauchsvorteilen – was der EuGH wohl der Beurteilung durch die nationalen Gerichte überlassen dürfte – im Einzelfall ein Vermögenswert zukommt.366 b) Immaterielle Schäden Für den Ersatz immaterieller Schäden verweisen Art. 9 Satz 2 und Erwägungsgrund 9 Satz 3 RL 85/374 ausdrücklich auf die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten367 (zu lesen als Verweis auf das anwendbare – ggfs. auch nicht-mitgliedstaatliche – Recht, vgl. Art. 5 Rom II-VO), so dass die Richtlicher sieht neben dem Schutz der Gesundheit ausdrücklich den Schutz der wirtschaftlichen Interessen des Verbrauchers vor. Aus diesem Grunde umschließt die Richtlinie auch Sachschäden in dem auf den Schutz der Verbraucherinteressen begrenzten Umfang, erfaßt also nicht Beeinträchtigungen wirtschaftlicher Interessen im kommerziellen Bereich.“ 363 Entschließung des Rates vom 14. April 1975 betreffend ein Erstes Programm der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für eine Politik zum Schutz und der Unterrichtung der Verbraucher, ABl. C 92 vom 25.4.1975, S. 1 Anhang Ziffer 32: „Der Verbraucher muß bei Klagen und bei Schäden, die er durch Kauf oder Gebrauch fehlerhafter Waren und unzureichender Dienstleistungen erleidet, Beratung und Beistand erhalten. Er hat außerdem Anspruch auf eine angemessene Wiedergutmachung solcher Schäden, und zwar mittels schneller, wirksamer und wenig kostspieliger Verfahren.“ (Hervorhebung nicht im Original). Zu diesem Argument bereits Anderle Der Haftungsumfang des harmonisierten Produkthaftungsrechtes (1990) S. 104 f. 364 Wolf FS Lange (1992) 779, 789: „Aus dem Schutz nicht des Objekts per se, sondern der mit ihm verbundenen Ge- und Verbrauchsfunktionen kann der naheliegende Schluß gezogen werden, daß neben den Wiederherstellungs- oder Wiederbeschaffungskosten für die private Sache auch der wirtschaftliche Wert dieser Ge- und Verbrauchsfunktion in den Schutzbereich mit einbezogen ist.“ Zum deutschen Umsetzungsgesetz Graf von Westphalen in: Graf von Westphalen Produkthaftungshandbuch2 II (1999) § 71 Rn. 30 (in Folgeauflage, soweit ersichtlich, entfallen); a. A. Taschner/Frietsch Produkthaftungsgesetz und EG-Produkthaftungsrichtline2 (1990) Art. 9 Richtl. Rn. 12: Kein Ersatz von entgangenen Nutzungen oder entgangenem Gewinn. 365 Wolf FS Lange (1992) 779, 789 f., der mit dieser Einschränkung den Ersatz für einen entgangenen Lottogewinn wegen Ausfall eines Autos zur Abgabe des Lottoscheins aus dem Schutzzweck des Art. 9 lit. b RL 85/374 ausschließt. 366 Insofern zeigen sich – wie häufig bei einzelfallabhängigen Bewertungen – die Grenzen der Vollharmonisierung in der zurückgenommenen Kontrolldichte bzw. Konkretisierungsbefugnis des EuGH. Generell für Anwendung des nationalen Rechts zum Ersatz des entgangenen Gebrauchswertes H. Koch ZHR 152 (1988) 537, 544.
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nie367 insofern weder Sperrwirkung entfaltet noch einen Ersatz immaterieller Schäden vorgibt.368 Unter immateriellen Schäden versteht die Richtlinie „die Gewährung von Schmerzensgeld und die Wiedergutmachung anderer seelischer Schäden“ (Erwägungsgrund 9 Satz 3 RL 85/374), während die Aufwendungen zur Heilbehandlung oder zum Ersatz von Schockschäden Teil des (ersatzfähigen) Schadens einer Körperverletzung sind.369 Eine Wendung im Veedfald-Urteil verpflichtet die nationalen Gerichte zudem, die Unterscheidung zwischen materiellen und immateriellen Schäden anhand europäischautonomer Kriterien zu treffen,370 ohne freilich zu offenbaren, welche Kriterien für diese Abgrenzung maßgeblich sind. Neben dem Schmerzensgeld und der Wiedergutmachung für andere seelische Schäden dürften vor allem der Ersatz des Affektionsinteresses sowie der Ersatz für entgangenen Urlaub oder Dies geht zurück auf die Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments, ABl. C 127 vom 21.5.1979, S. 61, 64 (Art. 6 Abs. 2). In ihrem geänderten Vorschlag sprach sich die Kommission noch für eine Einbeziehung immaterieller Schäden ein, vgl. die Änderungen zum Vorschlag einer Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, ABl. C 271 vom 26.10.79, S. 3, 5: „Um sowohl die Gesundheit als auch die persönliche Habe des Verbrauchers zu schützen, sind neben den Folgen des Todes und den Körperschäden auch Sachschäden, immaterielle Schäden und die Gewährung von Schmerzensgeld einzubeziehen. […]. Der zu ersetzende Schaden umfaßt auch die Gewährung von Schmerzensgeld und den Ersatz anderer immaterieller Schäden.“ 368 EuGH 10.5.2001, Rs. C-203/99, Slg. 2001, I-3569 Rn. 27, 29 – Veedfald: „abgesehen vom immateriellen Schaden, dessen Ersatz sich ausschließlich nach dem Recht der Mitgliedstaaten richtet“; Anderle Der Haftungsumfang des harmonisierten Produkthaftungsrechtes (1990) S. 68 f.: „nationale Option zur Einbeziehung immaterieller Schäden in die harmonisierte Produkthaftung“; Welser/Rabl Produkthaftungsgesetz2 (2004) § 1 Rn. 9 Fn. 30; Borghetti La responsabilité du fait des produits (2004) S. 486 Rn. 506; wohl a. A. (Sperrwirkung der Richtlinie für Schmerzensgeldansprüche auf Grundlage des – auch nationalen – Produkthaftungsrechts) Brüggemeier/Reich WM 1986, 149, 151: Schmerzensgeld nur auf Grundlage anderer nationaler Haftungsregelungen. Gegen eine Ausdehnung der Richtlinie auf immaterielle Schäden de lege ferenda der (zweite) Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 85/374 über die Haftung für fehlerhafte Produkte KOM(2000) 893 S. 27, Ziffer 3.2.9. 369 Taschner/Frietsch Produkthaftungsgesetz und EG-Produkthaftungsrichtline2 (1990) Art. 9 Richtl. Rn. 6. Auch entgangene Gebrauchsvorteile und Gewinne sind – auch wenn zuweilen als „dommages immatériels“ bezeichnet – nicht als immaterieller Schaden i. S. d. Art. 9 RL 85/374 gemeint, H. Koch ZHR 152 (1988) 537, 549. 370 EuGH 10.5.2001, Rs. C-203/99, Slg. 2001, I-3569 Rn. 33 – Veedfald: „dass das innerstaatliche Gericht nach der Richtlinie zu prüfen hat, unter welche Schadensart der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens zu subsumieren ist, d. h., ob der entstandene Schaden unter Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a oder Buchstabe b der Richtlinie fällt, oder ob es sich um einen immateriellen Schaden handelt“ (Hervorhebung nicht im Original); a. A. noch Schmidt-Salzer in: Schmidt-Salzer/Hollmann Kommentar EG-Richtlinie Produkthaftung I (1986) Art. 9 Rn. 10 (Qualifikation als materieller oder immaterieller Schaden nach nationalem Recht); Anderle Der Haftungsumfang des harmonisierten Produkthaftungsrechtes (1990) S. 70. 367
VI. Kausalität
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Freizeit als (von der Richtlinie nicht erfasster) immaterieller Schaden zu qualifizieren sein. Gleiches gilt für den Ersatz des Reputationsverlusts oder die Beeinträchtigung des Firmenimage.371 Demgegenüber zählt der Einnahmeausfall aufgrund des Ausfalls der Arbeitskraft als entgangener Gewinn zu den (ersatzfähigen) Vermögensfolgeschäden.372 Gleiches dürfte für entgangene Nutzungen einer Sache gelten, die in manchen Staaten als immaterielle Schäden eingestuft werden.373 c) Überkompensatorischer Schadensersatz Mit Blick auf die Ausrichtung der Richtlinie auf die „Wiedergutmachung von Schäden“ (Erwägungsgrund 9 Satz 1 RL 85/374) und der (weitgehenden) Ausklammerung präventiver Ziele (§ 7 II 5 → S. 380) umfasst Art. 9 RL 85/374 schließlich auch nicht überkompensatorischen Schadensersatz. Eine solche Form des Schadensersatzes passt nicht nur schlecht zum Konstrukt der verschuldensunabhängigen Haftung,374 sondern steht auch mit der ursprünglichen Konstruktion einer Versicherungslösung im Produkthaftungsrecht und dem Ziel der Förderung von Produktinnovation im Spannungsverhältnis. VI. Kausalität
VI. Kausalität
Zur Kausalität sehen sowohl Art. 1375 wie Art. 4376 RL 85/374 lediglich vor, dass es eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Produktfehler und 371 Schmidt-Salzer in: Schmidt-Salzer/Hollmann Kommentar EG-Richtlinie Produkthaftung I (1986) Art. 9 Rn. 9. 372 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 17 Ziffer 21. 373 So offenbar in Frankreich, Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 65. Auch in Deutschland wurden die fehlgeschlagenen Aufwendungen (frustrierte Pachtzahlungen) eines durch ein fehlerhaftes Produkt geschädigten Jagdpächters bereits als Form immaterieller Schäden angesehen, weil der Jagdpächter sein Jagdrecht zwar nicht mehr persönlich nutzen konnte, er aber nach wie vor über die Nutzung verfügen konnte, BGH 15.12.1970, VI ZR 120/69, BGHZ 55, 146, 151: „Mit Ausnahme des persönlichen Gebrauchs standen die übrigen Gebrauchsmöglichkeiten zu seiner Verfügung, indem er zB den Gebrauch entgeltlich oder unentgeltlich Dritten überließ. Das zeigt, daß er lediglich in seiner Dispositionsfreiheit […] beeinträchtigt, dagegen nicht die Gebrauchsmöglichkeit selbst ausgeschlossen war. Darin, daß er den an sich möglichen Gebrauch nicht wie gewohnt auszuüben vermochte, ist aber kein zu ersetzender Vermögensschaden zu erblicken. Dieser Nachteil kann nur beim Ersatz immateriellen Schadens berücksichtigt werden, der nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits ist.“ 374 Schmidt-Salzer in: Schmidt-Salzer/Hollmann Kommentar EG-Richtlinie Produkthaftung I (1986) Art. 9 Rn. 39. Allerdings ist die Haftung im Antidiskriminierungsrecht der Union ebenfalls strikt ausgestaltet und dient gleichwohl präventiven Zwecken, vgl. EuGH 8.11.1990, Rs. C-177/88, Slg. 1990, I-3941 Rn. 25 f. – Dekker; EuGH 22.4.1997, Rs. C180/95, Slg. 1997, I-2195 Rn. 20 f. – Draehmpaehl. 375 „Der Hersteller eines Produkts haftet für den Schaden, der durch einen Fehler dieses Produkts verursacht worden ist.“
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§ 7 Produkthaftung
Schaden bedarf, ohne eindeutig zwischen der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität zu unterscheiden.377 Infolge der nur rudimentären Regeln zur Kausalität ist in der Literatur ähnlich wie beim Schadensbegriff umstritten, ob der Begriff der Kausalität anhand europäisch-autonomer378 oder nicht vielmehr anhand nationaler379 Maßstäbe zu beurteilen ist. „Der Geschädigte hat den Schaden, den Fehler und den ursächlichen Zusammenhang zwischen Fehler und Schaden zu beweisen.“ 377 Oechsler in: Staudinger §§ 826–829, ProdHaftG (2014) § 1 ProdHaftG Rn. 162 (zu § 1 Abs. 4 Satz 1 ProdHaftG). Wegen der Rechtsgutbezogenheit der Schadensdefinition ist eine zweiaktige Kausalprüfung (Produktfehler – rechtsgutbezogener Schaden an Körper, Gesundheit, Sacheigentum – Schadensfolgen) aber denkbar, G. Wagner in: MünchKommBGB V6 (2013) § 1 ProdHaftG Rn. 22; Weitenberg Der Begriff der Kausalität in der haftungsrechtlichen Rechtsprechung der Unionsgerichte (2014) S. 823. 378 Lindemeyer WRP 1975, 712, 714: „Bei den unter 2. erwähnten Schäden [Vermögensfolgeschäden] handelt es sich um Folgeschäden, bei denen das Problem der Kausalität zwischen der Fehlerhaftigkeit der Sache und dem geltend gemachten Schaden besonders akut wird. Die Kommission sah sich hier außerstande, einheitliche Regeln aufzustellen, da die Abgrenzung in allen Mitgliedstaaten nicht durch Gesetz, sondern im Wege der Rechtsprechung gelöst werde. Man erwartet eine befriedigende Abgrenzung durch Übertragung der direkten Auslegungsbefugnis des Begriffes ‚Schaden‘ auf den Europäischen Gerichtshof durch Erlaß einer Verordnung anstelle einer Richtlinie. Eine Abgrenzung sei auch nicht wünschenswert, da nationale Entwicklungen des Schadensersatzrechts nicht abgeschnitten werden sollten.“ Lindemeyer tritt selbst für eine Begrenzung des Zurechnungszusammenhangs in allen Fällen ein, „in denen eine Ablenkung des Kausalzusammenhangs oder eine Fortentwicklung des Kausalzusammenhangs durch ein selbständiges Ereignis oder zumindest durch ein schuldhaftes Verhalten Dritter stattfindet“ (mit dem Beispiel eines Geschädigten, der sich wegen eines Beinbruchs durch ein fehlerhaftes Produkt in ein Krankenhaus begibt und dort infolge mangelhafter Vorsorge an Typhus verstirbt; Welser/ Rabl Produkthaftungsgesetz2 (2004) § 1 Rn. 37 verneinen in dieser Situation bereits die Adäquanz). Für ein europäisch-autonomes Verständnis auch Sack VersR 1988, 439, 451: „Schutzzwecküberlegungen sollten auch eine Beschränkung der EG-einheitlichen Produkthaftung ermöglichen, auch wenn dies nicht ausdrücklich in der EG-Richtlinie vorgesehen ist. Dies darf jedoch wegen des Harmonisierungszwecks der EG-Richtlinie nicht in einem nationalen Alleingang, sondern nur EG-einheitlich geschehen.“ Graf von Westphalen in: Foerste/Graf von Westphalen Produkthaftungshandbuch3 (2012) § 45 Rn. 32, 34: „naturwissenschaftlich begründete Verursachung zwischen Fehler und Schaden“; Micklitz VuR 2001, 41, 48 (eher für nationales Verständnis noch ders. ZRP 1978, 37, 39 (zum Kommissionsentwurf)), der zugleich auf die geringen Unterschiede hinweist, denn auch nach autonomem Kausalitätsverständnis sei neben der Äquivalenzformel der Schutzzweck der Norm zu berücksichtigen; Heiderhoff Europäisches Privatrecht4 (2016) Rn. 528. 379 Schlechtriem VersR 1986, 1033, 1034; Schmidt-Salzer BB 1986, 1103, 1104; Brüggemeier/Reich WM 1986, 149, 151; H. Koch ZHR 152 (1988) 537, 544; Rolland Produkthaftungsrecht (1990) § 1 ProdHaftG Rn. 53; Taschner/Frietsch Produkthaftungsgesetz und EG-Produkthaftungsrichtlinie2 (1990) Art. 4 Richtl. Rn. 8: „Ob Kausalität vorliegt oder nicht, ist eine Frage des im Streitfall anwendbaren Rechts“; Schaub in: Weber u. a. (Hrsg.) Europäisierung des Privatrechts: Zwischenbilanz und Perspektiven – Jahrbuch junger Zivilrechtswissenschaftler 1997 (1998) 69, 79; Oechsler in: Staudinger §§ 826–829, 376
VI. Kausalität
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Diese Auseinandersetzung lässt sich bis auf den Kommissionsvorschlag zurückführen, der in einem Erwägungsgrund noch ausdrücklich anordnete, dass „die Beurteilung des Kausalzusammenhangs zwischen Fehler und Schaden im Einzelfall […] den einzelstaatlichen Rechten überlassen [bleibt]“.380 Dass dieser Erwägungsgrund in der endgültigen Richtlinie entfallen ist, kann auf zwei Gründen beruhen: Entweder sah man den Verweis auf das nationale Recht als selbstverständlich und damit entbehrlich an – was angesichts des Grundsatzes der autonomen Auslegung von Richtlinienbegriffen zweifelhaft erscheint (auch wenn in den frühen achtziger Jahren der Grundsatz autonomer Auslegung noch nicht derart präsent gewesen sein mag wie heutzutage) – oder man wollte zumindest gewisse Aspekte des Kausalzusammenhangs unionsrechtlich durch den EuGH definieren lassen. Die überzeugendste Antwort dürfte sich gewinnen lassen, wenn man – ähnlich wie beim Schadensbegriff (dazu bereits § 9 V 3 → S. 470) – die Struktur des Vorabentscheidungsverfahrens berücksichtigt. In diesem Verfahren ist sowohl die Tatsachenfeststellung381 wie auch die konkrete Subsumtion unter die vom Gerichtshof entfalteten Begriffe des Unionsrechts Sache der nationalen Gerichte,382 auch wenn der EuGH manchmal im Einzelfall dem nationalen Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts gibt, die diesem für seine Entscheidung dienlich sein könnten.383 Da die Feststellung des Kausalzusammenhangs zwangsläufig einzelfallabhängig sein wird und eher kasuistisch als abstrakt-generell erfolgen wird, ist es ausgeschlossen, dass sich der EuGH flächendeckend zur Feststellung eines Kausalzusammenhangs in einzelnen Produkthaftungsfällen äußern wird. Die Arbeitsteilung zwischen EuGH und nationalen Gerichten bedeutet andererseits aber nicht, dass sich der Gerichtshof generell nicht zur Kausalität äußern darf, weil dies ein Begriff des nationalen Rechts wäre. Vielmehr ist dieser Begriff – da in ProdHaftG (2014) § 1 ProdHaftG Rn. 32: „nach den allgemeinen Grundsätzen des deutschen Rechts“; Wuyts JETL 5 (2014) 1, 25: „Therefore national courts will apply their national rules governing this concept [causal relationship]“ (mit Beispielen); Weitenberg Der Begriff der Kausalität in der haftungsrechtlichen Rechtsprechung der Unionsgerichte (2014) S. 340 f., 354 f. 380 Erwägungsgrund 14 im ursprünglichen Kommissionsvorschlag, Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 8. Siehe auch die Ausführungen zur Reichweite des Schadensersatzes (haftungsausfüllenden Kausalität) im Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 17 Ziffer 21. 381 EuGH 18.6.2009, Rs. C-487/07, Slg. 2009, I-5185 Rn. 33 – L’Oréal. 382 EuGH 18.11.2010, Rs. C-159/09, Slg. 2010, I-11761 Rn. 33 – Lidl SNC: konkrete Prüfung der Substituierbarkeit Sache der nationalen Gerichte; EuGH 12.5.2011, Rs. C-122/ 10, Slg. 2011, I-3903 Rn. 48, 58, 70 f. – Ving Sverige: Beurteilung der hinreichenden Verbraucherinformation für eine informierte geschäftliche Entscheidung im Einzelfall Sache des nationalen Gerichts; siehe bereits EuGH 27.3.1963, verb. Rs. 28/62 bis 30/62, Slg. 1963, 63, 81 – da Costa. 383 EuGH 10.7.2008, Rs. C-54/07, Slg. 2008, I- 5187 Rn. 19 – Feryn.
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§ 7 Produkthaftung
einer Richtlinie der Union (wenn auch rudimentär) geregelt (vgl. Art. 1, 4 RL 85/374) – autonom auszulegen, weil „die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten“
müssen.384 Im Sinne einer solchen Arbeitsteilung zwischen Gerichtshof und nationaler Rechtsprechung lässt sich auch ein Passus in der Kommissionsbegründung zur Vorschrift über den Schaden (heute Art. 9 RL 85/374) verstehen. Dort heißt es: „Voraussetzung für den Ersatz weiterer Schäden ist der Kausalzusammenhang zwischen Fehler und Schaden. Wie dieser Kausalzusammenhang zu bewerten ist, bleibt Sache der Rechtsprechung jedes Mitgliedstaates. Im praktischen Ergebnis wird jedoch die Höhe des in den einzelnen Fällen zuerkannten Schadensersatzes nicht wesentlich voneinander abweichen, wie rechtsvergleichende Untersuchungen gezeigt haben.“385
Angesichts der Bedeutung der Kausalität für die einheitliche Ausgestaltung des Produkthaftungsrechts und des Grundsatzes der autonomen Auslegung ist der Hinweis auf die „Rechtsprechung jedes Mitgliedstaates“ in der Kommissionsbegründung nicht als genereller Verweis auf das nationale Recht zu verstehen, sondern vielmehr im Sinne einer Aufgabenteilung zwischen Gerichtshof und nationaler Rechtsprechung gemeint: Dem EuGH obliegt die Vorgabe der allgemeinen Kausalitätskriterien, während die nationale Rechtsprechung diese nach den unionsrechtlichen Vorgaben auszufüllen hat. Infolge der generellen Auslegung der Richtlinie im Lichte ihrer Schutzziele386 ist auch die Kausalität anhand der Richtlinienziele zu konkretisieren, vor allem durch das Ziel, den Verbraucher vor den typischen Gefahren eines fehlerhaften Produktes zu schützen. Dies bedeutet zugleich, dass neben der Äquivalenzformel387 auch eine Einschränkung der Kausalität aufgrund von SchutzZu Nachweisen und Ausnahmen bei explizitem oder implizitem Verweis auf nationales Recht bereits oben Teil 1 – Fn. 366–368. 385 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 17 Ziffer 21; siehe auch die Erläuterungen von Lindemeyer WRP 1975, 712, 714 (oben Fn. 378). Kritisch Lukes Reform der Produkthaftung (1979) S. 91 Fn. 451, der auf die gesetzliche Regelung des Schadensumfangs in den §§ 249 ff. BGB verweist. Indes werden die Einzelheiten der haftungsausfüllenden Kausalität, wie die Kommission zutreffend ausführt, trotz der §§ 249 ff. BGB durch die Rechtsprechung definiert. 386 EuGH (Große Kammer) 21.12.2011, Rs. C-495/10, ECLI:EU:C:2011:869 Rn. 24 – Centre hospitalier universitaire de Besançon. 387 Für eine Inspiration der Richtlinie 85/374 durch den Kausalitätsbegriff des unionalen Staatshaftungsrechts Weitenberg Der Begriff der Kausalität in der haftungsrechtlichen Rechtsprechung der Unionsgerichte (2014) S. 823, der „eine Ausnahme vom conditio sine qua non-Erfordernis in Fällen konkurrierender Kausalität sowie eine vollumfängliche Haftung kumulativer Verursacher, deren Beiträge jeweils eine notwendige Bedingung des Schadenseintritts darstellen“ sowie ein „zweiaktiges Verständnis des Kausalzusammen384
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zwecküberlegungen in Betracht kommt,388 zumal der EuGH die Richtlinie nicht generell im Sinne einer Verbraucherschutzoptimierung ausgelegt hat, sondern vielmehr als ein „Ergebnis einer komplexen Abwägung“ der Ziele versteht, einen unverfälschten Wettbewerb zwischen den Wirtschaftsbeteiligten zu gewährleisten, den freien Warenverkehr zu erleichtern und einen unterschiedlichen Verbraucherschutzstandard zu vermeiden.389 Beispielhaft ließ sich diese unionale Überlagerung der Kausalität in der Rechtssache Boston Scientific beobachten, in der es um den Ersatz der Operationskosten für den Austausch von – vermutet fehlerhaften – implantierten Herzschrittmachern und Defibrillatoren ging. Hier stellte der Gerichtshof allgemein klar, dass der Schadensersatz auch die Kosten im Zusammenhang mit der Operation zum Austausch der fehlerhaften Produkte einschließen kann, allerdings nur dann, wenn es kein anderes ausreichend geeignetes Mittel (wie etwa die bloße Deaktivierung bestimmter Funktionen des Implantats) gibt, um den Produktfehler in Gestalt des anormalen Schadensrisikos zu beseitigen, was durch das nationale Gericht zu beurteilen ist.390 Damit hat der Gerichtshof auch mittelhangs (zwischen Produktfehler und Rechtsgutsverletzung sowie zwischen Rechtsgutsverletzung und Schaden)“ für angezeigt hält. 388 Sack VersR 1988, 439, 451 f: „Schutzzweckerwägungen dem Produkthaftungsrecht immanent“; Micklitz VuR 2001, 41, 48. Für ein Beispiel siehe bereits oben Text bei Fn. 365 und Wolf FS Lange (1992) 779, 789 f. Deshalb sind auch Schäden nicht ersatzfähig, die aus dem Gebrauch einer anderen Sache resultieren (z. B. Fahrradunfall bei Einkaufsfahrt), weil infolge eines Produktfehlers die ursprünglich genutzte Sache (Auto zu Einkaufsfahrten) ausgefallen ist. Für eine Begrenzung durch die Schutzzwecklehre (allerdings auf dem Boden des deutschen Rechts) auch Schlechtriem VersR 1986, 1033, 1034. Nach einer im französischen Schrifttum verbreiteten Auffassung soll auch das Eingreifen höherer Gewalt den Kausalzusammenhang unterbrechen, Borghetti La responsabilité du fait des produits (2004) S. 497 Rn. 519: „la force majeure vient rompre le lien de causalité qui pourrait exister entre le défaut du produit et le dommage“. 389 EuGH (Große Kammer) 21.12.2011, Rs. C-495/10, ECLI:EU:C:2011:869 Rn. 22 – Centre hospitalier universitaire de Besançon. 390 EuGH 5.3.2015, verb. Rs. C-503/13 und C-504/13, ECLI:EU:C:2015:148 Rn. 54 – Boston Scientific; Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 21.10.2014, verb. Rs. C-503/13 und C-504/13, ECLI:EU:C:2014:2306 Rn. 69 f. – Boston Scientific: „Die Verpflichtung des Herstellers wird gemäß Art. 4 der Richtlinie 85/374 wohlgemerkt vom Nachweis des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem sich aus dem Risiko eines Geräteausfalls ergebenden Fehler und dem sich aus den präventiven chirurgischen Operationen zur Explantation der fehlerhaften Geräte und zur Reimplantation neuer Geräte ergebenden Schaden der Patienten abhängen. Wie die französische Regierung zu Recht geltend macht, ist es Sache des nationalen Gerichts, im Rahmen der Beurteilung des Bestehens eines solchen Zusammenhangs zu prüfen, dass die bei den Versicherten durchgeführten Operationen erforderliche und verhältnismäßige Maßnahmen darstellten, d. h. Maßnahmen, die geeignet waren, dem in Rede stehenden Ausfallrisiko vorzubeugen, und nicht durch weniger schädigende Maßnahmen ersetzt werden können.“ Dazu auch Koch VersR 2015, 1467, 1470 f., der die Überlegungen des Gerichtshofs in der deutschen Dogmatik bei § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB und § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB verortet, sofern man sie nicht
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bar klargestellt, dass die eigenverantwortliche Entscheidung des Patienten, eine Austauschoperation durchführen zu lassen, den Zurechnungszusammenhang zwischen Produktfehler und Schaden nicht aufhebt.391 Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass es zur Schadenszurechnung neben dem Kausalzusammenhang zwischen Fehler und Schaden392 einer Bewertung anhand des Schutzzwecks der Richtlinie bedarf, wobei die Motive des Verbraucherschutzes und des Ausgleichs von Verbraucher- und Herstellerinteressen maßgeblich zu berücksichtigen sind.393 Eine Vorhersehbarkeitsschranke des Schadensersatzes lässt sich für das Produkthaftungsrecht bisher nicht feststellen,394 könnte sich aber infolge der Einstrahlung allgemeiner unionaler Kausalitätsgrundsätze ergeben (dazu noch unten § 9 VI → S. 603). VII. Mitwirkende Verursachung VII. Mitwirkende Verursachung
1. Mitverursachung des Geschädigten Gemäß Art. 8 Abs. 2 RL 85/374 kann die Haftung des Herstellers „unter Berücksichtigung aller Umstände gemindert werden oder entfallen, wenn der Schaden durch einen Fehler des Produkts und zugleich durch Verschulden des Geschädigten oder einer Person, für die der Geschädigte haftet, verursacht worden ist“. Diese im ursprünglichen Kommissionsvorschlag noch als nicht erforderlich angesehene Regelung395 erkennt ausdrücklich die Möglichbereits dem haftungsbegründenden Zurechnungszusammenhang zuordnen will, ähnlich Brock/Lach PharmR 2013, 480, 484 (Frage des § 254 Abs. 2 BGB). 391 Ausdrücklich Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 21.10.2014, verb. Rs. C-503/13 und C-504/13, ECLI:EU:C:2014:2306 Rn. 68 – Boston Scientific: „Zudem führt die Argumentation, die darin besteht, auf die Initiative des Geschädigten abzustellen, um ihm anschließend die Entschädigung seines Schadens zu verweigern, auf die Spitze getrieben zu einem absurden und unbilligen Ergebnis, da vom Geschädigten verlangt wird, tot zu sein, um einen ersatzfähigen Schaden geltend machen zu können. Dieses Ergebnis stünde selbstverständlich in einem absoluten Widerspruch zur praktischen Wirksamkeit der Richtlinie 85/374.“ 392 Für eine Übernahme des Erfordernisses des unmittelbaren Kausalzusammenhangs i. S. d. Staatshaftungsrechts in das Produkthaftungsrecht N. Reich in: Liber Amicorum Guido Alpa: Private Law Beyond the National Systems (2007) 846, 859. 393 Graf von Westphalen in: Graf von Westphalen Produkthaftungshandbuch II2 (1999) § 71 Rn. 41 (in Folgeauflage, soweit ersichtlich, entfallen). 394 Gsell in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 281, 287; Remien in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privatund Wirtschaftsrecht (2012) 359, 368 f. Anders (für den vertraglichen Schadensersatzanspruch) Art. 161 des Kommissionsvorschlags für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht, KOM(2011) 635: „Der Schuldner haftet nur für den Verlust, den er zu dem Zeitpunkt, als der Vertrag geschlossen wurde, als Folge der Nichterfüllung vorausgesehen hat oder hätte voraussehen können.“ 395 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 16 Ziffer 16; für einen klarstellenden Verweis auf das nationale Recht plädierte der Wirtschafts- und Sozialaus-
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keit einer Haftungsbegrenzung aufgrund des Mitverschuldens des Geschädigten an, das allerdings nicht zwingend zum Anspruchsausschluss, sondern auch lediglich zu einer Anspruchsminderung führen kann.396 Sie wurde aus Gründen der Klarstellung aufgenommen, damit Mitverschulden nicht – wie im traditionellen common law – zum vollständigen Anspruchsausschluss führt.397 Der ausdrückliche Hinweis auf „Verschulden des Geschädigten“ stellt klar, dass nur eine vorsätzliche oder (auch einfach) fahrlässige Mitverursachung des Schadens zu einer Anspruchskürzung führen kann, nicht aber verschuldensunabhängige Elemente wie eine Betriebsgefahr des Geschädigten oder eine gesetzliche Haftungsprivilegierung des Schädigers.398 Darüber hinaus gibt Art. 8 Abs. 2 RL 85/374 den Kern einer Zurechnungsnorm vor, indem auch das Verschulden „einer Person, für die der Geschädigte haftet“, zu einer Anspruchsminderung führen kann, wobei die Reichweite der Einstandspflicht mangels unionsrechtlicher Vorgaben für die Haftungszurechnung im Rechtskreis des Geschädigten als Verweis auf das anwendbare nationale Recht zu verstehen ist.399 2. Mitverursachung Dritter Kann das Mitverschulden des Geschädigten also nach den Regeln des nationalen Rechts zu einer Anspruchskürzung führen, so wird die Haftung des Herstellers gemäß Art. 8 Abs. 1 RL 85/374 – unbeschadet eines einzelstaatlichen Rückgriffsrechts – nicht gemindert, wenn der Schaden durch einen Fehler des Produkts und zugleich durch die Handlung eines Dritten verursacht worden ist (kumulative Gesamtkausalität)400. Die Regelung stellt klar, dass schuss, ABl. C 114 vom 7.5.79, S. 17, Ziffer 2.5.1 und die Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments, ABl. C 127 vom 21.5.1979, S. 61, 64 (Art. 5 Abs. 2): Möglichkeit der Verteidigung mit mitwirkendem Verschulden. 396 Möglich ist auch ein vollständiger Anspruchsausschluss, Schlechtriem VersR 1986, 1033, 1039. 397 Schmidt-Salzer in: Schmidt-Salzer/Hollmann Kommentar EG-Richtlinie Produkthaftung I (1986) Art. 8 Rn. 3; Borghetti La responsabilité du fait des produits (2004) S. 496 Rn. 517 Fn. 285. 398 Taschner/Frietsch Produkthaftungsgesetz und EG-Produkthaftungsrichtline2 (1990) Art. 8 Richtl. Rn. 9; Welser/Rabl Produkthaftungsgesetz2 (2004) § 11 Rn. 1; wohl auch Borghetti La responsabilité du fait des produits (2004) S. 496 Rn. 517: „attribuent à la faute de la victime un caractère partiellement ou totalement exonératoire pour le producteur, en fonction des circonstances de l’espèce et notamment de la gravité de la faute“; a. A. Schlechtriem VersR 1986, 1033, 1039: auch Betriebsgefahr des Geschädigten zu berücksichtigen; Anderle Der Haftungsumfang des harmonisierten Produkthaftungsrechtes (1990) S. 97: „konkludente Weiterverweisung auf das nationale Recht“. 399 Taschner/Frietsch Produkthaftungsgesetz und EG-Produkthaftungsrichtline2 (1990) Art. 8 Richtl. Rn. 11; Schlechtriem VersR 1986, 1033, 1039. 400 Kullmann ProdHaftG6 (2010) § 6 ProdHaftG Rn. 12; ebenso Taschner/Frietsch Produkthaftungsgesetz und EG-Produkthaftungsrichtline2 (1990) Art. 6 Richtl. Rn. 4.
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eine Mitverursachung des Schadens durch Fehlverhalten Dritter den Zurechnungszusammenhang in der Produkthaftung nicht unterbrechen soll, sofern das Verhalten des Dritten nicht dem Haftungsbereich des Geschädigten zuzurechnen ist und deshalb unter dem Aspekt des Mitverschuldens (Art. 8 Abs. 1 RL 85/374) von Belang ist.401 Eine Ausnahme eröffnet Art. 7 lit. f RL 85/374, der dem Hersteller eines Teilprodukts einen Entlastungsbeweis eröffnet, wenn der Fehler durch die Konstruktion des Gesamtprodukts oder durch die Anleitungen des Herstellers des Gesamtprodukts hervorgerufen wurde. Haften bereits aufgrund der Richtlinie mehrere Personen für denselben Schaden, so haften sie gemäß Art. 5 RL 1985/374 – unbeschadet des Rückgriffsrechts nach nationalem Recht402 – gesamtschuldnerisch. Sowohl Art. 5 wie Art. 8 Abs. 1 RL 85/374 dienen dem Schutz des Geschädigten (Erwägungsgrund 5, 8 Satz 1 RL 85/374), der jeden nach der Richtlinie Verantwortlichen nach seiner Wahl für den vollen Ersatz des Schadens in Anspruch nehmen kann. Die durch Art. 5 und Art. 8 Abs. 1 RL 85/374 angelegte gesamtschuldnerische Haftung mehrerer Schädiger auf Ersatz des vollen Schadens steht allerdings unter dem Vorbehalt der Verwirklichung der Haftungsvoraussetzungen des Art. 1, 4 RL 85/374 (oder einer anderen Haftungsnorm ggfs. auch des nationalen Rechts). Kommt es aufgrund eines vorzeitigen Schadenseintritts durch eine Reserveursache nicht mehr zu einem Schaden aufgrund des Produktfehlers, so scheidet eine Herstellerhaftung mangels Kausalität aus (überholende Kausalität).403 VIII. Begrenzung des Schadensersatzes
VIII. Begrenzung des Schadensersatzes
1. Gesetzliche Begrenzung des Schadensersatzes Eine gesetzliche Regelung404 zur Begrenzung des Schadensersatzanspruchs findet sich im (zwingenden) Selbstbehalt für Sachschäden in Art. 9 lit. b RL 85/374 (dazu bereits oben § 7 V 3 a bb → S. 405), der anstelle der noch im 401 Für eine entsprechende Klarstellung die Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses, ABl. C 114 vom 7.5.79, S. 18, Ziffer 2.6.1 und die Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments, ABl. C 127 vom 21.5.1979, S. 61, 64 (Art. 5 Abs. 2). 402 Kritisch wegen der mit dem Verweis auf nationales Recht in Kauf genommenen Rechtszersplitterung bei der Verteilung des Schadens Schmidt-Salzer in: Schmidt-Salzer/ Hollmann Kommentar EG-Richtlinie Produkthaftung I (1986) Art. 5 Rn. 6; siehe aber auch Taschner/Frietsch Produkthaftungsgesetz und EG-Produkthaftungsrichtline2 (1990) Art. 5 Richtl. Rn. 3: Regelung wäre nicht möglich gewesen. 403 Schmidt-Salzer in: Schmidt-Salzer/Hollmann Kommentar EG-Richtlinie Produkthaftung I (1986) Art. 5 Rn. 9; Oechsler in: Staudinger §§ 826–829, ProdHaftG (2009) § 6 ProdHaftG Rn. 19; Kullmann ProdHaftG6 (2010) § 6 ProdHaftG Rn. 13. 404 Gegen die europarechtliche Zulässigkeit anderer als in der Richtlinie angelegter Haftungsbegrenzungen (z. B. durch eine Rügeobliegenheit analog § 377 HGB) Sack VersR 1988, 439, 452.
VIII. Begrenzung des Schadensersatzes
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Kommissionsvorschlag vorgesehenen Haftungshöchstgrenze für Sachschäden aufgenommen wurde. Allerdings handelt es sich nach hier vertretener Ansicht lediglich um eine Rechtsschutzschwelle zur Entlastung der Gerichte, nicht um einen echten Selbstbehalt, der den Grundsatz vollständiger Kompensation einschränken würde. Eine (optionale) gesetzliche Haftungshöchstgrenze für Personenschäden wurde mit der Möglichkeit405 der Begrenzung des Schadensersatzes für Tod oder Körperverletzung durch gleiche Artikel desselben Herstellers406 mit demselben Produktfehler407 in Art. 16 Abs. 1 RL 85/374 aufgenommen.408 Zweck dieser Höchstgrenze ist es, das Schadensrisiko berechenbar und damit versicherbar zu machen.409 Ob dieser Zweck tatsächlich erreicht wird, mag man angesichts der lediglich optionalen Ausgestaltung der Höchstgrenze und der parallel bestehenden unbeschränkten Haftung aus dem allgemeinen Vertrags- und Deliktsrecht bezweifeln.410 In der Sache ist bei Art. 16 Abs. 1 RL 85/374 umstritten, ob – wie in der deutschen Umsetzungsvorschrift des § 10 ProdHaftG vorgesehen – auch Großschäden in die Haftungsbegrenzung einbezogen werden dürfen, die durch ein einziges Produkt (z. B. ein fehlerhaftes Flugzeug) verursacht wurden,411 ob also die Höchstgrenze wie ein „Global405 Die fakultative Ausgestaltung geht zurück auf die Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments, ABl. C 127 vom 21.5.1979, S. 61, 64 (Art. 7). Der ursprüngliche Kommissionsvorschlag sah noch eine europaweit zwingende Haftungshöchstgrenze vor (Art. 7). 406 Bei mehreren verantwortlichen Herstellern erhöht sich dementsprechend das Globallimit, Anderle Der Haftungsumfang des harmonisierten Produkthaftungsrechtes (1990) S. 84 f. (mit Darstellung der Konsequenzen für den Gesamtschuldnerausgleich). 407 Zum Begriff „desselben Produktfehlers“ näher Anderle Der Haftungsumfang des harmonisierten Produkthaftungsrechtes (1990) S. 75 ff. 408 Umstritten ist, ob der Schadensbegriff des Art. 16 RL 85/374 auch Schäden erfasst, die unter Geltung eines anderen EU-ausländischen Produkthaftungsrechts zu ersetzen sind, dazu Anderle Der Haftungsumfang des harmonisierten Produkthaftungsrechtes (1990) S. 87 ff. 409 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 18 Ziffer 22. Im ursprünglichen Kommissionsvorschlag waren die Höchstgrenzen noch verbindlich. 410 Schmidt-Salzer in: Schmidt-Salzer/Hollmann Kommentar EG-Richtlinie Produkthaftung I (1986) Art. 9 Rn. 72 f.: „Trugschluß“. 411 Verneinend (und damit für einen Richtlinienverstoß des § 10 ProdHaftG) Brüggemeier ZHR 152 (1988) 511, 532; Taschner/Frietsch Produkthaftungsgesetz und EG-Produkthaftungsrichtline2 (1990) Art. 16 Richtl. Rn. 4; Oechsler in: Staudinger §§ 826–829, ProdHaftG (2014) § 10 ProdHaftG Rn. 6; Schiemann in: Erman, BGB II14 (2014) § 10 ProdHaftG Rn. 1; Schulte-Nölke in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.) Europarecht – Handbuch für die deutsche Rechtspraxis3 (2015) § 23 Rn. 57; zweifelnd auch G. Wagner in: MünchKommBGB V6 (2013) § 10 ProdHaftG Rn. 3 („kann es gleichwohl nicht als sicher gelten, dass § 10 Abs. 1 eine europarechtliche Kontrolle überleben würde“); a. A. (für Vereinbarkeit des § 10 ProdHaftG mit Art. 16 RL 85/374) Kullmann ProdHaftG6 (2010) §§ 7–11 ProdHaftG Rn. 23.
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§ 7 Produkthaftung
limit […] für Serien- und Einzelschäden“412 wirkt. Zwar ist den Kritikern an § 10 ProdHaftG zuzugeben, dass ausweislich der Richtlinienbegründung die Formulierung „Schäden, verursacht durch denselben Fehler gleicher Produkte“ („gleiche Artikel mit demselben Fehler“ im endgültigen Richtlinientext) auf Serienschäden zielte, also auf Fälle, „in denen ein identischer Fehler in verschiedenen Produkten gleicher Art auftritt und damit eine Reihe von Verbrauchern schädigt“.413 Allerdings dient die Norm dem Zweck, das Schadensrisiko berechenbar und kalkulierbar zu machen, was eher erreichbar ist, wenn die Höchstgrenze als Globallimit verstanden wird.414 Jedenfalls macht die nur fakultative Ausgestaltung der Haftungshöchstgrenze deutlich, dass der Unionsgesetzgeber im Grundsatz am Ziel der vollständigen Schadenskompensation festhält.415 So hält auch Erwägungsgrund 16 Satz 1 RL 85/374 fest, dass es sich „in Anbetracht der Rechtstraditionen in den meisten Mitgliedstaaten“ nicht empfiehlt, für die verschuldensunabhängige Haftung des Herstellers eine finanzielle Obergrenze festzulegen. Die Option zur Haftungsbegrenzung wird lediglich als Kompromiss unter Rücksicht vor allem auf die deutsche Rechtstradition eröffnet und so hoch angesetzt, dass sie einen angemessenen Schutz der Verbraucher und ein einwandfreies Funktionieren des Gemeinsamen Marktes sicherstellt, weil sie in den meisten Fällen nicht zum Tragen kommt. Bereits zur niedrigeren Obergrenze im ursprünglichen Vorschlag ging die Kommission davon aus, dass die Globalbegrenzung des Schadensersatzes im Regelfall zu einer unbegrenzten Haftung des Herstellers führt, weil der Schaden einer einzelnen Person die Höchstgrenzen nicht erreichen könne.416 Anderes gelte nur bei den – aus Sicht des Gesetzgebers – relativ seltenen Serienschäden, bei denen ein identischer Fehler in verschiedenen Produkten eine Vielzahl von Verbrauchern schädigt. Derartige Ausnahmen sollten allerdings nicht den Regelfall der Haftungsvorschriften definieren, zumal in diesen „außerordentlich seltenen Ausnahmefällen […] unter Umständen die Hilfe der Allgemeinheit hinzutreten“ werde.417 Dem Ziel der vollständigen Kompensation und dem Gedanken der Vollharmonisierung entsprechend sind Einzelschaden-Limitierungen unterhalb der Globalgrenze, die nach Erlass der Richtlinie noch teilweise als
412
S. 72.
So Anderle Der Haftungsumfang des harmonisierten Produkthaftungsrechtes (1990)
Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 18 Ziffer 24. Anderle Der Haftungsumfang des harmonisierten Produkthaftungsrechtes (1990) S. 72 f. 415 Gegen eine Verallgemeinerung der Höchstgrenze auch Magnus ZEuS 2002, 131, 138; ders. in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 12/ 32. 416 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 18 Ziffer 24. 417 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 18 Ziffer 24. 413 414
VIII. Begrenzung des Schadensersatzes
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zulässig angesehen wurden,418 nicht als richtlinienkonform anzusehen.419 Angesichts der Höhe der Haftungsbegrenzung und ihrer Ausnahmestellung innerhalb der Richtlinie ist Art. 16 Abs. 1 RL 85/374 deshalb nicht geeignet, in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle den Grundsatz der vollständigen Kompensation in Frage zu stellen.420 2. Vertragliche Begrenzung des Schadensersatzes Zur vertraglichen Begrenzung der Schadenshaftung bestimmt Art. 12 RL 85/374, dass die Haftung des Herstellers aufgrund der Richtlinie gegenüber dem Geschädigten nicht durch eine die Haftung begrenzende oder von der Haftung befreiende Klausel begrenzt oder ausgeschlossen werden kann.421 Diese durch das Ziel wirksamen Verbraucherschutzes motivierte (Erwägungsgrund 11 RL 85/374)422 Vorschrift sichert die Produkthaftung gegen vertragliche Freizeichnungs- oder Begrenzungsklauseln ab423 und erhebt sie in den Rang zwingenden Rechts.424 Sie schließt auch eine Abänderung der Haftungsvoraussetzungen425 oder unspezifizierte Warnhinweise426 aus („Verwendung auf eigene Gefahr“), gestattet es aber, im Rahmen der Feststellung des Produktfehlers („Darbietung des Produkts“, Art. 6 Abs. 1 lit. a RL 85/ 374) oder der Mitverursachung durch den Geschädigten (Art. 8 Abs. 2 RL 85/374) sachbezogene Einschränkungen des Produktgebrauchs zu berücksichSchmidt-Salzer in: Schmidt-Salzer/Hollmann Kommentar EG-Richtlinie Produkthaftung I (1986) Art. 16 Rn. 12 mit dem Hinweis, dass ein Globallimit ohne EinzelschadenLimitierungen einem „Windhund-Prinzip“ bei der Schadensliquidation Vorschub leiste. 419 Anderle Der Haftungsumfang des harmonisierten Produkthaftungsrechtes (1990) S. 79 f. 420 Borghetti La responsabilité du fait des produits (2004) S. 490 Rn. 509. 421 Dies gilt sowohl für die summenmäßige Beschränkung der Haftung wie für den Ausschluss des Ersatzes bestimmter, durch die Richtlinie garantierter Schadensarten, Anderle Der Haftungsumfang des harmonisierten Produkthaftungsrechtes (1990) S. 94. 422 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 20 Ziffer 29. 423 Die ursprüngliche Formulierung in Art. 10 des Kommissionsvorschlag, Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 10 („Die aufgrund dieser Richtlinie vorgesehene Haftung kann weder ausgeschlossen noch begrenzt werden“) sollte neben vertraglichen Freizeichnungsklauseln auch den Einwand ausschließen, der Geschädigte habe durch die Benutzung der Sache die Risiken aus einer möglichen Fehlerhaftigkeit freiwillig auf sich genommen, Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 20, Ziffer 29. 424 Taschner/Frietsch Produkthaftungsgesetz und EG-Produkthaftungsrichtline2 (1990) Art. 12 Richtl. Rn. 1: „rechtspolitische Entscheidung […] wäre wirkungslos, wenn er [der Gemeinschaftsgesetzgeber] die Haftung zur Disposition der Beteiligten gestellt hätte“. 425 Bischof Produkthaftung und Vertrag in der EU (1994) S. 110. 426 Taschner/Frietsch Produkthaftungsgesetz und EG-Produkthaftungsrichtline2 (1990) Art. 12 Richtl. Rn. 6; Bischof Produkthaftung und Vertrag in der EU (1994) S. 113; siehe auch bereits die Formulierung im ursprünglichen Vorschlag oben Fn. 423. 418
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§ 7 Produkthaftung
tigen.427 Trotz des überschießenden Wortlauts verbietet Art. 12 RL 85/374 nicht, nachträglich Vereinbarungen über die Haftung (z. B. einen Abfindungsvergleich) zu treffen (vgl. § 14 ProdHaftG: „im voraus“).428 3. Vorteilsausgleichung und Bereicherungsverbot Fragen der Vorteilsausgleichung und des Bereicherungsverbots werden in der Richtlinie nicht geregelt.429 Jedoch deutet der Vorbehalt des einzelstaatlichen Rückgriffsrechts in Art. 8 Abs. 1 RL 85/374 (der wohl den Anspruch des Geschädigten auf doppelte Entschädigung ausschließt) darauf hin, dass die Richtlinie einen doppelten Schadensersatz vermeiden will und den Rückgriff auf nationales Recht gestattet, um eine Bereicherung des Geschädigten als Folge des Schadensereignisses zu vermeiden. Für eine solche Lesart lässt sich auch die Fokussierung der Richtlinienzwecke auf Schadenskompensation und den gerechten Ausgleich zwischen Herstellern und Verbrauchern anführen. IX. Verjährung und Ausschlussfrist IX. Verjährung und Ausschlussfrist
Zu den zeitlichen Grenzen der Einstandspflicht des Herstellers sieht die Richtlinie zwei unterschiedliche Regeln vor, deren gemeinsames Ziel darin besteht, die Verjährungs- und Ausschlussfristen sowohl im Interesse des Geschädigten als auch des Herstellers europaweit einheitlich zu regeln (Erwägungsgrund 10 RL 85/374). Die Kombination subjektiver (Art. 10 RL 85/374) und objektiver (Art. 11 RL 85/374) Ausschlussfristen wird in der ausländischen Literatur zuweilen als Einfluss des deutschen Rechts auf die Richtlinie angesehen,430 wobei der Zeitraum von zehn Jahren für bestimmte Produkte und deren Spätfolgen (z. B. Arzneimittel) als zu kurz beurteilt wird.431
427 Schlechtriem VersR 1986, 1033, 1042; Taschner/Frietsch Produkthaftungsgesetz und EG-Produkthaftungsrichtline2 (1990) Art. 12 Richtl. Rn. 6; Kullmann ProdHaft6 (2010) § 14 ProdHaftG Rn. 3; wohl enger Hollmann DB 1985, 2439, 2441, demzufolge Art. 12 RL 85/374 zum Einwand der Verwendung auf eigene Gefahr keine Regelung mehr treffe (anders als der ursprüngliche Kommissionsvorschlag). Cahn ZIP 1990, 482, 486 sieht darin eine erhebliche Gefahr einer uneinheitlichen Auslegung, zumal sich die Frage stelle, in welchem Umfang Dritten Produktbeschreibungen und Eigenschaftsdarstellungen entgegen gehalten werden können. 428 Taschner/Frietsch Produkthaftungsgesetz und EG-Produkthaftungsrichtline2 (1990) Art. 12 Richtl. Rn. 5; Bischof Produkthaftung und Vertrag in der EU (1994) S. 112; Welser/Rabl Produkthaftungsgesetz2 (2004) § 9 Rn. 6; Magnus in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 12/40, 12/45. 429 Für Anwendung nationalen Rechts deshalb Schlechtriem VersR 1986, 1033, 1041. 430 Borghetti La responsabilité du fait des produits (2004) S. 491 Rn. 512, der wegen der fehlenden Hemmungs- und Unterbrechungsmöglichkeit die Regelung in Art. 11 RL 85/ 374 nicht als Verjährungsfrist, sondern als „délai de forclusion“ bezeichnet. 431 Borghetti La responsabilité du fait des produits (2004) S. 492 Rn. 512.
IX. Verjährung und Ausschlussfrist
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1. Subjektive Verjährung Der in der Richtlinie vorgesehene Ersatzanspruch verjährt nach Ablauf einer Frist von drei Jahren ab dem Tag, „an dem der Kläger von dem Schaden, dem Fehler und der Identität des Herstellers Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können“ (Art. 10 Abs. 1 RL 85/374). Erforderlich ist also, dass der Geschädigte alle Informationen hat oder hätte haben können, die ihm eine Rechtsverfolgung ermöglichen432 (Schaden, Fehler, Identität des Herstellers)433, nicht erforderlich ist die exakte Bezifferbarkeit des Schadens.434 Der Zeitraum von drei Jahren wurde angesichts der Möglichkeit der direkten Inanspruchnahme des Herstellers als angemessener Kompromiss angesehen, um genügend Zeit für Verhandlungen über eine gütliche Einigung und zur Vorbereitung auch einer grenzüberschreitenden Rechtsdurchsetzung einzuräumen.435 Er entspricht im Kern deutschen Vorstellungen, wird aber in anderen Mitgliedstaaten wie in Frankreich als eher kurz angesehen.436 Die dreijährige Verjährungsfrist des Art. 10 lässt die Vorschriften der Mitgliedstaaten über Hemmung oder Unterbrechung der Verjährung unberührt (Art. 10 Abs. 2 RL 85/374 i. V. m. Art. 5, 15 lit. h Rom II-VO). 2. Objektive Ausschlussfrist Neben der an subjektive Tatbestandsmerkmale (Kenntnis oder Kennenmüssen des Geschädigten von dem Schaden, dem Fehler und der Identität des Herstellers) anknüpfenden Verjährungsfrist des Art. 10 RL 85/374 ordnet Art. 11 RL 85/374 an, dass die Ansprüche des Geschädigten jedenfalls nach Ablauf einer Frist von zehn Jahren ab dem Zeitpunkt erlöschen, zu dem der Hersteller das schädigende Produkt in Verkehr gebracht hat,437 sofern der Geschädigte nicht innerhalb dieser Frist ein gerichtliches Verfahren gegen den HerstelBulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 19 Ziffer 27. Hollmann DB 1985, 2439, 2440. 434 Taschner/Frietsch Produkthaftungsgesetz und EG-Produkthaftungsrichtline2 (1990) Art. 10 Richtl. Rn. 2. 435 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 19 Ziffer 27. Die Frist läuft gegen jeden potentiell Verpflichteten (Hersteller, Importeur etc.) selbständig, SchmidtSalzer in: Schmidt-Salzer/Hollmann Kommentar EG-Richtlinie Produkthaftung I (1986) Art. 11 Rn. 8. 436 Borghetti La responsabilité du fait des produits (2004) S. 491 Rn. 511: „Sa durée de trois ans peut en effet paraître bien courte.“ 437 Zum Begriff des Inverkehrbringens in Art. 11 RL 85/374 insbesondere im Konzern EuGH 9.2.2006, Rs. C-127/04, Slg. 2006, I-1313 Rn. 27 ff. – O’Byrne. Zum Begriff des Inverkehrbringens in Art. 7 lit. a Rl 85/374 demgegenüber EuGH 10.5.2001, Rs. C-203/99, Slg. 2001, I-3569 Rn. 15 f. – Veedfald; zu den Unterschieden zwischen Art. 7 und 11 RL 85/ 374 EuGH 9.2.2006, Rs. C-127/04, Slg. 2006, I-1313 Rn. 25 ff. – O’Byrne. Nach Erlass der Richtlinie wurde diskutiert, ob auf das erstmalige Inverkehrbringen des Produkttyps oder des konkret schadensursächlichen Produkts abzustellen ist, Hollmann DB 1985, 2439, 2440. 432 433
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§ 7 Produkthaftung
ler eingeleitet hat. Diese Frist, die das Unionsrecht trotz der abweichenden Terminologie („erlöschen“) ebenfalls als Verjährungsfrist ansieht (vgl. Erwägungsgrund 10 RL 85/374),438 ist allein anhand objektiver Kriterien zu bestimmen, so dass subjektive Kriterien, z. B. dass der Geschädigte ein Unternehmen irrtümlich für den Hersteller des Erzeugnisses hält oder mit seiner gegen ein anderes Unternehmen gerichteten Klage tatsächlich gegen den Hersteller vorzugehen beabsichtigt, keine Ausnahme von der Zehnjahresfrist des Art. 11 gestatten.439 Zweck der europaweit einheitlichen und zwingenden440 Regelung der Verjährungsregeln in Art. 10 und 11 RL 85/374 ist es, den Erfordernissen der Rechtssicherheit sowohl im Interesse des Geschädigten als auch des Herstellers zu genügen (vgl. Erwägungsgrund 10 RL 85/374).441 Zudem wollte der europäische Gesetzgeber mit der Festlegung absoluter442 zeitlicher Grenzen für die verschuldensunabhängige Haftung die Herstellerhaftung auf einen angemessenen Zeitraum begrenzen und damit dem Umstand Rechnung tragen, dass die verschuldensunabhängige Haftung den Hersteller stärker belastet als die Haftung nach den herkömmlichen Regeln, um durch eine angemessene zeitliche Begrenzung den technischen Fortschritt nicht zu behindern und die Deckung des Haftungsrisikos durch Versicherungen zu ermöglichen.443 Hinzu tritt das Interesse an einer geordneten Rechtspflege: Aufgrund der normalen Produktabnutzung wird es mit Zeitablauf „immer schwieriger festzustellen, ob der schadenstiftende Fehler bereits vorhanden war, als die Sache den Produktionsbereich des Herstellers verließ, oder erst später durch Abnutzung entstand“, so dass eine absolute Höchstgrenze von zehn Jahren geboten erschien.444 Aufgrund dieses „neutralen Charakters“ („Interesse des Geschädigten als auch des Herstellers“, Erwägungsgrund 10 RL 85/374) sind die zeitlichen 438 Zur Terminologie Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak 8.9.2009, Rs. C-358/08, Slg. 2009, I-11305 Rn. 46 Fn. 13 – Aventis Pasteur; a. A. Taschner/Frietsch Produkthaftungsgesetz und EG-Produkthaftungsrichtline2 (1990) Art. 11 Richtl. Rn. 1. 439 EuGH (Große Kammer) 2.12.2009, Rs. C-358/08, Slg. 2009, I-11305 Rn. 48 – Aventis Pasteur. 440 EuGH (Große Kammer) 2.12.2009, Rs. C-358/08, Slg. 2009, I-11305 Rn. 38 – Aventis Pasteur. 441 EuGH 9.2.2006, Rs. C-127/04, Slg. 2006, I-1313 Rn. 26 – O’Byrne; EuGH (Große Kammer) 2.12.2009, Rs. C-358/08, Slg. 2009, I-11305 Rn. 39 – Aventis Pasteur. 442 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 19 Ziffer 28; Hollmann DB 1985, 2439, 2440. 443 EuGH (Große Kammer) 2.12.2009, Rs. C-358/08, Slg. 2009, I-11305 Rn. 41 f. – Aventis Pasteur. 444 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 19 Ziffer 28; kritisch Borghetti La responsabilité du fait des produits (2004) S. 491 Rn. 512, der darauf hinweist, dass für die Feststellung der Fehlerhaftigkeit eines Produkts ohnehin auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens abzustellen sei.
IX. Verjährung und Ausschlussfrist
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Grenzen für eine Klage des Geschädigten anhand objektiver Kriterien zu bestimmen und nicht etwa – wie die Exkulpationsmöglichkeit des Herstellers, die ebenfalls an das Inverkehrbringen anknüpft (Art. 7 lit. a RL 85/374) – eng auszulegen.445 Dies hat Folgen auch für die von der Produkthaftungsrichtlinie an sich unberührten nationalen Vorschriften zum Parteiwechsel im gerichtlichen Verfahren (etwa für den Fall, dass irrtümlich zunächst die falsche Person als Hersteller i. S. d. Art. 3 RL 85/374 verklagt wird), denn diese prozessualen Regeln dürfen nicht so angewandt werden, dass der „richtige“ Hersteller nach Ablauf der Zehnjahresfrist des Art. 11 RL 85/374 in einem Verfahren als Beklagter in Anspruch genommen werden kann (etwa indem er im Wege des Parteiwechsels „eingewechselt“ wird), das innerhalb dieser Frist gegen eine andere Person eingeleitet worden ist.446 Eine Ausnahme von Art. 11 RL 85/374 hat der Gerichtshof allerdings gestattet, sofern das Gerichtsverfahren innerhalb der Frist des Art. 11 RL 85/374 gegen eine hundertprozentige Tochtergesellschaft eingeleitet worden ist, tatsächlich aber das fehlerhafte Produkt durch die Muttergesellschaft als Hersteller in Verkehr gebracht wurde.447 In diesem Fall hat der EuGH eine Art „Konzernzurechnung“ bei der Bestimmung des Herstellerbegriffs vorgenommen, weil die enge Verbindung eines der Glieder der Vertriebskette mit dem Hersteller (wie bei einer 100%igen Tochtergesellschaft) dazu führt, dass die betreffende Tochter in den Prozess der Herstellung des betreffenden Produkts einbezogen ist und die Mutter de facto die Kontrolle über das übergebene Produkt behält, so dass die Sphäre des Herstellers Mutter- und Tochterunternehmen umfasst und die Übergabe des Produkts von der Mutter an die Tochter mangels Inverkehrbringens i. S. d. Art. 11 RL 85/374 nicht den Lauf der Ausschlussfrist in Gang setzt. 448 Diese „funktionelle Auslegung des Herstellerbegriffs“449 und der dadurch mögliche Parteiwechsel von einem Konzernunternehmen (das tatsächlich nur den Vertrieb organisiert hat) auf ein anderes (den tatsächlichen Hersteller) auch nach Ablauf der Zehnjahresfrist des Art. 11 RL 85/374 stellt nichts anderes als eine vom Richtlinientext losgelöste und nur durch den Ge-
445 EuGH 9.2.2006, Rs. C-127/04, Slg. 2006, I-1313 Rn. 25 f. – O’Byrne im Unterschied zu EuGH 10.5.2001, Rs. C-203/99, Slg. 2001, I-3569 Rn. 15 – Veedfald. 446 EuGH (Große Kammer) 2.12.2009, Rs. C-358/08, Slg. 2009, I-11305 Rn. 44 – Aventis Pasteur. 447 EuGH (Große Kammer) 2.12.2009, Rs. C-358/08, Slg. 2009, I-11305 Rn. 53 – Aventis Pasteur. 448 EuGH (Große Kammer) 2.12.2009, Rs. C-358/08, Slg. 2009, I-11305 Rn. 52 f., 63 – Aventis Pasteur; Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak 8.9.2009, Rs. C-358/08, Slg. 2009, I-11305 Rn. 39 ff., 95 – Aventis Pasteur. 449 Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak 8.9.2009, Rs. C-358/08, Slg. 2009, I-11305 Rn. 34 – Aventis Pasteur.
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§ 7 Produkthaftung
danken effektiver Rechtsverfolgung im Konzernverbund zu rechtfertigende Rechtsfortbildung durch den Gerichtshof dar.450 Bemerkenswert ist schließlich, dass mit der Harmonisierung der absoluten Verjährung – im Unterschied zur subjektiven Verjährung (Art. 10 Abs. 2 RL 85/374) – zugleich auch die Unterbrechungs- und Hemmungstatbestände vereinheitlicht wurden. Als einzige Ausnahme zur Zehnjahresfrist sieht Art. 11 RL 85/374 a. E. nämlich die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens gegen den Hersteller vor, so dass die Zehnjahresfrist nicht nach den anderen mitgliedstaatlichen Regeln zur Unterbrechung oder Hemmung der Verjährung aufgeschoben werden kann, die für nationale Ausschlussfristen dieser Art gelten.451 Zwar mag man erwägen, dass die Einleitung eines dem Gerichtsverfahren funktional vergleichbaren Verfahrens (z. B. eines Mahnverfahrens) ebenfalls unter Art. 11 RL 85/374 gefasst werden kann. Ausgeschlossen erscheint es aber, bereits bei schwebenden Verhandlungen (vgl. § 203 BGB) eine Verjährungshemmung anzunehmen. X. Verzinsung X. Verzinsung
Keine Regelung findet sich in der Produkthaftungsrichtlinie zur Verzinsung des Ersatzanspruchs, die damit dem anwendbaren nationalen Recht zu entnehmen ist. Allerdings gilt auch für den Zinsanspruch die Verpflichtung zur „angemessene[n] und vollständige[n] Entschädigung der durch ein fehlerhaftes Produkt Geschädigten452“ und das Effektivitätsgebot, aus dem sich eine europarechtliche Verpflichtung mindestens auf einen Kaufkraftausgleich ableiten lässt (siehe unten § 9 X → S. 631).
450 Demgegenüber ist die Einbeziehung des Lieferanten in die Herstellerhaftung (dazu EuGH (Große Kammer) 2.12.2009, Rs. C-358/08, Slg. 2009, I-11305 Rn. 54 ff., 64 – Aventis Pasteur) bei nicht rechtzeitiger Benennung des tatsächlichen Herstellers durch die explizite Ausdehnung der Lieferantenhaftung nach Art. 3 Abs. 3 RL 85/374 gedeckt. 451 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 19 Ziffer 28. 452 EuGH 10.5.2001, Rs. C-203/99, Slg. 2001, I-3569 Rn. 27 – Veedfald.
Abschnitt 3
Rechtsvereinheitlichung durch Verordnungen
§ 8 Luftbeförderungsrecht § 8 Luftbeförderungsrecht
§ 8 Luftbeförderungsrecht
Auch auf dem Gebiet des Transportrechts ist der europäische Gesetzgeber inzwischen zu einem bedeutenden Akteur avanciert.1 Von den verschiedenen Feldern des Transportrechts konzentriert sich die folgende Darstellung exemplarisch auf den Lufttransport von Personen als die wohl älteste unionsrechtlich überformte Teildisziplin dieses Rechtsgebiets.2 Maßgeblich sind insofern die konsolidierte Verordnung Nr. 2027/97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr,3 durch die das von der EU gezeichnete Übereinkommen von Montreal (MÜ)4 in leicht geänderter Fassung umgesetzt und auf innerstaatliche Binnenflüge ausgeweitet wurde (vgl. Art. 1 VO 2027/97), und die Verordnung Nr. 261/2004 über Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen.5 Siehe die Darstellung bei Basedow in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.) Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts II (2009) 1492, 1496 und die Zusammenfassung in der Mitteilung der Kommission Eine europäische Perspektive für Reisende: Mitteilung über die Rechte der Benutzer aller Verkehrsträger KOM(2011) 898. 2 Zum Vorbildcharakter für die Regulierung anderer Verkehrsträger siehe etwa die Vorlagefrage 2 des österreichischen Verwaltungsgerichtshofs in der Rechtssache EuGH 26.9.2013, Rs. C-509/11, ECLI:EU:C:2013:613 Rn. 27 – ÖBB Personenverkehr; zur praktischen Bedeutung Schuster-Wolf euvr 2012, 149, 150: (zum damaligen Zeitpunkt bereits) 32 Verfahren beim EuGH (davon einige verbunden oder zurückgezogen). Kritisch zu den Widersprüchen zwischen den einzelnen transportrechtlichen Verordnungen und zur (damaligen) Pauschalreiserichtlinie 90/314 Staudinger in: Schulze (Hrsg.) Compensation of Private Losses (2011) 133, 148 ff. 3 Verordnung (EG) Nr. 2027/97 des Rates vom 9. Oktober 1997 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Unfällen, ABl. L 285 vom 17.10.1997, S. 1; geändert durch Verordnung (EG) Nr. 889/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Mai 2002 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 des Rates über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Unfällen, ABl. L 140 vom 30.5.2002, S. 2. 4 2001/539/EG: Beschluss des Rates vom 5. April 2001 über den Abschluss des Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (Übereinkommen von Montreal) durch die Europäische Gemeinschaft, ABl. L 194 vom 18.7.2001, S. 38. 1
434 I.
§ 8 Luftbeförderungsrecht
Existenz eines Schadensersatzanspruchs
I. Existenz eines Schadensersatzanspruchs
1. Übereinkommen von Montreal Das Übereinkommen von Montreal wurde mit dem Beitritt der Union (Art. 216 Abs. 2 AEUV) und der Verweisung in Art. 3 Abs. 1 VO 2027/97 zu einem „integrale[n] Bestandteil“ der Unionsrechtsordnung,6 soweit es um „die Haftung eines Luftfahrtunternehmens der Gemeinschaft für Fluggäste und deren Gepäck“ geht. Abgesehen von der Ausdehnung des Montrealer Übereinkommens auf den rein innerstaatlichen Flugverkehr (Art. 1 Satz 2 VO 2027/97) betreffen die über die völkerrechtlichen Vorgaben hinausgehenden Vorschriften der VO 2027/97 lediglich die Regeln zum Tarif für den Zuschlag nach Art. 22 Abs. 2 MÜ, die unverzügliche Auszahlung von Vorschüssen (Art. 5 VO 2027/97) sowie die Informationspflichten der Luftfahrtunternehmen (Art. 6 VO 2027/97),7 so dass die Union für die Zwecke der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91, ABl. L 46 vom 17.2.2004, S. 1; siehe auch bereits die Verordnung (EWG) Nr. 295/91 des Rates vom 4. Februar 1991 über eine gemeinsame Regelung für ein System von Ausgleichsleistungen bei Nichtbeförderung im Linienflugverkehr, ABl. L 36 vom 8.2.1991, S. 5. Der Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr KOM(2013) 130 ist auf der Ebene des Verkehrsministerrates vorläufig gescheitert, so dass auf die Reform der VO 261/2004 hier nur am Rande eingegangen werden soll. Nicht eingegangen wird im Folgenden auf die Verordnung (EG) Nr. 785/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Versicherungsanforderungen an Luftfahrtunternehmen und Luftfahrzeugbetreiber, ABl. L 138 vom 30.4.2004, S. 1 und auf die Ansprüche (vgl. Art. 12) aus der Verordnung (EG) Nr. 1107/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 über die Rechte von behinderten Flugreisenden und Flugreisenden mit eingeschränkter Mobilität, ABl. L 204 vom 26.7.2006, S. 1 zur Entschädigung für verloren gegangene Rollstühle oder andere Hilfsmittel. 6 EuGH (Große Kammer) 10.1.2006, Rs. C-344/04, Slg. 2006, I-403 Rn. 36 – IATA und ELFAA (auch zur Auslegungskompetenz des EuGH); EuGH 17.2.2016, Rs. C-429/14, ECLI:EU:C:2016:88 Rn. 23 – Air Baltic. Zum Warschauer Abkommen hatte der Gerichtshof seine Auslegungskompetenz noch verneint, EuGH 22.10.2009, Rs. C-301/08, Slg. 2009, I-10185 Rn. 34 – Bogiatzi. 7 Die Kommission hat zudem die Übergabe eines Beschwerdeformulars durch das Luftfahrtunternehmen an den Reisenden zur Geltendmachung von Gepäckschäden nach dem Montrealer Übereinkommen vorgeschlagen, Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 über die Haf5
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Schadensersatzhaftung das Übereinkommen von Montreal nahezu unverändert übernommen und gemeinsam mit der VO 261/2004 zu einem einheitlichen Haftungssystem für den Luftverkehr ausgebaut hat (siehe auch den Anhang zur VO 2027/97, der die Haftungsregeln für Fluggäste und deren Reisegepäck zusammenfasst).8 Bei der Auslegung der völkerrechtlichen Regeln des Montrealer Übereinkommens ist zu berücksichtigen, dass insofern die Auslegungsregeln des allgemeinen Völkerrechts, insbesondere die Wiener Vertragsrechtsübereinkunft von 1969 maßgeblich sind.9 Die Schadensersatzansprüche gegen Luftfahrtunternehmen sind in Kapitel III des Übereinkommens von Montreal geregelt.10 Dort wird unterschieden zwischen der Haftung für Tod oder Körperverletzung von Reisenden (Art. 17 Abs. 1 MÜ), für Zerstörung, Verlust oder Beschädigung von Reisegepäck (Art. 17 Abs. 2 MÜ), für die – hier nicht weiter interessierende – Beschädigung von anderen Gütern als Reisegepäck (Art. 18 MÜ) und für Verspätung von Personen, Gütern und Reisegepäck (Art. 19 MÜ).11 Für diese Schadensfälle12 tung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr KOM(2013) 130 S. 10, Art. 2 Abs. 1 der ÄnderungsVO = Art. 3 Abs. 2 der geänderten VO 2027/97; außerdem eine eigene Regelung für den Transport von Musikinstrumenten KOM(2013) 130 S. 10, Art. 2 Abs. 4 der ÄnderungsVO = Art. 6e der geänderten VO 2027/97. 8 EuGH (Große Kammer) 10.1.2006, Rs. C-344/04, Slg. 2006, I-403 Rn. 36 – IATA und ELFAA; EuGH 10.7.2008, Rs. C-173/07, Slg. 2008, I-5237 Rn. 43 – Emirates Airlines: „integraler Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung“. 9 Ausdrücklich zur Auslegung des Übereinkommens von Montreal EuGH (Große Kammer) 10.1.2006, Rs. C-344/04, Slg. 2006, I-403 Rn. 40 – IATA und ELFAA; EuGH 6.5.2010, Rs. C-63/09, Slg. 2010, I-5239 Rn. 22 f. – Walz; EuGH 22.11.2012, Rs. C-410/ 11, ECLI:EU:C:2012:747 Rn. 20 ff. – Espada Sánchez; EuGH 17.2.2016, Rs. C-429/14, ECLI:EU:C:2016:88 Rn. 24 – Air Baltic. 10 Die früher insbesondere zum Warschauer Abkommen vertretene Auffassung, dass dieses nicht der eigentliche Grund der Haftung sei, sondern der dem jeweils anwendbaren nationalen Recht unterliegende Beförderungsvertrag, ist heute jedenfalls in Deutschland überwunden, so dass die Art. 17 ff. MÜ echte Anspruchsgrundlagen sind, Giemulla in: Giemulla/Schmid Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht III (EL 39 2014) Art. 29 MÜ Rn. 11 ff. (auch zum Nachweis gegenläufiger Rechtsprechung in den USA). 11 Zusammenfassend Giemulla in: Giemulla/Schmid Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht III (EL 39 2014) Art. 29 MÜ Rn. 7: „Art. 29 MÜ erfasst – ebenso wie Art. 24 WA – im Einzelnen die folgenden Schadensursachen: – Art. 17: Tod und Körperverletzung von Reisenden durch Unfall, der sich an Bord eines Luftfahrzeugs oder beim Ein- oder Ausstieg ereignet hat. Zerstörung, Verlust oder Beschädigung von Reisegepäck; bei aufgegebenem Reisegepäck durch ein Ereignis, das an Bord des Luftfahrzeugs oder während eines Zeitraums eingetreten ist, in dem sich das aufgegebene Reisegepäck in der Obhut des Luftfrachtführers befand. – Art. 18: Zerstörung, Verlust oder Beschädigung von Gütern durch ein Ereignis, das während der Luftbeförderung eingetreten ist; – Art. 19: Verspätung bei der Luftbeförderung von Reisenden.“ 12 Demgegenüber enthält Art. 29 MÜ zugleich die negative Aussage, dass die Sperrwirkung für andere als die oben genannten Schadensfälle nicht gilt, insbesondere also nicht
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kann über die im Übereinkommen von Montreal vorgesehenen Ansprüche hinaus „ein Anspruch auf Schadenersatz […], auf welchem Rechtsgrund er auch beruht, sei es dieses Übereinkommen, ein Vertrag, eine unerlaubte Handlung oder ein sonstiger Rechtsgrund, nur unter den Voraussetzungen und mit den Beschränkungen geltend gemacht werden, die in diesem Übereinkommen vorgesehen sind“ (Art. 29 Satz 1 MÜ).
Ausgeschlossen ist insbesondere „jeder eine Strafe einschließende, verschärfte oder sonstige nicht kompensatorische Schadensersatz“ (Art. 29 Satz 2 MÜ). 2. Fluggastrechteverordnung 261/2004 Neben den Rechten aus dem Übereinkommen von Montreal stehen die Ansprüche aus der Fluggastrechteverordnung 261/2004.13 Die Verordnung 261/2004 findet Anwendung, wenn Fluggäste innerhalb der Union einen Flug antreten (Art. 3 Abs. 1 lit. a VO 261/2004) oder, sofern das ausführende Luftfahrtunternehmen ein Luftfahrtunternehmen der Union ist, wenn Fluggäste von einem Drittstaat einen Flug14 in die Union antreten (Art. 3 Abs. 1 lit. b VO 261/2004).15 Sie regelt die Ansprüche der Passagiere gegen das „ausführende Luftfahrtunternehmen“,16 auch wenn dieses, wie etwa bei Buchung einer Pauschalreise direkt für nicht unfallbedingte Personenschäden (z. B. Lebensmittelvergiftungen durch an Bord gereichtes schlechtes Essen), Giemulla in: Giemulla/Schmid Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht III (EL 39 2014) Art. 29 MÜ Rn. 8 f. 13 EuGH (Große Kammer) 10.1.2006, Rs. C-344/04, Slg. 2006, I-403 Rn. 46 – IATA und ELFAA: „Die Regelung nach Artikel 6 [VO 261/2004] tritt somit schlicht neben die des Übereinkommens von Montreal“; kritisch unter Hinweis auf die Exklusivität des Übereinkommens von Montreal Ehlers/Müller-Rostin in: Hobe/von Ruckteschell Kölner Kompendium des Luftrechts III (2010) Teil III A Rn. 6 S. 348. 14 Zum Begriff „Flug“ EuGH 10.7.2008, Rs. C-173/07, Slg. 2008, I-5237 Rn. 40, 47, 53. – Emirates Airlines; für einen Definitionsvorschlag siehe Erwägungsgrund 4 und Art. 1 Abs. 1 lit. n ÄnderungsVO = Art. 2 Abs. 1 lit. n der geänderten VO 261/2004 des Vorschlags für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr KOM(2013) 130. Für die bisher umstrittene Frage der verpassten Anschlussflüge hat die Kommission vorgeschlagen, einen Anspruch auf Betreuungsleistungen und – unter bestimmten Voraussetzungen – auf Ausgleich an die Voraussetzung zu knüpfen, dass die Anschlussflüge Teil eines einheitlichen Beförderungsvertrages sind, KOM(2013) 130 S. 8, Art. 1 Abs. 6 der ÄnderungsVO = Art. 6a der geänderten VO 261/2004. 15 Zum Anwendungsbereich insbesondere EuGH 10.7.2008, Rs. C-173/07, Slg. 2008, I-5237 Rn. 47 – Emirates Airlines; zu einer möglichen Ausdehnung vgl. auch Erwägungsgrund 23 VO 261/2004. 16 Die unmittelbare Verpflichtung des „ausführenden Luftfahrtunternehmens“ ist im Unterschied zum ursprünglichen Kommissionsvorschlag (Art. 3 Abs. 3 des Vorschlags für
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vom Reiseveranstalter, nicht17 in einer Vertragsbeziehung zum Passagier steht (Art. 3 Abs. 5 VO 261/2004; zum Regress Art. 13 VO 261/2004). Im Einzelnen finden sich in der VO 261/2004 Ansprüche auf pauschale Ausgleichszahlungen (Art. 7 VO 261/2004), auf Erstattung oder anderweitige Beförderung (Art. 8 VO 261/2004) und auf Betreuungsleistungen18 (Art. 9 eine Verordnung über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Betreuungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen KOM(2001) 784 S. 17 lautete: „Diese Verordnung gilt für alle Luftfahrtunternehmen oder Reiseunternehmen, mit denen ein Fluggast im Sinne von Absatz 1 und Absatz 2 Unterabsatz 2 einen Vertrag hat.“) aufgenommen worden, um auch den Reisenden ohne eigene Vertragsbeziehung zur Fluglinie einen unmittelbaren Anspruch gegen das am Flughafen präsente Luftfahrtunternehmen einzuräumen. Änderungsantrag 16 im Entwurf einer legislativen Entschließung vom 12.9.2002, A5-0298/2002, S. 13 sah zunächst lediglich vor, die Verantwortlichkeit auf das Luftfahrtunternehmen auszudehnen, falls es sich um Code-Sharing handelt oder „das Reiseunternehmen logistisch nicht in der Lage ist, die vorgesehenen Pflichten zu erfüllen“. Die Kommission lehnte dies unter Hinweis auf die Ungewissheit für die Fluggäste und Auseinandersetzungen zwischen den beteiligten Parteien zunächst ab und befürwortete ihre Lösung, die das Reiseunternehmen bzw. das vertragliche Luftfahrtunternehmen (also den konkreten Vertragspartner) verpflichtet, mit dem Luftfahrtunternehmen alle erforderlichen Vorkehrungen zu treffen. Im Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 27/2003 vom Rat festgelegt am 18. März 2003, ABl. C 125E/63, 70 kam der Rat überein, „den Text dadurch zu vereinfachen, dass sämtliche Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen gegenüber Fluggästen dem ausführenden Luftfahrtunternehmen auferlegt werden, da dieses aufgrund seiner Präsenz auf den Flughäfen in aller Regel am besten in der Lage ist, diese Verpflichtungen zu erfüllen“. Ausdrücklich vorbehalten bleibt die Regressmöglichkeit. Die Kommission akzeptierte diese Änderungen, SEK(2003) 361: „In ihrem ursprünglichen Vorschlag erlegte die Kommission aus Gründen der Klarheit und Einfachheit dem Luftfahrtunternehmen oder dem Reiseveranstalter, mit dem die Fluggäste einen Vertrag geschlossen haben, diese Verantwortung auf. In erster Lesung empfahl das Parlament, die Verantwortung unter bestimmten Umständen diesen Parteien und dem ausführenden Luftfahrtunternehmen gemeinsam aufzuerlegen. Die Kommission lehnte diese Änderung ab, da sie zu Rechtsunsicherheit führen und die Fluggäste verwirren könnte. Der Rat fand eine einfache Lösung (Artikel 3 Absatz 4 des gemeinsamen Standpunkts), indem er dem ausführenden Luftfahrtunternehmen alle Verpflichtungen zur Entschädigung und Betreuung der Fluggäste auferlegte. Dies ist praktikabel, da das ausführende Luftfahrtunternehmen in der Regel am besten sicherstellen kann, dass der Flug planmäßig durchgeführt wird, und über Mitarbeiter oder Beauftragte an den Flughäfen verfügt, die den Fluggästen Hilfestellung leisten können. Diese Regelung ist auch klar und einfach, sodass sie von den Fluggästen nachvollzogen werden kann.“ 17 Nach dem anwendbaren nationalen Recht kann der Passagier als vertraglich Drittbegünstigter des Vertrages zwischen Reiseveranstalter und Luftfahrtunternehmen anzusehen sein, so dass man zu einer vertraglichen Beziehung auch zum Luftfahrtunternehmen kommen kann. Allerdings dürfte dieses Konstrukt nicht in allen europäischen Rechtsordnungen akzeptiert sein. 18 Die Kommission hat vorgeschlagen, anstelle der bisherigen Differenzierung nach der Flugverspätung bei Betreuungsleistungen eine einheitliche Dauer von zwei Stunden vorzusehen, Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004
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VO 261/2004). Diese Ansprüche greifen bei Nichtbeförderung19 (Art. 4 Abs. 3 VO 261/2004), Annullierung20 (Art. 5 Abs. 1 lit. a, b, c VO 261/2004) und – mit Ausnahme der Erstattung – auch bei Verspätung21 (Art. 6 Abs. 1 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr KOM(2013) 130 S. 8, Art. 1 Abs. 5 der ÄnderungsVO = Art. 6 Abs. 1 lit. i der geänderten VO 261/2004. 19 EuGH 4.12.2012, Rs. C-22/11, ECLI:EU:C:2012:604 Rn. 22 – Finnair (dort auch Rn. 28 ff. zu vertretbaren Gründen für die Nichtbeförderung und Rn. 38 zur Entlastung wegen außergewöhnlichen Umständen); EuGH 4.10.2012, Rs. C-321/11, ECLI:EU:C: 2012:609 Rn. 24 – Rodríguez Cachafeiro zur Nichtbeförderung (Art. 2 lit. j VO 261/2004): „sämtliche Fälle erfasst, in denen ein Luftfahrtunternehmen einem Fluggast die Beförderung verweigert“ (dort auch Rn. 28 ff. zu vertretbaren Gründen für die Beförderungsverweigerung). 20 Zum Begriff (Art. 2 lit. l VO 261/2004) EuGH 19.11.2009, verb. Rs. C-402/07 und C-432/07, Slg. 2009, I-10923 Rn. 36 – Sturgeon: „Demnach kann grundsätzlich von einer Annullierung ausgegangen werden, wenn der ursprünglich geplante und verspätete Flug auf einen anderen Flug verlegt wird, d. h., wenn die Planung des ursprünglichen Fluges aufgegeben wird und die Fluggäste dieses Fluges zu den Fluggästen eines anderen, ebenfalls geplanten Fluges stoßen, und zwar unabhängig von dem Flug, für den die so umgebuchten Fluggäste gebucht hatten“; EuGH 13.10.2011, Rs. C-83/10, Slg. 2011, I-9469 Rn. 35 – Sousa Rodríguez: „‚Annullierung‘ dahin auszulegen ist, dass er in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens nicht ausschließlich den Fall betrifft, dass das betreffende Flugzeug überhaupt nicht startet, sondern auch den Fall umfasst, dass das Flugzeug gestartet ist, aber anschließend, aus welchen Gründen auch immer, zum Ausgangsflughafen zurückkehren musste, und die Fluggäste auf andere Flüge umgebucht wurden“. Zur Abgrenzung von Annullierung und Verspätung BGH 14.10.2008, X ZR 15/08, NJW 2009, 358 Rn. 12 ff. Für weniger als zwei Wochen vor dem Abflugtermin verschobene Flüge hat die Kommission eine Gleichstellung mit verspäteten Flügen vorgeschlagen, Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr KOM(2013) 130 S. 8, Art. 1 Abs. 5 der ÄnderungsVO = Art. 6 der geänderten VO 261/2004. 21 Der Begriff der Verspätung wird in Art. 6 und Art. 7 VO 261/2004 unterschiedlich ausgelegt (Verspätung des Flugs gegenüber der planmäßigen Abflugzeit bzw. zum Zeitpunkt der Ankunft am Endziel festgestellte Verspätung), vgl. EuGH (Große Kammer) 26.2.2013, Rs. C-11/11, ECLI:EU:C:2013:106 Rn. 29 f. – Folkerts. Für Verspätungen auf der Rollbahn hat die Kommission eine eindeutige Regelung vorgeschlagen, Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr KOM(2013) 130 S. 8, Art. 1 Abs. 5 der ÄnderungsVO = Art. 6 Abs. 5 der geänderten VO 261/2004.
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VO 261/2004), wobei eine Ausgleichszahlung bei Verspätung erst vom EuGH entwickelt wurde und analog Art. 5 Abs. 1 lit. c iii einen Zeitverlust von mindestens drei Stunden voraussetzt.22 Ebenfalls vom EuGH entwickelt wurde ein Anspruch unmittelbar aus der Verordnung, falls der Pflicht zu Unterstützungs- und Betreuungsleistungen gemäß Art. 8 und Art. 9 VO 261/2004 nicht genügt wurde.23 Schließlich findet sich in der Verordnung eine Regelung,24 die für die Höherstufung einen Zuschlag ausschließt (Art. 10 Abs. 1 VO 261/2004) und für die Herabstufung einen Erstattungsanspruch (Art. 10 Abs. 2 VO 261/2004) vorsieht, und ein Anspruch auf Information der Reisenden über ihre Rechte (Art. 14 VO 261/2004)25. Die in der Fluggastrechteverordnung vorgesehenen Ansprüche sind „Mindestrechte“.26 22 EuGH 19.11.2009, verb. Rs. C-402/07 und C-432/07, Slg. 2009, I-10923 Rn. 57, 61 – Sturgeon; EuGH (Große Kammer) 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 und C-629/10, ECLI:EU:C:2012:657 Rn. 38 – Nelson; EuGH (Große Kammer) 26.2.2013, Rs. C-11/11, ECLI:EU:C:2013:106 Rn. 32 – Folkerts: „Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass Fluggäste, die eine große Verspätung erleiden, d. h. eine Verspätung von drei Stunden oder mehr, ebenso wie Fluggäste, deren ursprünglicher Flug annulliert wurde und denen das Luftfahrtunternehmen keine anderweitige Beförderung unter den in Art. 5 Abs. 1 Buchst. c Ziff. iii der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Voraussetzungen anbieten kann, einen Ausgleichsanspruch auf der Grundlage von Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004 haben, da sie in ähnlicher Weise einen irreversiblen Zeitverlust und somit Unannehmlichkeiten erleiden.“ Die Kommission hat eine Kodifikation dieses Anspruchs vorgeschlagen, der allerdings nur noch bei fünf Stunden Verspätung (anstatt bisher drei) eingreifen soll, Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr KOM(2013) 130 S. 7, Art. 1 Abs. 5 der ÄnderungsVO = Art. 6 Abs. 2 der geänderten VO 261/2004. 23 EuGH 13.10.2011, Rs. C-83/10, Slg. 2011, I-9469 Rn. 42 ff., 44 – Sousa Rodríguez; dazu Staudinger RRa 2011, 265: „Der EuGH schließt nun erneut durch kühne Rechtsfortbildung die Lücke auf supranationaler Ebene, indem er die Art. 8 und 9 VO als direkte Anspruchsgrundlage ausgestaltet“; Schmid/Schürmann ZLW 2012, 229, 248; für Rückgriff auf das nationale Recht (§ 280 BGB) noch BGH 25.3.2010, Xa ZR 86/09, NJW-RR 2010, 1641 Rn. 24. 24 Die Kommission hat vorgeschlagen, ein Teilverbot der „No-Show“-Politik der Fluggesellschaften in die Verordnung aufzunehmen, Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichsund Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr KOM(2013) 130 S. 8, Art. 1 Abs. 3 lit. b der ÄnderungsVO = Art. 4 Abs. 4 der geänderten VO 261/2004. 25 Die Kommission hat vorgeschlagen, diesen auf die Gründe für Flugunterbrechungen auszuweiten, Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 261/
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3. Verhältnis und Rechtsnatur der Ansprüche Die Koexistenz der Fluggastrechteverordnung neben dem Übereinkommen von Montreal wirft die Frage nach der Rechtsnatur der Ansprüche aus der Verordnung auf, denn gemäß Art. 29 Satz 1 MÜ können Schadensersatzansprüche „bei der Beförderung von Reisenden, Reisegepäck und Gütern“ nur unter den Voraussetzungen geltend gemacht werden, die im Übereinkommen von Montreal vorgesehen sind.27 Diese Voraussetzungen wie beispielsweise die Entlastungsmöglichkeit nach Art. 19 Satz 2 MÜ sind nicht bei allen Ansprüchen aus der Verordnung gewahrt, insbesondere nicht bei dem vom EuGH analog Art. 5 Abs. 3, Art. 7 VO 261/2004 begründeten Ausgleichsanspruch wegen großer Verspätung.28 Der EuGH hat dennoch sowohl für die Ausgleichsansprüche gemäß Art. 7 VO 261/200429 wie für die Betreuungsleistungen gemäß Art. 6 i. V. m. Art. 8 und 9 VO 261/200430 einen Verstoß gegen Art. 29 MÜ verneint. Zur Begründung entwickelte der Gerichtshof eine Unterscheidung zwischen Schadensersatzansprüchen, die an der individuellen Einbuße des Anspruchstellers orientiert sind und für die das Übereinkommen von Montreal gemäß Art. 29 MÜ abschließend ist, und standardisierten Ausgleichsansprüchen für die bloße Unannehmlichkeit des Zeitverlusts von mehr als drei Stunden, die unabhän2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr KOM(2013) 130 S. 8, Art. 1 Abs. 13 der ÄnderungsVO = Art. 14 der geänderten VO 261/2004. 26 EuGH 13.10.2011, Rs. C-83/10, Slg. 2011, I-9469 Rn. 37 – Sousa Rodríguez; zuvor bereits Mitteilung der Kommission über die Anwendung und die Ergebnisse der Verordnung über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Betreuungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen KOM(2007) 168 S. 4. 27 Zur Auslegung von Art. 29 MÜ Reuschle Montrealer Übereinkommen2 (2011) Art. 29 Rn. 5 f., der statt einer „Verdrängungslösung“ eine „Rahmenlösung“ befürwortet, wonach Art. 29 MÜ parallele Ansprüche den „Voraussetzungen und Beschränkungen des Übereinkommens“ unterwerfe. 28 Zu den Überschneidungen von VO 261/2004 und MÜ bereits Staudinger/SchmidtBendun VersR 2004, 971, 972: Das MÜ betreffe zwar weder die Annullierung noch die Nichtbeförderung, allerdings überschnitten sich der Anspruch auf Schadensersatz wegen Verspätung gemäß Art. 19 MÜ mit dem Anspruch auf Betreuungsleistungen gemäß Art. 6 i. V. m. Art. 9 VO 261/2004 im Fall der Verspätung (falls man die Betreuungsleistungen als Schadensersatzanspruch ansehe). Dies gilt umso mehr, nachdem der EuGH auch bei Verspätung analog Art. 7 VO 261/2004 einen monetären Ausgleichsanspruch gewährt hat, dazu Fn. 22. 29 EuGH (Große Kammer) 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 und C-629/10, ECLI:EU:C:2012:657 Rn. 46–59 – Nelson. 30 EuGH (Große Kammer) 10.1.2006, Rs. C-344/04, Slg. 2006, I-403 Rn. 46, 48 – IATA und ELFAA.
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gig von der Einbuße des individuellen Reisenden einen pauschalen Ersatzanspruch von – abhängig von der Flugdistanz – 250, 400 oder 600 Euro auslösen.31 Nach Auffassung des Gerichtshofs stehen die Ansprüche aus der Fluggastrechteverordnung also neben den Ansprüchen aus dem Übereinkommen von Montreal und ggfs. dem nationalen Recht, damit „den Fluggästen der gesamte Schaden, der ihnen durch die Verletzung der vertraglichen Verpflichtung des Luftfahrtunternehmens entstanden ist, ersetzt wird“.32 Die Ansprüche nach dem Übereinkommen von Montreal zielen in dieser Konzeption auf die Wiedergutmachung eines individuellen Schadens, dessen Ersatz „die Prüfung seines Umfangs im Einzelfall erfordert und deshalb nur Gegenstand eines nachträglichen und individualisierten Ausgleichs sein kann“.33 Nach dem Verständnis des Gerichtshofs regeln die Art. 19 und 22 MÜ, unter welchen Voraussetzungen die Fluggäste im Anschluss an die Verspätung eines Fluges Ansprüche auf Schadensersatz als individuelle Wiedergutmachung geltend machen können.34 Erforderlich sei für solche Ersatzansprüche, dass „der Schaden infolge einer Verspätung entsteht, dass zwischen der Verspätung und dem Schaden ein Kausalzusammenhang besteht und dass der Schaden durch unterschiedliche Schädigungen der einzelnen Fluggäste individualisiert wird“.35
Den an der individuellen Einbuße orientierten Ansprüchen des Übereinkommens von Montreal stellt der EuGH die „standardisierten und sofortigen Wiedergutmachungsmaßnahmen“36 nach der Fluggastrechteverordnung gegenüber. Sie greifen vorab37 und unbeschadet weiter gehender SchadensersatzanSiehe bereits die Nachweise in den beiden vorigen Fußnoten. Zusammenfassend auch der Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr KOM(2013) 130 S. 2 und BGH 10.12.2009, Xa ZR 61/09, NJW 2010, 1526 Rn. 12 ff. 32 EuGH 12.10.2011, Rs. C-83/10, Slg. 2011, I-9469 Rn. 38 – Sousa Rodríguez. 33 EuGH (Große Kammer) 10.1.2006, Rs. C-344/04, Slg. 2006, I-403 Rn. 43 ff., 46 – IATA und ELFAA; EuGH 22.12.2008, Rs. C-549/07, Slg. 2008, I-11061 Rn. 32 – Wallentin-Hermann: „Denn die Art. 19 ff. des genannten Übereinkommens regeln die Voraussetzungen, unter denen die betroffenen Fluggäste im Fall der Verspätung eines Fluges auf Schadensersatz als individualisierte Wiedergutmachung klagen können“; EuGH 13.10.2011, Rs. C-83/10, Slg. 2011, I-9469 Rn. 40 – Sousa Rodríguez. 34 EuGH (Große Kammer) 10.1.2006, Rs. C-344/04, Slg. 2006, I-403 Rn. 44 – IATA und ELFAA. 35 EuGH (Große Kammer) 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 und C-629/10, ECLI:EU: C:2012:657 Rn. 50 – Nelson. 36 EuGH 31.1.2013, Rs. C-12/11, ECLI:EU:C:2013:43 Rn. 52 – McDonagh; EuGH 22.12.2008, Rs. C-549/07, Slg. 2008, I-11061 Rn. 32 – Wallentin-Hermann. 37 EuGH 22.12.2008, Rs. C-549/07, Slg. 2008, I-11061 Rn. 32 – Wallentin-Hermann. 31
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sprüche des Fluggastes auf anderer Rechtsgrundlage (etwa dem Übereinkommen von Montreal, Art. 12 Abs. 1 Satz 1 VO 261/2004). In der Konzeption des EuGH zielen die Ansprüche aus der Fluggastrechteverordnung auf den Ersatz eines Schadens, „der für alle Fluggäste praktisch identisch ist und dessen Wiedergutmachung die Form standardisierter sofortiger Unterstützungs- oder Betreuungsleistungen für sämtliche Betroffene durch die Bereitstellung beispielsweise von Erfrischungen, Mahlzeiten, Unterbringung und Telefonverbindungen annehmen kann“.38
Bei dem bloßen Zeitverlust infolge von Nichtbeförderung oder großer Verspätung handelt es sich nämlich nach der Argumentation des Gerichtshofs nicht um einen „Schaden […], der [i. S. d. Art. 19 MÜ] durch Verspätung […] entsteht“.39 Vielmehr stelle der Zeitverlust – wie andere Begleiterscheinungen einer Verspätung wie etwa der „Mangel an Komfort“ oder die vorübergehende Abgeschnittenheit von normalerweise verfügbaren Kommunikationsmitteln – eine „Unannehmlichkeit“ dar40 und werde von allen Fluggästen in gleicher Weise erlitten. Er kann daher ohne „Beurteilung der individuellen Situation eines einzelnen betroffenen Fluggasts“ durch eine standardisierte und „sofortige“ Maßnahme ausgeglichen werden.41 Nicht einmal bestehe notwendig ein Kausalzusammenhang zwischen der tatsächlichen Verspätung und dem Zeitverlust, denn die Ausgleichspflicht ergebe sich unabhängig vom konkreten Ausmaß der Verspätung bei einem Zeitverlust von drei Stunden oder mehr gegenüber der geplanten Ankunftszeit, ohne dass eine längere Verspätung den Ausgleichsanspruch erhöhen würde.42 EuGH (Große Kammer) 10.1.2006, Rs. C-344/04, Slg. 2006, I-403 Rn. 43 – IATA und ELFAA. 39 EuGH (Große Kammer) 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 und C-629/10, ECLI:EU: C:2012:657 Rn. 49 – Nelson. In EuGH (Große Kammer) 10.1.2006, Rs. C-344/04, Slg. 2006, I-403 Rn. 45 – IATA und ELFAA spricht der Gerichtshof noch von dem „Schaden“, der „wieder gutgemacht wird, der in den Unannehmlichkeiten besteht, die Verspätungen bei der Beförderung von Fluggästen zur Folge haben“. 40 EuGH (Große Kammer) 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 und C-629/10, ECLI:EU: C:2012:657 Rn. 51 – Nelson. 41 EuGH (Große Kammer) 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 und C-629/10, ECLI:EU: C:2012:657 Rn. 52 – Nelson. 42 EuGH (Große Kammer) 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 und C-629/10, ECLI:EU: C:2012:657 Rn. 53 f. – Nelson. Ein ähnliches Argument findet sich bereits in den Schlussanträgen des Generalanwalts Geelhoed vom 8.9.2005, Rs. C-344/04, Slg. 2006, I-403 Rn. 46 f. – IATA und ELFAA, der sich insofern offenbar mit Parlament, Rat und Kommission einig war: „Ein Schadensersatzanspruch setzt, wie Parlament, Rat und Kommission ebenfalls bemerkt haben, Überlegungen darüber voraus, ob ein Schaden entstanden ist, ob ein Kausalzusammenhang zwischen Verspätung und Schaden besteht, wie hoch der Schaden ist und ob der Luftfrachtführer sich gegen den Anspruch schützen kann. Diese Überlegungen sind relevant, wenn ein Anspruch (auf Schadensersatz) bei einem der (in Artikel 33 bestimmten) zuständigen Gerichte eingeklagt werden kann.“ 38
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Auf den ersten Blick legt die Unterscheidung des Gerichtshofes nahe, die Ansprüche aus der Fluggastrechteverordnung nicht als Schadensersatzansprüche,43 möglicherweise nicht einmal als zivilrechtliche Ansprüche anzusehen.44 Auf der anderen Seite spricht entscheidend für den zivilrechtlichen Charakter dieser Ansprüche, dass sie unabhängig von der Einschaltung einer Behörde „nach den im nationalen Recht vorgesehenen Verfahren gerichtlich geltend“ gemacht werden können (Erwägungsgrund 22 Satz 2 VO 261/2004)45 und entsprechende Klagen der EuGVO unterfallen.46 Handelt es sich damit um zivilrechtliche Ansprüche, so lässt sich zumindest der Ausgleichsanspruch nach Art. 7 VO 261/2004 rechtssystematisch am besten als eine pauschalierte Form des Schadensersatzes begreifen.47 Dies 43 Vgl. Mühlbauer in: Geigel Der Haftpflichtprozess26 (2011) 29. Kapitel Rn. 143: „der Leistungspalette aus der VO schwerpunktmäßig Erfüllungs- und Gewährleistungscharakter und kein schadenersatzrechtlicher Charakter zuzumessen ist“ (so in der aktuellen Auflage nicht mehr zu finden); ferner Aufner ZVR 2005, 229, 233: „Was die dogmatische Einordnung dieses Ausgleichsanspruchs angeht, so wird es sich dabei um eine Vertragsstrafe handeln.“ Siehe auch Hausmann Europäische Fluggastrechte im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung und großer Verspätung von Flügen (2012) S. 361, der den Anspruch zwar als pauschalierten Mindestschadensersatzanspruch ansieht, aber eine unspezifische Bezeichnung als „pauschalierter Nachteilsausgleichsanspruch“ zur Vermeidung von Missverständnissen vorschlägt. Zur Terminologie der Verordnung instruktiv Bollweg RRa 2009, 10, 14 f., der darauf hinweist, dass in der deutschen Fassung – im Unterschied zum generellen „compensation“ im englischen Text – der Begriff der „Ausgleichsleistung“ oder der „Entschädigung“ gebraucht wurde, „um deutlich zu machen, dass sich diese Leistung vom Schadensersatz des genuin deutschen Rechts unterscheidet“. 44 So die Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 8.9.2005, Rs. C-344/04, Slg. 2006, I-403 Rn. 46 – IATA und ELFAA: „Zweitens ist klar, dass Artikel 6 der Verordnung keine zivilrechtliche Haftung oder Schadensersatzansprüche behandelt“; Rn. 48, 52: „Pflicht zur Erbringung von Mindestleistungen […] öffentlich-rechtlicher Natur“. 45 Siehe Art. 15 Abs. 1 VO 261/2004: „Verpflichtungen gegenüber Fluggästen [nicht Behörden] gemäß dieser Verordnung“. Siehe auch Art. 16a im Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr KOM(2013) 130 S. 26 f. zur außergerichtlichen Durchsetzung solcher Ansprüche. 46 EuGH 9.7.2009, Rs. C-204/08, Slg. 2009, I-6073 Rn. 27 f. – Rehder. 47 Lienhard GPR 2004, 259, 264 f.: „Schadensersatz statt der Leistung“; Schmid RRa 2004, 198, 203: „pauschalierter Schadensersatzanspruch“; Staudinger/Schmidt-Bendun NJW 2004, 1897, 1899: „pauschalierte[r] ‚Schadensersatz‘“; Tonner NJW 2006, 1854, 1856: „pauschalierter Schadensersatz“; Weise/Schubert TranspR 2006, 340, 343; Führich Reiserecht7 (2015) § 42 Rn. 2: „pauschalierte[r] Schadensersatz mit Genugtuungsfunktion“; eingehend Hausmann Europäische Fluggastrechte im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung und großer Verspätung von Flügen (2012) S. 358 ff. Der BGH nennt dies einen „schadens- und verschuldensunabhängige[n], in der Höhe standardisierte[n] Aus-
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ergibt sich andeutungsweise aus Art. 12 VO 261/2004,48 der unter der Überschrift „Weiter gehender Schadensersatz“ vorsieht, dass die Verordnung „unbeschadet eines weiter gehenden Schadensersatzanspruchs des Fluggastes“ gilt (Art. 12 Abs. 1 Satz 1 VO 261/2004) und dass „die nach dieser Verordnung gewährte Ausgleichsleistung“ (Art. 7 VO 261/2004) „auf einen solchen Schadensersatzanspruch angerechnet werden“ kann (Art. 12 Abs. 1 Satz 2),49 so dass die Ausgleichsleistungen offenbar auch Schäden ausgleichen sollen. Vor allem geht es beim Ausgleichsanspruch gemäß Art. 7 VO 261/2004 auch in der Sache um eine Form des – standardisierten – Schadensausgleichs, nämlich um die Kompensation für den unterstellten immateriellen50 Schaden,51 gleichsanspruch nach Art. 7 VO“, BGH 7.10.2008, X ZR 96/06, NJW 2009, 285 Rn. 6. Siehe auch BGH 18.8.2015, X ZR 2/15, BeckRS 2015, 14817 Rn. 9: „Der Senat versteht den Anspruch auf Ausgleichszahlung nach Art. 7 FluggastrechteVO als einen gesetzlichen Anspruch gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen auf vertraglicher Grundlage. Der Anspruch folgt zwar nicht unmittelbar aus dem mit einem Luftfahrtunternehmen abgeschlossenen Beförderungsvertrag, setzt aber voraus, dass der Anspruchsteller über eine bestätigte Buchung verfügt, was wiederum regelmäßig vom Bestehen eines Beförderungsvertrages abhängig ist. Der Senat ist bisher davon ausgegangen, dass ein solcher Beförderungsvertrag entweder mit dem ausführenden Luftfahrtunternehmen selbst bestehen kann oder mit einem anderen Unternehmen, für welches das ausführende Luftfahrtunternehmen die Beförderungsleistung erbringt.“ 48 Die allgemeine Sanktionenklausel in Art. 16 Abs. 3 VO 261/2004 wurde – da der Schadensersatz bereits von Art. 12 VO 261/2004 geregelt wird – durch verwaltungs- und strafrechtliche Sanktionen umgesetzt, siehe die Mitteilung der Kommission über die Anwendung und die Ergebnisse der Verordnung über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Betreuungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen KOM(2007) 168 Ziffer 6.3: „In den meisten Mitgliedstaaten handelt es sich bei den Sanktionen für Verstöße gegen die Verordnung um eine Verwaltungsstrafe, in der Regel verhängt von der Zivilluftfahrtbehörde, die der Möglichkeit eines Einspruchs bei einem Zivilgericht unterliegt. In Dänemark, Belgien und im Vereinigten Königreich erfolgen die Sanktionen jedoch nach dem Strafrecht und verlangen daher einen höheren Standard in der Beweisführung. In Belgien ist es nach dem Gesetz auch möglich, bei Verstoß gegen die Verordnung Gefängnisstrafen von bis zu einem Jahr gegen das Personal des betreffenden Luftfahrtunternehmens zu verhängen.“ 49 Allerdings findet sich die Unterscheidung zwischen Schadensersatz und Ausgleichsleistung nicht in der englischen oder französischen Sprachfassung, die in Art. 12 Abs. 1 durchgehend nur von „compensation“ bzw. „indemnisation“ sprechen. 50 Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 27.9.2007, Rs. C-396/06, BeckRS 2007, 70773 Rn. 36 mit Fn. 19 – Eivind F. Kramme; offenlassend BGH 30.7.2013, X ZR 111/12, BeckRS 2013, 14698 Rn. 38 f., der als Alternative zum Ausgleich der immateriellen Schäden durch den Zeitverlust unter Verweis auf EuGH (Große Kammer) 10.1.2006, Rs. C-344/04, Slg. 2006, I-403 Rn. 45, 82 – IATA und ELFAA und EuGH (Große Kammer) 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 und C-629/10, ECLI:EU:C:2012:657 Rn. 46 – Nelson auch erwägt, ob die Ausgleichszahlung nach Art. 7 VO 261/2004 als sofortiger „pauschalierter Ersatz entstandener materieller und immaterieller Schäden verstanden werden“ könnte. Indes spricht EuGH (Große Kammer) 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 und
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der in der Unannehmlichkeit52 (vgl. Erwägungsgrund 2 VO 261/2004) des Zeitverlusts besteht und „der angesichts seines irreversiblen Charakters nur mit einer Ausgleichszahlung ersetzt werden kann“.53 Die Einordnung als Schadensersatzanspruch trifft nicht nur für die Ausgleichsansprüche nach Art. 7 VO 261/2004, sondern auch für die Betreuungsleistungen nach Art. 9 VO 261/2004 zu. Zwar wurde vorgeschlagen, die Betreuungsleistungen in Analogie zu Art. 3 Abs. 4 Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44 „als Teil der Nacherfüllung [zu] begreifen“, weil es sich „um Aufwendungen [handelt], die zum Zwecke der Nacherfüllung, etwa in Form einer anderweitigen Beförderung zum Endziel, notwendig sind“.54 Indes zählen Mahlzeiten, Erfrischungen, Hotelunterbringung und Beförderung zum Hotel nicht zum Pflichtenprogramm des Beförderungsvertrages, sondern dienen – unabhängig von der Nacherfüllung des Beförderungsvertrages, die auch ohne diese Leistungen möglich wäre – in erster Linie der Vorbeugung und Beseitigung von Begleitschäden der Leistungsstörung. 55 Dies zeigt sich auch an dem C-629/10, ECLI:EU:C:2012:657 Rn. 46 – Nelson davon, dass „der Schaden wiedergutgemacht wird, der in den Unannehmlichkeiten besteht, die Verspätungen bei der Beförderung von Fluggästen zur Folge haben“ (Hervorhebung nicht im Original), so dass es offenbar um den Ausgleich für die (immateriellen) Unannehmlichkeiten geht. 51 EuGH 22.12.2008, Rs. C-549/07, Slg. 2008, I-11061 Rn. 32 – Wallentin-Hermann: „standardisierte und sofortige Wiedergutmachungsmaßnahmen“ (zu Art. 5 Abs. 3 VO 261/ 2004, der auf Art. 7 verweist); noch deutlicher (zur analogen Anwendung des Art. 7 auf die Verspätung) EuGH 19.11.2009, verb. Rs. C-402/07 und C-432/07, Slg. 2009, I-10923 Rn. 52 – Sturgeon: „Mit diesen Maßnahmen soll die Verordnung Nr. 261/2004 u. a. den Schaden ausgleichen, der in einem Zeitverlust der betroffenen Fluggäste besteht und der angesichts seines irreversiblen Charakters nur mit einer Ausgleichszahlung ersetzt werden kann.“ Siehe bereits Staudinger/Schmidt-Bendun NJW 2004, 1897, 1899: Ausgleichsanspruch nach Art. 7 stelle einen „pauschalierten ‚Schadensersatz’“ dar. 52 EuGH 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 und C-629/10, ECLI:EU:C:2012:657 Rn. 46 – Nelson. 53 EuGH 19.11.2009, verb. Rs. C-402/07 und C-432/07, Slg. 2009, I-10923 Rn. 52, 54 – Sturgeon; EuGH (Große Kammer) 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 und C-629/10, ECLI:EU:C:2012:657 Rn. 48 – Nelson, siehe auch Rn. 59: „so dass den Fluggästen der gesamte Schaden ersetzt wird, der ihnen dadurch entstanden ist, dass das Luftfahrtunternehmen seine vertraglichen Pflichten verletzt hat“; ferner Rn. 74: „Insoweit ist jedoch sogleich darauf zu verweisen, dass die in Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehene pauschale Ausgleichszahlung den Ausgleich eines von den Fluggästen erlittenen Zeitverlusts ermöglicht, ohne dass sie nachzuweisen haben, dass ihnen ein individueller Schaden entstanden ist.“ Dieser Gesichtspunkt findet sich bereits in den Gesetzgebungsmaterialien, die zum Ausschluss des Ausgleichsanspruchs bei rechtzeitiger Passagierinformation (Art. 5 Abs. 1 lit. c VO 261/2004) bemerken, dass damit „die Ausgleichszahlung enger an die durch Annullierungen verursachten Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten geknüpft“ werde, SEK(2003) 361 Ziffer 3. 54 Staudinger/Schmidt-Bendun NJW 2004, 1897, 1900. 55 Lienhard GPR 2004, 259, 264: „Diese Betreuungsleistungen treten neben die ursprünglich vereinbarte oder ersatzweise angebotene Beförderungsleistung und gleichen
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Umstand, dass die Betreuungsleistungen auch bei Rücktritt des Fluggasts zu erbringen sind, so dass sie kaum der Nacherfüllung zuzuordnen sind.56 Es geht daher um Schadensvermeidungsleistungen57 in „Form standardisierter sofortiger Unterstützungs- oder Betreuungsleistungen“,58 die mit dem Schadenser-
einen typischen Schaden aus, den der Fluggast deshalb erleidet, weil er auf eine Ersatzbeförderung verwiesen wird oder auf seinen Flug warten muss.“ Ehlers/Müller-Rostin in: Hobe/von Ruckteschell Kölner Kompendium des Luftrechts III (2010) Teil III A Rn. 36, S. 358. In der Sache ähnlich, im Ergebnis aber abweichend Staudinger/Schmidt-Bendun NJW 2004, 1897, 1900 (Aufwendungen für die Erbringung der Nacherfüllung): „durch das Angebot dieser Leistungen [werden] Vermögenseinbußen seitens des Fluggastes vermieden […], welche er ansonsten als Schadensposition geltend machen müsste“; Hausmann Europäische Fluggastrechte im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung und großer Verspätung von Flügen (2012), S. 404 f., 436 Fn. 49: „stellen die Betreuungsleistungen keine Form des Schadensersatzes dar“; „Es handelt sich bei Art. 9 letztlich um einen dem deutschen Recht fremden Anspruch des Gemeinschaftsrechts – um eine Regelung, mit der erreicht werden soll, dass dem Fluggast ein Schaden gar nicht erst entsteht“, „Schadensvermeidungsleistungen“. Für eine Qualifikation als Teil der Nacherfüllung ließe sich ferner anführen, dass EuGH 16.6.2011, verb. Rs. C-65/09 und C-87/09, ECLI:EU:C:2011:396 Rn. 43 ff. – Gebr. Weber für die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44 von einem weiten Nacherfüllungsanspruch ausgeht, der insbesondere auch den Ausbau des vertragswidrigen Verbrauchsguts und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts oder die Übernahme der entsprechenden Kosten umfasst. Indes lässt sich diese Argumentation nicht ohne weiteres auf die Fluggastrechteverordnung übertragen, weil die Richtlinie 1999/44 ausdrücklich einen Nacherfüllungsanspruch in Art. 3 Abs. 3 vorsieht, während die Fluggastrechteverordnung im Gegenteil die Beförderungsverweigerung gestattet (Art. 4 Abs. 2 VO 261/2004) und dem Reisenden die Wahl zwischen der Erstattung, dem Rückflug und der anderweitigen Beförderung überlässt (Art. 8 Abs. 1 VO 261/2004). Zudem wird der Anspruch auf Ersatz der Ein- und Ausbaukosten nach der Richtlinie 1999/44 z. T. als verschuldensunabhängiger Schadensersatzanspruch angesehen, siehe S. Lorenz NJW 2011, 2241, 2243: „verschuldensunabhängige[r] Anspruch auf Ersatz von (näheren) Mangelfolgeschäden“. 56 Führich MDR 2007, Sonderbeilage, S1, S9. 57 Gleicher Begriff bei Schmid ZLW 2005, 373, 375, der allerdings darin keine Kompensation eines Schadens erblickt, sondern Fürsorge für den gestrandeten Passagier und die Betreuungsleistungen deshalb nicht als Schadensersatz ansieht. Siehe auch Führich MDR 2007, Sonderbeilage, S1, S9, der in den verschuldensunabhängigen Betreuungsleistungen einen „dem deutschen Recht fremden Anspruch des Gemeinschaftsrechts“ und keinen Schadensersatzanspruch sieht. 58 EuGH 10.1.2006, Rs. C-344/04, Slg. 2006, I-403 Rn. 43 – IATA und ELFAA; siehe auch EuGH 22.12.2008, Rs. C-549/07, Slg. 2008, I-11061 Rn. 32 – Wallentin-Hermann; EuGH 9.7.2009, Rs. C-204/08, Slg. 2009, I-6073 Rn. 27 – Rehder; zur Einordnung als Schadensersatzansprüche siehe auch EuGH 10.7.2008, Rs. C-173/07, Slg. 2008, I-5237 Rn. 36 – Emirates Airlines: „Außerdem sehen zum einen die Art. 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 und 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 den Ersatz verschiedener Schäden vor, die bei einem Flug entstehen können, nicht aber, dass einer dieser Schäden während ein und desselben Fluges mehrmals auftreten könnte.“
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satzanspruch eng verwandt sind und deren Nichtbeachtung ihrerseits Schadensersatzansprüche unmittelbar aus der Verordnung begründet.59 Nicht mehr zum Schadensersatzrecht zählt demgegenüber der Anspruch auf Erstattung und anderweitige Beförderung gemäß Art. 8 VO 261/2004 mit seinen Inhalten Reisepreiserstattung (Art. 8 Abs. 1 lit. a erster Spiegelstrich VO 261/2004), Rückflug (Art. 8 Abs. 1 lit. a zweiter Spiegelstrich VO 261/2004) und anderweitige Beförderung (Art. 8 Abs. 1 lit. b und c VO 261/2004). Zwar richtet sich auch dieser Anspruch gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen und damit nicht zwangsläufig gegen den Vertragspartner des Reisenden. Gleichwohl lässt sich dieser Anspruch eher als Erfüllungs- und Gewährleistungsanspruch denn als Schadensersatzanspruch deuten,60 weil er ähnlich wie der Rücktritt (Erstattung, Rückflug) oder die Nacherfüllung (anderweitige Beförderung) das vertragliche Äquivalenzinteresse schützt.61 Dies gilt ungeachtet der vorgeschlagenen Ausdehnung auf anderweitige Beförderung durch andere Luftfahrtunternehmen,62 denn auch diese Form der Ersatzvornahme lässt sich nach wie vor – ähnlich wie die werkvertragliche Ersatzvornahme – als Teil des Erfüllungs- bzw. Gewährleistungsregimes begreifen. II. Funktionen des Schadensersatzanspruchs
II. Funktionen des Schadensersatzanspruchs
Die europäische Regelung der Rechte von Flugreisenden in der Verordnung 2027/97 i. V. m. dem Übereinkommen von Montreal verfolgt das doppelte Ziel, einerseits den Schutz von Fluggästen bei Unfällen im Luftverkehr zu verbessern und andererseits eine Harmonisierung der Luftverkehrshaftung in Nachweis bereits in Fn. 23. Staudinger/Schmidt-Bendun NJW 2004, 1897, 1899: Art. 8 „konkretisiert und erweitert die Pflichten aus dem Beförderungsvertrag sowie die Rechtsbehelfe, welche dem Fluggast nach dem nationalen Leistungsstörungsrecht, insbesondere den Rücktrittsvorschriften, zustehen“; Ehlers/Müller-Rostin in: Hobe/von Ruckteschell Kölner Kompendium des Luftrechts III (2010) Teil III A Rn. 34 S. 358: „Die Unterstützungsleistungen [gemäß Art. 8 VO 261/2004] sind als eine Form der Nacherfüllung einzuordnen, nicht als Schadensersatz anstelle der Leistung. Denn der Anspruch ist auf die Kapazität des Luftfahrtunternehmens beschränkt. Der Fluggast hat damit ein Wahlrecht zwischen Rücktritt und Nacherfüllung.“ Hausmann Europäische Fluggastrechte im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung und großer Verspätung von Flügen (2012) S. 380, 436 Fn. 49. 61 Nicht ohne Grund verweist Art. 8 Abs. 2 VO 261/2004 im Fall der Pauschalreise auf den Anspruch auf Erstattung, sofern sich dieser aus der Richtlinie 90/314 (heute Richtlinie 2015/2302) ergibt. 62 Siehe Erwägungsgrund 15 und Art. 8 Abs. 5 im Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr KOM(2013) 130 S. 14, 23. 59 60
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Europa zu erreichen (vgl. Erwägungsgründe 1, 4, 6 VO 2027/97). Auch die Verordnung 261/2004 will sowohl die Fluggastrechte stärken („hohes Schutzniveau für Fluggäste“)63 wie die Geschäftstätigkeit von Luftfahrtunternehmen im liberalisierten Markt harmonisierten Bedingungen unterwerfen (Erwägungsgründe 1–2, 4 VO 261/2004).64 Beide Verordnungen beziehen sich damit – obwohl sie auf der Gesetzgebungskompetenz für die Luftfahrt (Art. 100 Abs. 2 AEUV) und nicht auf der allgemeinen Binnenmarktkompetenz (Art. 114 AEUV) beruhen65 – auf die Binnenmarktintegration ebenso wie den Schutz der Flugreisenden.66 Gemeinsam sollen beide Regelwerke sicherstellen, „dass den Fluggästen der gesamte Schaden ersetzt wird, der ihnen dadurch entstanden ist, dass das Luftfahrtunternehmen seine vertraglichen Pflichten verletzt hat“.67 Trotz dieser Gemeinsamkeiten ist aber festzustellen, dass die beiden Verordnungen das Ausgleichsziel unter unterschiedlichen Auspizien und in unterschiedlicher Ausprägung verfolgen. 63 Erwägungsgrund 1 VO 261/2004; EuGH 10.7.2008, Rs. C-173/07, Slg. 2008, I-5237 Rn. 35 – Emirates Airlines; EuGH 22.12.2008, Rs. C-548/07, Slg. 2008, I-11061 Rn. 18 – Wallentin-Hermann; EuGH 19.11.2009, verb. Rs. C-402/07 und C-432/07, Slg. 2009, I-10923 Rn. 44, 45 – Sturgeon: „die Vorschriften, mit denen den Fluggästen Ansprüche eingeräumt werden, einschließlich derjenigen, die einen Ausgleichsanspruch vorsehen, [sind] weit auszulegen“. Siehe auch die Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Verordnung 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Betreuungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen KOM(2011) 174 S. 3: „Das Hauptziel der Verordnung, eine Verbesserung der Situation der Fluggäste bei Störungen im Reiseablauf, ist somit wichtiger denn je.“ 64 Vgl. auch EuGH 10.1.2006, Rs. C-344/04, Slg. 2006, I-403 Rn. 69 f. – IATA und ELFAA. Siehe bereits die Begründung zur Vorgängerverordnung 295/91 im Vorschlag für eine Verordnung über eine gemeinsame Regelung für Entschädigungsleistungen bei Nichtbeförderung im Fluglinienverkehr KOM(90) 99 S. 3 ff. Rn. 4 ff. 65 So auch die Begründung des Vorschlags für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr KOM(2013) 130 S. 6. 66 Diese Makroziele sind auch bei der Auslegung der Schadensersatzansprüche aus den Verordnungen bzw. aus dem durch die VO 2027/97 in das Unionsrecht überführte Übereinkommen von Montreal zu berücksichtigen, weil der Gerichtshof regelmäßig aus dem übergeordneten Ziel eines Rechtsaktes auch Folgerungen für die Auslegung der Schadensersatzansprüche in diesem Rechtsakt ableitet, zum Lufttransport vgl. EuGH 22.10.2009, Rs. C-301/08, Slg. 2009, I-10185 Rn. 39 ff. – Bogiatzi (Rückgriff auf die Erwägungsgründe der VO 2027/979 zur Entscheidung der Frage, ob der Rückgriff auf die Ausschlussfrist nach Art. 29 des Warschauer Abkommens mit der VO 2027/97 vereinbar ist). 67 EuGH (Große Kammer) 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 und C-629/10, ECLI:EU: C:2012:657 Rn. 59 – Nelson.
