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German Pages 411 Year 2013
Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Band 74
Materielle Beschlusskontrolle im Kapitalgesellschaftsrecht
Von
Benjamin Mayer
Duncker & Humblot · Berlin
BENJAMIN MAYER
Materielle Beschlusskontrolle im Kapitalgesellschaftsrecht
Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Herausgegeben von Professor Dr. Holger Fleischer, LL.M., Hamburg Professor Dr. Hanno Merkt, LL.M., Freiburg Professor Dr. Gerald Spindler, Göttingen
Band 74
Materielle Beschlusskontrolle im Kapitalgesellschaftsrecht Von
Benjamin Mayer
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat diese Arbeit im Jahre 2012 als Dissertation angenommen.
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© 2013 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1614-7626 ISBN 978-3-428-14205-7 (Print) ISBN 978-3-428-54205-5 (E-Book) ISBN 978-3-428-84205-6 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2013 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg als Dissertation angenommen. Sie wurde Anfang Juni 2012 fertiggestellt. Spätere Entwicklungen in Rechtsprechung und Literatur wurden in den Fußnoten noch bis Mitte Mai 2013 berücksichtigt. Es entspricht guter Übung, im Vorwort einer Dissertation all jenen Personen zu danken, die an der Entstehung der Arbeit Anteil hatten. Auch ich möchte dies tun. Mein besonderer Dank gilt zunächst Herrn Prof. Dr. Hanno Merkt, LL.M. (Univ. of Chicago), unter dessen Betreuung die Arbeit entstanden ist. Seine verlässliche, verständnisvolle und stets hilfsbereite Betreuung hat mir das Anfertigen der Arbeit wesentlich erleichtert. Danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. MarcPhilippe Weller für die rasche Erstellung des hilfreichen Zweitgutachtens. Den Herausgebern der vorliegenden Schriftenreihe, Herrn Prof. Dr. Gerald Spindler, Herrn Prof. Dr. Hanno Merkt, LL.M. (Univ. of Chicago), sowie Herrn Prof. Dr. Holger Fleischer, LL.M. (Univ. of Michigan), Dipl.-Kfm., danke ich für die Aufnahme in die Schriftenreihe. Ebenfalls nicht unerwähnt bleiben darf Herr Prof. Dr. Gregor Bachmann, LL.M. (Univ. of Michigan), an dessen Lehrstuhl ich während der Erstellung der Arbeit tätig sein durfte. Er hat mir die Freiheiten gewährt, die es bedurfte, um beim Verfassen der Arbeit voranzukommen. Sein Interesse an der Entwicklung der Arbeit hat mich stets motiviert. Beim Abschluss der Arbeit wurde mir vielfältige Hilfe zuteil. Dafür gebührt Matthias Buchen, Dr. Felix Hornfischer, Verena Mayer, Jan-Erik Schirmer, Prof. Dr. Roderich Thümmel, LL.M. (Harvard), von ganzem Herzen mein Dank. Besonders danken möchte ich meiner Freundin Caroline Thümmel. Sie hat nicht nur einen wesentlichen Teil der Arbeit Korrektur gelesen, sondern – vor allem – mich gerade auch in der Promotionsphase mit großer Verlässlichkeit und Loyalität ge- und ertragen. Meine Eltern, Ottmar und Barbara Mayer, haben mir während meiner gesamten Schul-, Studiums- und Promotionszeit auf jede nur erdenkliche Art und Weise zur Seite gestanden. Ohne diese einzigartige Unterstützung wäre mir vieles nicht möglich gewesen. Dafür und noch für vieles mehr sei ihnen diese Arbeit in großer Dankbarkeit gewidmet. Berlin, im Mai 2013
Benjamin Mayer
Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
Erster Teil Einleitung
32
§ 1 Der Interessenkonflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
§ 2 Das Mehrheitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
§ 3 Der Minderheitenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
§ 4 Materielle Beschlusskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
Zweiter Teil Das Sachgrunderfordernis
45
§ 5 Die Entstehung des Sachgrunderfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
§ 6 Einordnung und Bewertung des Sachgrunderfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
§ 7 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Dritter Teil Die Reichweite einer materiellen Beschlusskontrolle
108
§ 8 Theorie der gesetzlich vorgeprägten Beschlussgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . 110 § 9 Das umfassende Kontrollmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 § 10 Das vermögensorientierte Schutzkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 § 11 Das Gleichbehandlungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Vierter Teil Eigene Konzeption
221
§ 12 Dogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 § 13 Privatrechtliche Kontrolldogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252
10
Inhaltsübersicht
§ 14 Rechtstheorie und Methodik/Methodenprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 § 15 Systematik: Ergebnis/Zusammenfassung/Anschlussfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Anlass der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Themenbegrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27 27 29 29 30
Erster Teil Einleitung
32
§ 1 Der Interessenkonflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
§ 2 Das Mehrheitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Gesetzliche Grundlagen und Funktion des Mehrheitsprinzips . . . . . . . . . . . B. Rechtfertigung des Mehrheitsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Problematik des Mehrheitsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33 33 33 34
§ 3 Der Minderheitenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
§ 4 Materielle Beschlusskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Funktionen einer materiellen Beschlusskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Rechtsgrundlagen für eine materielle Beschlusskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Gebot der guten Sitten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Sondervorteilsverbot (§ 243 Abs. 2 AktG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Gleichbehandlungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39 39 40 40 41 42 43
Zweiter Teil Das Sachgrunderfordernis § 5 Die Entstehung des Sachgrunderfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die „Kali & Salz“-Entscheidung: BGHZ 71, 40 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entwicklung ungeschriebener materieller Beschlussanforderungen 2. Subsumtion, Darlegungs- und Beweislast, Beurteilungsspielraum . . 3. Weitere Anfechtungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45 45 45 45 46 46 47 48
12
Inhaltsverzeichnis B. Die Interpretation der „Kali & Salz“-Entscheidung in der Literatur . . . . . . I. Grundsätzliche Zustimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kritik und Fortentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Das Rechtsinstitut „Sachgrunderfordernis“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Etablierung des Sachgrunderfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kennzeichen des Sachgrunderfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48 48 49 50 50 50
§ 6 Einordnung und Bewertung des Sachgrunderfordernisses . . . . . . . . . . . . . . A. Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Europarechtliche Zulässigkeit des Sachgrunderfordernisses . . . . . . . . II. Europarechtliches Gebot einer Beschlussinhaltskontrolle . . . . . . . . . . III. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfassungsrechtliches Gebot einer Beschlussinhaltskontrolle . . . . . . II. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Sachgrunderfordernisses . . . . III. Ergebnis und Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Einfaches Gesetzesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Historische Gesetzgebungsmaterialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Berichts- und Begründungspflicht nach § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wortlaut und Teleologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Systematik und Genese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der erleichterte Bezugsrechtsausschluss: § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wortlaut und Normsystematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Teleologisch-funktionelle Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Genetische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. § 7 Abs. 3 Satz 4 Finanzmarktstabilisierungsbeschleunigungsgesetz D. Dogmatik: zur Grundlage des Sachgrunderfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . I. Position des Bundesgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Positionen im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Lehre vom institutionellen Rechtsmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Körperschaftliche Erklärungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beschlusskontrolle als immanente Stimmrechtsbegrenzung . . b) Funktional-rechtsgeschäftliche Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Treuepflicht der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Individualistische Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Methodik: Bindungs- statt Abwägungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Regel-Ausnahme-Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Methodenalternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51 51 51 53 55 56 56 57 59 59 60 60 60 60 62 63 63 63 64 65 67 67 67 69 69 69 69 71 72 74 76 76 76 80
Inhaltsverzeichnis
13
III. Methodische Fortwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Systematik: zur Bedeutung von § 255 Abs. 2 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Rechtstheorie: Primär- und Sekundärebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die zwei Entscheidungsebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Dogmatische und gesetzliche Ausgangslage bei Erlass des „Kali & Salz“-Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die primärrechtliche Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Primärrechtliche Interpretation der „Kali & Salz“- Entscheidung . . . V. Fortwirkungen der rechtstheoretischen Grundsatzentscheidung . . . . . H. Sachlich-inhaltliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Normativer Bewertungsmaßstab: das Gebot der Äquidistanz . . . . . . . II. Bewertung des Sachgrunderfordernisses anhand des Gebots der Äquidistanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gebot der Äquidistanz: beidseitige Interessenberücksichtigung . . a) Das „Kali & Salz“-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die literarische Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gebot der Äquidistanz: kein Regel-Ausnahme-Verhältnis . . . . . . . a) Konkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gebot der Äquidistanz: beiderseitige Grundrechtsberechtigung . . a) Privatrechtlicher Äquidistanzgedanke – eingriffsbasierte Verhältnismäßigkeitskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Transformation grundrechtlichen Denkens . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtfertigungsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Auswirkungen der sachlich-inhaltlichen Defizite des Sachgrunderfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Privatrechtliche Kontrolldogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Autonomer Regelungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Theoretische Basis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Autonome Deutung des Sachgrunderfordernisses . . . . . . . . . . . . . . II. Heteronomer Regelungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Theoretische Basis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Heteronome Deutung des Sachgrunderfordernisses . . . . . . . . . . . . . III. Privatrechtsdogmatische Fortwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81 82 84 84 85 87 88 90 91 91 93 93 93 95 96 96 96 98 98 99 101 103 103 104 104 104 105 105 106 106
§ 7 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Dritter Teil Die Reichweite einer materiellen Beschlusskontrolle
108
§ 8 Theorie der gesetzlich vorgeprägten Beschlussgegenstände . . . . . . . . . . . . . . 110 A. Darstellender Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
14
Inhaltsverzeichnis I.
Das Prüfungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Materielle Beschlusskontrolle anhand des Sachgrunderfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz: zweistufige Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abhängigkeitsbegründende Beschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Treuepflichtgestützte Missbrauchskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Finanzverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Liquidation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Weitere Beschlussgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Einordnender und bewertender Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Dogmatik: Sachgrunderfordernis und Treuepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Treuepflichtbasiertes Verständnis der herrschenden Lehre . . . . . . a) Grundsatz: umfassende Geltung der Treuepflicht . . . . . . . . . . . b) Erklärungsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erster Erklärungsversuch: Treuepflicht als Generalklausel bb) Zweiter Erklärungsversuch: Treuepflicht und Gesellschaftszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Methodik: das Bindungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der methodische Ansatz der gesetzlichen Vorprägungstheorie . . . 2. Methodenkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erster Kritikpunkt: Bindungsmodell ohne bindende Instanz . . aa) Der Gesetzgeber als bindende Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Gesetz als bindende Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zweiter Kritikpunkt: Methodenunehrlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . c) Dritter Kritikpunkt: Untauglichkeit des Bindungsmodells . . . . 3. Methodisches Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Sachlich-inhaltliche Bewertung: Gebot der Äquidistanz . . . . . . . . . . . 1. Gebot der Äquidistanz bei Sachgrund-Beschlussgegenständen . . . 2. Gebot der Äquidistanz bei freigestellten Beschlussgegenständen . . a) Die treuepflichtgestützte Missbrauchskontrolle als Regel-Ausnahme-Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Normative Bewertung: Gebot der Äquidistanz . . . . . . . . . . . . . . aa) Positivrechtlicher Gesichtspunkt: das Mehrheitsprinzip . . bb) Privatrechtstheoretischer Gesichtspunkt: die Richtigkeitsgewähr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Sozialpsychologischer Gesichtspunkt: die Linienstudien von Asch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit/Verrechnung von Gerechtigkeitsmaßstäben . . . . . . . . . . . . . . IV. Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
110 110 110 112 113 113 114 115 116 116 116 116 117 117 117 117 119 121 121 121 121 121 123 125 125 127 128 128 128 128 129 129 131 131 132 133
Inhaltsverzeichnis
15
1. Die kapitalgesellschaftsrechtliche Gestaltungsvielfalt . . . . . . . . . . . 2. Der kapitalgesellschaftsrechtliche Harmonisierungsgrundsatz . . . a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anerkennungsbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Systemwidrigkeit eines differenzierenden Ansatzes . . . . . . . . . . . . V. Privatrechtliche Kontrolldogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Autonomer Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Punktuelles Kontrollinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kontrollinstrument der Inhaltskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Heteronomer Regelungsumschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Rechtstheoretischer Standort: Primär- und Sekundärebene . . . . . . . . . 1. Der Standortwechsel von der Primär- zur Sekundärebene . . . . . . . 2. Rechtstheoretische Deutung der herrschenden Meinung . . . . . . . . 3. Rechtstheoretische Grundsatzkritik am Standortwechsel . . . . . . . . VII. Fazit zur herrschenden Vorprägungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
133 134 134 135 138 139 139 139 140 141 142 142 144 145 146
§ 9 Das umfassende Kontrollmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Darstellender Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Einordnender und bewertender Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einfaches Gesetzesrecht: § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG . . . . . . . . . . . . . . . III. Das kapitalmarktrechtliche Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsvergleichung: das schweizerische Vorbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Dogmatische Grundlage des Sachgrunderfordernisses . . . . . . . . . . . . . 1. Gesellschaftsrechtliche Treuepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Strukturgefälle und Machtkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Sachlich-inhaltliche Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzliche Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beurteilungsveränderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Freigabeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Systematik: keine „Umwegspressionen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Methodik: das Mikro-Abwägungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Privatrechtliche Kontrolldogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Autonomer Regelungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Heteronomer Regelungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Gestaltungsgrund-Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Ausübungskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Rechtstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Wiedemann’sche Rechtsmodell: der streng primärrechtliche Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
146 146 147 147 148 148 150 151 151 153 153 153 154 154 156 157 158 159 159 160 160 161 162 162
16
Inhaltsverzeichnis 2. Kritische rechtstheoretische Deutung des umfassenden Kontrollmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 3. Zusammenfassende Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 XI. Fazit zum umfassenden Kontrollmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
§ 10 Das vermögensorientierte Schutzkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Darstellender Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der aktienrechtliche Dualismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das vermögensbezogene Schutzsystem bei Hauptversammlungsbeschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die konkreten Kontrollmaßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Vermögensorientierte Konzeptionen im weiteren Schrifttum . . . . . . . B. Einordnender und bewertender Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Systembindungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das vermögensmäßig konzipierte Schutzsystem . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Ausgleichsklausel des § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG . . . . . . . b) Die Verwässerungsschutzklausel des § 255 Abs. 2 AktG . . . . c) Konzern- und umwandlungsrechtliche Ausgleichs- und Abfindungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Methodenkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der rechtstheoretische Standort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der streng sekundärrechtliche Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bewertung dieses Rechtsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vermögensschützende Zielrichtung der gesetzlichen Primärebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gründe für die vermögensschützende Zielrichtung der gesetzlichen Primärebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Regulierungsannahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Regulierungsanforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Regulierungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Bestätigung: die GmbH-rechtliche Primärebene . . . . . . . . . c) Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Systematik: das Zusammenwirken zweier Systemgedanken . . . . . . . . 1. Systembildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Systemkontrastierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Systemausspielung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Dogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Sachlich-inhaltliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Bindung an das Gesellschaftsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
166 166 166 166 167 168 168 168 170 170 170 171 172 173 174 174 174 175 175 175 175 176 176 178 179 179 179 181 183 184 185 185
Inhaltsverzeichnis
17
2. Die Beschlusskontrolle im Übrigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 VII. Privatrechtliche Kontrolldogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 C. Vermögenskonzeptionelle Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 I. II.
Vermögensbasierte Konzeptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Allgemeine konzeptionelle Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
§ 11 Das Gleichbehandlungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 A. Darstellender Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 I. II.
Der Gleichbehandlungsgrundsatz in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . 193 Der Gegenentwurf von Verse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
B. Einordnender und bewertender Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 I. Europarecht: Art. 42 Kapital-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 II.
Dogmatik: körperschaftliche Friktionen und Restriktionen . . . . . . . . . 200 1. Körperschaftliche Struktur des Gleichbehandlungsgrundsatzes . . 200 2. Konvergenz von Auslegungsergebnis und dogmatischer Grundstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 a) Funktionale Normstruktur vs. körperschaftlicher Willensbildungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 b) Tatbestandsseite: das Merkmal der Ungleichbehandlung . . . . . 202 aa) Körperschaftliche Zentripetalkraft – materielle Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 bb) Körperschaftliche Uniformität – materielle Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 cc) Körperschaftlicher Kontrollgegenstand – materielle Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 c) Rechtsfolgenseite: der Maßstab des Gesellschaftsinteresses . . 204 3. Bestätigung der körperschaftlichen Friktionen und Restriktionen . . 206 a) Historische Bedeutungslosigkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 b) Rechtsvergleichung: das französische Vorbild . . . . . . . . . . . . . . 207
III.
Sachlich-inhaltliche Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 1. Formal-restriktives Verständnis des Gleichbehandlungsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 2. Materielles Verständnis des Gleichbehandlungsgrundsatzes . . . . . 210
IV.
Systematik: gesetzlich vorgesehene Ungleichbehandlungen . . . . . . . . 213 Methodik und Rechtstheorie: das sekundärrechtliche Bindungsmodell 214 VI. Privatrechtliche Kontrolldogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 V.
1. Autonomer Ansatz: Inhaltskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 2. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 VII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
18
Inhaltsverzeichnis Vierter Teil Eigene Konzeption
221
§ 12 Dogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Körperschaftliche Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die körperschaftlichen Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Wesensargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Eingriffsargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Rechtsfolgenargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wortlauterwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Systematik des Beschlussmängelrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Teleologie/Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Historie/Dogmengeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Gleichbehandlungsargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Allgemeine Kritikpunkte an einer körperschaftlichen Konzeption . . . 1. Der Außenbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Schadensersatzhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesetzeswidrigkeit: § 243 Abs. 2 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beschlussmängelspezifische Kritikpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Aufgreifkriterium der Beschlusskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Gegenstand der Beschlusskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Kontrollmaßstab: das Gesellschaftsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . a) Kontrollgrundlagen des Gesellschaftsinteresses . . . . . . . . . . . . . b) Kritik am Kontrollmaßstab „Gesellschaftsinteresse“ . . . . . . . . . aa) Gegenständliches und inhaltliches Defizit . . . . . . . . . . . . . . bb) Ansatzimmanentes Kontrolldefizit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Historisch-organschaftliche Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Modern-judizielle Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Organisationales Defizit des Gesellschaftsinteresses . . . . . c) Funktionale Rechtfertigung des Gesellschaftsinteresses . . . . . . aa) Legitimations- und Klarstellungsfunktion des Gesellschaftsinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Steuerungsfunktion des Gesellschaftsinteresses (standard of conduct) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Individualistische Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
221 222 222 222 223 224 224 225 227 229 231 232 232 233 234 236 236 237 240 240 241 241 241 242 243 245 247
§ 13 Privatrechtliche Kontrolldogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Privatrechtsdogmatische Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Regelungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Regelungsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erstes Regelungsinstrument: Gestaltungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . .
252 252 252 252 252
247 249 250
Inhaltsverzeichnis
19
2. Zweites Regelungsinstrument: Ausübungskontrolle . . . . . . . . . . . . B. Erscheinungsformen der treuepflichtbasierten Stimmrechtsausübungskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die treuepflichtgestützte Verhaltenskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Methodischer Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die treuepflichtgestützte Zweckkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Methodischer Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die treuepflichtgestützte Belastungskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sachliche Gebotenheit einer treuepflichtgestützten Belastungskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abstrakte Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konkrete Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einwände gegen eine treuepflichtgestützte Belastungskontrolle . . a) Positivrechtlicher Einwand: § 243 Abs. 2 AktG . . . . . . . . . . . . . b) Kapitalgesellschaftsrechtsdogmatischer Einwand: Treuepflicht c) Privatrechtsdogmatischer Einwand: Ausübungskontrolle . . . . .
253
§ 14 Rechtstheorie und Methodik/Methodenprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Rechtsmethode: abstrakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsmethode und konzeptioneller Zwischen- und Erkenntnisstand II. Die Methode der rechtlich geleiteten Interessenabwägung . . . . . . . . . B. Die Rechtsmethode: konkret . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Erster Schritt: grobe Zusammenstellung des Abwägungsmaterials . . II. Gewichtung der widerstreitenden Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gewichtung der mehrheitlichen Veränderungsinteressen . . . . . . . . 2. Gewichtung der Interessen der Gesellschafterminderheit . . . . . . . . a) Gewichtung der Vermögensinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vermögensinteressen als finanzielle Kompensationsinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Primärrechtlicher Normenbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Nicht institutionalisierter Vermögensschutz . . . . . (b) Semi-institutionalisiertes Schutzkonzept . . . . . . . . (c) Institutionalisierter Vermögensschutz . . . . . . . . . . . (2) Rechtsanwendungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Die vermögensrechtlichen Probleme . . . . . . . . . . . (b) Gewichtungsveränderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vermögensinteressen als Beteiligungsinteressen . . . . . . . . . cc) Vermögensinteressen als Liquiditätsinteressen . . . . . . . . . . dd) Vermögensrechtliche Sicherheitsinteressen . . . . . . . . . . . . .
255 255 255 256 258 258 258 259 259 259 260 262 262 263 265 268 268 268 271 272 272 272 272 274 276 276 277 277 281 283 285 285 287 291 294 296
20
Inhaltsverzeichnis ee) Ergebnis der vermögensrechtlichen Betrachtung . . . . . . . . b) Gewichtung der Herrschaftsinteressen der Gesellschafterminderheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Abstraktes Gewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Konkreter Erfüllungsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Quantität und Qualität der Interessenbeeinträchtigung (2) Herrschaftsschützende Instrumente/Kompensation . . . III. Abwägung der widerstreitenden Interessen/Abwägung im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Mehrheitliche Veränderungsinteressen – Vermögensinteressen . . . a) Abwägung/Abwägungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wertungsparallelen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mehrheitliche Veränderungsinteressen – Herrschaftsinteressen . . a) Herrschaftsschützende Belastungskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . b) Differenzierungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Beschlussgegenstandsbezogene Differenzierung . . . . . . . . bb) Gesellschaftsbezogene Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Gesellschafterbezogene Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . IV. Abwägungsergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Ausgangsrechtssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wertungsparallelen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Das Methodenprodukt: die treuepflichtgestützte Belastungskontrolle . . . . . I. Materiell-rechtliche Seite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Tatbestand der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle . . . a) Erstes Tatbestandsmerkmal: Vorhandensein eines Bindungsgesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Normativer Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Organisationspsychologische Fortsetzung: organisationales Commitment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Normative Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Rezeption rechtsexterner Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . (2) Rechtsbegründung: die Merkmale des Bindungsgesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Beteiligungsquotenbezogenes Stufenmodell: abstrakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Beteiligungsquotenbezogenes Stufenmodell: konkret . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zweites Tatbestandsmerkmal: Beeinträchtigung der identifikatorischen Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
298 298 298 299 299 301 303 303 303 305 307 307 309 309 310 314 315 315 316 320 320 320 320 320 322 324 324 326 331 331 332 339 342
Inhaltsverzeichnis
II.
aa) Ausschluss vom Identifikationsobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Beseitigung des Identifikationsobjekts . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Teilausschluss/Strukturänderung des Identifikationsobjektes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Drittes Tatbestandsmerkmal: Beschlussablehnung des Bindungsgesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Rechtsfolge der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle . . a) Angemessenheitsgebot und Mikroabwägung . . . . . . . . . . . . . . . b) Struktur der rechtlich geleiteten Mikro-Interessenabwägung . . c) Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Sachkapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss . . . . . . . bb) „Übertragende Auflösung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prozessuale Seite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anfechtungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 243 AktG: Darlegungs-, Beweis- und Wertungslast . . . . . . . . b) § 245 AktG: Anfechtungsbefugnis und treuepflichtgestützte Belastungskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Freigabeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Freigabegrund der offensichtlichen Unbegründetheit . . . . . . . . b) Freigabegrund des vorrangigen Vollzugsinteresses der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 15 Systematik: Ergebnis/Zusammenfassung/Anschlussfragen . . . . . . . . . . . . . . A. Systematik des beschlussmängelrechtlichen Minderheitenschutzes . . . . . . . B. Systematische Anschlussfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kapitalgesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anfechtbarkeit von Entlastungsbeschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsschutz beim genehmigten Kapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Personengesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtspolitik: die große Reform des Beschlussmängelrechts . . . . . . .
21 343 344 348 351 353 353 355 357 357 358 360 360 360 364 367 367 369 372 372 374 374 374 375 376 377
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407
Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. ABl. Abs. Acad. Management Review AcP ADHGB a. F. AG AGB AktG Alt. Am. J. Sociol. Anh. Anm. AP Art. ARUG Aufl. AWV BAG BayObLG BB Bd. Begr. BetrVG BewG BezG BFH BGB BGBl. BGH BGHZ Bsp. BStBl.
anderer Ansicht am angegebenen Ort Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Academy of Management Review (Zeitschrift) Archiv für die civilistische Praxis Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch von 1861 alte Fassung Aktiengesellschaft; Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) Allgemeine Geschäftsbedingungen Aktiengesetz Alternative American Journal of Sociology (Zeitschrift) Anhang Anmerkung Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts Artikel Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechte-Richtlinie Auflage Verordnung zur Durchführung des Außenwirtschaftsgesetzes Bundesarbeitsgericht Bayerisches Oberstes Landesgericht Der Betriebsberater (Zeitschrift) Band Begründung Betriebsverfassungsgesetz Bewertungsgesetz Bezirksgericht Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Beispiel Bundessteuerblatt
Abkürzungsverzeichnis BT-Drucks. BVerfG BVerfGE BVerwGE bzw. Cass.com D. DAV DB ders. d.h. dies. DJT DStR EGAktG Einl. et al. etc. EUGH EWiR f., ff. FamFG
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Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts beziehungsweise Cour de cassation, chambre commercial Dalloz Deutscher Anwaltsverein Der Betrieb (Zeitschrift) derselbe das heißt dieselbe/dieselben Deutscher Juristentag Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Einführungsgesetz zum Aktiengesetz Einleitung et alii (und andere) et cetera Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) (fort-)folgende Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Festgabe Finanzmarktstabilisierungsgesetz Fußnote Festschrift Gazette du Palais Gewerbesteuergesetz Grundgesetz gegebenenfalls Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau (Zeitschrift) Großkommentar Handelsgesetzbuch herrschende Lehre herrschende Meinung Herausgeber
FG FMStGB Fn. FS Gaz. Pal. GewStG GG ggf. GmbH GmbHG GmbHR GroßKomm HGB h. L. h. M. Hrsg. Hum. Resource Management Rev. Human Resource Management Review (Zeitschrift) HV Hauptversammlung i. d. F. in der Fassung
24 insb. InsO InvG i.V. m. JCP jew. JfB Journal Vocat. Behaviour JW JZ KölnKomm KOM KoordG KStG KTS KWG LG LZ MünchHdB MünchKomm m.w. N. në NJW NJW-RR Nr. NZG OLG OR p. RegE Rev. jur. com. RG RGZ RL Rn. ROGHE S. sog. SpruchG StGB TVG
Abkürzungsverzeichnis insbesondere Insolvenzordnung Investmentgesetz in Verbindung mit Juris-classeur-périodique (Zeitschrift) jeweils Journal für Betriebswirtschaft Journal of Vocational Behaviour (Zeitschrift) Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Juristenzeitung (Zeitschrift) Kölner Kommentar Mitteilungen der Europäischen Kommission Gesellschaftsrechtliches Koordinierungsgesetz Körperschaftssteuergesetz Zeitschrift für Insolvenzrecht (Zeitschrift) Gesetz über das Kreditwesen Landgericht Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht (Zeitschrift) Münchner Handbuch Münchner Kommentar mit weiteren Nachweisen numero Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungsreport (Zeitschrift) Nummer Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht (Zeitschrift) Oberlandesgericht Obligationenrecht page Regierungsentwurf Revue juridiuqe commerciale Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Richtlinie Randnummer Entscheidungen des Reichsoberhandelsgerichts Satz; Seite sogenannte/r Spruchverfahrensgesetz Strafgesetzbuch Tarifvertragsgesetz
Abkürzungsverzeichnis u. a. UMAG UmwG u. v. m. vgl. Vorb. VwGO WM WpHG WpÜG z. B. ZfAO ZGR ZHR Ziff. ZIP ZPO zusf.
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und andere Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts Umwandlungsgesetz und viele mehr vergleiche Vorbemerkungen Verwaltungsgerichtsordnung Wertpapiermitteilungen (Zeitschrift) Wertpapierhandelsgesetz Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz zum Beispiel Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht (Zeitschrift) Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Zivilprozessordnung zusammenfassend
Einleitung A. Anlass der Untersuchung „Der Senat kommt daher zu dem Ergebnis, daß der Ausschluss des Bezugsrechts bei einer Kapitalerhöhung nur zulässig ist, wenn er [. . .] durch sachliche Gründe im Interesse der Gesellschaft gerechtfertigt ist. Die Prüfung, ob diese (ungeschriebene) sachliche Wirksamkeitsvoraussetzung erfüllt ist, schließt die im neueren Schrifttum geforderte Abwägung der Interessen und der Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck ein [. . .].“ 1 Diese Sätze hat der zweite Zivilsenat des Bundesgerichtshofs 1978 im „Kali & Salz“-Urteil ausgesprochen und damit ein neues Kapital im kapitalgesellschaftsrechtlichen Minderheitenschutz aufgeschlagen. Diese Sätze legten den Grundstein für ein Rechtsinstitut, das darstellerischer und konzeptioneller Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung ist: das Erfordernis sachlicher Rechtfertigung bzw. Sachgrunderfordernis2. Obwohl dieses Institut die gesellschaftsrechtliche Dogmatik seit nunmehr über dreißig Jahre beschäftigt hat, sind weder seine Grundlagen noch sein Anwendungsbereich geklärt. Die grundsätzlichen Unklarheiten wurden und werden im Schrifttum immer wieder beklagt3; Zöllner spricht in diesem Zusammenhang gar von einem „geheimnisvollen Sachgrunderfordernis“ 4. Bei diesen grundsätzlichen Unklarheiten kann es kaum verwundern, dass auch die Frage nach dem gegenständlichen Anwendungsbereich dieses Instituts bzw. der mit ihm verbundenen Beschlussinhaltskontrolle bis heute nicht abschließend, geschweige denn befriedigend gelöst ist. Zwei Beispiele hierfür mögen an dieser Stelle genügen: Nach gegenwärtiger Rechtslage (h. M.) unterliegt eine Kooperation zweier Unternehmen, die mittels einer regulären Sachkapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss vollzogen würde, einer recht strengen gerichtlichen Kontrolle, wogegen derselbe Zusammenschluss, würde statt des Bezugsrechtsausschlusses auf die wirtschaftlich austauschbaren Vorgänge der Verschmelzung oder Spaltung zurückgegriffen werden, von einer solchen Kontrolle weitgehend freigestellt wä1
BGHZ 71, 40, 46. Zur Terminologie sogleich. 3 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 310 („. . . daß im ganzen Bereich selbst die grundsätzlichen Fragen als weithin ungeklärt angesehen werden müssen.“); Hüffer, in: FS Fleck, S. 151, 168 („nicht voll bewältigte materiell-rechtliche Lage“); ders., in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 151 („materiell-rechtliche Beurteilung nicht genügend abgeklärt“); Fastrich, Funktionales Rechtsdenken, S. 25 („Grundlage und Berechtigung sind allerdings nach wie vor nicht geklärt.“); Boese, Anwendungsgrenzen, S. 2. 4 Zöllner, AG 2000, 145, 157. 2
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Einleitung
re5. Ebenso wenig kann es wertungsmäßig voll überzeugen, dass nach gegenwärtiger Rechtslage (h. M.) ein minimal beteiligter Aktionär, ein „squeeze-out-Kandidat“, bei einem Kapitalerhöhungsbeschluss, dem alle anderen Aktionäre zugestimmt haben, grundsätzlich eine gerichtliche Verhältnismäßigkeitskontrolle beanspruchen kann, der mit 25% an „seiner Gesellschaft“ beteiligte GmbH-Gesellschafter einer („übertragenden“) Auflösung durch die anderen Gesellschafter dagegen weitgehend schutzlos ausgeliefert sein soll6. Diese Ungereimtheiten sind mit ein Grund dafür, warum in der jüngeren Rechtsentwicklung eine deutliche Zurückhaltung gegenüber einer materiellen Beschlusskontrolle zu verzeichnen ist7; die Stimmen mehren sich, welche die Beschlusskontrolle auf eine bloße Missbrauchskontrolle reduzieren wollen8. An diesem Stand der Diskussion setzt die vorliegende Untersuchung an. Sie möchte einigen der mit dem Sachgrunderfordernis verbundenen Unklarheiten auf den Grund gehen und auf diese Weise die Basis für eine neue Deutung des Meinungsstandes zur Reichweite einer materiellen Beschlusskontrolle legen. Aufbauend auf den dabei gewonnenen Erkenntnissen soll dann auch ein eigener konzeptioneller Vorschlag unterbreitet werden. Ausdrücklich nicht beabsichtigt – und im gesteckten Rahmen wohl auch kaum möglich – ist es bei alldem, ein umfassendes Kompendium zum Thema „materielle Beschlusskontrolle“ vorzulegen. Das Anliegen und der Anspruch der vorliegenden Arbeit bestehen vielmehr darin, zu einem viel bearbeiteten Thema einige neue (systematisierende) Gedanken beizusteuern. Dabei wird der Nachweis zu führen sein, dass dieses Thema nicht, wie Hirte vermutet, „ausgeschrieben“ ist9, es sich im Gegenteil genau umgekehrt verhält: Die zunehmende Skepsis bis offene Ablehnung gegenüber dem Sachgrunderfordernis gibt – neben zahlreichen aktuellen Rechtsentwicklungen (Freigabeverfahren, kapitalmarktrechtlicher Einfluss etc.), die es in die Diskussion einzuarbeiten gilt – reichlich Anlass, über neue Kontrollkonzepte nachzudenken. So viel sei vorweggenommen: Die aus der Kritik am Sachgrunderfordernis gezogene Folgerung, es müsse generell mit einer bloßen Missbrauchskontrolle sein Bewenden haben, ist voreilig und wohl auch stark dem Zeitgeist geschuldet. Vielmehr gilt es, wie so oft, auch für die materielle Beschlusskontrolle eine mittlere, differenzierende Lösung zu finden. Die Kommentarliteratur fordert hierzu auf 10. Die vorliegende Untersuchung wird dies aufgreifen. 5
Ausführlich unten § 8 A. I., II. 4. Ausführlich unten § 8 A. I., § 8 B. III., IV., § 14 C. I. 2. c) bb). 7 Aus der Rechtsprechung BGHZ 136, 133 (Siemens/Nold). Weitere Nachweise unten § 8 A. I. 2. 8 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 310 ff., 356; Röhricht, ZGR 1999, 445, 469 ff., jew. bezogen auf die (börsennotierte) Aktiengesellschaft. 9 Hirte, NZG 2010, 58, 59. 10 Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 55; siehe auch K. Schmidt, in: GroßKomm/AktG, § 243 Rn. 45. 6
Einleitung
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B. Terminologie Die vorliegende Arbeit trägt den Titel „materielle Beschlusskontrolle“. Häufig werden unter diesem Begriff allein die im „Kali & Salz“-Urteil aufgestellten materiellen Beschlussanforderungen verstanden11. Dies ist insofern ungenau, als zu einer materiellen – also nicht bloß formellen, das Beschlussverfahren betreffenden – Überprüfung des Beschlusses neben dem durch das „Kali & Salz“-Urteil etablierte Sachgrunderfordernis zahlreiche weitere Instrumente (Sittengebot, Sondervorteilsverbot, Gleichbehandlungsgrundsatz, Treuepflicht) zur Verfügung stehen12. Die Bezeichnung „materielle Beschlusskontrolle“ verdeckt, dass sich die im „Kali & Salz“-Urteil aufgestellten materiellen Beschlussanforderungen in der weiteren Rechtsentwicklung zu einem eigenständigen Rechtsinstitut namens Sachgrunderfordernis bzw. Erfordernis sachlicher Rechtfertigung verfestigt haben und in dieser Form genauso zu einer inhaltlichen Überprüfung des Beschlusses führen wie etwa der Gleichbehandlungsgrundsatz oder die Treuepflicht13. Die vorliegende Arbeit versteht daher den Begriff „materielle Beschlusskontrolle“ als Oberbegriff, dem das Sittengebot, das Sondervorteilsverbot, der Gleichbehandlungsgrundsatz, die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht und eben auch das Sachgrunderfordernis bzw. Erfordernis sachlicher Rechtfertigung zuzuordnen sind.
C. Themenbegrenzung Die dargelegte Terminologie lässt die Weite des Themas „materielle Beschlusskontrolle“ bereits erahnen. Als „Grundsatzproblem des Gesellschaftsrechts“ hat der Gesetzgeber die Frage nach einer judiziellen Kontrolle von Gesellschafterbeschlüssen charakterisiert14. Diese gesetzgeberische Einschätzung trifft zu. Die Frage, ob und in welchem Umfang Mehrheitsbeschlüsse einer gerichtlichen Kontrolle unterliegen, weist Berührungspunkte zu zahlreichen anderen Rechtsgebieten auf (Europarecht, Verfassungsrecht, Kapitalmarktrecht, Konzern- und Umwandlungsrecht, Prozessrecht, Personengesellschaftsrecht, allgemeines Privatrecht, kollektives Arbeitsrecht), tangiert dogmatische (Theorie der juristischen Person), methodische (Konkretisierung von Generalklauseln, Methoden richterlicher Rechtsfortbildung) und rechtstheoretisches (Verhältnis Gesetzgebung – Rechtsprechung) Grundsatzfragen, erfordert weiter einen – wenigstens 11 Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 47 ff.; ders., AktG, § 243 Rn. § 243 Rn. 22 ff.; Henze, BB 1996, 489, 490 ff.; Binnewies, GmbHR 1997, 727 ff. 12 Zutreffend Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 37 Fn. 124; kritisch zu dieser Terminologie auch Zöllner, AG 2000, 145, 154 Fn. 91 („gewisse Verdunkelungen“). 13 Zum Verhältnis der einzelnen Instrumente vgl. unten § 4; speziell zum Verhältnis Treuepflicht – Sachgrunderfordernis unten § 9 A. II. 5.; speziell zum Verhältnis Treuepflicht und Gleichbehandlungsgrundsatz unten bei § 11 B. I. 14 BT-Drucks. 12/6699, Begr. zu § 13 UmwG, S. 86; siehe auch Goette, ZGR 2008, 436, 437 ff.
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Einleitung
knappen – rechtsvergleichenden und interdisziplinären Seitenblick und ist ohne Berücksichtigung der historischen Entwicklung nicht zu verstehen. Diese inhaltliche Weite bedingt thematische Einschränkungen, möchte man eine solche Untersuchung in einem überschaubaren Zeitraum zu Ende führen. Die vorliegende Untersuchung grenzt daher das Beschlussmängelrecht der Personengesellschaften zwar nicht gedanklich, wohl aber darstellerisch weitgehend aus15. Der Fokus liegt vielmehr auf den Kapitalgesellschaften, genauer: der Aktiengesellschaft und der GmbH. Ausgeklammert muss dabei aber die gerichtliche Kontrolle des Handelns des Geschäftsführungs- und Aufsichtsorgans bleiben. Seine inhaltliche Rechtfertigung findet dies in den grundlegenden strukturellen Unterschieden zwischen den verschiedenen Gesellschaftsorganen, die die Formulierung eines einheitlichen Verhaltensmaßstabs für alle Gesellschaftsorgane kaum zulassen16. Was schließlich die allein thematisierte Kontrolle des Handelns der Gesellschafterversammlung17 und die hierfür zur Verfügung stehenden Instrumente (Sittengebot, Sondervorteilsverbot, Gleichbehandlungsgrundsatz, Treuepflicht, Sachgrunderfordernis) betrifft, so liegt der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit zu Beginn der Untersuchung auf dem Erfordernis sachlicher Rechtfertigung. Denn das Sachgrunderfordernis markiert(e) das wichtigste Instrument der materiellen Beschlusskontrolle; die Debatte um die gerichtliche Beschlusskontrolle entwickelte sich denn auch um dieses Institut herum. Mit dieser Schwerpunktsetzung ist schließlich eine Einschränkung beschlussgegenständlicher Art verbunden. Die Diskussion um das Sachgrunderfordernis und seiner Reichweite drehte sich von Beginn an um Beschlüsse in Satzungs- und Strukturänderungs-angelegenheiten, insbesondere den Bezugsrechtsausschluss, den Auflösungsbeschluss, Konzernierungsbeschlüsse, Umwandlungsbeschlüsse u.Ä. Auf diese Beschlussgegenstände richtet sich – ohne allerdings eine Spezialuntersuchung der einzelnen Beschlussgegenstände zu intendieren – auch das Hauptaugenmerk der vorliegenden Untersuchung; Beschlüsse in Personal- und Geschäftsführungsangelegenheiten werden also nicht näher behandelt18.
D. Gang der Untersuchung Die vorliegende Arbeit gliedert sich in vier Teile. Der erste, knapp gehaltene Teil behandelt die Grundlagen der materiellen Beschlusskontrolle; er dient der 15 Vgl. dazu insbesondere BGHZ 170, 283 (Otto); K. Schmidt, ZGR 2008, 1 ff.; monographisch etwa Heinrichs, Mehrheitsbeschlüsse in Personengesellschaften (2006); knapp auch noch unten bei § 15. 16 Siehe dazu aber noch knapp unten bei § 10 A. IV. 1., B VIII 1, § 12 A. III. 3. b) ee), § 15. 17 Im Folgenden wird der Begriff Gesellschafterversammlung als Oberbegriff für die Hauptversammlung der AG und die „eigentliche“ Gesellschafterversammlung der GmbH verstanden. 18 Zur Kontrolle dieser Beschlussgegenstände Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 III 1 (S. 438 ff.), § 8 III 2 c (S. 449 f.); vgl. ferner unten § 13 B. I. u. II.
Einleitung
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Einführung in die Problematik einer gerichtlichen Beschlussangemessenheitskontrolle. Der zweite Teil der Arbeit ist dann dem Rechtsinstitut des „Sachgrunderfordernisses“ gewidmet. Dabei wird es vor allem darum gehen, dieses Institut anhand verschiedener Gesichtspunkte zu systematisieren, um auf diese Weise aufzuzeigen, inwiefern der Meinungsstand zur Reichweite der materiellen Beschlusskontrolle durch die „Kali & Salz“-Entscheidung und seine literarischen Interpretationen bereits vorgezeichnet war. Dieser Meinungsstand ist dann Gegenstand des ausführlichen dritten Teils der Arbeit. Im vierten Teil der Arbeit soll dann auf der Grundlage der im vorherigen Untersuchungsverlauf gewonnenen Erkenntnisse eine eigene Konzeption zur materiellen Beschlusskontrolle entwickelt werden. Der Gang der Untersuchung wird dabei maßgeblich von dem bereits angesprochenen Anliegen geprägt sein, die Diskussion um die materielle Beschlusskontrolle anhand verschiedener rechtswissenschaftlicher Kategorien zu systematisieren. Diese Kategorien sind die Bewertungskriterien der verschiedenen Auffassungen und bilden die Elemente der zu entwickelnden Konzeption. Ein solcher Ansatz birgt gewisse Risiken, die in der vorliegenden Untersung nicht immer zu vermeiden waren: Er bringt es mit sich, dass einzelne Passagen gelegentlich nur im Kontext mit anderen Kapiteln vollauf verständlich sind, kann mitunter zu gewissen Wiederholungen führen, macht es – insbesondere im ausführlich gewordenen vierten Teil der Arbeit (eigene Konzeption) – notwendig, mehrere Kapitel über eine längere Strecke im Zusammenhang zu lesen und führt bei alldem zu einer nicht unerheblichen Länge der Arbeit. Diese Nachteile wurden vorliegend in der Hoffnung in Kauf genommen, dass die von dem gewählten Ansatz erwarteten Vorteile – Rationalitätszuwachs, Steigerung der systematischen und konzeptionellen Klarheit, die Möglichkeit, vorgetragenen Argumenten auf den Grund zu gehen sowie Gedanken und schließlich im Besonderen die eigene Konzeption (vierter Teil) ausführlich zu entfalten und von Grund auf sowie Schritt für Schritt zu entwickeln – die Nachteile überwiegen werden. Ob dies der Fall ist, sei dem Urteil des Lesers überlassen. Dass dabei der Ansatz der Arbeit wie auch die darin befürworteten Ergebnisse bei dem einen auf mehr, bei dem anderen auf weniger Zuspruch stoßen werden, liegt in der Natur der Sache.
Erster Teil
Einleitung § 1 Der Interessenkonflikt Das Recht, so wissen wir seit Heck, entscheidet Interessenkonflikte1. In jeder Rechtsgemeinschaft ringen die verschiedensten Interessen um Anerkennung. Die Aufgabe des Normgebers besteht darin, diese Interessen aufzudecken, sie zu bewerten und sodann eine Entscheidung in Form einer Rechtsnorm zu treffen. Bei Rechtsnormen – seien es gesetzgeberische oder richterrechtliche – handelt es sich um die „Resultanten der in jeder Rechtsgemeinschaft einander gegenübertretenden und um Anerkennung ringenden Interessen“ 2, um normativ verfestigte Interessenbewertungen regelungsbedürftiger Interessenkonflikte3. Im Gesellschaftsrecht sind Interessenkonflikte besonders augenscheinlich. Regelungsgegenstand des Gesellschaftsrechts sind private Zweckverbände, Verbände, deren Zweck für gewöhnlich im Betrieb eines Wirtschaftsunternehmens besteht und denen in der Regel mehrere Personen angehören4. Ersteres erfordert Anpassung an veränderte wirtschaftliche Gegebenheiten, Letzteres erzeugt Abstimmungsbedarf der beteiligten Personen. Die Aufgabe des Gesellschaftsrechts besteht darin, die in einem solchen Personenverband auftretenden Interessenkonflikte zwischen den verschiedenen gesellschaftsrechtlichen Bezugsgruppen5 auszugleichen. Einer der klassischen Konflikte, mit denen es das Gesellschaftsrecht dabei zu tun bekommt, ist der Mehrheits-/Minderheitskonflikt6. Dabei treffen – insbesondere bei der Beschlussfassung über Satzungs- und Strukturänderungen – Veränderungsinteressen auf Bewahrungsinteressen7. Einige Gesellschafter erstreben eine Änderung des Status quo und beanspruchen hierfür rechtliche Akzep1 Ph. Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, AcP 112 (1914), 1 ff.; ders., Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz (1932). 2 Ph. Heck, AcP 112 (1914), 1, 17. 3 Ph. Heck, Begriffsbildung, S. 72 ff. 4 Siehe nur Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 1 I 1 (S. 3 ff.). 5 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 1 V 1 b (S. 84 ff.). 6 Vgl. Kraakman et al., The Anatomy of Corporate Law, S. 35 ff.; Goette, ZGR 2008, 436, 437 ff. Unter Gesellschaftermehrheit bzw. Gesellschafterminderheit werden im Folgenden diejenigen Gesellschafter verstanden, die bei einer konkreten Abstimmung obsiegt bzw. unterlegen haben, so auch Hofmann, Minderheitenschutz, S. 6 m.w. N. auch zu anderen terminologischen Ansätzen. 7 Zöllner, Schranken, S. 93 ff.
§ 2 Das Mehrheitsprinzip
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tanz, andere Gesellschafter möchten eine Veränderung ihrer mitgliedschaftlichen Rechte nicht hinnehmen und ringen dafür um rechtliche Anerkennung. Adressaten dieses Anerkennungsstrebens sind die Rechtsprechung und der Gesetzgeber.
§ 2 Das Mehrheitsprinzip A. Gesetzliche Grundlagen und Funktion des Mehrheitsprinzips Der Gesetzgeber scheint diesen Interessenkonflikt im Bereich der Kapitalgesellschaften zunächst recht eindeutig zu Gunsten der Veränderungsinteressen entschieden zu haben. Für Entscheidungen der Gesellschafterversammlung hat er nämlich die Verbindlichkeit der Mehrheitsentscheidung angeordnet (§§ 133 Abs. 1, 179 Abs. 2 AktG, §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 GmbHG, §§ 65 Abs. 1, 50 Abs. 1 UmwG). Die gesetzgeberische Entscheidung für das Mehrheitsprinzip ist die konsequente Folge des Leitbilds, welches den gesetzlichen Regelungen zur AG und auch zur GmbH zugrunde liegt. Anders als bei den Personengesellschaften geht der Gesetzgeber bei den Kapitalgesellschaften nämlich von einer nicht unbeträchtlichen Anzahl an Gesellschaftern aus8. Bei einer größeren Anzahl von Gesellschaftern aber ist Einstimmigkeit nur schwer bis gar nicht zu erreichen. Soll die Gesellschaft handlungsfähig bleiben, sich also veränderten wirtschaftlichen Umständen anpassen können, muss es daher möglich sein, Satzungs- und Strukturänderungen mehrheitlich und damit auch gegen den Willen einzelner Mitglieder zu beschließen. Die Funktion des Mehrheitsprinzips besteht also in der Gewährleistung der Handlungsfähigkeit der Gesellschaft9.
B. Rechtfertigung des Mehrheitsprinzips Dass die Verbindlichkeit der Mehrheitsentscheidung dabei nicht zu einer ständigen Übervorteilung der Minderheit führt, liegt in einem Charakteristikum privatrechtlicher Gesellschaften begründet10: Gesellschaften sind, wie eben bereits erwähnt, Zweckverbände – verschiedene Personen schließen sich in einer Gesellschaft freiwillig zusammen, um einen gemeinsamen Zweck, in der Regel den Betrieb eines Handelsunternehmens, zu verfolgen. Dieser gemeinsame Zweck steuert das Verhalten der Gesellschaftsorgane, in diesem gemeinsamen Zweck finden 8 Für die AG versteht sich dies aufgrund der ihr zugedachten Funktion als Kapitalsammelbecken von selbst, siehe Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 48 (unter speziell beschlussmängelrechtlichen Gesichtspunkten); für die GmbH: Entwurf eines Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung nebst Begründung und Anlagen, Amtliche Ausgabe (1891), S. 32. 9 Baltzer, Beschluß, S. 215; Boese, Anwendungsgrenzen; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 16 I 2 b (S. 452). 10 Zum Folgenden insbesondere Fastrich, Funktionales Rechtsdenken, S. 20 f.; ders., in: FS Kreutz, S. 585, 592 ff.
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1. Teil: Einleitung
sich die Gesellschafter. Ihre Interessen sind daher – jedenfalls der Theorie nach – gleichgerichtet. Jeder Gesellschafter ist gleichermaßen an der optimalen Förderung des Gesellschaftszwecks interessiert. Jede Entscheidung, welche den Gesellschaftszweck optimal fördert, nutzt allen Gesellschaftern. Umgekehrt schadet eine dem Gesellschaftszweck widersprechende Entscheidung allen Gesellschaftern gleichermaßen. In dieser Interessengleichrichtung aller Gesellschafter erblickt man heute ganz überwiegend die innere Rechtfertigung des kapitalgesellschaftsrechtlichen Mehrheitsprinzips11; das Mehrheitsprinzip erscheint gewissermaßen als „invisible hand“, welche der egoistisch motivierten Entscheidung der Gesellschaftermehrheit die Wirkung verleiht, zugleich Minderheitsinteressen zu fördern. Daneben verweist man, aus der Warte des einzelnen Minderheitsgesellschafters, auf den freiwilligen Beitritt zur Gesellschaft. Durch seine freiwillige Beteiligung an der Gesellschaftsgründung bzw. den freiwilligen Beteiligungserwerb habe der Minderheitsgesellschafter die Verbindlichkeit der Mehrheitsentscheidung akzeptiert, sich ihr gleichsam unterworfen12. Beide Erklärungen – Interessengleichrichtung der Gesellschafter sowie Freiwilligkeit des Beitritts – erweisen sich bei genauerer Betrachtung allerdings als problematisch.
C. Die Problematik des Mehrheitsprinzips Das Bild der „im gleichen Boot sitzenden Gesellschafter“ 13 ist ein Idealbild. In der Realität liegen die Dinge oft und nicht nur in Konzernverhältnissen anders14. Häufig ist ein Mehrheitsgesellschafter oder eine feste Gesellschaftergruppe konstanter Inhaber der Stimmrechtsmehrheit und kann daher ihre Vorstellungen von der Entwicklung der Gesellschaft ohne Weiteres durchzusetzen15. Der Verweis auf die Interessengleichrichtung der zweckverbundenen Mitglieder als Rechtfertigung des Mehrheitsprinzips büßt in diesen Fällen an Überzeugungskraft ein, dies weiter auch dann, wenn es, wie häufig bei Satzungs- und Struktur11 Fastrich, Funktionales Rechtsdenken, S. 20 f.; ders., in: FS Kreutz, S. 592 ff.; Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 48; Kropff, in: Lutter/Semler, Rechtsgrundlagen freiheitlicher Unternehmenswirtschaft, S. 71, 73 f.; G. H. Roth, in: MünchKomm/ BGB, 5. Aufl. 2007, § 242 Rn. 438; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 406; aus früherer Zeit und bereits in die gleiche Richtung Müller-Erzbach, Mitgliedschaft, S. 40 ff. 12 Prononciert RGZ 68, 235, 246 (Hibernia); vgl. ferner Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 7 I 1 (S. 357); Kreß, Beschlusskontrolle, S. 6; Bachmann, Private Ordnung, S. 209, die beiden Letztgenannten mit dem zusätzlichen Hinweis auf die korrespondierende Möglichkeit, die Unterwerfung durch Veräußerung der Beteiligung wieder freiwillig zu beenden. Dieser Gedanke hat es als „Theorie der antizipierten Zustimmung“ im Personengesellschaftsrecht zu größerer Berühmtheit gebracht, vgl. Immenga, ZGR 1974, 385, 419; Martens, DB 1973, 413, 415; wohl auch BGHZ 71, 53, 57; BGHZ 85, 350, 356 (Freudenberg). 13 Fastrich, Funktionales Rechtsdenken, S. 20. 14 Prononciert Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 I 1 (S. 406). 15 Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 48.
§ 2 Das Mehrheitsprinzip
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änderungen der Fall, um die (gesellschaftsinterne) Neuverschiebung von Rechten und Pflichten geht16. Bereits unter spezifisch gesellschaftsrechtlichen Gesichtspunkten erweist sich das Mehrheitsprinzip daher als problematisch. Es ist dies aber auch unter einem allgemeinen privatrechtlichen Gesichtspunkt: dem Legitimationsaspekt. Das zivilistische Legitimationsideal ist die unmittelbare und uneingeschränkte Zustimmung des Regeladressaten: privatrechtlich gesetzte Regeln erheischen dem Betroffenen gegenüber grundsätzlich nur dann Verbindlichkeit, wenn dieser der Regel seine unmittelbare und uneingeschränkte Zustimmung erteilt hat17. Das kapitalgesellschaftsrechtliche Mehrheitsprinzip setzt sich hierüber hinweg, indem es den entgegenstehenden Willen Einzelner für unbeachtlich erklärt. Zwar hat man, wie eben angeklungen, erwogen, das Zustimmungselement in die freiwillige Beteiligung an der Gesellschaftsgründung bzw. den freiwilligen Gesellschaftsbeitritt (vor)zulegen, um dem Mehrheitsbeschluss so eine vollumfängliche zivilistische Legitimation zuzusprechen18. Doch lassen sich diese Verhaltensweisen allenfalls als mittelbare Zustimmung zur später gesetzten Regel deuten. Von einer unmittelbaren Zustimmung sämtlicher Regeladressaten ist die im Mehrheitsbeschluss getroffene Regel gerade nicht getragen. Nur Regeln aber, die – nochmals – von der unmittelbaren und uneingeschränkten Zustimmung aller Regeladressaten getragen sind, weisen eine vollumfängliche privatrechtliche Legitimation auf, vermögen einen gesetzgeberischen oder richterrechtlichen Handlungsbedarf folglich nicht auszulösen. Fehlt eines dieser Elemente, muss die Rechtsordnung kompensatorische Schutzinstrumente bereithalten. Nur eingeschränkt ist das Zustimmungselement in den zahlreichen und zunehmend entdeckten Ungleichgewichtslagen bei und im Zusammenhang mit Vertragsabschlüssen vorhanden19. Die Rechtsordnung tritt dem mit einer Inhaltskontrolle der entsprechenden Verträge entgegen20. Nur mittelbar ist das Zustimmungselement in den Fällen vorhanden, in denen der Regelungsadressat die Regelungsbefugnis anderer Personen durch einen Handlungsakt erst in Kraft setzen muss, die daraufhin beschlossene Regel dann aber auch gegen seinen Willen zu akzeptieren hat. So verhält es sich etwa bei der Normsetzungsbefugnis der Tarif- und Betriebspartner im kollektiven Arbeitsrecht. Und so liegen die Dinge auch bei der 16 Dazu sowie zur Frage einer „Richtigkeitsgewähr“ der Mehrheitsentscheidung noch unten § 8 B. III. 2. b) bb), § 11 B. VI. 17 Ausführlich Bachmann, Private Ordnung, S. 172 ff. mit umfassenden Nachweisen. 18 Vgl. die Nachweise in Fn. 30, insbesondere Bachmann, Private Ordnung, S. 209, der diesen Gedanken dann aber entschieden verwirft. 19 Vgl. BVerfGE 81, 242 (Handelsvertreter); BVerfGE 89, 214; BVerfG NJW 1994, 2749 (Bürgschaftsentscheidungen); BVerfG NJW 2005, 2363; BVerfG NJW 2005, 2376 (Kapitallebensversicherungen); Larenz/Wolf, AT, § 42 (S. 753 ff.); grundlegend zum Ganzen Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht (1992); zu den einzelnen Ungleichgewichtslagen auch Mülbert/Leuschner, ZHR 170 (2006), 615, 661 ff. (mit gesellschaftsrechtlichem Blickwinkel). 20 Dazu Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht (1992); ferner Larenz/ Wolf, AT, 9. Aufl. 2004, § 42 (S. 753 ff.), § 43 (S. 770 ff.).
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1. Teil: Einleitung
Gestaltungsbefugnis der Gesellschaftermehrheit im Kapitalgesellschaftsrecht. Fehlt es demnach an dem Unmittelbarkeitselement der Zustimmung, fehlt der gesetzten Regel auch die vollständige zivilistische Legitimation und muss die Rechtsordnung daher kompensatorische Instrumente zur Verfügung stellen: Im Tarifvertragsrecht bindet die Rechtsordnung die Tarifvertragsparteien an die Grundrechte der Verfassung, insbesondere den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz21. Im Betriebsverfassungsrecht unterliegen Betriebsvereinbarungen einer Inhaltsbzw. Billigkeitskontrolle22. Und die Antwort des Kapitalgesellschaftsrechts auf das beschriebene Legitimationsdefizit lautet: Minderheitenschutz.
§ 3 Der Minderheitenschutz Das kapitalgesellschaftsrechtliche System des Minderheitenschutzes23 setzt sich aus einer Vielzahl unterschiedlicher Schutzinstrumente zusammen24. Was den hier vor allem interessierenden Minderheitenschutz im Rahmen der Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung anbelangt25, so lässt sich dieser folgendermaßen – teleologisch – systematisieren: Die rechtsschutzbezogene Schutzrichtung bezieht sich auf die prozessualen Instrumente, die der Gesetzgeber den Gesellschaftern zur Wahrung ihrer Rechte zur Verfügung stellt. Hierzu rechnen die Nichtigkeits- und die Anfechtungsklage (§§ 241 ff. AktG [analog])26, die allgemeine Feststellungsklage (§ 256 ZPO) sowie das gesellschaftsrechtliche Spruchverfahren (§ 1 SpruchG)27. Prozessuale Rechtsbehelfe bedürfen 21 So die wohl noch herrschende Meinung, grundlegend BAG 15.1.1955 AP Nr. 4 zu Art. 3 GG; BAG 15.1.1964 AP Nr. 87 zu Art. 3 GG; Boemke, in: FS 50 Jahre BAG, S. 613, 617 ff.; Gamillscheg, Grundrechte im Arbeitsrecht, S. 103 f.; a. A. Dieterich, in: FS Schaub, S. 117 ff.; einer mittleren Lösung zuneigend BAG 27.5.2004 AP Nr. 4 zu § 1 TVG Gleichbehandlung; vgl. ferner Wiedemann, in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 182 ff. 22 Vgl. BAG 30.1.1970 AP Nr. 142 zu § 242 BGB Ruhegehalt; BAG 11.6.1976 AP Nr. 1 zu § 77 BetrVG 1972 Auslegung. Die Einzelheiten (Rechts-, Inhalts-, Billigkeitskontrolle) sind zwischen Rspr. und h. L. umstritten, vgl. zum Meinungsstand Matthes, in: MünchHdB/ArbeitsR, § 239 Rn. 83 ff.; Richardi, in: Richardi, BetrVG, § 77 Rn. 117 ff.; zum Ganzen auch Fitting, BetrVG, § 77 Rn. 52 ff. 23 Grundlegung (Historie, Zielrichtung, Ratio) zum Minderheitenschutz bei Hofmann, Minderheitenschutz, S. 1 ff. Zur rechtstheoretischen Präzisierung der Minderheitenschutz-Kategorie einerseits K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 16 III 1 a (S. 466 f.) und andererseits Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 I 1 (S. 404 ff.). 24 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 16 III 1 b (S. 467) („rechtstechnische Vielfalt“), dort auch mit einem Systematisierungsvorschlag. 25 Vgl. auch die wirkmächtige auf Zöllner zurückgehende Unterscheidung zwischen „starren“ und „beweglichen Stimmrechtsschranken“, s. Zöllner, Schranken, S. 97, 288 f. 26 Zur analogen Anwendung der §§ 241 ff. AktG auf die GmbH aus der Rspr. BGHZ 11, 231, 235; aus der Literatur statt vieler Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. zu § 47 Rn. 1 ff., dort auch Nachweise zur Gegenmeinung. 27 Zur prozessualen Geltendmachung von Beschlussmängeln knapp K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 15 II 1 (S. 440 ff.); ausführlich Hofmann, Minderheitenschutz, S. 229 ff.
§ 3 Der Minderheitenschutz
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eines materiell-rechtlichen Maßstabs. Am Beginn dieser Skala steht die verfahrensrechtliche Schutzrichtung. Durch die Einräumung von Informations- (z. B.: §§ 131 AktG, 293a ff. AktG) und sonstigen Verfahrensrechten (z. B.: §§ 121 ff. AktG) soll den (Minderheits-)Gesellschaftern eine informierte Entscheidung ermöglicht und die effektive Mitwirkung am Prozess der kollektiven Willensbildung gewährleistet werden. Die verfahrensrechtlichen Instrumente sind dabei gewiss nicht ohne, gleichwohl aber nur von begrenztem Wert28. Effektiven Gesellschafterschutz vermögen sie nur bei einem relativ großen, in etwa gleichberechtigten Gesellschafterkreis mit wechselnden Mehrheiten zu entfalten29. Dann statten sie den einzelnen Gesellschafter mit den Rechten aus, die er braucht, um seiner Ansicht Gehör und Durchbruch zu verschaffen. Liegt die Stimmrechtsmehrheit dagegen wie häufig in den Händen eines Mehrheitsgesellschafters oder einer festen Mehrheitsgruppe, können die verfahrensrechtlichen Instrumente zu im wahrsten Sinne des Wortes rein formalen Schutzinstrumenten verkümmern, deren Beachtung lediglich eine gewisse Achtsamkeit und Sorgfalt erfordert. Ein reiner „Minderheitenschutz durch Verfahren“ kann auch schon deshalb nicht genügen, weil „Verfahren“ als Legitimationselement keine eigenständige Bedeutung zukommt30. Rein verfahrensrechtliche Schutzinstrumente können das durch die fehlende Zustimmung des Normadressaten auftretende Legitimationsleck also nicht schließen. Ohne einen materiellen Minderheitenschutz ist daher nicht auszukommen. Materieller Gesellschafterschutz wird dabei zunächst durch die Normierung zwingenden Rechts gewährleistet – die Verletzung zwingenden Rechts führt grundsätzlich zur Nichtigkeit des Beschlusses gem. § 241 Nr. 3 AktG. Das Instrument des zwingenden Rechts ist allerdings zum einen nur bedingt einsetzbar und zum anderen als minderheitenschützendes Instrument auch nur bedingt geeignet31. Nur bedingt einsetzbar ist dieses Instrument deswegen, weil es für den Gesetzgeber schwierig bis unmöglich ist, aller denkbaren Interessenkonflikte und Interessengefährdungen durch Erlass fester und unausweichlicher Regeln Herr zu werden32; ein solches dichtes Normengefüge wäre aufgrund der damit verbundenen Freiheitseinschränkung sowie der mangelnden Flexibilität zwingender Normen auch gar nicht wünschenswert33. Nur bedingt geeignet ist das Instrument des zwingenden Rechts deswegen, weil es eine Schutzwirkung naturgemäß nur dort zu entfalten vermag, wo der Gesetzgeber zwingendes Recht erlassen hat. Im GmbH-Recht, das vom Grundsatz der Gestaltungsfreiheit geprägt wird (vgl. 28
Siehe auch Schockenhoff, Gesellschaftsinteresse, S. 1 ff., 22 f. Siehe Henze, DStR 1993, 1823. 30 Bachmann, Private Ordnung, S. 191. 31 Zöllner, Schranken, S. 288 f.; ausführlich zum zwingenden Recht als kapitalgesellschaftsrechtlichem Regulierungsinstrument Binder, Regulierungsinstrumente, S. 151 ff. 32 Zöllner, Schranken, S. 288. 33 Erneut Zöllner, Schranken, S. 288. Vgl. auch die Diskussion über eine Abschwächung des Grundsatzes der Satzungsstrenge im Aktienrecht, dazu Bayer, Gutachten 67. DJT, S. E 22 ff. 29
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1. Teil: Einleitung
§ 45 Abs. 2 GmbHG), ist dies nur vereinzelt geschehen (vgl. etwa § 51a Abs. 3 GmbHG). Im Aktienrecht setzt der Gesetzgeber zwar auf das Instrument des zwingenden Rechts (§ 23 Abs. 5 AktG). Auch hier kann es jedoch allein damit nicht sein Bewenden haben. Denn bei Satzungs- und Strukturänderungen hat der Gesetzgeber zwar einen normativen Rahmen gesetzt, die Maßnahme als solche steht aber im gesetzlich nicht weiter eingegrenzten Ermessen der Gesellschafterversammlung bzw. Gesellschaftermehrheit34. Diese normative Freiheit kann zu rechtsmissbräuchlichen Gestaltungen gebraucht werden, wie etwa dann, wenn eine Kapitalherabsetzung mit dem alleinigen Zweck beschlossen wird, einen missliebigen Gesellschafter aus der Gesellschaft auszuschließen35. Das Instrument des zwingenden Rechts vermag hiergegen nichts zu verrichten. Einer weiteren, früher häufig praktizierten Form des Mehrheitsmissbrauchs, nämlich der Abgabe von Gesellschaftsvermögen an die Gesellschaftermehrheit bzw. ihr nahestehende Personen zu vergünstigten Bedingungen36, setzt inzwischen eine weitere Schutzrichtung materieller Art Grenzen: die vermögensbezogene Schutzrichtung. Bei Beschlüssen der Gesellschafterversammlung versucht das Gesetz den Vermögensinteressen der Gesellschafter Rechnung zu tragen. Erwähnt seien an dieser Stelle nur § 243 Abs. 2 Satz 2 (Ausgleichsklausel bei Sondervorteilen), § 255 Abs. 2 AktG (Bezugsrechtsausschluss), §§ 304, 305 AktG (Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag), §§ 311, 317, 318 AktG (faktischer Konzern), §§ 5 Abs. 1 Nr. 2–5, 20 Abs. 1 Nr. 3, 29 UmwG (Verschmelzung)37. Der materielle Vermögensschutz trägt aber nur einem Teilbereich mitgliedschaftlicher Interessen Rechnung, eben den Vermögensinteressen, nicht dagegen den mitgliedschaftlichen Herrschaftsinteressen38. Hätte es mit der vermögensbezogenen Schutzrichtung sein Bewenden, könnte zudem – um nur ein Beispiel zu geben – ein Bezugsrechtsausschluss zu dem alleinigen Zweck beschlossen werden, den Einfluss unerwünschter Minderheitsgesellschafter zu dezimieren, sie etwa unter eine rechtlich relevante Beteiligungsschwelle (z. B.: §§ 122, 327a AktG) zu drücken, solange nur für die neuen Aktien ein angemessener Preis bezahlt wird (§ 255 Abs. 2 AktG); eine solche Vorgehensweise wird man aber schwerlich für zulässig halten können. Zur materiellen Schutzrichtung durch zwingendes Recht und gesetzlichen Vermögensschutz gesellt sich ein besonderer, individueller Gesellschafterschutz weiter dann, wenn das Gesetz zur Wirksamkeit eines Beschlusses 34 35
Ernstberger, Mehrheitsherrschaft, S. 105. So die Sachverhaltskonstellation der reichsgerichtlichen Entscheidung LZ 1914,
273. 36 Siehe etwa RGZ 107, 202, 204 ff., 206; RGZ 107, 72 ff., 74 f.; ferner RGZ 112, 14, 17 f. sowie RGZ 122, 159, 165 ff.; zutreffende vermögensbezogene Interpretation der beiden letztgenannten Urteile bei M. Winter, Treubindungen, S. 39 f. mit Fn. 14. 37 Ausführlich zum gesetzlichen Vermögensschutz unten § 10 sowie § 14 B. II. 2. a). 38 Vgl. zur Unterscheidung zwischen Vermögens- und Herrschaftsinteressen vorerst nur Lutter/Drygala, in: FS Kropff, S. 191, 197 ff., 201 ff., 210 ff., 218 ff.; ausführlich unten § 14 B. II. 2.