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1. Übereinkommen von Montreal So dienen die Schadensersatzansprüche aus dem Übereinkommen von Montreal, wie bereits gezeigt, der „individuelle[n] Wiedergutmachung“ von Schäden („Grundsatz des vollen Ausgleichs“, Präambel Abs. 3 MÜ).68 Sie dienen insbesondere nicht, wie sich aus Art. 29 Satz 2 MÜ entnehmen lässt („jeder eine Strafe einschließende, verschärfte oder sonstige nicht kompensatorische Schadensersatz ausgeschlossen“), pönalen oder nicht-kompensatorischen Zwecken. Das Übereinkommen von Montreal verfolgt damit ausschließlich kompensatorische Zwecke, die durch das Ziel eines „gerechte[n] Interessenausgleichs“ (Abs. 5 der Präambel des MÜ) zwischen Fluggästen und Luftfahrtunternehmen gesteuert und begrenzt werden.69 Den Verbraucherinteressen70 wird in erster Linie durch eine strikte Haftung Rechnung getragen, die im Gegenzug durch Haftungshöchstgrenzen beschränkt wird, damit „eine einfache und schnelle Entschädigung der Fluggäste“ gewährleistet ist, „ohne dass den Luftfahrtunternehmen eine übermäßige, schwer feststell- und berechenbare Ersatzpflicht aufgebürdet würde, die ihre wirtschaftliche Tätigkeit gefährden oder sogar zum Erliegen bringen könnte“.71 Kurzum: Dem Verbraucher wird eine einfache, aber begrenzte und individuell zu bestimmende Kompensation für Schäden gewährt, während gleichzeitig durch die Haftungsbegrenzung die Tätigkeit der Luftfahrtunternehmen nicht unübersehbaren Haftungsrisiken ausgesetzt werden soll. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Zwecksetzung dem Völkervertragsrecht und nicht dem Unionsrecht entstammt, weil der EuGH bei Auslegung des Übereinkommens auf die völkerrechtlichen Auslegungsmethoden und Regelungsziele zurückgreift.72 2. Fluggastrechteverordnung 261/2004 Die Ersatzansprüche aus der Fluggastrechteverordnung dienen demgegenüber nach Auffassung des EuGH nicht der Wiedergutmachung individueller Schäden, sondern der pauschalen Kompensation für den irreversiblen Zeitverlust EuGH (Große Kammer) 10.1.2006, Rs. C-344/04, Slg. 2006, I-403 Rn. 44 f., 46 – IATA und ELFAA; EuGH 13.10.2011, Rs. C-83/10, Slg. 2011, I-9469 Rn. 40 – Sousa Rodríguez. 69 Zur Begrenzungsfunktion der Verpflichtung auf einen „gerechten Ausgleich“ vgl. EuGH 17.2.2016, Rs. C-429/14, ECLI:EU:C:2016:88 Rn. 48 – Air Baltic. Zur Unübertragbarkeit des „gerechten Interessenausgleichs“ auf die Ansprüche aus der Verordnung 261/ 2004 EuGH 31.1.2013, Rs. C-12/11, ECLI:EU:C:2013:43 Rn. 52 f. – McDonagh. 70 Der Begriff „Verbraucher“ im MÜ fällt nicht zwangsläufig mit dem des „Reisenden“ zusammen, sondern umfasst je nach Fall auch Personen, die nicht selbst befördert werden und daher keine Reisenden sind, EuGH 17.2.2016, Rs. C-429/14, ECLI:EU:C:2016:88 Rn. 38 – Air Baltic. 71 EuGH 6.5.2010, Rs. C-63/09, Slg. 2010, I-4239 Rn. 36 – Walz. 72 Vgl. EuGH 6.5.2010, Rs. C-63/09, Slg. 2010, I-4239 Rn. 22, 31, 33 – Walz. 68
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der Fluggäste (Ausgleichszahlungen)73 und für die zusätzlichen Aufwendungen durch die Verzögerung (Erfrischungen, Mahlzeiten, Unterbringung, Telefonkosten).74 Daraus und aus der Möglichkeit einer Anrechnung der nach der Verordnung 261/2004 gewährten Ausgleichsleistungen auf die (kompensatorischen) Schadensersatzansprüche aus anderem Rechtsgrund (insbesondere aus dem MÜ) lässt sich folgern, dass auch die Fluggastrechteverordnung zunächst der Kompensation dient.75 Für eine solche Sichtweise spricht auch, dass die im ursprünglichen Kommissionsvorschlag genannten Ausgleichssummen von 750 und 1.500 Euro, die an dem Doppelten des üblichen Tarifs in der Business-Klasse orientiert waren,76 durch das Parlament auf die heute geltenden Beträge von 250, 400 und 600 Euro reduziert wurden, weil zu hohe Entschädigungszahlungen „die Gefahr einer anschließenden Anhebung der Preise für die Flugscheine mit sich bringen und sich deshalb paradoxerweise als nachteilig für die Fluggäste erweisen“. Zudem verwies das Parlament auf den Umstand, dass die starke Anhebung der Beträge unangebracht sei, wenn die Nichtbeförderung auf technischen Gründen oder Nutzlastbeschränkungen bei schlechtem Wetter beruht.77 Auch der im Kommissionsvorschlag noch 73 EuGH 19.11.2009, verb. Rs. C-402/07 und C-432/07, Slg. 2009, I-10923 Rn. 52 – Sturgeon; EuGH (Große Kammer) 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 und C-629/10, ECLI: EU:C:2012:657 Rn. 51 f., 74 – Nelson. 74 EuGH 10.1.2006, Rs. C-344/04, Slg. 2006, I-403 Rn. 43, 48 – IATA und ELFAA; zur doppelten Zielsetzung der Fluggastrechteverordnung bereits der Vorschlag für eine Verordnung über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Betreuungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen KOM(2001) 784 Rn. 14: „Die Kommission hat in ihrem Vorschlag versucht, Beträge festzulegen, die die Fluggäste entschädigen und die Luftfahrtunternehmen von exzessivem Überbuchen abhalten.“ 75 EuGH 10.1.2006, Rs. C-344/04, Slg. 2006, I-403 Rn. 48 – IATA und ELFAA: „Grundsatz der Wiedergutmachung für Fluggäste“; Lienhard GPR 2004, 259, 264 f.: „Ausgleichsfunktion“; Magnus in: Research Group on the Existing EC Contract Law – Principles of the Existing EC Contract Law (Acquis Principles) Contract II (2009) Art. 8:402 Rn. 8. 76 Vorschlag für eine Verordnung über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Betreuungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen KOM(2001) 784 Rn. 14. 77 Änderungsantrag 23 im Entwurf einer legislativen Entschließung vom 12.9.2002, A5-0298/2002, S. 17. Die Kommission wies die vom Parlament vorgeschlagenen reduzierten Beträge zunächst zurück, weil „diese […] nicht geeignet [wären], die Praxis der Luftfahrtunternehmen zu ändern, d. h. Fluggäste dazu zu bewegen, auf ihre Buchungen freiwillig zu verzichten, anstatt ihnen die Beförderung zu verweigern“, Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Betreuungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen KOM(2002) 717, S. 5. Erst nach Intervention des Rates zugunsten des Parlaments (Gemeinsamer Standpunkt (EG) Nr. 27/2003 vom Rat festgelegt am 18. März 2003, ABl. C 125 E/63, S. 67, 70) lenkte die
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vorgesehene Verweis auf eine Abschreckungswirkung durch „exemplarische hohe Ausgleichszahlungen“78 wurde in den endgültigen Verordnungstext nicht übernommen. Auch wenn die Fluggastrechteverordnung also Kompensationszwecke verfolgt, so ist unverkennbar, dass sie einen Ausgleichsanspruch für Einbußen (Zeitverlust, Unannehmlichkeiten) schafft, die nach den traditionellen Vorstellungen des deutschen Schadensrechts nicht ersatzfähig sind.79 Diese AusdehKommission ein, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament gemäß Artikel 251 Absatz 2 Unterabsatz 2 EG Vertrag betreffend den vom Rat angenommenen gemeinsamen Standpunkt im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen SEK(2003) 361: „Zweitens legte der Rat in Artikel 7 Ausgleichsbeträge fest, die wesentlich unter den von der Kommission vorgeschlagenen lagen, nämlich bei 250, 400 und 600 EUR. Die Kommission hätte zwar höhere Beträge vorgezogen, ist aber der Auffassung, dass die vom Rat angenommenen Beträge eine wesentliche Steigerung gegenüber den Beträgen der derzeit geltenden Verordnung darstellen und ausreichen, um Anreize für die Luftfahrtunternehmen zu schaffen, Freiwillige zu finden, anstatt Fluggästen die Beförderung gegen ihren Willen zu verweigern, und Annullierungen rechtzeitig mitzuteilen.“ Siehe auch die Stellungnahme der Kommission gemäß Artikel 251 Absatz 2 Unterabsatz 3 Buchstabe c) EG-Vertrag zu den Abänderungen des Europäischen Parlaments an dem Gemeinsamen Standpunkt des Rates betreffend den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 zur Änderung des Vorschlags der Kommission gemäβ Artikel 250, Absatz 2 des EG-Vertrages KOM(2003) 496 S. 3. 78 Erwägungsgrund 4 im ursprünglichen Vorschlag für eine Verordnung über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Betreuungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen KOM(2001) 784 S. 15: „indem die Unternehmen durch eine Verpflichtung zur Leistung exemplarisch hoher Ausgleichszahlungen davon abgehalten werden, Fluggäste gegen deren Willen nicht zu befördern“. 79 Staudinger/Schmidt-Bendun NJW 2004, 1897, 1899: „Da dieser [Schadensersatz] jedoch selbst dann gewährt wird, wenn kein oder ein lediglich geringerer Schaden eingetreten ist, stellt ein solcher Ausgleichsanspruch gemeinschaftsrechtlichen Ursprungs aus dem Blickwinkel des deutschen Rechts einen Fremdkörper dar.“ Ferner Lienhard GPR 2004, 259, 265: „Ärgernisgeld“ geht „über die in § 253 II BGB genannten Fälle hinaus“. Siehe auch BGH 30.7.2013, X ZR 111/12, BeckRS 2013, 14698 Rn. 38 f., der als Alternative zum Ausgleich der immateriellen Schäden (durch den Zeitverlust) unter Verweis auf EuGH (Große Kammer) 10.1.2006, Rs. C-344/04, Slg. 2006, I-403 Rn. 45, 82 – IATA und ELFAA und EuGH 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 und C-629/10, ECLI:EU:C:2012:657 Rn. 46 – Nelson auch erwägt, ob die Ausgleichszahlung nach Art. 7 VO 261/2004 als sofortiger „pauschalierter Ersatz entstandener materieller und immaterieller Schäden verstanden werden“ könnte. M. E. bezieht der EuGH den pauschalen Ausgleich auf die Unannehmlichkeiten durch den Zeitverlust, so dass es sich um einen Ausgleich immaterieller und nicht materieller Schäden handelt. Darin dürfte auch ein Unterschied zu der bei Ver-
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nung der ersatzfähigen Einbußen leitet über zur zweiten Funktion der Verordnung 261/2004, nämlich dem Ziel, „[d]as Ärgernis und die Unannehmlichkeiten, die den Fluggästen durch die Annullierung von Flügen entstehen“, zu verringern (Erwägungsgrund 12 Satz 1 VO 261/2004)80 – es geht also auch um Prävention. Dass es nicht nur um Ausgleich geht, macht auch die Feststellung des Gerichtshofs deutlich, dass für die Ansprüche aus der Fluggastrechteverordnung das Postulat eines „gerechten Interessenausgleichs“ im Sinne der Präambel des Übereinkommens von Montreal nicht gelten soll.81 Der Unionsgesetzgeber wollte sich bei den Fluggastrechten offenbar auf eine Steuerung durch Markt und Wettbewerb allein nicht verlassen, weil das Niveau des Verbraucherschutzes bei Überbuchung im Einzelfall den Kunden regelmäßig unbekannt ist, so dass Marktmechanismen versagen82 und sich die Kommission aus Gründen der Prävention für das vergleichsweise scharfe Schwert der ticketunabhängigen Pauschalentschädigung entschieden hat. Dagegen lässt sich auch nicht einwenden, dass die Praxis des Überbuchens aus Gründen der ökonomischen und wohl auch ökologischen Effizienz nicht generell unerwünscht ist. Vielmehr soll die „Bepreisung“ der Überbuchung mit der Verpflichtung zur Ausgleichszahlung den Fluggesellschaften einen Anreiz bieten, den Umfang der Überbuchung so zu steuern, dass einerseits leere Plätze vermieden werden, andererseits möglichst wenigen Reisenden die Beförderung verweigert werden
kehrsunfallen anerkannten Schadenspauschale (oder „Unkostenpauschale“, etwa OLG Celle 9.9.2004, 14 U 32/04, NJW-RR 2004, 1673, 1674) liegen, die dem Ausgleich von Auslagen (Telefon- und Portokosten) für die Schadensabwicklung, also von materiellen Schäden dient. 80 Schmid in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 321, 329: „Abschreckungsfunktion“. Soweit Schmid a. a. O. den Anspruch sogar als „Strafschadensersatz“ ansieht, ist dies zu weitgehend, vgl. die Nachweise in Fn. 85. 81 EuGH 31.1.2013, Rs. C-12/11, ECLI:EU:C:2013:43 Rn. 52 f. – McDonagh. 82 So die Begründung zur Vorgängerverordnung 295/91 Vorschlag für eine Verordnung über eine gemeinsame Regelung für Entschädigungsleistungen bei Nichtbeförderung im Fluglinienverkehr KOM(90) 99 S. 2 f. Rn. 3. Siehe auch die Begründung zum Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr KOM(2013) 130 S. 5: „Dagegen bedeuten strenge Sanktionen einen Anreiz, die Vorschriften einzuhalten.“ Überraschend ist, dass die Kommission in ihrem Reformvorschlag KOM(2013) 130 S. 5 f. eine bessere Durchsetzung dadurch erreichen will, dass sie die Fluggastrechte zurücknimmt (insbesondere die Mindestdauer der Verspätung für einen Ausgleichsanspruch erhöht), damit die Luftfahrtunternehmen ein geringeres Interesse daran haben, die mit der Einhaltung der Verordnung verbundenen Kosten zu minimieren, indem sie den Reisenden ihre Rechte vorenthalten. Allerdings wird dieser Vorschlag vorläufig nicht weiter verfolgt.
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muss.83 Die Ergänzung des Kompensationszwecks durch das Präventionsziel zeigt sich auch in der Pauschalierung der Ausgleichsansprüche, die von der tatsächlichen Einbuße (Verspätung) und dem Ticketpreis entkoppelt werden, um für die Flugunternehmen einen Anreiz zu schaffen, allzu viele Annullierungen und Verspätungen zu vermeiden. 84 Neben dem Kompensations- und Präventionszweck lassen sich weitere Zwecke des Ersatzanspruchs im europäischen Recht der Luftbeförderung nicht nachweisen. So sind weder die Ersatzansprüche nach dem Übereinkommen von Montreal (siehe nur Art. 29 Satz 2 MÜ) noch die Ausgleichsund Unterstützungsansprüche nach der Fluggastrechteverordnung als Strafschadensersatz anzusehen.85 Der Strafzweck wäre bei einer verschuldensun83 Vorschlag für eine Verordnung über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Betreuungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen KOM(2001) 784 Rn. 15: „Diese Beträge sollen die Luftfahrtunternehmen nicht davon abhalten, so weit zu überbuchen, dass ansonsten leer bleibende Sitze genutzt werden, da andernfalls die Erträge sinken und die Preise steigen würden“; zur grundsätzlich gewünschten Überbuchung siehe bereits die Begründung zur Vorgängerverordnung 295/91 im Vorschlag für eine Verordnung über eine gemeinsame Regelung für Entschädigungsleistungen bei Nichtbeförderung im Fluglinienverkehr KOM (90) 99 S. 2 Rn. 2. 84 Schmid in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 321, 329: „Abschreckungsfunktion“; ähnlich ders. RRa 2004, 198, 203. Zum Gedanken der Abschreckung in der Entstehungsgeschichte der VO 261/2004 bereits Fn. 78 und die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 2.7.2009, verb. Rs. C-402/97 und C-432/07, Slg. 2009, I-10923 Rn. 34 – Sturgeon: „Es kann sein, dass die Unterscheidung zwischen ‚Annullierung‘ und ‚Verspätung‘, die die Kommission bei ihrem Vorschlag im Sinn hatte, nicht auf die Auswirkungen auf die Fluggäste, sondern auf den Grad der Verantwortlichkeit des Luftfahrtunternehmens gestützt war – den Unterschied zwischen einer bewussten Entscheidung, einen Flug aus wirtschaftlichen Gründen zu annullieren (‚Annullierung‘), wovon mit Ausgleich in exemplarischer Höhe abgeschreckt werden sollte, und einem aufrichtigen Bemühen, Fluggäste angesichts externer Schwierigkeiten wie spät auch immer zu ihrem Zielort zu bringen (‚Verspätung‘), einem Fall, in dem Luftfahrtunternehmen nur verpflichtet werden sollten, ein bestimmtes Maß an Unterstützung zu leisten.“ 85 Lienhard GPR 2004, 259, 264: „Rat und Parlament haben sich im Normsetzungsverfahren gegen eine vorrangige Straffunktion des Art. 7 entschieden, auch wenn eine Traditionslinie der Regelung zum amerikanischen Strafschadensersatzrecht führt“ (mit Verweis auf Kohler RIW 1979, 134 ff., der mit Ralph Nader v. Allegheny Airlines, Inc. einen Präzendenzfall des Schadensersatzes wegen Überbuchung beschreibe); Staudinger/SchmidtBendun NJW 2004, 1897, 1899: „Infolgedessen könnte man annehmen, die Ausgleichszahlungen dienten primär Sanktions- und Abschreckungszwecken und erfüllten somit ähnliche Funktionen wie punitive damages. Eine Gleichsetzung verbietet sich allerdings aus folgenden Überlegungen: Es steht im Ermessen des Gerichts, ob und in welcher Höhe es Strafschadensersatz gewährt; solcher setzt im Übrigen ein besonders verwerfliches Verhalten des Schädigers voraus. Das Luftfahrtunternehmen trifft ein solcher Vorwurf jedoch nicht in allen Fällen der Annullierung und Nichtbeförderung. In Anbetracht dieser Unterschiede
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abhängigen Haftung mit engen Entlastungsgründen nicht nur unangebracht, sondern ginge auch an der Sache vorbei, weil eine gewisse Überbuchung auch vom Gesetzgeber im Interesse der ökonomischen und ökologischen Effizienz als wünschenswert angesehen wird.86 Allenfalls mag man den Ersatzansprüchen noch einen gewissen Genugtuungseffekt für die mit der Nichtbeförderung und der Annullierung verbundenen Ärgernisse und Unannehmlichkeiten (vgl. Erwägungsgrund 2 VO 261/2004)87 zumessen, der sich aber weder in der Entstehungsgeschichte noch in der Rechtsprechung nachweisen lässt und deshalb für den Gesetzgeber keine eigenständige Bedeutung erlangt haben dürfte. Zusammenfassend lässt sich für das Gesamtsystem der Ausgleichsansprüche im Luftbeförderungsrecht eine Kombination von Ausgleichs- und Präventionszielen ausmachen. Das Übereinkommen von Montreal dient dem Ausgleich individueller Schäden. Die Fluggastrechteverordnung ergänzt die individuelle Kompensation durch pauschale Ausgleichszahlungen für bestimmte entindividualisierte Einbußen, um einerseits den Fluggästen den „gesamten Schaden“ zu ersetzen, der durch die Vertragsverletzung des Luftfahrtunternehmens entstanden ist, andererseits aber auch durch die Ausdehnung der ersatzfähigen Einbußen auf den Zeitverlust der Fluggäste und die daran anknüpfende Verpflichtung zur Ausgleichszahlung den Luftfahrtunternehmen einen ökonomischen Anreiz zu bieten, eine übermäßige Überbuchung von Flügen zu vermeiden. III. Aktivlegitimation und Initiativberechtigung III. Aktivlegitimation und Initiativberechtigung
1. Übereinkommen von Montreal Aus der Formulierung der Haftungsnormen des Übereinkommens von Montreal („Der Luftfrachtführer hat den Schaden zu ersetzen“) lässt sich nicht unmittelbar entnehmen, wer zur Geltendmachung der Ansprüche berechtigt sein soll.88 Dementsprechend bleibt gemäß Art. 29 Satz 1, 2. Halbsatz MÜ bietet es sich vielmehr an, von einem pauschalierten ‚Schadensersatz‘ zu sprechen.“ Schmid ZLW 2005, 373, 379; Führich MDR 2007, Sonderbeilage, S1, S8; Ehlers/MüllerRostin in: Hobe/von Ruckteschell Kölner Kompendium des Luftrechts III (2010) Teil III A Rn. 32 S. 357; Staudinger RRa 2015, 62, 63; weitergehend Schmid in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 321, 329: „Strafschadensersatz“. 86 Siehe bereits den Nachweis in Fn. 83. 87 So Führich MDR 2007, Sonderbeilage, S1, S8: „Abschreckungsfunktion gegenüber dem Luftfahrtunternehmen und Genugtuungsfunktion gegenüber dem Fluggast“; Ehlers/ Müller-Rostin in: Hobe/von Ruckteschell Kölner Kompendium des Luftrechts III (2010) Teil III A Rn. 32 S. 357; Schmid in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 321, 329. 88 EuGH 17.2.2016, Rs. C-429/14, ECLI:EU:C:2016:88 Rn. 28 – Air Baltic: „Dieser Artikel [Art. 19 MÜ] beschreibt den im Fall einer Verspätung zu ersetzenden Schaden
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„die Frage, welche Personen zur Klage berechtigt sind und welche Rechte ihnen zustehen“, von der Vorrangklausel des Art. 29 Satz 1 1. Halbsatz MÜ unberührt.89 Diese Regelung ist insbesondere für Personenschäden von Bedeutung, für die sich die Aktivlegitimation nicht aus dem Übereinkommen selbst, sondern dem anwendbaren nationalen Recht ergeben soll.90 Allerdings ist vor einem Rückgriff auf das (subsidiär) anwendbare nationale Recht zu beachten, dass sich – auch wenn sich das Übereinkommen einer ausdrücklichen Regelung der Aktivlegitimation enthält – für die praktisch bedeutsamsten Fälle unmittelbar aus dem Zusammenhang und dem Zweck des Übereinkommens entnehmen lässt, dass die Ansprüche der Art. 17 ff. MÜ jedenfalls dem Reisenden zustehen (vgl. die Formulierung der Haftungshöchstgrenzen „je Reisenden“).91 Zu diesem Ergebnis kam auch der EuGH, der für den Fall gemeinsam eingecheckten Gepäcks klargestellt hat, dass „der Anspruch auf Entschädigung und die Haftungsbegrenzung des Luftfrachtführers […] auch für den Reisenden gelten, der diese Entschädigung für den Verlust eines Gepäckstücks fordert, das von einem Mitreisenden aufgegeben wurde, sofern dieses […] tatsächlich Gegenstände des Reisenden enthielt“.92
Darüber hinaus hat der Gerichtshof entschieden, dass Art. 19 MÜ „dahin auszulegen ist, dass er nicht nur auf den Schaden anzuwenden ist, den ein Reisender erlitten hat, sondern auch auf den Schaden, den eine Person in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber erlitten hat, die mit einem Luftfrachtführer einen Vertrag über die internationale Beförderung geschlossen hat, dessen Gegenstand die Beförderung von Reisenden ist, die ihre Arbeitnehmer sind“.93
anhand des schadensbegründenden Ereignisses, enthält jedoch keinerlei Angabe über die Person, der ein solcher Schaden entstanden sein kann“ (zum Verspätungsschadensersatz nach Art. 19 MÜ). Siehe auch EuGH a. a. O. Rn. 37: „Sie [die Bestimmung des Art. 1 Abs. 1 MÜ] bestimmt hingegen nicht die Personen, die für die Beförderung von Reisegepäck, Gütern oder Reisenden die Dienste eines internationalen Luftfrachtführers in Anspruch nehmen und denen hieraus ein Schaden entstehen kann.“ 89 EuGH 17.2.2016, Rs. C-429/14, ECLI:EU:C:2016:88 Rn. 25 – Air Baltic: „die Frage, welche Personen zur Klage berechtigt sind und welche Rechte ihnen zustehen, wird hierdurch [Art. 29 MÜ] nicht berührt“. 90 Denkschrift zum Montrealer Übereinkommen im Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 28. Mai 1999 zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (Montrealer Übereinkommen), BT-Drs. 15/2285 S. 48. 91 EuGH 22.11.2012, Rs. C-410/11, ECLI:EU:C:2012:747 Rn. 24 – Espada Sánchez: „Aus den in der vorstehenden Randnummer angeführten Bestimmungen [Art. 17 Abs. 2, 22 Abs. 2 MÜ] geht […] hervor, […] dass der Reisende in den dort festgelegten Grenzen Anspruch auf Ersatz des entstandenen Schadens hat.“ 92 EuGH 22.11.2012, Rs. C-410/11, ECLI:EU:C:2012:747 Rn. 36 – Espada Sánchez. 93 EuGH 17.2.2016, Rs. C-429/14, ECLI:EU:C:2016:88 Rn. 46 – Air Baltic, ebenso Rn. 29.
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Allerdings folgt aus der Beschränkung der Haftung des Luftfrachtführers auf einen bestimmten Betrag „je Reisenden“ in Art. 22 Abs. 1 MÜ, dass die Höhe des Schadensersatzes des Arbeitgebers „nicht den Betrag übersteigen darf, den [der Arbeitgeber] durch Multiplikation der in Art. 22 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal festgelegten Höchstgrenze mit der Anzahl der Reisenden, die auf der Grundlage des zwischen [dem Arbeitgeber] und dem oder den betroffenen Luftfrachtführern geschlossenen Vertrags befördert wurden, erhalten hätte“.94
Der Arbeitgeber darf also im Hinblick auf die Haftungsbegrenzung des Art. 22 Abs. 1 MÜ „weder schlechter noch besser gestellt [werden] als Reisende, die aufgrund der Verspätung selbst einen Schaden erlitten haben“.95 Im Ergebnis hat der Gerichtshof also durch konventionsautonome Auslegung des Montrealer Übereinkommens zumindest einen Mindestkreis von Anspruchsberechtigten definiert. Die Durchsetzung der Ansprüche aus dem Übereinkommen von Montreal erfolgt schließlich auf dem üblichen (zivilgerichtlichen) Weg (vgl. Art. 33 MÜ zum Gerichtsstand). Eine Durchsetzung der Ansprüche aus dem Übereinkommen von Montreal durch die nach der Fluggastrechteverordnung errichteten nationalen Durchsetzungsstellen ist bisher nicht vorgesehen.96 2. Fluggastrechteverordnung 261/2004 Auch die Verordnung 261/2004 räumt den einzelnen Fluggästen, die nicht zwangsläufig in einer Vertragsbeziehung mit dem ausführenden Luftfahrtunternehmen stehen müssen (Art. 3 Abs. 5 VO 261/2004), individuelle und gerichtlich einklagbare Ansprüche ein, die grundsätzlich weit auszulegen sind.97 Anspruchsverpflichtet ist das „ausführende Luftfahrtunternehmen“, also das Unternehmen, EuGH 17.2.2016, Rs. C-429/14, ECLI:EU:C:2016:88 Rn. 49 – Air Baltic. EuGH 17.2.2016, Rs. C-429/14, ECLI:EU:C:2016:88 Rn. 50 – Air Baltic. 96 Siehe aber auch die Anregung im Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr KOM(2013) 130 S. 9, 11, den Durchsetzungsstellen auch die Durchsetzung der Ansprüche der Reisenden nach dem MÜ bei Verspätung, Verlust oder Beschädigung von Reisegepäck zuzuweisen. 97 Erwägungsgrund 22 Satz 2 VO 261/2004; EuGH 22.12.2008, Rs. C-549/07, Slg. 2008, I-11061 Rn. 20 – Wallentin-Hermann: „Anspruch auf Ausgleichsleistungen“; zur weiten Auslegung auch EuGH 19.11.2009, verb. Rs. C-402/07 und C-432/07, Slg. 2009, I-10923 Rn. 45 – Sturgeon; EuGH 4.10.2012, Rs. C-22/11, ECLI:EU:C:2012:604 Rn. 38 – Finnair; a. A. AG Emden 27.1.2010, 5 C 197/09, RRa 2010, 135 Rn. 14 (juris): Fluggast könne keine Ausgleichs- und Erstattungsansprüche geltend machen, wenn ein Unterneh94 95
III. Aktivlegitimation und Initiativberechtigung
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„das im Rahmen eines Vertrags mit einem Fluggast oder im Namen einer anderen – juristischen oder natürlichen – Person, die mit dem betreffenden Fluggast in einer Vertragsbeziehung steht, einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt“ (Art. 2 lit. b VO 261/2004),98
nicht etwa der Pauschalreiseveranstalter99 und auch beim Code-Sharing nur das Luftfahrtunternehmen, das den Flug tatsächlich durchführt.100 Inzwischen finden sich auch private Dienstleister, die gegen eine Erfolgsbeteiligung (etwa 27 % der Ausgleichsleistung inklusive Umsatzsteuer) und eine Verwaltungsgebühr von 25 Euro die Durchsetzung der monetären Ausgleichsansprüche übernehmen.101 Neben der zivilrechtlichen Durchsetzung von Ersatzansprüchen findet sich in der Verordnung 261/2004 eine Regelung zur behördlichen Durchsetzung. Gemäß Art. 16 Abs. 1 Satz 1 VO 261/2004 hat jeder Mitgliedstaat eine Stelle zu benennen, „die für die Durchsetzung dieser Verordnung in Bezug auf Flüge von in seinem Hoheitsgebiet gelegenen Flughäfen und Flüge von einem Drittland zu diesen Flughäfen zuständig ist“. Nach Art. 16 Abs. 1 Satz 2 VO 261/2004 ergreift diese Stelle „gegebenenfalls“ „die notwendigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Fluggastrechte gewahrt werden“. Dabei kann unbeschadet des Art. 12 VO 261/2004, also unbeschadet weiter gehender Schadensersatzansprüche, jeder Fluggast bei dieser Stelle „Beschwerde wegen eines behaupteten Verstoßes gegen diese Verordnung erheben“ (Art. 16 Abs. 2 VO 261/2004), wobei „die von den Mitgliedstaaten für Vermen den Flugschein gekauft hat. Gegen eine Aktivlegitimation von Unternehmern i. S. d. § 14 BGB auch Führich Reiserecht7 (2015) § 38 Rn. 29. 98 Siehe auch AG Bremen 10.10.2011, 16 C 89/11, RRa 2012, 22, das bei Flugausführung durch ein 100%iges Tochterunternehmen die Muttergesellschaft wegen ihres faktischen Einflusses als ausführendes Luftfahrtunternehmen ansieht. Gemäß Art. 3 Abs. 3 VO 261/2004 gilt die Verordnung „nicht für Fluggäste, die kostenlos oder zu einem reduzierten Tarif reisen, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist“. Nach BGH 17.3.2015, X ZR 35/14, NJW-RR 2015, 823 Rn. 8 soll dies auch kostenlos Reisende wie etwa Kleinkinder unter zwei Jahren erfassen; kritisch dazu Steinrötter jurisPR-IWR 2/ 2015 Anm. 4, da formal unentgeltliche Beförderungen regelmäßig bloßer Annex von entgeltlichen Offerten seien. 99 BGH 11.3.2008, X ZR 49/07, RRa 2008, 175 Rn. 9 ff. 100 BGH 26.11.2009, Xa ZR 132/08, RRa 2010, 85 Rn. 8. Offen ist, ob dies auch gilt, wenn das planmäßig vorgesehene Luftfahrtunternehmen durch ein anderes ersetzt wird. Der Schutzzweck der Verordnung spricht hier dafür, das planmäßig vorgesehene Unternehmen nicht aus der Haftung zu entlassen, Schmid/Schürmann ZLW 2012, 228, 232. 101 Siehe die Internetpräsenz des niederländischen Unternehmens EUClaim . Das Unternehmen bietet sowohl an, sich entgeltlich mit der Einziehung von Forderungen des Kunden gegen Fluggesellschaften beauftragen zu lassen („Nur der Erfolg zählt“) wie den Ausgleichsanspruch gegen sofortige Zahlung eines Kaufpreises abzukaufen („Geld sofort“), siehe die Allgemeinen Geschäftsbedingungen unter .
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stöße gegen diese Verordnung festgelegten Sanktionen […] wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein“ müssen.102 Die genaue Rolle der behördlichen Durchsetzung und vor allem ihr Verhältnis zur zivilgerichtlichen Geltendmachung waren lang unsicher.103 Zum einen ließe sie sich als rein ordnungsrechtliche Absicherung der Pflichten aus der Verordnung verstehen, so dass Verstöße durch Bußgelder zu ahnden sind,104 ohne dass dies Einfluss auf die zivilgerichtliche Durchsetzung hätte. Nach dieser Lesart, die offenbar auch das deutsche Luftfahrtbundesamt teilt,105 sind die nationalen Durchsetzungsstellen zumindest nicht verpflichtet, 102 Es wird zum Teil davon ausgegangen, dass die bisherigen Sanktionen in zahlreichen Mitgliedstaaten hinter dem Wirksamkeitserfordernis zurückbleiben, Steer/Davies/Gleave Evaluation of Regulation 261/2004 (2010) S. 45 Rn. 4.13. 103 Siehe die erste Vorlagefrage in der nicht zur Entscheidung gelangten Rs. C-227/12 – Koninklijke Luchtvaart Maatschappij: „Sind die Art. 7 und 16 der Verordnung […] dahin auszulegen, dass sie […] für ein staatliches Organ […] die Befugnis bzw. die Verpflichtung begründen, wegen Nichtzahlung des Verspätungsausgleichs an Fluggäste Durchsetzungsmaßnahmen gegen Luftfahrtunternehmen zu ergreifen, auch wenn diesen Fluggästen dafür der in Art. 33 des Übereinkommens von Montreal vorgesehene Rechtsweg offensteht?“ Siehe auch die parallelen Vorlageverfahren C-145/15 – Royal Air Maroc sowie C-145/16 – Koninklijke Luchtvaart Maatschappij zur Frage, ob nationale Aufsichtsbehörden gemäß Art. 7 und Art. 16 VO 261/2004 zur Durchsetzung der Ansprüche wegen Nichtzahlung des Verspätungsausgleichs verpflichtet sind. 104 So offenbar die Auffassung der meisten Mitgliedstaaten, Mitteilung der Kommission über die Anwendung und die Ergebnisse der Verordnung über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Betreuungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen KOM(2007) 168 S. 10: „In den meisten Mitgliedstaaten handelt es sich bei den Sanktionen für Verstöße um eine Verwaltungsstrafe“; Steer/Davies/Gleave Evaluation of Regulation 261/2004 (2010) S. 94 Rn. 7.13. Zur Sanktion als Ordnungswidrigkeit in Deutschland auch § 108 Abs. 2 LuftVZO; Bollweg RRa 2010, 106, 115: „Wenngleich Durchsetzung und Beschwerde überwiegend die Erfüllung zivilrechtlicher Ansprüche betreffen, nimmt das LBA – wie in Art. 16 gefordert – aber nur eine gewerberechtliche Aufsicht wahr. […] Das Verfahren vor dem LBA ist damit keine Schlichtung zivilrechtlicher Ansprüche aus der Verordnung (EG) Nr. 261/2004, womit sie häufig verwechselt wird.“ Isermann/Berlin RRa 2010, 207, 208: „Eine Entscheidung über individuell geltend gemachte zivilrechtliche Ansprüche nach der VO, insbesondere der Ausgleichszahlungen nach Art. 7 VO, liegt nicht im Zuständigkeitsbereich der meisten NEB. Diese können dem Wunsch des Fluggastes nach Vornahme einer Ausgleichszahlung im Einzelfall auch nicht direkt entsprechen. Sie können dem einzelnen Fluggast nur mittelbar helfen, indem sie bei Verstoß gegen die VO eine Sanktion verhängen und so das Flugunternehmen indirekt veranlassen, dass ein Fluggast sein auf diese Weise festgestelltes Recht bekommt.“ Hausmann Europäische Fluggastrechte im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung und großer Verspätung von Flügen (2012) S. 513. 105 „Das LBA ist nicht ermächtigt, etwaige zivilrechtliche Ansprüche wie beispielsweise Ausgleichs- und Erstattungsleistungen oder Schadensersatz durchzusetzen. Diese können Flugreisende nur nach den im jeweils anzuwendenden Recht vorgesehenen Verfahren selbstständig geltend machen. Aufgabe des LBA ist es, das beschriebene Ordnungswidrigkeitenverfahren durchzuführen, um die Einhaltung der genannten Verordnungen zu ge-
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individuelle Ansprüche einzelner Reisender durchzusetzen.106 Zum anderen erscheint zumindest denkbar, die Verordnung durch eine Art Ersatzvornahme durchzusetzen, bei der die Durchsetzungsstelle, wenn ein Luftfahrtunternehmen der Zahlungsanordnung nicht nachkommt, auf Kosten des Luftfahrtunternehmens selbst eine Zahlung an die Fluggäste vornimmt und im Verwaltungswege vom Luftfahrtunternehmen Regress nimmt.107 Für ein an der Durchsetzung individueller Ansprüche orientiertes Verständnis der behördlichen Durchsetzung ließe sich auch auf die Struktur der Verordnung verweisen, die – mit Ausnahme der Verpflichtung zur Information der Fluggäste über ihre Rechte (Art. 14 VO 261/2004) – nahezu ausschließlich individuelle Ansprüche der Flugreisenden regelt. Auch in der Entstehungsgeschichte finden sich Anhaltspunkte, dass die Durchsetzungsstelle auch die „Wahrung der Rechte“ der Flugreisenden gewährleisten soll.108 Trotz dieser Argumente für eine behördliche Durchsetzung sprechen die besseren Gründe dagegen, die Durchsetzungsstellen in die Durchsetzung invidueller Ansprüche der Reisenden einzubinden.109 Vielmehr bietet sich eine währleisten. Die Entscheidung des LBA in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren hat auf ein etwaiges Zivilgerichtsverfahren keinen Einfluss.“, ; zur Position des LBA auch Schuster-Wolf euvr 2012, 149, 153. Zur unterschiedlichen Praxis in den Mitgliedstaaten siehe den Bericht von Steer/Davies/Gleave Evaluation of Regulation 261/2004 (2010) S. 56 ff. Rn. 4.36. 106 Siehe auch den am 21.3.2013 vom Bundestag verabschiedeten Gesetzentwurf zur Schlichtung im Luftverkehr, der durch Neufassung der §§ 57, 57b, 57c LuftVG eine privatrechtliche Schlichtungsstelle einrichtet, BT-Drs. 17/11210; BT-Drs. 17/12876. Diese soll inzwischen auch zur Entlastung der Gerichte beitragen, Staudinger/Bauer NJW 2015, 1485, 1487. Den Vorgaben des § 57 Abs. 1 LuftVG entspricht die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e.V. (söp). 107 Siehe Vorlagefrage d) in der Rs. C-227/12 – Koninklijke Luchtvaart Maatschappij. 108 Siehe etwa die Kommissionsbegründung im Vorschlag für eine Verordnung über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Betreuungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen KOM (2001) 784, S. 9 Rn. 26: „Beschwerden haben gezeigt, dass Fluggäste nach den gegenwärtigen Rechtsvorschriften nicht immer in der vorgesehenen Weise entschädigt werden, so dass eine neuartige Verordnung von geeigneten Durchsetzungsmaßnahmen begleitet werden muss. Aus diesem Grund sieht die Kommission einen Artikel vor, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen festzulegen und Stellen zu benennen, die für die Durchsetzung der Verordnung zuständig sind. Diese Stellen gehen auch den Beschwerden von Fluggästen nach und gewährleisten die Wahrung ihrer Rechte bei Verstößen“ (Hervorhebung nicht im Original). 109 Nach EuGH 17.3.2016, verb. Rs. C-145/15 und C-146/15, ECLI:EU:C:2016:187 Rn. 31 – Ruijssenaars „sind die Beschwerden, mit denen die Stelle gemäß Art. 16 Abs. 2 der Verordnung Nr. 261/2004 von jedem Passagier befasst werden kann, eher als Hinweise zu verstehen, die zur ordnungsgemäßen Anwendung der Verordnung im Allgemeinen beitragen sollen, ohne dass die Stelle verpflichtet wäre, aufgrund solcher Beschwerden tätig zu werden, um das Recht jedes einzelnen Fluggasts auf Erhalt einer Ausgleichsleis-
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Unterscheidung zwischen individuellen und generellen Verstößen an.110 Auf individueller Ebene ist die Durchsetzungsstelle zwar verpflichtet, die Reisenden über ihre Rechte zu informieren und ihre Beschwerden gemäß Art. 16 Abs. 2 VO 261/2004 entgegenzunehmen.111 Zweck dieses Mechanismus ist allerdings, wie sich aus Erwägungsgrund 22 Satz 1 VO 261/2004 ergibt, die „generelle [nicht: individuelle] Einhaltung dieser Verordnung“.112 Insbesondere sind die nationalen Durchsetzungsstellen nicht verpflichtet, über die Beschwerden der Flugreisenden in einer auch für das Luftfahrtunternehmen bindenden Form zu entscheiden oder gar einzelne Ansprüche durchzusetzen.113 Vielmehr steht den Fluggästen infolge der unmittelbaren Anwendtung zu gewährleisten.“ Allerdings haben die Mitgliedstaaten „die Möglichkeit, zum Ausgleich eines unzureichenden Schutzes der Fluggastrechte die Stelle im Sinne von Art. 16 Abs. 1 der Verordnung zu ermächtigen, Maßnahmen auf individuelle Beschwerden hin zu ergreifen“ (Rn. 36). 110 So auch EuGH 17.3.2016, verb. Rs. C-145/15 und C-146/15, ECLI:EU:C:2016:187 Rn. 29, 32 – Ruijssenaars: „Des Weiteren ist der Begriff ‚Sanktionen‘ in Art. 16 Abs. 3 in Verbindung mit dem 21. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen, dass er Maßnahmen bezeichnet, die als Reaktion auf Verstöße ergriffen werden, die die Stelle in Ausübung ihrer allgemeinen Aufsicht nach Art. 16 Abs. 1 aufdeckt, und nicht verwaltungsrechtliche Durchsetzungsmaßnahmen, die in jedem Einzelfall zu ergreifen sind.“ Ebenso bereits die Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 14.1.2016, verb. Rs. C-145/15 und C-146/15, ECLI:EU:C:2016:12 Rn. 26 ff., 28 – Ruijssenaars: „Vielmehr verteidigt die für die Durchsetzung der Verordnung zuständige nationale Stelle in ihrer ersten Funktion die kollektiven Interessen der Fluggäste.“ Siehe auch die Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen vom 14.3.2013, Rs. C-509/11, ECLI:EU:C:2013:167 Rn. 74 – ÖBB Personenverkehr zur Parallelvorschrift in der EisenbahnVO (Art. 30 VO 1371/ 2007): „die Durchsetzung der Verordnung […] durch die Verwaltung [schützt] Fahrgastrechte nur mittelbar“. 111 Dabei sind die nach Art. 16 Abs. 1 und Abs. 2 zuständigen Stellen auch nicht zwangsläufig identisch, Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 14.1.2016, verb. Rs. C-145/15 und C-146/15, ECLI:EU:C:2016:12 Rn. 30 – Ruijssenaars. 112 Allerdings kann eine Häufung individueller Beschwerden ein Indiz für wiederholte Verstöße und damit eine generelle Nichteinhaltung der Verordnung sein, Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 14.1.2016, verb. Rs. C-145/15 und C-146/15, ECLI:EU: C:2016:12 Rn. 33 – Ruijssenaars. 113 EuGH 17.3.2016, verb. Rs. C-145/15 und C-146/15, ECLI:EU:C:2016:187 Rn. 31 – Ruijssenaars. Siehe auch die Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen vom 14.3.2013, Rs. C-509/11, ECLI:EU:C:2013:167 Rn. 47, 57, 59 f. – ÖBB Personenverkehr, der Zweifel an der Eignung der Parallelvorschrift des Art. 30 der Eisenbahnverordnung 1371/2007 zur Kontrolle von Beförderungsbedingungen hat, weil die Norm für Grundrechtseingriffe zu allgemein formuliert sei. Er weist aber zugleich (Rn. 48) auf die sogenannte CostanzoDoktrin (EuGH 22.12.2010, Rs. C-444/09 und C-456/09, Slg. 2010, I-14031 Rn. 73 – Gavieiro) hin, wonach die nationalen Gerichte und Verwaltungsorgane das Unionsrecht in vollem Umfang anzuwenden und die Rechte des Einzelnen zu schützen haben, indem sie entgegenstehende Vorschriften des nationalen Rechts gegebenenfalls unangewendet lassen. Ähnlich auch EuGH 26.9.2013, Rs. C-509/11, ECLI:EU:C:2013:613 Rn. 62 f. – ÖBB
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barkeit der Fluggastrechteverordnung mit dem Weg zu den Zivilgerichten wirksamer Rechtsschutz zur Verfügung114; dabei ist das Recht der Luftfahrtunternehmen zu respektieren, die Ansprüche der Reisenden, sei es auch mit unzutreffender Begründung, zurückzuweisen und das Risiko einer zivilgerichtlichen Klage auf sich zu nehmen. Eine Rollenverteilung zwischen Aufsichtsbehörden und Zivilgerichten, die letzteren die Durchsetzung der individuellen Ansprüche einzelner Geschädigter vorbehält, vermeidet auch eine unterschiedliche Beurteilung ein und desselben Einzelfalls durch Verwaltungsbehörden und Zivilgerichte,115 die zu widersprechenden Entscheidungen führen könnte. Würde man demgegenüber bereits in jedem Einzelfall einer Zahlungsverweigerung durch ein Luftfahrtunternehmen mit einer Geldbuße reagieren, so wäre das Recht der Unternehmen, die Leistung bis zur Entscheidung eines Gerichts zu verweigern, in Frage gestellt.116 Eine der hier vorgeschlagenen Differenzierung ähnliche Unterscheidung zwischen „allgemeinen Durchsetzungsaufgaben“ und der „außergerichtlichen Behandlung individueller Beschwerden“ scheint auch die Kommission in ihrem Vorschlag zur Änderung der Verordnung 261/2004 zu befürworten, indem sie neben den nationalen Durchsetzungsstellen die Einrichtung alternativer Streitbeilegungsstellen im Rahmen der neuen EU-Streitbeilegungsrichtlinie117 für die Bearbeitung individueller Beschwerden vorschlägt.118 Personenverkehr: „Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass Art. 30 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1371/2007 zu seiner Durchführung den Erlass von Durchführungsmaßnahmen seitens der Mitgliedstaaten erfordert, mit denen die Befugnisse der nationalen Kontrollstelle festgelegt werden. Demnach kann Art. 30 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1371/2007 entgegen der Auffassung der Schienen-Control Kommission nicht als Rechtsgrundlage verstanden werden, die die nationalen Stellen ermächtigte, den Eisenbahnunternehmen den konkreten Inhalt ihrer die Entschädigungsbedingungen betreffenden Vertragsklauseln vorzuschreiben.“ 114 EuGH 17.3.2016, verb. Rs. C-145/15 und C-146/15, ECLI:EU:C:2016:187 Rn. 37 – Ruijssenaars; Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 14.1.2016, verb. Rs. C-145/15 und C-146/15, ECLI:EU:C:2016:12 Rn. 35 ff. – Ruijssenaars. 115 EuGH 17.3.2016, verb. Rs. C-145/15 und C-146/15, ECLI:EU:C:2016:187 Rn. 34 f. – Ruijssenaars; Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 14.1.2016, verb. Rs. C-145/15 und C-146/15, ECLI:EU:C:2016:12 Rn. 39 f. – Ruijssenaars. 116 Weitergehend Hausmann Europäische Fluggastrechte im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung und großer Verspätung von Flügen (2012) S. 516, der von der Praxis berichtet, bei Feststellung eines Verstoßes im Beschwerdeverfahren den Verstoß durch Zahlung an den Reisenden zu „heilen“. 117 Siehe dazu die Richtlinie 2013/11/EU über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG (Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten), ABl. L 165 vom 18.6.2013, S. 63 und die Verordnung (EU) Nr. 524/2013 über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verord-
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IV. Verschulden IV. Verschulden
1. Übereinkommen von Montreal Im Hinblick auf das Verschulden als Haftungsvoraussetzung unterscheidet das Übereinkommen von Montreal zwischen der Haftung für den Tod oder die Körperverletzung von Reisenden und die Beschädigung von Reisegepäck (Art. 17 MÜ), der Haftung für die – hier nicht interessierende – Beschädigung von Gütern (Art. 18 MÜ) und der Haftung für Verspätung (Art. 19 MÜ). Für den Tod oder die Körperverletzung von Reisenden haftet der Luftfrachtführer verschuldensunabhängig (Art. 17 Abs. 1, 21 Abs. 1 MÜ), aber summenmäßig auf 113.100 Sonderziehungsrechte119 (SZR, ca. 130.000 Euro) begrenzt. Für Schäden jenseits dieser Summe kann sich das Luftfahrtunternehmen durch den Nachweis entlasten, dass der Schaden nicht auf eine unrechtmäßige Handlung oder Unterlassung seiner Leute, sei sie auch nur fahrlässig begangen, zurückzuführen ist (Art. 21 Abs. 2 lit. a MÜ).120 Gelingt nung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG (Verordnung über OnlineStreitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten), ABl. L 165 vom 18.6.2013, S. 1. 118 Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr KOM(2013) 130 S. 8 f., Art. 1 Abs. 15 der ÄnderungsVO = Art. 16 und Art. 16a der neuen VO 261/2004. Zudem sollen die Luftfahrtunternehmen über die Beschwerdeverfahren unterrichten, die Einrichtung von Beschwerden in elektronischer Form ermöglichen und auf Beschwerden innerhalb von zwei Monaten antworten, KOM(2013) 130 S. 9, Art. 1 Abs. 15 der ÄnderungsVO = Art. 16a der geänderten VO 261/2004. Siehe auch Erwägungsgrund 21 der ÄnderungsVO: „Zur besseren Durchsetzung der Fluggastrechte sollte die Rolle der nationalen Durchsetzungsstellen genauer definiert und von der Bearbeitung individueller Fluggastbeschwerden klar abgegrenzt werden.“ Allerdings sieht EuGH 16.4.2015, Rs. C-388/ 13, ECLI:EU:C:2015:225 Rn. 41 – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság bereits eine einmalige Irreführung gegenüber einem einzelnen Verbraucher als Geschäftspraxis iSd Art. 3 Abs. 1 RL 2005/29 an. Dies dürfte sich jedoch nicht ohne weiteres auf Art. 16 VO 261/ 2004 übertragen lassen. 119 Zur Erhöhung gegenüber den ursprünglich vorgesehenen 100.000 SZR siehe die Verordnung über die Inkraftsetzung der angepassten Haftungshöchstbeträge des MÜ vom 14. 12. 2009, BGBl. 2009 II S. 1258. Die Kommission hat eine erneute Anpassung an den Preisanstieg vorgeschlagen, Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr KOM(2013) 130 S. 11, Art. 2 Abs. 2, 3 sowie Anhang 2 der ÄnderungsVO = Art. 5 Abs. 2, Art. 6 Abs. 1 sowie der Anhang der geänderten VO 2027/97. 120 Art. 21 Abs. 2 lit. b MÜ sieht außerdem eine begrenzte Haftung vor, wenn der Schaden „ausschließlich auf eine unrechtmäßige Handlung oder Unterlassung eines Drit-
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dieser Nachweis nicht, so haftet der Luftfrachtführer unbegrenzt.121 Auch die Haftung wegen Zerstörung, Verlust oder Beschädigung von Reisegepäck ist bei aufgegebenem122 Reisegepäck verschuldensunabhängig (mit begrenzten Entlastungsmöglichkeiten etwa bei innewohnenden Mängeln, Art. 17 Abs. 2 Satz 3 MÜ), allerdings auf eine Höhe von 1.131 SZR (ca. 1.300 Euro) begrenzt (Art. 22 Abs. 2 MÜ), sofern es sich nicht um leichtfertiges oder vorsätzliches Verhalten des Luftfrachtführers oder seiner Leute handelt (Art. 22 Abs. 5 MÜ) oder der Reisende das Beförderungsinteresse angegeben und dafür einen Zuschlag entrichtet hat (Art. 22 Abs. 2 Satz 1 a. E., Satz 2 MÜ). Demgegenüber ist die Haftung für Verspätung nach Art. 19 MÜ als Haftung für vermutetes Verschulden ausgestaltet, d. h. der Luftfrachtführer haftet nicht für den Verspätungsschaden, „wenn er nachweist, dass er und seine Leute alle zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung des Schadens getroffen haben oder dass es ihm oder ihnen nicht möglich war, solche Maßnahmen zu ergreifen“ (Art. 19 Satz 2 MÜ). Auch die Haftung für Verspätungsschäden ist gemäß Art. 22 Abs. 1 MÜ auf 4.694 SZR (Verspätung von Fluggästen, ca. 5.400 Euro) bzw. 1.000 SZR (Reisegepäck, ca. 1.150 Euro) begrenzt, sofern nicht nachgewiesen wird, dass es sich um leichtfertiges oder vorsätzliches Verhalten des Luftfrachtführers oder seiner Leute handelte (Art. 22 Abs. 5 MÜ). Die Haftungsbegrenzungen nach Art. 21 und Art. 22 MÜ hindern das Gericht nicht, zusätzlich einen Betrag für die Gerichtskosten und sonstigen Ausgaben für den Rechtsstreit, einschließlich Zinsen, zuzusprechen, sofern nicht das Luftfahrtunternehmen dem Reisenden einen Betrag in Höhe der später zugesprochenen Schadensersatzforderung binnen sechs Monaten nach dem Ereignis oder vor Klageerhebung angeboten hat (Art. 22 Abs. 6 MÜ). Generell ausgeschlossen ist „jeder eine Strafe einschließende, verschärfte oder sonstige nicht kompensatorische Schadensersatz“ (Art. 29 Satz 2 MÜ). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Montrealer Übereinkommen je nach Art und Wertigkeit des geschädigten Rechtsguts (Leben und Körper, Reisegepäck, Verspätung) und der Summe des geforderten Schadensersatzes ein differenziertes Haftungssystem vorsieht.123 Für Leben- und Körperschäden besteht eine Gefährdungshaftung bis zu 113.100 SZR, darüber hinaus eine unbegrenzte Haftung für vermutetes Verschulden mit der Möglichkeit der Exkulpation. Für Gepäckschäden haftet der Luftfrachtführer ebenfalls strikt bis zur deutlich geringeren Summe von 1.131 SZR; darüber ten, sei sie auch nur fahrlässig begangen, zurückzuführen ist“. Der Norm dürfte neben Art. 21 Abs. 2 lit. a MÜ keine eigenständige Bedeutung zukommen, weil in diesen Fällen bereits Art. 21 Abs. 2 lit. a MÜ eingreift, BT-Drs. 15/2285 S. 44. 121 Reuschle Montrealer Übereinkommen2 (2011) Art. 21 Rn. 8. 122 Für nicht aufgegebenes Reisegepäck sieht Art. 17 Abs. 2 S. 3 MÜ eine Verschuldenshaftung vor. 123 Vgl. Giemulla in: Giemulla/Schmid Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht III (EL 32 2009) Art. 20 MÜ Rn. 3.
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hinaus nur, wenn ihm oder seinen Leuten absichtliches oder leichtfertiges Verhalten nachgewiesen werden kann. Die Haftung für Verspätungsschäden schließlich ist von vorneherein als Haftung für vermutetes Verschulden ausgestaltet, wobei ab einer Ersatzsumme von 4.694 SZR bzw. 1.000 SZR (Gepäck) die Haftung den Nachweis absichtlichen oder leichtfertigen Verhaltens voraussetzt. Insgesamt kommt in diesem Haftungssystem das Bestreben der Konventionsverfasser nach einem „gerechten Interessenausgleich“ (Präambel Abs. 5 MÜ) zum Ausdruck, indem durch die Kombination von strikter Haftung und Haftungshöchstgrenzen eine „einfache und schnelle Entschädigung der Fluggäste“ ermöglicht wird,124 „ohne dass den Luftfahrtunternehmen eine übermäßige, schwer feststell- und berechenbare Ersatzpflicht aufgebürdet würde, die ihre wirtschaftliche Tätigkeit gefährden oder sogar zum Erliegen bringen könnte“.125 2. Fluggastrechteverordnung 261/2004 Die Fluggastrechteverordnung sieht ebenfalls ein System der verschuldensunabhängigen Haftung der Luftfahrtunternehmen vor, wobei die Haftungsvoraussetzungen strikter als im Übereinkommen von Montreal ausgestaltet sind,126 während die Haftungssummen geringer sind. So findet sich bei der Nichtbeförderung gemäß Art. 4 VO 261/2004 – abgesehen von der freiwilligen Abstandnahme der Passagiere – keine Ausnahme von der Verpflichtung des Flugunternehmens, Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen gemäß Art. 7–9 VO 261/2004 zu erbringen. Dies gilt selbst dann, wenn die Flüge des Unternehmens infolge „außergewöhnlicher Umstände“ umorganisiert werden mussten, denn diese Ausnahme greift nur bei Annullierung (Art. 5 Abs. 3 VO 261/2004) und großer Verspätung (Art. 5 Abs. 3 VO 261/2004 analog).127 Das Unternehmen kann sich im Regelfall auch nicht mit dem Hinweis entlasten, dass es sich tatbestandlich nicht um eine „Nichtbeförderung“ i. S. d. Art. 2 lit. j VO 261/2004 handelte, weil es „vertretbare Gründe“ für die Nichtbeför124 Siehe auch den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 2027/97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Unfällen KOM(2000) 340 S. 4 Rn. 10: „Dadurch [die strikte Haftung bis zu 113.100 SZR] soll die Regelung kleinerer Schadensanzeigen erleichtert werden.“ 125 EuGH 6.5.2010, Rs. C-63/09, Slg. 2010, I-4239 Rn. 36 – Walz. 126 Zu den Unterschieden zwischen Art. 5 Abs. 3 VO 261/2004 und Art. 19 MÜ siehe die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 27.9.2007, Rs. C-396/06 Rn. 29 – Eivind F. Kramme. 127 EuGH 4.10.2012, Rs. C-22/11, ECLI:EU:C:2012:604 Rn. 38 – Finnair: „In Anbetracht des Erfordernisses, Ausnahmen von Bestimmungen, die Fluggästen Rechte gewähren, eng auszulegen, […] kann daher nicht zugelassen werden, dass sich das Luftfahrtunternehmen von seiner Ausgleichsverpflichtung im Fall der ‚Nichtbeförderung‘ mit der Begründung befreien kann, dass die Nichtbeförderung darauf beruhe, dass die Flüge dieses Unternehmens infolge ‚außergewöhnlicher Umstände‘ umorganisiert worden seien.“
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derung gegeben habe, „z. B. im Zusammenhang mit der Gesundheit oder der allgemeinen oder betrieblichen Sicherheit oder unzureichenden Reiseunterlagen“ (Art. 2 lit. j VO 261/2004). Denn auch wenn die Aufzählung „vertretbarer Gründe“ nicht abschließend ist, so kann eine Nichtbeförderung aus einem betrieblichen Grund nicht als ein „vertretbarer Grund“ angesehen werden, weil sie „in keiner Weise dem Fluggast zuzurechnen ist, dem die Beförderung verweigert wird“.128 Ähnlich strikt ist die Haftung im Fall von Annullierung und Verspätung ausgestaltet, jedenfalls was die Unterstützungs- und Betreuungsleistungen gemäß Art. 8 und 9 VO 261/2004 angeht. Im Unterschied zum Schiffs- und Busverkehr unterliegen „alle Arten von Betreuungsleistungen (einschließlich Unterbringung) keinerlei Einschränkung und müssen auch unter außergewöhnlichen Umständen erbracht werden“.129 Damit reduziert sich die Entlastungsmöglichkeit im Wesentlichen auf die Ausgleichszahlung nach Art. 7 VO 261/2004, zu der ein ausführendes Luftfahrtunternehmen nicht verpflichtet ist, „wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung [oder Verspätung130] auf außergewöhnliche Umstände zurückEuGH 4.10.2012, Rs. C-321/11, ECLI:EU:C:2012:609 Rn. 29 f., 32 – Rodríguez Cachafeiro; EuGH 4.10.2012, Rs. C-22/11, ECLI:EU:C:2012:604 Rn. 25 f. – Finnair: „Wenn sich ein Luftfahrtunternehmen weigert, einen Fluggast zu befördern, der sich unter den in Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 261/2004 genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden hat, und der Grund für diese Weigerung ist, dass die von dem Luftfahrtunternehmen durchgeführten Flüge umorganisiert worden sind, ist dies folglich als ‚Nichtbeförderung‘ im Sinne von Art. 2 Buchst. j dieser Verordnung einzustufen“; Rn. 31: „Aus dieser Formulierung lässt sich jedoch nicht ableiten, dass eine Nichtbeförderung aus einem betrieblichen Grund wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden als vertretbar angesehen werden muss.“ 129 Mitteilung der Kommission Eine europäische Perspektive für Reisende: Mitteilung über die Rechte der Benutzer aller Verkehrsträger KOM(2011) 898 S. 11; ebenso EuGH 31.1.2013, Rs. C-12/11, ECLI:EU:C:2013:43 Rn. 31, 43 – McDonagh (allerdings nur solche Betreuungsleistungen, die im Einzelfall als angemessen erscheinen, EuGH a. a. O. Rn. 51). Die Kommission hat vorgeschlagen, in der neugefassten VO 261/2004 das Recht auf Unterbringung auf drei Tage und 100 Euro pro Nacht und Fluggast zu beschränken, Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr KOM(2013) 130 S. 9, Art. 1 Abs. 9 der ÄnderungsVO = Art. 9 Abs. 4 der geänderten VO 261/2004. Stattdessen sollen schnellere Alternativbeförderungen (auch durch andere Fluggesellschaften) und Notfallpläne der Flughäfen für gestrandete Passagiere die Erforderlichkeit von Unterstützungsleistungen begrenzen. Zudem sollen kleine Regionalluftfahrtunternehmen von der Pflicht ausgenommen werden, KOM(2013) 130 S. 10. 130 Art. 5 Abs. 3 VO 261/2004 wird auf die große Verspätung analog angewendet, EuGH 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 und C-629/10, ECLI:EU:C:2012:657 Rn. 40 – Nelson. 128
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geht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären“ (Art. 5 Abs. 3 VO 261/2004).131 Nach Erwägungsgrund 14 Satz 2 VO 261/2004 können solche Umstände „insbesondere bei politischer Instabilität, mit der Durchführung des Fluges nicht zu vereinbarenden Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken, unerwarteten Flugsicherheitsmängeln und den Betrieb eines ausführenden Luftfahrtunternehmens beeinträchtigenden Streiks eintreten“.132
Erwägungsgrund 15 VO 261/2004 ergänzt, dass vom Vorliegen außergewöhnlicher Umstände nur dann ausgegangen werden kann, „wenn eine Entscheidung des Flugverkehrsmanagements zu einem einzelnen Flugzeug an einem bestimmten Tag zur Folge hat, dass es bei einem oder mehreren Flügen des betreffenden Flugzeugs zu einer großen Verspätung […] oder zu einer Annullierung kommt, obgleich vom betreffenden Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen wurden, um die Verspätungen oder Annullierungen zu verhindern“.133
Auch diese begrenzten Entlastungsgründe hat der EuGH eng ausgelegt, so dass ein technisches Problem im Regelfall keinen außergewöhnlichen Umstand darstellt,134 sofern das Problem nicht auf Vorkommnisse zurückgeht, 131 Aufgenommen im Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 27/2003, ABl.EG C 125 E/63 S. 70 anstelle des Begriffs der „höheren Gewalt“. Zum Begriff der außergewöhnlichen Umstände EuGH 31.1.2013, Rs. C-12/11, ECLI:EU:C:2013:43 Rn. 29 – McDonagh: „Nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch stellt die Wendung ‚außergewöhnliche Umstände‘ wörtlich auf Umstände ‚abseits des Gewöhnlichen‘ ab. Im Zusammenhang mit dem Luftverkehr bezeichnet sie ein Vorkommnis, das der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens nicht innewohnt und aufgrund seiner Natur oder Ursache von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen ist […]. Mit anderen Worten werden davon […] alle Umstände erfasst, die das Luftfahrtunternehmen nicht kontrollieren kann, welcher Natur und Schwere sie auch sein mögen.“ 132 Für die Reform der VO 261/2004 hat die Kommission vorgeschlagen, eine nicht abschließende Liste von „außergewöhnlichen Umständen“ in einem Anhang 1 in die Verordnung aufzunehmen, Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr KOM(2013) 130 S. 32. 133 Dazu BGH 21.8.2012, X ZR 138/11, WM 2012, 2028 Rn. 14: „Beide Erwägungsgründe zeigen, dass für die Qualifikation der Umstände als außergewöhnlich weder ihre – möglicherweise vielfältigen – Ursachen noch ihre Herkunft aus dem Verantwortungsbereich des Luftverkehrsunternehmens oder eines Dritten oder ihre generelle Unbeeinflussbarkeit entscheidend sind, sondern vielmehr der Umstand, dass sie sich von denjenigen Ereignissen unterscheiden, mit denen typischerweise bei der Durchführung eines einzelnen Fluges gerechnet werden muss.“ 134 BGH 21.8.2012, X ZR 138/11, WM 2012, 2028 Rn. 13: „Ein technischer Defekt, wie er beim Betrieb eines Flugzeugs auftreten kann, begründet daher regelmäßig auch
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„die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind“ (z. B. versteckte Fabrikationsfehler, Schäden durch Sabotage oder terroristische Anschläge).135 Zudem verlangt der EuGH für eine Entlastung gemäß Art. 5 Abs. 3 VO 261/2004 den Nachweis,136 dass sich die außergewöhnlichen Umstände „nicht durch der Situation angepasste Maßnahmen hätten vermeiden lassen, d. h. solche, die zu dem Zeitpunkt, zu dem die entsprechenden außergewöhnlichen Umstände auftreten, für das betroffene Luftfahrtunternehmen insbesondere in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht tragbar sind“.137
Das Flugunternehmen muss also nachweisen, „dass es ihm auch unter Einsatz aller ihm zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel offensichtlich nicht möglich gewesen wäre, ohne angesichts der Kapazitäten des Unternehmens zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht tragbare Opfer die außergewöhnlichen Umstände zu vermeiden, mit denen es konfrontiert war und die zur Annullierung des Fluges geführt haben“.138
Dies verpflichtet die Fluggesellschaften zur Einplanung einer gewissen Zeitreserve, um den Flug möglichst bald nach Wegfall der außergewöhnlichen Umstände durchführen zu können.139
dann, wenn das Luftverkehrsunternehmen alle Wartungsintervalle eingehalten und die Wartung ordnungsgemäß durchgeführt hat, regelmäßig keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung“. 135 EuGH 22.12.2008, Rs. C-549/07, Slg. 2008, I-11061 Rn. 23, 26, 34 – WallentinHermann; zu technischen Problemen siehe auch die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 27.9.2007, Rs. C-396/06 Rn. 51 ff. – Eivind F. Kramme. Die Kommission hat vorgeschlagen, diese Definition in die VO 261/2004 zu übernehmen, siehe den Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr KOM(2013) 130 S. 7, Art. 1 Abs. 1 lit. e der vorgeschlagenen ÄnderungsVO = Art. 2 lit. m der geänderten VO 261/ 2004. 136 Zur Anwendung der nationalen Beweisregeln Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 27.9.2007, Rs. C-396/06 Rn. 67 – Eivind F. Kramme. 137 EuGH 22.12.2008, Rs. C-549/07, Slg. 2008, I-11061 Rn. 40 – Wallentin-Hermann. 138 EuGH 22.12.2008, Rs. C-549/07, Slg. 2008, I-11061 Rn. 41 – Wallentin-Hermann. 139 EuGH 12.5.2011, Rs. C-294/10, Slg. 2011, I-3983 Rn. 28 – Eglitis. Die Ermittlung der im konkreten Fall angemessenen Zeitreserve ist Sache des nationalen Gerichts, eine allgemeine und undifferenzierte Zeitreserve gibt es nicht, EuGH 12.5.2011, Rs. C-294/10, Slg. 2011, I-3983 Rn. 31 – Eglitis. Dabei hat das nationale Gericht auch Folgerisiken wie Schwierigkeiten bei der Neuzuteilung von Flugkorridoren zu berücksichtigen, EuGH 12.5.2011, Rs. C-294/10, Slg. 2011, I-3983 Rn. 34 – Eglitis.
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Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass das Haftungssystem der Fluggastrechteverordnung nicht nur verschuldensunabhängig ausgestaltet ist, sondern darüber hinaus „auch unvermeidbare Hindernisse für die planmäßige Durchführung eines Flugs der Risikosphäre des Luftverkehrsunternehmens zu[weist], sofern sie nicht als außergewöhnlich aus den üblichen und erwartbaren Abläufen des Luftverkehrs herausragen“.140
Damit dürfte die Fluggastrechteverordnung eine der, wenn nicht sogar die strikteste Haftungsregelung sein, die das europäische Recht überhaupt kennt. V. Schadensbegriff und Schadensumfang V. Schadensbegriff und Schadensumfang
1. Europäischer oder nationaler Schadensbegriff? Ebenso wie bei Richtlinien wirft auch die Auslegung der Schadensersatzvorschriften der Fluggastrechteverordnung und des Übereinkommens von Montreal die Frage auf, ob ihnen ein europäisch-autonom oder ein nationalkollisionsrechtlich zu konkretisierender Schadensbegriff zugrunde liegt. Während im Fall der Verordnung 261/2004 schon mit Blick auf die sehr konkret geregelten Inhalte der Ersatzansprüche (pauschale Geldzahlungen und konkrete Unterstützungs- und Betreuungsleistungen) kaum ein Zweifel an einer europäisch-autonomen Auslegung bestehen kann, 141 neigt die Literatur zum Montrealer Übereinkommen dazu, unter Verweis auf Art. 29 Satz 1 Halbsatz 2 MÜ142 den Inhalt und Umfang des Schadensersatzanspruches des Fluggastes anhand des durch das Kollisionsrecht berufenen nationalen Rechts zu bestimmen. 143 Dieser in der luftrechtlichen Literatur ersichtlich unangefochtenen BGH 21.8.2012, X ZR 138/11, WM 2012, 2028 Rn. 13. Allgemein zur autonomen Auslegung der VO 261/2004 EuGH 22.12.2008, Rs. C-549/07, Slg. 2008, I-11061 Rn. 17 – Wallentin-Hermann. 142 „Bei der Beförderung von Reisenden, Reisegepäck und Gütern kann ein Anspruch auf Schadenersatz, auf welchem Rechtsgrund er auch beruht, sei es dieses Übereinkommen, ein Vertrag, eine unerlaubte Handlung oder ein sonstiger Rechtsgrund, nur unter den Voraussetzungen und mit den Beschränkungen geltend gemacht werden, die in diesem Übereinkommen vorgesehen sind; die Frage, welche Personen zur Klage berechtigt sind und welche Rechte ihnen zustehen, wird hierdurch nicht berührt.“ 143 So etwa Schlussanträge des Generalanwalts Mazák vom 26.1.2010, Rs. C-63/09, Slg. 2010, I-4239 Rn. 22 – Walz: „Im Übereinkommen von Montreal wird auch die Art der Entschädigung nicht näher bestimmt, d. h., ob tatsächliche Schäden, entgangene Gewinne oder auch alle anderen in Geld zu bemessenden Schäden zu ersetzen sind. Es bleibt dem nationalen Recht überlassen, den Begriff des ‚Schadens‘ auszufüllen und die Art der Entschädigung näher zu bestimmen.“ Janköster Fluggastrechte im internationalen Luftverkehr (2009) S. 302: „Welche Schäden in welchem Umfang bei einer Ankunftsverspätung zu ersetzen sind, ist im MÜ nicht geregelt“; Schmid in: Giemulla/Schmid Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht III (EL 36 2011) Art. 17 MÜ Rn. 161, Art. 19 MÜ Rn. 84; Reuschle Montrealer Übereinkommen2 (2011) Art. 17 Rn. 79, Art. 19 Rn. 52 m. w. N.; 140 141
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Lesart ist der EuGH i. d. F.in einer Entscheidung zur Haftungshöchstgrenze in Art. 22 Abs. 2 MÜ indes nicht gefolgt. Vielmehr stellte der Gerichtshof klar, dass der Begriff des Schadens („préjudice“ bzw. „dommage“) „angesichts des Gegenstands dieses Übereinkommens, der in der Vereinheitlichung der Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr besteht, ungeachtet der unterschiedlichen Bedeutungen dieser Begriffe in den internen Rechtsordnungen der Vertragsstaaten des Übereinkommens einheitlich und autonom auszulegen“144
ist. Allerdings sind wegen des völkerrechtlichen Ursprungs des Übereinkommens für eine solche einheitlich-autonome Auslegung nicht die Auslegungsgrundsätze des Unionsrechts, sondern die Auslegungsregeln des allgemeinen Völkerrechts heranzuziehen.145 Nach Art. 31 des Wiener Übereinkommmens über das Recht der Verträge ist das Übereinkommen mithin nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen.146 Allein eine solche, zumindest für die Union einheitliche Auslegung der Begriffe des Übereinkommens von Montreal vermag zu überzeugen, weil der Unionsgesetzgeber mit der Übernahme des Montrealer Übereinkommens in den acquis des Unionsrechts das Ziel verfolgt, „eine Harmonisierung im Bereich der Haftung von Luftfahrtunternehmen zu erreichen“ (Erwägungsgrund 6 VO 889/2002; Erwägungsgrund 6 VO 2027/97 in ihrer konsolidierten Fassung). Selbst wenn es unter Geltung des Übereinkommens von Montreal richtig gewesen sein mag, für die Auslegung des Schadensbegriffs auf das nationale Recht zurückzugreifen, so kann dies zumindest nach Überführung des Übereinkommens von Montreal in den Besitzstand des Unionsrechts und der damit begründeten Auslegungskompetenz des EuGH147 nicht mehr überzeugen. Daraus folgt nicht, dass jedes Details des Schadensrechts durch das Unionsrecht vorgegeben wird. Vielmehr deutet sich an, dass sich der Gerichtshof grundsätzliche Fragen zur Ersatzfähigkeit bestimmter Schadenspositionen vorbehalten will, ohne die Schadensbemessung im Einzelfall den nationalen Gerichten aus den Händen nehmen zu wollen. 2. Naturalrestitution und Schadenskompensation Zum Verhältnis von Naturalrestitution und Schadenskompensation finden sich weder in der Verordnung 261/2004 noch im Montrealer Übereinkommen explizite Vorgaben. Eine gewisse Nähe zur Naturalrestitution mag man aber Hausmann Europäische Fluggastrechte im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung und großer Verspätung von Flügen (2012) S. 429. 144 EuGH 6.5.2010, Rs. C-63/09, Slg. 2010, I-4239 Rn. 21 – Walz. 145 EuGH 6.5.2010, Rs. C-63/09, Slg. 2010, I-4239 Rn. 22 – Walz. 146 EuGH 6.5.2010, Rs. C-63/09, Slg. 2010, I-4239 Rn. 23 – Walz. 147 EuGH 6.5.2010, Rs. C-63/09, Slg. 2010, I-4239 Rn. 20 – Walz.
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in der Verpflichtung des Luftfahrtunternehmens zur unaufgeforderten148 Bereitstellung von Unterstützungs- und Betreuungsleistungen (Art. 9 VO 261/2004) erkennen. Zwar hat die Verletzung dieser Pflicht einen „Ausgleichsanspruch auf der Grundlage der in diesen Artikeln aufgeführten Gesichtspunkte“ zur Folge,149 aber offenbar zielt die gesetzliche Regelung in erster Linie auf die Verhütung der Schadensvertiefung (durch ausreichende Betreuung gestrandeter Fluggäste) und damit auf eine Art Naturalrestitution oder zumindest Schadensminderung durch das Luftfahrtunternehmen. 3. Schadensumfang Ausgangspunkt für die Bestimmung des Schadensumfangs im europäischen Luftbeförderungsrecht ist die Prämisse, dass die gemäß Art. 12 VO 261/2004 über die Verordnung hinaus gewährten Ausgleichsleistungen die Ansprüche aus der Verordnung ergänzen sollen, „so dass den Fluggästen der gesamte Schaden, der ihnen durch die Verletzung der vertraglichen Verpflichtung des Luftfahrtunternehmens entstanden ist, ersetzt wird“.150 Um dieses Ziel vollständiger Kompensation („Grundsatz des vollen Ausgleichs“, Präambel Abs. 3 MÜ)151 zu erreichen, können die Fluggäste über die Ansprüche aus der Verordnung 261/2004 hinaus nach dem Übereinkommen von Montreal und dem nationalen Recht Ersatz des Schadens verlangen, der „aufgrund derselben Verletzung der vertraglichen Pflichten durch das Luftfahrtunternehmen […] entsteht“,152 wobei der „ersatzfähige Schaden nicht nur ein materieller, sondern auch ein immaterieller Schaden sein“ kann153 (zur Anrechnung Art. 12 Abs. 1 VO 261/2004, unten § 8 VIII 3 → S. 486). a) Materielle Schäden aa) Übereinkommen von Montreal Während die Fluggastrechteverordnung vor allem dem Ausgleich für typisierte immaterielle Schäden dient, zielen die Ersatzansprüche des Übereinkommens von Montreal in erster Linie auf die Kompensation für individuelle materielle Schäden, ohne den Ersatz für immaterielle Schäden auszuschließen.154 Dabei sieht das Übereinkommen im Unterschied zur Fluggastrechteverordnung 261/ EuGH 12.10.2011, Rs. C-83/10, Slg. 2011, I-9469 Rn. 45 – Sousa Rodríguez. EuGH 12.10.2011, Rs. C-83/10, Slg. 2011, I-9469 Rn. 44 – Sousa Rodríguez. 150 EuGH 12.10.2011, Rs. C-83/10, Slg. 2011, I-9469 Rn. 38 – Sousa Rodríguez. 151 Dazu auch EuGH (Große Kammer) 10.1.2006, Rs. C-344/04, Slg. 2006, I-403 Rn. 41 – IATA und ELFAA. 152 EuGH 12.10.2011, Rs. C-83/10, Slg. 2011, I-9469 Rn. 39 – Sousa Rodríguez. 153 EuGH 12.10.2011, Rs. C-83/10, Slg. 2011, I-9469 Rn. 41 – Sousa Rodríguez mit Verweis auf EuGH 6.5.2010, Rs. C-63/09, Slg. 2010, I-4239 Rn. 29 –Walz. 154 EuGH 6.5.2010, Rs. C-63/09, Slg. 2010, I-4239 Rn. 29 – Walz: „sowohl materielle als auch immaterielle Schäden“. 148 149
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2004 keine pauschalen Schadensersatzzahlungen vor, insbesondere sind die in Art. 22 Abs. 2 MÜ genannten Haftungshöchstbeträge nicht als pauschale Schadensersatzleistungen aufzufassen.155 Vielmehr setzen die Ersatzansprüche nach dem Übereinkommen voraus, „dass der Schaden durch unterschiedliche Schädigungen der einzelnen Fluggäste individualisiert wird“.156 Nach dem Montrealer Übereinkommen ersatzfähig ist zunächst der Schaden, „der dadurch entsteht, dass ein Reisender getötet oder körperlich verletzt wird“ (Art. 17 Abs. 1 MÜ). Dazu zählen die Kosten für die erforderliche Heilbehandlung, zudem die Vermögensnachteile durch Erwerbsminderung oder Bedürfnisvermehrung während oder infolge der Erkrankung, die Kosten der Bestattung, der Verlust von Unterhaltsleistungen für Dritte157 sowie eine billige Entschädigung in Geld für Nichtvermögensschäden.158 Teilweise verneint wird der Ersatz für rein psychische Beeinträchtigungen (z. B. Flugangst), die nicht im Zusammenhang mit einem Körperschaden entstanden sind, weil der Wortlaut des Art. 17 MÜ das Tatbestandsmerkmal „sonstiger Gesundheitsschaden“ aus dem Warschauer Abkommen nicht mehr vorsieht.159 Diese Auffassung steht indes in einem Spannungsverhältnis mit dem in der Walz-Entscheidung des EuGH geforderten umfassenden Ersatz materieller und immaterieller Schäden.160 Ersatzfähig ist außerdem der Schaden, „der durch Zerstörung, Verlust oder Beschädigung von aufgegebenem Reisegepäck entsteht“ (Art. 17 Abs. 2 MÜ). Hier geht es zunächst um den unmittelbaren materiellen Schaden am Reisegepäck, etwa den Ersatz für die Reparatur eines beschädigten Koffers. Umstritten ist, ob das Montrealer Übereinkommen außerdem auch den Ersatz des mittelbaren Schadens umfasst, z. B. der Kosten für die Schadensermittlung durch ein Sachverständigengutachten. Unter Zugrundelegung der herrschenden Auffassung, die den Schadensbegriff durch das Übereinkommen nicht als harmonisiert ansieht, soll das Übereinkommen insofern keine Regelung treffen, so dass diese Frage dem anwendbaren nationalen Recht überlassen bleibt und auch nach dessen Regeln ein Ersatzanspruch ausgeschlossen
Reuschle Montrealer Übereinkommen2 (2011) Art. 17 Rn. 84. EuGH 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 und C-629/10, ECLI:EU:C:2012:657 Rn. 50 – Nelson (zu Art. 19 MÜ). 157 Siehe die ausdrückliche Regelung in Art. 20 Satz 2 MÜ im Kontext des Mitverschuldens, die davon ausgeht, dass eine „andere Person als der Reisende wegen dessen Tod oder Körperverletzung“ Schadensersatzansprüche erheben kann. 158 Vgl. Reuschle Montrealer Übereinkommen2 (2011) Art. 17 Rn. 81 f. mit Verweis auf § 1 Abs. 1 MontÜG i. V. m. §§ 35, 36 LuftVG (wobei Reuschle vom Konzept der Konkretisierung der Schadensberechnung durch das nationale Recht ausgeht). 159 Schmid in: Giemulla/Schmid Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht III (EL 36 2011) Art. 17 MÜ Rn. 4. 160 EuGH 6.5.2010, Rs. C-63/09, Slg. 2010, I-4239 Rn. 29 – Walz. 155 156
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werden kann.161 Nach der hier befürworteten autonomen Auslegung der Haftungsfolgen sind mittelbare Schäden zu ersetzen, wenn sie kausal auf die Primärschädigung (Tötung, Körperverletzung, Beschädigung von Reisegepäck) zurückgehen und vom Schutzzweck der Haftungsnorm umfasst sind, was etwa bei Schadensermittlungskosten zu bejahen ist. Für eine solche Sichtweise spricht insbesondere auch Art. 22 Abs. 6 Satz 1 MÜ, der dem Gericht unter bestimmten Voraussetzungen gestattet, auch den Ersatz der Gerichtskosten und der sonstigen Ausgaben für den Rechtsstreit, einschließlich der Zinsen anzuordnen. Daraus lässt sich verallgemeinert folgern, dass das Übereinkommen grundsätzlich auch den Ersatz der Rechtsdurchsetzungskosten und damit der Kosten für die Schadensermittlung gestatten will. Bei der Flugverspätung schließlich hat der Luftfrachtführer den Schaden zu ersetzen, „der durch Verspätung bei der Luftbeförderung von Reisenden, Gepäck oder Gütern entsteht“ (Art. 19 MÜ). Regelmäßig handelt es sich hier bei den materiellen Schäden um entgangenen Gewinn162 z. B. durch Produktionsstillstand infolge verspäteter Lieferungen,163 oder zusätzliche Übernachtungs- und Verpflegungskosten als Folge versäumter Anschlussflüge164 (soweit diese trotz der Betreuungsleistungen nach Art. 9 VO 261/2004 anfallen). bb) Fluggastrechteverordnung 261/2004 Zum Ersatz materieller Schäden finden sich in der Fluggastrechteverordnung 261/2004 nur wenige Vorschriften. Insbesondere dient der pauschale Ausgleichsanspruch nach Art. 7 VO 261/2004 nicht dem Ersatz materieller Einbußen,165 sondern dem Ausgleich der „Unannehmlichkeit“166 des von den Fluggästen erlittenen Zeitverlusts, „ohne dass sie nachzuweisen haben, dass ihnen ein individueller Schaden entstanden ist“.167 Auch die Ansprüche auf Erstattung oder anderweitige Beförderung (Art. 8 VO 261/2004) dienen nicht dem Ausgleich materieller Schäden, sondern stellen eine Art verlängerten Erfüllungsanspruch und Gewährleistungsrecht dar. Es geht im Kern um die 161 Schmid in: Giemulla/Schmid Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht III (EL 36 2011) Art. 17 MÜ Rn. 162 f. 162 Zum deutschen Recht (unter Zugrundelegung der von der hM befürworteten Unteranknüpfung an das anwendbare nationale Schadensrecht) Schmid in: Giemulla/Schmid Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht III (EL 37 2012) Art. 19 MÜ Rn. 84. 163 Reuschle Montrealer Übereinkommen2 (2011) Art. 19 Rn. 31. 164 Reuschle Montrealer Übereinkommen2 (2011) Art. 19 Rn. 31. 165 Explizit zur Qualifikation als immaterieller Schadensersatz die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 27.9.2007, Rs. C-396/06 Rn. 36 mit Fn. 19 – Eivind F. Kramme. 166 EuGH 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 und C-629/10, ECLI:EU:C:2012:657 Rn. 51 – Nelson. 167 EuGH 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 und C-629/10, ECLI:EU:C:2012:657 Rn. 74 – Nelson.
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Wahrung des Äquivalenzverhältnisses zwischen den Parteien, das durch die Pflichtverletzung des Flugunternehmens gestört wurde und das durch Erstattung der Flugscheinkosten und Rückbeförderung (Art. 8 Abs. 1 lit. a VO 261/2004) oder anderweitige Beförderung zum Endziel (Art. 8 Abs. 1 lit. b, c VO 261/2004) wiederhergestellt werden soll. Einen Ersatz materieller Schäden sieht die Verordnung damit nur in den Ansprüchen auf Betreuungsleistungen (Art. 9 VO 261/2004) vor, insofern Aufwendungen für Mahlzeiten, Erfrischungen, Telefongespräche und Hotelunterbringung von vorneherein nicht entstehen und damit entsprechenden materiellen Einbußen (Auslagen) des Reisenden vorgebeugt wird. Im Unterschied zum Montrealer Übereinkommen zielt dies auf den „Schaden […], der für alle Fluggäste praktisch identisch ist und dessen Wiedergutmachung die Form standardisierter sofortiger Unterstützungs- oder Betreuungsleistungen […] annehmen kann“.168 Es geht also um pauschale Entschädigungsleistungen für den bei jedem Reisenden auftretenden Mindestschaden. b) Immaterielle Schäden aa) Übereinkommen von Montreal Mit der Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden nach dem Übereinkommen von Montreal hatte sich der Gerichtshof in der Rechtssache Walz zu befassen. In diesem Verfahren ging es um den Schadensersatzanspruch eines Reisenden, dessen aufgegebenes Reisegepäck auf einem Flug von Barcelona nach Porto verloren gegangen war. Der Kläger machte eine Entschädigung von 2.700 Euro (Ersatz für das verlorene Reisegepäck) plus 500 Euro (Ersatz für den auf diesen Verlust entstandenen immateriellen Schaden) geltend, die Fluggesellschaft berief sich auf die Haftungshöchstgrenze von (damals) 1.000 SZR (ca. 1.100 Euro) nach Art. 22 Abs. 2 MÜ. In seiner Entscheidung stellte der Gerichtshof zunächst klar, dass der Begriff Schaden im Übereinkommen von Montreal „bei jeder Verwendung in […] Kapitel [III zur Haftung des Luftfrachtführers] dieselbe Bedeutung“ hat.169 Infolge der Haftung für Zerstörung, Verlust, Beschädigung oder Verspätung spiele die Art des dem Fluggast entstandenen (materiellen oder immateriellen) Schadens keine Rolle, zumal aus Art. 31 Abs. 2 der UNResolution 56/83 über die Verantwortlichkeit der Staaten für völkerrechtswidrige Handlungen ein allen völkerrechtlichen Subsystemen gemeinsamer Schadensbegriff abzuleiten sei, der „jeden materiellen oder immateriellen Schaden“ umfasse.170 Angesichts der durch diese Resolution definierten „ge168 EuGH (Große Kammer) 10.1.2006, Rs. C-344/04, Slg. 2006, I-403 Rn. 43 – IATA und ELFAA. 169 EuGH 6.5.2010, Rs. C-63/09, Slg. 2010, I-4239 Rn. 25 – Walz. 170 EuGH 6.5.2010, Rs. C-63/09, Slg. 2010, I-4239 Rn. 26 f. – Walz.
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wöhnlichen Bedeutung“ des Schadensbegriffs, von dem das Übereinkommen nicht abweiche, seien „die Begriffe ‚préjudice‘ und ‚dommage‘ in Kapitel III des Übereinkommens von Montreal dahin gehend zu verstehen, dass sie sowohl materielle als auch immaterielle Schäden“ umfassen.171 Diese Auslegung sei auch durch das Ziel des Übereinkommens geboten, zwar einerseits durch eine strenge Haftungsregelung „angemessenen Schadensersatz nach dem Grundsatz des vollen Ausgleichs“ (Präambel Abs. 3 MÜ) zu gewährleisten, andererseits aber auch für einen „gerechten Interessenausgleich“ zwischen Luftfahrtunternehmen und Fluggästen (Präambel Abs. 5 MÜ) zu sorgen. Nur eine Einbeziehung auch der Ersatzansprüche für immaterielle Schäden in die Haftungshöchstbeträge als Teil des Gesamtschadens jedes Reisenden sichere den „gerechten Interessenausgleich“, indem „eine einfache und schnelle Entschädigung der Fluggäste“ sichergestellt wird, „ohne dass den Luftfahrtunternehmen eine übermäßige, schwer feststell- und berechenbare Ersatzpflicht aufgebürdet würde“.172 Aus Walz lässt sich für den Schadensbegriff und speziell den Ersatz immaterieller Schäden nach dem Übereinkommen von Montreal zunächst ableiten, dass die Haftungsbegrenzung in Art. 22 MÜ den gesamten entstandenen Schaden erfasst, sei er materieller oder immaterieller Art. Darüber hinaus folgt aus dem Postulat eines einheitlichen Schadensbegriffs im gesamten Kapitel III,173 dass auch die haftungsbegründenden Schadensersatzvorschriften sowohl den materiellen wie immateriellen Schadensersatz umfassen, denn der Gerichtshof hat seine Aussagen explizit nicht auf Art. 22 MÜ beschränkt.174 Dies mag für immaterielle Einbußen bei Körperschäden kaum überraschen,175 ist aber für Sach- und Verspätungsschäden durchaus bemerkenswert, weil etwa das deutsche Schrifttum bei Reisegepäckschäden bisher nur einen Ersatz für materielle Verluste, nicht aber für immaterielle Einbußen wie entgangene Urlaubsfreude gewähren will.176 Trotz der Öffnung des Scha171 172
Walz.
EuGH 6.5.2010, Rs. C-63/09, Slg. 2010, I-4239 Rn. 29 – Walz. EuGH 6.5.2010, Rs. C-63/09, Slg. 2010, I-4239 Rn. 30 ff., insbesondere Rn. 35 f. –
EuGH 6.5.2010, Rs. C-63/09, Slg. 2010, I-4239 Rn. 29 – Walz; bestätigt durch EuGH 12.10.2011, Rs. C-83/10, Slg. 2011, I-9469 Rn. 41 – Sousa Rodríguez. 174 EuGH 6.5.2010, Rs. C-63/09, Slg. 2010, I-4239 Rn. 25 – Walz. 175 Allerdings neigt die deutsche Rechtsprechung auch nach Walz beim Schmerzensgeld immer noch zu einem Rückgriff auf das anwendbare nationale Recht (etwa § 253 Abs. 2 BGB), soweit es um die Haftungsfolgen einer Körperverletzung geht, OLG Frankfurt 16.4.2014, 16 U 170/13, NJW-RR 2014, 824, 824 f. Rn. 15: „Zu Recht hat das LG der Kl. einen Schmerzensgeldanspruch auf der Grundlage von Art. 17 I iVm § 253 II BGB zugebilligt, weil die allergische Reaktion der Kl. durch eine typische, dem Luftverkehr eigentümliche Gefahr ausgelöst wurde.“ 176 Reuschle Montrealer Übereinkommen2 (2011) Art. 17 Rn. 85 unter expliziter Zurückweisung von Walz (Fn. 258), Art. 19 Rn. 54 zu Verspätungsschäden (unter Anwendung deutschen Schadensrechts); wohl a. A. Schmid in: Giemulla/Schmid Frankfurter 173
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densersatzanspruchs für immaterielle Einbußen droht die Haftung nicht in eine unbeschränkte Ersatzpflicht für das Affektionsinteresse für jeden verlorenen Teddybären auszuufern, weil im Regelfall – wie auch im Fall Walz – die niedrigen Haftungshöchstgrenzen bereits durch den materiellen Verlust ausgeschöpft werden. Es kommt hinzu, dass bei Verspätungsschäden die immaterielle Einbuße des Zeitverlusts und die daraus entstehenden Zusatzkosten (z. B. Erfrischungen, Mahlzeiten, Telefongespräche, Hotelübernachtungen) bereits pauschal durch den Ausgleichsanspruch nach Art. 7 VO 261/ 2004 und die Betreuungsleistungen nach Art. 9 VO 261/2004 abgegolten werden. Der immaterielle Schadensersatz für Verspätungsschäden nach Art. 19 MÜ kann sich also nicht auf den bloßen Zeitverlust beziehen, der alle Fluggäste gleichermaßen betrifft177 und durch die pauschalen Leistungen nach Art. 7 VO 261/2004 ausgeglichen wird (vgl. auch die Anrechnung in Art. 12 Abs. 1 Satz 2 VO 261/2004). Vielmehr setzt ein über die Verordnung 261/ 2004 hinausgehender Ersatzanspruch für Verspätung voraus, dass zwischen der Verspätung und dem Schaden ein Kausalzusammenhang besteht und der Reisende einen individuellen Schaden erlitten hat.178 Ein solcher, über den bloßen Zeitverlust hinausgehender individueller Schaden wird aber regelmäßig ein materieller Schaden sein, so dass im Ergebnis die Einbeziehung immaterieller Schäden auch bei den Verspätungsansprüchen nach Art. 19 MÜ wohl nur zu geringen Steigerungen der Ersatzpflicht führen wird, die zudem durch die Haftungshöchstgrenze des Art. 22 Abs. 1 MÜ von 4.694 SZR begrenzt sind. Im Anschluss an Walz ist dennoch die Frage zu stellen, ob der Ersatz für Nichtvermögensschäden über das Schmerzensgeld hinaus umfassend gemeint ist, also etwa auch den Ersatz für entgangene Urlaubsfreude umfasst. Die überwiegende Auffassung in Deutschland neigt dazu, diesen Anspruch nur auf der Grundlage des Pauschalreiserechts (§ 651f Abs. 2 BGB) neben dem Übereinkommen von Montreal zuzulassen, gerichtet gegen den ReiseveranKommentar zum Luftverkehrsrecht III (EL 37 2012) Art. 19 MÜ Rn. 84; siehe allerdings auch Schmid/Giemulla in: Giemulla/Schmid Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht III (EL 39 2014) Art. 17 MÜ Rn. 165, die für Gepäckschäden und verspätetes Gepäck die Ersatzfähigkeit entgangenen Urlaubs verneinen. Für Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden nach Gepäckverlust auch Grant/Mason Holiday Law5 (2012) S. 363; Maslow Der Schutz des immateriellen Erfüllungsinteresses bei Vertragsverletzung durch Schadensersatz (2015) S. 26: auch der durch Gepäckerlust oder –verspätung entstandene „distress“ ist ersatzfähig. 177 EuGH 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 und C-629/10, ECLI:EU:C:2012:657 Rn. 51 – Nelson: „Zunächst ist ein Zeitverlust kein infolge der Verspätung entstandener Schaden“; Rn. 55: „der mit der Verspätung eines Fluges verbundene Zeitverlust […] [kann] nicht als ‚Schaden […], der durch Verspätung […] entsteht‘ im Sinne von Art. 19 des Übereinkommens von Montreal qualifiziert werden.“ 178 Vgl. EuGH 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 und C-629/10, ECLI:EU:C:2012:657 Rn. 50, 58 – Nelson.
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stalter, nicht gegen das Luftfahrtunternehmen.179 Diese Position lässt sich nach Walz wohl nicht mehr halten, denn der autonome und für das gesamte Kapitel III des MÜ einheitliche Begriff des Schadens umfasst nach Auffassung des Gerichtshofs auch immaterielle Schäden, und zwar auch solche durch Gepäckverlust. Eine Eingrenzung der ersatzfähigen Einbußen lässt sich daher wohl nur noch mit dem Argument begründen, dass auch bei autonomer Auslegung des Schadensbegriffs nicht jede immaterielle Einbuße zugleich einen Schaden i. S. d. Art. 17, 19 MÜ darstellt. So ließe sich argumentieren, dass sich gerade die in Leitner maßgeblichen Argumente für den Ersatz entgangener Urlaubsfreude, nämlich das Einheitlichkeitsargument,180 das teleologische Argument181 und das systematische Argument eines offenen Schadensbegriffs182 auf das Übereinkommen von Montreal nicht übertragen lassen. Während nämlich „bei Urlaubsreisen der Schadensersatz wegen entgangener Urlaubsfreude [für die Verbraucher] besondere Bedeutung“ hat, steht bei Flugreiseverträgen ohne Pauschalreiseelement die Luftbeförderung im Vordergrund. So dürften zahlreiche Flugreisen ohne jeglichen Bezug zu Urlaubsfreuden unternommen werden, und selbst wenn ein solcher Bezug besteht, kann der Verlust der Urlaubsfreuden sachgerechter durch den Pauschalreiseveranstalter ausgeglichen werden, dessen Leistungsversprechen konkret LG Frankfurt 5.6.2007, 2-24 S 44/06, 2/24 S 44/06, RRa 2007, 269, 271; Reuschle Montrealer Übereinkommen2 (2011) Art. 17 Rn. 83, 88; enger ders. Art. 19 Rn. 54, 56 für die bloße Flugverspätung (Art. 19 MÜ); offenbar enger Schmid/Giemulla in: Giemulla/ Schmid Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht III (EL 39 2014) Art. 17 MÜ Rn. 174, die § 651f BGB durch die Art. 17 ff. MÜ als leges speciales verdrängt sehen, wobei unklar bleibt, ob die Privilegierung nach dem MÜ auch auf den Reiseveranstalter erstreckt werden soll. Etwas anders Schmid in: Giemulla/Schmid Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht III (EL 37 2012) Art. 19 MÜ Rn. 84 zum Ersatz entgangener Urlaubsfreunden bei der Flugverspätung, wo Schmid – unter Geltung des deutschen Rechts – die Ersatzfähigkeit grundsätzlich bejaht, aber eine Freizeichnung durch AGB für zulässig hält. 180 EuGH 12.3.2002, Rs. C-168/00, Slg. 2002, I-2631 Rn. 21 – Leitner: „Bei Pauschalreisen würde aber das Bestehen einer Schadensersatzpflicht für immaterielle Schäden in einigen Mitgliedstaaten und das Fehlen einer solchen Pflicht in anderen zu spürbaren Wettbewerbsverzerrungen führen, da, wie die Kommission ausgeführt hat, immaterielle Schäden in diesem Bereich häufig zu verzeichnen sind.“ 181 EuGH 12.3.2002, Rs. C-168/00, Slg. 2002, I-2631 Rn. 22 – Leitner: „Außerdem bezweckt die Richtlinie, insbesondere ihr Artikel 5, den Schutz der Verbraucher. Für sie hat bei Urlaubsreisen der Schadensersatz wegen entgangener Urlaubsfreude besondere Bedeutung.“ 182 EuGH 12.3.2002, Rs. C-168/00, Slg. 2002, I-2631 Rn. 23 – Leitner: „Wenn auch in Absatz 2 Unterabsatz 1 dieses Artikels nur allgemein auf den Begriff des Schadens Bezug genommen wird, so erkennt doch die Richtlinie einen grundsätzlichen Schadensersatzanspruch für Nicht-Körperschäden, darunter immaterielle Schäden, implizit dadurch an, dass nach ihrem Artikel 5 Absatz 2 Unterabsatz 4 die Mitgliedstaaten zulassen können, dass bei Schäden, die nicht Körperschäden sind, die Entschädigung vertraglich beschränkt wird, soweit diese Beschränkung nicht unangemessen ist.“ 179
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auf den Urlaub und nicht lediglich die Beförderung ausgerichtet ist. Ob dieser Hinweis auf die unterschiedlichen Schutzrichtungen von Pauschalreiserichtlinie und Montrealer Übereinkommen letztendlich den Gerichtshof überzeugen wird, ist indes fraglich, denn der durch Walz geprägte offene und einheitliche Schadensbegriff und das übergeordnete Ziel vollständiger Kompensation legen auch die Ersatzfähigkeit immaterieller Einbußen einschließlich entgangener Urlaubsfreuden nahe. Praktisch dürften die Konsequenzen aus der Erweiterung des Schadensbegriffs nach dem Montrealer Übereinkommen begrenzt bleiben, nicht nur infolge der Haftungshöchstgrenzen, sondern auch deshalb, weil die Unannehmlichkeiten und Ärgernisse durch den Zeitverlust in pauschaler Form bereits heute durch die Fluggastrechteverordnung ausgeglichen werden (zur Anrechnung Art. 12 Abs. 1 Satz 2 VO 261/2004 und ausführlich § 8 VIII → S. 485). bb) Fluggastrechteverordnung 261/2004 Zum Ausgleich immaterieller Schäden sieht die Fluggastrechteverordnung vor allem183 einen pauschalen Ausgleichsanspruch nach Art. 7 VO 261/2004184 vor, durch den der Zeitverlust und sonstige „Unannehmlichkeiten“185 infolge einer Annullierung, Nichtbeförderung oder großen Verspätung186 kompensiert werden sollen. Es geht dabei nicht um den Nachweis eines individuellen immateriellen Schadens,187 sondern um den pauschalierten Ausgleich für den Zeitverlust als „unterstellten Schaden“,188 „der angesichts seines irreversiblen Charakters nur mit einer Ausgleichszahlung ersetzt werden kann“.189 Da alle Fluggäste den Zeitverlust in gleicher Weise erleiden, so die Logik der Verord183 In gewisser Weise dienen auch die Unterstützungs- und Betreuungsleistungen (Art. 9 VO 261/2004) diesem Zweck, indem durch Erfrischungen und Mahlzeiten den Reisenden die Wartezeit „versüßt“ und dadurch der „Schaden“ durch Zeitverlust abgemildert wird. Gleichwohl wurden die Unterstützungs- und Betreuungsleistungen zum materiellen Schadensersatz gezählt, weil es insbesondere um den Ersatz von Hotelkosten und anderen Aufwendungen geht, die ohne die Wartezeit nicht entstanden wären und deshalb als materielle Schäden anzusehen sind. 184 Ausdrücklich Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 27.9.2007, Rs. C-396/06 Rn. 36 – Eivind F. Kramme: „ist ein Ausgleich im Wesentlichen für den immateriellen Schaden zu leisten“; auch Schmid in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 321, 329 sieht in der Ausgleichsleistung den Ersatz immaterieller Schäden. 185 EuGH 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 und C-629/10, ECLI:EU:C:2012:657 Rn. 46, 48, 51 – Nelson. 186 Drei Stunden, EuGH 19.11.2009, verb. Rs. C-402/07 und C-432/07, Slg. 2009, I-10923 Rn. 57 – Sturgeon. 187 EuGH 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 und C-629/10, ECLI:EU:C:2012:657 Rn. 74 – Nelson. 188 Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 27.9.2007, Rs. C-396/06 Rn. 36 – Eivind F. Kramme.