§ 4 Materielle Beschlusskontrolle
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die Zustimmung einzelner (§ 35 BGB, § 180 AktG, § 53 Abs. 3 GmbHG, §§ 50 Abs. 2, 51 UmwG), einer bestimmten Gruppe von Gesellschaftern (§§ 141, 179 Abs. 3 AktG) oder gar aller Gesellschafter (§ 33 Abs. 1 Satz 2 BGB)39 für erforderlich erachtet; auch die für das GmbH-Recht entwickelte „Kernbereichslehre“ 40 gehört hierher. Das Instrument des individuellen Zustimmungserfordernisses ist zwar für den einzelnen Gesellschafter besonders effektiv, räumt es ihm doch ein Vetorecht gegen die geplante Maßnahme ein. Aus diesem Grunde kann es aber wirtschaftlich gebotenen Anpassungen der Gesellschafts- und Unternehmensstruktur abträglich sein. Es ist deswegen auch nur in besonderen Konstellationen im Einsatz. Ebenso wenig wie die vorgenannten Normen und Institute vermag daher das Instrument individueller Zustimmungserfordernisse an der Unentbehrlichkeit eines weiteren Schutzinstrumentes etwas zu ändern. Die Rede ist von materieller Beschlusskontrolle.
§ 4 Materielle Beschlusskontrolle A. Funktionen einer materiellen Beschlusskontrolle Dass Mehrheitsbeschlüsse einer materiellen Beschlusskontrolle, also einer über die Vereinbarkeit mit positivem Gesetzesrecht hinausgehenden Kontrolle anhand der verschiedenen gesellschaftsrechtlichen Generalklauseln41, den „beweglichen Schranken“ im Sinne Zöllners42, unterliegen (können), ist seit langem unbestritten43. Die Funktionen dieses Schutzinstrumentes klangen eben bereits an. Ihm kommt zunächst eine Entlastungsfunktion zu. Die Möglichkeit einer einzelfallabhängigen richterlichen Beschlusskontrolle befreit den Gesetzgeber von der kaum zu bewältigenden Regelungsaufgabe, alle denkbaren Interessenkonflikten und Interessengefährdungen durch Normierung zwingenden Rechts in den Griff zu bekommen44. Damit eng verbunden ist die freiheitserweiternde Funktion. Zwingendes Gesetzesrecht beschränkt Handlungs- und Gestaltungsfreiheiten, indem es ohne Rücksicht auf tatsächlich bestehende Interessenkonflikte oder kon39 Zu § 33 I 2 BGB als „Ausdruck allgemeinen Verbandsrechts“ K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 4 II a (S. 65) sowie noch unten § 8 B. III. 2. b) aa). 40 Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 14 Rn. 14; C. Schäfer, Geschäftsanteil, S. 153 ff., 171 ff.; Ulmer, in: Ulmer, GmbHG, § 53 Rn. 69 ff.; M. Winter, Treubindungen, S. 137 ff.; die Kernbereichslehre dagegen ablehnend Lutter/Timm, NJW 1982, 418. 41 Vgl. zur Terminologie oben S. 29. 42 Zöllner, Schranken, S. 288 f. 43 Zöllner, AG 2000, 145, 154 Fn. 91. Bereits die gemeinhin für das Gegenteilige in Anspruch genommene „Hibernia“-Entscheidung des Reichsgerichts ging von der grundsätzlichen Möglichkeit einer materiellen Beschlusskontrolle aus, siehe RGZ 68, 235, 243 ff.; mit der „Victoria“-Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1932 (RGZ 132, 149, 159 ff.) war dies dann allgemein anerkannt. 44 Zöllner, Schranken, S. 288.
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1. Teil: Einleitung
krete Schutzbedürfnisse bestimmte Handlungen generell verbietet45. Regulatorische Zurückhaltung in diesem Bereich eröffnet folglich Handlungs- und Gestaltungsspielräume46. Diese regulatorische Zurückhaltung im Bereich der starren Schranken aber lässt sich nur üben, wenn die Aufgabe, Interessenschädigungen und Stimmrechtsmissbräuchen Einhalt zu gebieten, durch andere Instrumente übernommen wird, der Beschlusskontrolle anhand der Generalklauseln. Dieser kommt dabei auch eine Flexibilitätsfunktion zu47. Sie ist aufgrund ihrer Einzelfallöffnung zu einer sehr viel treffsichereren Begrenzung der Stimmrechtsmacht in der Lage. Starre Schranken in Form abstrakt-genereller Regelungen können dies naturgemäß nur eingeschränkt leisten. Bereits angesprochen wurde die Schutz- und Gerechtigkeitsfunktion der generalklauselbasierten Beschlusskontrolle: Kein noch so starres Korsett an zwingenden gesetzlichen Regeln wird interessenschädigende und missbräuchliche Abstimmungen vollauf verhindern können48. Eine einzelfallabhängige materielle Beschlusskontrolle, die einem solchen Abstimmungsverhalten einen Riegel vorschiebt, wird daher notwendig.
B. Rechtsgrundlagen für eine materielle Beschlusskontrolle I. Das Gebot der guten Sitten Am Beginn der Entwicklung materieller Beschlussschranken stand das Gebot der guten Sitten (§§ 138, 826 BGB). Anhand dieser Rechtsgrundlage hat das Reichsgericht im ersten Drittel des vergangenen Jahrhunderts der Mehrheitsherrschaft in einer umfangreichen Judikatur Grenzen gesetzt49. Heute (§ 241 Nr. 4 AktG, § 243 Abs. 1 AktG i.V. m. § 138 BGB) spielt das Sittengebot in der Beschlussmängelpraxis, jedenfalls was den Minderheitenschutz betrifft50, so gut wie keine Rolle mehr. In der gesellschaftsrechtlichen Literatur wird der Bedeutungsverlust des Sittengebots begrüßt51. In der Tat kann das Sittengebot, das nach ei45
Erneut Zöllner, Schranken, S. 288. Deutliche Herausstellung dieses Zusammenhangs in Bezug auf das Stimmverbot des § 47 Abs. 4 GmbHG bei Liebscher, in: MünchKomm/GmbHG, § 13 Anh. 274. 47 Siehe Zöllner, Schranken, S. 288 f. 48 Erneut Zöllner, Schranken, S. 288. 49 Ausführlich zur reichsgerichtlichen Rechtsprechung A. Hueck, in: RG-Festgabe IV, S. 167 ff.; Raubold, Sittenwidrigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen einer Aktiengesellschaft (1929); zur Entwicklung ferner Filbinger, Schranken, S. 76 ff.; Füchsel, Bezugsrechtsausschluss, S. 52 ff.; Wandrey, Beschlusskontrolle, S. 55 ff.; M. Winter, Treubindungen, S. 38 ff.; siehe ferner bereits die Nachweise in Fn. 54 u. 61. 50 Praktische Relevanz kann das Sittengebot (§ 241 Nr. 4 AktG) eigentlich nur noch in Fällen der Gläubigerschädigung erlangen, siehe BGHZ 15, 382 sowie Hüffer, AktG, § 241 Nr. 24. 51 Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 50 ff., insb. Rn. 53; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 II 1 (S. 426); Zöllner, Schranken, S. 291 f.; früh bereits Wieland, Handelsrecht II, S. 206 ff. 46
§ 4 Materielle Beschlusskontrolle
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ner berühmten Formulierung Alfred Huecks lediglich der Maßstab „gegenüber dem völlig Fremden“ ist52, für ein modernes Verbandsrecht, das anerkennt, dass auch die Rechtsbeziehungen innerhalb einer juristischen Person den Charakter einer Sonderverbindung tragen können53, nicht der geeignete rechtliche Anknüpfungspunkt sein. Aufgrund seiner strengen objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen und den damit verbundenen Schwierigkeiten bei der dem Anfechtungskläger obliegenden Darlegungs- und Beweislast lässt sich ein angemessener Minderheitenschutz mit dem Sittengebot nicht bewerkstelligen54. II. Das Sondervorteilsverbot (§ 243 Abs. 2 AktG) Eine weitere bewegliche Stimmrechtsschranke ist das Sondervorteilsverbot. Es wurde vom Reichsgericht zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts aus dem Sittengebot entwickelt, fand dann Aufnahme in § 197 Abs. 2 AktG 1937 und wurde schließlich mit geringfügigen Änderungen in § 243 Abs. 2 AktG55 1965 übernommen56. Obgleich Sanktionierung der „Todsünde der Stimmrechtsausübung“ 57, war dem Sondervorteilsverbot des § 243 Abs. 2 AktG in der Beschlussmängelpraxis nie eine größere Bedeutung beschieden58. Auch das Schrifttum läuft ganz überwiegend Sturm gegen diese Regelung59. Angesichts der angedeuteten Genese dieser Norm kann dies nicht überraschen. Ist das Sondervorteilsverbot (§ 243 Abs. 2 AktG 1965, § 197 Abs. 2 AktG 1937) letzten Endes Ausfluss des Sittengebots60, so muss die inhaltliche Bedeutung dieser Norm in dem Maße zurückgehen, in dem man sich im Kapitalgesellschaftsrecht nicht mehr mit dem grobmaschigen Maßstab der Sittenwidrigkeit begnügt, sondern zumindest den engeren Maßstab von Treu und Glauben zum Zuge kommen 52
A. Hueck, Treuegedanke, S. 11. Nachweise dazu sogleich unter 4. 54 Prononciert und mit weiteren Kritikpunkten Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 II 1 (S. 426). 55 Zur analogen Anwendung der Norm im GmbH-Recht T. Raiser, in: Ulmer, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 126 ff. 56 Ausführlich zur historischen Entwicklung der Norm Hüffer, in: FS Kropff, S. 127, 134 ff. 57 So eine vielzitierte Formulierung von Flume, Juristische Person, § 7 III (S. 213). 58 Hüffer, AktG, § 243 Rn. 31 („keine erhebliche praktische Bedeutung erlangt“); K. Schmidt, in: GroßKomm/AktG, § 243 Rn. 52 („die Bedeutung des Abs. 2 für die Praxis ist als gering einzuschätzen“); für die GmbH ebenso T. Raiser, in: Ulmer, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 127 59 Bachelin, Minderheitenschutz, S. 67 f.; Flume, Juristische Person, § 7 II 2 (S. 211 Fn. 86) („skandalöse Regelung“); Hüffer, AktG, § 243 Rn. 31; Schilling, in: FG Hengeler, S. 226, 233 f.; Zöllner, in: KölnKomm/AktG, § 243 Rn. 236; anders aber namentlich Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 347 ff., 354 f., 357 f. 60 Siehe auch Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 70, der § 243 II AktG als einen Fall der Umstandssittenwidrigkeit versteht. 53
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1. Teil: Einleitung
lassen will. Die Ursprünge der Norm im Gebot der guten Sitten erklären auch das für ein um objektive Maßstäbe bemühtes Beschlussmängelrecht ungeeignete Vorsatzerfordernis („zu erlangen suchte“)61. Schließlich scheint mit der Ausgleichsklausel des § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG weder eine sachgerechte noch eine interessenanalytisch zutreffende Wertung getroffen62. Knüpfte man die Beschlusskontrolle ausschließlich an § 243 Abs. 2 AktG an, hätte die Ausgleichsklausel zur Folge, dass die Gesellschaftermehrheit völlig unabhängig von der Realstruktur der Gesellschaft (personalistische Gesellschaft, Familiengesellschaft etc.) alles beschließen dürfte, solange sie nur einen etwaigen Gesellschafterschaden ausgleicht. Dies hält in dieser Schärfe heutzutage niemand für richtig63. Aufgrund ihres überholten sachlich-inhaltlichen Regelungsgehalts ist daher auch die Norm des § 243 Abs. 2 AktG als hauptsächliche Wertungs- und Ableitungsbasis materieller Beschlussschranken auszuscheiden, womit aber nicht gesagt sein soll, dass die gesetzlichen Norm des § 243 Abs. 2 AktG nicht bei der dogmatischen Begründung einer aus einer anderen Rechtsgrundlage deduzierten Kontrollkonzeption eine wichtige Stellung einnehmen könnte64. III. Der Gleichbehandlungsgrundsatz Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist als Schranke der Verbandsmacht seit langem anerkannt65. Im Aktienrecht hat er in § 53a AktG Aufnahme in das Gesetz gefunden. Für das GmbH-Recht ist seine Geltung als allgemeiner Rechtsgrundsatz unbestritten66. In der beschlussmängelrechtlichen Rechtsprechung hat der Gleichbehandlungsgrundsatz allerdings gleichwohl zu keinem Zeitpunkt größeres Gewicht erlangt67. Auch die Literatur hat ihm nur selten größere Aufmerksamkeit geschenkt68. Die geringe Bedeutung des Gleichbehandlungsgrundsatzes 61
Hüffer, AktG, § 243 Rn. 31; M. Winter, Treubindungen, S. 105 ff., 300. Deutlich Hüffer, AktG, § 243 Rn. 37 („Regelung mißlungen, weil sie (. . .) Interessenlage des Aktionärs undifferenziert auf diejenige eines gläubigerähnlichen Kapitalanlegers verkürzt“); ferner die Nachweise in Fn. 77. 63 Selbst Mülbert als entschiedener Verfechter eines vermögensbezogenen Schutzkonzeptes will die Norm nur bei und gegenüber Anlagegesellschaftern verstärkt zur Geltung bringen, siehe Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 349; dazu noch ausführlich unten § 10. Für die GmbH wird eine analoge Anwendung überwiegend abgelehnt, vgl. M. Winter, Treubindungen, S. 303 ff. 64 Näher unten § 12 A. II. 3., § 13 B. III. 2. a). 65 Siehe bereits die Entscheidung RGZ 41, 97 aus dem Jahre 1898; weitere Nachweise unten § 11 A. 66 Statt vieler T. Raiser, in: Ulmer, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 129. 67 Vorerst nur Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 18 ff., 33 ff. Ausführlich unten § 11 A. I. 68 Vgl. hauptsächlich G. Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht (1958); Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften (2006). Ausführlich unten § 11. 62
§ 4 Materielle Beschlusskontrolle
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ist auf das lange Zeit vorherrschende restriktive Verständnis dieses Grundsatzes zurückzuführen: Nur formale, offensichtliche Ungleichbehandlungen, nicht dagegen auch materielle, versteckte Ungleichbehandlungen wurden vom Gleichbehandlungsgrundsatz als erfasst angesehen69. Bei dieser restriktiven Handhabung ist der Gleichbehandlungsgrundsatz als Anknüpfungspunkt der Beschlusskontrolle, wie später näher darzulegen sein wird, in der Tat unzureichend70. Zwar gibt es gegenteilige Strömungen im Schrifttum, die in einem materiell verstandenen Gleichbehandlungsgrundsatz den geeigneten rechtlichen Anknüpfungspunkt für eine materielle Beschlusskontrolle erblicken71. Doch sprechen für das restriktiv-formale Verständnis – so viel sei der Auseinandersetzung mit diesen Ansätzen vorweggenommen – gute dogmatische Gründe72. Andere Rechtsinstitute standen und stehen daher im Vordergrund. IV. Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht Zum zentralen Instrument der materiellen Beschlusskontrolle entwickelte sich die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht. Sie spielt in der Rechtspraxis eine zentrale Rolle. Steht in einem beschlussmängelrechtlichen Fall die Rechtswidrigkeit der mehrheitlichen Stimmrechtsausübung in Frage, ist es sehr häufig die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, die zur Lösung dieser Fälle die normative Richtschnur liefert73. Im Schrifttum wird dieser „Siegeszug des Treuepflichtgedankens“ 74 ganz überwiegend begrüßt75. Bis zu dieser umfassenden Anerkennung von Treuepflichten auch im Kapitalgesellschaftsrecht war es allerdings ein langer, hier nicht im Einzelnen nachzuzeichnender Weg76. Das Schrifttum begleitete und förderte die Entwicklung77. Die Rechtsprechung setzte die Meilensteine: 69 Siehe vorerst nur Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 18 ff., 33 ff.; ausführlich unten § 11 A. 70 Unten § 11. 71 Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften (2006); Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S. 93 ff. 72 Ausführlich unten § 11 B. II. 73 Vgl. nur BGHZ 76, 352, 355; BGHZ 103, 184, 193 ff. (Linotype); BGHZ 111, 224, 227 ff.; BGH NJW 1991, 846; BGH NJW-RR 1992, 167; BGH DStR 1993, 1566, 1567; BGH DStR 1994, 214, 215 f.; BGHZ 142, 167 ff. (Hilgers); ausführliche Rechtsprechungsanalyse bei Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 42 ff.; siehe zudem unten § 13 B. I. 2., § 13 B. II. 2. 74 Immenga, in: FS 100 Jahre GmbHG, S. 189. 75 Bungeroth, in: MünchKomm/AktG, Vor § 53 a Rn. 18 ff.; Henze/Notz, in: GroßKomm/AktG, Anh. § 53a Rn. 7 ff.; Hüffer, AktG, § 53a Rn. 13 ff.; Merkt, in: MünchKomm/GmbHG, § 13 Rn. 88 ff.; Seibt, in: Scholz, GmbHG, § 14 Rn. 50 ff., alle m.w. N.; a. A. insbesondere Flume, ZIP 1996, 161 ff. 76 Zur Entwicklung Henze, BB 1996, 489 ff.; M. Weber, Treubindungen, S. 26 ff. sowie M. Winter, Treubindungen, S. 38 ff. 77 Grundlegend A. Hueck, Der Treugedanke im modernen Privatrecht (1947); Zöllner, Schranken, S. 335 ff.; Lutter, AcP 180 (1980), 85, 102 ff.; Mestmäcker, Verwaltung,
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1. Teil: Einleitung
Mit den Entscheidungen „ITT“ 78 (1975), „Linotype“ 79 (1988) und „Girmes“ 80 (1995) waren im Kapitalgesellschaftsrecht Treuepflichten in einem umfassenden Sinne, also sowohl bei der AG als auch bei der GmbH, sowohl im Verhältnis Gesellschafter – Gesellschaft als auch im Verhältnis der Gesellschafter untereinander, für den Mehrheits- wie auch für den Minderheitsgesellschafter anerkannt. Historisch betrachtet stand das Instrument der Treuepflicht also erst recht spät zur Verfügung. Dies war ein, wenn auch nicht der entscheidende81, Grund dafür, warum das Kapitalgesellschaftsrecht (zunächst) einen anderen Weg einschlug und voll und ganz auf ein anderes Rechtsinstitut setzte: das Sachgrunderfordernis. Dieses Institut ist Gegenstand des nun folgenden zweiten Teils der Untersuchung.
Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre (1958); Immenga, Personalistische Kapitalgesellschaft, S. 180 ff. 78 BGHZ 65, 15, 18 f. 79 BGHZ 103, 184, 194 f. 80 BGHZ 129, 136, 142 ff. 81 Vgl. unten § 6 D. II. 2. c), § 6 D. II. 3., § 8 B. V., § 13 B. III. 2. b).
Zweiter Teil
Das Sachgrunderfordernis Das Sachgrunderfordernis war und ist das wichtigste Instrument im Rahmen der materiellen Beschlusskontrolle. Erörterungen zu diesem Fragenkreis wählen als Ausgangspunkt regelmäßig dieses Rechtsinstitut. Auch der Streitstand zur Reichweite der richterlichen Beschlusskontrolle wird durch dieses Institut entscheidend geprägt. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Sachgrunderfordernis verspricht daher für die im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit stehenden Fragen besonderen Ertrag.
§ 5 Die Entstehung des Sachgrunderfordernisses A. Die „Kali & Salz“-Entscheidung: BGHZ 71, 40 I. Der Sachverhalt Gegenstand des Rechtsstreits in Sachen „Kali & Salz“ 1 war ein Beschluss der beklagten Salzdetfurth AG. Die Hauptversammlung der Gesellschaft hatte eine Kapitalerhöhung beschlossen, durch die das Grundkapital der Gesellschaft verdoppelt wurde. Das gesetzliche Bezugsrecht der Aktionäre (§ 186 Abs. 1 AktG) wurde gem. § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG ausgeschlossen. Zum Aktienerwerb zugelassen wurden die Wintershall AG sowie die Burbach-Kaliwerke AG. Die Wintershall AG war vor der Kapitalerhöhung bereits mit 43,4% an der Salzdetfurth AG beteiligt. Bei der Burbach-Kaliwerke AG handelte es sich um eine Tochtergesellschaft der Wintershall AG. Beide Gesellschaften hatten als Sacheinlage ihre Beteiligung an einer weiteren Gesellschaft, der namensgebenden Kali & Salz AG, in die Salzdetfurth AG einzubringen. Bereits vor der Kapitalerhöhung hielt die Salzdetfurth AG an der Kali & Salz AG eine Beteiligung in Höhe von 50%. Durch die im Wege der Kapitalerhöhung erworbenen Aktien von der Wintershall AG und der Burbach-Kaliwerke AG wurde die Salzdetfurth AG nun Alleinaktionärin der Kali & Salz AG. Mit der Sachkapitalerhöhung sollte der Weg für die nach damaligem Recht mögliche übertragende Umwandlung frei gemacht werden; die Salzdetfurth AG sollte mit der Kali & Salz AG fusionieren können. 1 Sachverhaltsdarstellung in BGHZ 71, 40, 41 f.; vgl. auch die vorinstanzlichen Entscheidungen LG Kassel AG 1975, 163 und OLG Frankfurt/Kassel AG 1976, 298.
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2. Teil: Das Sachgrunderfordernis
Ein Minderheitsaktionär der beschlussfassenden Salzdetfurth AG war mit dieser Maßnahme nicht einverstanden, erklärte gegen den Beschluss der Hauptversammlung der Salzdetfurth AG, durch den das Grundkapital erhöht und das Bezugsrecht der Aktionäre ausgeschlossen wurde, Widerspruch zur Niederschrift und erhob anschließend Anfechtungsklage. II. Die Entscheidung 1. Entwicklung ungeschriebener materieller Beschlussanforderungen
Den rechtlichen Maßstab für den zu beurteilenden Bezugsrechtsausschluss entwickelt der Bundesgerichtshof im „Kali & Salz“-Urteil im Rahmen des Anfechtungsgrundes der Gesetzesverletzung, § 243 Abs. 1 Alt. 1 AktG. Diesem wendet er sich zunächst zu und formuliert die Fragestellung dabei folgendermaßen: „[. . .] kommt es zunächst darauf an, ob ein Bezugsrechtsausschluss neben den hier – unstreitig erfüllten – förmlichen Anforderungen noch bestimmten sachlichen Anforderungen genügen muss.“ 2 Um diese Frage zu beantworten, nimmt der Bundesgerichtshof die Vorschrift des § 186 AktG genauer in den Blick: Er erläutert zunächst knapp das in § 186 Abs. 1 AktG normierte Recht des Aktionärs auf den Bezug der neuen, im Wege einer Kapitalerhöhung geschaffenen Aktien. Zur in § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG normierten Möglichkeit, dieses Recht durch einen Beschluss der Hauptversammlung auszuschließen, stellt er sodann fest: „Jedoch ist diese Vorschrift [. . .] nicht so zu verstehen, daß der Ausschluss im freien Ermessen der Mehrheit liege und allenfalls durch die guten Sitten begrenzt sei.“ 3 Da eine Grundkapitalerhöhung von der Sache her notwendigerweise auf den Zweck der Gesellschaft und damit auf deren Interessen bezogen sei, müsse auch ein mit ihr verbundener Bezugsrechtsausschluss im Gesellschaftsinteresse seine Rechtfertigung finden4. Damit hat es aber nach Ansicht des Bundesgerichtshofs nicht sein Bewenden. Es folgt eine ausführliche Begründung dafür, warum der Bezugsrechtsausschluss – die Rede ist vom Entzug des Vorrechts des Aktionärs, Kapital in „seinem“ Unternehmen investieren zu können – einen schweren Eingriff in die Mitgliedschaft der vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Aktionäre bedeute5. Dabei verweist es auf zahlreiche (mögliche) Auswirkungen eines Bezugsrechtsausschlusses, etwa das (relative) Absinken des Gewinn- und Liquidationsanteils, die Verschiebung der Stimmrechtsquoten, den Verlust von Sperrminoritäten oder die Anteilsverwässerung bei unangemessenen Ausgabebedingungen6. Diese Gesichtspunkte machten es nach Ansicht des Gerichts notwendig, für jeden Bezugs2 3 4 5 6
BGHZ 71, 40, 43. BGHZ 71, 40, 44. BGHZ 71, 40, 44. BGHZ 71, 40, 44. BGHZ 71, 40, 45; hierzu auch noch unten § 6 G. II. 1. a).
§ 5 Die Entstehung des Sachgrunderfordernisses
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rechtsausschluss eine besondere sachliche Begründung zu fordern7. Seine Überlegungen fasst der Senat in folgenden, für das Sachgrunderfordernis entscheidenden Worten zusammen: „Der Senat kommt daher zu dem Ergebnis, daß der Ausschluss des Bezugsrechts bei einer Kapitalerhöhung nur zulässig ist, wenn er auch [. . .] bei gebührender Berücksichtigung der Folgen für die ausgeschlossenen Aktionäre durch sachliche Gründe im Interesse der Gesellschaft gerechtfertigt ist. Die Prüfung, ob diese (ungeschriebene) sachliche Wirksamkeitsvoraussetzung erfüllt ist, schließt die im neueren Schrifttum geforderte Abwägung der Interessen und der Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck ein [. . .].“ 8 Damit war der rechtliche Maßstab für die Kontrolle des Bezugsrechtsausschlusses gefunden. 2. Subsumtion, Darlegungs- und Beweislast, Beurteilungsspielraum
Mit der dargelegten Urteilspassage war ein neues Kapitel im kapitalgesellschaftsrechtlichen Minderheitenschutz aufgeschlagen. Der weitere Urteilsgang liest sich unter diesem Aspekt dagegen weit weniger spektakulär. Der Entwicklung des rechtlichen Maßstabs folgt die Subsumtion unter diesen Maßstab. Dabei lässt das Gericht bei der Prüfung, ob der konkrete Bezugsrechtsausschluss bei der Salzdetfurth AG den entwickelten materiellen Beschlussanforderungen genügt, Großzügigkeit walten und verzichtet auf eine eingehende Verhältnismäßigkeitskontrolle; die Feststellung des Berufungsgerichts, die beklagte Gesellschaft habe sich in einer nicht anders abwendbaren Liquiditätskrise befunden, genügt dem Bundesgerichtshof zur Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses9. Was weiter die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast betrifft, so hätte man nach Einordnung der entwickelten Beschlusserfordernisse als „(ungeschriebene) sachliche Wirksamkeitsvoraussetzung“ 10 eigentlich erwartet, dass der Gesellschaft auch die volle Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlichen Umstände der sachlichen Rechtfertigung auferlegt wird11. Der Bundesgerichtshof zieht diesen Schluss jedoch nicht, sondern nimmt eine differenzierte Verteilung der Darlegungs- und Beweislast vor12. Und schließlich weist er darauf hin, dass er es nicht als eine Aufgabe der Gerichte ansehe, deren „eigene wirtschaftliche Beurteilung nachträglich an die Stelle einer in freier unternehmerischer Verantwortung beschlossenen, sachlich abgewogenen Entscheidung zu setzen“.13 Dem sei durch die Anerkennung eines unternehmerischen Beurteilungsspielraums Rechnung zu tragen. 7
BGHZ 71, 40, 45. BGHZ 71, 40, 46 9 BGHZ 71, 40, 47 f. 10 BGHZ 71, 40, 45. 11 Näher unten § 6 G. II. 1., § 14 C. II. 1. a). 12 BGHZ 71, 40, 48 f.; näher dazu unten § 6 G. II. 1., § 14 C. II. 1. a). 13 BGHZ 71, 40, 49 f. 8
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2. Teil: Das Sachgrunderfordernis 3. Weitere Anfechtungsgründe
Eine Gesetzesverletzung i. S. d. § 243 Abs. 1 Alt.1 AktG konnte der Senat nach alledem nicht feststellen. Selbständig, von § 243 Abs. 1 AktG also getrennt, prüft der Bundesgerichtshof sodann noch die Anfechtungsgründe des § 255 Abs. 2 AktG (Anfechtbarkeit der Kapitalerhöhung bei unangemessenem Ausgabebetrag)14 sowie des § 243 Abs. 2 AktG (Anfechtbarkeit bei der Verfolgung von Sondervorteilen)15. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften sah der Bundesgerichtshof jedoch ebenfalls als nicht erfüllt an. Die Klage hatte daher keinen Erfolg. Der überragenden Bedeutung des Urteils für den kapitalgesellschaftsrechtlichen Minderheitenschutz tat dies keinen Abbruch. Die Aussagen, die der Bundesgerichtshof im „Kali & Salz“-Urteil zu ungeschriebenen materiellen Beschlusserfordernissen gemacht hatte, waren wegweisend. Von einem neuen Rechtsinstitut konnte allerdings allein mit Erlass des „Kali & Salz“-Urteils noch nicht die Rede sein. Der Ausbau der entwickelten materiellen Beschlussanforderungen zu einem eigenständigen Rechtsinstitut erfolgte erst in der weiteren Rechtsentwicklung, und dabei maßgeblich durch das Schrifttum.
B. Die Interpretation der „Kali & Salz“-Entscheidung in der Literatur I. Grundsätzliche Zustimmung Im wissenschaftlichen Schrifttum erhielt die „Kali & Salz“-Entscheidung großen Beifall. Dem Satz, wonach der Bezugsrechtsausschluss nur zulässig sei, wenn er von einem sachlichen Grund getragen ist, wurde uneingeschränkt beigepflichtet16. Nun endlich, so stellte man geradezu erleichtert fest, hielten „rechtsethische Maßstäbe“ auch im Gesellschaftsrecht Einzug17. Die einhellige Zustimmung durch die Literatur konnte kaum überraschen, fanden doch nun Gedanken Eingang in das Aktienrecht, die bislang allein mit der von der Literatur bereits überwiegend befürworteten18 gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht in Verbindung gebracht wurden. Vor allem aber hatte das Schrifttum bereits seit längerer Zeit dafür plädiert, den Bezugsrechtsausschluss materiellen Schranken zu unterwerfen, und entsprechende Konzepte vorgelegt19. 14
BGHZ 71, 40, 50 ff.; näher unten § 6 F. BGHZ 71, 40, 52 f. 16 Lutter, ZGR 1979, 401 ff.; Martens, in: FS R. Fischer, S. 437, 442 ff.; Wiedemann, ZGR 1980, 147, 155 ff.; ders., Gesellschaftsrecht I, § 8 III 2 a (S. 446); Timm, Konzernspitze, S. 71 ff., 79; Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 16; Hüffer, in: FS Fleck, S. 151, 164 ff. 17 Vgl. die Kölner Rektoratsrede von Wiedemann, ZGR 1980, 147 ff. 18 Etwa Lutter, JZ 1976, 225 ff.; Stimpel, in: FS 25 Jahre BGH, S. 13, 25; Wiedemann, JZ 1976, 392, 394, alle m.w. N. 15
§ 5 Die Entstehung des Sachgrunderfordernisses
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II. Kritik und Fortentwicklung Die einhellige Zustimmung des Schrifttums galt jedoch vorwiegend dem rechtlichen Maßstab, den der Bundesgerichtshof im „Kali & Salz“-Urteil entwickelt hatte. Was die konkrete Handhabung dieses Kontrollmaßstabs betrifft, stieß die Entscheidung dagegen auf Kritik. Die Entscheidung, so eine insbesondere von Lutter vorgebrachte Bewertung, könne gemessen an ihren eigenen Maßstäben nicht ganz befriedigen20. Aus den weitreichenden Aussagen von der „Abwägung der widerstreitenden Interessen nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes“ sowie der Einordnung der materiellen Beschlussanforderungen als „(ungeschriebene) sachliche Wirksamkeitsvoraussetzung“ habe der Bundesgerichtshof nicht die sachlich und dogmatisch gebotenen Konsequenzen gezogen21. Dazu sah sich daher das Schrifttum aufgerufen. So wurden die etwas verstreut liegenden Aussagen des Bundesgerichtshofs zum Prüfungsmaßstab zu einer dreibzw. vierstufigen Verhältnismäßigkeitskontrolle (Gesellschaftsinteresse, Geeignetheit, Erforderlichkeit, Angemessenheit) zusammengeführt22. Diesbezüglich habe – wenn auch unter Anerkennung eines unternehmerischen Beurteilungsspielraums23 – eine echte und nicht nur wie im „Kali & Salz“-Urteil eine grobmaschige richterliche Kontrolle stattzufinden24. Vor allem auf die normsystematische Einordnung der entwickelten materiellen Beschlussanforderungen hat das Schrifttum beharrt. Seien diese als ungeschriebene sachliche Wirksamkeitsvoraussetzung einzustufen, so folge hieraus, dass die beklagte Gesellschaft die volle Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlichen Umstände trage, welche die sachliche Rechtfertigung begründen25. Denn nach der zivilprozessualen Normentheorie, die auch im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Anfechtungsklage Geltung beanspruche, habe jede Partei das Vorliegen der für sie günstigen Norm darzulegen und zu beweisen. Nach Einordnung der materiellen Beschlussanforderungen als positiver Wirksamkeitsvoraussetzung des Beschlusses aber sei das Vorliegen des Sachgrundes eine für die Gesellschaft günstige Norm. 19 In alphabetischer Reihenfolge: Blumenröhr, Schranken, S. 120 ff.; Bruns, Verwaltungseingriff, S. 204 ff.; Füchsel, Bezugsrechtsausschluss, S. 79 ff.; ders., BB 1972, 1533 ff.; Lutter, in: KölnKomm/AktG, 1. Aufl. 1971, § 186 Rn. 49; Mestmäcker, BB 1961, 945 ff.; Schilling, in: GroßKomm/AktG, 3. Aufl. 1973, § 204 Rn. 2; Wiedemann, in: GroßKomm/AktG, 3. Aufl. 1973, § 186 Rn. 12; ders., Minderheitenschutz, S. 54 ff.; Zöllner, in: KölnKomm/AktG, 1976, § 243 Rn. 196; ders., Schranken, S. 352 f. 20 Lutter, ZGR 1979, 401, 405 ff.; wohl auch Flume, Juristische Person, § 7 III (S. 214) mit Fn. 97; ferner Binnewies, Konzerneingangskontrolle, S. 243. 21 Nachweise in der vorhergehenden Fn. 22 Siehe insbesondere Lutter, ZGR 1979, 401, 403 f. 23 Lutter, ZGR 1979, 401, 414. 24 Deutlich Lutter, ZGR 1979, 401, 403 ff.; siehe auch noch unten § 6 H. II. 1. b). 25 Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 220 f.; Hüffer, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/ Kropff, AktG, § 243 Rn. 147; ders., in: FS Fleck, S. 151, 166 f.; Lutter, ZGR 1979, 401, 412 ff.; Timm, JZ 1980, 668 f.; Wiedemann, ZGR 1980, 147, 158.
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2. Teil: Das Sachgrunderfordernis
C. Das Rechtsinstitut „Sachgrunderfordernis“ I. Etablierung des Sachgrunderfordernisses Aus dem geschilderten Zusammenwirken von Literatur und Rechtsprechung entwickelte sich nach und nach das Rechtsinstitut „Sachgrunderfordernis“: Auf literarischen Vorarbeiten26 aufbauend gab der Bundesgerichtshof im „Kali & Salz“-Urteil den entscheidenden Anstoß für die weitere Entwicklung27. Das Schrifttum griff die dort getroffenen Aussagen auf, ordnete sie ein, verlieh ihnen Konturen und, nicht zu unterschätzen, gab dem Ganzen einen Namen: „Sachgrunderfordernis“, „Erfordernis sachlicher Rechtfertigung“, „Lehre vom sachlichen Grund“ 28. Als der Bundesgerichtshof dann in den 80er Jahren die „Kali & Salz“-Rechtsprechung auf weitere Beschlussgegenstände übertrug29, und, sofern er diese Übertragung ablehnte, sich mit den literarischen Gegenstimmen auseinandersetzte30, war klar, dass sich das Sachgrunderfordernis als allgemeines und eigenständiges Rechtsinstitut im Grundsatz etabliert hatte31. II. Kennzeichen des Sachgrunderfordernisses In der Diskussion der 80er Jahre hat dieses Rechtsinstitut auch seine spezifische Gestalt verliehen bekommen. Dabei bildeten sich folgende prägende Merkmale heraus. Erstens: Beschlüsse, mit denen sich ein schwerer Eingriff in die Mitgliedschaft der Gesellschafter verbindet, können einem besonderen Rechtfertigungszwang unterliegen. Zweitens: Die jeweilige Kompetenznorm wird dabei durch das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des sachlichen Grundes ergänzt. Drittens: Dieses ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des sachlichen Grundes ist dann erfüllt, wenn der Beschluss zur Förderung des Gesellschaftsinteresses geeignet ist und sich auch mit Blick auf Minderheitsinteressen als erforderlich und angemessen erweist. Viertens: Die Darlegungs- und Beweislast hierfür obliegt nach ganz herrschender Lehre der beklagten Gesellschaft.
26
Nachweise oben Fn. 19. Vgl. Tröger, Treupflicht, S. 265: „Kali & Salz“- Entscheidung als „Meilenstein“. 28 Vgl. Bischoff, BB 1987, 1055, 1059 („sachlicher Grund“); Lutter, ZGR 1979, 401 ff.; ders., ZGR 1981, 171 ff.; Martens, in: FS R. Fischer, S. 437, 442 ff.; Wiedemann, ZGR 1980, 147, 157; später dann ders., ZGR 1999, 857, 859 („Lehre vom sachlichen Grund“). 29 BGHZ 80, 69, 73 ff. (Süssen); BGHZ 83, 317, 320 ff. (Holzmann); näher unten § 8 A. II. 30 Insbesondere BGHZ 103, 184, 189 ff. (Linotype); siehe auch BGHZ 76, 352, 353; näher unten § 8 A. II. 31 Siehe auch Henze, BB 1996, 489, 491 („mittlerweile zum eigenständigen Institut verfestigte materielle Beschlusskontrolle“). 27
§ 6 Einordnung und Bewertung des Sachgrunderfordernisses
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§ 6 Einordnung und Bewertung des Sachgrunderfordernisses Das Rechtsinstitut „Sachgrunderfordernis“, dessen Entstehung und maßgebliche Kennzeichen wir eben kennengelernt haben, gilt es nun einzuordnen und zu bewerten. Besonderes Augenmerk ist dabei auf die Frage zu richten, ob und wenn ja in welcher Hinsicht mit dem „Kali & Salz“-Urteil in seiner ihm durch die Literatur gegebenen Gestalt bereits eine Vorentscheidung hinsichtlich der umstrittenen gegenständlichen Reichweite einer materiellen Beschlusskontrolle gefallen war – mit anderen Worten: Durch welche Parameter wird diese im Zentrum der vorliegenden Arbeit stehende Streitfrage bestimmt? Mehr noch als Parameter, nämlich verbindliche Vorgaben für eine bestimmte Rechtsfrage kommen häufig aus dem höherrangigen Recht. Damit soll begonnen werden.
A. Europarecht I. Europarechtliche Zulässigkeit des Sachgrunderfordernisses In den 90er Jahren wurden mit Blick auf die Zweite Gesellschaftsrechtliche Richtlinie (Kapital-RL)32 europarechtliche Bedenken gegen die deutsche Inhaltskontrolle33 beim Bezugsrechtsausschluss erhoben34. Anlass entsprechender Überlegungen war Art. 29 der Kapital-RL. Absatz 1 dieser Vorschrift gewährt Aktionären bei jeder Barkapitalerhöhung ein Anrecht auf die neu geschaffenen Aktien. Art. 29 Abs. 4 Kapital-RL lässt allerdings den Ausschluss dieses Rechts durch einen Beschluss der Hauptversammlung zu, macht hierfür aber die Beachtung gewisser formeller Kautelen (qualifizierte Mehrheit, Vorstandsbericht) zur Voraussetzung. Hinsichtlich materieller Beschlussanforderungen hüllt sich die Vorschrift dagegen in Schweigen. Daraus wurde im Schrifttum vereinzelt abgeleitet, die Kapital-RL stehe einer nationalen Inhaltskontrolle nach Maßgabe des Sachgrunderfordernisses entgegen; sie sei vielmehr als abschließende Kompromissregelung zu verstehen und verbiete daher den Erlass strengeren nationalen Rechts35. Diese Einwände dürften sich jedoch – zumindest für die Praxis – durch
32
Richtlinie 77/91 EWG vom 13.12.1976, ABl. L 26 vom 31.1.1977, S. 1. Im Folgenden wird mitunter der Begriff „Inhaltskontrolle“ gebraucht, obgleich sich über diese Terminologie und die sich hinter ihr verbergende privatrechtsdogmatische Einordung des Sachgrunderfordernisses trefflich streiten lässt, siehe unten § 6 I. u. insb. § 8 B. V. 1. 34 Namentlich Kindler, ZHR 158 (1994), 339, 351 ff. 35 Kindler, ZHR 158 (1994), 339, 351 ff. Nach Kindler, a. a. O. können und dürfen daher allein der Richtlinie selbst materielle Beschlusserfordernisse entnommen werden; Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 42 Kapital-RL) und Missbrauchsverbot ließen sich dabei aus der Richtlinie deduzieren. 33
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2. Teil: Das Sachgrunderfordernis
das auf einen Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofs36 hin ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Sachen „Siemens/Nold“ erledigt haben. Eine abschließende Wirkung, so der Europäische Gerichtshof, könne der Richtlinie nicht mit Sicherheit entnommen werden37. Mit Blick auf die aktionärsschützende Zielrichtung der Kapital-RL begegne es daher keinen europarechtlichen Bedenken, wenn das nationale Recht auch bei Sachkapitalerhöhungen ein Bezugsrecht gewähre und entsprechende Ausschlussbeschlüsse einer Inhaltskontrolle unterwerfe38. Das Urteil betraf zwar unmittelbar nur die Sachkapitalerhöhung. Angesichts der teleologischen Argumentation (Schutz der Aktionäre) wird man aber davon ausgehen können, dass der Europäische Gerichtshof für die Beschlusskontrolle bei der Barkapitalerhöhung nicht anders judizieren würde39. Dass der deutschen Rechtsprechung zur Beschlussinhaltskontrolle Art. 29 Kapital-RL folglich nicht entgegensteht, erscheint richtig. Das Argument der Gegenmeinung, das Regelungsziel der Richtlinie, beim Aktionärs- und Gläubigerschutz ein „Mindestmaß an Gleichwertigkeit herzustellen“ (zweiter Erwägungsgrund Kapital-RL), sei als „Mindestmaß an Vereinheitlichung“ zu verstehen40, verfängt nicht. Das Mindestmaß an Gleichwertigkeit, das die Richtlinie herzustellen bezweckt, wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass ein Mitgliedsstaat einen Mehrheitsbeschluss nicht nur – wie von der Richtlinie gefordert – formellen, sondern auch materiellen Anforderungen unterwirft; das Mindestmaß an Gleichwertigkeit besteht dann in den europaweit einheitlichen formellen Anforderungen (qualifizierte Mehrheit, Vorstandsbericht)41. Es ist nicht ersichtlich, was der um Aktionärsschutz bemühte europäische Gesetzgeber gegen einen weitergehenden nationalen Aktionärsschutz haben sollte. Zwar wurde gegen dieses Schutzargument vorgetragen, der Richtlinie liege ein austarierter Interessenkompromiss zwischen gegenläufigen Gläubiger- und Aktionärsinteressen zugrunde; jede nationale Bevorzugung einer dieser Bezugsgruppen hebele die europarechtlich gefundene Kompromisslösung daher wieder aus42. Ein Konflikt zwischen Aktionärs- und Gläubigerinteressen lässt sich bei einer Kapitalerhöhung jedoch nur in Sonderfällen ausmachen43. Doch spielt dies letztlich auch gar keine Rolle. Denn Art. 29 Kapital-RL bezweckt in erster Linie Aktionärs- und nicht Gläubigerschutz44. Dieser Teleologie der kon36
BGH ZIP 1995, 372. EuGH NJW 1997, 721 f. 38 EuGH NJW 1997, 721, 722. 39 Siehe insbesondere auch EuGH EuZW 2009, 552 f. (zur spanischen Bezugsrechtsregelung). 40 So nachdrücklich Kindler, ZHR 158 (1994), 339, 352 ff. 41 Siehe Merkt, RabelsZ 61 (1997), 647, 656, 661 f. (Gleichwertigkeit keine absolute, sondern immer nur eine relative Größe). 42 Kindler, ZHR 158 (1994), 339, 354 f. 43 Richtig Stamatopoulos, Genehmigtes Kapital, S. 370. 44 Zutreffend Stamatopoulos, Genehmigtes Kapital, S. 370; wohl gleichfalls EuGH NJW 1997, 721, 722. 37
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kreten Richtlinienbestimmung gebührt gegenüber allgemeinen Erwägungen zum Höchstnormcharakter der Richtlinie oder interessenausgleichenden Regelungsabsichten der Vorrang. Jedes andere Ergebnis ginge auch an den heutigen politischen Realitäten vorbei: Die Europäische Kommission hat sich spätestens mit ihrem Aktionsplan vom 21.5.2003 betreffend die Modernisierung des Gesellschaftsrechts und die Verbesserung der Corporate Governance45 vom ursprünglichen Konzept der Vollharmonisierung verabschiedet; sie wird sich zukünftig auf das Ergreifen punktueller Maßnahmen konzentrieren46. Der Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten im Bereich des Gesellschaftsrechts wird daher eher wachsen denn schrumpfen. Es ist – zumal mit Blick auf das gemeinschaftsrechtliche Subsidiaritätsprinzip47 – kein guter Grund ersichtlich, die offene Rechtsfrage nach dem Charakter der Kapital-RL im entgegengesetzten Sinne, also im Sinne der Höchstnormtheorie, zu entscheiden und das nationale Schutzinstrument des Sachgrunderfordernisses europarechtlich für unzulässig zu erklären. Halten wir also fest: Die Kapital-RL steht der im Rahmen des Bezugsrechtsausschlusses praktizierten Inhaltskontrolle nicht entgegen48. Für die von der Dritten und Sechsten Gesellschaftsrechtlichen Richtlinie erfassten Verschmelzungs- und Spaltungsbeschlüsse kann entsprechend nichts anderes gelten49. II. Europarechtliches Gebot einer Beschlussinhaltskontrolle Der europarechtliche Einfluss auf das Sachgrunderfordernis ist damit aber noch nicht vollständig ausgelotet. Steht die Kapital-RL der Sachkontrolle deutscher Prägung nicht entgegen, fragt es sich, ob nicht umgekehrt eine Beschlussinhaltskontrolle europarechtlich sogar geboten sein könnte. In der Tat findet sich im Schrifttum die Auffassung, Art. 29 Abs. 4 Satz 3 der Kapital-RL lasse sich entnehmen, dass die Richtlinie an den Bezugsrechtsausschluss nicht nur formelle, sondern auch materielle Anforderungen stelle50. Art. 29 Abs. 4 Satz 3 Kapital-RL lautet: „Das Verwaltungs- oder Leitungsorgan hat der Hauptversamm45 KOM [2003] 284, abgedruckt in NZG 2003, Sonderbeilage zu Heft 13; dazu Bayer BB 2004, 1, 5 ff. 46 Vgl. Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 4 I 4 a (S. 72 f.). 47 Darauf abstellend Merkt, RabelsZ 61 (1997), 647, 672 ff. 48 So auch die h. L., siehe Drinkuth, Kapitalrichtlinie, S. 245 ff.; Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 10 V 2 b (S. 187); Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 6 VI 2 d (S. 182 ff.); Hüffer, AktG, § 186 Rn. 34a; Wiedemann, in: GroßKomm/AktG, § 186 Rn. 18 f. 49 Die Frage wird selten erörtert, wohl deshalb, weil der offene Charakter angesichts des Schutzcharakters der entsprechenden Richtlinien und der ähnlichen Interessenlage von Gläubigern und Minderheitsaktionären bei Umwandlungen schwer zu bestreiten ist, siehe D. Schindler, Verschmelzungsbeschluss, S. 42. 50 Groß, in: Grundmann, Systembildung, S. 189, 198 ff.; Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, S. 52; Kindler, ZHR 158 (1994), 339, 357; Natterer, ZIP 1995, 1481, 1487.
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2. Teil: Das Sachgrunderfordernis
lung einen schriftlichen Bericht über die Gründe für eine Beschränkung oder einen Ausschluss des Bezugsrechts zu erstatten und den vorgeschlagenen Ausgabekurs zu begründen.“ Diese europarechtliche Berichtspflicht, so die Argumentation, ergebe nur dann einen Sinn, wenn der Bezugsrechtsausschluss auch europarechtlich basierten materiellen Anforderungen zu genügen habe51, dies zumal sich der Inhalt der Berichtspflicht nur unter Rückgriff auf sachliche Erfordernisse konkretisieren lasse52. Dieser Schluss von der Berichtpflicht auf materielle Beschlussanforderungen ist auch im nationalem Kontext (vgl. § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG) anzutreffen53. Er vermag dort ebenso wenig zu überzeugen wie hier. Wäre es nämlich richtig, dass sich aus einer formellen Rechtspflicht auch materielle Rechtspflichten ableiten ließen, müsste dies konsequenterweise auch im europäischen Verschmelzungs- (Dritte Gesellschaftsrechtliche Richtlinie, Verschmelzungs-RL54) und Spaltungsrecht (Sechste Gesellschaftsrechtliche Richtlinie, Spaltungs-RL55) gelten56. Art. 9 der Verschmelzungs-RL sowie Art. 7 der Spaltungs-RL legen den Verwaltungsorganen bei Verschmelzungs- und Spaltungsvorgängen die gleiche Pflicht auf, die Art. 29 Abs. 4 Satz 3 der Kapital-RL für den Bezugsrechtsausschluss im Rahmen einer Kapitalerhöhung statuiert. Aus Art. 9 Verschmelzungs-RL sowie Art. 7 Spaltungs-RL wurde bislang, soweit ersichtlich, allerdings nicht der Schluss gezogen, das Europarecht stelle an den Verschmelzungs- bzw. Spaltungsbeschluss auch materielle Anforderungen. So soll das Sachgrunderfordernis nach herrschender Meinung bei diesen Beschlussgegenständen auch nicht zur Anwendung kommen57. Diese Inkonsequenz weckt erste Zweifel daran, dass sich aus einer formellen Berichtsnorm materielle Beschlussanforderungen ableiten lassen. Auf weitere Gesichtspunkte soll bei der Diskussion um die in § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG angeordnete Berichtspflicht eingegangen werden58. Selbst wenn man nämlich der Ansicht zuneigte, aus der europarechtlichen Berichtspflicht (Art. 29 Abs. 4 Satz 2 Kapital-RL) wären gewisse materielle Anforderungen ableitbar, kann dies doch kaum im Sinne des Sachgrunderfordernisses deutscher Prägung gemeint sein. Dieses Rechtsinstitut ist
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Siehe die Nachweise in der vorhergehenden Fn. Prononciert Groß, in: Grundmann, Systembildung, S. 189, 198. 53 Ausführlich sogleich unter III 2. 54 Richtlinie 77/855/EWG vom 9.10.1978, ABl. Nr. L 295/36. 55 Richtlinie 82/891 EWG vom 17.12.1982, ABl. Nr. L 378/47. 56 Siehe in nationalem Kontext Bayer, ZHR 163 (1999), 505, 528; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 61. 57 Für den Verschmelzungsbeschluss: OLG Frankfurt, NZG 2006, 227 (T-Online); Gehling, in: Semler/Stengel, UmwG, § 13 Rn. 24 f.; Heckschen, in: Widmann/Mayer, UmwG, § 13 Rn. 163.24 ff.; Simon, in: KölnKomm/UmwG, § 13 Rn. 96 f.; grundsätzlich auch Lutter/Drygala, in: Lutter, UmwG, § 13 Rn. 31 ff.; für Spaltungsbeschlüsse: Kuhlmann/Ahnis, Konzern- und Umwandlungsrechts, § 10 II 3 (S. 438). 58 Unten III. 2. 52
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weitgehend eine Eigenheit des deutschen Gesellschaftsrechts59. Es in Art. 29 Abs. 4 Satz 3 Kapital-RL europarechtlich zu verankern, würde der Sache nach bedeuten, den übrigen Mitgliedsstaaten die Übernahme dieses Instituts zur Pflicht zu machen. Dies aber kann kaum richtig sein und wird so (wohl) auch nicht vertreten60. Worin die materiellen Anforderungen dann bestehen sollen, die angeblich von Art. 29 Abs. 4 Satz 3 Kapital-RL vorausgesetzt werden, bleibt im Übrigen aber im Dunkeln. Eine europarechtliche Pflicht, Mehrheitsbeschlüsse in Kapitalangelegenheiten einer Inhaltskontrolle zu unterziehen, ist demnach abzulehnen61. III. Hintergrund Das Europarecht determiniert das Institut des Sachgrunderfordernisses also nicht, weder negativ (Verbot der Inhaltskontrolle) noch positiv (Gebot der Inhaltskontrolle). Dies mag auf den ersten Blick überraschen, liest man doch allenthalben vom wachsenden Einfluss des Europarechts gerade im Bereich des Gesellschaftsrechts62. Bei näherer Betrachtung aber weicht die Verwunderung. Bei der Frage, ob Mehrheitsbeschlüsse einer Inhaltskontrolle unterliegen oder nicht, handelt es sich um eine allgemeine gesellschaftsrechtliche Frage, um ein „Grundsatzproblem des Gesellschaftsrechts“, wie der Gesetzgeber treffend charakterisierte63. Systematisch gehört es daher in einen ungeschriebenen Allgemeinen Teil des Korporationsrechts. Einen solchen Allgemeinen Teil aber vermisst man im europäischen Gesellschaftsrecht64. Nachdrücklicher Beleg hierfür ist der weitgehende Verweis der SE-VO auf nationales Recht (vgl. Art. 9 SE-VO). Von daher entspricht es durchaus dem fragmentarischen und punktuellen Charakter des europäischen Gesellschaftsrechts, dass es die Frage einer Beschlussinhaltskontrolle dem nationalen Gesellschaftsrecht überlässt65. So wenig das europäische Gesellschaftsrecht einen allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung von Aktionären kennt66, so wenig beinhaltet es Vorgaben zu dem allgemein-gesellschaftsrecht59 Vgl. Bagel, Der Ausschluss des Bezugsrechts in Europa, S. 41 ff.; Kreß, Beschlusskontrolle, S. 125 ff.; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 114 ff.; Wymeersch, AG 1998, 382 ff.; siehe auch unten § 9 B. IV., § 11 B. II. 3. b). 60 So auch die Einschätzung der Diskussion von Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 61 Fn. 51. 61 So auch Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 10 V 2 b (S. 187); Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 6 VI 2 d bb (S. 182). 62 Vgl. nur Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 1 I (S. 1 ff.). 63 BT-Drucks. 12/6699, Begr. zu § 13 UmwG, S. 86. 64 Vgl. Bachmann, ZGR 2001, 351, 373 ff.; Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht § 4 Fn. 35; vgl. aber auch Schön, in: FS Hopt, Bd. 1, S. 1343 ff., alle m.w. N. 65 Vgl. auch Wiedemann, in: GroßKomm/AktG, § 186 Rn. 19, der meint, dass der europäische Gesetzgeber mit einer Regelung des Fragenkreises seine Zuständigkeit überschreiten würde. 66 EuGH NZG 2009, 1350 (Audiolux).
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lichen Problem einer materiellen Beschlusskontrolle. Nicht gänzlich unberechtigt erscheint daher die Vermutung, dass die Versuche der europarechtlichen Aufladung des Sachgrunderfordernisses auch von dem rechtspolitischen Wunsch gespeist sind, das als negativ bzw. positiv bewertete nationale Institut des Sachgrunderfordernisses europarechtlich zu begraben bzw. zu zementieren. Der Europäische Gerichtshof hat diesen Versuchen mit Recht eine Absage erteilt. Mit dem Europarecht also hat das Sachgrunderfordernis nichts zu tun. Daher können wir die nächste höherrangige Rechtsquelle in den Blick nehmen, das Verfassungsrecht.
B. Verfassungsrecht I. Verfassungsrechtliches Gebot einer Beschlussinhaltskontrolle Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten sind Streitigkeiten zwischen Privatpersonen. Die Grundrechte der Verfassung kommen daher nur nach den Grundsätzen der mittelbaren Drittwirkung zum Tragen67. Ein an die Rechtsprechung adressiertes Gebot, Mehrheitsbeschlüsse einer Inhaltskontrolle zu unterziehen, könnte sich dabei aus einer verfassungsrechtlichen Schutzpflicht insbesondere zugunsten des Anteilseigentums (Art. 14 GG) ergeben68. Vorsichtige Versuche in diese Richtung hat es im Schrifttum gegeben69. Das Bundesverfassungsgericht dagegen steht auf einem anderen Standpunkt. In ständiger Rechtsprechung fokussiert es den verfassungsrechtlichen Aktionärsschutz auf die vermögensrechtliche Komponente der Mitgliedschaft. Sub specie des Art. 14 GG verlangt es mit Nachdruck, dass Aktionäre für Beeinträchtigungen ihrer Rechtsstellung wirtschaftlich voll entschädigt werden70. In beschlussmängelrechtlicher Hinsicht soll es dagegen genügen, dass wirksame Rechtsbehelfe allein gegen den Missbrauch wirtschaftlicher Macht zur Verfügung stehen71. Eine Beschlussinhaltskontrolle nach Maßgabe des Sachgrunderfordernisses verlangt das Bundesverfassungs-
67 Grundlegend BVerfGE 7, 198 (Lüth); Canaris, AcP (1984), 200 ff.; ders., Grundrechte und Privatrecht: eine Zwischenbilanz (1999); aus dem öffentlich-rechtlichen Schrifttum Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 89 ff., 139 f., 195, mit Nachweisen auch zu anderen Konzeptionen; ausführlich zum Ganzen mit gesellschaftsrechtlichem Blickwinkel und eigener Konzeption Hofmann, Minderheitenschutz, S. 69 ff.; dazu noch unten bei § 9. 68 Zum grundrechtsdogmatischen Anknüpfungspunkt etwa Bergbach, Anteilseigentum, S. 247 ff. 69 Etwa Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 12 III 2 (S. 705 f.). 70 Bereits BVerfGE 14, 263, 283 (Feldmühle); dann fortgeführt von BVerfGE 100, 289 302 f. (DAT/Altana); BVerfG ZIP 2000, 1670, 1671 ff. (Moto Meter); BVerfG NJW 2007, 3268, 3269 ff. (Edscha). 71 BVerfGE 14, 263, 283 (Feldmühle); BVerfGE 100, 289 302 f. (DAT/Altana); BVerfG ZIP 2000, 1670, 1671 ff. (Moto Meter); BVerfG NJW 2007, 3268, 3269 ff. (Edscha).
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gericht grundsätzlich72 also nicht. Im „Moto Meter“-Beschluss führt es aus: „Soweit die Zivilgerichte bestimmte Beschlüsse der Hauptversammlung von Aktiengesellschaften dem Erfordernis einer besonderen ,sachlichen Rechtfertigung‘ unterwerfen, ist dies nicht durch Art. 14 Abs. 1 GG geboten.“ 73 Diese Rechtsprechung ist zwar nicht frei von Kritik geblieben74. Die Bewertung des Sachgrunderfordernisses aber wird zeigen, dass die verfassungsgerichtliche Zurückhaltung hinsichtlich dieses umstrittenen und in seinen Grundlagen ungeklärten Rechtsinstituts zu begrüßen ist75. Es stellt sich im Gegenzug vielmehr die Frage, ob die Verfassung diese Form der Beschlussinhaltskontrolle überhaupt zulässt. Nicht nur die Minderheit hat nämlich (Grund-)Rechte, sondern auch die Mehrheit. II. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Sachgrunderfordernisses Verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Sachgrunderfordernis wurden bislang kaum geltend gemacht. Auf der Hand liegt die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit der Sachkontrolle allerdings nicht. Denn die Befugnis, die Struktur der Gesellschaft und des von ihr betriebenen Unternehmens eigenverantwortlich zu bestimmen, genießt verfassungsrechtlichen Schutz76. Auf welches Grundrecht – zur Auswahl stehen: Art. 14, 12, 9 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG – und welchen Grundrechtsträger – hier stehen zur Auswahl: die Gesellschaft als juristische Person (vgl. Art. 19 Abs. 3 GG) sowie die einzelnen, die Mehrheit konstituierenden Gesellschafter77 – man dabei abstellt, ist letztlich nicht von entscheidender Bedeutung78. Es lässt sich nämlich im Ergebnis kaum daran zweifeln, dass eine richterliche Verhältnismäßigkeitskontrolle von Mehrheitsbeschlüssen einen Eingriff in die von den genannten Grundrechten geschützte Freiheit, die Gesellschafts- und Unternehmensstruktur autonom festzulegen und zu verändern, darstellt. Dieser Eingriff durch die grundrechtsgebundene Rechtsprechung (Art. 1 Abs. 3 GG) löst verfassungsrechtlichen Rechtfertigungszwang aus. Jedenfalls für (börsennotierte) Aktiengesellschaften, deren Aktien im Streubesitz von Kleinaktionären gehalten werden, erhält die Sache hier verfassungsrechtliche Brisanz. Denn wie 72
Zur verfassungsgerichtlichen Hintertür sogleich unter III. BVerfG ZIP 2000, 1670, 1673. 74 Bergbach, Anteilseigentum, S. 278 ff.; Hanau, NZG 2002, 1040, 1042 ff.; Wiedemann, in: FS K. Schmidt, S. 1731 ff. mit dem programmatischen Titel „Ist der Kleinaktionär kein Aktionär?“. 75 Näher unten ab § 6 D. 76 Im Grunde unstr., siehe schon BVerfGE 14, 263, 281 ff. (Feldmühle); ferner Jung, JZ 2001, 1004, 1010 ff. m.w. N. 77 Die Mehrheit als solche kommt dagegen als Grundrechtsträger nicht in Betracht, denn sie ist nicht rechtsfähig und kann daher auch nicht Träger von (Grund-)Rechten sein. 78 Ausführlich zu den relevanten Grundrechtspositionen Jung, JZ 2001, 1004, 1010 ff. (Grundrechtschutz der Gesellschafter) sowie Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 12 II 1 (S. 687 ff.). 73
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2. Teil: Das Sachgrunderfordernis
gesehen, ist eine Beschlussinhaltskontrolle nach Art des Sachgrunderfordernisses verfassungsrechtlich nicht geboten. Das aber bedeutet, dass die Sachkontrolle in ein verfassungsrechtliches Grundrecht eingreift, ohne dass dies von einem anderen verfassungsrechtlichen Schutzgut gefordert wäre. Verstößt die nach Maßgabe des Sachgrunderfordernisses praktizierte Inhaltskontrolle daher gegen die Verfassung? Zu berücksichtigen ist zunächst, dass die verfassungsrechtliche Rechtsprechung vorwiegend den Kleinaktionär im Blick hat. Häufig, insbesondere bei nicht börsennotierten Aktiengesellschaften und Gesellschaften mbH werden sich auf Seiten der unterlegenen Minderheit aber auch Gesellschafter befinden, die ein „weitergehendes, anerkennenswertes Interesse“ 79 an der Gesellschaftsbeteiligung haben80. Diesem besonderen Beteiligungsinteresse scheint das Bundesverfassungsgericht verfassungsrechtliche Relevanz zuzusprechen81. Es kann daher auch als Argument für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Sachkontrolle angeführt werden. Der Verweis auf die verfassungsrechtlich nicht gebotene Sachkontrolle kann aber auch aus anderen, grundsätzlicheren Gründen das Verdikt ihrer Verfassungswidrigkeit nicht tragen: Ein Eingriff in ein von der Verfassung gewährleistetes Grundrecht muss zuvörderst einem legitimen Ziel dienen82. Dies bedeutet aber nicht, dass die Verfolgung dieses legitimen Ziels verfassungsrechtlicher Notwendigkeit entspringen müsste. Die grundgesetzliche Aufgabenverteilung legt es vielmehr nahe, der Rechtsprechung beim Ausgleich privater Interessen einen verfassungsrechtlich nicht weiter determinierten Spielraum zu belassen. Mit anderen Worten: Die Rechtsprechung kann einer bestimmten Personengruppe etwa in Form einer Inhaltskontrolle Schutz zuteilwerden lassen, ohne dass dieser Schutz von der Verfassung zwingend gefordert sein müsste. Voraussetzung ist lediglich, dass der von der Rechtsprechung gewährte Schutz einem legitimen, von der Verfassung anerkannten, wenn auch von ihr nicht geforderten Ziel dient und das Verhältnismäßigkeitsprinzip (Übermaßverbot) beachtet wird. Ein verfassungslegitimes Ziel aber wird man in dem vom Sachgrunderfordernis bezweckten Gesellschafter- bzw. Minderheitenschutz sicherlich erblicken können. Auch lässt sich, jedenfalls beim heutigen Stand von Gesetzgebung und Dogmatik, nicht mehr sagen, das Sachgrunderfordernis belaste die Gesellschaft bzw. Gesellschaftermehrheit über Gebühr. Denn der Ausbau des gesellschaftsrechtlichen Freigabeverfahrens83 sowie die Fortentwicklung der Lehre von der fehlerhaften 79
BVerfG NJW 2007, 3268, 3270 (Edscha). Näher unten bei § 14 B. III. 2. b); ausführlich dann unten § 14 C. I. 1. a). 81 BVerfG NJW 2007, 3268, 3270 (Edscha). 82 Statt vieler Maurer, Staatsrecht I, § 8 II 9 b (S. 225 f.). 83 Vgl. § 246a AktG i. d. F. des UMAF (Freigabeverfahren auch bei Kapitalmaßnahmen und Unternehmensverträgen); ferner § 246a AktG, § 16 III UmwG i. d. F. ARUG (Eingangszuständigkeit des OLG, keine Rechtsmittel, Erleichterung der Freigabevoraussetzungen). 80
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Gesellschaft84 haben der mittels missbrauchsanfälliger Anfechtungsklage durchzusetzenden Sachkontrolle viel von ihrer belastenden Wirkung genommen85. III. Ergebnis und Hintergrund Für das Verfassungsrecht ergibt sich daher ein ähnlicher Befund wie für das Europarecht: Eine Beschlussinhaltskontrolle nach Maßgabe des Sachgrunderfordernisses ist verfassungsrechtlich nicht geboten. Das Verfassungsrecht steht einer solchen Beschlusskontrolle aber auch nicht entgegen. Auch dies mag angesichts des Bedeutungszuwachses des Verfassungsrechts in Sachen Minderheitenschutz86 auf den ersten Blick überraschen. Es dürfte aber darauf zurückzuführen sein, dass die verfassungsrechtliche Judikatur, wie bereits erwähnt, vorwiegend (börsennotierte) Aktiengesellschaften betraf. Für diesen Gesellschaftstypus fokussierte das Verfassungsgericht – insbesondere durch seine Börsenkursrechtsprechung87 – den vermögensrechtlichen Aktionärsschutz und schränkte im Gegenzug den mitgliedschaftlichen Bestandsschutz, dem die Beschlusskontrolle zuzuordnen ist88, ein. Nicht ausgeschlossen ist daher, dass verfassungsrechtliche Vorgaben und Wertungen bei einer anders als das Sachgrunderfordernis konzipierten Form der Beschlusskontrolle bzw. bei anders strukturierten Gesellschaften eine relevante Rolle spielen können, dies zumal sich das Verfassungsgericht mit dem Hinweis auf das „weitergehende, anerkennenswerte Interesse an der Beteiligung“ 89 ein Hintertürchen in Richtung Inhaltskontrolle offengelassen hat. Dies wird an späterer Stelle weiterzuentwickeln sein90. Einstweilen können wir die verfassungsrechtliche Betrachtung abschließen und uns der nächsten höherrangigen Rechtsquelle zuwenden, dem einfachen Gesetzesrecht.
C. Einfaches Gesetzesrecht Das Sachgrunderfordernis ist ein richterrechtliches Institut. Im einfachen Gesetzesrecht findet es keine unmittelbare Grundlage – eine gesetzliche Norm, die anordnet, dass ein Mehrheitsbeschluss nur bei Vorliegen eines sachlichen Grundes zulässig ist, existiert nicht. Vielleicht lässt sich aber eine mittelbare gesetzliche Grundlage des Sachgrunderfordernisses ausfindig machen. 84 Vgl. C. Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband (2002); Kort, Bestandsschutz fehlerhafter Strukturänderungen im Kapitalgesellschaftsrecht (1998). 85 Wiedemann, WM 2009, 1, 9; näher unten bei § 9 B. VI. 2. a), § 14 B. II. 1. 86 Zur „Beschlussserie“ des BVerfG Schön, in: FS Ulmer, S. 1359, 1360 ff. 87 BVerfGE 100, 289, 307 ff. (DAT/Altana); hierzu E. Schmidt-Aßmann, in: FS Badura, S. 1009, 1026 ff. 88 Näher unten § 10, § 14 B. III. 89 BVerfG NJW 2007, 3268, 3270 (Edscha). 90 Unten § 14 B. III. 2., § 14 B. IV. 2., § 14 C. I. 1. a) aa).
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2. Teil: Das Sachgrunderfordernis
I. Historische Gesetzgebungsmaterialien In den historischen Gesetzgebungsmaterialien zum GmbHG und zum AktG findet sich bezüglich der Frage einer materiellen Beschlusskontrolle kaum etwas. Der Gesetzgeber des GmbHG von 1892 begnügte sich in den Materialien mit einem vorsichtigen Hinweis auf den Gleichbehandlungsgrundsatz91; weitergehende Aufmerksamkeit schenkte er dem Thema nicht. Ähnlich dürftig ist die Materialienausbeute im Aktienrecht: Das AktG 1965 beschränkte sich, wie schon sein Vorgänger, auf die Normierung des Anfechtungsgrundes „Verfolgung von Sondervorteilen“ (§ 243 Abs. 2 AktG 1965, § 197 Abs. 2 AktG 1937). Gesetzgeberische Anhaltspunkte für eine weitergehende materielle Beschlusskontrolle lassen sich dagegen nicht ausmachen. In den Materialien zum AktG 1965 findet sich weder bei § 243 Abs. 1 AktG noch bei § 186 AktG ein Hinweis darauf, dass Mehrheitsbeschlüsse einem besonderen sachlichen Rechtfertigungszwang unterlägen92. II. Die Berichts- und Begründungspflicht nach § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG 1. Überblick
Im Aktienrecht des Jahres 1965 findet das Sachgrunderfordernis keine gesetzliche Grundlage. Einige Zeit später aber wurde in Umsetzung der europäischen Kapital-RL die Vorschrift des § 186 Abs. 4 Satz 2 in das AktG eingefügt93. Sie macht es dem Vorstand bei einem Bezugsrechtsausschluss zur Pflicht, der Hauptversammlung einen schriftlichen Bericht über den Grund für den Ausschluss zu erstatten. Ganz wie im europäischen Kontext stellt sich auch hier die Frage, ob das Sachgrunderfordernis dadurch gesetzliche Anerkennung gefunden hat. Von einigen Autoren wird dies bejaht94, von einigen verneint95. 2. Wortlaut und Teleologie
Der Wortlaut von § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG gibt für die Anerkennungsthese nichts her. Verlangt wird ein schriftlicher Vorstandsbericht. Berichts- und Informationspflichten aber sind formelle Beschlusserfordernisse, deren Nichtbeach91 Begründung zu § 54 GmbHG, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, VIII. Legislaturperiode, 1. Session 1890/92, Nr. 660, S. 3715, 3753. 92 Vgl. Kropff, Aktiengesetz 1965, S. 294 ff., 329 ff. 93 Eingeführt durch das Zweite Gesellschaftsrechtliche Koordinierungsgesetz (2. KoordG) vom 13.12.1978, BGBl. I, S. 1959. 94 Hüffer, AktG, § 186 Rn. 25; Lutter, in: KölnKomm/AktG, § 186 Rn. 211; siehe auch BGHZ 83, 319, 325 f. (Holzmann). 95 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 333; Schumann, Bezugsrecht, S. 29; Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S. 51 ff.; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 60 f.
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tung die Anfechtbarkeit des Beschlusses wegen eines Verfahrensfehlers begründen96. Für die Beantwortung der Frage, ob ein Beschluss auch materiellen Beschlusserfordernissen, deren Nichtbeachtung zur Anfechtbarkeit wegen eines Inhaltsfehlers führt97, unterliegt, lässt sich daraus unmittelbar nichts ableiten. Die Vertreter der Anerkennungsthese berufen sich denn auch nicht auf den Wortlaut, sondern führen teleologische Gesichtspunkte ins Feld: Die formelle Berichts- und Begründungspflicht lasse sich nur durch Rückgriff auf sachliche Erfordernisse des Bezugsrechtsausschlusses konkretisieren98 und sie vertrage sich nicht mit dem Gedanken einer beliebigen Mehrheitsentscheidung99. Überzeugend erscheint dies nicht. Die gesetzlich angeordnete Berichtspflicht dient den Aktionären als Informationsgrundlage der Stimmrechtsausübung; durch den schriftlichen Vorstandsbericht, der den Aktionären bereits vor der Hauptversammlung zugänglich gemacht werden muss100, sollen die Aktionäre zu einer eigenständigen Bewertung des Beschlussantrages befähigt, ihnen eine informierte Entscheidung über den Antrag ermöglicht werden101. Dieser Zweck der Berichtspflicht aber ist erfüllt, sobald die Aktionäre nach Vorlage des Berichts ihr Stimmrecht ausgeübt haben102. Die Frage, ob der Beschluss einer Inhaltskontrolle unterliegt, stellt sich erst zeitlich nachgeschaltet im anschließenden Beschlussmängelverfahren. Unmittelbare Bedeutung hat der Vorstandsbericht dabei, wie bereits angeklungen, nur in Bezug auf Verfahrensfehler – der Beschluss ist anfechtbar, wenn der Vorstandsbericht fehlerhafte Angaben enthält oder unvollständig ist103. In Bezug auf die inhaltliche Fehlerhaftigkeit des Beschlusses hat der Bericht dagegen keine unmittelbare normative Bedeutung. Seine Funktion beschränkt sich diesbezüglich darauf, das Gericht über mögliche, den Bezugsrechtsausschluss rechtfertigende Gründe in Kenntnis zu setzen. Diese Frage ist vom angerufenen Gericht dann aber eigenständig zu beurteilen, ohne dass die Berichtspflicht Ausmaß und Inhalt der materiellen Beschlusskontrolle determinieren würde104. Das Eingreifen einer besonderen richterlichen Beschlusskontrolle hängt vielmehr allein davon ab, ob es hierfür eine materielle Rechtsgrundlage gibt, die den Beschluss bzw. 96 97 98
Vgl. Hüffer, AktG, § 243 Rn. 11 ff. Vgl. erneut Hüffer, AktG, § 243 Rn. 20 ff. So im europarechtlichen Kontext Groß, in: Grundmann, Systembildung, S. 189,
198. 99
Lutter, in: KölnKomm/AktG, § 186 Rn. 211. Hüffer, AktG, § 186 Rn. 23 m.w. N. 101 BGHZ 83, 319, 326 (Holzmann); Hüffer, AktG, § 186 Rn. 23; Wandrey, Beschlusskontrolle, S. 275. 102 Siehe Schumann, Bezugsrecht, S. 61. 103 Zu den Anforderungen an die Berichterstattung Lutter, ZGR 1979, 401, 407 ff. 104 An alldem nichts zu ändern vermag der Umstand, dass rechtspraktisch mitunter anders verfahren wird, also hauptsächlich die Beachtung der formellen Berichtspflicht geprüft, die Frage der sachlichen Rechtfertigung dagegen offengelassen wird, so der Befund zur land- und obergerichtlichen Rechtsprechung bei Martens, ZIP 1992, 1677). 100
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2. Teil: Das Sachgrunderfordernis
die Stimmrechtsausübung inhaltlich bindet. Die formelle verfahrensrechtliche Norm des § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG kann diese inhaltliche Bindung dabei aus normstrukturellen Gründen nicht erzeugen. 3. Systematik und Genese
In systematischer Hinsicht ist zu beachten, dass das Gesetz Berichts- und Begründungspflichten nicht nur beim Bezugsrechtsausschluss, sondern auch bei zahlreichen weiteren Beschlussgegenständen kennt, etwa bei Unternehmensverträgen (§ 293a AktG) oder Umwandlungsmaßnahmen (§§ 8, 127, 192 UmwG). Wäre es richtig, dass das Sachgrunderfordernis durch die Statuierung einer Berichtspflicht gesetzlich festgeschrieben würde, müsste selbiges auch bei diesen Beschlussgegenständen gelten. Das Sachgrunderfordernis wäre dann auch auf den Zustimmungsbeschluss zu einem Unternehmensvertrag sowie auf Umwandlungsbeschlüsse anzuwenden105. Diese Konsequenz zieht die herrschende Meinung, darunter die maßgeblichen Vertreter der Anerkennungsthese, allerdings nicht: Von einer Berichtspflicht, welche die gesetzliche Anerkennung des Sachgrunderfordernisses zum Ausdruck bringe, ist bei Unternehmensverträgen und Umwandlungsbeschlüssen nicht die Rede, und das Sachgrunderfordernis wird bei diesen Beschlussgegenständen nicht zur Anwendung gebracht106. Was im einen Fall (Bezugsrechtsausschluss) richtig sein soll, nämlich der Schluss von der Berichtspflicht auf die Inhaltskontrolle, kann im anderen Fall (sonstige Beschlussgegenstände) aber schwerlich falsch sein. Systematische Ordnung bewahrt hier nur, wer auf den Schluss von der formellen Berichtspflicht auf die materielle Inhaltskontrolle verzichtet. Die genetische Auslegung bestätigt die bisherigen Überlegungen. Mit Art. 29 Abs. 4 Satz 2 Kapital-RL hat die Norm des § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG ein europarechtliches Fundament107. Die Materialien legen dabei nahe, dass der nationale Gesetzgeber mit § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG allein seiner europarechtlichen Umsetzungspflicht nachkommen wollte108. Einen Anhaltspunkt dafür, dass der nationale Gesetzgeber damit zugleich das von der Kapital-RL nicht geforderte109 und 105 Zutreffend Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 61; siehe auch Bayer, ZHR 163 (1999), 505, 528. 106 Für Verschmelzungs- und Spaltungsbeschlüssen siehe die Nachweise oben in Fn. 57; für den Formwechsel: OLG Düsseldorf NZG 2002, 191, 193; ZIP 2003, 1749, 1751 f. (von BGH ZIP 2005, 1318 nicht beanstandet); Bärwaldt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 193 Rn. 17; Petersen, in: KölnKomm/UmwG, § 193 Rn. 2. Für (aktienrechtliche) Unternehmensverträge: Altmeppen, in: MünchKomm/AktG, § 293 Rn. 51 ff.; Hüffer, AktG, § 293 Rn. 6 f. 107 Siehe oben A. II. 108 Vgl. Begr. RegE 2. KoordG, BT-Drucks. 8/1678, S. 18 (zu Nr. 22); siehe auch Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 332 f.; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 60; Wandrey, Beschlusskontrolle, S. 275. 109 Oben A. II.
§ 6 Einordnung und Bewertung des Sachgrunderfordernisses
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zum Zeitpunkt der Richtlinienumsetzung noch ganz und gar unausgereifte Sachgrunderfordernis – das Umsetzungsgesetz trat mit Wirkung zum 1. Juli 1979 in Kraft, das „Kali & Salz“-Urteil datiert vom 12. März 1978 – anerkennen wollte, sucht man in den Gesetzesmaterialien vergebens. Nach alledem ist der Anerkennungsthese eine Absage zu erteilen. Das Sachgrunderfordernis hat durch § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG keine gesetzliche Anerkennung erfahren. III. Der erleichterte Bezugsrechtsausschluss: § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG 1. Überblick
Ein weiterer Versuch, das Sachgrunderfordernis gesetzlich abzustützen, basiert auf § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG. Diese durch das Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts vom 2.8.1994110 eingefügte Norm lautet: „Ein Ausschluß des Bezugsrechts ist insbesondere dann zulässig, wenn die Kapitalerhöhung gegen Bareinlagen zehn vom Hundert des Grundkapitals nicht übersteigt und der Ausgabebetrag den Börsenkurs nicht wesentlich unterschreitet.“ Manche sehen darin eine gesetzliche Bestätigung des Sachgrunderfordernisses111, nicht wenige lehnen diese Interpretation dagegen ab112. 2. Wortlaut und Normsystematik
Geht man zunächst vom Wortlaut aus, so fällt die Vokabel „insbesondere“ auf. Diese – Wortlautauslegung und systematische Auslegung gehen insofern Hand in Hand – lässt auf eine von der Norm vorausgesetzte Grundregel schließen: Wo es einen Beispielsfall- bzw. eine Spezialregel gibt, muss es auch eine Grundregel geben. Diese allgemeine Regel kann nur das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG sein, eben das Sachgrunderfordernis. Durch die Normierung der Sonderregel des § 186 Abs. 3 Satz 4 habe der Gesetzgeber, so denn auch die Begründung, dieses allgemeine Institut vorausgesetzt und damit bestätigt113. Diese Argumentation ist auf Konstellationen zugeschnitten, in denen der Urheber der Sonderregel und der Urheber der Grundregel – wie im gesetzlichen Normalfall – identisch sind114. Dann lässt sich sagen, dass durch den Erlass der Sonderregel der Normgeber auch die Grundregel in seinen Willen aufgenommen hat. Vorliegend fehlt es jedoch an der Identität der Normgeber: Die Sonder110
BGBl. I, S. 1961. Boese, Anwendungsgrenzen, S. 145 f.; Lutter, AG 1994, 429, 441; Schumann, Bezugsrecht, S. 203 f.; Wiedemann, in: GroßKomm/AktG, § 186 Rn. 149. 112 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 317 ff.; Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S. 65 f.; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 61 f.; Wandrey, Beschlusskontrolle, S. 277. 113 Deutlich Schumann, Bezugsrecht, S. 204. 114 Vgl. zutreffend Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S. 65 f. 111
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2. Teil: Das Sachgrunderfordernis
regel, § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG, wurde vom parlamentarischen Gesetzgeber erlassen, die Grundregel, das Sachgrunderfordernis als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG, dagegen von der Rechtsprechung im Wege richterlicher Rechtsfortbildung etabliert. Durch diese Divergenz der Normsetzer verliert das grammatikalisch-systematische Argument seine Basis, denn nun ist es denkbar, dass sich der die Sonderregel setzende Gesetzgeber damit gerade gegen die von der Rechtsprechung gesetzte Grundregel wendet. Das grammatikalisch-systematische Argument kann die Anerkennungsthese folglich nicht tragen. 3. Teleologisch-funktionelle Auslegung
Mit der Regelung des § 186 Abs. 3 Satz 4 beabsichtigte der Gesetzgeber, die Eigenkapitalbeschaffung deutscher Unternehmen zu verbessern. Da die Gewährung des Bezugsrechts aufgrund von Kapitalmarktgegebenheiten Kosten verursacht, sollte durch eine Liberalisierung der Voraussetzungen für seinen Ausschluss der bei einer Kapitalerhöhung erzielbare Emissionserlös erhöht werden115. Dieser Gesetzeszweck ist aber kein Grund, in § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG eine gesetzgeberische Bestätigung des Sachgrunderfordernisses zu erblicken. Im Gegenteil: Mit der gänzlichen Aufgabe des Sachgrunderfordernisses ließe sich der Zweck, bezugsrechtsfreie Kapitalerhöhungen zu erleichtern, genauso gut bzw. noch besser erreichen. Dieses Regelungsziel würde dann aber nicht mehr mittels der Vorschrift des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG bewerkstelligt, sondern durch ein Zurückstutzen der Vorschrift des § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG in seine „Fassung“ vor dem „Kali & Salz“-Urteil, also durch „Rechtsrückbildung“ 116. Dem hat man zwar entgegengehalten, dass die Norm des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG damit der Funktionslosigkeit preisgegeben wäre, was sich nur dadurch vermeiden lasse, dass man das Sachgrunderfordernis als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal in § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG verankert sehe117. Über den Umweg der ansonsten drohenden Funktionslosigkeit des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG wäre dem Sachgrunderfordernis auf diese Weise eine mittelbare gesetzliche Grundlage verliehen. Doch ist diesem Gedankengang zu widersprechen. Zum einen ist die drohende Funktionslosigkeit des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG kein per se zu vermeidender Gesetzeszustand – „cessante ratione legis, cessat lex ipsa“. Dabei ist besonders zu berücksichtigen, dass der in ein richterrechtlich geprägtes Rechtsregime (= materielle Beschlusskontrolle) eingreifende Gesetzgeber (= Erlass des
115 Fraktionsbegr. Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts, BT-Drucks. 12/6271, S. 10, mit Erläuterung der angesprochenen Kapitalmarktgegebenheiten. 116 Begriff von H. P. Westermann, in: FS Zöllner, Bd. I, S. 607 ff.; monographisch F. Weber, Anlässe und Methoden der Rechtsrückbildung im Gesellschaftsrecht (2003). 117 Liebert, Bezugsrechtsausschluss, S. 84 f.
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§ 186 Abs. 3 Satz 4 AktG) hierbei noch viel weniger als sonst konstruktivistische oder dogmatische, sondern ausschließlich Gestaltungsziele verfolgt, hier: die Verbesserung der Unternehmensfinanzierung bei börsennotieren Gesellschaften. Auf welchem gesetzestechnischen und methodischem Weg dieses Ziel erreicht wird, ob also durch Anwendung des § 186 Abs. 3 Satz 4 oder durch Zurücknahme der ungeschriebenen richterrechtlichen Beschlussanforderungen, wird für den Gesetzgeber regelmäßig von keiner größeren Bedeutung sein. Zum anderen trifft das Argument von der Funktionslosigkeit des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG auch nur dann zu, wenn man die Beschlusskontrolle insgesamt auf eine bloße Missbrauchskontrolle reduziert, nicht dagegen dann, wenn man – wie an späterer Stelle näher zu entfalten sein wird – eine anders konzipierte materielle Beschlusskontrolle zum Zuge kommen lässt118; § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG kann durchaus eine maßgebliche Rolle verbleiben119. Teleologisch-funktionelle Gesichtspunkte in Bezug auf § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG zwingen daher nicht dazu, das Sachgrunderfordernis als mittelbar gesetzlich verankert anzusehen. 4. Genetische Auslegung
Die Frage, ob § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG eine gesetzliche Anerkennung des Sachgrunderfordernisses darstellt, entscheidet sich letztlich im Rahmen der genetischen Auslegung. Insofern streitet man über folgende Formulierung der Gesetzesbegründung: „Werden die Voraussetzungen des vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses entsprechend dem Entwurf eingehalten, bedarf es weder einer Interessenabwägung, wie sie für den Bezugsrechtsausschluß im übrigen verlangt wird (vgl. BGHZ 71, 40, 46), noch weiterer sachlicher Rechtfertigungsgründe.“ 120 Lutter sieht darin insofern eine Bestätigung des Sachgrunderfordernisses, als der Gesetzgeber die von diesem Institut gerade geforderte Abwägung der widerstreitenden Interessen der Gesellschaft und der vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Aktionäre in § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG ausnahmsweise selbst vornehme und unter den Voraussetzungen der Norm zugunsten der Gesellschaft, d.h. für den Bezugsrechtsausschluss, ausfallen lasse121. Mülbert dagegen deutet Gesetz und Gesetzesmaterialien im Sinne einer (partiellen) Außerkraftsetzung der „Kali & Salz“-Rechtsprechung122. Ob das eine oder das andere richtig ist, lässt sich nur schwer sagen123. Die Materialien geben insofern kein eindeutiges Bild ab. Sie sind vielmehr, ebenso wie die Norm des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG insgesamt, Beleg für die oft beklagte grundsätzliche Unklarheit im Zusammenhang mit dem 118 119 120 121 122 123
Siehe unten bei § 14 B. IV. 2., § 14 C. I. 1. b) cc). Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 62. Fraktionsbegr., BT-Drucks. 12/6721, S. 10. Lutter, AG 1994, 429, 441 („ex lege getroffene Abwägung“). Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 320. Vgl. aber noch unten § 14 B. III. 1., § 14 B. IV. 2.
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2. Teil: Das Sachgrunderfordernis
Sachgrunderfordernis124. Die gleiche Unsicherheit war bei der im selben Jahr verabschiedeten – teilweise sogar gemeinsam verhandelten125 – Reform des Umwandlungsrechts zu Tage getreten. In den Materialien spricht der Gesetzgeber das Sachgrunderfordernis zwar an, sieht sich zu einer Klärung der Rechtslage dann aber nicht imstande126. Rechtspolitisch war diese Zeit von der Zunahme missbräuchlicher Anfechtungsklagen und damit zusammenhängend den vielfach erhobenen Forderungen nach einer Liberalisierung der rechtlichen Schranken des Bezugsrechtsausschlusses geprägt127. Berücksichtigt man all dies – genetische Auslegung erschöpft sich nicht in Materialienforschung128 –, lässt sich dem Gesetzgeber des Jahres 1994 zu § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG allein folgende Aussage zuschreiben: Egal, welchen Umgang Rechtsprechung und Wissenschaft mit dem Sachgrunderfordernis auch finden mögen, ist ein Bezugsrechtsausschluss bei börsennahem Ausgabekurs und einen Kapitalerhöhungsvolumen von nicht mehr als 10% des Grundkapitals in jedem Falle zulässig. Ein weiter gehender Aussagegehalt im Sinne einer Anerkennung des Sachgrunderfordernisses kann Gesetz und Gesetzesmaterialien dagegen nicht entnommen werden. Es handelt sich bei der Regelung des vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses, wie bereits angeklungen, vielmehr um einen punktuellen Eingriff des Gesetzgebers in ein richterrechtlich entwickeltes Rechtsregime. In solchen punktuellen Eingriffen die gesetzgeberische Anerkennung des Richterrechtsinstituts zu erblicken, würde bedeuten, den Gesetzgeber, dessen Regelungsvorstellungen in einem Teilbereich mit dem richterrechtlichen Regelungsregime nicht übereinstimmen, vor eine demokratietheoretisch kaum akzeptable Wahl zu stellen: Entweder er regelt den gesamten Sachbereich neu, oder er muss auf die Durchsetzung seiner legitimen Ordnungs- und Gestaltungsvorstellungen verzichten. Einer mittleren Lösung im Sinne einer punktuellen Neuregelung könnte sich der Gesetzgeber dagegen nur um den Preis einer grundsätzlichen Anerkennung des ja gerade für korrekturbedürftig gehaltenen Richterrechtsregimes bedienen129. Letzten Endes könnte so die rechtsfortbildende Rechtsprechung dem Gesetzgeber diktieren, wie dieser seiner Rechtssetzungsaufgabe nachzukommen habe. Das Verhältnis von Rechtsanwender und Gesetzgeber wäre auf den Kopf gestellt. Auch daher ist der auf § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG basierenden Anerkennungsthese die Gefolgschaft zu verweigern.
124 Nachweise oben S. 27 Fn. 3. So hat § 186 III 4 AktG denn auch zahlreiche, weitgehend ungeklärte Rechtsprobleme entstehen lassen, vgl. dazu monographisch S. Aubel, Der vereinfachte Bezugsrechtsausschluss (1998). 125 Siehe den Hinweis von Seibert, ZIP 1994, 247. 126 Vgl. BT-Drucks. 12/6699, Begr. zu § 13 UmwG, S. 86; näher dazu unten bei § 8 B. II. 1. 127 Siehe nur Martens, ZIP 1992, 1677 ff. 128 Siehe Röhl/Röhl, Rechtslehre, § 78 III (S. 619 ff.). 129 Eben dies befürwortend aber wohl Boese, Anwendungsgrenzen, S. 146 f.
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IV. § 7 Abs. 3 Satz 4 Finanzmarktstabilisierungsbeschleunigungsgesetz Kurz anzusprechen ist schließlich noch § 7 Abs. 3 Satz 4 des Finanzmarktstabilisierungsbeschleunigungsgesetzes vom 17.10.2008 (FMStBG)130, wonach der Bezugsrechtsausschluss bei krisengeschüttelten Finanzinstituten zugunsten des staatlichen Finanzmarktstabilisierungsfonds „in jedem Fall“, d.h. insbesondere ohne eine materielle Beschlusskontrolle anhand des Sachgrunderfordernisses, zulässig ist131. Für die hier interessierende Frage lässt sich daraus weder im positiven (= Anerkennung und Voraussetzung des Sachgrunderfordernisses außerhalb des Anwendungsbereichs der Norm) noch im negativen Sinne (= allgemeine Ablehnung des Sachgrunderfordernisses) etwas entnehmen: Bei § 7 Abs. 3 Satz 4 FMStBG handelt es sich um eine kriseninduzierte Vorschrift, die unter erheblichem politischen und zeitlichen Druck entstanden ist, ihr Anwendungsbereich beschränkt sich auf Unternehmen des Finanzsektors (§ 1 FMStBG), sie ist auf eine ganz bestimmte Situation, die Beteiligung des staatlichen Rettungsfonds an einem in Schieflage geratenen Finanzinstitut, zugeschnitten. Angesichts dieser Spezifika ist § 7 Abs. 3 Satz 4 AktG als Interpretationsgrundlage bezüglich der allgemeinen kapitalgesellschaftsrechtlichen Frage einer materiellen Beschlusskontrolle bzw. des Sachgrunderfordernisses ungeeignet. Es kann somit abschließend festgehalten werden: Das Sachgrunderfordernis findet im höherrangigen (Gesetzes-)Recht weder eine unmittelbare noch eine mittelbare Grundlage132. Es ist und bleibt ein rein richterrechtliches Institut. Der eigenständigen Bewertung und Einordnung dieses Instituts haben wir uns daher als Nächstes zuzuwenden.
D. Dogmatik: zur Grundlage des Sachgrunderfordernisses I. Position des Bundesgerichtshofs Der Bundesgerichtshof hat das Sachgrunderfordernis nicht aus einer bestimmten Rechtsgrundlage deduziert133. Auch im Übrigen hat er eine eingehende dogmatische Begründung für die von ihm aufgestellten materiellen Beschlussanfor130 Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung des Erwerbs von Anteilen an sowie Risikopositionen von Unternehmen des Finanzsektors durch den Fonds „Finanzmarkstabilisierungsfonds – FMS“, verkündet als Art. 2 des Gesetzes zur Umsetzung eines Maßnahmenpakts zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanzmarktstabilisierungsgesetz – FMStG) vom 17.10.2008, BGBl. I, S. 1982. 131 Vgl. Bachmann, ZIP 2009, 1249, 1251 ff. 132 Zur hier nicht näher behandelten, im Ergebnis aber abzulehnenden Ansicht, wonach in der Gesetzesbegründung zu § 71 I Nr. 8 S. 5 AktG eine gesetzgeberische Anerkennung des Sachgrunderfordernisses zu sehen sei, Wandrey, Beschlusskontrolle, S. 277 ff. 133 Vgl. BGHZ 71, 40, 43 ff.; näher unten G. II.; siehe auch Boese, Anwendungsgrenzen, S. 15.
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2. Teil: Das Sachgrunderfordernis
derungen nicht gegeben134. Im „Kali & Salz“-Urteil ist zwar davon die Rede, dass eine Erhöhung des Grundkapitals von der Sache her notwendigerweise auf den Zweck der Gesellschaft und damit auf deren Interessen bezogen sei, weshalb auch ein mit ihr verbundener Bezugsrechtsausschluss im Gesellschaftsinteresse seine Rechtfertigung finden müsse135. Von selbst, wie diese Ausführungen nahezulegen scheinen, versteht sich die Bindung der Gesellschafterversammlung als der Versammlung der Eigentümer an das Gesellschaftsinteresse jedoch nicht136. Sie bedarf, genauso wie die hinzutretenden Kriterien der Erforderlichkeit und Angemessenheit137, vielmehr einer eigenständigen dogmatischen Begründung138. Als tragender Begründungsansatz des Sachgrunderfordernisses erweist sich denn auch der „schwere Eingriff in die Mitgliedschaft“ 139. Eine dogmatische Begründung kann darin jedoch ebenfalls nicht gesehen werden, denn „ein rechtspolitischer Geltungsgrund erklärt noch nicht die positive Geltung rechtlicher Regeln“ 140. Es blieb daher dem Schrifttum vorbehalten, das Sachgrunderfordernis auf eine dogmatische Grundlage zurückzuführen.
134 So auch die ganz herrschende Einschätzung in der Literatur, siehe Boese, Anwendungsgrenzen, S. 13 ff.; Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 216 („bis heute keine dogmatische Verortung (. . .) vorgenommen“); Tröger, Treupflicht, S. 254 („vertiefte Auseinandersetzung mit (. . .) dogmatischen Grundlagen schuldig geblieben“). 135 BGHZ 71, 40, 44. 136 Ausführlich unten § 12 A. III. 3. b) ee). Auch Zöllner, auf den sich der BGH beruft (BGHZ 71, 40, 44), hat seine ursprüngliche Erklärung, wonach es ein Widerspruch in sich wäre, die Gesellschafter nicht an den Gesellschaftszweck und folglich das Gesellschaftsinteresse zu binden (Zöllner, Schranken, S. 318), später durch rechtsgeschäftliche Überlegungen ergänzt (Zöllner, in: KölnKomm/AktG, Einl. Rn. 169). Nur für eine streng körperschaftliche Konzeption vermag sich eine Bindung der Gesellschafterversammlung an das Gesellschaftsinteresse von selbst zu verstehen (näher unten § 12 A.); eine solche vertritt der BGH, wie insbesondere die zusätzlichen Kriterien der Erforderlichkeit und Angemessenheit zeigen, aber nicht; siehe dazu sogleich im Text. 137 Vgl. aber BGHZ 71, 40, 44, dem möglicherweise vorschwebte, diese Kriterien im Gesellschaftsinteresse aufgehen zu lassen, kritisch dazu sogleich im Text. 138 Siehe auch Zöllner, in: KölnKomm/AktG, § 243 Rn. 169, der die Bindung an das Gesellschaftsinteresse hier rechtsgeschäftlich absichert; für die zusätzlichen Kriterien der Erforderlichkeit und Angemessenheit scheint für Zöllner die Notwendigkeit einer besonderen dogmatischen Ableitung aus der Treuepflicht bzw. § 242 BGB nie außer Frage gestanden zu haben, vgl. Zöllner, in: KölnKomm/AktG, Einl. Rn. 169; Zöllner, Schranken, S. 350 ff. 139 Vgl. BGHZ 71, 40, 44 f.; deutlich auch BGHZ 120, 121, 146 (Bremer Bankverein). Siehe auch Boese, Anwendungsgrenzen, S. 13 ff.; Röhricht, ZGR 1999, 445, 475. 140 Boese, Anwendungsgrenzen, S. 16; ablehnend gegenüber der Eingriffsherleitung auch Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S. 107 ff.; siehe aber auch Hofmann, Der Minderheitenschutz im Gesellschaftsrecht (2011), der gerade auf dem Eingriffsgedanken konzeptionell aufbaut; hierzu knapp unten bei § 9.
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II. Positionen im Schrifttum 1. Lehre vom institutionellen Rechtsmissbrauch
Nicht durchgesetzt hat sich der Vorschlag Hüffers, das Sachgrunderfordernis als eine Ausprägung des in § 242 BGB anzusiedelnden Verbots des institutionellen Rechtsmissbrauchs zu verstehen141. Ein Missbrauchsansatz, sei er nun individuell oder institutionell, kann das Sachgrunderfordernis in der Tat dogmatisch nicht erfassen. Jeder Missbrauchsansatz richtet den Blick auf den Rechtsausübenden, auf das Handlungssubjekt. Das Sachgrunderfordernis setzt dagegen nicht beim Rechtsausübenden, sondern beim von dieser Rechtsausübung Betroffenen an – der Grund für die Beschlusskontrolle ist der mit einer bestimmten Maßnahme verbundene Eingriff in die Rechtsstellung der Minderheit142. Hüffer gibt diese ansatzimmanente Begrenztheit selbst zu erkennen, wenn er ausführt, dass von einem institutionellen Rechtsmissbrauch dann auszugehen sei, wenn die Mehrheit die ihr anvertraute Regelungsfreiheit zur Durchsetzung ihrer Partikularinteressen einsetze143. Beim Sachgrunderfordernis geht es aber nicht um ein an die Mehrheit adressiertes, besonders verpacktes Sondervorteilsverbot, sondern um ein mitgliedschaftsschützendes Instrument, das den Mehrheitsbeschluss deswegen einer Inhaltskontrolle unterwirft, weil sich mit ihm eine besondere Belastung für die unterlegene Minderheit verbindet. Hüffer hat seinen Ansatz zwischenzeitlich selbst aufgegeben144. Im Übrigen streiten im Schrifttum, führt man die verschiedenen Erklärungsansätze auf ihren gemeinsamen Ausgangspunkt zurück, körperschaftliche und individualistische Erklärungsansätze. 2. Körperschaftliche Erklärungsansätze
Die körperschaftlichen Deutungsversuche eint im Ausgangspunkt, dass sie die juristische Person und die Gesellschafterversammlung als Willensbildungsorgan dieses eigenständigen Rechtssubjekts in den Mittelpunkt stellen145. a) Beschlusskontrolle als immanente Stimmrechtsbegrenzung Am deutlichsten kommt der körperschaftliche Grundgedanke bei Flume zum Ausdruck146. Er betont die Stellung des Mitglieds der juristischen Person als Teil 141 Hüffer, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, § 243 Rn. 50; zustimmend LG Dresen, ZIP 1995, 1596, 1599; vgl. auch Bachmann, Private Ordnung, S. 212 mit Fn. 313. 142 Siehe BGHZ 71, 40, 44 f.; prononciert Hofmann, Minderheitenschutz, S. 181. 143 Hüffer, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, § 243 Rn. 50 (Hervorhebung nicht im Original). 144 Hüffer, AktG, § 243 Rn. 21; ders., in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 53. 145 Näher unten § 12 A. 146 Flume, Juristische Person, § 7 II (S. 201 ff.).
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2. Teil: Das Sachgrunderfordernis
des Organs Mitgliederversammlung. Hiervon ausgehend versteht er das Stimmrecht als „Befugnis, bei der Herstellung des Willens für die juristische Person mitzuwirken“ 147. Aus diesem Wesen des Stimmrechts als eines fremdnützigen Pflichtrechts folgt für Flume dann ganz selbstverständlich, dass die Ausübung dieses Rechts auf die Interessen desjenigen Rechtsträgers ausgerichtet sein muss, zu dessen Gunsten sie erfolgt. Der Beschluss müsse daher im Gesellschaftsinteresse liegen. Auch mit diesem streng körperschaftlichen Ansatz lässt sich das Sachgrunderfordernis – allein dies soll vorliegend der Maßstab sein148 – nicht erklären149. Wesentliches Kennzeichen des Sachgrunderfordernisses ist, dass sich die richterliche Kontrolle hier nicht auf eine Überprüfung des Beschlusses am Maßstab des Gesellschaftsinteresses beschränkt, sondern mit den Kriterien der Erforderlichkeit und Angemessenheit zusätzliche Kontrollstufen ins Spiel kommen, die das Gesellschaftsinteresse zu den nicht selten gegenläufigen Minderheitsinteressen bzw. Interessen der vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Aktionäre in Bezug setzen150. Es wäre weiter auch kaum überzeugend, nähme man an, diese Minderheitsinteressen wären vom Gesellschaftsinteresse miterfasst, gingen im Gesellschaftsinteresse also gleichsam auf151. Denn Gesellschaftsinteresse und Minderheitsinteresse können konfligieren. Der Bezugsrechtsausschluss bei börsennotierten Gesellschaften stellt dafür ein gutes Beispiel dar: Die Gesellschaft ist an einem möglichst hohen Emmissionserlös interessiert und möchte aus diesem Grunde das Bezugsrecht ausschließen – bezugsrechtsfreie Kapitalerhöhungen bringen aufgrund der schnelleren Abwicklung (= geringer Sicherheitsabschlag auf den Ausgabepreis) regelmäßig einen höheren Emissionserlös ein152. Das Minderheitsinteresse richtet sich dagegen auf die Wahrung der Rechtsstellung 147
Flume, Juristische Person, § 7 II 1 (S. 201). Zur grundsätzlichen Frage nach der Vorzugswürdigkeit eines körperschaftlichen oder individualistischen Ansatzes unten § 12. 149 Flume geht es dann auch nicht primär darum, das Sachgrunderfordernis, das er nicht als eigenständiges Rechtsinstitut zu verstehen scheint, dogmatisch abzustützen, vgl. Flume, Juristische Person, § 7 II (S. 201 ff., insb. S. 212). 150 Seit den Entscheidungen BGHZ 136, 133 (Siemens/Nold) sowie BGHZ 144, 290 (Adidas-Salomon) streitet man zwar – zumindest im Rahmen des genehmigten Kapitals – über das Fortbestehen dieser beiden Prüfungsstufen; vgl. dazu Käpplinger, Inhaltskontrolle, S. 91 f.; doch spielt dies vorliegend keine Rolle, denn das Sachgrunderfordernis, um das hier zu tun ist, ist untrennbar mit diesen Kriterien verknüpft, siehe oben §§ 5–7; gäbe man sie auf, wäre das keine Beschlusskontrolle mehr anhand des Sachgrunderfordernisses. 151 So aber wohl Flume, Juristische Person, § 7 II (S. 201 ff., 212); ders., ZIP 1996, 161, 164; vgl. auch BGHZ 71, 40, 44; zutreffend dagegen aber Boese, Anwendungsgrenzen, S. 17 f. 152 Näher Ekkenga, AG 1994, 59 ff.; Kübler, ZBB 1993, 1 ff.; siehe auch Fraktionsbegr. Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts, BT-Drucks. 12/6721, S. 10 sowie Lutter, AG 1994, 429, 440; vgl. aber auch Zöllner, AG 2002, 585, 589 ff. 148
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und damit die Einräumung des Bezugsrechts153. Wenn die überwiegende Meinung in diesem Interessenskonflikt das Interesse der Gesellschaft an einer effektiven Kapitalschöpfung zur Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses nicht genügen ließ154 und lässt155, so lässt sich dies dogmatisch überzeugend nur mit den die Minderheitsinteressen erfassenden Kriterien der Erforderlichkeit und Angemessenheit begründen. Eben diese das Sachgrunderfordernis prägenden Kontrollstufen vermag der Ansatz Flumes nicht zu erfassen. b) Funktional-rechtsgeschäftliche Erklärung Die Begründungsschwierigkeiten eines rein körperschaftlichen Ansatzes versucht Mülbert durch eine funktional-rechtsgeschäftliche Erklärung zu überwinden156. Zwar könne die Bindung der Gesellschafterversammlung an das Gesellschaftsinteresse aus der Funktion der Gesellschafterversammlung als Willensbildungsorgan eines zweckbestimmten Personenverbandes hergeleitet werden, die das Sachgrunderfordernis kennzeichnenden Kriterien der Erforderlichkeit und Angemessenheit müssten und könnten dagegen anders, nämlich rechtsgeschäftlich, begründet werden. Mülbert greift dafür auf die Willenserklärungen der Gesellschaftsgründer zurück: Die Auslegung dieser Erklärungen ergebe, dass der Gesellschafterversammlung von vorneherein nur die Befugnis zugewiesen sei, mit angemessener Rücksichtnahme auf die Interessen der dissentierenden Minderheiten zu entscheiden (Erforderlichkeit und Angemessenheit). Unabhängig davon, wie man zu dem organschaftlichen Ansatz Mülberts grundsätzlich steht157, vermag jedenfalls die individualistisch-rechtsgeschäftliche Aufladung dieses Ansatzes nicht zu überzeugen. Verfolgt man den rechtsgeschäftlichen Gedanken konsequent weiter, müsste dies dazu führen, das Sachgrunderfordernis für abdingbar zu erklären – es käme nicht zur Anwendung, wenn sich die Gründungsgesellschafter hierüber einig wären158. Eine generelle Abbedingung der Treuepflicht sowie des Sachgrunderfordernisses wird gemeinhin jedoch für nicht zulässig gehalten159. In jedem Fall müsste man die im An153 Zu den Interessen der Aktionäre an der Einräumung des Bezugsrechts etwa Schumann, Bezugsrechtsausschluss, S. 22 f. 154 Krieger, MünchHdB/AG, 1. Aufl. 1988, § 56 Rn. 23 m.w. N.; nach Lutter, AG 1994, 429, 440 war dies ein Grund für die Einführung des erleichterten Bezugsrechtsausschlusses gem. § 186 III 4 AktG. 155 Hüffer, AktG, § 186 Rn. 33; Lutter, in: KölnKomm/AktG, § 186 Rn. 76; a. A. Peifer, in: MünchKomm/AktG, § 186 Rn. 95 (bei akutem Finanzbedarf); zum Sonderfall des § 186 III 4 AktG oben C. III. 156 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 232 ff., dort auch zum folgenden Text. 157 Dazu unten § 12. 158 Siehe Boese, Anwendungsgrenzen, S. 36; Tröger, Treupflicht, S. 264. 159 Für die GmbH nur: M. Winter, Treubindungen, S. 190 ff.; für die AG nur: Hüffer, AktG, § 53a Rn. 18.
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2. Teil: Das Sachgrunderfordernis
fechtungsprozess beklagte Gesellschaft mit dem Einwand hören, die Gründungsgesellschafter wären bei der Gesellschaftsgründung davon ausgegangen, die Hauptversammlung sei von der Beachtung besonderer Rücksichtspflichten befreit. Der Rechtssicherheit ist dieses Abstellen auf den mutmaßlichen Gründerwillen nicht förderlich160. Auch der Grundsatz der objektiven Satzungsauslegung161 führt hier deswegen nicht weiter, weil es in der Satzung typischerweise an objektiven Anhaltspunkten für das von Mülbert angenommene Auslegungsergebnis fehlen wird. Damit ist das entscheidende Argument gegen den rechtsgeschäftlichen Erklärungsansatz angesprochen: Für die Annahme Mülberts, die Hauptversammlung sei kraft Rechtsgeschäft der Gesellschaftsgründer zu der Beachtung der Grundsätze der Erforderlichkeit und Angemessenheit verpflichtet, mangelt es an ausreichenden Anhaltspunkten im rechtsgeschäftlichen Verhalten der Gründer162. Warum sollen die Gesellschafter die Befugnisse der Hauptversammlung derart einschränken? Läge es nicht näher, dass sie die Gesellschafterversammlung im Interesse einer schlagkräftigen Organisation die Gesellschafterversammlung von solchen Bindungen weitgehend befreien wollen? Der Einwand fiktiver Willenserklärungen, den man gegenüber rechtsgeschäftlichen Erklärungsansätzen mitunter recht stereotyp erhebt163 und den Mülbert selbst erahnt164, ist hier gerechtfertigt165. Entscheidend gegen den Herleitungsversuch von Mülbert spricht schließlich, dass es sich beim Sachgrunderfordernis in der ihm von Rechtsprechung und Literatur gegebenen Gestalt eben gerade nicht um ein rechtsgeschäftliches, sondern um ein gesetzliches Institut handelt, und zwar in dem Sinne, dass es als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal in § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG positivrechtlich verortet ist166 und seine Missachtung zur Anfechtbarkeit wegen Verletzung des Gesetzes (§ 243 Abs. 1 Alt. 1 AktG) führt167. c) Treuepflicht der Gesellschaft Die Schwächen eines rechtsgeschäftlichen Erklärungsansatzes erkennend, sieht Boese die dogmatische Grundlage des Sachgrunderfordernisses in der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht168, und zwar der Treuepflicht der Gesellschaft gegenüber dem einzelnen Gesellschafter169. Treffe die Gesellschaft gegenüber dem 160
Tröger, Treupflicht, S. 264. Dazu K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 5 I 4 (S. 87 ff.); Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 3 II 2 a (S. 166 f.). 162 Zutreffend Boese, Anwendungsgrenzen, S. 36. 163 Vgl. Bachmann, Private Ordnung, S. 208 f., 238 ff. 164 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 237. 165 So auch Wandrey, Beschlusskontrolle, S. 35. Vgl. auch noch die weitere Kritik unten § 10 B. V. 166 BGHZ 71, 40, 46, 53; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 III 2 a (s. 446). 167 BGHZ 71, 40, 43; Hüffer, AktG, § 243 Rn. 21 f. 168 Zur Treuepflicht bereits knapp oben § 4 B. IV. 161
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einzelnen Gesellschafter die Pflicht, auf dessen Interessen angemessen Rücksicht zu nehmen, so müsse diese Pflicht auch von der Hauptversammlung als einem Organ der Gesellschaft bei der Beschlussfassung beachtet werden. Das an den Beschluss der Hauptversammlung anknüpfende Sachgrunderfordernis sei als Ausprägung dieses Rücksichtnahmegebotes zu verstehen. Gegen diesen Erklärungsansatz spricht das Wesen der Treuepflicht als einer Verhaltenspflicht170. Die Treuepflicht gebietet dem verpflichteten Rechtsträger, bei der Ausübung ihm zustehender Rechte auf die Interessen anderer Rechtsträger angemessen Rücksicht zu nehmen171. Das einzig rechtlich relevante Verhalten im Rahmen der Beschlussfassung aber ist die Stimmrechtsausübung durch die Gesellschafter. Nur diese Stimmrechtsausübung kann Gegenstand einer Treuepflichtkontrolle sein172. Mit der Treuepflicht operierende Ansätze müssen daher, wollen sie der Struktur der Treuepflicht gerecht werden, auf die Pflichtenbindungen der Gesellschafter abstellen. Die dem Ansatz Boeses dagegen zugrundeliegende Vorstellung, man könne die Gesellschaft und den von ihrem Willensbildungsorgan Gesellschafterversammlung gefassten Beschluss einer Treuepflichtbindung unterwerfen und auf diese Weise das Sachgrunderfordernis erklären, geht rechtsdogmatisch fehl. Denn der Beschluss ist als eine Willenskategorie – der Beschluss verkörpert den Willen der Gesellschaft173 – einer Pflichtenbindung gar nicht zugänglich. Rechts- und damit Verhaltenspflichten können sich für die Gesellschaft vielmehr erst dann ergeben, wenn und nachdem diese einen rechtlichen Willen gebildet hat, also nach Zustandekommen des Beschlusses, wenn das Geschäftsführungsorgan zur Ausführung schreitet174. In der Rechtsprechung artikuliert man diese dogmatischen Zusammenhänge zwar nicht ausdrücklich, legt sie aber doch unterschwellig zugrunde. So wird eine Treuepflicht der Gesellschaft zum einzelnen Gesellschafter zwar anerkannt175, diese jedoch 169
Boese, Anwendungsgrenzen, S. 37 ff., dort auch zum folgenden Text. Vgl. Cahn/v. Spannenberg, in: Spindler/Stilz, AktG, § 53a Rn. 36 („Verhaltensanforderungen“); Henze/Notz, in: GroßKomm/AktG, Anh. § 53a Rn. 1 („treugemäßen Verhalten“); Merkt, in: MünchKomm/GmbHG, § 13 Rn. 88; Seibt, in: Scholz, GmbHG, § 14 Rn. 51 („Handlungsmaxime“); deutlich Schwab, Gesellschaftsinterne Streitigkeiten, S. 335. 171 BGHZ 103, 184, 194 (Linotype); Bungeroth, in: MünchKomm/AktG, Vor § 53a Rn. 25; Hüffer, AktG, § 53a Rn. 16; H. Winter/Seibt, in: Scholz, GmbHG, § 14 Rn. 54. 172 Zutreffend Käpplinger, Inhaltskontrolle, S. 86 f. 173 Baltzer, Beschluß, S. 17 ff.; ausführlich unten § 12 A. III. 2. 174 Siehe Kort, ZHR 166 (2002), 366, 368: „Echte Treuepflichten einer juristischen Person gegenüber ihren Anteilseignern sind rechtskonstruktiv nur schwer vorstellbar. Im Grunde genommen geht es bei derartigen Fallkonstellationen auch eher um Verhaltenspflichten von Organen bzw. Organmitgliedern gegenüber einzelnen Aktionären.“ Zum Ganzen auch noch unten § 12 A. III. 2. 175 BGH WM 1972, 931, 933; BGH ZIP 1991, 1584, 1585; BGHZ 127, 107, 111; aus dem Schrifttum etwa Henze/Notz, in: GroßKomm/AktG, Anh. § 53a Rn. 27, 87 ff. m.w. N. 170
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2. Teil: Das Sachgrunderfordernis
richtigerweise nicht im Rahmen der Beschlussanfechtung zur Anwendung gebracht, sondern nur in Fällen, in denen Ansprüche des einzelnen Gesellschafters gegen die Gesellschaft geltend gemacht werden176. Körperschaftliche Deutungsmuster vermögen das Sachgrunderfordernis nach alledem also nicht in überzeugender Weise zu erfassen. 3. Individualistische Konzeption
Die herrschende Literaturauffassung verortet den vom Recht im Rahmen der materiellen Beschlusskontrolle zu entscheidenden Interessenkonflikt nicht im Verhältnis der Gesellschaft zum einzelnen Gesellschafter, sondern im Verhältnis der Gesellschafter untereinander. Das Sachgrunderfordernis wird nicht körperschaftlich, sondern individualistisch gedeutet. Rechtsdogmatische Grundlage des Sachgrunderfordernisses sei demnach die zwischen den Gesellschaftern bestehende Treuepflicht177. Für die herrschende Meinung geht es also bei der Beschlusskontrolle – der Titel der wirkmächtigen Arbeit von Zöllner könnte es besser nicht zum Ausdruck bringen – um die „Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privaten Personenverbänden“. Die in Bezug genommene Schranke ist die zwischen den Gesellschaftern bestehende Treuepflicht178. Für diesen Erklärungsansatz hat man angeführt, dass sich auf seiner Basis der das Sachgrunderfordernis prägende Eingriffsgedanke elegant mit dem die Treuepflicht tragenden Gedanken der Korrelation von Rechtsmacht und Verantwortung179 verbinden lasse180: Die der Gesellschaftermehrheit zukommende Rechtsmacht offenbare sich in dem von ihr bewirkten Eingriff in die Mitgliedschaft; die daran anknüpfende Sachkontrolle sei Ausdruck der ihr daher obliegenden besonderen Verantwortung. Auch der Kontrollmaßstab des Sachgrunderfordernisses scheint mit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht gut zu harmonieren181. Denn 176 Siehe etwa den Sachverhalt der Entscheidung BGHZ 127, 107, 111 – dort machte ein Gesellschafter gegen die Gesellschaft einen Anspruch auf Herausgabe eines Tonbandmitschnittes geltend. 177 Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 16, 194; Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 53; Lutter, AcP 180 (1980), 84, 124 f.; Möller, Verschmelzungsbeschluss, S. 77 ff.; Timm, ZGR 1987, 503, 408 f.; M. Winter, Treubindungen, S. 147; etwas anders, im Grunde aber auch Tröger, Treupflicht, S. 256, wonach die Bindung an das Gesellschaftsinteresse auf die Treuepflicht des Gesellschafters zur Gesellschaft, die zusätzlichen Kriterien des Sachgrunderfordernisses dagegen auf die Treuepflicht der Gesellschafter untereinander zu stützen seien; auf eine gerade den Mehrheitsaktionär treffende Treuepflicht abstellend Wiedemann, in: FS Heinsius, S. 949, 960 ff., kritisch hierzu Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 253 ff. 178 Zur Treuepflicht mit Nachweisen bereits oben § 4 B. IV. 179 Grundlegend Zöllner, Schranken, S. 335 ff.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 II 3 (S. 432); aus der Rechtsprechung BGHZ 65, 15, 18 f. (ITT); BGHZ 103, 184, 194 f. (Linotype). 180 Insbesondere Tröger, Treupflicht, S. 257 f. 181 Boese, Anwendungsgrenzen, S. 19, 24.
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die Treuepflicht gebietet, auf die mitgliedschaftlichen Interessen der Mitgesellschafter angemessen Rücksicht zu nehmen182. Rücksicht wiederum nimmt derjenige, dessen Rechtsausübung schutzwürdigen Interessen dient, dem zur Verfolgung dieser schutzwürdigen Interessen mildere Mittel nicht zur Verfügung stehen und der – in Sonderfällen – von der Rechtsausübung absieht, wenn diese in keinem Verhältnis zu den mit ihr verbundenen Nachteilen der davon Betroffenen steht183. Dem entspricht – zumindest vordergründig – die das Sachgrunderfordernis kennzeichnende Verhältnismäßigkeitskontrolle mit den Kriterien Gesellschaftsinteresse, Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit; insbesondere die beiden letztgenannten Kriterien fügen sich in das individualistische Treuepflichtmodell nahtlos ein184. Auch die herrschende Lehre sieht sich grundlegenden Einwänden ausgesetzt. Zwei dieser Einwände seien an dieser Stelle genannt185: Ein auf die Treuepflicht der Gesellschafter abstellender Erklärungsansatz kann erstens den Kontrollansatz des Sachgrunderfordernisses nicht zutreffend erfassen186. Treuepflichtkontrolle bedeutet, wie bereits angeklungen, Verhaltenskontrolle und zielt demgemäß auch auf ein individuelles verhaltensbezogenes Unwerturteil ab; dieses verhaltensbezogene Unwertmoment gibt der Treuepflichtkontrolle ihre normative Stoßrichtung und definiert ihr Ziel187. Das Sachgrunderfordernis aber knüpft an einen objektiv zu fassenden Eingriff in die Mitgliedschaft an188. Auch die sich daran anschließende Verhältnismäßigkeitskontrolle ist im Grundsatz objektiv ausgerichtet, fragt also im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nach den die Maßnahme objektiv rechtfertigenden Gründen und nicht nach einem subjektiven Verhaltensunwert189. Das Sachgrunderfordernis als Ausprägung der zwischen den Gesellschaftern bestehenden Treuepflicht, also einer individualistischen Rechtsfigur, zu verstehen, bereitet zum Zweiten deshalb Schwierigkeiten, weil das Sachgrunderfordernis stark körperschaftlich geprägt ist – Kontrollgegenstand des Sachgrunderfordernisses ist der von der Gesellschafterversammlung als dem Willensbildungsorgan der juristischen Person gefasste Beschluss190; dieser Be182
So die Inhaltsbeschreibung der Treuepflicht in BGHZ 103, 184, 194 f. Larenz/Wolf, AT, 9. Aufl. 2004, § 16 III 3 c (S. 286 ff.) (zur unzulässigen Rechtsausübung nach § 242 BGB). 184 Vgl. hierzu aber noch kritisch unten H. II. 3.; vgl. zum Ganzen auch noch unten § 13 B. 185 Weitere Kritikpunkte unten § 9 B. V. 186 Siehe auch Wandrey, Beschlusskontrolle, S. 297. 187 Deutlich Schwab, Gesellschaftsinterne Streitigkeiten, S. 335: „[G]egen den betroffenen Aktionär [wird] der individuelle Vorwurf gesellschaftswidrigen Verhaltens erhoben; über sein Stimmverhalten wird ein Unwerturteil gefällt.“ 188 BGHZ 71, 40, 44 f.; Hofmann, Minderheitenschutz, S. 181. 189 Vgl. etwa BGHZ 125, 239, 241 ff. (Deutsche Bank). 190 BGHZ 71, 40, 43 (Kali & Salz); ferner etwa BGHZ 103, 184, 189, 191 (Linotype). 183
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2. Teil: Das Sachgrunderfordernis
schluss unterliegt im Rahmen des Sachgrunderfordernisses einer Prüfung, ob er den Zwecken und Interessen der juristischen Person, kurz: dem Gesellschaftsinteresse, dient191; die Anfechtung bei Missachtung des Erfordernisses sachlicher Rechtfertigung gründet auf der körperschaftlich konzipierten Norm des § 243 Abs. 1 AktG (vgl. „Beschluss der Hauptversammlung“)192. Diese körperschaftlichen Prägungen des Sachgrunderfordernis lassen sich mit einer individualistischen Rechtsfigur, der zwischen den Gesellschaftern bestehenden Treuepflicht, nicht widerspruchsfrei erfassen. III. Fazit Auf einem überzeugenden dogmatischen Fundament ruht das Sachgrunderfordernis also nicht. Man muss noch weiter gehen: Es kann für dieses Institut gar keine vollständig überzeugende dogmatische Grundlage geben, und zwar deswegen, weil es, wie gesehen, sowohl körperschaftliche als auch individualistische Elemente beinhaltet, eine solche Vermengung zweier grundverschiedener Konzeptionen aber dogmatisch schwerlich richtig sein kann. Das Sachgrunderfordernis bot daher von Beginn – je nach dogmatischem Standpunkt des Beurteilenden – eine breite Angriffsfläche. Dass es sich auf breiter Front würde durchsetzen können, war daher kaum zu erwarten (zur Theorie der gesetzlich vorgeprägten Beschlussgegenstände unten § 8, zum umfassenden Kontrollmodell unten § 9). In jüngerer Zeit sind es denn auch gerade die dogmatischen Ungereimtheiten, welche die Forderung laut werden ließen, das Sachgrunderfordernis aufzugeben193 bzw. durch andere Rechtsgrundlagen zu ersetzen, etwa durch den Gleichbehandlungsgrundsatz194 (hierzu unten § 11). Kann das Sachgrunderfordernis also dogmatisch nicht überzeugen, schließt sich die Frage an, ob selbiges auch von seiner methodischen Herleitung gesagt werden kann. Darauf ist als Nächstes einzugehen.
E. Methodik: Bindungs- statt Abwägungsmodell I. Die Regel-Ausnahme-Argumentation Die Begründung materieller Beschlussanforderungen nimmt im „Kali & Salz“Urteil ihren Ausgangspunkt in der gesetzlichen Vorschrift des § 186 Abs. 1 AktG, der Norm also, die Aktionären bei einer Kapitalerhöhung ein Vorrecht auf den Erwerb der neugeschaffenen Aktien einräumt. Der Bundesgerichtshof beschreibt 191
BGHZ 71, 40, 44 (Kali & Salz); Lutter, ZGR 1979, 401, 403; ferner oben § 5. BGHZ 71, 40, 43 (Kali & Salz); ferner etwa BGHZ 125, 239, 241 (Deutsche Bank); aus der Literatur nur Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 50. 193 Radikal (konsequent) Käpplinger, Inhaltskontrolle, S. 90: „Ein tragfähiges dogmatisches Konzept ist nicht zu erkennen. Die Rechtsfigur der materiellen Beschlusskontrolle ist daher aufzugeben.“ 194 Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 54. 192
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zunächst den Inhalt dieses Rechts195. Im Anschluss daran kommt er auf die Ausschlussmöglichkeit in § 186 Abs. 3 AktG zu sprechen, um im fast gleichen Atemzug festzustellen, dass diese Vorschrift „nicht so zu verstehen sei, daß der Ausschluss [scil. des Bezugsrechts] im freien Ermessen der Mehrheit liege und allenfalls durch die guten Sitten begrenzt sei“ 196. Die Basis für die weitere Argumentation war damit gelegt: Bindung an das Gesellschaftsinteresse, schwerer Eingriff, sachliche Rechtfertigung, Sachgrunderfordernis197. Die rechtliche Begründung des Sachgrunderfordernisses gründet demnach zu einem ganz wesentlichen Teil auf einem an § 186 AktG angelehnten Regel-Ausnahme-Verhältnis. Auch in der Literatur war diese Argumentation anzutreffen: Was für einen Sinn ergebe es, wird von Füchsel rhetorisch geschickt gefragt, den Aktionären in § 186 Abs. 1 AktG ein Recht einzuräumen und es ihnen durch die Ausschlussmöglichkeit in § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG sofort wieder zu nehmen?198 Sinn ergebe die gesetzliche Regelung nur, wenn der Ausschluss des Bezugsrechts engen Schranken unterworfen wird199. Methodisch wird hier die Interpretationsmaxime „Exceptiones sunt strictissimae interpretationis“ in Ansatz gebracht200 – im Verhältnis zu § 186 Abs. 1 AktG (Bezugsrecht) wird die Ausschlussnorm des § 186 Abs. 3 AktG als Ausnahmeregel gezeichnet; ihre demnach gebotene enge Auslegung findet ihren Niederschlag in engen materiellen Ausschlussvoraussetzungen, dem Sachgrunderfordernis. Nimmt man die jüngere Methodendiskussion in den Blick, wird man feststellen, dass der Regel-Ausnahme-Argumentation, insbesondere in ihrer Ausformung im Grundsatz „Ausnahmeregeln sind eng auszulegen und nicht analogiefähig“ („Singularia non sunt extenda“), mit zunehmender Skepsis begegnet wird201. Diese Skepsis hat ihren berechtigen Grund darin, dass die Regel-Ausnahme-Argumentation nicht selten dazu verwandt wurde und wird, nicht vorhandene normative Bindungen zu suggerieren und dem offenen Wertungsbekenntnis auszuweichen, kurz: um Eigenwertungen des Rechtsanwenders zu verschleiern. Lässt sich ein gewünschtes rechtliches Ergebnis mit Gesetz und Dogmatik nicht hinreichend begründen, postuliert der Rechtsanwender ein Regel-Ausnahme-Verhältnis, welches das gewünschte Ergebnis scheinbar zu stützen imstande ist202. Ge-
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BGHZ 71, 40, 43 f. BGHZ 71, 40, 44 (Hervorhebung nicht im Original). 197 BGHZ 71, 40, 44 ff.; zum „Kali & Salz“-Urteil bereits ausführlich oben § 5 A. 198 Füchsel, Bezugsrechtsausschluss, S. 104 ff. 199 Füchsel, Bezugsrechtsausschluss, S. 104 ff. 200 Zu dieser Auslegungsmaxime Säcker, in: MünchKomm/BGB, Einl. Rn. 120 ff. m.w. N. 201 Vgl. Engisch, Juristisches Denken, S. 256 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 353 ff.; Säcker, in: MünchKomm/BGB, Einleitung Rn. 120 ff. m.w. N. 202 Siehe Säcker, in: MünchKomm/BGB, Einleitung Rn. 121 m.w. N. (zur Regel „singularia non sunt extenda“). 196
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2. Teil: Das Sachgrunderfordernis
rade der gesellschaftsrechtliche Mehrheits/Minderheitskonflikt bildet dafür ein gutes Beispiel. So sah das Reichsgericht im viel gescholtenen „Hibernia-Urteil“ den Regelfall im aktienrechtlichen Mehrheitsprinzip; materielle Beschlussschranken seien daher die nur in engen Grenzen zuzulassende Ausnahme; einem Minderheitenschutz durch eine materielle Beschlusskontrolle wurde eine schroffe Absage erteilt203. Ein diametral entgegengesetztes Regel-Ausnahme-Verhältnis findet sich dagegen bei Bachmann204. Da privatrechtliche Regeln grundsätzlich nur bei allseitiger Zustimmung Verbindlichkeit erlangen, sei das Mehrheitsprinzip nicht der Regel-, sondern der Ausnahmefall. Seine Folgerung: „Im Ergebnis ist es also nicht die materielle Beschlusskontrolle, die einer Begründung bedarf, sondern ihre Versagung.“ 205 Wie ist angesichts dessen mit der Regel-AusnahmeArgumentation umzugehen? Den mit ihr verbundenen Gefahrenen soll hier dadurch Rechnung getragen werden, dass die Regel-Ausnahme-Argumentation als Methode der Regelbegründung strikt dem Auslegungsziel untergeordnet wird. Sieht man dieses Auslegungsziel nun mit der subjektiven Theorie darin, den Willen des Gesetzgebers zu ergründen206, wird man folglich fragen müssen, ob sich für das postulierte Regel-Ausnahme-Verhältnis und das anhand dessen begründete Ergebnis gesetzgeberische Anhaltspunkte ausmachen lassen. Legt man dagegen die objektive Auslegungstheorie zugrunde, geht man also davon aus, es gebe einen „Willen des Gesetzes“ 207, läuft es auf die Frage hinaus, ob das postulierte Regel-Ausnahme-Verhältnis der gesetzlichen Systematik entspricht. Legt man diese methodischen Maßstäbe an die Herleitung des Sachgrunderfordernisses an, muss man an der Berechtigung der Regel-Ausnahme-Argumentation für diesen Fall zweifeln. Denn der historische Gesetzgeber des AktG 1965 wusste von einem besonderen sachlichen Rechtfertigungszwang nichts208. Und dass sich auch der jüngere Gesetzgeber hierfür nicht in Anspruch nehmen lässt, wurde bereits dargetan209. Auch die Annahme, nach der gesetzlichen Systematik sei die Einräumung des Bezugsrechts die Regel, der Ausschluss dieses Rechts dagegen die besonders rechtfertigungsbedürftige Ausnahme, überzeugt nicht. Das Bezugsrecht des § 186 Abs. 1 AktG lässt sich von der Ausschlussmöglichkeit des § 186 Abs. 3 AktG nicht, wie von dieser Argumentation zugrunde gelegt, scharf kontrastieren210. Historisch gingen Rechtseinräumung und Ausschluss 203
RGZ 68, 235, 243 ff., insb. 245 f. Bachmann, Private Ordnung, S. 208 ff. 205 Bachmann, Private Ordnung, S. 213. 206 Zur subjektiven Auslegungstheorie Larenz, Methodenlehre, S. 316 ff.; Wank, Auslegung, § 3 II 1 (S. 30). 207 Zur objektiven Auslegungstheorie Larenz, Methodenlehre, S. 316 ff.; Wank, Auslegung, § 3 II 2 (S. 30). 208 Vgl. Kropff, Aktiengesetz 1965, S. 294 ff., 329 ff.; näher oben C. I. 209 Oben C. III. 210 Zur subjektiv-rechtlichen Seite dieser Argumentation unten H. II. 3. 204
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vielmehr stets Hand in Hand211: § 282 HGB 1897, die erste gesetzliche Regelung des Bezugsrechts, räumte den Aktionären in Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 ein Bezugsrecht ein, um aber keinen ganzen Satz weiter zu bestimmen: „soweit nicht in dem Beschluss über die Erhöhung des Grundkapitals ein anderes bestimmt ist“ (§ 282 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 HGB 1897). Dieser enge Zusammenhang blieb auch in § 153 AktG 1937 erhalten. Zwar räumte das AktG 1937 dem Bezugsrecht in § 153 Abs. 1 AktG 1937 und dessen Ausschluss in § 153 Abs. 3 und 4 AktG 1937 jeweils eigene Absätze ein. Hierfür dürften jedoch gesetzestechnische Gründe ausschlaggebend gewesen sein – das AktG 1937 erhöhte die formellen Ausschlussvoraussetzungen (Mehrheitserfordernis, Informationspflichten), sodass die gesetzestechnische Aufspaltung in mehrere Absätze nahelag. Ein gewandeltes, materielles Grundverständnis hinsichtlich des Bezugsrechts kann daraus nicht abgelesen werden212. Das AktG 1965 lehnte sich dann in § 186 eng an § 153 AktG 1937 an. Auch hier dürfte die Normstruktur mit ihren verschiedenen Absätzen nicht Ausdruck eines gesetzlichen Verständnisses vom Bezugsrecht als Regelund dessen Ausschluss als Ausnahmefall sein, sondern allein Beleg für eine handwerklich saubere Gesetzgebung213. Weiter trifft es auch nicht zu, dass das gesetzliche Bezugsrecht (§ 186 Abs. 1 AktG) seines systematischen Sinns beraubt werde, wenn sein Ausschluss nach § 186 Abs. 3 AktG nicht an enge materielle Voraussetzungen gebunden wird214. Soll das gesetzliche Bezugsrecht ausgeschlossen werden, so werden nämlich allein dadurch nicht wenige Schutzmechanismen ausgelöst – Mitwirkungsrechte (§ 186 Abs. 3 Satz 1 AktG), zwingendes qualifiziertes Mehrheitserfordernis (§ 186 Abs. 3 Satz 2 AktG), besondere Bekanntmachungspflicht (§ 186 Abs. 4 Satz 1 AktG), gesetzliche Berichtspflicht (§ 186 Abs. 4 Satz 2 AktG), Verpflichtung zu angemessenen Ausgabebedingungen (§ 255 Abs. 2 AktG). Ist die Verwaltung bzw. die Mehrheit nicht bereit, sich auf dieses Prozedere einzulassen, behalten die Aktionäre ihr Bezugsrecht aus § 186 Abs. 1 AktG. Aufgrund dieser Schutzmechanismen und der von ihnen ausgehenden Steuerungswirkung behält das gesetzliche Bezugsrecht (§ 186 Abs. 1 AktG) folglich auch dann einen systematischen Sinn, wenn der Ausschluss nach § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG nicht engen Schranken unterworfen wird. Zudem gilt es zu berücksichtigen, dass auch dann, wenn man die Ausschlusskompetenz nach § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG nicht an das Erfordernis eines sachlichen Grundes bindet, von einem der Systematik des § 186 AktG angeblich zuwiderlaufenden „freien Ausschlussrecht“ 215 nicht die Rede sein kann. denn das Missbrauchsverbot und das Gebot der guten Sitten, das Sondervorteilsverbot und der Gleichbe211 Näher zur historischen Entwicklung Wiedemann, in: GroßKomm/AktG, § 186 Rn. 1 ff. 212 Vgl. Klausing, Aktiengesetz 1937, S. 137 f. 213 Vgl. Kropff, Aktiengesetz 1965, S. 295. 214 So aber Füchsel, Bezugsrechtsausschluss, S. 104 ff. 215 So Füchsel, Bezugsrechtsausschluss, S. 104 ff.