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nung, könne dieser „durch eine standardisierte Maßnahme ausgeglichen werden […], ohne dass es einer Beurteilung der individuellen Situation jedes einzelnen betroffenen Fluggasts bedarf“.190 Nicht einmal das Ausmaß der Verspätung hat auf den Anspruch Einfluss, da eine über drei Stunden hinausgehende Verspätung bei der Höhe der Ausgleichzahlung außer Betracht bleibt.191 Umgekehrt wird bei einer Verspätung von weniger als drei Stunden pauschal „davon ausgegangen, dass die Ärgernisse und Unannehmlichkeiten […] nicht [so] erheblich waren“, 192 dass sie einen Ausgleichsanspruch rechtfertigten. c) Überkompensatorischer Schadensersatz Nach Art. 29 Satz 2 MÜ ist „jeder eine Strafe einschließende, verschärfte oder sonstige nicht kompensatorische Schadenersatz ausgeschlossen“, so dass überkompensatorischer Schadensersatz im Anwendungsbereich des Übereinkommens von Montreal nicht zugesprochen werden darf. Allerdings schließt Art. 29 MÜ die ergänzenden Ansprüche nach der Fluggastrechteverordnung 261/2004 nicht aus, weil nach Auffassung des EuGH der Zeitverlust und die Unannehmlichkeiten, auf deren Ersatz die Fluggastrechteverordnung abzielt, „nicht als ‚Schaden […], der durch Verspätung […] entsteht‘ im Sinne von Art. 19 des Übereinkommens von Montreal qualifiziert werden kann und daher vom Geltungsbereich des Art. 29 dieses Übereinkommens nicht erfasst wird“.193 Art. 19 MÜ setze nämlich insbesondere einen Kausalzusammenhang zwischen Verspätung und Schaden und eine Individualisierung des Schadens der einzelnen Fluggäste voraus, so dass der Zeitverlust „kein infolge der Verspätung entstandener Schaden [ist], sondern […] – wie andere Begleiterscheinungen der Fälle von Nichtbeförderung, Flugannullierung oder großer Verspätung, zu denen etwa ein Mangel an Komfort oder der Umstand gehört, vorübergehend nicht über normalerweise verfügbare Kommunikationsmittel zu verfügen – eine Unannehmlichkeit dar[stellt]“.194
Auch wenn der Gerichtshof damit formal einen Widerspruch zwischen Art. 29 MÜ und der Verordnung 261/2004 vermieden hat, so ist dennoch 189 EuGH 19.11.2009, verb. Rs. C-402/07 und C-432/07, Slg. 2009, I-10923 Rn. 52 – Sturgeon (in Rn. 53 auch zur Gleichsetzung annullierter und verspäteter Flüge). 190 EuGH 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 und C-629/10, ECLI:EU:C:2012:657 Rn. 52 – Nelson. 191 EuGH 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 und C-629/10, ECLI:EU:C:2012:657 Rn. 54 – Nelson. 192 Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 27.9.2007, Rs. C-396/06 Rn. 36 – Eivind F. Kramme. 193 EuGH 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 und C-629/10, ECLI:EU:C:2012:657 Rn. 49 – Nelson. 194 EuGH 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 und C-629/10, ECLI:EU:C:2012:657 Rn. 50 f. – Nelson.
VI. Kausalität
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nicht zu verkennen, dass die Ausdehnung der ersatzfähigen Einbußen auf den bloßen Zeitverlust durch die Fluggastrechteverordnung durchaus auch anderen als rein kompensatorischen Zwecken dient (§ 8 II → S. 447). Das europäische Luftbeförderungsrecht vermeidet daher einen formalen Präventionszuschlag auf die Schadensersatzansprüche und erreicht das Ziel der Verhaltenssteuerung der Fluggesellschaften im Hinblick auf ihre Überbuchungspraxis vielmehr durch eine Ausdehnung der ersatzfähigen Einbußen innerhalb des Prinzips der vollständigen Kompensation. VI. Kausalität VI. Kausalität
Bei der Kausalität ist erneut zwischen den individuellen Kompensationsansprüchen nach dem Montrealer Übereinkommen und den pauschalen Ansprüchen nach der Fluggastrechteverordnung zu unterscheiden. 1. Übereinkommen von Montreal Im Unterschied zur Verordnung 261/2004 setzt ein Anspruch nach dem Übereinkommen von Montreal voraus, dass zwischen dem schädigenden Ereignis (Tötung oder Körperverletzung von Passagieren, Zerstörung, Verlust oder Beschädigung von Reisegepäck) und dem zu ersetzenden Schaden ein Kausalzusammenhang besteht (Art. 17 Abs. 1 MÜ: „Der Luftfrachtführer hat den Schaden zu ersetzen, der dadurch entsteht, dass ein Reisender getötet oder körperlich verletzt wird“; Art. 17 Abs. 2 MÜ: „den Schaden zu ersetzen, der durch Zerstörung, Verlust oder Beschädigung von aufgegebenem Reisegepäck entsteht“; Art. 19 Satz 1 MÜ: „den Schaden zu ersetzen, der durch Verspätung bei der Luftbeförderung von Reisenden, Reisegepäck oder Gütern entsteht“). Dieser Kausalzusammenhang ist zwar von der haftungsbegründenden Kausalität zwischen Unfall und Personenschaden zu unterscheiden,195 wird in der Literatur aber ersichtlich – im Unterschied zur haftungsbegründenden Kausalität – kaum erörtert,196 offenbar weil man ohnehin den Inhalt und Umfang des Schadensersatzanspruches des Fluggastes anhand des durch das Kollisionsrecht berufenen nationalen Rechts bestimmen will.197 195 Zu dieser Unterscheidung Schmid in: Giemulla/Schmid Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht III (EL 36 2011) Art. 17 MÜ Rn. 3: „Nach dem Aufbau des Art. 17 müssen drei Voraussetzungen gegeben sein, damit die Rechtsfolge Schadensersatzanspruch eintreten kann: Ein Körperschaden (Erfolg 1) muss durch einen Unfall (Vorkommnis) verursacht (Kausalität) worden sein, und zu einem Vermögensschaden (Erfolg 2) geführt haben.“ 196 Für einen Ersatz auch des mittelbaren Schadens (z. B. der SachverständigenGutachten für die Schadensermittlung) – bei Geltung deutschen Schadensrechts – Schmid in: Giemulla/Schmid Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht III (EL 36 2011) Art. 17 MÜ Rn. 162. 197 So etwa Schlussanträge des Generalanwalts Mazák vom 26.1.2010, Rs. C-63/09, Slg. 2010, I-4239 Rn. 22 – Walz: „Im Übereinkommen von Montreal wird auch die Art der
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Folgt man indes der hier befürworteten autonomen Auslegung auch der Rechtsfolgen im Montrealer Übereinkommen, so stellt sich die Frage, wie sich die haftungsausfüllende Kausalität autonom konkretisieren lässt. Nahe liegt eine Orientierung an den übereinkommensautonom entwickelten Kriterien der haftungsbegründenden Kausalität, so dass neben der conditio sine qua non-Formel auch der Schutzzweck der Norm198 die Haftungsfolgen begrenzen. Die Kausalität ist danach zu verneinen, soweit es sich um gänzlich mit dem Luftverkehr unverbundene Ereignisse handelt. Weitere Kriterien zur Begrenzung der Kausalität wie etwa die Adäquanz,199 das Erfordernis der Vorhersehbarkeit oder der Ausschluss von allgemeinen Lebensrisiken oder Vorerkrankungen200 sind zwar durch die Brille der unterschiedlichen nationalen Kausalitätsvorstellungen beeinflusst, lassen sich aber letztendlich wohl auf den Grundgedanken eines normativen Vorhersehbarkeitserfordernisses zurückführen, so dass der Luftfrachtführer nicht für jeden äquivalent kausal verursachten Schaden verantwortlich sein soll. Nicht zu überzeugen vermag demgegenüber die ältere Auffassung, dass der Schaden im Zusammenhang mit den luftverkehrstypischen Risiken stehen muss, denn in den Grenzen des Schutzzwecks der Norm, nämlich der sicheren Beförderung des Passagiers, hat das Luftverkehrsunternehmen auch für Schäden z. B. durch verschütteten Kaffee einzustehen, die sich bei der Beförderung mit anderen Verkehrsmitteln ebenso hätten ergeben können.201 Entschädigung nicht näher bestimmt, d. h., ob tatsächliche Schäden, entgangene Gewinne oder auch alle anderen in Geld zu bemessenden Schäden zu ersetzen sind. Es bleibt dem nationalen Recht überlassen, den Begriff des „Schadens“ auszufüllen und die Art der Entschädigung näher zu bestimmen.“ Schmid in: Giemulla/Schmid Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht III (EL 36 2011) Art. 17 MÜ Rn. 161, Art. 19 MÜ Rn. 84; Reuschle Montrealer Übereinkommen2 (2011) Art. 17 Rn. 79, Art. 19 Rn. 52 m. w. N.; Janköster Fluggastrechte im internationalen Luftverkehr (2009) S. 302: „Welche Schäden in welchem Umfang bei einer Ankunftsverspätung zu ersetzen sind, ist im MÜ nicht geregelt“; Hausmann Europäische Fluggastrechte im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung und großer Verspätung von Flügen (2012) S. 429. 198 Reuschle Montrealer Übereinkommen2 (2011) Art. 17 Rn. 27. Zum Teil wird auch eine luftverkehrsspezifische Kausalität verlangt, so dass Schäden, die sich nicht aus betriebstypischen Risiken des Luftverkehrs ergeben, sondern in ähnlicher Weise auch in anderen Lebensbereichen vorkommen, ausgeklammert werden, z. B. das versehentliche Verschütten von Kaffee, dazu Reuschle a. a. O. Rn. 25; siehe auch Giemulla in: Giemulla/ Schmid Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht III (EL 39 2014) Art. 29 MÜ Rn. 15 f. zur Anknüpfung an den Begriff „Unfall“. 199 Zum Adäquanzerfordernis, das sich aus dem Wortlaut des MÜ nicht entnehmen lässt, Schmid in: Giemulla/Schmid Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht III (EL 36 2011) Art. 17 MÜ Rn. 45; Reuschle Montrealer Übereinkommen2 (2011) Art. 17 Rn. 24. 200 Siehe die Beispiele bei Reuschle Montrealer Übereinkommen2 (2011) Art. 17 Rn. 27; Schmid in: Giemulla/Schmid Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht III (EL 36 2011) Art. 17 MÜ Rn. 45 ff.
VII. Mitwirkende Verursachung
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2. Fluggastrechteverordnung 261/2004 Bei den Ansprüchen nach der VO 261/2004 bedarf es nicht des Nachweises eines konkreten Kausalzusammenhangs zwischen Annullierung, Nichtbeförderung oder Verspätung und den daraus entstandenen Unannehmlichkeiten. Vielmehr wird generell und unwiderlegbar vermutet, dass jeder Fluggast unter den in der Verordnung generell festgelegten Voraussetzungen bestimmte immaterielle Einbußen („Unannehmlichkeiten“)202 erlitten hat, die in standardisierter Form ausgeglichen werden. Wegen des fehlenden Kausalzusammenhangs ist sogar vertreten worden, dass die Ansprüche nach der Verordnung überhaupt keine Schadensersatzansprüche darstellen.203 Indes widerspricht dies nicht nur der Entscheidungspraxis des Gerichtshofs, sondern lässt sich auch sachlich nicht überzeugend begründen, denn gerade beim Ersatz für immaterielle Schäden oder „Unannehmlichkeiten“ ist eine Pauschalierung der Ersatzbeträge im Interesse der Rechtssicherheit sachgerecht, weil eine Differenzierung nach der Zeitdauer die Komplexität der Abwicklung erhöhen würde. Noch weniger zu überzeugen vermag eine Differenzierung anhand der Person, die die Verspätung erleidet, denn es lässt sich wohl kaum überzeugend begründen, weshalb etwa der Zeitverlust einer hochbezahlten Managerin (Ersatz konkret nachweisbarer entgangener Gewinne nach dem Montrealer Übereinkommen bleibt vorbehalten) eine größere oder geringere immaterielle Einbuße bedeuten sollte als der gleiche Zeitverlust eines alleinreisenden Vaters mit einem ungeduldigen Kleinkind. VII. Mitwirkende Verursachung VII. Mitwirkende Verursachung
1. Übereinkommen von Montreal Eine Begrenzung von Schadensersatzansprüchen („Haftungsbefreiung“) wegen Mitverschuldens des Anspruchstellers ist in Art. 20 MÜ geregelt. Nach Art. 20 Satz 1 MÜ wird der Luftfrachtführer ganz oder teilweise von der Haftung frei, soweit er nachweist,204 dass die Person, die den Schadensersatzanspruch erhebt (oder ihr Rechtsvorgänger) den Schaden durch eine unrechtmäßige Handlung oder Unterlassung, sei es auch nur fahrlässig, verursacht oder dazu beigetragen hat. Gemäß Art. 20 Satz 2 MÜ kann der LuftfrachtfühÜberzeugend Reuschle Montrealer Übereinkommen2 (2011) Art. 17 Rn. 27; Art. 19 Rn. 30: kein Zusammenhang mit luftverkehrstypischen Risiken erforderlich. Für eine luftverkehrstypische Begrenzung der zu ersetzenden Schäden Schmid in: Giemulla/Schmid Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht III (EL 37 2012) Art. 19 MÜ Rn. 24 zum Verspätungsschaden; zur entsprechenden Ansicht bei Körperschäden siehe die Nachweise bei Reuschle Montrealer Übereinkommen2 (2011) Art. 17 Rn. 25. 202 EuGH 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 und C-629/10, ECLI:EU:C:2012:657 Rn. 48 – Nelson. 203 Siehe oben Fn. 43 und 44. 204 Insofern handelt es sich auch um eine Beweislastregel. 201
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rer diesen Einwand auch anderen Personen als dem Reisenden entgegen halten, die wegen dessen Tod oder Körperverletzung Schadensersatz verlangen. Die Vorschrift wird gemeinhin als abkommensautonome Regelung des Mitverschuldens verstanden, die über den lex fori-Verweis im Warschauer Abkommen hinausgeht.205 Eine ähnliche Regelung fand sich bereits in der Verordnung 2027/97 für die gesamte Union.206 Der Anspruchsausschluss greift auch bei verschuldensunabhängiger Haftung des Luftverkehrsunternehmens für Personenschäden unterhalb von 113.100 SZR (Art. 20 Satz 3 MÜ),207 setzt allerdings ein unrechtmäßiges und mindestens fahrlässiges Verhalten des Anspruchstellers voraus („sei es auch nur fahrlässig“),208 was etwa bei einem Stolpern wegen Unachtsamkeit, bei zu knapper Terminplanung bei Verspätungen, bei einem fehlenden Hinweis auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens oder bei Aufgabe wichtiger Unterlagen oder wertvoller Gepäckstücke im Reisegepäck zu bejahen ist.209 Zudem hat sich der Anspruchsteller das Verhalten seiner Hilfspersonen zurechnen zu lassen.210 Die Konsequenzen der Anspruchskürzung werden allerdings dadurch abgemildert, dass das Mitverschulden vom Gesamtschaden und nicht lediglich von den gemäß der Haftungshöchstgrenzen der Art. 21, 22 MÜ ersatzfähigen Beträgen abzuziehen sein soll,211 so dass sich die Anspruchskürzung bei höheren Schadenssummen im Ergebnis häufig nicht auswirkt. Eine dem Mitverschulden verwandte Obliegenheit findet sich mit der fristgerechten Schadensanzeige in Art. 31 MÜ bei aufgegebenem Reisegepäck, deren Verletzung die Ansprüche unter dem Vorbehalt der Arglist des Luftfrachtführers ausschließt (Art. 31 Abs. 4 MÜ). Die Konsequenzen der Schadensherbeiführung durch eine unrechtmäßige Handlung oder Unterlassung eines Dritten sind im Übereinkommen von Montreal in Art. 21 Abs. 2 lit. b MÜ angesprochen. Nach dieser Vorschrift haftet der Luftfrachtführer nicht für Schäden infolge einer Körperverletzung oder Tötung jenseits von 113.100 SZR, wenn er entweder den Nachweis fehlenden Reuschle Montrealer Übereinkommen2 (2011) Art. 20 Rn. 1, 4. Art. 3 Abs. 3 VO 2027/97: „Unbeschadet des Absatzes 2 kann das Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft – sofern es nachweist, daß der Schaden durch die Fahrlässigkeit der geschädigten oder getöteten Person verursacht oder mitverursacht wurde –gemäß dem anwendbaren Recht ganz oder teilweise von seiner Haftung befreit werden.“ 207 Giemulla in: Giemulla/Schmid Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht III (EL 32 2009) Art. 20 MÜ Rn. 2. 208 Siehe die Denkschrift zum Montrealer Übereinkommen im Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 28. Mai 1999 zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (Montrealer Übereinkommen), BTDrs. 15/2285 S. 43; Giemulla in: Giemulla/Schmid Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht III (EL 32 2009) Art. 20 MÜ Rn. 1, 6 ff. 209 Zu Beispielen Reuschle Montrealer Übereinkommen2 (2011) Art. 20 Rn. 8 f. 210 Reuschle Montrealer Übereinkommen2 (2011) Art. 20 Rn. 9. 211 Mühlbauer in: Geigel Der Haftpflichtprozess27 (2015) 29. Kapitel Rn. 72. 205 206
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eigenen Verschuldens führt (Art. 21 Abs. 2 lit. a MÜ) oder wenn er nachweist, dass „dieser Schaden ausschließlich auf eine unrechtmäßige Handlung oder Unterlassung eines Dritten, sei sie auch nur fahrlässig begangen, zurückzuführen ist“ (Art. 21 Abs. 2 lit. b MÜ). Der Verweis auf die ausschließliche Verantwortlichkeit eines Dritten (z. B. eines Terroristen oder eines randalierenden anderen Passagiers) dürfte indes eher klarstellenden Charakter haben, weil in solchen Fällen bereits die Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 2 lit. a MÜ gegeben sind.212 Immerhin dürfte dieser Regelung im Gegenschluss zu entnehmen sein, dass die verschuldensunabhängige Haftung des Luftfrachtführers unterhalb von 113.100 SZR auch dann nicht entfällt, wenn der Schaden (auch) von einem Dritten verursacht wurde. Dieser Schluss folgt in verallgemeinerungsfähiger Form auch aus dem in Art. 37 MÜ vorbehaltenen Rückgriffsrecht schadensersatzpflichtiger Personen gegenüber Dritten, weil infolge der objektiven Haftung der Luftfrachtführer für Schäden haftbar sein kann, die durch einen Dritten verantwortet wurden.213 2. Fluggastrechteverordnung 261/2004 In der Fluggastrechteverordnung 261/2004 finden sich nur wenige Vorschriften zur mitwirkenden Verursachung durch den Reisenden oder Dritte, was im Kern wohl daran liegen mag, dass der Reisende auf die Haftungstatbestände der Nichtbeförderung, der Flugannullierung und der Verspätung im Regelfall kaum Einfluss hat. Erwähnen mag man allenfalls Art. 2 lit. j VO 261/2004, der die „Nichtbeförderung“ definiert als die „Weigerung, Fluggäste zu befördern, obwohl sie sich unter den in Artikel 3 Absatz 2 genannten Bedingungen [rechtzeitig und mit bestätigter Buchung] am Flugsteig eingefunden haben, sofern keine vertretbaren Gründe für die Nichtbeförderung gegeben sind, z. B. im Zusammenhang mit der Gesundheit oder der allgemeinen oder betrieblichen Sicherheit oder unzureichenden Reiseunterlagen“.
Aus dieser Vorschrift ergibt sich, dass bestimmte, aus der Sphäre des Fluggasts stammende Gründe für eine Nichtbeförderung (z. B. unzureichende Reisepapiere) bereits zum Anspruchsausschluss führen. Für die Ansprüche bei Annullierung und Verspätung lassen sich Elemente des Mitverschuldens zudem im Tatbestand der „außergewöhnlichen Umstände“ in Art. 5 Abs. 3 VO 261/2004 auffangen, insofern von einem Fluggast ausgehende Gründe für eine Verspätung (z. B. wegen gesundheitlicher Notfälle, Geburten, Todesfäl212 Denkschrift zum Montrealer Übereinkommen im Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 28. Mai 1999 zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (Montrealer Übereinkommen), BT-Drs. 15/2285 S. 44. 213 Müller-Rostin in: Giemulla/Schmidt Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht III (EL 31 2008) Art. 37 MÜ Rn. 1; Reuschle Montrealer Übereinkommen2 (2011) Art. 37 Rn. 1.
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len oder Randalieren an Bord) als außergewöhnliche Umstände angesehen werden,214 die bereits den Ausgleichanspruch ausschließen.215 Allerdings handelt es sich um eine Art des „Mitverschuldens“ nur im Verhältnis zu dem Passagier, von dem die Gründe für die Verspätung ausgehen. Im Verhältnis zu den übrigen Passagieren, deren Ansprüche ebenfalls durch Art. 5 Abs. 3 VO 261/2004 ausgeschlossen werden, handelt es sich um eine Form des ausschließlich drittverursachten Verspätungsschadens. Schließlich lässt sich eine Form der Schadensminderungspflicht darin erkennen, dass ein Fluggast als Entschädigung bei Verletzung der Betreuungspflichten nach Art. 5 Abs. 1 lit. b und Art. 9 VO 261/2004 „nur solche Beträge erstattet bekomm[t], die sich in Anbetracht der dem jeweiligen Fall eigenen Umstände als notwendig, angemessen und zumutbar erweisen, um den Ausfall der Betreuung des Fluggasts durch das Luftfahrtunternehmen auszugleichen, was zu beurteilen Sache des nationalen Gerichts ist“.216
Die Kategorie der außergewöhnlichen Umstände (Art. 5 Abs. 3 VO 261/2004) kann auch die mitwirkende Verursachung durch Dritte auffangen, soweit es um Verzögerungen oder Annullierungen infolge von Bedrohungen Dritter, infolge von Entscheidungen des Luftverkehrsmanagements oder durch Dritte bedingte Einschränkungen der Luftverkehrsinfrastruktur geht. Allerdings hat die enge Auslegung der außergewöhnlichen Umstände, insbesondere ihre Bindung an zumutbare Vorsorgemaßnahmen des Luftverkehrsunternehmens (Erwägungsgrund 14 Satz 1 VO 261/2004) zur Folge, dass die Luftverkehrsunternehmen häufig auch bei drittverursachter Beeinträchtigung des Flugbetriebs in die Haftung gelangen, wie sich auch an der Regelung des Regressanspruchs in Art. 13 Satz 1 VO 261/2004 zeigt. Zusammenfassend ist damit festzuhalten, dass die mitwirkende Verursachung des Anspruchstellers (Reisenden) in der Fluggastrechteverordnung aufgrund der besonderen Ausgestaltung der Haftungstatbestände im Regelfall bereits tatbestandlich zu einem Anspruchsausschluss führt, während die mitwirkende Verursachung Dritter das Luftfahrtunternehmen nur bei angemessenen Bemühungen um eine Schadensvermeidung zu entlasten vermag. Insbesondere die letztgenannte Regelung bestätigt erneut den Eindruck einer ausgesprochen strikten Ausgestaltung der Haftung nach der Verordnung 261/2004.
Hausmann Europäische Fluggastrechte im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung und großer Verspätung von Flügen (2011) S. 290 f.; AG Frankfurt 1.3.2011, 31 C 2177/10 (83), RRa 2011, 144. 215 Im Verhältnis zu dem betreffenden Passagier. 216 EuGH 31.1.2013, Rs. C-12/11, ECLI:EU:C:2013:43 Rn. 51 – McDonagh. 214
VIII. Begrenzung des Schadensersatzes
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VIII. Begrenzung des Schadensersatzes VIII. Begrenzung des Schadensersatzes
1. Gesetzliche Begrenzung des Schadensersatzes Sowohl das Übereinkommen von Montreal wie die Fluggastrechteverordnung sehen gesetzliche Beschränkungen des Schadensersatzes vor, wobei zwischen relativen und absoluten Grenzen zu unterscheiden ist. Mit dem Begriff der relativen gesetzlichen Begrenzung sollen Haftungstatbestände bezeichnet werden, die selbst umfangmäßig gedeckelt sind, aber weitergehende Ersatzansprüche auf anderer Rechtsgrundlage zulassen. Dies ist bei den Ansprüchen nach der Fluggastrechteverordnung der Fall, die nach ihrem Art. 12 Abs. 1 Satz 2 VO 261/2004 „unbeschadet eines weiter gehenden Schadensersatzanspruchs des Fluggastes“ gilt. Demgegenüber neigt das Übereinkommen von Montreal zu absoluten Haftungshöchstgrenzen, insofern Art. 29 Satz 1 MÜ anordnet, dass „bei der Beförderung von Reisenden, Reisegepäck und Gütern […] ein Anspruch auf Schadensersatz, auf welchem Rechtsgrund er auch beruht, […] nur unter den Voraussetzungen und mit den Beschränkungen geltend gemacht werden [kann], die in diesem Übereinkommen vorgesehen sind“.
Diese Vorschrift dient dem Zweck, den Vereinheitlichungseffekt der Haftungstatbestände und Haftungshöchstgrenzen des Übereinkommens sicherzustellen, so dass Art. 29 MÜ nur dann Anwendung findet, soweit Schadensfälle durch die Art. 17 ff. MÜ erfasst werden (nicht etwa, wenn eine Verletzung nicht auf einem Unfall i. S. d. Art. 17 Abs. 1 MÜ beruht). In der Konsequenz sind die Ansprüche der Reisenden damit auf die Haftungshöchstgrenzen der Art. 21 und Art. 22 MÜ begrenzt. Weitergehender Ersatz ist nur möglich, soweit sich der Luftfrachtführer bei Körperschäden nicht entlasten kann (Art. 21 Abs. 2 MÜ) bzw. wenn bei Gepäck- oder Verspätungsschäden der Nachweis geführt wird, dass der Schaden absichtlich oder leichtfertig durch den Luftfrachtführer oder seine Leute herbeigeführt wurde (Art. 22 Abs. 5 MÜ). Allerdings hat der Unionsgesetzgeber und der Gerichtshof das an sich abschließend konzipierte Haftungssystem des Übereinkommens faktisch durch die Ansprüche aus der Verordnung 261/2004 aufgestockt, indem er diese als pauschale und nicht individuelle Ausgleichsansprüche qualifiziert hat, die deshalb nicht durch das Montrealer Übereinkommen gesperrt sein sollen. 2. Vertragliche Begrenzung des Schadensersatzes Sowohl in der Fluggastrechteverordnung (Art. 15 Abs. 1 VO 261/2004) wie im Montrealer Übereinkommen (Art. 26 MÜ) finden sich Vorschriften, die den vertraglichen Ausschluss oder die Begrenzung von Ersatzansprüchen verbieten. Mit diesen Vorschriften soll der durch das Montrealer Übereinkommen und die Verordnung angestrebte Ausgleich zwischen dem Interesse des Luftbeförderers an übersehbaren Haftungsrisiken und dem Interesse der
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Reisenden an einem möglichst vollständigem Schadensausgleich gegen vertragliche Freizeichnungsklauseln abgesichert werden.217 Zulässig bleiben nur Haftungserweiterungen zu Gunsten des Reisenden (vgl. Art. 25 MÜ) oder – vorbehaltlich des anwendbaren AGB-Rechts – Haftungsbeschränkungen, die Ansprüche außerhalb des Anwendungsbereichs der beiden Rechtsakte betreffen.218 Indes geht es zu weit, auch den Ausschluss mittelbarer Schäden oder Folgeschäden (z. B. für entgangene Urlaubsfreuden) der in Art. 17 bis Art. 19 MÜ genannten Schadensursachen unter Hinweis auf die entsprechende Regelungslücke im Montrealer Übereinkommen und die subsidiäre Anwendung nationalen Rechts zu gestatten.219 Denn nach dem hier zugrunde gelegten Konzept eines autonomen Schadensbegriffs im Montrealer Übereinkommen wird auch der Ersatz solcher Folgeschäden durch die autonome Auslegung des Übereinkommens determiniert. Sieht das Übereinkommen aber bei autonomer Auslegung den Ersatz von Folgeschäden vor, dann verstößt es gegen Art. 26 MÜ, entsprechende Ansprüche auszuschließen. 3. Vorteilsausgleichung und Bereicherungsverbot Weder im Übereinkommen von Montreal noch in der Fluggastrechteverordnung werden die Vorteilsausgleichung oder das Bereicherungsverbot ausdrücklich geregelt. Allerdings lassen sich der Regelung in Art. 12 VO 261/2004 zum Verhältnis der Fluggastrechteverordnung zu weiter gehenden Schadensersatzansprüchen nach dem Montrealer Übereinkommen und dem nationalen Recht Aussagen zu diesen Fragen entnehmen. Gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 1 VO 261/2004 gilt die Verordnung 261/2004 grundsätzlich unbeschadet eines weiter gehenden Schadensersatzanspruchs des Fluggastes. Diese Regelung ist motiviert durch das Ziel vollständiger Schadenskompensation, denn „die den Fluggästen auf der Grundlage von Art. 12 der Verordnung 261/2004 gewährte Ausgleichsleistung [soll] die Durchführung der in dieser Verordnung vorgesehenen Maßnahmen ergänzen […], so dass den Fluggästen der gesamte Schaden, der ihnen durch die Verletzung der vertraglichen Pflichten des Luftfahrtunternehmens entstanden ist, ersetzt wird“.220
Das Luftfahrtunternehmen haftet also auch nach anderen Rechtsgrundlagen als der Verordnung 261/2004 auf Schadensersatz, insbesondere unter den Voraussetzungen des Übereinkommens von Montreal oder des nationalen Rechts. 217 Giemulla in: Giemulla/Schmidt Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht III (EL 31 2008) Art. 26 MÜ Rn. 1. 218 Zum MÜ Reuschle Montrealer Übereinkommen2 (2011) Art. 26 Rn. 3. 219 Reuschle Montrealer Übereinkommen2 (2011) Art. 27 Rn. 10; siehe auch die Nachweise bei Giemulla in: Giemulla/Schmidt Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht III (EL 31 2008) Art. 26 MÜ Rn. 12 zum Warschauer Abkommen. 220 EuGH 13.10.2011, Rs. C-83/10, Slg. 2011, I-9469 Rn. 38 – Sousa Rodríguez.
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Allerdings wirft die Kumulation von Ansprüchen aus unterschiedlichen Rechtsgrundlagen die Frage auf, wie eine Überkompensation vermieden werden kann. Um diesem Problem zu begegnen, hat der Rat auf deutsche Initiative in Art. 12 Abs. 1 Satz 2 VO 261/2004 eine fakultative Anrechnungsvorschrift („Die nach dieser Verordnung gewährte Ausgleichsleistung kann auf einen solchen Schadensersatzanspruch angerechnet werden“) aufgenommen221 und – gemeinsam mit der Kommission – gegen einen Streichungsvorschlag des Parlaments222 verteidigt, „damit die Gerichte verhindern können, dass Luftfahrtunternehmen ein doppelter Schadensersatz auferlegt wird (gerichtlich verhängter Schadenersatz zuzüglich der Ausgleichsleistung nach der vorgeschlagenen Verordnung)“.223 Diese Anrechnungsklausel wurde bisher überwiegend dahingehend ausgelegt, dass die aufgrund der Fluggastrechteverordnung geleistete Ausgleichszahlung auf Schadensersatzzahlungen nach anderen Bestimmungen und umgekehrt auch Schadensersatzzahlungen nach anderen Bestimmungen auf die Ausgleichsleistung nach der Verordnung anzurechnen sind, soweit es um den „Ersatz desselben Schadens“ geht, selbst wenn die Schuldner der Ansprüche personenverschieden sind (z. B. ausführendes Luftfahrtunternehmen und Pauschalreiseveranstalter).224 Die Anrech221 Siehe die Darstellung von Bollweg RRa 2009, 10, 14, der auf deutscher Seite bei der Beratung der Verordnung 261/2004 beteiligt war. 222 Parlamentsdokument Nr. A5-0221/2003 vom 13.6.2003, Änderungsantrag 15 des Ausschusses für Regionalpolitik, Verkehr und Fremdenverkehr: „Dieser zweite Satz sollte unbedingt gestrichen werden, da die dort vorgesehene Anrechnung der Ausgleichsleistung auf einen eventuellen Schadensersatzanspruch bedeutet, dass der betroffene Fluggast auf die Ausgleichsleistung verzichten müsste. Diese Vorgehensweise bedeutet eine grundsätzliche Systemänderung und benachteiligt Personen, die über die Nichtbeförderung wegen Überbuchung hinaus auch noch einen Schaden nachweisen könnten und schlechter gestellt werden als diejenigen, die nur die Pauschalabgeltung beanspruchen können. Es sollte aber keinerlei Ungleichbehandlung geben.“ 223 Stellungnahme der Kommission gemäß Artikel 251 Absatz 2 Unterabsatz 3 Buchstabe c) EG-Vertrag zu den Abänderungen des Europäischen Parlaments an dem Gemeinsamen Standpunkt des Rates betreffend den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 zur Änderung des Vorschlags der Kommission gemäβ Artikel 250, Absatz 2 des EG-Vertrages KOM(2003) 496 S. 6; zu diesem Zweck auch Bollweg RRa 2009, 10, 12: Art. 12 VO 261/2004 bezwecke den „Ausschluss von Überkompensationen durch eine Kumulierung von Ansprüchen aus unterschiedlichen Rechtsgründen“. 224 BGH 30.9.2014, X ZR 126/13, NJW 2015, 553, 554 Rn. 16 (mit Verweis auf Art. 3 Abs. 5 Satz 2 VO 261/2004); AG Rüsselsheim 17.8.2011, 3 C 374/11 (36), RRa 2012, 24, 25; Leffers RRa 2008, 258, 259 f., 261; Bollweg RRa 2009, 10, 11 f.; Tonner in: Gebauer/ Wiedmann (Hrsg.) Zivilrecht unter europäischem Einfluss2 (2010) Kapitel 15 Rn. 129 f.; Staudinger/Schürmann NJW 2011, 2769, 2774; Staudinger in: Staudinger §§ 651a-651m; Anhang zu § 651a: BGB-InfoV (Reisevertragsrecht) (2016) § 651d Rn. 8, § 651f Rn. 8;
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nung wird wegen der untechnischen Bedeutung des Wortes „compensation“ in der Fluggastrechteverordnung – das in der deutschen Fassung unterschiedlich übersetzt worden ist („Ausgleichsleistung“, „Schadensersatz“, „Entschädigung“)225 – nicht nur auf Schadensersatzansprüche, sondern auch auf etwaige Minderungsansprüche gegen den Reiseveranstalter (§ 651d BGB) erstreckt.226 Einige Autoren schlagen sogar vor, auch Betreuungsleistungen nach Art. 9 VO 261/2004 (z. B. Hotelunterbringung) in die Anrechnung nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 VO 261/2004 einzubeziehen.227 Indes bedürfen diese Überlegungen der Modifikation, nachdem nunmehr der EuGH den Ersatzanspruch nach der Fluggastrechteverordnung als eine Vorfeldmaßnahme und „aliud“ zum Schadensersatz nach dem Übereinkommen von Montreal ansieht. Ausgangspunkt für das Verhältnis der Ausgleichssysteme muss zunächst das Ziel vollständiger Kompensation sein.228 Daraus folgt, wie auch die Vertreter weitreichender Anrechnungslösungen konzedieren,229 dass eine Anrechnung nur in Betracht kommt, soweit die Ansprüche dem Ausgleich derselben Einbußen dienen.230 Gerade dies ist aber im Verhältnis des Ausgleichsanspruchs nach Art. 7 VO 261/2004 zu den Ansprüchen nach dem Übereinkommen von Montreal nach der Konzeption des a. A. LG Darmstadt 1.12.2010, 7 S 66/10, RRa 2011, 89, 92 (keine umgekehrte Anrechnung auf die Ausgleichsleistung nach Art. 7 VO 261/2004); B. Wagner VuR 2006, 337, 339. 225 Zu den Hintergründen Bollweg RRa 2009, 10, 14 f. 226 BGH 30.9.2014, X ZR 126/13, NJW 2015, 553 Rn. 12; B. Wagner VuR 2006, 337, 339; Weise/Schubert TranspR 2006, 340, 342 f.; Leffers RRa 2008, 258, 260 f.; Bollweg RRa 2009, 10, 15; Tonner in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.) Zivilrecht unter europäischem Einfluss2 (2010) Kapitel 15 Rn. 130; a. A. noch Führich MDR 2007, Sonderbeilage S1, S13; für Anrechnung auch der Minderung nun aber auch Führich Reiserecht7 (2015) § 42 Rn. 34. 227 Bollweg RRa 2009, 10, 16; a. A. Schmid ZLW 2005, 373, 375. 228 EuGH 13.10.2011, Rs. C-83/10, Slg. 2011, I-9469 Rn. 38 – Sousa Rodríguez. 229 Bollweg RRa 2009, 10, 11. 230 Siehe das Kumulationsverbot in Art. 3 Abs. 6 Satz 2 des Vorschlags für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr KOM(2013) 130 S. 19: „wenn die Rechte das gleiche Interesse schützen oder das gleiche Ziel haben“. Ebenso BGH 30.9.2014, X ZR 126/ 13, NJW 2015, 553, 554 Rn. 15: „Ausgleichszahlungen nach Art. 7 Fluggastrechte-VO zielen zwar nicht notwendigerweise auf den Ausgleich derselben Nachteile wie Minderungsansprüche auf Grund eines Reisemangels nach § 651d BGB. Im vorliegenden Fall sind beide Ansprüche jedoch nicht nur adäquat kausal auf die starke Verspätung des Rückflugs nach Düsseldorf zurückzuführen, sondern dienen auch gleichermaßen dem Ausgleich der der Kl. und ihrem Ehemann verspätungsbedingt entstandenen Unannehmlichkeiten.“ Kulhanek RRa 2015, 58, 59.
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EuGH nicht der Fall, dienen doch die Ansprüche aus der VO 261/2004 nicht dem Ausgleich individueller Schäden durch eine Verspätung (wie Art. 19 MÜ), sondern dem Ersatz für die Unannehmlichkeit des großen Zeitverlusts, die in gleicher Weise alle Fluggäste betrifft (dazu bereits oben § 8 II 2 → S. 449). Aus diesen Gründen scheidet eine Anrechnung der Ausgleichszahlung nach Art. 7 VO 261/2004 auf Schadensersatzansprüche nach dem Übereinkommen von Montreal regelmäßig aus, weil die Vorschriften dem Ersatz unterschiedlicher Schäden dienen. Auch die zuweilen befürwortete Anrechnung von Ausgleichsansprüchen nach Art. 7 VO 261/2004 auf den Schadensersatzanspruch wegen Nichterbringung von Unterstützungs- und Betreuungsleistungen nach Art. 9 VO 261/2004231 kommt nicht in Betracht, weil es sich bei den einzelnen Rechten aus der Fluggastrechteverordnung um „konkurrierende und kumulative Verpflichtungen“ handelt,232 die dem Ersatz unterschiedlicher Einbußen (Zeitverlust einerseits, anderweitige Beförderung bzw. Unterstützung während der Wartezeit etwa durch Hotelübernachtung andererseits) dienen.233 In Betracht kommt allerdings eine Anrechnung von Leistungen aus der Verordnung, wenn durch diese Leistungen eine Einbuße nicht entsteht oder beseitigt wird, die nach anderen Vorschriften zu ersetzen ist. Hat beispielsweise bereits die Fluggesellschaft für eine anderweitige Beförderung zum Endziel gesorgt (Art. 8 Abs. 1 lit. b, c VO 261/2004) oder die Kosten einer Hotelübernachtung übernommen (Art. 9 Abs. 1 lit. b VO 261/2004) oder die Unannehmlichkeit des großen Zeitverlusts durch eine pauschale Ausgleichszahlung ausgeglichen (Art. 7 Abs. 1 VO 261/2004),234 so ist hinsichtlich dieDazu EuGH 13.10.2011, Rs. C-83/10, Slg. 2011, I-9469 Rn. 44 – Sousa Rodríguez. Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 28.6.2011, Rs. C-83/10, Slg. 2011, I-9469 Rn. 64 – Sousa Rodríguez; siehe auch EuGH 13.10.2011, Rs. C-83/10, Slg. 2011, I-9469 Rn. 42 f. – Sousa Rodríguez. 233 Schmid/Schürmann ZLW 2012, 229, 249; Staudinger in: Staudinger §§ 651a–651m; Anhang zu § 651a: BGB-InfoV (Reisevertragsrecht) (2016) § 651f Rn. 7; a. A. LG Darmstadt 2.3.2011, 7 S 95/10, RRa 2011, 134, 137 f. Zur Frage, ob ein vom nationalen Recht gewährter Schadensersatzanspruch, der auf die Erstattung von zusätzlichen Reisekosten gerichtet ist, die wegen Annullierung eines gebuchten Fluges anfallen, auf den Ausgleichsanspruch aus Art. 7 VO 261/2004 anzurechnen ist, wenn das Luftfahrtunternehmen seine Pflichten nach Art. 8 Abs. 1 VO 261/2004 erfüllt hat, der Vorlagebeschluss des BGH 30.7.2013, X ZR 111/12, BeckRS 2013, 14698. 234 BGH 30.9.2014, X ZR 126/13, NJW 2015, 553, 554 Rn. 15: „Ausgleichszahlungen nach Art. 7 Fluggastrechte-VO zielen zwar nicht notwendigerweise auf den Ausgleich derselben Nachteile wie Minderungsansprüche auf Grund eines Reisemangels nach § 651d BGB. Im vorliegenden Fall sind beide Ansprüche jedoch nicht nur adäquat kausal auf die starke Verspätung des Rückflugs nach Düsseldorf zurückzuführen, sondern dienen auch gleichermaßen dem Ausgleich der der Kl. und ihrem Ehemann verspätungsbedingt entstandenen Unannehmlichkeiten.“ (Hervorhebung nicht im Original). Zustimmend Staudinger RRa 2015, 62, 63 f.; a. A. Kulhanek RRa 2015, 58, 60: „Dieser Entschädigungsbetrag 231 232
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ser Einbußen kein Schaden entstanden bzw. der Wert der Reiseleistung nicht gemindert, so dass auch kein weiter gehender Schadensersatz- oder Minderungsanspruch in Betracht kommt. Der Reisende kann deshalb nach Erhalt dieser Leistungen nicht auf anderer Rechtsgrundlage, insbesondere auf Grundlage des Pauschalreiserechts, dieselben Einbußen ersetzt verlangen. Eine entsprechende Regelung findet sich nun auch in Art. 14 Abs. 5 der neuen Pauschalreiserichtlinie 2015/2302. Während Art. 14 Abs. 5 Satz 1 und 2 RL 2015/2302 zunächst klarstellen, dass das Recht auf Schadensersatz oder Preisminderung nach der Reiserichtlinie die Rechte von Passagieren aus der Fluggastrechteverordnung und den anwendbaren internationalen Übereinkommen wie dem Übereinkommen von Montreal unberührt lässt, ergänzt Art. 14 Abs. 5 Satz 3 RL 2015/2302, dass die nach der Pauschalreiserichtlinie „gewährte Schadensersatzzahlung oder Preisminderung“ „von der nach Maßgabe der genannten Verordnungen und nach internationalen Übereinkommen gewährten Schadensersatzzahlung oder Preisminderung abgezogen“ wird „und umgekehrt, um eine Überkompensation zu vermeiden“. Bemerkenswert ist an dieser Vorschrift, dass der noch im Kommissionsvorschlag vorgesehene Vorbehalt „wenn die Rechte das gleiche Interesse schützen oder das gleiche Ziel haben“235 im endgültigen Richtlinientext entfallen ist. Allerdings dürfte [nach Art. 7 VO 261/2004] wäre damit folgerichtig auf einen etwaigen Anspruch nach § 651f Abs. 2 BGB anzurechnen, die Minderung nach § 651d BGB lässt er hingegen unberührt.“ Kulhanek verweist darauf, dass die Minderung dazu diene, das materielle Äquivalenzverhältnis des Reisevertrages wiederherzustellen, während Art. 7 VO 261/2004 eine Entschädigung für eine immaterielle Beeinträchtigung durch Zeitverlust bezwecke. Indes kann die Minderung auch wegen Verfehlung des Erholungszwecks der Reise ausgesprochen werden, so dass damit auch die „Störung eines immateriellen Erfolges kompensiert wird“, so Staudinger RRa 2015, 62, 64. Letztendlich entscheidend ist damit, aus welchem Grund im Reisevertrag gemindert wurde und ob diese Störung durch die Ausgleichszahlung nach Art. 7 VO 261/2004 ausgeglichen wurde. 235 Art. 12 Abs. 5 Satz 2 a. E. im Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen KOM(2013) 512. Zum Hintergrund Commission Staff Working Document Impact Assessment Accompanying the document on package travel and assisted travel arrangements, amending Regulation (EC) No 2006/2004l and Directive 2011/83/EU and repealing Council Directive 90/314/EEC, SWD(2013) 263 Annex 3 S. 80: „However, neither of the two pieces of legislations [VO 261/2004 und RL 90/314] explicitly mentions that passengers are not entitled to ‘double assistance’ or ‘double compensation’ for the same incident (both from the air carrier and the tour operator). This should be clarified in order to prevent potential abuse in the future as well as simplifying the organiser’s right to seek redress from the service providers, the latter which the industry today claim not to work well enough. It should, at the same time, be underlined that both the PTD and the Passenger Rigths regulations apply where such transport is included in the package.“ Das Parlament hat unter Verweis auf das Vorlageverfahren des BGH 30.7.2013, X ZR 111/12, BeckRS 2013, 14698 (Rs. C-476/13 – Retzlaff) vorgeschlagen, ein Kumulationsverbot vorzusehen („Die Schadenersatzansprüche dürfen allerdings für denselben Sachverhalt nicht auf der Grundlage verschiedener Regelungen kumuliert
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der Zusatz „um eine Überkompensation zu vermeiden“ im endgültigen Richtlinientext das gleiche Ziel verfolgen, denn eine Überkompensation droht nur, wenn die kumulierten Schadensersatzansprüche dem Ersatz derselben Schadensposition (z. B. materieller oder immaterieller Schäden) dienen. Für eine Anrechnung der Leistungen lässt sich zudem auf Art. 8 Abs. 2 VO 261/2004 verweisen. Nach dieser Vorschrift ist der Erstattungsanspruch aus Art. 8 Abs. 1 lit. a VO 261/2004 ausgeschlossen, „sofern dieser sich aus der Richtlinie 90/314/EWG ergibt“. Auch wenn diese Vorschrift nur einen geringen Anwendungsbereich hat, weil nach bisher überwiegender Auffassung die Tatbestände der Nichtbeförderung oder Annullierung kein Rücktrittsrecht nach dem Reisevertragsrecht begründen,236 so bringt sie doch den allgemeinen Gedanken zum Ausdruck, dass die bereits nach einem Regelungsregime (Fluggastrechteverordnung oder reisevertragliche Gewährleistungsansprüche) ausgeglichenen Einbußen nicht, soweit sie identisch sind, noch einmal ersetzt werden sollen.237 Der Gedanke der Vorteilsausgleichung und des Verbots der Bereicherung durch Doppelkompensation findet sich schließlich auch im Vorschlag der Kommission für eine geänderte Fluggastrechteverordnung verankert. Erwägungsgrund 6 Satz 2 und Satz 3 dieses Vorschlags sehen vor, „dass eine Kumulierung von Ansprüchen, die sich insbesondere aus der vorliegenden Verordnung und der Richtlinie 90/314/EWG […] über Pauschalreisen ergeben, nicht zulässig ist“. Zwar sollten die Fluggäste „die Wahl haben, auf welche Rechtsvorschrift sie ihre Forderungen stützen, jedoch nicht auf der Grundlage beider Rechtsvorschriften Ausgleichsleistungen für dasselbe Problem beanspruchen können“.238 werden“), Bericht vom 18.2.2014 über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Pauschal- und Bausteinreisen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates, Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz, PE 524.596v02-00, A7-0124/2014, Änderungsantrag 112. 236 BGH 7.10.2008, X ZR 37/08, NJW 2009, 287 Rn. 18; kritisch Tonner in: Gebauer/ Wiedmann (Hrsg.) Zivilrecht unter europäischem Einfluss2 (2010) Kapitel 15 Rn. 109: „Tatbestände der Art. 4–6 der Verordnung müssen als ‚erheblicher Mangel‘ i. S. d. § 651e BGB gewertet werden.“ 237 Siehe auch BGH 18.2.2010, Xa ZR 164/07, RRa 2010, 151 Rn. 19: „Die Beklagte schuldet danach eine Ausgleichszahlung in der in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung bestimmten Höhe von 600,– Euro. Da der Klägerin vom Berufungsgericht – unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Minderung des Flugpreises – bereits ein Betrag von 200,– Euro für die Flugverspätung zuerkannt worden ist, ist die Beklagte zur Zahlung weiterer 400,– Euro zu verurteilen. Ein Mangel der Flugleistung, der einen zusätzlichen Minderungsanspruch begründen könnte, liegt in einer Verspätung regelmäßig nicht.“ 238 Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen
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Zusammenfassend ist damit festzuhalten, dass die Verknüpfungsvorschriften der Art. 12 VO 261/2004 und Art. 14 Abs. 5 RL 2015/2302 zum einen dem Ziel vollständiger Kompensation dienen, das durch ein Zusammenwirken unterschiedlicher Ansprüche erreicht werden soll. Zum anderen findet sich in der Verordnung mit den Anrechnungsvorschriften in Art. 12 Abs. 1 Satz 2 VO 261/2004 und in der Pauschalreiserichtlinie mit Art. 14 Abs. 5 Satz 3 RL 2015/2302 ein Instrument, das eine Über- oder Doppelkompensation für dieselbe Schadensposition verhindern soll. Allerdings kann Art. 12 Abs. 1 Satz 2 VO 261/2004 nicht für eine Anrechnung der pauschalen Ausgleichsansprüche auf Schadensersatzansprüche wegen individueller Schäden herangezogen werden, weil die Entscheidung des Gesetzgebers (bzw. des Gerichtshofs), auch pauschale Schäden unabhängig und getrennt von einer individuellen Einbuße zu ersetzen, zu respektieren ist. Demgegenüber sind die Ausgleichs- und Betreuungsleistungen nach der Verordnung durchaus dazu geeignet, Minderungs- und Schadensersatzansprüche aus anderer Rechtsgrundlage (insbesondere dem Pauschalreiserecht) auszuschließen und umgekehrt, soweit durch die Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen der Minderwert der Beförderungsleistung ausgeglichen wird (pauschale Entschädigung für einen großen Zeitverlust) oder von vorneherein nicht entsteht (Betreuungsleistungen wie Hotelunterbringung). Diesen Gedanken bringt nun auch Art. 14 Abs. 5 Satz 3 RL 2015/2302 zum Ausdruck. IX. Verjährung und Ausschlussfristen IX. Verjährung und Ausschlussfristen
Eine ausdrückliche Regelung der Fristen für die Geltendmachung von luftrechtlichen Schadensersatzansprüchen findet sich nur in Art. 35 MÜ, nicht aber in der Fluggastrechteverordnung. Gemäß Art. 35 Abs. 1 MÜ kann die Klage auf Schadensersatz „nur binnen einer Ausschlussfrist von zwei Jahren erhoben werden; die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Luftfahrzeug am Bestimmungsort angekommen ist oder an dem es hätte ankommen sollen oder an dem die Beförderung abgebrochen worden ist“.
Diese Regelung ist mit der Verordnung 2027/97 vereinbar, wie der EuGH bereits zu Art. 29 des Warschauer Abkommens entschieden hat.239 Art. 35 bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr KOM(2013) 130 S. 13; umgesetzt durch einen neuen Art. 3 Abs. 6 Satz 2 der VO 261/2004: „Die Fluggäste sind berechtigt, Forderungen nach dieser Verordnung und nach der Richtlinie 90/314/EWG des Rates geltend zu machen, dürfen allerdings für denselben Schaden keine Ansprüche auf Grundlage beider Rechtsvorschriften kumulieren, wenn die Rechte das gleiche Interesse schützen oder das gleiche Ziel haben.“ 239 EuGH 22.10.2009, Rs. C-301/08, Slg. 2009, I-10185 Rn. 45 – Bogiatzi; zur Vereinbarkeit der Zweijahresfrist mit dem Effektivitätsgrundsatz auch die Schlussanträge des Generalanwalts Mazák vom 25.6.2009, Rs. C-301/08, Slg. 2009, I-10185 Rn. 64 – Bogiatzi: „Es genügt gleichwohl der Hinweis, dass der Gerichtshof mehrfach entschieden hat,
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Abs. 2 MÜ ordnet an, dass sich die Berechnung der Frist nach dem Recht des angerufenen Gerichts richtet, was als unmittelbarer Verweis auf die lex fori verstanden wird.240 Neben Art. 35 MÜ ist der Reisende bei Gepäckschäden oder Gepäckverspätung gemäß Art. 31 MÜ zudem verpflichtet, unverzüglich nach Entdeckung des Schadens und binnen sieben bzw. 14 oder 21 Tagen eine Schadensanzeige zu erstatten, um seine Ansprüche zu erhalten.241 Während Art. 35 MÜ als materielle Ausschlussfrist die nationalen Verjährungsvorschriften verdrängt und damit eine abkommensweit einheitliche Regelung herbeiführt,242 fehlt es an einer vergleichbaren Vorschrift für die Ansprüche aus der Fluggastrechteverordnung. Insofern ist denkbar, entweder diese Frage dem durch das Kollisionsrecht zu bestimmenden nationalen Recht zu überantworten,243 das in den Grenzen von Effektivität und Äquivalenz die Ausschlussfrist eigenständig regeln kann (z. B. §§ 194 Abs. 1, 195, 199 Abs. 1 BGB), oder aber Art. 35 MÜ entsprechend anzuwenden. Der EuGH hat sich in der Rechtssache Moré gegen die Anwendung von Art. 35 MÜ ausgesprochen. Die „Frist, innerhalb deren Klagen auf Zahlung der in den Art. 5 und 7 der Verordnung 261/2004 vorgesehenen Ausgleichsleistung erhoben werden müssen“, bestimme sich vielmehr „nach dem nationalen Recht der einzelnen Mitgliedstaaten […], sofern diese Modalitäten den Äquivalenz- und den Effektivitätsgrundsatz wahren“.244 Eine entsprechende Anwendung von Art. 35 MÜ komme nicht in Betracht, weil die „Verordnung 261/2004 ein System der standardisierten und sofortigen Wiedergutmachung von Schäden, die in den aus Verspätungen und Annullierungen von Flügen folgenden Unan-
dass die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung im Interesse der Rechtssicherheit mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, und dass eine Ausschlussfrist von zwei Jahren, wie sie in Art. 29 des Warschauer Abkommens festgesetzt ist, meines Erachtens nicht geeignet ist, die Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs nach Maßgabe der Verordnung Nr. 2027/97 übermäßig zu erschweren oder praktisch unmöglich zu machen.“ 240 Reuschle Montrealer Übereinkommen2 (2011) Art. 35 Rn. 22. 241 Zur Vereinfachung schlägt die Kommission die Übergabe eines Beschwerdeformulars durch das Luftfahrtunternehmen an den Reisenden vor, Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und der Verordnung (EG) Nr. 2027/ 97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr KOM(2013) 130 S. 10, Art. 2 Abs. 1 der ÄnderungsVO = Art. 3 Abs. 2 der geänderten VO 2027/97. 242 Allerdings nur für die auf das Montrealer Übereinkommen gestützten Ansprüche, Dettling-Ott/Müller-Rostin in: Giemulla/Schmid Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht III (EL 39 2014) Art. 29 MÜ Rn. 5. 243 So insbesondere BGH 10.12.2009, Xa ZR 61/09, NJW 2010, 1526 Rn. 10, 15 ff. 244 EuGH 22.11.2012, Rs. C-139/11, ECLI:EU:C:2012:741 Rn. 26 – Moré.
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nehmlichkeiten bestehen, ein[führt], das neben das Übereinkommen von Montreal tritt und daher gegenüber der mit diesem Übereinkommen getroffenen Regelung autonom ist“.245
Auch wenn die Chance zur Parallelisierung der Ausschlussfristen damit vorläufig vertan wurde, könnte sich zumindest eine partielle unionsrechtliche Harmonisierung der Ausschlussfristen mit der Reform der Fluggastrechteverordnung andeuten. Zwar hält die Kommission in Erwägungsgrund 23 ihrer Änderungsverordnung an der Entscheidung Moré fest.246 Gleichzeitig sieht die neue Vorschrift zu „Forderungen und Beschwerden von Fluggästen“ in Art. 16a Abs. 2 vor, dass sich ein Fluggast, der „aufgrund seiner ihm nach dieser Verordnung zustehenden Rechte eine Beschwerde an das Luftfahrtunternehmen richten“ will, diese „innerhalb von drei Monaten nach der tatsächlichen oder geplanten Durchführung des Fluges einreichen“ muss. Diese Vorschrift könnte man, ähnlich wie Art. 31 MÜ bei Gepäckschäden, als der Verjährung vorgelagerte Verpflichtung zur Schadensanzeige mit kürzerer Ausschlussfrist verstehen, was den Verweis auf die nationalen Fristenregeln in Erwägungsgrund 23 teilweise überlagern würde. Es bleibt zu hoffen, dass in der endgültigen Fassung der neuen Verordnung eine klare und einheitliche Regelung auch der Verjährung gefunden werden kann,247 zumal eine solche nun auch in die neue Pauschalreiserichtlinie aufgenommen wurde (Art. 14 Abs. 6 RL 2015/2302, dazu oben § 6 IX → S. 366). X. Verzinsung X. Verzinsung
Eine ausdrückliche Vorschrift zur Verzinsung, insbesondere zu Verzugszinsen, ist in der Fluggastrechteverordnung nicht vorgesehen, so dass prima facie ein Rückgriff auf das anwendbare nationale Recht nahe liegt, das nach Auffassung des Bundesgerichtshofs nach den Kollisionsvorschriften für vertragliche Schuldverhältnisse (bei Verbraucherverträgen also nach Art. 5 Rom EuGH 22.11.2012, Rs. C-139/11, ECLI:EU:C:2012:741 Rn. 32 – Moré. Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr KOM(2013) 130 S. 15: „In der Rechtssache C-139/11 (Moré vs. KLM) stellte der Gerichtshof der Europäischen Union klar, dass sich die Fristen für Schadensersatzklagen nach den nationalen Vorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten richten.“ 247 Streng genommen schließt Art. 16a Abs. 2 nur die Beschwerde zum Luftfahrtunternehmen, nicht aber die Klage zum Gericht aus (vgl. auch Erwägungsgrund 22 Satz 3 des Vorschlags, demzufolge „der Zugang der Fluggäste zu den Gerichten durch solche Maßnahmen […] weder verhindert noch erschwert werden soll“). Dass dies widersinnig ist, zeigt sich an nationalen Kostenvorschriften wie § 93 ZPO, die eine Klage ohne vorherige Abmahnung nach sofortigem Anerkenntnis der Gegenseite mit negativen Kostenfolgen sanktionieren. 245 246
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I-VO) zu bestimmen ist.248 Dem Rückgriff auf nationales Recht steht auch nicht entgegen, dass der Gerichtshof unlängst für den Fall der Verletzung der Ansprüche auf Unterstützungs- und Betreuungsleistungen gemäß Art. 8 und 9 VO 261/2004 „einen Ausgleichsanspruch auf der Grundlage der in diesen Artikeln aufgeführten Gesichtspunkte“ unmittelbar aus der Verordnung entwickelt hat,249 der eine ergänzende Anwendung nationalen Leistungsstörungsrechts (§§ 280, 281 BGB) entbehrlich macht. Denn während bei der Verweigerung von Mahlzeiten und Hotelunterbringung ein Ersatzanspruch durchaus direkt aus Art. 9 VO 261/2004 abgeleitet werden kann, der auf den Ersatz der Kosten für angemessene Mahlzeiten und Unterbringung zielt, fehlt es in der Verordnung an einer Konkretisierung insbesondere von Zinsbeginn und Zinshöhe, so dass ein ergänzender Rückgriff auf nationales Recht unumgänglich ist. Allerdings dürfte sich unmittelbar aus der Verordnung in Analogie zur Sousa Rodríguez-Entscheidung zumindest entnehmen lassen, dass die Leistungen grundsätzlich zu verzinsen sind, damit der Grundsatz vollständiger Kompensation gewahrt bleibt und Kaufkraftverlusten vorgebeugt wird. Dies fügt sich in die allgemeinen Regeln zur Verzinsung auf Grundlage des Effektivitätsgebots ein (dazu unten § 9 X → S. 631).
So BGH 12.11.2009, Xa ZR 76/07, NJW 2010, 1070 Rn. 17 ff., 18: „Die in der Verordnung enthaltenen Regelungen stellen mithin eine besondere Ausgestaltung der Rechte und Pflichten aus einem Beförderungsvertrag im Sinne der im vorliegenden Zusammenhang noch anwendbaren Regeln des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch dar.“ Zur Qualifikation als vertraglicher Anspruch im Kontext des europäischen Zuständigkeitsrechts auch EuGH 9.7.2009, Rs. C-204/08, Slg. 2009, I-6073 Rn. 43 f. – Rehder. 249 EuGH 13.10.2011, Rs. C-83/10, Slg. 2011, I-9469 Rn. 44 – Sousa Rodríguez. 248
Dritter Teil
Ergebnisse Dritter Teil: Ergebnisse
§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
Im dritten und letzten Teil der Untersuchung soll der Versuch unternommen werden, aus den Vorarbeiten der ersten beiden Teile eine zusammenfassende Summe zu ziehen. Im Interesse der Übersichtlichkeit wird dabei die Gliederung in zehn Sachfragen beibehalten. I.
Existenz eines Schadensersatzanspruchs
I. Existenz eines Schadensersatzanspruchs
Die Existenz eines Schadensersatzanspruchs im Unionsprivatrecht bedarf keiner näheren Erörterung, wenn das Unionsrecht einen solchen Anspruch ausdrücklich vorsieht, wie es etwa im Produkthaftungsrecht (Art. 1, 9 Produkthaftungsrichtlinie 85/374), im Reiserecht (Art. 14 Abs. 2 Satz 1 Pauschalreiserichtlinie 2015/2302; vormals Art. 5 Abs. 2 Pauschalreiserichtlinie 90/314) oder im Recht der Luftbeförderung von Personen (Art. 7 VO 261/ 2004; Art. 17, 19 MÜ) der Fall ist.1 In solchen Fällen mag man über den Kreis der anspruchsberechtigten Personen (dazu § 9 III → S. 555 oder den Schadensbegriff (dazu § 9 V 1 → S. 579) diskutieren, aber die grundsätzliche Existenz eines Schadensersatzanspruchs steht außer Frage. Von Interesse ist demgegenüber die Frage, ob das Unionsrecht die Mitgliedstaaten auch dann auf privatrechtliche Ansprüche und insbesondere Schadensersatzansprüche verpflichtet, wenn es lediglich die Primärpflichten beschreibt und keine eigene Regelung der Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen diese Pflichten vorsieht. Auf den ersten Blick scheint die Frage zu verneinen zu sein, geht der Gerichtshof doch in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Mitgliedstaaten zwar verpflichtet sind, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die „vollständige Wirksamkeit des Unionsrechts entsprechend seiner Zielsetzung zu gewährleisten“, dass aber andererseits den Mitgliedstaaten die „Freiheit bei der Wahl der Mittel und Wege“ unter den verschiedenen 1 Siehe außerdem Art. 17 Abs. 3 Handelsvertreterrichtlinie 86/653; Art. 18 Gleichbehandlungsrichtlinie 2006/54 = Art. 8 Abs. 2 Gleichbehandlungsrichtlinie 2004/113; Art. 23 Abs. 1 Datenschutzrichtlinie 95/46; Art. 6 Wertpapierprospektrichtlinie 2003/71; Art. 13 Durchsetzungsrichtlinie 2004/48; Art. 61 und Art. 75 Zahlungsdiensterichtlinie 2007/64; Art. 2 Abs. 1 lit. c Vergabenachprüfungsrichtlinie 2007/66; Art. 6 Abs. 1, 3 Zahlungsverzugsrichtlinie 2011/7; noch zahlreicher die Beispiele oben § 3 II 1 → S. 120.
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
geeigneten Sanktionen belassen bleibt (Prinzip der mitgliedstaatlichen Wahlfreiheit bei den Sanktionen).2 Aus dem Grundsatz der mitgliedstaatlichen Wahlfreiheit bei den Rechtsfolgen als Teil der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie wird denn auch in der Literatur gefolgert, dass die Art (Zivilrecht, Verwaltungsrecht, Strafrecht) und Ausgestaltung der Rechtsfolgen bei Verstößen gegen das Unionsrecht Sache der Mitgliedstaaten sei.3 2 Zum Primärrecht EuGH 4.4.1968, Rs. 34/67, Slg. 1968, 364 – Lück: „Der Artikel [Art. 96 EWG-Vertrag] beschränkt indessen nicht die Befugnis der zuständigen nationalen Gerichte, unter mehreren nach der innerstaatlichen Rechtsordnung in Betracht kommenden [Maßnahmen] diejenigen zu wählen, welche zum Schutz der durch das Gemeinschaftsrecht gewährten individuellen Rechte geeignet erscheinen“; zu den Grundfreiheiten EuGH 17.7.2008, Rs. C-94/07, Slg. 2008, I-5939 Rn. 50 – Raccanelli; zu Verordnungen EuGH 9.2.2012, Rs. C-210/10, ECLI:EU:C:2012:64 Rn. 23 – Urbán: „Nach ständiger Rechtsprechung sind die Mitgliedstaaten in Ermangelung einer Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Union auf dem Gebiet der Sanktionen bei Nichtbeachtung der Voraussetzungen, die eine nach dem Unionsrecht geschaffene Regelung vorsieht, befugt, die Sanktionen zu wählen, die ihnen sachgerecht erscheinen“; zu Richtlinien EuGH 10.4.1984, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 Rn. 15, 17 f. – von Colson und Kamann; EuGH (Große Kammer) 15.4.2008, Rs. C-268/06, Slg. 2008, I-2483 Rn. 40 – Impact: „Ferner ist daran zu erinnern, dass die Freiheit bei der Wahl der Mittel und Wege zur Durchführung einer Richtlinie die Verpflichtung der einzelnen Mitgliedstaaten unberührt lässt, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die vollständige Wirksamkeit der Richtlinie entsprechend ihrer Zielsetzung zu gewährleisten“; EuGH 11.10.2007, Rs. C-460/06, Slg. 2007, I-8511 Rn. 44 – Paquay; EuGH 26.4.2007, Rs. C-348/04, Slg. 2007, I-3391 Rn. 58 f. – Boehringer Ingelheim: „Sieht also das Gemeinschaftsrecht, wie im Ausgangsverfahren, keine spezifischen Sanktionen für den Fall vor, dass Verstöße begangen worden sind, obliegt es den nationalen Stellen, geeignete Maßnahmen zu erlassen, um einer solchen Lage zu begegnen; diese müssen nicht nur verhältnismäßig, sondern auch effektiv und abschreckend genug sein, um die volle Wirksamkeit der Richtlinie 89/104 sicherzustellen“; EuGH 5.7.2007, Rs. C-430/ 05, Slg. 2007, I-5835 Rn. 53 – Ntionik Anonymi Etaireia Emporias; EuGH 23.12.2009, Rs. C-45/08, Slg. 2009, I-12073 Rn. 70 f. – Spector Photo Group; EuGH 11.4.2013, Rs. C-260/11, ECLI:EU:C:2013:221 Rn. 37 – Edwards: „Nach ständiger Rechtsprechung sind die Mitgliedstaaten, wenn das Unionsrecht keine entsprechenden Bestimmungen enthält, verpflichtet, bei der Umsetzung einer Richtlinie deren vollständige Wirksamkeit zu gewährleisten, wobei sie allerdings über einen weiten Wertungsspielraum hinsichtlich der Wahl der Mittel verfügen“; EuGH 30.5.2013, Rs. C-604/11, ECLI:EU:C:2013:344 Rn. 57 – Genil 48 SL: „In Ermangelung einer Regelung der Union hierzu kommt es der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten zu, die vertraglichen Folgen eines Verstoßes gegen diese Verpflichtungen festzulegen, wobei die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität beachtet werden müssen“; EuGH 3.12.2015, Rs. C-312/14, ECLI:EU: C:2015:794 Rn. 79 – Banif Plus Bank. 3 Statt vieler Leczykiewicz ERCL 8 (2012) 47, 76 f.; Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012) S. 272: „Grundsätzlich gebietet die effektive Durchsetzung der unionsrechtlichen Verhaltensnorm aber nicht zwingend eine privatrechtliche Sanktionierung. […] Die Mitgliedstaaten müssen privatrechtliche Sanktionen nur vorsehen, wenn die Wirksamkeit der unionsrechtlichen Verhaltensnorm anderweitig gefährdet wäre und nur so das Effektivitätsgebot gewahrt werden kann“; ähnlich Eilmansberger CMLR 41 (2004) 1199,
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Allerdings formuliert der EuGH mit Sätzen wie „um die vollständige Wirksamkeit der Richtlinie entsprechend ihrer Zielsetzung zu gewährleisten“4 bereits die entscheidende Einschränkung des Grundsatzes der Wahlfreiheit der Sanktionen: Die mitgliedstaatliche Wahlfreiheit findet dort ihre Grenze, wo die Effektivität des Unionsprivatrechts die nationalen Rechtsordnungen allgemein auf eine zivilrechtliche Durchsetzbarkeit oder sogar auf konkrete Rechtsbehelfe Privater verpflichtet.5 Dabei gibt, wie die beiden Referenzmaterien des Kartelldeliktsrechts (§ 4 I 1 → S. 150) und des Verbrauchervertragsrechts (§ 5 I 2 → S. 258) ebenso wie eine allgemeine Rechtsprechungsanalyse zeigen (sogleich § 9 I 1 → S. 500), die Formulierung als Regel (Grundsatz der Wahlfreiheit der Sanktionen) – Ausnahme (sofern nicht der Effektivitätsgrundsatz einen bestimmten Rechtsbehelf gebietet) – Verhältnis 1233: „no legally compelling connection between the principles of effet utile, uniformity or loyalty on the one hand, and the requirement to provide for specific legal remedies for breaches of EC law, on the other“. Für eine Verpflichtung auf zivilrechtliche Schadensersatzansprüche aber im Verbraucherkreditrecht Hofmann NJW 2010, 1782, 1784 f.; im Kapitalmarktrecht Hellgardt AG 2012, 154, 157 f., 160 f. 4 EuGH (Große Kammer) 15.4.2008, Rs. C-268/06, Slg. 2008, I-2483 Rn. 40 – Impact. 5 EuGH 11.10.2007, Rs. C-460/06, Slg. 2007, I-8511 Rn. 49 – Paquay: „Zwar sind die Mitgliedstaaten weder nach Art. 6 der Richtlinie 76/207 noch nach Art. 12 der Richtlinie 92/85 verpflichtet, eine bestimmte Maßnahme zu ergreifen, doch muss die gewählte Maßnahme […] geeignet sein, einen tatsächlichen und wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz sicherzustellen, sie muss eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber haben, und sie muss in jedem Fall in angemessenem Verhältnis zu dem erlittenen Schaden stehen.“ Vgl. auch EuGH (Große Kammer) 13.3.2007, Rs. C-432/05, Slg. 2007, I-2271 Rn. 40 f. – Unibet: „So hat der EG-Vertrag zwar für Privatpersonen mehrere Möglichkeiten der direkten Klage zu den Gemeinschaftsgerichten eröffnet, doch er wollte nicht zusätzlich zu den nach nationalem Recht bereits bestehenden Rechtsbehelfen neue Klagemöglichkeiten zur Wahrung des Gemeinschaftsrechts vor den nationalen Gerichten schaffen. […] Etwas anderes würde nur gelten, wenn es nach dem System der betreffenden nationalen Rechtsordnung keinen Rechtsbehelf gäbe, mit dem wenigstens inzident die Wahrung der den Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleistet werden könnte.“ Siehe auch EuGH 23.12.2009, Rs. C-45/08, Slg. 2009, I-12073 Rn. 70 f. – Spector Photo Group, wo der Gerichtshof zu den Anforderungen an die Verwaltungssanktionen bei Insiderverstößen zwar allgemein entschied, dass die „Beurteilung der Frage, ob eine Sanktion wirksam, verhältnismäßig und abschreckend ist, […] Sache des nationalen Rechts“ sei (Rn. 71), in den nächsten Absätzen aber vorgab, dass „die Sanktionen abschreckend genug sein, im Verhältnis zur Schwere des Verstoßes und zu den erzielten Gewinnen stehen und konsequent vollstreckt werden sollten“, so dass „der aus einem Insider-Geschäft resultierende Vermögensvorteil ein relevanter Gesichtspunkt für die Zumessung einer wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktion sein kann“, während sich die „Methode für die Berechnung dieses Vermögensvorteils und insbesondere der dafür zugrunde zu legende Zeitpunkt oder Zeitraum […] nach dem nationalen Recht“ richten (Rn. 72 f.). Auch sei bei Beurteilung der Wirksamkeit einer verwaltungsrechtlichen Sanktion „nicht die Möglichkeit und/oder die Höhe einer etwaigen späteren strafrechtlichen Sanktion zu berücksichtigen“ (Rn. 77).
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
die Praxis des Gerichtshofs nicht zutreffend wieder. Vielmehr folgt aus dem Effektivitätsgrundsatz im Regelfall eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Schaffung privatrechtlicher Rechtsbehelfe zur Durchsetzung des Unionsrechts (Prinzip der privaten Durchsetzung des Unionsrechts), sofern die verletzte Primärnorm zwischen Privaten unmittelbare Wirkung entfaltet (§ 9 I 2 a → S. 518), der individuelle Kläger zu den Anspruchsberechtigten zählt (§ 9 I 2 b → S. 520, § 9 III → S. 555) und nicht ausnahmsweise im konkreten Fall die Wirksamkeit der unionsrechtlichen Primärnorm (§ 9 I 2 c → S. 521) auf anderem Wege als durch privatrechtliche (Schadensersatz-)Ansprüche sichergestellt wird (§ 9 I 3 → S. 524). 1. Begründung ungeschriebener Schadensersatzansprüche Zur Begründung ungeschriebener Schadensersatzansprüche zwischen Privaten liegt es zunächst nahe, die Grundsätze der Francovich-Haftung auf das Privatrecht zu übertragen. Indes wurde im Kontext des Kartelldeliktsrechts dargelegt, dass die Verpflichtung der Mitgliedstaaten auf ungeschriebene Schadensersatzansprüche zwischen Privaten nicht der Francovich-Haftung entspricht, sondern mit ihr nur die gemeinsame Wurzel im Effektivitätsgrundsatz teilt (§ 4 I 2 → S. 151). Es sind deshalb die Kriterien herauszuarbeiten, nach denen das Unionsrecht über die Erforderlichkeit eines Schadensersatzanspruchs entscheidet. Sie entsprechen nicht den Haftungsvoraussetzungen (z. B. Rechtsverletzung, Schaden, Kausalität), sondern entscheiden auf einer vorgelagerten Stufe, ob das Unionsrecht überhaupt die Existenz privatrechtlicher Ansprüche aus Gründen der Effektivität der durchzusetzenden Primärnorm gebietet. a) Primärrecht und Verordnungen aa) Wettbewerbsregeln und Verordnungen Für die Durchsetzung von unmittelbar anwendbarem und auch für Private verbindlichem Primärrecht (z. B. Art. 101 AEUV) oder von EU-Verordnungen (etwa zu den Qualitätsstandards von Obst) hat der Gerichtshof die Existenz privatrechtlicher Schadensersatzansprüche in Courage (Art. 101 AEUV) und Muñoz 6 (EU-Verordnungen) in fünf sehr ähnlichen Schritten begründet Auch wenn das Rechtsschutzziel der Klagen in Muñoz offen blieb (Unterlassung, Beseitigung oder Schadensersatz) bezieht der Generalanwalt diesen Grundsatz ausdrücklich auch auf Schadensersatzansprüche, Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 13.12.2001, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 60, 63 – Muñoz: „Ich sehe nicht, warum ein Unternehmen, das behauptet, es habe durch die Verletzung von Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2200/96 einen Schaden erlitten, nicht das Recht haben sollte, eine zivilrechtliche Klage gegen ein Konkurrenzunternehmen anzustrengen. […] Im Ergebnis folgt aus dem Gemeinschaftsrecht, dass derjenige, der infolge der Verletzung einer Verord6
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(zu Art. 101 AEUV oben § 4 I 1 → S. 150). Zunächst weist der EuGH darauf hin, dass sich aus der verletzten Norm des Unionsrechts Rechte des Einzelnen ergeben, die die nationalen Gerichte zu wahren haben.7 Im nächsten Schritt stellt der Gerichtshof fest, dass es „den nationalen Gerichten obliegt, die im Rahmen ihrer Zuständigkeit das Gemeinschaftsrecht anzuwenden haben, die volle Wirkung seiner Bestimmungen zu gewährleisten“ und „die Rechte zu schützen, die das Gemeinschaftsrecht dem Einzelnen verleiht“.8 In einem dritten Schritt arbeitet der EuGH dann den Zweck und – im Fall von Courage – die grundlegende Bedeutung der betroffenen Unionsnorm heraus,9 bevor er im vierten Schritt feststellt, dass die volle Wirksamkeit der betreffenden Unionsnorm beeinträchtigt wäre, wenn sie nicht durch privatrechtliche Schadensersatzansprüche sanktioniert bzw. im Zivilprozess eines Wirtschaftsteilnehmers gegen seinen Konkurrenten durchsetzbar wäre.10 Ein Schadensersatzanspruch bzw. die Durchsetzbarkeit im Zivilprozess erhöhe nämlich fünftens die Durchsetzungskraft der gemeinschaftsrechtlichen Regelung und trage dazu bei, oft nur schwer aufzudeckende Praktiken zu unterbinden, die den Wettbewerb verfälschen können, so dass private Klagen wesentlich zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs bzw. eines lauteren Handels und der Markttransparenz beitragen können.11 Zusammenfassend lassen sich damit die unmittelbare Berechtigung Privater aus der betroffenen Primärnorm des Unionsrechts (also unmittelbare Wirkung der Primärnorm zwischen Privaten und Anspruchsberechtigung des individuellen Klägers) und die Beeinträchtigung der praktischen Wirksamkeit dieser Norm im Falle ihrer Nichtdurchsetzbarkeit durch private Ansprüche als Voraussetzungen ungeschriebenungsbestimmung einen Schaden erleidet, soweit er in einem Interesse verletzt ist, dessen Schutz das Gemeinschaftsrecht bezweckt, die Möglichkeit haben muss, die Durchsetzung dieser Bestimmung im Zivilrechtsweg zu erzwingen. Nur so ist die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts umfassend gewährleistet. Die zivilgerichtliche Durchsetzung stellt eine notwendige und nützliche Ergänzung der Durchsetzung durch den Mitgliedstaat dar.“ 7 EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 19 (allgemein zu den Rechtssubjekten des Unionsrechts), Rn. 23 (konkret zu Art. 101 AEUV) – Courage; EuGH 17.9.2002, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 27 – Muñoz (zu Verordnungen mit Hinweis auf Art. 288 Abs. 2 AEUV). 8 EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 25 – Courage; EuGH 17.9.2002, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 28 – Muñoz. 9 EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 20 – Courage (mit Exkurs zur Nichtigkeitsfolge als Beleg der grundlegenden Bedeutung in Rn. 21 f.) [in Courage erfolgte der dritte Schritt (Zweck) vor dem zweiten Schritt (Verpflichtung der nationalen Gerichte zum Schutz der subjektiven Rechte des Unionsrechts)]; EuGH 17.9.2002, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 29 – Muñoz. 10 EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 26 – Courage; EuGH 17.9.2002, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 30 – Muñoz. 11 EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 27 – Courage; EuGH 17.9.2002, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 31 – Muñoz.
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
ner privater Schadensersatzansprüche nach Courage und Muñoz gewinnen, wobei die Bedeutung des Schutzes privater Rechte, der Zweck der betreffenden Norm, ihr möglicherweise grundlegender Charakter und der Gedanke der erhöhten Durchsetzungskraft des Unionsrechts als Hilfserwägungen einbezogen werden. bb) Grundfreiheiten Während sich in den sachlich und zeitlich benachbarten Rechtssachen Courage und Muñoz leicht Übereinstimmungen finden lassen, erweist sich die Entscheidung Raccanelli zur Durchsetzung der Grundfreiheiten als zurückhaltender. In diesem Verfahren ging es um einen Verstoß gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV) durch die Praxis eines Max-PlanckInstituts, nur inländischen Doktoranden die Wahlmöglichkeit zwischen Arbeitsverträgen und Stipendien zu eröffnen, während ausländische Doktoranden lediglich auf Stipendien verwiesen wurden. Auf die Frage nach den Rechtsfolgen der Diskriminierung eines ausländischen Doktoranden, der nicht die Möglichkeit hatte, einen Arbeitsvertrag mit der MPG zu schließen, stellte der Gerichtshof zwar zunächst fest, dass „weder Art. 39 EG [Art. 45 AEUV] noch die VO 1612/68 den Mitgliedstaaten eine bestimmte Maßnahme im Fall einer Verletzung des Diskriminierungsverbots vorschreibt, sondern ihnen nach Maßgabe der unterschiedlichen denkbaren Sachverhalte die Freiheit der Wahl unter den verschiedenen Lösungen belässt, die zur Verwirklichung des Ziels der jeweiligen Bestimmung geeignet erscheinen“.12
Im Anschluss wies der Gerichtshof aber darauf hin, dass es Sache des nationalen Gerichts sei, „in Ansehung der anwendbaren innerstaatlichen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der außervertraglichen Haftung zu beurteilen, welche Art von Wiedergutmachung der Kläger beanspruchen könnte“.13 Die Entscheidung Raccanelli, obgleich weniger eindeutig und in Diktion und Zitierungen (möglicherweise wegen des arbeitsrechtlichen Kontexts) eher an die richtlinienrechtliche Judikatur seit von Colson und Kamann (dazu sogleich § 9 I 1 b → S. 503) anknüpfend, scheint damit zu implizieren, dass trotz der Wahlfreiheit bei den Sanktionen die Rechtsfolgen der Diskriminierung in der Anwendung der „innerstaatlichen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der außervertraglichen Haftung“ und damit im zivilrechtlichen Haftungsrecht zu suchen sind. Diese Lesart wird auch vom höchsten schwedischen Arbeitsgericht geteilt, das in der Folgeentscheidung zur Rechtssache Laval aus Courage, Manfredi und Raccanelli den allgemeinen Grundsatz ableitete, dass „there is a general principle of EU law that damages can be awarded between private parties upon violation of a treaty provision that has 12 13
EuGH 17.7.2008, Rs. C-94/07, Slg. 2008, I-5939 Rn. 50 – Raccanelli. EuGH 17.7.2008, Rs. C-94/07, Slg. 2008, I-5939 Rn. 51 – Raccanelli.
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horizontal direct effect“.14 Als Kriterien für die Haftung nannte das schwedische Gericht, dass die betreffende Unionsrechtsnorm „direct effect on the national level“ haben und „rights for individual that the national courts have to protect“ schaffen müsse, wobei der direkte Effekt anwendbar sein müsse „in the relationship between the private parties“.15 cc) Ergebnis Auch wenn Raccanelli und die schwedische Folgerechtsprechung zu Laval weniger deutlich als Courage und Muñoz formulieren, so ist allen Entscheidungen die Begründung eines Schadensersatzanspruchs bei Verstoß gegen unmittelbar wirksames Unionsrecht gemeinsam.16 Als Voraussetzungen eines solchen Anspruchs zeichnen sich die unmittelbare Wirkung der verletzten Primärnorm des Unionsrechts zwischen Privaten, die Anspruchsberechtigung des individuellen Klägers und die Erforderlichkeit eines Schadensersatzanspruchs zur Gewährleistung der vollen Wirksamkeit der betroffenen Unionsnorm ab. Bevor dieses entscheidende Effektivitätserfordernis näher beleuchtet wird (sogleich § 9 I 2 c → S. 521 und § 9 I 3 → S. 524) soll noch ein Blick auf die Rechtslage bei Richtlinien erfolgen. b) Richtlinien Etwas unklarer ist die Argumentation des Gerichtshofs zur Begründung ungeschriebener Schadensersatzansprüche bei Richtlinien. Ausgangspunkt ist auch hier die Verpflichtung jedes Mitgliedstaats, 14 So die Darstellung durch Rönnmar Industrial Law Journal 39 (2010) 280, 282. Die schwedische Entscheidung ist Arbetsdomstolen 2.12.2009, AD 2009:89, abrufbar unter . Ausführlich zu dieser Entscheidung Franck Marktordnung durch Haftung (2016) S. 235–244. Gegen einen privatrechtlichen Anspruch aufgrund einer Grundfreiheitenverletzung allerdings OLG München 16.1.2008, 3 U 1990/07 Rn. 39, 45 (juris). 15 So die Darstellung durch Rönnmar Industrial Law Journal 39 (2010) 280, 281 f. Die schwedische Entscheidung ist Arbetsdomstolen 2.12.2009, AD 2009:89, abrufbar unter . 16 Ebenso Franck Marktordnung durch Haftung (2016) S. 207 f., 262 f., der allerdings das Recht auf Schadensersatz nicht direkt aus Raccanelli, sondern nur aus der Fortschreibung von Courage und Muñoz in den Bereich der Grundfreiheiten entnimmt und zudem die Beispiele des Beihilfenrechts (dort allerdings nur Verpflichtung zum Beseitigungsanspruch, S. 218; soweit Franck a. a. O. zutreffend auf den parallelen Staatshaftungsanspruch nach Brasserie du Pêcheur verweist, richtet sich dieser nicht gegen den privaten Mitbewerber, sondern gegen den Staat) und des Umweltrechts anführt. Zu Courage und Muñoz ebenso auch Wilman Private enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 2.27: „The question whether the possibility of claiming damages or bringing other civil proceedings for breach of EU law by a private party is also a proper ‚EU law remedy‘ must nonetheless be answered in the affirmative.“
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
„in seiner innerstaatlichen Rechtsordnung alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die volle Wirkung der Vorschriften der Richtlinie gemäß dem von ihr verfolgten Ziel zu treffen, während ihm die Wahl der Form und Mittel zur Erreichung dieses Ziels überlassen bleibt“.17
Die entscheidende Frage ist damit, unter welchen Voraussetzungen das Effektivitätsgebot und die Ziele und Bestimmungen der jeweiligen Richtlinie die mitgliedstaatliche Wahlfreiheit der Form und Mittel so weit begrenzen, dass sie die Existenz privatrechtlicher Rechtsbehelfe oder sogar konkret eines zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs gebieten.18 aa) Verbrauchervertragsrecht Im Verbrauchervertragsrecht (dazu § 5 I 2 b → S. 263) hat der EuGH in den Schrottimmobilienfällen aus der Vorgabe „geeignete[r] Maßnahmen zum Schutz der Verbraucher“ (Art. 4 Satz 4 RL 85/577)19 bei unterbliebener Widerrufsbelehrung eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten abgeleitet, Maßnahmen zu treffen, damit der Verbraucher nicht die Folgen der Verwirklichung der Wertminderungsrisiken der Immobilie zu tragen hat.20 Der Gerichtshof hat damit – auch wenn er sich zu konkreten Anspruchsgrundlagen nicht geäußert hat21 – im Ergebnis einen Schadensersatzanspruch begründet, weil die alternaZum Antidiskriminierungsrecht EuGH 2.8.1993, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367 Rn. 17 – Marshall II; zum Haustürwiderrufsrecht EuGH 10.4.2008, Rs. C-412/06, Slg. 2008, I-2383 Rn. 39 – Hamilton: „Das Ermessen, über das die Mitgliedstaaten verfügen, ist nämlich im Einklang sowohl mit dem Hauptzweck der Richtlinie über Haustürgeschäfte als auch mit den anderen Bestimmungen dieser Richtlinie auszuüben.“ Zur mitgliedstaatlichen Wahlfreiheit auch die weiteren Nachweise in Fn. 2. 18 Zur Begrenzung des Ermessensspielraums bei der Umsetzung einer Richtlinie im Antidiskriminierungsrecht EuGH 2.8.1993, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367 Rn. 18 – Marshall II: „Daher sind die Ziele der Richtlinie zu bestimmen, und es ist insbesondere zu prüfen, ob ihre Bestimmungen den Mitgliedstaaten im Fall einer Verletzung des Diskriminierungsverbots einen Ermessenspielraum für die Bestimmung von Art und Inhalt der zu verhängenden Sanktionen belassen“; im Verbrauchervertragsrecht EuGH 10.4.2008, Rs. C-412/06, Slg. 2008, I-2383 Rn. 39 – Hamilton; EuGH 17.12.2009, Rs. C-227/08, Slg. 2009, I-11939 Rn. 32, 34 – Eva Martín Martín. 19 Nunmehr findet sich in Art. 10 RL 2011/83 eine ausdrückliche Regelung zu den Konsequenzen einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung. 20 EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 95, 100 f. – Schulte. 21 EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 102 – Schulte: „Sache der nationalen Gerichte, die nationale Regelung so weit wie möglich auszulegen, dass das in Randnummer 101 […] genannte Ergebnis erzielt wird“; Möllers/ Grassl VuR 2010, 3, 6. Bemerkenswert ist allerdings der Hinweis in EuGH 10.4.2008, Rs. C-412/06, Slg. 2008, I-2383 Rn. 38 – Hamilton: „Dazu [zu Art. 4 Satz 4 RL 85/577] ist darauf zu verweisen, dass der in Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie über Haustürgeschäfte verwendete Ausdruck ‚geeignete Maßnahmen zum Schutz des Verbrauchers‘ darauf hindeutet, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber diesen Maßnahmen einheitliche Tragweite auf Ge17
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tiven Lösungen (verbundenes Geschäfts mit Erstreckung der Widerrufsfolgen auf den Immobilienerwerb22 oder die Argumentation, der Verbraucher habe die direkt an den Immobilienveräußerer ausgezahlte Darlehensvaluta nie erhalten23) verworfen oder nicht als unionsrechtlich geboten angesehen wurden. Indes ist die Begründung eher schmal. Der EuGH verwies lediglich auf den Umstand, dass, sofern eine rechtzeitige Widerrufsbelehrung erfolgt wäre, der Verbraucher sieben Tage Zeit gehabt hätte, sich vom Darlehensvertrag zu lösen, und dass infolge der engen Beziehung dann auch der Immobilienkaufvertrag nicht zustande gekommen wäre.24 Da es der Verbraucher aber bei rechtzeitiger Widerrufsbelehrung hätte vermeiden können, sich den Risiken des Immobilienerwerbs auszusetzen, „verpflichtet die Richtlinie die Mitgliedstaaten, geeignete Maßnahmen zu treffen, damit nicht der Verbraucher, sondern das Kreditinstitut die Folgen der Verwirklichung derartiger Risiken zu tragen hat“.25 Letztlich fußt die Begründung damit auf der Verpflichtung auf geeignete Maßnahmen zum Schutz der Verbraucher und damit auf dem Effektivitätsgrundsatz, ohne dessen Kriterien näher zu entfalten. Auch in den späteren Entscheidungen zu verbrauchervertraglichen Informationspflichten neigt der Gerichtshof deutlich zum Individualschutz 26 und zur Qualifikation als individuelle Ansprüche der Verbraucher, die konsequenterweise auch durch individuelle (zivilrechtliche) Rechtsbehelfe zu bewehren sind (dazu § 5 I 2 c → S. 272). Für eine solche Sichtweise spricht nicht nur die Ausgestaltung der Informationspflichten als (weitgehend) zwingender Bestandteil der Verbraucherverträge (Art. 6 Abs. 5 RL 2011/83), sondern vor meinschaftsebene beimessen wollte.“ In der nächsten Randnummer (Rn. 39) verweist der EuGH allerdings auf das „Ermessen, über das die Mitgliedstaaten verfügen“, so dass offenbar nur eine Einheitlichkeit im Ergebnis, nicht aber in der dogmatischen Konstruktion gefordert ist; siehe auch EuGH 17.12.2009, Rs. C-227/08, Slg. 2009, I-11939 Rn. 34 f. – Eva Martín Martín (auch Nichtigkeit des Vertrages bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung „geeignet“ i. S. v Art. 4 Satz 4 RL 85/577, wenn Verbraucherinteressen an Vertragsfortbestand berücksichtigt werden). 22 EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 80 – Schulte. 23 EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 85 – Schulte. 24 EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 96 f. – Schulte. 25 EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 99 f. – Schulte. 26 Vgl. EuGH 10.5.2001, Rs. C-144/99, Slg. 2001, I-3541 Rn. 18 – Kommission/ Niederlande; EuGH 7.5.2002, Rs. C-478/99, Slg. 2002, I-4147 Rn. 18 – Kommission/ Schweden; EuGH 4.6.2009, Rs. C-243/08, Slg. 2009, I-4713 Rn. 21 – Pannon. Zur alten Haustürwiderrufsrichtlinie 85/577 siehe auch EuGH 14.7.1994, Rs. C-91/92, Slg. 1994, I-3325 Rn. 28 – Faccini Dori; zur alten Pauschalreiserichtlinie 90/314 EuGH 8.10.1996, verb. Rs. C-178/94, C-179/94, C-188/94, C-189/94 und C-190/94, Slg. 1996, I-4845 Rn. 33–46 – Dillenkofer. Siehe auch Erwägungsgrund 27 Satz 1 RL 2008/48 und Erwägungsgrund 10 Satz 1 RL 2008/122; ferner Erwägungsgrund 38 RL 2008/48, dazu EuGH 4.10.2007, Rs. C-429/05, Slg. 2007, I-8017 Rn. 46 ff. – Rampion.
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allem auch ihr Zweck, dem Verbraucher alle Informationen zu vermitteln, „die zur ordnungsgemäßen Vertragserfüllung und vor allem zur Ausübung seiner Verbraucherrechte […] erforderlich sind“.27 Es geht bei den Informationspflichten um den „Schutz der Verbraucher“28 mit dem Ziel, „ein hohes Verbraucherschutzniveau zu erreichen und damit zum ordnungsgemäßen Funktionieren des Binnenmarktes beizutragen“ (Art. 1 RL 2011/83).29 Für eine Durchsetzbarkeit der Informationspflichten mittels individueller Ansprüche der Verbraucher in Zivilverfahren spricht ferner, dass der Effektivitätsgrundsatz die nationalen Gerichte nach der Rechtsprechung des EuGH dazu verpflichtet, „von Amts wegen die Einhaltung der […] Informationspflicht zu prüfen“30 und dass eine Überwälzung der Beweislast für den Nachweis der Beachtung der Informationspflichten auf den Verbraucher gegen das Effektivitätsgebot verstößt.31 Wenn es sich bei den Informationspflichten nicht um individuelle Ansprüche der Verbraucher handeln würde, die durch privatrechtliche Rechtsbehelfe durchsetzbar sein müssen, so wäre es kaum verständlich, weshalb der Effektivitätsgrundsatz Vorgaben für ihre Durchsetzung im Zivilverfahren machen sollte. Auch außerhalb der Informationspflichten und der Belehrungsmängelhaftung hat der Gerichtshof in Le Crédit Lyonnais der Verpflichtung zur Bonitätsprüfung vor Kreditvergabe nach Art. 8 RL 2008/48 unlängst individual-
27 EuGH 5.7.2012, Rs. C-49/11, ECLI:EU:C:2012:419 Rn. 34 – Content Services (zu den Informationspflichten der E-Commerce-Richtlinie 2000/31); ähnlich EuGH 21.4.2016, Rs. C-377/14, ECLI:EU:C:2016:283 Rn. 64 – Radlinger (zu den Informationspflichten der Verbraucherdarlehensrichtlinie 2008/48). 28 EuGH 5.7.2012, Rs. C-49/11, ECLI:EU:C:2012:419 Rn. 34 – Content Services (zu den Informationspflichten der E-Commerce-Richtlinie 2000/31). Zu ähnlichen Schutzzwecken der Informationspflichten der Verbraucherkreditrichtlinie EuGH 23.3.2000, Rs. C208/08, Slg. 2000, I-1741 Rn. 21 – Berliner Kindl; EuGH 4.3.2004, Rs. C-264/02, Slg. 2004, I-2157 Rn. 26 – Sylvain Sachithanathan; zur neuen Verbraucherdarlehensrichtlinie 2008/48 EuGH 21.4.2016, Rs. C-377/14, ECLI:EU:C:2016:283 Rn. 61, 63 – Radlinger; zu Art. 5 E-Commerce-Richtlinie 2000/31 EuGH 16.10.2008, Rs. C-298/07, Slg. 2008, I-7841 Rn. 23 – deutsche internet versicherung. 29 Ähnliche Zielvorgaben finden sich in Erwägungsgrund 3 Satz 2 Finanzdienstleistungsfernabsatzrichtlinie 2002/65: „hohes Verbraucherschutzniveau“; Art. 1 Abs. 1 Timesharingrichtlinie 2008/122: „Erreichen eines hohen Verbraucherschutzniveaus“; etwas vorsichtiger Erwägungsgrund 8 VerbraucherkreditRL 2008/48: „ausreichendes Verbraucherschutzniveau“. Allerdings gelten für den Verbraucherschutz unter der Haustürrichtlinie 85/ 577 nach EuGH 10.4.2008, Rs. C-412/06, Slg. 2008, I-2383 Rn. 40 – Hamilton auch „bestimmte Grenzen“. 30 EuGH 21.4.2016, Rs. C-377/14, ECLI:EU:C:2016:283 Rn. 74, 60 ff. – Radlinger. 31 EuGH 18.12.2014, Rs. C-449/13, ECLI:EU:C:2014:2464 Rn. 27 ff. – CA Consumer Finance.
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verbraucherschützende Wirkungen zugesprochen.32 Noch bemerkenswerter sind in dieser Entscheidung allerdings die Ausführungen des Gerichtshofs zum Erfordernis der „verhältnismäßigen, wirksamen und abschreckenden Sanktionen“ gemäß Art. 23 RL 2008/48, das sich in vergleichbarer Form in allen Richtlinien findet oder durch den Effektivitätsgrundsatz hineinzulesen ist.33 Dazu stellte der Gerichtshof fest, dass „unter Berücksichtigung der […] Bedeutung des Ziels des Verbraucherschutzes“ eine Sanktion „nicht als wirklich abschreckend angesehen werden [kann], wenn das vorlegende Gericht […] feststellen sollte, dass in einem Fall […] die an den Kreditgeber infolge der Anwendung dieser Sanktion zu zahlenden Beträge nicht wesentlich geringer sind als diejenigen, die ihm zustünden, wenn er der genannten Verpflichtung nachgekommen wäre“.34
Sofern nämlich die (im Fall in Rede stehende) „Sanktion der Verwirkung des Zinsanspruchs […] dadurch, dass die Anwendung von Zinsen zum erhöhten gesetzlichen Zinssatz ihre Wirkungen ausgleichen kann, abgeschwächt oder sogar ganz zunichtegemacht werden, hieße dies zwangsläufig, dass diese Sanktion nicht wirklich abschreckend ist“.35
Diese Passagen der Entscheidung Le Crédit Lyonnais sprechen zwar nicht ausdrücklich von einer Verpflichtung auf zivilrechtliche Rechtsbehelfe oder gar einem Schadensersatzanspruch. Sie legen allerdings nahe, dass nationale Sanktionsvorschriften sicherstellen müssen, dass „die an den Kreditgeber […] zu zahlenden Beträge wesentlich geringer sind als diejenigen, die ihm zustünden, wenn er der genannten [unionsrechtlichen] Verpflichtung nachgekommen wäre“. Dieses Ergebnis dürfte allein mit aufsichtsrechtlichen Instrumenten kaum zu erreichen sein, weil nur zivilrechtliche Instrumente die zwischen den Parteien bestehenden Pflichten („zu zahlende Beträge wesentlich geringer sind“) beeinflussen können.36 In Richtung auf eine zivilrechtliche Sanktion mag man auch den letzten Hinweis verstehen, wonach ein Gericht bei unzureichender Sanktionierung in einem „Rechtsstreit ausschließlich zwischen Privatpersonen“ EuGH 27.3.2014, Rs. C-565/12, ECLI:EU:C:2014:190 Rn. 42 f. – LCL Le Crédit Lyonnais; a. A. Herresthal EuZW 2014, 497, 499; Franck Marktordnung durch Haftung (2016) S. 285 f. 33 Dazu oben § 1 II 2 b bb → S. 38. 34 EuGH 27.3.2014, Rs. C-565/12, ECLI:EU:C:2014:190 Rn. 52 – LCL Le Crédit Lyonnais. 35 EuGH 27.3.2014, Rs. C-565/12, ECLI:EU:C:2014:190 Rn. 53 – LCL Le Crédit Lyonnais. 36 Allenfalls mag man an eine aufsichtsrechtliche Gewinnabschöpfung denken, durch deren Eingreifen der Rechtsverletzer im Gesamtergebnis schlechter steht, als wenn er sich rechtstreu verhalten hätte. Indes müsste dies weitgehend flächendeckend gewährleistet sein, was einen erheblichen bürokratischen Aufwand bedeutet und die Aufsichtsbehörden absehbar überfordert. 32
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
„bei der Anwendung der Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts das gesamte nationale Recht berücksichtigen und es so weit wie möglich anhand von Wortlaut und Zweck der einschlägigen Richtlinie auslegen muss, um zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel vereinbar ist“.37
Diese richtlinienkonforme Auslegung kann nur auf eine richtlinienkonforme Auslegung des Zivilrechts zielen. Zusammenfassend lässt sich im Verbrauchervertragsrecht in den Bereichen Belehrungsmängelhaftung, Informationspflichtverletzung und Verletzung der Pflicht zur Kreditwürdigkeitsprüfung eine Verpflichtung der nationalen Gerichte zur Durchsetzung des Unionsrechts auch mittels privatrechtlicher Ansprüche ausmachen. Diese Verpflichtung wurde zunächst nur durch einen allgemeinen Hinweis auf das Effektivitätsgebot begründet. In jüngeren Entscheidungen tritt die Verbindung zum Schutzzweck der Primärpflicht (Verbraucherschutz) und der Gedanke hervor, dass abschreckende mitgliedstaatliche Sanktionen zur Folge haben müssen, dass die an den unionsrechtswidrig Handelnden „zu zahlenden Beträge wesentlich geringer sind als diejenigen, die ihm zustünden, wenn er der [unionsrechtlichen] Verpflichtung nachgekommen wäre“. bb) Antidiskriminierungsrecht Aufschlussreich ist auch die Judikatur zum Antidiskriminierungsrecht. Zwar hat der Gesetzgeber den Schadensersatzanspruch bei Geschlechterdiskriminierung mittlerweile im Sekundärrecht (Art. 8 Abs. 2 RL 2004/113, Art. 18 RL 2006/54, Art. 10 RL 2010/41) ausdrücklich verankert. Indes gehen diese Vorschriften zurück auf die Rechtsprechung des EuGH zum ursprünglichen Text des Art. 6 RL 76/207,38 der sich lediglich auf eine allgemeine Garantie gerichtlichen Rechtsschutzes beschränkte.39 Aus dieser Garantie leitete der Gerichtshof ab, dass grundsätzlich jeder, der durch die Richtlinien berechtigt wird, die Möglichkeit haben muss, seine Rechte tatsächlich gerichtlich geltend zu machen, wobei die Maßnahmen zur Rechtsdurchsetzung „wirksam, abschreckend und verhältnismäßig“40 sein müssen.41 37 EuGH 27.3.2014, Rs. C-565/12, ECLI:EU:C:2014:190 Rn. 54 – LCL Le Crédit Lyonnais. 38 Siehe bereits Teil 1 – Fn. 57; EuGH 17.12.2015, Rs. C-407/14, ECLI:EU:C:2015: 831 Rn. 28 – Camacho. 39 „Die Mitgliedstaaten erlassen die innerstaatlichen Vorschriften, die notwendig sind, damit jeder, der sich wegen Nichtanwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung im Sinne der Artikel 3, 4 und 5 auf seine Person für beschwert hält, nach etwaiger Befassung anderer zuständiger Stellen seine Rechte gerichtlich geltend machen kann.“ 40 Dazu bereits oben § 1 II 2 b bb → S. 38. 41 EuGH 10.4.1984, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 Rn. 23 – von Colson und Kamann; EuGH 2.8.1993, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367 Rn. 22, 24 – Marshall II; EuGH 11.10.2007, Rs. C-460/06, Slg. 2007, I-8511 Rn. 45 – Paquay: „Diese Maßnahmen müssen somit einen
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Aus dem vergleichsweise allgemeinen Normtext des Art. 6 RL 76/207 folgerte der Gerichtshof zunächst in von Colson und Kamann, dass zu den hinreichend wirksamen Maßnahmen bei einer Diskriminierung im Einstellungsverfahren „zum Beispiel Vorschriften gehören [könnten], die den Arbeitgeber zur Einstellung des diskriminierten Bewerbers verpflichten oder eine angemessene finanzielle Entschädigung gewähren und die gegebenenfalls durch eine Bußgeldregelung verstärkt werden“.42
Auch wenn der EuGH in von Colson und Kamann die Wahlfreiheit der Mitgliedstaaten betont, so deuten die beispielhaft genannten Maßnahmen Einstellung oder finanzielle Entschädigung an, dass dem Gerichtshof – zumindest für den Fall der Diskriminierung im Einstellungsverfahren – entweder der Primärrechtsschutz (Einstellung)43 oder eine „im Verhältnis zum erlittenen Schaden angemessene“44 und nicht nur symbolische finanzielle Kompensation vorschwebt, während das Bußgeld nur als „verstärkendes“ Element erwähnt wird.45 Die Verdichtung der unionsrechtlich gebotenen Sanktion auf die Wahl zwischen Primärrechtsschutz (etwa Einstellung des rechtswidrig abgewiesenen Bewerbers oder Unwirksamkeit einer gleichheitswidrigen Kündigung) und Schadensersatz46 bestätigte sich in der Rechtssache Marshall II. Auch hier betont der Gerichtshof eingangs die Wahlfreiheit der Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung der Sanktionen und „die Berücksichtigung der Besonder-
tatsächlichen und wirksamen Rechtsschutz gewährleisten und eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber haben.“ 42 EuGH 10.4.1984, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 Rn. 18 – von Colson und Kamann. 43 Nach deutschem Verständnis ließe sich die Einstellung auch als schadensersatzrechtliche Lösung (Naturalrestitution) begreifen. Dennoch handelt es sich um eine Art „Primärrechtsschutz“, weil das unmittelbare Anliegen der Klägerin umgesetzt und sie nicht lediglich auf finanzielle Kompensation verwiesen wird. Deutlich wird dies bei der Variante einer gleichheitswidrigen Entlassung: Hier wäre auch die Unwirksamkeit der Kündigung, die zur (Wieder-)Einstellung führt, eine angemessene Sanktion, die sich nach deutschem Recht wohl nicht mehr schadensersatzrechtlich konstruieren ließe. 44 EuGH 10.4.1984, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 Rn. 18, 23, 28 – von Colson und Kamann. 45 EuGH 10.4.1984, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 Rn. 18 – von Colson und Kamann: „gegebenenfalls durch eine Bußgeldregelung verstärkt werden“. 46 Basedow ZEuP 2008, 230, 239: „rein öffentlich-rechtliche Umsetzung der Diskriminierungsrichtlinien ausgeschlossen“; Lüttringhaus Grenzüberschreitender Diskriminierungsschutz – Das internationale Privatrecht der Antidiskriminierung (2010) S. 58: „liegt es im Interesse der einheitlichen Struktur des europäischen Diskriminierungsschutzes, privatrechtliche Ersatzansprüche als ein notwendiges Element des gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsschutzes anzusehen“; Grünberger Personale Gleichheit (2013) S. 717: „ausschließliche Sanktionierung über Straf- oder Bußgeldvorschriften nicht unionsrechtskonform“.