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2. Teil: Das Sachgrunderfordernis
handlungsgrundsatz verlangen in jedem Falle Beachtung. Die Ausschlusskompetenznorm des § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG erfährt insofern schon – getreu der von der gegenteiligen Argumentation beanspruchten methodischen Regel „Ausnahmevorschriften sind eng auszulegen“ – eine engere Auslegung, als es der Normtext vermuten lässt. Für eine noch engere Auslegung im Sinne des Sachgrunderfordernisses lässt sich die Normsystematik der Bezugsrechtsnorm nicht in Anspruch nehmen, was bei einem Blick auf das Europarecht seine Bestätigung findet: Art. 29 Abs. 1 Kapital-RL gewährt den Aktionären in Abs. 1 ein Bezugsrecht, lässt in Abs. 4 dann aber bei Beachtung gewisser formeller Kautelen den Ausschluss dieses Rechts zu216. Aus dieser Normstruktur wurde jedoch bislang, soweit ersichtlich, nicht der Schluss gezogen, der Ausschluss müsse engen materiellen Schranken unterworfen werden. Soweit angenommen wird, die Richtlinie selbst verlange eine gewisse Inhaltskontrolle, wird dies mit einem Rückschluss aus der Berichtspflicht (Art. 29 Abs. 4 Satz 2 Kapital-RL), nicht aber mit der Systematik des Art. 29 Kapital-RL begründet217. Die Regel-Ausnahme-Argumentation kann sich demnach weder auf den Willen des Gesetzgebers noch in überzeugender Weise auf die gesetzliche Systematik stützen. Sie ist daher als Methode der Regelbegründung abzulehnen. Wenn der Bundesgerichtshof im „Kali & Salz“-Urteil der verfahrensrechtlichen Vorschrift des § 186 Abs. 3 Satz 1 ein ungeschriebenes materielles Kriterium hinzufügt, das eine flächendeckende Inhaltskontrolle des Bezugsrechtsausschlusses zur Folge hat, zugleich aber davon spricht, dass die Vorschrift des § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG – ja ohnehin, wie man geneigt ist, hinzuzufügen – nicht so zu „verstehen“ sei, als binde sie den Bezugsrechtsausschluss nur an das Sittengebot218, so mag dies Beleg für die mit der Regel-Ausnahme-Argumentation häufig verbundenen Gefahren sein – sie suggeriert Bindungen, verschleiert Eigenwertungen, verdeckt das Ausmaß richterlicher Rechtsfortbildung219. II. Methodenalternative Statt der Regel-Ausnahme-Argumentation hätte daher der Rückgriff auf eine Methode nahegelegen, die gerade den Bereich richterlicher Rechtsfortbildung normativ strukturieren soll und der von der Methodenlehre zunehmend Konturen verliehen wurden: der rechtlich geleiteten Interessenabwägung – rechtliche Regeln und Ergebnisse werden hier im Wege eines offenen, gleichwohl aber struk216
Dazu bereits oben A. I. Siehe oben A. II. 218 BGHZ 71, 40, 44 (Hervorhebung nicht im Original). 219 Siehe aber auch Wank, ZGR 1988, 314, 363, der meint, dass die „Kali & Salz“Entscheidung im Vergleich zum damaligen Stand der Literatur „nicht viel Umstürzendes“ mit sich gebracht habe. Die Berücksichtigung des literarischen Entwicklungsstandes erscheint allerdings nicht unbedenklich. 217
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turierten und rechtlich eingebundenen Wertungs- und Abwägungsprozesses gewonnen220. Einzelheiten dieser Rechtsmethode brauchen uns an dieser Stelle noch nicht zu interessieren221. Vorliegend genügt es festzuhalten, dass zur Begründung des Sachgrunderfordernisses mit der an § 186 AktG angebundenen Regel-Ausnahme-Argumentation ein (Gesetzes-)Bindungsmodell zur Anwendung gebracht wurde, nicht dagegen das ebenfalls zur Verfügung stehende Abwägungsmodell. Deutlich kommt dies zum Vorschein, wenn der Bundesgerichtshof im „Kali & Salz“-Urteil bei der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für die sachliche Rechtfertigung von „der hier gebotenen Interessenabwägung“ 222 spricht. Wenn „hier“, also bei der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast, eine Interessenabwägung den Ausschlag geben soll, muss es bei der Entwicklung des rechtlichen Maßstabs, den der Bundesgerichtshof zuvor entwickelt hatte, offenbar anders gewesen sein – hier kam das Bindungs- und nicht das Abwägungsmodell zum Tragen. III. Methodische Fortwirkungen Die Entscheidung für das Bindungsmodell hat die Debatte um die Reichweite einer materiellen Beschlusskontrolle entscheidend geprägt. Wer dem Sachgrunderfordernis skeptisch gegenübersteht, für den liegt es nahe, ebenfalls auf das Bindungsmodell zu rekurrieren, allerdings in umgekehrter Richtung. Die gesetzlichen Regeln zu einem bestimmten Beschlussgegenstand werden dann zum verbindlichen Argument dafür, dass dieser Beschlussgegenstand keiner weitergehenden richterlichen Beschlusskontrolle unterliegt. Auf diesem Standpunkt steht die herrschende Theorie der gesetzlich vorgeprägten Beschlussgegenstände (unten § 8). Doch auch im Übrigen ist zu beobachten, dass im Bereich der materiellen Beschlusskontrolle – bis auf eine Ausnahme (zum umfassenden Kontrollmodell unten § 9) – das offene Wertungsbekenntnis und mit ihm das Abwägungsmodell gescheut wird: So plädiert Verse für eine Aufgabe des Sachgrunderfordernisses und möchte stattdessen mit dem gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 53a AktG) auf einen geschriebenen, den Rechtsanwender bindenden Grundsatz zurückgreifen (dazu unten § 11). Und nach Mülbert ist das Sachgrunderfordernis deswegen abzulehnen, weil für ein solches Rechtsinstitut innerhalb des vermögensbezogenen gesetzlichen Schutzsystems des AktG 1965 kein Platz sei (dazu unten § 10). Mit den vermögensbezogenen gesetzlichen Regelungen ist ein weiterer wichtiger Aspekt der „Kali & Salz“-Entscheidung angesprochen, nämlich die Bedeutung der Norm des § 255 Abs. 2 AktG. 220 Siehe Larenz, Methodenlehre, S. 404 ff.; Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 248 ff.; Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 57 ff.; Röhl/Röhl, Rechtslehre, § 82 (S. 651 ff.). 221 Näher unten § 14 A. II. 222 BGHZ 71, 40, 48.
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2. Teil: Das Sachgrunderfordernis
F. Systematik: zur Bedeutung von § 255 Abs. 2 AktG Der Bundesgerichtshof hat im „Kali & Salz“-Urteil bei der Begründung dafür, dass der Bezugsrechtsausschluss einen schweren Eingriff in die Mitgliedschaft darstellt, neben dem Absinken der relativen Beteiligungsquote die vermögensrechtliche Anteilsverwässerung herausgestellt. Er führt aus: „Aber auch sonst erleiden die vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Aktionäre häufig insofern einen erheblichen wirtschaftlichen Nachteil, als der innere Wert ihrer Beteiligung, je nach den Ausgabebedingungen für die neuen Aktien, verwässert wird [. . .].“ 223 Auch im Schrifttum werden zur Rechtfertigung des Sachgrunderfordernisses diese beiden Aspekte – Stimmrechtsverwässerung und Anteilsverwässerung – angeführt224. Nun bestimmt allerdings § 255 Abs. 2 AktG, dass bei einem Bezugsrechtsausschluss die Anfechtung auch darauf gestützt werden kann, „daß der sich aus dem Erhöhungsbeschluß ergebende Ausgabebetrag oder der Mindestbetrag, unter dem die neuen Aktien nicht ausgegeben werden sollen, unangemessen niedrig ist“. Diese Norm dient dem Verwässerungsschutz; sie soll die Aktionäre vor einer vermögensmäßigen Entwertung ihrer Mitgliedsrechte schützen, die eintritt, wenn zusätzliche Aktien geschaffen werden, ohne dass die dafür geleisteten Einlagen ihrem Wert entsprechen225. Zur Begründung des in § 243 Abs. 1 AktG angesiedelten Sachgrunderfordernisses wurde also auf einen Schutzaspekt (Verwässerungsschutz) abgestellt, der bereits von einer anderen, spezielleren Norm (§ 255 Abs. 2 AktG) abgedeckt ist. Unter systematischen Gesichtspunkten erscheint dies zweifelhaft. Systematisch näher läge es doch vielmehr, die von einer speziellen Norm übernommenen Funktionen und die von ihr geschützten Interessen als Argumentationspotenzial bei der Begründung einer in einer allgemeinen Norm verorteten Inhaltskontrolle als verbraucht anzusehen. Im Schrifttum hat man zwar auf den Charakter des § 255 Abs. 2 AktG als Auffangtatbestand hingewiesen226. Die Norm solle verhindern, dass zu dem Verlust an quotaler Stimmrechtsmacht noch eine Beeinträchtigung des Aktionärsvermögens hinzukomme. Schon aus diesen Gründen komme § 255 Abs. 2 AktG keine das Sachgrunderfordernis verdrängende Wirkung zu. Auch der Bundesgerichtshof hat im „Kali & Salz“-Urteil zwischen den verschiedenen Anfechtungsgründen differenziert,
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BGHZ 71, 40, 45. Füchsel, BB 1972, 1533, 1534 f.; ders., Bezugsrechtsausschluss, S. 40 ff.; Lutter, in: KölnKomm/AktG, § 186 Rn. 58; Peifer, in: MünchKomm/AktG, § 186 Rn. 1. Den daneben weiterhin angeführten Gesichtspunkten der Verkleinerung des Gewinnanteils und der Verkleinerung des Liquidationsanteils (BGH a. a. O.; Füchsel, a. a. O.) kommt neben dem Absinken der relativen Beteiligungsquote keine eigenständige Bedeutung zu; sie ergeben sich vielmehr zwangsläufig aus dem Absinken der relativen Beteiligungsquote. 225 Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 255 Rn. 2; K. Schmidt, in: GroßKomm/AktG, § 255 Rn. 1. 226 Insbesondere Bayer, ZHR 163 (1999), 505, 530, dort auch zum folgenden Text. 224
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§ 255 Abs. 2 AktG also getrennt von § 243 Abs. 1 AktG (Sachgrunderfordernis) erörtert227. Dies trifft insofern zu, als es sich bei § 255 Abs. 2 AktG und § 243 Abs. 1 AktG, wie bereits der Wortlaut von § 255 Abs. 2 AktG („auch“) zeigt228, um zwei verschiedene und selbstständige Anfechtungsgründe handelt. Nur: Die These von § 255 Abs. 2 AktG als bloßem Auffangtatbestand setzt das in § 243 Abs. 1 AktG angesiedelte Sachgrunderfordernis als bestehendes und richtiges Recht voraus. Dann ist es in der Tat richtig, dass § 255 Abs. 2 AktG die Anfechtung gem. § 243 Abs. 1 Alt. 1 AktG wegen Missachtung des Erfordernisses sachlicher Rechtfertigung nicht ausschließen kann. Die gesetzliche und dogmatische Ausgangslage bei Erlass des „Kali & Salz“-Urteils aber war eine andere. Das AktG 1965 wusste von einem besonderen Rechtfertigungszwang, einer Beschlussinhaltskontrolle, nichts; neben speziellen Anfechtungsgründen (vgl. für Gewinnverwendungsbeschlüsse § 254 AktG) kannte es lediglich den Anfechtungsgrund der Verfolgung von Sondervorteilen (§ 243 Abs. 2 AktG) und die Verletzung konkreter gesetzlicher oder satzungsmäßiger Einzelnormen (§ 243 Abs. 1 AktG)229. In der „Kali & Salz“-Entscheidung ging es also um die erstmalige Begründung eines dem Gesetz unbekannten Schutzinstruments. Bei dieser erstmaligen Begründung eines richterrechtlichen Schutzinstruments aber liegt es, wie erwähnt, systematisch näher (Vermögens-)Interessen, für deren Schutz das Gesetz bereits an anderer Stelle (§ 255 Abs. 2 AktG) gesorgt hat, außen vor zu lassen. Ob sich deren Einbeziehung mit der Erwägung rechtfertigen lässt, der vom Gesetz gewährleistete Interessenschutz sei ungenügend, konkret also damit, dass die Vermögensinteressen der Aktionäre von der Norm des § 255 Abs. 2 AktG nur unzureichend geschützt sind230, erscheint ebenfalls zweifelhaft. Denn es kann inzwischen als anerkannt gelten, dass die in § 255 Abs. 2 AktG gebrauchte Formulierung vom „unangemessen niedrigen Ausgabebetrag“ nicht so zu verstehen ist, als decke sie „angemessen niedrige“ Ausgabebeträge. Die Anfechtung hat vielmehr immer schon dann Erfolg, wenn der Ausgabebetrag nicht dem vollen inneren Wert der neu geschaffenen Aktien entspricht231. Einzelheiten hierzu sollen an dieser Stelle aber noch offenbleiben232. Denn in jedem Fall ist die Ausblendung der Wechselwirkungen zwischen § 255 Abs. 2 AktG und dem Sachgrunderfordernis, also der nicht näher begründete doppelte Ansatz der vermögensrechtlichen Verwässerungsinteressen – bei § 255 Abs. 2 AktG und der Be227
BGHZ 71, 40, 43, 50; dazu bereits oben § 5 A. II. 3. Bayer, ZHR 163 (1999), 505, 526. 229 Vgl. Kropff, Aktiengesetz, S. 329 sowie bereits oben C. I. 230 So etwa Hefermehl/Bungeroth, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, § 186 Rn. 116; Grundmann, Treuhandvertrag, S. 461; Martens, in: FS R. Fischer, S. 437, 443; offenlassend BGHZ 120, 141, 148 f. (Bremer Bankverein). 231 Bayer, ZHR 163 (1999), 505, 532; Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 255 Rn. 16; Hirte, WM 1997, 1001, 1004; Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 262 ff.; a. A. aber etwa Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 255 Rn. 3 mit Darstellung des Streitstandes. 232 Näher unten § 14 B. III. 1. 228
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gründung des Sachgrunderfordernisses – als argumentatives Defizit zu werten233. Es war daher zu erwarten, dass sich ein Ansatz in den Vordergrund drängen wird, der diesen Mangel konzeptionell aufgreifen würde. Es ist dies der von Mülbert begründete vermögensrechtliche Schutzansatz, der u.a § 255 Abs. 2 AktG als Beleg dafür ansieht, dass das AktG 1965 Aktionären einen allein an ihren Vermögensinteressen ausgerichteten Schutz zuteilwerden lasse, weshalb für eine weitergehende Inhaltskontrolle kein Raum sei234. Mit diesem Ansatz werden wir uns im nächsten Teil der Arbeit auseinanderzusetzen haben (unten § 10). Vorliegend soll unser Interesse zunächst der Frage nach dem Grund der Nichtberücksichtigung des § 255 Abs. 2 AktG bei der Begründung des Sachgrunderfordernisses gelten. Diese Nichtberücksichtigung ist nämlich nicht, wie Hirte einmal angedeutet hat, „auf die etwas versteckte Stellung von § 255 Abs. 2 AktG zurückzuführen“ 235 – der Bundesgerichtshof hat diese Norm ja ausdrücklich, aber eben gesondert vom Sachgrunderfordernis geprüft236. Es gab vielmehr, so steht zu vermuten, einen speziellen Grund für die vermögensrechtliche Aufrüstung des Sachgrunderfordernisses. Dieser Grund ist in der Konstruktion der im „Kali & Salz“-Urteil aufgestellten materiellen Beschlussanforderungen zu erblicken. Er liegt auf rechtstheoretischer Ebene.
G. Rechtstheorie: Primär- und Sekundärebene I. Die zwei Entscheidungsebenen Der gesellschaftsrechtliche Mehrheits-/Minderheitskonflikt spielt sich auf zwei unterschiedlichen Entscheidungsebenen ab, die im Folgenden als Primär- und Sekundärebene bezeichnet werden sollen237. Die Primärebene ist die abstrakt-generelle Gesetzesebene. Sie besteht aus allen Normen, Instituten und Rechtsfiguren, welche die gerichtliche Entscheidung des konkreten Rechtsstreites beeinflussen. Diese gerichtliche Entscheidung vollzieht sich auf der Sekundärebene, der konkreten Fallebene. Ausgangspunkt hierbei sind der konkrete, dem Gericht zur Entscheidung vorgetragene Fall und die dort konfligierenden Interessen. Primärebene also heißt Gesetzesebene, Sekundärebene bedeutet Fallebene. Hinter der Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärebene verbirgt sich demnach auch eine Kompetenzabgrenzung: Die Primärebene fällt grundsätzlich in den Kompetenzbereich des Gesetzgebers, die Sekundärebene in den Kompetenzbereich der Rechtsprechung. Im Normalfall der Rechtsanwendung wird diese Kom233 Vgl. BGHZ 71, 40, 43 ff. Die ungenügende Beachtung der Vorschrift des § 255 Abs. 2 AktG wird selbst von (ursprünglichen) Befürwortern des Sachgrunderfordernisses moniert, siehe Hirte, WM 1997, 1001, 1004. 234 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 259 ff., 310 ff., 338 ff. 235 Hirte, DB, 1995, 1113. 236 BGHZ 71, 40, 43, 50; dazu bereits oben § 5 A. II. 3. 237 Vgl. zum Folgenden auch Picker, JZ 1988, 1 ff., 62 ff.
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petenzabgrenzung beachtet. Die Rechtsprechung fokussiert auf den ihr zur Entscheidung vorgetragenen Fall, bedient sich dabei der auf der Primärebene angesiedelten Normen – mag es sich hierbei auch um bloße Generalklauseln handeln – und fällt anhand und mithilfe der primärrechtlichen Entscheidungsvorgaben eine Entscheidung für den konkret anhängigen Rechtsstreit. Ins Wanken gerät dieses klassische Rechtsmodell dann, wenn die Entscheidungsvorgaben auf der Primärebene nach Einschätzung des angerufenen Gerichts einen sachgerechten Ausgleich der divergierenden Mehrheits-/Minderheitsinteressen nicht ermöglichen238. Das Gericht steht dann vor der Entscheidung, sich entweder der dargelegten Kompetenzordnung zu fügen, das primärrechtliche Defizit also hinzunehmen, dafür aber eine unsachgerechte Entscheidung zu treffen, oder aber sich über die Kompetenzordnung hinwegzusetzen, die primärrechtliche Ebene also kraft richterlicher Rechtsfortbildung zu ergänzen und sodann anhand der richterrechtlich gebildeten Norm den konkreten Rechtsstreit zu entscheiden. Das Gericht steht vor der Grundsatzfrage: Richterrecht oder Rechtsdogmatik? 239 Richterrecht oder Gesetzesbindung? Oder in der hier gebrauchten Terminologie: Primär- oder Sekundärebene? II. Dogmatische und gesetzliche Ausgangslage bei Erlass des „Kali & Salz“-Urteils Eben diese Grundsatzfrage stellte sich auch dem Bundesgerichtshof im „Kali & Salz“-Urteil. Ihm lag dort ein Sachverhalt zur Entscheidung vor, der keineswegs harmlos war240, schließlich hatte die beklagte Salzdetfurth AG ihr Grundkapitel nahezu verdoppelt; die quotale Stimmrechtsmacht der ausgeschlossenen Aktionäre reduziert sich bei einem solchen Kapitalerhöhungsvolumen mit einem Schlag um die Hälfte; wer eben noch maßgeblich an der Gesellschaft beteiligt war, kann sich nach der Kapitalerhöhung in der Rolle eines bloßen Kleinaktionärs wiederfinden. Der Beschluss über den Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre war weiter der Beschlussgegenstand, der historisch gesehen im Mittelpunkt des gesellschaftsrechtlichen Mehrheits-/Minderheitskonflikts stand; als zentrales Instrument in den Machtkämpfen und Konzentrationsprozessen der Weimarer Zeit hatte das Reichsgericht anhand dieses Beschlussgegenstandes erste vorsichtige Schritte in Richtung einer materiellen Beschlusskontrolle unternommen241. Es war schließlich der Bezugsrechtsausschluss, für den das Schrift-
238 Vgl. zum Vorverständnis bei der Rechtsanwendung Röhl/Röhl, Rechtslehre, § 13 IV (S. 120 ff.); grundlegend Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung (1970). 239 So der Aufsatztitel von Picker, JZ 1988, 1 ff., 62 ff. 240 Darauf weist Zöllner, AG 2002, 585, 586 hin. 241 Aus der Rechtsprechung des Reichsgerichts etwa RGZ 107, 72 (Ostbank); RGZ 132, 149 (Victoria); aus dem Schrifttum hierzu namentlich A. Hueck, in: RG-Festgabe IV, S. 167 ff.; siehe auch bereits oben § 4 B. I., II.
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tum mit Nachdruck eine Inhaltskontrolle gefordert und entsprechende Konzepte ausgearbeitet hatte242. Wollte der Bundesgerichtshof nun, im „Kali & Salz“-Fall, also auf der Sekundärebene, den Minderheitsgesellschaftern der beklagten Salzdetfurth AG Schutz in Form einer materiellen Beschlusskontrolle zuteilwerden lassen, so standen die Entscheidungsvorgaben auf der Primärebene hierfür nicht günstig: Das Gebot der guten Sitten bildete aufgrund seiner tatbestandlichen Enge, wie der zweite Zivilsenat im „Kali & Salz“-Urteil auch zu erkennen gibt243, keinen geeigneten Anknüpfungspunkt für einen angemessenen Minderheitenschutz244. Der Gleichbehandlungsgrundsatz stieß in der Rechtsprechung traditionell und – wie wir noch sehen werden – aus guten Gründen auf geringe Beachtung245. Und der aus heutiger Sicht naheliegende Weg über die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht war dem Bundesgerichtshof verwehrt. Zwei Jahre vor Erlass des „Kali & Salz“-Urteils hatte der Bundesgerichtshof im Urteil „Audi/NSU“ in dieser dogmatischen Grundsatzfrage eindeutig und apodiktisch Stellung bezogen: „Eine Treuepflicht besteht nicht im Sinne einer über die allgemeinen Rechtsgrundsätze der §§ 226, 242 und 826 BGB hinausgehenden Bindung.“ 246 Wollte der Bundesgerichtshof mit dieser Rechtsprechung nicht brechen, musste er sich eines Rückgriffs auf die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht verwehren; die Anerkennung von Treuepflichten auch zwischen Aktionären erfolgte denn auch erst mit dem „Linotype“Urteil des Jahres 1988247. Das positive Aktiengesetz erschwerte die Bedingungen für einen mittels materieller Beschlusskontrolle zu gewährleistenden Minderheitenschutz weiter. Denn der Regelungsrahmen des siebenten Teils des AktG macht es notwendig, materielle Beschlussschranken in das aktienrechtliche System der Anfechtungsgründe einzufügen. Dem Anfechtungsgrund des § 243 Abs. 2 AktG (Verfolgung von Sondervorteilen) war dabei in Rechtspraxis und Rechtswissenschaft aufgrund seiner ungeeigneten Normfassung nie eine größere Bedeutung beschieden248; diese Rechtsentwicklung wird vom Bundesgerichtshof im „Kali & Salz“-Urteil bestätigt249. Als Anfechtungsgrund übrig blieb daher allein die Norm des § 243 Abs. 1 AktG, welche die Anfechtung zulässt, wenn der Be242 Vgl. Blumenröhr, Schranken, S. 120 ff.; Bruns, Verwaltungseingriff, S. 204 ff.; Füchsel, Bezugsrechtsausschluss, S. 79 ff.; ders., BB 1972, 1533 ff.; Lutter, in: KölnKomm/AktG, 1. Aufl. 1971, § 186 Rn. 49; Mestmäcker, BB 1961, 945 ff.; Schilling, in: Großkomm/AktG, 3. Aufl. 1973, § 204 Rn. 2; Wiedemann. in: Großkomm/AktG, 3. Aufl. 1973, § 186 Rn. 12; ders., Minderheitenschutz, S. 54 ff.; Zöllner, in: KölnKomm/AktG, 1971, § 243 Rn. 196; ders., Schranken, S. 352 f. 243 Vgl. BGHZ 71, 40, 44. 244 Siehe mit Nachweisen bereits oben § 4 B. I. 245 Oben § 4 B. III. sowie insbesondere unten § 11. 246 BGH JZ 1976, 561, 562. 247 BGHZ 103, 184, 194 f. 248 Oben § 4 B. II. 249 Vgl. BGHZ 71, 40, 43, 49, 52 f.
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schluss Gesetz oder Satzung verletzt, worunter nach damaligem Verständnis aber allein die Verletzung konkreter Einzelnormen zu subsumieren war250. III. Die primärrechtliche Lösung Den gordischen Knoten, bestehend aus nicht vorhandenen bzw. ungeeigneten materiell-rechtlichen Anknüpfungspunkten für einen effektiven beschlussmängelrechtlichen Minderheitenschutz sowie der aktiengesetzlichen Begründungslast dafür, warum bei Nichtbeachtung etwaiger materieller Beschlussanforderungen das Gesetz i. S. d. § 243 Abs. 1 Alt. 1 AktG verletzt ist, durchschlug der Bundesgerichtshof mit einer streng primärrechtlichen Lösung. Die Rechtsprechung verließ ihre angestammte Rolle auf der Sekundärebene und ergänzte im Wege richterlicher Rechtsfortbildung die Primärebene, indem der Vorschrift des § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des sachlichen Grundes hinzugefügt wurde. Hatte die Vorschrift des § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG bislang folgenden Wortlaut: „Das Bezugsrecht kann ganz oder zum Teil nur im Beschluß der Hauptversammlung ausgeschlossen werden“, lautete der maßgebliche, von § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG nur noch unvollständig abgebildete Rechtssatz nun: „Das Bezugsrecht kann bei Vorliegen eines sachlichen Grundes ganz oder zum Teil nur im Beschluß der Hauptversammlung ausgeschlossen werden.“ Die im „Kali & Salz“-Urteil entwickelten, dort etwas verstreut liegenden materiellen Beschlussanforderungen wurden also gesetzestechnisch in ein eigenes ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal verarbeitet. An dieser gesetzestechnischen Verortung der materiellen Beschlusserfordernisse lässt der Bundesgerichtshof im „Kali & Salz“-Urteil keinen Zweifel – so verneint er etwa die Frage, ob bei einer Kapitalerhöhung mit Sacheinlagen einzelner Aktionäre stets ein Ausgleich gem. § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG zu zahlen sei, mit folgenden Worten: „Damit würde in die Vorschriften der §§ 183, 186 Abs. 3 AktG ein weiteres Wirksamkeitserfordernis hineingetragen [. . .].“ 251 Mit der Rechtsfortbildungs-, also primärrechtlichen Lösung schienen die dogmatischen und gesetzlichen Schwierigkeiten recht elegant gelöst: Beim Bezugsrechtsausschluss war ein effektiver Minderheitenschutz gewährleistet, musste sich doch fortan jeder Bezugsrechtsausschluss einem besonderen sachlichen Rechtfertigungszwang stellen. Dass hiervon auch eine nicht unerhebliche Steuerungswirkung ausgehen würde, Gesellschaften also zukünftig ganz „freiwillig“ auf den Ausschluss des Bezugsrechts verzichten würden, wird dem zweiten Zivilsenat dabei gewiss nicht entgangen sein252. Die primärrechtliche Lösung erlaubte es dem Bundesgerichtshof weiter, das Problem, dass auf der Primärebene keine 250 251 252
Vgl. Kropff, Aktiengesetz 1965, S. 329. BGHZ 71, 40, 53 (Hervorhebung nicht im Original). Näher unten H. II. 2. b).
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materiell-rechtlichen Anknüpfungspunkte zur Verfügung standen (Treuepflicht) oder die zur Verfügung stehenden Rechtsgrundlagen eine engmaschige Beschlussinhaltskontrolle nicht deckten (Sittengebot, Sondervorteilsverbot, Gleichbehandlungsgrundsatz, Treuepflicht253), dahingestellt sein zu lassen; er musste also insbesondere nicht mit seiner Rechtsprechung zu Treuepflichten im Aktienrecht brechen. Die offene Korrektur des Gesetzeswortlauts von § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG schien die Frage nach der Rechtsgrundlage dieser Beschlusskontrolle entbehrlich zu machen. Ein weiterer und wohl ganz entscheidender Vorzug der primärrechtlichen Lösung lag darin, dass die richterrechtliche Ergänzung der Norm des § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG eine recht zwanglose Begründung dafür lieferte, warum bei Nichteinhaltung der entwickelten materiellen Beschlusserfordernisse der Beschluss gem. § 243 Abs. 1 Alt. 1 AktG anfechtbar ist. Das Gesetz i. S. d. § 243 Abs. 1 Alt. 1 AktG ist in diesem Falle deswegen verletzt, weil der Vorschrift des § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG in der ihr in „offene[r] Rechtsfortbildung“ 254 gegebenen Gestalt nicht Rechnung getragen wurde. So erklärt sich auch, warum der Bundesgerichtshof gleich zu Beginn des Urteils ohne größere Umschweife ausführt: „Soweit der Kläger die Anfechtung der Kapitalerhöhungsbeschlüsse [. . .] gem. §§ 243 Abs. 1, § 255 Abs. 1 AktG darauf stützt, daß diese [. . .] gesetzeswidrig seien, kommt es zunächst darauf an, ob ein Bezugsrechtsausschluß [. . .] noch bestimmten sachlichen Anforderungen genügen muß.“ 255 IV. Primärrechtliche Interpretation der „Kali & Salz“-Entscheidung Die primärrechtliche Konstruktion der materiellen Beschlusserfordernisse hat wohl den dogmatischen, methodischen und systematischen Ansatz des Bundesgerichtshofs im „Kali & Salz“-Urteil maßgeblich bestimmt: Dass sich für das Sachgrunderfordernis keine richtige dogmatische Grundlage ausmachen lässt256, war für den Bundesgerichtshof auf Basis der primärrechtlichen Lösung vermutlich von nur untergeordneter Bedeutung, denn es verfügt ja – so ein möglicher Gedanke – immerhin über eine Rechtsquelle: das Richterrecht257, vergleichbar dem Vorgehen im Zusammenhang mit der Frage ungeschriebener Hauptversammlungszuständigkeiten: Dort lässt es der Bundesgerichtshof in den „Gelatine“-Entscheidungen dahingestellt sein, worin derartige Zuständigkeiten ihre Rechts253 Zu den Kontrollrestriktionen dieser Normen bereits oben § 4 B.; speziell zur Treuepflicht oben D. II. 2. c) und unten § 9 B. V., § 13 B.; speziell zum Gleichbehandlungsgrundsatz unten bei § 11 B. II. 254 So die Formulierung von BGHZ 159, 30, 43 (Gelatine I) (zur ungeschriebenen HV-Zuständigkeit). 255 BGHZ 71, 40, 43. 256 Oben D. 257 Zur rechtstheoretischen Diskussion, ob es sich bei Richterrecht um eine Rechtsquelle i. S. d. Rechtsquellenlehre handelt, siehe Röhl/Röhl, Rechtslehre, § 72 II (S. 571 f.).
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grundlage fänden, und bezeichnet deren Bestehen schlicht als das „Ergebnis einer offenen Rechtsfortbildung“ 258. Kritisch muss man also anmerken: Ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeiten und Beschlussinhaltskontrolle verfügen über keine Rechtsgrundlage, sie haben nur eine Rechtsquelle, eben das Richterrecht259. In methodischer Hinsicht ist weiter zu beachten, dass die primärrechtliche Lösung eine recht weitgehende richterrechtliche Korrektur des Gesetzes bedeutete. Es nimmt nicht wunder, dass dem Bundesgerichtshof eben darum viel daran gelegen war, das von ihm gefundene Ergebnis möglichst eng anhand des Gesetzes zu begründen. Das methodische Mittel hierfür war die an § 186 AktG angelehnte Regel-Ausnahme-Argumentation260. Die gewählte Konstruktion mag auch erklären, warum sich der Bundesgerichthof des Bindungs- und nicht des Abwägungsmodells bedient hat. Mit dem Bindungsmodell ließ sich die weitreichende richterliche Beschlusskontrolle beim Bezugsrechtsausschluss sehr viel einfacher und gesetzestreuer begründen als mit dem Abwägungsmodell. Eine offene Interessenabwägung hätte nicht nur den Anschein noch größeren Gesetzesungehorsams erweckt. Sie hätte, da sie zur Aufdeckung und Bewertung aller Interessen führt, vermutlich zu sehr viel differenzierteren, die Umstände des Einzelfalls stärker berücksichtigenden Ergebnissen geführt261. Ein so präzises, griffiges, problemlos in § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG einfügbares Tatbestandsmerkmal wie das des sachlichen Grundes, das zu einer flächendeckenden Inhaltskontrolle führt, hätte das Abwägungsmodell, so steht zu vermuten, nicht zutage gefördert. Und auch die in systematischer Hinsicht kritikwürdige Einbeziehung der von § 255 Abs. 2 AktG bereits geschützten Vermögensinteressen in die Begründung des Sachgrunderfordernisses262 wird vor dem Hintergrund der vom Bundesgerichtshof gewählten primärrechtlichen Lösung begreiflich: Die durchgängige Beschlussinhaltskontrolle beim Bezugsrechtsausschluss, zu der das Sachgrunderfordernis als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG führt, musste argumentativ begründet werden. Das ausführliche Abstellen auf die bei einem Bezugsrechtsausschluss drohende vermögensrechtliche Verwässerung diente dabei möglichicherweise auch der argumentativen Aufrüstung: Je stärker die Beeinträchtigung der Rechtsstellung der ausgeschlossenen Aktionäre bei einem Bezugsrechtsausschluss gezeichnet wird, desto eher wird eine weitgehende Beschlussinhaltskontrolle begründbar263. 258
BGHZ 159, 30, 42 f. (Gelatine I); BGH NZG 2004, 571, 574 (Gelatine II). Kritisch gegenüber den „Gelatine“-Entscheidungen insoweit daher auch Fleischer, NJW 2004, 2335, 2337; Liebscher, ZGR 2005, 1, 21 f. („Ergebnisbeschreibung“); Weißhaupt, AG 2004, 585, 586; siehe auch Habersack, in: Emmerich/Habersack, Kommentar Konzernrecht, Vor § 311 Rn. 40. 260 Oben E. I. 261 Vgl. näher unten H. II. 1. sowie insbesondere § 14 A., B. 262 Oben F. 263 Deutlich kommt dies bei Füchsel, Bezugsrechtsausschluss, S. 102 f. zum Vorschein. 259
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2. Teil: Das Sachgrunderfordernis
V. Fortwirkungen der rechtstheoretischen Grundsatzentscheidung Mit der Konstruktion des Sachgrunderfordernisses als primärrechtliches Rechtsinstitut war ein, wenn nicht der entscheidende Parameter hinsichtlich der umstrittenen Reichweite dieses Instituts gesetzt. Für einen umfassenden Anwendungsbereich des Sachgrunderfordernisses einzutreten, kam im Grunde nur für denjenigen in Betracht, der richterlicher Rechtsfortbildung traditionell aufgeschlossenen gegenübersteht (zum umfassenden Kontrollmodell unten § 9). Für Kritiker einer umfassenden Beschlusskontrolle (zum umfassenden Kontrollmodell unten § 9) lag es dagegen nahe, das mit dem Sachgrunderfordernis verbundene Kompetenzproblem – rechtsfortbildende Rechtsprechung vs. demokratisch legitimierter parlamentarischer Gesetzgeber – herauszustellen und einschränkende Kriterien der Sachkontrolle dann auf genau der Ebene zu suchen, auf der das Sachgrunderfordernis angesiedelt ist: auf der Primärebene. Dies mündete in die Theorie der gesetzlich vorgeprägten Beschlussgegenstände, die das richterrechtliche Institut des Sachgrunderfordernisses nicht zur Anwendung bringen will, wenn der Beschluss „gesetzlich vorgeprägt“ sei (dazu unten unter § 9). Doch nicht nur die herrschende Vorprägungstheorie war durch das Sachgrunderfordernis als ein primärrechtliches Institut vorgezeichnet. Auch die anderen, zur Reichweite einer materiellen Beschlusskontrolle vertretenen Auffassungen hängen eng mit diesem rechtstheoretischen Standort des Sachgrunderfordernisses zusammen. Die richterrechtliche Ergänzung der Primärebene forderte nämlich einen Einwand geradezu heraus: Aufgabe der Rechtsprechung sei nicht die Korrektur des Gesetzes, sondern dessen Anwendung – die Rechtsprechung sei an das geschriebene Recht gebunden264. Dieser naheliegende Einwand findet seinen konzeptionellen Niederschlag in Kontrollansätzen, welche die Rechtsprechung auf die Sekundärebene zurückverweisen, indem sie den Rechtsanwender entweder strikt an die Wertungen und das Schutzsystem des positiven Gesetzes binden – so der vermögensmäßig konzipierte Schutzansatz bei Mülbert (dazu unten § 10) – oder aber die Beschlusskontrolle an eine gesetzliche normierte Rechtsgrundlage anknüpfen – so die mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 53 a AktG) operierende Konzeption von Verse (dazu unten unter § 11.) Die gesetztechnische Einordnung der entwickelten materiellen Beschlussanforderungen als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG hatte weiter zur Folge, dass fortan jeder Beschluss über den Ausschluss des Bezugsrechts einer Verhältnismäßigkeitskontrolle unterlag. Der Grundstein für ein in sachlich-inhaltlicher Hinsicht nicht überzeugendes Rechtsinstitut war damit gelegt.
264 Deutlich Mülbert, Aktiengesellschaft, Vorwort; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 50.
§ 6 Einordnung und Bewertung des Sachgrunderfordernisses
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H. Sachlich-inhaltliche Bewertung Die Debatte um das Sachgrunderfordernis ist insgesamt stark wertungsgeprägt. So sehen die einen – insbesondere zu Beginn der „Kali & Salz“-Diskussion – im Sachgrunderfordernis den „Durchbruch eines neuen Rechtsbewusstseins“ 265, das dem rechtsethischen Prinzip des Minderheitenschutzes zu der ihm gebührenden Beachtung verhelfe,266 und werten eine Zurücknahme materieller Beschlusserfordernisse folglich als „Unglück“ 267, wogegen die anderen – vermehrt ab Beginn der 90er Jahre – eine „Hypertrophie des Minderheitenschutzes“ 268, eine „[Verabsolutierung von Minderheitsinteressen]“ 269 beklagen270. Nun verstehen sich für eine Wertungsjurisprudenz vom Rechtsanwender zu treffende (Be-)Wertungen, insbesondere im Bereich richterlicher Rechtsfortbildung, zwar von selbst271. Will man allerdings die Beurteilung nicht ganz der Beurteilungswillkür des jeweiligen Rechtsanwenders überlassen und so einen rationalen Diskurs abschneiden, gilt es, eine normative Leitlinie zu entwickeln, an der sich die Beurteilung ausrichten kann (unter I.) Erst wenn dies geschehen ist, kann die eigentliche Bewertung beginnen (unter II.). I. Normativer Bewertungsmaßstab: das Gebot der Äquidistanz Bei den kapitalgesellschaftsrechtlichen Satzungs- und Strukturänderungen streiten, wie anfangs bereits erwähnt, die Veränderungsinteressen der Gesellschaftermehrheit mit den Bewahrungsinteressen der Gesellschafterminderheit um rechtliche Anerkennung; das Rechtsprinzip der Gestaltungsfreiheit steht gegen das Rechtsprinzip des Minderheitenschutzes272. Es entspricht dabei einer intuitiven und allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellung, dass hierbei keiner der beiden Seiten a priori der Vorrang gebührt. Anders ausgedrückt: Es besteht eine Primafacie-Vermutung dafür, dass die Interessen beider Seiten gleichrangig zu berücksichtigen sind273. Entscheidend kommt es daher darauf an, ob sich diese Vermu265
Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 III 2 a (S. 446). Wiedemann, ZGR 1980, 147, 155 ff. 267 Lutter, JZ 1998, 50, 53 (zum „Siemens/Nold“-Urteil); vgl. dazu noch unten § 8 A. II. 1. 268 Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 66 ff., 112 f., 569. 269 Martens, ZIP 1992, 1677, 1680. 270 Dezidiert kritisch auch Röhricht, ZGR 1999, 445, 469. 271 Larenz, Methodenlehre, S. 119 ff., 214 ff.; K. Schmidt, in: K. Schmidt, Rechtsdogmatik, S. 9 ff. 272 Zum Charakter der Gestaltungsfreiheit als Rechtsprinzip vgl. Hommelhoff, in: Lutter/Wiedemann, Gestaltungsfreiheit, S. 36, 47; zur Einordnung des Minderheitenschutzes als Rechtsprinzip vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 16 III 1 a (S. 466 f.) sowie Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 I 1 (S. 404 ff.). 273 Siehe auch in ähnlichem Zusammenhang Merkt, RabelsZ 1997, 647 („prima vista plausible Vermutung, daß beide Interessen gleichen Schutz verdienen“). 266
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2. Teil: Das Sachgrunderfordernis
tung erschüttern lässt: (1) Mit der Vorschrift des § 186 AktG lässt sich eine solche Erschütterung zugunsten der Gesellschafterminderheit, wie soeben dargelegt, nicht begründen274. (2) Auch die legitimatorische Erwägung, dass jedes privatrechtliche Rechtsgeschäft, welches nicht von der Zustimmung aller Normadressaten getragen ist – also auch der Mehrheitsbeschluss –, allein deshalb einer materiellen Beschlusskontrolle zu unterwerfen sei275, kann eine Vermutungserschütterung nicht stützen. Denn ebenso gut ließe sich anbringen, dass der Beschluss als ein privatrechtliches und privatautonomes Rechtsgeschäft gerade keiner strengen judiziellen Kontrolle unterliegen dürfe276. (3) Ganz generell wird es mit Blick auf das gesetzliche Mehrheitsprinzip (= Vorrang der Veränderungsinteressen) schwerfallen, die Prima-facie-Vermutung der Interessengleichrangigkeit zugunsten der Gesellschafterminderheit und deren Bewahrungsinteressen zu erschüttern277. (4) Auch der (verfassungs-)rechtliche Rahmen, in dem der gesellschaftsrechtliche Mehrheits-/Minderheitskonflikt ausgetragen wird, spricht dafür, den Interessen beider Seiten den gleichen Rang einzuräumen, die divergierenden Rechtsprinzipien gleich zu gewichten, kurz: Äquidistanz zu wahren278. Der Mehrheits-/Minderheitskonflikt wird im Regelfall vor grundrechtsgebundenen staatlichen Gerichten ausgetragen (Art. 1 Abs. 3 GG)279. Beide Konfliktparteien genießen grundrechtlichen Schutz280. Die Gesellschaft bzw. Gesellschaftermehrheit kann für sich die verfassungsrechtlich geschützte Befugnis in Anspruch nehmen, über Struktur und Entwicklung der Gesellschaft eigenverantwortlich d.h. ohne richterliche Verhältnismäßigkeitskontrolle, zu entscheiden. Der Minderheitsgesellschafter wird von den staatlichen Gerichten den verfassungsrechtlichen Schutz seines Anteilseigentums ebenfalls unter Berufung auf Art. 14 GG einfordern. Die Grundrechtsdogmatik hält in dieser Pattsituation keinen normativen Gesichtspunkt parat, der es rechtfertigen würde, einer der konfligierenden Seiten Vorrang einzuräumen281. Das kann nur zur Folge haben, dass der Rechts-
274
Oben E. I. Bachmann, Private Ordnung, S. 213. 276 So namentlich K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 16 III 1 a (S. 467). 277 Zu Versuchen, die Prima-facie-Vermutung zugunsten der Mehrheit zu erschüttern, unten § 8 B. III. 2. b). 278 Vgl. zur verfassungsrechtlichen Provenienz des Äquidistanzgedankens BVerfG NJW 3268, 3270 (Edscha); E. Schmidt-Aßmann, in: FS Badura, S. 1009, 1014. 279 Vgl. zu Schiedsverfahren bzw. Schiedsfähigkeit beschlussmängelrechtlicher Streitigkeiten BGH ZIP 2009, 1003; aus der Literatur monographisch etwa M. Schröder, Schiedsgerichtliche Konfliktbeilegung bei aktienrechtlichen Beschlussmängelstreitigkeiten (1999). 280 Zu den verschiedenen Grundrechtspositionen oben B. 281 Dass das Verfassungsrecht das Sachgrunderfordernis nicht verlangt oder verbietet (oben B. I.), ist vorliegend ohne Belang. Denn die verfassungsrechtliche Enthaltsamkeit bezieht sich allein auf das Sachgrunderfordernis. Bei der Entwicklung allgemeiner Bewertungsmaßstäbe für die Beschlusskontrolle können verfassungsrechtliche Gesichts275
§ 6 Einordnung und Bewertung des Sachgrunderfordernisses
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anwender282 zu allen privaten Akteuren und Akteursgruppen die gleiche Distanz zu wahren hat, ihn also eine Pflicht zu Äquidistanz trifft283. Wie dieses Gebot der Äquidistanz weiter zu konkretisieren ist, lässt sich am besten bei der Beurteilung des Sachgrunderfordernisses aufzeigen. II. Bewertung des Sachgrunderfordernisses anhand des Gebots der Äquidistanz 1. Gebot der Äquidistanz: beidseitige Interessenberücksichtigung
In seiner einfachsten Ausprägung hält das Gebot der Äquidistanz den Rechtsanwender dazu an, die berechtigten Interessen beider Seiten, also sowohl der Gesellschaftermehrheit als auch der Gesellschafterminderheit angemessen zu berücksichtigen. Wie also verhält es sich mit dieser Konkretisierung des Äquidistanzgedankens hinsichtlich des Sachgrunderfordernisses? a) Das „Kali & Salz“-Urteil In jenem Teil des „Kali & Salz“-Urteils, in dem der Bundesgerichtshof den rechtlichen Maßstab für die Beschlusskontrolle entwickelt, finden Minderheitsinteressen ausgiebig Erwähnung. Zur Begründung, warum der Bezugsrechtsausschluss als „schwerer Eingriff in Mitgliedschaft“ 284 strengen materiellen Beschlussanforderungen zu genügen habe, wird eine ganze Armada von Gesichtspunkten angeführt: Absinken des Anteils am Gesellschaftsvermögen, relatives Absinken des Gewinn- und Liquidationsanteils, Verschiebung der Stimmrechtsquoten, Verlust von Sperrminoritäten, Verlust bestimmter Minderheitsrechte, Abhängigkeitsbegründung bzw. Abhängigkeitsverstärkung, Kursverlust der nicht bezugsberechtigten Aktionäre sowie weitere Vermögensverluste bei unangemessenen Ausgabebedingungen285. Gegenläufige Interessen von Gesellschaft und Gesellschaftermehrheit, die durch eine flächendeckende judizielle Verhältnismäßigkeitskontrolle nach Art des Sachgrunderfordernisses in erheblicher Weise tangiert werden286, finden dagegen keine Berücksichtigung. Sie werden hier nicht einmal erwähnt. Der Blick wandert also nicht zwischen Minderheits- und Mehrpunkte und Erwägungen, wie die hier angestellten, daher durchaus eine maßgebliche Rolle spielen; siehe auch oben B. III. 282 Das Gebot der Äquidistanz wurde bislang vor allem für den das Aktienrecht ausgestaltenden Gesetzgeber herangezogen, siehe BVerfG NJW 3268, 3270 (Edscha) (zur verfassungsrechtlichen Beurteilung der §§ 327a ff. AktG); E. Schmidt-Aßmann, in: FS Badura, S. 1009, 1014. Es ist jedoch kein Grund ersichtlich, diesen Gedanken nicht auch bei der Bewertung von Richterrechtsnormen fruchtbar zu machen. 283 Siehe auch Schmidt-Aßmann, in: FS Badura, S. 1009, 1014, 1019 ff. 284 BGHZ 71, 40, 44. 285 BGHZ 71, 40, 44 f. 286 Siehe näher noch unten § 14 B. II. 1.
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2. Teil: Das Sachgrunderfordernis
heitsinteressen, zwischen Minderheitenschutz und Gestaltungsfreiheit hin und her, sondern richtet sich äquidistanzwidrig einseitig auf Erstere/n287. Die Kritik einer einseitigen Berücksichtigung der Interessen der vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Aktionäre bzw. von Minderheitsinteressen erscheint jedoch nur bei isolierter Betrachtung des „Kali & Salz“-Urteils gerechtfertigt. Nimmt man dieses Urteil dagegen in toto in den Blick, gewinnt man den Eindruck, der Bundesgerichtshof habe die gebotene Interessenabwägung und die angemessene Berücksichtigung auch der Gesellschafts- und Mehrheitsinteressen nachzuholen beabsichtigt. Bei der Entwicklung des rechtlichen Maßstabs schien er hieran durch die Konstruktion der materiellen Beschlussanforderungen gehindert; die richterrechtliche Etablierung des ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals des sachlichen Grundes in § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG verlangte eine hinreichende Begründung; dafür bot sich die Interessenbeeinträchtigung der vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Aktionäre an288. Nachdem der Bundesgerichtshof diesen Maßstab allerdings entwickelt hatte, waren diese Bindungen nicht mehr maßgebend. Erst dann bekennt sich das Gericht zur Methode der rechtlich geleiteten Interessenabwägung289 und finden Gesellschafts- und Mehrheitsinteressen die ihnen gebührende Beachtung. So lässt der zweite Zivilsenat bei der Subsumtion unter den zuvor entwickelten Maßstab Großzügigkeit walten und verzichtet auf eine eingehende Prüfung der Verhältnismäßigkeit290. Noch stärkere Berücksichtigung erfahren die Mehrheitsinteressen bei der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast. Der zweite Zivilsenat spaltet entgegen prozessrechtlichen Grundsätzen291 Darlegungs- (= Gesellschaft) und Beweislast (= Anfechtungskläger), da das schutzwürdige Vertrauen der Aktionärsmehrheit einer einseitigen Zuweisung der Darlegungs- und Beweislast an die Gesellschaft entgegenstehe292. Auch durch die prononciert vorgetragene Anerkennung eines unternehmerischen Beurteilungsspielraums293 wird den berechtigten Interessen der Gesellschaft und Gesellschaftermehrheit in hohem Maße Rechnung getragen.
287 Siehe auch Martens, ZIP 1992, 1677, 1680: „Nicht selten gewinnt man den Eindruck, daß Gläubiger- und Minderheitenschutz ohne jegliche Rückkopplung an entgegenstehende Interessen verabsolutiert werden.“ 288 Siehe bereits oben G. IV. 289 BGHZ 71, 40. 48. 290 BGHZ 71, 40, 46 ff. sowie oben § 5 A. II. 2. 291 Zur zivilprozessualen Normentheorie, nach der jede Partei die tatsächlichen Voraussetzungen der für sie günstigen Norm darzulegen und zu beweisen hat, siehe BGHZ 109, 139, 148; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 115 II 1 (S. 645 f.); Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, Anh. § 286 Rn. 10. Diese Grundregel der Darlegungs- und Beweislast gilt grundsätzlich auch im Anfechtungsprozess, siehe Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 144 f.; ders., in: FS Fleck, S. 151, 154 ff.; K. Schmidt, in: GroßKomm/AktG, § 243 Rn. 80 ff. 292 BGHZ 71, 40, 48 f. 293 BGHZ 71, 40, 49 f.
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b) Die literarische Interpretation Im Schrifttum, welches das „Kali & Salz“-Urteil im Grundsatz euphorisch aufnahm294, hat man dieser nachholenden Interessenabwägung des Bundesgerichtshofs dagegen keine Beachtung geschenkt. Der mühsame, dem „Kali & Salz“-Urteil nur in seiner Gesamtheit zugrunde liegende Kompromiss zwischen den konfligierenden Mehrheits- und Minderheitsinteressen wurde im Schrifttum durch eine isolierte Betrachtung einzelner Urteilspassagen aufgelöst. So wurde angemahnt, der Bundesgerichtshof müsse den Worten von der „Abwägung der Interessen“ 295 und der „Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck“ 296 auch Taten folgen lassen; bei der Subsumtion sei daher eine echte Kontrolle dahingehend geboten, ob das gewählte Mittel zur Förderung des Gesellschaftsinteresses geeignet sei, ob nicht mildere, die Minderheitsgesellschafter also weniger belastende Mittel vorhanden seien und ob die Vorteile für die Gesellschaftermehrheit/Gesellschaft die Nachteile für die vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Aktionäre/Minderheitsgesellschafter überwögen297. Aus der Einordnung der materiellen Beschlussanforderungen als „(ungeschriebene) sachliche Wirksamkeitsvoraussetzung“ 298 folgerte das Schrifttum weiter, dass der Gesellschaft die Darlegungs- und Beweislast für die die sachliche Rechtfertigung begründenden Tatsachen obliege, schließlich habe nach der zivilprozessualen Normentheorie jede Partei das Vorliegen der für sie günstigen Norm darzulegen und zu beweisen299 – nach Einordnung der materiellen Beschlussanforderungen als positiver Wirksamkeitsvoraussetzung des Beschlusses aber war das Vorliegen des Sachgrundes eine für die Gesellschaft günstige Norm. Die im „Kali & Salz“-Urteil entwickelten materiellen Beschlussanforderungen wurden im Schrifttum also in wesentlichen Bereichen verschärft300. Damit aber lässt sich festhalten: Die Kritik, das „Kali & Salz“-Urteil trage dem Gebot der Äquidistanz nicht Rechnung, ist als solche nicht berechtigt. Schon eher gerechtfertigt aber erscheint dieser Vorwurf in Bezug auf das Rechtsinstitut des Sachgrunderfordernisses, zu dem das „Kali & Salz“-Urteil unter tatkräftiger Mitwirkung der Literatur in den 70er und 80er Jahren ausgebaut wurde301. 294
Nachweise oben § 5 B. I. BGHZ 71, 40, 46. 296 BGHZ 71, 40, 46. 297 Lutter, ZGR 1979, 401, 405 ff.; siehe auch Binnewies, Konzerneingangskontrolle, S. 243; Flume, Juristische Person, § 7 III (S. 214 f.) mit Fn. 97. 298 BGHZ 71, 40, 46. 299 Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 220 f.; Hüffer, in: Geßler/Hefermehl, AktG, § 243 Rn. 147; ders., in: FS Fleck, S. 151, 166 f.; Lutter, ZGR 1979, 401, 412 ff.; Timm, JZ 1980, 668 f.; Wiedemann, ZGR 1980, 147, 158. 300 Bereits oben § 5 B. II. 301 Näher oben § 5 C. Vgl. auch Röhricht, ZGR 1999, 445, 471: Sachgrunderfordernis als Beleg für Gefahren eines unreflektierten Zusammenspiels zwischen Rechtsprechung und Rechtswissenschaft. 295
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2. Teil: Das Sachgrunderfordernis 2. Gebot der Äquidistanz: kein Regel-Ausnahme-Verhältnis
a) Konkretisierung Äquidistanz heißt, zu den streitenden Privatrechtsakteuren die gleiche Distanz zu wahren. Für den gesellschaftsrechtlichen Mehrheits-/Minderheitskonflikt bedeutet das: Der Rechtsanwender darf sich nicht vorschnell auf eine der konfligierenden Seiten stellen, sondern hat den divergierenden Interessen – Veränderungs- vs. Bewahrungsinteressen – und Rechtsprinzipien – Gestaltungsfreiheit vs. Minderheitenschutz – den grundsätzlich gleichen Rang beizumessen. Das Gegenstück eines so verstandenen Äquidistanzgebotes ist das Regel-Ausnahme-Verhältnis. Wer im Rahmen des Mehrheits-/Minderheitskonfliktes Regel-AusnahmeVerhältnisse bemüht, solidarisiert sich mit der Seite, zu deren Gunsten der Regelfall formuliert ist. Für eine Regel-Ausnahme-Argumentation in favore minoritatis lässt sich aber, wie soeben gesehen, ein rechtfertigender Grund nicht dartun302. Wer sich also um Äquidistanz bemüht, wird einem solchen Regel-AusnahmeVerhältnis entsagen müssen. b) Bewertung Nimmt man das Sachgrunderfordernis genauer in den Blick, zeigt sich, dass es eben auf einem Regel-Ausnahme-Verhältnis fußt. Um dies zum Vorschein zu bringen, ist der vom Sachgrunderfordernis aufgestellte Rechtssatz, wonach das Bezugsrecht bei Vorliegen eines sachlichen Grundes ausgeschlossen werden kann, weiter aufzuspalten. Dann lautet dieser Rechtssatz: „Der Bezugsrechtsausschluss ist grundsätzlich unzulässig, es sei denn, es liegen ausnahmsweise den Ausschluss rechtfertigende Gründe vor.“ 303 Dies aber ist nichts anderes als ein äquidistanzwidriges Regel-Ausnahme-Verhältnis in favore minoritatis. Hüffer, auf den diese Rechtssatzaufspaltung zurückgeht, hat sich ihrer zwar zu prozessualen Zwecken bedient. Sie sei deswegen vonnöten, um mittels der zivilprozessualen Normentheorie die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast ermitteln zu können304. Dies trifft gewiss zu. Die normative Relevanz dieser Rechtssatzaufspaltung beschränkt sich jedoch nicht auf den prozessualen Bereich. Sie lenkt die Aufmerksamkeit vielmehr – und das ist für das Gebot der Äquidistanz entscheidend – auf den Wirkungsmechanismus des Sachgrunderfordernisses. Seine minderheitsschützende Wirkung entfaltet dieses Institut nämlich nicht durch einen gerichtlich durchsetzbaren Bestandsschutz305. Die wesentliche Funktion des 302
Oben E. I. Hüffer, in: FS Fleck, S. 151, 167. 304 Ausführlich Hüffer, in: FS Fleck, S. 151 ff. 305 So war der Bundesgerichtshof bei der Anwendung des Sachgrunderfordernisses stets sehr zurückhaltend und verneinte ganz überwiegend eine Missachtung des Gebots sachlicher Rechtfertigung, siehe BGHZ 71, 40, 46–50 (Kali & Salz); BGHZ 125, 239, 241 ff. (Deutsche Bank); ausführliche Rechtsprechungsanalyse unten § 8 A. II. 303
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Sachgrunderfordernisses ist vielmehr in seiner präventiven verhaltenssteuernden Wirkung (Steuerungsfunktion) zu erblicken306. Es entfaltet eine unsichtbare Wirksamkeit dadurch, dass sich die Normadressaten an die von ihm aufgestellten Gebote halten, ohne dass es dafür der Einschaltung staatlicher Instanzen bedarf. Diese Steuerungsfunktion fällt im Beschlussmängelrecht deswegen auf besonders fruchtbaren Boden, weil die Rechtspraxis das Instrument zur Durchsetzung des Sachgrunderfordernisses, die aktienrechtliche Anfechtungsklage, fürchtet307. Dieser Anfechtungsklage und mit ihr den dort zur Anwendung gebrachten materiell-rechtlichen Maßstäben kommt aufgrund der von ihr ausgelösten Registersperre (vgl. § 16 Abs. 2 UmwG)308, ihrer kassatorischen Gestaltungswirkung (§ 241 Nr. 5 AktG)309 sowie ihrer Missbrauchsanfälligkeit310 abschreckende Wirkung zu. Wie stark diese abschreckende Wirkung gerade im Zusammenhang mit dem Sachgrunderfordernis war, zeigt die Rechtsentwicklung der 80er und 90er Jahre. Nach Erlass des „Kali & Salz“-Urteils und der Übertragung dieser Rechtsprechung auf das genehmigte Kapital (§§ 202, 203 AktG)311 wurden Kapitalerhöhungen wieder häufiger unter Wahrung des Bezugsrechts vorgenommen312; zum genehmigten Kapital stellte Röhricht rückblickend fest: „Tatsächlich war es seit den genannten Entscheidungen zu keinem genehmigten Kapital in Form der Ermächtigung zur Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage mehr gekommen.“ 313 Die Steuerungsfunktion des Sachgrunderfordernisses beschränkte sich 306 Zutreffend Tröger, Treupflicht, S. 301 f.; siehe auch Röhricht, ZGR 1999, 445, 469 ff. (präventiver Minderheitenschutz). Zur Steuerungsfunktion im (Privat-)Recht allgemein Wagner, AcP 206 (2006), 352 ff.; mit kapitalgesellschaftsrechtlichem Fokus Binder, Regulierungsinstrumente, S. 51 ff. 307 Siehe Seibert, ZRP 2011, 166, 167: „Die Furcht vor der Anfechtungsklage diszipliniert (. . .).“ Vgl. zu kapitalgesellschaftsrechtlichen Normdurchsetzungsmechanismen allgemein Binder, Regulierungsinstrumente, S. 186 f. 308 Zu der gesetzlichen Registersperre tritt eine richterliche Registersperre hinzu – der Registerrichter verweigert die Eintragung solcher Beschlüsse, die mit der Anfechtungsklage angefochten worden sind, vgl. dazu Hüffer, AktG, § 243 Rn. 51 ff.; Schäfer, Fehlerhafter Verband, S. 291 ff.; aus der Rspr. BGHZ 112, 9, 23 ff. 309 Aus dieser folgt die Notwendigkeit, Transaktionen, die auf einem erfolgreich angefochtenen Beschluss basieren, im Grundsatz vollständig rückabzuwickeln, vgl. Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 241 Rn. 28 f. 310 Dazu knapp Seibert, ZRP 2011, 166, 167; ausführlich Timm (Hrsg.), Missbräuchliches Aktionärsverhalten (1990). 311 BGHZ 83, 319 (Holzmann). 312 Vgl. Heinsius, in: FS Kellermann, S. 115 ff.; Martens, ZIP 1992, 1677 ff. 313 Röhricht, ZGR 1999, 445, 471. Der rechtspraktische Bedeutungsschwund des Bezugsrechtsausschlusses gerade im Rahmen des genehmigten Kapitals hängt gewiss auch maßgeblich mit der inhaltlichen und zeitlichen Verschärfung der Berichtspflichten durch BGHZ 83, 319, 320 ff., 325 ff. (Holzmann) sowie der Zunahme missbräuchlich erhobener Anfechtungsklagen in den 90er Jahren zusammen, siehe Martens, ZIP 1992, 1677 ff., 1681 ff. Ersteres ist jedoch Konsequenz aus der Etablierung eines strengen materiell-rechtlichen Maßstabs, und Zweiteres kann bei einem Maßstab, den jeder Aktionär zur Geltung bringen kann, nicht überraschen.