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heiten jedes einzelnen Falles einer Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes“.47 Sogleich im Anschluss macht er aber klar, dass das Richtlinienziel der Schaffung tatsächlicher Chancengleichheit nicht erreicht wird, „wenn Maßnahmen fehlten, durch die diese Gleichheit wiederhergestellt werden kann, falls sie nicht gewahrt ist“.48 Die Formulierung „wiederhergestellt“ deutet erneut in die Richtung der Alternativen Primärrechtsschutz oder finanzielle Kompensation, was der EuGH sodann für den Fall einer gleichheitswidrigen Entlassung bestätigt: Die „Gleichheit [kann] ohne Wiedereinstellung der diskriminierten Person oder aber finanzielle Wiedergutmachung des entstandenen Schadens nicht wiederhergestellt werden“,49 so dass sich die beiden Lösungen Wiedereinstellung oder Schadensersatz zumindest für den Fall richtlinienwidriger Entlassungen zu abschließenden Alternativen verdichten.50 In diese Richtung weist auch die Rechtssache Pontin, in der der EuGH für den Fall, dass sich die Wiedereinstellungsklage (Primärrechtsschutz) aufgrund zu kurzer nationaler Klagefristen nicht als effektiver Rechtsbehelf einer gekündigten schwangeren Arbeitnehmerin erweist, den Ausschluss einer Schadensersatzklage durch das nationale Recht als mit Art. 2 i. V. m. Art. 3 RL 76/207 unvereinbar ansieht.51 EuGH 2.8.1993, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367 Rn. 23, 25 – Marshall II. EuGH 2.8.1993, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367 Rn. 24 – Marshall II; EuGH 11.10.2007, Rs. C-460/06, Slg. 2007, I-8511 Rn. 45 – Paquay: „Das Ziel ist jedoch die Schaffung tatsächlicher Chancengleichheit, und dieses würde nicht erreicht, wenn Maßnahmen fehlten, durch die diese Gleichheit wiederhergestellt werden kann, falls sie nicht gewahrt ist.“ 49 EuGH 2.8.1993, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367 Rn. 25 – Marshall II; bestätigt durch EuGH 17.12.2015, Rs. C-407/14, ECLI:EU:C:2015:831 Rn. 32 – Camacho. 50 Ähnlich zu den Sanktionen für Missbrauch befristeter Arbeitsverträge Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar vom 17.7.2014, verb. Rs. C-22/13, C-61/13 bis C-63/13 und C-418/13, ECLI:EU:C:2014:2103 Rn. 85 – Mascolo: „Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs muss jedoch, wenn es zu einem missbräuchlichen Einsatz aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge gekommen ist, die Möglichkeit bestehen, eine Maßnahme anzuwenden, die effektive und gleichwertige Garantien für den Schutz der Arbeitnehmer bietet, um diesen Missbrauch angemessen zu ahnden und die Folgen des Verstoßes gegen das Unionsrecht zu beseitigen. Nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 1999/70 haben die Mitgliedstaaten nämlich ‚alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, um jederzeit gewährleisten zu können, dass die durch die Richtlinie vorgeschriebenen Ergebnisse erzielt werden‘, sei es durch Umwandlung dieser Beschäftigungsverhältnisse in unbefristete Arbeitsverträge oder durch Gewährung von Schadensersatz.“ 51 EuGH 29.10.2009, Rs. C-63/08, Slg. 2009, I-10467 Rn. 76 – Pontin; siehe auch EuGH 8.11.1990, Rs. C-177/88, Slg. 1988, I-3941 Rn. 24 – Dekker, wo der EuGH von der „Haftung eines Arbeitgebers für Verstöße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung“ spricht, was ebenfalls in Richtung zivilrechtlicher Ansprüche weist. Demgegenüber folgert BGH 17.9.2013, XI ZR 332/12, BKR 2014, 32 Rn. 29 aus Rn. 25 der Dekker-Entscheidung (dort heißt es: „Daraus folgt, daß dann, wenn sich ein Mitgliedstaat für eine Sanktion entscheidet, die sich in den Rahmen einer Regelung über die zivilrechtliche Haftung des 47 48
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Einen anderen Akzent ergänzt die Rechtssache Feryn, in der eine belgische Stelle zur Förderung der Gleichbehandlung Herrn Feryn als Direktor einer Monteursfirma wegen einer öffentlichen Äußerung in Anspruch genommen hatte. Herr Feryn hatte erklärt, dass sein Betrieb grundsätzlich Monteure einstellen wolle, aber keine Menschen fremder Herkunft beschäftigen könne, da die Kunden Bedenken hätten, ihnen für die Dauer der Arbeiten Zugang zu ihren Privatwohnungen zu gewähren.52 Da nicht nachgewiesen werden konnte, dass sich eine Person für eine Stelle beworben hatte und sie aufgrund ihrer ethnischen Herkunft nicht eingestellt worden wäre, war unklar, ob unter diesen Voraussetzungen eine unmittelbare Diskriminierung i. S. d. Art. 2 der Richtlinie 2000/43 vorliegt, wie die Beweislastumkehr in dieser Konstellation zu handhaben ist und welche Sanktionen angemessen sind. Die Rechtssache Feryn unterscheidet sich damit von der Rechtsprechung seit von Colson und Kamann dadurch, dass sich die Diskriminierung nicht auf das Geschlecht, sondern die ethnische Herkunft bezieht und vor allem dadurch, dass es kein unmittelbar identifizierbares Opfer dieser Diskriminierung gibt. Ausgangspunkt für die Antwort des EuGH in Feryn war erneut die allgemeine Sanktionenklausel des Art. 15 RL 2000/43, wonach die Mitgliedstaaten „die Sanktionen [festlegen], die bei einem Verstoß gegen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Anwendung dieser Richtlinie zu verhängen sind“, zugleich aber gewährleisten müssen, dass diese „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sind, wobei sie „auch Schadensersatzleistungen an die Opfer umfassen können“. Zudem müssten die Rechtsbehelfe „vor den nationalen Gerichten tatsächlich geltend gemacht werden können, damit der gerichtliche Arbeitgebers einfügt, jeder Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot für sich genommen ausreichen muß, um die volle Haftung seines Urhebers auszulösen, ohne daß die im nationalen Recht vorgesehenen Rechtfertigungsgründe berücksichtigt werden können.“) und Rn. 27 der Draehmpaehl-Entscheidung (EuGH 22.4.1997, C-180/95, Slg. 1997, I-2195 – Draehmpaehl ), dass „der EuGH Sanktionen in Form einer zivilrechtlichen Haftung allerdings selbst dann nicht zwingend [verlangt], wenn – anders als hier wegen der Nichtgewährung subjektiver Rechte des Anlegers durch die Finanzmarkt- und Durchführungs – das Rechtsverhältnis zweier privater Personen betroffen ist.“ Mir hat sich nicht erschlossen, weshalb der explizite Hinweis auf eine „Regelung über die zivilrechtliche Haftung“ in Dekker nicht im Gegenteil für die grundsätzliche Garantie zivilrechtlicher Ansprüche zwischen Privaten durch den Effektivitätsgrundsatz spricht. 52 Konkret lautete die Äußerung: „Ich muss mich nach den Forderungen meiner Kunden richten. Wenn sie sagen, ‚ich will dieses bestimmte Produkt oder ich will es so oder so ausgeführt haben‘, und wenn ich dann sage, ‚das mache ich nicht, ich schicke diese Leute doch vorbei‘, dann werden Sie mir sagen, ‚ich brauche diese Tür nicht unbedingt von Ihnen‘. Dann kann ich mein eigenes Geschäft schließen. Wir müssen den Forderungen unserer Kunden nachkommen. Es ist nicht mein Problem, ich habe dieses Problem in Belgien nicht verursacht. Ich will, dass die Firma läuft und dass wir am Jahresende unseren Umsatz erreichen, und wie schaffe ich das? Indem ich es so mache, wie der Kunde es will!“, EuGH 10.7.2008, Rs. C-54/07, Slg. 2008, I-5187 Rn. 18 – Feryn.
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Rechtsschutz effektiv und wirksam ist“.53 Der Gerichtshof stellte zunächst klar, dass diese Verpflichtung auch in Fällen gilt, in denen es kein unmittelbares Opfer einer Diskriminierung gibt, sondern eine kraft Gesetzes ermächtigte Einrichtung die Feststellung und Ahndung einer Diskriminierung beantragt.54 Als Beispiele für geeignete Sanktionen nannte der Gerichtshof die Feststellung der Diskriminierung durch ein Gericht oder eine zuständige Verwaltungsbehörde, verbunden mit einer adäquaten Veröffentlichung auf Kosten des Beklagten, die Anordnung der Unterlassung der diskriminierenden Praxis, gegebenenfalls verbunden mit einem Zwangsgeld, oder das Zusprechen von Schadensersatz an die Einrichtung, die das Verfahren bestritten hat.55 Die Linie in Feryn hat der EuGH unlängst in Accept bestätigt, wo es um die Äußerung eines in der Öffentlichkeit als Hauptgeschäftsführer wahrgenommenen Aktionärs56 des FC Steaua Bukarest ging, der erklärte, er werde eher auf einen Nachwuchsfußballer zurückgreifen, als einen als homosexuell dargestellten Profifußballer einzustellen. Zu der im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens zum Gerichtshof gelangten Beschwerde einer rumänischen Nichtregierungsorganisation zum Schutz der Rechte lesbischer, schwuler, bi- und transsexueller Personen, die offenbar nicht auf Schadensersatz, sondern auf die Verhängung einer öffentlich-rechtlichen Sanktion gerichtet war, bekräftigte der EuGH zunächst, dass eine unmittelbare Diskriminierung i. S. v. Art. 2 Abs. 2 lit. a RL 2000/78 nicht voraussetzt, dass eine beschwerte Person identifizierbar ist,57 und dass die Richtlinie den Mitgliedstaaten gestattet, Verbänden ein Klagerecht nach der Richtlinie einzuräumen, auch wenn sie nicht im Namen einer bestimmten beschwerten Person handeln.58 Weiter bekräftigte der Gerichtshof, dass die Verpflichtung auf „wirksame, verhältnismäßige und abschreckende“ Sanktionen auch für Klagen von Verbänden ohne identifizierbares Opfer gilt, so dass die nationalen Vorschriften einen „tatsächlichen und wirksamen rechtlichen Schutz der aus der Richtlinie hergeleiteten Rechte gewährleisten“ müssen.59 Die Härte der Sanktionen muss „der Schwere der mit ihnen geahndeten Verstöße entsprechen, indem sie insbesondere eine wirklich abschreckende Wirkung gewährleistet […], zuEuGH 10.7.2008, Rs. C-54/07, Slg. 2008, I-5187 Rn. 37 – Feryn. EuGH 10.7.2008, Rs. C-54/07, Slg. 2008, I-5187 Rn. 38 – Feryn. 55 EuGH 10.7.2008, Rs. C-54/07, Slg. 2008, I-5187 Rn. 39 – Feryn. 56 Trotz der möglicherweise fehlenden tatsächlichen Geschäftsführerstellung hat der Gerichtshof in diesen Äußerungen Anhaltspunkte für den Anschein einer Diskriminierung gesehen, EuGH 25.4.2013, Rs. C-81/12, ECLI:EU:C:2013:275 Rn. 40 ff., 53 – Accept. 57 EuGH 25.4.2013, Rs. C-81/12, ECLI:EU:C:2013:275 Rn. 36 – Accept mit Verweis auf EuGH 10.7.2008, Rs. C-54/07, Slg. 2008, I-5187 Rn. 23 ff. – Feryn. 58 EuGH 25.4.2013, Rs. C-81/12, ECLI:EU:C:2013:275 Rn. 37 – Accept mit Verweis auf EuGH 10.7.2008, Rs. C-54/07, Slg. 2008, I-5187 Rn. 27 – Feryn. 59 EuGH 25.4.2013, Rs. C-81/12, ECLI:EU:C:2013:275 Rn. 62 f. – Accept mit Verweis auf EuGH 10.7.2008, Rs. C-54/07, Slg. 2008, I-5187 Rn. 38, 40 – Feryn. 53 54
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gleich aber den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ wahrt60; unzureichend sind rein symbolische Sanktionen.61 Aus zivilrechtlicher Perspektive ist Accept bemerkenswert, weil der EuGH eine nicht-monetäre (öffentlich-rechtliche) Sanktion wie eine Verwarnung dann als nicht nur symbolisch ansieht, wenn „sie mit einem angemessenen Grad an Öffentlichkeit verbunden ist und wenn sie im Rahmen etwaiger zivilrechtlicher Haftungsklagen den Beweis einer Diskriminierung im Sinne der Richtlinie erleichtern würde“.62 Diese Bemerkung mag man als weitere Bestätigung sehen, dass ein rein öffentlich-rechtliches Sanktionensystem nicht als effektivitätskonform anzusehen ist, solange es nicht durch die Möglichkeit zivilrechtlicher Haftungsklagen flankiert ist. Aus der Entscheidung Feryn und den Ergänzungen in Accept lässt sich folgern, dass der Gerichtshof an seiner Linie aus Marshall II festhält, denn die vorgeschlagenen Sanktionen entsprechen der Alternative von Primärrechtsschutz (Unterlassungsanordnung in Feryn, Einstellung in Marshall II) und Schadensersatz.63 Feryn ist darüber hinaus bemerkenswert, weil der Schadensersatz zugunsten der klagenden Einrichtung erwähnt wird, obwohl es kein unmittelbares Opfer der Diskriminierung gibt, so dass der Kompensationsgedanke diesen Anspruch kaum begründen kann. Accept wiederum stellt klar, dass eine bloße öffentlich-rechtliche Verwarnung nur dann hinreichend wirksam ist, wenn sie im Rahmen zivilrechtlicher Haftungsklagen den Diskriminierungsnachweis erleichtert, was erneut die Bedeutung des Zivilrechtsschutzes unterstreicht. Zusammenfassend lässt sich zum Antidiskriminierungsrecht festhalten, dass der Gerichtshof die in der ursprünglichen Richtlinie 76/207 vorgesehene allgemeine Garantie wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes (Art. 6 RL 76/ 207) auf eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zu einer Gewährleistung entweder hinreichend wirksamen zivilen Primärrechtsschutzes (z. B. zur Feststellung der Unwirksamkeit einer Kündigung) oder hinreichend wirksamer und abschreckender privater Schadensersatzansprüche verdichtet hat.
EuGH 25.4.2013, Rs. C-81/12, ECLI:EU:C:2013:275 Rn. 63 – Accept. EuGH 25.4.2013, Rs. C-81/12, ECLI:EU:C:2013:275 Rn. 64 – Accept. 62 EuGH 25.4.2013, Rs. C-81/12, ECLI:EU:C:2013:275 Rn. 68 – Accept. 63 Die Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro vom 12.3.2008, Rs. C-54/07, Slg. 2008, I-5187 Rn. 28 – Feryn hatten nur das „Verbot eines solchen Verhaltens“ genannt. Zum Erfordernis der Anwendung der „innerstaatlichen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der außervertraglichen Haftung“ siehe auch EuGH 17.7.2008, Rs. C-94/07, Slg. 2008, I-5939 Rn. 51 – Raccanelli (zum Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 45 AEUV). 60 61
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cc) Ergebnis Insgesamt ist festzuhalten, dass auch bei Richtlinien die Existenz von Schadensersatzansprüchen infolge des Effektivitätsgrundsatzes geboten ist, wenn das Ziel der Richtlinie (tatsächliche Chancengleichheit oder Schutz des Verbrauchers) nicht erreicht werden kann, ohne dass durch zivilrechtliche Schadensersatzansprüche der von der Richtlinie angestrebte Zustand „wiederhergestellt“ wird.64 Auch Aspekte wie eine (in der Richtlinie vorgesehene oder allgemeine) Rechtsschutzgarantie durch nationale Gerichte, die Beeinträchtigung64 der praktischen Wirksamkeit der (Zwecke der) verletzten Primärnorm bei Nichtdurchsetzung durch Schadensersatzansprüche und die Verbesserung der Durchsetzung der Primärnorm bei Zubilligung von Schadensersatzansprüchen bzw. das Fehlen einer abschreckenden Wirkung ohne Verschlechterung der finanziellen Situation des Rechtsverletzers gegenüber seiner Situation bei Wahrung des Unionsrechts sind Gedanken, die sowohl bei der Durchsetzung von Primärrecht, von Verordnungen und von Richtlinien aufscheinen.
64 Zur Haftung für unterlassene Umweltverträglichkeitsprüfung siehe auch EuGH 14.3.2013, Rs. C-420/11, ECLI:EU:C:2013:166 Rn. 37 – Leth. Wegen der Abhängigkeit privater Rechtsbehelfe vom Ziel der betreffenden Richtlinie kann in dieser Arbeit nicht vertieft werden, ob sich aus den kapitalmarktrechtlichen Richtlinien ebenfalls eine Verpflichtung auf privatrechtliche Rechtsbehelfe oder gar individuelle Schadensersatzansprüche ergibt, zurückhaltend Furrer/Körner in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 233, 235 f.; zur Marktmissbrauchsrichtlinie 2003/6 Klöhn in: Kalss/Fleischer/Voigt (Hrsg.) Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2013 (2014) 229, 248 f. Mit Blick auf die Erfahrungen in anderen Rechtsgebieten zweifelt Hellgardt AG 2012, 154, 155 ff. an dem bisher sehr zurückhaltenden Befund des kapitalmarktrechtlichen Schrifttums; offener nun auch Veil in: Veil (Hrsg.) Europäisches Kapitalmarktrecht2 (2014) § 12 Rn. 35; Wundenberg ZGR 2015, 124, 135 f.; für Schadensersatzansprüche privater Anleger bei Informationspflichtverletzungen Einsele JZ 2014, 703, 711, 713; Poelzig JZ 2014, 256, 259 f; zur Marktmissbrauchsverordnung 596/2014 ebenso dies. ZGR 2015, 801, 816, 828; weitere Nachweise oben Teil 2 – Fn. 379. Zu weitgehend erscheint es, aus dem bloßen Hinweis auf den Effektivitätsgrundsatz in EuGH 30.5.2013, Rs. C-604/11, ECLI:EU:C:2013:344 Rn. 57 – Genil 48 SL zu folgern, dass auch das Ob vertraglicher oder individueller Ansprüche der Anleger im freien Ermessen der Mitgliedstaaten steht, denn dieses ist gerade durch den Effektivitätsgrundsatz beschränkt, so auch Einsele JZ 2014, 703, 713 Fn. 96, die darauf verweist, dass die Klägerinnen im Verfahren Genil 48 SL die Feststellung vertraglicher Nichtigkeit verlangten; gegen ein Entscheidung der Frage durch Genil 48 SL auch Poelzig JZ 2014, 256, 259. Gegen eine Verpflichtung auf individualrechtliche Ansprüche aus der Richtlinie 2004/39 oder dem Effektivitätsgrundsatz allerdings BGH 17.9.2013, XI ZR 332/12, BKR 2014, 32, 35 f. Rn. 26, 30 f.; zur Bedeutung privater Schadensersatzansprüche zur Durchsetzung kapitalmarktrechtlicher Informationspflichten aber auch EuGH 19.12.2013, Rs. C-174/12, ECLI:EU:C:2013:856 Rn. 43 – Hirmann.
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c) Gesamtergebnis aa) Regelvermutung der privaten Durchsetzbarkeit Zusammenfassend lässt sich die Judikatur damit sowohl bei Verstößen gegen Primärrecht oder Verordnungen wie bei Richtlinien auf drei übergreifende Kriterien zurückführen, nämlich die unmittelbare Wirkung der verletzten Primärnorm zwischen Privaten (dazu sogleich § 9 I 2 a → S. 518), die Anspruchsberechtigung des individuellen Anspruchstellers bzw. seine Einbeziehung in den Schutzzweck der betreffenden Vorschrift (dazu § 9 III → S. 555) und die Beeinträchtigung der praktischen Wirksamkeit der (Zwecke der) verletzten Primärnorm bei Nichtdurchsetzung durch Schadensersatzansprüche, oder, positiv formuliert, das Gebotensein eines Schadensersatzanspruchs zur effektiven Verwirklichung des Regelungszwecks der verletzten Primärpflicht (dazu sogleich § 9 I 2 c → S. 521).65 Letzteres dürfte, wie anhand der Kriterien der Effektivität und ihrer Grenzen (dazu § 9 I 3 → S. 524) zu zeigen sein wird, eher der Regel- als der Ausnahmefall sein, so dass die bisherige Formulierung des Regel (mitgliedstaatliche Wahlfreiheit der Sanktionen) – Ausnahme (sofern nicht Effektivität einen bestimmten Rechtsbehelf gebietet) – Verhältnisses umzukehren ist.66
65 Siehe auch Riesenhuber System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts (2003) S. 271 f.; ders. Europäisches Vertragsrecht2 (2006) Rn. 228: Verpflichteter muss hinreichend bestimmt sein (entspricht wohl der unmittelbaren Wirkung), gemeinschaftsrechtliche Regelung muss auch den Berechtigten hinreichend klar als individuell Geschützten benennen (dies ähnelt der Anspruchsberechtigung des individuellen Anspruchstellers, wobei diese bei Wettbewerbsdelikten nicht zwangsläufig anhand des Individualschutzes bestimmt werden kann, dazu auch Riesenhuber a. a. O. Rn. 230) und „die effektive Erfüllung des Regelungszwecks [muss] gerade die Anerkennung eines privatrechtlichen Rechts zwingend erfordern“. Letzteres sei im Vertragsrecht „regelmäßig“ (Rn. 231) der Fall. Ferner Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 11.16 f.: „horizontal direct effect“ und „whether the provisions of EU law in question actually confer rights on which a private party can rely in respect to another private party“ als Voraussetzungen privater Ansprüche, Rn. 11.18: „development towards the horizontalisation of substantive EU law“. Zur übergreifenden Kriterienbildung auch Klöhn in: Kalss/ Fleischer/Voigt (Hrsg.) Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2013 (2014) 229, 233: Frage der impliziten privaten Klagerechte mit Rücksicht auf „Sinn und Zweck der unionsrechtlichen Vorschrift“ und in Abhängigkeit vom jeweiligen Lebenssachverhalt zu beantworten („zu prüfen ist folglich, ob die private Rechtsdurchsetzung des Marktmanipulationsverbots spezifische Vorteile gegenüber dem staatlichen Rechtsvollzug bietet“). Allerdings ist für Klöhn letztlich entscheidend, „inwieweit private Schadensersatzklagen dem Marktmanipulationsverbot zu mehr Wirksamkeit verhelfen“ (236), was er anhand von rechtsökonomischen Kriterien untersucht und für die Marktmissbrauchsrichtlinie 2003/6 verneint (248 f.). 66 Ähnlich wie hier Hofmann NJW 2010, 1782, 1784 f., der aus dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz eine Verpflichtung zur (auch) zivilrechtlichen Sanktionierung der
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Eine solche Regelvermutung der privaten Durchsetzbarkeit des Unionsrechts lässt sich sowohl integrationsinstrumentell wie individualrechtsbezogen begründen: Zum einen erhöht die Existenz und Klagbarkeit privater Ansprüche durch die „Wachsamkeit der an der Wahrung ihrer Rechte interessierten Einzelnen“67 die Durchsetzung des Unionsrechts und befördert damit die gewünschte einheitliche und integrationsfördernde Wirkung des Unionsrechts. Zum anderen ist die Existenz und Klagbarkeit privater Ansprüche eine Freiheitsgarantie in einer rechtsstaatlich verfassten Ordnung, „[d]enn es kann nicht sein, dass eine Privatperson bei der Verwirklichung der ihr […] zustehenden Rechte allein vom guten Willen einer [behördlichen] Kontrollstelle zur Durchsetzung dieser Rechte abhängig ist“.68 bb) Keine grundsätzliche Ausnahme für Richtlinien Angesichts des sowohl integrationsinstrumentell wie individualrechtsbezogen zu rechtfertigenden Prinzips der privaten Durchsetzung des Unionsrechts, das für Richtlinien und Verordnungen gleichermaßen Geltung beansprucht, vermag auch eine Differenzierung bei der Existenz privater Klagerechte zwischen (umzusetzenden) Richtlinien und (unmittelbar wirksamen) Verordnungen oder Primärrechtsnormen nicht zu überzeugen.69 Zum einen hat die VerPflicht zur Bewertung der Kreditwürdigkeit im Verbraucherkreditrecht (Art. 8 RL 2008/ 48) ableitet; zum Kapitalmarktrecht Hellgardt AG 2012, 154, 157 f., 160 f. 67 EuGH 5.2.1963, Rs. 26/62, Slg. 1963, 3, 26 – van Gend & Loos. 68 Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 13.12.2001, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 60 – Muñoz. 69 Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 11.18; für den Fall der Umsetzung einer Richtlinie ebenso Poelzig JZ 2014, 256, 259: „Nach Umsetzung einer Richtlinie in nationales Recht ist aber die Frage, welche Maßnahmen die Mitgliedstaaten zur effektiven Durchsetzung ergreifen müssen und ob sie zur Einführung des private enforcement verpflichtet sind, nach denselben Kriterien zu beantworten wie im Falle unmittelbar geltenden Unionsrechts.“ Anders Franck Marktordnung durch Haftung (2016) S. 267: „In der mangelnden unmittelbaren Geltung von in Richtlinien gegossenen Verpflichtungen Privater liegt das Kriterium, das trotz der einengenden normativen Grundlage für die Anordnung hinreichend wirksamer Sanktionen (Art. 4 Abs. 3 EUV) hindert, die Aussagen des EuGH in ‚Courage/Crehan‘ und ‚Muñoz‘ auf die Durchsetzung von Richtlinienbestimmungen zu übertragen.“ Allerdings bezieht Franck Marktordnung durch Haftung (2016) S. 268 f., 298 diese Einschränkung nur auf in Richtlinien vorgegebene Pflichten Privater, während bei durch Richtlinien vorgegebenen Rechten Privater diese durch privatrechtliche Ansprüche umzusetzen seien. Zudem könne ein Schadensersatz im Einzelfall aus dem Äquivalenzgrundsatz folgen, Franck Marktordnung durch Haftung (2016) S. 269–272. In Richtung eines größeren Ermessensspielraums bei Richtlinien auch die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 6.9.2012, Rs. C-206/11, ECLI:EU: C:2012:543 Rn. 46 – Köck: „weiter Ausgestaltungsspielraum eingeräumt“, der „nur offensichtlich ungeeignete und unwirksame Maßnahmen“ ausschließt. Allerdings bezog sich dieses Verfahren auf die Richtlinie 2005/29, die explizit eine Alternativität zivilgerichtlicher und verwaltungsbehördlicher Rechtsdurchsetzung vorsieht, vgl. Art. 11 Abs. 1 Satz 2
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pflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung regelmäßig zur Folge, dass auch eine Richtlinie zumindest faktisch direkte Wirkung zwischen Privaten entfaltet70 und deshalb ebenso wie andere Regeln des Unionsrechts von der Durchsetzungsverpflichtung der mitgliedstaatlichen Gerichte gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV erfasst wird71 (näher § 1 II 2 e aa 1 → S. 54). Zum anderen zeichnet sich in der sektoriellen Binnenmarktregulierung in jüngerer Zeit ein Trend zum Übergang von der Rechtsharmonisierung durch Richtlinien zur Vereinheitlichung durch Verordnungen ab,72 ohne dass dadurch der materielle Kern der Unionsregeln geändert würde. Wenn nun aber Richtlinien in den meisten Fällen faktisch ebenso wie Verordnungen zwischen Privaten ihre Wirkung entfalten, der gleichen Durchsetzungsverpflichtung gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV unterliegen und der Unionsgesetzgeber offenbar in jüngerer Zeit vormals durch Richtlinien geregelte Bereiche in Verordnungen überführt, so überzeugt es nicht, im Rahmen der durch das materielle Kriterium der Effektivität gebotenen Existenz von Schadensersatzansprüchen anhand der Erlassform des Rechtsakts zu differenzieren. Vielmehr ist anhand einheitlich zu RL 2005/29 („und/oder“). Für größere Spielräume bei kapitalmarktrechtlichen Richtlinien als bei unmittelbar wirksamen Verordnungen auch Klöhn in: Kalss/Fleischer/Voigt (Hrsg.) Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2013 (2014) 229, 248; Wundenberg ZGR 2015, 124, 135 f. 70 Für ein Beispiel BGH 5.10.2010, I ZR 4/06, GRUR 2011, 532 Rn. 25 – MillionenChance II. Zu den Wirkungsweisen der richtlinienkonformen Auslegung Babusiaux Die richtlinienkonforme Auslegung im deutschen und französischen Zivilrecht (2007) S. 64 ff.: Korrekturwirkung, Sperrwirkung, Vorwirkung (Babusiaux selbst verneint aber eine faktisch unmittelbare Wirkung, a. a. O. S. 123 f.). 71 EuGH 10.4.1984, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 Rn. 26 – von Colson und Kamann; EuGH 13.11.1990, Rs. C-106/89, Slg. 1990, I-4135 Rn. 8 – Marleasing; EuGH (Große Kammer) 4.7.2006, Rs. C-212/04, Slg. 2006, I-6057 Rn. 111 – Adeneler: nationale Gerichte sind verpflichtet, „unter Berücksichtigung des gesamten nationalen Rechts und unter Anwendung ihrer Auslegungsmethoden alles [zu] tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit der fraglichen Richtlinie zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel übereinstimmt“; EuGH 10.3.2011, Rs. C-109/09, Slg. 2011, I-1309 Rn. 55 – Deutsche Lufthansa; EuGH (Große Kammer) 15.1.2014, Rs. C-176/12, ECLI:EU:C:2014:2 Rn. 38 – Association de médiation sociale. 72 Siehe etwa die Ablösung der Richtlinie 76/768 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel durch die Verordnung 1223/2009 über kosmetische Mittel, die Ablösung der Richtlinie 2000/13 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür durch die Verordnung 1169/2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel, die Ablösung der Richtlinie 2003/6 durch die Verordnung 596/2014 über Marktmissbrauch oder die Ablösung der Datenschutzrichtlinie 95/46 durch eine Datenschutz-Grundverordnung 2016/679. Siehe auch den Vorschlag für eine Verordnung über die Sicherheit von Verbraucherprodukten und zur Aufhebung der Richtlinie 87/357/EWG des Rates und der Richtlinie 2001/95/EG KOM(2013) 78.
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
definierender Voraussetzungen und Grenzen ungeschriebener Schadensersatzansprüche im Einzelfall zu prüfen, ob der Zweck des betreffenden Rechtsakts eine Durchsetzung durch private Schadensersatzansprüche gebietet (zur Problematik der unmittelbaren Wirkung bei Richtlinienrechten sogleich § 9 I 2 a → S. 518). 2. Voraussetzungen ungeschriebener Schadensersatzansprüche a) Unmittelbare Wirkung der verletzten Primärnorm Erste Voraussetzung für die Existenz eines Schadensersatzanspruchs ist, dass die verletzte Primärnorm des Unionsrechts unmittelbare Wirkung73 auch zwischen Privaten entfaltet.74 aa) Primärrecht und Verordnungen Dies ist bei hinreichend klaren, uneingeschränkten und vorbehaltlosen Bestimmungen des Primärrechts75 oder Verordnungen76 (Art. 288 Abs. 2 AEUV) der Fall (§ 1 II 2 e aa 1 → S. 54). Hier kann sich allenfalls die Frage stellen, ob auch der individuelle Anspruchsteller die betreffende Vorschrift durchsetzen kann, ob also auch der individuelle Kläger an der „personellen Reichweite des Individualberechtigung“77 teilhat (dazu § 9 III → S. 555). bb) Richtlinien Aber auch die im Unionsprivatrecht verbreiteteren Richtlinien können das Erfordernis der unmittelbaren Wirkung zumindest für die hier interessieren-
73 Zur Unterscheidung von unmittelbarer Geltung (Art. 288 Abs. 2 AEUV), unmittelbarer Anwendbarkeit (von hinreichend klaren und unbedingten Normen des Primärrechts) und unmittelbarer Wirkung (von Richtlinien) Reiling Zu individuellen Rechten im deutschen und Gemeinschaftsrecht (2004) S. 278 ff. Hier wird der Begriff der unmittelbaren Wirkung zwischen Privaten aus sprachlichen Gründen als Oberbegriff gewählt. 74 Zur Verknüpfung von unmittelbarer Wirkung und Effektivitätsgrundsatz bereits § 1 II 2 e aa 1 → S. 54 und EuGH 16.12.1976, Rs. 33/76, Slg. 1976, 1989 Rn. 5 – Rewe; ausdrücklich auch Arbetsdomstolen 2.12.2009, AD 2009:89, , wiedergegeben bei Rönnmar Industrial Law Journal 39 (2010) 280, 281 f.; zum Erfordernis der unmittelbaren Anwendbarkeit auch G. Wagner AcP 206 (2006) 352, 418; aus der öffentlich-rechtlichen Literatur etwa Hölscheidt EuR 2001, 376, 382 ff.; explizit zur zweischrittigen Prüfung „unmittelbare Wirksamkeit“ – „personelle Reichweite der Individualberechtigung“ zur Verleihung eines Rechts Dörr Der europäisierte Rechtsschutzauftrag deutscher Gerichte (2003) S. 185, 188. 75 Nachweise bereits in Teil 1 – Fn. 229. 76 Nachweise bereits in Teil 1 – Fn. 228. 77 Dörr Der europäisierte Rechtsschutzauftrag deutscher Gerichte (2003) S. 188.
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den Zwecke erfüllen (oben § 1 II 2 e aa 1 → S. 54),78 wobei zwischen der unmittelbaren Wirkung der verletzten Primärnormen der Richtlinie (oben § 1 II 2 e aa 1 → S. 54) und der Rechtsbehelfe (oben § 1 II 2 e ee → S. 81) zu unterscheiden ist. Hinsichtlich der verletzten Primärnorm kommen Schadensersatzansprüche nur in Betracht, wenn diese ins nationale Recht umgesetzt wurde oder das nationale Recht zumindest im Sinne einer Umsetzung auslegungsfähig ist, die Richtlinie also infolge der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung79 faktisch direkte Wirkung zwischen Privaten entfaltet und deshalb ebenso wie andere Regeln des Unionsrechts von der Durchsetzungsverpflichtung der mitgliedstaatlichen Gerichte gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV und dem Effektivitätsgrundsatz erfasst wird (dazu oben § 1 II 2 e aa 1 → S. 54).80 Scheidet demgegenüber eine unmittelbare Anwendbarkeit der betroffenen Richtlinie aus, etwa weil der Methodenkanon des nationalen Rechts eine richtlinienkonforme Auslegung nicht mehr zulässt, es zu einer Auslegung contra legem käme oder Rechtsgrundsätze wie das Rechtssicherheitsgebot
Zurückhaltend Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012) S. 279: „Mindestvoraussetzung der privatrechtlichen Durchsetzbarkeit ist die horizontale Wirkung der Unionsrechtsnorm zwischen Privaten. […] Für die Anwendbarkeit des Richtlinienrechts bereitet dies allerdings häufig Probleme.“ Leczykiewicz in: Leczykiewicz/Weatherill (Hrsg.) The Involvement of EU Law in Private Law Relationships (2013) 199, 211 sieht „horizontal direct effect“ zwar als (eine) „precondition“ der „private law liability“ an und scheint Richtlinien damit auszugrenzen, stellt aber dann fest, dass „EU norms may become ‚horizontal‘ also by influencing the interpretation of rules originating in the laws of the Member States“, was Richtlinien wieder einbeziehen würde. Auch Franck Marktordnung durch Haftung (2016) S. 267 scheint Richtlinien nicht als Grundlage ungeschriebener Schadensersatzansprüche heranziehen zu wollen („In der mangelnden unmittelbaren Geltung von in Richtlinien gegossenen Verpflichtungen Privater liegt das Kriterium, das trotz der einengenden normativen Grundlage für die Anordnung hinreichend wirksamer Sanktionen (Art. 4 Abs. 3 EUV) hindert, die Aussagen des EuGH in ‚Courage/Crehan‘ und ‚Muñoz‘ auf die Durchsetzung von Richtlinienbestimmungen zu übertragen“), bezieht diese Einschränkung aber nur auf in Richtlinien vorgegebene Pflichten Privater, während bei durch Richtlinien vorgegebenen Rechten Privater diese durch privatrechtliche Ansprüche umzusetzen seien, Franck Marktordnung durch Haftung (2016) S. 268 f., 298. 79 EuGH (Große Kammer) 4.7.2006, Rs. C-212/04, Slg. 2006, I-6057 Rn. 111 – Adeneler: nationale Gerichte sind verpflichtet, „unter Berücksichtigung des gesamten nationalen Rechts und unter Anwendung ihrer Auslegungsmethoden alles [zu] tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit der fraglichen Richtlinie zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel übereinstimmt“; EuGH 10.3.2011, C-109/09, Slg. 2011, I-1309 Rn. 55 – Deutsche Lufthansa. 80 Zur Geltung des Effektivitätsgrundsatzes auch für umgesetzte Richtlinien oben § 1 II e aa 1 → S. 54 und EuGH 10.4.1984, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 Rn. 26 – von Colson und Kamann; EuGH (Große Kammer) 15.4.2008, Rs. C-268/06, Slg. 2008, I-2483 Rn. 46 f. – Impact; zur unmittelbaren Wirkung des Effektivitätsgrundsatzes zwischen Privaten bereits oben § 1 II 2 e ee → S. 81. 78
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oder das Rückwirkungsverbot verletzt würden,81 so fehlt es bereits an der unmittelbaren Wirkung der verletzten Primärpflicht im Verhältnis der beteiligten Privaten, so dass sich die Folgefrage nach dem Rechtsbehelf des (privaten) Schadensersatzes nicht stellt. Wurde die verletzte Richtliniennorm umgesetzt oder ist das nationale Recht zumindest im Sinne einer Umsetzung auslegungsfähig, so stellt sich bei Richtlinien die Folgefrage, ob auch das nationale Sanktionensystem im Sinne der unionsrechtlich gebotenen Rechtsfolge auslegungsfähig ist. Auch insofern sind die nationalen Gerichte zunächst verpflichtet, ihre nationalen Rechtsfolgen durch Auslegung nach Möglichkeit mit dem Effektivitätsgrundsatz in Einklang zu bringen. Ist dies allerdings nicht möglich, so ist zu differenzieren: Auf die in den Richtlinien ausdrücklich geregelten Rechtsfolgen kann sich ein Einzelner nicht unmittelbar berufen, „um aufgrund der Richtlinie eine bestimmte Wiedergutmachung zu erlangen, wenn eine solche Rechtsfolge nach den nationalen Rechtsvorschriften nicht vorgesehen oder zugelassen ist“.82 Hinsichtlich der durch den Effektivitätsgrundsatz als unionsrechtliche Minima gebotenen Sanktionen hingegen neigt die Rechtsprechung zu einer Direktwirkung zwischen Privaten (oben § 1 II 2 e ee → S. 81), auch wenn dies in der Literatur abgelehnt wird und – gerade im Vergleich mit den ausdrücklich in Richtlinien geregelten Rechtsfolgen – inkonsequent erscheint. b) Anspruchsberechtigung des individuellen Anspruchstellers Zweite Voraussetzung ungeschriebener Schadensersatzansprüche qua Effektivitätsgebot ist, dass auch der individuelle Anspruchsteller durch die Primärnorm anspruchsberechtigt ist. Individuelle Schadensersatzansprüche einzelner Betroffener (z. B. Verbraucher) können beispielsweise dann ausscheiden, wenn die betreffende Unionsnorm nur dem Schutz kollektiver Interessen (z. B. wie die Informations- und Konsultationspflichten bei Massenentlassungen nur dem Schutz kollektiver Arbeitnehmerinteressen)83 dient oder es sich um eine marktordnende Norm handelt, die nur den Schutz der Wettbewerbsordnung und der Mitbewerber bezweckt. Auf die Fragen der Aktivlegitimation und Initiativberechtigung wird in einem eigenen Abschnitt (§ 9 III → S. 555) eingegangen.
EuGH 10.3.2011, Rs. C-109/09, Slg. 2011, I-1309 Rn. 54 – Deutsche Lufthansa; zu den Grenzen nach deutschem Verfassungsrecht BVerfG 26.9.2011, 2 BvR 2216/06, EuZW 2012, 196 Rn. 51 ff. 82 EuGH 10.4.1984, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 Rn. 27 – von Colson und Kamann. 83 EuGH 16.7.2009, Rs. C-12/08, Slg. 2009, I-6653 Rn. 42, 44, 50 ff. – Mono Car Styling. 81
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c) Beeinträchtigung der praktischen Wirksamkeit der Primärnorm bei Nichtdurchsetzung durch Schadensersatzansprüche Dritte und wichtigste Voraussetzung ungeschriebener Schadensersatzansprüche ist die Beeinträchtigung der praktischen Wirksamkeit der Zwecke der verletzten Primärnorm bei Nichtdurchsetzung durch privatrechtliche Schadensersatzansprüche, mit anderen Worten: Die Existenz eines Schadensersatzanspruchs muss durch den Effektivitätsgrundsatz geboten sein. Ausgangspunkt ist in der Judikatur des EuGH insofern regelmäßig die Bemerkung, dass es „den nationalen Gerichten obliegt, die im Rahmen ihrer Zuständigkeit das Gemeinschaftsrecht anzuwenden haben, die volle Wirkung seiner Bestimmungen zu gewährleisten“ „und die Rechte zu schützen, die das Gemeinschaftsrecht dem Einzelnen verleiht“.84 Auch wenn diese Formulierung private Klagerechte grundsätzlich nahelegt, kommt es auf den Zweck der durchzusetzenden Primärnorm an, um festzustellen, ob ihre volle Wirksamkeit beeinträchtigt wäre, wenn sie nicht (auch) durch private Schadensersatzansprüche durchgesetzt würde.85 Leider finden sich zu dieser wohl wichtigsten Voraussetzung privatrechtlicher Schadensersatzansprüche in den Entscheidungen des Gerichtshofs kaum generalisierungsfähige Aussagen.86 EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 25 – Courage; EuGH 17.9.2002, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 28 – Muñoz; ähnlich EuGH 10.4.1984, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 Rn. 17 – von Colson und Kamann. 85 EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 25 ff. – Courage; EuGH 17.9.2002, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 29 f. – Muñoz; ähnlich EuGH 2.8.1993, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367 Rn. 22 – Marshall II: „so wirksam sind, daß das Ziel der Richtlinie erreicht wird“. 86 Auch in der Literatur findet sich dazu wenig Generalisierungsfähiges, was über einzelne Rechtsgebiete hinausginge. Siehe aber Riesenhuber System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts (2003) S. 271 f.; ders. Europäisches Vertragsrecht2 (2006) Rn. 228: „die effektive Erfüllung des Regelungszwecks [muss] gerade die Anerkennung eines privatrechtlichen Rechts zwingend erfordern“. Dies sei im Vertragsrecht „regelmäßig“ (Rn. 231) der Fall. Siehe auch Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012) S. 272, die das Kriterium „funktionaler Subjektivierung“ vorschlägt (S. 284 ff.): „Maßgeblich ist demnach ein funktionales Begriffsverständnis des subjektiven Rechts im Unionsrecht, wonach der Zweck subjektiver Rechte als Instrumente der effektiven Normdurchsetzung zu berücksichtigen ist. Eine unionsrechtliche Norm begründet subjektive Rechte, wenn ihre effektive Durchsetzung dies erfordert. […] Nicht maßgeblich ist demgegenüber, ob die Norm Individual- oder Privatinteressen dient, sondern ob die Verleihung subjektiver Rechte zur effektiven Durchsetzung des Unionsrechts geboten ist. […]. Für die Begründung subjektiver Rechte kommt es grundsätzlich auf den objektiven Normzweck als sachliches Kriterium und die subjektive Betroffenheit des Schutzsubjekts als persönliches Kriterium zur Anwendung an“ (unter Hinweis insbesondere auf Ruffert DVBl. 1998, 69, 71 und Schoch NVwZ 1999, 457, 464). Dazu G. Wagner AcP 214 (2014) 602, 604: „So treffend die Verfasserin die Judikatur des EuGH auf den Punkt gebracht hat, so fällt die Zirkularität der entscheidenden Formulierung doch ins Auge: Private Rechtsdurchsetzung ist 84
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
Immerhin deutet sich an, dass bestimmte Gesichtspunkte die Existenz privatrechtlicher Schadensersatzansprüche nahe legen. Dazu zählen der Charakter der durchzusetzenden Primärnorm als „grundlegende Bestimmung“ des Unionsrechts,87 die Zielsetzung der Primärnorm, eine bestimmte (unverfälschte/lautere) Wettbewerbsordnung für alle Wirtschaftsteilnehmer zu errichten,88 die Erhöhung der Durchsetzungskraft der unionsrechtlichen Norm durch Schadensersatzansprüche (auch wenn die Norm ebenfalls durch Verwaltungsbehörden durchgesetzt wird),89 der Beitrag privater Schadensersatzansprüche zur Aufdeckung und Abschreckung von nur schwer aufzudeckenden Verstößen gegen die Unionsrechtsnorm,90 generell das Ziel der Abschreckung von Verstößen gegen die Primärnorm91 (Präventionsbedürfnis) und schließlich der Umstand, dass ein durch die Primärnorm angestrebter Zustand erforderlich, wenn sie für die volle Wirksamkeit des Unionsrechts erforderlich ist.“ Zum Ansatz der funktionalen Subjektivierung ausführlich noch unten § 9 III 2 und 3. 87 EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 20 – Courage; Weyer ZEuP 2003, 318, 335: „Dies [Verweis in Courage auf den grundlegenden Charakter des Art. 101 AEUV] lässt die Möglichkeit offen, die Neukonzeption auf grundlegende Vorschriften des EG-Vertrages zu beschränken.“ 88 EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 27 – Courage: „können Schadensersatzklagen vor den nationalen Gerichten wesentlich zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Gemeinschaft beitragen“; EuGH 17.9.2002, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 31 – Muñoz: „sind Klagen von Konkurrenten vor nationalen Gerichten besonders geeignet, wesentlich zur Sicherung eines lauteren Handels und der Markttransparenz in der Gemeinschaft beizutragen“. Siehe auch Riesenhuber Europäisches Vertragsrecht2 (2006) Rn. 237, der die (unionsrechtlich fundierten) Wohlverhaltenspflichten der Wertpapierfirmen (auch) durch private Individualrechte sanktionieren will, weil das Ziel des Anlegerschutzes dem Ziel des Funktionieren der Wertpapiermärkte mindestens gleichrangig sei. 89 EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 27 – Courage; EuGH 17.9.2002, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 31 – Muñoz: „verstärkt nämlich die Durchsetzungskraft der gemeinschaftsrechtlichen Regelung der Qualitätsnormen“; EuGH 10.4.1984, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 Rn. 18 – von Colson und Kamann: „Sorge zu tragen, dass die Betroffenen sich vor den nationalen Gerichten tatsächlich auf diese Maßnahmen berufen können“; Rn. 24: „rein symbolische Entschädigung“ nicht ausreichend; ebenso EuGH 25.4.2013, Rs. C-81/12, ECLI:EU:C:2013:275 Rn. 64 – Accept. 90 EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 27 – Courage; EuGH 17.9.2002, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 31 – Muñoz: „trägt dazu bei, oft nur schwer aufzudeckende Praktiken zu unterbinden, die den Wettbewerb verfälschen könnten“. Ob dieses Argument speziell in Muñoz (wo es immerhin um eine öffentlich erkennbare Irreführung ging) zu überzeugen vermag, mag dahinstehen. 91 EuGH 10.4.1984, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 Rn. 23 – von Colson und Kamann: „wirklich abschreckende Wirkung“; EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 27 – Courage: „geeignet, von – oft verschleierten – Vereinbarungen oder Verhaltensweisen abzuhalten, die den Wettbewerb beschränken oder verfälschen können“; EuGH 17.9.2002, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 31 – Muñoz: „trägt damit dazu bei, oft nur schwer aufzudeckende Praktiken zu unterbinden, die den Wettbewerb verfälschen könnten“.
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(z. B. tatsächliche Chancengleichheit) nur durch Schadensersatzansprüche wiederhergestellt werden kann.92 Zudem ist insbesondere bei Richtlinien zu berücksichtigen, ob die Regelungsstruktur und die Ziele der Richtlinie den Mitgliedstaaten einen weiten Ausgestaltungsspielraum bei den Rechtsfolgen belassen, um ihren unterschiedlichen Rechtstraditionen Rechnung zu tragen (etwa durch eine explizite Alternativität von behördlicher und zivilrechtlicher Durchsetzung),93 oder ob das Regelungsumfeld wie beispielsweise im Vertragsrecht durch die Begründung individueller Rechte als dezentrale Steuerungsinstrumente94 geprägt ist oder gar – wie im Verbraucherrecht oder im Individualarbeitsrecht95 – dem Schutz individueller Personen dient und ihnen „Rechte“ verleihen soll.96 Wenn man diese eher vagen Gesichtspunkte verallgemeinert, so dürfte sich bei zahlreichen Normen des Unionsrechts die Erforderlichkeit einer Durchsetzung durch privatrechtliche Ansprüche und regelmäßig auch durch Schadensersatzansprüche bejahen lassen. So wird es kaum einen Fall geben, in dem die Durchsetzungskraft einer Norm nicht dadurch erhöht wird, dass zusätzliche private Kläger die behördliche Durchsetzung ergänzen können, oder in dem die Gefahr zusätzlicher Zivilsanktionen keine abschreckende Wirkung 92 EuGH 2.8.1993, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367 Rn. 24 – Marshall II; EuGH 11.10.2007, Rs. C-460/06, Slg. 2007, I-8511 Rn. 45 – Paquay: „Das Ziel ist jedoch die Schaffung tatsächlicher Chancengleichheit, und dieses würde nicht erreicht, wenn Maßnahmen fehlten, durch die diese Gleichheit wiederhergestellt werden kann, falls sie nicht gewahrt ist.“ 93 Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 6.9.2012, Rs. C-206/11, ECLI: EU:C:2012:543 Rn. 46 – Köck. 94 Zum Vertragsrecht Riesenhuber Europäisches Vertragsrecht2 (2006) Rn. 231 f. 95 Siehe das von Riesenhuber Europäisches Vertragsrecht2 (2006) Rn. 233 bemühte Beispiel der Nachweisrichtlinie 91/533. Dort ziemlich eindeutig Art. 8 Abs. 2: „Die Mitgliedstaaten können vorsehen, daß eine gerichtliche Geltendmachung nach Absatz 1 nur zulässig ist, wenn eine Mahnung des Arbeitnehmers an den Arbeitgeber vorliegt, die innerhalb von 15 Tagen ohne Antwort geblieben ist“; ferner EuGH 18.12.2008, Rs. C-306/ 07, Slg. 2008, I-10279 Rn. 46 f., 51 – Andersen: „Was drittens das mit Art. 8 der Richtlinie 91/533 verfolgte Ziel betrifft, ergibt sich aus deren zwölftem Erwägungsgrund, dass diese Vorschrift das Bestreben des Gemeinschaftsgesetzgebers widerspiegelt, den Arbeitnehmern zu ermöglichen, ihre Rechte aus dieser Richtlinie geltend zu machen.“ 96 Zum Verbrauchervertragsrecht bereits oben § 5 I 2 → S. 258. Siehe auch Leczykiewicz in: Leczykiewicz/Weatherill (Hrsg.) The Involvement of EU Law in Private Law Relationships (2013) 199, 220 f., die danach differenzieren will, ob die EU-Primärnorm ein „claim-right“ oder eine bloße „freedom“ gewähren wolle. Während bei ersteren bereits die einfache Verletzung („pure breach“) den Anspruch auslösen soll, sei bei letzteren erforderlich, dass die Ausübung der Freiheit „excessively difficult“ gemacht werde: „If the EU norm in question does not vest the claimant with either a right or a freedom and the defendant’s obligation is not imposed on him with clarity and precision, so that effectively his misconduct is constituted by jeopardisation of a Union objective, the defendant should be liable only if it had shown a reckless disregard towards the Union policy“ (221).
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entfaltet, oder in dem durch privatrechtliche Ansprüche das durch die Primärnorm angestrebte Ziel nicht „wiederhergestellt“ werden kann. Aufgrund der kompetenziellen Gründung der weit überwiegenden Zahl der Unionsrechtsakte auf der Binnenmarktkompetenz (Art. 114 AEUV) und den dazu erforderlichen Ausführungen in den Erwägungsgründen lässt sich dies sogar für das Ziel festhalten, eine bestimmte Wettbewerbsordnung zu errichten und den Binnenmarkt vor Handelsverzerrungen zu bewahren, zumal wenn diese Ziele für Qualitätsstandards von Tafeltrauben bejaht wurden. Allenfalls das Erfordernis einer „grundlegenden Bestimmung“ des Unionsrechts bliebe noch als Unterscheidungskriterium, und dieses ist offenbar nicht zwingend erforderlich, wie sich an der privatrechtlichen Durchsetzung der Qualitätsvorschriften für Tafeltrauben als Teil der Binnenmarktordnung in Muñoz zeigt. Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass die bisher vom Gerichtshof entfalteten Kriterien zur Begründung privatrechtlicher Ansprüche unter Rückgriff auf die praktische Wirksamkeit der verletzten Primärnorm regelmäßig kaum geeignet sind, die Existenz solcher Ansprüche zu versagen. Umso größere Bedeutung kommt damit den Grenzen der durch den Effektivitätsgrundsatz geforderten Schadensersatzansprüche zu. 3. Grenzen ungeschriebener Schadensersatzansprüche Abgesehen von der (fehlenden) Anspruchsberechtigung des individuellen Klägers (§ 9 III → S. 555) lassen sich vier mögliche Grenzen ungeschriebener privatrechtlicher Schadensersatzansprüche im Unionsrecht diskutieren, nämlich der fehlende materielle Schutz durch die verletzte Primärnorm, die hinreichende Effektivität durch rein behördliche Rechtsdurchsetzung, der Vorrang wirksamen Primärrechtsschutzes und die Derogation von privaten Ansprüchen oder Schadensersatzansprüchen durch das Sekundärrecht. a) Kein materieller Schutz durch die verletzte Primärnorm Die grundsätzliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten auf Schadensersatzansprüche infolge des Effektivitätsgrundsatzes greift zunächst dann nicht, wenn das Unionsrecht ein bestimmtes Regelungs- oder Schutzniveau materiell nicht gewährleistet, so dass die Mitgliedstaaten auch nicht verpflichtet sind, Rechtsbehelfe wie den Schadensersatzanspruch zur Sicherung dieses Regelungsniveaus einzuführen. Diese Einschränkung soll anhand eines arbeitsrechtlichen Beispiels erläutert werden. In der Rechtssache Juuri hatte der Gerichtshof zu entscheiden, ob Art. 4 Abs. 2 der Betriebsübergangsrichtlinie 2001/2397 dahin auszulegen ist, dass er
„Kommt es zu einer Beendigung des Arbeitsvertrages oder Arbeitsverhältnisses, weil der Übergang eine wesentliche Änderung der Arbeitsbedingungen zum Nachteil des Ar97
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die Mitgliedstaaten im Fall der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses dazu verpflichtet, dem Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine finanzielle Entschädigung zu gewähren, die den Ansprüchen entspricht, die dem Arbeitnehmer nach nationalem Recht bei rechtswidriger Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber zustehen. Konkret ging es um die Klage der Mitarbeiterin in der Betriebskantine eines Metallunternehmens, für deren Arbeitsverhältnis nach Übergang der Kantineneinheit nicht mehr der Tarifvertrag der Metallindustrie, sondern der (ungünstigere) des Gaststättengewerbes gelten sollte. Da der Betriebsübernehmer einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu den alten Bedingungen nicht zustimmte, kündigte die Mitarbeiterin ihr Arbeitsverhältnis und verklagte den Betriebsübernehmer auf Entschädigung, weil sich die Bedingungen ihres Arbeitsverhältnisses wesentlich verschlechtert hätten und deshalb der Übernehmer für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses verantwortlich sei. In seiner Entscheidung stellte der EuGH fest, dass Art. 4 Abs. 2 RL 2001/ 23 zwar dem Arbeitgeber die Beendigung des Arbeitsverhältnisses unabhängig davon zurechne, welche Partei die Beendigung formell herbeigeführt habe, die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen jedoch nicht regele.98 Diese Wortlautbegrenzung stimme auch mit dem (entstehungsgeschichtlich nachweisbaren)99 Zweck der Richtlinie 2001/23 überein, die nur „den Schutz, der den Arbeitnehmern durch die Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten selbst bereits gewährt wird, auch auf den Fall des Unternehmensübergangs“ ausdehnen, nicht aber für die gesamte Union ein „aufgrund gemeinsamer Kriterien einheitliches Schutzniveau schaffen“ wolle.100 Die Richtlinie soll also nur sicherstellen, „dass der betroffene Arbeitnehmer in seinen Rechtsbeziehungen zum Erwerber in gleicher Weise geschützt ist, wie er es nach den Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats in seinen Beziehungen zum Veräußerer war“.101 Die Nichtgewähr des Schadensersatzanspruchs begründete der EuGH damit im Kern mit dem Argument, dass Art. 4 Abs. 2 RL 2001/23 nur eine implizite Zurechnungsregel, nicht aber ein bestimmtes materielles Schutzniveau für Arbeitnehmer gewährleistet.102 Es fehlt beitnehmers zur Folge hat, so ist davon auszugehen, dass die Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber erfolgt ist.“ 98 EuGH 27.11.2008, Rs. C-396/07, Slg. 2008, I-8883 Rn. 22 – Juuri. 99 EuGH 27.11.2008, Rs. C-396/07, Slg. 2008, I-8883 Rn. 24 – Juuri mit Verweis auf KOM(74) 351. 100 EuGH 27.11.2008, Rs. C-396/07, Slg. 2008, I-8883 Rn. 23 – Juuri. 101 EuGH 27.11.2008, Rs. C-396/07, Slg. 2008, I-8883 Rn. 23 – Juuri. 102 EuGH 27.11.2008, Rs. C-396/07, Slg. 2008, I-8883 Rn. 25 – Juuri: „Unter diesen Umständen kann Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/23 nicht dahin verstanden werden, dass er implizit über die in ihm vorgesehene Zurechnungsregel hinaus ein einheitliches Schutzniveau für Arbeitnehmer geschaffen hat. Daraus folgt insbesondere, dass er nicht bestimmt, welche wirtschaftlichen Folgen es hat, wenn dem Arbeitgeber unter den genannten Um-
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daher bereits an einer materiellen Gewährleistung auf Ebene des Unionsrechts, so dass das europäische Recht auch keine Schadensersatzansprüche zur Durchsetzung dieser Gewährleistung verlangt. Dies zeigt eine Kontrollüberlegung: Soweit das Unionsrecht einen bestimmten materiellen Schutz sicherstellen will, im Fall der Betriebsübergangsrichtlinie 2001/23 etwa „die Wahrung der Ansprüche der Arbeitnehmer bei einem Wechsel des Inhabers des Unternehmens dadurch […], dass [es] ihnen die Möglichkeit gibt, ihr Beschäftigungsverhältnis mit dem neuen Arbeitgeber zu eben den Bedingungen fortzusetzen, die mit dem Veräußerer vereinbart waren“,103
sind die Mitgliedstaaten durchaus im Interesse der Wirksamkeit des europäischen Rechts verpflichtet, Rechtsbehelfe zur Durchsetzung dieses materiellen Regelungsniveaus vorzusehen. In Juuri hat der Gerichtshof dementsprechend die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, „im Rahmen [ihrer] Zuständigkeiten sicherzustellen, dass der Erwerber in einem solchen Fall zumindest die Folgen trägt, die das anwendbare nationale Recht an die Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber knüpft, wie die Zahlung des Arbeitslohns und die Gewährung anderer Vergünstigungen während der vom Arbeitgeber einzuhaltenden Kündigungsfrist“.104
b) Hinreichende Effektivität durch behördliche Durchsetzung? Von Interesse für die Garantie zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche ist ferner das Verhältnis des privatrechtlichen Schadensersatzes zur behördlichen Rechtsdurchsetzung. So geht die (deutsche) Literatur davon aus, dass das Unionsrecht den Mitgliedstaaten die Wahl zwischen privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Rechtsfolgen als funktionale Äquivalente 105 überlässt,106 und
ständen die Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses zugerechnet wird. Diese Folgen sind deshalb in jedem Mitgliedstaat nach den einschlägigen nationalen Vorschriften festzulegen.“ 103 EuGH 27.11.2008, Rs. C-396/07, Slg. 2008, I-8883 Rn. 28 – Juuri. 104 EuGH 27.11.2008, Rs. C-396/07, Slg. 2008, I-8883 Rn. 30 – Juuri. 105 Siehe auch Art. 2 Abs. 1 der Unterlassungsklagenrichtlinie 2009/22, die zu den „Unterlassungsklagen“ auch behördliche Untersagungsanordnungen zählt („die Mitgliedstaaten bestimmen die zuständigen Gerichte oder Verwaltungsbehörden“). 106 Siehe nur Micklitz Yearbook of European Law 28 (2009) 3, 44 f. („Member States are free to choose between public and private enforcement“), der sogar einen Trend in Richtung behördlicher Rechtsdurchsetzung ausmacht: „The prospective policy model of EU law enforcement as promoted by the European Commission seems primarily guided by decentralized enforcement through national public agencies with residual competences granted to the European Commission.“ Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012) S. 261; dies. ZZP 127 (2014) 128, 130: „Stehen in dem mitgliedstaatlichen Recht aber andere Sanktionen verwaltungs- oder strafrechtlicher Art zur Verfügung, die bereits
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in der Tat legt der vom EuGH hervorgehobene Grundsatz der Wahlfreiheit der Sanktionen eine solche Sichtweise nahe.107 Auf der anderen Seite finden sich im Antidiskriminierungsrecht, im Kartellrecht und bei der Durchsetzung lauterkeitsrechtlicher Kennzeichnungsvorschriften Beispiele, in denen sich der Gerichtshof trotz der behördlichen Rechtsdurchsetzung ausdrücklich für die Existenz privatrechtlicher Ansprüche ausgesprochen hat,108 so dass man richtigerweise von einem Grundsatz privater Rechtsdurchsetzung unabhängig von der Existenz eines parallelen behördlichen Vollzugsapparates ausgehen sollte: es gibt kein „Durchsetzungsmonopol“109 staatlicher Behörden. Insofern ist zunächst auf die Rechtsprechung zum Antidiskriminierungsrecht zu verweisen, die – für den Fall individueller Diskriminierung bei Entwirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind, dann verpflichtet das Unionsrecht die Mitgliedstaaten nicht noch zusätzlich zur Schaffung privatrechtlicher Ansprüche.“ 107 EuGH 17.1.2013, Rs. C-206/11, ECLI:EU:C:2013:14 Rn. 44 – Köck: „Die Richtlinie [2005/29] lässt den Mitgliedstaaten […] einen Wertungsspielraum bezüglich der Wahl der nationalen Maßnahmen, mit denen unlautere Geschäftspraktiken gemäß den Art. 11 und 13 der Richtlinie bekämpft werden sollen, wobei Voraussetzung insbesondere ist, dass die Maßnahmen geeignet und wirksam und die vorgesehenen Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind.“ Zum Sanktionenmix auch EuGH 5.7.2007, Rs. C-430/05, Slg. 2007, I-5835 Rn. 55 – Ntionik Anonymi Etaireia Emporias: „Zu der in der Richtlinie 2001/34 niedergelegten Verpflichtung, den Anlegern angemessene und wirklichkeitsgetreue Informationen zu geben, ist festzustellen, dass ein auf nationaler Ebene eingeführtes System von zivil-, straf- oder verwaltungsrechtlichen Sanktionen gegen die im Prospekt ausdrücklich genannten Personen, gegen den Emittenten und gegen die Mitglieder von dessen Verwaltungsrat unabhängig davon, ob die letztgenannten Personen im Prospekt als verantwortlich genannt sind, dem Zweck dieser Richtlinie nicht zuwiderläuft, wenn es in angemessenem Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung in Form der Erteilung unrichtiger oder irreführender Informationen in diesem Prospekt steht.“ 108 Bereits EuGH 3.4.1968, Rs. 28/67, Slg. 1968, 216 – Firma Molkerei-Zentrale Westfalen-Lippe: „Rechte, die eine Gemeinschaftsrechtsnorm den Einzelnen einräumt, können unbeschadet der im Vertrag vorgesehenen Rechtsbehelfe stets mit der Klage vor dem zuständigen nationalen Gericht verfolgt werden. Solche Klagen lassen sich nicht mit der Ausübung der den Gemeinschaftsbehörden nach dem Vertrag […] zustehenden Befugnisse vergleichen. Die Klage des Einzelnen bezweckt den Schutz individueller Rechte im Einzelfall, das Einschreiten der Gemeinschaftsbehörden hat dagegen die allgemeine und einheitliche Beachtung des Gemeinschaftsrechts zum Ziel. Der Schutz, den das System des Vertrages den Einzelnen zur Wahrung ihrer individuellen Rechte gewährt, und die den Gemeinschaftsorganen zustehenden Befugnisse, die Mitgliedstaaten zur Beachtung ihrer Vertragspflichten anzuhalten, unterscheiden sich somit nach Gegenstand, Zielen und Wirkungen und können nicht miteinander verglichen werden.“ 109 Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 10.19: „These rulings [Courage und Muñoz] rather suggest that private parties must be able to enforce their rights in private enforcement proceedings before national courts regardless of whether EU or national law provides for a certain form of public enforcement of the EU rules in question. There is in other words no ‘enforcement monopoly’ on the side of public authorities.“
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lassung und Einstellung – entweder den Primärrechtsschutz (Einstellung bzw. Unwirksamkeit der Entlassung) oder angemessenen Schadensersatz als wirksame Sanktionen anerkannt hat, um das Ziel der „Wiederherstellung tatsächlicher Chancengleichheit“ zu erreichen, während Bußgelder nur als „verstärkende“ Maßnahmen erwähnt wurden.110 Auch im Kartelldeliktsrecht wurde in Courage die Existenz eines Schadensersatzanspruchs mit dem Hinweis begründet, dass „Schadensersatzklagen vor den nationalen Gerichten wesentlich zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Gemeinschaft beitragen“, weil sie die Durchsetzungskraft der Wettbewerbsregeln erhöhten und geeignet seien, „von – oft verschleierten – Wettbewerbsbeschränkungen abzuhalten“.111 Angesichts der dem Gerichtshof wohlbekannten kartellbehördlichen Durchsetzung kann Courage nur bedeuten, dass der EuGH den privaten Schadensersatzanspruch als willkommene und zugleich unionsrechtlich gebotene Ergänzung der behördlichen Rechtsdurchsetzung ansieht. Auf dem Gebiet des Lauterkeitsrechts hat der EuGH in der – durch Courage offenbar inspirierten112 – Rechtssache Muñoz im Jahr 2002 (also vor Inkrafttreten der Richtlinien 2005/29 und 2006/114, aber unter Geltung der alten Irreführungsrichtlinie 84/450 mit ihren im Kern identischen Sanktionsvorschriften) zur zivilgerichtlichen Durchsetzung europäischer Qualitätsnormen für Obst und Gemüse (und damit in einer Konstellation des lauterkeitsrechtlichen Irreführungsschutzes) durch einen Wettbewerber entschieden, dass die „volle Wirksamkeit der Regelung der Qualitätsnormen, insbesondere die praktische Wirksamkeit der Verpflichtung nach den Artikeln 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1035/72 und der Verordnung Nr. 2200/96 voraus[setzt], dass deren Beachtung im Wege eines Zivilprozesses durchgesetzt werden kann, den ein Wirtschaftsteilnehmer gegen einen Konkurrenten anstrengt“.113
Auch wenn das Rechtsschutzziel der Klagen in der Entscheidung des EuGH offen blieb, erstreckte der Generalanwalt diesen Grundsatz ausdrücklich auch auf Schadensersatzansprüche:
110 EuGH 10.4.1984, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 Rn. 18, 23, 28 – von Colson und Kamann; Basedow ZEuP 2008, 230, 239. Siehe auch EuGH 25.4.2013, Rs. C-81/12, Slg. ECLI:EU:C:2013:275 Rn. 68 – Accept, wo der EuGH die Wirksamkeit einer behördlichen Sanktion auch unter Rückgriff auf ihre haftungsrechtlichen Konsequenzen begründet, siehe oben Text nach Fn. 62. 111 EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 27 – Courage. 112 Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 13.12.2001, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 60 – Muñoz: „In dieser Hinsicht stellt also die zivilrechtliche Durchsetzung ebenso wie im Wettbewerbsrecht eine notwendige und nützliche Ergänzung der Durchsetzung, im vorliegenden Fall durch die nationale Kontrollstelle, dar.“ 113 EuGH 17.9.2002, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 30 – Muñoz.
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„Ich sehe nicht, warum ein Unternehmen, das behauptet, es habe durch die Verletzung von Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2200/96 einen Schaden erlitten, nicht das Recht haben sollte, eine zivilrechtliche Klage gegen ein Konkurrenzunternehmen anzustrengen“.114
Bemerkenswert an dieser Entscheidung ist, dass sich die Klägerin zuvor mehrfach erfolglos bei der zuständigen Aufsichtsbehörde beschwert hatte, was den Generalanwalt zu der Bemerkung veranlasste, dass es nicht sein könne, „dass eine Privatperson bei der Verwirklichung der ihr aus einer Verordnung zustehenden Rechte allein vom guten Willen einer Kontrollstelle zur Durchsetzung dieser Rechte abhängig ist“.115 Aus Muñoz wird mit Recht gefolgert, dass „das Bedürfnis nach einem Anspruch zwischen Privaten […] nicht schon dann entfällt, wenn die Einhaltung der lauterkeitsrechtlichen Verhaltensnormen […] der behördlichen Kontrolle unterliegt“.116 Auch die in den Lauterkeitsrichtlinien vorgesehene, in Muñoz nicht erörterte Alternativität der zivilgerichtlichen und behördlichen Durchsetzung steht dem nicht entgegen. Zwar bleibt es nach Art. 11 Abs. 1 RL 2005/29 und Art. 5 Abs. 1 RL 2006/114 (zuvor bereits Art. 4 Abs. 1 RL 84/ 450) ausdrücklich „jedem Mitgliedstaat […] vorbehalten zu entscheiden, welcher dieser beiden Rechtsbehelfe [‚a) gerichtlich gegen solche unlauteren Geschäftspraktiken vorzugehen und/oder b) gegen solche unlauteren Geschäftspraktiken ein Verfahren bei einer Verwaltungsbehörde einzuleiten‘] zur Verfügung stehen wird“,
und auch der Gerichtshof hat den „Alternativcharakter“117 der behördlichen Rechtsdurchsetzung – allerdings für den Unterlassungs-,118 nicht für den Schadensersatzrechtsschutz – anerkannt und sowohl eine behördliche ex postwie – unter bestimmten Voraussetzungen – eine ex ante-Kontrolle von Ge114 Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 13.12.2001, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 60 – Muñoz; siehe auch Rn. 63: „Im Ergebnis folgt aus dem Gemeinschaftsrecht, dass derjenige, der infolge der Verletzung einer Verordnungsbestimmung einen Schaden erleidet, soweit er in einem Interesse verletzt ist, dessen Schutz das Gemeinschaftsrecht bezweckt, die Möglichkeit haben muss, die Durchsetzung dieser Bestimmung im Zivilrechtsweg zu erzwingen. Nur so ist die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts umfassend gewährleistet. Die zivilgerichtliche Durchsetzung stellt eine notwendige und nützliche Ergänzung der Durchsetzung durch den Mitgliedstaat dar.“ 115 Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 13.12.2001, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 60 – Muñoz. 116 Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012) S. 90 f. 117 Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 6.9.2012, Rs. C-206/11, ECLI: EU:C:2012:543 Rn. 44 – Köck. 118 Als konkrete Abhilfemaßnahmen regeln die (insofern nur mindestharmonisierenden) Art. 5 Abs. 3 RL 2006/114 und Art. 11 Abs. 2 RL 2005/29 verschuldensunabhängige Unterlassungsanordnungen sowohl bei Erstbegehungs- wie bei Wiederholungsgefahr, und zwar auch im Eilrechtsschutz (dazu Heinze Einstweiliger Rechtsschutz im europäischen Immaterialgüterrecht (2007) S. 39 ff.) sowie die Urteilsveröffentlichung oder die Veröffentlichung einer berichtigenden Erklärung (Widerruf).
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schäftspraktiken gebilligt.119 Auch fällt die Vermarktung der in Muñoz streitgegenständlichen Trauben „Superior Seedless“ unter den (unrichtigen) Bezeichnungen „White Seedless, Sult und Coryn“ in den Anwendungsbereich der damaligen Irreführungsrichtlinie 84/450 (heute Art. 2, 3 RL 2006/114 oder Art. 3, 7 RL 2005/29)120, so dass auch deren Vorschriften über die Alternativität zivilgerichtlicher und behördlicher Durchsetzung zur Anwendung kommen. Wie lässt es sich nun erklären, dass sich der EuGH trotz der Alternativitätsoption nach Art. 11 Abs. 1 RL 2005/29 und Art. 5 Abs. 1 RL 2006/114 (damals Art. 4 Abs. 1 RL 84/450) in Muñoz offenbar nicht mit der behördlichen Durchsetzung zufrieden geben wollte? Zum einen ist denkbar, dass der Gerichtshof die sekundärrechtliche Regelung übersehen hat.121 Folgt man diesem Erklärungsmodell, so bestätigt dies die These der grundsätzlichen Gebotenheit zivilrechtlicher Ansprüche der Wettbewerber auch im Lauterkeitsrecht. Denn wenn man die Lauterkeitsrichtlinien ausblendet (zur Derogation privater Ansprüche durch Sekundärrecht noch § 9 I 3 d → S. 538), so bleibt es bei der Anwendung des allgemeinen Effektivitätsgrundsatzes, und dieser genügte dem Gerichtshof zur Begründung eines zivilrechtlichen Anspruchs. Unterstellt man andererseits, dass die Regelung in der Richtlinie 84/450 den Akteuren bekannt war, so dürfte der Schlüssel in der ungenügenden Ausgestaltung des englischen Verwaltungsverfahrens liegen. Im Widerspruch zu den Vorgaben der Lauterkeitsrichtlinie kannte das erfolglos angestrengte Verwaltungsverfahren vor der britischen Aufsichtsbehörde nämlich offenbar keine gerichtlich durchsetzbare Initiativberechtigung des Beschwerdeführers.122 Wenn nun aber der Gerichtshof infolge der richtlinienwidrigen Ausgestaltung des englischen Verwaltungsverfahrens auf das private Klagerecht zurückgegriffen haben sollte, so bestätigt auch dies die These, dass die zivilrechtliche Durchsetzung den allgemeinen Grundsatz darstellt, von dem nur abgewichen werden kann, wenn die behördliche Rechtsdurchsetzung die Vorgaben einer sekundärrechtlichen Ausnahme erfüllt (§ 9 I 3 d → S. 538). Es kommt schließlich hinzu, dass sich die Regeln der Lauterkeitsrichtlinien 119 EuGH 17.1.2013 Rs. C-206/11, ECLI:EU:C:2013:14 Rn. 45 – Köck; zu den Grenzen Rn. 46, 49. 120 Je nachdem, ob die Irreführung in einer „Geschäftspraktik von Unternehmen gegenüber Verbrauchern“ i. S. d. Art. 3 Abs. 1 RL 2005/29 oder ausschließlich im unternehmerischen Verkehr (dann Art. 2, 3 RL 2006/114) erfolgt ist. Nach den Schlussanträgen des Generalanwalts Geelhoed vom 13.12.2001, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 13 – Muñoz wurden die Trauben auf Großhandelsebene vertrieben. 121 Soweit ersichtlich wurde die Richtlinie 84/450 im Verfahren nicht erörtert. 122 Vgl. die Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 13.12.2001, Rs. C-253/ 00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 55 – Muñoz: „Offenbar unterscheidet sich hier das Gemeinschaftsrecht vom englischen Recht, das, von Ausnahmen abgesehen, zivilrechtliche Klagen nicht zulässt, wenn die Verletzung einer nationalen Rechtsvorschrift strafbewehrt ist.“
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zur Alternativität behördlicher und zivilrechtlicher Durchsetzung als sekundärrechtliche Besonderheit erklären lassen, die vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Traditionen in den Mitgliedstaaten in die ursprüngliche Irreführungsrichtlinie 84/450 aufgenommen werden musste, um ihr Scheitern zu vermeiden.123 Vor diesem Hintergrund ist ihre Verallgemeinerungsfähigkeit zu bezweifeln, zumal sie nur das Verhältnis der behördlichen Untersagungsanordnungen zu zivilgerichtlichen Unterlassungsklagen, nicht aber zum zivilrechtlichen Schadensersatz regeln.124 Zusammenfassend ist damit festzuhalten, dass die Möglichkeit behördlicher Rechtsdurchsetzung die Gebotenheit zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche grundsätzlich nicht ausschließt, sofern sich nicht – wie im Lauterkeitsrecht für das Verhältnis von behördlichem und zivilrechtlichem Unterlassungsrechtsschutz – dem Regelungsumfeld deutlich entnehmen lässt, dass die Wahl zwischen zivilrechtlicher und behördlicher Rechtsdurchsetzung im Allgemeinen und auch im Besonderen für die Rechtsfolge des Schadensersatzes den Mitgliedstaaten vorbehalten bleibt. Dies dürfte im Verhältnis der behördlichen Rechtsdurchsetzung zu zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen nur selten der Fall sein: Denn auch wenn behördliche Unterlassungsanordnungen unter bestimmten Voraussetzungen ähnlich wirksam oder sogar wirksamer als der zivilrechtliche Unterlassungsanspruch sein mögen,125 so ist die Kompensation individueller Geschädigter in aller Regel nicht das Ziel behördlicher Rechtsdurchsetzung,126 so dass ein genereller Vorrang der be123 Schricker in: Großkommentar UWG I (1994/2006) Einl Rn. F 343: „Bei den Harmonisierungsarbeiten war man sich bewusst, daß nicht nur im materiellen Recht, sondern auch bei den Sanktionsinstrumenten wesentliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bestanden und daß die Abweichungen im Schutzstandard nicht zuletzt auch hierauf zurückzuführen waren. Der Angleichung wären hier wohl Grenzen gesetzt, wollte man nicht in Behörden- und Gerichtsstruktur und Verfahrensgrundsätze eingreifen, was wohl die ganze Richtlinie hätte scheitern lassen.“ Es kommt hinzu, dass offenbar auch in Systemen der behördlichen Rechtsdurchsetzung die Rechtsprechung dazu neigen dürfte, parallele zivile Ansprüche über die deliktische Generalklausel zu gewähren, vgl. de Cristofaro GRUR Int. 2010, 1017, 1019: „Es ist vor allem jedoch wahrscheinlich, dass in zahlreichen EU-Mitgliedstaaten die Rechtsprechung dazu neigen wird, in einigen (oder sogar in allen) unlauteren Geschäftspraktiken die Voraussetzung für eine (vorvertragliche, vertragliche oder außervertragliche – entsprechend den verschiedenen Rechtssystemen) zivilrechtliche Haftung zu sehen, die die Verbraucher berechtigt, von den verantwortlichen Unternehmern den Ersatz der erlittenen (wenigstens: Vermögens-)Schäden zu verlangen.“ 124 Nachweis bereits oben in Fn. 118. 125 Vgl. EuGH 17.1.2013, Rs C-206/11, ECLI:EU:C:2013:14 Rn. 45 – Köck; Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 6.9.2012, Rs. C-206/11, ECLI:EU:C:2012:543 Rn. 48 – Köck. Siehe aber auch die vergeblichen Bemühungen der Kläger zur Einleitung eines Verwaltungsverfahrens in Muñoz, Nachweis oben in Fn. 115. 126 Siehe EuGH 8.6.2012, Rs. C-596/11 P, ECLI:EU:C:2012:334 Rn. 23 – Schenker: „Next, it should be pointed out that the General Court was right to find […] that the purpose of proceedings relating to an action for annulment of a Commission decision punish-
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hördlichen Rechtsdurchsetzung den Geschädigten im Regelfall kompensationslos lässt.127 Nicht zuletzt ist zu bedenken, dass die privatrechtliche Rechtsdurchsetzung auch die Freiheit und Selbstbestimmung des Berechtigten am besten zu verwirklichen vermag, insofern er ohne behördliche oder politische Rücksichtnahmen und das Abwarten dortiger Entscheidungsprozesse unmittelbar den Weg zu den Zivilgerichten suchen kann, die vielleicht noch besser als die – zumindest in ihren Rechtsprechungsmaterien – eher staatsnahen Verwaltungsgerichte einen tatsächlich unabhängigen und wirksamen Rechtsschutz gewährleisten können. Die Alternativität von privatrechtlicher und behördlicher Rechtsdurchsetzung hat auch keine unbegrenzte private Popularklagebefugnis zur Folge, weil über die Instrumente der Derogation durch Sekundärrecht (§ 9 I 3 d → S. 538) und vor allem über die Definition der Individualberechtigten (§ 9 III → S. 555) der Kreis potentieller Kläger hinreichend eingegrenzt wird. Hat man sich aber für den Schutz auch konkreter Individualinteressen entschieden, so entspricht es dem Bild eines mündigen Bürgers, diesem auch – zumindest parallel zur Verwaltung – die Durchsetzung seiner Rechte durch die Gerichte zu gestatten. c) Verhältnis zum zivilrechtlichen Primärrechtsschutz Ein Schadensersatzanspruch kann zur Durchsetzung unionaler Rechte aus Gründen der Effektivität auch dann nicht geboten (oder sogar nicht genügend) sein, wenn bereits durch andere Instrumente (z. B. durch einen Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruch, die Unwirksamkeit der unionsrechtswidrigen Handlung oder einen Erfüllungsanspruch) hinreichend wirksamer Primärrechtsschutz gewährleistet wird, so dass es einer zusätzlichen Durchsetzung mittels Schadensersatzansprüchen nicht bedarf. Fruchtbar machen lässt sich insofern die Formel aus Unibet, wonach „der Grundsatz effektiven gerichtlichen Schutzes der den Einzelnen durch das Gemeinschaftsrecht verliehenen Rechte nicht verlangt, dass es in der Rechtsordnung eines Mitgliedstaats einen eigenständigen Rechtsbehelf gibt, der mit dem Hauptantrag auf die Prü-
ing the anti-competitive conduct of an undertaking is not to make possible or facilitate the bringing of civil actions in the national legal system, such as claims for damages and interest. Their purpose is to review the legality of the decision by which the Commission punished the undertaking in question for infringing the rules of competition law and to review the amount of the fine consequently imposed on it.“ Zu einer möglichen Ausnahme siehe die Diskussion zu Art. 16 VO 261/2004 § 8 III 2 → S. 456. 127 So auch (zum Kartelldeliktsrecht) die Begründung zum unveröffentlichten Proposal for a Council Directive on rules governing actions for damages for infringements of Articles 81 and 82 of the Treaty, S. 2: „Compensation for harm caused by infringements of Articles 81 and 82 of the Treaty cannot be achieved through public enforcement of the competition rules; it is a specific function which is the domain of the courts and of civil law and procedure.“
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fung der Vereinbarkeit nationaler Vorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht gerichtet ist, wenn andere Rechtsbehelfe die Prüfung dieser Vereinbarkeit als Vorfrage ermöglichen“.128
Dieser Gedanke eines Zusammenhangs von Primärrechtsschutz und Schadensersatzhaftung bei den privatrechtlichen Rechtsbehelfen zeigt sich bereits in der Rechtsprechung zur Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207. So hat der EuGH in von Colson und Kamann als Beispiele für hinreichend wirksame Rechtsbehelfe entweder die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Einstellung des diskriminierten Bewerbers (Primärrechtsschutz) oder eine angemessene finanzielle Entschädigung genannt,129 während die Bußgeldregelung nur als mögliche „Verstärkung“ erwähnt wurde.130 Auch bei der Haftung für eine unterlassene Umweltverträglichkeitsprüfung eröffnet der EuGH die Alternative der Nachholung der unterlassenen Umweltverträglichkeitsprüfung oder des Ersatzes aller der den Einzelnen entstandenen Schäden.131 Übertragen auf das Privatrecht lässt sich damit als Hypothese formulieren, dass der Effektivitätsgrundsatz eine Normdurchsetzung durch Schadensersatzansprüche nicht erforderlich macht, wenn andere Rechtsbehelfe wie der Unterlassungsanspruch bereits eine hinreichend wirksame Durchsetzung des Unionsrechts ermöglichen (dazu unten § 9 I 3 c bb → S. 535). Noch weitergehend können aus Gründen der Effektivität des Unionsrechts Schadensersatzansprüche sogar als nicht ausreichend wirksam erscheinen, weil tatsächlich wirksamer Rechtsschutz nur durch Primärrechtsschutz zu erlangen ist (dazu sogleich § 9 I 3 c aa → S. 533). aa) Primärrechtsschutz als Ergänzung des Schadensersatzes In manchen Fällen erweist sich der Primärrechtsschutz als effektiver als der Schadensersatz, so dass der Effektivitätsgrundsatz die Existenz wirksamen Primärrechtsschutzes zumindest als Ergänzung des Schadensersatzanspruchs EuGH (Große Kammer) 13.3.2007, Rs. C-432/05, Slg. 2007, I-2271 Rn. 61 ff., 71 – Unibet; siehe auch aus dem Beamtendienstrecht EuGH 7.2.1990, Rs. C-343/87, Slg. 1990, I-225 Rn. 26 – Culin: „In diesem Zusammenhang ist festzustellen, daß die Aufhebung eines von einem Beamten angefochtenen Aktes der Verwaltung nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes als solche eine angemessene Wiedergutmachung des immateriellen Schadens darstellt, den dieser in dem jeweiligen Fall möglicherweise erlitten hat, und daß der Antrag auf Schadensersatz gegenstandslos ist“; aber auch Rn. 28: „Es ist nicht anzunehmen, daß dieser immaterielle Schaden, den der Kläger erlitten hat, durch die Richtigstellung in vollem Umfang wiedergutgemacht worden ist.“ 129 Siehe auch Busche in: Leible/Schlachter (Hrsg.) Diskriminierungsschutz durch Privatrecht (2006) 159, 166, der aus Gründen der Verhältnismäßigkeit und des Respekts vor der Vertrags(begründungs)freiheit den Schadensersatz als tendenziell überlegene Sanktion ansieht. 130 EuGH 10.4.1984, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 Rn. 18 – von Colson und Kamann; ebenso EuGH 10.7.2008, Rs. C-54/07, Slg. 2008, I-5187 Rn. 39 – Feryn. 131 EuGH 14.3.2013, Rs. C-420/11, ECLI:EU:C:2013:166 Rn. 37 – Leth. 128
534
§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
verlangt. Anschaulich zeigt sich die größere Effektivität des Primärrechtsschutzes etwa bei der Abwehr unzulässiger (vgl. Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 RL 93/13) Vertragsklauseln in vollstreckbaren notariellen Urkunden: Eröffnet man in solchen Fällen dem geschädigten Verbraucher allein die nachträgliche Schadenskompensation, ohne ihm die Möglichkeit einzuräumen, die dem Vollstreckungstitel zugrunde liegende Vertragsklausel unmittelbar im Vollstreckungsverfahren anzugreifen und gleichzeitig die Immobiliarvollstreckung aufzuhalten, so erweist sich ein solch nachgelagerter, lediglich in Schadensersatz bestehender Schutz „als unvollständig und unzureichend […] und entgegen Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 weder [als] ein angemessenes noch ein wirksames Mittel“.132 Auch über dieses Beispiel irreparabler Schäden (Verlust der Immobilie) hinaus deutet die Rechtspraxis darauf hin, dass in manchen Sachmaterien wie dem Lauterkeitsrecht und zum Teil auch dem Immaterialgüterrecht133 der Effektivität des Unionsrechts durch den Primärrechtsschutz mittels Unterlassungsanordnung wirksamer gedient wird als durch die Zuerkennung von Schadensersatz. Dies liegt im Regelfall in der Schwierigkeit begründet, den individuellen Schadensersatz im Fall einer unlauteren Werbung zu beziffern, denn in aller Regel wird der Kläger nicht nachweisen können, in welchem Umfang die betreffende Werbung den Umsatz des Verletzers erhöht hat. Selbst wenn ihm dies gelingen sollte, wird er häufig mit dem Nachweis scheitern, dass die zusätzlichen Kunden des rechtswidrig handelnden Mitbewerbers ohne die unzulässige Werbung bei ihm und nicht bei einem anderen Anbieter eingekauft hätten.134 Aus diesen Beispielen folgt, dass der Schadensersatzanspruch in bestimmten Fällen, etwa bei irreparablen Schäden (klauselwidrige Vollstreckungstitel) oder bei Schwierigkeiten bei der Schadensberechnung und sehr beweglichen Märkten (Lauterkeitsrecht) isoliert keinen ausreichend wirksamen Rechtsschutz gewährleisten kann, sondern der Ergänzung insbesondere durch den Unterlassungs- und Beseitigungsrechtsschutz (und funktionaler Äquivalente im Prozessrecht wie der Vollstreckungsabwehrklage) bedarf.
EuGH 14.3.2013, Rs. C-415/11, ECLI:EU:C:2013:164 Rn. 60 – Aziz. Zur empirischen Präferenz der Kläger im Immaterialgüterrecht für den Unterlassungsanspruch im Vergleich zum Schadensersatz Heinze Einstweiliger Rechtsschutz im europäischen Immaterialgüterrecht (2007) S. 138 ff. m. w. N. 134 Im Immaterialgüterrecht und (nach nationalem Recht) bei einzelnen immaterialgüterrechtsnahen Lauterkeitsdelikten wird dies durch unterschiedliche Erleichterungen bei der Schadensberechnung, z. B. anhand fiktiver Lizenzgebühren, abgemildert, vgl. Art. 13 Abs. 1 lit. b RL 2004/48; zur Übernahme in das Lauterkeitsrecht bei Verstoß gegen §§ 4 Nr. 3, 17, 18 UWG Ohly in: Ohly/Sosnitza, UWG6 (2014) § 9 Rn. 15. 132 133
I. Existenz eines Schadensersatzanspruchs
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bb) Primärrechtsschutz als Ersetzung des Schadensersatzes Bedeutet dies nun zugleich, dass der Primärrechtsschutz einen Schadensersatzanspruch in manchen Fällen nicht nur ergänzen muss, sondern auch ersetzen kann? Zweifel an einer solchen Antwort weckt der Blick in Sachmaterien wie etwa das Kartellrecht oder das Verbrauchervertragsrecht. Hier ist dem Kläger mit reinem Unterlassungsrechtsschutz in der Regel weit weniger gedient, denn hier geht es in erster Linie um die Kompensation der durch das Kartell oder die unzulässige Vertriebspraxis bereits eingetretenen Schäden, nicht um die Verhütung künftiger Beeinträchtigungen. Aber auch im Antidiskriminierungsrecht dürfte die Alternativität von Primärrechtsschutz und Schadensersatz nur darauf zurückzuführen sein, dass durch die Einstellung des diskriminierten Bewerbers oder die Unwirksamkeit einer diskriminierenden Kündigung der Nachteil ähnlich einer Naturalrestitution (weitgehend)135 beseitigt wird, so dass sich ein Schadensersatzanspruch mangels Schadens erübrigt. Nur in solchen Fällen vermag der zivilrechtliche Primärrechtsschutz die Existenz eines ungeschriebenen Schadensersatzanspruchs entbehrlich zu machen. cc) Europäisches Lauterkeitsrecht als Gegenbeispiel? Und schließlich zeigt das Beispiel des Lauterkeitsrechts, dass sogar die explizite Garantie von (gerichtlichen und/oder behördlichen Unterlassungsanordnungen) nicht zu einer vollständigen Verdrängung des Schadensersatzanspruchs führt. Wie bereits dargelegt, sieht das lauterkeitsrechtliche Sekundärrecht eine Garantie von Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen bzw. entsprechender behördlicher Anordnungen auf Initiative der Mitbewerber vor (Art. 11 Abs. 1 RL 2005/29 und Art. 5 Abs. 1 RL 2006/114), nicht aber eine Regelung zum Schadensersatz. Erwägungsgrund 9 Satz 1 RL 2005/29 bestimmt lediglich, dass die Richtlinie „individuelle Klagen von Personen, die durch eine unlautere Geschäftspraxis geschädigt wurden“, nicht „berührt“. Ob sich aus dem allgemeinen Effektivitätsgebot trotz der fehlenden ausdrücklichen Regelung eine unionsrechtliche Garantie von Schadensersatzansprüchen bei Lauterkeitsverstößen ableiten lässt, ist in der Literatur umstritten und wird überwiegend verneint.136 Es scheint damit auf den ersten Blick, dass das euSieht man einmal von den Kosten und Mühen der Rechtsverteidigung und der Verschlechterung des „Klimas“ im Arbeitsverhältnis ab, die aber regelmäßig auch durch Schadensersatzansprüche nicht zu kompensieren wären. 136 Alexander Schadensersatz und Abschöpfung im Lauterkeits- und Kartellrecht (2010) S. 180 f.: „Die zum Kartellrecht ergangene Rechtsprechung [Courage und Manfredi] ist jedoch nicht auf das Lauterkeitsrecht übertragbar. Das Lauterkeitsrecht ist im Gemeinschaftsrecht anders verankert als das Kartellrecht. Zudem sind Schadensersatzansprüche sonstiger Marktteilnehmer, die von einer unlauteren Handlung betroffen sind, nicht generell ausgeschlossen. Solche Ansprüche können sich aus den allgemeinen Vorschriften des Vertrags- und Deliktsrechts ergeben. Eine spezifisch lauterkeitsrechtliche Anspruchsgrund135
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
ropäische Lauterkeitsrecht die These von der grundsätzlichen Gebotenheit von Schadensersatzansprüchen bei Verletzung unionaler Rechte widerlegt, weil auf den ersten Blick auch eine rein behördliche Durchsetzung der Unterlassungsansprüche ohne explizite Garantie von Schadensersatzansprüchen als effektivitätskonform angesehen wird. Bei näherem Hinsehen erweist sich jedoch, dass die Antwort differenzierter sein muss. Im Hinblick auf Schadensersatzansprüche individueller Verbraucher ist festzuhalten, dass die Richtlinie 2005/29 solche in der Tat nicht garantiert, weil sie nicht dem Schutz einzelner Verbraucher dient, sondern vielmehr auf den Schutz der kollektiven wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher zielt,137 so dass der individuelle Verbraucher bereits nicht zum geschützten Personenkreis zählt (zu kollektiven Rechten noch § 9 III 4 b → S. 565). Der individuelle Schutz der Verbraucher richtet sich vielmehr nach dem Verbrauchervertragsrecht der Union und der Mitgliedstaaten, in dessen Auslegung zwar die materiellen Wertungen der Lauterkeitsrichtlinie einfließen können,138 aus der sich aber (jedenfalls auf der Ebene des Unionsrechts) keine Ansprüche einzelner Verbraucher ergeben. Mit anderen Worten stehen die individuellen (verbraucher-)vertraglichen Ansprüche aufgrund der verbrauchervertraglichen Richtlinien und die Ansprüche wegen Verletzung der Lauterkeitsrichtlinie 2005/29 mit einem unterschiedlichen Kreis von Klageberechtigten nebeneinander,139 wobei die Richtlinie 2005/29 keine Klagerechlage ist gemeinschaftsrechtlich nicht geboten.“ Zur Diskussion um ein individuelles Klagerecht für einzelne Verbraucher die Nachweise in Fn. 140. 137 Vgl. Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO: „Auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus unlauterem Wettbewerbsverhalten ist das Recht des Staates anzuwenden, in dessen Gebiet die Wettbewerbsbeziehungen oder die kollektiven Interessen der Verbraucher beeinträchtigt worden sind oder wahrscheinlich beeinträchtigt werden“; Alexander Schadensersatz und Abschöpfung im Lauterkeits- und Kartellrecht (2010) S. 185: „Vielmehr zielt die Richtlinie allein auf den Schutz kollektiver Interessen von Verbrauchern.“ 138 Zur materiellen Kohärenz von verbraucherschützendem Lauterkeitsrecht und Verbrauchervertragsrecht (konkret zur Richtlinie 93/13 bei missbräuchlichen Preisangaben) Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 29.11.2011, Rs. C-453/10, ECLI: EU:C:2011:788 Rn. 88, 92, 93 ff., 112 ff. – Pereničová; Micklitz/Reich EuZW 2012, 126, 127. Siehe auch Lettl Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor irreführender Werbung in Europa (2004) S. 63: „Verdichtungsprozess“; Alexander Vertrag und unlauterer Wettbewerb (2002) S. 38 ff.; Leistner Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb (2007) S. 433 ff., 515: „Vertrags- und Lauterkeitsrecht grundsätzlich einheitlich zu betrachten“, 525 ff., S. 597 ff., 615 ff.; Busch Informationspflichten im Wettbewerbs- und Vertragsrecht (2008) S. 173 ff.; ders. GPR 2008, 158. 139 Zum Verhältnis der Richtlinie zum Verbrauchervertragsrecht EuGH 15.3.2012, Rs. C-453/10, ECLI:EU:2012:144 Rn. 45 – Pereničová; Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 29.11.2011, Rs. C-453/10, ECLI:EU:C:2011:788 Rn. 83 ff. – Pereničová; Köhler WRP 2009, 898, 912; weitergehend Micklitz in: MünchKommLauterkeitsrecht I2 (2014) EG D Rn. 30, der die Mitgliedstaaten nicht in der Frage autonom sieht, ob sie einen Vertrag als wirksam behandeln, der unter Verstoß gegen die Richtlinie zustande
I. Existenz eines Schadensersatzanspruchs
537
te und folglich auch keine Schadensersatzansprüche individueller Verbraucher garantieren will140 (vgl. Art. 11 Abs. 1 Satz 2 RL 2005/29, der – abgesehen von den Mitbewerbern – das berechtigte Interesse zur Durchsetzung der Richtlinie „nach dem nationalen Recht“ bestimmen will). Dieser Befund beruht allerdings auf der fehlenden Einbeziehung individueller Verbraucher in den Schutzbereich der Richtlinie 2005/29, nicht generell auf einem Vorrang des Unterlassungsrechtsschutzes gegenüber dem Schadensersatz. Die – in der Literatur in erster Linie diskutierte – Frage individueller Verbraucheransprüche ist zudem von der Frage der unionsrechtlichen Verankerung von Schadensersatzsansprüchen individueller Mitbewerber zu trennen. Insofern bezieht sich die Richtlinie ausdrücklich auf den Schutz „rechtmäßig handelnde[r] Unternehmen vor Mitbewerbern, die sich nicht an die Regeln dieser Richtlinie halten“ (Erwägungsgrund 8 Satz 2 RL 2005/29) und gewährleistet Unterlassungsansprüche (bzw. ein subjektives Recht auf Einschreiten der Behörden zum Erlass von Untersagungsanordnungen) auch individueller Mitbewerber (Art. 11 Abs. 1 Satz 2 RL 2005/29: „einschließlich Mitbewerbern“), so dass sich die Existenz von Schadensersatzansprüchen nicht unter Hinweis auf den Schutzzweck der Richtlinie verneinen lässt. Es kommt hinzu, dass die Formulierung in Erwägungsgrund 9 Satz 1 RL 2005/29 („individuelle Klagen [nicht] berührt“) gerade nicht als Ausschluss individueller Ansprüche gemeint war, weil sie gekommen ist; kritisch auch Augenhofer WRP 2006, 169, 171, 178. Zu den vertragsrechtlichen Konsequenzen einer Verletzung von Informationspflichten Fleischer ZEuP 2000, 779; Kocher ZEuP 2006, 785; Ackermann ZEuP 2009, 230, 257 ff.; Kroll-Ludwigs ZEuP 2010, 509, 517. 140 Vgl. Erwägungsgrund 9 RL 2005/29: „Diese Richtlinie berührt nicht individuelle Klagen von Personen, die durch eine unlautere Geschäftspraxis geschädigt werden.“ Aus der Literatur Köhler/Lettl WRP 2003, 1019, 1047; Gamerith WRP 2005, 391, 403; Augenhofer WRP 2006, 169, 172 f., Köhler WRP 2009, 898, 912; ders. in: Köhler/Bornkamm UWG34 (2016) § 1 UWG Rn. 39; De Cristofaro GRUR Int. 2010, 1017, 1018; Ohly in: Ohly/Sosnitza, UWG6 (2014) Einf C Rn. 46; siehe auch den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinien 84/450/EWG, 97/7/EG and 98/27/EG (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) KOM(2003) 356, S. 19 Rn. 77, wonach den Mitgliedstaaten keine neuen Verpflichtungen in Bezug auf die Durchsetzung auferlegt werden. Vgl. auch EuGH 15.3.2012, Rs. C-453/10, ECLI:EU:2012:144 Rn. 45 – Pereničová; Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 29.11.2011, Rs. C-453/10, ECLI:EU:C:2011:788 Rn. 83 ff. – Pereničová. Für ein lauterkeitsrechtliches Klagerecht individueller Verbraucher demgegenüber Fezer WRP 2006, 781, 788. Weitergehend auch Reich/Micklitz EWS 2012, 257, 263, die aus dem Effektivitätsgrundsatz ein Recht des Verbrauchers ableiten, sich durch einen Folgenbeseitigungsanspruch von den für ihn nachteiligen vertraglichen Folgen zu lösen; rechtspolitisch kritisch auch Augenhofer WRP 2006, 169, 171, 178; Alexander WRP 2012, 515, 522. Ausführlich Menke Wettbewerbsrechtlicher Verbraucherschutz – Bedarf es einer Aktivlegitimierung des Verbrauchers im UWG? (2011).
538
§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
„nicht verhindert, dass ein Gewerbetreibender gerichtliche Schritte gegen die Geschäftspraktiken eines anderen Gewerbetreibenden unternimmt, die gegen diese Richtlinie verstoßen und die […] einen unlauteren Wettbewerb darstellen“.141
Für die Mitbewerber bleibt es damit bei der Garantie individueller Ansprüche, die der Generalanwalt in Muñoz mit Recht auch auf Schadensersatzansprüche erstreckt hat.142 Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass der zivilrechtliche Primärrechtsschutz durch Unterlassung oder Beseitigung des unionsrechtswidrigen Zustands zwar neben dem Schadensersatzanspruch aus Gründen der Effektivität des Unionsrechts geboten sein kann, dass aber der Primärrechtsschutz umgekehrt nur dann private Schadensersatzansprüche entbehrlich machen kann, wenn durch den Primärrechtsschutz sichergestellt wird, dass die Einbuße durch die Verletzung des Unionsrechts vollständig verhindert oder behoben werden kann. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem europäischen Lauterkeitsrecht, weil sich die fehlende Anerkennung von Schadensersatzansprüchen individueller Verbraucher durch die Richtlinie 2005/29 durch die Beschränkung ihres Schutzzwecks auf kollektive Verbraucherinteressen erklären lässt und weil die Garantie von gerichtlichen oder behördlichen Unterlassungsanordnungen in Art. 11 Abs. 1 RL 2005/29 und Art. 5 Abs. 1 RL 2006/114 nicht die parallele Existenz ungeschriebener Schadensersatzansprüche von Mitbewerbern nach der Muñoz-Doktrin ausschließt. d) Derogation durch Sekundärrecht Ein Schadensersatzanspruch ist zur Durchsetzung unionaler Rechte schließlich auch dann nicht geboten, wenn das europäische Sekundärrecht diesen explizit oder implizit ausschließt. Soweit der europäische Gesetzgeber durch Sekundärrecht subjektive Rechte begründet, steht es ihm auch frei, die Reichweite dieser Rechte durch Ausschluss ihrer Durchsetzung mittels privatrechtlicher Ansprüche zu begrenzen. Primärrechtliche Grenzen bestehen nur dann, wenn das subjektive (durchzusetzende) Recht auf Primärrecht beruht (z. B. Art. 101 AEUV, zur Ausgestaltungskompetenz des einfachen Gesetzgebers bereits oben § 1 II 2 e aa 3 → S. 60). Ein Beispiel für eine solche Derogation durch Sekundärrecht ist die Alternativität gerichtlicher und behördlicher Unterlassungsanordnungen im europäischen Lauterkeitsrecht (Art. 11 Abs. 1 RL 2005/29 und Art. 5 Abs. 1 RL 2006/114), die sich allerdings nach hier vertretener Auffassung nur auf den Unterlassungsrechtsschutz bezieht und Schadensersatzansprüche individueller Mitbewerber aufgrund der Muñoz-Doktrin nicht ausschließt (oben § 9 I 3 c cc 141
S. 5 f. 142
Änderungsantrag 1 der legislativen Entschließung des Parlaments, A5-0188/2004, Nachweis bereits oben Fn. 114.
II. Funktionen des Schadensersatzanspruchs
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→ S. 535).143 Für ein Beispiel einer sekundärrechtlichen Derogation eines konkreten Rechtsbehelfs ist zudem auf Art. 2 Abs. 7 Satz 2 der Vergabenachprüfungsrichtlinie 2007/66 zu verweisen. Dort wird geregelt, dass ein Mitgliedstaat nach dem Vertragsschluss vorsehen kann, die Befugnisse der Nachprüfungsstelle auf die Zuerkennung von Schadensersatz zu beschränken und die Aufhebung der Vergabeentscheidung (Primärrechtsschutz) auszuschließen. Art. 2e Abs. 2 Satz 4 der Vergabenachprüfungsrichtlinie ordnet umgekehrt für bestimmte – besonders schwerwiegende – Vergaberechtsverstöße an, dass die Zuerkennung von Schadensersatz ausdrücklich keine angemessene Sanktion darstellt, sondern primär auf die Unwirksamkeit des vergaberechtswidrigen Vertrages zu erkennen ist. II. Funktionen des Schadensersatzanspruchs
II. Funktionen des Schadensersatzanspruchs
1. Kompensation
Ebenso wie in den nationalen Rechtsordnungen144 dient das Haftungs- und Schadensersatzrecht der Union zunächst dem Schadensausgleich.145 Diese Funktion wurde vom Gerichtshof nicht nur im Kontext der Unionshaftung nach Art. 340 Abs. 2 AEUV146 und im Rahmen der Haftung der MitgliedstaaSchadensersatzansprüche individueller Verbraucher aufgrund der Richtlinie 2005/29 scheitern nach hier vertretener Auffassung daran, dass diese Richtlinie nur dem Schutz der kollektiven, nicht der individuellen Verbraucherinteressen dient, oben § 9 I 3 c cc → S. 535. 144 Magnus in: Magnus (Hrsg.) Unification of Tort Law: Damages (2001) 185; Jansen Die Struktur des Haftungsrechts (2003) S. 373: „rein kompensatorische Konzeption des Schadensrechts“; Kelliher in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 1/36; Koziol in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 5, 12: Schadensersatzrecht „in den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen primär auf das Ziel des Ausgleichs ausgerichtet“; zu den Funktionen der Ersatzansprüche für immaterielle Einbußen Ady Ersatzansprüche wegen immaterieller Einbußen (2004) S. 98 ff., 126 ff.; G. Wagner JZ 2004, 319, 321 f.; Schubert Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden im Privatrecht (2013) S. 301 ff. 145 N. Reich in: Liber Amicorum Guido Alpa: Private Law Beyond the National Systems (2007) 846, 867: „Prevention therefore becomes part of the law of compensation, and the most adequate remedy in European traditions would be compensation for moral harm and non-material damage, while punitive damages are foreign to them“; Wissink in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 15/13; Magnus in: Research Group on the Existing EC Contract Law – Principles of the Existing EC Contract Law (Acquis Principles) Contract II (2009) Art. 8:402 Rn. 5, 7: „general aim and function of damages is compensation“; Wurmnest/Heinze in: Schulze (Hrsg.) Compensation of Private Losses (2011) 39, 53 ff.; Schubert Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden im Privatrecht (2013) S. 466 f. 146 EuGH 3.2.1994, Rs. C-308/87, Slg. 1994, I-341 Rn. 40 – Grifoni: „Der Ersatz des Schadens soll soweit wie möglich das Vermögen des Opfers eines Unfalls wiederherstellen“; zum Beamtendienstrecht auch EuGH 7.2.1990, Rs. C-343/87, Slg. 1990, I-225 Rn. 28 143
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
ten wegen EU-Rechtsverstößen bestätigt,147 sondern lässt sich auch in sämtlichen der in dieser Arbeit untersuchten Rechtsgebieten – wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung148 – und in anderen Materien des Unionsprivatrechts149 nachweisen. Schadensausgleich bedeutet auch im Unionsrecht nicht den Ersatz sämtlicher denkbarer Einbußen, sondern vielmehr den Ersatz der-
– Culin: „in vollem Umfang wiedergutgemacht“; EuGH 9.9.1999, Rs. C-257/98 P, Slg. 1999, I-5251 Rn. 22 – Lucaccioni: „Notwendigkeit einer vollständigen – und nicht einer doppelten – Entschädigung“; EuGH 21.2.2008, Rs. C-348/06 P, Slg. 2008, I-833 Rn. 76 – Girardot. 147 Explizit zur Funktion der Staatshaftung EuGH (Große Kammer) 17.4.2007, Rs. C-470/03, Slg. 2007, I-2749 Rn. 88 – A.G.M.-COS.MET: Staatshaftung dient „nicht der Abschreckung oder als Sanktion“, „sondern [ist] auf den Ersatz der Schäden gerichtet […], die Einzelnen durch Verstöße der Mitgliedstaaten gegen Gemeinschaftsrecht entstehen“; siehe auch EuGH 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 82 – Brasserie du Pêcheur: „Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß der Ersatz der Schäden, die dem einzelnen durch Verstösse gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, dem erlittenen Schaden angemessen sein muß, so daß ein effektiver Schutz der Rechte des einzelnen gewährleistet ist.“ Zur Erweiterung der Funktion des Haftungsanspruchs (Erhöhung der Durchsetzungskraft der Umweltverträglichkeitsrichtlinie durch die Möglichkeit, Schadensersatzansprüche auf diese Richtlinie zu stützen) siehe auch die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 8.11.2012, Rs. C-420/11, ECLI:EU:C:2013:701 Rn. 39 – Leth. 148 Zum Kartelldeliktsrecht § 4 II → S. 164 mit Fn. 54–56, zum Verbrauchervertragsrecht § 5 II → S. 294 mit Fn. 559–561, zum Reiserecht § 6 II → S. 338 mit Fn. 43, zum Produkthaftungsrecht § 7 II 1 → S. 372 bei Fn. 175–176, zum Luftbeförderungsrecht § 8 II 1 → S. 449 mit Fn. 68 und § 8 II 2 → S. 450 mit Fn. 73. 149 Außerhalb der Referenzgebiete dieser Arbeit siehe zum Antidiskriminierungsrecht EuGH 2.8.1993, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367 Rn. 31, 34 – Marshall II: „völlige Wiedergutmachung des durch eine diskriminierende Entlassung entstandenen Schadens“; EuGH 11.10.2007, Rs. C-460/06, Slg. 2007, I-8511 Rn. 46 – Paquay: „Nachteile […] vollem Umfang auszugleichen“; Art. 10 RL 2010/41, Art. 18 RL 2006/54; zum Immaterialgüterrecht Art. 13 Abs. 1 und Erwägungsgrund 26 RL 2004/48: „Ausgleich des […] erlittenen tatsächlichen Schadens“; „Bezweckt wird dabei nicht die Einführung einer Verpflichtung zu einem als Strafe angelegten Schadensersatz, sondern eine Ausgleichsentschädigung für den Rechtsinhaber auf objektiver Grundlage unter Berücksichtigung der ihm entstandenen Kosten, z. B. im Zusammenhang mit der Feststellung der Rechtsverletzung und ihrer Verursacher“; zum Versicherungsrecht (Ausgleichsfonds der Kfz-Haftpflichtversicherer) EuGH 4.12.2003, Rs. C-63/01, Slg. 2003, I-14447 Rn. 64, 67 – Evans: „Der Ersatz des Schadens soll das Vermögen des Opfers eines Unfalls so weit wie möglich wiederherstellen“ (mit Zitat von Grifoni oben Fn. 146 in Rn. 40); zum Kapitalmarktrecht EuGH 19.12.2013, Rs. C-174/12, ECLI:EU:C:2013:856 Rn. 43 – Hirmann: „Im vorliegenden Fall stellen die zivilrechtlichen Haftungsvorschriften nach der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung eine angemessene Abhilfe für den dem Anleger entstandenen Schaden sowie die Verletzung der Informationspflicht des Emittenten dar“; zum Datenschutzrecht Erwägungsgrund 146 Satz 6 Datenschutz-Grundverordnung 2016/ 679: „Die betroffenen Personen sollten einen vollständigen und wirksamen Schadenersatz für den erlittenen Schaden erhalten.“
II. Funktionen des Schadensersatzanspruchs
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jenigen Einbußen, die das Unionsrecht als ersatzfähig ansieht.150 Diese hängen naturgemäß von der Art, dem Inhalt und dem Zweck der verletzten Primärnorm ab, lassen sich aber durchaus rechtsaktübergreifend auf einen gemeinsamen Kern zurückführen (dazu unten § 9 V 3 → S. 585). 2. Prävention und Rechtsdurchsetzung Andererseits hat die Untersuchung der meisten Referenzgebiete ergeben, dass der Schadensausgleich nicht die einzige Funktion des Schadensersatzes im Unionsrecht ist, wie sich bereits aus der allgemeinen Verpflichtung auf „wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen“ (dazu § 1 II 2 b bb → S. 38) und der „Doppelnatur“ des Effektivitätsgrundsatzes ergibt, der neben der wirksamen Durchsetzung individueller Rechte auch auf die Wirksamkeit des Unionsrechts insgesamt zielt (dazu § 1 II 2 b aa → S. 35). So zeigt sich im Kartelldeliktsrecht, bei der Belehrungsmängelhaftung im Verbrauchervertragsrecht, bei den Ausgleichsansprüchen nach der Fluggastrechteverordnung 261/2004 und ansatzweise auch im Pauschalreiserecht, dass das Unionsrecht auch die Zwecke der Prävention und der Rechtsdurchsetzung verfolgt.151 Im Kartelldeliktsrecht hat der Gerichtshof bereits in Courage anerkannt, dass „ein solcher Schadensersatzanspruch […] die Durchsetzungskraft der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln [erhöht] und […] geeignet [ist], von – oft verschleierten – Vereinbarungen oder Verhaltensweisen abzuhalten, die den Wettbewerb beschränken oder verfälschen können“.
Aus dieser Perspektive „können Schadensersatzklagen vor den nationalen Gerichten wesentlich zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Gemeinschaft beitragen“.152 Eine nahezu wortgleiche Begründung für die
Jansen Die Struktur des Haftungsrechts (2003) S. 36 f., ders. ZEuP 2004, 441, 442 verweist mit Recht darauf, dass kein Haftungsrecht einen vollständigen Ausgleich leiste, sondern vielmehr berechtigte von unberechtigten Ansprüchen abgrenze und damit spezifische Gerechtigkeitsvorstellungen über den fairen Ausgleich ausdrücke. 151 Siehe die Analyse von G. Wagner AcP 210 (2010) 352, 389 ff.; ferner N. Reich in: Liber Amicorum Guido Alpa: Private Law Beyond the National Systems (2007) 846, 867; ähnlich Alexander Schadensersatz und Gewinnabschöpfung im Lauterkeits- und Kartellrecht (2010) S. 93: „Es kann hiernach [Courage und Manfredi] nicht zweifelhaft sein, dass nach der Rechtsprechung des EuGH die abschreckende Wirkung nicht von der Art des Sanktionsinstruments abhängig ist, sondern vielmehr als ein generelles Gebot des Gemeinschaftsrechts angesehen werden muss“; „wird man die abschreckende Wirkung auch im Privatrecht nicht als bloßen Nebenzweck oder erwünschte Reflexwirkung abtun können, sondern als wesentliches Leitmotiv zu berücksichtigen haben“. 152 EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 27 – Courage. Daraus folgt, dass der europäische Gesetzgeber ein funktionsfähiges Sanktionsystem mit präventiver Wirkung sicherstellen muss, siehe Basedow ZWeR 2006, 294, 296; Wurmnest in: Remien 150
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
Initiativberechtigung der Wettbewerber zur Durchsetzung europäischer Kennzeichnungsvorschriften für Obst findet sich in der Entscheidung Muñoz: „Eine solche Klagebefugnis [privater Wettbewerber] verstärkt nämlich die Durchsetzungskraft der gemeinschaftsrechtlichen Regelung der Qualitätsnormen. Sie ergänzt die Tätigkeit der Stellen, die in den Mitgliedstaaten für die Durchführung der in dieser Regelung vorgesehenen Kontrollen zuständig sind, und trägt damit dazu bei, oft nur schwer aufzudeckende Praktiken zu unterbinden, die den Wettbewerb verfälschen könnten. So gesehen sind Klagen von Konkurrenten vor nationalen Gerichten besonders geeignet, wesentlich zur Sicherung eines lauteren Handels und der Markttransparenz in der Gemeinschaft beizutragen.“153
Auch die Ausdehnung der ersatzfähigen Einbußen auf den Zeitverlust und die Unannehmlichkeiten bei Flugverspätungen und Annullierungen und die Standardisierung der Ausgleichsansprüche unabhängig von der tatsächlichen Einbuße (Verspätung) und vom Ticketpreis in der Fluggastrechteverordnung 261/2004 ist wesentlich durch das Ziel der Prävention und Rechtsdurchsetzung motiviert.154 Gleiches gilt für die verbrauchergünstige Risikoüberwälzungsmöglichkeit in der Belehrungsmängelhaftung nach Schulte, die über die Wiederherstellung des status quo ante hinausgeht.155 Auch außerhalb der Referenzgebiete dieser Untersuchung finden sich Beispiele für den Präventionszweck von Schadensersatzansprüchen im Unionsprivatrecht. Besonders prominent wurde dieses Ziel im Antidiskriminierungsrecht anerkannt, wo der Gerichtshof verlangt, dass ein Entschädigungsanspruch „zur Gewährleistung eines tatsächlichen und wirksamen Rechtsschutzes geeignet ist, eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber hat und auf jeden Fall in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden steht“.156
Zu den Haftungsnormen in Art. 6 Prospektrichtlinie 2003/71 und Art. 7 der Transparenzrichtlinie 2004/109 hat der Gerichtshof ebenfalls entschieden, dass diese nicht nur dem Ausgleich des Schadens dienen, sondern auch dazu geeignet sein sollen, „Emittenten davon abzuhalten, Anleger in die Irre zu führen“.157 (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 27, 36; zur Bedeutung der Prävention im Kartellrecht allgemein Ackermann ZWeR 2010, 329 ff. 153 EuGH 17.9.2002, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 31 – Muñoz. 154 Oben § 8 II 2 → S. 449 mit Fn. 81–84. 155 Oben § 5 II→ S. 293. Zur gebotenen abschreckenden Wirkung der Sanktionen im Verbraucherdarlehensrecht auch EuGH 27.3.2014, Rs. C-565/12, ECLI:EU:C:2014:190 Rn. 51–53 – LCL Le Crédit Lyonnais. 156 EuGH 22.4.1997, C-180/95, Slg. 1997, I-2195 Rn. 25 – Draehmpaehl mit Verweis auf EuGH 10.4.1984, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 Rn. 23 f. – von Colson und Kamann; ferner EuGH 25.4.2013, Rs. C-81/12, ECLI:EU:C:2013:275 Rn. 63 – Accept; EuGH 17.12.2015, Rs. C-407/14, ECLI:EU:C:2015:831 Rn. 31 – Camacho. 157 EuGH 19.12.2013, Rs. C-174/12, ECLI:EU:C:2013:856 Rn. 43 – Hirmann: „Im vorliegenden Fall stellen die zivilrechtlichen Haftungsvorschriften nach der im Ausgangs-
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Auch „die gerechte Entschädigung der Gläubiger für die aufgrund eines Zahlungsverzugs des Schuldners entstandenen Beitreibungskosten“ nach Art. 6 RL 2011/7 dient dem Zweck, „von der Überschreitung der Zahlungsfristen abzuschrecken“ (Erwägungsgrund 19 Satz 1 RL 2011/7). Verhaltenssteuernde Wirkung wird ferner dem Schadensersatzanspruch nach Art. 35a Ratingverordnung 1060/2009 (novelliert durch VO 462/2013) zugesprochen.158 Ein weiteres Beispiel für die Öffnung der Funktionen des Schadensersatzes über die reine Kompensation hinaus ist Art. 13 der immaterialgüterrechtlichen Durchsetzungsrichtlinie 2004/48.159 Nach dieser Norm hat der „Verletzer, der wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass er eine Verletzungshandlung vornahm, dem Rechtsinhaber zum Ausgleich des von diesem wegen der Rechtsverletzung erlittenen tatsächlichen Schadens angemessenen Schadensersatz zu leisten“ (Art. 13 Abs. 1 UAbs. 1 RL 2004/48).
Diese Regelung findet sich im Kontext einer Richtlinie, die ausdrücklich das Ziel verfolgt, das materielle Recht auf dem Gebiet des geistigen Eigentums wirksam durchzusetzen (Erwägungsgrund 3 RL 2004/48), was sich in den Vorgaben des Art. 13 Abs. 1 UAbs. 2 RL 2004/48 zur „Festsetzung des Schadensersatzes“ spiegelt: Auch wenn der ursprüngliche Kommissionsvorschlag doppelter Lizenzgebühren160 nicht in die endgültige Richtlinie übernommen verfahren in Rede stehenden nationalen Regelung eine angemessene Abhilfe für den dem Anleger entstandenen Schaden sowie die Verletzung der Informationspflicht des Emittenten dar. Außerdem sind sie geeignet, Emittenten davon abzuhalten, Anleger in die Irre zu führen.“ 158 Berger/Ryborz WM 2014, 2241, 2246: „Anspruchsauslösend ist also nicht die Abgabe eines inhaltlich fehlerhaften Ratings, sondern allein der Verstoß gegen die in Anhang III abschließend aufgezählten Verhaltensregeln für Ratingagenturen. Dadurch wird deutlich, dass die neue europarechtliche Haftungsnorm nicht nur kompensatorische, sondern auch verhaltenssteuernde Funktion hat.“ 159 Ebenso Metzger in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 209, 212: „Der Standort der Vorschrift [Art. 3 Abs. 2 RL 2004/48, d. h. die allgemeine Verpflichtung auf wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen] lässt nur den Schluß zu, dass sich die abschreckende Wirkung auch (oder gerade) durch Schadensersatzansprüche gemäß Art. 13 ergeben soll. Diese Funktion überschreitet das klassische mit Schadensersatz bezweckte Ziel der Kompensation und zielt auf eine Verhaltenssteuerung durch zivilrechtliche Sanktionen ab. Allerdings darf dies gemäß Erwägungsgrund 26 nicht so verstanden werden, dass der Schadensersatz als Strafe anzusehen wäre.“ 160 Vorschlag für eine Richtlinie über die Maßnahmen und Verfahren zum Schutz der Rechte an geistigem Eigentum KOM(2003) 46, Art. 17 Abs. 1 lit. a: „Schadensersatz in doppelter Höhe der Vergütung oder Gebühr, die der Verletzer hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des betreffenden Immaterialgüterrechts eingeholt hätte“. Allerdings sollte diese Bestimmung „einen vollständigen Schadensausgleich ermöglichen, der von dem Rechteinhaber oft nur mit Mühe zu ermitteln ist; dieser Schadensersatz ist nicht als Strafe gedacht, sondern als Aufwandsentschädigung für den Rechteinhaber auf objektiver Grundlage unter Berücksichtigung der ihm entstandenen Kosten, z. B. im Zu-
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wurde, so orientiert sich der Schadensersatz nach Art. 13 Abs. 1 UAbs. 2 lit. a RL 2004/48 an „alle[n] in Frage kommenden Aspekte[n], wie [den] negativen wirtschaftlichen Auswirkungen, einschließlich der Gewinneinbußen für die geschädigte Partei und der zu Unrecht erzielten Gewinne des Verletzers, sowie in geeigneten Fällen auch [an] andere[n] als […] rein wirtschaftlichen Faktoren, wie de[m] immateriellen Schaden für den Rechtsinhaber“.
Gemäß Art. 13 Abs. 1 UAbs. 2 lit. b RL 2004/48 können die Gerichte ersatzweise „in geeigneten Fällen [etwa wenn die Höhe des tatsächlich verursachten Schadens schwierig zu beziffern wäre, Erwägungsgrund 26 Satz 2 RL 2004/48] den Schadensersatz als Pauschalbetrag festsetzen, und zwar auf der Grundlage von Faktoren wie mindestens dem Betrag der Vergütung oder Gebühr, die der Verletzer hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des betreffenden Rechts des geistigen Eigentums eingeholt hätte“,
wobei diese pauschale Lizenzgebühr nur die materiellen Schäden abdeckt, so dass zusätzlich auch der Ersatz des immateriellen Schadens gefordert werden kann.161 Vor allem der Verweis auf die „zu Unrecht erzielten Gewinne des Verletzers“ und die Verpflichtung auf ein „hohes Schutzniveau“ (Erwägungsgrund 10 RL 2004/48),162 aber auch der Ansatz eines pauschalen Mindestschadens in Höhe der fiktiven Lizenzgebühr und der parallel mögliche Ersatz immaterieller Schäden öffnet den Schadensersatz für die Präventionsfunktion,163 weil etwa die Gewinnabschöpfung traditionell nicht als Inhalt sammenhang mit der Feststellung der Rechtsverletzung und ihrer Verursacher“, KOM (2003) 46 S. 25, dazu Metzger/Wurmnest ZUM 2003, 922, 931 f. Erhöhte Lizenzgebühren sind nach wie vor im Sortenschutzrecht vorgesehen, siehe Art. 18 Abs. 2 VO 1768/95 zur Umsetzung der Ausnahme in Art. 14 Abs. 3 Sortenschutzverordnung 2100/94; siehe auch EuGH 5.7.2012, Rs. C-509/10, ECLI:EU:C:2012:416 Rn. 42 – Geistbeck. Für eine Erklärung doppelter Lizenzgebühren auf Basis des Ausgleichsgedankens (als pauschale Entschädigung auch für Rechtsdurchsetzungskosten und Marktstörungsschäden) Koziol in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 5, 19 (der eine Ausdehnung dieses Ansatzes auf „Schwarzfahrer“ in öffentlichen Verkehrsmitteln vorschlägt). 161 EuGH 17.3.2016, Rs. C-99/15, ECLI:EU:C:2016:173 Rn. 26 – Liffers. 162 Dazu EuGH 17.3.2016, Rs. C-99/15, ECLI:EU:C:2016:173 Rn. 24 – Liffers; deutlich Schlussanträge des Generalanwalts Wathelet vom 19.11.2015, Rs. C-99/15, ECLI:EU: C:2015:768 Rn. 34 – Liffers: „Ein solcher Ausschluss [des Ersatzes für immaterielle Schäden] hätte nämlich die Folge, der Verurteilung jegliche abschreckende Wirkung zu nehmen, da der Verletzer dem Rechtsinhaber nur die Summe ersetzen müsste, die er ihm hätte entrichten müssen, wenn er das betreffende Recht respektiert hätte, und die geringer als der tatsächliche Schaden sein kann. Eine solche Entschädigung stünde folglich nicht mit dem Willen des Unionsgesetzgebers im Einklang, ein hohes Schutzniveau für geistiges Eigentum zu gewährleisten.“ 163 Der Gesichtspunkt der Prävention wird durch einen Bericht der Kommission unterstrichen, Bericht der Kommission Anwendung der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des
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von kompensatorischen Schadensersatzansprüchen angesehen wird.164 Eine Erweiterung der Funktionen des Schadensersatzanspruchs zeigt sich auch in Art. 3 Abs. 2 („wirksam, verhältnismäßig, abschreckend“) und Erwägungsgrund 17 RL 2004/48, wonach „die in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe […] in jedem Einzelfall so bestimmt werden [sollten], dass den spezifischen Merkmalen dieses Falles, einschließlich der Sonderaspekte jedes Rechts an geistigem Eigentum und gegebe-
geistigen Eigentums KOM(2010) 779 S. 8 f: Die ausgleichende und abschreckende Wirkung von Schadenersatz […] „Hauptziel des Schadenersatzes ist es, die Rechteinhaber in die gleiche Lage zu versetzen wie es ohne die Rechtsverletzung der Fall gewesen wäre. Heutzutage scheinen jedoch die Gewinne der Rechteverletzer (ungerechtfertigte Bereicherung) wesentlich höher auszufallen als der dem Rechteinhaber tatsächlich entstandene Schaden. In diesen Fällen könnte in Erwägung gezogen werden, ob die Gerichte befugt sein sollten, einen der ungerechtfertigten Bereicherung des Rechteverletzers entsprechenden Schadenersatz zu verhängen, auch wenn dieser den dem Rechteinhaber tatsächlich entstandenen Schaden übersteigt. Desgleichen könnte einiges dafür sprechen, von der Möglichkeit des Schadenersatzes für andere wirtschaftliche Folgen und immaterielle Schäden häufiger Gebrauch zu machen.“ Siehe auch EuGH 26.4.2007, Rs. C-348/04, Slg. 2007, I-3391 Rn. 59, 63 – Boehringer Ingelheim: „effektiv und abschreckend genug, um die volle Wirksamkeit der Richtlinie 89/104 herzustellen“; „Es ist jedoch Sache des nationalen Gerichts, im Einzelfall insbesondere unter Berücksichtigung des Umfangs des dem Markeninhaber durch den Verstoß des Parallelimporteurs entstandenen Schadens und unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Höhe der finanziellen Entschädigung zu bestimmen.“ Letztlich offenlassend Schubert Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden im Privatrecht (2012) S. 448: „Im Ergebnis regelt die Richtlinie nicht eindeutig, ob es sich eher um einen kompensatorischen Schadensersatz handelt, der auf verschiedene Weise berechnet werden kann, oder um eine überkompensatorische Entschädigung zur effektiven Abschreckung bei lukrativen Delikten.“ Ausführlich zum Verständnis der Abschreckung und Verhaltenssteuerung in der Gewinnabschöpfung Boosfeld Gewinnausgleich (2015) S. 190 ff., 194: „Der Gewinnausgleich dient demnach nicht dazu, in einer Form abzuschrecken, wie es etwa durch eine den Gewinn übersteigende Strafzahlung möglich wäre. Er beseitigt vielmehr den Anreiz zu rechtswidrigen Verhaltensweisen, indem er den Rechtsverletzer in die (finanzielle) Lage zurückversetzt, in der er sich vor der Gewinnerzielung befand.“ Allerdings wird die Gewinnherausgabe nicht nur mit dem Gedanken der Abschreckung, sondern auch mit der Schadensvermutung, der prinzipiellen Zuordnung von Gewinnen zum Rechtsinhaber oder der Fiktion der Gewinnerzielung für den Rechtsinhaber erklärt, Boosfeld Gewinnausgleich (2015) S. 190 ff., 240, 279. 164 Koziol Grundfragen des Schadensersatzrechts (2010) Rn. 2/45: Anspruch „im Zwischenbereich von Schadensersatz- und Bereicherungsausgleich“; Metzger in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 209, 219: „Der Gewinnabschöpfung wohnt ein pönales Element inne, die abschreckende Wirkung ist deutlich ausgeprägter als beim einfachen kompensatorischen Schadensersatz“; gegen ein pönales Element Remien in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 359, 371: „kein über die Frucht der Tat hinausgehendes Übel zugefügt“. Siehe auch bereits die Ausführungen in § 3 II 1 c aa → S. 133.
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nenfalls des vorsätzlichen oder nicht vorsätzlichen Charakters der Rechtsverletzung gebührend Rechnung getragen wird“.165
Diese Aspekte wären nicht zu berücksichtigen, wenn es beim Schadensersatz allein um Schadensausgleich ginge. Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass das Unionsprivatrecht vor allem auf dem Gebiet der Marktregulierung (Kartellrecht, Lauterkeitsrecht, Recht des geistigen Eigentums),166 aber auch im Antidiskriminierungsrecht oder im Reise- und Luftverkehrsrecht die Funktion von Schadensersatzansprüchen nicht nur im Schadensausgleich, sondern auch in der Prävention und der Durchsetzung des Unionsrechts sieht.167 a) Grenzen der Prävention Allerdings lässt sich der Präventionszweck nicht für alle Referenzmaterien gleichermaßen ausgeprägt nachweisen. So zeigt sich das Präventionsziel im Produkthaftungsrecht nur zurückhaltend (§ 7 II → S. 371). Auch die Acquis Principles haben für den acquis des Vertragsrechts der Union den Gedanken Ohly in: Drexl u. a. (Hrsg.) Technology and Competition, Contributions in honour of Hanns Ullrich (2009) 257, 273 f. Zum sortenschutzrechtlichen Schadensersatz siehe auch EuGH 5.7.2012, Rs. C-509/10, ECLI:EU:C:2012:416 Rn. 42 – Geistbeck: „Der Anreizcharakter, der mit dem in Art. 94 der Verordnung Nr. 2100/94 vorgesehenen Begriff ‚angemessene Vergütung‘ verbunden ist, ist aber umso mehr geboten, als nach Art. 14 Abs. 3 fünfter Gedankenstrich der Verordnung ausschließlich die Inhaber des Sortenschutzes für die Kontrolle und die Überwachung der Verwendung der geschützten Sorten im Rahmen des berechtigten Nachbaus verantwortlich und daher auf die Ehrlichkeit und die Kooperation der betroffenen Landwirte angewiesen sind.“ 166 So auch B. Koch (aus eher rechtsvergleichender Perspektive) in: Schulze (Hrsg.) Compensation of Private Losses (2011) 19, 23 ff.; Wurmnest/Heinze in: Schulze (Hrsg.) Compensation of Private Losses (2011) 39, 56 ff. 167 Ebenso Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 98 f., der mit Recht auf die geringere Ausprägung der Prävention in Teilmaterien (z. B. dem Beamtendienstrecht) verweist, dazu sogleich § 9 II 3 → S. 549; Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 11.03–11.07. Soweit Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 7.03 darauf verweist, dass die private Durchsetzung des Unionsrechts aufgrund vielfältiger Hindernisse nur begrenzten praktischen Erfolg hatte („secondary EU law at issue here has on the whole been at best only modestly successful where it seeks to facilitate the bringing of actions for damages by private parties before national courts“), stützt er sich dabei ausschließlich auf Studien und Konsultationen der Kommission, die zwangsläufig zur Rechtfertigung ihrer Legislativbemühungen an einem solchen Befund ein gewisses Interesse hat. Zudem dürfte etwa der Befund im Immaterialgüterrecht außer acht lassen, dass Schadensersatzansprüche häufig erst nach vorheriger Klärung der Rechtsverletzung im Unterlassungsprozess geltend gemacht und dann häufig vergleichsweise (außergerichtlich) beigelegt werden. Auch im Kartelldeliktsrecht wird von einer hohen Vergleichsquote berichtet, während die geringere praktische Bedeutung des Produkthaftungsrechts durch die häufig sehr strikte parallele nationale Deliktshaftung erklärbar ist. 165
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der Prävention nur in engen Grenzen akzeptiert, insofern die Präventionsfunktion nur in geeigneten Fällen zur Anwendung kommen soll, z. B. im Bereich des Antidiskriminierungsrechts.168 Aus der Perspektive des Marktregulierungsrechts könnte man diese Unterschiede mit dem Hinweis erklären, dass gerade das Marktregulierungsrecht – stärker als das allgemeine Deliktsrecht – auf die Prävention durch privatrechtliche Haftung angewiesen ist, um „den Marktschutz durch Einhaltung der entsprechenden Marktverhaltensnormen“ zu sichern.169 Aus diesem Blickwinkel geht es bei der Prävention im Bereich der Marktregulierung nicht – wie im allgemeinen Deliktsrecht – um die Verhinderung von individuellen Schäden, sondern „primär um [die] Durchsetzung objektiver Verhaltensnormen zum Schutz der Funktionsfähigkeit von Märkten“.170 Aber auch der Hinweis auf die besondere Bedeutung der Prävention zum Schutz des Marktes und die Unterscheidung zum allgemeinen Deliktsrecht kann nicht vollständig erklären, weshalb das Unionsrecht im Antidiskriminierungsrecht, im Verbrauchervertragsrecht oder im Reise- und Luftverkehrsrecht Präventionszwecke verfolgt. Näher liegt, dass es um die Bedeutung des konkreten Regelungsziels für die Union geht, die sich an den Zielbestimmungen der Verträge wie etwa Art. 3 EUV ablesen lässt. Handelt es sich um ein zentrales Ziel der Union wie den Schutz vor Wettbewerbsbeschränkungen171 (Art. 101 AEUV, Courage) oder vor Diskriminierungen (Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 EUV, Art. 157 AEUV, von Colson und Kamann), die Sicherung des Binnenmarktes (Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 Satz 1 EUV) – sei er auch nur in banalen Kennzeichnungsvorschriften für Obst verankert –, oder den Verbraucherschutz172 (Art. 114 Abs. 3, 169 AEUV, Schulte, Fluggastrechteverordnung), so dienen private Schadensersatzansprüche neben der Kompensation auch der Prävention und der Durchsetzung des Unionsrechts – zumal wenn das konkrete Ziel wie der Diskriminierungsschutz im allgemeinen Privatrecht für manche Mitgliedstaaten neu ist, so dass DurchsetzungsdeMagnus in: Research Group on the Existing EC Contract Law – Principles of the Existing EC Contract Law (Acquis Principles) Contract II (2009) Art. 8:401 Rn. 10. 169 Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012) S. 479. 170 Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012) S. 478. 171 Zwar findet sich der Schutz des unverfälschten Wettbewerbs nicht mehr unter den Unionszielen des Art. 3 EUV (ehemals Art. 3 lit. f i. V. m. Art. 85 ff. EWG-Vertrag), er ist aber nach wie vor in Protokoll Nr. 27 über den Binnenmarkt und den Wettbewerb, ABl. 2010, C 83, S. 309 verankert und gilt auch nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon fort, EuGH 17.2.2011, Rs. C-52/09, Slg. 2011, I-527 Rn. 20 f. – TeliaSonera; EuGH 17.11.2011, Rs. C-496/09, ECLI:EU:C:2011:740 Rn. 60 – Kommission/Italien. 172 Das Ziel des Verbraucherschutzes ist zugegebenermaßen auch in der Produkthaftungsrichtlinie anzutreffen. Allerdings ist diese Richtlinie zumindest bei Personenschäden nicht auf den Verbraucherschutz beschränkt, und auch im Übrigen handelt es sich wegen des Alters der Richtlinie, der Idee einer „Versicherungslösung“ und der fehlenden Anbindung an das Vertragsrecht um einen Rechtsakt, der von den übrigen verbraucher(vertrags)rechtlichen Rechtsakten zu unterscheiden ist. 168
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fizite zu befürchten sind. Umgekehrt kann das regulative Umfeld des Rechtsakts im Unionsrecht das Bedürfnis nach der Prävention durch zivilrechtliche Schadensersatzansprüche auch reduzieren, etwa in der Produkthaftung durch die Existenz öffentlich-rechtlicher Instrumentarien wie der Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95.173 Auch wenn die Orientierung an den Unionszielen eine Höhergewichtung des Präventions- und Rechtsdurchsetzungsziels zu erklären vermag, so hat sie im Ergebnis eine Unwucht des unionalen Haftungsrechts zur Folge, insofern bestimmte Regelungsziele (Wettbewerb, Binnenmarkt, Diskriminierungsschutz) besonders hervorgehoben werden, während die traditionell hochstehenden Individualrechtsgüter wie Leben, Körper und Gesundheit weniger prominent erscheinen. Es bleibt zu hoffen, dass sich diese Imbalance der Unionsziele nach der Verbindlichkeit der Grundrechtecharta in der Entscheidungspraxis des Gerichtshofs ausgleichen wird. b) Verhältnis von Prävention und Rechtsdurchsetzung Schließlich sind das Präventionsziel und die Durchsetzung des Unionsrechts nicht zwangsläufig kongruent. Zwar hat die Verstärkung der Rechtsdurchsetzung im Regelfall auch präventive Wirkungen, insofern potentielle Rechtsverletzer durch die höhere Durchsetzungskraft der Norm tendenziell von der Verletzung abgeschreckt werden. Auf der anderen Seite lassen sich aber auch Beispiele finden, in denen das Unionsrecht die Durchsetzung verstärken will, ohne aber zugleich das Ziel der Abschreckung zu verfolgen. Als Beispiel mag man an das Staatshaftungsrecht der Union denken, das ohne Zweifel die effektive Durchsetzung des Unionsrechts stärken will, andererseits aber – jedenfalls nach der Judikatur des Gerichtshofs – nicht das Ziel der Abschreckung verfolgt. 174 Ein anderes Beispiel ist die Durchsetzung haftungsbegrenzender Vor-
173 Zur Neufassung und Ersetzung der Produktsicherheitsrichtlinie durch eine Produktsicherheitsverordnung KOM(2013) 78. Demgegenüber dürfte die öffentlich-rechtliche Durchsetzung des Kartellrechts allein durch die Kommission und die Kartellbehörden nicht als ausreichend wirksam empfunden werden, so dass die Ergänzung durch präventiv wirkende private Schadensersatzansprüche geboten war. 174 Siehe EuGH (Große Kammer) 17.4.2007, Rs. C-470/03, Slg. 2007, I-2749 Rn. 88 – A.G.M.-COS.MET: Staatshaftung dient „nicht der Abschreckung oder als Sanktion“, „sondern [ist] auf den Ersatz der Schäden gerichtet […], die Einzelnen durch Verstöße der Mitgliedstaaten gegen Gemeinschaftsrecht entstehen“; EuGH 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 82 – Brasserie du Pêcheur: „Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß der Ersatz der Schäden, die dem einzelnen durch Verstösse gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, dem erlittenen Schaden angemessen sein muß, so daß ein effektiver Schutz der Rechte des einzelnen gewährleistet ist.“ Zu diesem Argument auch Jansen ZEuP 2004, 441, 442: „Während es traditionell um die Schadensprävention geht, zielen die Francovich-Rechtsprechung und auch die Judikatur zur haftungsrechtlichen
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schriften des Unionsrechts wie etwa der absoluten Ausschlussfrist in Art. 11 der Produkthaftungsrichtlinie 85/374, die die einheitliche Geltung des Unionsrechts fördert, aber die Präventionswirkung des Produkthaftungsrechts zu reduzieren vermag. 175 Ein drittes Beispiel ist die durch das Unionsrecht explizit nicht gebotene Einführung überkompensatorischer Elemente in das Recht des Schadensersatzes: Zwar hat der europäische Einfluss bei manchen Tatbestandsmerkmalen zur Folge, dass der Schutzzweck eine für den Geschädigten günstigere Auslegung gebietet, aber einen Präventionszuschlag auf den Schadensersatz, wie er zuweilen aus rechtsökonomischer Perspektive gefordert wird,176 verlangt auch der europäische Effektivitätsgrundsatz nicht; zuweilen wird er sogar ausdrücklich untersagt (Art. 3 Abs. 3 RL 2014/104). Bei näherer Betrachtung der Judikatur erweist sich sogar, dass das normative Interesse an der Durchsetzung des Unionsrechts zum Zwecke der Integration durch Recht – erreicht durch die einheitliche Geltung der Rechtsakte der Union in den Mitgliedstaaten – im Regelfall in der Argumentation des Gerichtshofs im Vordergrund steht, während das Präventionsziel nur als zusätzliches Argument bemüht wird.177 Pointiert mag man deshalb das Ziel der Durchsetzung des Unionsrechts durch private Ansprüche als eine vom Präventionsziel zu unterscheidende, wenn auch mit ihm i. d. R. gleichgerichtete Rechtsdurchsetzungs- oder Integrationsfunktion des Schadensersatzes bezeichnen. 3. Verhältnis von Kompensation und Prävention Sind Prävention und Rechtsdurchsetzung damit neben dem Schadensausgleich Ziele (mindestens weiter Teile) des unionalen Haftungsrechts, so stellt sich die Frage, wie sich die Ziele zueinander verhalten, vor allem wie sich der Präventionszweck in der konkreten Schadensberechnung niederschlägt.178 Hier lassen sich zwei Positionen unterscheiden, von denen eine der Prävention eine eigenständige – zuweilen sogar die für die „normative Orientierung
Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts darauf gerade nicht; vielmehr geht es um das normative Interesse an einer effektiven Durchsetzung normativer Vorgaben.“ 175 Zum Beispiel EuGH 9.2.2006, Rs. C-127/04, Slg. 2006, I-1313 Rn. 26 – O’Byrne; zum Argument allgemein Jansen ZEuP 2004, 441, 442. 176 In diese Richtung G. Wagner AcP 206 (2006) 352, 464, 469: „Schadens-Multiplikator“; „Eine solche Umorientierung läuft auf die Forderung hinaus, dort, wo das Ausgleichsprinzip mangels greifbaren Vermögensschadens des einzelnen Anspruchstellers versagt, auf die Präventionsfunktion umzuschalten und letztere als Richtschnur für die Festsetzung des Ersatzbetrags zu nehmen.“ Ähnlich Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012) S. 482. 177 Vgl. nur die Reihenfolge der Argumentation in den bei Fn. 152 und 153 wiedergegebenen Entscheidungen, wo zunächst auf die wirksame Durchsetzung des Unionsrechts und erst nachrangig auf die Abschreckung von Rechtsverletzungen hingewiesen wurde. 178 Dazu auch G. Wagner AcP 206 (2006), 352, 402 ff., 459 ff.
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des Haftungsrechts“ entscheidende – Bedeutung zuweist,179 während die Gegenauffassung in der Prävention – ebenso wie im traditionellen deutschen Schadensersatzrecht180 – nur eine unselbständige Funktion sieht, die sich als Nebeneffekt aus der kompensatorischen Haftung ergibt.181 Im Ausgangspunkt ist man sich allerdings einig, dass die konsequente Anwendung des Prinzips der vollständigen Kompensation im Regelfall bereits ausreichende Präventionswirkungen entfaltet.182 Allerdings setzt dies voraus, dass nicht nur der individuelle Schaden, sondern die Schäden möglichst aller Betroffenen vollständig ausgeglichen werden.183 Da dies in vielen Fällen nicht erreicht werden kann,184 wäre es denkbar, um dem Präventionsziel zu genügen („tort shall not pay“), bei der Bestimmung der Haftungsbeträge eine Art Präventionszuschlag zuzusprechen, so dass sich der Normverstoß für den Verursacher verteuert.185 Aus der Perspektive des UnionsprivatG. Wagner in: MünchKommBGB V6 (2013) Vorbemerkungen § 823 Rn. 38 ff. Oetker in: MünchKommBGB II7 (2016) § 249 Rn. 8 f., der auch zwischen der Funktion des Haftungstatbestands (etwa § 823 Abs. 1 BGB) und der Rechtsfolgenanordnung (§§ 249 ff. BGB) unterscheidet. 181 Zum Unionsprivatrecht etwa Schubert Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden im Privatrecht (2013) S. 467 f., 469. 182 Siehe einerseits G. Wagner AcP 206 (2006), 352, 394: „Der EuGH scheint offenbar davon auszugehen, daß eine möglichst vollumfängliche Kompensation des Schadens des Diskriminierungsopfers automatisch das gebotene Maß an Abschreckung bewirkt“ (zur Rechtsprechung zum Antidiskriminierungsrecht), 402: „Prävention durch Schadensausgleich“, 458: „völlige Übereinstimmung [der Präventionsfunktion] mit dem Prinzip der Totalreparation“; Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012) S. 479 f.; andererseits Schubert Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden im Privatrecht (2013) S. 467 f., 469: „Der Effektivitätsgrundsatz fordert, dass die Sanktion einen abschreckenden Effekt hat. Auch die Haftung und die Verschuldensunabhängigkeit der Einstandspflicht wirken auf den Verletzer ein, ohne dass der Schadensersatz über den Schaden hinausgehen muss. Insofern lässt sich aus dem Effektivitätsgrundsatz zwar ableiten, dass die Sanktion zumindest eine (unselbständige) Präventionsfunktion haben muss. Dabei handelt es sich aber um den allgemein anerkannten Nebeneffekt jeder Haftung.“ […] „Grundsätzlich fordern sie [die Richtlinien zum Vertrags- und Deliktsrecht] auch keinen Schadensersatzanspruch mit selbständiger Präventionsfunktion.“ 183 G. Wagner AcP 206 (2006) 352, 463, 469; Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012) S. 480. 184 Problematisch ist das Präventionsziel bei rein kompensatorischem Schadensersatz vor allem dann, wenn die Rechtsverletzung keine oder nur sehr geringe Schäden verursacht, der Schädiger mit einem höheren Gewinn rechnet als der Schaden anderer Marktteilnehmer oder wenn er von einem Durchsetzungsdefizit (z. B. bei schwer aufklärbaren Verstößen) ausgeht, Möller Das Präventionsprinzip des Schadensrechts (2006) S. 244. 185 Vgl. G. Wagner AcP 206 (2006) 352, 464, 469 f.: „Abgesang auf das [einzelfallbezogen verstandene] Bereicherungsverbot“; Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012) S. 482: „Bei einem Zielkonflikt zwischen diesen beiden Funktionen [Kompensation und Prävention] muss der Prävention gegenüber der Kompensation der Vorrang eingeräumt werden, so dass auch eine Überkompensation des Geschädigten gerechtfertigt sein 179 180
II. Funktionen des Schadensersatzanspruchs
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rechts erscheint dieses Vorgehen nicht geboten. So verpflichtet auch der Effektivitätsgrundsatz die Mitgliedstaaten nicht zur Gewährleistung überkompensatorischen Schadensersatzes. Vielmehr hindert das Unionsrecht „die innerstaatlichen Gerichte […] nicht daran, dafür Sorge zu tragen, dass der Schutz der gemeinschaftsrechtlich gewährleisteten Rechte nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Anspruchsberechtigten führt“186 (vgl. auch Erwägungsgrund 32 Rom II-VO). Zumindest im Kartelldeliktsrecht ist das Bereicherungsverbot unlängst von einer für die Mitgliedstaaten fakultativen Begrenzung des Schadensersatzes sogar in den Rang einer unionsrechtlich verbindlichen Grenze avanciert (Art. 3 Abs. 3 RL 2014/104; dazu oben § 4 II 2 → S. 166). Allerdings greift es zu kurz, aus dem unionalen Bereicherungsverbot nun im Gegenteil zu folgern, dass das Präventionsziel im Unionsrecht neben der Kompensation nur ein unselbständiger Nebeneffekt der Haftung sei. Bei näherer Betrachtung erweist sich nämlich, dass sich das europäische Recht anderer Mittel bedient, um das Präventionsziel zu erreichen, die sich mit einer unselbständigen Nebenfunktion neben dem Ausgleichsprinzip nicht mehr erklären lassen. So bemüht sich das Unionsrecht in bestimmten Fällen, die Anforderungen an die Darlegung der Schadensersatzansprüche zu erleichtern, die möglichen Einwendungen gegen solche Ansprüche zu erschweren, den Kreis der potentiellen Anspruchsteller zu erweitern oder die prozessualen Hürden zur Rechtsdurchsetzung abzusenken.187 Eine solche Entwicklung lässt sich etwa bei der weiten Ausdehnung der Aktivlegitimation und des Kausalzusammenhangs anhand von Schutzzweckerwägungen bei den Klagen der Abnehmer von Kartellaußenseitern (dazu oben § 4 II 2 → S. 166 und § 4 III 2 c → S. 184), beim Einwand der Schadensabwälzung (dazu oben § 4 III 2 b → S. 177) und beim strengen Verschuldensbegriff (dazu oben § 4 IV → S. 193) im Kartelldeliktsrecht beobachten, wo die allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Grundsätze zugunsten einer kartellrechtsspezifischen Lösung modifiziert wurden. Verbatim werden diese Maßnahmen zwar zuweilen noch mit der Ausgleichsfunktion gerechtfertigt, insofern auch den Abnehmern entfernterer Absatzstufen ein Anspruch auf Schadensausgleich eröffnet werden soll. Tatsächlich nehmen die faktisch gegenläufigen Abwälzungsvermutungen auf den kann“; siehe auch dies. S. 483, die eine Vervielfachung des Schadensersatzes für sachgerecht hält, solange damit Präventions- und nicht Vergeltungs- oder Sühnezwecke verfolgt werden. 186 EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 94 – Manfredi; Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 26.1.2006, verb. Rs. C-295/ 04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 70 – Manfredi. Ebenso zur Staatshaftung EuGH 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 89 – Brasserie du Pêcheur; zum Antidiskriminierungsrecht EuGH 17.12.2015, Rs. C-407/14, ECLI:EU:C:2015: 831 Rn. 37, 40 – Camacho. 187 Vgl. Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012) S. 480.
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
verschiedenen Absatzstufen (Art. 13 Satz 2 gegenüber Art. 14 Abs. 2 Satz 1 RL 2014/104) allerdings das Risiko einer Mehrfachkompensation bewusst in Kauf, das auch durch die beschworenen prozessualen Instrumente, die in die Verantwortung der nationalen Gesetzgeber abgeschoben werden (Art. 12 Abs. 2 RL 2014/104), nicht vollständig beseitigt werden kann. Auch die qua Unionsrecht gebotene Risikoüberwälzung und Kausalitätsvermutung bei der Haustürwiderrufsbelehrung lässt sich am schlüssigsten mit Präventionserwägungen erklären (§ 5 VI 1 → S. 310). Neben den durch das Präventionsziel beeinflussten Modifikationen des Haftungstatbestands strahlt es auch auf den Umfang der ersatzfähigen Schäden aus, insofern das Unionsrecht den Kreis der ersatzfähigen Einbußen erweitert oder die konkreten Einbußen höher als im nationalen Recht bewertet. Dies lässt sich nicht nur im Antidiskriminierungsrecht beobachten, wo der bloße Ersatz der Portokosten als unzureichend angesehen wurde.188 Der Gedanke findet sich besonders ausgeprägt im Reise- und Luftverkehrsrecht, wo die Fluggastrechteverordnung nun auch für bloße Unannehmlichkeiten und Zeitverlust entschädigt, das Übereinkommen von Montreal auch den immateriellen Schaden bei Gepäckverlust erfasst und die Reiserichtlinie europaweit die Ersatzfähigkeit entgangener Urlaubsfreude begründet hat. Selbst im geistigen Eigentum sind bei der Schadensbemessung nun auch „andere als die rein wirtschaftlichen Faktoren, wie de[r] immaterielle Schaden für den Rechtsinhaber“ zu berücksichtigen (Art. 13 Abs. 1 UAbs. 2 lit. a RL 2004/ 48). Diese Ausdehnung ersatzfähiger Einbußen wirkt sich besonders bei den immateriellen Schäden aus, deren Ersatzfähigkeit über das klassische Schmerzensgeld auf andere Kategorien wie die Unannehmlichkeiten der Verspätung, die entgangene Urlaubsfreude oder die immateriellen Einbußen des Gepäckverlusts ausgedehnt wurde. Auch hier lässt sich aus der Perspektive eines vorrangig am Kompensationsziel orientierten Schadensersatzrechts durchaus mit Recht darauf verweisen, dass die Ausdehnung des immateriellen Schadensersatzes nicht nur der Prävention und Durchsetzung des Unionsrechts dient, sondern zugleich auch einen allgemeinen Trend zur Höherbewertung immaterieller Interessen in modernen Gesellschaften spiegelt. Indes lässt sich der pauschale Geldersatz für die bloße Wartezeit an Flughäfen wohl kaum noch mit einem rein auf dem Ausgleichsprinzip beruhenden Haftungsrecht erklären, weil außerhalb des Reise- und Personenbeförderungsrechts der bloße Zeitverlust ansonsten schadensrechtlich (weitgehend) irrelevant ist. Gleiches gilt für den Ersatz der „Gefühlseinbuße“ aufgrund einer ZurückweiEuGH 10.4.1984, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 Rn. 24 – von Colson und Kamann: „Folglich würde eine nationale Rechtsvorschrift, die die Schadensersatzansprüche von Personen, die Opfer einer Diskriminierung beim Zugang zur Beschäftigung wurden, auf eine rein symbolische Entschädigung wie etwa die Erstattung ihrer Bewerbungskosten beschränkt, den Anforderungen einer wirksamen Umsetzung der Richtlinie nicht gerecht.“ 188
II. Funktionen des Schadensersatzanspruchs
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sung durch das Antidiskriminierungsrecht, der eben nicht bei jeder Zurückweisung (man denke etwa an die Zurückweisung von Familien mit kleinen Kindern bei der Wohnungssuche), sondern nur bei den durch das Antidiskriminierungsrecht erfassten Zurückweisungen (aufgrund des Geschlechts, der Herkunft etc.) geschuldet sein soll. Ein allein auf das Ausgleichsprinzip gegründetes Schadensersatzrecht kann nicht erklären, weshalb die Einbuße durch die Zurückweisung in einem Fall ersatzfähig, im anderen Fall nicht ersatzfähig sein soll. Neben der Ausdehnung ersatzfähiger Einbußen bedient sich das Unionsrecht auch der Abstrahierung und Pauschalierung des Schadens, um Präventionswirkungen zu erreichen.189 Eine Abstrahierung, d. h. Entkopplung des Schadensersatzes vom Umfang der konkreten Einbuße findet sich vor allem in den pauschalen Ausgleichsansprüchen der Fluggastrechteverordnung 261/2004, die ab einer bestimmten Mindestverspätung unabhängig von Dauer und individueller Situation des Reisenden pauschale und allein entfernungsbezogene Entschädigungssummen zusprechen. In diese Richtung weist aber auch die Malediven-Rechtsprechung des BGH im Pauschalreiserecht, wo ein Ersatzurlaub oder der Resterholungswert der Daheimgebliebenen bei der Bemessung der entgangenen Urlaubsfreude nicht berücksichtigt wurde. Als weiteres Beispiel sind die pauschalen Verzugszinsen (Art. 2 Nr. 6 RL 2011/7) und neuerdings Beitreibungskosten (40 Euro, Art. 6 Abs. 1 RL 2011/7) nach der Zahlungsverzugsrichtlinie 2011/7 zu nennen, die explizit „von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr abschrecken“ sollen (Erwägungsgrund 4 Satz 2 und Erwägungsgrund 19 Satz 1 RL 2011/7),190 so dass der „gesetzliche Zins bei Zahlungsverzug“ eine beachtliche Höhe von mindestens acht Prozentpunkten über dem Bezugszinssatz erreicht. Schließlich finden sich Schadenspauschalen als „Mindestschaden“ auch bei der immaterialgüterrechtlichen Lizenzanalogie (Art. 13 Abs. 1 UAbs. 2 lit. b RL 2004/48). Die verbreitete Entkopplung der Höhe des Schadensersatzes vom Nachweis des konkreten Schadens lässt sich mit einem ausschließlich am (konkreten) Schadensausgleich orientierten Haftungsrecht kaum vereinbaren, zumal wenn nur dem Geschädigten, wie etwa im Luftbeförderungsrecht, offen steht, weitere konkrete Schadenspositionen neben dem abstrakten Zeitverlust geltend zu machen, nicht aber dem Schädiger der Gegenbeweis, dass die tatsächliche Einbuße geringer war. Die Bedeutung der Präventionsfunktion kommt schließlich auch in der teilweise anzutreffenden Einbeziehung der Gewinnherausgabe in den Schadensersatzanspruch (Art. 13 Abs. 1 UAbs. 2 lit. a RL 2004/48)
189 Zur Abstrahierung auch Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012) S. 493 (zum deutschen Marktregulierungsrecht). 190 Dornis WM 2014, 677, 678.
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
zum Ausdruck, deren selbständige Präventionsfunktion auch von den Vertretern des primären Ausgleichszwecks eingeräumt wird.191 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass dem Präventions- und Rechtsdurchsetzungsziel in wichtigen Gebieten des Unionsprivatrechts eigenständige Bedeutung neben der Kompensation zukommt. Dabei wählt das Unionsrecht allerdings nicht den Weg eines pauschalen Präventionszuschlags auf den Schadensersatz, sondern bedient sich subtilerer Mittel zur Verwirklichung des Präventionsgedankens wie der Erleichterung der Anspruchsdurchsetzung (z. B. durch Modifikationen der Darlegungslast, geschädigtengünstige Kausalitätsvermutungen, Erschwerung möglicher Einwendungen wie der Vorteilsausgleichung und die Erweiterung des Kreises der Aktivlegitimierten), der Ausdehnung des Umfangs der ersatzfähigen Einbußen insbesondere im Hinblick auf immaterielle Einbußen, der Abstrahierung und Pauschalierung des ersatzfähigen Schadens sowie der partiellen Einbeziehung der Gewinnherausgabe in den Schadensersatz. 4. Sonstige Funktionen Weitere Funktionen des Schadensersatzes neben der Kompensation, der Prävention und der Durchsetzungs- bzw. Integrationsfunktion lassen sich im Unionsrecht nicht nachweisen. Insbesondere verfolgen die Ersatzansprüche des Unionsrechts nicht das Ziel, den Verstoß zu sühnen oder den Rechtsverletzer zu bestrafen.192 Allenfalls mag man in den Ausgleichsansprüchen der Fluggastrechteverordnung einen gewissen Genugtuungseffekt erkennen,193 aber dieser dürfte neben Ausgleich und Prävention keine eigenständige Bedeutung haben.
191 So Schubert Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden im Privatrecht (2013) S. 469 f. 192 Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 104 ff.; G. Wagner AcP 206 (2006) 352, 394: „Von Sühne und Vergeltung ist in den Urteilen des EuGH nirgends die Rede“, 402: „Dem Europarecht geht es keineswegs um ‚Bestrafung‘ im technischen Sinne“; Remien in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privatund Wirtschaftsrecht (2012) 359, 370; auch Koziol in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 5, 13 ff.; a. A. Ebert Pönale Elemente im deutschen Privatrecht (2004) S. 354 f.: „Insgesamt lässt sich die Diskriminierungsentschädigung nach § 611 a BGB seit 1994 als ein ihrer Rechtsnatur nach gemischt pönalreipersekutorisches Rechtsinstitut charakterisieren.“ 193 Siehe die Nachweise in Teil 2 – Fn. 87.
III. Aktivlegitimation und Initiativberechtigung
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III. Aktivlegitimation und Initiativberechtigung III. Aktivlegitimation und Initiativberechtigung
Die Anspruchsberechtigung des individuellen Klägers194 ist Voraussetzung für einen privatrechtlichen Schadensersatzanspruch wegen Verletzung unionaler Rechte (§ 9 I 2 b → S. 520). Die Reichweite der Aktivlegitimation ist zugleich auch für die Durchsetzungskraft des Sekundärrechts von erheblicher Bedeutung, da eine Ausdehnung über individuell Betroffene hinaus auf „qualifizierte Einrichtungen“ oder Mitbewerber zwangsläufig die Wirksamkeit der Rechtsdurchsetzung erhöht. Allerdings hat die Untersuchung der Referenzmaterien gezeigt, dass bei den hier interessierenden Schadensersatzansprüchen eine Durchsetzung durch „qualifizierte Einrichtungen“ unionsrechtlich nicht geboten ist195 (oben § 4 III 5 → S. 193, § 5 III → S. 298, § 6 III → S. 343, § 7 III → S. 383, § 8 III → S. 454), so dass im Folgenden der Kreis der individuellen Klageberechtigten abzustecken ist. Dabei bietet es sich an, zunächst einen Blick in die Paralleldiskussion im Verwaltungsrecht zu werfen, bevor ein eigenes Konzept vorgestellt werden soll. 1. Die Klagebefugnis im europäisierten Verwaltungsrecht Im Verwaltungsrecht wurden die Konsequenzen der Europäisierung für die Begründung und Reichweite subjektiv-öffentlicher Rechte bereits seit den neunziger Jahren eingehend erörtert.196 Dort geht man mittlerweile davon aus, dass neben den traditonellen individuell-privatnützigen Rechten, den demokratischen Mitentscheidungsrechten und den selbständigen Prozessrechten auch prokuratorische Rechte anzuerkennen sind (z. B. im Umwelt- und Planungsrecht oder im Informationsfreiheitsgesetz), „die den Bürger final als Anwalt gemeiner Belange anerkennen“.197 Zuweilen wird die Indienstnahme individueller Befugnisse für die Durchsetzung des europäischen Rechts
Zur Indifferenz gegenüber einem materiellrechtlichen oder rein prozessualen Verständnis dieser Begriffe insbesondere bei Unterlassungsklagen qualifizierter Einrichtungen bereits oben § 3 I 3 a → S. 118. 195 Dazu die Empfehlung der Kommissiom vom 11.6.2013 Gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren in den Mitgliedstaaten bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten (2013/396/EU). 196 Zusammenfassend Reiling Zu individuellen Rechten im deutschen und im Gemeinschaftsrecht (2004) S. 321 ff.; Sagmeister ZEuS 2011, 1, 5 ff.; siehe bereits die Nachweise in Teil 1 – Fn. 246. Zu den Vorgaben des Unionsrechts für die Klagebefugnis siehe etwa EuGH (Große Kammer) 8.3.2011, Rs. C-240/09, Slg. 2011, I-1255 Rn. 51 – Lesoochranárske zoskupenie; EuGH 12.5.2011, Rs. C-115/09, Slg. 2011, I-3673 Rn. 46, 48 – Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland. 197 Masing in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.) Grundlagen des Verwaltungsrechts2 I (2012) § 7 Rn. 107 mit Typologie Rn. 108 ff., zur europarechtlichen Fundierung dieser prokuratorischen Rechte Rn. 91 ff.; siehe auch die weitere Differenzierung bei Nettesheim AöR 132 (2007) 333, 343 ff. 194
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
(„funktionale Subjektivierung“)198 sogar als „zentrales Charakteristikum“ des Unionsrechts gesehen. Danach liegt „die anleitende Idee […] nicht primär in der Anerkennung der bürgerlichen Freiheit und Integrität des Einzelnen, sondern in dem Geltungsanspruch des Rechts als solchen. Die damit verbundene individuelle Vergünstigung ist dessen Teil, hat aber keine grundlegend eigene Wertigkeit“.199
Während die Ausweitung der subjektiven Rechte im verwaltungsrechtlichen Schrifttum weitgehend anerkannt ist,200 scheiden sich die Geister an den Voraussetzungen zur Begründung eines subjektiv-öffentlichen Rechts nach den Maßstäben des Unionsrechts.201 Manche Autoren sehen bereits die unmittelbare Anwendbarkeit der betreffenden Norm als hinreichende Voraussetzung für die Begründung eines subjektiv-öffentlichen Rechts an, mit der Konsequenz eines „allgemeinen Vollziehungsanspruchs“ für alle unmittelbar anwendbaren Normen des Unionsrechts.202 Andere verlangen über die unmittelbare Anwendbarkeit hinaus zusätzliche Voraussetzungen. Nach der Lehre von der „funktionalen Subjektivierung“203 etwa genügt es, dass die Norm des Unionsrechts – sei es auch nur im Gesamtzusammenhang mit den Erwägungsgründen – einen Individualbezug dergestalt herstellt, dass überhaupt Angelegenheiten Einzelner in einer Weise geregelt werden, die ihren Interessen förderlich ist, und dass zusätzlich eine eigene faktische Betroffenheit vorliegt,204 wobei wiederum die Anforderungen an diese eigene Betroffenheit 198 Ruffert Subjektive Rechte im Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaft (1996) S. 222: „Strukturprinzip der funktionalen Subjektivierung […], das den Aspekt des individuellen Rechtsschutzes in erheblichem Umfang zurücktreten lässt“. 199 Masing in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.) Grundlagen des Verwaltungsrechts2 I (2012) § 7 Rn. 93b; bereits ders. Die Mobilisierung des Bürgers zur Durchsetzung des Rechts (1997) S. 37: Bürger als „Sachwalter von Rechten der Allgemeinheit“, 176, 178. 200 Enger aber Tryantafyllou DÖV 1997, 192, 196, der für eine Vereinbarkeit der Kriterien zur Bestimmung der Individualberechtigung im Unionsrecht mit der deutschen (verwaltungsrechtlichen) Schutznormtheorie plädiert. 201 Zusammenfassend Sagmeister ZEuS 2011, 1, 4 ff.: „Ist die Gewährung eines subjektiven Rechts Folge der unmittelbaren Anwendbarkeit oder deren Voraussetzung?“, mit ausführlicher Darstellung der verwaltungsrechtlichen Positionen. 202 Von Danwitz Verwaltungsrechtliches System und europäische Integration (1996) S. 246: „vom EuGH entwickelte Grundposition eines allgemeinen Vollziehungsanspruchs unmittelbar geltenden Europarechts“; ähnlich Masing Die Mobilisierung des Bürgers zur Durchsetzung des Rechts (1997) S. 19 ff., 47. 203 Oben Fn. 198. 204 Ruffert Subjektive Rechte im Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaft (1996) S. 224: „an der Beeinträchtigung lediglich tatsächlicher Interessen […] orientierte Rechtsschutzkonzeption“; ders. DVBl. 1998, 69, 72: „eine Richtlinienvorschrift [muss] dann im nationalen Umsetzungsrecht Rechte einzelner hervorbringen […], wenn diese einzelnen einerseits von dem nach objektiven Kriterien zu ermittelnden Regelungszweck der Vor-
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unterschiedlich definiert werden.205 Umstritten ist außerdem, ob die Anforderungen an die Begründung subjektiver Rechte einheitlich bestimmt werden können oder ob mit Blick auf das Festhalten des EuGH am Schutznormerfordernis im Staatshaftungsrecht206 eine Differenzierung zwischen haftungsrechtlichen und anderen Sachverhalten geboten ist.207
schrift erfaßt werden und andererseits tatsächlich und individualisiert betroffen sind, wobei die Anforderungen an normative Schutzintention und faktische Betroffenheit durch den Grundsatz der funktionalen Subjektivierung abgesenkt werden“. Siehe auch Saurer Der Einzelne im europäischen Verwaltungsrecht (2014) S. 376. 205 Ruffert Subjektive Rechte im Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaft (1996) S. 175 ff.; ders. DVBl. 1998, 69, 72 f. unterscheidet insofern zwischen individuellen Rechten aus unmittelbar wirksamen Richtlinien und der Begründung individueller Rechte durch nationales Umsetzungsrecht. Nach Kadelbach Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss (1999) S. 80 setzt ein „subjektives Recht […] ein unmittelbares, individuelles und erhebliches Betroffensein in einem Bereich voraus, der durch den individualbezogenen Teil der Richtlinie erfaßt wird. Mithin müssen eine materielle (1) und eine personale (2) Bedingung erfüllt sein.“ Gellermann in: Rengeling/Middeke/Gellermann Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union3 (2014) § 36 Rn. 19, 21 f. verlangt neben der unmittelbaren Wirkung die Eigenschaft eines „Betroffenen“, die zum Ausdruck bringe, „dass sich nur jene Marktbürger eine hierzu geeignete Vorschrift zunutze machen können, die ein ‚unmittelbares Interesse‘ an ihrer Einhaltung haben“. 206 Zur Berücksichtigung von Schutzzweckerwägungen bei Art. 340 Abs. 2 AEUV EuGH 14.7.1967, Rs. 5, 7 und 13 bis 24/66, Slg. 1967, 331, 355 – Kampffmeyer; EuGH 2.12.1971, Rs. 5/71, Slg. 1971, 875, 985 Rn. 11 – Schöppenstedt; EuGH 4.7.2000, Rs. C-352/98 P, Slg. 2000, I-5291 Rn. 46 – Bergaderm; Ruffert in: Calliess/Ruffert, EUV – AEUV5 (2016) Art. 340 AEUV Rn. 18; Gellermann in: Streinz EUV/AEUV2 (2012) Art. 340 AEUV Rn. 20; Berg in: Schwarze EU-Kommentar3 (2012) Art. 340 Rn. 36; zur Francovich-Haftung EuGH 19.11.1991, Rs. C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, I-5357 Rn. 40 – Francovich; EuGH 8.10.1996, verb. Rs. C-178/94 u. a., Slg. 1996, I-4845 Rn. 33 ff. – Dillenkofer; EuGH (Plenum) 12.10.2004, Rs. C-222/02, Slg. 2004, I-9425 Rn. 49 – Peter Paul: „Nach der Rechtsprechung kann die Staatshaftung wegen Verletzung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts nur dann begründet werden, wenn u. a. die verletzte Rechtsnorm bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen“; EuGH 14.3.2013, Rs. C-420/ 11, ECLI:EU:C:2013:166 Rn. 36 – Leth. 207 So insbesondere Ruffert Subjektive Rechte im Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaft (1996) S. 186: „offensichtlich zwei Arten der Rechtsentstehung im Gemeinschaftsrecht möglich […]. Zum einen entstehen Rechte unabhängig vom Norminhalt aus der Normstruktur durch unmittelbare Wirkung, zum anderen sind sie im Norminhalt bzw. -zweck angelegt“. Die zweite Variante „tritt auch hier im Rahmen der Voraussetzungen des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs wieder in Erscheinung.“ Für einen einheitlichen Begriff demgegenüber Kadelbach Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss (1999) S. 168: „Der Anspruch aus Verletzung des Gemeinschaftsrechts knüpft, ähnlich der Doktrin von der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts, an die Verletzung verliehener Rechte an. Dementsprechend können die Kriterien zur Ermittlung subjektiver Gehalte aus der Rechtsprechung zur Direktwirkung nutzbar gemacht werden.“
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
2. Zivilrechtliche Rezeption Angesichts der im Grundsatz auch für das Privatrecht nicht zu leugnenden Indienstnahme Einzelner zur Durchsetzung des Unionsrechts liegt es nahe, die Kriterien zur Individualberechtigung im Unionsprivatrecht in Anlehnung an eine der im verwaltungsrechtlichen Schrifttum entwickelten Lehren zu entfalten. Da ein allgemeiner Gesetzesvollziehungsanspruch dem privatrechtlichen Denken noch ferner steht als dem Öffentlichen Recht, bietet sich insofern vor allem die vermittelnde Lehre von der funktionalen Subjektivierung an.208 Nach dieser Lehre, übertragen auf das Privatrecht, sind zur Begründung subjektiver Rechte zwei Kriterien maßgeblich, der „objektive Normzweck als sachliches Kriterium und die subjektive Betroffenheit des Schutzsubjekts als persönliches Kriterium“.209 Ausreichend für das erste Kriterium soll sein, dass die „unionsrechtliche Norm nach ihrem Wortlaut, systematischen Zusammenhang oder ihren Begründungserwägungen einen unmittelbaren Bezug zu Individualinteressen aufweist“, also die „Angelegenheiten Einzelner so [geregelt werden], dass ihre Interessen gefördert werden“, selbst wenn dies nur reflexartig geschieht, z. B. durch Erwähnung der „Volksgesundheit“ oder des „Schutzes des Menschen“ oder der „menschlichen Gesundheit“. 210 Ein Bezug zu Individualinteressen wird auch bei lauterkeits- und kartellrechtlichen Normen bejaht, weil „funktionsfähige Märkte auch und vor allem den Marktteilnehmern zugute kommen“.211 Gestattet der objektive Normzweck eine Abgrenzung subjektiver Rechte in sachlicher Hinsicht, so kommt als zusätzliches Element zur personellen Abgrenzung die „faktische Betroffenheit“ hinzu:
208 Für eine Rezeption im Privatrecht Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012) S. 280 ff., die sich der „funktionalen Subjektivierung“ nach Ruffert DVBl. 1998, 69, 71; ders. Subjektive Rechte im Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaft (1996) S. 222 anschließt. Zur Rezeption des Begriffs im Privatrecht bereits G. Wagner AcP 206 (2006) 352, 421: Präferenz des EuGH für eine „dezentrale Vollzugskontrolle und funktionale Subjektivierung“. 209 Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012) S. 285, die die Rechtsbegründung nach den Kriterien der „funktionalen Subjektivierung“ auch bei Schadensersatzansprüchen zur Durchsetzung des Unionsrechts zur Anwendung bringen will, S. 307 f.: „Ob die verletzte Norm subjektive Rechte Einzelner begründet, bestimmt sich nach den Kriterien der funktionalen Subjektivierung. […] Ausreichend ist, dass die Norm personenbezogene Rechtsgüter im Allgemeininteresse schützt und eine faktische Betroffenheit des Einzelnen durch den objektiven Regelungszweck oder die objektive Regelungswirkung und sein direktes wirtschaftliches Interesse an der Durchsetzung vorliegt.“ 210 Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012) S. 285 f. Die öffentlichrechtliche Literatur bezieht sich vor allem auf umweltrechtliche Entscheidungen, etwa EuGH 30.5.1991, Rs. C-361/88, Slg. 1991, I-2567 Rn. 16 – Kommission/Deutschland und EuGH 28.2.1991, Rs. C-131/88, Slg. 1991, I-825 Rn. 7 – Kommission/Deutschland. 211 Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012) S. 286.
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„Für die Anspruchsberechtigung kommt es deshalb auf eine faktische Betroffenheit des Einzelnen durch den objektiven Regelungszweck oder die objektive Regelungswirkung und sein direktes wirtschaftliches Interesse an der Durchsetzung an.“212
Subjektive Rechte stehen also „jedem zu, der durch die Verletzung der maßgeblichen Norm des Unionsrechts tatsächliche Nachteile erleidet und damit nicht als bloßer Außenstehender im Hinblick auf die unionsrechtliche Norm erscheint“.213 Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass subjektive Rechte nach der privatrechtlichen Lehre von der funktionalen Subjektivierung immer dann zu bejahen sind, wenn ein „Bezug zu personalen Rechtsgütern“ (einschließlich der Existenz funktionsfähiger Märkte) und eine faktische Betroffenheit der Rechtsträger gegeben ist.214 3. Kritik Den Befürwortern einer Übertragung verwaltungsrechtlicher Lehren in das Unionsprivatrecht ist zuzugeben, dass in der Tat die unionsrechtliche Individualberechtigung nicht anhand der Schutzgesetzdogmatik des § 823 Abs. 2 BGB oder anderer nationaler Konzepte bestimmt werden kann, sondern allein anhand unionsrechtlicher Kriterien zu bestimmen ist.215 Gleichwohl ist zu bezweifeln, ob tatsächlich die Kriterien des Bezugs zu personalen Rechtsgütern (zu denen auch das Interesse an funktionsfähigen Märkten zählen soll) im Normzweck und die faktische Betroffenheit der Rechtsträger, die letztlich im Umweltrecht entwickelt wurden, die Erscheinungsformen des subjektiven Rechts im Unionsprivatrecht für das hier interessierende Haftungsrecht erklären können. Diese Zweifel gründen auf zwei Ebenen. a) Fehlender Haftungsrechtsbezug Gegen die Rezeption einer verwaltungsrechtlichen Lehre spricht zunächst, dass sich die unterschiedlichen öffentlich-rechtlichen Lehren zwar sämtlich auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs beziehen,216 diese aber unterschiedPoelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012) S. 288. Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012) S. 289. 214 Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012) S. 290. 215 G. Wagner in: MünchKommBGB V6 (2013) § 823 Rn. 393: „Insbesondere bleibt festzuhalten, dass über den Individualschutzzweck der verletzten Norm und den Anspruchsinhalt allein das europarechtliche Effektivitätsgebot entscheidet, während die herkömmlichen Kriterien der Schutzzweckanalyse keine Rolle spielen.“ 216 Siehe nur den Befund von Reiling Zu individuellen Rechten im deutschen und im Gemeinschaftsrecht (2004) S. 324 zu den diametral unterschiedlichen Ansätzen des allgemeinen Vollziehungsanspruchs und der Beibehaltung der deutschen Schutznormtheorie: „Bezeichnenderweise zieht er [Triantafyllou DÖV 1997, 192, 196] diese gegenteiligen Schlüsse im wesentlichen aus den gleichen Urteilen zum Haftungsrecht wie Thomas von Danwitz [Verwaltungsrechtliches System und europäische Integration (1996) S. 232 f.].“ 212 213
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
lich interpretieren, während sich der EuGH zu einem eigenen Konzept individueller Rechte nach wie vor ausschweigt. Mit letztgültiger Sicherheit dürfte daher wohl keine Stimme aus der öffentlich-rechtlichen Literatur für sich reklamieren können, das Konzept des Gerichtshofs wiederzugeben (sofern dieses überhaupt existiert), so dass auch kein zwingender Grund besteht, eines dieser Konzepte als allgemeine Vorgabe des Gerichtshofs in das Privatrecht zu übernehmen. Es kommt hinzu, dass es im Privatrecht, jedenfalls in dieser Arbeit, in erster Linie um Schadensersatzansprüche geht, nicht um die Aufhebung oder Erzwingung behördlicher Entscheidungen. Gerade für Schadensersatzansprüche existiert aber im Staatshaftungsrecht eine gefestigte Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Definition subjektiver Rechte, die das Schutzzweckerfordernis als Haftungsvoraussetzung explizit bejaht.217 Es überrascht deshalb nicht, dass auch die verwaltungsrechtlichen Vertreter der funktionalen Subjektivierung zwischen haftungsrechtlichen und sonstigen individuellen Rechten differenzieren.218 Wenn nun aber bereits die verwaltungsrechtlichen Vertreter der funktionalen Subjektivierung diesen Ansatz offenbar auf das Staatshaftungsrecht nicht übertragen wollen, so stellt sich die Frage, ob eine Rezeption im Privatrecht angebracht ist, wo es im Regelfall um die haftungsrechtliche Durchsetzung geht.219 Zweifeln mag man schließlich auch an der Eignung der öffentlich-rechtlichen Kriterien für das Zivilrecht, soweit ein Bezug zu personalen Rechtsgütern im Normzweck gefordert wird, denn im Unionsprivatrecht geht es im Regelfall um den Ersatz von Vermögensschäden, so dass ein Bezug zu personalen Rechtsgütern wie etwa im Immissionsschutzrecht zur Gesundheit nur über Umwege zu begründen ist (etwa durch die Argumentation, dass funktionsfähige Märkte auch den Marktteilnehmern zugute kommen).
217 EuGH (Plenum) 12.10.2004, Rs. C-222/02, Slg. 2004, I-9425 Rn. 49 – Peter Paul; weitere Nachweise oben Fn. 206. 218 Siehe oben Fn. 207. Zur Ausnahme des Haftungsrechts auch Sagmeister ZEuS 2011, 1, 22: „Das Unionsrecht selbst differenziert nämlich – mit Ausnahme des Haftungsrechts – nicht zwischen objektiven und subjektiven Normen.“ 219 So aber Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012) S. 307, die das allgemeine Konzept der funktionalen Subjektivierung auch auf Schadensersatzansprüche zur Durchsetzung des Europäischen Unionsrechts übertragen will: „Ob die verletzte Norm subjektive Rechte einzelner begründet, bestimmt sich nach den Kriterien der funktionalen Subjektivierung. […] Für die Annahme eines subjektiven Rechts ist nicht zwingend erforderlich, dass die unionsrechtliche Norm den Schutz der Individualinteressen des Einzelnen bezweckt.“ (mit Verweis auf die Ausführungen S. 272 ff., wo ein Schutzzweckerfordernis abgelehnt wird, S. 281 f.). Allerdings scheint Poelzig Schutzzweckerwägungen nicht generell ausschließen zu wollen, denn sie schreibt auf S. 285: „Für die Begründung subjektiver Rechte kommt es grundsätzlich auf den objektiven Normzweck als sachliches Kriterium und die subjektive Betroffenheit des Schutzsubjekts als persönliches Kriterium zur Anwendung an.“
III. Aktivlegitimation und Initiativberechtigung
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b) Friktionen mit dem geltenden Unionsprivatrecht Noch gewichtiger als diese methodischen Bedenken erscheint der Einwand, dass die Kriterien der normativen Schutzintention und faktischen Betroffenheit einzelne Erscheinungsformen des Unionsprivatrechts nicht zu erklären vermögen. Wenn etwa im Lauterkeitsrecht die Existenz funktionsfähiger Märkte auch und vor allem den Marktteilnehmern zugute kommt, die Richtlinie 2005/29 über unlautere Geschäftspraktiken explizit dem Verbraucherschutz dient (vgl. Art. 1, Erwägungsgrund 6 Satz 1, 8 Satz 1 RL 2005/29/EG) und auch einzelne Verbraucher wohl unzweifelhaft durch „Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern“ (Art. 3 Abs. 1, Art. 2 lit. d RL 2005/29) faktisch betroffen sind, wie lässt sich dann erklären, dass Klagerechte individueller Verbraucher durch die Richtlinie 2005/29 gerade nicht garantiert werden?220 Zweifeln mag man auch an der Vereinbarkeit der Kriterien der normativen Schutzintention und der faktischen Betroffenheit mit der Entscheidung Mono Car Styling zur Massenentlassungsrichtlinie 98/59. In dieser Rechtssache hatten mehrere belgische Arbeitnehmer die Rechtmäßigkeit ihrer Entlassungen mit dem Argument angefochten, dass die Informations- und Konsultationsverfahren nach der Richtlinie nicht eingehalten worden waren (vgl. § 17 KSchG). Der Gerichtshof hatte also zu entscheiden, ob sich individuelle Arbeitnehmer – unabhängig von den Arbeitnehmervertretern – auf den Verstoß gegen die Informationsverfahren berufen können, um die Rechtswidrigkeit ihrer einzelvertraglichen Kündigungen zu begründen. Trotz der Bezugnahme auf den „Schutz der Arbeitnehmer“ und die Milderung der „Folgen dieser Entlassungen für die Arbeitnehmer“ in den Erwägungsgründen 2 und 3 sowie der offenen Formulierung der Rechtsbehelfsklausel in Art. 6 RL 98/59221 entschied der Gerichtshof, dass das Recht auf Information und Konsultation nach Art. 2 RL 98/59 „zugunsten der Arbeitnehmer als Gemeinschaft ausgestaltet und daher kollektiver Natur ist“, so dass eine Beschränkung des Klagerechts individueller Arbeitnehmer im Hinblick auf dieses Recht mit der Richtlinie vereinbar ist.222 Unter Zugrundelegung der Erfordernisse eines Bezuges zu personalen Rechtsgütern im Normzweck (Schutz der Arbeitnehmer) und einer faktischen Betroffenheit der Rechtsträger lässt sich diese Differenzierung zwischen kollektiven und individuellen Rechten nicht ohne weiteres erklären, denn unter den von den Befürwortern der Lehre von der funktionalen Subjektivierung entwickelten Ausnahmefall, dass „ausschließSiehe bereits die Nachweise in Fn. 140. „Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, daß den Arbeitnehmervertretern und/oder den Arbeitnehmern administrative und/oder gerichtliche Verfahren zur Durchsetzung der Verpflichtungen gemäß dieser Richtlinie zur Verfügung stehen.“ 222 EuGH 16.7.2009, Rs. C-12/08, Slg. 2009, I-6653 Rn. 42, 44, 50 ff. – Mono Car Styling. 220 221
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
lich ein Allgemeininteresse an dem Schutz der Institution oder dem Rechtsgut besteht und Interessen Einzelner keinesfalls berührt sein können“,223 lässt sich Mono Car Styling wohl nicht subsumieren. Als letztes Gegenbeispiel sei schließlich auf die Rechtssache Peter Paul verwiesen, die zwar das Staatshaftungsrecht und nicht das Unionsprivatrecht betrifft, aber dennoch Zweifel an der – rechtsgebietsübergreifend formulierten – Lehre von der funktionalen Subjektivierung zumindest für das Haftungsrecht begründet. In Peter Paul ging es um einen Staatshaftungsanspruch wegen unzureichender Bankenaufsicht, durch die Anleger bei der BVH Bank nach einer Zahlungsunfähigkeit der Bank die über die Einlagensicherung hinausgehenden Festgeldanlagen verloren haben. Obwohl die Erwägungsgründe der streitgegenständlichen Richtlinie 94/19 und anderer Richtlinien ausdrücklich auch den Schutz der Anlager erwähnen, kam der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass diese Richtlinien „nicht so verstanden werden [können], dass sie dem Einzelnen im Fall der Nichtverfügbarkeit seiner Einlagen aufgrund einer unzureichenden Aufsicht der zuständigen nationalen Behörden Rechte verleihen, die die Staatshaftung auf der Grundlage des Gemeinschaftsrechts begründen können“.224
Der Gerichtshof begründete dieses Ergebnis u. a. mit dem Argument, dass die Einlagensicherung bereits einen Mindestschutz gewährleiste und sich die Harmonisierung des Bankenaufsichtsrechts auf dasjenige beschränke, „was wesentlich, notwendig und ausreichend ist, um zur gegenseitigen Anerkennung der Zulassung und der Bankenaufsichtssysteme zu gelangen“, wozu die Staatshaftung für unzureichende Aufsicht nicht zu zählen sei. Zudem sei ebenso „wie im deutschen Recht in einer Reihe von Mitgliedstaaten ausgeschlossen, dass die nationalen Behörden zur Aufsicht über die Kreditinstitute im Fall einer unzureichenden Aufsicht gegenüber dem Einzelnen haften“, weil die Behörden „im Zusammenhang mit der Komplexität der Bankenaufsicht“ „eine Vielzahl von Interessen zu schützen [haben], darunter insbesondere dasjenige an der Stabilität des Finanzsystems“.225 4. Eigener Ansatz: Differenzierung anhand des Normzwecks Angesichts dieser Einwände gegen eine Rezeption der Lehre von der funktionalen Subjektivierung im privaten Haftungsrecht soll im Folgenden der Versuch unternommen werden, eine eigenständige zivilrechtliche Lehre vom subjektiven Recht für das Unionsprivatrecht zu entwickeln. Diese wird – nach dem Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012) S. 287. EuGH (Plenum) 12.10.2004, Rs. C-222/02, Slg. 2004, I-9425 Rn. 51, ferner Rn. 40, 46 – Peter Paul. 225 EuGH (Plenum) 12.10.2004, Rs. C-222/02, Slg. 2004, I-9425 Rn. 51, ferner Rn. 42 f., 44, 45 – Peter Paul. 223 224
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Vorbild der staatshaftungsrechtlichen Rechtsprechung des EuGH226 – an den (Schutz-)Zwecken der betreffenden Normen orientiert sein, so dass die Initiativberechtigung im Unionsprivatrecht voraussetzt, dass der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, die Regelungssystematik und/oder der Zweck der konkreten Vorschrift des Unionsrechts eine Ausdehnung der Initiativberechtigung auf den jeweiligen Kläger gebietet.227 Abstrakt lassen sich dabei die Regeln des Unionsprivatrechts in drei Gruppen unterteilen, bei denen die Initiativberechtigung auf unterschiedlichen Erwägungen beruht, so dass grundsätzlich individualschützende (klassisch bürgerlich-rechtliche, etwa das Produkthaftungsrecht), kollektivschützende und wettbewerbsschützende Normen zu unterscheiden sind. Die Zuordnung zu einer dieser drei Gruppen ist nicht exklusiv, so dass es auch zugleich individual- und kollektivschützende (z. B. Teile des Verbrauchervertragsrechts oder des Antidiskriminierungsrechts) Normen gibt. a) Individualschützende Normen Zum einen kann das Unionsrecht den Zweck verfolgen, einem Kreis bestimmter Personen individuell Rechte zu verleihen. Ein – allerdings nicht notwendiger – Indikator für solche Regeln sind Formulierungen im Sekundärrecht, die bestimmten Personen explizit Ansprüche einräumen oder von der Befugnis sprechen, ihre Ansprüche gerichtlich geltend zu machen. Solche – im Unionsrecht häufig zwingende – „Schutzgesetzgebung“ findet sich auf Feldern wie dem Verbrauchervertragsrecht228 oder dem AntidiskriminierungsNachweise bereits in Fn. 206. Insbesondere im Kartelldeliktsrecht ist umstritten, ob Schutzzwecküberlegungen für die Frage relevant sind, ob in der Person Einzelner subjektive Rechte begründet werden, siehe oben Teil 2 – Fn. 83. Nach hier vertretener Auffassung lässt sich die weite Initiativberechtigung im Kartelldeliktsrecht durch die weiten Schutzzwecke des Kartellrechts erklären. 228 Vgl. Art. 14 Abs. 1 RL 2008/48: „Der Verbraucher kann“; siehe auch Erwägungsgrund 38 RL 2008/48. Zur Vorgängerrichtlinie 87/102 auch EuGH 4.10.2007, Rs. C-429/ 05, Slg. 2007, I-8017 Rn. 64 – Rampion: „dem Verbraucher in genau umschriebenen Fällen Rechte gegenüber dem Kreditgeber verleihen soll, die zusätzlich zu den ihm nach dem Vertrag zustehenden üblichen Rechten gegenüber dem Lieferanten der Waren oder dem Erbringer der Dienstleistungen bestehen“. Auch die Klauselrichtlinie 93/13 zielt ausdrücklich darauf ab, „dem Bürger in seiner Rolle als Verbraucher einen Anspruch zu verleihen“, EuGH 4.6.2009, Rs. C-243/08, Slg. 2009, I-4713 Rn. 21 – Pannon; bereits EuGH 7.5.2002, Rs. C-478/99, Slg. 2002, I-4147 Rn. 18 – Kommission/Schweden; EuGH 10.5.2001, Rs. C-144/99, Slg. 2001, I-3541 Rn. 18 – Kommission/Niederlande: „Ansprüche zu verleihen“. Gleiches gilt für die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44, EuGH 4.6.2015, Rs. C-497/13, ECLI:EU:C:2015:357 Rn. 44 – Faber. Allgemein zum Vertragsrecht Riesenhuber Europäisches Vertragsrecht2 (2006) Rn. 228, 230: „Zweitens muß die gemeinschaftsrechtliche Regelung auch den Berechtigten hinreichend klar als individuell Geschützten bestimmen.“ „Ein deutlicher (allerdings nicht notwendiger!) Hinweis auf die individuelle Begünstigung bestimmer Personen liegt vor, wenn die Richtlinie davon 226 227
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
recht,229 aber auch im Produkthaftungs230- und Reiserecht.231 Darüber hinaus sind auch weite Teile des Bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts dieser Gruppe der individualberechtigenden Normen zuzuordnen, weil es dabei nicht zwingend um ein besonderes Schutzbedürfnis gehen muss, sondern vielmehr die traditionelle Idee des subjektiven Privatrechts, des subjektiven Anspruchs leitend ist. Zu den individualschützenden Normen zählen deshalb auch die Ansprüche des Rechteinhabers im Immaterialgüterrecht,232 die Zinsansprüche nach der Zahlungsverzugsrichtlinie 2011/7233 und die Ansprüche nach der Handelsvertreterrichtlinie 86/653,234 denn auch diese Ansprüche sollen eine individuell einklagbare Rechtsposition begründen. Zwar mag die Durchsetzung solcher Ansprüche im Ergebnis auch die Durchsetzung des Unionsrechts befördern, jedoch geht es bei den Haftungsansprüchen des Geschädigten im Produkthaftungsrecht oder des Reisenden im Pauschalreiserecht wie im Bürgerlichen Recht in erster Linie um den Schutz individueller
spricht, daß diese ‚ihre Rechte‘ gerichtlich geltend machen können.“ Zum Schutzzweck verbrauchervertraglicher Informationspflichten bereits die Nachweise in Teil 2 – Fn. 489. 229 Art. 17 Abs. 1 RL 2006/54: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass alle Personen, die sich durch die Nichtanwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in ihren Rechten für verletzt halten, ihre Ansprüche aus dieser Richtlinie gegebenenfalls nach Inanspruchnahme anderer zuständiger Behörden oder, wenn die Mitgliedstaaten es für angezeigt halten, nach einem Schlichtungsverfahren auf dem Gerichtsweg geltend machen können, selbst wenn das Verhältnis, während dessen die Diskriminierung vorgekommen sein soll, bereits beendet ist.“ 230 Deutlich Erwägungsgrund 5 Produkthaftungsrichtlinie 85/374: „Haften mehrere Personen für denselben Schaden, so erfordert der Schutz des Verbrauchers, daß der Geschädigte eine jede für den vollen Ersatz des Schadens in Anspruch nehmen kann.“ 231 Erwägungsgrund 15 RL 90/314: „Es ist klar festzulegen, welche Ansprüche der Verbraucher geltend machen kann, falls der Reiseveranstalter die Pauschalreise vor dem vereinbarten Abreisetermin storniert“; Erwägungsgrund 17 RL 90/314: „Der Veranstalter und/oder Vermittler, der Vertragspartei ist, hat gegenüber dem Verbraucher die Haftung für die ordnungsgemäße Erfüllung der sich aus dem Vertrag ergebenden Verpflichtungen zu übernehmen.“ Ausdrücklich nun auch Art. 14 Abs. 2 RL 2015/2302: „Anspruch auf angemessenen Ersatz des Schadens“ und Erwägungsgrund 36 Satz 1 RL 2015/2302. 232 Art. 4 lit. a RL 2004/48: „Die Mitgliedstaaten räumen den folgenden Personen das Recht ein, die in diesem Kapitel vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe zu beantragen: a) den Inhabern der Rechte des geistigen Eigentums im Einklang mit den Bestimmungen des anwendbaren Rechts.“ Siehe auch Art. 47 des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht und Art. 104 der Sortenschutzverordnung 2100/94. 233 Art. 3 Abs. 1 RL 2011/7: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen der Gläubiger Anspruch auf Verzugszinsen hat, ohne dass es einer Mahnung bedarf, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind.“ 234 Art. 17 Abs. 1 RL 86/653: „Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen dafür, daß der Handelsvertreter nach Beendigung des Vertragsverhältnisses Anspruch auf Ausgleich nach Absatz 2 oder Schadensersatz nach Absatz 3 hat.“
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Rechte.235 Dies ergibt sich in aller Regel bereits aus dem Wortlaut der betreffenden Vorschriften („Anspruch“, „Ansprüche“, „kann verlangen“), wird zudem aber auch durch die Rechtsprechung des EuGH ausdrücklich bestätigt. Nicht nur findet sich in der Judikatur zur Produkthaftungsrichtlinie jedenfalls nicht ausdrücklich ein Hinweis auf die Durchsetzung des Unionsrechts, auch sind die individualberechtigenden Ansprüche für den berechtigten Personenkreis zumindest nach Schadenseintritt disponibel,236 was bei Normen mit überindividuellem Schutzzweck überraschend wäre. b) Kollektivschützende Normen Darüber hinaus – und insofern geht das Unionsprivatrecht über das klassische Bürgerliche Recht hinaus – verfolgt das europäische Recht zuweilen auch den Zweck, Kollektivinteressen zu schützen. Zu diesem Zweck verleiht es bestimmten Organisationen, die zum Schutz der kollektiven Interessen als geeignet angesehen werden, eine gesonderte Initiativberechtigung, die parallel zur Berechtigung der individuell betroffenen Person bestehen kann. In solchen Fällen dient die betreffende Norm sowohl dem Schutz individueller wie kollektiver Interessen, die Initiativberechtigung der individuell betroffenen Personen steht neben der Befugnis zur Rechtsdurchsetzung zum Schutz der kollektiven Interessen. Als Beispiele für solche sowohl individuell- wie kollektivschützende Normen sind Teile des Verbrauchervertragsrechts237 und das Antidiskriminierungsrecht,238 aber auch – optional für die Mitgliedstaaten – das Immaterialgüterrecht239 zu nennen. Diese Normen eröffnen zunächst dem individuellen Verbraucher, Diskriminierungsopfer oder Rechteinhaber ein Klagerecht, sehen aber zugleich – im Verbraucherrecht über den Umweg der Unterlassungsklagenrichtlinie 2009/22 und beschränkt auf den Unterlassungsrechtsschutz – auch den Schutz kollektiver Interessen vor. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass nicht jedes Individualinteresse zugleich ein kollektives Interesse begründet,240 umgekehrt aber das kollektive Interesse auch nicht lediglich akzessorisch zum Individualinteresse ist. Die Entkopplung von Individual- und Kollektivinteresse lässt sich anschaulich sowohl im Verbraucher- wie im Antidiskriminierungsrecht nachzeichnen. So stellt Erwägungs235 Siehe oben § 6 II → S. 338 und § 7 II → S. 371. Anders Masing Die Mobilisierung des Bürgers zur Durchsetzung des Rechts (1997) S. 178 (aus verwaltungsrechtlicher Perspektive): „Die Unterscheidung von Normen im öffentlichen und solchen im privaten Interesse ist damit nicht nur überflüssig, sondern unsinnig.“ 236 Zur RL 93/13 EuGH 4.6.2009, Rs. C-243/08, Slg. 2009, I-4713 Rn. 33, 35 – Pannon; EuGH 21.2.2013, Rs. C-472/11, ECLI:EU:C:2013:88 Rn. 27 – Banif Plus Bank. 237 Zur (kollektiven) Durchsetzung mittels Unterlassungsansprüchen siehe Art. 1 Abs. 1, 2, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Anhang I der Unterlassungsklagenrichtlinie 2009/22. 238 EuGH 10.7.2008, Rs. C-54/07, Slg. 2008, I- 5187 Rn. 23 ff. – Feryn. 239 Art. 4 lit. c, d RL 2004/48. 240 Siehe oben § 6 III → S. 343 zum Reiserecht; § 7 III → S. 383 zur Produkthaftung.
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grund 3 der Unterlassungsklagenrichtlinie 2009/22 ausdrücklich klar, dass unter Kollektivinteressen „Interessen zu verstehen [sind], bei denen es sich nicht um eine Kumulierung von Interessen durch einen Verstoß geschädigter Personen handelt“; sie werden „unbeschadet von Individualklagen der durch einen Verstoß geschädigten Personen“ geltend gemacht. Im Antidiskriminierungsrecht ist die Entkopplung weniger offensichtlich, weil die Formulierung der entsprechenden Rechtsbehelfsklauseln („im Namen der beschwerten Person oder zu deren Unterstützung mit deren Einwilligung“)241 eine Akzessorietät zum Individualrechtsschutz nahelegt. Allerdings hat der Gerichtshof diese Verbindung in der Rechtssache Feryn gelockert, indem er eine „unmittelbare Diskriminierung“ i. S. d. Art. 2 RL 2000/43 auch bei öffentlichen Äußerungen eines Arbeitgebers zur allgemeinen Einstellungspraxis bejaht hat, obwohl es im konkreten Fall keine individuell identifizierbare beschwerte Person gab.242 Indes ist die Entkopplung im Antidiskriminierungsrecht begrenzter, weil sie auf den Diskriminierungstatbestand beschränkt ist und nicht auch auf die Rechtsbehelfsgarantie erweitert wurde.243 Neben den sowohl individual- wie kollektivschützenden Normen (deren Schutzinhalte, wie gezeigt, nicht vollständig kongruent sind) existieren auch 241 Zum Schutz kollektiver Interessen im Antidiskriminierungsrecht Art. 7 Abs. 2 RL 2000/43, Art. 9 Abs. 2 RL 2000/78, Art. 8 Abs. 3 RL 2004/113, Art. 17 Abs. 2 RL 2006/ 54: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Verbände, Organisationen oder andere juristische Personen, die gemäß den in ihrem einzelstaatlichen Recht festgelegten Kriterien ein rechtmäßiges Interesse daran haben, für die Einhaltung der Bestimmungen dieser Richtlinie zu sorgen, sich entweder im Namen der beschwerten Person oder zu deren Unterstützung mit deren Einwilligung an den in dieser Richtlinie zur Durchsetzung der Ansprüche vorgesehenen Gerichts- und/oder Verwaltungsverfahren beteiligen können.“ 242 EuGH 10.7.2008, Rs. C-54/07, Slg. 2008, I- 5187 Rn. 23 – Feryn: „Das bedeutet jedoch nicht, dass aus dem Fehlen einer identifizierbaren beschwerten Person auf das Fehlen einer unmittelbaren Diskriminierung im Sinne der Richtlinie 2000/43 geschlossen werden kann. Ziel dieser Richtlinie ist nämlich laut ihrem achten Erwägungsgrund, ‚günstigere Bedingungen für die Entstehung eines Arbeitsmarkts zu schaffen, der die soziale Integration fördert’. Zu diesem Zweck bestimmt Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie, dass sie sich insbesondere auf die Auswahlkriterien und die Einstellungsbedingungen bezieht.“ Ebenso EuGH 25.4.2013, Rs. C-81/12, ECLI:EU:C:2013:275 Rn. 36 – Accept. 243 Insofern scheint es sich nur um eine Option für die Mitgliedstaaten zu handeln, vgl. EuGH 10.7.2008, Rs. C-54/07, Slg. 2008, I- 5187 Rn. 27 – Feryn: „Art. 7 der Richtlinie 2000/43 verwehrt den Mitgliedstaaten folglich nicht, in ihren nationalen Rechtsvorschriften Vereinigungen, die ein berechtigtes Interesse daran haben, für die Einhaltung dieser Richtlinie zu sorgen, oder der (den) gemäß Art. 13 der Richtlinie bezeichneten Stelle(n) das Recht einzuräumen, Gerichts- oder Verwaltungsverfahren zur Durchsetzung der Verpflichtungen aus dieser Richtlinie einzuleiten, auch wenn sie nicht im Namen einer bestimmten beschwerten Person handeln oder sich keine beschwerte Person feststellen lässt. Es ist jedoch allein Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob sein Recht eine solche Möglichkeit eröffnet.“ Ebenso EuGH 25.4.2013, Rs. C-81/12, ECLI:EU:C:2013:275 Rn. 37 – Accept.
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Normen, die lediglich kollektive Interessen schützen, so dass Einzelnen die Durchsetzung eines Rechts, das nur ihren Schutz als Mitglied einer Gruppe bezweckt, versagt bleibt. Als Beispiele sind hier kollektive Rechte der Arbeitnehmer, etwa die Informations- und Konsultationsrechte nach der Massenentlassungsrichtlinie 98/59 aus der Rechtssache Mono Car Styling,244 oder auch der Schutz der kollektiven Interessen der Verbraucher durch das europäische Lauterkeitsrecht (Richtlinie 2005/29) zu nennen. Während diese Richtlinie nämlich keine individuellen Ansprüche einzelner Verbraucher eröffnet,245 garantiert sie gleichwohl – auf dem Umweg über die Unterlassungsklagenrichtlinie und beschränkt auf den Unterlassungsrechtsschutz – die Durchsetzung durch „qualifizierte Einrichtungen“ (Art. 1 und Anhang I RL 2009/22). Dies und die internationalprivatrechtliche Anknüpfung an den Schutz der „kollektiven Interessen der Verbraucher“ in Art. 6 Abs. 1 und Erwägungsgrund 26 der Rom II-VO246 mag man als Beleg sehen, dass das europäische Lauterkeitsrecht nach heutigem Stand nur dem Schutz kollektiver, nicht individueller Verbraucherinteressen dient (zugleich dient es dem Mitbewerberschutz, dazu sogleich § 9 III 4 c → S. 568). Aus der Perspektive des Schadensersatzrechts sind die kollektivschützenden Normen (bisher) nur von untergeordnetem Interesse. Zwar hat der Gerichtshof angedeutet, dass etwa im Antidiskriminierungsrecht auch außerhalb einer Individualklage eine Art Schadensersatz als Sanktion in Betracht kommt,247 und auch bei kollektiven Arbeitnehmerrechten erscheint dies denkbar.248 Für den großen Bereich des Verbraucherrechts allerdings hat die 244 Dazu EuGH 16.7.2009, Rs. C-12/08, Slg. 2009, I-6653 Rn. 42, 44, 50 ff. – Mono Car Styling; Darstellung bereits oben § 9 III 3 b → S. 561. 245 Dazu bereits oben Fn. 220. 246 „Im Bereich des unlauteren Wettbewerbs sollte die Kollisionsnorm die Wettbewerber, die Verbraucher und die Öffentlichkeit schützen und das reibungslose Funktionieren der Marktwirtschaft sicherstellen. Durch eine Anknüpfung an das Recht des Staates, in dessen Gebiet die Wettbewerbsbeziehungen oder die kollektiven Interessen der Verbraucher beeinträchtigt worden sind oder beeinträchtigt zu werden drohen, können diese Ziele im Allgemeinen erreicht werden.“ 247 EuGH 10.7.2008, Rs. C-54/07, Slg. 2008, I- 5187 Rn. 39 – Feryn: „Sie [die Sanktionen] […] können außerdem darin bestehen, dass der Einrichtung, die das Verfahren bestritten hat, Schadensersatz zugesprochen wird.“ Zurückhaltender EuGH 25.4.2013, Rs. C-81/12, ECLI:EU:C:2013:275 Rn. 69 – Accept: „könnte es sich nämlich, wenn ein Verband der in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 genannten Art nicht für bestimmte Diskriminierungsopfer handelt, als schwierig erweisen, nach den einschlägigen Vorschriften des nationalen Rechts einen Schaden auf Seiten des Verbands nachzuweisen.“ 248 Speziell bei der Massenentlassungsrichtlinie 98/59 ist umstritten, welche Sanktionen aus der allgemeinen Rechtsbehelfsgarantie in Art. 6 RL 98/59 abzuleiten sind, siehe die vergleichende Darstellung zum deutschen und polnischen Recht bei Böning Europäische Arbeitsrechtsangleichung zwischen Anspruch und Wirklichkeit (2011) S. 152 ff. Nach BAG 18.9.2003, 2 AZR 79/02, NZA 2004, 375, 380 sollte der Verstoß eine Entlassungssperre mit Lohnfortzahlung, nicht aber die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge haben.
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
Beschränkung der Unterlassungsklagenrichtlinie 2009/22 auf den Unterlassungsrechtsschutz zur Folge, dass bisher der kollektive Rechtsschutz mit dem Ziel der Schadenskompensation im Unionsrecht kaum ausgeprägt ist. c) Wettbewerbsschützende Normen Neben dem Schutz individueller oder kollektiver Interessen verfolgt das Unionsprivatrecht zuweilen auch – alternativ oder kumulativ zum Schutz von Individual- oder Kollektivinteressen – das Ziel der Marktordnung und Marktregulierung, um den Binnenmarkt abzusichern und ein System unverfälschten Wettbewerbs zu gewährleisten. Auch bei der Durchsetzung solchen Marktordnungs- und Marktverhaltensrechts zeigt sich eine Emanzipation des Unionsprivatrechts von den traditionellen Vorstellungen des Zivil- und Wirtschaftsrechts vieler Mitgliedstaaten, die die Durchsetzung des Marktordnungs- und Marktverhaltensrechts tendenziell eher Behörden als Privaten anvertrauten.249 So gebietet das Unionsrecht eine Durchsetzbarkeit des europäischen Marktordnungs- und Marktverhaltensrechts durch Klagen von Mitbewerbern vor nationalen Gerichten, um durch die Durchsetzung der unionalen Marktverhaltensregeln die unverfälschte Wirkung und eine einheitliche Anwendung gegenüber allen Wirtschaftsteilnehmern zu sichern. aa) Europäisches Lauterkeitsrecht Besonders anschaulich lässt sich dieses am Mitbewerberrechtsschutz orientierte Verständnis im Lauterkeitsrecht beobachten: Art. 11 Abs. 1 der Geschäftspraktikenrichtlinie 2005/29 und Art. 5 Abs. 1 der Irreführungsrichtlinie 2006/114 garantieren – nach dem Vorbild der alten Irreführungsrichtlinie 84/450 – „Personen oder Organisationen, die nach dem nationalen Recht ein berechtigtes Interesse an der Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken haben, einschließlich Mitbewerbern“, die Befugnis, nach Wahl des Mitgliedstaats entweder gerichtlich gegen solche Verstöße vorzugehen oder ein Verfahren bei einer Verwaltungsbehörde einzuleiten, das bestimmten Anforderungen genügen muss, insbesondere eine gerichtlichen Überprüfung vorsehen
Der Unterschied liegt darin, dass der Arbeitgeber bei der Entlassungssperre offenbar die versäumte Beteiligung nachholen kann, während er bei Unwirksamkeit der Kündigung neu kündigen müsste. Nach EuGH 27.1.2005, Rs. C-188/03, Slg. 2005, I-885 Rn. 45, 50 – Junk wurde dieser Standpunkt aufgegeben, so dass eine unterbliebene Massenentlassungsanzeige nun zur Unwirksamkeit der Kündigung nach § 134 BGB führt, Kiel in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht16 (2016) § 17 KSchG Rn. 35. 249 Aus dem deutschen Recht ist in diesem Zusammenhang beispielsweise an die Begrenzungen kartelldeliktischer Ansprüche durch das vormals eng ausgelegte Schutzgesetzerfordernis in § 823 Abs. 2 BGB zu erinnern, BGH 12.5.1998, KZR 23/96, NJW-RR 1999, 189, 190 – Depotkosmetik.
III. Aktivlegitimation und Initiativberechtigung
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muss.250 Zwar beschränken sich die Regeln in Art. 11 RL 2005/29 und Art. 5 RL 2006/114 auf verschuldensunabhängige Unterlassungsanordnungen und sehen eine Alternativität von zivilgerichtlichem und verwaltungsbehördlichem Rechtsschutz (mit Überprüfbarkeit durch unabhängige Gerichte im letzteren Fall) vor. Allerdings liegt dem Gedanken der Klagebefugnis der Mitbewerber zur zivilgerichtlichen Durchsetzung der unionalen Wettbewerbsordnung, wie der EuGH in Muñoz entschieden hat,251 ein allgemeines unionsrechtliches Prinzip zugrunde, das durch Art. 11 RL 2005/29 und Art. 5 RL 2006/114 für die dort geregelten Unterlassungsanordnungen sekundärrechtlich überformt wurde, aber für die in diesen Vorschriften nicht geregelten Schadensersatzansprüche uneingeschränkt Geltung beansprucht (bereits § 9 I 3 c cc → S. 535).252 Bemerkenswert ist dabei eine Verschiebung der Schutzrichtung auf der Ebene des Rechtsschutzes: Während die materiellen Vorschriften der Geschäftspraktikenrichtlinie 2005/29 nach ihrem Erwägungsgrund 8 Satz 1 „unmittelbar die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher vor unlauteren Geschäftspraktiken im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern“ schützen und der Schutz „rechtmäßig handelnde[r] Unternehmen vor Mitbewerbern, die sich nicht an die Regeln dieser Richtlinie halten“, nach Erwägungsgrund 9 Satz 2 auf materieller Ebene nur „mittelbar“ erfolgt, ist dies auf der Ebene der Rechtsdurchsetzung umgekehrt. Hier erwähnt Art. 11 Abs. 1 RL 2005/29 als qua Unionsrecht Klageberechtigte nur die Mitbewerber („einschließlich Mitbewerbern“), während die Ausdehnung der Klagebefugnis auf andere Personen oder Organisationen, einschließlich individuell geschädigter Verbraucher, dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaats überlassen bleibt (vgl. Erwägungsgrund 9 Satz 1 und Art. 11 Abs. 1 RL 2005/29). Die qua Richtlinie unmittelbar klageberechtigten Mitbewerber sind nach Erwägungsgrund 8 Satz 2 RL 2005/29 auf materieller Ebene also nur mittelbar geschützt, und zwar zur Durchsetzung des Ziels eines lauteren Wettbewerbs: 250 Entscheidet sich der Mitgliedstaat für eine verwaltungsbehördliche Durchsetzung, so müssen die Behörden bestimmten Anforderungen an ihre Unabhängigkeit genügen, und gegen ihre Entscheidungen muss gerichtlicher Rechtsschutz eröffnet sein (Art. 5 Abs. 5 und 6 RL 2006/114/EG; Art. 11 Abs. 3 RL 2005/29/EG). Auch können die Mitgliedstaaten vor Einleitung eines gerichtlichen oder behördlichen Verfahrens die Durchführung eines besonderen Verfahrens zur Beilegung von Beschwerden verlangen. 251 EuGH 17.9.2002, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 29 ff. – Muñoz; siehe auch G. Wagner AcP 206 (2006) 352, 414 f., der mit Recht darauf verweist, dass – im Unterschied zur Diskussion in den Schlussanträgen – der EuGH (jedenfalls bisher) die Klageberechtigung des Mitbewerbers nicht an die Voraussetzung „eines auf das Marktverhalten der Unternehmen bezogenen Regelungszwecks“ geknüpft hat. 252 Das Rechtsschutzziel bliebt in Muñoz offen, aber der Generalanwalt hat die Initiativberechtigung ausdrücklich auch auf Schadensersatzansprüche erstreckt, Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 13.12.2001, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 60 – Muñoz.
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
„Sie [die Richtlinie] schützt somit auch mittelbar rechtmäßig handelnde Unternehmen vor Mitbewerbern, die sich nicht an die Regeln dieser Richtlinie halten, und gewährleistet damit einen lauteren Wettbewerb in dem durch sie koordinierten Bereich.“
Die Klageberechtigung der Mitbewerber weist damit den Weg zu einem rechtsschutzorientierten Verständnis des Lauterkeitsrechts,253 dessen Funktion (auch) darin besteht, individuellen Mitbewerbern ein allgemeines Regime zur Durchsetzung der für alle Marktteilnehmer geltenden Verhaltensstandards durch private Klagerechte zu eröffnen, um gleiche Bedingungen für alle Marktteilnehmer254 und damit zugleich die effektive Durchsetzung des Unionsrechts durch die Indienstnahme Privater als Wächter des Unionsrechts zu gewährleisten.255 Ein solches Verständnis des Lauterkeitsrechts als rechtsschutzorientiertes Marktverhaltensrecht geht über die wettbewerbsfunktionalen Regeln des allgemeinen Lauterkeitsrechts hinaus und erstreckt sich auch auf die unionalen Informationspflichten des Verbrauchervertragsrechts, möglicherweise sogar auf die europäischen Regeln zum Gesundheitsschutz oder zur Produktsicherheit.256 Das rechtsschutzorientierte Verständnis des Lauterkeitsrechts begründet zugleich einen Unterschied zum Immaterialgüterrecht, das die Durchsetzung der Ausschließlichkeitsrechte dem Rechtsinhaber, bestimmten Lizenznehmern und allenfalls noch Verwertungsgesellschaften und Berufsorganisationen mit anerkannter Befugnis zur Vertretung von Inhabern von Rechten des geistigen Eigentums vorbehält (vgl. Art. 4 RL 2004/48).257 bb) Europäisches Kartellrecht Während sich der Gedanke des Wettbewerbsschutzes durch die Klageberechtigung der Wettbewerber im Lauterkeitsrecht gerade im Vergleich zu der durch die Richtlinie nicht garantierten Klageberechtigung individueller Verbraucher entfalten lässt, ist die Lage in der Schwesterdisziplin des Kartellrechts etwas anders. Zwar gilt auch hier (auf Rechtsbehelfsebene) „Wettbewerbsschutz durch Mitbewerberschutz“, denn auch die durch eine kartell253 Dazu Heinze in: Großkommentar UWG2 II (2014) Europäisches Wettbewerbsrecht Rn. 84. 254 Henning-Bodewig in: Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.) Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire (2009) S. 9, 22: „par condicio concurrentium“. 255 EuGH 17.9.2002, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 29 ff. – Muñoz. 256 Für die Informationspflichten folgt dies aus dem Umstand, dass Art. 7 Abs. 5 RL 2005/29 für die Irreführung durch Unterlassen auf die Verletzung der Informationspflichten in anderen europäischen Richtlinien verweist und sie damit über die Richtlinie 2005/29 klagbar macht, weshalb die Norm auch als kleiner Rechtsbruchtatbestand bezeichnet wird. Für die Regeln zum Gesundheitsschutz und zur Produktsicherheit ist dieser Befund weniger eindeutig: Es wird insofern darauf ankommen, ob der EuGH den Rechtsbruch genügen lässt, um einen Verstoß gegen die Generalklausel in Art. 5 Abs. 2 RL 2005/29 anzunehmen. 257 Zur Aktivlegitimation im Immaterialgüterrecht Heinze Einstweiliger Rechtsschutz im europäischen Immaterialgüterrecht (2007) S. 283 ff.
III. Aktivlegitimation und Initiativberechtigung
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rechtswidrige Verhaltensweise beeinträchtigten Wettbewerber fallen unter die weite Jedermann-Formel des EuGH,258 da Art. 101 AEUV auch die „unmittelbaren Interessen einzelner Wettbewerber“ schützt259 (oben § 4 III 3 → S. 190). Anders als im Lauterkeitsrecht dehnt die Jedermann-Formel aber die Klageberechtigung zumindest im Grundsatz auch auf die Abnehmer (sogar von Kartellaußenseitern) bis hin zu individuellen Verbrauchern aus, solange der Kausalzusammenhang gewahrt bleibt (Art. 3 Abs. 1 und Erwägungsgrund 13 Satz 1 RL 2014/104;260 oben § 4 III 2 → S. 176). Diese Ausdehnung der Klageberechtigung dürfte sich durch zwei Gründe erklären lassen: Zwar sind die europäischen Wettbewerbsvorschriften – im Ausgangspunkt ähnlich wie die Lauterkeitsregeln – „nicht nur dazu bestimmt, die unmittelbaren Interessen einzelner Wettbewerber oder Verbraucher zu schützen, sondern [auch] die Struktur des Marktes und damit den Wettbewerb als solchen“.261 Anders als im Lauterkeitsrecht ist mit dem Schutz der unmittelbaren Interessen einzelner Wettbewerber oder Verbraucher aber nicht (nur) der Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher gemeint (wie nach dem heutigen Stand des europäischen Lauterkeitsrechts), sondern auch der Schutz des Individualinteresses jedes einzelnen Verbrauchers (Abnehmers) vor kartellbedingt überhöhten Preisen, so dass mögliche Schäden einzelner Abnehmer individuell justiziabel sein müssen. Diese Ausdehnung dürfte wiederum zweitens mit der wirksamen Rechtsdurchsetzung zusammenhängen: Während im Lauterkeitsrecht zumindest ein Mitbewerber im Regelfall ein Interesse an der Bekämpfung einer wettbewerbswidrigen Verhaltensweise hat, die Schäden durch Lauterkeitsverstöße für individuelle Verbraucher aber häufig kaum spürbar und ihre Klageanreize entsprechend niedrig sind (z. B. bei Verstoß gegen eine Informationspflicht), ist dies im Kartellrecht anders. Zumindest bei wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen haben jedenfalls die kartellbeteiligten Mitbewerber im Regelfall (zunächst) kein Interesse an der Abwehr des Rechtsverstoßes, und auch nicht am Kartell beteiligte Wettbewerber können durch „umbrella pricing“ durch das Kartell mittelbar profitieren. Auf der anderen Seite sind die Schäden für die Abnehmer deutlich spürbarer als im Lauterkeitsrecht, weil sie kartellbedingt überhöhte Preise zahlen müssen. Für 258 Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Mischo vom 22.3.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 38 – Courage: „Die Einzelnen, die diesen Schutz erhalten können, sind natürlich in erster Linie Dritte, d. h. die Verbraucher und die Wettbewerber, die durch das verbotene Kartell geschädigt werden.“ 259 Vgl. EuGH 28.2.1991, Rs. C-234/89, Slg. 1991, I-935 Rn. 21, 27 – Delimitis zur Abschottungswirkung von Exklusivbezugsvereinbarungen für neue Mitbewerber. 260 Art. 2 Nr. 4 RL 2014/104 bezieht sich auf den Sonderfall der Abtretung. 261 EuGH 6.10.2009, Rs. C-501/06 P, C-513/06 P, C-515/06 P und C-519/06 P, Slg. 2009, I-9291 Rn. 63 – GlaxoSmithKline; zu Art. 102 AEUV EuGH 17.2.2011, Rs. C-52/ 09, Slg. 2011, I-527 Rn. 24 – TeliaSonera; zum Schutz auch der Verbraucher bereits EuGH 11.12.1973, Rs. 41/73 u. a., Slg. 1973, 1465 Rn. 7 – Générale Sucrière.
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
das Kartellrecht haben der weitreichendere Schutzbereich und der Gedanke der wirksamen Rechtsdurchsetzung daher zur Folge, dass nicht nur die Mitbewerber, sondern auch die Marktgegenseite und damit alle Marktbeteiligten klageberechtigt sind. Was ist nun die innere Rechtfertigung dieser Klagebefugnis der Mitbewerber und sogar (im Kartellrecht) der Marktgegenseite zur Durchsetzung der europäischen Wettbewerbsordnung? Für den Gerichtshof stand sicherlich der Gedanke der wirksamen Rechtsdurchsetzung durch Private im Vordergrund, im Einklang mit der Idee des privaten Wächteramts aus van Gend & Loos. Darüber hinaus lässt sich aber auch auf ein anderes Prinzip rekurrieren, zumindest soweit es um die Klageberechtigung der Mitbewerber geht, nämlich das Kriterium der reziproken Bindung des betreffenden Klägers als Test für seine Klagebefugnis.262 Wer selbst an bestimmte Verhaltensregeln gebunden ist, sollte auch das Recht haben, die Einhaltung dieser Regeln durch andere durchzusetzen, jedenfalls wenn sich die Regeln auf die Ordnung des Wettbewerbs beziehen, so dass sich aus dem Rechtsverstoß wirtschaftliche Nachteile für ihn als Mitbewerber ergeben können. cc) Grenzen Der weite Kreis der Anspruchsberechtigten im Bereich der wettbewerbsschützenden Normen (Lauterkeitsrecht: Mitbewerber; Kartellrecht: Mitbewerber und Abnehmer) wirft die Frage auf, ob dies jenseits des Lauterkeits- und Kartellrechts und verwandter Normen wie etwa der Kennzeichnungsvorschriften für Lebensmittel nach der Muñoz-Doktrin263 für alle Normen mit Binnenmarktbezug gelten muss. Wenn man dies bejaht, so ergäbe sich infolge der kompetenziellen Begründung weiter Teile des Unionsprivatrechts auf Art. 114 AEUV, dass beispielsweise auch die Regeln des Zahlungsverzugsrechts oder des Immaterialgüterrechts durch jeden Mitbewerber durchsetzbar wären. Richtigerweise wird man eine solche weitreichende Initiativberechtigung verneinen müssen. Zum Teil folgt dies wie im Immaterialgüterrecht264 oder im Vergaberecht265 bereits daraus, dass der konkrete Rechtsakt des Sekundär262 EuGH 17.9.2002, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 29 f. – Muñoz: „Nach der zwanzigsten Begründungserwägung dieser Verordnung sind die Regeln der gemeinsamen Marktorganisation von allen Wirtschaftsteilnehmern, für die sie gelten, zu erfüllen, wenn nicht die Wirkung der genannten Regeln verfälscht werden soll. Folglich setzt die volle Wirksamkeit der Regelung der Qualitätsnormen, insbesondere die praktische Wirksamkeit der Verpflichtung nach den Artikeln 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1035/72 und der Verordnung Nr. 2200/96 voraus, dass deren Beachtung im Wege eines Zivilprozesses durchgesetzt werden kann, den ein Wirtschaftsteilnehmer gegen einen Konkurrenten anstrengt“ (Hervorhebung nicht im Original). 263 EuGH 17.9.2002, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 29 f. – Muñoz. 264 Art. 4 lit. a–d RL 2004/48. 265 Art. 1 Abs. 3 RL 89/665.
IV. Verschulden
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rechts eine eigene (engere) Definition des Kreises der Klageberechtigten vorsieht. Aber auch soweit es an einer ausdrücklichen Begrenzung des Kreises der Anspruchsberechtigten im Unionsrecht fehlt, lässt sich eine Begrenzung aus der Auslegung der Jedermann-Formel im Kartellrecht nach Courage und Manfredi und der Muñoz-Doktrin im Lauterkeitsrecht gewinnen. So wurde im Kartelldeliktsrecht gezeigt (§ 4 III 4 → S. 191), dass aus der Begrenzung des Schutzzwecks der Wettbewerbsvorschriften auf „die unmittelbaren Interessen einzelner Wettbewerber oder Verbraucher“ und auf „die Struktur des Marktes und damit den Wettbewerb als solchen“ zugleich eine Ausgrenzung etwa von Investoren und Arbeitnehmern kartellgeschädigter Unternehmen folgt.266 Für die Muñoz-Doktrin ergibt sich eine Beschränkung aus der Bezugnahme auf „die Regeln der gemeinsamen Marktorganisation“, die „von allen Wirtschaftsteilnehmern, für die sie gelten, zu erfüllen [sind], wenn nicht die Wirkung der genannten Regeln verfälscht werden soll“.267 Nicht für jede auf die Binnenmarktkompetenz gegründete Norm des Unionsprivatrechts wird man begründen können, dass sie zugleich eine „gemeinsame Marktorganisation“ (vgl. Art. 40 AEUV) schafft, die ohne individuelle Klagerechte der Mitbewerber verfälscht würde. Fehlt es aber an einer „gemeinsamen Marktordnung“, so setzt die Durchsetzbarkeit (auch)268 durch Mitbewerber voraus, dass entweder der Gesetzgeber dies explizit oder implizit anordnet269 oder dass die Kriterien der Art. 3 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 2 RL 2005/29 erfüllt sind. IV. Verschulden
IV. Verschulden
Zur Frage des Verschuldens270 als Haftungsvoraussetzung bietet das Unionsrecht ein uneinheitliches Bild.271 Auf den ersten Blick scheint sich im Sekun-
266 EuGH 6.10.2009, Rs. C-501/06 P, C-513/06 P, C-515/06 P und C-519/06 P, Slg. 2009, I-9291 Rn. 63 – GlaxoSmithKline; zu Art. 102 AEUV EuGH 17.2.2011, Rs. C-52/ 09, Slg. 2011, I-527 Rn. 24 – TeliaSonera; zum Schutz auch der Verbraucher bereits EuGH 11.12.1973, Rs. 41/73 u. a., Slg. 1973, 1465 Rn. 7 – Générale Sucrière. 267 EuGH 17.9.2002, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 29 f. – Muñoz. 268 An dieser Stelle geht es nur um die Durchsetzbarkeit durch Mitbewerber. Handelt es sich um eine individual- und/oder kollektivschützende Norm, so bleibt die Klageberechtigung der in § 9 III 4 a und b genannten Personen unberührt. 269 Wie in Art. 7 Abs. 5 RL 2005/29 für unionale Informationspflichten und allgemein in Art. 5 Abs. 4 RL 2005 für irreführende und aggressive Geschäftspraktiken. 270 Speziell zur Definition des Vorsatzes EuGH 27.2.2014, Rs. C-396/12, ECLI:EU:C: 2014:98 Rn. 35 – van der Ham: „Was das subjektive Tatbestandsmerkmal betrifft, kann der durch die Beihilfe Begünstigte mit seinem Verhalten entweder bewusst einen Verstoß gegen die Vorschriften über die anderweitigen Verpflichtungen herbeiführen oder – ohne dass er ein solches Ziel verfolgt – die Möglichkeit eines Verstoßes billigend in Kauf nehmen.“ 271 Lukas in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 4/53: „extremely heterogeneous“.