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2. Teil: Das Sachgrunderfordernis
demnach nicht auf die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit beim Bezugsrechtsausschluss. Die „freiwillige“ Regeltreue ging sehr viel weiter: Auf die im Anfechtungsprozess zu klärende Frage, ob der Beschluss sachlich gerechtfertigt ist oder nicht, ließ man es häufig gar nicht mehr ankommen, sondern verzichtete nicht selten gleich ganz auf den Ausschluss des Bezugsrechtes. Diese Steuerungsfunktion, diese überschießende Tendenz des Sachgrunderfordernisses, war, so steht zu vermuten, bezweckt. Der Bundesgerichtshof gibt dies in der „Holzmann“-Entscheidung zu erkennen, wenn er ausführt: „Dieser [scil. der Bezugsrechtsausschluss] muß vielmehr auch hier [scil. beim genehmigten Kapital gem. § 203 Abs. 2 AktG] die Ausnahme bilden [. . .].“ 314 Prozessual (= Normentheorie) und steuerungsfunktionell war aus der gesetzlichen Kompetenz, das Bezugsrecht auszuschließen (§ 186 Abs. 3 Satz 1 AktG), ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt geworden – der Ausschluss des Bezugsrechtes kam grundsätzlich nicht in Betracht, es sei denn, es lagen ausnahmsweise besondere, den Ausschluss rechtfertigende Gründe vor315. Ein solches Regel-Ausnahme-Verhältnis in favore minoritatis steht mit dem Gebot der Äquidistanz nicht in Einklang316. 3. Gebot der Äquidistanz: beiderseitige Grundrechtsberechtigung
a) Privatrechtlicher Äquidistanzgedanke – eingriffsbasierte Verhältnismäßigkeitskontrolle Das Gebot der Äquidistanz ist ein privatrechtliches Gebot. Es soll dem Rechtsanwender bei der Austarierung des gesellschafts-, also privatrechtlichen Mehrheits-/Minderheitskonfliktes normative Orientierung stiften. Dabei trägt es dem Umstand Rechnung, dass beide Konfliktparteien gleichermaßen grundrechtlichen Schutz genießen317. Eines scheint sich damit nicht zu vertragen: die Übertragung öffentlich-rechtlicher Kontrollmaßstäbe, die auf das Konfliktverhältnis zwischen einem Grundrechtsberechtigten (= Bürger) und einem Grundrechtsverpflichteten (= Staat) zugeschnitten sind. Ein solcher Kontrollmaßstab ist der Eingriffs- und Rechtfertigungsautomatismus des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes: jeder Eingriff des Staates in eine grundrechtlich geschützte Rechtsposition löst einen besonderen Rechtfertigungsbedarf aus, der im Verhältnismäßigkeitsprinzip Ausdruck findet318. Das hier zur Bewertung anstehende kapitalgesellschaftsrechtli314
BGHZ 83, 319, 323. So für die Barkapitalerhöhung explizit Lutter, in: KölnKomm/AktG, § 186 Rn. 25. 316 Zur Frage, ob sich an dieser Beurteilung durch den Ausbau des Freigabeverfahrens und der Fortentwicklung der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft etwas geändert hat, siehe unten § 9 B. VI. 2. a) und vgl. unten § 14 B. II. 1. 317 Siehe E. Schmidt-Aßmann, in: FS Badura, S. 1009, 1014, 1020; vgl. auch bereits oben B. I., II. 318 Badura, Staatsrecht, S. 376 f.; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 VII Rn. 107 f.; Maurer, Staatsrecht I, § 8 II 9 a (S. 224 f.); grundlegend P. Lerche, Übermaß 315
§ 6 Einordnung und Bewertung des Sachgrunderfordernisses
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che Institut des Sachgrunderfordernisses basiert auf genau demselben Kontrollansatz319 – es nimmt den mit einem Bezugsrechtsausschluss bewirkten Eingriff in die Rechte der vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Aktionäre zum Anlass, den Beschluss einer generellen richterlichen Verhältnismäßigkeitskontrolle zu unterstellen320. Ist das Sachgrunderfordernis aufgrund dieser Übertragung öffentlichrechtlicher Kontrollmaßstäbe mit dem privatrechtlichen Äquidistanzgedanken unvereinbar? b) Transformation grundrechtlichen Denkens Der geschilderte grundrechtliche Eingriffs- und Rechtfertigungsautomatismus (Eingriff = Verhältnismäßigkeitskontrolle) ist nicht zwangsläufig auf den Bereich der Grundrechte beschränkt, sondern einer Übertragung auf andere Konstellationen zugänglich, sofern diese eine ähnliche rechtstheoretische Basis wie die Grundrechte der Verfassung aufweisen321. Für diese ist der naturrechtliche Gedanke der Vorstaatlichkeit prägend322: Die in der Verfassung aufgeführten Grundrechte sind dem Staat vorgelagert; Würde, Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit sind als universelle Menschenrechte Werte, die bereits existent sind, bevor sich Individuen im Staat zusammenschließen. Bei dieser Betrachtungsweise wird die Freiheit des Einzelnen zum theoretischen Ausgangs- und rechtsdogmatischen Regelfall, der staatliche Eingriff dagegen zur nachgeschalteten Ausnahme. Greift der konstituierte Staat nun in diese von ihm vorgefundenen Güter ein, unterliegt er aus eben diesem Grunde in Form des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes einer besonderen Rechtfertigungslast. Die rechtstheoretische Basis des grundrechtlichen Eingriffs- und Rechtfertigungsmechanismus besteht also in der Vorstellung eines dem Rechtseingriff vorausliegenden subjektiven Rechts bzw. Werts, einfach ausgedrückt: auf der Vorstellung, dass ein in seiner Substanz unversehrtes Recht bzw. unversehrter Wert „zuerst da war“ und erst „anschließend“ durch einen Rechtseingriff beeinträchtigt wird. und Verfassungsrecht (1961); aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts etwa BVerfGE 90, 145, 172 f. 319 Explizit für eine Anlehnung der kapitalgesellschaftsrechtlichen Beschlusskontrolle an öffentlich-rechtliche Kategorien Zöllner, Schranken, S. 351 f.; ders., in: KölnKomm/AktG, § 243 Rn. 202; Liebert, Bezugsrechtsausschluss, S. 85 f.; Natterer, Kapitalveränderung, S. 87 f.; Wimmer-Leonhardt, Konzernhaftungsrecht, S. 289 (bezogen auf einen beherrschenden Mehrheitsgesellschafter); im Grundsatz auch M. Winter, Treubindungen, S. 145 ff.; vgl. auch Timm, ZGR 1987, 403, 409 f. 320 Siehe BGHZ 71, 40, 44 f.; aus der das Sachgrunderfordernis vorbereitenden Literatur siehe insbesondere Füchsel, Bezugsrechtsausschluss, S. 95 ff., 106 ff. Zur Eingriffsbasis des Sachgrunderfordernisses vgl. auch Hofmann, Minderheitenschutz, S. 181; Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S. 107 ff. 321 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 VII Rn. 108 f.; Sommermann, in: Mangold/Klein/Starck, GG, Art. 20 III Rn. 39, 318, jew. m.w. N. 322 Dreier, in: Dreier, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 34, dort auch zum folgenden Text; vgl. auch Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 367 ff.
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2. Teil: Das Sachgrunderfordernis
Ob sich das grundrechtliche Eingriffs- und Rechtfertigungsschema auf das Kapitalgesellschaftsrecht übertragen lässt, hängt folglich davon ab, ob sich hier ein vergleichbares rechtstheoretisches Regel-Ausnahme-Verhältnis ausmachen lässt. Dazu hat sich im Aktienrecht eine Diskussion entwickelt, die mit den Gegenpolen „Außen“- vs. „Immanenztheorie des Aktieneigentums“ gekennzeichnet wird323. Während die Außentheorie das Aktieneigentum als ein im gedanklichen Ausgangspunkt unbeschränktes Recht versteht, das durch Gesetz und die auf seiner Grundlage gefassten Beschlüsse, also nachträglich, eingeschränkt wird324, erscheint für die Immanenztheorie die aktienrechtliche Mitgliedschaft „von Anfang an“ mit den Beschränkungen behaftet, die das Gesetz vorsieht325. Die überzeugenderen Argumente dürfte dabei – ohne dass hier eine eingehende Grundsatzdiskussion geführt werden kann – die Immanenztheorie auf ihrer Seite haben. Denn die Mitgliedschaft und die aus ihr fließenden subjektiven Rechte lassen sich dem gesellschaftlichen Zusammenschluss kaum als vorausliegend denken. Subjektives Recht und Rechtseingriff erscheinen vielmehr untrennbar miteinander verbunden: Erst durch die Beteiligung an der Gesellschaft werden dem Gesellschafter subjektive Rechte zuteil. Zugleich eröffnet die Beteiligung an der Gesellschaft den Mitgesellschaftern die Möglichkeit, dieses Recht gegebenenfalls zu beschränken. Fehl geht die Vorstellung, es gäbe eine Art „gesellschaftsrechtlichen Urzustand“ 326, in dem der einzelne Gesellschafter Innhaber unversehrter Güter ist, die dann durch den Zusammenschluss zum Personenverband „Gesellschaft“ beeinträchtigt werden. Eine solche Vorstellung mag für den das Individuum vorfindenden und dann das Recht erst konstituierenden Staat passen, nicht aber für die Mitgliedschaft in einer Korporation als einer vom und im Recht erst geschaffenen Institution327. Für das Bezugsrecht hat die Norm des § 282 Abs. 1 HGB 1897 all dies in begrüßenswerter Deutlichkeit zur Sprache gebracht, wenn sie im gleichen Satz, durch welchen den Aktionären ein Bezugsrecht eingeräumt wurde, bestimmte: „[. . .] soweit nicht in dem Beschluss über die Erhöhung des Grundkapitals ein anderes bestimmt ist“; Rechtsgewährung und Rechtsbeeinträchtigung gehen hier Hand in Hand. Dass das positive Gesetz heute 323 Vgl. Klöhn, Abfindungsansprüche, S. 173 f.; vgl. ferner E. Schmidt-Aßmann, in: FS Badura, S. 1009, 1018 ff., der einen individualrechtlichen, verbandsrechtlichen und kapitalmarktrechtlichen Ansatz unterscheidet. 324 Klöhn, Abfindungsansprüche, S. 173 f. (für Abfindungsansprüche); vgl. weiter Kropff, Aktiengesetz 1965, S. 14 („wirtschaftlicher Eigentümer“); BVerfGE 14, 263 (Feldmühle); 50, 219 (Mitbestimmung) („Anteilseigentum“); näher dazu Mülbert, in: GroßKomm/AktG, Vor §§ 118–147 Rn. 187. 325 Siehe Hefermehl/Spindler, in: MünchKomm/AktG, 2. Aufl. 2004, § 93 Rn. 173; Hüffer, ZHR 161 (1997), 867, 870; Mülbert, in: GroßKomm/AktG, Vor §§ 118–147, Rn. 188; Zöllner, ZGR 1988, 392, 430. 326 So das kritische Bild von Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 64. 327 Vgl. zu der hiermit in gewissem Sinne zusammenhängenden Grundsatzdiskussion um das Wesen der juristischen Person (Fiktionstheorie vs. Theorie der realen Verbandspersönlichkeit) K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 8 II (S. 186 ff.).
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subjektives Recht (§ 186 Abs. 1 AktG) und Rechtseingriff (§ 186 Abs. 3 AktG) trennt, ist gesetzestechnischen Gründen geschuldet328 und vermag daher an der dargelegten rechtstheoretischen Fundierung subjektiver Gesellschafterrechte nichts zu ändern. Lässt sich folglich für das Kapitalgesellschaftsrecht ein den verfassungsrechtlichen Grundrechten vergleichbarer Gedanke der „Vorgesellschaftlichkeit“ ebenso wenig formulieren wie sich ein Regel-Ausnahme-Verhältnis mit einem vorausgelagerten subjektiven Recht als Ausgangs- und Regel- sowie einem nachfolgenden Rechtseingriff als Ausnahmefall aufstellen lässt, fehlt dem Rechtfertigungsautomatismus des Sachgrunderfordernisses die rechtstheoretische Basis. Dies wiederum bedeutet: Das Sachgrunderfordernis überträgt unberechtigterweise und dem Gebot der Äquidistanz zuwider Maßstäbe, die für die Kontrolle der grundrechtsgebundenen staatlichen Verwaltung konzipiert werden, auf die Kontrolle des grundrechtlich geschützten Verhaltens der Gesellschaftermehrheit329. c) Rechtfertigungsversuche Gegen die geübte Kritik lässt sich nicht einwenden, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch im Gesellschafts- und Privatrecht anerkanntermaßen seine Berechtigung habe330. Für sich genommen trifft dies zwar zu331: Als elementarer Gerechtigkeitsgrundsatz, dessen historische Wurzeln auch im Privatrecht liegen332, ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz überall dort unverzichtbar, wo es divergierende Interessen auszugleichen gilt, also auch und gerade im Gesellschaftsrecht (vgl. auch § 140 HGB, § 254 AktG). Der Einwand verfehlt aber den entscheidenden Punkt deshalb, weil im Privatrecht gar nicht das „Ob“ des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in Frage steht, es hier vielmehr entscheidend auf das „Wie“ des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ankommt333: Wie kann dieser Grundsatz in einem Rechtsgebiet, das vom Grundsatz der Privatautonomie geprägt ist und dessen Akteure gleichermaßen grundrechtsberechtigt sind, system328
Oben E. I. Siehe auch Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S. 109, der vor allem darauf verweist, dass der Aktionär im Gegensatz zum Staatsbürger die Eingriffsbefugnis freiwillig eingeräumt hat; vgl. hierzu aber auch oben § 2 C.; siehe zudem Windbichler, in: Henze/ Timm/Westermann, Gesellschaftsrecht 1995, S. 23, 35 (kein besonderer Rechtfertigungszwang für privatrechtliche Maßnahmen). 330 In diese Richtung M. Winter, Treubindungen, S. 145 ff.; siehe auch Füchsel, BB 1972, 1533, 1536. 331 Siehe nur Heinrich, Freiheit, S. 471: „Im Privatrecht findet der allgemeine Grundgedanke (scil. des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes) ebenfalls Anwendung. Darüber herrscht Einigkeit“; vgl. ferner etwa Hanau, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke privater Gestaltungsmacht (2004); Larenz/Wolff, AT, 9. Aufl. 2004, § 16 III 3 c (S. 286 f.) (zur unzulässigen Rechtsausübung gem. § 242 BGB). 332 Vgl. Wieacker, in: FS R. Fischer, S. 867 ff. 333 Siehe Heinrich, Freiheit, S. 471 ff. m.w. N. 329
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2. Teil: Das Sachgrunderfordernis
konform zur Geltung gebracht werden? Wie auch immer diese Frage zu beantworten sein mag334, die Art und Weise, wie das Sachgrunderfordernis den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zur Anwendung bringt, nämlich mechanisch angeknüpft an einen generalisierend beurteilten Rechtseingriff – der Bezugsrechtsausschluss als schwerer Eingriff in die Mitgliedschaft der ausgeschlossenen Aktionäre –, trägt dem privatrechtlichen Fundament der kapitalgesellschaftsrechtlichen Beschlusskontrolle jedenfalls nicht Rechnung. Denn es wird verkannt, dass dieser Rechtseingriff nicht in Wahrnehmung hoheitlicher und grundrechtlich gebundener Kompetenzen, sondern in Ausübung privatrechtlich begründeter und grundrechtlich geschützter Befugnisse herbeigeführt wird335. Man kann die Problematik auch nicht durch den Hinweis simplifizieren, dass es sich bei der Sachkontrolle und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz um typische Denkvorstellungen bei der Ermessenkontrolle handele, die im Privatrecht ebenso zur Geltung gebracht werden können wie im Öffentlichen Recht336. Auch insofern muss es nämlich einen Unterschied machen, ob der Entscheidungsträger, dessen Ermessensentscheidung kontrolliert wird, wie im Öffentlichen Recht grundrechtsverpflichtet oder wie im Privatrecht grundrechtlich berechtigt ist337. Es geht bei dem kapitalgesellschaftsrechtlichen Sachgrunderfordernis also zunächst einmal gar nicht um Denkvorstellungen bei der Ermessenskontrolle, sondern um Kontrollstrukturen bei der Eingriffskontrolle. Die Frage ist also, inwiefern ein privatrechtlicher und grundrechtlich geschützter Eingriff durch die Gesellschaft/Gesellschaftermehrheit in mitgliedschaftliche Rechte der Gesellschafterminderheit überhaupt zum alleinigen Aufgreifkriterium einer richterlichen Verhältnismäßigkeitskontrolle gemacht werden darf338. Erst wenn darauf eine zufriedenstellende Antwort gefunden ist, kann man sich in einem zweiten Schritt der Frage zuwenden, ob der Gesellschafterversammlung im Rahmen der für möglich gehaltenen eingriffsbasierten Beschlusskontrolle – dann auch in Anlehnung an öffentlich-rechtliche Denkvorstellungen339 – ein Ermessens- bzw. Beurteilungsspielraum einzuräumen ist. Dass der Bundesgerichtshof im „Kali & Salz“-Urteil der Gesellschafterversammlung einen kontrollfreien Beurteilungsspielraum zugestanden hat340, vermag folglich nichts daran zu ändern, dass das Sachgrunderfordernis in seinem Ursprung auf einer unberechtigten Gleichset334
Vgl. unten § 9 B. VIII., § 13, § 14 A. Siehe E. Schmidt-Aßmann, in: FS Badura, S. 1009, 1020. 336 So Zöllner, in: KölnKomm/AktG, § 243 Rn. 202; dem zustimmend M. Winter, Treubindungen, S. 145. 337 Siehe auch insofern E. Schmidt-Aßmann, in: FS Badura, S. 1009, 1020. 338 Vgl. unten § 9 B. VIII., § 13, § 14 A. 339 M. Winter, Treubindungen, S. 148 ff., insb. Fn. 100 plädiert hier für eine Anleihe an die Zurücknahme der gerichtlichen Kontrolldichte bei verwaltungsrechtlichen Planungsentscheidungen; siehe auch Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 223 ff. 340 BGHZ 71, 40, 49 f.; siehe auch Lutter, ZGR 1979, 401, 414. 335
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zung des Verhältnisses Staat/Bürger einerseits, Gesellschaft bzw. Gesellschaftermehrheit/überstimmter Gesellschafter andererseits beruht. III. Auswirkungen der sachlich-inhaltlichen Defizite des Sachgrunderfordernisses Das Sachgrunderfordernis gibt daher in sachlich-inhaltlicher Hinsicht sub specie des Gebots der Äquidistanz einigen Anlass zu Kritik: überproportionale Berücksichtigung von Minderheitsinteressen, Regel-Ausnahme-Verhältnis in favore minoritatis, unberechtigte Übertragung öffentlich-rechtlicher Kontrollmaßstäbe auf das private Organisationsrecht. Es war daher zu erwarten, dass sich ein umfassendes Kontrollmodell, welches das Sachgrunderfordernis bei allen Satzungsund Strukturänderungen zur Anwendung bringen möchte (zum umfassenden Kontrollmodell unten § 9), nur schwer würde durchsetzen können. Die sachlichinhaltlichen Defizite des Sachgrunderfordernisses führten vielmehr dazu, dass der Anwendungsbereich dieses Instituts nach Möglichkeit gegenständlich beschränkt wurde – so die herrschende Theorie der gesetzlich vorgeprägten Beschlussgegenstände (dazu unten § 8) – oder einer Verabschiedung dieses Instituts zugunsten eines rein vermögensorientierten Schutzsystems (dazu unten § 10) oder einer stärkeren Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (dazu unten § 11) das Wort geredet wurde. Bevor wir uns diesem Meinungsstand näher zuwenden können, haben wir uns allerdings noch mit einem letzten Parameter der Diskussion um die Reichweite des Sachgrunderfordernisses zu beschäftigen, auch deswegen, weil die an das Sachgrunderfordernis gerichtete Kritik, es übertrage öffentlich-rechtliche Kontrollmaßstäbe unbesehen in das Privatrecht, unter einem Vorbehalt steht: dem Vorbehalt, dass sich dieses Rechtsinstitut nicht in die privatrechtliche Kontrolldogmatik einfügen lässt.
I. Privatrechtliche Kontrolldogmatik Bei einer materiellen Beschlusskontrolle steht das rechtsgeschäftliche Verhalten privater Akteure auf dem gerichtlichen Prüfstand. Das Sachgrunderfordernis ist daher eingebettet in die privatrechtliche Kontrolldogmatik341. Diese Einbettung blitzt in der Diskussion um eine materielle Beschlusskontrolle zwar immer wieder auf. Dogmatisch durchdrungen sind die sich hier stellenden Fragen jedoch keineswegs. Gedankliche Klarheit im theoretischen Ausgangspunkt verspricht die Unterscheidung zwischen einem autonomen und einem heteronomen Ansatz der kapitalgesellschaftsrechtlichen Beschlusskontrolle342. 341 Vgl. dazu auch die privatrechtsdogmatische Einordnung bei Wandrey, Beschlusskontrolle, S. 299 ff. 342 Siehe Fastrich, in: FS Kreutz, S. 585, 590; vgl. Roitzsch, Minderheitenschutz, S. 56 ff.
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2. Teil: Das Sachgrunderfordernis
I. Autonomer Regelungsansatz 1. Theoretische Basis
Der autonome Regelungsansatz343 betont die sich im Beschluss verwirklichende Entscheidungsautonomie. Der Beschluss wird als Manifestation der Selbstbestimmung von Gesellschaft und Gesellschaftermehrheit verstanden; er bringe den eigenverantwortlich gebildeten, privatautonomen Willen der Gesellschaft zum Ausdruck. Ein solcher Ansatz rückt den Beschluss in die Nähe des privatrechtlichen Vertrages und sieht Parallelen zwischen dem Prozess kollektiver Willensbildung des Kapitalgesellschaftsrechts und dem Vertragsschlussmechanismus des Bürgerlichen Rechts. Da es für den autonomen Ansatz auch im Rahmen der materiellen Beschlusskontrolle maßgeblich darum geht, die der Autonomie selbst innewohnenden Grenzen freizulegen, ist er in rechtsatzmäßiger Hinsicht eher auf der Tatbestandsseite zu verorten. 2. Autonome Deutung des Sachgrunderfordernisses
Einiges spricht bei einer ersten Betrachtung für eine Einordnung des Sachgrunderfordernisses in ein autonomes Regelungskonzept344. So knüpft das Sachgrunderfordernis an den Beschluss der Gesellschafterversammlung345 und damit an das Rechtsgeschäft, in dem der autonome Erklärungsansatz die Autonomie der Gesellschaft verwirklicht sieht. Auch hat der Bundesgerichtshof im „Kali & Salz“-Urteil auf den freien und eigenverantwortlichen Charakter der Entscheidung der Gesellschafterversammlung hingewiesen346 und damit autonomes Gedankengut aufgegriffen. In diesem Zusammenhang kann auch auf die Tatbestandsprägung des Sachgrunderfordernisses verwiesen werden: zum einen wird dieses als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Vorschrift des § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG eingeordnet347, zum anderen steht der Gesellschafterversammlung ein Beurteilungsspielraum zu348 – eine Kategorie, die für gewöhnlich ebenfalls der Tatbestandsseite zugeordnet wird349. Diese Tatbestandsprägung des Sach343 Siehe Fastrich, Funktionales Rechtsdenken, S. 15 ff., 48 ff.; ders., in: FS Kreutz, S. 585, 590 ff.; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 55 ff. 344 Für eine solche Deutung wohl G. H. Roth, in: MünchKomm/BGB, 5. Aufl. 2007, § 242 Rn. 423 ff., 431 ff., 438 ff., unter dem Titel „Materielle Schranken der Privatautonomie aus Treu und Glauben“. 345 BGHZ 71, 40, 43 (Kali & Salz). 346 BGHZ 71, 40, 49 f. 347 BGHZ 71, 40, 46, 53; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 III 2 (S. 446 f.). 348 BGHZ 71, 40, 49 f.; Lutter, ZGR 1979, 401, 414. 349 Siehe Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 III (S. 151); Ossenbühl, in: Ehrichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, 12. Aufl. 2002, § 10 III 1 (S. 215); vgl. aber auch Jestaedt, in: Ehrichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 11 III (S. 337 ff.) (alle zum verwaltungsbehördlichen Ermessen).
§ 6 Einordnung und Bewertung des Sachgrunderfordernisses
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grunderfordernisses harmoniert mit der Tatbestandsfixierung des autonomen Regelungsansatzes. Schließlich ist das Sachgrunderfordernis als Anfechtungsgrund in § 243 Abs. 1 AktG350 und damit in jener Norm verortet, die in ihrer historischen Urfassung (Art. 222, 190a ADHGB 1884) wie keine andere Vorschrift dem Autonomiegedanken verpflichtet war351. Gegen eine autonome Deutung des Sachgrunderfordernisses spricht allerdings dessen Aufgreifkriterium, der schwere Eingriff in die Mitgliedschaft der ausgeschlossenen Aktionäre. Denn ein so verstandenes Aufgreifkriterium führt zu einer flächendeckenden Beschlusskontrolle des Bezugsrechtsausschlusses: der beim Bezugsrechtsausschluss stets angenommene schwere Eingriff in die Mitgliedschaft verlangt durchgängig eine judiziell überprüfbare sachliche Rechtfertigung. Es drängt zudem, da ein schwerer Eingriff in die Mitgliedschaft nicht nur beim Bezugsrechtsausschluss, sondern auch bei zahlreichen weiteren Beschlussgegenständen (Auflösung, Konzernierung, Verschmelzung) droht, auf Verallgemeinerung – auch viele weitere Beschlussgegenstände müssten einem besonderen sachlichen Rechtfertigungszwang unterworfen werden. Vom theoretischen Ausgangspunkt des autonomen Ansatzes, der Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit der Gesellschafterversammlung, bliebe dann aber kaum noch etwas übrig. Möglicherweise ist das Sachgrunderfordernis daher anders, nämlich heteronom zu deuten. II. Heteronomer Regelungsansatz 1. Theoretische Basis
Der heteronome Regelungsansatz352 betont die der Gesellschaftermehrheit aufgrund des Mehrheitsprinzips zukommende Gestaltungsbefugnis in Bezug auf die Rechtsverhältnisse der Gesellschaft und die Rechte der (Minderheits-)Gesellschafter; die mehrheitliche Stimmrechtsausübung wird dabei als Manifestation dieser Gestaltungsbefugnis verstanden. Diese mehrheitliche Gestaltungsbefugnis wird aus der Warte der Minderheitsgesellschafter als Fremdbestimmung gewertet, schließlich beansprucht die Mehrheitsentscheidung den Minderheitsgesellschaftern gegenüber Verbindlichkeit, obwohl diese ihr die Zustimmung verweigert haben. Was die rechtssatzmäßige Zuordnung anbelangt, so hält der hetero350
BGHZ 71, 40, 43; Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 42 ff., 50. Vgl. Gesetzesbegr. Aktienrechtsnovelle 1884, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, 100 Jahre Aktienrecht, S. 464 ff. 352 Siehe insbesondere Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privaten Personenverbänden (1963); ders., AG 2000, 145, 153 ff.; Martens, Mehrheitsherrschaft, S. 108 ff. (noch ohne Bezug zum Sachgrunderfordernis); Hofmann, Minderheitenschutz, S. 109 ff., insb. 113; ders., in: FS Hopt, Bd. 1, S. 833, 836 ff., 839 f.; vgl. auch Hanau, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke privater Gestaltungsmacht (2004); grundlegend zum Ganzen Bötticher, Gestaltungsrecht und Unterwerfung im Privatrecht (1964). 351
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2. Teil: Das Sachgrunderfordernis
nome Ansatz, insoweit den Grundsatz der freien Stimmrechtsausübung353 zugrundelegend, den Tatbestand von rechtlichen Bindungen frei, schränkt dann aber auf der Rechtsfolgenseite das nun bestehende Ermessen ein. 2. Heteronome Deutung des Sachgrunderfordernisses
Für eine heteronome Deutung des Sachgrunderfordernisses spricht vor allem dessen normative Blickrichtung: Mit dem Abstellen auf den „schweren Eingriff in die Mitgliedschaft der vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Aktionäre“ 354 fokussiert es auf die Gesellschafterminderheit und beurteilt den Bezugsrechtsausschluss aus deren Perspektive. Dies entspricht der theoretischen Basis des heteronomen Ansatzes, der den Standpunkt des überstimmten Minderheitsgesellschafters einnimmt, also gleichfalls „von unten“ her denkt. Der Einwand gegen eine Einordnung des Sachgrunderfordernisses in ein heteronomes Regelungskonzept ist allerdings unschwer zu erahnen. Wie eben dargelegt, ist das Sachgrunderfordernis zu einem nicht unerheblichen Teil autonomen Denkvorstellungen verhaftet und von autonomen Kennzeichen geprägt. Die Betonung der sich im Beschluss der Gesellschaft niederschlagenden eigenverantwortlichen Entscheidung der Gesellschaftsorgane, die Tatbestandsprägung des Sachgrunderfordernisses, die positivrechtliche Anbindung an § 243 Abs. 1 AktG – all dies kann ein auf die mehrheitliche Stimmrechtsausübung abstellender, der Rechtsfolgenseite zugewandter, positivrechtlich am ehesten in § 243 Abs. 2 AktG zu verortender heteronomer Deutungsansatz des Sachgrunderfordernisses nicht erklären. III. Privatrechtsdogmatische Fortwirkungen Die bereits im theoretischen Ausgangspunkt nicht widerspruchsfreie Einordnung des Sachgrunderfordernisses in das autonome bzw. heteronome Regelungsmodell bot vielen vieles: jenen, die die Diskrepanz zwischen dem Sachgrunderfordernis und einem autonomen Regelungsmodell monieren und daher das Sachgrunderfordernis durch einen an den Gleichbehandlungsgrundsatz anknüpfenden, „echten“ autonomen Ansatz ersetzen wollen (dazu unten § 11); jenen, die den heteronomen Aspekt des Sachgrunderfordernis betonen und es daher umfassend zum Schutz vor nicht zustimmungsgetragenen Beeinträchtigungen der Mitgliedschaft zur Anwendung bringen wollen (zum umfassenden Kontrollmodell unten § 9); weiter auch jenen, die das vom heteronomen Ansatz herausgestellte Ermessen allenfalls durch die allgemeine Missbrauchsschranke begrenzt sehen wollen (zum vermögensbezogenen Schutzsystem unten § 10); schließlich jenen, welche die unklare privatrechtsdogmatische Einordung des Sachgrunderfordernisses fort353 Siehe zu diesem Grundsatz etwa BGHZ 14, 35, 37; Henze/Notz, in: GroßKomm/ AktG, Anh. § 53a Rn. 58. 354 BGHZ 71, 40, 44; siehe auch Füchsel, Bezugsrechtsausschluss, S. 95 ff., 106 ff.
§ 7 Fazit
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führen und das eine Mal autonom, das andere Mal heteronom argumentieren (zur Theorie der gesetzlich vorgeprägten Beschlussgegenstände sogleich unter § 9).
§ 7 Fazit Nach dem Blick auf die privatrechtliche Kontrolldogmatik können wir den zweiten Teil der Arbeit abschließen. Dieser war dem Sachgrunderfordernis gewidmet. Dabei haben wir festgestellt, dass dieses Institut im höherrangigen Recht keine Grundlage findet, dafür aber durch zahlreiche andere Faktoren bestimmt wird, durch welche die Diskussion um die Reichweite des Sachgrunderfordernisses bereits weitgehend vorgezeichnet war. Diese Faktoren sind dogmatischer (Treuepflicht), methodischer (Bindungs- vs. Abwägungsmodell), systematischer (vermögensbezogene Ausgleichregeln), rechtstheoretischer (Primär-/ Sekundärebene), sachlich-inhaltlicher (Gebot der Äquidistanz) und schließlich privatrechtsdogmatischer (autonomer/heteronomer Ansatz) Art. Sie sind zugleich die Parameter der Diskussion um die Reichweite einer materiellen Beschlusskontrolle. Nachdem wir das wichtigste Instrument dieser Kontrolle näher kennengelernt haben, können wir uns im nun folgenden dritten Teil der Arbeit dieser Streitfrage zuwenden und untersuchen, wie die dargelegten „Stellschrauben“ bei den verschiedenen Auffassungen zur materiellen Beschlusskontrolle gesetzt und gedreht sind.
Dritter Teil
Die Reichweite einer materiellen Beschlusskontrolle Im nun folgenden dritten Teil der Untersuchung wollen wir uns ausführlich mit der Streitfrage um die gegenständliche Reichweite einer materiellen Beschlusskontrolle beschäftigen: Unterliegen alle Satzungs- und Strukturänderungsbeschlüsse sachlichem Rechtfertigungszwang, oder gibt es Ausnahmen? Ist das Sachgrunderfordernis vielleicht gar ganz zugunsten anderer Kontroll- bzw. Schutzkonzepte aufzugeben? Diese Streitfrage steht im Zentrum der vorliegenden Arbeit. Der Gesetzgeber hat sie als „Grundsatzproblem des Gesellschaftsrechts“ charakterisiert1. In der Literatur ist von einer der umstrittensten Fragen des Gesellschaftsrechts die Rede2. Zahlreiche Autoren haben sich hierzu geäußert3: Ein Großteil der Untersuchungen war dabei dem Sachgrunderfordernis mit Blick auf einen ganz bestimmten Beschlussgegenstand gewidmet, insbesondere dem Bezugsrechtsausschluss4, aber auch dem Verschmelzungs-5 und Eingliederungsbeschluss6 sowie Beschlüssen über konzernbildende Maßnahmen7. Andere 1
BT-Drucks. 12/6699, Begr. zu § 13 UmwG, S. 86; abgedruckt bei Ganske, Umwandlungsrecht, S. 61. 2 Heckschen, in: Widmann/Mayer, UmwG, § 13 Rn. 163.11; siehe auch Goette, ZGR 2008, 436, 437 ff. 3 Umfassender Überblick über den Meinungsstand bei Hofmann, Minderheitenschutz, S. 166 ff. 4 Vgl. monographisch zum Bezugsrechtsausschluss aus der Zeit nach dem „Kali & Salz“-Urteil etwa: Hirte, Bezugsrechtsausschluss und Konzernbildung (1986); Natterer, Kapitalveränderung der Aktiengesellschaft, Bezugsrecht der Aktionäre und „sachlicher Grund“ (2000); Schumann, Bezugsrecht und Bezugsrechtsausschluss bei Kapitalbeschaffungsmaßnahmen von Aktiengesellschaften (2001); Sinewe, Der Ausschluss des Bezugsrechts bei geschlossenen und börsennotierten Aktiengesellschaften (2001); Tettinger, Materielle Anforderungen an den Bezugsrechtsausschluss (2003); Liebert, Der Bezugsrechtsausschluss bei Kapitalerhöhungen von Aktiengesellschaften (2003); speziell zum GmbH-Recht etwa Heitsch, Das Bezugsrecht der Gesellschafter der GmbH bei Kapitalerhöhungen (1997); Munzig, Das gesetzliche Bezugsrecht bei der GmbH (1995). 5 Vgl. monographisch dazu: Möller, Der aktienrechtliche Verschmelzungsbeschluss (1991); Ross, Materielle Kontrolle des Verschmelzungsbeschlusses bei der Verschmelzung von Aktiengesellschaften (1997); D. Schindler, Sachliche Rechtfertigung des Verschmelzungsbeschlusses börsennotierter Aktiengesellschaften (2007). 6 Vgl. Rodloff, Ungeschriebene sachliche Voraussetzung der aktienrechtlichen Mehrheitseingliederung (1991). 7 Vgl. monographisch dazu etwa: Binnewies, Die Konzerneingangskontrolle in der abhängigen Gesellschaft (1996); Bouchon, Konzerneingangsschutz im GmbH- und Ak-
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Autoren haben sich in der Diskussion eher mit Einzelvorschlägen zu Wort gemeldet8. Auch grundlegende konzeptionelle Entwürfe hat es in nicht geringer Zahl gegeben, so etwa den Ansatz von Grundmann, die materielle Beschlusskontrolle mit treuhandrechtlichen Kategorien zu erfassen9, sowie allen voran die wirkmächtige Konzeption von Zöllner, der auf einer ersten Kontrollstufe das Verbandsinteresse heranzieht10 und auf einer zweiten Kontrollstufe die (Treu-)Bindungen gegenüber den Mitgesellschaftern zur Geltung bringt11. Die meisten literarischen Stimmen werden in der weiteren Darstellung in der einen oder anderen Weise zu Wort kommen. Näher beleuchtet werden sollen im Folgenden jedoch nur solche Ansätze, die sich speziell zum Sachgrunderfordernis als eines kapitalgesellschaftsrechtlichen Rechtsinstituts verhalten. Seine formelle Rechtfertigung findet diese Vorgehensweise in der aus dem Arbeitstitel ersichtlichen Untersuchungseinschränkung – behandelt wird die Problematik einer materiellen Beschlusskontrolle unter maßgeblicher Berücksichtigung des Sachgrunderfordernisses. Die materielle Rechtfertigung besteht darin, dass sich das Sachgrunderfordernis zum mit Abstand wichtigsten Instrument im Rahmen der materiellen Beschlusskontrolle entwickelt hat. Erst nach Würdigung des hierzu bestehenden Meinungsstandes ist die notwendige Basis bereitet, um über alternative Kontrollkonzeptionen nachzudenken. Die Konzentration auf den Streitstand zum Sachgrunderfordernis bringt den Vorteil mit sich, dass dieser durch die verschiedenen hierzu vertretenen Auffassungen eine recht klare diskursive Struktur verliehen bekommen hat. An dieser wollen wir uns orientieren.
tienrecht (2002); Grauer, Konzernbildungskontrolle im GmbH-Recht (1991); Liebscher, Konzernbildungskontrolle (1995); Seydel, Konzernbildungskontrolle bei der Aktiengesellschaft (1995); Tröger, Treupflicht im Konzernrecht (2000) 8 M. Becker, Verwaltungskontrolle, S. 437 (Beschlusskontrolle bei allen Maßnahmen, die „schwerwiegend und nachhaltig“ in die Rechte der Aktionäre eingreifen); T. Raiser, in: Ulmer, GmbHG, § 47 Rn. 140 (Verschiebung der Machtbalance zwischen den Gesellschaftern als grobe Richtschnur); G. H. Roth, in: MünchKomm/BGB, 5. Aufl. 2007, § 242 Rn. 440 (sachliche Rechtfertigung umso eher, je „schwerer und atypischer“ der Eingriff in das Mitgliedschaftsinteresse ausfällt); Seydel, Konzernbildungskontrolle, S. 191 ff. (Einzelanalogie zum Bezugsrechtsausschluss). 9 Grundmann, Treuhandvertrag, S. 269 ff. 10 Zöllner, Schranken, S. 344 ff. 11 Zöllner, Schranken, S. 349 ff. (nachteilige Einwirkungen auf Mitgliedschaftsinteressen nur zulässig, wenn sie im Interesse des Verbandes vorgenommen werden und die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit gewahrt sind).
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3. Teil: Die Reichweite einer materiellen Beschlusskontrolle
§ 8 Theorie der gesetzlich vorgeprägten Beschlussgegenstände A. Darstellender Teil I. Das Prüfungsmodell 1. Materielle Beschlusskontrolle anhand des Sachgrunderfordernisses
a) Grundsatz: zweistufige Prüfung In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs12 und der Literatur13 hat sich ein zweistufiges Prüfungsmodell durchgesetzt: Das Sachgrunderfordernis beanspruche bei einem bestimmten Beschlussgegenstand dann Geltung, wenn sich mit ihm (1) ein schwerer Eingriff in mitgliedschaftliche Rechte der Gesellschafter verbinde und (2) das Gesetz diesen Beschlussgegenstand nicht von einer Sachkontrolle freistelle. Im Rahmen der Eingriffsprüfung wird dabei die Frage untersucht, ob der Beschlussgegenstand mitgliedschaftliche Rechte beeinträchtigt. Hirte hat diese Eingangsvoraussetzung präzisiert: Erforderlich sei ein Eingriff in die bestehenden Beteiligungsverhältnisse14. Der Unterschied zu der von der überwiegenden Auffassung verwendeten Eingriffsformel ist jedoch marginal. Mit der Forderung nach einer Änderung der relativen Beteiligungsquote werden im Wesentlichen Entscheidungen in Geschäftsführungsangelegenheiten ausgeschieden15. In diesem Bereich kommt das Sachgrunderfordernis jedoch nach all12 Angelegt bereits in BGHZ 71, 40, 45 (Kali & Salz); fortgeführt von BGHZ 76, 352, 353 f.; BGHZ 103, 184, 189 ff. (Linotype); deutlich ausgesprochen dann von BGHZ 138, 71, 76 (Sachsenmilch); aus jüngerer Zeit zum Squeeze-out-Beschluss BGHZ 180, 54 Rn. 14 (Wertpapierdarlehen) 13 Grundlegend und meinungsprägend Lutter, ZGR 1979, 401, 411; ders., ZGR 1981, 171, 176 ff.; Hüffer, in: Geßler/Hefermehl/Eckhardt/Kropff, AktG, § 243 Rn. 51 ff.; ders., in: FS Fleck, S. 151, 165; Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 138 ff.; M. Winter, Treubindungen, S. 135 ff.; im Übrigen in alphabetischer Reihenfolge: Binnewies, Konzerneingangskontrolle, S. 229 ff., 382 f.; Boese, Anwendungsgrenzen, S. 30, 37 ff.; ders., GmbHR 1997, 727, 728; Fette, GmbHR 1986, 73, 76; Liebscher, Konzernbildungskontrolle, S. 379; Mecke, Konzernstruktur, S. 138 ff.; Nehls, Treuepflicht, S. 116 ff.; Schockenhoff, Gesellschaftinteresse, S. 97 ff.; J. Semler, BB 1983, 1566, 1569; Timm, Konzernspitze, S. 81 ff.; ders., ZGR 1987, 403, 415 ff.; Tröger, Treupflicht, S. 271 ff.; Wimmer-Leonhardt, Konzernhaftungsrecht, S. 289 ff. (bei Vorhandensein eines beherrschenden Mehrheitsgesellschafters); im Grundsatz wie die h. M., wenn auch mit anderem dogmatischen Ansatz auch Zöllner, AG 2000, 145, 153 ff.; aus der aktienrechtlichen Kommentarliteratur: Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 57 ff.; ders., AktG, § 243 Rn. 26 ff.; K. Schmidt, in: GroßKomm/AktG, § 243 Rn. 45 ff.; Ehmann, in: Grigoleit, AktG, § 243 Rn. 14; Englisch, in: Hölters, AktG, § 243 Rn. 44 ff.; wohl auch Würthwein, in: Spindler/Stilz, § 243 Rn. 165 ff.; aus der Kommentarliteratur zum GmbH-Recht: Ulmer, in: Ulmer, GmbHG, § 53 Rn. 79 f. 14 Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 138 f. 15 Ausdrücklich Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 139.
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gemeiner Ansicht ohnehin nicht zur Anwendung16. Der Eingriffsprüfung kommt in den meisten Fällen daher keine größere Bedeutung zu. Die Diskussion um die Reichweite des Sachgrunderfordernisses drehte sich von Beginn an maßgeblich um bestimmte Satzungsänderungs- sowie Strukturänderungsbeschlüsse (Bezugsrechtsausschluss, Auflösung, Unternehmensverträge, Verschmelzung etc.). Auf Basis der generalisierenden Betrachtungsweise der herrschenden Meinung – gefragt wird, ob ein Eingriff in die Rechte der Gesellschafter vorliegt, die Gesellschafterminderheit wird sozusagen als eine einheitliche geschlossene Front betrachtet17 – ist bei diesen die relative Beteiligungsquote verändernden oder die Mitgliedschaft gar ganz zum Erlöschen bringenden Beschlussgegenständen ein (schwerer) Eingriff in die Mitgliedschaft aber durchgängig zu bejahen. Regelmäßig wird die Entscheidung, ob ein Beschluss sachlich gerechtfertigt werden muss, auf der zweiten Prüfungsstufe fallen. Die Frage lautet hier: Lassen sich dem Gesetz Anhaltspunkte für die Freistellung des Beschlussgegenstandes vom Erfordernis sachlicher Rechtfertigung entnehmen? Diesen Gesichtspunkt bringt der Bundesgerichtshof bereits im „Kali & Salz“-Urteil zur Sprache. Das Gericht sieht sich dort zu einer Begründung veranlasst, warum die nachträgliche Einführung von Höchststimmrechten nach § 134 Abs. 1 Satz 2 AktG a. F. im Gegensatz zum Bezugsrechtsausschluss keiner sachlichen Rechtfertigung bedarf. Hier habe im Unterschied zum Bezugsrechtsausschluss „schon der Gesetzgeber die notwendige Abwägung zwischen den Belangen etwa betroffener Aktionäre und dem Interesse der Gesellschaft [. . .] vorweggenommen [. . .]“ 18. Das Schrifttum hat dies aufgegriffen und auf diese Weise die „Theorie der gesetzlich vorgeprägten Beschlussgegenstände“ etabliert19. Verschiedene, sich gegenseitig nicht ausschließende Kriterien für eine gesetzliche Vorprägung haben sich herausgebildet: Der wichtigste, weithin konsentierte Fall einer gesetzlichen Vorprägung soll dann vorliegen, wenn der Gesetzgeber bei dem jeweiligen Beschlussgegenstand bereits hinreichend für den Schutz der Gesellschafterminderheit gesorgt habe. Vor allem in den gesetzlichen Ausgleichs- und Abfindungsansprüchen des Konzern- und Umwandlungsrechts wird verbreitet eine bereits vom Gesetzgeber vor(weg)genommene Interessenabwägung gesehen20. Weiter möchte namentlich Lutter das Sachgrunderfordernis bei Grundlagenentscheidungen sowie zweckändernden Beschlüssen generell nicht zur Anwendung bringen, denn, so die Begründung, ihre Zulassung im Gesetz beweise, dass der Gesetzgeber die Mehrheit 16 Statt vieler nur T. Raiser, in: Ulmer, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 140 sowie Timm, ZGR 1987, 403, 418 ff. 17 Vgl. BGHZ 71, 40, 44 ff. (Kali & Salz); vgl. auch noch unten § 12 A. III. 1. 18 Siehe BGHZ 71, 40, 45 f. sowie Boese, Anwendungsgrenzen, S. 73 ff. 19 Vgl. insbesondere Lutter, ZGR 1979, 401, 411 f.; ders., ZGR 1981, 171, 176 ff. 20 Lutter, ZGR 1979, 401, 412; ders., ZGR 1981, 171, 180 f.; Binnewies, Konzerneingangskontrolle, S. 231, 382; Nehls, Treuepflicht, S. 148; J. Semler, BB 1983, 1566, 1569; Timm, JZ 1980, 665, 668.
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hier generell vom Erfordernis sachlicher Rechtfertigung freistellen wolle21. Ähnlich, wenn auch den Boden der Theorie der gesetzlich vorgeprägten Beschlussgegenstände begrifflich-formal verlassend, argumentiert Hirte:22 Nach ihm ist für eine Sachkontrolle dann kein Platz, wenn bei einer Maßnahme nur die Möglichkeit bestehe, diese entweder zuzulassen oder sie zu verbieten (Alternativlosigkeit). Habe der Gesetzgeber sich für die Zulassung der Maßnahme entschieden, müsse eine richterliche Sachkontrolle weichen. Eine solche „Entweder-oder-Entscheidung“ bejaht Hirte etwa bei der Mehrheitseingliederung und der Liquidation. Schließlich wurde eine gesetzliche Freistellung noch für den Fall besonders hoher Beschlussmehrheiten erwogen. Verlange das Gesetz – wie etwa bei der Mehrheitseingliederung (§ 320 b) – ein besonders hohes Mehrheitserfordernis, sei darin eine vom Gesetzgeber vorformulierte Kompromisslösung zu sehen, die an die Stelle einer Beschlusskontrolle à la „Kali & Salz“ trete23. b) Abhängigkeitsbegründende Beschlüsse Dem beschriebenen zweistufigen Prüfungsmodell folgt die überwiegende Ansicht aber nicht durchgehend. Eine Sonderstellung nehmen abhängigkeitsbegründende Beschlüsse ein, Beschlüsse also, infolge derer die Gesellschaft in konzernrechtliche Abhängigkeit (§ 17 AktG) gerät. Der Bundesgerichtshof hat in der „Süssen“-Entscheidung den abhängigkeitsbegründenden Gesellschafterbeschluss über die Befreiung des Mehrheitsgesellschafters von einem satzungsmäßigen Wettbewerbsverbot sachlichem Rechtfertigungszwang unterworfen24. Das Schrifttum ist dem mit Blick auf die mit der Abhängigkeitsbegründung verbundenen Gefahren für die beschlussfassende Gesellschaft und ihre Außenseiter gefolgt. Es verallgemeinert das Urteil für das GmbH-Recht dahingehend, dass jeder Beschluss, der die Abhängigkeit der Gesellschaft begründet, sachlichem Rechtfertigungszwang unterliege25. Im Aktienrecht ist dies zwar umstrittener, wohl überwiegend wird jedoch für eine Übertragung der im GmbH-Recht entwickelten Grundsätze plädiert26. Bei dieser Konzernbildungskontrolle, das gilt es hervorzu21 Lutter, ZGR 1981, 171, 177 ff.; ganz ähnlich auch Kort, Bestandsschutz, S. 68 (keine Geltung des Sachgrunderfordernisses für Strukturänderungen). 22 Hirte, Bezugsrechtsausschluß, S. 140 ff. 23 Timm, ZGR 1987, 403, 436, 438 (Beschlussmehrheit von 90–95%); weitergehend J. Semler, BB 1983, 1567, 1569, der bereits eine 3/4-Kapitalmehrheit als erhöht ansieht. 24 BGHZ 80, 69, 74 f. 25 Lutter/Timm, NJW 1982, 409, 418; Timm, ZGR 1987, 403, 423 ff.; Grauer, Konzernbildungskontrolle, S. 76, 82 ff.; Habersack, in: Emmerich/Habersack, Kommentar Konzernrecht, Anh. § 318 Rn. 13; Liebscher, Konzernbildungskontrolle, S. 283 ff.; a. A. Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, Anh. § 13 Rn. 120 f. 26 Habersack, in: Emmerich/Habersack, Kommentar Konzernrecht, Vor § 311 Rn. 6; Henze, BB 1996, 489, 497; Krieger, in: MünchHdB/AG, § 69 Rn. 19; Seydel, Konzernbildungskontrolle, S. 183 ff.; skeptisch Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 65; K. Schmidt, in: GroßKomm/AktG, § 243 Rn. 46.
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heben, weicht die herrschende Auffassung von ihrem ansonsten angewandten zweistufigen Prüfungsmodell ab. Hier erfolgt ausschließlich eine einstufige Prüfung dahingehend, ob ein bestimmter Beschluss die Abhängigkeit der Gesellschaft begründet. Ist dies der Fall, unterliegt der Beschluss ausnahmslos sachlichem Rechtfertigungszwang; Freistellungen von der Sachkontrolle aufgrund gesetzlicher Vorprägung werden hier nicht anerkannt27. 2. Treuepflichtgestützte Missbrauchskontrolle
Kommt das Sachgrunderfordernis nach den vorstehenden Grundsätzen nicht zur Anwendung, unterliegt der Beschluss, genauer: die Stimmrechtsausübung, lediglich einer Missbrauchskontrolle28. Diese Missbrauchskontrolle ist nach überwiegender Auffassung zwar Ausfluss der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht29. Was die judizielle Kontrolle anbelangt, unterscheidet sich die treuepflichtbasierte Missbrauchskontrolle jedoch kaum vom allgemeinen Verbot rechtsmissbräuchlichen Verhaltens (§ 242 BGB)30. Geprüft wird lediglich und in den Worten des Bundesgerichtshofs, „ob besondere Umstände vorliegen, die den Beschluss ausnahmsweise als das Ergebnis einer missbräuchlichen Stimmrechtsausübung erscheinen lassen“ 31. II. Die Ergebnisse Von den geschilderten Prämissen ausgehend gelangt die herrschende Meinung zu je nach Beschlussgegenstand unterschiedlichen Ergebnissen. Bei einigen Beschlussgegenständen findet das Sachgrunderfordernis zur Anwendung, andere dagegen werden aufgrund gesetzlicher Vorprägung als davon freigestellt angesehen. Zu verweisen ist diesbezüglich insbesondere auf die umfangreiche Untersuchung von Boese, der für die herrschende Meinung auf fast 300 Seiten (!) jeden einzelnen Beschlussgegenstand auf seine gesetzliche Vorprägung hin untersucht hat32. Im Folgenden kann und soll daher ein knapper Überblick über die von der Rechtsprechung auf der Grundlage des beschriebenen Prüfungsansatzes erzielten Ergebnisse genügen. Diese Ergebnisse werden von der Literatur ganz überwiegend geteilt. 27
Vgl. die Nachweise in Fn. 24 und 25. Siehe aus der Rechtsprechung nur BGHZ 76, 352, 353; BGHZ 103, 184, 193 ff.; aus der Literatur Lutter, ZGR 1981, 171, 178 mit Fn. 34 (Zwei-Stufen-Theorie); Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 66. 29 Bezzenberger, ZIP 2002, 1917, 1926; Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 150 ff.; Timm, ZGR 1987, 403, 413. 30 Bezzenberger, ZIP 2002, 1917, 1926. Zum allgemeinen Rechtsmissbrauchsverbot bzw. dem Verbot unzulässiger Rechtsausübung gem. § 242 BGB Wolf/Neuner, AT, § 20 IV 3 (S. 230 ff.). 31 BGHZ 76, 352, 353; siehe auch K. Schmidt, in: GroßKomm/AktG, § 243 Rn. 47. 32 Boese, Anwendungsgrenzen, S. 131–414; siehe zudem Hüffer, in: MünchKomm/ AktG, § 243 Rn. 58 ff. 28
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3. Teil: Die Reichweite einer materiellen Beschlusskontrolle 1. Finanzverfassung
Im „Kali & Salz“-Urteil hat der Bundesgerichtshof den Bezugsrechtsausschluss bei einer ordentlichen Kapitalerhöhung (§ 186 Abs. 3 Satz 1 AktG) sachlichem Rechtfertigungszwang unterworfen33. Diese Rechtsprechung übertrug er in der „Holzmann“-Entscheidung aus dem Jahre 1982 auf den Bezugsrechtsausschluss im Rahmen des genehmigten Kapitals (§§ 202 ff. AktG)34. Die Rechtfertigungsnotwendigkeit der entsprechenden Hauptversammlungsbeschlüsse (§ 203 Abs. 2 AktG35, § 203 Abs. 1 AktG36) stieß im Schrifttum im Laufe der Zeit aber zunehmend auf Kritik37. Im vieldiskutierten „Siemens/Nold“-Urteil aus dem Jahre 1998 nahm der Bundesgerichtshof diese Rechtsprechung dann wieder ein gutes Stück zurück38. Die Hauptversammlung39 wurde von materiellen Beschlussanforderungen beim genehmigten Kapital wieder weitgehend40 freigestellt – ein Beleg dafür, wie stark das Pendel mit dem „Kali & Salz“-Urteil in Richtung Minderheitenschutz ausgeschlagen war. Aus dem Bereich der Finanzverfassung hatte sich der Bundesgerichtshof noch mit weiteren Beschlussgegenständen zu befassen. Im Urteil „Bremer Bankverein“ lehnte er eine Sachkontrolle des Hauptversammlungsbeschlusses über den Bezugsrechtsausschluss bei der Ausgabe von Genussrechten (§ 221 Abs. 4 AktG) ab, da aufgrund der konkreten Ausgestaltung ein Eingriff in die mitgliedschaftliche oder vermögensrechtliche Stellung der ausgeschlossenen Aktionäre nicht gegeben sei41. Beide Elemente des Prüfungsmodells der herrschenden Mei-
33 BGHZ 71, 40, 44 ff.: aus der späteren Rechtsprechung BGHZ 125, 239 (Deutsche Bank); Nachweise zum zustimmenden Schrifttum oben bei § 5 B. I. 34 BGHZ 83, 319, 320 ff.; aus dem zunächst zustimmenden Schrifttum etwa Hefermehl/Bungeroth in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, § 203 Rn. 18 ff. 35 BGHZ 83, 319, 321 ff. 36 Die „Holzmann“-Entscheidung selbst hatte diese Konstellation des direkten Bezugsrechtsausschlusses durch die Hauptversammlung nicht zum Gegenstand. Eine Inhaltskontrolle auch dieser Fallgestaltung wurde im Schrifttum jedoch nicht bestritten, siehe etwa Hefermehl/Bungeroth, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, § 203 Rn. 18 ff. 37 Namentlich Heinsius, in: FS Kellermann, S. 115 ff. sowie Martens, ZIP 1992, 1677 ff. 38 BGHZ 136, 133, 136 ff.; zustimmend etwa Bungert, NJW 1998, 488 ff.; die „Siemens/Nold“-Entscheidung dezidiert ablehnend dagegen Lutter, JZ 1998, 50 ff. („Unglück“). 39 Zum zentralen Streitpunkt entwickelte sich die Frage, inwiefern nun die Vorstandsentscheidung sachlicher Rechtfertigung in Form des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bedarf, vgl. Schumann, Bezugsrecht, S. 65 ff. 40 Der BGH verlangt insoweit lediglich noch, dass die Maßnahme im „wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft“ liegt, siehe BGHZ 136, 133, 140. 41 BGHZ 120, 141, 146 ff.; vgl. dazu die Anmerkung von Hirte, WuB II A. § 221 AktG 1.93.
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nung kommen in der zum Kapitalherabsetzungsbeschluss42 ergangenen „Sachsenmilch“-Entscheidung zum Tragen: Bei einer Kapitalherabsetzung durch Herabsetzung der Aktiennennbeträge verneint der Bundesgerichtshof bereits das Vorliegen eines rechtfertigungsbedürftigen Eingriffs, da lediglich die ziffernmäßige Beteiligung am Grundkapital angepasst werde und auch im Übrigen kein wirtschaftlicher Nachteil erkennbar sei43. Erfolge die Kapitalherabsetzung dagegen durch Zusammenlegung von Aktien, sei ein Eingriff in Form des Verlustes der Mitgliedschaft bei der Entstehung sog. Aktienspitzen zwar denkbar44. Jedoch sei in der Regelung des § 222 Abs. 4 AktG, welche diese Art der Kapitalherabsetzung nur subsidiär zulasse, eine bereits vom Gesetzgeber vorweggenommene Interessenabwägung zu sehen, weshalb das Sachgrunderfordernis nicht zur Anwendung komme45. 2. Liquidation
Dem Eindruck einer breitflächigen materiellen Beschlusskontrolle hat der Bundesgerichtshof in den zur Liquidation ergangenen Urteilen BGHZ 76, 352 und BGHZ 103, 184 (Linotype) entgegengewirkt. Der Auflösungsbeschluss bedürfe keiner sachlichen Rechtfertigung, er trage, so das Gericht, seine Rechtfertigung in sich46. In der Linotype-Entscheidung stellt der Bundesgerichtshof zusätzlich auf die gesetzlich gewährleistete Desinvestitionsfreiheit ab47. In beiden Fällen wertete der Bundesgerichtshof das Verhalten des Mehrheitsgesellschafters, der im Vorfeld der Beschlussfassung dem Liquidationsverfahren unerlaubt vorgegriffen hatte, aber als rechtsmissbräuchlich und gab der Anfechtungsklage aus diesem Grunde statt bzw. verwies zur weiteren Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.
42 Auch in der Entscheidung BGHZ 142, 167 (Hilgers) hatte sich der BGH mit der Kontrolle eines Kapitalherabsetzungsbeschlusses zu befassen; die Entscheidung betrifft aber nicht das Sachgrunderfordernis, sondern die allgemeine Treuepflichtkontrolle; näher unten bei § 13 B. I. 2. 43 BGHZ 138, 71, 75 f. 44 BGHZ 138, 71, 76. 45 BGHZ 138, 71, 76 f.; vgl. hierzu Krieger, ZGR 2000, 885, 889 ff. 46 BGHZ 76, 352, 353 sowie in ausdrücklicher Auseinandersetzung mit den literarischen Gegenstimmen BGHZ 103, 184, 189 ff. (Linotype). In der Literatur ist zwar die Formulierung des BGH auf Kritik gestoßen, die Freistellung des Auflösungsbeschlusses von weitergehenden materiellen Beschlussanforderungen entspricht aber der ganz überwiegenden Auffassung, siehe Lutter, ZGR 1981, 171, 177 f.; ders., ZHR 153 (1989), 446, 449; Zöllner, in: KölnKomm/AktG, § 243 Rn. 193; ders., AG 2000, 145, 155; M. Winter, Treubindungen, S. 156 ff.; Hüffer, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, § 243 Rn. 56; Boese, Anwendungsgrenzen, S. 307 f. 47 BGHZ 103, 183, 191 ff.
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3. Teil: Die Reichweite einer materiellen Beschlusskontrolle 3. Weitere Beschlussgegenstände
Aus dem weiten Bereich der sonstigen Beschlussgegenstände wurde bereits auf abhängigkeitsbegründende Beschlüsse hingewiesen48. In der „Süssen“-Entscheidung hat der Bundesgerichtshof den Rechtssatz aufgestellt, dass eine in die Abhängigkeit führende Befreiung eines Gesellschafters von einem Wettbewerbsverbot „grundsätzlich rechtswidrig ist, falls sie nicht durch sachliche Gründe im Interesse der Gesellschaft gerechtfertigt ist“ 49. In jüngerer Zeit ist im Übrigen aber eine restriktivere Tendenz zu beobachten. So hat es der Bundesgerichtshof in der „Macrotron“-Entscheidung abgelehnt, den Hauptversammlungsbeschluss über den Rückzug vom organisierten Börsenhandel (sog. Delisting) sachlichem Rechtfertigungszwang zu unterwerfen50. Für den aktienrechtlichen Zwangsausschluss (sog. squeeze-out, §§ 327a ff. AktG) hat das Gericht in gleicher Weise entschieden; der Gesetzgeber habe hier selbst die Abwägung der widerstreitenden Interessen vorgenommen51. Über eine Vielzahl weiterer Beschlussgegenstände hatte der Bundesgerichtshof bislang noch nicht zu entscheiden.
B. Einordnender und bewertender Teil Nach Darstellung der Theorie der gesetzlich vorgeprägten Beschlussgegenstände, können wir uns nun der Einordnung und Bewertung dieser Position zuwenden. Diese Einordnung und Bewertung nimmt ihren Anfang bei der Dogmatik. I. Dogmatik: Sachgrunderfordernis und Treuepflicht 1. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
Der Bundesgerichtshof hat seine Position nicht eingehend dogmatisch begründet. Die von ihm vorgebrachten Erklärungen muten eher richterrechtspositivistisch denn dogmatisch an: Mal verweist er darauf, es fehle an einem Eingriff in die mitgliedschaftliche- und vermögensrechtliche Stellung der Aktionäre, mithin am Tatbestand der richterrechtlichen Norm des Sachgrunderfordernisses52. Das andere Mal trägt er vor, eben diese Richterrechtsnorm könne aufgrund einer bereits vom Gesetzgeber vorweggenommenen Interessenabwägung nicht zur Anwen48
Oben A. I. 1. b). BGHZ 80, 69, 74; Nachweise zum zustimmenden Schrifttum oben Fn. 25. 50 BGHZ 153, 47, 58 f.; zustimmend Hellwig, ZGR 1999, 781, 780; Hüffer, AktG, § 120 Rn. 24; Zetsche, NZG 2000, 1065, 1067; a. A. Lutter, in: FS Zöllner, Bd. I, S. 363, 381. 51 BGHZ 180, 154 Rn. 14 (Wertpapierdarlehen); so auch die ganz h. L., siehe Grunewald, in: MünchKomm/AktG, § 327a Rn. 17; Hüffer, AktG, § 327a Rn. 11; Rieder, ZGR 2009, 981 ff. 52 BGHZ 120, 141, 146 ff. (Bremer Bankverein). 49
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dung kommen53 oder vertrage sich nicht mit gesetzlich verbürgten Freiheiten54. Eine dogmatische Begründung zu geben, war daher das Schrifttum aufgerufen. 2. Treuepflichtbasiertes Verständnis der herrschenden Lehre
Das Sachgrunderfordernis findet nach der herrschenden Literaturauffassung seine Rechtsgrundlage in der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht55. Dementsprechend spielt die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht auch bei der Begründung für den nach verschiedenen Beschlussgegenständen differenzierenden Ansatz zur Reichweite dieses Instituts eine wichtige Rolle. a) Grundsatz: umfassende Geltung der Treuepflicht Die Treuepflicht beansprucht umfassende Geltung56: Sie steuert die Wahrnehmung aller Rechte und Pflichten der Gesellschafter57. Sieht man die dogmatische Grundlage des Sachgrunderfordernisses in der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht, hat man konsequenterweise von dem Grundsatz auszugehen, dass auch das Sachgrunderfordernis bei jedem Beschlussgegenstand zur Anwendung kommt. Denn was für die Treuepflicht gilt, nämlich ihr umfassender Anwendungsbereich, muss in gleicher Weise auch für die auf ihr fußenden Rechtsinstitute gelten58. Es stellt sich daher die Frage: Warum soll das treuepflichtbasierte Sachgrunderfordernis bei einigen Beschlussgegenständen zur Anwendung kommen, bei anderen dagegen nicht? b) Erklärungsversuche aa) Erster Erklärungsversuch: Treuepflicht als Generalklausel Bei der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht handelt es sich um eine Generalklausel59. Generalklauseln aber haben spezialgesetzlichen Wertungen zu weichen; einen Wertungswiderspruch zwischen einer Generalklausel und speziellen gesetzlichen Wertungen darf es nicht geben, sondern ist zugunsten des Spezialge53 BGHZ 138, 71, 76 f. (Sachsenmilch); BGHZ 180, 154 Rn. 14 (Wertpapierdarlehen). 54 BGHZ 103, 184, 190 f. (Linotype). 55 Oben § 6 D. II. 3. 56 Seit BGHZ 103, 184, 194 f. (Linotype) sowie BGHZ 129, 136, 142 ff. (Girmes) weitgehend unstrittig, vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 20 IV (S. 587 ff.); ausführlichere Nachweise oben bei § 4 B. IV. 57 Statt vieler Merkt, in: MünchKomm/GmbHG; § 13 Rn. 88 m.w. N. 58 Siehe Käpplinger, Inhaltskontrolle, S. 86; Wiedemann, in: FS Heinsius, S. 949, 962; siehe auch Hüffer, AktG, § 293 Rn. 7; Röhricht, in: Hommelhoff/Hopt/von Werder, Corporate Governance, 1. Aufl. 2003, S. 513, 537 ff. 59 Hüffer, in: FS Steindorff, S. 59, 68 ff.; M. Weber, Treubindungen, S. 134 ff.