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
därrecht ein Trend zur verschuldensunabhängigen Haftung abzuzeichnen,272 etwa im Bereich der Produkthaftung (Erwägungsgrund 2 RL 85/374; § 7 IV → S. 385), der Luftbeförderung von Personen (Art. 5 Abs. 3 VO 261/2004; Art. 21 MÜ; § 8 IV → S. 462), im Antidiskriminierungsrecht,273 im Vergaberecht274 oder beim Ersatz der Ein- und Ausbaukosten zur Mängelbeseitigung nach der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44275 (vgl. auch Art. 8:401 Acquis Principles 2009). Auch im Kontext der Staatshaftung ist ein Rückgriff auf das Verschulden als Haftungsvoraussetzung unzulässig, allerdings kann der Grad des Verschuldens bei der Beurteilung des „qualifizierten Verstoßes“ Berücksichtigung finden;276 zudem dürfte sich die Francovich-Doktrin nicht 272 Siehe Klauer Die Europäisierung des Privatrechts (1998) S. 152 (mit Fokus auf der Produkthaftungsrichtlinie): „Das europäische Haftungsrecht ist nicht der Verschuldenshaftung nach dem klassischen Deliktsrecht verpflichtet, sondern verfolgt ein Konzept der Unternehmenshaftung.“ Magnus in: Research Group on the Existing EC Contract Law – Principles of the Existing EC Contract Law (Acquis Principles) Contract II (2009) Art. 8:401 Rn. 7: „Liability does not depend on the fault of the debtor who is generally strictly (‘objectively’) obliged to fulfil his or her obligation. However, no liability is incurred if the debtor is excused because unavoidable circumstances beyond his or her control have caused the damage.“ Rn. 12: „Under the Article at hand, the entitlement to damages does not require fault on the part of the non-performing party. […] A ground of exoneration is in particular force majeure, but also an unforeseeable and unavoidable act of a third person.“ Remien in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 359, 364 f.: „Das Verschuldensprinzip scheint europäisch eher bedroht – mit im Einzelnen ungewissen Folgen.“ G. Wagner AcP 214 (2014) 602, 605: „spricht viel dafür, von einer Haftung für objektive Pflichtverletzung auszugehen, die weder einen über die Pflichtverletzung hinausgehenden Vorwurf (Verschulden) noch einen qualifizierten Verstoß voraussetzt“. Auch der Schadensersatzanspruch nach Art. 17 Abs. 3 Handelsvertreterrichtlinie 86/653 ist verschuldensunabhängig ausgestaltet, weil es bei der Ausschlussmöglichkeit nach Art. 18 lit. a RL 86/653 wohl eher um „anzurechnendes Eigenverschulden“ und damit eine Art Mitverschulden geht, Magnus ZEuP 2007, 260, 266. 273 EuGH 8.11.1990, Rs. C-177/88, Slg. 1990, I-3941 Rn. 25 f. – Dekker; EuGH 22.4.1997, Rs. C-180/95, Slg. 1997, I-2195 Rn. 20 f. – Draehmpaehl. 274 EuGH 30.9.2010, Rs. C-314/09, Slg. 2010, I-8769 Rn. 30 – Strabag. 275 S. Lorenz NJW 2011, 2241, 2243 sieht in EuGH 16.6.2011, verb. Rs. C-65/09 und C-87/09, ECLI:EU:C:2011:396 Rn. 43 ff. – Gebr. Weber einen „verschuldensunabhängigen Anspruch auf Ersatz von (näheren) Mangelfolgeschäden“. Auch der gescheiterte Entwurf für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht KOM(2011) 635 folgte beim Schadensersatz wegen Nichterfüllung dem Modell einer verschuldensunabhängigen Garantiehaftung mit Entlastungsmöglichkeit (Art. 88) und Vorhersehbarkeitseinschränkung (Art. 161), dazu K. Huber euvr 2013, 197, 203. 276 Oben Teil 1 – Fn. 17 und 18, zusammenfassend EuGH 25.11.2010, Rs. C-429/09, Slg. 2010, I-12167 Rn. 67 – Fuß. Vgl. auch die Aufgabe des Verschuldenserfordernisses bei der Haftung der Union seit EuGH 28.4.1971, Rs. 4/69, Slg. 1971, 325 Rn. 10 – Lütticke; anders noch EuGH 14.7.1967, Rs. 5/66, Slg. 1967, 331, 354 – Kampffmeyer: „die Beklagte verkennt das Wesen des ihr zu Last gelegten Verschuldens“. Siehe die eingehende Analyse bei Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 154 ff.
IV. Verschulden
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direkt auf die Haftungsansprüche zwischen Privaten übertragen lassen (dazu § 4 I 2 → S. 151). Im Reiserecht hat sich der Gesetzgeber an einem Kompromiss versucht, wobei jedenfalls die Neufassung der Richtlinie (Art. 14 Abs. 2, 3 RL 2015/2302, vormals Art. 5 Abs. 2 RL 90/314; § 6 IV → S. 345) wohl als modifizierte Form der verschuldensunabhängigen Haftung zu verstehen ist. Andererseits finden sich ebenso Beispiele für eine Verschuldenshaftung, etwa im Immaterialgüterrecht (Art. 13 Abs. 1 RL 2004/48) 277 oder bei der Haftung von Rating-Agenturen (Art. 35a Abs. 1 VO 1060/2009 in der durch die VO 462/2013 geänderten Fassung)278. Auch das europäische Datenschutzrecht sieht eine Haftung mit Exkulpationsmöglichkeit vor (Art. 23 Abs. 2 RL 95/46; Art. 82 Abs. 3 und Erwägungsgrund 146 Satz 2 Datenschutz-Grundverordnung 2016/679),279 ähnliches gilt für die Haftung von Zertifierungsdiensteanbietern elektronischer Signaturen (Art. 6 Abs. 1, 2 RL 1999/93), für die Haftung für Verzugszinsen im Handelsverkehr (Art. 3 Abs. 1 lit. b RL 2011/7)280 und wohl zum Nachweis der „Rudimente eines Verschuldenselements“ und dem Vorschlag einer „objektivierten Verschuldenshaftung“ (S. 157). 277 Dazu Metzger in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 209, 214 f., der auf den grundsätzlich strengen Verschuldensmaßstab hinweist und – infolge der Mindestharmonisierung (Art. 2 Abs. 1 RL 2004/48) – auch eine vom nationalen Recht begründete verschuldensunabhängige Haftung grundsätzlich als richtlinienkonform ansieht. 278 Art. 35a Abs. 1 sieht nur eine Haftung für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit vor, wobei die Begriffe „im Einklang mit dem jeweils geltenden nationalen Recht gemäß den einschlägigen Bestimmungen des internationalen Privatrechts ausgelegt und angewandt“ werden sollen, Art. 35a Abs. 4 VO 1060/2009 i. d. F. der VO 462/2013. Allerdings bleiben nach Art. 35a Abs. 5 „weitere zivilrechtliche Haftungsansprüche im Einklang mit dem nationalen Recht“ vorbehalten, die auch an einfache Fahrlässigkeit anknüpfen können, Dutta WM 2013, 1729, 1735; gegen eine Ausweitung des Haftungsrahmens durch nationales Haftungsrecht aber Berger/Ryborz WM 2014, 2241, 2247. 279 Damann/Simitis EG-Datenschutzrichtlinie (1997) Art. 23 Rn. 9: „Die Haftung ist also zunächst als objektive Haftung angelegt, gibt dem Verantwortlichen der Verarbeitung jedoch eine Möglichkeit, sich selbst zu entlasten und enthält insofern auch ein Element der Verschuldenshaftung“; ausführlich Kautz Schadensersatz im europäischen Datenschutzrecht (2006) S. 141 ff., 163, 182 ff., 187: verschuldensunabhängige Haftung mit Exkulpationsmöglichkeit; Kosmides Zivilrechtliche Haftung für Datenschutzverstöße (2010) S. 89: fakultative Ausgestaltung der Haftung möglich, wobei mindestens eine Haftung für vermutetes Verschulden geboten ist. Art. 82 Abs. 3 Datenschutz-Grundverordnung sieht folgende Regelung vor: „Der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter wird von der Haftung gemäß Absatz 2 befreit, wenn er nachweist, dass er in keinerlei Hinsicht für den Umstand, durch den der Schaden eingetreten ist, verantwortlich ist“, Erwägungsgrund 146 Satz 2 ergänzt: „Der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter sollte von seiner Haftung befreit werden, wenn er nachweist, dass er in keiner Weise für den Schaden verantwortlich ist.“ Für eine Exkulpationsmöglichkeit auch Gola/Piltz RDV 2015, 279, 284. 280 Dazu Magnus ZEuP 2007, 260, 266 (zur Vorgängerrichtlinie 2000/35): „klingt nach Verschulden als Haftungsvoraussetzung“. In der Literatur ist umstritten, ob der in der
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
auch für das europäische Zahlungsdiensterecht (Art. 78 RL 2007/64).281 Zudem erweist sich bei näherer Betrachtung, dass einige der verschuldensunabhängigen Ansprüche an Haftungshöchstbeträge gebunden sind (so die Ansprüche im Luftverkehrsrecht), nur sehr spezifische Schäden erfassen (etwa den Ersatz der Ein- und Ausbaukosten)282 oder aufgrund anderer Haftungsvoraussetzungen der Verschuldenshaftung zumindest angenähert sind (so die Produkthaftung infolge der Entlastungsmöglichkeit bei Nichterkennbarkeit des Fehlers und der an die Sorgfaltswidrigkeit angenäherten Feststellung des Fehlers bei Konstruktionsund Instruktionsfehlern, § 7 IV → S. 385). Unsicher ist die Rechtslage auch außerhalb des Sekundärrechts, also bei der bloßen Rahmensetzung durch den Effektivitätsgrundsatz.283 Während im Kontext der verbraucherrechtlichen Belehrungsmängelhaftung von der überwiegenden Literatur (nicht aber vom BGH) ein Verschuldenserfordernis mit Recht als unionsrechtswidrig angesehen wird (§ 5 IV → S. 299), ist im Kartelldeliktsrecht die Beibehaltung eines Verschuldenserfordernisses im nationalen Recht zulässig (nun Erwägungsgrund 11 Satz 6 RL 2014/104; § 4 IV 1 → S. 198). Im Antidiskriminierungsrecht284 und im Vergaberecht285 (dazu § 4 IV 1 → S. 194) hat der Gerichtshof demgegenüber die Anwendung eines nationalen Verschuldenserfordernisses als Haftungsvoraussetzung ausgeschlossen. Angesichts dieser uneinheitlichen Rechtslage ist vorgeschlagen Richtlinie verwendete Begriff der Verantwortlichkeit dem Verschulden entspricht, Unterschiede könnten sich insbesondere beim Rechtsirrtum ergeben, zur Diskussion Heiderhoff Europäisches Privatrecht4 (2016) Rn. 464. 281 Bei der geplanten Marktmissbrauchsverordnung sieht Hellgardt AG 2012, 154, 166 sogar die Beschränkung auf grobe Fahrlässigkeit als unionsrechtskonform an, sofern sie mit einer Beweislastumkehr verbunden ist. 282 Insofern könnte man bereits zweifeln, ob es sich tatsächlich um einen Schadensersatzanspruch oder nicht um einen Teil eines weit verstandenen Gewährleistungsanspruches handelt. 283 Rechtsmaterien wie das Antidiskriminierungsrecht und das Vergaberecht stehen zwischen Sekundärrecht und bloßer Ausstrahlung des Effektivitätsgrundsatzes, weil die Rechtsfolgen in den Richtlinien nur rudimentär geregelt werden. Zur strikten Haftung in diesen Materien bereits Fn. 273 und Fn. 274. Gegen eine unionsrechtliche Verpflichtung zur Aufgabe des Verschuldensprinzips auch Franck Marktordnung durch Haftung (2016) S. 436 f.; für eine Zulässigkeit einer Haftungsbeschränkung sogar auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit wie in §§ 37b, 37c WpHG Poelzig ZGR 2015, 801, 836. 284 EuGH 8.11.1990, Rs. C-177/88, Slg. 1990, I-3941 Rn. 25 f. – Dekker; EuGH 22.4.1997, Rs. C-180/95, Slg. 1997, I-2195 Rn. 20 f. – Draehmpaehl. 285 EuGH 30.9.2010, Rs. C-314/09, Slg. 2010, I-8769 Rn. 30 – Strabag. Allerdings passt dieses Beispiel nicht unbedingt in die Aufzählung, da es sich um eine Konkretisierung der Staatshaftung nach Francovich handelt, EuGH 9.12.2010, Rs. C-568/08, Slg. 2010, I-12655 Rn. 87 – Combinatie Spijker Infrabouw. Im Rahmen der FrancovichHaftung ist ein Rückgriff auf das Verschulden als Haftungsvoraussetzung unzulässig, allerdings kann der Grad des Verschuldens bei der Beurteilung des „qualifizierten Verstoßes“ Berücksichtigung finden, Nachweise oben Fn. 276.
IV. Verschulden
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worden, zwischen der bloßen Einwirkung des Effektivitätsgrundsatzes auf eine unionsrechtlich gänzlich ungeregelte Materie (vor Inkrafttreten der RL 2014/104: Kartelldeliktsrecht) und auf einen teilweise durch Richtlinien vorgeprägten Haftungsanspruch, der das Verschuldenserfordernis nicht erwähnt, zu unterscheiden (Antidiskriminierungsrecht, Vergaberecht): Während im erstgenannten Fall das Verschulden als nationale Haftungsvoraussetzung (in den Grenzen des Effektivitätsgrundsatzes) beibehalten werden dürfe, schließe das Schweigen des Richtliniengebers zum Verschuldenserfordernis eine solche zusätzliche Haftungsvoraussetzung bei der Richtlinienumsetzung aus.286 Angesichts des uneinheitlichen Befunds erscheint es jedenfalls zum gegenwärtigen Stand des Unionsrechts verfrüht, das Verschuldenserfordernis als Haftungsvoraussetzung zu verabschieden.287 Auch wenn der Satz, dass „nicht der Schaden […] zum Schadensersatz [verpflichtet], sondern die Schuld“, auf europäischer Ebene nicht mehr so selbstverständlich ist „wie der des Chemikers, dass nicht das Licht brennt, sondern der Sauerstoff der Luft“,288 so kann das Verschulden – abhängig von Ausgestaltung und Inhalt der durch den Schadensersatzanspruch sanktionierten Primärpflicht – eine sinnvolle Flexibilisierung leisten, um eine „Entlastung der Tätigen“289 zu erreichen. Ob eine solche Entlastung sachgerecht und unionsrechtlich zulässig ist, dürfte von der Tätigkeit und dem Unionsrechtsverstoß durch diese Tätigkeit abhängen.290 Sie ist eher denkbar, wenn es sich um eine von der Unionsrechtsordnung erwünschte Tätigkeit handelt, wie etwa das Ausnutzen von Freiheitsspielräumen im Wettbewerb, und eher ausgeschlossen, wenn die Tätigkeit an sich bereits unerwünscht und rechtfertigungsbedürftig ist, wie etwa die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Auch ist zu bedenken, 286 Zu dieser Diskussion oben § 4 IV 1 → S. 194; zum Vorschlag Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 7.07. 287 Erwägen mag man auch, ob nicht die Erweiterung der Funktionen des Schadensersatzes um den Präventionszweck (dazu oben § 9 II 2 → S. 541) zugleich gebietet, am Verschuldenserfordernis festzuhalten, so Metzger in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 209, 222 für das Immaterialgüterrecht. Indes zeigt die Entwicklung bei der Belehrungsmängelhaftung und den Fluggastrechten, dass diese Verknüpfung nicht zwingend ist. 288 Ihering Das Schuldmoment im römischen Privatrecht (1867) S. 40: „Nicht der Schaden verpflichtet zum Schadensersatz, sondern die Schuld. Ein einfacher Satz, ebenso einfach wie der des Chemikers, dass nicht das Licht brennt, sondern der Sauerstoff der Luft. Aber beide gehören zu den Sätzen, in denen für den Kundigen eine ganze Geschichte der Wissenschaft steckt.“ 289 Großfeld Internationales und Europäisches Unternehmensrecht2 (1995) S. 3 mit Verweis auf Rümelin Schadensersatz ohne Verschulden (1910) S. 59. 290 Siehe auch von Bar Gemeineuropäisches Deliktsrecht I (1996) § 4 Rn. 395: „verschärftes Haftungsregime […] [bleibt] einer Unternehmenshaftung [vorbehalten]“, „Umkehrschluß wagen, daß dem Haftpflichtrecht der Privatperson das Verschuldensprinzip erhalten bleiben muß“, „ein Stück Garant persönlicher Freiheit“.
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
dass infolge der Objektivierung des Verschuldenserfordernisses291 aus dieser zusätzlichen Haftungsvoraussetzung im Regelfall keine erheblichen Wirksamkeitseinbußen für das Unionsrecht resultieren,292 auch wenn, wie sich an der in verschiedenen Zusammenhängen des Unionsprivatrechts diskutierten Frage nach der Entschuldbarkeit eines Rechtsirrtums zeigt,293 die Frage keineswegs ohne jegliche praktische Bedeutung ist. Schließlich zeichnen sich zwei weitere Trends im Unionsrecht ab: Zum einen ist das Verschulden als Haftungsvoraussetzung im Regelfall nicht mehr vom Anspruchsteller darzulegen und zu beweisen, sondern als Exkulpationsgrund vom Rechtsverletzer auszufüllen.294 Dies gilt nicht nur, sofern das Unionsrecht ausdrücklich die Beweislast dreht, sondern dürfte im Regelfall auch für Materien wie das Immaterialgüterrecht zutreffen, weil dort zumindest faktisch der Anspruchsgegner darlegen muss, weshalb ausnahmsweise die Rechtsverletzung nicht schuldhaft war. Diese Sichtweise entspricht auch – im Großen und Ganzen – den Ergebnissen der Acquis Principles, die zwar in Art. 8:401 Abs. 1 und Abs. 2 Acquis Principles 2009 eine strikte Haftung mit engen Entlastungsgründen (höhere Gewalt oder unvorhersehbares Verhalten eines Dritten) vorsehen, zugleich aber in den Erläuterungen festhalten, dass eine Ausnahme anzuerkennen ist, wenn die Natur des Vertrages (etwa tätigkeits- im Unterschied zu erfolgsbezogenen Verpflichtungen) den Nachweis des Verschuldens erfordert oder der Vertrag mit einer widerleglichen Verschuldensvermutung operiert.295 Als zweiter Trend lässt sich schließlich beobachten, dass es dort, wo das Verschulden als Haftungsvoraussetzung nach wie vor gefordert ist, zu einer unionsrechtlichen Überformung der Verschuldensmaßstäbe (beispielsweise der Kriterien für einen entschuldbaren Rechtsirrtum)296 kommt.297
Dazu Jansen Die Struktur des Haftungsrechts (2003) S. 433 ff.; ders. ZEuP 2004, 441, 444. 292 Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 7.09. 293 Siehe die Diskussion im Kartelldeliktsrecht (dazu Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 28.2.2013, Rs. C-681/11, ECLI:EU:C:2013:126 Rn. 62 ff. – Schenker), im Verbrauchervertragsrecht (dazu BGH 16.5.2006, XI ZR 6/04, NJW 2006, 2099, 2102 Rn. 37; zurückhaltender BGH 26.2.2008, XI ZR 74/06, NZG 2008, 378, 380 Rn. 22), im Vergaberecht (dazu EuGH 30.9.2010, Rs. C-314/09, Slg. 2010, I-8769 Rn. 41 – Strabag) und im Antidiskriminierungsrecht (EuGH 8.11.1990, Rs. C-177/88, Slg. 1990, I-3941 Rn. 19 ff. – Dekker). 294 Ebenso Lukas in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 4/51. 295 Magnus in: Research Group on the Existing EC Contract Law – Principles of the Existing EC Contract Law (Acquis Principles) Contract II (2009) Art. 8:401 Rn. 12; siehe bereits das wörtliche Zitat zur Struktur des Art. 8:401 Abs. 1 und 2 in Fn. 272. 296 Nachweise oben in Fn. 293. 291
V. Schaden
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Im Rahmen des Verschuldens ist zuletzt noch der Frage nachzugehen, ob sich nicht anstelle des Verschuldenserfordernisses auch im Privatrecht eine Rezeption des aus dem europäischen Staatshaftungsrecht bekannten Kriteriums des hinreichend qualifizierten Normverstoßes empfiehlt. Auf diese Weise, darin liegt ein besonderer Charme dieser Idee, käme man zu einem übergreifenden Konzept der Haftung Privater für Verstöße gegen Unionsrecht (Primärrecht, Verordnungen und Richtlinien), das den Francovich-Kriterien für die Staatshaftung entspricht.298 Gegen eine Rezeption des hinreichend qualifizierten Verstoßes im Privatrecht spricht allerdings, dass das Kriterium im Staatshaftungsrecht entwickelt und dort anhand weitgehend staatshaftungsspezifischer Merkmale (z. B. Ermessen und Ermessensgrenzen) konkretisiert wurde (siehe bereits oben § 4 I 2 → S. 151). Eine Übernahme in das Privatrecht müsste diese öffentlich-rechtlichen Einflüsse eliminieren, so dass im Ergebnis wohl ohnehin nur das Verschulden als Merkmal des „hinreichend qualifizierten Verstoßes“ übrig bliebe.299 V. Schaden V. Schaden
1. Europäischer oder nationaler Schadensbegriff Bei der Frage nach einem europäischen oder nationalen Schadensbegriff ist im Ausgangspunkt zwischen der bloßen Rahmensetzung durch den Effektivitätsgrundsatz einerseits und der Rechtsharmonisierung oder Rechtsvereinheitlichung durch Richtlinien oder Verordnungen andererseits zu unterscheiden. 297 Zurückhaltender Lukas in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 4/51, dessen Befund sich aber eher auf die geschriebenen Vorgaben des Unionsrechts für das Verschuldenserfordernis stützt. 298 So insbesondere N. Reich in: Liber Amicorum Guido Alpa: Private Law Beyond the National Systems (2007) 846, 849 ff., der für die Übernahme des „hinreichend qualifizierten Verstoßes auch in das Privatrecht plädiert und dies anhand dreier Beispiele (Produkthaftung, Antidiskriminierung, Verletzung von geistigen Eigentumsrechten) exemplifiziert: „Community liability law is not concerned with fault or negligence of individuals, but acts by public institutions, undertakings or collective organizations not respecting their obligations under Community law. This allows a certain fine-tuning of liability: the breach must have reached a certain threshold which in the end will depend on the facts of the case. Fault may be an element but not a decisive criterion of liability. The existence of an obligation vis-à-vis certain persons is the starting point, not negligent individual behaviour. […] There must always be a prior existing legal obligation imposing a certain behaviour.“ Im Ergebnis nähert sich dieses Konzept einer Organisationshaftung („organizational liability“) an, N. Reich in: Liber Amicorum Guido Alpa: Private Law Beyond the National Systems (2007) 846, 849 Fn. 27 mit Verweis auf Brüggemeier Haftungsrecht (2006) Rn. 117–174. 299 Siehe auch die Ausführungen von N. Reich in: Liber Amicorum Guido Alpa: Private Law Beyond the National Systems (2007) 846, 858 zu den „reasonable grounds to know“ im Immaterialgüterrecht, der auf die „objectively necessary precautions a person in business has to take“ und damit faktisch auf dieselben Kriterien wie ein objektivierter Verschuldensbegriff abstellt.
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
Während der Effektivitätsgrundsatz (wie bei den verbrauchervertraglichen Informationspflichten und – vor der Richtlinie 2014/104300 – im Kartelldeliktsrecht) die Anwendung des nationalen Haftungs- und Schadensrechts unberührt lässt und lediglich seiner Ausgestaltung gewisse unionale Grenzen setzt, hat die Rechtsharmonisierung und noch mehr die Rechtsvereinheitlichung zur Folge, dass (wie im Produkthaftungsrecht, im Reiserecht und im Luftbeförderungsrecht) von einem europäisch-autonomen Schadensbegriff auszugehen ist. Einen Mittelweg zwischen der bloßen Rahmensetzung durch den allgemeinen Effektivitätsgrundsatz und der Harmonisierung301 beschreiten die in jüngerer Zeit verstärkt zu beobachtenden Regeln der Union, die zwar bestimmte Teile des Haftungsanspruchs (insbesondere das Ob) unionsrechtlich vorgeben, die Ausgestaltung der Haftungsvoraussetzungen und Haftungsfolgen aber im Übrigen – unter dem Vorbehalt von Effektivität und Äquivalenz – den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten überlassen.302 Die Kartellschadensersatzrichtlinie 2014/104 stellt aber einen Sonderfall dar, weil sie den Mitgliedstaaten die nähere Ausgestaltung des Haftungsanspruchs in gewissen Grenzen weiter gestattet, ausführlich oben § 4 V 1 → S. 205. Sie ähnelt daher den in der übernächsten Fußnote genannten Beispielen der Harmonisierung mit mitgliedstaatlichem Konkretisierungsauftrag. 301 Bei der Harmonisierung ließe sich außerdem noch zwischen Mindest- und Vollharmonisierung unterscheiden, wobei in beiden Fällen im Anwendungsbereich des Unionsrechts über die europäisch-autonome Auslegung der Begriffe der Harmonisierungsrichtlinie kein Streit bestehen dürfte. 302 Für ein Beispiel siehe Art. 6 Abs. 1 Prospektrichtlinie 2003/71 und Art. 7 Transparenzrichtlinie 2004/109, dazu EuGH 19.12.2013, Rs. C-174/12, ECLI:EU:C:2013:856 Rn. 40 – Hirmann (mit Zitat der kartelldeliktischen Rechtsprechung in Manfredi): „doch hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass, was die Zuerkennung von Schadensersatz und die eventuelle Gewährung von Strafschadensersatz betrifft, die Bestimmung der Kriterien für die Ermittlung des Umfangs des Schadensersatzes in Ermangelung einschlägiger Unionsvorschriften Aufgabe des innerstaatlichen Rechts des einzelnen Mitgliedstaats ist, wobei der Äquivalenz- und der Effektivitätsgrundsatz zu beachten sind.“ Siehe auch den Verweis auf die „geltenden nationalen Rechtsvorschriften“ in Art. 7 Abs. 1 und Abs. 2 VO 181/2011 über Fahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr für den Anspruch auf Entschädigung bei Tod oder Körperverletzung sowie bei Verlust oder Beschädigung von Gepäck bei aus der Nutzung des Kraftomnibusses resultierenden Unfällen, dazu auch Erwägungsgrund 5 VO 181/2011 mit Verweis auf die Rom I- und die Rom II-VO. Ein Verweis auf die Begriffe des nationalen Haftungsrechts findet sich nun auch in der Rating-Verordnung, vgl. Erwägungsgrund 35 VO 462/2013 und Art. 35a Abs. 4 VO 1060/2009 in der durch die VO 462/2013 geänderten Fassung (dazu Dutta WM 2013, 1729, 1731: Bestimmung des anwendbaren Rechts durch die Rom II-VO, vgl. Erwägungsgrund 32 VO 462/2013): „ Begriffe wie ‚Schaden‘, ‚Vorsatz‘, ‚grobe Fahrlässigkeit‘, ‚in vertretbarer Weise verlassen‘, ‚gebührende Sorgfalt‘, ‚Auswirkung‘, ‚angemessen‘ und ‚verhältnismäßig‘, die in diesem Artikel genannt aber nicht definiert werden, werden im Einklang mit dem jeweils geltenden nationalen Recht gemäß den einschlägigen Bestimmungen des internationalen Privatrechts ausgelegt und angewandt. Fragen der zivilrechtlichen Haftung einer Ratingagentur, die nicht von dieser Verordnung geregelt werden, unterliegen dem jeweils geltenden natio300
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Allerdings hat die Untersuchung gezeigt, dass die theoretisch eindeutige Abgrenzung in der Judikatur des Gerichtshofs eher fließend ist. So hat der EuGH auch bei bloßer Rahmensetzung durch den Effektivitätsgrundsatz die Mitgliedstaaten verpflichtet, neben dem Vermögensschaden den entgangenen Gewinn und die Zinsen zu ersetzen.303 Andererseits zeigt das Beispiel des Produkthaftungsrechts, dass der EuGH den Mitgliedstaaten sogar im Bereich der Vollharmonisierung eine gewisse Definitionshoheit über die Schadensarten überlässt,304 so dass es sogar bei vollharmonisierenden Richtlinien nicht zu einer vollständigen Verdrängung, sondern lediglich zu einer Überblendung des nationalen Schadensbegriffs durch europäische Direktiven in der Art eines halbautonomen Schadensbegriffs kommt.305 Dieser Befund lässt sich nalen Recht gemäß den einschlägigen Bestimmungen des internationalen Privatrechts.“ Auch Art. 11 Abs. 2 der Verordnung 1286/2014 über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger- und Versicherungsanlageprodukte (PRIIP) sieht vor, dass der Anleger für seinen Verlust „gemäß nationalem Recht Schadensersatz von dem PRIIP-Hersteller verlangen“ kann. Ebenso verweist Art. 14 Abs. 2 sowie Erwägungsgrund 44 Satz 4 des Vorschlags für eine Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte [KOM(2015) 634] auf das nationale Haftungsrecht: „Die Mitgliedstaaten legen die Einzelheiten bezüglich der Ausübung des Rechts auf Schadensersatz fest.“ Siehe auch die Unsicherheiten über ein unionales oder nationales Verständnis des Schadensbegriffs in der Datenschutz-Grundverordnung 2016/679, dazu Ratsdokument Nr. 7084/15 vom 16.3.2015 Fn. 131: „Several Member States (DE, NL and UK) have queried whether there was an EU concept of damage and compensation or whether this was left to Member State law. IT suggested specifying that these rules are to be applied according to national law, support from CZ, NL, RO and SI. COM thinks that it has to be left to ECJ to interpret these rules and concepts. FR scrutiny reservation; FR questioned the division of responsibilities and the link to Articles 24 and 25 and national law in this field as well as the principle of subsidiarity.“ Erwägungsgrund 146 Satz 3 DatenschutzGrundverordnung 2016/679 sieht nunmehr wohl einen unionalen Schadensbegriff vor: „Der Begriff des Schadens sollte im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofs weit auf eine Art und Weise ausgelegt werden, die den Zielen dieser Verordnung in vollem Umfang entspricht.“ 303 EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 95 – Manfredi. 304 EuGH 10.5.2001, Rs. C-203/99, Slg. 2001, I-3569 Rn. 27 – Veedfald: „bleibt es dem nationalen Gesetzgeber überlassen, diese beiden Schadensarten näher zu definieren“; EuGH 25.4.2002, Rs. C-154/00, Slg. 2002, I-3879 Rn. 23 – Kommission/Griechenland: „ist die Bestimmung des genauen Inhalts der von Artikel 9 der Richtlinie erfassten Schadensarten zum Teil den nationalen Gesetzgebern überlassen“. 305 Zum Meinungsstand im Produkthaftungsrecht bereits oben Teil 2–Fn. 280; zur Handelsvertreterrichtlinie 86/653 EuGH 3.12.2015, Rs. C-338/14, ECLI:EU:C2015:795 Rn. 26, 31 f., 37 – Quenon: „Die mit Art. 17 der vorliegenden Richtlinie geschaffene Regelung ist zwar nach ständiger Rechtsprechung, insbesondere was den Schutz des Handelsvertreters nach Vertragsbeendigung betrifft, zwingendes Recht, jedoch enthält sie keine detaillierten Hinweise zur Methode der Berechnung des Ausgleichs wegen Beendigung des Vertragsverhältnisses. Der Gerichtshof hat daher entschieden, dass die Mitgliedstaaten
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wohl durch zwei Umstände erklären.306 Zum einen hat die Struktur des Vorabentscheidungsverfahrens zur Folge, dass sich der EuGH nicht zur Anwendung der Norm im Einzelfall äußern kann, sondern die Subsumtion unter die – gerade im Schadensrecht häufig offenen und abwägungsbedürftigen Tatbestandsmerkmale – den nationalen Gerichten überlässt. Zum anderen scheint der Gerichtshof davor zurückzuscheuen, auf der Grundlage eines eher schmalen Richtlinientexts307 jede dogmatische Einzelfrage des Schadensrechts selbst beantworten zu wollen. Für eine solche Sichtweise spricht auch die deutlich konkretere Rechtsprechung zur Fluggastrechteverordnung 261/2004, die im Vergleich zur Produkthaftungsrichtlinie einen überschaubareren Kreis von Schadenspositionen umfasst und daher leichter zu konkretisieren ist. Trotz der nachvollziehbaren Beweggründe vermag die im Produkthaftungsrecht wie auch andernorts308 anzutreffende Herausbildung halbautonomer Rechtsbegriffe nicht zu überzeugen, weil sie das Ziel der Harmonisierung und Vereinheitlichung konterkariert. Sofern der Unionsgesetzgeber nicht implizit durch Nichtregelung309 oder explizit durch Verweis auf nationales Recht den Mitgliedstaaten in den Grenzen des allgemeinen Effektivitätsge-
innerhalb dieses Rahmens einen Gestaltungsspielraum bei der Wahl der Methoden zur Berechnung des Ausgleichs oder des Schadensersatzes haben.“ Zu weiteren Beispielen siehe die Nachweise in Fn. 302. 306 Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 7.02 verweist zudem darauf, dass die Verabschiedung von Schadensersatzvorschriften sowohl in den Richtlinien zum Vergaberecht, zum Immaterialgüterrecht (RL 2004/48), zur Produkthaftung (RL 85/374) und zum Kartelldeliktsrecht (RL 2014/104) im Gesetzgebungsverfahren regelmäßig umstritten war: „it has often been particularly difficult to agree on the above EU legislative measures“. 307 Zur geringen Regelungsdichte Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 7.01: „relevant provisions laid down in the EU legislation concerned are often only modestly prescriptive“, Rn. 7.05: „degree of harmonisation provided for is all in all typically rather modest“. Versuche der Kommission zur Aufnahme konkreter Schadensberechnungsregeln etwa in Gestalt eines Mindestschadens sind regelmäßig gescheitert oder zurückgenommen worden, siehe Art. 17 Abs. 1, 2 im Vorschlag für eine Richtlinie über die Maßnahmen und Verfahren zum Schutz der Rechte an geistigem Eigentum KOM(2003) 46 und Art. 2 Abs. 7 Satz 3 im Vorschlag für eine Richtlinie zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften betreffend die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor KOM(90) 297: „Diese Kosten [für die Vorbereitung eines Angebots] werden mit 1 % des Auftragswertes angesetzt, es sei denn, die Schadensersatz fordernde Person weist nach, daß Ihre Kosten höher waren.“ 308 Siehe bereits die Nachweise in Teil 2 – Fn. 283 und 284. 309 Nichtregelung meint, dass die Haftungsvoraussetzungen und Haftungsfolgen außerhalb des Anwendungsbereichs einer Richtlinie oder Verordnung liegen. Liegen sie im Anwendungsbereich und ist nur die konkrete Frage nicht geregelt, so ist die Antwort durch europäisch-autonome Auslegung der Richtlinien- oder Verordnungstexte zu gewinnen.
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bots eigene Regelungsspielräume eröffnet,310 ist am Grundsatz der europäisch-autonomen Auslegung festzuhalten. Diese lässt sich in einem Modell umsetzen, das entsprechend der Struktur des Vorabentscheidungsverfahrens dem EuGH die (alleinige) Kompetenz zur Definition allgemeiner Auslegungsleitlinien zuweist, während die Tatsachenfeststellung und Subsumtion im Einzelfall Sache der nationalen Gerichte ist (siehe oben § 7 V 1 → S. 394). Mit anderen Worten sind die qualitativen Kriterien des Schadensbegriffs Sache des Unionsrechts, während die quantitative Bemessung (Berechnung) im Einzelfall durch die nationalen Gerichte erfolgt. 2. Naturalrestitution und Schadenskompensation Ein Rangverhältnis von Naturalrestitution und Schadenskompensation lässt sich im unionalen Schadensersatzrecht nicht beobachten, so dass diese Entscheidung durch das Unionsrecht nicht vorgegeben wird.311 Anschaulich zeigt sich dies etwa bei der Belehrungsmängelhaftung, bei der der EuGH aus der Haustürwiderrufsrichtlinie keine Verpflichtung der Kreditgeber zur Übernahme der Immobilie Zug um Zug gegen Rückabwicklung des Darlehensvertrags folgern wollte, sondern eine monetäre Risikoüberwälzung als ausreichend angesehen hat. Allerdings ist festzustellen, dass das Unionsrecht im Kontext des vertraglichen Schadensersatzes eine gewisse Präferenz für nacherfüllungsnahe Ansprüche hat. So weist die Systematik der Reiserichtlinie (zunächst „Haftung für die Erbringung der vertraglichen Pauschalreiseleistungen“, Art. 13 RL 2015/2302, sodann Schadensersatz, Art. 14 Abs. 2 RL 2015/2302), die Abhilfeverpflichtung bei Mängeln der Reise (Art. 13 Abs. 3 RL 2015/2302) ebenso wie die Pflicht zur unverzüglichen Mängelanzeige (Art. 13 Abs. 2 RL 2015/2302) darauf hin, dass die Richtlinie in erster Linie
Zu Beispielen oben Fn. 302. Art. 8:402 Abs. 1 Acquis Principles 2009: „Damages are a money payment of the amount necessary to put the creditor into the position in which it would have been if the obligation had been duly performed“; Oliphant in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 11/29: „no general obligation […] to make restoration in kind“; Schubert Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden im Privatrecht (2012) S. 433 (zu immateriellen Schäden): „In der Regel erfolgt eine Entschädigung in Geld, da eine Naturalrestitution meist nicht in Betracht kommt.“ Vgl. auch EuGH 19.12.2013, Rs. C-174/12, ECLI:EU:C:2013:856 Rn. 69 – Hirmann: „Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die Wahl zwischen zivilrechtlichen Haftungsvorschriften, nach denen dem Erwerber ein dem Kaufpreis der Aktien entsprechender Betrag zuzüglich Zinsen zurückzuzahlen ist, und Vorschriften, die die Haftung auf die Zahlung des Aktienpreises im Zeitpunkt der Erhebung des Schadensersatzanspruchs beschränken, in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt.“ Zur Entscheidung für den Geldersatz im Vorschlag für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht KOM(2011) 635 Art. 2 lit. g: „Geldbetrag“; Mitterer ÖstAnwaltsBl. 2013, 351, 354. 310 311
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die mangelfreie Nacherfüllung anstrebt.312 Ähnliche Regeln finden sich in der Fluggastrechteverordnung zu den Betreuungs- und Unterstützungsleistungen für den Passagier (Art. 9 VO 261/2004) und zur anderweitigen Beförderung (Art. 8 Abs. 1 lit. b, c VO 261/2004) zum Zielort. Ein Vorrang der Nacherfüllung ist auch in der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44 vorgesehen („zunächst“, Art. 3 Abs. 3, Erwägungsgrund 11 RL 1999/44).313 Die vorrangige Verpflichtung auf mangelfreie Nacherfüllung und unmittelbare Übernahme der durch die fehlerhafte Leistung entstandenen Aufwendungen (z. B. Hotelkosten bei annullierten Flügen) ist sinnvoll, weil der Reiseveranstalter oder das Luftverkehrsunternehmen in der konkreten Situation in der Regel leichter als der Reisende für Abhilfe sorgen können. Auch den Interessen des Reisenden wird die konkrete Abhilfemaßnahme eher entsprechen als der Verweis auf den Kostenersatz für eine von ihm zu organisierende Selbstvornahme (z. B. eigene Hotelbuchung). Die Leistungsnähe erklärt auch die Präferenz für die Kompensation in Natur bei vertraglichen Schadensersatzansprüchen, während etwa im außervertraglichen Produkthaftungsrecht der Hersteller die Heilung von Körperschäden wohl kaum leichter als der Geschädigte organisieren kann. Eine andere Form der Naturalrestitution folgt aus dem Schutzzweck der Informationspflichten bei den Schadensersatzansprüchen im Verbrauchervertragsrecht mit der Vertragsaufhebung als Rechtsschutzziel (siehe oben § 5 V 2 → S. 301). Schließlich bedeutet das fehlende Hierarchieverhältnis von Naturalrestitution und Schadenskompensation nicht, dass das Unionsrecht eine Naturalrestitution ausschließt. Vielmehr zeigt die Rechtsprechung zum Staatshaftungsrecht, dass die Unionsgerichte dem Richter die Befugnis eröffnen, dem Schädiger „jede Form des Schadensausgleichs aufzuerlegen, die mit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der außervertraglichen Haftung gemeinsam sind, in Einklang steht, und zwar, soweit sie diesen Grundsätzen entspricht, auch eine Naturalrestitution, die gegebenenfalls die Form einer Anordnung eines bestimmten Handelns oder Unterlassens annehmen kann“.314
Dies belegt, dass das Unionsrecht gegenüber nationalen Regeln zur Naturalrestitution durchaus aufgeschlossen ist und sich der vor allem im deutschen
Zur Ausgestaltung der Nacherfüllung (Abhilfe) als vorrangiger Rechtsbehelf des Verbrauchers Riesenhuber Europäisches Vertragsrecht2 (2006) Rn. 793; zur „Heilungsmöglichkeit“ des Veranstalters auch Rössler Reisegewährleistungsrecht und allgemeines europäisches Leistungsstörungsrecht (2008) S. 150 ff.; ferner dies. S. 194, die das Regelungsmodell der Richtlinie als Ausprägung eines Erfüllungsanspruchs einordnet. 313 Siehe auch die Vorschrift zur „Heilung“ in Art. 109 des Entwurfs für ein Einheitliches Europäisches Kaufrecht KOM(2011) 635. 314 EuG 8.11.2011, Rs. T-88/09, Slg. 2011, II-7833 Rn. 81 – Idromacchine. 312
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Recht anzutreffenden Lehre von der Naturalrestitution nicht generell verschließt.315 3. Schadensumfang Grundlegend für die Bestimmung des Schadensumfangs ist im Unionsprivatrecht das Prinzip, dass die „tatsächlich entstandenen316 Schäden […] in vollem Umfang auszugleichen“ sind.317 Dieses Prinzip lässt sich rechtsgebietsübergreifend in allen Referenzmaterien nachweisen, vom Kartelldeliktsrecht318 über das Verbrauchervertragsrecht319 und das Produkthaftungsrecht 320 bis zum Reiserecht321 und Luftverkehrsrecht.322 Außerhalb der Referenzgebie315 Siehe auch Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 235 f., der für das Staats- und Beamtenhaftungsrecht auf die Folgenbeseitigung durch Aufhebung der rechtswidrigen Verwaltungsentscheidung verweist. Siehe auch Remien in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 359, 367: „Vielleicht wäre es unklug, auf die Möglichkeit der Naturalrestitution ganz zu verzichten.“ 316 „Entstanden“ verweist darauf, dass über das Kausalitätserfordernis Eingrenzungen des ersatzfähigen Schadens möglich bleiben, dazu § 9 VI → S. 479. 317 EuGH 2.8.1993, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367 Rn. 26, 31 – Marshall II; EuGH 17.12.2015, Rs. C-407/14, ECLI:EU:C:2015:831 Rn. 33, 37 – Camacho (Antidiskriminierungsrecht); EuGH 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 90 – Brasserie du Pêcheur (Staatshaftungsrecht): „dem erlittenen Schaden angemessen“; G. Wagner AcP 206 (2006) 352, 395: „Gerichtshof operiert mit einem gemeineuropäischen Schadensbegriff, der dem weiten französischen Verständnis offenbar wesentlich näher steht als der restriktiven Konzeption des deutschen Rechts“; Oliphant in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 11/2 (soweit ders. a. a. O. Rn. 11/ 13 in Art. 5 Abs. 2 RL 2001/29 und Art. 9 Abs. 3 VO 207/2009 eine Begrenzung auf „fair“ anstelle von „full compensation“ sieht, handelt es sich nicht um Schadensersatzansprüche, sondern gesetzliche Vergütungsansprüche für eine erlaubte Urheberrechts- oder Markennutzung); Magnus in: Research Group on the Existing EC Contract Law – Principles of the Existing EC Contract Law (Acquis Principles) Contract II (2009) Art. 8:402 Rn. 1: „it can therefore be inferred […] that the whole loss has to be compensated“; Remien in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 359, 371: „Totalreparation das Ziel des Schadensersatzes“. 318 Oben § 4 V 3 → S. 211 und Art. 3 Abs. 1 RL 2014/104: „vollständigen Ersatz“ des Schadens; siehe auch den Verweis in EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 97 – Manfredi auf die Marshall-Entscheidung. 319 Oben § 5 V 3 → S. 302 zum Grundsatz der „vollständigen Risikoüberwälzung“. 320 Oben § 7 V 3 → S. 400; EuGH 10.5.2001, Rs. C-203/99, Slg. 2001, I-3569 Rn. 27 – Veedfald: „angemessene und vollständige Entschädigung“; EuGH 5.3.2015, verb. Rs. C-503/13 und C-504/13, ECLI:EU:C:2015:148 Rn. 49 – Boston Scientific. 321 Oben § 6 V 3 → S. 353; Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano vom 20.9.2001, Rs. C-168/00, Slg. 2002, I-2631 Rn. 29 – Leitner: „Aus dem Umstand, dass in der Richtlinie allgemein und ohne jede Einschränkung der Begriff ‚Schaden‘ verwendet wird, folgt grundsätzlich, dass alle Schadensarten in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen sollten.“
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
te dieser Untersuchung lässt sich dieser Grundsatz auch im Staatshaftungsrecht,323 im Antidiskriminierungsrecht,324 im Immaterialgüterrecht,325 im Datenschutzrecht,326 bei der Entschädigung nach dem Fonds der KfzHaftpflichtversicherer327 und wohl auch im Zahlungsverzugsrecht328 nachweisen. Vollständige Kompensation bedeutet,329 dass grundsätzlich sämtliche aus Sicht des Unionsrechts ersatzfähigen Nachteile auszugleichen sind330 (also auch immaterielle Schäden,331 entgangener Gewinn,332 der Wertverlust der EuGH 12.10.2011, Rs. C-83/10, Slg. 2011, I-9469 Rn. 38 – Sousa Rodríguez: „gesamte Schaden […] ersetzt wird“. 323 EuGH 4.10.1979, Rs. 238/78, Slg. 1979, 2955 Rn. 20 – Ireks-Arkady; EuGH 3.2.1994, Rs. C-308/87, Slg. 1994, I-341 Rn. 40 – Grifoni. 324 EuGH 2.8.1993, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367 Rn. 26, 31 – Marshall II; EuGH 17.12.2015, Rs. C-407/14, ECLI:EU:C:2015:831 Rn. 33, 37 – Camacho. 325 Art. 13 Abs. 1 Satz 1 RL 2004/48: „dem Rechtsinhaber zum Ausgleich des von diesem wegen der Rechtsverletzung erlittenen tatsächlichen Schadens angemessenen Schadensersatz zu leisten hat“; Erwägungsgrund 26 Satz 1: „bei der Festsetzung der Höhe des an den Rechtsinhaber zu zahlenden Schadensersatzes alle einschlägigen Aspekte“ zu berücksichtigen; EuGH 17.3.2016, Rs. C-99/15, ECLI:EU:C:2016:173 Rn. 25 – Liffers: „Angesichts der Ziele der Richtlinie 2004/48 ist deren Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 dahin auszulegen, dass er den Grundsatz aufstellt, wonach die Berechnung der Höhe des an den Inhaber eines Rechts des geistigen Eigentums zu zahlenden Schadensersatzes diesem den vollständigen Ausgleich des von ihm ‚tatsächlich erlittenen‘ Schadens gewährleisten soll, indem sie auch einen etwaigen immateriellen Schaden einschließt.“ Nach von UngernSternberg GRUR 2009, 460, 461 gibt die Richtlinie 2004/48 vor, bereits die Rechtsverletzung als solche als „tatsächlichen Schaden“ anzusehen. 326 Erwägungsgrund 146 Satz 6 Datenschutz-Grundverordnung 2016/679: „Die betroffenen Personen sollten einen vollständigen und wirksamen Schadenersatz für den erlittenen Schaden erhalten.“ 327 EuGH 4.12.2003, Rs. C-63/01, Slg. 2003, I-14447 Rn. 64, 67 – Evans: „Der Ersatz des Schadens soll das Vermögen des Opfers eines Unfalls so weit wie möglich wiederherstellen.“ 328 Art. 6 Abs. 3 Satz 1 RL 2011/7: „Der Gläubiger hat gegenüber dem Schuldner zusätzlich zu dem in Absatz 1 genannten Pauschalbetrag einen Anspruch auf angemessenen Ersatz aller durch den Zahlungsverzug des Schuldners bedingten Beitreibungskosten, die diesen Pauschalbetrag überschreiten.“ Die Regelung ist bemerkenswert, weil sie den bisher in Deutschland ausgeschlossenen Ersatz der Entschädigung für Eigenbemühungen zur Forderungsbeitreibung in Frage stellt, Dornis WM 2014, 677, 680. 329 Siehe Nachweise oben in Fn. 150. 330 Enger von Bar Gemeineuropäisches Deliktsrecht I (1996) § 4 Rn. 397: „überall nur Körper- und Sachbeschädigung erfasst“. 331 Zum Antidiskriminierungsrecht EuGH 22.4.1997, C-180/95, Slg. 1997, I-2195 Rn. 34 – Draehmpaehl (zum Schadensersatzanspruch eines Bewerbers, der auch bei diskriminierungsfreier Auswahl die Position nicht erhalten hätte und der daher im Wesentlichen immaterieller Natur ist); zum Reiserecht EuGH 12.3.2002, Rs. C-168/00, Slg. 2002, I-2631 Rn. 20 ff. – Leitner; zum Luftverkehrsrecht EuGH 6.5.2010, Rs. C-63/09, Slg. 2010, I-4239 Rn. 29 – Walz; zum Immaterialgüterrecht Art. 13 Abs. 1 lit. a RL 2004/48: Gerichte „berücksichtigen alle in Frage kommenden Aspekte […] sowie in geeigneten 322
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Schadensersatzleistung infolge von Zeitablauf333 oder die Kosten der Rechtsdurchsetzung334), dass symbolischer Schadensersatz nicht ausreichend ist335 und dass Schadenshöchstgrenzen unzulässig sind,336 sofern das Unionsrecht Fällen auch andere als die rein wirtschaftlichen Faktoren, wie den immateriellen Schaden für den Rechtsinhaber“; zum Staatshaftungsrecht EuG 8.11.2011, Rs. T-88/09, Slg. 2011, II-7833 Rn. 61 – Idromacchine (Reputationsschaden). 332 Zum Kartelldeliktsrecht EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 95 – Manfredi; zum Staatshaftungsrecht EuGH 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 87, 90 – Brasserie du Pêcheur; zu Art. 340 Abs. 2 AEUV EuGH 19.5.1992, Rs. C-104/89 und C-37/90, Slg. 1992, I-3061 Rn. 26 – Mulder I; EuGH 27.1.2000, Rs. C-104/89 und C-37/90, Slg. 2000, I-203 Rn. 59, 63 – Mulder II; zum Antidiskriminierungsrecht Schlussanträge des Generalanwalts van Gerven vom 26.1.1993, Rs. C271/91, Slg. 1993, I-4367 Rn. 18 – Marshall II: „Ich glaube jedoch, daß ich nicht bei dieser allgemeinen Untersuchung stehen bleiben darf. Um besser gewährleisten zu können, daß die finanzielle Wiedergutmachung des Schadens, für die sich ein Mitgliedstaat entschieden hat, in einem angemessenen Verhältnis zu dem erlittenen Schaden steht, muß sie so beschaffen sein, daß der Schaden unter Berücksichtigung der wichtigsten Schadensbestandteile ausgeglichen wird, die das Haftungsrecht üblicherweise heranzieht. Ich denke hier an den Verlust materieller Vermögensaktiva (damnum emergens), entgangene Einnahmen (lucrum cessans), immateriellen Schaden und durch Zeitablauf entstandenen Schaden.“ Zum Immaterialgüterrecht Art. 13 Abs. 1 lit. a RL 2004/48; zum Handelsvertreterausgleich nach Art. 17 RL 86/653 EuGH 26.3.2009, Rs. C-348/07, Slg. 2009, I-2341 Rn. 19 – Semen: Ersatz der dem Handelsvertreter entgangenen Provisionen (= entgangener Gewinn). 333 Dazu unten zur Verzinsung § 9 X → S. 631. 334 Explizit Art. 8:402 Abs. 3 Acquis Principles 2009. Insofern können allerdings die Vorschriften über die prozessuale Kostenerstattung als abschließend angesehen werden, zudem steht der Ersatz unter einem Vorbehalt der Angemessenheit, vgl. zum Staatshaftungsrecht EuG 8.11.2011, Rs. T-88/09, Slg. 2011, II-7833 Rn. 96 ff. – Idromacchine; zum Immaterialgüterrecht Erwägungsgrund 26 Satz 3 RL 2004/48: „Ausgleichsentschädigung für den Rechtsinhaber auf objektiver Grundlage unter Berücksichtigung der ihm entstandenen Kosten, z. B. im Zusammenhang mit der Feststellung der Rechtsverletzung und ihrer Verursacher“, siehe auch Art. 14 RL 2004/48. 335 EuGH 10.4.1984, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 Rn. 24 – von Colson und Kamann: „Folglich würde eine nationale Rechtsvorschrift, die die Schadensersatzansprüche von Personen, die Opfer einer Diskriminierung beim Zugang zu Beschäftigung wurden, auf eine rein symbolische Entschädigung wie etwa die Erstattung ihrer Bewerbungskosten beschränkt, den Erfordernissen einer wirksamen Umsetzung der Richtlinie nicht gerecht“; ebenso EuGH 25.4.2013, Rs. C-81/12, ECLI:EU:C:2013:275 Rn. 64 – Accept. Zulässig ist eine symbolische Entschädigung demgegenüber im Bereich der Beamtenhaftung, Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 237 f. 336 EuGH 2.8.1993, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367 Rn. 30 – Marshall II; siehe auch zum Handelsvertreterausgleich nach Art. 17 Abs. 2 RL 86/653 EuGH 26.3.2009, Rs. C-348/07, Slg. 2009, I-2341 Rn. 25 – Semen: „Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er nicht erlaubt, dass der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters von vornherein durch seine Provisionsverluste infolge der Beendigung des Vertragsverhältnisses begrenzt wird, auch wenn die dem Unternehmer verbleibenden Vorteile höher zu bewerten sind.“ Zur Möglich-
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nicht bestimmte Schadenspositionen von der Ersatzfähigkeit ausschließt oder eigene Haftungsbegrenzungen vorsieht (wie etwa in Art. 9 und Art. 16 der Produkthaftungsrichtlinie 85/374). Nur selten lässt sich demgegenüber eine Abstufung des ersatzfähigen Schadens anhand des Grades des Verschuldens (Vorsatz oder (leichte) Fahrlässigkeit) beobachten.337 Ferner zeichnet sich ab, dass die konkreten Schäden durch einen Vermögensvergleich nach der Art der Differenzmethode (ebenso Art. 8:402 Abs. 1 Acquis Principles 2009) zu ermitteln sind,338 wobei im Rahmen der „normativen Kontrolle“339 der Differenzmethode auch die Ziele der jeweils verletzten Unionsrechtsnorm zu berücksichtigen sind. Dies führt zu Unterschieden zwischen der vertraglichen und der außervertraglichen Haftung, weil Bezugspunkt der Differenzmethode bei vertraglichem Schadensersatz die ordnungsgemäße Vertragserfüllung ist, während bei außervertraglichen Schädigungen der Geschädigte so zu stellen ist, wie er ohne den schädigenden Eingriff stünde.340 Die konkrete Methode der Schadensbestimmung (konkret-individuell oder abstrakt-generell) dürfte der EuGH – anders als bei der Haftung der keit zusätzlichen Schadensersatzes über den Ausgleich nach Art. 17 RL 86/653 hinaus auch EuGH 3.12.2015, Rs. C-338/14, ECLI:EU:C:2015:795 Rn. 30 – Quenon. 337 Ersichtlich nur in Art. 94 Abs. 2 Sortenschutzverordnung 2100/94: „Wer vorsätzlich oder fahrlässig handelt, ist dem Inhaber darüber hinaus zum Ersatz des weiteren aus der Verletzung entstandenen Schadens verpflichtet. Bei leichter Fahrlässigkeit kann sich dieser Anspruch entsprechend dem Grad der leichten Fahrlässigkeit, jedoch nicht unter die Höhe des Vorteils, der dem Verletzer aus der Verletzung erwachsen ist, vermindern.“ Siehe auch allgemein Erwägungsgrund 17 RL 2004/48: „Die in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe sollten in jedem Einzelfall so bestimmt werden, dass den spezifischen Merkmalen dieses Falles, einschließlich der Sonderaspekte jedes Rechts an geistigem Eigentum und gegebenenfalls des vorsätzlichen oder nicht vorsätzlichen Charakters der Rechtsverletzung gebührend Rechnung getragen wird.“ 338 EuGH 4.10.1979, Rs. 238/78, Slg. 1979, 2955 Rn. 13 – Ireks-Arkady; EuGH 26.6.1990, Rs. C-152/88, Slg. 1990, I-2477 Rn. 30 – Sofrimport: „Was den Schadensbetrag angeht, so sind die Parteien aufzufordern, sich vorbehaltlich einer späteren Entscheidung des Gerichtshofes innerhalb von zwölf Monaten über die Feststellung dieses Betrags zu einigen, wobei sie die Preise, die Sofrimport beim Verkauf der Äpfel im Anschluß an den vorerwähnten Beschluß des Präsidenten des Gerichtshofes tatsächlich erzielt hat, sowie diejenigen Preise zu berücksichtigen haben, die die Firma unmittelbar nach der Ankunft der Erzeugnisse im Bestimmungshafen hätte erzielen können.“ Magnus in: Research Group on the Existing EC Contract Law – Principles of the Existing EC Contract Law (Acquis Principles) Contract II (2009) Art. 8:402 Rn. 1: „It can further be inferred that compensation must make good the loss in such a way that the claimant is put in the position which he or she would have if the loss had not occurred and the obligation duly performed“; zum Kapitalmarktrecht Hellgardt AG 2012, 154, 166; allgemein Geibel FS Müller-Graff (2015) 558, 564: Grundsatz der Totalreparation („vollständiger Ersatz“) und Schadensermittlung nach Differenzhypothese „Fundament eines unionsrechtlichen Schadensrechts“. 339 BGH 26.9.1997, V ZR 29/96, NJW 1998, 302, 304. 340 Oliphant in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 11/3.
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Union nach Art. 340 Abs. 2 AEUV341 – im Unionsprivatrecht den Mitgliedstaaten nicht vorgeben, weil die Unionsgerichte anders als bei Art. 340 Abs. 2 AEUV nicht als Tatrichter zu entscheiden haben.342 a) Materielle Schäden Beim Ersatz des materiellen Schadens lassen sich drei Gruppen bilden, nämlich der Ersatz von Körper- oder Personenschäden, von Sachschäden und von Vermögensschäden.343 aa) Körperschäden Die Ersatzfähigkeit von Körperschäden spielt im geltenden Unionsrecht eine eher untergeordnete Rolle, weil sich nur wenige seiner Haftungstatbestände auf Körperschäden beziehen. Wo sie allerdings in Betracht kommt, wie im Produkthaftungsrecht, im Reiserecht und im Luftverkehrsrecht, wird der Ersatz von Körperschäden umfassend gewährleistet344 (vgl. Art. 14 Abs. 2, Abs. 4 Satz 3 Pauschalreiserichtlinie 2015/2302; Art. 9 lit. a Produkthaftungsrichtlinie 85/374; Art. 17 Abs. 1 i. V. m. Art. 21 Abs. 2 lit. a MÜ345; vgl. auch Anhang Nr. a Klauselrichtlinie 93/13). Der Ersatz umfasst neben Heilbehandlungskosten346 auch die Kosten für medizinische Hilfsmittel347 und die Dazu Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 273 f. Vgl. EuGH 10.5.2001, Rs. C-203/99, Slg. 2001, I-3569 Rn. 33 – Veedfald: „Daraus ergibt sich, dass das innerstaatliche Gericht nach der Richtlinie zu prüfen hat, unter welche Schadensart der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens zu subsumieren ist.“ Wenn bereits die Bestimmung der Schadensart dem nationalen Gericht obliegen soll, so gilt dies erst recht für die Schadensberechnung. 343 Nach Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 275. Siehe auch die Einteilung in den Schlussanträgen von Generalanwalt Capotorti vom 12.9.1979, Rs. 238/78, Slg. 1979, 2955 – Ireks-Arkady. 344 Zur Definition des Personenschadens für die Zwecke der Kfz-Haftpflichtrichtlinie EuGH 24.10.2013, Rs. C-22/12, ECLI:EU:C:2013:692 Rn. 47 – Haasová: „vom Begriff des Personenschadens jeder Schaden erfasst wird, dessen Ersatz aufgrund der Haftpflicht des Versicherten durch das auf den Rechtsstreit anwendbare nationale Recht vorgesehen ist und der aus einer Beeinträchtigung der Unversehrtheit der Person herrührt, was körperliche wie seelische Leiden umfasst“; ebenso EuGH 24.10.2013, Rs. C-277/12, ECLI: EU:C:2013:685 Rn. 38 – Drozdovs; ferner Vaquer in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 2/33; Oliphant in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 11/37: „can hardly be doubted“. 345 Die Haftungsbegrenzung von 113.100 Sonderziehungsrechten bewirkt nur einen Übergang von der strikten Haftung zur Haftung für vermutetes Verschulden, nicht aber eine echte Haftungsbegrenzung, vgl. Art. 21 Abs. 2 lit. a MÜ. 346 Zur Produkthaftungsrichtlinie 85/374 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 17 Ziffer 17: „Behandlungskosten und alle Aufwendungen zur Wiederherstellung der Gesundheit sowie jede Beeinträchtigung der Erwerbstätigkeit, die die Folge des Körperschadens ist“; siehe auch Erwägungsgründe 1 und 6 RL 85/374: umfassender 341 342
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Vermögensfolgeschäden durch entgangenen Verdienst.348 Ersatzfähig ist darüber hinaus auch der durch den Tod verursachte Schaden, also die „Ersatzansprüche des Geschädigten, die zwischen dem schädigenden Ereignis und seinem Ableben entstanden sind“ (z. B. für Heilbehandlungskosten), „die Ersatzansprüche derjenigen, die (Unterhalts-)Ansprüche gegen den Verstorbenen hatten“349 und die Kosten der Beerdigung.350 bb) Sachschäden Auch der Ersatz von Sachschäden ist durch das Unionsprivatrecht grundsätzlich generell gewährleistet. Allerdings sind insofern eher als bei den Körperschäden Haftungsbegrenzungen in Einzelfällen zulässig.351 Im Produkthaftungsrecht sieht Art. 9 lit. b RL 85/374 eine „Selbstbeteiligung“ von 500 Euro und einen Ausschluss hauptsächlich gewerblich genutzter Sachen vor, im Reiserecht gestattet Art. 14 Abs. 4 Satz 3 RL 2015/2302 eine vertragliche Haftungsbegrenzung auf das Dreifache des Gesamtreisepreises für nicht vorSchutz der Gesundheit und körperlichen Unversehrtheit; zu Art. 340 Abs. 2 AEUV EuGH 3.2.1994, Rs. C-308/87, Slg. 1994, I-341 Rn. 10 ff., 17 f. – Grifoni. 347 Zu Art. 340 Abs. 2 AEUV vgl. EuGH 17.1.1985, Rs. 131/81, Slg. 1985, 645 Rn. 5 f. – Berti. 348 Zur Produkthaftungsrichtlinie 85/374 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 17 Ziffer 17: „Behandlungskosten und alle Aufwendungen zur Wiederherstellung der Gesundheit sowie jede Beeinträchtigung der Erwerbstätigkeit, die die Folge des Körperschadens ist“; zu Art. 340 Abs. 2 AEUV EuGH 3.2.1994, Rs. C-308/87, Slg. 1994, I-341 Rn. 20 ff. – Grifoni; allgemein Oliphant in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 11/39 f. 349 Zur Produkthaftungsrichtlinie 85/374 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/76, S. 17 Ziffer 17. Daraus folgt eine Ersatzberechtigung mittelbar unterhaltsberechtigter Geschädigter, unsicher Lukes Reform der Produkthaftung (1979) S. 91: „bleibt auch offen, wer eigentlich im Fall des Todes Anspruchsberechtigter sein soll“. Für Anwendung nationalen Rechts insofern Schlechtriem VersR 1986, 1033, 1041; Anderle Der Haftungsumfang des harmonisierten Produkthaftungsrechtes (1990) S. 61 f. Zum Übereinkommen von Montreal vgl. die ausdrückliche Regelung in Art. 20 Satz 2 MÜ im Kontext des Mitverschuldens, die davon ausgeht, dass eine „andere Person als der Reisende wegen dessen Tod oder Körperverletzung“ Schadensersatzansprüche erheben kann. Siehe auch die ausdrückliche Regelung in Art. 7 Abs. 1 Satz 2 VO 181/2011 über die Fahrgastrechte im Kraftomnisbusverkehr: „Beim Tod eines Fahrgasts gilt dieses Recht mindestens für Personen, für die der Fahrgast kraft Gesetzes unterhaltspflichtig war oder zukünftig unterhaltspflichtig geworden wäre.“ 350 Taschner/Frietsch Produkthaftungsgesetz und EG-Produkthaftungsrichtline2 (1990) Art. 9 Richtl. Rn. 5. Siehe auch die ausdrückliche Regelung in Art. 7 Abs. 1 Satz 1 VO 181/2011 über die Fahrgastrechte im Kraftomnisbusverkehr: „Anspruch auf Entschädigung bei Tod – einschließlich angemessener Kosten für die Bestattung“. 351 Vaquer in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 2/34; Oliphant in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 11/45.
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sätzlich oder fahrlässig herbeigeführte Sachschäden, und im Luftverkehrsrecht sind die Ansprüche bei Sachschäden auf eine Höchstgrenze von 1.131 Sonderziehungsrechten (ca. 1.300 Euro) begrenzt (Art. 22 Abs. 2 MÜ), sofern es sich nicht um leichtfertiges oder vorsätzliches Verhalten des Luftfrachtführers oder seiner Leute handelt (Art. 22 Abs. 5 MÜ) oder der Reisende das Beförderungsinteresse angegeben und dafür einen Zuschlag entrichtet hat (Art. 22 Abs. 2 Satz 1 a. E., Satz 2 MÜ). Gleichwohl widerlegen diese Ausnahmen nicht den Grundsatz der vollständigen Schadenskompensation. So lässt sich die „Selbstbeteiligung“ nach Art. 9 lit. b RL 85/374 nach vorzugswürdiger Auffassung als reine Rechtsschutzschwelle interpretieren (die zudem den Rückgriff auf nationales Deliktsrecht unberührt lässt, Art. 13 RL 85/374), und die Möglichkeit der vertraglichen Haftungsbegrenzung nach der Reiserichtlinie lässt die gesetzlich vorgesehene unbegrenzte Sachschadenshaftung unberührt.352 Die Haftungsbegrenzung im Übereinkommen von Montreal schließlich erklärt sich durch den völkervertraglich-transportrechtlichen Hintergrund; sie kann zudem bei Leichtfertigkeit oder Vorsatz überwunden werden. Zur Ersatzfähigkeit von Sachschäden zählt auch die Ersatzfähigkeit von Vermögensfolgeschäden, die durch den Sachschaden verursacht werden. Dennoch ist zu konzedieren, dass der Sachschadensersatz im Unionsrecht bisher nur eine untergeordnete Bedeutung hat.353 cc) Vermögensschäden Während der Regelungsbestand des Unionsrechts bei Körper- und Sachschäden überschaubar ist, spielt der Ersatz von Vermögensschäden infolge der „Marktnähe“ zahlreicher unionsrechtlicher Regeln eine bedeutsame Rolle. Insofern geht der Gerichtshof im Kartelldeliktsrecht und im Staatshaftungsrecht davon aus, dass der Effektivitätsgrundsatz neben dem positiven Schaden (damnum emergens) auch den Ersatz entgangenen Gewinns (lucrum cessans) erforderlich macht:354 es könne „nicht zulässig sein […], den entgangenen Gewinn bei einem Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht vollständig vom ersatzfähigen Schaden auszuschließen. Insbesondere bei Rechtsstreitigkeiten wirtschaftlicher oder kommerzieller Natur ist nämlich ein solcher
352 Vgl. EuGH 12.3.2002, Rs. C-168/00, Slg. 2002, I-2631 Rn. 23 – Leitner: grundsätzlicher Schadensersatzanspruch für Nicht-Körperschäden. 353 Siehe auch den zurückhaltenden Befund von Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 276. 354 Siehe bereits die Nachweise in Fn. 332; ferner Vaquer in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 2/22 ff. mit Aufzählung einzelner Positionen des damnum emergens und des lucrum cessans.
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
vollständiger Ausschluß des entgangenen Gewinns geeignet, den Ersatz des Schadens tatsächlich unmöglich zu machen“.355
Ähnliche Grundsätze finden sich im Immaterialgüterrecht356 und im Datenschutzrecht,357 und auch die Rechtsprechung zur Belehrungsmängelhaftung weist auf eine unionsrechtliche Verpflichtung zum Ersatz reiner Vermögensschäden hin, da der EuGH die Mitgliedstaaten auf eine Risikoüberwälzung vom Verbraucher auf die finanzierende Bank verpflichtet.358 Es spricht daher einiges dafür, dass das Unionsrecht grundsätzlich auch zum Ersatz reiner Vermögensschäden einschließlich des entgangenen Gewinns verpflichtet (ebenso Art. 8:402 Abs. 2 Acquis Principles 2009),359 soweit sich aus der Struktur des Haftungstatbestands und dem Schutzzweck der Haftungsnorm nichts anderes ergibt und der Vermögensschaden im Kausalzusammenhang mit der Rechtsverletzung steht.360 Ist der Ersatz des entgangenen Gewinns und reiner Vermögensschäden damit grundsätzlich Teil des gebotenen Schadensersatzes, sofern nicht – wie etwa in der Produkthaftungsrichtlinie – im Haftungstatbestand eine explizite Ausnahme formuliert ist (vgl. Art. 9 lit. a und b RL 85/374: „durch Tod und Körperverletzungen verursachte[r] Schaden“ oder „die Beschädigung oder Zerstörung einer anderen Sache als des fehlerhaften Produkts“; Art. 17 MÜ), so stellt sich die Frage, wie diese Schadenspositionen zu bestimmen sind. Im Unterschied zu Sach- oder auch Körperschäden, bei denen sich der materielle Schaden durch die Kosten der Heilbehandlung oder Reparatur und den Ver355 EuGH 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 87 – Brasserie du Pêcheur. 356 Dazu Art. 13 Abs. 1 UAbs. 2 lit. a RL 2004/48: „Bei der Festsetzung des Schadensersatzes verfahren die Gerichte wie folgt: Sie berücksichtigen alle in Frage kommenden Aspekte, wie die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen, einschließlich der Gewinneinbußen für die geschädigte Partei“; zu Beispielen Metzger in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 209, 216 f.: Marktverwirrungsund Diskreditierungsschaden als damnum emergens, entgangene Lizenzeinnahmen, rückläufige Verkaufszahlen eigener Produkte oder nach unten korrigierte eigene Preise als entgangener Gewinn. 357 Zu Art. 23 RL 95/46 Kosmides Zivilrechtliche Haftung für Datenschutzverstöße (2010) S. 112. 358 EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 100 f. – Schulte. 359 Dazu Magnus in: Research Group on the Existing EC Contract Law – Principles of the Existing EC Contract Law (Acquis Principles) Contract II (2009) Art. 8:402 Rn. 5, 9. 360 Siehe etwa die Verpflichtung zum Ersatz der Vermögensschäden (Wertverlust eines Hauses), die infolge einer unterlassenen Umweltverträglichkeitsprüfung beim Bau eines Flughafens eingetreten sind in EuGH 14.3.2013, Rs. C-420/11, ECLI:EU:C:2013:166 Rn. 35 – Leth: „kann eine Minderung des Vermögenswerts dieses Hauses nämlich eine unmittelbare wirtschaftliche Folge solcher Auswirkungen auf die Umwelt sein, was im Einzelfall zu prüfen ist“.
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dienstausfall (jedenfalls bei Arbeitnehmern) einigermaßen sicher berechnen lässt, wirft gerade die Berechnung des entgangenen Gewinns die Frage auf, wie (erfolgreich) der Geschädigte ohne die Rechtsverletzung am Markt agiert hätte (Verbrauchervertragsrecht, Immaterialgüterrecht) bzw. welche Preise er zu Wettbewerbsbedingungen (Kartelldeliktsrecht) hätte zahlen müssen. Da sich dies nicht mehr zweifelsfrei nachweisen lässt, bedient sich das Unionsrecht unterschiedlicher Annäherungsmethoden, die sich im Grundsatz auf vier Modelle zurückführen lassen, nämlich die Marktsimulation, den Ansatz von Schadenspauschalen, die Schadensberechnung anhand des Verletzergewinns und die Haftung für vermutete Kausalverläufe. Die naheliegendste Methode zur Ermittlung des entgangenen Gewinns ist die Marktsimulation,361 wie sie etwa im Kartelldeliktsrecht bei der Schadensberechnung anhand des Vergleichsmarktkonzepts anzutreffen ist.362 Indes zeigt die Praxis zum Kartelldeliktsrecht die Grenzen dieses Konzepts auf: Es scheint einigermaßen praktikabel zu sein, soweit es um den Ersatz kartellbedingt überhöhter Preise geht, aber der im Grundsatz ebenfalls ersatzfähige Schaden für den Nachfrageausfall ist bisher, soweit ersichtlich, in der Praxis nicht geltend gemacht worden. Dieser Befund entspricht der Erfahrung mit der Schadensberechnung anhand des entgangenen Gewinns im Immaterialgüterrecht, der, obwohl im Immaterialgüterrecht wegen des Charakters als Ausschließlichkeitsrecht wohl leichter bestimmbar als im Kartellrecht, in Deutschland lange Zeit kaum relevant war, bis der BGH die Voraussetzungen erleichtert hat.363 Wegen dieser Schwierigkeiten kann es erforderlich sein, auf andere juristische Annäherungen als die Simulation der Marktentwicklung zurückzugreifen. Eine solche Annäherung ist der Ansatz von Schadenspauschalen, der sich vor allem im Immaterialgüterrecht findet, wo Art. 13 Abs. 1 lit. b RL 2004/48 die Festsetzung des Schadensersatzes „als Pauschalbetrag“ gestattet, „und Im Kapitalmarktrecht spricht sich Poelzig ZGR 2015, 801, 833 für eine durch den Effektivitätsgrundsatz gebotene Schadensberechnung anhand des Kursdifferenzschadens sowie alternativ einen Anspruch auf Ersatz des Vertragsabschlussschadens aus. 362 Siehe auch aus dem Immaterialgüterrecht Art. 13 Abs. 1 lit. a RL 2004/48: „Sie [die Gerichte] berücksichtigen alle in Frage kommenden Aspekte, wie die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen, einschließlich der Gewinneinbußen für die geschädigte Partei“; zudem Magnus in: Research Group on the Existing EC Contract Law – Principles of the Existing EC Contract Law (Acquis Principles) Contract II (2009) Art. 8:402 Rn. 11: „regular measures of damages is therefore the market value of the infringed position“. 363 Siehe den Befund von Dreier Kompensation und Prävention (2002) S. 254 f.: „geringe Zahl konkreter Schadensberechnungen in Deutschland“. Allerdings wählen in Deutschland nach den Erleichterungen durch BGH 2.11.2000, I ZR 246/98, GRUR 2001, 329 – Gemeinkostenanteil inzwischen die meisten Kläger im Höheverfahren wegen Patentoder Gebrauchsmusterverletzung die Herausgabe des Verletzergewinns, Grabinski GRUR 2009, 260, 262: „Nach Schätzung des Autors dürfte dies in den vergangenen Jahren in mindestens ¾ der vor dem LG Düsseldorf geführten Höheverfahren der Fall gewesen sein.“ 361
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
zwar auf der Grundlage von Faktoren wie mindestens dem Betrag der Vergütung oder Gebühr, die der Verletzer hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des betreffenden Rechts des geistigen Eigentums eingeholt hätte“.364 Darüber hinaus ist sie auch beim Ersatz immaterieller Einbußen anzutreffen, insbesondere bei den Ausgleichsansprüchen nach Art. 7 der Fluggastrechteverordnung 261/2004, und beim pauschalen Ersatz der Beitreibungskosten nach Art. 6 Abs. 1 der Zahlungsverzugsrichtlinie 2011/7. Für das Kartelldeliktsrecht oder Verbrauchervertragsrecht ist das Modell der Schadenspauschalen fernliegender, weil sich hier wohl kaum ein typischer, pauschalierbarer Schadensbetrag feststellen lässt.365 Ebenfalls vor allem im Immaterialgüterrecht verbreitet ist die Schadensberechnung anhand des Verletzergewinns.366 Auch diese Methode ist, wenngleich sie auch bei der Bestimmung kapitalmarktrechtlicher Geldbußen anzutreffen ist,367 außerhalb des Immaterialgüterrechts nur eingeschränkt geeignet, den tatsächlichen Schaden zu bestimmen, weil es bei Wettbewerbsdelikten und anderen Verstößen gegen Marktverhaltensrecht nicht um die Verletzung
Siehe auch zur Sortenschutzverordnung 2100/94 EuGH 5.7.2012, Rs. C-509/10, ECLI:EU:C:2012:416 Rn. 43 – Geistbeck: „als Berechnungsgrundlage der Betrag heranzuziehen ist, der der Gebühr für die Erzeugung in Z-Lizenz entspricht“. Für eine konkrete Anwendung siehe die Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón vom 15.11.2012, Rs. C-103/11 P, ECLI:EU:C:2012:714 Rn. 187 ff. – Systran. Siehe auch Koziol in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 5, 19 (zur doppelten Lizenzgebühr): „pauschalierte[r] Ersatz des Nachteils“ (einschließlich Ausforschungs- und Rechtsdurchsetzungskosten sowie des Marktstörungsschadens); von UngernSternberg GRUR 2009, 460, 463 ff. Allgemein auch Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012) S. 492: „zeichnen sich die marktregulierenden Schadensersatzregelungen oft dadurch aus, dass sie die Voraussetzungen an die Schadensfeststellung und – berechnung absenken und pauschalisieren“. 365 Zur Diskussion im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie 2014/104 um die Vermutung eines „Mindestpreisaufschlags“ von 10 % bei Kartelldelikten (ablehnend) Brömmelmeyer NZKart 2016, 2, 7–9. 366 Vgl. Art. 13 Abs. 1 lit. RL 2004/48: „Sie [die Gerichte] berücksichtigen alle in Frage kommenden Aspekte, wie die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen, einschließlich der Gewinneinbußen für die geschädigte Partei und der zu Unrecht erzielten Gewinne des Verletzers“; dazu von Ungern-Sternberg GRUR 2009, 460, 463. Zum Verständnis des Verletzergewinns als (widerlegliche oder unwiderlegliche) Beweiserleichterung bei der Schadensermittlung von Caemmerer FS Rabel I (1954) 333, 360; Boosfeld Gewinnausgleich (2015) S. 200 ff. mwN. 367 Siehe auch EuGH 23.12.2009, Rs. C-45/08, Slg. 2009, I-12073 Rn. 73 – Spector Photo Group: „der aus einem Insider-Geschäft resultierende Vermögensvorteil [kann] ein relevanter Gesichtspunkt für die Zumessung einer wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktion sein“. 364
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ausschließlicher Rechte geht.368 Entscheidend ist deshalb, wie bedeutsam der Präventionszweck eingeschätzt wird, der vor allem eine Schadensbestimmung (oder Schadensfiktion) anhand des Verletzergewinns zu rechtfertigen vermag. Als letzte Annäherung an den Ersatz reiner Vermögensschäden ist schließlich die Haftung für vermutete Kausalverläufe zu nennen. Auch wenn sich nach hier vertretener Auffassung die Ersatzpflichtigkeit entgangener Chancen für das Unionsrecht nicht durch den Effektivitätsgrundsatz begründen lässt,369 so kann doch der Schutzzweck der verletzten Unionsrechtsnorm im Einzelfall zumindest die Vermutung eines bestimmten Kausalverlaufs verlangen, der in ein konkretes Schadensszenario mündet. Als prominentes Beispiel ist hier die Belehrungsmängelhaftung zu nennen, bei der nach vorzugswürdiger Auffassung der rechtzeitige Widerruf des Verbrauchers bei korrekter Belehrung zu vermuten ist,370 so dass der Verbraucher so zu stellen ist, wie er stünde, wenn er sich durch rechtzeitigen Widerruf von dem Geschäft gelöst hätte. Letztlich handelt es sich dabei durchaus um eine der Haftung für verlorene Chancen verwandte Form der Haftung für vermutete Kausalverläufe, die sogar strikter als die Chancenhaftung ist, insofern der Schädiger auf den vollen Schaden haftet, sofern er die Vermutung aufklärungsgerechten Verhaltens nicht widerlegen kann. b) Immaterielle Schäden Aufgrund der Struktur der Haftungstatbestände im Unionsprivatrecht und der tendenziell höheren Gewichtung immaterieller Güter verlangt das Unionsprivatrecht grundsätzlich den Ersatz auch des immateriellen Schadens oder Nichtvermögensschadens, also des Schadens, der „nicht das Vermögen oder das Einkommen einer Person an sich betrifft und der sich deshalb nicht an368 Dazu oben zum Kartelldeliktsrecht § 4 V 3 a bb → S. 217. Kritisch zur Ausweitung der Gewinnherausgabe Haedicke GRUR 2005, 529, 535, der sie „jedenfalls bei Fällen leichter Fahrlässigkeit“ als unverhältnismäßig ansieht. 369 Zum Kartelldeliktsrecht § 4 V 3 a aa → S. 214. Im Beamtendienstrecht und im Staatshaftungsrecht der Union und der Haftung der Mitgliedstaaten ist die Lage unsicher. Zwar scheinen die Unionsgerichte vor allem im Beamtendienstrecht entgangene Einstellungs- und Beförderungschancen grundsätzlich als ersatzfähig anzusehen, andererseits sind sie in der Praxis offenbar zurückhaltend, dazu den Befund von Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 213: „Die Rechtsprechung der Gemeinschaftsgerichte erkennt die Ersatzfähigkeit verlorener Chancen dem Grunde nach an.“, S. 217: „Insgesamt gesehen ist die Rechtsprechung bei der Gewährung von Schadensersatz für entgangene Chancen sehr zurückhaltend.“ Umfassend Weitenberg Der Begriff der Kausalität in der haftungsrechtlichen Rechtsprechung der Unionsgerichte (2014) S. 499 ff., 799 ff.: Schadensersatz für verlorene Chancen, „als Kategorie anerkannt“, aber „[e]in die Haftungssysteme übergreifendes einheitliches Konzept befindet sich noch in der Entwicklung“ (799). 370 Oben § 5 V 3 a → S. 303, § 5 VI 1 → S. 310.
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hand eines Marktpreises oder -werts beziffern lässt“,371 sofern dies nicht – wie in der Produkthaftungsrichtlinie – ausdrücklich ausgeschlossen wird.372 Dieser Befund bestätigt sich in den untersuchten Referenzgebieten am eindeutigsten im Reise- und Luftverkehrsrecht. Während die Leitner-Entscheidung auch die entgangene Urlaubsfreude zum Schadensersatz nach Art. 5 Abs. 2 RL 90/314 (nunmehr ausdrücklich Erwägungsgrund 34 Satz 6 RL 2015/2302) zählt,373 hat der EuGH in Walz den Schadensersatz bei Gepäckverlust auf den dadurch verursachten immateriellen Schaden erstreckt.374 Besonders prägnant ist der Ersatz immaterieller Schäden in der Fluggastrechteverordnung 261/2004, deren Ausgleichsanspruch in Art. 7 VO 261/ 2004 ausschließlich auf den pauschalierten Ersatz für die Unannehmlichkeit, insbesondere den Zeitverlust durch Flugverspätung, Flugannullierung oder Zu dieser Definition die Schlussanträge des Generalanwalts Wahl vom 9.10.2013, Rs. C-371/12, ECLI:EU:C:2013:652 Rn. 38 – Petillo mit Verweis auf Horton Rogers Damages for Non-Pecuniary Loss in a Comparative Perspective (2001) S. 246; zum Begriff Ady Ersatzansprüche wegen immaterieller Einbußen (2004) S. 5 ff. (mit umfassender rechtsvergleichender Analyse); Schubert Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden im Privatrecht (2013) S. 11 ff. 372 Schlussanträge des Generalanwalts Wahl vom 9.10.2013, Rs. C-371/12, ECLI: EU:C:2013:652 Rn. 39 ff. – Petillo (mit umfassendem Überblick über die Rechtsquellen): „Vorab sei darauf hingewiesen, dass nach einem wohl fast allgemein anerkannten Grundsatz der Schaden, den ein Einzelner aufgrund der unerlaubten Handlung eines anderen erleidet und für den eine Entschädigung geleistet werden muss, prinzipiell auch den Schaden umfassen kann, der über bloße Vermögenseinbußen hinausgeht.“ N. Reich in: Liber Amicorum Guido Alpa: Private Law Beyond the National Systems (2007) 846, 866 f.: „An emerging general principle: compensation of non-material damage“ mit Verweis auf den grundrechtlich gebotenen wirksamen Schutz vor Diskriminierung; Vaquer in: Koziol/ Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 2/36 ff.; Wurmnest/ Heinze in: Schulze (Hrsg.) Compensation of Private Losses (2011) 39, 59 f.; Remien in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 359, 372: Europäisches Recht „bisher sehr geneigt zum Ersatz immaterieller Schäden“; Schubert Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden im Privatrecht (2013) S. 464, zum rechtsvergleichenden Befund S. 562: „Übereinstimmend werden in den untersuchten Mitgliedstaaten und im Rahmen der Staatshaftung nach Art. 41 EMRK und Art. 340 Abs. 2 AEUV die Gefühlsschäden und die Beeinträchtigungen der Lebensführung entschädigt.“ Siehe auch Ady Ersatzansprüche wegen immaterieller Einbußen (2004) S. 28, der für eine Verallgemeinerung der Rechtsprechung zum Antidiskriminierungsrecht plädiert. Siehe allerdings auch die Schlussanträge des Generalanwalts Wathelet vom 21.4.2016, Rs. C280/15, ECLI:EU:C:2016:293 Rn. 55 – Nikolajeva, der im Rahmen des bloßen Entschädigungsanspruchs nach Art. 9 Abs. 3 Markenverordnung 207/2009 einen Anspruch auf Ersatz für immaterielle Einbußen verneint und die Haftung analog Art. 13 Abs. 2 RL 2004/ 48 auf eine Gewinnherausgabe beschränken will (Rn. 54). 373 EuGH 12.3.2002, Rs. C-168/00, Slg. 2002, I-2631 Rn. 20 ff. – Leitner; ausführlich oben § 6 V 3 b → S. 355. 374 EuGH 6.5.2010, Rs. C-63/09, Slg. 2010, I-4239 Rn. 29 – Walz; ausführlich oben § 8 V 3 b aa → S. 473. 371
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Nichtbeförderung zielt.375 Aber auch im Kartelldeliktsrecht376 und bei der Verletzung verbrauchervertraglicher Informationspflichten ist ein Ersatz immaterieller Schäden grundsätzlich geboten,377 auch wenn er aufgrund der vermögensrechtlichen Natur dieser Tatbestände wohl nur geringe praktische Bedeutung hat. Außerhalb der Referenzgebiete dieser Untersuchung findet sich eine Verpflichtung zum Ersatz immaterieller Schäden im Kfz-Haftpflichtversicherungsrecht,378 im Antidiskriminierungsrecht,379 im Immaterialgüterrecht,380 im Datenschutzrecht,381 im Staatshaftungsrecht382 und wohl Oben § 8 I 3 → S. 440 und § 8 V 3 b bb → S. 477. Oben § 4 V 3 b → S. 226; Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach einzelstaatlichem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union KOM(2013) 404 S. 15 f.: „Der Begriff der Vermögenseinbuße (damnum emergens), auf den in diesem Artikel [Art. 3 RL 2014/104] Bezug genommen wird, stammt aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs und schließt keinerlei (materiellen oder immateriellen) Schaden aus, der durch Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsvorschriften verursacht werden kann.“ 377 Oben § 5 V 3 c → S. 309. Zur kontroversen Diskussion im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts KOM(2011) 635 (dort Art. 2 lit. c VO-E: „Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck […] (c) ‚Verlust‘ den materiellen Verlust sowie den immateriellen Verlust in Form erlittener Schmerzen und erlittenen Leids, ausgenommen jedoch andere Formen des immateriellen Verlusts wie Beeinträchtigungen der Lebensqualität oder entgangene Freude“) K. Huber euvr 2013, 197, 199 ff. 378 EuGH 24.10.2013, Rs. C-22/12, ECLI:EU:C:2013:692 Rn. 47, 50 – Haasová; EuGH 24.10.2013, Rs. C-277/12, ECLI:EU:C:2013:685 Rn. 44 – Drozdovs. 379 EuGH 22.4.1997, C-180/95, Slg. 1997, I-2195 Rn. 34 – Draehmpaehl (zum Schadensersatzanspruch eines Bewerbers, der auch bei diskriminierungsfreier Auswahl die Position nicht erhalten hätte und der daher im wesentlichen immaterieller Natur ist, dazu nun auch Art. 18 Satz 2 RL 2006/54); Schubert Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden im Privatrecht (2013) S. 457, 465; ablehnend N. Reich in: Liber Amicorum Guido Alpa: Private Law Beyond the National Systems (2007) 846, 865 f., 861: „Such claims for compensation without loss should not be allowed“; „free ride on the breach of the employer“. 380 Art. 13 Abs. 1 lit. a RL 2004/48: Gerichte „berücksichtigen alle in Frage kommenden Aspekte […] sowie in geeigneten Fällen auch andere als die rein wirtschaftlichen Faktoren, wie den immateriellen Schaden für den Rechtsinhaber“. Dabei ist ein (zusätzlicher) Ersatz des immateriellen Schadens auch dann geboten, wenn der Rechteinhaber für den Ersatz im Übrigen die Lizenzanalogie (Art. 13 Abs. 1 lit. b RL 2004/48) wählt, EuGH 17.3.2016, Rs. C-99/15, ECLI:EU:C:2016:173 Rn. 25 f. – Liffers: „Angesichts der Ziele der Richtlinie 2004/48 ist deren Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 dahin auszulegen, dass er den Grundsatz aufstellt, wonach die Berechnung der Höhe des an den Inhaber eines Rechts des geistigen Eigentums zu zahlenden Schadensersatzes diesem den vollständigen Ausgleich des von ihm ‚tatsächlich erlittenen‘ Schadens gewährleisten soll, indem sie auch einen etwaigen immateriellen Schaden einschließt. Wie Rn. 20 des vorliegenden Urteils zu entnehmen ist, deckt eine nur auf der hypothetischen Gebühr basierende pauschale Festsetzung der Höhe des geschuldeten Schadensersatzes nur den vom Inhaber des betreffenden Rechts des geistigen Eigentums erlittenen materiellen Schaden, so dass der Rechtsinhaber, um einen vollständigen Ausgleich erlangen zu können, zusätzlich zum so berechneten 375 376
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auch im Zahlungsverzugsrecht.383 Es lässt sich also sagen, dass Nichtvermögensschäden im Unionsprivatrecht grundsätzlich ersatzfähig sind.384 Schadensersatz den Ersatz des ihm möglicherweise entstandenen immateriellen Schadens fordern können muss.“ Für ein weiteres Beispiel siehe die Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón vom 15.11.2012, Rs. C-103/11 P, ECLI:EU:C:2012:714 Rn. 198 – Systran (zu einem Fall, in dem das EuG 1.000 Euro als symbolischen Schadensersatz für eine Urheberrechtsverletzung durch die Kommission zugesprochen hat). Allerdings ist unsicher, was unter einem immateriellen Schaden bei Immaterialgüterrechtsverletzungen (Reputationsschäden, Marktverwirrungsschäden, Beeinträchtigung des Urheberpersönlichkeitsrechts?) zu verstehen ist, dazu die Nachweise in Teil 1 – Fn. 19. 381 Damann/Simitis EG-Datenschutzrichtlinie (1997) Art. 23 Rn. 5; ausführliche Erörterung zur Einbeziehung auch des immateriellen Schadens bei Kautz Schadensersatz im europäischen Datenschutzrecht (2006) S. 163 ff. mit Ergebnis auf S. 181: „Der Schadensbegriff der Datenschutzrichtlinie umfasst den uneingeschränkten Ersatz immaterieller Schäden“; Kosmides Zivilrechtliche Haftung für Datenschutzverstöße (2010) S. 111. Ausdrücklich nun Art. 82 Abs. 1 Datenschutz-Grundverordnung 2016/679: „Jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, hat Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter“ und Erwägungsgrund 85 Satz 1: „Eine Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten kann – wenn nicht rechtzeitig und angemessen reagiert wird – einen physischen, materiellen oder immateriellen Schaden für natürliche Personen nach sich ziehen, wie etwa Verlust der Kontrolle über ihre personenbezogenen Daten oder Einschränkung ihrer Rechte, Diskriminierung, Identitätsdiebstahl oder -betrug, finanzielle Verluste, unbefugte Aufhebung der Pseudonymisierung, Rufschädigung, Verlust der Vertraulichkeit von dem Berufsgeheimnis unterliegenden Daten oder andere erhebliche wirtschaftliche oder gesellschaftliche Nachteile für die betroffene natürliche Person.“ 382 EuGH 3.2.1994, Rs. C-308/87, Slg. 1994, I-341 Rn. 37 – Grifoni; EuG 9.7.1999, Rs. T-231/97, Slg. 1999, II-2403 Rn. 53 f. – New Europe Consulting; EuGH (Große Kammer) 28.5.2013, Rs. C-239/12 P, ECLI:EU:C:2013:331 Rn. 72, 76 – Abdulrahim; EuG 8.11.2011, Rs. T-88/09, Slg. 2011, II-7833 Rn. 61 – Idromacchine (Reputationsschaden); EuG 29.4.2015, Rs. T-217/11, ECLI:EU:T:2015:238 Rn. 290 – Staelen: „Gefühl von Zeitund Energieverlust hervorgerufen und einen Vertrauensverlust in diese Einrichtung verursacht“ (immaterieller Schaden von 7.000 Euro); zum Beamtendienstrecht EuGH 8.10.1986, Rs. 169/83, Slg. 1986, 2801 Rn. 18 – Leussink; EuGH 5.10.1988, Rs. 180/87, Slg. 1988, 6141 Rn. 13, 19 – Hamill; EuGH 22.12.2008, Rs. C-198/07 P, Slg. 2008, I-10701 Rn. 19, 60 – Gordon. 383 Der pauschale Ersatz von Beitreibungskosten nach Art. 6 Abs. 1 RL 2011/7 in Höhe von 40 Euro gilt auch, wenn für die Beitreibung eigene Arbeitskraft verwendet wurde, die in Deutschland bisher als reine Freizeiteinbuße und damit als nicht ersatzfähiger Vermögensschaden angesehen wurde, Dornis WM 2014, 677, 680. 384 Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 289; Wurmnest/ Heinze in: Schulze (Hrsg.) Compensation of Private Losses (2011) 39, 59 f. Etwas zurückhaltender ist Art. 8:402 Abs. 4 Acquis Principles 2009, der die Ersatzfähigkeit von „nonpecuniary losses“ nur bis zu dem Maße gestattet, wie der Zweck der Verpflichtung dem Schutz immaterieller Interessen dient („Damages cover non-pecuniary losses only to the extent that the purpose of the obligation includes the protection or satisfaction of nonpecuniary interests“).
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Allerdings hat die Untersuchung zugleich gezeigt, dass das Unionsrecht durchaus zwischen ersatzfähigen und nicht ersatzfähigen immateriellen Schäden trennt.385 Die wohl anerkannteste privatrechtliche386 Kategorie des Ersatzes von Nichtvermögensschäden stellt das Schmerzensgeld dar.387 So ist die Leistung von Schmerzensgeld für erlittene Körperschäden,388 Entstellungen389 und den Verlust von Sehkraft und Geruchs- sowie Geschmackssinn390 in der Haftung der Union nach Art. 340 Abs. 2 AEUV anerkannt.391 Auch im Reise- und Luftverkehrsrecht ist die Ersatzfähigkeit des Schmerzensgelds gesichert.392 Schwieriger ist der Ersatz des psychischen Leids ohne Zusammenhang mit einer Körperschädigung. Während der Gerichtshof insofern vor allem im Beamtendienstrecht grundsätzlich großzügig zu sein scheint,393 hat er einen Ersatz für die 385 Zur zulässigen Begrenzung der Ersatzfähigkeit des durch leichte Verletzungen verursachten immateriellen Schadens (im Kontext der Kfz-Haftpflichtversicherungsrichtlinien) EuGH 23.1.2014, Rs. C-371/12, ECLI:EU:C:2014:26 Rn. 43 ff. – Petillo. 386 Vaquer in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 2/40. Im Öffentlichen Recht ist auch an andere Formen des immateriellen Schadensersatzes zu denken, etwa den Ersatz für überlange Gerichtsverfahren, zur Rechtsprechung des IGH und des EGMR Schlussanträge des Generalanwalts Wahl vom 9.10.2013, Rs. C-371/12, ECLI:EU:C:2013:652 Rn. 40, 44 – Petillo. 387 Schlussanträge des Generalanwalts Wahl vom 9.10.2013, Rs. C-371/12, ECLI:EU: C:2013:652 Rn. 42 – Petillo: Ersatzfähigkeit von Nichtvermögensschäden „gilt insbesondere dann, wenn der Schaden mit körperlichem oder seelischem Leiden verbunden ist“. 388 EuGH 3.2.1994, Rs. C-308/87, Slg. 1994, I-341 Rn. 37 – Grifoni: „Den Opfern eines Unfalls ist unabhängig von jedem Vermögensschaden Ersatz für jeden sie als Person treffenden Schaden zu leisten; dieser Schaden umfasst jegliches physische oder psychische Leid.“ 389 EuGH 14.2.1985, Rs. 131/81, Slg. 1985, 645 Rn. 14 f. – Berti. 390 EuGH 8.10.1986, Rs. 169/83, Slg. 1986, 2801 Rn. 18 ff. – Leussink. 391 Schubert Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden im Privatrecht (2013) S. 466: „Im Staatshaftungsrecht spricht der EuGH eine Entschädigung sowohl für Schmerzen und Leiden sowie für Entstellungen und Beeinträchtigungen der Lebensführung in Form von (temporärer) Empfindungsunfähigkeit als auch für Störungen des gesellschaftlichen und familiären Lebens zu.“ 392 Nachweise zum Luftverkehrsrecht in Fn. 374. Im Reiserecht stand die Ersatzfähigkeit von Schmerzensgeld offenbar von vorneherein nicht in Zweifel, vgl. EuGH 12.3.2002, Rs. C-168/00, Slg. 2002, I-2631 Rn. 10 – Leitner; Tonner ZEuP 2003, 619, 630. Tonner/ Lindner NJW 2002, 1475, 1476 gehen davon aus, dass die Ausführungen in den Schlussanträgen des Generalanwalts Tizzano vom 20.9.2001, Rs. C-168/00, Slg. 2002, I-2631 Rn. 30 – Leitner in Richung einer Einbeziehung des Schmerzensgelds in den Anspruch aus Art. 5 Abs. 2 RL 90/314 weisen. 393 Allerdings mit überschaubaren Ersatzbeträgen, siehe die Darstellung bei Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 292 ff.; ferner Schubert Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden im Privatrecht (2013) S. 466: „Daneben bezieht er [der EuGH] psychische Beeinträchtigungen wie Ungewissheit, Angst und Schock ein. Insofern erfasst er vor allem Gefühlsschäden. Die Entschädigung bei Einschränkungen der Empfindungsfähigkeit und der Ausgleich von Rufschäden lässt indes nicht eindeutig er-
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psychischen Folgen eines Unfalls für das Familienleben abgelehnt.394 Indes dürfte diese 30 Jahre alte Rechtsprechung über das Beamtendienstrecht hinaus nicht verallgemeinerungsfähig sein. So ist im Kfz-Haftpflichtrecht der immaterielle Schaden von Personen, die dem Todesopfer eines Verkehrsunfalls nahestanden, in den Umfang der obligatorischen Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung einzubeziehen, wenn das anwendbare nationale Haftungsrecht einen solchen Ersatz vorsieht.395 Auch die immateriellen Einbußen im Zusammenhang mit Persönlichkeitsrechtsverletzungen im weiteren Sinne, insbesondere Datenschutzdelikten oder unzulässigen Diskriminierungen sind anerkannte Schadenspositionen. Eine ersatzfähige Form des Nichtvermögensschadens stellt ferner der Reputationsschaden dar.396 Der Ersatz immaterieller Schäden im Immaterialgüterrecht dient wohl in erster Linie dem Schutz des Urheberpersönlichkeitsrechts, erfasst aber offenbar zugleich nicht bezifferbare Marktverwirrungs- und Reputationsschäden des Rechteinhabers, die allerdings auch als Teil des materiellen Schadens (damnum emergens) angesehen werden könnten. 397 Eine zuweilen im Zusammenhang mit den Nichtvermögensschäden erörterte Einbuße ist schließlich der Ersatz für verlorene Chancen, der nach hier vertretener Auffassung besser als Form des materiellen Schadens angesehen werden sollte und durch den Effektivitätsgrundsatz nicht als unionsrechtlich geboten erscheint (dazu § 4 V 3 a cc → S. 220). Andere Formen des immateriellen Schadensersatzes sind stark durch die Besonderheiten des jeweiligen Haftungstatbestands geprägt und lassen sich wohl nicht verallgemeinern. 398 Dies gilt für den im Reiserecht gebotenen kennen, ob dabei auf die emotionale Belastung des Geschädigten abgestellt wird oder zugleich die Beeinträchtigung der Entfaltungsfreiheit unabhängig vom Empfinden des Geschädigten als ausgleichsfähiger immaterieller Schaden angesehen wird.“ 394 EuGH 8.10.1986, Rs. 169/83, Slg. 1986, 2801 Rn. 22 – Leussink: kein Schadensersatz für die „Folgen [insbesondere psychischer Art], die der Unfall für das Familienleben nach sich gezogen hat“. 395 EuGH 24.10.2013, Rs. C-22/12, ECLI:EU:C:2013:692 Rn. 47, 50, 55 – Haasová „Folglich müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass der nach ihrem nationalen Haftpflichtrecht geschuldete Ersatz des immateriellen Schadens, den nahe Familienangehörige von Verkehrsunfallopfern erlitten haben, durch die Pflichtversicherung in Höhe der in Art. 1 Abs. 2 der Zweiten Richtlinie festgelegten Mindestbeträge gedeckt wird.“ Ebenso EuGH 24.10.2013, Rs. C-277/12, ECLI:EU:C:2013:685 Rn. 46 f. – Drozdovs (Sohn als naher Angehöriger). 396 Zur Haftung der Union siehe EuG 8.11.2011, Rs. T-88/09, Slg. 2011, II-7833 Rn. 61 – Idromacchine; Vaquer in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 2/41. 397 Zur unsicheren Reichweite des immateriellen Schadens im Immaterialgüterrecht siehe die Nachweise in Teil 1 – Fn. 19 und in diesem Teil Fn. 380. 398 Ähnlich, allerdings offenbar für eine generelle Ersatzfähigkeit von Gefühlsschäden Schubert Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden im Privatrecht (2013) S. 466: „Grundsätze für ersatzfähige immaterielle Schäden haben sich vor allem im Rahmen der Haftung nach Art. 340 Abs. 2 AEUV entwickelt, so dass vor allem Gefühlsschäden als
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Ersatz für entgangene Urlaubsfreude,399 aber auch für die Kompensation des Zeitverlusts und der Unannehmlichkeiten durch die Ausgleichsansprüche der Fluggastrechteverordnung400 oder den Ersatz des immateriellen Schadens bei Gepäckverlust401 und wohl auch für den Ersatz der Beitreibungskosten bei Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr.402 Allerdings deutet sich an, dass die Entschädigung für Eigenbemühungen durchaus zu einem allgemeineren Umdenken im deutschen Recht führen könnte.403 Zusammenfassend lässt sich eine grundsätzliche Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden im Unionsrecht feststellen, wobei dies generell für den Ersatz des Schmerzensgelds und wohl auch für Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts im weiteren Sinne durch Reputationsschäden, rechtswidrige Diskriminierung oder Datenschutzdelikte und Verletzungen des Urheberpersönlichkeitsrechts gilt. Darüber hinaus zeigt sich gerade bei der Reichweite der ersatzfähigen Nichtvermögensschäden der Einfluss der (Schutz-)Zwecke der jeweiligen Haftungsnorm, der zu einer Ausdifferenzierung, vielleicht auch Zerfaserung der ersatzfähigen Nichtvermögensschäden führt.404 Dies gilt zum einen für vermögensnahe immaterielle Schäden wie den Marktverwirrungsschaden, dessen Ersatz bei marktbezogenen Delikten wie Immaterialgüterrechtsverletzungen nahe liegt. Es gilt aber auch für den Ersatz entgangener Urlaubsfreude oder der Unannehmlichkeiten der Verzögerung, die im Reiseund Personentransportrecht anzutreffen ist, und den Ersatz für Eigenbemühungen zur Forderungsbeitreibung bei Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr. Jedenfalls belegt diese Ausdifferenzierung, dass das Unionsrecht keine BeNichtvermögensschäden anzusehen sind. Daneben ist anhand des Gegenstands der Richtlinien zu ermitteln, welche ideellen Einbußen typischerweise mit der Verletzung der Richtlinienvorgaben einhergehen, so dass ihre Entschädigung vom Normzweck der Richtlinie getragen ist.“ Allerdings entfaltet Schubert Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden im Privatrecht (2013) S. 562 ff. auf Grundlage der Rechtsvergleichung eine positive Beschreibung des Nichtvermögensschadens „als Einbuße an der Selbstentfaltung […], wenn sie ebenfalls ein anerkanntes Interesse des Geschädigten ist“, wobei es genügt, „wenn die Selbstentfaltung als Interesse der Person anerkannt ist und nicht mit der Rechtsordnung in Konflikt steht“. Allerdings soll die Entschädigung einer solchen Einbuße davon abhängen, „ob der ideelle Schaden für ersatzfähig erklärt wird“. 399 EuGH 12.3.2002, Rs. C-168/00, Slg. 2002, I-2631 Rn. 20 ff. – Leitner. 400 EuGH 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 und C-629/10, ECLI:EU:C:2012:657 Rn. 46, 48, 51 – Nelson. 401 EuGH 6.5.2010, Rs. C-63/09, Slg. 2010, I-4239 Rn. 29 – Walz. 402 Art. 6 RL 2011/7. 403 In diese Richtung Dornis WM 2014, 677, 681. 404 Dies spiegelt in gewisser Weise den rechtsvergleichenden Befund, insofern der Immaterialschadensersatz in anderen Mitgliedstaaten deutlich stärker ausdifferenziert ist als im deutschen Recht, vgl. G. Wagner JZ 2004, 319, 322. Zum Gemeinsamen Europäischen Kaufrecht KOM(2011) 635 siehe den Vorschlag, einen „loss of amenity“ nur dann als ersatzfähig anzusehen, wenn der Vertrag immaterielle Interessen schützt und/oder wenn eine „erhebliche Beeinträchtigung“ gegeben ist, K. Huber euvr 2013, 197, 202.