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setzes aufzulösen60. In dieser Richtung argumentieren die Vertreter der herrschenden Meinung: Sie tragen vor, das in der Generalklausel „Treuepflicht“ wurzelnde Rechtsinstitut des Sachgrunderfordernisses könne nicht zur Anwendung kommen, wenn dem spezialgesetzliche Regelungen und Wertungen entgegenstünden61. Solche spezialgesetzlichen Regelungen und Wertungen sieht man in der normativen Rahmenordnung eines bestimmten Beschlussgegenstandes normiert (gesetzliche Zulassung, Mehrheitserfordernis, Ausgleich- und Abfindungsrechte)62. Hebt man dieses Argument auf den Prüfstand, muss man fragen, ob sich zwischen dem Sachgrunderfordernis und den gesetzlichen Beschlussregeln tatsächlich ein Wertungswiderspruch ausmachen lässt. Ein solcher wäre ohne Weiteres zu bejahen, wenn das Sachgrunderfordernisses bei einigen Beschlussgegenständen deren generelle Unzulässigkeit zur Folge hätte. Daran kann man insofern denken, als das Sachgrunderfordernis die Übereinstimmung des Beschlusses mit dem aus dem bisherigen Gesellschaftszweck abgeleiteten Gesellschaftsinteresse verlangt63. Mit diesem Gesellschaftsinteresse aber können Beschlüsse, die auf eine Änderung des Gesellschaftszwecks und damit eine Neudefinition des Gesellschaftsinteresses ausgerichtet sind (sog. zweckändernde Beschlussgegenstände; z. B.: Auflösung), niemals in Einklang stehen64. Hätte daher die Erstreckung des Sachgrunderfordernisses auf zweckändernde Beschlussgegenstände deren generelle Unzulässigkeit zur Folge? Die Frage ist zu verneinen. Niemand, der eine Übertragung des Sachgrunderfordernisses auch auf zweckändernde Beschlüsse befürwortet, behauptet, derartige Maßnahmen seien infolgedessen stets unzulässig65. Der zweckändernde Charakter eines Beschlusses erzwingt eine solche Annahme nicht, sondern macht lediglich eine Modifikation der Prüfungsmaßstäbe erforderlich, konkret: eine Ersetzung des Maßstabs „Gesellschaftsinteresse“ durch den Maßstab „legitimes Mehrheitsinteresse“ 66. Hinter der Annahme der 60
Siehe etwa Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 242 Rn. 2, 16 ff. Siehe Hüffer, AktG, § 243 Rn. 27, § 293 Rn. 7; ders., in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 63; Röhricht, in: Lutter/Hopt/Werder, Corporate Governance, 1. Aufl. 2003, S. 513, 537 ff.; Boese, Anwendungsgrenzen, S. 30, 89; Tröger, Treupflicht, S. 272; Englisch, in: Hölters, AktG, § 243 Rn. 45. 62 Zu den Kriterien bei der Ermittlung der gesetzlichen Vorprägung oben A. I. 1. a). 63 Siehe BGHZ 71, 40, 44; Lutter, ZGR 1979, 401, 403; ausführlich oben § 5. 64 Lutter, ZGR 1981, 171, 177 f.; Schockenhoff, Gesellschaftsinteresse, S. 98; Zöllner, AG 2000, 145, 155; siehe auch Boese, Anwendungsgrenzen, S. 84 ff., der in der „Orientierbarkeit am Gesellschaftszweck“ eine Anwendungsvoraussetzung des Erfordernisses sachlicher Rechtfertigung erblickt. 65 Vgl. vorerst nur Wiedemann, ZGR 1999, 857, 869; ausführlich unten § 9. 66 Wiedemann, JZ 1989, 447, 449 (mit weiteren Argumenten); dies konzedierend auch Tröger, Treupflicht, S. 276. Einwenden ließe sich, dass das Sachgrunderfordernis durch den Maßstab des Gesellschaftsinteresses derart stark geprägt sei, dass es sich, ersetzte man diesen Maßstab durch einen anderen, nicht mehr um eine Beschlusskontrolle anhand des Sachgrunderfordernisses handelte; doch klingt dies erneut eher nach einer 61
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herrschenden Lehre, spezielle gesetzliche Regeln setzten sich gegenüber dem treuepflichtbasierten Sachgrunderfordernis durch, dürfte sich denn auch anderes verbergen: Das Sachgrunderfordernis unterstellt Mehrheitsbeschlüsse sachlichem Rechtfertigungszwang. Weiter aufgespalten ergab dieser Rechtssatz: Der Beschluss ist grundsätzlich unzulässig, es sei denn, es liegen ausnahmsweise besondere Rechtfertigungsgründe vor67. Der gesetzlichen Regelung eines bestimmten Beschlussgegenstandes scheint aber ein entgegengesetztes Regel-Ausnahme-Verhältnis mit der Zulässigkeit des Beschlussgegenstands als Regelfall, seiner Unzulässigkeit dagegen als Ausnahmefall zugrunde zu liegen (vgl. etwa §§ 293a ff. AktG, §§ 8 ff. UmwG)68. Wenn wir diese plausible Überlegung als Begründung der Theorie der gesetzlich vorgeprägten Beschlussgegenstände nicht gelten lassen können, so aus folgendem Grund: Auch der Beschluss über den Ausschluss des Bezugsrechts ist gesetzlich zugelassen, § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG. Er erfordert weiter neben dem Erreichen der einfachen Stimmenmehrheit (§ 133 Abs. 1 AktG) zwingend eine 3/4-Kapitalmehrheit (§ 186 Abs. 3 Satz 2 AktG). Die vermögensmäßige Kompensation gewährleistet beim Bezugsrechtsausschluss die gesetzliche Norm des § 255 Abs. 2 AktG, die – anfechtungsbewehrt – dazu verpflichtet, die neuen Aktien nur zu einem angemessenen Ausgabebetrag auszugeben; der Sache nach ist dies ein gesetzlicher Ausgleichsanspruch der Altaktionäre in bloß rechtstechnisch anderem Gewand. Angesichts dieses normativen Rahmens müsste die herrschende Meinung auch den Bezugsrechtsausschluss als einen „gesetzlich vorgeprägten Beschlussgegenstand“ einstufen69. Dass dies nicht der Fall ist, das Sachgrunderfordernis hier vielmehr in seiner ganzen Schärfe Geltung beanspruchen soll, entlarvt den Hinweis auf den Vorrang spezieller gesetzlicher Regeln gegenüber der allgemeinen Treuepflicht bzw. dem allgemeinen Sachgrunderfordernis als Scheinbegründung. bb) Zweiter Erklärungsversuch: Treuepflicht und Gesellschaftszweck Ein weiterer Erklärungsversuch stellt auf die enge Verbindung zwischen der Treuepflicht und dem Gesellschaftszweck ab: Rücksichtnahmepflichten, so sagt man, könne es nur so lange geben, wie die Gesellschaft und der Gesellschaftszweck bestünden70. Seine dogmatische Ausformung findet dieser Gedanke in dem im Zusammenhang mit der Treuepflicht häufig gebrachten Kriterium der richterrechtspositivistischen, denn nach einer dogmatischen Begründung; vgl. aber Zöllner, AG 2000, 145, 155. 67 Oben § 6 H. II. 2. b). 68 Vgl. Hüffer, AktG, § 293 Rn. 7; Lutter, ZGR 1981, 171, 177 ff. 69 Zutreffend Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 136, der denn auch aus der vermögensschützenden Norm des § 255 II AktG den Schluss zieht, das Sachgrunderfordernis sei als Instrument zum Schutz der Herrschaftsinteressen zu verstehen und konzipieren; vgl. hierzu aber unten § 14 B. III. 2. 70 Früh bereits Horrwitz, JW 1930, 2637, 2641.
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Zweckverfolgungsnähe, dem zufolge die aus der Treuepflicht fließenden Bindungen umso intensiver ausfielen, je stärker der Bezug zur gemeinsamen Zweckverfolgung sei und umgekehrt umso geringer ausgeprägt seien, je mehr sich die Maßnahme vom Gesellschaftszweck entferne71. Hiervon ausgehend kann bei einer Maßnahme, die dem bisherigen Gesellschaftszweck ein Ende setzt, ein auf der Treuepflicht basierendes Rechtsinstitut keine Anwendung finden. Als paradigmatisch erweist sich insofern der zweckändernde Liquidationsbeschluss72. Schließlich, so die maßstabsbezogene Fortsetzung dieser Argumentation, ließen sich auch nur zweckgebundene Beschlüsse an dem aus dem Gesellschaftszweck abgeleiteten Gesellschaftsinteresse messen. Bei zweckändernden Beschlüssen dagegen müsse ein Kontrollmaßstab, der seine Ableitungsbasis im bisherigen Gesellschaftszweck findet – eben das Gesellschaftsinteresse – zwangsläufig versagen73. Gegen diese Argumentation sei an dieser Stelle vor allem ein Einwand erhoben: Beim Sachgrunderfordernis steht nach herrschender Lehre die zwischen den Gesellschaftern bestehende Treuepflicht, also eine individualistische Rechtsfigur, in Rede74. In einem individualistischen Kontrollkonzept stehen die einzelnen Gesellschafter im normativen Mittelpunkt, nicht dagegen die Gesellschaft als juristische Person75. Die Gesellschaft als juristische Person geht daher ihrer dogmatisch-konzeptionellen Vormachtstellung verlustig. Damit aber verlieren die Kategorien des Gesellschaftszwecks und des Gesellschaftsinteresses ihren Bezugspunkt, denn sie setzen terminologisch und dogmatisch die Gesellschaft als juristische Person voraus, klarer ausgedrückt: Gesellschaftszweck und Gesellschaftsinteresse sind körperschaftliche Kategorien76. Als solche können sie bei der Entscheidung, ob ein auf einer individualistischen Rechtsnorm gründendes gesellschafterschützendes Institut zur Anwendung kommen soll, nicht den entscheidenden Ausschlag geben. Sie können hier lediglich funktional, nämlich als Kontrollmaßstab des individualistischen Instituts in Dienst genommen werden. Können die körperschaftlichen Kategorien diese Funktion bei einigen Beschlussgegenständen nicht erfüllen, kann dies folglich nicht dazu führen, das individualistische Rechtsinstitut, dessen Telos einschlägig ist (Schutz vor mitgliedschaftlichen Beeinträchtigungen), hier gar nicht zur Anwendung zu bringen. Die Funk71
Zöllner, Schranken, S. 344. Vgl. M. Winter, Treubindungen, S. 154 ff. 73 Lutter, ZGR 1981, 171, 177 ff.; Binnewies, Konzerneingangskontrolle, S. 231; Boese, Anwendungsgrenzen, S. 84 ff.; Schockenhoff, Bezugsrechtsausschluss, S. 98; Timm, JZ 1980, 665, 667 f. 74 Oben § 5 D. II. 3.; zum individualistischen Charakter dieser Treuepflichtdimension BGHZ 103, 184, 194 f. (Linotype). 75 Vgl. M. Winter, Treubindungen, S. 130 ff.; Tröger, Treupflicht, S. 255 ff., insbesondere mit Fn. 31. 76 Vgl. Flume, Juristische Person, § 7 II, III (S. 201 ff.); Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 232 ff., 321 ff.; Boese, Anwendungsgrenzen, S. 33 ff., 84 ff. 72
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tion des Kontrollmaßstabs ist dann vielmehr von anderen Bezugspunkten und Kategorien zu übernehmen – statt zu fragen, ob der Beschluss zur Verfolgung des Gesellschaftsinteresses geeignet, erforderlich und angemessen ist, geht die Fragestellung dahin, ob der Beschluss einem legitimen Ziel der Mehrheit dient, hierzu geeignet, erforderlich und angemessen ist77. Eine Kontrolle anhand dieses modifizierten Maßstabes läge ganz in der Konsequenz des individualistischen Verständnisses der herrschenden Lehre: Wird der maßgebliche Interessenkonflikt im Verhältnis der Gesellschafter untereinander, insbesondere im Verhältnis der Gesellschaftermehrheit zur Gesellschafterminderheit, verortet, ist nicht gut erklärbar, warum diese Konfliktsicht nicht auch den anzulegenden Kontrollmaßstab determinieren soll, also direkt zu fragen ist, ob die Interessen der Gesellschaftermehrheit in einem angemessenen Verhältnis zu den Interessen der Gesellschafterminderheit stehen. Eine überzeugende auf die Treuepflicht gestützte dogmatische Begründung für den nach verschiedenen Beschlussgegenständen differenzierenden Ansatz lässt sich nicht ausmachen. Dennoch wäre der herrschenden Meinung die Zustimmung nicht zu versagen, wenn ein nach Beschlussgegenständen differenzierender Ansatz aus methodischen Gründen zwingend geboten wäre. Hiermit haben wir uns als Nächstes zu beschäftigen. II. Methodik: das Bindungsmodell 1. Der methodische Ansatz der gesetzlichen Vorprägungstheorie
Nach der herrschenden Auffassung kommt das Sachgrunderfordernis nicht zur Anwendung, wenn der Beschlussgegenstand gesetzlich vorgeprägt sei und schon der Gesetzgeber die notwendige Abwägung der widerstreitenden Interessen vorgenommen habe78. Damit praktiziert die herrschende Meinung ein Bindungsmodell in dem Sinne, als die Antwort auf die Frage nach einer Sachkontrolle im positiven Gesetz gesucht wird; aus dem geschriebenen Recht versucht man eine gesetzgeberische Antwort hinsichtlich des sachlichen Rechtfertigungszwanges eines Beschlussgegenstandes abzulesen. 2. Methodenkritik
a) Erster Kritikpunkt: Bindungsmodell ohne bindende Instanz aa) Der Gesetzgeber als bindende Instanz Das Bindungsmodell setzt eine bindende Instanz voraus. Für gewöhnlich ist diese bindende Instanz der parlamentarische Gesetzgeber. Im Bereich der mate77 Wiedemann, JZ 1989, 447, 449; Tröger, Treupflicht, S. 276; Möller, Verschmelzungsbeschluss, S. 92. 78 Oben A. I. 1. a).
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riellen Beschlusskontrolle liegen die Dinge aber anders. Der Gesetzgeber hat sich dieser Frage in der beschlussmängelrechtlichen Generalklausel des § 243 Abs. 2 AktG (Verfolgen von Sondervorteilen) zwar angenommen; er meinte auch, den gesellschaftsrechtlichen Mehrheits-/Minderheitskonflikt insoweit genügend geregelt zu haben79. Die Rechtsentwicklung aber ist über diese Norm, wie oben gesehen, hinweggegangen80. Materielle Beschlusskontrolle im Allgemeinen und Sachgrunderfordernis im Speziellen waren daher von Anbeginn an richterrechtliche Materien81, vielleicht in nicht ganz so starkem Ausmaße wie das Arbeitskampfrecht82, vergleichbar aber der zivilrechtlichen Vertragsinhaltskontrolle, die sich zunächst ebenfalls als richterrechtliche Materie entwickelt hat83. Der Gesetzgeber hat diese Kompetenzverteilung akzeptiert und bestätigt, als er sich anlässlich der Reform des Umwandlungsrechtes mit dem Sachgrunderfordernis auseinanderzusetzen hatte. Der Streitstand um das Sachgrunderfordernis und dessen Reichweite war dem Gesetzgeber dabei gut bekannt. Von verschiedenen Seiten wurde er während des Gesetzgebungsverfahrens dazu aufgefordert, in dieser Frage Stellung zu beziehen84. Auch Forderungen nach einer gesetzlichen Negativ-Regelung wurden laut: der Gesetzgeber möge doch im Gesetz selbst klarstellen, dass Umwandlungsbeschlüsse ihre Rechtfertigung „in sich tragen“ und daher keiner Inhaltskontrolle unterlägen85. Diesen Forderungen ist der Gesetzgeber nicht nachgekommen: Das Umwandlungsgesetz enthält keine Regelung der materiellen Beschlusskontrolle. Als Begründung bringt der Gesetzgeber vor allem Folgendes vor: „[. . .] so erscheint es ausgeschlossen, dieses Grundsatzproblem des Gesellschaftsrechts nur für den besonderen Fall der Verschmelzung, also nicht allgemein für alle wichtigen Beschlüsse von Anteilseignern zu regeln.“ 86 Aufgrund der regulatorischen Schwierigkeit einer punktuellen Normsetzung sowie der den Gesetzesmaterialien abspürbaren dogmatischen Unsicherheit hinsichtlich des Sachgrunderfordernisses verzichtete der Gesetzgeber auf eine Regelung. M. Winter deutet die Passage aus den Gesetzgebungsmaterialien denn auch folgendermaßen: „Die Frage [scil. einer materiellen Beschlusskontrolle] wird [. . .] einer weiteren Klärung in Rechtsprechung und Lehre überlassen [. . .]. [D]ie 79
Vgl. Kropff, Aktiengesetz 1965, S. 329. Oben § 4 B. II. 81 Dieser Annahme steht die Gesetzesnorm des § 186 III 4 als punktuelle, außerhalb ihres Anwendungsbereichs Neutralität wahrende Regelung nicht entgegen, siehe oben § 6 C. III.; zur fehlenden gesetzlichen Determination des Sachgrunderfordernisses oben § 6 C. 82 Vgl. Hanau/Adomeit, Arbeitsrecht, C III 2 (S. 73). 83 Vgl. Hönn, Gestörte Vertragsparität, S. 5 ff. sowie unten § 10 B. III. 2. b) cc). 84 Hierauf hinweisend Heckschen, in: Widmann/Mayer, UmwG, § 13 UmwG Rn. 163.21. 85 DAV-Handelsrechtsausschuss, WM 1993, Beilage Nr. 2, 1, 5. 86 BT-Drucks. 12/6699, Begr. zu § 13 UmwG, S. 86; abgedruckt bei Ganske, Umwandlungsrecht, S. 61. 80
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Aufforderung des Gesetzgebers [geht] gerade dahin, diese Frage erneut intensiv zu diskutieren und einer Klärung näherzubringen.“ 87 Die zutreffende herrschende Lehre, darunter die maßgeblichen Vertreter der Vorprägungstheorie, sieht es genauso und steht auf dem Standpunkt, dass die Frage einer materiellen Beschlusskontrolle vom Gesetzgeber weder im positiven noch im negativen Sinne entschieden sei, es vielmehr Aufgabe von Rechtsprechung und Wissenschaft bleibe, das richterrechtliche Institut des Sachgrunderfordernisses und dessen Anwendungsbereich näher auszuloten88. Dies lässt im Grunde genommen nur einen Schluss zu: Der Gesetzgeber scheidet als bindende Instanz im Bereich der materiellen Beschlusskontrolle aus89, und zwar wegen des beschlussübergreifenden Ansatzes90 und der beschlussübergreifenden Formulierung des Gesetzgebers91 generell. Er hat den ihm von der Theorie der gesetzlich vorgeprägten Beschlussgegenstände zugespielten Ball an Rechtsprechung und Rechtslehre zurückgespielt. bb) Das Gesetz als bindende Instanz Scheidet der Gesetzgeber als bindende Instanz aus, gerät das Gesetz selbst, genauer: der jedem Gesetz immanente Grundsatz vom Vorrang der speziellen gegenüber der allgemeinen Norm („lex specialis derogat legi generali“), ins Blickfeld. Dies klingt an, wenn die Vertreter der herrschenden Meinung darauf verweisen, dass es sich bei den gesetzlichen Beschlussregeln (gesetzliche Zulassung, Verfahrensnormen, Ausgleichs- und Abfindungsrechte) um spezielle gesetzliche Regelungen handele, die einem Rückgriff auf die allgemeine Norm, der zufolge Eingriffe in die Mitgliedschaft sachlicher Rechtfertigung bedürfen (Sachgrunderfordernis), entgegenstünden92. Nimmt man den Grundsatz „lex specialis dero87
M. Winter, in: Lutter, Kölner Umwandlungsrechtstage, S. 19, 40. Hommelhoff, ZGR 1993, 452, 458 f.; Feddersen/Kiem, ZIP 1994, 1078, 1086; Lutter/Drygala, in: Lutter, UmwG, § 13 Rn. 31; Zimmermann, in: Kallmeyer, UmwG, § 13 Rn. 12; a. A. Heckschen, Verschmelzung, S. 78. 89 So etwa auch Schindler, Austrittsrecht, S. 171. 90 Im Rahmen der Umwandlungsrechtsreform (Gesetz zur Bereinigung des Umwandlungsrechts vom 29.10. 1994 [UmwBerG], BGBl. I, S. 3210) wurde neben der Vereinheitlichung des Umwandlungsrechts im UmwG (Art. 1 UmwBerG) (Verschmelzung, Spaltung, Formwechsel) auch das AktG um eine Vorschrift zur Gesamtvermögensübertragung ergänzt (Art. 6 Nr. 3 UmwBerG, § 179a AktG) und die Vorschriften zum Unternehmensvertrag (Art. 6 Nr. 6 UmwBerG, §§ 293a ff. AktG) und zur Eingliederung (Art. 6 Nr. 9 UmwBerG, §§ 319 f. AktG) angepasst, sodass der Gesetzgeber zentrale Beschlussgegenstände, um welche die Diskussion um das Sachgrunderfordernis kreist, tangierte. 91 BT-Drucks. 12/6699, Begr. zu § 13 UmwG, S. 86 („alle wichtigen Beschlüsse von Anteilseignern“). 92 Siehe Lutter, ZGR 1979, 401, 411; Englisch, in: Hölters, AktG, § 243 Rn. 45; vgl. zudem die weiteren Nachweise in Fn. 514. Man könnte dies bereits mit der Erwägung anzweifeln, dass es sich beim Sachgrunderfordernis gar nicht um eine allgemeine, sondern um eine spezielle Norm in dem Sinne handelt, als sie in § 186 III 1 AktG positiv 88
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gat legi generali“ allerdings genauer in den Blick, zeigt sich, dass sich die herrschende Meinung auf ihn nicht stützen lässt. Nach diesem methodischen Grundsatz verdrängt eine Rechtsnorm eine andere, wenn zwischen den beiden Rechtsnormen erstens ein Spezialitätsverhältnis besteht und sich zweitens die Rechtsfolgen der speziellen Norm mit den Rechtsfolgen der allgemeinen Norm nicht in Einklang bringen lassen93. Zwei Normen bzw. zwei Rechtssätze wiederum stehen zueinander in einem Verhältnis der Spezialität, wenn der Tatbestand der speziellen Norm alle Merkmale der allgemeinen Norm und darüber hinaus noch mindestens ein zusätzliches Tatbestandsmerkmal enthält94. Die gesetzlichen Beschlussregeln enthalten aber gegenüber der allgemeinen Norm des Sachgrunderfordernisses kein zusätzliches Tatbestandsmerkmal, sie enthalten vielmehr genau das gleiche; im einen wie im anderen Fall wird allein und ausschließlich an einen bestimmten Beschlussgegenstand angeknüpft. Dies sei am Beispiel der Verschmelzung verdeutlicht: Tatbestandsmerkmal der Norm des § 65 Abs. 1 UmwG, die eine 3/4-Kapitalmehrheit bei der Beschlussfassung festlegt, ist das Vorliegen einer Verschmelzung. Tatbestandsmerkmal der Norm des § 5 Abs. 1 Nr. 2, 3 UmwG, aus der sich die Pflicht ablesen lässt, die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft am übernehmenden Rechtsträger zu beteiligen (= vermögensrechtlicher Ausgleich), ist gleichfalls das Vorliegen einer Verschmelzung. Und für das Sachgrunderfordernis lässt sich das Vorliegen einer Verschmelzung ebenfalls als Tatbestandsmerkmal behaupten; denn da die Eingriffsfrage generalisierend und beschlussgegenstandsbezogen beurteilt wird95, lässt sie sich theoretisch für jeden Beschlussgegenstand vorab bestimmen und ist daher bei der Verschmelzung aufgrund des Erlöschens der Mitgliedschaft beim übernehmenden Rechtsträger durchweg zu bejahen. Insofern kann keine Rede davon sein, dass es sich bei den gesetzlichen Regelungen etwa zur Verschmelzung um spezielle Regelungen gegenüber dem Sachgrunderfordernis handelt96. Der Grundsatz „lex specialis derogat legi generali“ kann weiter auch deswegen nicht in Ansatz gebracht werden, weil sich die Rechtsfolgen der verschiedenen Normen nicht gegenseitig ausschließen. Die Rechtsfolgen der gesetzlichen Beschlussregeln, dass ein bestimmter Beschluss zulässigerweise gefasst werden kann, eine bestimmte rechtlich verortet wird; bei dieser Standortbestimmung müsste man sich methodisch fragen, inwiefern eine sowie speziell diese richterrechtliche Norm einer Analogie zugänglich ist, vgl. – insoweit zutreffend – Seydel, Konzernbildungskontrolle, S. 191 ff.; die Argumentation der h. L. basiert jedoch auf der Einordnung des Sachgrunderfordernisses als allgemeiner Norm, sodass dies bei der Würdigung des Arguments zugrunde gelegt wird. 93 Larenz, Methodenlehre, S. 267. 94 Larenz, Methodenlehre, S. 267. 95 Oben A. I. 1. a). 96 Die Problematik der Normenkonkurrenz wird im vorliegenden Zusammenhang freilich durch den Umstand, dass es sich beim Sachgrunderfordernis nicht um eine gesetzliche, sondern um eine richterrechtliche Norm handelt, überlagert und komplexer; vgl. daher noch unten VI.
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qualifizierte Mehrheit erforderlich ist und vermögensrechtliche Ausgleichs- und Abfindungsrechte vorgesehen werden müssen, steht mit der Rechtsfolge des Sachgrunderfordernisses (= Sachkontrolle des Beschlusses) nicht in Widerspruch97. Diese Rechtsfolgen lassen sich in Einklang miteinander bringen, wie ein Vergleich zum Bürgerlichen Recht verdeutlicht: So wie die gesetzliche Regelung des Bürgschaftsvertrages (§§ 765 ff. BGB), das gesetzliche bürgenschützende Schriftformerfordernis (§ 766 BGB) und die Einräumung entsprechender Einreden zugunsten des Bürgen (§§ 770, 771 BGB) eine Inhaltskontrolle von Bürgschaftsverträgen (naher Angehöriger) nicht ausschließen98, so ergänzen sich auch bei der kapitalgesellschaftsrechtlichen Beschlusskontrolle die verschiedenen Normen und Institute, indem zu den verfahrensrechtlichen und vermögensrechtlichen Schutzinstrumenten noch eine Inhaltskontrolle hinzutritt. b) Zweiter Kritikpunkt: Methodenunehrlichkeit Fehlt dem Bindungsmodell der herrschenden Meinung demnach die bindende Instanz, ist ein weiterer Kritikpunkt vorgezeichnet: Die Formel von den „gesetzlich vorgeprägten Beschlussgegenständen“ und der bereits „vom Gesetzgeber vorweggenommenen Interessenabwägung“ suggeriert Bindungen, die es nicht gibt, verschleiert damit Eigenwertungen des Rechtsanwenders, verkündet durch die Bezugnahme auf höherrangige Vorgaben das Ende der juristischen Debatte dort, wo diese eigentlich gerade erst beginnen sollte; insbesondere Letzteres findet seinen deutlichsten Ausdruck in dem zur Ermittlung der gesetzlichen Freistellung vorgeschlagenen Kriterium der Alternativlosigkeit99. All das steht konträr zu den Errungenschaften der Wertungsjurisprudenz, die den Rechtsanwender im gesetzlich nicht determinierten Bereich zu einer eigenständigen Interessenbewertung und einem entsprechenden Wertungsbekenntnis anhält100. c) Dritter Kritikpunkt: Untauglichkeit des Bindungsmodells Die geübte methodische Kritik findet ihre Bestätigung, wenn man einen weiteren Kritikpunkt hinzunimmt, der da lautet: Das von der herrschenden Meinung zur Anwendung gebrachte Bindungsmodell ist nicht imstande, die von der herrschenden Meinung selbst befürworteten Ergebnisse zu stützen. Dies lässt sich zunächst anhand der Inhaltskontrolle abhängigkeitsbegründender Beschlüsse belegen: Wie gesehen, unterliegen nach herrschender Auffassung Beschlüsse, welche 97 Dazu bereits oben I. 2. b) bb), dort allerdings in Bezug auf einen „Wertungswiderspruch“ und nicht wie hier in Bezug auf einen „Normenwiderspruch“. 98 Vgl. BVerfGE 89, 214; BVerfG NJW 1994, 2749; Oetker/Maultzsch, Schuldverhältnisse, § 13 (S. 735 ff.). 99 Oben A. I. 1. a). 100 Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 119 ff., 366 ff.
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die Abhängigkeit der Gesellschaft begründen, ausnahmslos sachlichem Rechtfertigungszwang101. Nun sind Konstellationen denkbar, in denen sich das Subsystem der Kontrolle abhängigkeitsbegründender Beschlüsse mit der auf dem zweistufigen Prüfungsmodell beruhenden eingriffsbasierten Beschlusskontrolle kreuzt. Man denke an den Fall einer Verschmelzung, die dazu führt, dass die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft infolge der Verschmelzung Gesellschafter einer abhängigen Gesellschaft werden. Der Verschmelzungsbeschluss soll dabei zwar nach überwiegender Auffassung trotz schweren Eingriffs in die Mitgliedschaft (Erlöschen der Mitgliedschaft im übernehmenden Rechtsträger) aufgrund gesetzlicher Vorprägung vom Erfordernis sachlicher Rechtfertigung freigestellt sein102. Bei einer abhängigkeitsbegründenden Verschmelzung entscheiden führende Vertreter der herrschenden Meinung aber anders. In diesem Fall soll der Verschmelzungsbeschluss ausnahmsweise doch sachlicher Rechtfertigung bedürfen103. Mit dem methodischen Ansatz der herrschenden Meinung lässt sich dies allerdings kaum begründen. Nimmt man an, es gebe gesetzlich vorgeprägte Beschlussgegenstände, muss man der bereits vom Gesetzgeber vorweggenommenen Interessenabwägung auch für den Fall der Abhängigkeitsbegründung Geltung zusprechen – entweder ist ein bestimmter Beschlussgegenstand gesetzlich vorgeprägt oder nicht. Dem Gesetzgeber hier zu unterstellen, er habe den – ja keineswegs exotischen – Fall der abhängigkeitsbegründenden Verschmelzung schlichtweg vergessen104, erscheint kaum angängig. Zwanglos lässt sich die „Danndoch-Kontrolle“ des Verschmelzungsbeschlusses bei der abhängigkeitsbegründenden Verschmelzung nur dann begründen, wenn man sich dazu bekennt, dass die Frage, ob das Sachgrunderfordernis zur Anwendung gelangt oder nicht, im Wege einer Interessenabwägung auf der Grundlage vom Rechtsanwender zu treffender Wertungen entschieden wird. Die mit der Abhängigkeitsbegründung verbundenen Gefahren können den Interessen der Gesellschafterminderheit dabei zusätzliches Gewicht verleihen. Die Abwägung mag dann zugunsten der Minderheit und damit für eine Sachkontrolle ausfallen. Weiter ist auf die Inhaltskontrolle solcher Beschlüsse hinzuweisen, bei denen die Zuständigkeit der Hauptversammlung nicht auf dem geschriebenen Aktienrecht, sondern auf der richterrechtlichen „Holzmüller“-Doktrin beruht105. Die 101
Oben A. I. 1. b). Binnewies, GmbHR 1997, 727, 728 ff.; Gehling, in: Semler/Stengel, UmwG, § 13 Rn. 23 f.; Heckschen, in: Widmann/Mayer, UmwG, § 13 Rn. 163.11 ff.; Lutter/Drygala, in: Lutter, UmwG, § 13 Rn. 31 ff.; Simon, in: KölnKomm/AktG, § 13 Rn. 96 f.; Zimmermann, in: Kallmeyer, UmwG, § 13 Rn. 12; aus der Rspr. OLG Frankfurt, NZG 2006, 227 (T-Online). 103 Lutter/Drygala, in: Lutter, UmwG, § 13 Rn. 31 ff.; Timm, ZGR 1987, 403, 424 ff.; im Grundsatz ebenso Binnewies, GmbHR 1997, 727, 730 f. 104 So aber Binnewies, GmbHR 1997, 727, 731(„unbedachte Nebenwirkung“). 105 BGHZ 83, 122 (Holzmüller); BGHZ 159, 30 (Gelatine I); Hüffer, AktG, § 119 Rn. 16 ff. m.w. N. 102
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herrschende Meinung müsste diese Beschlüsse gemessen an ihren eigenen Maßstäben eigentlich einer Inhaltskontrolle unterwerfen. Denn das Vorliegen eines schweren Eingriffs steht mit der Annahme einer ungeschriebenen Hauptversammlungszuständigkeit fest. Sind es die schwerwiegenden materiellen Rechtsbeeinträchtigungen der vom Vorstand beabsichtigten Maßnahme, welche die Mitwirkung der Aktionäre geboten und notwendig erscheinen lässt106, so entfallen diese Rechtsbeeinträchtigungen der Maßnahme nicht, sobald die Hauptversammlung zur Entscheidung schreitet. Der schwere Eingriff, auf den die ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeit gründet, bleibt mit anderen Worten auch bei der Frage einer materiellen Beschlusskontrolle ein schwerer Eingriff. Auf ein reines Kompetenzproblem im Verhältnis der Verwaltung zu den Aktionären lässt sich die Problematik also nicht verkürzen107. Da weiter eine Freistellung aufgrund gesetzlicher Vorprägung bei gesetzlich gerade nicht geregelten Beschlussgegenständen naturgemäß nicht in Betracht kommen kann, müsste das Ergebnis auf Basis des zweistufigen Prüfungsmodells der herrschenden Meinung eigentlich lauten: „Holzmüller“-Beschlüsse unterliegen sachlichem Rechtfertigungszwang. Die herrschende Meinung zieht diese Konsequenz aber nicht – nach ganz überwiegender Auffassung findet das Sachgrunderfordernis bei „Holzmüller“-Beschlüssen keine Anwendung108. Den eigenen Prämissen der herrschenden Meinung entspricht dies nicht – mit dem Bindungsmodell (gesetzliche Vorprägung) lässt sich der Verzicht auf die Sachkontrolle bei „Holzmüller“-Beschlüssen kaum erklären109. Auch hier kann es daher nur der Rechtsanwender sein, der nach einer eigenen Interessenabwägung zu dem Ergebnis gelangt, dass „Holzmüller“-Beschlüsse keiner gesteigerten Inhaltskontrolle unterliegen sollen. 3. Methodisches Fazit
Die herrschende Meinung vermag nach alledem in methodischer Hinsicht nicht zu überzeugen. Entgegen dem terminologischen Anschein besteht kein methodisch zwingender Grund, der „Theorie der gesetzlich vorgeprägten Beschluss-
106 BGHZ 83, 122, 132, 136 ff. (Holzmüller); BGHZ 159, 30, 41 (Gelatine I) (tiefgreifender Eingriff); Hüffer, AktG, § 119 Rn. 18 m.w. N. zum Streitstand. 107 A.A. aber etwa Kubis, in: MünchKomm/AktG, § 119 Rn. 56. 108 Habersack, in: Emmerich/Habersack, Kommentar Konzernrecht, Vor § 311 Rn. 51; Henze, in: FS Ulmer, S. 211, 224; Kubis, in: MünchKomm/AktG, § 119 Rn. 56; Wahlers, Konzernbildungskontrolle, S. 192 ff.; a. A. aber namentlich Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 155 ff. 109 Bezeichnenderweise verweist der BGH in der das Delisting und damit ebenfalls einen ungeschriebenen Beschlussgegenstand betreffenden „Macrotron“-Entscheidung zur Begründung für die Ablehnung einer Inhaltskontrolle schlicht auf den „unternehmerischen Charakter“ der Börsenrückzugsentscheidung und den durch das Pflichtangebot gewährleisteten Vermögensschutz, s. BGHZ 153, 47, 59.
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3. Teil: Die Reichweite einer materiellen Beschlusskontrolle
gegenstände“ Gefolgschaft zu leisten110. Damit wird der Weg frei für eine eigene Bewertung des nach verschiedenen Beschlussgegenständen differenzierenden Ansatzes der herrschenden Meinung. Diese Bewertung betrifft die zwei Regelungsziele einer jeden Rechtsnorm: die Systemgerechtigkeit und die Sachgerechtigkeit. Beginnen wir mit Letzterer. III. Sachlich-inhaltliche Bewertung: Gebot der Äquidistanz 1. Gebot der Äquidistanz bei Sachgrund-Beschlussgegenständen
Kurz ausfallen kann die Beurteilung hinsichtlich solcher Beschlussgegenstände, bei denen das Sachgrunderfordernis nach der Theorie der gesetzlich vorgeprägten Beschlussgegenstände zur Anwendung kommt111. Dem Gebot der Äquidistanz, unserer normativen Wertungsleitlinie, wird dann aufgrund der überproportionalen Berücksichtigung von Minderheitsinteressen, dem Regel-Ausnahme-Verhältnis sowie der Übertragung öffentlich-rechtlicher Kontrollmaßstäbe zu Lasten der Gesellschaftermehrheit nicht Rechnung getragen112 2. Gebot der Äquidistanz bei freigestellten Beschlussgegenständen
a) Die treuepflichtgestützte Missbrauchskontrolle als Regel-Ausnahme-Kontrolle Findet das Sachgrunderfordernis aufgrund der Annahme einer gesetzlichen Freistellung keine Anwendung, greift lediglich eine treuepflichtgestützte Rechtsmissbrauchskontrolle Platz113. Maßgebliches Kennzeichen dieser Kontrolle ist das ihr zugrundeliegende Regel-Ausnahme-Verhältnis: Es wird grundsätzlich von der Rechtmäßigkeit des Beschlusses ausgegangen und daher, wie bereits erwähnt, lediglich gefragt, „ob besondere Umstände vorliegen, die den Beschluss ausnahmsweise als das Ergebnis einer missbräuchlichen Stimmrechtsausübung erscheinen lassen“ 114. Die treuepflichtgestützte Missbrauchskontrolle weist demnach eine erheblich geringere Kontrolldichte auf 115. Hinzu tritt eine für den An110 Die Existenz gesetzlich vorgeprägter Beschlussgegenstände bestreiten auch Rodloff, Mehrheitseingliederung, S. 60 ff., zusf. S. 68 sowie Ross, Verschmelzungsbeschluss, S. 114 ff. 111 Oben A. 112 Ausführlich oben § 6 H. 113 Oben A. I. 2. 114 BGHZ 76, 352, 353; auch in der Literatur erblickt man in diesem Regel-Ausnahme-Verhältnis das maßgebliche Charakteristikum der Missbrauchskontrolle, siehe K. Schmidt, in: GroßKomm/AktG, § 243 Rn. 47; G. H. Roth, in: MünchKomm/BGB, 5. Aufl. 2007, § 242 Rn. 440; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 46. 115 Deutlich G. H. Roth, in: MünchKomm/BGB, 5. Aufl. 2007, § 242 Rn. 440; vgl. auch noch unten § 13 B.
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fechtungskläger ungünstigere Verteilung der Darlegungs- und Beweislast. Im Rahmen der Missbrauchskontrolle obliegt diese in vollem Umfang dem klagenden Gesellschafter116. Denn wer sich darauf beruft, die Gegenseite handele rechtsmissbräuchlich, trägt die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlichen Umstände, aus denen sich der Missbrauch ergeben soll117. Eine minderheitenschützende Steuerungsfunktion geht von der treuepflichtgestützten Missbrauchskontrolle ebenfalls nicht aus, im Gegenteil: Es besteht eine generelle Erlaubnis mit Missbrauchsverbot118 oder anders gewendet: Die Mehrheit darf im Ausgangspunkt fast alles, solange sie sich nicht so ungeschickt verhält, dass ihr ein Rechtsmissbrauch anzulasten und nachzuweisen wäre. Auf diese Weise wird der Minderheit der Schutz durch eine materielle Beschlusskontrolle gerade dann weitgehend verwehrt, wenn sie diesen am dringendsten benötigt, nämlich beim Verlust ihrer Mitgliedschaft (Auflösung, Verschmelzung)119. b) Normative Bewertung: Gebot der Äquidistanz Bei der Entwicklung unseres Bewertungsmaßstabs haben wir gesehen, dass ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten einer der konfligierenden Seiten mit dem Gebot der Äquidistanz grundsätzlich nicht in Einklang zu bringen ist – wer die Interessen beider Seiten gleichrangig zu berücksichtigen hat, kann sich nicht durch das Postulat eines bestimmten Regelfalls mit einer der konfligierenden Seiten solidarisieren. Gleichwohl wäre es verfrüht, über die Position der herrschenden Meinung, die im Rahmen der treuepflichtgestützten Missbrauchskontrolle ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten der Mehrheitsseite zur Geltung bringt, das Verdikt der Äquidistanzwidrigkeit zu fällen. Denn das Gebot der Äquidistanz ist Ausfluss einer Prima-facie-Vermutung zugunsten der gleichrangigen Interessenberücksichtigung. Eine Prima-facie-Vermutung aber lässt sich erschüttern. aa) Positivrechtlicher Gesichtspunkt: das Mehrheitsprinzip Bei den Kapitalgesellschaften gilt kraft Gesetzes das Mehrheitsprinzip120. Ordnet der Gesetzgeber aber für die AG und die GmbH die Verbindlichkeit der Mehrheitsentscheidung an, so müsse es damit, so die denkbare Argumentation, im Regelfall auch sein Bewenden haben. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis in favore majoritatis wäre demnach Ausdruck und Konsequenz der positivrechtlichen 116
Bezzenberger, ZIP 2002, 1917, 1927; Timm, ZGR 1987, 403, 412 f. Allgemein BGHZ 12, 154, 160; siehe auch Schubert, in: MünchKomm/BGB, § 242 Rn. 84. 118 Bezzenberger, ZIP 2002, 1917, 1926 119 Zur Freistellung des Auflösungsbeschlusses oben A. II. 2.; zum Verschmelzungsbeschlusses oben bei Fn. 102. 120 Zum Mehrheitsprinzip ausführlich oben § 2. 117
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Entscheidung für das Mehrheitsprinzip121. Diese Argumentation verfängt nicht. Gegen sie spricht zunächst, dass der gegenteilige Schluss ebenso gut möglich wäre, unter allgemeinen Gerechtigkeitsgesichtspunkten sogar näher läge: Im Rahmen von Satzungs- und Strukturänderungen geht es um einen Konflikt zwischen den Veränderungsinteressen der Mehrheit und den Bewahrungsinteressen der Minderheit122. Der Gesetzgeber hat in diesem Konflikt durch die Normierung des Mehrheitsprinzips zunächst aber den Veränderungsinteressen der Mehrheit den Vorrang eingeräumt123. Entspräche es daher nicht einem Gebot ausgleichender Gerechtigkeit nun, bei der richterlichen Beschlusskontrolle, den Bewahrungsinteressen der Minderheit in Form einer weitgehenden Sachkontrolle wieder ein verstärktes Gewicht beizumessen? Gegen den Hinweis auf das gesetzliche Mehrheitsprinzip spricht weiter aber auch das positive Recht selbst: § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB ordnet an, dass Änderungen des Vereinszwecks der Zustimmung sämtlicher Vereinsmitglieder bedürfen. Die herrschende Meinung sieht darin einen allgemeinen verbandsrechtlichen Grundsatz normiert, dem zufolge Änderungen des Verbandszwecks nur wirksam sind, wenn sich damit alle Verbandsmitglieder einverstanden erklärt haben124. Vor diesem Hintergrund erweisen sich gesetzliche Regeln, welche den Gesellschaftszweck ändernde Entscheidungen wie die Liquidation125, den Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages126 oder die Verschmelzung127 durch Mehrheitsentscheid (§ 262 Abs. 1 Nr. 2 AktG, § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG, § 293 Abs. 1 AktG, §§ 65 Abs. 1, 50 Abs. 1 UmwG) zulassen, als Ausnahmeregeln. Gerade zweckändernde Beschlüsse, so die Fortführung dieses Gedankens, müssten daher engen materiellen Beschlussschranken unterworfen werden128. Wie so oft lässt sich also auch hier das Regel-Ausnahme-Verhältnis in sein Gegenteil verkehren, ohne dass sich eine hinreichend verlässliche Aussage treffen ließe, welcher denn nun der richtige Regelund welcher der richtige Ausnahmefall sei. Durch den Hinweis auf das gesetzliche Mehrheitsprinzip lässt sich die Prima-facie-Vermutung der Interessengleichgewichtung folglich nicht erschüttern. 121
So ursprünglich und in unerbittlicher Schärfe RGZ 68, 235, 245 f. (Hibernia). Oben § 1. 123 Oben § 2 A. 124 Pentz, in: MünchKomm/AktG, § 23 Rn. 70; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 4 II 3 a (S. 65); Zöllner, in: KölnKomm/AktG, § 179 Rn. 113; a. A. Sonnenberg, Gesellschaftszweck, S. 121 ff. m.w. N. 125 Zum zweckändernden Charakter des Auflösungsbeschlusses Bachmann, in: Spindler, Stilz, AktG, § 262 Rn. 5. 126 Der Zustimmungsbeschluss der abhängigen Gesellschaft zu einem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag wird überwiegend als zweckändernd eingestuft, vgl. Binnewies, Konzerneingangskontrolle, S. 268; Liebscher, in: MünchKomm/ GmbHG, Anh. § 13 Rn. 715. 127 Zum zweckändernden Charakter des Verschmelzungsbeschlusses der übertragenden Gesellschaft Schindler, Verschmelzungsbeschluss, S. 58 m.w. N. 128 Siehe Wiedemann, WM 2009, 1, 8. 122
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bb) Privatrechtstheoretischer Gesichtspunkt: die Richtigkeitsgewähr Ein anderer Versuch, das Regel-Ausnahme-Verhältnis in favore majoritatis abzustützen, verweist auf die Richtigkeitsgewähr privatautonomer Entscheidungen. Auch dem Beschluss komme als privatrechtliches Rechtsgeschäft eine solche Richtigkeitsgewähr zu. Daher – und auch wegen der Gefahr einer übermäßigen und nur schwer möglichen Kontrolle unternehmerischer Entscheidungen – habe man von der grundsätzlichen Legitimität und Rechtmäßigkeit der Mehrheitsentscheidung auszugehen129. Der Gedanke der Richtigkeitsgewähr wurde von Schmidt-Rimpler für den Vertragsschlussmechanismus entwickelt130. Dem abgeschlossenen Vertrag lässt sich eine Richtigkeitsgewähr im Sinne ethischer Gerechtigkeit und objektiver Zweckmäßigkeit dabei deshalb zusprechen, weil der vereinbarte Vertragsinhalt von allen Betroffenen gleichermaßen gewollt sein muss – ein Vertrag kommt bekanntlich nur durch beiderseitige Zustimmung zustande. Zu einem inhaltlich unangemessenen Vertrag wäre es daher, so der Grundgedanke, nicht gekommen, da die ihre eigenen Interessen verfolgende Partei sich auf einen solchen Vertragsschluss gar nicht erst eingelassen hätte. Aufgrund der allseitigen Zustimmung kann man bei der Beurteilung eines Vertrages also im Grundsatz davon ausgehen, dass dieser ein angemessenes und gerechtes Ergebnis verbürgt. Besinnt man sich auf diese Grundlage des Richtigkeitsgewährgedankens, erscheint seine Übertragung auf den kapitalgesellschaftsrechtlichen Mehrheitsbeschluss zunächst wenig berechtigt131. Denn dieser erheischt auch dann Verbindlichkeit, wenn ihm nicht alle davon Betroffenen zugestimmt haben; das Mehrheitsprinzip setzt sich über den entgegenstehenden Willen einzelner Normadressaten hinweg. Müsste man dem Mehrheitsbeschluss eine Richtigkeitsgewähr daher nicht gerade dezidiert absprechen und ihn folglich einer flächendeckenden materiellen Beschlusskontrolle unterwerfen? 132 Auch hier lässt sich also der zunächst aufgestellte Regelfall umkehren. Auch hier lässt sich kaum sagen, was richtig ist. Diesem Umstand trägt man am besten dadurch Rechnung, dass man Regel-Ausnahme-Verhältnissen zur Gänze entsagt. cc) Sozialpsychologischer Gesichtspunkt: die Linienstudien von Asch Die bisherigen Überlegungen werden bei einem knappen interdisziplinären Seitenblick bestätigt. Gruppenspezifische Prozessverluste sind seit langem ein 129
Deutlich K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 16 I 2 a (S. 451), § 16 II 4 (S. 461). Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 149 ff., 156 f., dort auch zum folgenden Text; vgl. zur „Theorie der Richtigkeitsgewähr“ und ihrer Entwicklung auch Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 51 ff. 131 Zu Versuchen, den Gedanken der Richtigkeitsgewähr gesellschaftsrechtlich anzupassen, unten § 11 B. VI. 132 So der Ansatz von Bachmann, Private Ordnung, S. 213. 130
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3. Teil: Die Reichweite einer materiellen Beschlusskontrolle
beliebter Forschungsgegenstand der Sozialpsychologie133. Besonders interessant sind in diesem Zusammenhang die Linienstudien von Asch134. In einem Versuch wurden den Teilnehmern zwei Karten gezeigt, eine mit einer einzigen Linie (Standardlinie), die andere mit drei Linien (Vergleichslinien 1, 2 und 3). Die Länge der Standardlinie entsprach unverkennbar der Länge der Vergleichslinie 2. Den Versuchsteilnehmern wurde nun die simple Frage gestellt: Welche Vergleichslinie ist ebenso lang wie die Standardlinie? Nachdem nun eingeweihte Versuchshelfer zunächst bewusst die falsche Antwort „Linie 1“ gegeben hatten, schlossen sich 76% der Versuchsteilnehmer dieser offensichtlich unrichtigen Antwort an. Belegt waren damit die große Bedeutung des Wunsches Einzelner nach Konformität in Gruppen und der hierfür ausschlaggebende sozial-normative Druck135. Könnte es sich im Gesellschaftsrecht nicht ähnlich verhalten? Stimmen Gesellschafter einer bestimmten Maßnahme vielleicht auch nur deswegen zu, weil viele andere es eben auch tun? Man kann daraus sicherlich nicht die Forderung nach einer judiziellen Richtigkeitskontrolle von Mehrheitsbeschlüssen ableiten, sollte den andernorts gewonnenen Einsichten aber zumindest dadurch Rechnung tragen, dass man der kapitalgesellschaftsrechtlichen Beschlusskontrolle kein Regel-Ausnahme-Verhältnis in favor majoritatis zugrundelegt, schwingt dabei doch unterschwellig immer ein wenig die unzutreffende Vorstellung mit, besonders viele Köpfe würden das Richtige schon treffen. 3. Fazit/Verrechnung von Gerechtigkeitsmaßstäben
Die Prima-facie-Vermutung für einen Interessengleichrang und damit gegen ein Regel-Ausnahme-Verhältnis lässt sich nach alledem nicht erschüttern. Die Unvereinbarkeit der Position der herrschenden Meinung mit dem Gebot der Äquidistanz steht damit fest: Das eine Mal, bei Sachgrund-Beschlussgegenständen, wird diesem Gebot zu Lasten der Gesellschaftermehrheit nicht Rechnung getragen. Das andere Mal, weil äquidistanzwidrig ein Regel-Ausnahme-Verhältnis in favore majoritatis postuliert wird, zu Lasten der Gesellschafterminderheit (treuepflichtgestützte Missbrauchskontrolle bei gesetzlich freigestellten Beschlussgegenständen). Eine wechselseitige Verrechnung kommt dabei nicht in Betracht: Der Gedanke „ein Zuviel an Minderheitenschutz hier gegen ein Zuwenig an Minderheitenschutz dort“ mutet doch etwas simpel an. Vor allem aber geht eine beschlussübergreifende Quersubventionierung von Gerechtigkeitsmaßstäben schon vom Ansatz her fehl – Gerechtigkeit erscheint doch als eine Kategorie, die einer solchen Verrechnung per se nicht zugänglich ist. Seine rechtspraktische Bestätigung findet dies in dem Umstand, dass sich Art und Häufigkeit der ergriffenen Maßnahmen von Gesellschaft zu Gesellschaft stark unterscheiden: Dem maßgeb133 134 135
Vgl. Aronson/Wilson/Akert, Sozialpsychologie, S. 334. Dazu Aronson/Wilson/Akert, Sozialpsychologie, S. 270 f. Aronson/Wilson/Akert, Sozialpsychologie, S. 270 f.
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lich beteiligten Gesellschafter einer GmbH, der seine Mitgliedschaft infolge einer vom Mehrheitsgesellschafter betriebenen „übertragenden Auflösung“ zu verlieren droht, nützt es wenig, dass etwa beim Bezugsrechtsausschluss in Form des Sachgrunderfordernisses ein gesteigerter Minderheitenschutz besteht. Umgekehrt kann die große börsennotierte Aktiengesellschaft, die das Instrument des Bezugsrechtsausschlusses zur Unternehmensfinanzierung oder zur Erbringung der Gegenleistung im Rahmen eines Beteiligungserwerbes einsetzten möchte, von der größeren Gestaltungsfreiheit bei anderen freigestellten Beschlussgegenständen (Auflösung, Verschmelzung) kaum profitieren. Das Prädikat der Sachgerechtigkeit kann der herrschenden Meinung demnach nicht ausgestellt werden. Fragen wir uns als Nächstes, wie es um das Regelungsziel der Systemgerechtigkeit bestellt ist. IV. Systematik 1. Die kapitalgesellschaftsrechtliche Gestaltungsvielfalt
Das Kapitalgesellschaftsrecht stellt gerade im Bereich der Strukturänderungen zur Erreichung eines wirtschaftlichen Ziels eine Vielzahl rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung; ein und dasselbe Ziel kann demnach auf ganz verschiedenen Wegen angestrebt werden. So kann beispielsweise eine bedeutend an einer GmbH beteiligte Handelsgesellschaft, die den Einfluss gering beteiligter Minderheitsgesellschafter reduzieren möchte, zur Erreichung dieses einen Ziels eine Vielzahl unterschiedlicher rechtlicher Maßnahmen ergreifen. Sie kann zunächst versuchen, den Weg einer Kapitalerhöhung unter Ausschluss des Bezugsrechts der Minderheitsgesellschafter zu gehen136. In Betracht zu ziehen wäre weiter ein Formwechsel der Gesellschaft in eine AG (§§ 190 ff. UmwG) mit einem sich daran anschließenden Zwangsausschluss der Kleinaktionäre (§§ 327a ff. AktG) oder einer Mehrheitseingliederung (§ 320 b AktG). Auch an eine Verschmelzung der GmbH auf den Mehrheitsgesellschafter oder an den Abschluss eines Beherrschungsvertrags mit dem Mehrheitsgesellschafter wäre zu denken137: Bei der mit 3/4-Mehrheit möglichen Verschmelzung (§ 50 Abs. 1 UmwG) wäre das Problem von Minderheitsgesellschaftern jedenfalls in der GmbH gelöst138. 136 Vgl. zur rechtstechnischen Ausgestaltung des Gesellschafterschutz bei der Kapitalerhöhung im GmbH-Recht M. Winter, Treubindungen, S. 264 ff. mit umfassenden Nachweisen zum Streitstand; monographisch Heitsch, Das Bezugsrecht der Gesellschafter der GmbH bei Kapitalerhöhungen (1996). 137 Dieser Weg ist freilich nur dann erwägenswert, wenn man dafür in Anlehnung an § 50 Abs. 1 UmwG eine 3/4-Mehrheit genügen lässt, so Lutter/Hommelhoff, in: Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, Anh. § 13 Rn. 52, 65 f.; Koerfer/Selzner, GmbHR 1997, 285, 287 ff.; a. A. etwa Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, Anh. § 13 Rn. 40; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Kommentar Konzernrecht, § 293 Rn. 43a. 138 Die Minderheitsgesellschafter der übertragenden GmbH werden dann freilich Gesellschafter der übernehmenden Gesellschaft (§ 20 I Nr. 3 UmwG).
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3. Teil: Die Reichweite einer materiellen Beschlusskontrolle
Durch Abschluss eines Beherrschungsvertrages erhielte der Mehrheitsgesellschafter ein direktes139 Weisungsrecht gegenüber der abhängigen GmbH (vgl. § 308 AktG); der Einfluss der Minderheitsgesellschafter über die und in der Gesellschafterversammlung wäre damit reduziert. Die Praxis setzt hier mitunter auf die (verfassungs-)rechtlich zulässige „übertragende Auflösung“, bei der die GmbH mit 3/4-Mehrheit (§ 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG) aufgelöst und das von ihr betriebene Unternehmen im Rahmen der Liquidation an den Mehrheitsgesellschafter veräußert wird140. Ein weiteres Beispiel für die kapitalgesellschaftsrechtliche Gestaltungsvielfalt bildet auch und gerade der „Kali & Salz“-Fall141: Der Mehrheitsgesellschafter der Salzdetfurth AG, die Wintershall AG, strebte dort eine Vereinigung der Salzdetfurth AG mit der Kali & Salz AG an. Hierfür wurde der Weg einer Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss und Sacheinlage gegangen. Genauso gut hätte die Kali & Salz AG auf die Salzdetfurth AG verschmolzen werden können oder Letzterer der Erwerb des von der Kali & Salz AG betriebenen Unternehmens im Zuge eines Liquidationsverfahrens ermöglicht werden können. Auch hier standen zur Erreichung eines wirtschaftlichen Zieles also mehrere rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung. 2. Der kapitalgesellschaftsrechtliche Harmonisierungsgrundsatz
a) Grundlagen Angesichts dieser weitgehenden Austauschbarkeit der rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten zur Erreichung des gleichen wirtschaftlichen Ziels entspricht es einem Gebot der Systemgerechtigkeit, die verschiedenen Beschlussgegenstände den gleichen materiellen Anforderungen zu unterwerfen (Harmonisierungsgrundsatz). Dieses Gebot hat mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG und das Gebot der Widerspruchfreiheit und Systemgerechtigkeit der Rechtsordnung auch verfassungsrechtliche Relevanz142. Es ergibt sich aber jedenfalls auf einfach-rechtlicher Ebene aus dem Erfordernis einer systematischen Auslegung und systemgerechten Rechtsfortbildung143. Teleologisch soll es vor allem Umgehungsgefahren entgegenwirken144. Würde man nur einzelne Beschlussgegenstände einer Sach139 Der unter Umständen mühsame Weg über die Gesellschafterversammlung kann also „abgekürzt“ werden, siehe K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 39 II 3 c (S. 1218). 140 Zur (verfassungs-)rechtlichen Zulässigkeit BVerfG ZIP 2000, 1670 (Moto Meter); aus dem Schrifttum etwa Stein, in: MünchKomm/AktG, § 179a Rn. 73 ff. m.w. N.; zu den verschiedenen Spielarten der übertragenden Auflösung Mülbert, in: FS Ulmer, S. 433, 436 f.; siehe zudem Habersack, ZIP 2001, 1230, 1231. 141 BGHZ 71, 40; zum Entscheidungssachverhalt ausführlich oben § 5 A. I. 142 Vgl. BVerfGE 98, 93; 98, 106; Bumke, Der Staat 49 (2010), 77, 96 f.; Klöhn, Abfindungsansprüche, S. 18 ff. 143 Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 165 ff., 324 ff., 366 ff., 437 ff. 144 Siehe auch Timm, ZGR 1987, 403, 416 ff.
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kontrolle unterwerfen, andere dagegen nicht, stünde der Gesellschaftermehrheit – in den vielzitieren Worten Wiedemanns – „sonst immer noch ein Instrument zur Verfügung, um dissentierende Gesellschafter gefügig zu machen; die Ermessensfreiheit hinsichtlich einer Maßnahme kann zu Umwegspressionen benutzt werden.“ 145 Dieser Umgehungsschutz ist gerade deshalb von besonderer Wichtigkeit, weil es der Bundesgerichtshof in der „Linotype“-Entscheidung abgelehnt hat, ein allgemeines Umgehungsverbot hinsichtlich der verschiedenen Strukturmaßnahmen aufzustellen146. Neben dem Umgehungsschutz hat das beschlussmängelrechtliche Gebot der Systemgerechtigkeit aber auch eine klar minderheitenschützende Zielrichtung. Denn für einen Minderheitsgesellschafter, der seine Mitgliedschaft verliert, ist es weitgehend gleichgültig, ob der Verlust infolge einer Liquidation, einer Verschmelzung oder auf andere Weise eintritt. Auch der Bezugsrechtsausschluss als „Gesellschafterausschluss auf Raten“ 147 unterscheidet sich insofern nur graduell von anderen Ausschlusstechniken. Und bei einem Zusammenschluss zwischen einer Gesellschaft A und einer Gesellschaft B ist es hinsichtlich der Beeinträchtigung der Rechtsstellung der Gesellschafter der B (Absinken der relativen Beteiligungsquote, Anteilsverwässerung) einerlei, ob die A ein Unternehmen in die B einbringt und dafür im Wege einer Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss geschaffene Anteile an der A erhält, oder ob die B auf die A verschmolzen wird und die Gesellschafter der B dafür an der A beteiligt werden148. Die stets ähnliche bzw. sogar gleichliegende Belastung in diesen Fällen gebietet es, an die verschiedenen Beschlussgegenstände die gleichen materiellen Anforderungen zu stellen. b) Anerkennungsbasis Dieser Harmonisierungsgrundsatz ist im Kapitalgesellschaftsrecht umfassend anerkannt. Jede Instanz, die den gesellschaftsrechtlichen Mehrheits-/Minderheitskonflikt auf die eine oder andere Weise beeinflusst, bekennt sich zu ihm: (1) Was den Gesetzgeber betrifft, kann zunächst auf die beschlussmängelrechtliche Norm des § 243 Abs. 2 AktG verwiesen werden, die bei allen Beschlussgegenständen in prinzipiell gleicher Weise Geltung beansprucht149. Weiter verdient die Vorschrift des § 179a AktG, die bei einer Gesamtvermögensveräußerung eine Hauptversammlungszuständigkeit samt qualifiziertem Mehrheitserfordernis sowie In145
Wiedemann, ZGR 1980, 147, 157. BGHZ 103, 184, 191 f. 147 Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 31. 148 Siehe Bayer, ZHR 163 (1995), 505, 528. 149 Die Anordnung der Nichtgeltung des § 243 II AktG, die an einigen Stellen anzutreffen ist (vgl. §§ 304 III 2, 320b II 1, 327f S. 1 AktG) ändert daran nichts, denn sie ist dem Umstand geschuldet, dass in diesen Fällen der auch von § 243 II 2 AktG geforderte vermögensmäßige Ausgleich von anderen im Spruchverfahren überprüfbaren Normen gewährleistet wird, vgl. Würthwein, in: Spindler/Stilz, § 243 Rn. 210 ff. 146
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formationspflichten statuiert, Beachtung. Die Norm entspringt letztlich, wie bereits der Wortlaut („ohne daß die Übertragung unter die Vorschriften des Umwandlungsgesetzes fällt“) zu erkennen gibt, der zutreffenden Einsicht, dass sich Vermögensübertragungen außerhalb und innerhalb des UmwG hinsichtlich der Rechtsbeeinträchtigung der Aktionäre nur unwesentlich voneinander unterscheiden und daher auch ähnlichen rechtlichen Anforderungen (Zuständigkeit der Hauptversammlung, qualifiziertes Mehrheitserfordernis, Aktionärsinformation) unterliegen sollen150. Interessant ist in diesem Zusammenhang die gesetzgeberische Begründung für die im Rahmen der Umwandlungsrechtsreform vorgenommene Anpassung der Vorschriften des Aktienvertragskonzernrechts an den verschmelzungsrechtlichen Schutzstandard: „Der vorliegende Entwurf würde sich dem Vorwurf aussetzen, er habe die dargestellte wirtschaftliche und rechtliche Vergleichbarkeit der beiden Rechtsinstitute nicht berücksichtigt, wenn er die Schutzmaßnahmen, die im Falle einer Umwandlung für die Aktionäre bestehen, nicht auch im Recht des Vertragskonzerns vorsehen würde“ 151. Von besonderer Bedeutung ist weiter die Erklärung des Gesetzgebers dafür, warum er auf eine Regelung zur materiellen Beschlusskontrolle verzichtete: Der Gesetzgeber verweist darauf, dass es ausgeschlossen erscheine, „dieses Grundsatzproblem des Gesellschaftsrechts nur für den besonderen Fall der Verschmelzung, also nicht allgemein für alle wichtigen Beschlüsse von Anteilseignern zu regeln.“ 152 Man deutet diese Passage nicht falsch, wenn man sie dahingehend interpretiert, dass der Gesetzgeber eine einheitliche Lösung hinsichtlich des Anwendungsbereichs des Sachgrunderfordernisses präferiert, eine Lösung also, die bei allen Satzungsund Strukturänderungen in prinzipiell gleicher Weise Geltung beansprucht. (2) Aus der Rechtsprechung lässt sich die „Holzmann“-Entscheidung des Bundesgerichtshofs als Beleg für die Anerkennung des Harmonisierungsgrundsatzes anführen. Der zweite Zivilsenat überträgt in dieser Entscheidung die „Kali & Salz“Grundsätze zum Bezugsrechtsausschluss im Rahmen einer ordentlichen Kapitalerhöhung auf den Bezugsrechtsausschluss im Rahmen des genehmigten Kapitals, „denn der Eingriff in die mitgliedschaftliche Stellung der vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Aktionäre, um dessentwillen eine besondere sachliche Rechtfertigung notwendig ist, wiegt nicht minder schwer, wenn anstelle der Hauptversammlung die Verwaltung über den Ausschluß des Bezugsrechts entscheidet.“ 153 Dies lässt sich verallgemeinern. (3) Aus der Rechtswissenschaft sei zunächst das Stichwort „Konzernbildungskontrolle“ genannt. Wie gesehen, bedarf nach herrschender Lehre jeder Beschluss, der die Abhängigkeit der Gesellschaft begründet, 150
Vgl. Hüffer, AktG, § 179a Rn. 6. BT-Drucks. 12/6669, Begr. zu §§ 293a ff. AktG, S. 178, abgedruckt bei Limmer, Umwandlungsrecht, S. 373. 152 BT-Drucks. 12/6699, Begr. zu § 13 UmwG, S. 86, abgedruckt bei Ganske, Umwandlungsrecht, S. 61. 153 BGHZ 83, 319, 321. 151
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sachlicher Rechtfertigung. Zur Begründung verweist die herrschende Meinung auf eben jenen Harmonisierungsgrundsatz: Weil es aus Sicht der Gesellschaft und ihrer Außenseiter keine Rolle spiele, auf welchem Weg die Gesellschaft in Abhängigkeit gerate (Übertragungszustimmung, Wettbewerbsverbotsbefreiung, Bezugsrechtsausschluss etc.), müsse ausnahmslos jeder abhängigkeitsbegründende Beschluss sachlich gerechtfertigt werden154. Es sind keine Gründe ersichtlich, dieses Argument nicht auch außerhalb des Konzernrechts gelten zu lassen. Die Aufmerksamkeit sei ferner auf die besonders hitzig geführte Debatte um die „Ausstrahlungswirkung des UmwG“ gelenkt155. Die Befürworter einer solchen Ausstrahlungswirkung plädieren unter Berufung auf das Gebot der Systemgerechtigkeit entschieden dafür, die auf Umwandlungen i. S. d. § 1 Abs. 1 UmwG (sog. technische Umwandlungen) bezogenen Normen und Wertungen des UmwG auf gleichgelagerte Transaktionen außerhalb des UmwG (sog. wirtschaftliche Umwandlungen) zu übertragen156. Wer sich dem verweigerte157, sah sich dem Vorwurf der Begriffsjuristerei und des Verfassungsbruchs ausgesetzt158. Auch daran zeigt sich der hohe Stellenwert, welcher dem Harmonisierungsgrundsatz zukommt. (4) Eine unterschiedliche normative Behandlung wirtschaftlich austauschbarer Maßnahmen kann aus Sicht der einzelnen Gesellschaft weiter dazu führen, dass auf eine für die Gesellschaft an sich passende und von ihr präferierte Maßnahme allein deshalb verzichtet und auf eine andere Maßnahme ausgewichen wird, weil bei Letzterer geringere rechtliche Anforderungen zu beachten sind. Mit anderen Worten: eine normative Ungleichbehandlung verschiedener Maßnahmen birgt in ökonomischer Hinsicht die Gefahr einer ineffizienten institutionellen Ausgestaltung159. (5) In rechtspraktischer Hinsicht gilt es zu beachten, dass die verschiedenen rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten in der Praxis häufig kombiniert eingesetzt werden. Der Fall eines Formwechsels einer GmbH in eine AG mit anschließendem Zwangsausschluss der Aktionäre oder Mehrheitseingliederung wurde bereits erwähnt. Häufig kommt es auch vor, dass eine Umwandlungsmaßnahme mit einer bezugsrechtsfreien Kapitalerhöhung (vgl. § 69 UmwG) verbunden ist160. Eine isolierte rechtliche Prüfung einer bestimmten, dem Sachgrunderfordernis unterliegenden Maßnahme ohne Berücksichtigung
154 Klar ausgesprochen von Binnewies, Konzerneingangskontrolle, S. 236; siehe auch Liebscher, Konzernbildungskontrolle, S. 286 sowie die Nachweise oben A. I. 1. b). 155 Vgl. dazu Klöhn, Abfindungsansprüche, S. 61 ff. mit umfassenden Nachweisen. 156 Monographisch insbesondere Leinekugel, Die Ausstrahlungswirkung des Umwandlungsgesetzes (2000). 157 Monographisch namentlich Schnorbus, Gestaltungsfreiheit im Umwandlungsrecht (2001). 158 Vgl. Veil, EWiR 1997, 1111, 1112; Leinekugel, Ausstrahlungswirkung, S. 216 ff. 159 Vgl. auch – sub specie der Standortwahl und der europarechtlichen Diskussion um den Höchstnormcharakter der Kapital-RL – Kindler, ZHR 195 (1994), 339, 353 f. 160 Siehe Hommelhoff, ZGR 1993, 452, 459.
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und Einbeziehung des ggf. freigestellten Maßnahmenbündels, in das sie integriert ist, erscheint dabei nicht möglich, geschweige denn angängig161. 3. Systemwidrigkeit eines differenzierenden Ansatzes
Wenn die herrschende Meinung bei den verschiedenen Beschlussgegenständen unterschiedliche Kontrollmaßstäbe anlegt, nämlich einerseits eine engmaschige Kontrolle bei den dem Sachgrunderfordernis unterliegenden Beschlussgegenständen und andererseits eine bloße Missbrauchskontrolle bei den gesetzlich vorgeprägten Beschlussgegenständen, so setzt sie sich über all das vorstehend Gesagte hinweg; kurz gefasst: Die nach verschiedenen Beschlussgegenständen differenzierende Position der herrschenden Meinung widerspricht dem ansonsten im Kapitalgesellschaftsrecht so breitflächig anerkannten Harmonisierungsgrundsatz. Es muss daher schon ein wenig überraschen, dass die nach verschiedenen Beschlussgegenständen differenzierende Position der herrschenden Meinung im Bereich der materiellen Beschlusskontrolle recht geräuschlos akzeptiert wurde, zumal hier – anders als im Rahmen der „Ausstrahlungsdebatte“ 162 – die Gesetzesmaterialien eindeutig für eine einheitliche Lösung sprechen. Ein rechtfertigender Grund für die unterschiedliche rechtliche Behandlung der einzelnen Beschlussgegenstände in einem so gewichtigen Punkt wie demjenigen der materiellen Beschlussanforderungen lässt sich nicht ausmachen163. Insbesondere die Sonderstellung, die man dem Auflösungsbeschluss unter Hinweis auf die Desinvestitionsfreiheit oder das hohe Gut der Vertragsbeendigungsfreiheit immer wieder eingeräumt hat164, erscheint zunehmend weniger gerechtfertigt. Denn der Auflösungsbeschluss tritt in der Praxis heute häufig als Transaktionsbaustein bei wirtschaftlichen Umwandlungen außerhalb des UmwG und insbesondere bei der „übertragenden Auflösung“ in Erscheinung165. Selten geht es dabei aber um „echte“ Desinvestition und Vertragsbeendigung im eigentlichen und strengen Sinne des Wortes als vielmehr um wirtschaftliche Transaktionen, die sich – wie etwa bei der „übertragenden Auflösung“ – gerade gegen die Gesellschafterminderheit richten können. Es ist daher an der Kritik der Systemwidrigkeit eines nach verschiedenen Beschlussgegenständen differenzierenden Ansatzes festzuhalten. Das Verdikt der Systemwidrigkeit betrifft jedoch nicht nur die kapital161
So wohl auch Hommelhoff, ZGR 1993, 452, 459. Dort geben die Gesetzesmaterialien kein ganz eindeutiges Bild ab, vgl. Klöhn, Abfindungsansprüche, S. 69 ff. 163 Siehe auch Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 313; Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 111 f. 164 BGHZ 103, 184, 190 f. (Linotype); Ulmer, in: FS Möhring, S. 301 ff.; M. Winter, Treubindungen, S. 156 ff., der zusätzlich auf die Gesetzessystematik (§§ 60 Nr. 2, 61 GmbHG) und die minderheitsschützende Funktion der gesetzlichen Liquidationsvorschriften abstellt. 165 Vgl. Leinekugel, Ausstrahlungswirkung, S. 17 ff.; Schnorbus, Gestaltungsfreiheit, S. 30 ff. 162
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gesellschaftsrechtliche Ebene, sondern auch, wie als Nächstes zu zeigen ist, die privatrechtsdogmatische Ebene. V. Privatrechtliche Kontrolldogmatik 1. Autonomer Ausgangspunkt
Wie oben beschrieben, lässt sich das Sachgrunderfordernis im Ausgangspunkt gut auf der Basis des autonomen Regelungsansatzes, der die sich im Beschluss verwirklichende Selbstbestimmung der Gesellschaft und ihrer Organe hervorhebt, deuten166. a) Punktuelles Kontrollinstrument Dem autonomen Ansatz steht bei der Kontrolle von Rechtsgeschäften zunächst ein punktuelles Kontrollinstrument zur Verfügung. Das punktuelle Kontrollinstrument versagt einer bestimmten rechtsgeschäftlichen Vereinbarung bzw. Maßnahme aufgrund ihrer besonderen Gefährlichkeit die Wirksamkeit bzw. unterstellt sie einer richterlichen Kontrolle, lässt die Privatautonomie im Übrigen aber unangetastet167. Ein Beispiel hierfür ist die bürgerlich-rechtliche Vorschrift des § 276 Abs. 2 BGB (Ausschluss [nur] der Haftungsfreizeichnung für Vorsatz) oder des § 343 Abs. 1 BGB, welche die für den Vertragspartner besonders gefährliche Vereinbarung einer Vertragsstrafe, aber eben nur diese einer judiziellen Angemessenheitskontrolle unterwirft. Konform mit der privatautonomen Kontrolldogmatik wäre man dabei gegangen, wenn man das Sachgrunderfordernis als ein solches punktuelles Kontrollinstrument konzipiert hätte, will heißen: Das Sachgrunderfordernis knüpft an die speziell von einem Bezugsrechtsausschluss ausgehende besondere Gefährdung und Belastung der ausgeschlossenen Aktionäre an und unterwirft daher auch allein diesen Beschlussgegenstand sachlichem Rechtfertigungszwang; im Übrigen bleibt die Gestaltungsfreiheit gewahrt. Der inneren Logik des Sachgrunderfordernisses aber widersprach eine solche Beschränkung168. Dem Sachgrunderfordernis war von seinen Begründern eine erhebliche Eigendynamik mit auf den Weg gegeben, ihm wohnte eine Verallgemeinerungstendenz inne: Das Kriterium des „Eingriffs in die Mitgliedschaft“, auf dem das Sachgrunderfordernis gründete169, 166
Oben § 6 I. I. Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 12 f., 27 f.; dort auch zum folgenden Text und mit weiteren Beispielen. 168 Zutreffend Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 313: „Läßt man sich überhaupt auf die Sachkontrolle ein, liegt es in der Logik dieses Instituts, daß diese Kontrolle sukzessive auf (fast) alle Beschlüsse auszudehnen ist.“ 169 BGHZ 71, 40, 44 (Kali & Salz); Füchsel, Bezugsrechtsausschluss, S. 95 ff., 106 ff. 167
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verlangte nach einer Übertragung auf weitere Beschlussgegenstände. Schließlich sieht sich die Gesellschafterminderheit nicht nur beim Bezugsrechtsausschluss, sondern auch bei zahlreichen anderen Beschlussgegenständen (Auflösung, Verschmelzung etc.) erheblichen Beeinträchtigungen ihrer mitgliedschaftlichen Rechtsstellung ausgesetzt. Diesem dem Sachgrunderfordernis innewohnenden Verallgemeinerungsstreben gibt die herrschende Meinung nach, wenn und indem sie – der erste Prüfungsschritt – den Satz, wonach Eingriffe in die Mitgliedschaftsrechte der Minderheit unter dem Vorbehalt ihrer Verhältnismäßigkeit stehen, zu einem „allgemeinen Prinzip“ erhebt170. Damit aber war es mit der gegenständlich-punktuellen Einschränkung der Privatautonomie speziell beim Bezugsrechtsausschluss vorbei; das Sachgrunderfordernis nahm den Charakter einer gegenständlich-generellen Einschränkung der Gestaltungsfreiheit an. Auf diese Weise wurde das Sachgrunderfordernis zum kapitalgesellschaftsrechtlichen Pendant der zivilrechtlichen Vertragsinhaltskontrolle171, bei der es sich ebenfalls um eine generelle Einschränkung der Vertragsfreiheit handelt, die bei prinzipiell jedem Vertragstypus zur Anwendung gelangen kann172. b) Kontrollinstrument der Inhaltskontrolle Als Rechtsinstitut der privatrechtsdogmatischen Kategorie der Inhaltskontrolle war das Sachgrunderfordernis von Anbeginn an zum Scheitern verurteilt: Die Inhaltskontrolle knüpft nicht an die Unangemessenheit einer bestimmten rechtsgeschäftlichen Gestaltung an, sondern sucht nach übergeordneten, verallgemeinerungsfähigen Kriterien, die eine Kontrolle rechtsgeschäftlichen Handelns rechtfertigen173. Ist dieses verallgemeinerungsfähige Kriterium gefunden, so unterliegt jedes Rechtsgeschäft, bei dem das Vorliegen dieses Kriteriums zu bejahen ist, der Inhaltskontrolle. Die Inhaltskontrolle ist mithin tatbestandlich-punktuell, weil nur in besonderen Konstellationen das Kriterium der Inhaltskontrolle (bei Verträgen: gestörte Vertragsparität) zu bejahen ist. Die Inhaltskontrolle ist aber gegenständlich-generell, da sie bei allen Vertragstypen gleichermaßen zur Anwendung gelangen kann. Am Beispiel der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle verdeutlicht: Die Inhaltskontrolle entsprechender Vereinbarungen gründet hier nicht auf der Unangemessenheit einer einzelnen rechtsgeschäftlichen AGB-Vereinbarung, sondern findet ihre Rechtfertigung außerhalb der Unangemessenheit einer einzelnen Klausel, nämlich in der Verwendung vorformulierter Vertragsbedin170
Vgl. deutlich Lutter, ZGR 1979, 401, 411; ausführliche Nachweise oben A. I.
1. a). 171 Vgl. G. H. Roth, in: MünchKomm/BGB, 5. Aufl. 2007, § 242 Rn. 431 ff., 438 ff., der die materielle Beschlusskontrolle – zumindest darstellerisch – als einen Anwendungsfall der Inhaltskontrolle versteht. 172 Siehe Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 12 f. 173 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 9 ff.
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gungen, welche die Gefahr einer einseitigen Durchsetzung der Interessen des Verwenders birgt174. Wird ein Vertrag sodann unter Verwendung allgemeiner Geschäftsbedingungen geschlossen, unterliegen diese Vereinbarungen allein deshalb einer richterlichen Inhaltskontrolle, ganz egal, um welchen Vertragstypus (Kauf, Werkvertrag, Bürgschaft) es sich handelt (vgl. § 307 BGB). Richtet man den Blick nun auf das kapitalgesellschaftsrechtliche Sachgrunderfordernis, wird man feststellen, dass es mit den dogmatischen Grundsätzen der Inhaltskontrolle nicht in Einklang steht. Denn Aufgreifkriterium des Sachgrunderfordernisses ist der „Eingriff in die Mitgliedschaft“. Damit aber wird im Widerspruch zur Dogmatik der Inhaltskontrolle an die von einer bestimmten rechtsgeschäftlichen Maßnahme ausgehende Belastung angeknüpft. Die Beschlusskontrolle anhand des Sachgrunderfordernisses basiert also gerade nicht auf einem von der konkreten Beschlussmaßnahme unabhängigen Gesichtspunkt. Das Kriterium des „Eingriffs in die Mitgliedschaft“ liegt nicht – wie das AGB-Kriterium „vorformulierte Vertragsbedingungen“ – außerhalb der Unangemessenheit des jeweiligen Beschlussgegenstandes, sondern gerade innerhalb desselben. Der Widerspruch zur zivilrechtlichen Vertragsinhaltskontrolle war damit programmiert: Während Verträge nur in besonderen tatbestandlichen Konstellationen (Verwendung vorformulierter Vertragsbedingungen; ausnahmsweise gestörte Vertragsparität) einer Inhaltskontrolle unterliegen, musste das Sachgrunderfordernis mit seinem Eingriffskriterium dazu führen, dass die von ihm erfassten Beschlussgegenstände einer flächendeckenden judiziellen Angemessenheitskontrolle unterliegen175. Denn die tatbestandliche Voraussetzung des Sachgrunderfordernisses, der generalisierend beurteilte Eingriff in die Mitgliedschaft, ist bei zahlreichen Beschlussgegenständen durchweg zu bejahen176. Nicht tatbestandliche Punktualität, wie es allein dem autonomen Regelungsinstrument der Inhaltskontrolle entspräche, sondern tatbestandliche Generalität lautete also das Motto des Sachgrunderfordernisses. 2. Heteronomer Regelungsumschlag
Auf diesen Systembruch hätte man mit einer Neubesinnung über das Aufgreifkriterium der Beschlusskontrolle reagieren können. Diesen Weg hat die herrschende Meinung nicht beschritten. Sie nahm stattdessen den Widerspruch zur zivilrechtlichen Inhaltskontrolle in Kauf, verließ dann aber das dogmatische Minenfeld der autonomen Inhaltskontrolle in Richtung der heteronomen Kontrollinstrumente, genauer: des heteronomen Kontrollinstruments der Ausübungskontrolle, in deren Rahmen herkömmlicherweise lediglich der Maßstab des Rechts174 Siehe zum Schutzzweck der AGB-Kontrolle Ulmer/Habersack, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, Einl. Rn. 47 f. 175 Fastrich, Funktionales Rechtsdenken, S. 18 f.; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 55. 176 Oben A. I. 1. a).
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missbrauchs angelegt wird177. Rechtstechnisch wird dies durch das zweite Element der Prüfungsformel der herrschenden Meinung, den Ausschluss der Sachkontrolle bei gesetzlicher Freistellung, bewerkstelligt178. Die Unvereinbarkeit der kapitalgesellschaftsrechtlichen Beschlusskontrolle mit der zivilrechtlichen Rechtsgeschäftskontrolle lässt sich auf diese Weise indes nicht beheben. Denn der zweistufige Prüfungsansatz führt dazu, dass einige Beschlussgegenstände einer engmaschigen judiziellen Kontrolle unterliegen, andere sich dagegen lediglich einer Kontrolle mit einem deutlich abgeschwächten Kontrollmaßstab (Rechtsmissbrauch) zu stellen haben Dem bürgerlichen Recht aber ist es fremd, dass einige Vertragstypen generell einer engmaschigen richterlichen Angemessenheitskontrolle unterliegen, während andere Vertragstypen von materiellen Anforderungen weitgehend freigestellt sind. Kritisch zu sehen ist weiter auch der von der herrschenden Meinung praktizierte dogmatische Umschlag vom autonomen Regelungsinstrument der Inhaltskontrolle zum heteronomen Regelungsinstrument der Ausübungskontrolle. Ob man die materielle Beschlusskontrolle autonom oder heteronom konzipiert, hängt maßgeblich vom privatrechtsdogmatischen Vorverständnis ab – und dabei konkret davon ab, ob man den Beschluss mehr als Ausdruck der Selbstbestimmung der Gesellschaft bzw. der Gesellschafterversammlung versteht, oder das zivilistische Ideal der Individualzustimmung für so bedeutend hält, dass man jedes Rechtsgeschäft, welches – wie der Mehrheitsbeschluss – diesbezüglich Defizite aufweist, als kontrollbedürftige Fremdbestimmung wertet179. Im Grunde genommen sollte diese Entscheidung daher auch einheitlich ausfallen. Die von der herrschenden Meinung zugrunde gelegte gemischt autonom-heteronome Konzeption steht hierzu konträr. Eine ähnliche Spaltungslösung lässt sich schließlich auf einer weiteren Ebene feststellen: der rechtstheoretischen Ebene. Hiermit haben wir uns als Nächstes zu beschäftigen. VI. Rechtstheoretischer Standort: Primär- und Sekundärebene 1. Der Standortwechsel von der Primär- zur Sekundärebene
Das Sachgrunderfordernis ist kein sekundärrechtliches, sondern ein primärrechtliches Institut; es ist nicht auf der konkreten Fallebene, sondern auf der Gesetzesebene als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der jeweiligen gesetzlichen Beschlusskompetenznorm angesiedelt180. An diesem Rechtsinstitut hält die herr177 Siehe zum Missbrauchsmaßstab der Ausübungskontrolle Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 24 f.; Pfeifer, Inhaltskontrolle, S. 92 f.; Schubert, in: MünchKomm/BGB, § 242 Rn. 235 ff. 178 Oben A. I. 1. a). 179 Vgl. einerseits Fastrich, in: FS Kreutz, S. 585, 590 ff. (autonomer Ansatz) und andererseits Bachmann, Private Ordnung, S. 172 ff., 208 ff., insb. 213 (heteronomer Ansatz). 180 Oben § 6 G.
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schende Meinung fest, wenn sie es im Grundsatz bei jedem Beschlussgegenstand zur Anwendung bringen will, mit dem sich ein schwerer Eingriff in die Mitgliedschaft verbindet181. Rechtstatsächliches Leitbild dieses Rechtsinstituts im Speziellen und materieller Beschlussschranken im Allgemeinen war der Bezugsrechtsausschluss zugunsten des Mehrheitsgesellschafters bzw. der Mehrheitsgruppe, die ihren Einfluss einseitig zu Lasten und auf Kosten der Gesellschafterminderheit ausbaut182. Dies reicht bis in die 20er und 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurück, als der Bezugsrechtsausschluss in einer von starken Konzentrationsbewegungen gekennzeichneten Zeit, die weder ein gesetzliches Konzern- noch Kapitalmarktrecht kannte, das Mittel in den Händen einer sich häufig missbräuchlich und rücksichtslos verhaltenden Mehrheit war, um sich die Macht in der Korporation zu sichern183. Löst man sich von diesem, der modernen Kapitalmarktwirtschaft wohl nicht mehr gerecht werdenden Leitbild und Lebensgeschehen184, wird der Blick frei für die zahlreichen Kritikpunkte, die sich am Sachgrunderfordernis formulieren lassen185. Auch die herrschende Meinung tendiert abseits des – historisch belasteten – Bezugsrechtsausschlusses zu dieser kritischen Sichtweise. Diese kritische Haltung gegenüber dem Sachgrunderfordernis offenbart sich in dem von ihr befürworteten gegenständlich beschränkten Anwendungsbereich des Sachgrunderfordernisses. Diese gegenständliche Beschränkung der Reichweite des Sachgrunderfordernisses erreicht die herrschende Meinung durch einen rechtstheoretischen Standortwechsel von der Primär- zur Sekundärebene: War die Rechtsprechung eben, insbesondere also beim Bezugsrechtsausschluss, noch dazu gehalten, die Gesetzesebene kraft richterlicher Rechtsfortbildung zu ergänzen (Primärebene), so wird sie nun, bei den gesetzlich freigestellten Beschlussgegenständen, in ihre Rolle der Einzelfallentscheidung anhand vorgegebener Normen (Sekundärebene) zurückverwiesen. Kommt das Sachgrunderfordernis zur Anwendung, agiert die Rechtsprechung auf der Primärebene, kommt es nicht zur Anwendung, verbleibt sie auf der Sekundärebene.
181
Oben A. I. 1. a). Bezzenberger, ZIP 2000, 1917, 1923. Vgl. BGHZ 21, 354 (Minimax I); BGHZ 33, 175 (Minimax II); auch BGHZ 71, 40 (Kali & Salz); dazu oben § 5 A. I. Die große Bedeutung dieses Leitbildes zeigt sich schon darin, dass Untersuchungen zur materiellen Beschlusskontrolle ihren (darstellerischen und damit auch rechtstatsächlichen) Ausgangspunkt regelmäßig in der reichsgerichtlichen Rechtsprechung der 1920er und 1930er Jahre nehmen, in denen dieses Lebensgeschehen prädominant war (dazu die folgende Fn.), vgl. nur Füchsel, Bezugsrechtsausschluss, S. 52 ff.; Liebert, Bezugsrechtsausschluss, S. 56 ff.; Schumann, Bezugsrechtsausschluss, S. 39; Schindler, Verschmelzungsbeschluss, S. 9 ff.; Stamatopoulos, S. 17 ff. 183 Vgl. RGZ 68, 235 (Hibernia); RGZ 107, 67; RGZ 107, 72; RGZ 108, 41; RGZ 112, 14; RGZ 113, 188; RGZ 119, 248; RGZ 132, 149 (Victoria); vgl. aus dem Schrifttum namentlich A. Hueck, in: RG-Festgabe IV, S. 167 ff. 184 Prononciert Bezzenberger, ZIP 2002, 1917, 1923 f.; a. A. Rodloff, ZIP 2003, 1076, 1077; vgl. auch Zöllner, AG 2002, 585, 586. 185 Vgl. oben § 6 D.–I. 182
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Dieser rechtstheoretische Standortwechsel erklärt die Positionen der herrschenden Meinung und bietet zugleich Anlass zur Kritik. 2. Rechtstheoretische Deutung der herrschenden Meinung
Beim Sachgrunderfordernis handelt es sich um ein antigesetzliches Rechtsinstitut: es findet im positiven Recht keine Grundlage und setzt sich über die gesetzlichen Beschlussmängelregeln (§§ 255 Abs. 2, 243 Abs. 2, 186 Abs. 3 AktG) hinweg186. Es lässt sich weiter, wie oben gesehen, nicht in überzeugender Weise auf eine dogmatische Grundlage zurückführen187. Seinem Wesen als primärrechtlichem Rechtsinstitut entspricht es, dass es sich über die Ebene des positiven Gesetzes und der Rechtsdogmatik hinwegsetzt und seine Geltung allein auf die autoritäre Kraft der zur Rechtsfortbildung befugten Rechtsprechung stützt188. Der von der herrschenden Meinung vollzogene rechtstheoretische Standortwechsel von der Primär- zur Sekundärebene hat dann aber zur Folge, dass die Kategorie des positiven Gesetzes und der Rechtsdogmatik doch wieder Bedeutung erlangt. Denn auf der Sekundärebene ist der Rechtsanwender an ihm übergeordnete Autoritäten gebunden, also an Gesetz und Dogmatik189. So erklärt sich, dass die herrschende Meinung nach vollzogenem Standortwechsel in methodischer Hinsicht ein Bindungsmodell praktiziert (gesetzlich vorgeprägte Beschlussgegenstände) und zur Begründung ihrer Position auf den eingeschränkten Wirkungsbereich der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht und damit auf eine dogmatische Kategorie verweist. Zu überzeugen vermag dies freilich nicht, beruft man sich damit doch genau auf jene Autoritäten, deren Einfluss man sich ansonsten – die herrschende Meinung hält ja grundsätzlich am antigesetzlichen und antidogmatischen Sachgrunderfordernis fest – gerade verboten hat. Der Rückgriff auf das positive Gesetz und das Bemühen der dogmatischen Kategorie der Treuepflicht widersprechen der inneren Logik eines gerade antigesetzlich und antidogmatisch konzipierten, streng primärrechtlichen Rechtsinstituts190. Der rechtstheoretische Standortwechsel erklärt weiter die fehlende Sachgerechtigkeit der von der herrschenden Meinung befürworteten Ergebnisse. Aus der nicht offen eingeräumten Sachwidrigkeit des Sachgrunderfordernisses zieht die herrschende Meinung nicht die Konsequenz, dieses Institut aufzugeben. Sie hält an diesem vielmehr grundsätzlich fest, überträgt dann aber mithilfe des rechtstheoretischen Standort-
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Ausführlich oben § 6 C., F., G. Oben § 6 D. 188 Oben § 6 G. 189 Siehe Picker, JZ 1988, 1 ff., 62 ff. vgl. auch Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, § 7 E IV 4 (S. 196 f.) (Bindungsfunktion der Rechtsdogmatik), § 20 A III 1 (S. 389) (Gesetzesbindung). 190 Siehe Picker, JZ 1988, 62, 65 ff. (vor dem Hintergrund der arbeitsrechtlichen Betriebsrisikolehre). 187
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wechsels die Entscheidung, ob andere Beschlussgegenstände einer judiziellen Kontrolle unterliegen oder nicht, komplett dem Gesetz. Wer aber dem Gesetz die Entscheidung hinsichtlich der Beschlusskontrolle überträgt, kann nur eine „Allesoder-nichts“-Lösung erwarten: Entweder steht das Gesetz einer materiellen Beschlusskontrolle generell entgegen oder eben nicht. Eine differenzierte, daher dem Gebot der Äquidistanz Rechnung tragende Lösung lässt sich so, wie gesehen, nicht erreichen. Die Vorgehensweise der herrschenden Meinung muss weiter die Systemwidrigkeit der Rechtsordnung unweigerlich zur Folge haben: Wer die Primärebene durch ein richterrechtliches Institut ergänzt – jeder Eingriff bedarf der sachlichen Rechtfertigung –, diese dann aber verlässt und sich auf die Sekundärebene zurückzieht – keine Sachkontrolle bei gesetzlicher Freistellung –, hinterlässt auf der Primärebene ein Rechtsvakuum191; die Primärebene wird gespalten, lückenhaft, kurz und wie oben begründet: systemwidrig. 3. Rechtstheoretische Grundsatzkritik am Standortwechsel
Der Standortwechsel von der Primär- zur Sekundärebene bietet schließlich auch unter spezifisch rechtstheoretischen Gesichtspunkten Anlass zur Kritik: Beim Sachgrunderfordernis handelt es sich um eine axiomatische Norm, der die Ableitung aus einer höherrangigen Rechtsgrundlage fehlt192. Als nicht aus vorgegebenen „Suprastrukturen“ deduzierter Rechtssatz ist sie auf ständige Legitimation aus sich selbst heraus angewiesen193. Diese Legitimation erhält die Norm dadurch, dass man sie in allen Konstellationen zur Anwendung bringt, in denen die Gründe, die zu ihrer Etablierung geführt haben – beim Sachgrunderfordernis: der schwere Eingriff in die Mitgliedschaft194 –, ebenfalls vorliegen. Wer nun, wie die herrschende Meinung, das Sachgrunderfordernis bei bestimmten Beschlussgegenständen nicht zur Anwendung bringt, obwohl sich mit ihnen ein schwerer Eingriff in die Mitgliedschaft verbindet, verweigert dem Sachgrunderfordernis die Bestätigung, auf die es als freischwebende Norm nicht verzichten kann – dem Sachgrunderfordernis wird so seine Legitimation abgesprochen. Mit anderen Worten: Die herrschende Meinung sägt mit ihrer zweistufigen Prüfung, wonach jeder Eingriff der sachlichen Rechtfertigung bedarf, es sei denn, der Beschluss ist gesetzlich von einer Sachkontrolle freigestellt, den Ast ab, auf dem sie selbst sitzt und von dem aus sie die Sachkontrolle reguliert.
191 Siehe Picker, JZ 1998, 62, 65 f. (vor dem Hintergrund der arbeitsrechtlichen Betriebsrisikolehre). 192 Vgl. Wiedemann, WM 2009, 1, 9. 193 Picker, JZ 1988, 62, 65. 194 Oben § 5.
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VII. Fazit zur herrschenden Vorprägungstheorie Der Theorie der gesetzlich vorgeprägten Beschlussgegenstände haben wir nach alledem die Gefolgschaft zu versagen. Sie vermochte weder in dogmatischer (Inhalts- und Ausübungskontrolle, Treuepflicht) noch in methodischer (Bindungsmodell) noch in rechtstheoretischer (Primär- und Sekundärebene) Hinsicht zu überzeugen. Beifall verdient zwar im Grundsatz das Bemühen, die konfligierenden Mehrheits-/Minderheitsinteressen durch einen nach verschiedenen Beschlussgegenständen differenzierenden Ansatz auszugleichen. Das Regelungsziel der Sachgerechtigkeit (Gebot der Äquidistanz) lässt sich jedoch, hält man am Sachgrunderfordernis in seiner herkömmlichen Prägung fest, nicht erreichen. Vor allem aber geht der Ansatz der herrschenden Meinung zu Lasten des Regelungsziels der Systemgerechtigkeit. Ein nach verschiedenen Beschlussgegenständen differenzierender Ansatz widerspricht der breit akzeptierten Forderung, an austauschbare wirtschaftliche Maßnahmen die gleichen rechtlichen Anforderungen zu stellen. Als Nächstes haben wir uns daher mit einem Ansatz zu beschäftigen, der diesen Systembruch vermeidet und zugleich – deshalb lohnt eine eingehendere Beschäftigung mit ihm – das Sachgrunderfordernis in favore majoritatis abschwächt. Die Rede ist vom umfassenden, vor allem mit dem Namen Wiedemann verbundenen Kontrollmodell. Erst wenn wir uns mit diesem Ansatz auseinandergesetzt haben, können wir sagen, ob sich das Anliegen, die konfligierenden Interessen von Mehrheit und Minderheit sach- und systemgerecht auszugleichen, mit dem Sachgrunderfordernis (in abgeschwächter Form) erreichen lässt oder ob insoweit – schuldrechtlich gesprochen – anfängliche Unmöglichkeit eingetreten ist.
§ 9 Das umfassende Kontrollmodell A. Darstellender Teil Das Modell einer umfassenden Sachkontrolle ist vor allem mit dem Namen Wiedemanns195 – ursprünglich auch mit demjenigen von Martens196 – verbunden197. Trotz zahlreicher Kritik hat Wiedemann stets an der Auffassung festge195 Wiedemann, ZGR 1980, 147, 156 ff.; ders., in: FS Heinsius, S. 949, 960 ff.; ders., ZGR 1999, 857, 869 ff.; ders., WM 2009, 1, 7 ff.; siehe auch ders., JZ 1989, 447, 448 f.; nicht ganz eindeutig ders., in: GroßKomm/AktG, § 179 Rn. 175; unklar auch ders., WM 2009, 1, 9. 196 Martens, in: FS R. Fischer, S. 436, 446; ders., GmbHR 1984, 265, 269 f.; dann aber „rechtsethisch geläutert“ (so die Einschätzung von Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 306 Fn. 656): Martens, ZIP 1992, 1677 ff. 197 Zustimmend auch Bischoff, BB 1987, 1055, 1060 f.; im Grundsatz (wohl) auch Hofmann, Minderheitenschutz, S. 121–147, 182–217, 549 ff., 572 ff., 594 f., 612 ff., 665 ff., der zwar zwischen verschiedenen Prüfungsmaßstäben differenziert und auch einige Einschränkungen und Ausnahmen in Betracht zieht, im Grundsatz aber jeden Ein-
§ 9 Das umfassende Kontrollmodell
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halten, dass das Sachgrunderfordernis für alle Beschlussgegenstände, die zu einem tiefen Eingriff in die Mitgliedschaftsrechte der Anteilseigner führen können, Geltung beanspruche198. Satzungs- und Strukturänderungen – insbesondere also der Bezugsrechtsausschluss, die Gesellschaftsauflösung, Konzernierungsmaßnahmen Verschmelzungsbeschlüsse199 – sind danach nur rechtmäßig, wenn sie sich als verhältnismäßig im weiteren Sinne erweisen. Stets sei also eine einzelfallbezogene Abwägung der widerstreitenden Interessen geboten, für die das Gesellschaftsinteresse und/oder die Kriterien der Erforderlichkeit und Angemessenheit die normative Richtschnur lieferten200. Aktionäre und andere Verbandsmitglieder könnten also, so Wiedemann bildhaft, bei jeder Abstimmung ein Transparent mit der Aufschrift „Kali & Salz“ aufrollen, um auf die Beachtung ihrer Interessen aufmerksam zu machen201. Eine Einschränkung erfährt dieses umfassende Kontrollkonzept – (auch) daher ist eine eingehendere Beschäftigung mit ihm nach wie vor angezeigt – dann aber hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast. Hier möchte Wiedemann heute202 zwischen unmittelbaren und mittelbaren Eingriffen in Mitgliedschaftsrechte differenzieren203: Bei Ersteren – Wiedemann rechnet hierzu insbesondere den Bezugsrechtsausschluss – trage die beklagte Gesellschaft die Darlegungs- und Beweislast, wogegen es bei bloß mittelbaren Eingriffen (z. B.: Verschmelzung, Konzernierung) bei der Darlegungs- und Beweislast des Anfechtungsklägers verbleibe204.
B. Einordnender und bewertender Teil I. Verfassungsrecht Die Vertreter des umfassenden Kontrollmodells haben immer wieder den Versuch unternommen, ihre Position verfassungsrechtlich zu untermauern: Martens verwies auf die Sozialbindung aller mit der Aktie verbundenen Rechtsbefug-
griff in die mitgliedschaftliche Rechtsstellung für rechtfertigungsbedürftig im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hält; siehe auch ders., in: FS Hopt, Bd. 1, S. 833 ff., insb. 840 ff. 198 Wiedemann, in: FS Heinsius, S. 949, 963. 199 Zur beschlussgegenständlichen Reichweite der Diskussion um das Sachgrunderfordernis oben S. 30. 200 Siehe Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 II 3 (S. 435); ders., WM 2009, 1, 8. 201 Wiedemann, ZGR 1980, 147, 157. 202 Anders noch Wiedemann, ZGR 1980, 147, 158: volle Darlegungs- und Beweislast der Mehrheit. 203 Wiedemann, in: FS Heinsius, S. 949, 964 ff., insb. S. 965; ders., in: GroßKomm/ AktG, § 179 Rn. 182. 204 Dem Anfechtungskläger sollen dann aber gewisse Beweiserleichterungen zugutekommen, s. Wiedemann, in: FS Heinsius, S. 949, 966; ders., in: GroßKomm/AktG, § 179 Rn. 182.
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3. Teil: Die Reichweite einer materiellen Beschlusskontrolle
nisse205 und damit auf einen verfassungsrechtlichen Topos. Wiedemann bemühte unter anderem die „Bürgschaftsentscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts sowie die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten206. Nach der obigen verfassungsrechtlichen Grundlegung müssen wir uns mit diesen Versuchen nicht lange auseinandersetzen. Denn aus verfassungsrechtlicher Sicht ist eine Beschlussinhaltskontrolle, jedenfalls eine solche nach Maßgabe des Sachgrunderfordernisses, nicht geboten; sub specie des Art. 14 GG reicht grundsätzlich eine Missbrauchskontrolle aus207. II. Einfaches Gesetzesrecht: § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG Ebenfalls nicht lange aufhalten müssen wir uns mit dem von Wiedemann für einen weiten Anwendungsbereich des Sachgrunderfordernisses vorgetragenen Argument, der Gesetzgeber habe dieses Institut durch die Vorschrift des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG anerkannt208. Dies ist, wie oben ausführlich begründet, nicht der Fall209. Mit der Regelung zum vereinfachten Bezugsrechtsausschluss hat der Gesetzgeber die „Kali & Salz“-Rechtsprechung punktuell korrigiert, manche sagen auch abgeschafft210, ihr aber keinesfalls gesetzgeberische Anerkennung verleihen wollen. III. Das kapitalmarktrechtliche Argument Die Vertreter des umfassenden Kontrollmodells argumentieren bisweilen kapitalmarktrechtlich, wenn es heißt, dass eine materielle Beschlusskontrolle der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes zugutekomme211. Dahinter steckt offensichtlich die Vorstellung, eine an Gerechtigkeitsprinzipien orientierte unternehmerische Binnenordnung erhöhe die Bereitschaft von Anlegern und potenziellen Gesellschaftern, ihr Kapital der (Aktien-)Gesellschaft zur Verfügung zu stellen: Wer weiß und sich darauf verlassen kann, dass es bei Entscheidungen innerhalb des Unternehmens gerecht zugeht, wird sich eher zu einer Investition in das Unternehmen bereitfinden, als wenn er davon ausgehen müsste, bei nächster Gele-
205
Martens, in: FS R. Fischer, S. 437, 445. Wiedemann, WM 2009, 1, 8; siehe auch ders., in: FS K. Schmidt, S. 1731 ff., insb. S. 1737. Siehe auch Hofmann, Minderheitenschutz, S. 69–147 sowie ders., in: FS Hopt, Bd. 1, S. 833 ff., der auf Basis verfassungsrechtlicher Erwägungen zu dem Ergebnis gelangt, jeder Eingriff in Mitgliedschaft sei rechtfertigungsbedürftig. 207 BVerfG ZIP 2000, 1670, 1673 (Moto Meter); ausführlich oben § 6 B. I. 208 Wiedemann, WM 2009, 1, 8. 209 Oben § 6 C. III. 210 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 320. 211 Martens, in: FS R. Fischer, S. 437, 445; siehe auch Wiedemann, WM 2009, 1, 7 sowie Hofmann, Minderheitenschutz, S. 12 f. 206
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genheit einer unbegrenzten Mehrheitsherrschaft schutzlos ausgeliefert zu sein. Eine weitreichende Sachkontrolle stärke so die Kapitalsammelfunktion der AG und erweise sich auf diese Weise als kapitalmarktförderlich 212. Recht deutlich klingt hier ein von Hopt für das Kapitalmarktrecht entwickelter Gedanke an, wonach die Regelungsziele des Kapitalmarktrechts, Anlegerschutz und Funktionenschutz, einem System kommunizierender Röhren gleichen: Wer das eine betreibe, betreibe zugleich das andere213. Nun ist gar nicht zu leugnen, dass ein angemessener gesellschaftsrechtlicher Minderheitenschutz kapitalmarktfördernde Effekte haben kann und hat214. Doch steht auch hier der Schutzaspekt nicht allein, sondern ist mit gegenläufigen Prinzipien und Interessen in einen Ausgleich zu bringen. Das Bild der kommunizierenden Röhren von (potentiellem) Anlegerschutz und Funktionenschutz greift daher in diesem Punkte zu kurz. Es macht nicht hinreichend deutlich, dass Zielkonflikte nicht nur, wie Hopt meinte, theoretisch blieben, sondern auch höchst praktisch werden können215. Gerade das Sachgrunderfordernis gibt dafür ein Beispiel ab: Nachdem der Bundesgerichtshof mit den Entscheidungen „Kali & Salz“ und „Holzmann“ das Sachgrunderfordernis auf das Institut des genehmigten Kapitals übertragen hatte216, hat diese Kapitalbeschaffungsform ihre rechtspraktische Bedeutung weitgehend eingebüßt217. In der „Siemens/Nold“-Entscheidung des Jahres 1999 war der Bundesgerichtshof dann schließlich gezwungen einzuräumen, dass seine Rechtsprechung den Unternehmen die Möglichkeit einer raschen und flexiblen Inanspruchnahme des Kapitalmarktes weitgehend genommen habe218. Die Möglichkeit der Unternehmen zur Eigenkapitalfinanzierung – ein Aspekt, der für gewöhnlich dem funktionsschützenden Regelungsziel des Kapitalmarktrechts zugeordnet wird219 – wurde also durch das minderheitenschützende kapitalgesellschaftsrechtliche Institut des Sachgrunderfordernisses nicht unerheblich beeinträchtigt. Das kapitalmarktrechtliche Argument der Vertreter des umfassenden Kontrollmodells wird dadurch wiederlegt. Die rechtlichen und ökonomischen Funktionszusammenhänge sind zu vielschichtig, als dass sich ohne hinreichende empirische Basis behaupten ließe, der Schutz einer bestimmten Personengruppe mittels eines bestimmten Instituts fördere zwangsläufig das Gesamtsystem, in welches dieser Schutz eingebettet ist220.
212
Deutlich auch Schockenhoff, Gesellschaftsinteresse, S. 43 ff. Hopt, Kapitalanlegerschutz, S. 51 f., 334 f. 214 Siehe etwa Fleischer, ZGR 2002, 757, 763 m.w. N. 215 Siehe auch Merkt, in: FS Hopt, Bd. 2, S. 2207, 2225. 216 BGHZ 71, 40, 43 ff.; BGHZ 83, 319, 320 ff.; näher oben § 8 A. II. 1. 217 Röhricht, ZGR 1999, 445, 471; näher oben § 6 H. II. 2. b). 218 BGHZ 136, 133, 136. 219 Siehe Bueck-Heeb, Kapitalmarktrecht, S. 3. 220 Siehe auch Hofmann, Minderheitenschutz, S. 15: ökonomische Bewertung des Mehrheits-/Minderheitskonflikts ambivalent. 213
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3. Teil: Die Reichweite einer materiellen Beschlusskontrolle
IV. Rechtsvergleichung: das schweizerische Vorbild In rechtsvergleichender Hinsicht verweist Wiedemann auf die Rechtslage in der Schweiz. Was im deutschen Gesellschaftsrecht als Sachgrunderfordernis verstanden werde, zähle dort zu den von Rechtsprechung und Rechtslehre entwickelten „Grundprinzipien des Gesellschaftsrechts“ und habe in Art. 706 OR auch eine klare gesetzliche Grundlage gefunden221. Dieser Versuch, das umfassende Kontrollmodell rechtsvergleichend abzustützen, erscheint bei genauerer Betrachtung indes zweifelhaft. Allgemein betrachtet222 sind nach schweizerischem Gesellschaftsrecht vor allem zwei materielle Beschlussschranken von Bedeutung: das „Sachlichkeitsgebot“ sowie das Prinzip der „schonenden Rechtsausübung“. Das „Sachlichkeitsgebot“, auf das sich Wiedemann explizit beruft, findet sich in Art. 707 Abs. 2 Ziff. 2 des Obligationenrechts normiert. Danach sind Beschlüsse anfechtbar, wenn sie in unsachlicher Weise Rechte von Aktionären entziehen oder beschränken. Das klingt zwar nach dem Sachgrunderfordernis deutscher Prägung, unterscheidet sich von diesem inhaltlich aber doch nicht unerheblich. Zu Art. 706 Abs. 2 Ziff. 2 OR werden nämlich vor allem solche Fälle gerechnet, in denen die Gesellschaftermehrheit zweckwidrige Ziele verfolgt und durchsetzt223. Man hat dabei also wohl eher Fälle des Rechtsmissbrauchs im Blick, wird doch von einem Rechtsmissbrauch gemeinhin dann ausgegangen, wenn rechtliche Mittel zu vom Recht missbilligten Zwecken eingesetzt werden224. Dass jedoch ein bestimmter Beschlussgegenstand allein aufgrund der mit ihm verbundenen Eingriffswirkung zwingend einer judiziellen Verhältnismäßigkeitskontrolle unterliegt – eben dies ist Kennzeichen des deutschen Sachgrunderfordernisses225 –, ist in Art. 706 Abs. 2 Ziff. 2 OR nicht niedergelegt. Ähnlich verhält es sich mit dem Prinzip der „schonenden Rechtsausübung“, welches im Rahmen der Beschlussanfechtung ebenfalls Art. 706 Abs. 2 Ziff. 2 OR zugeordnet wird226. Hiernach ist unter mehreren möglichen Wegen derjenige zu wählen, der für die in ihren Rechten Eingeschränkten die geringsten Nachteile mit sich bringt227. Ganz abgesehen davon dass diesem Gebot von der Rechtsprechung häufig nur geringe Beachtung geschenkt wird228, ist schon aus vorstehender Definition ersichtlich, dass das Prinzip der schonenden Rechtsausübung lediglich 221
Wiedemann, WM 2009, 1, 7. Speziell zu den relativ strengen Anforderungen beim Bezugsrechtsausschluss siehe Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, Schweizerisches Aktienrecht, § 40 Rn. 242 ff. 223 Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, Schweizerisches Aktienrecht, § 25 Rn. 25. 224 Siehe die Definition des Rechtsmissbrauchs bei Boese, Anwendungsgrenzen, S. 21; ausführlich unten § 13. 225 Oben § 5 C. II. 226 Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, Schweizerisches Aktienrecht, § 25 Rn. 25. 227 Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, Schweizerisches Aktienrecht, § 39 Rn. 95 ff. 228 Vgl. Kunz, Minderheitenschutz, § 8 Rn. 95 f.; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 164. 222
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eine Erforderlichkeitsprüfung beinhalt, nicht dagegen, wie das Sachgrunderfordernis, eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinne229. Hinzu kommt, dass die Beschlusskontrolle anhand des Prinzips der schonenden Rechtsausübung eher den Charakter einer Negativkontrolle der Nichterforderlichkeit trägt, die also lediglich fragt, ob aufgrund besonderer Umstände das Verdikt einer „nicht schonenden Rechtsausübung“ gerechtfertigt ist230. Das Sachgrunderfordernis deutscher Prägung hält mit seinem Zwang zu positiver sachlicher Rechtfertigung die Gerichte dagegen im Grundsatz dazu an, Erforderlichkeit und Angemessenheit des Beschlusses „aktiv“ zu prüfen. Die dargestellten Unterschiede lassen den Hinweis auf das schweizerische Gesellschaftsrecht als wenig geeignet erscheinen, das umfassende Modell rechtsvergleichend zu untermauern. In rechtsvergleichender Hinsicht steht das Sachgrunderfordernis im Gegenteil insgesamt recht einsam da231. V. Dogmatische Grundlage des Sachgrunderfordernisses 1. Gesellschaftsrechtliche Treuepflicht
Zur Begründung des umfassenden Anwendungsbereiches des Sachgrunderfordernisses wird von den Vertretern des umfassenden Kontrollmodells auch auf die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht als dogmatischer Grundlage dieses Instituts verwiesen232 – wobei vorliegend dahingestellt bleiben kann, ob es gerade eine dem Mehrheitsgesellschafter bzw. einer stabilen Mehrheitsgruppierung obliegende Treuepflicht ist, die dem Sachgrunderfordernis als dogmatische Grundlage dient233, oder ob diese besondere Pflichtenbindung auch Zufallsmehrheiten trifft234. Denn das inhaltliche Argument bleibt das gleiche: Da die Treuepflicht anerkanntermaßen das gesamte Verhalten des Gesellschafters steuere, müsse auch das aus ihr deduzierte Institut des Sachgrunderfordernisses bei jedem Beschlussgegenstand zur Anwendung kommen235. Wie oben bei der Auseinandersetzung mit dem nach verschiedenen Beschlussgegenständen differenzierenden 229 Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 164; zu den Kennzeichen des Sachgrunderfordernisses oben § 5 C. II. 230 Vgl. die Beispiele bei Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, Schweizerisches Aktienrecht, § 25 Rn. 25. 231 Vgl. Bagel, Der Ausschluss des Bezugsrechts in Europa, S. 41 ff.; Kreß, Beschlusskontrolle, S. 125 ff.; Wymeersch, AG 1998, 382 ff.; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 114 ff.; zur Rechtslage in Frankreich noch unten § 11 B. II. 3. b). 232 Vgl. oben § 6 D. II. 3. 233 So Wiedemann, in: FS Heinsius, S. 949, 960 ff.; vgl. auch ders., WM 2009, 1, 5 ff. 234 So die Position der h. M., siehe nur Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 49 m.w. N. 235 Siehe Wiedemann, in: FS Heinsius, S. 949, 962; ders., ZGR 1999, 857, 870; siehe auch Martens, GmbHR 1984, 265, 270.
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3. Teil: Die Reichweite einer materiellen Beschlusskontrolle
Ansatz der herrschenden Meinung dargelegt, verdient dieses Argument für sich genommen uneingeschränkte Zustimmung236. Die Richtigkeit des umfassenden Kontrollmodells hätte dies allerdings nur zur Folge, wenn sich das Sachgrunderfordernis eben auch als Ausprägung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht darstellen würde. In Zusammenfassung und Fortführung der obigen Ausführungen zur dogmatischen Grundlage des Sachgrunderfordernisses ist eben dies aber aus folgenden Gründen zu verneinen237: (1) Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht ist eine Verhaltenspflicht, die die Stimmrechtsausübung des Gesellschafters unter Kontrolle nimmt. Das Sachgrunderfordernis dagegen knüpft an den körperschaftlichen Beschluss der Gesellschafterversammlung an. (2) Die Treuepflichtkontrolle zielt auf einen individuellen Verhaltensvorwurf ab. Bei der Beschlusskontrolle nach Maßgabe des Sachgrunderfordernisses handelt es sich dagegen um eine objektive Verhältnismäßigkeitskontrolle. (3) Die Treuepflichtkontrolle kennzeichnet eine gewisse Flexibilität238; neben den verschiedenen rechtlichen Bestimmungsfaktoren der Treuepflicht kommt den Einzelfallumständen besondere Bedeutung zu239. Das Sachgrunderfordernis ist dagegen beschlussgegenstandsbezogen und starr, kommt es doch im Grundsatz stets zur Anwendung, wenn sich mit einem bestimmten Beschlussgegenstand ein schwerer Eingriff in die Mitgliedschaft verbindet; die Umstände des Einzelfalls spielen hierfür keine Rolle240. (4) Die Verletzung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht führt(e) nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Anfechtbarkeit „entsprechend § 243 Abs. 2 AktG“ 241. Die Missachtung des Sachgrunderfordernisses hat dagegen die Anfechtbarkeit nach § 243 Abs. 1 Alt. 1 AktG (Gesetzesverletzung) zur Folge. Diese strukturellen Unterschiede stehen der Annahme, das Sachgrunderfordernis erweise sich als Ausprägung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht, entgegen242. Damit fällt auch das Argument, dass aufgrund des umfassenden Anwendungsbereichs der Treuepflicht auch das Sachgrunderfordernis in breitem Umfang zur Anwendung gelangen müsse, in sich zusammen.
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Oben § 8 B. I. 2. Siehe bereits oben § 6 D. II. 3., dort auch die Nachweise zu den im Folgenden nicht weiter belegten Textstellen. 238 Timm, ZGR 1987, 403, 409. 239 Henze/Notz, in: GroßKomm/AktG, Anh. § 53a Rn. 58; Merkt, in: MünchKomm/ GmbHG, § 13 Rn. 88. 240 Vgl. oben § 5 A. II. 1., § 5 C., § 8 A. I. 1. a). 241 BGHZ 103, 184, 193 (Linotype); anders (Treuepflichtverletzung als Fall des § 243 I AktG) dann aber die spätere Rspr., siehe etwa BGHZ 142, 167, 169 ff. (Hilgers); BGH NZG 2005, 551, 552; vgl. hierzu unten § 12. 242 Wiedemann scheint dies inzwischen wohl ebenso zu sehen, wenn er seinen jüngsten Beitrag zur Thematik mit dem Titel „Treuebindungen und Sachlichkeitsgebot – Ein Systemvergleich“ überschreibt und dabei diese beiden Rechtsinstitute sorgfältig auseinanderhält, s. Wiedemann, WM 2009, 1 ff., 7 ff. 237
§ 9 Das umfassende Kontrollmodell
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2. Strukturgefälle und Machtkontrolle
Wiedemann hat weiter die Auffassung bekundet, das Sachgrunderfordernis gründe im Strukturgefälle, welches zwischen Gesellschaftermehrheit und Gesellschafterminderheit innerhalb einer kapitalorientierten Gesellschaft bestehe243 – das Sachgrunderfordernis gewährleiste so die gebotene Begrenzung wirtschaftlicher und rechtlicher Macht und müsse daher auch umfassend zur Anwendung gelangen244. Eine dogmatische Rechtsgrundlage, als deren Konkretisierung sich das Sachgrunderfordernis erweisen könnte, ist damit jedoch nicht benannt. Das Macht- und Strukturgefälle zwischen Mehrheit und Minderheit, das im Übrigen im gesetzlichen Mehrheitsprinzip angelegt und verfassungsrechtlich abgesichert ist, kann lediglich im Rahmen der sachlich-inhaltlichen Begründung des (umfassenden Anwendungsbereichs) des Sachgrunderfordernisses vorgebracht werden. Das innergesellschaftliche Machtgefälle ist mit anderen Worten kein dogmatischer, sondern lediglich ein möglicher rechtspolitischer Grund für das umfassende Kontrollmodell. Als axiomatische Norm, der die Ableitung aus einer höherrangigen Grundlage fehlt, muss sich das Sachgrunderfordernis und damit auch das umfassende Kontrollmodell denn auch allein dort, bei der sachlich-inhaltlichen Begründung bewähren245. VI. Sachlich-inhaltliche Begründung 1. Grundsätzliche Beurteilung
Zur sachlich-inhaltlichen Begründung eines umfassenden Anwendungsbereiches des Sachgrunderfordernisses wird vor allem auf den gesellschaftsrechtlichen Minderheitenschutz verwiesen. Dieser gebiete, das Sachgrunderfordernis bei allen Beschlussgegenständen zur Anwendung zu bringen246. Dieses Schutzargument wird sodann durch eine Vielzahl unterschiedlicher Topoi zu unterfüttern versucht: So weist man auf die notwendige Balance zwischen den verschiedenen Gesellschaftergruppen hin247, betont die Notwendigkeit eines gedeihlichen und gerechten Zusammenwirkens in der Gesellschaft248, bemüht rechtsethische Kategorien249. 243
Wiedemann, WM 2009, 1, 9. Vgl. die Interpretation des Ansatzes von Wiedemann bei Fastrich, in: FS Kreutz, S. 585, 588. 245 Vgl. oben § 8 B. VI. 3. 246 Prononciert Wiedemann, ZGR 1980, 147, 155 ff.; ders., WM 2009, 1, 7 f.; Bischoff, BB 1987, 1055, 1061 ursprünglich auch Martens, GmbHR 1984, 265, 269 f. 247 Wiedemann, WM 2009, 1, 9. 248 Martens, in: FS R. Fischer, S. 437, 445; zur rechtsethischen Läuterung Martens’ oben Fn. 196. 249 Wiedemann, ZGR 1980, 147, 156 f. unter dem programmatischen Titel „Rechtsethische Maßstäbe im Unternehmens- und Gesellschaftsrecht“. 244
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3. Teil: Die Reichweite einer materiellen Beschlusskontrolle
Diese Argumentation für eine umfassende Sachkontrolle können wir nicht gelten lassen. Denn Minderheitsinteressen und auch das Rechtsprinzip des Minderheitenschutzes stehen nicht allein, sondern müssen mit gegenläufigen Mehrheitsinteressen und dem Prinzip der Gestaltungsfreiheit in Ausgleich gebracht werden. Um in diesem Konflikt über eine normative Leitlinie zu verfügen, haben wir oben das Gebot der Äquidistanz entwickelt. Mit diesem aber ist das Sachgrunderfordernis und damit auch ein umfassender Anwendungsbereich dieses Instituts aufgrund der überproportionalen Berücksichtigung von Minderheitsinteressen, dem Regel-Ausnahme-Verhältnis in favore minoritatis sowie der Übertragung öffentlich-rechtlicher-Kontrollmaßstäbe auf das grundrechtlich geschützte Verhalten der Gesellschaftermehrheit nicht vereinbar250. Wir könnten daher die sachlich-inhaltliche Bewertung des umfassenden Kontrollmodells, ja die gesamte Auseinandersetzung mit dem umfassenden Kontrollmodell schnell abschließen, wenn nicht Wiedemann zwei Gesichtspunkte vorgetragen hätte, die das Sachgrunderfordernis vom Verdikt der Äquidistanzwidrigkeit befreien könnten. 2. Beurteilungsveränderung
a) Freigabeverfahren Wiedemann argumentiert, dass das beständig ausgebaute251 gesellschaftsrechtliche Freigabeverfahren (§§ 246a AktG, 319 Abs. 6, 327e Abs. 2 AktG, §§ 16 Abs. 3, 125, 198 Abs. 3 UmwG) einer Sachkontrolle viel von ihrer belastenden Wirkung nehme252. Diese Wirkung des Freigabeverfahrens ist nicht zu bestreiten. Mit einer im Wege der missbrauchsanfälligen Anfechtungsklage durchzusetzenden Sachkontrolle lässt sich dann und deshalb viel eher leben, wenn sich die für den Erfolg der Transaktion notwendige Handelsregistereintragung auch unabhängig von der Anfechtungsklage über den Weg des Freigabeverfahrens erreichen lässt. Das Freigabeverfahren dezimiert so das vom Sachgrunderfordernis ausgehende steuerungsfunktionelle Regel-Ausnahme-Verhältnis in favore minoritatis. Dieses resultierte daraus, dass es die von Anfechtungsklage und Sachgrunderfordernis ausgehenden Belastungen, insbesondere die Registersperre, für die Unternehmenspraxis bzw. Gesellschaftermehrheit mitunter ratsam erscheinen ließen, von ihren gesetzlichen Beschlusskompetenzen keinen Gebrauch zu machen253. Lässt sich der Vorwurf der Äquidistanzwidrigkeit des Sachgrunderfordernisses und des umfassenden Kontrollmodells daher nun nicht mehr aufrechterhalten? 250
Zu allem oben § 6 H. Vgl. § 246a AktG i. d. F. des UMAG (Freigabeverfahren bei Kapitalmaßnahmen und Unternehmensverträgen); ferner § 246a AktG, § 16 III UmwG i. d. F. ARUG (Eingangszuständigkeit des OLG, Entscheidungsfrist von drei Monaten, keine Rechtsmittel, Erleichterung der Freigabevoraussetzungen). 252 Wiedemann, WM 2009, 1, 9. 253 Näher oben § 6 H. II. 2. b). 251
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Gegen eine Beurteilungsveränderung aufgrund des Freigabeverfahrens kann zunächst angeführt werden, dass auch das Freigabeverfahren – trotz einiger Erleichterungen254 – wie jedes gerichtliche Verfahren mit finanziellen, zeitlichen und planerischen Belastungen verbunden ist; daraus resultierende Unwägbarkeiten werden sich nie zur Gänze ausschließen lassen. Nach wie vor wird also eine vernünftige Unternehmensleitung darum bemüht sein, (erfolgversprechende) Anfechtungsklagen zu vermeiden, wodurch dann auch die in einem solchen Verfahren anzulegenden materiell-rechtlichen Kontrollmaßstäbe Bedeutung erlangen. Auch im Freigabeverfahren selbst sind die materiell-rechtlichen Kontrollmaßstäbe nicht ohne Belang. Offenkundig ist dies beim Freigabegrund der offensichtlichen Unbegründetheit der Anfechtungsklage (§ 246a Abs. 2 Nr. Alt. 2 AktG, § 16 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 Alt. 2 UmwG). Aber auch dann, wenn der Freigabeantrag auf die Interessenabwägungsklausel (§ 246a Abs. 2 Nr. 3, § 16 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 UmwG) gestützt wird, sollen nach einer beachtlichen Mindermeinung die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben können255. In jedem Fall werden sie im Rahmen einer sich an den Anfechtungsprozess – der trotz Freigabeverfahren und Eintragung fortgeführt werden kann256 – anschließenden Schadensersatzhaftung der Gesellschaft (§ 246a Abs. 4 AktG, § 16 Abs. 3 Satz 10 UmwG) relevant. Entscheidend ist jedoch, dass es sich bei der Regelung des Freigabeverfahrens um einen verfahrensrechtlichen Regelungskomplex handelt, verfahrensrechtliche Regeln aber Defizite eines materiell-rechtlichen Maßstabs nicht vollständig kompensieren können. Mag das Freigabeverfahren die mehrheitsbelastende Regel-Ausnahme-Steuerungsfunktion des Sachgrunderfordernisses auch abmildern, so bleibt es doch zumindest bei einem normativen Regel-Ausnahme-Verhältnis – materiell-rechtlich bleibt ein Beschlussgegenstand, für den das Sachgrunderfordernis Geltung beansprucht, grundsätzlich unzulässig257. Nichts zu ändern vermag das Freigabeverfahren auch daran, dass bei der Begründung des Sachgrunderfordernisses Minderheitsinteressen überproportional Berücksichtigung fanden258 und dieses Institut öffentlichrechtliche Kontrollmaßstäbe unberechtigterweise in das Privatrecht überträgt259. Bei genauerem Hinsehen spricht das Freigabeverfahren denn auch weniger für, sondern gerade gegen einen umfassenden Anwendungsbereich des Sachgrunder254
Siehe Fn. 251. LG Darmstadt AG 2006, 127, 132; Halfmeier, WM 2006, 1465, 1467 ff.; Spindler, NZG 2005, 825, 830; Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 246a Rn. 5; Zöllner, in: FS H. P. Westermann, S. 1631, 1643 ff. Zur h. M., die sich auf die Gesetzesbegründung (Regierungsbegr. UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 9) beruft, siehe Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 246a Rn. 26 f. 256 Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 246 a Rn. 36; Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, § 246a Rn. 50. 257 Siehe oben § 6 H. II. 2. b). 258 Siehe oben § 6 H. II. 1. 259 Siehe oben § 6 H. II. 3. 255
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3. Teil: Die Reichweite einer materiellen Beschlusskontrolle
fordernisses: Ein Freigabebeschluss kann ergehen, wenn die gegen den Beschluss der Gesellschafterversammlung gerichtete Anfechtungsklage „offensichtlich unbegründet“ ist (§ 246a Abs. 2 Nr. Alt. 2 AktG, § 16 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 Alt. 2 UmwG). Könnte aber dieser gesetzlich vorgesehene Freigabegrund überhaupt zum Zuge kommen, könnte es mit anderen Worten offensichtlich unbegründete Anfechtungsklagen überhaupt geben, wenn man die fraglichen Beschlussgegenstände mit dem Sachgrunderfordernis für „grundsätzlich unzulässig“ erklären würde? Ist nicht jede Anfechtungsklage, die sich gegen einen dem Sachgrunderfordernis unterliegenden Beschlussgegenstand richtet, allein schon deshalb nicht „offensichtlich unbegründet“? 260 All dies spricht dagegen, aufgrund des Freigabeverfahrens von der sachlich-inhaltlichen Kritik (= Äquidistanzwidrigkeit) an einer umfassenden Sachkontrolle abzugehen261. b) Darlegungs- und Beweislast Zu klären ist weiter, ob die von Wiedemann vorgeschlagene differenzierende Verteilung der Darlegungs- und Beweislast, je nachdem, ob ein unmittelbarer (= Darlegungs- und Beweislast der beklagten Gesellschaft) oder mittelbarer (= Darlegungs- und Beweislast des Anfechtungskläger) Eingriff in mitgliedschaftliche Rechte in Rede steht262, die sachlich-inhaltliche Kritik am umfassenden Kontrollmodell abzuschwächen vermag. Gegen eine solche Differenzierung spricht dabei zunächst die schwierige Unterscheidung von unmittelbaren und mittelbaren Eingriffen. Warum etwa soll es sich bei dem der Unternehmensfinanzierung dienenden Bezugsrechtsausschluss um einen unmittelbaren, bei der Verschmelzung dagegen um einen bloß mittelbaren Eingriff handeln? Und was rechtfertigt insoweit eine unterschiedliche Verteilung der Darlegungs- und Beweislast? Gegen die Wiedemann’sche Verteilung der Darlegungs- und Beweislast spricht weiter, dass unklar bleibt, worauf diese in dogmatischer Hinsicht gründet – den Ausführungen Wiedemanns lässt sich eine positive Begründung für die Unterscheidung zwischen unmittelbaren und mittelbaren Eingriffen nicht unbedingt entnehmen263. Der Bundesgerichtshof jedenfalls sprach im „Kali & Salz“-Urteil vom Sachgrunderfordernis als einer „(ungeschriebene[n]) sachliche[n] Wirksamkeitsvoraussetzung“ 264, und die herrschende Literatur zog daraus den auf der Grundlage der zivilprozessualen Normentheorie konsequenten Schluss, dass die beklagte Gesellschaft die volle Darlegungs- und Beweislast für die die sachliche 260
Vgl. dazu aber auch unten § 14 C. II. 2. a). Zur Berücksichtigung des Freigabeverfahrens bei der Entwicklung materieller Schranken s. unten § 14 B. II. 1. 262 Wiedemann, in: FS Heinsius, S. 949, 964 ff., insb. 965; ders., in: GroßKomm/ AktG, § 179 Rn. 182. 263 Vgl. Wiedemann, in: FS Heinsius, S. 949, 964 ff., insb. 965; ders., in: GroßKomm/AktG, § 179 Rn. 182. 264 BGHZ 71, 40, 48 f. 261
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Rechtfertigung ausmachenden Tatsachen zu tragen habe265. Ausschlaggebend ist aber vor allem, dass auch durch die vorgeschlagene Differenzierung berechtigten Mehrheitsinteressen nicht zu der ihnen gebührenden Bedeutung verholfen wird. Zum einen verbleibt es nach Wiedemann bei Beschlussgegenständen, mit denen sich ein unmittelbarer Eingriff verbindet, insbesondere dem Bezugsrechtsausschluss bei der vollen Darlegungs- und Beweislast der beklagten Gesellschaft. Diesbezüglich bleibt dann auch das Verdikt der Äquidistanzwidrigkeit in vollem Umfang bestehen. Zum anderen, insbesondere was die Beschlussgegenstände mit bloß mittelbarem Eingriffscharakter anbelangt, ist zu sagen, dass die prozessuale Verteilung der Darlegungs- und Beweislast wohl nicht die entscheidende Problematik des Sachgrunderfordernisses adressiert. Denn es geht bei der materiellen Beschlusskontrolle anhand des objektiv angelegten Sachgrunderfordernisses entscheidend um rechtliche Wertungen und spezifische Rechtsfragen266. Die dafür notwendige Tatsachengrundlage, auf die allein die Darlegungs- und Beweislast ausgerichtet ist, wird – auch aufgrund der häufig vorgeschalteten Informationsund Berichtspflichten (z. B.: § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG) – wohl nur selten Schwierigkeiten bereiten, zumal dann nicht, wenn man dem Anfechtungskläger, wie von Wiedemann befürwortet, in bestimmten Fällen Beweiserleichterungen zugutekommen lässt267. Liegt die Problematik des Sachgrunderfordernisses aber weniger im tatsächlichen als vielmehr im rechtlichen Bereich, so setzt der Versuch, das Sachgrunderfordernis bei der Darlegungs- und Beweislast abzumildern, an der falschen Stelle an. Es ist daher an der geübten Kritik festzuhalten: Trotz Freigabeverfahren und Modifikation der Darlegungs- und Beweislast verdient das umfassende Kontrollmodell in sachlich-inhaltlicher Hinsicht (Gebot der Äquidistanz) keine Zustimmung. Warum, um das Ganze abzurunden, sollte man etwa Verschmelzungsbeschlüsse großer börsennotierter Aktiengesellschaften durchgängig einer richterlichen Verhältnismäßigkeitskontrolle unterstellen, wenn und soweit die vornehmlich relevanten Vermögensinteressen der Aktionäre durch die Beteiligung am übernehmenden Rechtsträger, die Berichts- und Prüfungspflichten des UmwG (§§ 8 ff. UmwG) und das Spruchverfahren (§ 1 SpruchG) umfassend und hinreichend geschützt sind? 268 VII. Systematik: keine „Umwegspressionen“ Nach der eben erfolgten sachlich-inhaltlichen Bewertung kann die Auseinandersetzung mit dem wichtigsten Argument der Vertreter des umfassenden Kon265 Hier nur Hüffer, in: FS Fleck, S. 151, 166 f.; näher m.w. N. oben § 5 B. II., § 6 H. II. 1. b). 266 Zutreffend K. Schmidt, in: GroßKomm/AktG, § 246 Rn. 82. 267 Vgl. Wiedemann, in: FS Heinsius, S. 949, 965; ders., in: GroßKomm/AktG, § 179 Rn. 182. 268 Vgl. näher dazu noch unten § 15 B.