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denken hat, den Kreis ersatzfähiger Einbußen auszudehnen und auf bloße Unannehmlichkeiten zu erstrecken, wenn dies aus Gründen der Regelungsziele sachgerecht erscheint. Zur Quantifizierung immaterieller Schäden in Geld bietet es sich an, Schadenspauschalen und vergleichbare frühere Fälle aus der Judikatur heranzuziehen.405 Besonders konsequent erfolgt dies beim pauschalen Ausgleichsanspruch nach der Fluggastrechteverordnung, aber auch die Berechnung der entgangenen Urlaubsfreude anhand von Reisepreis, Beeinträchtigungsdauer und Beeinträchtigungsintensität weist auf eine Pauschalierung hin. Demgegenüber scheint ein bloß symbolischer Schadensersatz zum Ausgleich immaterieller Schäden jedenfalls im Privatrecht mangels hinreichender Durchsetzungs- und Abschreckungseffekte ungeeignet zu sein.406 c) Überkompensatorischer Schadensersatz In allen untersuchten Referenzmaterien verpflichtet das Unionsrecht die Mitgliedstaaten nicht zur Einführung eines überkompensatorischen Schadensersatzes.407 In der jüngeren Rechtsentwicklung deutet sich zudem an, dass sich das Unionsrecht im Gegenteil gegen die Verpflichtung zu überkompensatorischem Ersatz oder Mehrfachschadensersatz ausspricht.408 Auch wenn das UniÄhnlicher Befund (Bezugnahme auf frühere Fälle) zum Staatshaftungsrecht bei Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 290; zur Rechtsvergleichung Ady Ersatzansprüche wegen immaterieller Einbußen (2004) S. 126 ff.; Schubert Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden im Privatrecht (2013) S. 287 ff. 406 EuGH 10.4.1984, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 Rn. 24 – von Colson und Kamann: „Folglich würde eine nationale Rechtsvorschrift, die die Schadensersatzansprüche von Personen, die Opfer einer Diskriminierung beim Zugang zu Beschäftigung wurden, auf eine rein symbolische Entschädigung wie etwa die Erstattung ihrer Bewerbungskosten beschränkt, den Erfordernissen einer wirksamen Umsetzung der Richtlinie nicht gerecht.“ Siehe allerdings auch die Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón vom 15.11.2012, Rs. C-103/11 P, ECLI:EU:C:2012:714 Rn. 198 – Systran (zu einem Fall, in dem das EuG 1.000 Euro als symbolischen Schadensersatz für eine Urheberrechtsverletzung durch die Kommission zugesprochen hat). Zulässig ist eine symbolische Entschädigung offenbar im Bereich des Beamtendienstrechts, Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 237 f. 407 Ebenso zum Antidiskriminierungsrecht EuGH 17.12.2015, Rs. C-407/14, ECLI:EU: C:2015:831 Rn. 34, 37, 40 – Camacho. Gleicher Befund bei Magnus in: Research Group on the Existing EC Contract Law – Principles of the Existing EC Contract Law (Acquis Principles) Contract II (2009) Art. 8:401 Rn. 10, Art. 8:402 Rn. 7. 408 Zum Kartelldeliktsrecht Art. 3 Abs. 3 RL 2014/104; zur Handelsvertreterrichtlinie EuGH 3.12.2015, Rs. C-338/14, ECLI:EU:C:2015:795 Rn. 34, 39 f. – Quenon: „ Daher darf die Zuerkennung von Schadensersatz nicht zu einem doppelten Ersatz führen, indem die Ausgleichszahlung für Kunden mit dem Ersatz für den Schaden kombiniert wird, der u. a. auf dem Verlust der Provisionen infolge der Beendigung des Vertrags beruht.“ Dies ist im Hinblick auf den über Art. 17 RL 86/653 hinausgehenden Schadensersatz (Art. 17 Abs. 2 lit. c RL 86/653, zum Verbot der Mehrfachentschädigung dort Rn. 39 f.) besonders 405
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onsrecht damit keinen Präventionszuschlag gebietet, strahlen allerdings die Regelungsziele wie insbesondere das Abschreckungs- und Durchsetzungsziel auf den Haftungstatbestand und die Haftungsfolgen aus und führen zur Erweiterung des Kreises der ersatzfähigen Einbußen (z. B. auf den bloßen Zeitverlust oder die Unannehmlichkeit des Flugausfalls) 409 oder zur Begrenzung haftungsbeschränkender Instrumente wie der Vorteilsausgleichung oder der Unterbrechung des Kausalverlaufs (zum Präventionszweck bereits § 9 II 2 → S. 541). VI. Kausalität
VI. Kausalität
Bei der Kausalität wird im Unionsprivatrecht infolge der vom deutschen Haftungsrecht abweichenden Tatbestandsstruktur häufig nicht zwischen der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität410 oder gar der Anspruchsinhaberschaft411 getrennt.412 bemerkenswert, weil dieser durch das Unionsrecht im Übrigen überhaupt nicht geregelt wird (Rn. 31 f., 37 f.). 409 Gleichsinnig Magnus in: Research Group on the Existing EC Contract Law – Principles of the Existing EC Contract Law (Acquis Principles) Contract II (2009) Art. 8:402 Rn. 8: „Even the penalty available under the Denied Boarding Regulation aims mainly at the compensation of the discomfort and possible costs of passengers whose flights were cancelled or overbooked.“ 410 Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 176. Dies ist – ähnlich wie in den romanischen Rechtsordnungen – darauf zurückzuführen, dass die Haftungstatbestände des Unionsrechts im Regelfall kein dem § 823 Abs. 1 BGB vergleichbaren Enumerationskatalog geschützter „absoluter“ Rechte und Rechtsgüter und kein zweifach gestuftes Haftungskonzept (Handlung – Rechtsgutverletzung – Schaden) kennen, zur Parallelbeobachtung in der Rechtsvergleichung Spickhoff in: Karlsruher Forum 2007: Folgenzurechnung im Schadensersatzrecht: Gründe und Grenzen (2008) 7, 10; Kleinschmidt in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.) Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts II (2009) 969, 969 f.: „Die dem deutschen Recht geläufige konzeptionelle Unterscheidung zwischen haftungsbegründender und haftungsausfüllender Kausalität ist den meisten europäischen Rechtsordnungen unbekannt“; von Hein FS Magnus (2014) 21, 23; zu den konzeptionellen Unterschieden zwischen einfach und zweifach gestuften Haftungsordnungen auch Zetzsche ZHR 179 (2015) 490, 507 ff. Zum Kartelldeliktsrecht siehe auch Lettl WRP 2015, 537, 540 f., der zwar zwischen haftungsbegründender und haftungsausfüllender Kausalität trennt, beide aber an den gleichen Kriterien misst (541). Zetzsche ZHR 179 (2015) 490, 499 sieht im Kausalzusammenhang nach der Jedermann-Formel im Kartelldeliktsrecht (dazu § 4 III → S. 170) ein Element der „haftungsausfüllenden Kausalität“ und eine „schadensrechtliche“ im Unterschied zu einer „haftungsrechtlichen“ (d. h. an den Haftungsvoraussetzungen anknüpfenden) Lösung (506). Im Produkthaftungsrecht ist eine zweiaktige Kausalprüfung (Produktfehler – rechtsgutbezogener Schaden an Körper, Gesundheit, Sacheigentum – Schadensfolgen) aber möglich, G. Wagner in: MünchKommBGB V6 (2013) § 1 ProdHaftG Rn. 22. 411 Meessen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht (2011) S. 335. Aspekte der haftungsbegründenden Kausalität spielen im Kartelldeliktsrecht vor allem bei der Bestimmung des Kreises der Anspruchsberechtigten, insbesondere der
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
1. Europäischer oder nationaler Kausalitätsbegriff Allgemein lässt sich festhalten, dass die Konkretisierung der Kausalität bei der bloßen Einwirkung durch den Effektivitätsgrundsatz „Aufgabe des innerstaatlichen Rechts des einzelnen Mitgliedstaats [ist], wobei der Äquivalenzund der Effektivitätsgrundsatz zu beachten sind“413 (zum Kartelldeliktsrecht § 4 VI → S. 229). Bei der Harmonisierung durch Richtlinien oder Verordnungen ist demgegenüber umstritten, ob das Kausalitätserfordernis autonom nach unionsrechtlichen Kriterien oder nach nationalem Recht auszufüllen ist (zum Produkthaftungsrecht § 7 VI → S. 417, zum Luftverkehrsrecht § 8 VI 2 → S. 481).414 Nach dem Grundsatz autonomer Auslegung sprechen die besseren Gründe für ein autonom-europäisches Verständnis der Kausalität. Infolge der Struktur des Vorabentscheidungsverfahrens kann der Gerichtshof allerdings nur allgemeine Kriterien vorgeben, während die Konkretisierung der Kausalität im Einzelfall den nationalen Gerichten obliegt.415 Trotz ihrer unterschiedlichen Ausgangspunkte – Kontrolle mitgliedstaatlichen Rechts durch Anspruchsberechtigung mittelbarer Abnehmer eine Rolle, dazu § 4 III 2 b → S. 177, ferner im Rahmen der Vorteilsausgleichung, dazu § 4 VIII 3 → S. 234. 412 Kritisch von Bar Gemeineuropäisches Deliktsrecht I (1996) § 4 Rn. 397: „Schaden und Rechts- oder Rechtsgutverletzung ineinszusetzen […] geht aber dort nicht an, wo die Haftung auf ein Verschulden gegründet wird und deshalb immer auch entschieden werden muß, worauf sich dieses Verschulden bezieht.“ 413 Zum Kartelldeliktsrecht EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 64 – Manfredi. 414 Zum Datenschutzrecht auch Kautz Schadensersatz im europäischen Datenschutzrecht (2006) S. 182 mit Plädoyer für einen stillschweigenden Verweis auf die Kausalitätskriterien des nationalen Rechts (trotz Erwägungsgrund 55 RL 95/46). Im Kontext des Schadensersatzanspruchs nach Art. 35a Ratingverordnung 1060/2009 in der Fassung der VO 462/2013 ist nach dem Wortlaut („auf ein Rating ausgewirkt“) keine Kausalität zwischen Schaden und Zuwiderhandlung erforderlich, richtigerweise aber dennoch zu fordern, Dutta WM 2013, 1729, 1734; Berger/Ryborz WM 2014, 2241, 2246; Einsele JZ 2014, 703, 709: „Entscheidungskausalität“. Die Auslassung im Wortlaut dürfte durch den Verweis auf das durch das Kollisionsrecht bestimmte nationale Recht (einschließlich dortiger Kausalitätsvoraussetzungen) gemäß Art. 35a Abs. 4 Ratingverordnung 1060/2009 in der Fassung der VO 462/2013 erklärbar sein. 415 Zum gleichen Befund kommt Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 177: es gehe „weniger um rechtliche Fragen der Kausalität […], sondern um die Frage des Beweises eines Kausalzusammenhangs“; gleiches gilt sogar für den unionsrechtlich überformten Begriff der Kausalität in der Staatshaftung, vgl. EuGH 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 65 – Brasserie du Pêcheur: „haben die vorlegenden Gerichte zu prüfen, ob zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat obliegende Verpflichtung und dem den geschädigten Personen entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht.“ Zur „Dezentralisierung“ der Konkretisierung des Kausalitätskriteriums und zur Verbindung der im Sekundärrecht und durch den Effektivitätsgrundsatz vorgegebenen Kausalitätskriterien auch Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 7.12 f.
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den Effektivitätsgrundsatz einerseits, Anwendung autonomer Kausalitätskriterien durch nationale Gerichte andererseits – dürften die beiden Modelle in ihren Ergebnissen nicht weit auseinander liegen, weil die unionsrechtlichen Minima des Effektivitätsgrundsatzes den eher allgemeinen Vorgaben entsprechen dürften, die der Gerichtshof durch autonome Auslegung des knappen Normenmaterials416 zur Kausalität gewinnen kann.417 2. Konkretisierung des Kausalzusammenhangs Zur bescheidenen418 unionsrechtlichen Konkretisierung des Kausalzusammenhangs bietet es sich an, die Judikatur zum unmittelbaren Kausalzusammenhang im Staatshaftungsrecht419 zu berücksichtigen,420 auch wenn sie auf 416 Etwa Art. 4 RL 85/374: „ursächlichen Zusammenhang zwischen Fehler und Schaden“; Art. 13 Abs. 1 UAbs. 1 RL 2004/48: „Ausgleich des […] wegen der Rechtsverletzung erlittenen tatsächlichen Schadens“; Art. 18 Satz 1 RL 2006/54: „der einer Person durch eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts entstandene Schaden“; Art. 3 Abs. 1 RL 2014/104: „durch eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht verursachten Schaden“ (wobei der Begriff des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Zuwiderhandlung und dem Schaden nach Erwägungsgrund 11 Satz 3 RL 2014/104 zu den „in dieser Richtlinie nicht behandelten Aspekte[n]“ zählt, so dass es bei der bloßen Effektivitätskontrolle der nationalen Kausalitätsvorschriften bleibt, so bereits vor der RL 2014/104 EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 64 – Manfredi; EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 24 – Kone). 417 In der Praxis dürfte weniger die rechtliche Bewertung des Kausalzusammenhangs als vielmehr sein Nachweis im Vordergrund stehen, siehe die Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón vom 15.11.2012, Rs. C-103/11 P, ECLI:EU:C:2012:714 Rn. 177 – Systran. 418 Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 7.13: „actually only limited need and scope for providing further details as regards the causality test at EU legislative level“. 419 Dazu EuGH 4.10.1979, Rs. 64/76, Slg. 1979, 3091 Rn. 20 f. – Dumortier Frères (zu Art. 340 Abs. 2 AEUV); in Bezug genommen in EuGH (Große Kammer) 12.12.2006, Rs. C-446/04, Slg. 2006, I-11753 Rn. 218 – Test Claimants in the FII Group Litigation (zur Francovich-Haftung); EuGH (Große Kammer) 16.7.2009, Rs. C-440/07 P, Slg. 2009, I-6413 Rn. 221 – Schneider Electric (zu Art. 340 Abs. 2 AEUV); EuGH 20.10.2011, Rs. C-94/10, Slg. 2011, I-9963 Rn. 34 – Danfoss. Dabei genügt eine „hinreichende Unmittelbarkeit“, EuGH 12.12.2006, Rs. C-446/04, Slg. 2006, I-11753 Rn. 218 – Test Claimants in the FII Group Litigation, so dass nicht für jede „noch so entfernte nachteilige Folge“ Ersatz zu leisten ist, EuGH 4.10.1979, Rs. 64/76, Slg. 1979, 3091 Rn. 21 – Dumortier Frères. Einzelne Urteile knüpfen auch an die objektive Vorhersehbarkeit an, EuGH 16.12.1963, Rs. 36/62, Slg. 1963, 619, 638 – Société des Aciéries du Temple: „verständig denkenden Adressaten“; EuG 28.4.1998, Rs. T-184/95, Slg. 1998, II-667 Rn. 72 – Dorsch Consult: „objektiv vorhersehbare Folge“; für Adäquanz auch Schlussanträge des Generalanwalts Lenz vom 27.10.1987, Rs. 277/84, Slg. 1987, 4923 Rn. 28 – Jänsch: „Da der im Schadensrecht einschlägige Kausalitätsbegriff eine adäquate Verursachung beinhaltet“; zum Ausschluss mittelbarer und entfernter Schäden siehe auch EuG 18.9.1995, Rs. T-168/ 94, Slg. 1995, II-2627 Rn. 40 ff., 49 – Blackspur (bei nur geringer Zollschuld kein unmit-
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
die Effektivitätskontrolle der nationalen Kausalitätskriterien nicht unmittelbar übertragbar ist.421 Allgemein lässt sich zum unionalen Kausalitätserfordernis zunächst festhalten, dass ein ursächlicher Zusammenhang im Regelfall422 telbarer Kausalzusammenhang mit Insolvenz einer Gesellschaft mit deutlich höherem Gesellschaftskapital); jüngst zusammenfassend EuG 29.4.2015, Rs. T-217/11, ECLI:EU:T: 2015:238 Rn. 275 – Staelen. Für die Interpretation als Adäquanzerfordernis Weyer in: Frankfurter Kommentar II (2009) Art. 81 EG Zivilrechtsfolgen Rn. 195; Pache in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 191, 197; ablehnend Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 178 f. Umfassend zum Kausalitätsbegriff im europäischen Staatshaftungsrecht nunmehr Weitenberg Der Begriff der Kausalität in der haftungsrechtlichen Rechtsprechung der Unionsgerichte (2014) S. 315 ff., 359 ff., 579 ff., der eine zweischrittige Prüfung von faktischer („sicherer“ Kausalzusammenhang, der grundsätzlich mit Bejahung des conditio sine qua nonTests erfüllt ist) und juristischer („unmittelbarer“ Kausalzusammenhang, der i. d. R. Schutzzweckerwägungen umfasst) Kausalität vorschlägt, diese aber nicht de lege lata auf das haftungsrechtliche Sekundärrecht wie die Produkthaftungsrichtlinie übertragen will (S. 340 f.), sondern sich nur für eine Orientierung de lege ferenda (S. 828) ausspricht. 420 Für eine Übernahme des Konzepts des hinreichend unmittelbaren Kausalzusammenhangs aus Art. 340 AEUV mit einer „normativen Korrektur“ in das Kartelldeliktsrecht nun Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 30.1.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU: C:2014:45 Rn. 34 f. – Kone: „Eben dieses Kriterium sollte aus Gründen der Kohärenz auch auf alle anderen Fälle übertragen werden, in denen Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Unionsrechts in Rede stehen. […] Freilich bedarf auch besagtes Kriterium der Unmittelbarkeit noch der Präzisierung. Um näher zu bestimmen, was unter ‚hinreichend unmittelbarer Kausalität‘ konkret zu verstehen ist, muss letztlich eine normative Betrachtung angestellt werden, wie sie auch in den nationalen Zivilrechtsordnungen im Zusammenhang mit den jeweiligen Regeln über die außervertragliche Haftung gebräuchlich ist.“ Ebenso bereits Schneider Zivilrecht und praktische Wirksamkeit der Artikel 85 und 86 EGVertrag (2000) S. 178; Berrisch/Burianski WuW 2005, 878, 887; N. Reich CMLR 42 (2005) 35, 46; ders. in: Liber Amicorum Guido Alpa: Private Law Beyond the National Systems (2007) 846, 859, 861 f. (zum Produkthaftungsrecht und Immaterialgüterrecht); Görner Die Anspruchsberechtigung der Marktbeteiligten nach § 33 GWB (2007) S. 91; Bulst ZEuP 2008, 178, 189 ff.; Weyer in: Frankfurter Kommentar II (2009) Art. 81 EG Zivilrechtsfolgen Rn. 195; Weitenberg Der Begriff der Kausalität in der haftungsrechtlichen Rechtsprechung der Unionsgerichte (2014) S. 819: „nicht einfach unbeachtet lassen kann“; skeptischer Commission Staff Working Paper – Annex to the Green Paper – Damages actions for breach of the EC antitrust rules SEC(2005) 1732 Rn. 174: „possibility of consumer actions in the latter [Abgabenrecht] does not appear to be of any relevance“. Allgemein zum Kohärenzgedanken im unionalen Haftungsrecht oben § 2 III 2 → S. 99. 421 EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 24, 32 – Kone; zur Diskussion oben § 4 III 2 c → S. 184 und § 4 VI → S. 229. Für eine Gleichsetzung des „Unmittelbarkeitserfordernisses“ im Kausalzusammenhang nach Art. 340 Abs. 2 AEUV mit dem Schutzzweckerfordernis im deutschen und österreichischen Recht Steiner Die außervertragliche Haftung der Europäischen Union nach Art. 340 Abs. 2 AEUV für rechtswidriges Verhalten (2015) S. 126. 422 Für „eine Ausnahme vom conditio sine qua non-Erfordernis in Fällen konkurrierender Kausalität sowie eine vollumfängliche Haftung kumulativer Verursacher, deren Beiträ-
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ausscheidet, wenn auch bei Wegfall der Rechtsverletzung der Schaden der gleiche gewesen wäre (conditio sine qua non).423 Darüber hinaus lassen sich aus Kone 424 gewisse unionale Vorgaben für den Kausalzusammenhang gewinnen (bereits oben § 4 III 2 c → S. 184 und § 4 VI → S. 229), nämlich dass der Gerichtshof pauschalen Kausalitätsbegrenzungen skeptisch gegenübersteht, dass auch die Mitursächlichkeit (neben dritten Verursachern) für die Schadensentstehung genügen kann und dass es der Effektivitätsvorbehalt den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen gestattet, neben der conditio sine qua non-Formel weitere Begrenzungen der Kausalität vorzusehen, so dass keine Verpflichtung zum Ersatz jeder auch noch so entfernten nachteiligen Folge besteht.425 Der Kausalzusammenhang darf allerdings nur verneint werden, wenn die Konsequenzen fernliegend sind oder wenn der Ursachenzusammenhang durch das autonome Handeln einer dritten Partei unterbrochen wird und diese Konsequenzen oder dieses Handeln das vom Schädiger objektiv vorhersehbare Maß überschreitet.426 Kausalitätsbegrenzungen sind also ge jeweils eine notwendige Bedingung des Schadenseintritts darstellen“ Weitenberg Der Begriff der Kausalität in der haftungsrechtlichen Rechtsprechung der Unionsgerichte (2014) S. 823. 423 Zu Art. 340 Abs. 2 AEUV EuGH 7.4.1992, Rs. C-358/90, Slg. 1992, I-2457 Rn. 47 – Compagnia italiana alcool: „Unabhängig davon, ob die Gemeinschaft für eine derartige Rechtswidrigkeit haftet, besteht jedenfalls kein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem der Klägerin angeblich entstandenen Schaden und dem Begründungsmangel. Hätte dieser Mangel nicht bestanden, so wäre der der Klägerin angeblich entstandene Schaden der gleiche gewesen.“ EuGH 18.3.2010, Rs. C-419/08 P, Slg. 2010, I-2259 Rn. 55, 58, 59 – Trubowest: „Der genannte Schaden muss tatsächlich durch das den Organen vorgeworfene Verhalten verursacht worden sein“; Weitenberg Der Begriff der Kausalität in der haftungsrechtlichen Rechtsprechung der Unionsgerichte (2014) S. 364 ff., 794, 825 (zur Rezeption im haftungsrechtlichen Sekundärrecht); zum Kartelldeliktsrecht Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 30.1.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:45 Rn. 33 – Kone; allgemein Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 177 f.; Durant in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 3/29 ff.; Magnus in: Research Group on the Existing EC Contract Law – Principles of the Existing EC Contract Law (Acquis Principles) Contract II (2009) Art. 8:401 Rn. 11: „To date, the requirement of causation has not been further specified by EU-legislation. The ECJ requires that at least the ‘but for’ (conditio sine qua non) test is met“; Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 7.13. 424 EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 34 – Kone. 425 Aus der Rechtsprechung zum unmittelbaren Kausalzusammenhang im Staatshaftungsrecht EuGH 18.3.2010, Rs. C-419/08 P, Slg. 2010, I-2259 Rn. 61 – Trubowest: „Aus den gemeinsamen Rechtsgrundsätzen der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, auf die Art. 288 Abs. 2 EG Bezug nimmt, kann keine Verpflichtung der Gemeinschaft abgeleitet werden, Schadensersatz für jede noch so entfernte nachteilige Folge des Verhaltens ihrer Organe zu leisten“; „hinreichend unmittelbarer ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Verhalten der Organe und dem Schaden“; siehe außerdem die Nachweise in Fn. 419. 426 Zu diesen Ergebnissen auf Grundlage einer Analyse des Fallmaterials zur Staatshaftung Durant in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008)
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grundsätzlich zulässig, dürfen aber nicht die Haftung für Schäden ausschließen, die das schadensstiftende Verhalten nach den Umständen des konkreten Falles zur Folge haben konnte, wenn diese Umstände dem Schädiger nicht verborgen bleiben konnten,427 was man als normatives Vorhersehbarkeitserfordernis oder als Adäquanz verstehen kann (oben § 4 III 2 c → S. 184, § 4 VI → S. 229; zurückhaltend aber auch § 7 VI → S. 417).428 Eine Unterbrechnung des Kausalverlaufs scheint auch möglich durch höhere Gewalt.429 Schließlich, und dies dürfte die wichtigste Beobachtung sein, zeichnet sich in allen untersuchten Referenzgebieten ab, dass der Schutzzweck der verletzten Primärpflicht die Auslegung der Kausalität steuert,430 sei es bei der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens im Verbrauchervertragsrecht (§ 5 VI → S. 310),431 dem Bezug zu den reisevertraglichen bzw. beförderungsvertraglichen Pflichten im Reise- und Luftverkehrsrecht (§ 6 VI → S. 360, § 8 VI 2 → S. 481),432 dem Schutz des Verbrauchers vor den typischen Produktgefahren im Produkthaftungsrecht (§ 7 VI → S. 417) oder im Kartelldeliktsrecht (§ 4 VI → S. 229).433 Zum Teil wird im Staatshaftungsrecht auch die mitwirkende Rn. 3/55 (allerdings ohne Hinzufügung „das vom Schädiger vorhersehbare und vorsorgbare Maß überschreitet“). Die Hinzufügung dieser Begrenzung erscheint mit Blick auf EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 34 – Kone geboten. 427 EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 34 – Kone. 428 Auch das Unmittelbarkeitserfordernis in der Staats- und Beamtenhaftung ist nicht wörtlich zu verstehen, sondern als schutzzweckbezogenes Vorhersehbarkeitskriterium, Weitenberg Der Begriff der Kausalität in der haftungsrechtlichen Rechtsprechung der Unionsgerichte (2014) S. 776 ff. 429 Zum Produkthaftungsrecht Borghetti La responsabilité du fait des produits (2004) S. 497 Rn. 519: „la force majeure vient rompre le lien de causalité qui pourrait exister entre le défaut du produit et le dommage“; zum Staatshaftungsrecht Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 184. 430 Zum Staatshaftungsanspruch nach Francovich EuGH 14.3.2013, Rs. C-420/11, ECLI:EU:C:2013:166 Rn. 45 f. – Leth; ähnlich Durant in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 3/55: „obligation of result“; Weitenberg Der Begriff der Kausalität in der haftungsrechtlichen Rechtsprechung der Unionsgerichte (2014) S. 778: „Vorrangige Bedeutung des Schutzzwecks der Norm“, 825. Zum gleichen Ergebnis kommt Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 181 zum Unmittelbarkeitszusammenhang im Staatshaftungsrecht: „stark wertende Einschränkung, in die auch Ziele der Haftungsregelung mit einfließen können“ (mit Verweis auf EuGH 15.6.1999, Rs. C-140/97, Slg. 1999, I-3499 – Rechberger). 431 Für eine Unionsrechtswidrigkeit der Anforderungen der deutschen Rechtsprechung an die haftungsbegründende Kausalität bei bestimmten Kapitalmarktdelikten Hellgardt AG 2012, 154, 160 f., 166. 432 Zum Bezug zu den Vertragspflichten im vertraglichen Schadensersatz auch Magnus in: Research Group on the Existing EC Contract Law – Principles of the Existing EC Contract Law (Acquis Principles) Contract II (2009) Art. 8:402 Rn. 9: „expectation interest“. 433 EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 32 – Kone: „Sie [die nationalen Gerichte im Rahmen der Kausalitätsprüfung nach nationalem Recht] müssen daher speziell das mit Art. 101 AEUV verfolgte Ziel berücksichtigen, das darin besteht, die
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Verursachung durch den Geschädigten oder Dritte als Fall der Unterbrechung des Kausalverlaufs angesehen,434 was allerdings in dieser Arbeit als eigenständiger Punkt behandelt werden soll (sogleich § 9 VII → S. 609). VII. Mitwirkende Verursachung
VII. Mitwirkende Verursachung
1. Mitverursachung des Geschädigten Zur mitwirkenden Verursachung hat der Gerichtshof bereits anerkannt, dass sich der Geschädigte nach einem allgemeinen, den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsatz „in angemessener Form um die Verhinderung des Schadenseintritts oder um die Begrenzung des Schadensumfangs bemühen [muss], wenn er nicht Gefahr laufen will, den Schaden [teilweise oder vollständig] selbst tragen zu müssen“.435
Aufrechterhaltung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs im Binnenmarkt zu gewährleisten und damit Preise, die unter den Bedingungen eines freien Wettbewerbs festgesetzt werden.“ 434 EuGH 18.3.2010, Rs. C-419/08 P, Slg. 2010, I-2259 Rn. 61 – Trubowest: „Der Kausalzusammenhang kann durch ein nachlässiges Verhalten des Geschädigten unterbrochen werden, wenn sich herausstellt, dass dieses Verhalten ausschlaggebend für den Schaden war“; zur eigenen Entscheidung des Kartellaußenseiters EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 29 – Kone; Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 30.1.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:45 Rn. 36, 39 – Kone. 435 Zu Art. 340 Abs. 2 AEUV EuGH 7.11.1985, Rs. 145/83, Slg. 1985, 3539 Rn. 53 – Adams; EuGH 27.3.1990, Rs. C-308/87, Slg. 1990, I-1203 Rn. 17 – Grifoni; EuGH 19.5.1992, verb. Rs. C-104/89 und C-37/90, Slg. 1992, I-3061 Rn. 33 – Mulder I; EuGH 18.3.2010, Rs. C-419/08 P, Slg. 2010, I-2259 Rn. 61 – Trubowest; zur Haftung der Mitgliedstaaten EuGH 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 84 f. – Brasserie du Pêcheur; EuGH (Große Kammer) 24.3.2009, Rs. C-445/06, Slg. 2009, I-2119 Rn. 61 – Danske Slagterier; EuGH 25.11.2010, Rs. C-429/09, Slg. 2010, I-12167 Rn. 76 – Fuß. Zur Vereinbarkeit der Mitverschuldenskürzung nach dem Haftungsrecht der Mitgliedstaaten mit den Kfz-Haftpflichtversicherungsrichtlinien auch EuGH (Große Kammer) 23.10.2012, Rs. C-300/10, ECLI:EU:C:2012:656 Rn. 34, 38 – Almeida; siehe aber auch zur pauschalen Anspruchsminderung der Fahrzeuginsassen und zur Einstrahlung des Versicherungsrechts auf das Haftungsrecht EuGH 19.4.2007, Rs. C-356/05, Slg. 2007, I-3067 Rn. 34 f. – Farrell; EuGH 17.3.2011, Rs. C-484/09, Slg. 2011, I-1821 Rn. 36 ff. – Santos. Vgl. zudem die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 5.7.2012, Rs. C-300/ 10, ECLI:EU:C:2012:414 Rn. 1 – Almeida, die das Konzept bis auf den antiken griechischen Philosophen Antiphon zurückführt; zur Anerkennung des Mitverschuldens auch Oliphant in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 11/ 5; Magnus in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 12/55; für eine Verallgemeinerung der Rechtsprechung zur mitwirkenden Verursachung im Staatshaftungsrecht in das Unionsprivatrecht Wilman Private Enforcement of EU law before national courts (2015) Rn. 7.12 (der dies allerdings unter dem Gesichtspunkt der Kausalität erörtert).
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Es kann daher kaum überraschen, dass dieser Grundsatz in allen436 Referenzmaterien nachweisbar ist, und zwar in der flexiblen Ausprägung der Anspruchsminderung, die allerdings auch bis zum Anspruchsausschluss reichen kann (zum Kartelldeliktsrecht § 4 VII → S. 231, zum Verbrauchervertragsrecht § 5 VII → S. 319, zum Reiserecht § 6 VII → S. 361, zur Produkthaftung § 7 VII → S. 422, zum Luftverkehrsrecht § 8 VII → S. 481).437 Eine entsprechende Vorschrift findet sich auch in Art. 8:403 Acquis Principles 2009438 und in Art. 8:101 der Principles of European Tort Law. Dahinter steht ein Prinzip der verhältnismäßigen Verantwortlichkeit, das die Einstandspflicht des Schädigers im Fall von Mitverschulden oder auch im Fall der Vorteilsausgleichung angemessen einschränkt. Der Umfang der Anspruchskürzung steht im Ermessen des nationalen Richters und wird vom Gerichtshof im Unionsprivatrecht – im Unterschied zur Haftung der Union nach Art. 340 Abs. 2 AEUV oder im Beamtendienstrecht – nicht überprüft. Maßgeblich für den Kausalzusammenhang zur Feststellung einer „mitwirkenden Verursachung“ scheint auch beim Mitverschulden der „unmittelbare Ursachenzusammenhang“ zu sein,439 wobei außerdem sachgebietsspezifische, insbesondere schutzzweckbedingte Ausprägungen zu beobachten sind. So kann sich etwa im Kartellrecht ein Beteiligter des Kartellverstoßes, der erhebliche Mitverantwortung für den Wettbewerbsverstoß trägt, nicht auf den Schutz des Kartellrechts gegenüber den Mitkartellanten berufen (§ 4 VII 1 → Eine gewisse Ausnahme findet sich in der Fluggastrechteverordnung 261/2004, deren Haftungstatbestände aber ohnehin kaum Raum für eine mitwirkende Verursachung durch den Passagier bieten, § 8 VII 2 → S. 483. Eine Regelung der Mitverursachung durch den Geschädigten fand sich auch im Entwurf für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht KOM(2011) 635 (Art. 106 Abs. 5, Art. 162, Art. 163), dazu K. Huber euvr 2013, 197, 207 ff. 437 Siehe auch den Befund von von Bar Gemeineuropäisches Deliktsrecht I (1996) § 4 Rn. 395: „bis zum Haftungsausschluß reichenden anspruchskürzenden Mitberücksichtigung eines Mitverschuldens des Geschädigten“; Koziol in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 5, 16: Schadensteilung „Gemeingut fast aller Rechtsordnungen“; ebenso Remien in: Remien (Hrsg.) Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht (2012) 359, 369. 438 „Damages are reduced or excluded to the extent that the creditor wilfully or negligently contributed to the effects of the non-performance or could have reduced the loss by taking reasonable steps.“ 439 Zur Auslegung des Art. 18 lit. a der Handelsvertreterrichtlinie 86/653 EuGH 28.10.2010, Rs. C-209/09, Slg. 2010, I-10721 Rn. 39 – Volvo Car Germany: „Dass der Unionsgesetzgeber die Präposition ‚wegen‘ verwendet hat, stützt die insbesondere von der Kommission vertretene These, wonach dem Handelsvertreter der in Art. 17 der Richtlinie vorgesehene Ausgleich nach dem Willen des Gesetzgebers nur versagt werden können soll, wenn zwischen dem schuldhaften Verhalten des Handelsvertreters und der Entscheidung des Unternehmers, den Vertrag zu beenden, ein unmittelbarer Ursachenzusammenhang besteht.“ Zum Rückgriff auf die gleichen Kausalitätskriterien wie bei der Haftungsbegründung auch Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 314. 436
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S. 231). Im Verbrauchervertragsrecht verlangt der Schutzzweck der Informationspflichten, dass sich der Verbraucher auf die Richtigkeit der Informationen des Unternehmers verlassen kann und nicht gehalten ist, die Angaben zu prüfen (§ 5 VII → S. 319). Im Reiserecht und im Luftverkehrsrecht ist es zulässig, die Ansprüche der Geschädigten unter bestimmten Voraussetzungen an Anzeigeobliegenheiten zu knüpfen (Erwägungsgrund 34 Satz 8 RL 2015/2302; Art. 31 MÜ). In den Regeln zum Mitverschulden im Sekundärrecht der Union (Art. 8 Abs. 2 RL 85/374, Art. 14 Abs. 3 lit. a RL 2015/2302, Art. 20 MÜ, ebenso Art. 18 lit. a Handelsvertreterrichtlinie 86/653) zeichnet sich außerdem ab, dass grundsätzlich nur schuldhaftes Verhalten des Geschädigten zu einer Anspruchskürzung führt440 (siehe § 6 VII 1 → S. 361, § 7 VII 1 → S. 422, § 8 VII 1 → S. 481, Art. 8:403 Acquis Principles 2009: „wilfully or negligently“) und dass sich der Geschädigte auch das Verhalten der in seinem Lager stehenden Personen zurechnen lassen muss, wobei die Grenzen dieser Zurechnung noch nicht geklärt sind und in den unterschiedlichen Materien nicht immer einheitlich formuliert werden.441 Als ein Anwendungsfall der mitwirkenden Verursachung kristalliert sich schließlich der unterlassene Primärrechtsschutz heraus, der – abhängig von den Umständen – eine Anspruchskürzung rechtfertigen kann. 2. Mitverursachung Dritter Die Mitverursachung des Schadens durch Dritte vermag den Schädiger im Regelfall nicht zu entlasten, sondern es kommt zu einer gesamtschuldnerischen Haftung mit Innenausgleich nach dem anwendbaren nationalen Recht. Dies ist im Produkthaftungsrecht ausdrücklich geregelt (Art. 5, 8 Abs. 1 RL 440 Zu Art. 340 Abs. 2 AEUV auch EuGH 27.3.1990, Rs. C-308/87, Slg. 1990, I-1203 Rn. 16 – Grifoni: „nicht die zu seinem eigenen Schutz erforderliche Sorgfalt bewiesen“; EuGH 18.3.2010, Rs. C-419/08 P, Slg. 2010, I-2259 Rn. 61 – Trubowest: „angemessene Sorgfalt eines verständig Handelnden“, „nachlässiges Verhalten des Geschädigten“; zu Art. 18 lit. a RL 86/653 Stempel Treu und Glauben im Unionsprivatrecht (2016) S. 279. Etwas anders Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 314 f., der die „objektiv zu bestimmende Sorgfaltspflichtverletzung“ als Rechtswidrigkeitskomponente einordnet. 441 Art. 8 Abs. 2 Produkthaftungsrichtlinie 85/374: „Schaden durch einen Fehler des Produkts und zugleich durch Verschulden des Geschädigten oder einer Person, für die der Geschädigte haftet, verursacht worden ist“; Art. 14 Abs. 3 lit. a Pauschalreiserichtlinie 2015/2302: „Vertragswidrigkeit dem Reisenden zuzurechnen“; Art. 3 Abs. 3 VO 2027/97: „Schaden durch die Fahrlässigkeit der geschädigten oder getöteten Person verursacht oder mitverursacht wurde“; Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 315. Zur terminologischen Kritik von Bar Gemeineuropäisches Deliktsrecht I (1996) § 4 Rn. 396: „ungeschickt […], im Rahmen des Mitverschuldens von Personen zu sprechen, für die der ‚Geschädigte haftet‘“.
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85/374, § 7 VII 2 → S. 423) und auch im Reiserecht (vgl. Art. 5 Abs. 2 UAbs. 2 zweiter Spiegelstrich RL 90/314 und Art. 14 Abs. 3 lit. b RL 2015/2302, § 6 VII 2 → S. 363) und im Luftverkehrsrecht (Art. 21 Abs. 2 MÜ, Art. 5 Abs. 3, Art. 13 VO 261/2004, § 8 VII → S. 481) nachzuweisen.442 Als Fall der mitwirkenden Verursachung könnte man auch die Preisüberhöhung durch Kartellaußenseiter ansehen (umbrella pricing), die regelmäßig den Kartellbeteiligten zuzurechnen ist, wobei hier eine gesamtschuldnerische Haftung mangels rechtswidrigen Verhaltens des Kartellaußenseiters im Regelfall ausscheidet. Allerdings kann die Mitverursachung durch Dritte zur Haftungsbefreiung führen, wenn sie das vom Schädiger vorhersehbare und vorsorgbare Maß überschreitet. So gestattet Art. 14 Abs. 3 lit. b RL 2015/ 2302 dem Reiseveranstalter die Entlastung, wenn die Vertragswidrigkeit „einem Dritten zuzurechnen ist, der an der Erbringung der in dem Pauschalreisevertrag inbegriffenen Reiseleistungen nicht beteiligt ist, und die Vertragswidrigkeit weder vorhersehbar noch vermeidbar war“. Auch bei den Fluggastrechten kann unter engen Voraussetzungen die Mitverursachung durch Dritte einen haftungsbefreienden außergewöhnlichen Umstand (Art. 5 Abs. 3 VO 261/2004; vgl. auch Art. 21 Abs. 2 MÜ) begründen. Ebenso findet sich bei der Preisüberhöhung durch Kartellaußenseiter eine Zurechnungsbeschränkung anhand eines normativen Vorhersehbarkeitserfordernisses. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Mitverursachung durch Dritte den Schädiger also grundsätzlich nicht entlastet, sofern es sich nicht um ein besonders außergewöhnliches oder unvorhersehbares Geschehen handelt. Welche Geschehen diese Voraussetzungen erfüllen, insbesondere ob der Schädiger auch für mögliches Drittverhalten Vorsorge zu treffen hat, hängt in erster Linie von der Reichweite der Einstandspflicht des Schädigers und damit der Struktur und dem Schutzzweck der verletzten Primärpflicht ab. VIII. Begrenzung des Schadensersatzes
VIII. Begrenzung des Schadensersatzes
1. Gesetzliche Begrenzung des Schadensersatzes Eine gesetzliche Begrenzung des Schadensersatzes findet sich in den untersuchten Referenzmaterien nur selten. Sie scheint insbesondere mit dem Effektivitätsgrundsatz und dem Prinzip vollständiger Kompensation unvereinbar zu sein,443 denn der Gerichtshof hat sich sowohl im Antidiskriminierungsrecht Demgegenüber neigt das Staatshaftungsrecht offenbar zur einseitigen Zurechnung bzw. Versagung der Haftung und nicht zur gesamtschuldnerischen Verantwortlichkeit, Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 184 f. 443 Oliphant in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 11/6; Magnus in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 12/32: „Maximum and minimum amounts as a means of limiting liability appear therefore as an exception rather than the rule under EC tort law.“ Skeptisch zu Geringfügigkeitsschwellen auch Koziol FS Bucher (2009) 419, 429, 431 f. 442
VIII. Begrenzung des Schadensersatzes
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zu Schadenshöchstgrenzen444 wie im Kartelldeliktsrecht zum generellen Ausschluss der Ersatzfähigkeit des entgangegen Gewinns ablehnend geäußert445; Ähnliches wird zur Datenschutzrichtlinie 95/46 vertreten.446 Auch im KfzHaftpflichtversicherungsrecht447 und im Handelsvertreterrecht448 hat sich der EuGH gegen Haftungshöchstgrenzen ausgesprochen. Deshalb sind gesetzliche Schadenshöchstgrenzen nur zulässig, soweit das Unionsrecht solche Grenzen explizit vorsieht. Selbst wo dies geschieht, etwa im Produkthaftungsrecht oder im Luftverkehrsrecht,449 berühren die Schadenshöchstgrenzen im Regelfall nur den Schadensersatz nach dem konkreten Haftungssystem und lassen weitergehende, insbesondere auf Verschulden gestützte Ansprüche unberührt. Dieses Regelungskonzept lässt sich zunächst in der Produkthaftungsrichtlinie nachweisen, die Ansprüche nach nationalem Deliktsrecht auch jenseits der – ohnehin nur optionalen und einen Fremdkörper darstellenden – Haftungshöchstgrenze des Art. 16 Abs. 1 RL 85/374 und unterhalb der Selbstbeteiligung bei Sachschäden (Art. 9 lit. b RL 85/374) gestattet (Art. 13 RL 85/374). Gleiches gilt für das Luftverkehrsrecht, wo der Reisende auch über die Haftungshöchstbeträge der Verordnung 261/2004 (vgl. Art. 12 VO 261/2004) und des Übereinkommens von Montreal hinaus weitergehenden Ersatz verlangen kann, soweit sich der Luftfrachtführer bei Körperschäden nicht entlasten kann (Art. 21 Abs. 2 MÜ) bzw. wenn bei Gepäck- oder Verspätungsschäden der Nachweis geführt wird, dass der Schaden absichtlich oder leichtfertig durch den Luftfrachtführer oder seine Leute herbeigeführt wurde (Art. 22 Abs. 5 MÜ). Generell lässt sich damit eine Skepsis 444 EuGH 2.8.1993, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367 Rn. 30 – Marshall II. Zulässig sind Schadenshöchstgrenzen, sofern der Arbeitgeber nachweisen kann, dass der betreffende Bewerber die Stelle auch ohne Diskriminierung nicht erhalten hätte, EuGH 22.4.1997, C-180/95, Slg. 1997, I-2195 Rn. 35 f. – Draehmpaehl. 445 Zur Unzulässigkeit des generellen Ausschlusses des entgangenen Gewinns EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 95 f. – Manfredi. 446 Nach Damann/Simitis EG-Datenschutzrichtlinie (1997) Art. 23 Rn. 5 darf auch nach der Datenschutzrichtlinie 95/46 der Schadensersatz nicht summenmäßig begrenzt werden. 447 Zur Unzulässigkeit nationaler Höchstdeckungssummen im Kfz-Haftpflichtversicherungsrecht EuGH 24.10.2013, Rs. C-277/12, ECLI:EU:C:2013:685 Rn. 51 ff. – Drozdovs. 448 EuGH 26.3.2009, Rs. C-348/07, Slg. 2009, I-2341 Rn. 25 – Semen: „Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er nicht erlaubt, dass der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters von vornherein durch seine Provisionsverluste infolge der Beendigung des Vertragsverhältnisses begrenzt wird, auch wenn die dem Unternehmer verbleibenden Vorteile höher zu bewerten sind.“ Zur Möglichkeit zusätzlichen Schadensersatzes über den Ausgleich nach Art. 17 RL 86/653 hinaus auch EuGH 3.12.2015, Rs. C-338/14, ECLI:EU:C:2015:795 Rn. 30 – Quenon. 449 Die Haftungsbegrenzung im Reiserecht nach Art. 14 Abs. 4 Satz 1 und 2 RL 2015/ 2302 (Art. 5 Abs. 2 UAbs. 3 RL 90/314) zielt auf die transportrechtlichen Haftungsbegrenzungen der Staatsverträge (Ewägungsgrund 35 RL 2015/2302; Erwägungsgrund 19 RL 90/ 314) und ist daher ein Fremdimport in das Unionsrecht.
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
des Unionsrechts gegenüber einer gesetzlichen Begrenzung des Schadensersatzes festhalten, zumal wenn diese durch das nationale Recht erfolgt. 2. Vertragliche Begrenzung des Schadensersatzes Eine vertragliche Begrenzung der Schadensersatzansprüche wird in den untersuchten Referenzmaterien nur sehr eingeschränkt gestattet.450 Sowohl in der Fluggastrechteverordnung (Art. 15 Abs. 1 VO 261/2004) wie im Montrealer Übereinkommen (Art. 26 MÜ) finden sich Vorschriften, die den vertraglichen Ausschluss oder die Begrenzung von Ersatzansprüchen verbieten; Gleiches gilt für das Produkthaftungsrecht (Art. 12 RL 85/374). In der Reiserichtlinie gestattet Art. 14 Abs. 4 Satz 3 RL 2015/2302 (in Präzisierung des früheren Art. 5 Abs. 2 UAbs. 4 RL 90/314), dass der Reiseveranstalter den zu leistenden Schadensersatz im Pauschalreisevertrag vorab einschränken darf, „sofern diese Einschränkung nicht für Personenschäden oder vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführte Schäden gilt und nicht weniger beträgt als das Dreifache des Gesamtreisepreises der Pauschalreise“. Eine weitere Regelung451 findet sich in Nr. 1 lit. a und lit. b des Anhangs zu Art. 3 Abs. 3 der Klauselrichtlinie 93/13, die eine Einschränkung der gesetzlichen Haftung für Tötung oder Körperschäden oder eine „ungebührliche“ Einschränkung der Ansprüche des Verbrauchers bei Nicht- oder Schlechterfüllung vertraglicher Verpflichtungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen als missbräuchlich einstufen. Zudem sieht Nr. 1 lit. e des Anhangs vor, dass „unverhältnismäßig“ hohe Entschädigungsbeträge dem seine Pflichten nicht erfüllenden Verbraucher nicht per AGB auferlegt werden dürfen. Auch im Kartelldeliktsrecht verbietet Art. 101 Abs. 2 AEUV bzw. der Rang der Wettbewerbsvorschriften als Teil 450 Siehe auch den Befund von von Bar FS Lange (1992) 373, 378; ders. Gemeineuropäisches Deliktsrecht I (1996) § 4 Rn. 395, demzufolge eine Haftungsfreizeichnung bei Körperschäden generell nicht gestattet wird, während sich bei Sachschäden die Lösungen unterscheiden. Magnus in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 12/45: „Where EC law orders strict liability, it prescribes in turn that this liability cannot be limited or excluded in advance by agreement or contractual provision.“ Als offen sieht Magnus a. a. O. Rn. 12/56 die Möglichkeit einer Einwilligung. 451 Auch Art. 35a Abs. 3 Ratingverordnung 1060/2009 in der Fassung der VO 462/2013 gestattet eine Beschränkung der zivilrechtlichen Haftung von Ratingagenturen im Voraus nur, „wenn die Beschränkung a) angemessen und verhältnismäßig ist, und b) nach dem jeweils geltenden nationalen Recht im Einklang mit Absatz 4 [dort wird auf die Bestimmung nach dem IPR, also der Rom II-VO verwiesen] zulässig ist.“ Allerdings sollen die Begriffe „angemessen“ und „verhältnismäßig“ gemäß Art. 35a Abs. 4 Ratingverordnung 1060/2009 in der Fassung der VO 462/2013 nach dem anwendbaren nationalen Recht ausgelegt und angewandt werden, so dass sich die Reichweite der Schranke letztlich nach dem durch das Kollisionsrecht berufenen Recht bestimmt, vgl. Dutta WM 2013, 1729, 1735; Berger/Ryborz WM 2014, 2241, 2247 mit Verweis auf § 307 BGB. Zur geringen praktischen Bedeutung der Haftungsbegrenzung infolge der ohnehin nur für grobe Fahrlässigkeit eröffneten Haftung Gietzelt/Ungerer GPR 2013, 333, 345.
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der öffentlichen Ordnung eine Beschränkung der Schadensersatzhaftung (§ 4 VIII 2 → S. 233). Erwägen mag man allenfalls die Beschränkung der Haftung für verbrauchervertragliche Informationspflichtverletzungen, aber auch auf diesem Gebiet sprechen die besseren Gründe dafür, eine Haftungsbeschränkung als unzulässig anzusehen (§ 5 VIII 2 → S. 321). Liegt den Schadensersatzvorschriften der Union damit ein Prinzip des zwingenden Haftungsrechts zugrunde, so stellt sich die Frage, wie sich diese Ausnahme zum Grundsatz der Vertragsfreiheit erklären lässt. In der Literatur wird darauf verwiesen, dass die „Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Schuldverhältnis aus Gesetz zustande kommt, der Parteidisposition entzogen sein sollte“, während die Verfügung über ein bereits entstandenes Schuldverhältnis aus Delikt gestattet werden kann.452 Aber auch diese dogmatische Differenzierung vermag noch nicht zu erklären, weshalb die Haftungsbegründung der Parteidisposition entzogen sein soll. Insofern bieten sich zwei Argumente an. Zunächst dienen manche der verletzten Primärpflichten nicht nur dem Schutz privater Rechte und Pflichten, sondern definieren darüber hinaus auch eine Marktordnung mit überindividueller Schutzrichtung, so dass es nicht überraschen kann, dass die Einwilligung oder der Verzicht durch einen Einzelnen den Normverstoß im Verhältnis zu den anderen Marktteilnehmern nicht legitimieren können.453 Indes kann auch dieses Argument nicht erklären, weshalb eine vertragliche Haftungsbeschränkung auch im Verhältnis der Vertragsbeteiligten in vielen Fällen untersagt wird. Dieses Ergebnis dürfte sich nur dadurch begründen lassen, dass dem Unionsgesetzgeber ein bestimmtes Haftungsmodell vorschwebt, das im Interesse einer gerechten Risikozuweisung vertragliche Abweichungen nicht oder nur in beschränktem Umfang gestattet. So liegt beispielsweise dem Produkthaftungsrecht und dem Luftverkehrsrecht mit ihren sachlichen und betragsmäßigen Begrenzungen des Schadensersatzes der Gedanke eines Ausgleichs zwischen dem Interesse des Schädigers an übersehbaren Haftungsrisiken einerseits und dem Interesse der Geschädigten an einem möglichst vollständigem Schadensausgleich zugrunde, der zum Schutz der Betroffenen gegen vertragliche Freizeichnungsklauseln abgeschirmt werden soll. Diese Beispiele zeigen zugleich, dass es 452 von Bar Gemeineuropäisches Deliktsrecht I (1996) § 4 Rn. 395: „läßt sich freilich auch ganz generell die These vertreten, daß die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Schuldverhältnis aus Gesetz zustande kommt, der Parteidisposition entzogen sein sollte. Über ein bereits entstandenes Schuldverhältnis aus Delikt müssen die Parteien allerdings ohne weiteres verfügen können.“ 453 Zur Seltenheit individualbezogener und damit einwilligungsfähiger Rechtspositionen auch Alexander Schadensersatz und Abschöpfung im Lauterkeits- und Kartellrecht (2010) S. 684 f. Vgl. auch Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012) S. 501 f., die zwischen primär individualschützenden und auch allgemeinschützenden Lauterkeitsnormen unterscheidet und bei letzteren durch Einwilligung des Einzelnen nur dessen Ansprüche, nicht aber die Ansprüche anderer Marktteilnehmer versagen will.
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
bei dem Modell des zwingenden Haftungsrechts nicht nur um Verbraucherschutz geht, denn auch eine Abweichung von den strengen Verzinsungsvorschriften der Verzugsrichtlinie 2011/7 gestattet der Gesetzgeber nicht, wenn sie für den Gläubiger „grob nachteilig“ erscheint (vgl. Art. 7 RL 2011/7).454 Ein rechtsgeschäftlicher Verzicht auf Haftungsansprüche ist daher nur dort möglich, wo entweder die Belange der aus Sicht des Unionsgesetzgebers schutzbedürftigen Partei nur in geringerem Umfang betroffen sind (z. B. bei angemessener Haftungsbegrenzung für Sachschäden im Pauschalreiserecht) oder wo die schutzbedürftige Partei die Konsequenzen eines Verzichts übersehen kann (i. d. R. nach Eintritt des Schadens). 3. Vorteilsausgleichung und Bereicherungsverbot Das Konzept der Vorteilsausgleichung und der Gedanke eines Bereicherungsverbots sind auch dem Unionsrecht nicht fremd. Besonders ausgeprägt lässt sich dies im Kartelldeliktsrecht nachweisen, dessen Dogmatik zur Schadensabwälzung in Teilen bereits auf die Judikatur zur Abwälzung unionsrechtswidriger Abgaben rückführbar ist. So hat der EuGH mit einer Formulierung in Courage 455 und der dortigen Bezugnahme auf seine Rechtsprechung zur außervertraglichen Haftung der Union (Ireks)456 und zur Erstattung unionsrechtswidriger Abgaben (Just 457 und Michailidis 458 ) klargestellt, dass der Einwand der Schadensabwälzung als unionsrechtlich zulässige – allerdings eng auszulegende459 – Ausnahme460 die Reichweite des Schadensersatzanspruchs begrenzen kann, so dass die nationalen Gesetzgeber den Einwand in ihren nationalen Schadensersatzsystemen vorsehen dürfen. Dies setzt allerdings voraus, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen Schädigung und Vorteil besteht, also der kartellbedingt überhöhte Preis überhaupt abgewälzt wurde. Demgegenüber ist es nicht erforderlich, vor einer Entlastung des Dazu die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 12.5.2016, Rs. C-555/ 14, ECLI:EU:C:2016:341 Rn. 61 f. – IOS Finance. 455 EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 30 – Courage. 456 EuGH 4.10.1979, Rs. 238/78, Slg. 1979, 2955 Rn. 14 – Ireks-Arkady. 457 EuGH 27.2.1980, Rs. 68/79, Slg. 1980, 501 Rn. 26 – Just. 458 EuGH 21.9.2000, verb. Rs. C-441/98 und C-442/98, Slg. 2000, I-7145 Rn. 31 – Michailidis. 459 EuGH (Große Kammer) 6.9.2011, Rs. C-398/09, Slg. 2011, I-7375 Rn. 20 – Lady & Kid u. a. 460 Zur Rechtsnatur dieser Ausnahme Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón vom 7.12.2010, Rs. C-398/09, Slg. 2011, I-7375 Rn. 34, 44 – Lady & Kid u. a.: „Der Gerichtshof hat so die Begriffe ‚Abwälzung‘ und ‚ungerechtfertigte Bereicherung‘ autonom ausgelegt, diese Ausnahme von der Erstattung zu einer unionsrechtlichen Regel erhoben und sich damit zu eigen gemacht, was ursprünglich nur eine Regel des innerstaatlichen Rechts gewesen war.“ Zustimmend die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 24.3.2011, Rs. C-94/10, Slg. 2011, I-9963 Fn. 9 – Danfoss. 454
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Schädigers nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung im Rahmen eines Gesamtvermögensvergleichs auch alle sonstigen Nachteile zu berücksichtigen, die der Abnehmer möglicherweise erlitten hat, etwa weil die Kartellpreisüberhöhung zu einem generellen Rückgang der Absätze geführt hat.461 Vielmehr sind die Schadenspositionen „Kartellpreisüberhöhung“ und „entgangener Absatz“ getrennt zu betrachten, so dass eine verbleibende Einbuße aufgrund der kartellbedingten Absatzrückgänge des Abnehmers durch einen Schadensersatzanspruch im Hinblick auf diese Rückgänge ausgeglichen wird, nicht aber im Hinblick auf die Preisüberhöhung den Einwand der Schadensabwälzung abschneidet (Art. 12 Abs. 2, Art. 13 RL 2014/104). Der Gedanke der Vorteilsausgleichung und des Bereicherungsverbots lässt sich auch in anderen Referenzgebieten dieser Arbeit nachweisen, wenngleich weniger deutlich ausgeprägt. Im Verbrauchervertragsrecht ist man sich einig, dass sich der Verbraucher bei der Belehrungsmängelhaftung die Vorteile abziehen lassen muss, die er aus dem Immobiliengeschäft gezogen hat, und auch die Rechtssache Pia Messner begründet die Wertersatzverpflichtung für Übernutzungen mit dem Grundsatz der ungerechtfertigten Bereicherung (§ 5 VIII 3 → S. 322). Im Produkthaftungsrecht verweist Art. 8 Abs. 1 RL 85/374 für den Fall der Schädigung durch ein fehlerhaftes Produkt und zugleich die Handlung eines Dritten auf ein Rückgriffsrecht des Herstellers nach nationalem Recht, was wohl auch den Anspruch des Geschädigten auf doppelte Entschädigung ausschließt. Im Reise- und Luftverkehrsrecht zeigt die Verpflichtung zur Anrechnung anderweitiger Entschädigungsleistungen (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 VO 261/2004, Art. 14 Abs. 5 Satz 3 RL 2015/2302), dass der europäische Gesetzgeber die doppelte Entschädigung identischer Einbußen ausschließen wollte. Generell zeichnet sich schließlich ab, dass die Anrechnung anderer Vorteile (z. B. aus einer nicht vom Veranstalter organisierten Ersatzreise) nicht in Betracht kommt, soweit der Schutzzweck der verletzten Unionsrechtsnorm der Anrechnung widerspricht (zum Reiserecht § 6 VIII 3 → S. 366). 461 So aber zum Abgabenrecht EuGH 27.2.1980, Rs. 68/79, Slg. 1980, 501 Rn. 26 – Just; EuGH 14.1.1997, verb. Rs. C-192/95 bis C-218/95, Slg. 1997, I-165 Rn. 30 – Comateb. EuGH 2.10.2003, Rs. C-147/01, Slg. 2003, I-11365 Rn. 98 ff. – Weber’s Wine World: „Der Gerichtshof hat ferner entschieden, dass die Erstattung von zu Unrecht erhobenen Abgaben selbst dann, wenn sie nachweislich ganz oder teilweise auf Dritte abgewälzt wurden, nicht unbedingt zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des Abgabepflichtigen führt. Selbst dann, wenn die Abgabe in vollem Umfang in den Preis eingeflossen ist, könnte dem Abgabepflichtigen aus einem Absatzrückgang ein wirtschaftlicher Schaden entstehen. Vorliegen und Umfang der ungerechtfertigten Bereicherung, zu der die Erstattung einer gemeinschaftsrechtswidrig erhobenen Abgabe bei einem Abgabepflichtigen führt, lassen sich daher erst nach einer wirtschaftlichen Untersuchung feststellen, bei der alle maßgeblichen Umstände berücksichtigt werden.“ Zur Berücksichtigung erlangter Vorteile bei der Schadensbemessung auch Oliphant in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 11/28.
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
IX. Verjährung und Ausschlussfristen IX. Verjährung und Ausschlussfristen
1. Ausschlussfristen im geschriebenen Unionsrecht Im europäischen Sekundärrecht finden sich Verjährungs- und Ausschlussfristen462 von unterschiedlicher Dauer und Ausgestaltung. So sieht die neue Kartellschadensersatzrichtlinie (§ 4 IX → S. 237) eine Mindestverjährungsfrist von fünf Jahren vor (Art. 10 Abs. 3 RL 2014/104), die nicht beginnt, bevor die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht beendet wurde und der Geschädigte von der Zuwiderhandlung (Verhalten und „Tatsache“, dass es sich um eine Zuwiderhandlung handelt), von seinem Schaden und der Identität des Verletzers Kenntnis erlangt hat oder diese Kenntnis vernünftigerweise erwartet werden kann (Art. 10 Abs. 2 RL 2014/104). Zudem ist die Verjährung während der Dauer behördlicher Verfahren und ein weiteres Jahr nach deren bestandskräftigem Abschluss gehemmt (Art. 10 Abs. 4 RL 2014/104). Absolute Verjährungsregeln bleiben dem nationalen Gesetzgeber in den Grenzen des Effektivitätsund Äquivalenzgebots gestattet (Erwägungsgrund 36 Satz 5 RL 2014/104). Art. 10 Abs. 1 der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83 ordnet eine objektive Ausschlussfrist für den Widerruf bei fehlerhafter Belehrung von einem Jahr nach Ablauf der ursprünglichen Widerrufrist an (§ 5 IX → S. 323). Die Produkthaftungsrichtlinie differenziert ebenfalls zwischen einer dreijährigen subjektiven (beginnend mit Kenntnis oder Kennenmüssen von Schaden, Fehler und Identität des Herstellers, Art. 10 Abs. 1 RL 85/374) und einer zehnjährigen objektiven (beginnend mit dem Inverkehrbringen des Produkts) Verjährungs- bzw. Ausschlussfrist (Art. 11 RL 85/374, näher § 7 IX → S. 428), während die neugefasste Reiserichtlinie – neben der Verpflichtung zur Mängelanzeige (Art. 5 Abs. 4 RL 90/314; Art. 13 Abs. 2 RL 2015/2302) – eine Mindestverjährungsfrist von zwei Jahren vorsieht (Art. 14 Abs. 6 RL 2015/2302). Ebenso ordnet Art. 35 Abs. 1 MÜ eine Ausschlussfrist von zwei Jahren an, die mit dem Tag beginnt, „an dem das Luftfahrzeug am Bestimmungsort angekommen ist oder an dem es hätte ankommen sollen oder an dem die Beförderung abgebrochen worden ist“. Art. 31 Abs. 2 MÜ ergänzt für Gepäck- und Verspätungsschäden eine Anzeigeobliegenheit des Reisenden. Dies soll allerdings nicht für die Ansprüche aus der Fluggastrechteverordnung 261/2004 gelten, weil der Gerichtshof die Anzeige- und Ausschluss462 Zum Unterschied von Bar Gemeineuropäisches Deliktsrecht I (1996) § 4 Rn. 395: „An die Stelle absoluter Verjährungsfristen hat man darüber hinaus (wenn auch verschieden lange) Fristen gesetzt, nach deren Ablauf die Ansprüche ipso iure erlöschen“ mit Verweis auf Art. 11 Produkthaftungsrichtlinie, Art. 10 Dienstleistungsrichtlinien-Entwurf und Art. 9 Abfallrichtlinie. Siehe auch den uneinheitlichen Befund von Magnus in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 12/21: „Community law has thus far been ambivalent about whether the claim should only be barred or whether it should be extinguished.“ Für eine rechtsvergleichende Perspektive Zimmermann/Kleinschmidt FS Bucher (2009) 861.
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fristen aus dem Übereinkommen von Montreal (vgl. Art. 31, 35 MÜ) nicht auf die Verordnung erstrecken wollte (§ 8 IX → S. 492). Eine Fristenregelung außerhalb der Referenzgebiete dieser Arbeit findet sich in Art. 17 Abs. 5 RL 86/653. Nach dieser Vorschrift verliert der Handelsvertreter den Anspruch auf Ausgleich oder Schadensersatz, wenn er dem Unternehmer nicht innerhalb eines Jahres nach Beendigung des Vertragsverhältnisses mitgeteilt hat, dass er seine Rechte geltend macht. Hinzu treten für unbefristete Verträge die Kündigungsfristen des Art. 15 RL 86/653, sofern es sich nicht um einen Fall der fristlosen Beendigung des Vertragsverhältnisses handelt (bei der der Ausgleichsanspruch nach Art. 18 lit. a RL 86/653 ausgeschlossen sein kann). Die Frist ist auf den ersten Blick eine objektive (weil an die Vertragsbeendigung anknüpfende); allerdings dürfte die Tatsache der Beendigung entweder aufgrund der Befristung oder aufgrund der Kündigung dem Handelsvertreter regelmäßig bekannt sein, so dass zumindest auch das Element des Kennenmüssens ab dem Zeitpunkt der Vertragsbeendigung auf Seiten des Vertreters gegeben sein wird. Während die Richtlinie 2004/48 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums keine Verjährungsvorschriften vorsieht,463 findet sich in Art. 72 des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht für „Klagen im Zusammenhang mit allen Formen der finanziellen Entschädigung“ eine Verjährungsfrist von fünf Jahren, „nachdem der Antragsteller von dem letzten Ereignis, das Veranlassung zur Klage bietet, Kenntnis erlangte oder vernünftigerweise hätte erlangen müssen“. Art. 8 Abs. 2 der neuen Richtlinie über den Schutz vertraulichen Knowhows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung sieht eine Verjährungshöchstfrist von sechs Jahren vor. Interessant ist außerdem die in Art. 46 der Satzung des Gerichtshofs geregelte Verjährungsfrist für Ansprüche aus außervertraglicher Haftung gegen die Union (Art. 340 Abs. 2 AEUV), auf die der Gerichtshof im privatrechtlichen Kontext bei objektiven Verjährungsfristen bereits Bezug genommen hat.464 Nach dieser Norm verjähren solche Ansprüche „in fünf Jahren nach Eintritt des Ereignisses, das ihnen zugrunde liegt“ (Art. 46 Satz 1 Satzung EuGH); die Verjährung wird durch Klage oder Anspruchsgeltendmachung Vgl. zu den Ansprüchen aus der VO 6/2002 EuGH 13.2.2014, Rs. C-479/12, ECLI:EU:C:2014:75 Rn. 49 – Gautzsch: „Demnach unterliegen die Verjährung und die Verwirkung, die einer gemäß Art. 19 Abs. 2 und Art. 89 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 6/2002 erhobenen Klage zur Verteidigung entgegengehalten werden können, nach Art. 88 Abs. 2 dieser Verordnung dem nationalen Recht, das unter Beachtung des Äquivalenz- und des Effektivitätsgrundsatzes […] angewandt werden muss.“ 464 Siehe den Verweis in der Entscheidung EuGH (Große Kammer) 2.12.2009, Rs. C-358/08, Slg. 2009, I-11305 Rn. 48 – Aventis Pasteur zur objektiven Ausschlussfrist nach der Art. 10 der Produkthaftungsrichtlinie 85/374 auf EuGH 17.7.2008, Rs. C-51/05 P, Slg. 2008, I-5341 Rn. 59–63 – Cantina sociale di Dolianova. 463
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beim zuständigen Unionsorgan unterbrochen465 (sofern maximal zwei Monate später Klage erhoben wird, Art. 46 Satz 2 Satzung EuGH). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs beginnt die Verjährungsfrist von fünf Jahren zu laufen, „wenn alle Voraussetzungen, von denen die Ersatzpflicht abhängt, erfüllt sind und sich insbesondere der geltend gemachte Schaden konkretisiert hat“, also „die Schadensfolgen […] eingetreten sind“.466 Die Frist für die Verjährung des Anspruchs beginnt also nicht im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses, sondern in dem Zeitpunkt, in dem die Schadensfolgen der streitigen Entscheidung gegenüber den Personen eintreten, an die diese Entscheidung gerichtet ist, d. h. in dem Zeitpunkt, in dem sich der Schaden bei den genannten Personen tatsächlich verwirklicht hat.467 Nicht erforderlich ist andererseits „eine genaue und eingehende Kenntnis des relevanten Sachverhalts auf Seiten des Geschädigten“468; unerheblich ist auch „die subjektive Beurteilung des tatsächlichen Vorhandenseins des Schadens durch den Geschädigten“. 469 Zusammenfassend lassen sich damit keine einheitlichen Regeln des Sekundärrechts gewinnen, die als Inspiration für den Effektivitätsgrundsatz dienen könnten, insbesondere eine Untergrenze für nationale Verjährungsfristen definieren. Allenfalls mag man sagen, dass tendenziell eine subjektive Verjährungsfrist von drei bis fünf Jahren und eine objektive Ausschlussfrist von zehn Jahren als unbedenklich erscheinen,470 wobei sich die AnknüpfunNicht durch Klage vor einem nationalen Gericht, EuGH 17.7.2008, Rs. C-51/05 P, Slg. 2008, I-5341 Rn. 69 – Cantina sociale di Dolianova. 466 EuGH 17.7. 2008, Rs. C-51/05 P, Slg. 2008, I-5341 Rn. 54 – Cantina sociale di Dolianova. 467 EuGH 28.2.2013, Rs. C-460/09 P, ECLI:EU:C:2013:111 Rn. 60 – Inalca; siehe auch EuGH a. a. O. Rn. 77 ff. zu Sukzessivschäden; EuGH 17.7. 2008, Rs. C-51/05 P, Slg. 2008, I-5341 Rn. 63 – Cantina sociale di Dolianova: „Beginn des Fristlaufs an den objektiven Verlust geknüpft ist, der im Vermögen des angeblich Geschädigten in konkreter Weise eintritt“. 468 EuGH 17.7. 2008, Rs. C-51/05 P, Slg. 2008, I-5341 Rn. 61 – Cantina sociale di Dolianova. 469 EuGH 28.2.2013, Rs. C-460/09 P, ECLI:EU:C:2013:111 Rn. 70 – Inalca; ebenso EuGH 17.7. 2008, Rs. C-51/05 P, Slg. 2008, I-5341 Rn. 59 – Cantina sociale di Dolianova: „Die Voraussetzungen, von denen die Schadensersatzpflicht gemäß Art. 288 Abs. 2 EG abhängt, und damit die für solche Schadensersatzklagen geltenden Verjährungsvorschriften dürfen jedoch nicht auf anderen als strikt objektiven Kriterien beruhen. Andernfalls bestünde nämlich die Gefahr einer Beeinträchtigung des Grundsatzes der Rechtssicherheit, auf dem die Verjährungsvorschriften gerade beruhen und der gebietet, dass die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts klar und bestimmt sein müssen, damit die Betroffenen sich bei unter die Gemeinschaftsrechtsordnung fallenden Tatbeständen und Rechtsbeziehungen orientieren können.“ Zur verspäteten Kenntnis des Geschädigten EuGH 17.7. 2008, Rs. C-51/05 P, Slg. 2008, I-5341 Rn. 67 – Cantina sociale di Dolianova. 470 So von Bar Gemeineuropäisches Deliktsrecht I (1996) § 4 Rn. 395: „zeichnet sich heute auch schon eine einheitliche Verjährungsfrist ab: Die richtlinienrechtliche Grundregel 465
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gen des Fristbeginns und insbesondere der Umgang mit Dauerdelikten je nach Rechtsgebiet unterscheiden. 2. Ausschlussfristen und Effektivitätsgrundsatz Außerhalb des geschriebenen Unionsrechts steht die Zulässigkeit („Angemessenheit“) von Ausschluss- und Verjährungsfristen unter drei Vorbehalten des Effektivitätsgebots, die sich auf die Dauer der Frist, die Modalität, die diese Frist in Lauf setzt,471 und den Kontext sowie die Wirkungsweise der Frist beziehen.472 a) Dauer der Frist Zur Fristdauer ist zunächst festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs angemessene Verjährungs- oder Ausschlussfristen für die Geltendmachung von Unionsrechtsverstößen im Interesse der Rechtssicherheit grundsätzlich mit dem Effektivitätsgrundsatz vereinbar sind.473 Dalautet insoweit, daß Ansprüche aus Delikt drei Jahre nach Kenntnis von ‚Schaden‘ und Schädiger verjähren sollen, wobei der positiven Kenntnis die fahrlässige Unkenntnis gleichgestellt wird“ mit Verweis auf Art. 10 Abs. 1 Produkthaftungsrichtlinie, Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dienstleistungsrichtlinien-Entwurf und Art. 9 Abs. 1 Abfallrichtlinie. Siehe auch den Befund von Magnus in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 12/22: „lack of coherence with respect to the period of limitation and extinction in that they impose a period of either two, three, five or ten years. Likewise the beginning of the limitation period varies – full knowledge of the actor’s identity and of the damage, awareness of it, completion of measures – not always showing convincing reasons for the distinction“; ferner Pereira in: Koziol/Schulze (Hrsg.) Tort Law of the European Community (2008) Rn. 13/55: „EC law concerning limitation periods is in general coherent and we can briefly summarise the following issues: 1) the overall time limits are of three, five and ten years […]; 2) there are subjective (relative) time limits, which are based on the knowledge (or duty to know) of damage and the tortfeasor; 3) normally the running of time limits start with the occurrence of damage; 4) causes of interruption or suspension of limitation periods are foreseen and, finally, 5) there is no legitimacy on the part of the Court to inquire of its own motion into the question of limitation.“ 471 EuGH 29.10.2015, Rs. C-8/14, ECLI:EU:C:2015:731 Rn. 27 – Peñalva López: „Wie der Generalanwalt in Nr. 45 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, muss diese Prüfung zwei Teile umfassen, nämlich die Dauer der vom Gesetzgeber festgelegten Ausschlussfrist und die Modalität, die diese Frist in Lauf setzt.“ 472 Zum Einfluss der Zielvorgaben der durchzusetzenden Rechte, der Bedeutung des materiellen Anspruchs und des Zusammenwirkens mit anderen Faktoren der Rechtsdurchsetzung, insbesondere der Kenntnis des Schadens und der Frist sowie des treuwidrigen Verhaltens der anderen Partei auch König Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (2011) S. 187 ff.; zu den Prüfungsschritten die Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar vom 13.5.2015, Rs. C-8/14, ECLI:EU:C:2015:321 Rn. 46 ff., 55 ff., 59 ff., 61 ff. – Peñalva López. 473 EuGH 16.12.1976, Rs. 33/76, Slg. 1976, 1989 Rn. 5 – Rewe; EuGH 10.7.1997, Rs. C-261/95, Slg. 1997, I-4025 Rn. 28 – Palmisani; EuGH 17.11.1998, Rs. C-228/96, Slg. 1998, I-7141 Rn. 19 – Aprile; EuGH 12.2.2008, Rs. C-2/06, Slg. 2008, I-411 Rn. 58 –
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
bei sieht der EuGH auch sehr kurze Fristen noch durch das Ziel der Rechtssicherheit gerechtfertigt.474 So hat der Gerichtshof eine Frist von zwei Monaten, nach deren Ablauf ein Schiedsspruch endgültig und damit rechtskräftig wird, sofern kein Aufhebungsantrag gestellt worden ist, auch im Lichte der dadurch abgeschnittenen Kontrolle missbräuchlicher Klauseln nach der Richtlinie 93/13 als angemessen eingestuft.475 Auch eine Ausschlussfrist von nur einem Monat für die Einlegung eines außerordentlichen Einspruchs zur Geltendmachung der Nichtigkeit einer Klausel nach der Richtlinie 93/13 in einem Hypothekenvollstreckungsverfahren sah der EuGH nicht als unzuKempter (alle zu unionsrechtswidrigen Abgaben); EuGH 29.10.2009, Rs. C-63/08, Slg. 2009, I-10467 Rn. 48 – Pontin (zur Richtlinie 92/85 zum Schutz von schwangeren Arbeitnehmerinnen; Frist war im konkreten Fall (wohl) zu kurz); EuGH 16.7.2009, Rs. C-69/08, Slg. 2009, I-6741 Rn. 43 – Visciano (Richtlinie 80/987 zum Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers); EuGH 6.10.2009, Rs. C-40/08, Slg. 2009, I-9579 Rn. 41 – Asturcom (Klauselrichtlinie 93/13); EuGH 8.7.2010, Rs. C-246/09, Slg. 2010, I-7003 Rn. 36 – Bulicke (Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78). Zur fehlenden Eignung nationaler Ausschlussfristen, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren auch EuGH 24.9.2002, Rs. C-255/00, Slg. 2002, I-8003 Rn. 34 – Grundig Italiana; EuGH 12.2.2008, Rs. C-2/06, Slg. 2008, I-411 Rn. 58 – Kempter; EuGH 29.10.2009, Rs. C-63/08, Slg. 2009, I-10467 Rn. 48 – Pontin; EuGH 6.10.2009, Rs. C-40/08, Slg. 2009, I-9579 Rn. 41 – Asturcom; EuGH 8.7.2010, Rs. C-246/09, Slg. 2010, I-7003 Rn. 36 – Bulicke; EuGH 28.1.2015, Rs. C-417/13, ECLI:EU:C:2015:38 Rn. 62 – Starjakob; EuGH 29.10.2015, Rs. C-8/14, ECLI:EU:C:2015:731 Rn. 28 – Peñalva López. 474 Siehe EuGH 17.6.2004, C-30/02, Slg. 2004, I-6051 Rn. 20 – Recheio; EuGH 8.7.2010, Rs. C-246/09, Slg. 2010, I-7003 Rn. 36 – Bulicke: „den Mitgliedstaaten unbenommen, mehr oder weniger lange Fristen vorzusehen“. Siehe auch den Befund von König Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (2011) S. 190 f., die herausarbeitet, dass der EuGH einerseits 90-tägige Ausschlussfristen für die Geltendmachung von Erstattungsansprüchen (EuGH 17.6.2004, C-30/ 02, Slg. 2004, I-6051 Rn. 20 f. – Recheio) und Rechtsmittelfristen von nur zwei Wochen (zum Vergaberecht EuGH 12.12.2002, Rs. C-470/99, Slg. 2002, I-11617 Rn. 77 – Universale Bau) gebilligt hat, in anderem Kontext aber auch Ausschlussfristen von 60 Tagen oder sogar zwei Jahren verworfen hat, vgl. EuGH 14.12.1995, Rs. C-312/93, Slg. 1995, I-4599 Rn. 21 – Peterbroeck; EuGH 21.11.2002, Rs. C-473/00, Slg. 2002, I-10875 Rn. 36 – Cofidis. Für einen Überblick über die Rechtsprechung auch zu längeren Fristen Kulms Der Effektivitätsgrundsatz (2013) S. 60 f. 475 EuGH 6.10.2009, Rs. C-40/08, Slg. 2009, I-9579 Rn. 46, 48 – Asturcom; zur Zulässigkeit von 60-Tages-Fristen auch EuGH 14.12.1995, Rs. C-312/93, Slg. 1995, I-4599 Rn. 16 – Peterbroeck; EuGH 27.2.2003, Rs. C-327/00, Slg. 2003, I-1877 Rn. 57 – Santex; EuGH 8.9.2011, Rs. C-177/10, Slg. 2011, I-7907 Rn. 95 – Rosado Santana; zur Zulässigkeit einer Rechtsmittelfrist von drei Monaten EuGH 1.6.1999, Rs. C-126/97, Slg. 1999, I-3055 Rn. 44 f. – Eco Swiss; zur Klagefrist von 90 Tagen EuGH 17.6.2004, Rs. C-30/02, Slg. 2004, I-6051 Rn. 22, 25 – Recheio; zur Zulässigkeit einer Frist von sechs Monaten EuGH 16.5.2000, Rs. C-78/98, Slg. 2000, I-3201 Rn. 34 – Preston. Bereits EuGH 16.12.1976, Rs. 33/76, Slg. 1976, 1989 Rn. 5 – Rewe billigte eine Frist von 30 Tagen.
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reichend an, um einen wirksamen Rechtsbehelf vorzubereiten und einzureichen, sondern im Hinblick auf die einander gegenüberstehenden Rechte und Interessen als angemessen und verhältnismäßig.476 Diese Judikatur ist offenbar nicht auf Rechtsmittelfristen begrenzt, denn auch die materiellrechtliche Ausschlussfrist von zwei Monaten nach § 15 Abs. 4 AGG zur Geltendmachung von Verstößen gegen die Gleichbehandlungsrichtlinie 2000/78 hat der EuGH gebilligt.477 Eine Frist von zwei Monaten nach Feststellung der Vertragswidrigkeit zur Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen gestattet auch die (für die Mitgliedstaaten fakultative) Regelung in Art. 5 Abs. 2 Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44.478 Allerdings bedürfen derart kurze Fristen einer angemessenen Rechtfertigung, insbesondere wenn sie Ansprüche betreffen, die für die Betroffenen von großer Bedeutung sind. So hat sich der Gerichtshof zur Ausschlussfrist von zwei Monaten für den Anspruch der Arbeitnehmer auf Insolvenzausfallgeld nach der Richtlinie 80/897 skeptisch geäußert und auf die Notwendigkeit einer großzügigen Auslegung der Wiedereinsetzungsvorschriften bei unverschuldeter Fristversäumung des Arbeitnehmers hingewiesen.479 Zudem ist auch bei Zulässigkeit vergleichsweise kurzer Ausschlussfristen irgendwann der Punkt erreicht, an dem die Frist zu kurz bemessen ist. So muss die „vorgesehene Frist faktisch ausreichend sein […], um den Betroffenen zu ermögEuGH 29.10.2015, Rs. C-8/14, ECLI:EU:C:2015:731 Rn. 31 – Peñalva López. EuGH 8.7.2010, Rs. C-246/09, Slg. 2010, I-7003 Rn. 38 f. – Bulicke: „§ 15 Abs. 4 AGG sieht eine Frist von zwei Monaten für die Geltendmachung gegenüber dem Arbeitgeber vor. Wie die deutsche Regierung ausgeführt hat, soll der Arbeitgeber von den geltend gemachten Ansprüchen zeitnah Kenntnis erhalten und in Anbetracht der im AGG vorgesehenen Beweisregeln nicht gezwungen sein, Dokumente über das Einstellungsverfahren unverhältnismäßig lange aufzubewahren. Es ist nicht ersichtlich, dass die Festlegung dieser Frist auf zwei Monate die Ausübung der vom Unionsrecht verliehenen Rechte unmöglich machen oder übermäßig erschweren könnte.“ Eine Zweimonatsfrist zum Ausschluss der Ansprüche unterlegener Stellenbewerber hat auch EuGH 8.9.2011, Rs. C-177/10, Slg. 2011, I-7907 Rn. 95 – Rosado Santana gebilligt: „Insoweit hat der Gerichtshof im Kontext der Fälle, mit denen er befasst war, bereits entschieden, dass es nicht ersichtlich ist, dass die Festlegung einer Ausschlussfrist von zwei Monaten die Ausübung der vom Unionsrecht verliehenen Rechte unmöglich machen oder übermäßig erschweren könnte […]. Insbesondere hat er die Gültigkeit einer solchen Frist in Bezug auf eine Klage gegen eine Handlung mit allgemeiner Geltung, die ein komplexes Verfahren vorsieht und eine Vielzahl von Personen betrifft, festgestellt […]“. Siehe auch EuGH 29.10.2009, Rs. C-63/08, Slg. 2009, I-10467 Rn. 60 – Pontin: „vergleichsweise kurze Ausschlussfrist für eine Klage auf Wiedereinstellung der rechtswidrig gekündigten Arbeitnehmerin als grundsätzlich zulässig angesehen werden“. 478 Zur engen Auslegung dieser Vorschrift EuGH 4.6.2015, Rs. C-497/13, ECLI:EU:C: 2015:357 Rn. 62–65 – Faber. 479 EuGH 18.9.2003, Rs. C-125/01, Slg. 2003, I-9375 Rn. 42, 44 f. – Pflücke. Zulässig ist demgegenüber eine Frist von einem Jahr, EuGH 16.7.2009, Rs. C-69/08, Slg. 2009, I-6741 Rn. 45 – Visciano. 476 477
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lichen, einen wirksamen Rechtsbehelf vorzubereiten und einzureichen“.480 Dies war etwa in der Rechtssache Pontin offenbar nicht mehr der Fall, in der eine lediglich fünfzehntägige Frist für die Nichtigkeits- und Wiedereinstellungsklage einer gekündigten schwangeren Arbeitnehmerin vorgesehen war, die zudem mit der Aufgabe des Kündigungsschreibens zur Post begann. Innerhalb einer derart kurzen Frist ist es „sehr schwierig für eine Arbeitnehmerin, der während ihrer Schwangerschaft gekündigt worden ist, sich unter Einhaltung der Fünfzehntagesfrist sachgerecht beraten zu lassen sowie gegebenenfalls eine Klage abzufassen und einzureichen“,
so dass man in Luxemburg einem Verstoß gegen den Effektivitätsgrundsatz zuneigte.481 Auch eine Frist von zwanzig Tagen für den Widerspruch eines Verbrauchers im Mahnverfahren hat der Gerichtshof als „besonders kurz“ bezeichnet, zumal wenn das Gericht nicht von Amts wegen die Konformität des Anspruchs mit der Klauselrichtlinie prüft und die Erhebung des Widerspruchs ab einem Wert von 900 Euro an den Anwaltszwang gebunden ist.482 Andererseits hat der Gerichtshof im Verkehr mit professionellen Akteuren und zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft im beschleunigten Verfahren ähnlich kurze Fristen auch bereits gebilligt.483
480 EuGH 28.7.2011, Rs. C-69/10, Slg. 2011, I-7151 Rn. 66 – Samba Diouf; EuGH 26.9.2013, Rs. C-418/11, ECLI:EU:C:2013:588 Rn. 80 – Texdata Software: „vorgeschriebene Frist [muss] tatsächlich ausreichen […], um einen wirksamen Rechtsbehelf vorzubereiten und einzureichen“; EuGH 29.10.2015, Rs. C-8/14, ECLI:EU:C:2015:731 Rn. 29 – Peñalva López. 481 EuGH 29.10.2009, Rs. C-63/08, Slg. 2009, I-10467 Rn. 65, 67 – Pontin: „Unter diesen Umständen hat es den Anschein, dass Modalitäten, wie sie in Art. L. 337-1 Abs. 1 des Arbeitsgesetzbuchs für die Erhebung einer Nichtigkeits- und Wiedereinstellungsklage vorgesehenen sind, Verfahrensnachteile mit sich bringen, die es schwangeren Frauen übermäßig erschweren können, ihre Rechte aus Art. 10 der Richtlinie 92/85 durchzusetzen, und deshalb den Erfordernissen in Bezug auf den Grundsatz der Effektivität nicht genügen; die entsprechende Prüfung ist jedoch vom vorlegenden Gericht vorzunehmen.“ 482 EuGH 14.6.2012, Rs. C-618/10, ECLI:EU:C:2012:349 Rn. 54 – Banco Español de Crédito. 483 Zur Zulässigkeit einer 2-Wochen-Frist im Vergaberecht EuGH 12.12.2002, Rs. C470/99, Slg. 2002, I-11617 Rn. 77 – Universale Bau; zur Zulässigkeit einer Anhörungsfrist von acht bis fünfzehn Tagen bei Einfuhrabgaben EuGH 18.12.2008, Rs. C-349/07, Slg. 2008, I-10369 Rn. 41 – Sopropé; zur Zulässigkeit einer Frist von vierzehn Tagen für Einsprüche gegen Sanktionen wegen Verletzung handelsrechtlicher Publizitätspflichten EuGH 26.9.2013, Rs. C-418/11, ECLI:EU:C:2013:588 Rn. 81 – Texdata Software; zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft EuGH 28.7.2011, Rs. C-69/10, Slg. 2011, I-7151 Rn. 67 f. – Samba Diouf.
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b) Beginn der Frist Zweitens ist nicht nur die Fristdauer, sondern insbesondere auch der Fristbeginn für die Effektivität der Unionsrechtsdurchsetzung von Bedeutung. Insbesondere kurze Ausschlussfristen sind nur dann mit dem Effektivitätsgrundsatz vereinbar, wenn sie nicht zu laufen beginnen, bevor der Anspruchsberechtigte von den Umständen (Rechtsverletzung, Schaden, Schädiger) Kenntnis erlangt oder hätte erlangen müssen, aus denen sich sein Anspruch ergibt.484 Problematisch ist es etwa, den Fristbeginn an ein Ereignis zu knüpfen, das nicht sicherstellt, dass der Betroffene auch tatsächlich die volle Frist zur Verfügung hat (z. B. Absendung eines Briefs).485 Unsicher ist die Lage bei längeren Fristen (z. B. drei Jahre). Im Abgabenrecht hat es der EuGH als mit dem Effektivitätsgrundsatz vereinbar angesehen, die Frist bereits mit dem schädigenden EuGH 28.1.2010, Rs. C-406/08, Slg. 2010, I-859 Rn. 32 – Uniplex; EuGH 26.11.2015, Rs. C-166/14, ECLI:EU:C:2015:779 Rn. 41 – MedEval (zum Vergaberecht); EuGH 8.7.2010, Rs. C-246/09, Slg. 2010, I-7003 Rn. 41 – Bulicke (Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78): „Sowohl aus der Vorlageentscheidung als auch aus den Erklärungen der deutschen Regierung geht jedoch hervor, dass die in § 15 Abs. 4 AGG vorgesehene Frist bei einer teleologischen Auslegung dieser Vorschrift nicht zwangsläufig mit dem Zugang der Ablehnung, sondern mit dem Zeitpunkt beginnt, zu dem der Arbeitnehmer von der behaupteten Diskriminierung Kenntnis erlangt. Unter diesen Umständen ist die genannte Vorschrift nicht geeignet, die Ausübung der vom Unionsrecht verliehenen Rechte unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren.“ Zum Verbraucherrecht EuGH 6.10.2009, Rs. C-40/08, Slg. 2009, I-9579 Rn. 45 – Asturcom: „Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 41 Abs. 4 des Gesetzes 60/2003 die Frist mit der Zustellung des Schiedsspruchs zu laufen beginnt. So kann sich der Verbraucher im Ausgangsverfahren nicht in einer Situation befinden, in der die Ausschlussfrist zu laufen beginnt oder sogar abgelaufen ist, ohne dass ihm die Wirkungen der missbräuchlichen Schiedsklausel überhaupt bekannt sind.“ Zum Kartelldeliktsrecht EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 78 f. – Manfredi; zur Staatshaftung EuGH (Große Kammer) 24.3.2009, Rs. C-445/06, Slg. 2009, I-2119 Rn. 52 – Danske Slagterier; siehe auch bereits EuGH 14.12.1995, Rs. C-312/93, Slg. 1995, I-4599 Rn. 17 ff. – Peterbroeck. Zu öffentlich-rechtlichen Sanktionen einer Diskriminierung EuGH 25.4.2013, Rs. C-81/12, ECLI:EU:C:2013:275 Rn. 65 ff. – Accept mit Zweifeln an der Effektivitätskonformität einer sechsmonatigen Verjährungsfrist ab dem Tag, an dem sich das Ereignis zugetragen hat. Speziell zur Belehrungsmängelhaftung Habersack JZ 2006, 91, 93: „Erst dann [erstmalige Kenntnis des Verbrauchers von seinem Widerrufsrecht und Möglichkeit der Ausübung] entsteht der Anspruch im Rechtssinne, erst dann beginnt die Verjährung zu laufen“; vgl. auch Hoffmann ZIP 2005, 1985, 1990: grundsätzlich „Abrechnung zum Zeitpunkt des Widerrufs“, sofern sich die Immobilie nicht als unveräußerlich erweist.“ Mit Inkrafttreten der Richtlinie über die Rechte der Verbraucher hat sich diese Frist maßgeblich verkürzt, nämlich auf maximal ein Jahr und 14 Tage auch bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung, Art. 10 Abs. 1 RL 2011/83. Zur Modifikation der kenntnisabhängigen Verjährung im Beihilfenrecht Thiessen FS Kirchner (2014) 381, 392 ff. 485 EuGH 29.10.2009, Rs. C-63/08, Slg. 2009, I-10467 Rn. 62–65 – Pontin. Zur Anknüpfung einer Monatsfrist an die Verkündung im Amtsblatt Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar vom 13.5.2015, Rs. C-8/14, ECLI:EU:C:2015:321 Rn. 56–58 – Peñalva López. 484
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Ereignis (Zahlung der unionsrechtswidrigen Abgaben) beginnen zu lassen, auch wenn der Anspruchsberechtigte keine Kenntnis von den Umständen erlangt hat oder hätte erlangen müssen, aus denen sich sein Anspruch ergibt.486 Im Beamtenrecht und wohl auch im Kartelldeliktsrecht487 dürfte der Gerichtshof einer strengeren Sichtweise zuneigen.488 Ferner ist es zulässig, der positiven Kenntnis die fahrlässige Unkenntnis gleichzustellen. Dies entspricht nicht nur der Rechtslage im Kartelldeliktsrecht (Art. 10 Abs. 2 RL 2014/104) und im Produkthaftungsrecht (Art. 10 Abs. 1 RL 85/374), sondern lässt sich auch anhand der Rechtsprechung zum Ausschluss von Staatshaftungsansprüchen bei vorsätzlicher oder fahrlässiger Versäumung von Primärrechtsschutz (vgl. § 839 Abs. 3 BGB) rechtfertigen, die allerdings – und dieses Kriterium ist auf die Erkundigungspflichten des Geschädigten im Rahmen der Fahrlässigkeitsprüfung zu beziehen – die Rechtswegerschöpfung unter das zusätzliche Kriterium der Zumutbarkeit gestellt hat.489 Nicht geboten ist es allerdings, die Verjährung bis zur Klärung der Rechtslage durch den Gerichtshof aufzuschieben; vielmehr ist „eine etwaige Feststellung des Unionsrechtsverstoßes durch den Gerichtshof für den Fristbeginn grundsätzlich unerheblich“.490 Schließlich muss die Verjährungsfrist im Voraus491 eindeutig festgelegt sein, um ihrem Zweck der Rechtssicherheit zu genügen.492 Dies schließt eine analoge Rechtsanwendung im Verjährungsrecht nicht aus, solange keine „durch EuGH 15.9.1998, Rs. C-231/96, Slg. 1998, I-4951 Rn. 35 – Edis: „Unter diesem Gesichtspunkt erscheint eine nationale Ausschlußfrist von drei Jahren, die vom Zeitpunkt der fraglichen Zahlung an läuft, angemessen“ (zur Erstattung unionsrechtswidriger Abgaben). Siehe auch EuGH 16.1.2014, Rs. C-429/12, ECLI:EU:C:2014:12 Rn. 36 – Pohl: dreißigjährige Verjährungsfrist zulässig, auch wenn diese bereits mit Abschluss eines (später langlaufenden) Arbeitsverhältnisses beginnt. 487 Dort wurde die kenntnisabhängige Verjährung nunmehr durch Sekundärrecht geregelt, vgl. Art. 10 RL 2014/104, während die absolute Verjährung der Regelung durch die Mitgliedstaaten unter dem Vorbehalt des Effektivitätsgebots überlassen bleibt, Erwägungsgrund 36 Satz 5 RL 2014/104. 488 Zum Beamtenstatut EuGH 7.11.1985, Rs. 145/83, Slg. 1985, 3539 Rn. 50 – Adams; zum Kartelldeliktsrecht vgl. EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 78 f. – Manfredi; zur Staatshaftung EuGH (Große Kammer) 24.3.2009, Rs. C445/06, Slg. 2009, I-2119 Rn. 52 – Danske Slagterier. Skeptisch zu einer absoluten Verjährungsfrist von drei Jahren im Kapitalmarktrecht Poelzig ZGR 2015, 801, 836. 489 EuGH (Große Kammer) 24.3.2009, Rs. C-445/06, Slg. 2009, I-2119 Rn. 58 ff., 64 – Danske Slagterier. Begründet wird dies mit der Verpflichtung des Geschädigten, sich „in angemessener Form um die Begrenzung des Schadensumfangs zu bemühen“, Rn. 61. 490 EuGH 28.1.2015, Rs. C-417/13, ECLI:EU:C:2015:38 Rn. 64 – Starjakob. 491 Bei der nachträglichen Verkürzung von Fristen durch die Mitgliedstaaten gelten zusätzliche Voraussetzungen, dazu EuGH 11.7.2002, Rs. C-62/00, Slg. 2002, I-6325 Rn. 36 ff. – Marks & Spencer; EuGH 24.9.2002, Rs. C-255/00, Slg. 2002, I-8003 Rn. 37 ff. – Grundig Italiana. 492 EuGH 16.7.2009, Rs. C-69/08, Slg. 2009, I-6741 Rn. 46 – Visciano. 486
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erhebliche Rechtsunsicherheit geprägte Situation“ entsteht, in der mögliche Anspruchsteller „nicht in der Lage wären, die anwendbare Verjährungsfrist mit hinreichender Sicherheit zu ermitteln“.493 Bei einer Kette befristeter Verträge ist es zur Wahrung der Rechtssicherheit ausreichend, wenn die Frist erst nach Ablauf des letzten Vertrags zu laufen beginnt, ein Fristbeginn bereits nach Auslaufen der Einzelverträge verstößt jedenfalls bei Betriebsrentenansprüchen gegen den Effektivitätsgrundsatz.494 Mit dem Effektivitätsgrundsatz nicht vereinbar ist es auch, wenn ein Verbraucher zu Beginn eines Vollstreckungsverfahrens durch individuelle Mitteilung darauf hingewiesen wurde, dass ein Einspruch innerhalb von zehn Tagen nach dieser Mitteilung einzulegen sei und sodann später durch ein Änderungsgesetz eine weitere Monatsfrist zur Geltendmachung von Einwänden gegen die Vollstreckung auf Grundlage der Klauselrichtlinie 93/13 geschaffen wurde. In einem solchen Fall konnten die Verbraucher, die auf die Richtigkeit der individuellen Mitteilung ohne Hinweis auf die weitere Einspruchsmöglichkeit vertrauten, „vernünftigerweise nicht damit rechnen, eine neue Möglichkeit zur Erhebung eines Einspruchs zu erhalten, da sie darüber nicht auf demselben verfahrensrechtlichen Weg, auf dem sie die ursprüngliche Belehrung erhalten hatten, informiert wurden“.495
Deshalb besteht „eine erhebliche Gefahr, dass diese [neu eröffnete] Frist abläuft, ohne dass die betroffenen Verbraucher ihre Rechte wirksam und zweckdienlich gerichtlich geltend machen können, weil sie in Wirklichkeit insbesondere den genauen Umfang dieser Rechte nicht kennen oder nicht richtig erfassen“,
so dass die Regelung gegen den Effektivitätsgrundsatz verstößt.496 Aus der Perspektive des Effektivitätsgrundsatzes nicht zwingend geboten ist eine Hemmung oder Unterbrechung der Verjährung während der Dauer behördlicher Verfahren zur Durchsetzung des Unionsrechts (zum Kartelldeliktsrecht nun aber Art. 10 Abs. 4 RL 2014/104).497 Allerdings ist bei der Beurteilung der 493 EuGH (Große Kammer) 24.3.2009, Rs. C-445/06, Slg. 2009, I-2119 Rn. 33 – Danske Slagterier; für ein Beispiel EuGH 16.7.2009, Rs. C-69/08, Slg. 2009, I-6741 Rn. 47 f. – Visciano zur Rechtsunsicherheit im nationalen Recht über den Verjährungsbeginn. 494 EuGH 16.5.2000, Rs. C-78/98, Slg. 2000, I-3201 Rn. 68 ff. – Preston. 495 EuGH 29.10.2015, Rs. C-8/14, ECLI:EU:C:2015:731 Rn. 38 – Peñalva López. 496 EuGH 29.10.2015, Rs. C-8/14, ECLI:EU:C:2015:731 Rn. 40 f. – Peñalva López; für eine persönliche Mitteilung an den Verbraucher in solchen Fällen Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar vom 13.5.2015, Rs. C-8/14, ECLI:EU:C:2015:321 Rn. 73 – Peñalva López. 497 Vgl. EuGH (Große Kammer) 24.3.2009, Rs. C-445/06, Slg. 2009, I-2119 Rn. 39, 45 f. – Danske Slagterier zur Verjährung während eines laufenden Vertragsverletzungsverfahrens; anders noch EuGH 25.7.1991, Rs. C-208/90, Slg. 1991, I-4269 Rn. 23 – Emmott (Fristen für die Geltendmachung von Rechten aus nicht ordnungsgemäß umgesetzten Richtlinien beginnen erst mit der ordnungsgemäßen Umsetzung der Richtlinie zu laufen); später wurde Emmott beschränkt auf Fälle, in denen dem Kläger sonst jede Möglichkeit
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
fahrlässigen Unkenntnis im Rahmen der subjektiven Verjährung zu berücksichtigen, dass die Geschädigten vor Abschluss der behördlichen Verfahren möglicherweise keine hinreichend konkrete Kenntnis von Rechtsverletzung, Schaden und Schädiger haben. Auch die treuwidrige Kenntnisvereitelung oder nach Fristablauf nicht eingehaltene Zusicherungen zur unionsrechtskonformen Auslegung von Ausschreibungsklauseln können zur Konsequenz haben, dass sich die andere Partei nicht auf den Ablauf der Frist berufen kann.498 c) Kontextabhängigkeit der Frist Schließlich ist die Kontextsensitivität der Ausschlussfristen zu beachten.499 So sind die von den Mitgliedstaaten festgelegten Ausschluss- und Verjährungsfristen „unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren, des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen nationalen Stellen zu prüfen“, wobei sie „der Bedeutung der zu treffenden Entscheidungen für die Betroffenen, der Komplexität der Verfahren und der anzuwendenden Rechtsvorschriften, der Zahl der potenziell Betroffenen und den anderen zu berücksichtigenden öffentlichen oder privaten Belangen entsprechen“
müssen.500 Auch genommen werde, das Recht aus der Richtlinie geltend zu machen, vgl. EuGH (Große Kammer) 24.3.2009, Rs. C-445/06, Slg. 2009, I-2119 Rn. 54 – Danske Slagterier. 498 EuGH 1.12.1998, Rs. C-326/96, Slg. 1998, I-7835 Rn. 31 – Levez: „Hat ein Arbeitgeber gegenüber einem Arbeitnehmer unzutreffende Angaben über die Höhe des Entgelts gemacht, das Arbeitnehmer des anderen Geschlechts für gleiche Arbeit erhalten, kann dieser Arbeitnehmer nicht erkennen, daß eine Diskriminierung vorliegt oder welches Ausmaß sie hat. Unter diesen Umständen könnte ein Arbeitgeber unter Berufung auf die streitige Regelung seinem Beschäftigten die Möglichkeit nehmen, Klage vor Gericht zu erheben, um die Einhaltung des Grundsatzes des gleichen Entgelts nach der Richtlinie durchzusetzen.“ Siehe auch EuGH 27.2.2003, Rs. C-327/00, Slg. 2003, I-1877 Rn. 58 ff., 60 – Santex. 499 Vgl. auch die Auslegung der „angemessenen Klagefrist“ im Beamtendienstrecht, EuGH 28.2.2013, Rs. C-334/12 RX-II, ECLI:EU:C:2013:134 Rn. 28 – Jaramillo: „Aus der genannten Rechtsprechung ergibt sich nämlich, dass die ‚Angemessenheit‘ der Frist, die das Organ benötigt, um die in Rede stehende Handlung vorzunehmen, mangels Festlegung der Verfahrensdauer durch eine Bestimmung des Unionsrechts anhand aller Umstände jeder einzelnen Rechtssache und insbesondere anhand der Interessen, die in dem Rechtsstreit für den Betroffenen auf dem Spiel stehen, der Komplexität der Rechtssache sowie des Verhaltens der Parteien zu beurteilen ist.“ 500 EuGH 18.12.2008, Rs. C-349/07, Slg. 2008, I-10369 Rn. 40 – Sopropé; EuGH 29.10.2009, Rs. C-63/08, Slg. 2009, I-10467 Rn. 47 f. – Pontin (zur Richtlinie 92/85 zum Schutz von schwangeren Arbeitnehmerinnen); zum Verbraucherrecht auch EuGH 21.11.2002, Rs. C-473/00, Slg. 2002, I-10875 Rn. 37 – Cofidis: „Die von der Klägerin und der französischen Regierung angeführten Entscheidungen Rewe und Palmisani sind daher lediglich das Ergebnis von Einzelfallbeurteilungen, die unter Berücksichtigung des gesamten tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhangs der jeweiligen Rechtssache vorgenommen wurden und nicht automatisch auf andere Bereiche als die übertragen werden können,
IX. Verjährung und Ausschlussfristen
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„sind die Grundsätze zu berücksichtigen, die dem nationalen Rechtsschutzsystem zugrunde liegen, wie z. B. der Schutz der Verteidigungsrechte, der Grundsatz der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens“.501
Folge der Abhängigkeit der Frist von der Bedeutung der Sache für den Betroffenen und der Komplexität der Rechtsmaterie ist es, dass die in einem bestimmten Kontext gebilligten Fristen nicht zwangsläufig auch in anderen Fällen zulässig sind.502 Im Rahmen der Berücksichtigung des Gesamtkontexts berücksichtigt der EuGH gelegentlich auch die vergleichbaren Regeln in anderen Mitgliedstaaten.503 Aus der Kontextabhängigkeit folgt zum einen, dass die Bewertung von Ausschlussfristen unterschiedlich ausfallen kann, je nachdem wie bedeutsam das durchzusetzende unionale Recht für die Berechtigten ist; auch ihre Schutzbedürftigkeit und ihr (genereller) Zugang zu Rechtsberatung kann ein relevanter Faktor sein.504 Die materiellrechtliche Kontextabhängigkeit erklärt die unterschiedliche Judikatur zu Ausschlussfristen beim Insolvenzausfallgeld im Vergleich zum Antidiskriminierungsrecht und zur Klauselkontrolle.505 Indes wird die Kontextabhängigkeit bei längeren Ausschluss- oder Verjährungsfristen immer weniger bedeutsam, weil längere Fristen auch den Ausschluss sehr bedeutsamer Ansprüche im Interesse der Rechtssicherheit rechtfertigen können. Für das Verbraucherschutzrecht ergibt sich daraus, dass die dort in Rede stehende Regelverjährung (§§ 195, 199 BGB) vor dem Hintergrund des Effektivitätsgrundsatzes nicht zu beanstanden ist (vgl. die Frist
in deren Rahmen sie getroffen wurden.“ Zum Vergaberecht auch EuGH 26.11.2015, Rs. C-166/14, ECLI:EU:C:2015:779 Rn. 39 – MedEval: „Anforderungen an die Rechtssicherheit […] unterschiedlich hoch, je nach dem, ob es sich um Schadensersatzklagen oder Nachprüfungsverfahren mit dem Ziel handelt, einem [vergaberechtswidrigen] Vertrag die Wirksamkeit zu entziehen“. 501 EuGH 29.10.2015, Rs. C-8/14, ECLI:EU:C:2015:731 Rn. 26 – Peñalva López. 502 EuGH 21.11.2002, Rs. C-473/00, Slg. 2002, I-10875 Rn. 37 – Cofidis. 503 Siehe die Bemerkung in EuGH 18.9.2003, Rs. C-125/01, Slg. 2003, I-9375 Rn. 38 – Pflücke: „Auch wenn in anderen Mitgliedstaaten noch kürzere Fristen gleicher Art als die Zweimonatsfrist nach deutschem Recht gelten, sehen doch mehrere andere Mitgliedstaaten wesentlich längere oder gar keine Fristen vor.“ 504 Zur Gefahr unzureichender oder versäumter Geltendmachung der Rechte durch Verbraucher wegen fehlender anwaltlicher Vertretung aufgrund mangelnder finanzieller Ressourcen und Anwaltszwangs im konkreten Verfahren sowie hoher rechtlicher Komplexität Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar vom 13.5.2015, Rs. C-8/14, ECLI:EU:C:2015: 321 Rn. 59, 62 f. – Peñalva López. 505 Siehe die Nachweise oben in Fn. 477 gegenüber Fn. 479. Allerdings dürfte bei der Klauselkontrolle auch relevant sein, worum es geht, für eine hohe Bedeutung etwa des Hypothekenvollstreckungsverfahrens wegen der Gefahr des damit verbundenen Verlusts der Immobilie Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar vom 13.5.2015, Rs. C-8/14, ECLI:EU:C:2015:321 Rn. 61 ff. – Peñalva López.
630
§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
von zwei Jahren für die Kaufgewährleistungsansprüche des Verbrauchers in Art. 5 Abs. 1 RL 1999/44).506 Die Kontextabhängigkeit bezieht sich nicht nur auf das durchzusetzende materielle Recht, sondern auch auf die Rahmenbedingungen der Frist, insbesondere ihre Asymmetrie. Aufschlussreich ist insofern die Rechtssache Cofidis. Dort hatte der Gerichtshof über eine französische Regelung zu entscheiden, die dem Verbraucher nach Ablauf von zwei Jahren die Berufung auf die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel versagte, auch wenn er sich mit diesem Mittel gegen die Zahlungsklage aus dem betreffenden Vertrag zu verteidigen suchte. Der EuGH sah eine derartige asymmetrische Ausschlussfrist als mit dem Effektivitätsgrundsatz unvereinbar an, weil sie mit der in Océano Grupo statuierten „Befugnis des Gerichts, von Amts wegen die Missbräuchlichkeit einer Klausel zu prüfen“ unvereinbar war. Bei Geltung einer entsprechenden Ausschlussfrist bräuchten nämlich die Gewerbetreibenden, „um dem Verbraucher diesen Schutz [nach den Art. 6 und 7 RL 93/13] zu nehmen, nur den Ablauf der vom nationalen Gesetzgeber festgelegten Frist abzuwarten, um sodann Klage zur Durchsetzung der weiter in ihren Verträgen verwendeten missbräuchlichen Klauseln zu erheben“.507
Im deutschen Recht dürften derartige Probleme nicht auftreten. Vielmehr ordnet § 215 BGB an, dass sich ein Verbraucher auch dann auf die Aufrechnung oder die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts berufen kann, wenn sein Gegenrecht (z. B. ein Schadensersatzanspruch wegen Informationspflichtverletzung) bereits verjährt ist, sofern der Anspruch in dem Zeitpunkt noch nicht verjährt war, in dem erstmals aufgerechnet oder die Leistung verweigert werden konnte. Ein letzter Faktor im Rahmen der Kontextabhängigkeit ist schließlich der mögliche Einfluss treuwidrigen Verhaltens des Anspruchsgegners, das eine Berufung auf Ausschlussfristen unzulässig machen kann.508
Zu einer nationalen Verjährungsfrist von drei Jahren etwa EuGH 15.4.2010, C-542/ 08, Slg. 2010, I-3189 Rn. 29 – Barth: „Daher kann mangels besonderer dem Gerichtshof zur Kenntnis gebrachter Umstände eine Verjährungsbestimmung wie die dem Beschwerdeführer des Ausgangsverfahrens entgegengehaltene, die eine Verjährungsfrist von drei Jahren vorsieht, die um einen Zeitraum von neun Monaten verlängert werden kann, nicht als Verstoß gegen den Effektivitätsgrundsatz angesehen werden.“ Als problematisch können sich auch unterschiedlich lange Fristen im Verhältnis zu staatlichen und privaten Akteuren erweisen, wenn diese zur Folge haben, dass ein Regress des vom Staat zur Rückzahlung verpflichteten Akteurs gegen Folgeabnehmer ausgeschlossen wird, dazu EuGH 8.9.2011, verb. Rs. C-89/10 und 96/10, Slg. 2011, I-7819 Rn. 43 – Q-Beef; EuGH 15.12.2011, Rs. C-427/10, ECLI:EU:C:2011:844 Rn. 42 – Banca Antoniana Popolare Veneta. 507 EuGH 21.11.2002, Rs. C-473/00, Slg. 2002, I-10875 Rn. 36 – Cofidis. 508 Nachweis in Fn. 498. 506
X. Verzinsung
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X. Verzinsung X. Verzinsung
Mit Ausnahme des auf eine Rezeption des Primärrechts zurückgehenden Art. 3 Abs. 2 Satz 2 RL 2014/104 findet sich in keinem der untersuchten Rechtsakte eine ausdrückliche Regelung zur Verzinsung der Schadensersatzansprüche. Sie lässt sich auch nicht aus der Zahlungsverzugsrichtlinie 2011/7 ableiten, da diese auf Schadensersatzansprüche, selbst im vertraglichen Kontext, keine Anwendung findet (vgl. Art. 1 Abs. 2 RL 2011/7: „alle Zahlungen, die als Entgelt im Geschäftsverkehr zu leisten sind“).509 Aus dem allgemeinen Effektivitätsgrundsatz folgt allerdings, wie am Beispiel des Kartelldeliktsrechts gezeigt510 (§ 4 X → S. 245) und wie sich auch im Antidiskriminierungsrecht,511 im Staatshaftungsrecht512 und ansatzweise in den Kfz-Haftpflichtrichtlinien513 nachweisen lässt, eine Verpflichtung zur Verzinsung der Schadensersatzansprüche.514 Die Garantie eines Zinsanspruchs beruht auf der Erwägung, dass der Wert der Entschädigung nicht durch bloßen Zeitablauf abnehmen soll,515 insbesondere dass der Geschädigte für die zwischenzeitli-
Hervorhebung nicht im Original. Auch Art. 8:406 Acquis Principles 2009 orientiert sich an den Regeln der Zahlungsverzugsrichtlinie 2011/7 und scheint die Beschränkung auf die Entgeltforderung (Art. 8:406 Abs. 1: „price for goods or services“) zu übernehmen. Die allgemeine Regel zur Verzinsung in Art. 8:404 Acquis Principles stammt aus dem DCFR, während die Acquis-Gruppe bemerkt, dass „[t]here is insufficient basis in the acquis for formulation such a rule“, Magnus in: Research Group on the Existing EC Contract Law – Principles of the Existing EC Contract Law (Acquis Principles) Contract II (2009) Art. 8:404 Rn. 1. 510 EuGH 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 95, 97 – Manfredi. 511 EuGH 2.8.1993, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367 Rn. 31 – Marshall II. 512 EuGH 4.10.1979, Rs. 238/78, Slg. 1979, 2955 Rn. 20 – Ireks-Arkady; aus jüngerer Zeit EuG 8.11.2011, Rs. T-88/09, Slg. 2011, II-7833 Rn. 77 – Idromacchine; EuGH 18.4.2013, Rs. C-565/11, ECLI:EU:C:2013:250 Rn. 21, 27 f. – Irimie. 513 Schlussanträge des Generalanwalts Alber vom 24.10.2002, Rs. C-63/01, Slg. 2003, I-14447 Rn. 43 – Evans mit übergreifender Analyse der Rechtsprechung. 514 Siehe auch die ausdrückliche Regelung zur Rückforderung unionsrechtswidriger Beihilfen in Art. 14 Abs. 2 Satz 1 VO 659/1999: „Die aufgrund einer Rückforderungsentscheidung zurückzufordernde Beihilfe umfaßt Zinsen, die nach einem von der Kommission festgelegten angemessenen Satz berechnet werden.“ 515 EuGH 2.8.1993, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367 Rn. 31 – Marshall II; EuGH (Große Kammer) 4.12.2003, Rs. C-63/01, Slg. 2003, I-14447 Rn. 68 – Evans: „Für den Ausgleich eines Schadens kann daher nicht von Umständen abgesehen werden, die, wie der Zeitablauf, den tatsächlichen Wert der Ausgleichsleistung verringern können“; Rn. 71: Ausgleichsleistung muss „den Zeitablauf bis zur tatsächlichen Zahlung der zuerkannten Beträge berücksichtigen […], um eine ausreichende Entschädigung der Geschädigten zu garantieren.“ Zum Vergaberecht Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón vom 14.9.2010, Rs. C-568/ 08, Slg. 2010, I-12665 Rn. 111 – Combinatie Spijker Infrabouw. Siehe auch EuGH (Große Kammer) 19.7.2012, Rs. C-591/10, ECLI:EU:C:2012:478 Rn. 26 – Littlewoods Retail zu der 509
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§ 9 Ergebnisse im Einzelnen
che Geldentwertung516 und die Einbußen infolge der Nichtverfügbarkeit des Kapitals517 kompensiert wird.518 Um diese Ziele zu erreichen, scheint das Unionsrecht, jedenfalls im Bereich des Schadensersatzes, den Weg über die Verzinsung gegenüber anderen Methoden wie dem Ersatz von Folgeschäden durch entgangene Kapitalnutzung519 oder dem Zuschlag von Pauschalbeträgen auf den Schadensersatz zum Ausgleich der Geldentwertung zu bevorzugen.520 Für eine solche Sichtweise spricht neben der Rechtssicherheit (im Vergleich zu wenig nachvollziehbaren Pauschalzuschlägen) und der Prozessökonomie (Beweis der entgangenen Kapitalnutzung) vor allem der explizite Hinweis auf die Verzinsungspflicht in Manfredi und den Entscheidungen zum Abgabenrecht, während der Gerichtshof bei bloßen Entschädigungsansprüchen oder Sozialversicherungsleistungen offener formuliert (siehe oben § 4 X → S. 245). Bemerkenswert ist auch, dass die im Beamtendienstrecht der Union anzutreffende Differenzierung zwischen – nachweisunabhängigen – Verzugszinsen und – nachweisabhängigen, aber z. T. offenbar auch die allgemeine Geldentwertung betreffenden – Ausgleichszinsen521 bisher, soweit sich aus dem Unionsrecht ergebenden Verzinsungspflicht bei Erstattung unionsrechtswidriger Abgaben. Ebenso auch Bueren RabelsZ 77 (2013) 504, 538 f. 516 EuGH 3.2.1994, Rs. C-308/87, Slg. 1994, I-341 Rn. 40 – Grifoni; EuGH 27.1.2000, Rs. C-104/89 und C-37/90, Slg. 2000, I-203 Rn. 51 – Mulder II; EuG 26.2.1992, verb. Rs. T-17/89, T-21/89 und T-25/89, Slg. 1992, II-293 Rn. 40 – Brazzelli Lualdi. 517 Zur Verzinsung bei Erstattung unionsrechtswidriger Abgaben EuGH 8.3.2001, Rs. C-397/98 und C-410/98, Slg. 2001, I-1727 Rn. 87 ff. – Metallgesellschaft: Ersatz aus der fehlenden Verfügbarkeit von Geldbeträgen ist der „Zinsbetrag […], der auf die […] nicht mehr verfügbare Summe angefallen wäre“ (Rn. 88); EuGH (Große Kammer) 12.12.2006, Rs. C-446/04, Slg. 2006, I-11753 Rn. 205 – Test Claimants in the FII Group Litigation; EuGH (Große Kammer) 19.7.2012, Rs. C-591/10, ECLI:EU:C:2012:478 Rn. 25 – Littlewoods Retail. 518 Zur Erstattung unionsrechtswidriger Abgaben EuGH (Große Kammer) 19.7.2012, Rs. C-591/10, ECLI:EU:C:2012:478 Rn. 29 – Littlewoods Retail. Siehe auch Kommission Entwurf eines Leitfadens zur Quantifizierung des Schadens in Schadensersatzklagen wegen Verletzung des Art. 101 oder 102 AEUV (2011) Rn. 17. 519 Dazu Bueren RabelsZ 77 (2013) 504, 539. 520 So etwa das Vorgehen im Kontext des Art. 340 Abs. 2 AEUV in EuGH 3.2.1994, Rs. C-307/87, Slg. 1994, I-341 Rn. 40 f. – Grifoni: „Der Ersatz des Schadens soll soweit wie möglich das Vermögen des Opfers eines Unfalls wiederherstellen. Hieraus folgt, daß die Geldentwertung nach Eintritt des schädigenden Ereignisses tatsächlich zu berücksichtigen ist. Im vorliegenden Fall ist der Betrag des zu ersetzenden Schadens, der sich auf insgesamt 148 210 529 LIT beläuft, aufgrund von Angaben berechnet worden, die sich auf den Zeitpunkt des Unfalls beziehen. Er ist also unter Zugrundelegung der Geldentwertung zu aktualisieren; für acht Jahre ist ein Pauschalbetrag von 120 000 000 LIT hinzuzufügen.“ 521 EuGH 1.6.1994, Rs. C-136/92 P, Slg. 1994, I-1981 Rn. 35 – Brazzelli Lualdi m. w. N.: „Der Gerichtshof hat nämlich vor allem in Rechtsstreitigkeiten über die verspätete Zahlung von Dienstbezügen der Beamten zwischen Verzugszinsen und Ersatz des Geldentwertungsschadens unterscheiden müssen.“
X. Verzinsung
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ersichtlich, nicht auf die Schadensersatzansprüche des Unionsprivatrechts übertragen wurde,522 was an dessen dezentraler Durchsetzung nach dem Prozess- und Zinsrecht der Mitgliedstaaten und der fehlenden Harmonisierung der allgemeinen Verzugszinsen jenseits des Anwendungsbereichs der Richtlinie 2011/7 liegen könnte. Die Funktion der Zinsansprüche, den Wert der Entschädigungszahlung für den Geschädigten zu erhalten, erlaubt auch Rückschlüsse auf Zinsbeginn und Zinshöhe. Der Zinsbeginn ist mit dem Schädigungszeitpunkt (Schadenseintritt),523 nicht mit dem Urteilserlass anzusetzen, denn es geht ja um „völlige Wiedergutmachung“ und den Erhalt des Wertes der Schadensersatzleistung gerade auch für die Zeit von der Schädigung bis zum Erlass eines Schadensersatzurteils. Die Zinshöhe schließlich muss zumindest die Geldentwertung ausgleichen, um den Wert der Entschädigungszahlung zu erhalten:524 522 So auch Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003) S. 259: Zinsregeln „lassen bislang kein kohärentes System erkennen“. 523 EuGH 2.8.1993, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367 Rn. 28 – Marshall II: „Die zweite Frage geht dahin, ob […] die Wiedergutmachung die Zuerkennung von Zinsen auf den Hauptbetrag vom Tag der Diskriminierung bis zum Tag der Zahlung der Entschädigung einschließt“ (Hervorhebung nicht im Original). Zum Kartelldeliktsrecht nunmehr ausdrücklich Erwägungsgrund 12 Satz 3 2. Halbsatz RL 2014/104; zuvor bereits Commission Staff Working Paper accompanying the White Paper on Damages actions for breach of the EC antitrust rules SEC(2008) 404 Rn. 187; Schlussanträge des Generalanwalts van Gerven vom 27.10.1993, Rs. C-128/92, Slg. 1994, I-1209 Rn. 54 – Banks; Jones Private Enforcement of Antitrust Law in the EU, UK and USA (1999) S. 231 f. (pre-judgment interest); Bueren WuW 2012, 1056, 1061: „Darüber hinaus spricht viel dafür, dass eine solche Verzinsung auch europarechtlich geboten ist.“ Zur Rückforderung unionsrechtswidriger Beihilfen Art. 14 Abs. 2 Satz 2 VO 659/1999: „Die Zinsen sind von dem Zeitpunkt, ab dem die rechtswidrige Beihilfe dem Empfänger zur Verfügung stand, bis zu ihrer tatsächlichen Rückzahlung zahlbar.“ Zum Staatshaftungsrecht (Abgabenrecht) EuGH 18.4.2013, Rs. C-565/11, ECLI:EU:C:2013:250 Rn. 28 – Irimie: „Die Einbußen hängen nämlich u. a. davon ab, wie lange der unter Verstoß gegen das Unionsrecht zu Unrecht gezahlte Betrag nicht zur Verfügung stand, und entstehen somit grundsätzlich im Zeitraum vom Tag der zu Unrecht erfolgten Zahlung der fraglichen Steuer bis zum Tag ihrer Erstattung.“ Anders noch EuGH 8.3.2001, Rs. C-397/98 und C-410/98, Slg. 2001, I-1727 Rn. 86 – Metallgesellschaft zur Verzinsung unionsrechtswidriger Abgaben: „Es ist ferner Sache des nationalen Rechts, alle mit der Erstattung zu Unrecht erhobener Abgaben zusammenhängenden Nebenfragen wie etwa die Zahlung von Zinsen einschließlich des Zeitpunkts, von dem an die Zinsen zu berechnen sind, und des Zinssatzes zu regeln.“ Zur Verdichtungstendenz der unionsrechtlichen Vorgaben für die Zinsansprüche im Abgabenrecht Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 12.1.2012, Rs. C-591/10, ECLI:EU:C:2012:9 Rn. 26 ff. – Littlewoods Retail. 524 So auch Bueren RabelsZ 77 (2013) 504, 538 f. Die von den Unionsgerichten im Bereich der Staatshaftung zugesprochenen Zinssätze lassen sich nicht unmittelbar übertragen, weil sich die Verzinsung einschließlich des Zinssatzes grundsätzlich nach nationalen Regeln bestimmt, Meeßen Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EUKartellrecht (2011) S. 539 f. Siehe auch die Regelung zur Verzinsung unionsrechtswidriger Beihilfen in Art. 9 VO 794/2004.
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§ 10 Ergebnisse in Thesen
„Im Kontext der Bestimmung der Modalitäten eines sich aus dem Unionsrecht ergebenden Zinsanspruchs käme eine Verletzung des Effektivitätsgrundsatzes demnach nur in Betracht, wenn die Verzinsung im Ergebnis derart niedrig ausfallen würde, dass sie den sich aus dem Unionsrecht ergebenden Zinsanspruch inhaltlich übermäßig aushebeln würde.“525
Nicht beanstandet hat der EuGH eine Verzinsungsregelung, die bei einer Zinsschuld in britischen Pfund über etwa dreißig Jahre zu einer Zinsforderung führt, die den Hauptbetrag um mehr als 25 % übersteigt.526 Im Übrigen obliegt die Zinsberechnung dem nationalen Recht, etwa die Entscheidung über den konkreten Zinssatz oder die Berechnungsmethode (einfache Verzinsung oder Zahlung von Zinseszinsen).527
§ 10 Ergebnisse in Thesen § 10 Ergebnisse in Thesen
§ 10 Ergebnisse in Thesen
Die Ergebnisse der Arbeit zeichnen ein Bild des Schadensersatzes, das sich durch dessen Neujustierung als Instrument zur Durchsetzung des Europäischen Privatrechts in nicht wenigen Punkten vom überkommenen deutschen Verständnis unterscheidet. 1. Dies beginnt bei der grundlegenden Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Verletzung europäisch verbürgter Rechte überhaupt durch einen privatrechtlichen Schadensersatzanspruch zu sanktionieren ist. In Abkehr vom überkommenen Verständnis zeigt die Arbeit auf, dass die Existenz eines Schadensersatzanspruchs grundsätzlich europarechtlich geboten ist (§ 9 I 1, 2 → S. 500, 518), sofern nicht in der Arbeit näher definierte Ausnahmen eingreifen (§ 9 I 3 → S. 524). 2. Neue Wege beschreitet das Unionsprivatrecht auch bei den Funktionen des Schadensersatzanspruchs. Hier sind die Fronten in der deutschen Rechtswissenschaft traditionell verhärtet: Während die Traditionalisten auf dem (alleinigen) Ausgleichszweck beharren und in der Prävention allenfalls einen untergeordneten Nebenzweck sehen wollen, befürworten vor allem die Vertreter der ökonomischen Analyse eine stärkere Hinwendung zur Prävention nach US-amerikanischem Vorbild. Die Detailunter525 Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 12.1.2012, Rs. C-591/10, ECLI: EU:C:2012:9 Rn. 34 – Littlewoods Retail. 526 EuGH (Große Kammer) 19.7.2012, Rs. C-591/10, ECLI:EU:C:2012:478 Rn. 30 – Littlewoods Retail; ausdrücklich für Vereinbarkeit mit dem Effektivitätsgrundsatz die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 12.1.2012, Rs. C-591/10, ECLI:EU: C:2012:9 Rn. 33 – Littlewoods Retail: Beachtung des Effektivitätsgrundsatzes „ohne Weiteres [zu] bejahen“, dort auch Rn. 36 zur Berechnung anhand des durchschnittlichen Basiskreditsatzes von sechs Clearingbanken; Zinsbeginn war der Tag, an dem die Steuerbehörde die Zahlung erhalten hat. 527 EuGH (Große Kammer) 19.7.2012, Rs. C-591/10, ECLI:EU:C:2012:478 Rn. 25 – Littlewoods Retail (zur Verzinsungspflicht bei unionsrechtswidrigen Abgaben).
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suchung des europäischen Rechts zeigt einen Mittelweg auf: Zwar nimmt es neben der Ausgleichsfunktion (§ 9 II 1 → S. 539) den Zweck der Prävention und Rechtsdurchsetzung in aller Regel auf (§ 9 II 2 → S. 541), folgt aber nicht dem Konzept pauschaler Präventionszuschläge nach USamerikanischem Vorbild, sondern bedient sich einer Erleichterung der Anspruchsdurchsetzung, einer Ausdehnung der ersatzfähigen Einbußen (etwa im Bereich immaterieller Schäden) und einer Abstrahierung und Pauschalierung des Schadensersatzes. Erreicht wird damit eine Präventionswirkung durch vollständige Kompensation möglichst aller Schäden und möglichst sämtlicher Geschädigter, eine elegante Lösung, die das rechtsdogmatisch akzeptierte Kompensationsparadigma mit einer verstärkten Präventionswirkung verbindet. 3. Ebenso bedeutsam wie Existenz und Funktion des Schadensersatzanspruchs ist die Definition des Kreises der Anspruchsteller (§ 9 III → S. 555). Diese Frage wurde im Verwaltungsrecht bereits in den neunziger Jahren im Kontext der verwaltungsprozessualen Klagebefugnis diskutiert. Die Untersuchung des Unionsprivatrechts kommt zu dem Ergebnis, dass die verwaltungsrechtlichen Erkenntnisse nicht ohne weiteres auf privatrechtliche Haftungsansprüche übertragbar sind, sondern vielmehr anhand des Zwecks zwischen individualschützenden, kollektivschützenden und wettbewerbsschützenden Normen zu unterscheiden ist (§ 9 III 4 → S. 562). Während bei individualschützenden Normen das traditionelle Konzept des subjektiven Privatrechts leitend ist und den Kreis der Anspruchsberechtigten umschreibt, finden sich im europäischen Recht außerdem Vorschriften, die neben oder auch anstelle einzelner Individuen kollektive Interessen schützen, beispielsweise kollektive Interessen der Arbeitnehmer oder Verbraucher. Schließlich existiert eine dritte Gruppe von wettbewerbsschützenden Vorschriften, bei denen sich die Klagebefugnis potentieller Anspruchsteller in erster Linie durch wettbewerbsfunktionale Gesichtspunkte erklären lässt. 4. Mit der Frage des Verschuldens als Haftungsvoraussetzung (§ 9 IV → S. 573) betritt die Untersuchung die klassischen Areale des Bürgerlichen Rechts. Während in Deutschland das Verschulden als Grundvoraussetzung der Vertrags- und Deliktshaftung angesehen wird und die Gefährdungshaftung als Ausnahmefall gilt, lässt sich eine vergleichbar sichere Verankerung des Verschuldensprinzips im europäischen Recht nicht feststellen. Vielmehr hängt es im Regelfall vom Kontext, vor allem von der Erwünschtheit der konkreten Betätigung ab, ob das Verschulden als Haftungsvoraussetzung gefordert werden darf. Soweit das Verschulden zu den Haftungsvoraussetzungen zählt, ist nicht nur – wie im nationalen Recht – der Sorgfaltsmaßstab objektiviert, auch zeichnet sich eine Tendenz zur Umkehr der Beweislast ab, so dass es faktisch von einer positiven Haftungsvoraussetzung zu einer Exkulpationsmöglichkeit wird.
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5. Ein weiterer klassischer Begriff des Bürgerlichen Rechts ist der Schaden (§ 9 V → S. 579). Hier stellen sich sowohl methodische wie sachliche Fragen. Auf methodischer Ebene ist zunächst bemerkenswert, dass das europäische Recht zwar die eigene (autonome) Definitionshoheit über diesen Begriff reklamiert, zugleich aber zuweilen die Definition der Einzelheiten an nationale Gesetzgeber und Gerichte zurückdelegiert, so dass es gewissermaßen zu einem halbautonomen Schadensbegriff kommt. Während dies für die Schadensfeststellung durch die Instanzgerichte unvermeidlich sein mag, ist der Rückdelegation an nationale Gesetzgeber im Interesse der Einheitlichkeit des europäischen Rechts zu widersprechen (§ 9 V 1 → S. 579). Sachlich zeigt die Untersuchung des europäischen Normenmaterials, dass der in Deutschland anzutreffende Vorrang der Naturalrestitution im europäischen Recht nicht vorgegeben ist (§ 9 V 2 → S. 583). Vielmehr wird das Unionsrecht beim Schadensumfang vom Prinzip der vollständigen Kompensation beherrscht, das vor allem im Bereich der immateriellen Schäden zu Abweichungen gegenüber der in Deutschland vorherrschenden Sichtweise zwingt (§ 9 V 3 → S. 585). 6. Ebenfalls durch das europäische Recht überformt ist die Kausalität (§ 9 VI → S. 603), bei der aufgrund der unterschiedlichen Struktur der Haftungstatbestände nicht strikt zwischen haftungsbegründender und haftungsausfüllender Kausalität unterschieden wird. Hier findet sich zwar die im deutschen Recht ebenfalls verwendete Äquivalenzformel, darüber hinaus aber ein im deutschen Recht jedenfalls in dieser Terminologie nicht bekanntes Vorhersehbarkeitserfordernis, das häufig – insofern mit dem deutschen Recht wiederum vergleichbar – durch den Schutzzweck der verletzten Norm ausgefüllt wird. 7. Dem deutschen Recht sehr nahe steht die Begrenzung der Haftung im Fall der mitwirkenden Verursachung des Geschädigten oder Dritter (§ 9 VII → S. 609), wobei sich auch hier ein spezifisch europäischer Einfluss abzeichnet: In weit stärkerem Maße als im deutschen Recht ist die Berufung auf die mitwirkende Verursachung ausgeschlossen, soweit sie – wie etwa im Verbraucher- oder Wettbewerbsrecht – dem Schutzzweck der verletzten Norm widerspräche. 8. Eine im nationalen Recht häufig nur am Rande diskutierte, gleichwohl hinsichtlich der Zwecke des Haftungsrechts aufschlussreiche Frage ist sodann die Möglichkeit einer gesetzlichen oder vertraglichen Begrenzung des Schadensersatzes (§ 9 VIII → S. 612). Vor allem bei der vertraglichen Begrenzung des Schadensersatzes geht das europäische Recht neue Wege, insofern es eine Parteidisposition über den Haftungsumfang im Regelfall erst nach Eintritt des Haftungsfalles gestattet. Die traditionelle, an der Privatautonomie orientierte Dogmatik kann diese Begrenzung kaum erklären. Sie liegt in der Konzeption eines bestimmten Haftungsmodells durch den Unionsgesetzgeber begründet, das im Interesse legisla-
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torisch gewollter Risikozuweisungen vertragliche Abweichungen nicht oder nur in eingeschränktem Umfang gestattet. 9. Der Konflikt zwischen der effektiven Durchsetzung europäisch fundierter Rechte und gegenläufigen nationalen Vorschriften hat in der Gerichtspraxis besondere Bedeutung bei der Kontrolle von nationalen Verjährungsund Ausschlussfristen erlangt (§ 9 IX → S. 618). Hier zeigen sich erneut die Besonderheiten des europäischen Rechts. Während im deutschen Recht vor allem die Fristdauer im Vordergrund der Betrachtung steht, geht es dem Gerichtshof stärker um den Beginn der Frist: Auch kurze Ausschlussfristen sind akzeptabel, sofern der Anspruchsberechtigte von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können, so dass ihm eine rechtzeitige Rechtsdurchsetzung zumutbar war. Zudem sind die Ausschlussfristen deutlich kontextsensitiver, insofern die Bedeutung des Anspruchs für den Betroffenen, die Komplexität des Sachverhalts und die Rahmenbedingungen der Rechtsdurchsetzung für die Beurteilung der Angemessenheit der Frist bedeutsam sind. 10. Die Bedeutung des Effektivitätsgebots zeigt sich zuletzt auch an den Vorgaben für die Verzinsung von Schadensersatzansprüchen (§ 9 X → S. 631). Obgleich das Sekundärrecht sie – mit Ausnahme des auf das Primärrecht zurückgehenden Art. 3 Abs. 2 Satz 2 RL 2014/104 – an keiner Stelle ausdrücklich vorschreibt, folgt sie für den Gerichtshof zwanglos aus dem Gebot vollständiger Kompensation, das eine Entwertung der Entschädigung durch bloßen Zeitablauf nicht zulässt, so dass eine Verzinsung bereits ab dem Zeitpunkt des Schadenseintritts geboten ist. Was folgt aus alledem? Zunächst hat die Untersuchung anhand konkreter Beispiele aufgezeigt, dass die Vorgaben des Effektivitätsgrundsatzes und der bestehenden europäischen Rechtsakte in verschiedenen Punkten eine Neujustierung des privatrechtlichen Schadensersatzanspruchs erforderlich machen, soweit die Verletzung europäisch verbürgter Rechtspositionen in Rede steht. Die hier vorgelegte Schrift legt die Grundlage für eine solche Neuausrichtung, die in der Praxis des Gerichtshofs und der Gesetzgebung auf Unionsebene bereits stattfindet. Es steht zu erwarten, dass auch die deutsche Privatrechtswissenschaft, die sich in den letzten Jahrzehnten immer stärker für unionsrechtliche Einflüsse öffnen musste, diese Entwicklung in den kommenden Jahren aufnehmen wird. Neben dem rechtsdogmatischen Ertrag berührt die Untersuchung die grundsätzlichere Frage, wie sich die Haftungs- und Schadensrechtsordnungen der Mitgliedstaaten unter dem Einfluss ihrer Indienstnahme zur Durchsetzung europäischer Rechte verändern. Es wurde gezeigt, dass der europäische Einfluss zu im Regelfall überzeugenden Neuerungen führt, etwa zu einer sinnvollen Synthese von Kompensations- und Präventionszweck des Haftungsrechts durch das Prinzip vollständiger Kompensation. Auch die Ausdehnung
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der Anspruchs- und Klageberechtigung Privater über die Grenzen des klassischen Bürgerlichen Rechts hinaus erscheint begrüßenswert, liegt darin nicht zuletzt auch ein Emanzipations- und Freiheitsgewinn für die Bürger, denen die Durchsetzung europäisch verbürgter Rechte unabhängig vom Tätigwerden staatlicher Stellen eröffnet wird.
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Rechtsprechungsverzeichnis
Rechtsprechungsverzeichnis Rechtsprechungsverzeichnis
I.
Europäische Gerichte
EuGH 21.12.1954, Rs. 1/54, Slg. 1954, 7 – Französische Republik/Hohe Behörde......................................................................... 97 EuGH 29.11.1956, Rs. 8/55, Slg. 1956, 297 – Fédéchar ........................................... 47, 48 EuGH 10.7.1957, Rs. 7/56 und 3–7/57, Slg. 1957, 83 – Algera ....................................... 47 EuGH 4.2.1959, Rs. 1/58, Slg. 1959, 45 – Stork .............................................................. 47 EuGH 15.7.1960, Rs. 20/59, Slg. 1960, 681 – Italien/Hohe Behörde der EGKS ................................................................................ 47 EuGH 6.4.1962, Rs. 13/61, Slg. 1962, 91 – Bosch........................................................ 2, 55 EuGH 5.2.1963, Rs. 26/62, Slg. 1963, 3 – van Gend & Loos ................... 18, 19, 55, 99, 516 EuGH 15.7.1963, Rs. 34/62, Slg. 1962, 289 – Kommission/Deutschland...................................................................................... 47, 49 EuGH 16.12.1963, Rs. 36/62, Slg. 1963, 619 – Société des Aciéries du Temple ................................................................................. 605 EuGH 19.3.1964, Rs. 75/63, Slg. 1964, 379 – Unger ............................................... 95, 206 EuGH 15.7.1964, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1141 – Costa/E.N.E.L ........................ 2, 9, 47, 48, 49 EuGH 9.12.1965, verb. Rs. 29, 31, 36, 39 bis 47, 50 und 51/63, Slg. 1965, 1198 – Société anonyme des laminoirs ..................................................... 130 EuGH 30.6.1966, Rs. 56/65, Slg. 1966, 282 – Société Technique Minère ....................... 157 EuGH 14.7.1967, Rs. 5, 7 und 13 bis 24/66, Slg. 1967, 331 – Kampffmeyer .............................................................................................173, 557, 574 EuGH 4.4.1968, Rs. 34/67, Slg. 1968, 364 – Lück................................................ 8, 71, 498 EuGH 19.12.1968, Rs. 13/68, Slg. 1968, 680 – Salgoil ......................... 7, 8, 19, 23, 45, 173 EuGH 6.10.1970, Rs. 9/70, Slg. 1970, 825 – Grad ..................................................... 47, 49 EuGH 28.4.1971, Rs. 4/69, Slg. 1971, 325 – Lütticke..................................................... 574 EuGH 2.12.1971, Rs. 5/71, Slg. 1971, 975 – Schöppenstedt ............................ 158, 173, 557 EuGH 10.10.1973, Rs. 34/73, Slg. 1973, 981 – Variola ........................................... 55, 111 EuGH 11.12.1973, Rs. 41/73 u.a., Slg. 1973, 1465 – Générale Sucrière .............................................................................. 171, 192, 571, 573 EuGH 30.1.1974, Rs. 127/73, Slg. 1974, 51 – BRT/SABAM ........................................... 150 EuGH 4.12.1974, Rs. 41/74, Slg. 1974, 1337 – van Duyn ................................................ 49 EuGH 12.12.1974, Rs. 36/74, Slg. 1974, 1405 – Walrave und Koch................................. 56 EuGH 8.4.1976, Rs. 43/75, Slg. 1976, 455 – Defrenne II ................................................. 55 EuGH 8.4.1976, Rs. 48/75, Slg. 1976, 4973 – Royer .................................................. 38, 80 EuGH 21.5.1976, Rs. 26/74, Slg. 1976, 677– Roquette ................................................... 78 EuGH 1.7.1976, Rs. 58/75, Slg. 1976, 1139 – Sergy ...................................................... 130 EuGH 30.11.1976, Rs. 21/76, Slg. 1976, 1735 – Bier ..................................................... 132 EuGH 16.12.1976, Rs. 33/76, Slg. 1976, 1989 – Rewe ................. 23, 24, 27, 34, 36, 53, 54, 82, 518, 621, 622
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Rechtsprechungsverzeichnis
EuGH 16.12.1976, Rs. 45/76, Slg. 1976, 2043– Comet ........................................ 23, 24, 36 EuGH 27.10.1977, Rs. 30/77, Slg. 1977, 1999 – Bouchereau ........................................... 97 EuGH 9.3.1978, Rs. 106/77, Slg. 1978, 629 – Simmenthal ........................................... 9, 54 EuGH 3.7.1979, verb. Rs. 185/78 bis 204/78, Slg. 1979, 2345 – Strafverfahren gegen J van Dam ................................................................................. 52 EuGH 4.10.1979, Rs. 238/78, Slg. 1979, 2955 – Ireks-Arkady ....................... 102, 129, 156, 211, 234, 245, 586, 588, 589, 616, 631 EuGH 4.10.1979, verb. Rs. 241, 242, 245 bis 250/78, Slg. 1979, 3017 – DGV ..................................................................................... 130, 234 EuGH 4.10.1979, Rs. 64/76, Slg. 1979, 3091 – Dumortier Frères .................................. 605 EuGH 27.2.1980, Rs. 68/79, Slg. 1980, 501 – Just .......................... 219, 234, 236, 616, 617 EuGH 12.6.1980, Rs. 130/79, Slg. 1980, 1887 – Express Dairy Foods ......................... 7, 78 EuGH 22.1.1981, Rs. 58/80, Slg. 1981, 181 – Dansk Supermarked .................................. 56 EuGH 18.5.1982, Rs. 155/79, Slg. 1982, 1575 – AM & S ................................................. 96 EuGH 6.10.1982, Rs. 283/81, Slg. 1982, 3415 – C.I.L.F.I.T. ...................................... 98, 99 EuGH 17.3.1983, Rs. 94/82, – Slg. 1983, 947 – de Kikvorsch ........................................ 252 EuGH 5.5.1983, Rs. 785/79, Slg. 1983, 1343 – Pizziola ................................................. 130 EuGH 8.11.1983, Rs. 96/82 bis 102/82, 104/82, 105/82, 108/82 und 110/82, Slg. 1983, 3369 – IAZ International Belgium u. a./Kommission................................. 200 EuGH 9.11.1983, Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 – Nederlandsche Banden-Industrie-Michelin/Kommission ................................................................... 200 EuGH 9.11.1983, Rs. 199/82, Slg. 1983, 3595 – San Giorgio ................. 21, 24, 36, 65, 134 EuGH 14.12.1983, Rs. 312/82, Slg. 1983, 4173 – Société de Vente de Ciments et Bétons ..................................................................................................... 157 EuGH 18.1.1984, Rs. 327/82, Slg. 1984, 107 – Ekro ................................................ 95, 206 EuGH 10.4.1984, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 – von Colson und Kamann .........4, 11, 16, 39, 57, 58, 86, 109, 124, 223, 498, 508, 509, 517, 519, 520, 521, 522, 528, 533, 542, 552, 587, 602 EuGH 17.1.1985, Rs. 131/81, Slg. 1985, 645 – Berti ............................................. 590, 599 EuGH 7.11.1985, Rs. 145/83, Slg. 1985, 3539 – Adams .................. 232, 238, 243, 609, 626 EuGH 15.1.1986, Rs. 44/84, Slg. 1986, 29 – Hurd ........................................................... 82 EuGH 26.2.1986, Rs. 152/84, Slg. 1986, 723 – Marshall I ...................................... 57, 109 EuGH 23.4.1986, Rs. 294/83, Slg. 1986, 1339 – Les Verts ............................................... 45 EuGH 15.5.1986, Rs. 222/84, Slg. 1986, 1651 – Johnston ................................... 21, 45, 86 EuGH 8.10.1986, Rs. 169/83, Slg. 1986, 2801 – Leussink ....................... 359, 598, 599, 600 EuGH 18.12.1986, Rs. 10/86, Slg. 1986, 4071 – VAG Magne .................................. 55, 157 EuGH 17.2.1987, Rs. 21/86, Slg. 1987, 795 – Samara .................................................. 129 EuGH 1.10.1987, Rs. 311/85, Slg. 1987, 3801 – ASBL Vereniging van Vlaamse Reisbureaus ................................................................ 56 EuGH 15.10.1987, Rs. 222/86, Slg. 1987, 4097 – Heylens ......................................... 21, 45 EuGH 2.2.1988, Rs. 309/85, Slg. 1988, 355 – Barra ...................................................... 244 EuGH 4.2.1988, Rs. 157/86, Slg. 1988, 673 Rn. 11 – Murphy ........................................ 101 EuGH 25.2.1988, Rs. C 331/85, Slg. 1988, 1099 – Bianco und Girard........................... 215 EuGH 14.7.1988, verb. Rs. 123/87 und 330/87, Slg. 1988, 4517 – Jeunehomme ............................................................................................................... 61 EuGH 21.9.1988, Rs. 68/88, Slg. 1989, 2965 – Kommission/Griechenland .............................................................................. 39, 43, 52 EuGH 27.9.1988, Rs. 65/86, Slg. 1988, 5249 – Bayer .............................................. 56, 149 EuGH 27.9.1988, Rs. 189/87, Slg. 1988, 5565 – Kalfelis ............................................... 125
Rechtsprechungsverzeichnis
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EuGH 5.10.1988, Rs. 180/87, Slg. 1988, 6141 – Hamill ................................................. 598 EuGH 11.4.1989, Rs. 66/86, Slg. 1989, 838 – Ahmed saaeed Flugreisen ......................................................................................... 157 EuGH 7.2.1990, Rs. C-343/87, Slg. 1990, I-225 – Culin ........................................ 533, 539 EuGH 7.3.1990, Rs. 362/88, Slg. 1990, I 667 – GB-INNO-BM....................................... 252 EuGH 26.6.1990, Rs. C-152/88, Slg. 1990, I-2477 – Sofrimport .................................... 588 EuGH 10.7.1990, Rs. C-217/88, Slg. 1990, I-2879 – Kommission/Deutschland............................................................................................ 21 EuGH 8.11.1990, Rs. C-177/88, Slg. 1990, I-3941 – Dekker ................ 62, 86, 92, 102, 194, 195, 417, 510, 574, 576, 578 EuGH 13.11.1990, Rs. C-106/89, Slg. 1990, I-4135 – Marleasing ........................... 58, 517 EuGH 24.1.1991, Rs. C-339/89, Slg. 1991, I-107 – Alsthom Atlantique ......................... 376 EuGH 28.2.1991, Rs. C-131/88, Slg. 1991, I-825 – Kommission/Deutschland.................................................................................... 60, 558 EuGH 28.2.1991, Rs. C-234/89, Slg. 1991, I-935 – Delimitis ................................. 191, 571 EuGH 30.5.1991, Rs. C-361/88, Slg. 1991, I-2567 – Kommission/Deutschland ......................................................................................... 558 EuGH 25.7.1991, Rs. C-208/90, Slg. 1991, I-4269 – Emmott ......................................... 627 EuGH 19.11.1991, Rs. C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, I-5357 – Francovich .................................. 21, 47, 57, 80, 120, 144, 154, 155, 156, 159, 173, 557 EuGH 11.3.1992, verb. Rs. C-78/90 u.a., Slg. 1992, I-1847 – Compagnie Commerciale de l’Ouest .......................................................................... 82 EuGH 26.3.1992, Rs. C-261/09, Slg. 1992, I-2149 – Reichert ........................................ 125 EuGH 7.4.1992, Rs. C-358/90, Slg. 1992, I-2457 – Compagnia italiana alcool........................................................................................ 607 EuGH 19.5.1992, Rs. C-104/89 und C-37/90, Slg. 1992, I-3061 – Mulder I ............................................................................................ 217, 232, 587, 609 EuGH 9.6.1992, Rs. C-47/90, Slg. 1992, I-3669 – Delhaize ............................................. 56 EuGH 2.8.1993, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367 – Marshall II ............. 16, 26, 57, 63, 102, 124, 156, 164, 211, 218, 233, 246, 248, 504, 508, 510, 521, 523, 540, 585, 586, 587, 613, 631, 633 EuGH 1.6.1994, Rs. C-136/92 P, Slg. 1994, I-1981 – Brazzelli Lualdi ........................... 632 EuGH 8.6.1994, Rs. C-382/92, Slg. 1994, I-2435 – Kommission/Vereinigtes Königreich ........................................................................... 41 EuGH 14.7.1994, Rs. C-91/92, Slg. 1994, I-3325 – Faccini Dori .............. 57, 109, 278, 505 EuGH 28.9.1994, Rs. C-200/91, Slg. 1994, I-4389 – Coloroll .......................................... 55 EuGH 15.11.1994, Gutachten 1/94, Slg. 1994, I-5267 – TRIPS ........................................ 27 EuGH 29.6.1995, Rs. C-135/93, Slg. 1995, I-1651 – Spanien/Kommission................................................................................................. 101 EuGH 19.9.1995, Rs. C-364/93, Slg. 1995, I-2719 – Marinari ..........................99, 111, 128 EuGH 14.12.1995, Rs. C-430/93 und C-431/93, Slg. 1995, I-4705 – van Schijndel ........................... 7, 11, 21, 23, 24, 25, 26, 55, 71, 205 EuGH 5.3.1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029 – Brasserie du Pêcheur ........................ 19, 24, 26, 145, 146, 155, 156, 158, 159, 161, 163, 193, 196, 199, 202, 204, 211, 217, 218, 228, 232, 540, 548, 551, 585, 587, 592, 604, 609 EuGH 7.3.1996, Rs. C-192/94, Slg. 1996, I-1281 – El Corte Inglés ......................... 56, 252 EuGH 30.4.1996, Rs. C-194/94, Slg. 1996, I-2201 – CIA Security ................................... 59 EuGH 23.5.1996, Rs. C-5/94, Slg. 1996, I-2553 – Hedley Lomas ................................... 155
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Rechtsprechungsverzeichnis
EuGH 8.10.1996, Rs. C-178/94, Slg. 1996, I-4845 – Dillenkofer .......................... 155, 278, 332, 343, 505, 557 EuGH 12.12.1996, Rs. C-298/95, Slg. 1996, I-6755 – Kommission/Deutschland............................................................................................ 60 EuGH 12.12.1996, Rs. C-74/95 und C-129/95, Slg. 1996, I-6609 – Strafverfahren gegen X ....................................................................................... 94, 206 EuGH 14.1.1997, verb. Rs. C 192/95 bis C 218/95, Slg. 1997, I 165 – Comateb ....................................................................................................219, 236, 617 EuGH 30.1.1997, Rs. C-340/94, Slg. 1997, I-461 – de Jaeck ................................... 94, 206 EuGH 18.3.1997, Rs. C-282/95 P, Slg. 1997, I-1503 – Guérin ......................................... 55 EuGH 20.3.1997, Rs. C-24/95, Slg. 1997, I-1591 – Alcan ................................................ 69 EuGH 22.4.1997, Rs. C-66/95, Slg. 1997, I-2163 – Sutton ....................................... 63, 246 EuGH 10.7.1997, Rs. C-261/95, Slg. 1997, I-4025 – Palmisani ........................ 53, 67, 621 EuGH 17.7.1997, Rs. C 242/95, Slg. 1997, I 4449 – De Danske Statsbaner ............................................................................................... 205 EuGH 4.12.1997, Rs. C-97/96, Slg. 1997, I-6843 – Daihatsu ........................................... 98 EuGH 14.5.1998, Rs. C-364/96, Slg. 1998, I-2949 – Verein für Konsumenteninformation gegen Österreichische Kreditversicherungs AG ......................... 332 EuGH 15.9.1998, Rs. C-231/96, Slg. 1998, I-4951 – Edis .................................52, 244, 626 EuGH 15.9.1998, verb. Rs. C-279/96, C-280/96 und C-281/96, Slg. 1998, I-5025 – Ansaldo Energia .......................................................................... 78 EuGH 15.9.1998, Rs. C 260/96, Slg. 1998, I 4997 – Spac .............................................. 244 EuGH 17.11.1998, Rs. C 228/96, Slg. 1998, I 7141 – Aprile .................................. 244, 621 EuGH 1.12.1998, Rs. C-326/96, Slg. 1998, I-7835 – Levez ........................... 51, 52, 86, 628 EuGH 1.12.1998, Rs. C 410/96, Slg. 1998, I 7875 – Strafverfahren gegen André Ambry .................................................................................................. 332 EuGH 3.12.1998, Rs. C-233/97, Slg. 1998, I-8069 – KappAhl Oy .................................... 98 EuGH 21.1.1999, Rs. C-120/97, Slg. 1999, I-223 – Upjohn ....................................... 72, 74 EuGH 11.2.1999, Rs. C-237/97, Slg. 1999, I-825 – AFS Intercultural Programs Finland ........................................................................ 329 EuGH 1.6.1999, Rs. C-126/97, Slg. 1999, I-3055 – Eco Swiss ..... 26, 53, 73, 205, 233, 622 EuGH 15.6.1999, Rs. C-140/97, Slg. 1999, I-3499 – Rechberger .................... 161, 332, 608 EuGH 9.9.1999, Rs. C-257/98 P, Slg. 1999, I-5251 – Lucaccioni ................................... 540 EuGH 27.1.2000, Rs. C-104/89 und C-37/90, Slg. 2000, I-203 – Mulder II ................................................................130, 215, 218, 247, 587, 632 EuGH 23.3.2000, Rs. C-208/08, Slg. 2000, I-1741 – Berliner Kindl....................... 277, 506 EuGH 11.4.2000, Rs. C-51/96 und C-191/97, Slg. 2000, I-2549 – Deliège ....................... 56 EuGH 16.5.2000, Rs. C-78/98, Slg. 2000, I-3201 – Preston ..............................53, 622, 627 EuGH 6.6.2000, Rs. C-281/98, Slg. 2000, I-4139 – Angonese .......................................... 56 EuGH 27.6.2000, verb. Rs. C-240/98 bis C-244/98, Slg. 2000, I-4941 – Océano Grupo ............................................................................................. 26, 74, 75 EuGH 4.7.2000, Rs. C-352/98 P, Slg. 2000, I-5291 – Bergaderm ................... 146, 173, 557 EuGH 4.7.2000, Rs. C-424/97, Slg. 2000, I-5123 – Haim .............................................. 155 EuGH 19.9.2000, Rs. C-287/98, Slg. 2000, I-6917 – Linster .................................... 95, 206 EuGH 21.9.2000, Rs. C-441/98 und C-442/98, Slg. 2000, I-7145 – Michailidis .......................................................................................... 65, 156, 234, 616 EuGH 26.9.2000, Rs. C-443/98, Slg. 2000, I-7535 – Unilever ......................................... 59 EuGH 3.10.2000, Rs. C-9/99, Slg. 2000, I-8207 – Echirolles Distribution ....................... 56
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EuGH 5.10.2000, Rs. C-376/98, Slg. 2000, I-8419 – Deutschland/ Parlament und Rat (Tabakwerberichtlinie I) ............................................................... 28 EuGH 8.3.2001, verb. Rs. C-397/98 und C-410/98, Slg. 2001, I-1727 – Metallgesellschaft ..................................... 63, 75, 156, 218. 247, 248, 632, 633 EuGH 10.5.2001, Rs. C-203/99, Slg. 2001, I-3569 – Veedfald ......... 95, 111, 374, 383, 384, 386, 390, 395, 396, 400, 401, 402, 404, 416, 429, 431, 432, 581, 585, 589 EuGH 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 – Courage ................. 21, 23, 24, 44, 47, 55, 69, 86, 124, 134, 145, 150, 152, 156, 159, 162, 165, 171, 175, 176, 190, 198, 231, 232, 234, 501, 521, 522, 528, 541, 571, 616 EuGH 25.10.2001, Rs. C-112/99, Slg. 2001, I-7945 – Toshiba......................................... 98 EuGH 6.12.2001, Rs. C-472/99, Slg. 2001, I-9687 – Clean Car ........................... 24, 25, 51 EuGH 13.12.2001, Rs. C 481/99, Slg. 2001, I 9945 – Heininger ............. 255, 271, 296, 324 EuGH 19.2.2002, Rs. C-309/99, Slg. 2002, I-1577 – Wouters .......................................... 56 EuGH 5.3.2002, Rs. C-386/00, Slg. 2002, I-2209 – Axa Royale Belge............. 289, 307, 318 EuGH 12.3.2002, Rs. C-168/00, Slg. 2002, I-2631 – Leitner ......... 6, 30, 96, 103, 104, 334, 338, 341, 342, 344, 352, 353, 354, 355, 356, 397, 476, 585, 586, 591, 596, 599, 601 EuGH 25.4.2002, Rs. C-52/00, Slg. 2002, I-3827 – Kommission/ Französische Republik ........................................ 369, 370, 375, 376, 377, 379, 396, 410 EuGH 25.4.2002, Rs. C-183/00, Slg. 2002, I-3901 – González Sánchez ...................................................................... 369, 370, 375, 376, 377 EuGH 30.4.2002, Rs. C-400/00, Slg. 2002, I-4051 – Club-Tour, Viagens e Turismo .................................................................................. 329 EuGH 7.5.2002, Rs. C-478/99, Slg. 2002, I-4147 – Kommission/Schweden ....................................................................... 109, 278, 505, 563 EuGH 6.6.2002, Rs. C-159/00, Slg. 2002, I-5031 – Eco-Emballages ......................... 56, 59 EuGH 11.7.2002, Rs. C-62/00, Slg. 2002, I-6325 – Marks & Spencer ...................... 74, 626 EuGH 25.7.2002, Rs. C-50/00 P, Slg. 2002, I-6677 – Unión de Pequeños Agricultores ........................................................................... 34, 45 EuGH 10.9.2002, verb. Rs. C-216/99 und C-222/99, Slg. 2002, I-6761 – Prisco .............. 52 EuGH 24.9.2002, Rs. C-255/00, Slg. 2002, I-8003 – Grundig Italiana .............................................................................. 74, 80, 81, 622, 626 EuGH 1.10.2002, Rs. C-167/00, Slg. 2002, I-8111 – Henkel .................................. 126, 139 EuGH 21.11.2002, Rs. C-473/00, Slg. 2002, I-10875 – Cofidis .................................................... 24, 26, 57, 64, 74, 75, 323, 622, 628, 629, 630 EuGH 10.12.2002, Rs. C-491/01, Slg. 2002, I-11453 – British American Tobacco .......................................................................................... 31 EuGH 10.12.2002, Rs. C-312/00 P, Slg. 2002, I-11355 – Kommission/Camar und Tico ............................................................................ 155, 159 EuGH 22.5.2003, Rs. C-462/99, Slg. 2003, I-5197 – Connect Austria ............................. 82 EuGH 19.6.2003, Rs. C-34/02, Slg. 2003, I-6515 – Pasquini ..................................... 51, 80 EuGH 18.9.2003, Rs. C-125/01, Slg. 2003, I-9375 – Pflücke ...................... 73, 78, 623, 629 EuGH 30.9.2003, Rs. C-224/01, Slg. 2003, I-10239 – Köbler ........................................ 158 EuGH 2.10.2003, Rs. C-147/01, Slg. 2003, I-11365 – Weber’s Wine World ...........................................................133, 215, 217, 219, 236, 617 EuGH 7.1.2004, Rs. C-60/02, Slg. 2004, I-651 – Strafverfahren gegen X .......................................................................................... 4, 39 EuGH 13.1.2004, Rs. C-453/00, Slg. 2004, I-837 – Kühne & Heitz .................................. 35 EuGH 5.2.2004, Rs. C-18/02, Slg. 2004, I-1417 – DFDS Torline ................................... 132
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Rechtsprechungsverzeichnis
EuGH 4.3.2004, Rs. C 264/02, Slg. 2004, I 2157 – Sylvain Sachithanathan....................................... 278, 282, 283, 288, 289, 307, 318, 506 EuGH 1.4.2004, Rs. C-237/02, Slg. 2004, I-3403 – Freiburger Kommunalbauten .............................................................................. 94, 398 EuGH 17.6.2004, Rs. C-30/02, Slg. 2004, I-6051 – Recheio .................................... 73, 622 EuGH (Große Kammer) 5.10.2004, verb. Rs. C-397/01 bis C-403/01, Slg. 2004, I-8835 – Pfeiffer................................................................................. 57, 109 EuGH (Plenum) 12.10.2004, Rs. C-222/02, Slg. 2004, I-9425 – Peter Paul ................................................................................. 173, 257, 557, 560, 562 EuGH 14.10.2004, Rs. C 275/03 – Kommission/Portugal [nicht in Slg., nur über ] .................................................................. 195 EuGH 20.1.2005, Rs. C-27/02, Slg. 2005, I-481 – Engler ................................................ 98 EuGH 20.1.2005, Rs. C-464/01, Slg. 2005, I-439 – Gruber ........................................... 408 EuGH 27.1.2005, Rs. C-188/03, Slg. 2005, I-885 – Junk.......................................... 84, 568 EuGH 10.3.2005, Rs. C-336/03, Slg. 2005, I-1947 – easyCar .......................................... 97 EuGH (Große Kammer) 3.5.2005, verb. Rs. C-387/02, C-391/02 und C-403/02, Slg. 2005, I-3565 – Strafverfahren gegen Silvio Berlusconi ..... 39, 40, 41, 42, 44, 47, 70 EuGH (Große Kammer) 12.7.2005, Rs. C-304/02, Slg. 2005, I-6263 – Kommission/Frankreich .............................................................................................. 61 EuGH 18.10.2005, Rs. C-405/03, Slg. 2005, I-8735 – Class International ..................................................................................................... 94 EuGH (Große Kammer) 25.10.2005, Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 – Schulte.......................................... 39, 124, 130, 261, 264, 265, 266, 267, 269, 276, 294, 300, 301, 303, 304, 312, 314, 326, 504, 505, 592 EuGH 25.10.2005, Rs. C 229/04, Slg. 2005, I 9273 – Crailsheimer Volksbank ............................................................................................ 314 EuGH (Große Kammer) 8.11.2005, Rs. C-443/03, Slg. 2005, I-9611 – Leffler............................................................................................................. 50, 55, 85 EuGH 24.11.2005, Rs. C 136/04, Slg. 2005, I 10095 – Deutsches Milch-Kontor ........................................................................................... 207 EuGH (Große Kammer) 10.1.2006, Rs. C-402/03, Slg. 2006, I-199 – Skov und Bilka ..........................................................98, 369, 375, 377, 378, 399 EuGH (Große Kammer) 10.1.2006, Rs. C-344/04, Slg. 2006, I-403 – IATA und ELFAA .................................. 99, 143, 207, 434, 435, 436, 440, 441, 442, 443, 444, 446, 448, 449, 450, 451, 470, 473 EuGH 9.2.2006, Rs. C-127/04, Slg. 2006, I-1313 – O’Byrne ....................................... 368, 371, 372, 374, 375, 386, 390, 429, 430, 431, 549 EuGH 9.3.2006, Rs. C-174/05, Slg. 2006, I-2443 – Zuid-Hollandse Milieufederatie und Natuur en Milieu ................................................ 49 EuGH 16.3.2006, Rs. C-234/04, Slg. 2006, I-2585 – Kapferer ........................... 23, 35, 108 EuGH 13.7.2006, verb. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 – Manfredi ............................... 16, 23, 24, 26, 55, 57, 77, 79, 81, 102, 151, 156, 162, 163, 164, 165, 172, 176, 179, 194, 198, 205, 211, 212, 218, 228, 229, 230, 233, 234, 238, 243, 245, 246, 551, 581, 585, 587, 604, 605, 613, 625, 626, 631 EuGH 7.9.2006, Rs. C-470/04, Slg. 2006, I-7409 – N ...................................................... 78 EuGH 7.9.2006, Rs. C-125/05, Slg. 2006, I-7637 – Skandinavisk..................................... 55 EuGH 26.10.2006, Rs. C-168/05, Slg. 2006, I-10421 – Mostaza Claro ............................ 26 EuGH 9.11.2006, Rs. C-243/05 P, Slg. 2006, I-10833 – Agraz ....................................... 129
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EuGH 9.11.2006, Rs. C-281/05, Slg. 2006, I-10881 – Diesel .......................................... 94 EuGH 23.11.2006, Rs. C-315/05, Slg. 2006, I-11181 – Lidl Italia.......................... 367, 369 EuGH 7.12.2006, Rs. C-306/05, Slg. 2006, I-11519 – SGAE.................................... 95, 206 EuGH 12.12.2006, Rs. C-380/03, Slg. 2006, I-11573 – Deutschland/ Parlament und Rat (Tabakwerberichtlinie II)........................................................ 28, 29 EuGH 12.12.2006, Rs. C-446/04, Slg. 2006, I-11753 – Test Claimants in the FII Group Litigation .................................. 78, 161, 247, 605, 632 EuGH 14.12.2006, Rs. C-316/05, Slg. 2006, I-12083 – Nokia ....... 25, 50, 95, 107, 139, 206 EuGH 18.1.2007, Rs. C-421/05, Slg. 2007, I-653 – City Motors Groep ......................................................................... 55, 81, 151, 205, 229 EuGH (Große Kammer) 13.3.2007, Rs. C-432/05, Slg. 2007, I-2271 – Unibet ........................................ 21, 23, 24, 25, 34, 45, 46, 65, 71, 74, 75, 83, 499, 533 EuGH 15.3.2007, Rs. C-35/05, Slg. 2007, I-2425 – Reemtsma Cigarettenfabriken ....................................................................... 51, 74, 180 EuGH 15.3.2007, Rs. C 95/04 P, Slg. 2007, I 2331 – British Airways ............................ 251 EuGH (Große Kammer) 17.4.2007, Rs. C-470/03, Slg. 2007, I-2749 – A.G.M.-COS.MET ....................................................... 101, 145, 161, 182, 199, 540, 548 EuGH 19.4.2007, Rs. C-356/05, Slg. 2007, I-3067 – Farrell .................................... 57, 609 EuGH 19.4.2007, Rs. C-381/05, Slg. 2007, I-3115 – de Landtsheer ................................. 98 EuGH 26.4.2007, Rs. C-348/04, Slg. 2007, I-3391 – Boehringer Ingelheim ........................................................................ 4, 39, 67, 498, 545 EuGH 7.6.2007, Rs. C-222/05 bis C-225/05, Slg. 2007, I-4233 – van der Weerd ................................................................................................. 8, 26, 53 EuGH 21.6.2007, Rs. C-231/06, Slg. 2007, I-5149 – Jonkman ......................................... 81 EuGH (Große Kammer) 26.6.2007, Rs. C-305/05, Slg. 2007, I-5305 – Ordre des barreaux francophones ....................................................................... 45, 101 EuGH 5.7.2007, Rs. C-430/05, Slg. 2007, I-5835 – Ntionik Anonymi Etaireia Emporias ..................................................................... 39, 67, 68, 80, 498, 527 EuGH 5.7.2007, Rs. C-327/05, Slg. 2007, I-93 – Kommission/Dänemark ...................... 377 EuGH 7.7.2007, Rs. C-80/06, Slg. 2007, I-4473 – Carp ................................................... 57 EuGH (Große Kammer) 18.7.2007, Rs. C-119/05, Slg. 2007, I-6199 – Lucchini ............................................................................................................... 22, 35 EuGH (Große Kammer) 11.9.2007, Rs. C-431/05, Slg. 2007, I-7001 – Merck Genéricos ...................................................................................................... 143 EuGH 4.10.2007, Rs. C-429/05, Slg. 2007, I-8017– Rampion ..............................................................................26, 279, 296, 297, 505, 563 EuGH 11.10.2007, Rs. C-460/06, Slg. 2007, I-8511 – Paquay ......................................................................... 52, 498, 499, 508, 510, 523, 540 EuGH 11.10.2007, Rs. C-241/06, Slg. 2007, I-8415 – Lämmerzahl ............................ 61, 82 EuGH 10.1.2008, Rs. C 70/06, Slg. 2008, I 1 – Kommission/Portugal............................ 195 EuGH (Große Kammer) 29.1.2008, Rs. C-275/06, Slg. 2008, I-271 – Promusicae......................................................................................................... 95, 398 EuGH 12.2.2008, Rs. C-2/06, Slg. 2008, I-411 – Kemper..................................75, 621, 622 EuGH 21.2.2008, Rs. C-426/05, Slg. 2008, I-685 – Tele 2 ............................................... 37 EuGH 21.2.2008, Rs. C-348/06 P, Slg. 2008, I-833 – Girardot ....... 130, 144, 146, 221, 540 EuGH 3.4.2008, Rs. C-306/06, Slg. 2008, I-1923 – 01051 Telecom ................................. 98 EuGH (Große Kammer) 15.4.2008, Rs. C-268/07, Slg. 2008, I-2483 – Impact .................................................................................................................. 39, 57 EuGH 17.4.2008, Rs. C-404/06, Slg. 2008, I-2685 – Quelle ............................................. 98
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EuGH 24.4.2008, Rs. C-55/06, Slg. 2008, I-2931 – Arcor ............................................ 6, 45 EuGH 10.7.2008, Rs. C-173/07, Slg. 2008, I-5237 – Emirates Airlines ......................................................................... 97, 435, 436, 446, 448 EuGH 10.7.2008, Rs. C-54/07, Slg. 2008, I- 5187 – Feryn .................................................................. 419, 511, 512, 513, 533, 565, 566, 567 EuGH (Große Kammer) 17.7.2008, Rs. C-303/06, Slg. 2008, I-5603 – Colema ....................................................................................................................... 94 EuGH 17.7.2008, Rs. C-94/07, Slg. 2008, I-5939 – Raccanelli ....................... 498, 502, 513 EuGH 17.7.2008, Rs. C-51/05 P, Slg. 2008, I-5341 – Cantina sociale di Dolianova............................................................................ 619, 620 EuGH 16.10.2008, Rs. C-298/07, Slg. 2008, I 7841 – deutsche internet versicherung ....................................................... 250, 277, 289, 290, 297, 307, 317, 506 EuGH (Große Kammer) 16.12.2008, Rs. C-47/07 P, Slg. 2008, I-9761 – Masdar (UK) ............................................................................................47, 133, 135 EuGH (Große Kammer) 16.12.2008, Rs. C-210/06, Slg. 2008, I-9641 – Cartesio .............................................................................................................. 94, 206 EuGH (Große Kammer) 16.12.2008, Rs. C-73/07, Slg. 2008, I-9831 – Satakunnan Markkinapörssi........................................................................................ 98 EuGH 18.12.2008, Rs. C-349/07, Slg. 2008, I-10369 – Sopropé .......................74, 624, 628 EuGH 18.12.2008, Rs. C-306/07, Slg. 2008, I-10279 – Andersen................................... 523 EuGH 22.12.2008, Rs. C-549/07, Slg. 2008, I-11061 – Wallentin-Hermann .............................................. 97, 441, 445, 446, 448, 456, 467, 468 EuGH 22.12.2008, Rs. C-198/07 P, Slg. 2008, I-10701 – Gordon .................................. 598 EuGH 10.2.2009, Rs. C-301/06, Slg. 2009, I-593 – Irland/Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union (Vorratsdatenspeicherung) .................... 28 EuGH (Große Kammer) 24.3.2009, Rs. C-445/06, Slg. 2009, I-2119 – Danske Slagterier ............................................ 65, 74, 75, 232, 233, 238, 239, 240, 241, 242, 245, 609, 625, 626, 627, 628 EuGH 26.3.2009, Rs. C-348/07, Slg. 2009, I-2341 – Semen ................................... 587, 613 EuGH 2.4.2009, Rs. C-421/07, Slg. 2009, I-2629 – Damgaard ...................................... 101 EuGH 23.4.2009, Rs. C-378/07 und C-380/07, Slg. 2009, I-3071 – Angelidaki ............................................................................................. 57, 80, 144, 155 EuGH 23.4.2009, Rs. C-261/07 und C-299/07, Slg. 2009, I-2949 – VTB-VAB .................................................................................................................. 110 EuGH 4.6.2009, Rs. C-243/08, Slg. 2009, I-4713 – Pannon ................................................................................26, 256, 278, 505, 563, 565 EuGH 4.6.2009, Rs. C 8/08, Slg. 2009, I 4529 – T-Mobile Netherlands ......................... 251 EuGH 4.6.2009, Rs. C-285/08, Slg. 2009, I-4733 – Moteurs Leroy Somer ......................................... 370, 375, 377, 384, 396, 399, 410, 412 EuGH (Große Kammer) 18.6.2009, Rs. C-487/07, Slg. 2009, I-5185 – L’Oréal........................................................................................................94, 398, 419 EuGH 9.7.2009, Rs. C-204/08, Slg. 2009, I-6073 – Rehder ............................. 443, 446, 495 EuGH 16.7.2009, Rs. C-69/08, Slg. 2009, I-6741 – Visciano ...... 26, 65, 622, 623, 626, 627 EuGH 16.7.2009, Rs. C-12/08, Slg. 2009, I-6653 – Mono Car Styling ............ 520, 561, 567 EuGH (Große Kammer) 16.7.2009, Rs. C-440/07 P, Slg. 2009, I-6413 – Schneider Electric .................................................................................................... 605 EuGH 3.9.2009, Rs. C-2/08, Slg. 2009, I-7501 – Fallimento Olimpiclub ................................................................................................ 73
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EuGH (Große Kammer) 8.9.2009, Rs. C-478/07, Slg. 2009, I-7721 – Budĕjovický Budvar .................................................................................................... 37 EuGH 17.9.2009, Rs. C-347/08, Slg. 2009, I-8661 – Vorarlberger Gebietskrankenkasse ............................................................................. 97 EuGH 6.10.2009, Rs. C-40/08, Slg. 2009, I-9579 – Asturcom ............. 26, 53, 323, 622, 625 EuGH 6.10.2009, Rs. C-501/06 P, C-513/06 P, C-515/06 P und C-519/06 P, Slg. 2009, I-9291 – GlaxoSmithKline ..................... 171, 192, 251, 571, 573 EuGH 22.10.2009, Rs. C-301/08, Slg. 2009, I-10185 – Bogiatzi ............. 143, 434, 448, 492 EuGH 29.10.2009, Rs. C-63/08, Slg. 2009, I-10467 – Pontin .................................. 26, 45, 51, 53, 71, 74, 77, 83, 510, 622, 623, 624, 625, 628 EuGH 19.11.2009, verb. Rs. C-402/07 und C-432/07, Slg. 2009, I-10923 – Sturgeon ......................... 49, 101, 438, 439, 445, 448, 450, 453 456, 477, 478 EuGH (Große Kammer) 2.12.2009, Rs. C-358/08, Slg. 2009, I-11305 – Aventis Pasteur .................................................. 368, 369, 371, 372, 374, 375, 379, 386, 389, 390, 393, 430, 431, 432, 619 EuGH 17.12.2009, Rs. C 227/08, Slg. 2009, I 11939 – Eva Martín Martín ...................... 256, 258f, 263, 266, 277, 291, 296, 297, 298, 504, 505 EuGH 23.12.2009, Rs. C-45/08, Slg. 2009, I-12073 – Spector Photo Group ............................................................41, 136, 224, 498, 499, 594 EuGH 14.1.2010, Rs. C-304/08, Slg. 2010, I-217 – Plus Warenhandelsgesellschaft ........................................................................... 98, 110 EuGH (Große Kammer) 19.1.2010, Rs. C-555/07, Slg. 2010, I-365 – Kücükdeveci ........................................................................................ 9, 19, 56, 57, 109 EuGH (Große Kammer) 26.1.2010, Rs. C-118/08, Slg. 2010, I-635 – Transportes Urbanos ................................................................... 52, 120, 144, 154, 155 EuGH 28.1.2010, Rs. C 456/08, Slg. 2010, I 859 – Kommission/Irland .......................... 241 EuGH 28.1.2010, Rs. C-406/08, Slg. 2010, I-859 – Uniplex ........................................... 625 EuGH (Große Kammer) 9.3.2010, Rs. C-518/07, Slg. 2010, I-1885 – Kommission/Deutschland............................................................................................ 98 EuGH (Große Kammer) 9.3.2010, Rs. C-379/08 und C-380/08, Slg. 2010, I-2007 – ERG ............................................................................................. 42 EuGH 15.3.2010, Rs. C-453/10, ECLI:EU:2012:144 – Pereničová ......... 101, 257, 536, 537 EuGH 18.3.2010, Rs. C-317/08 bis C-320/08, Slg. 2010, I-2213 – Alassini .......................................................................................................... 25, 45, 46 EuGH 18.3.2010, Rs. C-419/08 P, Slg. 2010, I-2259 – Trubowest................... 605, 609, 611 EuGH (Große Kammer) 23.3.2010, Rs. C-236/08 bis C-238/08, Slg. 2010, I-2417 – Google France und Google ........................................................ 123 EuGH (Große Kammer) 13.4.2010, Rs. C-91/08, Slg. 2010, I-2815 – Wall .......................................................................................................................... 140 EuGH 15.4.2010, Rs. C-511/08, Slg. 2010, I-3047 – Handelsgesellschaft Heinrich Heine ............................................................98, 295, 298 EuGH 15.4.2010, C 542/08, Slg. 2010, I 3189 – Barth ........................................... 244, 630 EuGH (Große Kammer) 4.5.2010, Rs. C-533/08, Slg. 2010, I-4107 – TNT Express (CMR) ................................................................................................. 143 EuGH 6.5.2010, Rs. C-63/09, Slg. 2010, I-5239 – Walz ........................ 101, 104, 143, 435, 449, 464, 468, 469, 470, 471, 473, 474, 479, 586, 596, 601 EuGH 6.5.2010, verb. Rs. C-145/08 und C-149/08, Slg. 2010, I-4165 – Club Hotel Loutraki .................................................................................................. 122
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EuGH 20.5.2010, Rs. C-210/09, Slg. 2010, I-4613 – Scott und Kimberly Clark.......................................................................................... 133 EuGH 8.6.2010, Rs. C-58/08, Slg. 2010, I-4999 – Vodafone [The Queen, auf Antrag von Vodafone Ltd/Secretary of State (Roaming-VO)] ................... 28, 31, 251 EuGH 8.7.2010, Rs. C-246/09, Slg. 2010, I-7003 – Bulicke ................ 52, 53, 622, 623, 625 EuGH 15.7.2010, Rs. C-256/09, Slg. 2010, I-7353 – Purrucker ....................................... 55 EuGH 2.9.2010, Rs. C-66/09, Slg. 2010, I-7943 – Kirin Amgen .................................... 97 f. EuGH 30.9.2010, Rs. C-314/09, Slg. 2010, I-8769 – Strabag .............................................. 26, 62, 70, 103, 155, 195, 196, 197, 574, 576, 578 EuGH (Große Kammer) 5.10.2010, Rs. C-173/09, Slg. 2010, I-8889 – Elchinov ..................................................................................................................... 86 EuGH 14.10.2010, Rs. C 280/08 P, Slg. 2010, I 9555 – Deutsche Telekom/Kommission ................................................................................. 200 EuGH 28.10.2010, Rs. C-209/09, Slg. 2010, I-10721 – Volvo Car Germany .................................................................................................. 610 EuGH (Große Kammer) 9.11.2010, Rs. C-137/08, Slg. 2010, I-10847 – Ferenc Schneider .................................................................................................. 25, 26 EuGH (Große Kammer) 9.11.2010, Rs. C-540/08, Slg. 2010, I-10909 – Mediaprint .................................................................................................................. 98 EuGH 16.11.2010, Rs. C-76/10, Slg. 2010, I-11557 – Pohotovosť ................... 26, 94 f, 398 EuGH 18.11.2010, Rs. C-159/09, Slg. 2011, I-11761 – Lidl SNC ......................94, 398, 419 EuGH 25.11.2010, Rs. C-429/09, Slg. 2010, I-12167 – Fuß ............ 161, 232, 320, 574, 609 EuGH (Große Kammer) 7.12.2010, verb. Rs. C-585/08 und C-144/09, Slg. 2010, I 12527 – Pammer .................................................................................... 250 EuGH 9.12.2010, Rs. C-568/08, Slg. 2010, I-12655 – Combinatie Spijker Infrabouw ................................... 76 f., 120, 122, 155, 156 f., 197, 246, 576, 631 EuGH 22.12.2010, Rs. C-279/09, Slg. 2010, I-13849 – DEB ............................... 24, 25, 45 EuGH 22.12.2010, Rs. C-393/09, Slg. 2010, I-13971 – BSA ......................................... 97 f. EuGH 22.12.2010, Rs. C-444/09 und C-456/09, Slg. 2010, I-14031 – Gavieiro .................................................................................................................. 460, EuGH 27.1.2011, Rs. C-168/09, Slg. 2011, I-181 – Flos ............................................... 97 f. EuGH 17.2.2011, Rs. C-52/09, Slg. 2011, I-527 – TeliaSonera ............... 149, 170 f., 191 f., 250 f., 547, 571, 573 EuGH (Große Kammer) 8.3.2011, Rs. C-240/09, Slg. 2011, I-1255 – Lesoochranárske zoskupenie ..................................................................................... 555 EuGH 10.3.2011, Rs. C-379/09, Slg. 2011, I-1379 – Casteels ....................................... 55 f. EuGH 10.3.2011, Rs. C-109/09, Slg. 2011, I-1309 – Deutsche Lufthansa ......................................................... 57 f., 59, 110, 517, 519, 519 f. EuGH 17.3.2011, Rs. C-484/09, Slg. 2011, I-1821 – Santos........................................... 609 EuGH (Große Kammer) 5.4.2011, Rs. C 119/09, Slg. 2011, I 2551 – Société fiduci-aire nationale d’expertise comptable .................................................. 250 EuGH 12.5.2011, Rs. C-122/10, Slg. 2011, I-3903 – Ving Sverige .......................................................................49, 94, 97, 98, 331, 398, 419 EuGH 12.5.2011, Rs. C-294/10, Slg. 2011, I-3983 – Eglitis ........................................... 467 EuGH 12.5.2011, Rs. C-115/09, Slg. 2011, I-3673 – Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland ........................................................ 555 EuGH 9.6.2011, Rs. C-52/10, Slg. 2011, I-4973 – Alter Channel ..................................... 97 EuGH (Große Kammer) 14.6.2011, Rs. C-360/09, Slg. 2011, I-5161 – Pfleiderer .............................................................................. 24, 55, 124, 151, 162, 229
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EuGH 16.6.2011, verb. Rs. C-65/09 und C-87/09, ECLI:EU:C:2011:396 – Gebr. Weber..................................................... 408, 445 f., 574 EuGH (Große Kammer) 5.7.2011, Rs. C-263/09 P, Slg. 2011, I-5853 – Edwin Co Ltd...................................................................................................... 94, 206 EuGH (Große Kammer) 12.7.2011, C-324/09, Slg. 2011, I-6011 – L’Oréal.............................................................................. 24 f., 38 f., 42 f., 61, 67, 123 EuGH 14.7.2011, Rs. C-4/10 und C-27/10, Slg. 2011, I-6131 – Bureau national interprofessionnel du Cognac ................................................... 55, 111 EuGH 21.7.2011, Rs. C-104/10, Slg. 2011, I-6813 – Kelly ...................................... 24, 38 f. EuGH 28.7.2011, Rs. C-195/09, Slg. 2011, I-7011 – Synthon .......................................... 97 EuGH (Große Kammer) 6.9.2011, Rs. C 398/09, Slg. 2011, I 7375 – Lady & Kid u. a. ............................................................................................. 234 f., 616 EuGH 8.9.2011, Rs. C-177/10, Slg. 2011, I-7907 – Rosado Santana ........... 53, 77, 622, 623 EuGH 8.9.2011, verb. Rs. C-89/10 und 96/10, Slg. 2011, I-7819 – Q-Beef ................................................................................................................... 629 f. EuGH 22.9.2011, Rs. C-482/09, Slg. 2011, I-8701 – Budějovický Budvar.....................................................................................................................98 f. EuGH 22.9.2011, Rs. C-244/10 und C-245/10, Slg. 2011, I-8777 – Mesopotamia Broadcast ..........................................................................................98 f. EuGH 29.9.2011, Rs. C-521/09 P, Slg. 2011, I-8947 – Elf Aquitaine ............................. 176 EuGH (Große Kammer) 4.10.2011, Rs. C-403/08 und C-429/08, Slg. 2011, I-9083 – Football Association Premier League ............................ 55 f., 97 f., 100 f., 101 EuGH 13.10.2011, Rs. C-83/10, Slg. 2011, I-9469 – Sousa Rodríguez ........... 438, 439, 440, 441, 449, 470, 474, 486, 488, 489, 495, 585 f., 586 EuGH (Große Kammer) 18.10.2011, Rs. C-34/10, Slg. 2011, I-9821 – Brüstle .............................................................................................. 49, 94 f., 97 f., 206 EuGH 20.10.2011, Rs. C-94/10, Slg. 2011, I-9963 – Danfoss ................................................ 134 f., 160, 161, 179, 180, 182, 234 f., 605, 616 EuGH (Große Kammer) 25.10.2011, Rs. C-509/09 und C-161/10, Slg. 2011, I-10269 – eDate Advertising .......................................................... 97 f., 98 f. EuGH 1.12.2011, Rs. C-446/09 und C-495/09, ECLI:EU:C:2011:796 – Philips ........................................................................................................................ 49 EuGH 15.12.2011, Rs. C-427/10, ECLI:EU:C:2011:844 – Banca Antoniana Popolare Veneta ............................................................... 74 f., 629 f. EuGH (Große Kammer) 21.12.2011, Rs. C-495/10, ECLI:EU:C:2011:869 – Centre hospitalier universitaire de Besançon ..................... 370, 372, 374, 375, 377, 378, 420, 421 EuGH 9.2.2012, Rs. C-210/10, Slg. 2012, ECLI:EU:C:2012:64 – Urbán .................................................................................................. 42, 67, 68, 497 f. EuGH 9.2.2012, Rs. C-277/10, ECLI:EU:C:2012:65 – Luksan ....................................... 143 EuGH 16.2.2012, Rs. C-360/10, ECLI:EU:C:2012:85 – SABAM .................................... 123 EuGH 16.2.2012, Rs. C-134/11, ECLI:EU:C:2012:98 – Blödel-Pawlik .................. 328, 332 EuGH 1.3.2012, Rs. C-166/11, ECLI:EU:C:2012:119 – Nationale Nederlanden ............................................................................................97 f. EuGH 15.3.2012, Rs. C-135/10, ECLI:EU:C:2012:140 – SCF ....................................... 143 EuGH 19.4.2012, Rs. C-415/10, ECLI:EU:C:2012:217 – Meister ........................... 24, 38 f. EuGH 26.4.2012, Rs. C-472/10, ECLI:EU:C:2012:242 – Invitel ............................................................................... 26, 139, 256, 297, 298 f., 344
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EuGH 14.6.2012, Rs. C-618/10, Slg. ECLI:EU:C:2012:349 – Banco Español de Crédito ..................................................25, 26, 53, 63, 256, 296, 624 EuGH (Große Kammer) 3.7.2012, Rs. C-128/11, ECLI:EU:C:2012:407 – UsedSoft .......................................................94, 95, 100 f., 206 EuGH 5.7.2012, Rs. C-49/11, ECLI:EU:C:2012:419 – Content Services ............................. 97, 100 f., 273, 277, 292 f., 297, 298, 309, 320, 506 EuGH 5.7.2012, Rs. C-509/10, ECLI:EU:C:2012:416 – Geistbeck ..................................................................... 111, 132 f., 136, 543 f., 546, 594 EuGH 12.7.2012, Rs. C-602/10, ECLI:EU:2012:443 – SC Volksbank Romania ............................................................................................. 249 EuGH 19.7.2012, Rs. C-112/11, ECLI:EU:C:2012:487 – ebookers ................................ 286 EuGH 4.10.2012, Rs. C-321/11, ECLI:EU:C:2012:609 – Rodríguez Cachafeiro ....................................................................................... 438, 465 EuGH (Große Kammer) 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 und C-629/10, ECLI:EU:C:2012:657 – Nelson .......................... 132, 439, 440, 441, 442, 444, 445, 448, 449 f., 451, 465, 471, 472, 475, 477, 478, 481, 601 EuGH (Große Kammer) 6.11.2012, Rs. C-199/11, ECLI:EU:C: 2012:684 – Otis .......................................................... 151, 157, 171, 176, 194, 229, 230 EuGH 22.11.2012, Rs. C-116/11, ECLI:EU:C:2012:739 – Bank Handlowy und Adamiak ............................................................................. 94, 206 EuGH 22.11.2012, Rs. C-410/11, ECLI:EU:C:2012:747 – Espada Sánchez ................................................................................................ 435, 455 EuGH 22.11.2012, Rs. C-139/11, ECLI:EU:C:2012:741 – Moré ............................ 493, 494 EuGH 4.12.2012, Rs. C-22/11, ECLI:EU:C:2012:604 – Finnair ............. 438, 456, 464, 465 EuGH 13.12.2012, Rs. C-215/11, ECLI:EU:C:2012:794 – Szyrocka ................................ 63 EuGH 17.1.2013, Rs. C-206/11, ECLI:EU:C:2013:14 – Köck ............................................................................... 516, 523, 526 f., 529, 530, 531 EuGH 31.1.2013, Rs. C-12/11, ECLI:EU:C:2013:43 – McDonagh ..........................................................................441, 449, 452, 465, 466, 484 EuGH 21.2.2013, Rs. C-472/11, ECLI:EU:C:2013:88 – Banif Plus Bank .......................................................................... 6, 25, 26, 42 f., 68, 565 EuGH (Große Kammer) 26.2.2013, Rs. C-11/11, ECLI:EU:C:2013:106 – Folkerts ...................................................................... 438, 439 EuGH 28.2.2013, Rs. C-460/09 P, ECLI:EU:C:2013:111 – Inalca ................................. 620 EuGH 28.2.2013, Rs. C-334/12 RX-II, ECLI:EU:C:2013:134 – Jaramillo .................................................................................................................. 628 EuGH 14.3.2013, Rs. C-420/11, ECLI:EU:C:2013:166 – Leth ......................... 94 f., 145, 155, 156, 161, 206, 399, 514, 533, 539 f., 557, 592, 608 EuGH 21.3.2013, Rs. C-92/11, ECLI:EU:C:2013:180 – RWE Vertrieb ....................... 251 f. EuGH 11.4.2013, Rs. C-260/11, ECLI:EU:C:2013:221 – Edwards ............................. 497 f. EuGH (Große Kammer) 16.4.2013, Rs. C-202/11, ECLI:EU: C:2013:239 – Las ....................................................................................................55 f. EuGH (Große Kammer) 16.4.2013, verb. Rs. C-274/11 und C-295/11, ECLI:EU:C:2013:240 – Spanien/Rat................................................................. 113, 124 EuGH 18.4.2013, Rs. C-565/11, ECLI:EU:C:2013:250 – Irimie.................. 247 f., 631, 633 EuGH 25.4.2013, Rs. C-81/12, ECLI:EU:C:2013:275 – Accept ............... 40, 41, 67, 68, 94, 223, 398, 512, 513, 522, 528, 542, 566, 567, 587, 625 EuGH (Große Kammer) 28.5.2013, Rs. C-239/12 P, ECLI:EU:C: 2013:331 – Abdulrahim ......................................................................................... 597 f.
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EuGH 30.5.2013, Rs. C-604/11, ECLI:EU:C:2013:344 – Genil 48 SL..................................................................................251 f., 276, 497 f., 514 EuGH 6.6.2013, Rs. C-536/11, ECLI:EU:C:2013:366 – Donau Chemie ................................................................ 101 f., 151, 162, 163, 164, 229 EuGH 19.9.2013, Rs. C-579/12 RX-II, ECLI:EU:C:2013:570 – Strack ....................... 100 f. EuGH 26.9.2013, Rs. C-418/11, ECLI:EU:C:2013:588 – Texdata Software .......................................................................... 34, 42, 68, 623 f., 624 EuGH 26.9.2013, Rs. C-509/11, ECLI:EU:C:2013:613 – ÖBB Personenverkehr ......................................................347 f., 349 f., 433, 459 f., 460 EuGH 3.10.2013, Rs. C-32/12, ECLI:EU:C:2013:128 – Duarte Hueros ............................................ 25, 63 f., 64, 67, 68, 71, 74, 75, 83, 84, 85 f. EuGH (Große Kammer) 3.10.2013, Rs. C-583/11 P, ECLI:EU:C: 2013:625 – Inuit Tapiriit Kanatami............................................................................. 71 EuGH 24.10.2013, Rs. C-277/12, ECLI:EU:C:2013:685 – Drozdovs ................................................................................... 123, 589, 597, 600, 613 EuGH 24.10.2013, Rs. C-22/12, ECLI:EU:C:2013:692 – Haasová ................. 589, 597, 600 EuGH 5.12.2013, Rs. C-413/12, ECLI:EU:C:2013:800 – ACICL ..................................... 88 EuGH 19.12.2013, Rs. C-174/12, ECLI:EU:C:2013:856 – Hirmann ........................... 101 f., 121, 122, 252, 271, 276, 306, 514, 540, 542, 580, 583 EuGH 19.12.2013, Rs. C 209/12, ECLI:EU:C:2013:864 – Endress .................. 254 f., 274 f. EuGH (Große Kammer) 15.1.2014, Rs. C-176/12, ECLI:EU:C:2014:2 – Association de médiation sociale ..................................................... 56 f., 57 f., 59, 517, EuGH 16.1.2014, Rs. C-429/12, ECLI:EU:C:2014:12 – Pohl ......................................... 626 EuGH 23.1.2014, Rs. C-371/12, ECLI:EU:C:2014:26 – Petillo ............ 123, 595 f., 596, 599 EuGH 13.2.2014, Rs. C-479/12, ECLI:EU:C:2014:75 – Gautzsch .................................. 619 EuGH 27.2.2014, Rs. C-396/12, ECLI:EU:C:2014:98 – van der Ham ............................ 573 EuGH 27.3.2014, Rs. C-565/12, ECLI:EU:C:2014:190 – LCL Le Crédit Lyonnais................................... 39, 40, 41, 42 f., 279, 506, 507, 508, 542 EuGH 30.4.2014, Rs. C-26/13, ECLI:EU:C:282 – Kásler ...................................... 296, 352 EuGH 5.6.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 – Kone .............. 151, 152, 157, 160, 162, 163, 169, 170, 174, 176, 182 f., 184, 185, 186, 187, 188, 189, 190, 203 f., 204, 229, 230, 605, 606, 607, 608, 609 EuGH 17.9.2014, Rs. C-562/12, ECLI:EU:C:2014:2229 – Liivimaa Lihaveis ....................................................................................................... 71 EuGH 20.11.2014, Rs. C-310/13, ECLI:EU:C:2014:2385 – Novo Nordisk ......................................................................................................... 369 f. EuGH 26.11.2014, verb. Rs. C-22/13, C-61/13 bis C-63/13 und C-418/13, ECLI:EU:C:2014:2401 – Mascolo ................................................................ 40, 43, 510 EuGH 18.12.2014, Rs. C 449/13, ECLI:EU:C:2014:2464 – CA Consumer Finance ...............................................................................279, 287, 506 EuGH 5.3.2015, verb. Rs. C-503/13 und C-504/13, ECLI:EU:C:2015:148 – Boston Scientific ................................................ 131, 367, 374, 379, 381, 382, 383, 400, 401, 402, 403, 404, 405, 421, 422, 585 EuGH 16.4.2015, Rs. C-388/13, ECLI:EU:C:2015:225 – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság .............................................................42, 258, 462 EuGH 29.4.2015, Rs. C-148/14, ECLI:EU:C:2015:287 – Nordzucker .............................. 42 EuGH (Große Kammer) 5.5.2015, Rs. C-146/13 und C-147/13, ECLI:EU:C:2015:298 – Spanien/Parlament und Rat ......................................... 113, 124 EuGH 21.5.2015, Rs. C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 – CDC .................................. 61, 62
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EuGH 4.6.2015, Rs. C-497/13, ECLI:EU:C:2015:357 – Faber........... 64, 74, 97 f., 563, 623 EuGH 16.7.2015, Rs. C-255/14, ECLI:EU:C:2015:475 – Chmielewski ............................ 42 EuGH 29.10.2015, Rs. C-8/14, ECLI:EU:C:2015:731 – Peñalva López ...................................................... 69, 621, 622, 623, 624, 625, 627, 629 EuGH 26.11.2015, Rs. C-166/14, ECLI:EU:C:2015:779 – MedEval ........... 122, 625, 628 f. EuGH 3.12.2015, Rs. C-312/14, ECLI:EU:C:2015:794 – Banif Plus Bank .................................................................................... 251 f., 276, 498 EuGH 3.12.2015, Rs. C-338/14, ECLI:EU:C2015:795 – Quenon ......... 581, 587 f., 602, 613 EuGH 10.12.2015, Rs. C-350/14, ECLI:EU:C:2015:802 – Lazar ................................... 352 EuGH 17.12.2015, Rs. C-407/14, ECLI:EU:C:2015:831 – Camacho ............................................................. 81, 508, 510, 542, 551, 585, 586, 602, EuGH 17.2.2016, Rs. C-429/14, ECLI:EU:C:2016:88 – Air Baltic ............................................................................434, 435, 449, 454, 455, 456 EuGH 17.3.2016, verb. Rs. C-145/15 und C-146/15, ECLI:EU:C:2016: 187 – Ruijssenaars ....................................................................................459, 460, 461 EuGH 21.4.2016, Rs. C-377/14, ECLI:EU:C:2016:283 – Radlinger............................................................. 25 f., 70, 83 f., 85, 277, 279, 296, 506 EuG 26.2.1992, verb. Rs. T-17/89, T-21/89 und T-25/89, Slg. 1992, II-293 – Brazzelli Lualdi ............................................................................. 246 f., 631 f. EuG 18.9.1992, Rs. T-24/90, Slg. 1992, II-2223 – Automec ........................ 150, 153 f., 209 EuG 18.9.1995, Rs. T-168/94, Slg. 1995, II-2627 – Blackspur ....................................... 605 EuG 28.4.1998, Rs. T-184/95, Slg. 1998, II-667 – Dorsch Consult ........................ 160, 605 EuG 9.7.1999, Rs. T-231/97, Slg. 1999, II-2403 – New Europe Consulting ......................................................................................... 597 f. EuG 6.3.2001, Rs. T-77/99, Slg. ÖD 2001, II-293 – Ojha .............................................. 227 EuG 28.2.2002, Rs. T-68/95, Slg. 2002, II-1011 – Compagnie générale maritime .................................................................................. 171 EuG 27.11.2003, verb. Rs. T-331/00 und T-115/01, Slg. ÖD 2003, II-1479 – Bories ....................................................................................................... 223 EuG 25.5.2004, Rs. T-154/01, Slg. 2004, II-1493 – Distilleria Palma/Kommission .................................................................................12 f. EuG 17.3.2005, Rs. T-160/03, Slg. 2005, II-981 – AFCon ............................................. 222 EuG 17.5.2006, Rs. T-241/03, ECLI:EU:T:2006:129 – Marcuccio................................. 227 EuG 9.9.2008, Rs. T-212/03, Slg. 2008, II-1967 – MyTravel Group/Kommission: ....................................................................... 145 f., 158 EuG 8.11.2011, Rs. T-88/09, Slg. 2011, II-7833 – Idromacchine .............................................117, 158 f., 584, 586 f., 587, 597 f., 600, 631 EuG 29.4.2015, Rs. T-217/11, ECLI:EU:T:2015:238 – Staelen ........................ 397 f., 605 f. EFTA-Gerichtshof 13.6.2013, Rs. E-11/12 – Swiss Life ............................... 51, 250 ff., 276 EFTA-Gerichtshof 21.12.2012, Rs. E-14/11, EFTA Court Report 2012, 1178 – Schenker .............................................................................................. 162 EuGÖD 11.7.2013, Rs. F-9/12, ECLI:EU:F:2013:116 – CC/Parlament.......................... 221
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II. Deutsche Gerichte BVerfG 26.9.2011, 2 BvR 2216/06, EuZW 2012, 196 .......................................59, 110, 520 BGH 7.5.1956, III ZR 243/54, NJW 1956, 1234 ............................................................ 339 BGH 15.12.1970, VI ZR 120/69, BGHZ 55, 146............................................................ 417 BGH 7.1.1971, VII ZR 9/70, NJW 1971, 609................................................................. 134 BGH 5.7.1973, VII ZR 12/73, BGHZ 61, 118 – Bastel-Wettbewerb II ........................... 315 BGH 10.10.1974, VII ZR 231/73, NJW 1975, 40 ........................................................... 339 BGH 16.5.1980, V ZR 91/79, NJW 1980, 2187 ............................................................. 235 BGH 27.1.1981, VI ZR 204/79, BGHZ 79, 259 ............................................................. 389 BGH 1.4.1981, VIII ZR 51/80, NJW 1981, 2050 ........................................................... 295 BGH 23.9.1982, VII ZR 22/82, NJW 1983, 35 ............................................................... 339 BGH 9.7.1986, GSZ 1/86, NJW 1987, 50 ...................................................................... 227 BGH 16.12.1986, KZR 36/85, WuW/E BGH 2341 – Taxizentrale Essen .................................................................................................... 203 BGH 5.7.1989, VIII ZR 334/88, NJW 1989, 3222.......................................................... 287 BGH 9.5.1995, VI ZR 158/94, NJW 1995, 2162 ............................................................ 387 BGH 21.12.1995, VII ZR 286/94, NJW 1996, 1209 ....................................................... 233 BGH 6.6.1997, V ZR 115/96, NJW 1997, 2378 ............................................................. 235 BGH 21.4.1999, IV ZR 192–98, NJW 1999, 2741 ......................................................... 177 BGH 14.12.2000, III ZR 151/99, NVwZ 2001, 465 ........................................................ 156 BGH 4.4.2001, VIII ZR 32/00, NJW 2001, 2163 ........................................................... 315 BGH 6.4.2001, V ZR 394/99, NJW 2001, 2875 ............................................................. 307 BGH 9.4.2002, XI ZR 91/99, NJW 2002, 1882 .............................................................. 109 BGH 27.1.2004, XU ZR 37/03, NJW 2004, 1376 ........................................................... 294 BGH 9.11.2004, X ZR 119/01, RRa 2005, 12 = NJW 2005, 418 ..................... 338, 347, 348 BGH 11.1.2005, X ZR 118/03, NJW 2005, 1047...... 338, 339, 340, 341, 357, 358, 359, 363 BGH 8.3.2005, XI ZR 170/04, NJW 2005, 1579 ............................................................ 289 BGH 21.6.2005, VI ZR 238/03, NJW 2005, 2695 – Grillanzünder ................................. 368 BGH 28.6.2005, KRB 2/05, NJW 2006, 163 – Quotenkartell ......................................... 215 BGH 16.5.2006, XI ZR 6/04, NJW 2006, 2099 ............................... 267, 268, 299, 314, 578 BGH 19.9.2006, XI ZR 204/04, NJW 2007, 357 ............................................. 268, 299, 312 BGH 14.11.2006, XI ZR 294/05, GRUR 2007, 624 – PIN-gestützter Kontozugriff ...................................................................................... 118 BGH 19.6.2007, KRB 12/07, NJW 2007, 3792 – Papiergroßhandel ...................... 213, 226 BGH 6.11.2007, XI ZR 322/03, NJW 2008, 644 ............................................. 268, 312, 314 BGH 27.11.2007, X ZR 18/07, BeckRS 2008, 01230 – Hochwasserschutzanlage .................................................................................. 195, 222 BGH 26.2.2008, XI ZR 74/06, NJW 2008, 1585 = NZG 2008, 378 ................. 268, 299, 578 BGH 7.10.2008, X ZR 96/06, NJW 2009, 285 .............................................................. 444 BGH 14.10.2008, X ZR 15/08, NJW 2009, 358 ............................................................. 438 BGH 26.11.2008, VIII ZR 200/05, NJW 2009, 427 – Quelle.................................... 58, 110 BGH 17.3.2009, VI ZR 176/08, NJW 2009, 1669 – Kirschtaler ..................................... 392 BGH 16.6.2009, VI ZR 107/08, NJW 2009, 2952 .......................................................... 390 BGH 12.11.2009, Xa ZR 76/07, NJW 2010, 1070 ....................................................... 494 f. BGH 10.12.2009, Xa ZR 61/09, NJW 2010, 1526 .................................................. 441, 493 BGH 25.3.2010, Xa ZR 86/09, NJW-RR 2010, 164 ....................................................... 439 BGH 18.5.2010, X ZR 79/07, GRUR 2010, 817 – Steuervorrichtung ............................. 136
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Rechtsprechungsverzeichnis
BGH 26.5.2010, Xa ZR 124/09, NJW 2010, 2950 .......................................................... 343 BGH 30.9.2010, Xa ZR 130/08, NJW 2011, 599 ......................................... 329, 336 f., 337 BGH 5.10.2010, I ZR 4/06, GRUR 2011, 532 .................................................... 57 f., 516 f. BGH 22.3.2011, XI ZR 33/10, NJW 2011, 1949 ........................................................... 320 BGH 13.4.2011, VIII ZR 220/11, NJW 2011, 2278 ........................................................ 109 BGH 28.6.2011, KZR 75/10, NJW 2012, 928 – ORWI ................ 164, 168, 170 f., 177, 178, 179, 182, 191 f., 214, 216, 219, 229 f., 235, 236, 237 BGH 18.10.2011, VI ZR 17/11, NJW 2012, 50 .............................................................. 129 BGH 13.12.2011, BGHZ 192, 90 ..................................................................................... 88 BGH 21.12.2011, VIII ZR 70/08, NJW 2012, 1073 .................................................. 58, 110 BGH 28.3.2012, IV ZR 76/11, VersR 2012, 608 .............................................. 254 f., 274 f. BGH 17.4.2012, X ZR 76/11, NJW 2012, 2107 ............................................................. 361 BGH 24.4.2012, XI ZR 360/11, NJW 2012, 2266 .......................................................... 325 BGH 8.5.2012, XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 .............................................. 313, 316, 317 BGH 14.6.2012, IX ZR 145/11, NZG 2012, 866 .................................................... 129, 132 BGH 21.8.2012, X ZR 138/11, WM 2012, 2028 .................................................... 466, 468 BGH 17.10.2012, VIII ZR 226/11, NJW 2013, 220 ................................................ 109, 110 BGH 20.11.2012, XI ZR 415/11, BKR 2013, 68 ................................................. 311, 312 f. BGH 5.2.2013, VI ZR 1/12, NJW 2013, 1302 – Heißwasser-Untertischgerät ..................................................................................... 392 BGH 24.1.2013, III ZR 98/12, NJW 2013, 1072 ............................................................ 227 BGH 30.7.2013, X ZR 111/12, BeckRS 2013, 14698 .............................. 444, 451, 489, 490 BGH 7.5.2014, IV ZR 76/11, NJW 2014, 2646 .......................................... 58, 254 f., 274 f. BGH 30.9.2014, X ZR 126/13, NJW 2015, 553 .............................................. 487, 488, 489 BGH 18.8.2015, X ZR 2/15, BeckRS 2015, 14817 .............................................. 119, 443 f. BGH 17.9.2013, XI ZR 332/12, BKR 2014, 32 .................................... 251 f., 276, 510, 514 BGH 12.5.1998, KZR 23/96, NJW-RR 1999, 189, 190 – Depotkosmetik .......................................................................................................... 568 BGH 26.9.1997, V ZR 29/96, NJW 1998, 302 ............................................................... 588 BGH 2.11.2000, I ZR 246/98, GRUR 2001, 329 ............................................................ 593 BAG 18.9.2003, 2 AZR 79/02, NZA 2004, 375 ................................................. 84, 85, 567 OLG Frankfurt 9.12.1999, 16 U 66/99, NJW-RR 2002, 272 ........................................... 281 OLG Düsseldorf 28.5.2002, 20 U 30/02, RRa 2003, 14 .................................................. 362 OLG Celle 19.9.2002, 11 U 1/02, RRa 2002, 260 .......................................................... 360 OLG Düsseldorf 5.5.2004, VI-U (Kart) 29/03, U (Kart) 29/03, RdE 2005, 15 ................................................................................................................... 208 OLG Celle 9.9.2004, 14 U 32/04, NJW-RR 2004, 1673 .............................................. 451 f. OLG Bremen 2.3.2006, 2 U 20/02, NJW 2006, 1210 ...................................... 299, 300, 312 OLG Düsseldorf 27.6.2007, VI 2 U (Kart) 9/05, 2 U (Kart) 9/05, WuW/E DE-R, 2109 ................................................................................................. 211 OLG München 16.1.2008, 3 U 1990/07 ......................................................................... 503 OLG Köln 14.7.2008, 16 U 82/07, NJW-RR 2008, 1588 ................................................ 357 OLG Rostock 7.8.2008, 1 U 143/08, NJW-RR 2009, 346 ............................................... 292 OLG Celle 23.3.2009, 11 U 45/09, RRa 2009, 174......................................................... 290 OLG Düsseldorf 30.9.2009, VI-U (Kart) 17/08 (V), U (Kart) 17/08 (V), WuW/E DE-R 2763 ........................................................................................... 203
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KG 1.10.2009, 2 U 10/03 (Kart), WuW/E DE-R, 2773 – Berliner Transportbeton ...................................................................................... 181, 214 f., 216 KG 1.10.2009, 2 U 17/03, NJOZ 2010, 536 – Zementkartell .......................................... 213 OLG Karlsruhe 11.6.2010, 6 U 118/05 (Kart) ................................................................ 213 OLG Frankfurt 21.12.2010, 11 U 37/09, WuW/E DE-R 3163 ........................................ 216 OLG Celle 6.10.2011, 6 U 61/11, IBR 2012, 506 ........................................................... 233 OLG Düsseldorf 30.11.2011, VI-U (Kart) 14/11 ............................................................ 208 OLG Stuttgart 29.12.2011, 6 U 79/11, VuR 2012, 145 ................................................... 322 OLG Karlsruhe 31.7.2013, 6 U 51/12 (Kart), NZKart 2014, 366, 367 – Löschfahrzeuge ...................................................................................................... 214 f. OLG Frankfurt 16.4.2014, 16 U 170/13, NJW-RR 2014, 824 ......................................... 474 LG Frankfurt 20.8.1999. 2/21 O 6/99, 2-21 O 6/99, RRa 1999, 233 ............................... 360 LG Hannover 29.1.2003, 6 S 120/02, RRa 2003, 93 ....................................................... 357 LG Mannheim 11.7.2003, 7 O 326/02, GRUR 2004, 182, 184 – Vitaminkartell ........................................................................................................... 216 LG Dortmund 1.4.2004, 13 O 55/02, WuW/E DE-R, 1352 – Vitamine ........ 214 f., 216, 235 LG Frankfurt 5.6.2007, 2-24 S 44/06, 2/24 S 44/06, RRa 2007, 269 ............................ 475 f. LG Frankfurt 7.12.2007, 2-24 S 53/07, 2/24 S 53/07, RRa 2008, 76 ............................... 357 LG Frankfurt 30.4.2009, 2-24 S 136/08, 2/24 S 136/08, RRa 2009, 221 ......................... 292 LG Duisburg 24.9.2009, 12 S 154/08, RRa 2010, 53 ...................................................... 357 LG Berlin 1.6.2010, 16 O 525/08, WRP 2010, 1422 – Kreditkartengebühr ............................................................................................... 110 f. LG Darmstadt 2.3.2011, 7 S 95/10, RRa 2011, 134 ........................................................ 489 LG Darmstadt 23.11.2011, 25 S 142/11 ........................................................................ 281 LG Potsdam 22.10.2014, 2 O 29/14, WuW 2015, 287 – Pauschalierter Schadensersatz ......................................................................................................... 233 AG Baden-Baden 10.7.2009, 16 C 2/09, RRa 2009, 281 ................................................ 292 AG Emden 27.1.2010, 5 C 197/09, RRa 2010, 135 ........................................................ 456 AG Rostock 23.4.2010, 43 C 212/09, RRa 2010, 265 ............................................. 292, 309 AG Frankfurt 1.3.2011, 31 C 2177/10 (83), RRa 2011, 144 ........................................ 483 f. AG Leipzig 6.4.2011, 113 C 6263/10, RRa 2011, 120 .................................................... 292 AG Rüsselsheim 17.8.2011, 3 C 374/11 (36), RRa 2012, 24 .......................................... 487 AG Bremen 10.10.2011, 16 C 89/11, RRa 2012 ............................................................. 457
III. Internationale und ausländische Gerichte IGH ICJ Rep. 1950, 221, 229 – Interpretation of Peace Treaties [second phase] ........................................................................................................... 33 OGH 23.11.2004, 5 Ob 242/04 f, RRa 2005, 88 ............................................................. 347 OGH 18.9.2009, 6 Ob 142/09 i, ZVR 2010/97, 204 ....................................................... 292 OGH 18.9.2009, 6 Ob 231/08, RRa 2010, 46 ................................................................. 342 OGH 29.9.2009, 4 Ob 130/09k, RRa 2010, 97 ............................. 340, 347 f., 351, 358, 361 OGH 15.2.2011, 4 Ob 208/10g, Medien und Recht 2011, 41 – Fußballer des Jahres IV ........................................................................................ 58, 59 OGH 24.5.2011, 1 Ob 80/11p, RRa 2011, 261 ............................................................... 359 OGH 17.10.2012, 7 Ob 48/12b, WuW 2013, 453 ........................................................... 185
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Rechtsprechungsverzeichnis
OGH 17.6.2010, 2 Ob 45/10x, RRa 2010, 285 ............................................................... 357 OGH 23.1.2007, 2 Ob 79/06s, RRa 2008, 195 ................................................................ 357 Landesgericht Linz 2.5.2002, 15 R 5/00m, RRa 2002, 134 ............................................. 341 Cour de cassation 15.6.2010, N° 09-15816 – Doux Aliments v. Ajinomoto Eurolysine .................................................................... 216 Swift v. Tyson, 41 U.S. 1 (1842) ......................................................................................... 9 Davis v. Wechsler, 263 U.S. 22, 24 (1923) .................................................................... 33 f. Erie v Tompkins, 304 U.S. 64, 78 (1938)............................................................................ 3 Testa v. Katt, 330 U.S. 386, 394 (1947) ........................................................................ 33 f. 2 Travel Group Plc (in liquidation) v Cardiff City Transport Services Limited [2012] CAT 19 ............................................................................................. 165 BCL Old Co Limited and others v BASF plc and others [2012] UKSC 45 .....................................................................................................85, 241, 242 Deutsche Bahn v Morgan Crucible [2014] UKSC 24 ..................................................... 243 Hone v Going Places Leisure Travel Limited [2001] EWCA Civ 947 .......................... 346 f. Gouldbourn v Balkan Holidays Ltd [2010] EWCA Civ 372 ........................................... 348 Arbetsdomstolen 2.12.2009, AD 2009:89 .................................................... 502 f. 503, 518 hungsverzeichnis
Sachverzeichnis
Sachverzeichnis Sachverzeichnis Abschöpfung 134, 137 f., 544 Aktivlegitimation 170 ff., 298 f., 343, 383, 454 ff., 555 ff. – Abgrenzung zur Initiativberechtigung 118 – Abnehmer von Kartellaußenseitern 184 – Anleger, Arbeitnehmer (Kartell) 191 – individualschützende Normen 563 ff. – kollektivschützende Normen 565 ff. – mittelbare Abnehmer (Kartell) 177 – Präventionsfunktion 551 – unmittelbare Abnehmer (Kartell) 176 – Verbände 193 – Wettbewerber (Kartell) 190 – wettbewerbsschützende Normen 568 ff. allgemeine Grundsätze des Unionsrechts 12 ff. Antidiskriminierungsrecht – behördliche Durchsetzung 526 – immaterielle Schäden 597 – kollektivschützende Normen 565 ff. – Prävention 542 – Schadenshöchstgrenzen 612 – Schadensumfang 586 – ungeschriebene Schadensersatzansprüche bei Richtlinien 508 ff. – Verschulden als Haftungsvoraussetzung 194, 574 Anwendungsvorrang 9, 18 ff. Äquivalenzgebot – Abgrenzung zum Effektivitätsgebot 51 ff. – Inhalt 24, 26, 51 ff. – Kartelldeliktsrecht 152 – Kausalität 230, 316 – mitwirkende Verursachung 319 – Schadensumfang 205, 211 Äquivalenzinteresse 142
Ausgleichsfunktion 165, 551 ff. siehe auch Kompensationsfunktion Ausschlussfristen 237 ff., 323 f., 366 f., 428 ff., 492 f., 618 ff. – Beginn der Frist 625 ff. – Dauer der Frist 621 ff. – im geschriebenen Unionsrecht 618 ff. – Kontextabhängigkeit 628 ff. Begrenzung des Schadensersatzanspruches 233 ff., 321 ff., 364 ff., 424 ff., 485 ff., 612 ff. – in AGB 321 – Einwand der Schadensabwälzung 235 – Folgeschäden 485 – gesetzliche 233, 321, 364, 424, 485, 612 – der Höhe nach 359, 449, 474, 485, 590, 612 – für Hoheitsträger 158 – durch internationale Übereinkommen 357, 364 – Mitverschulden 232, 320, 423, 481 – für Nicht-Körperschäden 334, 365 – privatrechtsimmanente 159 – Selbstbehalt 405, 590 – Schadenspauschalierung 233 – vertragliche 233, 321, 365, 427, 486, 614 – Verschuldensgrad 588, 591 – Vorteilsausgleichung und Bereicherungsverbot 234, 322, 366, 486, 616 – zeitliche 14, 374, 430 Begründung des Schadensersatzanspruches 116, 150, 253, 500 Belehrungsmängelhaftung 263, 303, 310 Bereicherungsausgleich – Abgrenzung zum Schadensersatz 133
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Sachverzeichnis
Bereicherungsverbot 234, 322, 366, 486, 616 – Disposition der Mitgliedstaaten 68, 166 – Funktionen des Schadensersatzanspruches 551 Beseitigungsanspruch (Abgrenzung zum Schadensersatz) 138 Betroffenheit 556 Beweislastumkehr 138, 316, 346, 511 Derogation durch Sekundärrecht 524, 538 Differenzhypothese 129, 207, 588 Durchsetzung siehe Rechtsdurchsetzung Durchsetzungsverpflichtung 18 ff. Effektivitätsgrundsatz – Abschreckung 38, 44 – Abgrenzung zum Äquivalenzgrundsatz 51 – allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts 17 – Anwendungsvoraussetzungen 54 – begrenzende Wirkung 76 – begründende Wirkung 77 – effektiver Rechtsschutz 45 – Grundlage 33 – Herleitung 34 – Inhalt 54 – Initiativberechtigung, individuelle 60 – Kompetenz 26 – Kontextabhängigkeit 66, 197, 300 – Kriterien der Effektivität 63 – Rechtsfolgen 80 – Reichweite 54 – Verhältnis zum allgemeinen Effektivitätsgebot 47 – unmittelbare Wirkung 59, 81 – unvollständige Regelung 60 – Wirkungsweise 75 Fluggastrechteverordnung 433 ff. Folgeabnehmer 177, 217, 234 funktionale Subjektivierung 555 Funktionen des Schadensersatzes – geordnete Rechtspflege 378 – Handelserleichterung 342, 374 – Kompensation 162, 293, 338, 449, 539 – Prävention 162, 295, 341, 380, 452, 541 – Produktinnovation 379
– Rechtsdurchsetzung 297, 541 – Sanktion 296 f., 453, 554 – Verbraucherschutz 297, 338, 372 Gefährdungshaftung 385, 462 Geistiges Eigentum siehe Immaterialgüterrecht Geldbußen 200, 461, 594 Gerechtigkeit 1 Gewinn – entgangener 592 – Verletzergewinn 594 f. Grundfreiheiten 28, 502 immaterieller Schaden 226, 309, 355, 415, 473, 595 – Bereicherungsrecht 137 – entgangene Urlaubsfreude 338 – Handelserleichterung 356, 376 – Kausalität 481 – Präventionsfunktion 544, 552 – Schadenspauschale 594 – verlorene Marktchancen 221 – Verspätung 444 Immaterialgüterrecht 5, 543, 570, 594, 619 – Aktivlegitimation 570, 572 – Binnenmarktkompetenz 29 – entgangener Gewinn 592 – Individualschutz 564 – immaterieller Schaden 600 – Kollektivschutz 565 – Kompensation 586 – Schadensersatzfunktion 543 – Schadenspauschale 553 – Unterlassung 141, 534 – Verletzergewinn 224, 594 – Verschulden 575 – Vertragliche Haftung 119 indirekter Vollzug von Unionsrecht 20 Individualschutz 249, 281, 505, 563, 635 Informationspflichten, verbrauchervertragliche 249 Initiativberechtigung siehe Aktivlegitimation Innovation (und Produkthaftung) 379 Irreführungsverbot 290, 345, 528 Kartelldeliktsrecht 149
Sachverzeichnis Kartellaußenseiter 160, 166, 184, 551, 571, 612 Kausalität 229, 310, 360, 417, 479, 603 – adäquate 185, 608 – äquivalente 607 – Begrenzung 190, 607 – conditio sine qua non 607 – Effektivitätsgrundsatz 160, 176, 190, 604 – europäischer Kausalitätsbegriff 186, 604 – Kausalzusammenhang 179, 607 – kumulative 423, 607 – nationaler Kausalitätsbegriff 160, 291, 371, 604 – Schutzzweck der Norm 187, 608 – überholende 424, 607 – vermutete 552, 595 – Vorhersehbarkeit 608 Kohärenz 2, 89, 100, 106, 364 Kompensationsfunktion 162, 215, 293, 338, 450, 539 Kompetenz der Union 26 Körperschäden 402, 589 – gesetzliche Begrenzung 401, 485, 613 – Gefährdungshaftung 463 – Höchstgrenze 400 – mitwirkende Verursachung 363 – Psychische Beeinträchtigungen 471 – Schmerzensgeld 599 – Vermögensfolgeschäden 412 – vertragliche Begrenzung 321, 354, 614 Lauterkeitsrecht – Aktivlegitimation 191, 298, 561, 568 – Informationspflichten 256, 275, 306 – Primärrechtsschutz 535 – Produkthaftung 385 – Rechtsdurchsetzung 528 – Sekundärrechtsschutz 538 – Verletzergewinn 225 Mitwirkungspflicht 36 Marktverwirrung 600 Marktverhaltensregel 297, 547, 568, 570, 594 Marktsimulation 593 Mitverschulden siehe Mitverursachung Mitverursachung 231, 319, 361, 422, 481, 609
699
Mommsen, Friedrich 129 Naturalrestitution 208, 301, 353, 399, 469, 583 passing-on defence siehe Schadensabwälzung Präventionsfunktion 162, 295, 342, 380, 452, 541 – Rechtsdurchsetzung 275, 522, 541 – Schadensbestimmung 229, 304, 310, 479, 595, 603 – Verhältnis zur Kompensation 549 Preisschirmeffekt 169, 184, 203, 571, 612 Primärrechtsschutz 532 – ergänzender 533 – ersetzender 535 – Mitverschulden 232 – Staatshaftung 245, 626 – Vertragserfüllung 139 – Vorrang 524, 538 – Wahlfreiheit 197, 509, 528 Produkthaftung 367 Prozessrecht 534 pauschalisierte Schadensersatzansprüche – immaterielle Schäden 341, 463, 594 – Präventionsziel 453, 553, 635 – Rechtssicherheit 481 – Strafversprechen 340, 358 – unterstellter Schaden 477, 596 – vertragliche Begrenzung 233 Recht des geistigen Eigentums siehe Immaterialgüterrecht Rechtsdurchsetzung – Aktivlegitimation 118, 345, 384, 555 – behördliche 526 – Effektivitätsgrundsatz 1, 16, 93, 107 – europäische Vorgaben 16 – Kosten 472 – nationale 6, 20 – Schadensersatzfunktionen 162, 297, 541, 635 Rechtsirrtum – Belehrungsmängelhaftung 299 – Kartelldeliktsrecht 199 – Verschuldenshaftung 196, 201, 299, 578 Rechtsnatur von Schadensersatzansprüchen 151, 440
700
Sachverzeichnis
Rechtsangleichung 27, 109, 327 Rechtsvereinheitlichung 111, 433, 580 Sachschäden – Auslegung 401, 405 – gesetzliche Begrenzung 424, 591 – gewerbliche Nutzung 375, 384, 408, 412 – Schadenskompensation 374, 393, 396, 405 – Selbstbehalt 369, 373, 378, 424, 590, 613 – vertragliche Haftungsbeschränkung 355, 410, 616 Schadensabwälzung 177, 216, 231, 551, 616 Schadensbegriff – Definition 125, 579 – Differenzhypothese siehe Differenzhypothese – ersatzfähige Einbußen 127 – europäischer oder nationaler 205, 301, 351, 394, 468, 579 – Naturalrestitution oder Schadenskompensation 208, 301, 353, 399, 469, 583 Schadensersatz (Definition) 120 Schadenskompensation – Begrenzung des Schadensersatzes 424 – vs. Naturalrestitution 208, 301, 353, 399, 469, 583 – Primärrechtsschutz 534 – Selbstbeteiligung 591 – Unterlassungsanspruch 140, 568 – Verzinsung 325 – Verbraucherschutz 374 Schadenspauschale 341, 463, 594 Schadensumfang 211, 302, 353, 400, 470, 585 – immateriell 226, 309, 355, 415, 473, 595 – materiell 212, 303, 306, 354, 401, 470, 589 – überkompensatorisch 228, 310, 359, 417, 478, 602 Schutzzweck der Norm 480, 508, 515, 549, 551, 560, 592, 595, 608, 610, 617, 636 Sonderdeliktsrecht 118
Staatshaftungsanspruch 144, 197, 245, 320, 562, 626 Subsidiarität, Prinzip des Unionsrechts 31 umbrella pricing siehe Preisschirmeffekt ungerechtfertigte Bereicherung 138, 217, 322, 551, 617 ungeschriebene Schadensersatzansprüche 106, 150, 500 Unionsprivatrecht (Begriff) 142 unmittelbare Wirkung 81, 150, 185, 500, 515, 518 Unterlassungsanspruch 138, 298, 531, 533, 537 Verbrauchervertragsrecht 108, 249, 378, 504 Verfahrensautonomie 9, 17, 35, 51, 65, 108 Verhältnismäßigkeitsprinzip 31, 44, 65, 299, 513 Verjährung siehe Ausschlussfristen Verletzergewinn 136, 224, 593 Vermögensschaden 163, 214, 307, 411, 560, 591 Vermögensfolgeschäden 359, 411, 590 Verschulden 193, 299, 345, 385, 462, 573 Versicherbarkeit 414, 425 Vertragsaufhebung 259, 288, 306, 584 Vertragshaftung 118 – Äquivalenzinteresse 142 Verzinsung 245, 324, 367, 432, 494, 631 – Zinsbeginn 633 – Zinshöhe 633 verlorene Marktchancen 220 Vorrang des Unionsrechts 9, 18 Vorteilsausgleichung siehe Bereicherungsverbot Wahlfreiheitsprinzip 276, 498 Werbung 250, 534 Wettbewerbsrecht 149, 618, 636 Widerrufsrecht 14, 253 Zersplitterung des Unionsprivatrechts 2, 87 Zinsen siehe Verzinsung Zurechnung 336, 361, 422, 431, 525, 612