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3. Teil: Die Reichweite einer materiellen Beschlusskontrolle
trollmodells, dem Umgehungsargument, kurz ausfallen. Zur Begründung des umfassenden Anwendungsbereiches des Sachgrunderfordernisses führt Wiedemann vor allem die Gefahr von „Umwegspressionen“ an, da der Gesellschaftermehrheit bei Freistellung einzelner Beschlussgegenstände von der Sachkontrolle immer noch ein Instrument zur Verfügung stünde, um unter Berufung auf die Ermessensfreiheit bei der Beschlussfassung dissentierende Gesellschafter gefügig zu machen269. Isoliert betrachtet trifft dies, wie oben bei der Auseinandersetzung mit der nach verschiedenen Beschlussgegenständen differenzierenden herrschenden Meinung ausführlich begründet (= kapitalgesellschaftsrechtlicher Harmonisierungsgrundsatz)270, vollauf zu. Nur: der Gefahr von Umwegspressionen wäre auch dann begegnet, dem Gebot der Systemgerechtigkeit auch dann Rechnung getragen, wenn man die Beschlusskontrolle durchgängig auf eine bloße Missbrauchskontrolle beschränkte oder einheitlich eine andere Form der Beschlussinhaltskontrolle zur Anwendung brächte. Die genannten Gesichtspunkte können einen umfassenden Anwendungsbereich des Sachgrunderfordernisses also nur dann und so lange tragen, wie man das Sachgrunderfordernis als richtiges Recht akzeptiert. Für eine solche Akzeptanz aber gibt es, wie gesehen, keine guten Gründe. Spricht aber nichts für ein Festhalten am Sachgrunderfordernis, geht das systematische Umgehungsargument seiner Grundlage verlustig und weitere Kritikpunkte am umfassenden Kontrollmodell treten hervor. Einer davon betrifft das methodische Vorgehen. VIII. Methodik: das Mikro-Abwägungsmodell In methodischer Hinsicht fußt das umfassende Kontrollmodell nicht auf dem Bindungsmodell – die gesetzlichen Beschlussregeln stehen nach Ansicht Wiedemanns einer umfassenden Sachkontrolle gerade nicht entgegen –, sondern auf dem Abwägungsmodell271. Nun tritt das Abwägungsmodell aber in zwei Ausprägungen in Erscheinung272: zum einen in Form der Einzelfallabwägung, bei der die in einem konkreten Rechtsstreit divergierenden Mehrheits-/Minderheitsinteressen abgewogen werden (Mikroabwägung), zum anderen in Form der Makroabwägung, bei der durch eine generalisierende (Folgen-)Abwägung der abstrakt widerstreitenden Interessen eine Rechtsregel hergeleitet wird. Nach dem umfassenden Kontrollmodell soll bei jedem Satzungs- und Strukturänderungsbeschluss eine einzelfallbezogene Abwägung der widerstreitenden Mehrheits-/Minderheitsinteressen stattfinden273. An diesem Postulat einer durchgängigen Mikroabwä269
Wiedemann, ZGR 1980, 147, 157. Oben § 8 B. IV. 271 Vgl. Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 III 2 (S. 446); ders., in: GroßKomm/ AktG, § 179 Rn. 175, 181. 272 Röhl/Röhl, Rechtslehre, § 82 I (S. 651 f.). 273 Oben A. 270
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gung hat die methodische Kritik anzusetzen: Das Gesetz geht vom Mehrheitsprinzip aus und weiß von einem besonderen sachlichen Rechtfertigungszwang nichts274. Vor allem aber markiert die judizielle Sachkontrolle einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in das grundrechtlich geschützte Recht der Gesellschaftermehrheit (Art. 14 GG), Satzungs- und Strukturänderungen eigenverantwortlich zu beschließen275. Beides bedingt, dass die Norm, nach der ein Mehrheitsbeschluss sachlich zu rechtfertigen ist, in einem besonderen methodischen Verfahren hergeleitet und begründet werden muss276. Dieses besondere Verfahren ist die Makroabwägung, also generalisierende Abwägung der abstrakt widerstreitenden Interessen277. Diese methodisch zwingende Ebene der Normbegründung278 aber überspringt das umfassende Kontrollmodell, wenn es unter alleiniger Berufung auf das Prinzip des Minderheitenschutzes eine breitflächige Einzelfallabwägung der konkret widerstreitenden Mehrheits-/Minderheitsinteressen für geboten hält. Ein solches Übergehen einer besonderen Begründungsebene lässt sich weiter in ähnlicher Weise auch hinsichtlich der privatrechtlichen Kontrolldogmatik feststellen, die Wiedemann zur argumentativen Unterstützung seiner Auffassung maßgeblich bemüht. IX. Privatrechtliche Kontrolldogmatik 1. Autonomer Regelungsansatz
Wiedemann bringt vor, dass der Mehrheitsbeschluss – jedenfalls bei stabilen Mehrheitsverhältnissen – keine Richtigkeitsgewähr verbürge, weshalb eine breitflächige richterliche Beschlusskontrolle angezeigt sei279. Dieses Argument erscheint schlüssig280. Systemkonform fügt es sich aber nur in ein Regelungskonzept ein, das die sich im Beschluss verwirklichende Autonomie der Gesellschaftsorgane hervorhebt und hierauf aufbauend dem Gedanken der Richtigkeitsgewähr privatautonomer Entscheidungen eine zentrale Stellung beimisst281. Wie aber die weitere Argumentation Wiedemanns zeigt, folgt dieser einem solchermaßen verstandenen autonomen Regelungskonzept gerade nicht. 274
Oben § 2 A., § 6 C. Näher oben § 6 B. II. 276 Canaris, Lücken, S. 161. 277 Näher unten § 14 A.; vgl. weiter unten § 14 B. 278 Deutlich Canaris, DB 1981, Beil. 14, S. 2; vgl. auch Canaris, Lücken, S. 161; Larenz, Methodenlehre, S. 474 ff.; Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 67. 279 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 I 1 (S. 406); speziell mit Blick auf das Sachgrunderfordernis ders., WM 2009, 1, 8; siehe auch ders., in: FS Heinsius, S. 949, 961; ders., ZGR 1999, 857, 870. 280 Siehe oben § 2 C.; siehe aber auch noch unten § 11 B. VI. 2. 281 Dieser Zusammenhang zwischen dem Gedanken der Richtigkeitsgewähr und einem autonomen Regelungskonzept tritt besonders deutlich hervor bei Fastrich, in: FS Kreutz, S. 585, 590 ff.; vgl. zum autonomen Regelungsansatz bereits oben § 6 I. I. 275
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3. Teil: Die Reichweite einer materiellen Beschlusskontrolle 2. Heteronomer Regelungsansatz
a) Das Gestaltungsgrund-Argument Vom heteronomen Standpunkt aus verleiht das gesetzliche Mehrheitsprinzip der Gesellschaftermehrheit eine Gestaltungsbefugnis, deren Ausübung sich für den unterlegenen Gesellschafter als ein Akt der Fremdbestimmung darstellt282. Räumt das Privatrecht derartige Gestaltungsbefugnisse ein, so bindet es diese häufig an das Vorliegen eines bestimmten Grundes; das heteronome Regelungsinstrument des Gestaltungsgrundes ist im Zivil- (vgl. §§ 119, 323 BGB) und Arbeitsrecht weit verbreitet (vgl. § 626 BGB, § 1 KSchG, § 14 TzBfG)283. So überrascht es denn auch nicht, dass Wiedemann Parallelen zwischen den bürgerlich- sowie arbeitsrechtlichen Gestaltungsbefugnissen und der kapitalgesellschaftsrechtlichen Mehrheits-Gestaltungsbefugnis zieht: Hier wie dort sei ein angemessener Schutz der einer einseitigen Rechtsänderung Unterworfenen dadurch zu gewährleisten, dass das Gestaltungsrecht stets nur bei Vorliegen eines sachlichen Grundes zulässigerweise ausgeübt werden kann284. Gegen diese Parallelziehung zur privatrechtsdogmatischen Abstützung des umfassenden Kontrollmodells sprechen zwei Gesichtspunkte: Soweit – erstens – das Zivil- und das Arbeitsrecht Gestaltungsrechte an einen Sachgrund binden, beruht dies regelmäßig auf einer gesetzlichen Anordnung. Das Anfechtungsrecht ist gem. § 119 BGB nur bei Vorliegen bestimmter Gründe zugelassen, die arbeitgeberseitige Kündigung bedarf deshalb sozialer Rechtfertigung, weil dies § 1 Abs. 1 KSchG festschreibt; die Notwendigkeit, die Befristung eines Arbeitsvertrages sachlich zu rechtfertigen, gründet auf der gesetzlichen Norm des § 14 Abs. 1 TzBfG – mag dem mitunter auch eine Rechtsprechungsentwicklung vorangegangen sein285. Das Kapitalgesellschaftsrecht lässt Satzungs- und Strukturänderungen dagegen gerade ohne das Vorliegen eines besonderen Grundes zu (vgl. für den Bezugsrechtsausschluss § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG). Der Gesetzgeber hat im Gegenteil mit der Regelung zum vereinfachten Bezugsrechtsausschluss (§ 186 Abs. 3 Satz 4 AktG) eine gegenüber dem Sachgrunderfordernis eher kritische Haltung bekundet286. Diese Unterschiede in der gesetzlichen Anerkennung lassen eine Parallelziehung zum Zivil- und Arbeitsrecht nur bedingt zu. Hinzu tritt 282 Oben § 6 I., II.; siehe insb. Martens, Mehrheitsherrschaft, S. 108 ff. (Mehrheitsbeschluss als Ausübung eines Gestaltungsrechts, Gestaltungsrecht als Mittel der Fremdbestimmung); Hofmann, Minderheitenschutz, S. 109 ff., insb. 113; ders., in: FS Hopt, Bd. 1, S. 833, 836 ff., 839 f. (gebotener Schutz vor Fremdbestimmung, Gesellschaftsinteresse als Ausübungsschranke); Wiedemann, JZ 1989, 447, 449 (Gestaltungsberechtigter, Gestaltungsunterworfener). 283 Vgl. Feuerborn, Sachliche Gründe im Arbeitsrecht (2003). 284 Wiedemann, WM 2009, 1, 8; siehe auch ders., in: FS Heinsius, S. 949, 960. 285 Siehe zur Entwicklung des Befristungsrechts BAG AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 15; näher Schlachter, in: Laux/Schlachter, TzBfG, Einführung Rn. 2 ff. 286 Vgl. oben § 6 C. III.
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zweitens die unterschiedliche Beurteilung der Frage der Rechtsbeeinträchtigung. Die zivil- und arbeitsrechtlichen Institute kennzeichnet eine individualisierende Betrachtungsweise: Die Anfechtung bringt die vertraglichen Rechte des Anfechtungsgegners zum Erlöschen, und die Kündigung des Arbeitsvertrages durch den Arbeitgeber beendet das Arbeitsverhältnis des einzelnen Arbeitnehmers. Dass dies nicht allein auf den Charakter schuldrechtlicher Austauschverträge als zweiseitiger Rechtsverhältnisse zurückzuführen ist, verdeutlicht ein Blick auf das dem Kapitalgesellschaftsrecht bekannte Institut des Gesellschafterausschlusses. Es handelt sich hierbei um eine Maßnahme, die sich idealtypisch gegen einen einzelnen Gesellschafter richtet, also einen individuellen Eingriff in seine Rechte darstellt und nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes ergriffen werden kann287. Das Sachgrunderfordernis folgt dagegen einer generalisierenden Betrachtungsweise: Gefragt wird, ob ein Eingriff in die Rechte der Gesellschafter vorliegt; die Gesellschafterminderheit wird als einheitliche geschlossene Front behandelt288. Angesichts dieser Unterschiede verfängt die Argumentation mit den zivil- und arbeitsrechtlichen Instituten nicht, und zwar weiter auch deswegen nicht, weil Wiedemann zusätzlich mit einem anderen Kontrollinstrument operiert, das von dem Gestaltungsgrund-Instrument zu trennen ist und daher auch in der Argumentation nicht mit diesem vermengt werden darf: nämlich dem der Ausübungskontrolle. b) Die Ausübungskontrolle Soweit die Vertreter des umfassenden Kontrollmodells darauf verweisen, dass es sich bei der Sachkontrolle um eine Form der Ausübungskontrolle handele, für die anerkannt sei, dass sie bei prinzipiell jeder Rechtsausübung zum Tragen kommen könne289, ist dem zu widersprechen. Richtig ist zwar, dass der Anwendungsbereich der Ausübungskontrolle gegenständlich nicht beschränkt ist290. Dieser breitflächige Anwendungsbereich der Ausübungskontrolle beruht allerdings auf zwei Prämissen. Zum einen stellt die Ausübungskontrolle das vertragliche oder kraft Gesetzes bestehende Recht als solches nicht in Frage, sondern setzt lediglich dessen Ausübung Schranken291. Dabei legt sie zum anderen, eben weil das Recht nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird, einen deutlich abgeschwächten Kontrollmaßstab zugrunde – geprüft wird herkömmlicherweise lediglich, ob der Rechtsinhaber die ihm verliehenen Rechte aufgrund besonderer Einzelfallum287 Vgl. Grunewald, Ausschluss, S. 1 ff., 29 ff., 60 ff.; zum Gesellschafterausschluss im GmbH-Recht Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 60 Rn. 77 ff.; zur umstrittenen Rechtslage im Aktienrecht Grunewald, Ausschluss, S. 52 ff. sowie K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 28 I 5 (S. 803). 288 Vgl. BGHZ 71, 40, 44 ff. (Kali & Salz); vgl. auch noch unten § 12 A. III. 1. 289 Wiedemann, WM 2009, 1, 8, 9; Martens, GmbHR 1984, 265, 270. 290 Vgl. Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 24 ff. 291 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 24 f. m.w. N.
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3. Teil: Die Reichweite einer materiellen Beschlusskontrolle
stände missbräuchlich ausgeübt hat292. Diese Kennzeichen der Ausübungskontrolle legen klar, warum der Verweis auf das heteronome Kontrollinstrument der Ausübungskontrolle einen umfassenden Anwendungsbereich des Sachgrunderfordernisses nicht zu tragen vermag. Denn das Sachgrunderfordernis stellt das kraft Gesetzes bestehende Recht zur mehrheitlichen Beschlussfassung gerade als solches in Frage, wenn es die gesetzlichen Beschlusskompetenznormen nicht mehr ausreichen lässt, sondern diesen das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des sachlichen Grundes hinzufügt293. Vor allem aber beschränkt sich die Beschlusskontrolle anhand des Sachgrunderfordernisses nicht auf eine Überprüfung am Maßstab des Rechtsmissbrauchs, sondern unterzieht den Beschluss aufgrund der von ihm ausgehenden Belastung einer Kontrolle am Maßstab der Angemessenheit. Die Argumentation mit dem Charakter der Sachkontrolle als einer Form der Ausübungskontrolle kommt daher einer „Rosinenpickerei“ gleich: Den gegenständlich nicht beschränkten Anwendungsbereich der Ausübungskontrolle nimmt man gerne, die mehrheitsfreundlichen Kennzeichen dieses Kontrollinstrumentes, die Anerkennung der Kompetenznorm sowie den abgeschwächten Kontrollmaßstab, dagegen nicht294. Die Frage nach den Hintergründen für diese argumentative Verkürzung führt uns auf die Ebene, die das umfassende Kontrollmodell verständlich macht. X. Rechtstheorie 1. Das Wiedemann’sche Rechtsmodell: der streng primärrechtliche Ansatz
Beansprucht das Sachgrunderfordernis nach dem umfassenden Kontrollmodell im Prinzip für jeden nachteiligen Satzungs- und Strukturänderungsbeschluss Geltung, wird den gesetzlichen Beschlusskompetenznormen in breitem Umfang kraft richterlicher Rechtsfortbildung das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des sachlichen Grundes hinzugefügt. Das umfassende Kontrollmodell ist also ein streng primärrechtliches Kontrollmodell. Hinter der Konzeption von Wiedemann – der bezeichnenderweise dem anglo-amerikanischen Rechtskreis verbunden ist – verbirgt sich denn auch ein grundsätzlich anderes Rechtsverständnis. Dieses Rechtsverständnis basiert auf Rechtsprinzipien und rechtsethischen Maßstäben, die es, wenn der Gesetzgeber sie nicht ausreichend verwirklicht, im Wege richterlicher Rechtsfortbildung durchzusetzen gilt295. Bei einem solchen Rechtsverständnis 292 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 24 f.; Pfeifer, Inhaltskontrolle, S. 92 f.; Schubert, in: MünchKomm/BGB, § 242 Rn. 235 ff. 293 Siehe oben § 5 C., § 6 G. III. 294 Vgl. zu den Implikationen einer Konzeption der Ausübungskontrolle unten §§ 13–15. 295 Vgl. die Anlehnung von Wiedemann, ZGR 1999, 857, 872 an Dworkin, Taking Rights Seriously, S. 342: „Es gibt Fälle, in denen der Gesetzesvollzug dominiert, und solche, in denen die Rechtsfrage vom moralischen Hintergrund abhängt. Der Minderhei-
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sinkt der Begründungsaufwand für richterliche Rechtsschöpfungsakte: Richterliche Rechtsfortbildung erscheint als etwas mehr oder weniger Selbstverständliches, der Richter wird neben dem Gesetzgeber zum gleichberechtigten Gestalter der Primärebene. Diese richterliche Gestaltungsfreiheit ist Folge davon, dass den traditionellen primärrechtlichen Autoritäten, dem positiven Gesetz und der Dogmatik, ein geringerer Stellenwert beigemessen wird als im klassischen Rechtsanwendungsmodell; aus der „Enge kleinlicher Normen und Dogmen“ 296, kurz: der Sekundärebene, wird mit dem Ziel einer größeren richterlichen Gestaltungsfreiheit auf der Primärebene ausgebrochen. 2. Kritische rechtstheoretische Deutung des umfassenden Kontrollmodells
Der streng primärrechtliche Ansatz ist, wie dargelegt, ein antigesetzlicher und antidogmatischer Ansatz. Dass es für das Sachgrunderfordernis keine überzeugende dogmatische Rechtsgrundlage gibt und auch das positive Recht von einem Erfordernis sachlicher Rechtfertigung nichts weiß, ist für Wiedemann denn auch kein Hindernis, den Anwendungsbereich dieses Instituts zu beschränken oder es gar ganz aufzugeben. Ebenso wenig kann es vor dem Hintergrund des primärrechtlichen Rechtsverständnisses überraschen, dass Wiedemann den gesetzlichen Beschlussregeln keine die richterliche Inhaltskontrolle verdrängende oder auch nur beschränkende Wirkung beimisst und dies damit begründet, dass es sich bei den gesetzlichen Ausgleichs- und Abfindungsrechten nur um „subsidiäre Rechtsbehelfe“ handele, die einen wirksamen, d.h. der richterrechtlichen Inhaltskontrolle standhaltenden Beschluss erst einmal voraussetzten297. Der Richter steht im Wiedemann’schen Rechtsmodell eben nicht „unter“ dem Gesetz und der Dogmatik (Sekundärebene), sondern nahezu gleichberechtigt „neben“ diesen (Primärebene). Daher operiert der Richter, wie erwähnt, auch weniger mit Gesetz und Dogmatik, als vielmehr mit Rechtsprinzipien und rechtsethischen Maßstäben. In den Worten Pickers: „Rechtsidee und Rechtsanwendung sind theoretisch wie praktisch kurzgeschlossen [. . .] Er [scil. der Richter] greift gleichsam durch Norm und Dogmatik hindurch, um seine Entscheidung unmittelbar aus „letzten“ Kriterien der Richtigkeit und Gerechtigkeit zu gewinnen.“ 298 Dieser Durchgriff durch die Ebene von Gesetz und Dogmatik, anders ausgedrückt: das Überspringen der Primärebene, erklärt auch das methodische und privatrechtsdogmatische Vorgehen von Wiedemann. Die Makroabwägung, bei der durch eine generalisie-
tenschutz gehört zur zweiten Kategorie.“; vgl. auch den Titel der Kölner Rektoratsrede Wiedemanns (ZGR 1980, 147): „Rechtsethische Maßstäbe im Unternehmens- und Gesellschaftsrecht“. 296 Picker, JZ 1988, 1, 11 (allgemein, d.h. ohne Bezug zum Sachgrunderfordernis). 297 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 III 3 (S. 446); ders., in: FS Heinsius, S. 949, 962; ders., in: GroßKomm/AktG, § 179 Rn. 181. 298 Picker, JZ 1988, 1, 9 (allgemein, d.h. ohne Bezug zum Sachgrunderfordernis).
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3. Teil: Die Reichweite einer materiellen Beschlusskontrolle
rende Abwägung abstrakt widerstreitender Interessen ermittelt wird, inwiefern eine eingriffsbasierte Einzelfallabwägung (Mikroabwägung) geboten und zulässig ist, ist auf der Primärebene angesiedelt. Eine der Richterrechtsschöpfung vorausliegende Primärebene, auf der die Makroabwägung anzusiedeln wäre, gibt es aber im Rechtskonzept Wiedemanns nicht. Aus dem rechtsethischen Prinzip des Minderheitenschutzes wird unmittelbar abgeleitet, dass bei jedem nachteiligen Beschlussgegenstand eine Einzelfallabwägung der konkret widerstreitenden Interessen von Gesellschaft bzw. Gesellschaftermehrheit und Gesellschafterminderheit (Mikroabwägung) stattzufinden habe. Ohne Primärebene ist dies zwar konsequent, methodisch korrekt und verfassungsrechtlich unbedenklich aber wohl kaum299. Ähnlich verhält es sich in privatrechtsdogmatischer Hinsicht mit der Wiedemann’schen Einordnung der Beschlusskontrolle in die Dogmatik der Ausübungskontrolle. Die Ausübungskontrolle ist wegen der mit ihr verbundenen Anerkennung der gesetzlichen Kompetenznorm sowie ihres eingeschränkten Missbrauchsmaßstabs eine Einzelfallkontrolle. Sie ist daher auf der Sekundärebene anzusiedeln300. Die Beschlusskontrolle anhand des Sachgrunderfordernisses, die einen bestimmten Beschlussgegenstand aufgrund der mit diesem verbundenen Belastung einer Angemessenheitskontrolle unterzieht, ist dagegen auf der Primärebene zu verorten301. Sie löst daher auch dort einen besonderen dogmatischen und positivrechtlichen Begründungsaufwand aus. Diesem besonderen Begründungsaufwand entzieht sich das umfassende Kontrollmodell – die intermediäre primärrechtliche Begründungsebene (= Gesetz und Dogmatik) für eine belastungsbasierte Beschlussangemessenheitskontrolle wird vielmehr übergangen, wenn eine als Ausübungskontrolle verpackte generelle Angemessenheitskontrolle durch den bloßen Hinweis auf rechtsethische Maßstäbe begründet wird. Schließlich liefert der rechtstheoretische Blick auf das umfassende Kontrollmodell auch eine Begründung dafür, warum dieses in sachlich-inhaltlicher Hinsicht nicht zu überzeugen vermochte: Werden rechtliche Regeln maßgeblich anhand rechtsethischer Prinzipien – im Falle des Sachgrunderfordernisses: anhand des Prinzips des Minderheitenschutzes – begründet, besteht die Gefahr, gegenläufige Rechtsprinzipien, die nicht die gleichen moralisch-intuitiven Schutzinstinkte auslösen302, aus den Augen zu verlieren – im Falle der Sachkontrolle also das Prinzip der Gestaltungsfreiheit. Das Sachgrunderfordernis sowie das umfassende Kontrollmodell haben sich denn auch mit dem Gebot der Äquidistanz als nicht vereinbar erwiesen.
299
Oben VIII. Näher unten § 14 A. 301 Siehe oben § 6 G. III. 302 Siehe den zutreffenden und zu beachtenden Hinweis von K. Schmidt, Gesellschaftsrecht § 16 III 1 a (S. 467), wonach das rechtspolitische Anliegen des Minderheitenschutzes Schutzinstinkte wecke, die sich verselbstständigen und die Leitungsmacht und Mehrheitsherrschaft paralysieren könnten. 300
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3. Zusammenfassende Kritik
Gegen einen streng primärrechtlichen Ansatz sind nicht wenige grundsätzliche Einwände denkbar. Man denke etwa an die verfassungsrechtlichen Prinzipien der Gewaltenteilung und der Gesetzesbindung des Richters, die unzulängliche Entscheidungsbasis richterlicher Rechtsetzungsakte oder die Gefahr eines rechtlich undeterminierten Entscheidungsbeliebens303. Vorliegend genügt allerdings bereits der Blick auf das Produkt, das dieses Rechtsverständnis im Bereich der materiellen Beschlusskontrolle hervorbrachte304: Das rechtsferne, mit seinen öffentlich-rechtlichen Kategorien antizivilistische, einseitig Minderheitsinteressen berücksichtigende Sachgrunderfordernis belegt die fehlende Tragfähigkeit eines streng primärrechtlichen Ansatzes deutlich. XI. Fazit zum umfassenden Kontrollmodell Dem umfassenden Kontrollmodell ist nach alledem die Zustimmung zu versagen. Dieser Kontrollansatz vermochte unter den maßgeblichen Bewertungskategorien (höherrangiges Recht, Rechtsvergleichung, (Privatrechts-)Dogmatik, sachlich-inhaltlich, Systematik, Methodik) nicht zu überzeugen. Das Anliegen, die divergierenden Interessen von Gesellschaftermehrheit und Gesellschafterminderheit sach- und systemgerecht auszugleichen, war mit dem Sachgrunderfordernis daher in der Tat anfänglich unmöglich geworden: Das umfassende Kontrollmodell trägt zwar dem Regelungsziel der Systemgerechtigkeit Rechnung, weil es an wirtschaftlich austauschbare Maßnahmen die gleichen rechtlichen Anforderungen stellt, verfehlt dafür aber das Regelungsziel der Sachgerechtigkeit (= Unvereinbarkeit mit dem Gebot der Äquidistanz). Die herrschende Theorie der gesetzlich vorgeprägten Beschlussgegenstände versucht das Regelungsziel der Sachgerechtigkeit durch einen gegenständlich beschränkten Anwendungsbereich des Sachgrunderfordernisses zu erreichen, opfert diesem Anliegen aber das Regelungsziel der Systemgerechtigkeit (= unterschiedliche rechtliche Anforderungen an wirtschaftlich austauschbare Maßnahmen). Die anfängliche Unmöglichkeit bleibt weder im allgemeinen Schuldrecht noch bei der kapitalgesellschaftsrechtlichen Rechtsfortbildung sanktionslos: Das schädigende Element ist im Wege der Naturalrestitution durch Herstellung des Zustandes, der ohne das schädigende Ereignis bestünde, zu beseitigen (§§ 311a Abs. 2, 249 Abs. 1 BGB). Vollstreckt findet sich diese Sanktion im Rahmen der kapitalgesellschaftsrechtlichen Beschlusskontrolle im vermögensbezogenen Schutzansatz Peter O. Mülberts. Diesem Ansatz haben wir uns folglich als Nächstes zuzuwenden.
303
Näher Picker, JZ 1988, 1 ff., 67 ff., insb. 70 ff. Für einen vergleichenden Test der jeweiligen Rechtsprodukte auch Picker, JZ 1988, 1, 11 f. 304
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3. Teil: Die Reichweite einer materiellen Beschlusskontrolle
§ 10 Das vermögensorientierte Schutzkonzept A. Darstellender Teil I. Der aktienrechtliche Dualismus Der vermögensbezogene Schutzansatz von Mülbert basiert auf der Annahme eines aktienrechtlichen Dualismus. Die Aktiengesellschaft sei vom Gesetzgeber zum einen als privatrechtlicher Personenverband zur Verwirklichung eines gemeinsamen Zwecks konzipiert worden305. Sie solle zum anderen aber auch als Kapitalsammelbecken dienen; ihr sei vom Gesetzgeber ebenso eine kapitalmarktbezogene Funktion zugedacht worden306. Dieser Dualismus findet seine Fortsetzung in der Charakterisierung der Rechtsstellung des Aktionärs, die Mülbert als „hybrid“ bezeichnet307: Der Aktionär sei zum einen Mitglied eines privatrechtlichen Personenverbandes, dem an einer effektiven Verwirklichung des gemeinsam gesetzten Verbandszwecks gelegen sei (Aktionär als Verbandsmitglied)308. Er sei aber zugleich ein in die Aktiengesellschaft investierender Kapitalanleger, dem die Verwirklichung eines gemeinsamen Zwecks fernliege, für den vielmehr der effektive Schutz seiner Vermögensinteressen entscheidend sei (Aktionär als Anleger)309. II. Das vermögensbezogene Schutzsystem bei Hauptversammlungsbeschlüssen Zwischen der verbandsrechtlichen und der kapitalmarktrechtlichen Komponente des Aktienrechts könne es zu Spannungen und Zielkonflikten kommen310. Diese seien aber vom Gesetzgeber in bestimmten Einzelregelungen zugunsten der einen oder anderen Komponente entschieden worden311. Eine gesetzgeberische Entscheidung zugunsten der kapitalmarktrechtlichen Komponente glaubt Mülbert beim Schutz gegen nachteilige Hauptversammlungsbeschlüsse ausmachen zu können. Die Rede ist hier von einem „rein vermögensmäßig konzipierten Schutzsystem des AktG 1965“ 312. Zum Beleg für diese vermögensbezogene Ausrichtung kann Mülbert eine Reihe aktienrechtlicher Regelungen anführen,
305
Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 78 f., 154 ff. Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 78 ff., 94 ff. 307 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 97 ff.; ders., in: GroßKomm/AktG, Vor §§ 118– 147 Rn. 199; ders., in: FS Ulmer, S. 433, 434, 449 f. 308 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 55 ff., S. 149. 309 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 55 ff., S. 136, 138. 310 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 136 ff., insb.149 ff. 311 Deutlich Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 153. 312 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 348. 306
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etwa § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG, § 255 Abs. 2 AktG oder die Ausgleichs- und Abfindungsansprüche des Konzern- und Umwandlungsrechts313. III. Die konkreten Kontrollmaßstäbe Diese gesetzgeberische Entscheidung zugunsten einer stärkeren Gewichtung der vermögensbezogenen Komponente müsse bei der Auslegung und Rechtsfortbildung berücksichtigt werden314. Habe der Gesetzgeber den Schutz des Aktionärs gegen nachteilige Hauptversammlungsbeschlüsse vermögensmäßig konzipiert, müsse eine engmaschige richterliche Beschlusskontrolle weitestgehend ausscheiden315. Die Devise Mülberts lautet: „Geldausgleich statt Inhaltskontrolle“ 316, „Vermögensschutz statt Beschlusskontrolle“ 317. Dies zeitigt bei der Formulierung der Kontrollmaßstäbe für Hauptversammlungsbeschlüsse dann folgende Auswirkungen: Zweckgebundene Beschlüsse wie etwa der Bezugsrechtsausschluss seien lediglich daraufhin zu überprüfen, ob sie mit dem aus dem Verbandszweck abgeleiteten Verbandsinteresse vereinbar sind; dieser Maßstab, der bei zweckändernden Beschlüssen (Auflösung, Verschmelzung etc.) naturgemäß nicht zum Tragen kommen kann, bildet die Ausprägung der verbandsrechtlichen Komponente des Aktienrechts318. Eine weiter gehende materielle Beschlusskontrolle nach Art des Sachgrunderfordernisses lehnt Mülbert dagegen entschieden ab; eine solche im Bereich der Rechtsethik angesiedelte verbandsrechtlich-bestandsschützende Beschlusskontrolle sei mit dem rein vermögensmäßig konzipierten Schutzsystem des AktG nicht in Einklang zu bringen319. Es müsse vielmehr mit einer einzelfallbezogenen Missbrauchskontrolle sein Bewenden haben, für die Mülbert auf die § 242 BGB, § 243 Abs. 2 AktG, § 53 a AktG verweist320. Selbst diesen recht bescheidenen materiellen Maßstab will Mülbert dann aber (wohl) weiter einschränken, indem er auch hier dem rein vermögensmäßig konzipierten Schutzsystem des AktG zum Durchbruch verhilft321. Rechtstechnisch wird dies dadurch erreicht, dass die Ausgleichsklausel des § 243 313 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 259–303, 347 ff., 354 ff. zusf. S. 357 ff. sowie noch unten B. II. 2. 314 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 153. 315 Deutlich Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 346 f.; ders., in: GroßKomm/AktG, Vor §§ 118–147 Rn. 201. 316 So der Rezensionstitel von Hirte, WM 1997, 1001 ff. 317 Siehe Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 354; so auch die Kennzeichnung der Konzeption Mülberts bei Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 56. 318 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 321 ff., 338, 344, zusf. S. 358. 319 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 324 ff., 339 ff., 345 ff., insb. S. 346; ders., in: GroßKomm/AktG, Vor §§ 118–147 Rn. 201. 320 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 344 ff., 354, zusf. S. 358. 321 Vgl. zur unklar bleibenden Reichweite der hierdurch bedingten Restriktionen unten B. I.
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3. Teil: Die Reichweite einer materiellen Beschlusskontrolle
Abs. 2 Satz 2 AktG, die das Verfolgen von Sondervorteilen bei finanziellem Ausgleich an die Aktionäre zulässt, auf die in § 243 Abs. 1 AktG angesiedelten Verstöße gegen Treue-, Rücksichts- und Loyalitätspflichten, aber auch auf den Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 53a AktG) übertragen wird, sofern von dem Beschluss ausschließlich Anlegeraktionäre betroffen sind322. Während Mülbert dabei ursprünglich jede Beschlussminderheit, die 25% oder weniger des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals hält, als Anlegeraktionär verstand323, hat er diese Position im Zuge der Einführung des squeezeout (§§ 327a ff. AktG) dahingehend modifiziert, dass nur noch Aktionäre, die über 5% oder weniger des Grundkapitals verfügen, als Anlegeraktionäre einzustufen seien324. IV. Vermögensorientierte Konzeptionen im weiteren Schrifttum Das vermögensorientierte Konzept Mülberts hat in zwei Habilitationsschriften der letzten Dekade weitere Ausgestaltungen erfahren: zum einen von Klöhn, dessen Ansatz sich als „Aufopferungsmodell“ kennzeichnen lässt325, zum anderen von Paefgen, für den das Stichwort business judgment rule steht326. Die folgenden Ausführungen beziehen sich zwar zuvörderst auf die ursprüngliche vermögensorientierte Konzeption Mülberts. Sie lassen sich aber in einigen Teilen auf die weiteren vermögensorientierten Konzeptionen übertragen. Gesondert soll auf diese noch knapp am Schluss der Erörterung der vermögensorientierten Konzeptionen eingegangen werden.
B. Einordnender und bewertender Teil I. Verfassungsrecht Ein erster Einwand gegen die Konzeption Mülberts ist verfassungsrechtlicher Provenienz. Das Verfassungsgericht hat zwar durch das Erfordernis einer „vollen wirtschaftlichen Entschädigung“ den Vermögensschutz der Aktionäre akzentuiert. Daneben hat es aber stets betont, dass den Aktionären „wirksame Rechtsbehelfe gegen den Missbrauch wirtschaftlicher Macht“ zur Verfügung stehen müssen327. Diesen Rechtsbehelf erblickt das Gericht, wie vor allem die „DAT/ 322
Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 348 f. Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 259 ff., 349. 324 Mülbert, in: FS Ulmer, S. 433, 450. 325 Klöhn, Das System der aktien- und umwandlungsrechtlichen Abfindungsansprüche (2009). 326 Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen und Rechtsbindung der Organe in der AG (2002). 327 Bereits BVerfGE 14, 263, 283 (Feldmühle); dann fortgeführt von BVerfGE 100, 289 302 f. (DAT/Altana); BVerfG ZIP 2000, 1670, 1671 ff. (Moto Meter); BVerfG 323
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Altana“-Entscheidung erkennen lässt, in der aktienrechtlichen Anfechtungsklage328. In deren Rahmen muss aus verfassungsrechtlicher Sicht zwar keine engmaschige Inhaltskontrolle, wohl aber eine Missbrauchskontrolle möglich sein329. Nimmt man nun sowohl das Verfassungsgericht als auch Mülbert beim Wort, setzt die jeweiligen Prämissen also eins zu eins um, dürfte dies dazu führen, dass Aktionären den verfassungsrechtlichen Vorgaben zuwider der verbandsrechtliche Missbrauchsschutz vorenthalten wird: Dieser Missbrauchsschutz wird nach gegenwärtiger Rechtslage dadurch gewährleistet, dass eine Anfechtungsklage unter Berufung auf den Anfechtungsgrund des § 243 Abs. 1 AktG mit der Begründung erhoben werden kann, die Mehrheit habe bei der Beschlussfassung missbräuchlich gehandelt und dadurch ihre gesellschaftsrechtliche Treuepflicht verletzt330. Diesen jedem, auch dem Klein- und Kleinstaktionär, zustehenden Rechtsbehelf bzw. genauer: den materiell-rechtlichen Maßstab dieses Rechtsbehelfs entzieht Mülbert der Aktionärsminderheit, wenn er einen Verstoß gegen die in § 243 Abs. 1 AktG angesiedelten Rücksichts- und Loyalitätspflichten bei angemessenem finanziellen Ausgleich an Anlegeraktionäre von vorneherein ausschließt331. Mülbert spricht dies zwar lediglich für § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG aus; nur insoweit scheint er dem gesetzlichen Vermögensschutz eine die Beschlusskontrolle komplett verdrängende Wirkung beimessen zu wollen332. Da jedoch die vermögensrechtliche Kompensationsfunktion des § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG bei anderen Beschlussgegenständen von jeweils speziellen Normen übernommen wird – beim Bezugsrechtsausschluss von § 255 Abs. 2 AktG, bei Unternehmensverträgen von den §§ 304, 305 AktG, bei der Verschmelzung von §§ 20 Abs. 1 Nr. 3, 15, 29 UmwG –, wäre es nur konsequent, auch bei diesen Beschlussgegenständen einen in § 243 Abs. 1 AktG anzusiedelnden Rechtsmissbrauchsvorwurf auszuschließen333. Von dem „wirksamen Rechtsbehelf gegen den Missbrauch wirtschaftlicher Macht“ bliebe dann kaum etwas übrig. Zwar wird im Rahmen der (rechtspolitischen) Diskussion um die aktienrechtliche Anfechtungsklage die Einführung eines Mindestquorums für die Aktionärsanfechtungsbefugnis und damit die völlige Abschaffung des verbandsrechtlichen Rechtsschutzes unterhalb der
NJW 2007, 3268, 3269 ff. (Edscha); ausführlicher zum verfassungsrechtlichen Rahmen der Beschlusskontrolle oben § 6 B. 328 BVerfGE 289, 304: „Mit der Möglichkeit, Anfechtungsklage (. . .) zu erheben, haben die Aktionäre einen wirksamen Rechtsbehelf gegen einen denkbaren Mißbrauch wirtschaftlicher Macht.“ 329 Hier nur BVerfG ZIP 2000, 1670, 1673 (Moto Meter); näher oben § 6 B. I. 330 Vgl. BGHZ 142, 167, 169 ff. (Hilgers); BGH NZG 2005, 551, 552; Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 66: K. Schmidt, in: GroßKomm/AktG, § 243 Rn. 48; vgl. aber auch noch unten §§ 12, 13. 331 Siehe Wandrey, Beschlusskontrolle, S. 117. 332 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 349, 358; vgl. dies mit Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 345 f., 354, 358. 333 So auch Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 317 f.
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als maßgeblich erachten Schwelle verbreitet für verfassungsrechtlich zulässig erachtet334, doch setzen die diesbezüglichen Vorschläge zu Recht bei sehr niedrigen Schwellenwerten an335. Die von Mülbert gezogenen Grenzen – jedenfalls die ursprüngliche 25%-Grenze – dürften demnach zu hoch gegriffen sein. Während also das Sachgrunderfordernis über die verfassungsrechtlichen Anforderungen hinausgeht, bleibt das vermögensorientierte Schutzkonzept tendenziell dahinter zurück – ein Aspekt, der in ähnlicher Weise auch bei der Methodik des vermögensorientierten Schutzkonzeptes festzustellen ist. II. Methodik 1. Das Systembindungsmodell
Im Mittelpunkt der Konzeption Mülberts steht das „rein vermögensmäßig konzipierte Schutzsystem des AktG 1965“. Dieses System bildet Mülbert aus den einzelnen Regelungen zum Schutz des Aktionärs gegen nachteilige Hauptversammlungsbeschlüsse. Das auf diese Weise geformte vermögensmäßige Schutzsystem hat jedoch nicht nur eine darstellerische Funktion, ist also nicht darauf beschränkt, den vorhandenen Rechtsstoff verständlicher zu machen. Ihm kommt vor allem eine produktive Funktion zu – es soll dem Rechtsanwender eine Antwort auf die ungeklärte Frage nach der Intensität und Reichweite einer richterlichen Beschlusskontrolle geben336. Und die Antwort des Systems ist dabei negativ: Weil es nach dem gesetzlichen Schutzsystem mit einem vermögensbezogenen Schutz sein Bewenden habe, müsse eine weiter gehende richterliche Beschlusskontrolle ausscheiden. Auch Mülbert praktiziert demzufolge ein Bindungsmodell. Nur wird der Rechtsanwender hier nicht an eine einzelne Rechtsnorm gebunden, sondern an ein System. Die Überzeugungskraft dieses methodischen Vorgehens hängt demnach davon ab, ob sich ein vermögensmäßig konzipiertes Schutzsystem als bindende Instanz tatsächlich bilden und ausmachen lässt. 2. Das vermögensmäßig konzipierte Schutzsystem
Setzt sich das vermögensmäßig konzipierte Schutzsystem nach Mülbert aus verschiedenen Einzelregelungen zusammen, sind, um die Frage nach der Existenz eines solchen Systems zu beantworten, die das System konstituierenden Ein334 J. Vetter, AG 2008, 175, 186 ff.; Poelzig/Meixner, AG 2008, 196, 202 f., jew. m.w. N. 335 Beschluss Nr. 15, 67. DJT, abgedruckt in: Verhandlungen des 67. DJT, S. N. 105 (1%); Boujong, in: FS Kellermann, S. 1, 14 (2–5%); Noack, BB 2007, Heft 32, Seite 1 (1%); vgl. auch Hüffer, AktG, § 245 Rn. 27 („2–5% bei großen Gesellschaften zu hoch“). 336 Siehe zu den Funktionen von Rechtssystemen Röhl/Röhl, Rechtslehre, § 54 IV (S. 442).
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zelregeln daraufhin zu untersuchen, ob sie für eine solche Systembildung geeignet sind. a) Die Ausgleichsklausel des § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG Der Ausgleichsklausel des § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG, die das Verfolgen von Sondervorteilen bei finanziellem Ausgleich an die geschädigten Aktionäre sanktioniert, misst Mülbert eine zentrale Stellung innerhalb des vermögensmäßig konzipierten Schutzsystems bei. Diese Norm bringe in allgemeinster Form den das AktG durchziehenden Grundgedanken zum Ausdruck, dass allein die Vermögensinteressen der Aktionäre Schutz genießen sollen, nicht jedoch die Herrschaftsinteressen337. Zwei Gründe aber sprechen dagegen, in der Ausgleichsklausel des § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG einen tragenden Stützpfeiler des „rein vermögensmäßig konzipierten Schutzsystems“ zu erblicken. Ersterer tritt bei einem Blick in die Gesetzesmaterialien zum Vorschein. Zur Bedeutung des § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG wird dort ausgeführt: „Das [scil. die Ausgleichsmöglichkeit] ist vor allem für die Beschlussfassung über solche Unternehmensverträge bedeutsam, für die nicht schon wie in § 304 des Entwurfs das Gesetz eine Ausgleichspflicht vorschreibt.“ 338 Als Anwendungsfall für die Ausgleichsklausel hatte der Gesetzgeber also vor allem die Unternehmensverträge nach § 292 AktG im Blick, denn für diese gilt die Ausgleichsnorm des § 304 AktG nicht. Durch § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG wurde dem ja zumeist herrschenden Aktionär, dem der Unternehmensvertrag nach § 292 AktG Sondervorteile verschafft, die Möglichkeit eröffnet, die erfolgreiche Anfechtung des Hauptversammlungsbeschlusses durch Ausgleich des Schadens der anderen Aktionäre abzuwenden. Im Grunde genommen wurde damit der Abschluss von Verträgen nach § 292 AktG in mehrgliedrigen Aktiengesellschaften überhaupt erst ermöglicht. Die Gesetzesmaterialien deuten also auf eine begrenzte Funktion der Ausgleichsklausel des § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG hin. Dies legt eine restriktive Handhabung der Norm nahe und steht ihrer Überhöhung zu einer Fundamentalnorm des „rein vermögensmäßig konzipierten Schutzsystems“ entgegen339. Der zweite Grund führt zur Entstehungsgeschichte der Norm340. § 243 Abs. 2 AktG 1965 geht auf § 197 Abs. 2 AktG 1937 zurück – sowohl sprachlich als auch inhaltlich lehnt sich die Vorschrift eng an ihre Vorgängernorm an341. § 197 Abs. 2 AktG 1937 wiederum war das kodifikatorische Resultat der Rechtsprechung des Reichsgerichts zur Sittenwidrigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen: In § 197 Abs. 2 AktG 1937 schrieb der historische Gesetzgeber das fest, was zuvor das Reichsgericht in einer 337
Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 347, 354 f. Kropff, Aktiengesetz 1965, S. 329. 339 So im Grundsatz auch Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 314 f.; Wandrey, Beschlusskontrolle, S. 113. 340 Dazu ausführlich Hüffer, in: FS Kropff, S. 127, 134 ff. 341 Vgl. Kropff, Aktiengesetz 1965, S. 329. 338
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langjährigen Rechtsprechung auf der Grundlage des Sittengebots als Schranken der Mehrheitsherrschaft entwickelt hatte342. Entstehungsgeschichtlich führt von § 243 Abs. 2 AktG also ein direkter Weg zum Gebot der guten Sitten343. Dieser Ursprung in einer heute als Konkretisierungs- und Wertungsgrundlage überholten Norm344 spricht entscheidend dagegen, § 243 Abs. 2 AktG bzw. die Ausgleichsklausel des § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG über den Zwischenschritt der Systembildung bei der Bestimmung des Regelungsgehalts kapitalgesellschaftsrechtlicher Beschlussmängelregeln einzusetzen345. b) Die Verwässerungsschutzklausel des § 255 Abs. 2 AktG Die Vorschrift des § 255 Abs. 2 AktG schützt die vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Aktionäre vor einer vermögensmäßigen Verwässerung ihrer Aktien, die dann eintritt, wenn junge Aktien unter Wert ausgegeben werden346. In dieser vermögensschützenden Norm erblickt Mülbert daher auch eine zentrale Ausprägung des rein vermögensmäßig konzipierten Schutzsystems347. Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Genese der Norm lassen dies allerdings zweifelhaft erscheinen. § 255 Abs. 2 AktG hat, wie die Formulierung „[d]ie Anfechtung kann [. . .] auch darauf gestützt werden“ sowie die Gesetzesmaterialien 348 erkennen lassen, schutzerweiternde Funktion: Der als unzureichend empfundene Schutz durch die Anfechtungsmöglichkeit gem. §§ 255 Abs. 1, 243 AktG sollte durch eine zusätzliche Anfechtungsmöglichkeit ergänzt werden, die die Aktionäre jedenfalls vor einer vermögensrechtlichen Anteilsverwässerung schützt349. Zwar kann man es mit dieser schutzerweiternden Funktion nicht so weit treiben, dass man § 255 Abs. 2 AktG – wie im Rahmen des Sachgrunderfordernisses – bei der Entwicklung materieller Beschlussschranken gänzlich unberücksichtigt lässt350. Ebenfalls nicht richtig erscheint es allerdings, aus § 255 Abs. 2 AktG im Wege der Systembildung eine schutzverkürzende Norm zu machen. Dies aber geschieht, wenn die 342 Siehe Klausing, Aktiengesetz 1937, S. 177; vgl. aus der reichsgerichtlichen Rechtsprechung etwa RG JW 1916, 575, 576; RGZ 107, 72, 74 ff.; RGZ 112, 14, 15 ff.; RGZ 122, 159, 165 f.; RGZ 132, 149, 161 ff. (Victoria). 343 Siehe auch Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 70 (§ 243 II AktG als Fall der Umstandssittenwidrigkeit, enger Zusammenhang mit der Sittenwidrigkeit). 344 Siehe oben § 4 B. I. 345 Oben § 4 B. II.; dogmatisch kommt der Norm dagegen eine zentrale Stellung zu, siehe unten § 12 A. II. 3. 346 Hier nur Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 255 Rn. 2; dazu bereits oben § 6 F. 347 Insbesondere Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 347 f. 348 Siehe Kropff, Aktiengesetz 1965, S. 341 f. 349 So auch die Position der h. L., siehe Bayer, ZHR 163 (1999), 505, 530; Hüffer, in: FS Kropff, S. 127, 133; K. Schmidt, in: GroßKomm/AktG, § 255 Rn. 2; Wandrey, Beschlusskontrolle, S. 113, jew. m.w. N.; aus der Rspr. vgl. BGHZ 71, 40, 50 (Kali & Salz). 350 Siehe oben § 6 F.
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Vorschrift im vermögensmäßig konzipierten Schutzsystem als Beleg dafür herangezogen wird, dass den Aktionären allein ein vermögensrechtlicher Schutz zuteilwerden soll, nicht dagegen ein über die §§ 255 Abs. 1, 243 AktG zu verwirklichender verbandsrechtlicher Mitgliedschaftsschutz. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass § 255 Abs. 2 AktG im ursprünglichen Regierungsentwurf des AktG 1965 noch nicht enthalten war, sondern erst nachträglich auf eine eher spontan anmutende Initiative des Bundesrats Aufnahme in das Gesetz fand351. Auch diese Entstehungsgeschichte spricht dagegen, in § 255 Abs. 2 AktG eine gesetzgeberische Gesamtkonzeption des rein vermögensmäßigen Schutzes verwirklicht zu sehen. c) Konzern- und umwandlungsrechtliche Ausgleichs- und Abfindungspflichten Schließlich stützt Mülbert die Annahme eines „rein vermögensmäßig konzipierten Schutzsystems“ auf die konzern- und umwandlungsrechtlichen Ausgleichs- und Abfindungsnormen (§§ 302, 304, 305, 311, 317, 320 b AktG, §§ 5 Abs. 1 Nr. 3, 20 Abs. 1 Nr. 3, 15, 29 UmwG)352. Auch diese Normen stellen jedoch – ohne dass es insoweit einer Einzelanalyse bedürfte – keine geeignete Grundlage für das Postulat eines „rein vermögensmäßig konzipierten Schutzsystems des AktG 1965“ dar. Denn diesen Normen lässt sich in ihrer systemischen Verbindung gerade nicht die über ihren jeweiligen Regelungsgehalt hinausgehende Aussage eines die materielle Beschlusskontrolle verdrängenden ausschließlich vermögensrechtlichen Schutzes entnehmen353. Die Reform des Umwandlungsrechtes belegt dies. Der Gesetzgeber hat dabei das Recht der Unternehmensverträge, die aktienrechtliche Mehrheitseingliederung, das Verschmelzungs- und Spaltungsrecht sowie das Recht des Formwechsels – teilweise grundlegend – reformiert354. Bei all diesen Maßnahmen wurden vermögensrechtliche Ausgleichs- und Abfindungsrechte vorgesehen355. Der teilweise erhobenen Forderung nach einer gesetzlichen Norm, die klarstelle, dass die entsprechenden (Umwandlungs-)Beschlüsse keiner Inhaltskontrolle unterlägen356, ist der Gesetzgeber dabei jedoch nicht nachgekommen, sondern hat die Klärung dieser Frage Rechtsprechung und Wissenschaft überlassen357. Daraus lässt sich schließen, 351
Siehe Kropff, Aktiengesetz 1965, S. 341 f. Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 268 ff., 271 ff., 293 ff., 354 ff. 353 So auch Wandrey, Beschlusskontrolle, S. 113. 354 Vgl. Gesetz zur Bereinigung des Umwandlungsrechts vom 29.10.1994 (UmwBerG), BGBl. I, S. 3210; näher oben § 8 B. II. 2. a) aa) mit Fn. 90. 355 Siehe vorhergehend im Text sowie ausführlich unten § 14 B. II. 2. a). 356 DAV-Handelsrechtsausschuss, WM 1993, Beilage Nr. 2, 1, 5. 357 Vgl. BT-Drucks. 12/6699, Begr. zu § 13 UmwG, S. 86; abgedruckt bei Ganske, Umwandlungsrecht, S. 61; zur entsprechenden Interpretation dieser Passage durch die h. L. hier nur M. Winter, in: Lutter, Kölner Umwandlungsrechtstage, S. 19, 40; ausführlicher oben § 8 B. II. 2. a) aa). 352
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dass sich die Rechtsnormen, durch die der Gesetzgeber spricht, hier: die konzernund umwandlungsrechtlichen Ausgleichs- und Abfindungsrechte, nicht für die These eines die richterliche Beschlusskontrolle verdrängenden ausschließlich vermögensbezogenen Schutzes in Anspruch nehmen lassen. 3. Methodenkritik
Für die Annahme eines die Inhaltskontrolle verdrängenden vermögensmäßigen Schutzsystems fehlt es daher an einer überzeugenden Basis. Die für diese Systembildung bemühten Normen schützen die Vermögensinteressen. Eine die Beschlusskontrolle verdrängende Wirkung kommt ihnen aber nicht zu. Die bereits bekannte methodische Kritik lässt sich daher auch am vermögensorientierten Schutzkonzept Mülberts formulieren: Es praktiziert ein Systembindungsmodell, ohne dass es diese bindende Instanz gibt, suggeriert damit nicht existente Bindungen und verschleiert auf diese Weise Eigenwertungen des Rechtsanwenders. Dem wenig überzeugenden minderheitenschützenden Bindungsmodell des Sachgrunderfordernisses setzt Mülbert also ein ebenso wenig überzeugendes mehrheitsschützendes Bindungsmodell entgegen. Auch in methodischer Hinsicht offenbart sich also das Wesen des vermögensorientierten Schutzansatzes als eines radikalen Gegenentwurfs zum Sachgrunderfordernis. Dieses Wesen zeigt sich weiter, worauf als Nächstes einzugehen ist, bei der rechtstheoretischen Standortbestimmung. Das bislang nur anhand der positivrechtlichen Einzelbestimmungen begründete Ergebnis, dass es ein die Beschlusskontrolle verdrängendes vermögensmäßiges Schutzkonzept nicht gibt, wird sich dabei bestätigen. III. Der rechtstheoretische Standort 1. Der streng sekundärrechtliche Ansatz
Im Kontrollkonzept Mülberts wird die Rechtsprechung auf ihre hergebrachte Rolle der Einzelfallentscheidung (Sekundärebene) anhand eines übergeordneten Normenrahmens (Primärebene) zurückverwiesen. Die Rechtsprechung ist in diesem Rechtsmodell nicht befugt, die gesetzliche Primärebene im Wege richterlicher Rechtsfortbildung zu ergänzen, sondern dazu angehalten, die sich ihr stellenden Rechtsfragen anhand des gesetzlichen Regelungssystems zu beantworten358. In der Konsequenz dieses streng sekundärrechtlichen Ansatzes liegt es, dass Mülbert der Rechtsprechung einen – mehr unausgesprochenen – teleologischen Gleichlauf abverlangt359: Die auf der Sekundärebene agierende Rechtspre358 Vgl. hierzu und zum Folgenden Mülbert, Aktiengesellschaft, Vorwort sowie insb. S. 345 ff., 357. 359 Vgl. immerhin Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 357: „Mit der gesetzlichen [scil. vermögensschützenden] Regelung der §§ 255 II, 243 II 2 AktG ist ein solcher verbands-
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chung darf beim Ausgleich der divergierenden Mehrheits-/Minderheitsinteressen nur solche Schutzzwecke verfolgen, die den auf der gesetzlichen Primärebene verfolgten Schutzzwecken entsprechen. Mit dem Nachweis, dass sich die gesetzliche Primärebene maßgeblich aus vermögensschützenden Normen zusammensetzt, steht daher für das vermögensorientierte Schutzkonzept die Ablehnung einer richterlichen Beschlusskontrolle fest. Denn die auf der Sekundärebene zu teleologischer Konvergenz verpflichtete Rechtsprechung darf aufgrund der vermögensrechtlichen Schutzrichtung der gesetzlichen Primärebene ebenfalls nur mit vermögensschützender Zielrichtung den Mehrheits-/Minderheitskonflikt regulieren. Da aber der Vermögensschutz bereits hinreichend durch das Gesetz gewährleistet wird, entfällt für eine eigenständige richterliche Rechtstätigkeit der Bedarf. 2. Bewertung dieses Rechtsmodells
a) Vermögensschützende Zielrichtung der gesetzlichen Primärebene Die vermögensschützende Zielrichtung der gesetzlichen Primärebene ist nicht zu bestreiten. Der für die Primärebene zuständige Gesetzgeber hat, wie etwa die §§ 243 Abs. 2 Satz 2, 255 Abs. 2, 304, 305 AktG, §§ 5 Abs. 1 Nr. 3, 20 Abs. 1 Nr. 3, 15, 29 UmwG belegen, bei seiner Regelsetzung vor allem die Vermögensinteressen der (Minderheits-)Gesellschafter im Blick. Für die Bewertung des Rechtsmodells von Mülbert kommt es dabei darauf an, die Hintergründe für diese Vermögensorientierung der gesetzlichen Primärebene zu durchleuchten: Steckt dahinter ein gesetzgeberischer Plan, verdient das sekundärrechtliche Modell samt seinem teleologischen Konvergenzerfordernis Gefolgschaft. Geben andere Gründe den Ausschlag, geht der streng sekundärrechtliche Ansatz dagegen fehl. b) Gründe für die vermögensschützende Zielrichtung der gesetzlichen Primärebene aa) Regulierungsannahme Kapitalgesellschaften sind privatrechtliche Verbände, deren Zweck in der Gewinnmaximierung besteht360. Idealtypischer Beweggrund für eine Beteiligung an einer AG oder GmbH ist daher die Erwartung, die Gesellschaft werde im Interesse und zum Nutzen der Gesellschafter Gewinne erwirtschaften. Diese vermögensbezogene Zwecksetzung von Kapitalgesellschaften wird auch die Rechtssetrechtlicher [scil. nicht vermögensrechtlicher] Ansatz [scil. der richterlichen Beschlusskontrolle] nicht vereinbar.“ 360 Siehe Hüffer, AktG, § 23 Rn. 22; Ulmer, in: Ulmer, GmbHG, § 1 Rn. 9; grundlegend Zöllner, Schranken, S. 24 ff., 318 ff.
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zungstätigkeit des Gesetzgebers prägen361. Sieht er daher Maßnahmen vor, die zu einer Beeinträchtigung von Gesellschafterrechten führen können, liegt es daher nahe, dass der Gesetzgeber den Vermögensschutz der Gesellschafter fokussiert – der Gesetzgeber schützt primär die Vermögensinteressen, weil es häufig finanzielle Gründe sind, warum sich Personen an einer Kapitalgesellschaft beteiligen362. Eine Ablehnung einer materiellen Beschlusskontrolle muss damit, wie oben dargelegt, nicht verbunden sein363. bb) Regulierungsanforderung Es entspricht einem bekannten Phänomen, dass man nicht mehr tut, als man zu tun verpflichtet ist, ohne dass man aber das, was man nicht getan hat, ablehnt oder etwas dagegen einzuwenden hätte, wenn ein anderer dies übernähme. Das Verfassungsgericht verlangt in ständiger Rechtsprechung sub specie des Art. 14 GG, dass Gesellschafter für Beeinträchtigungen ihrer Rechtsstellung wirtschaftlich voll entschädigt werden. Eine Beschlussinhaltskontrolle fordert es dagegen grundsätzlich nicht364. Der Gesetzgeber muss aus verfassungsrechtlicher Sicht auf der Primärebene also lediglich vermögensschützende Normen vorsehen, nicht dagegen verbandsrechtlich-herrschaftsschützende. Könnte das geschilderte Phänomen demnach auch vor dem Gesetzgeber nicht Halt machen? Ist die gesetzliche Primärebene vielleicht vor allem deshalb vermögensorientiert, weil die einzige Normebene, die den Gesetzgeber bindet, das Verfassungsrecht, nicht mehr von ihm verlangt?365 cc) Regulierungsinstrumente Die gesetzliche Primärebene schützt, wie gesehen, die Vermögensinteressen der Gesellschafter. Den verbandsrechtlichen Herrschaftsinteressen lässt sie dagegen bei Satzungs- und Strukturänderungen – insofern ist Mülbert zuzustimmen – keinen direkten, unmittelbaren Schutz zuteilwerden366. Möchte man die Ursachen für die Vernachlässigung der verbandsrechtlich-herrschaftsschützenden Komponente ergründen, ist es aufschlussreich, sich die Frage zu stellen, welche Maßnahmen der Gesetzgeber denn ergreifen könnte, wenn er die Herrschaftsinteressen bei Satzungs- und Strukturänderungen schützen wollte. Ein theoretisch 361 Vgl. insoweit auch das gesetzgeberische Leitbild der AG bzw. des Mehrheitsprinzips, s. dazu Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 48. 362 Vgl. aber auch noch unten § 14 C. I. 1. a). 363 Oben § 8 B. II. 2. 364 Hier nur BVerfG ZIP 2000, 1670, 1673 (Moto Meter); ausführlicher oben § 6 B. I. 365 Vgl. etwa die gesetzgeberischen Bezugnahmen und Anlehnungen an verfassungsrechtliche Vorgaben und Wertungen anlässlich der gesetzlichen Einführung des squeezeout, siehe BT-Drucks. 14/7034, S. 32. 366 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 346 f., 355.
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denkbares Instrument hierfür wäre die gesetzliche Anordnung des Einstimmigkeitsprinzips367. Durch das Erfordernis eines einstimmigen Beschlusses für (bestimmte) Satzungs- und Strukturänderungen wäre die verbandsrechtliche Beteiligung des Gesellschafters effektiv geschützt, könnte dieser doch eine Beeinträchtigung seiner mitgliedschaftlichen Rechtsstellung durch das ihm hierbei zukommende Vetorecht verhindern. Das Einstimmigkeitsprinzip aber macht Satzungs- und Strukturänderungen faktisch unmöglich, sobald an einer Gesellschaft eine größere Zahl von Gesellschaftern beteiligt ist, denn die Zustimmung aller Gesellschafter wird sich dann kaum noch erreichen lassen. Für einen Gesetzgeber, der sich am Leitbild der Publikumsgesellschaft368 bzw. einer Gesellschaft mit einer nicht unerheblichen Zahl an Gesellschaftern orientiert369, ist das Einstimmigkeitserfordernis daher keine ernsthaft in Betracht kommende Regelungsoption. Als herrschaftsschützende Regelungsoption käme aber die direkte gesetzliche Anordnung einer Inhaltskontrolle in Frage. Für diese Regelungsoption hat der Gesetzgeber etwa bei der Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen in den §§ 305 ff. BGB votiert. Das AGB-Beispiel zeigt aber zugleich, dass eine solche Normierung eine lange rechtstatsächliche und rechtsdogmatische Vorlaufzeit benötigt370. Sie setzt genauere Kenntnis vom regelungsbedürftigen Lebensgeschehen371 sowie die Aufbereitung der wichtigsten Rechtsfragen durch Rechtsprechung und Wissenschaft voraus. An beidem aber fehlt es im Bereich der materiellen Beschlusskontrolle. Das Lebensgeschehen publik machende Gerichtsurteile gibt es heutzutage nur recht wenige372. Noch weniger geklärt sind die dogmatischen Grundsatzfragen einer materiellen Beschlusskontrolle373. Selbst wenn diese Vorarbeiten geleistet sind, bedeutet dies keine Garantie für eine geglückte Rechtssetzungstätigkeit, wie gerade das Beschlussmängelrecht zeigt: Zum Erlass der beschlussmängelrechtlichen Generalklausel des § 243 Abs. 2 AktG 1965 bzw. genauer: seiner Vorgängernorm des § 197 Abs. 2 AktG 1937 konnte sich der Gesetzgeber erst durchringen, nachdem sich in einer langen Rechtsprechungsepoche eine Art stehende Formel herausgebildet hatte, die der 367
Vgl. Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 271. Für die AG siehe Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 48. 369 Für die GmbH siehe Entwurf eines Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung nebst Begründung und Anlagen, Amtliche Ausgabe, S. 32. 370 Vgl. zur Entwicklung des AGB-Rechts vor der gesetzlichen Kodifikation Ulmer/ Habersack, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, Einl. Rn. 10 ff. 371 Vgl. zur Bedeutung einer hinreichenden Informationsbasis als Voraussetzung effektiver (kapitalgesellschaftsrechtlicher) Regulierung sowie zur Bedeutung von Gerichtsentscheidungen als Grundlage dieser Informationsbasis Binder, Regulierungsinstrumente, S. 284 ff., 307 ff., zusf. 557 f. 372 Siehe T. Raiser, in: Ulmer, GmbHG, Anh. § 47 R. 140: „Eine abschließende Würdigung erscheint allerdings mangels ausreichender Erfahrung und der zu geringen Zahl einschlägiger Urteile noch nicht möglich.“ 373 Hüffer, in: FS Fleck, S. 151, 168; ders., in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 151; näher oben S. 27 mit Fn. 3. 368
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Gesetzgeber nur noch kodifizieren musste374. Eine größere Bedeutung hat diese Vorschrift gleichwohl weder in der Rechtspraxis noch in der Rechtsdogmatik erlangt375. Der Bedeutungsverlust der Norm belegt dabei die Schwierigkeit und Fehleranfälligkeit gesetzgeberischer Rechtssetzungsakte im Bereich der materiellen Beschlusskontrolle. Der moderne Gesetzgeber war daher gut beraten, auf eine allgemeine gesetzliche Regelung hierzu zu verzichten und den Regelungskomplex Rechtsprechung und Wissenschaft zur weiteren Klärung zu überlassen376. Da weitere herrschaftsschützende Regulierungsinstrumente nicht ersichtlich sind377, lässt sich festhalten: Die primärrechtliche Ebene ist eine vermögensrechtliche Ebene, weil sich ein Schutz der Herrschaftsinteressen durch den für die Primärebene zuständigen Gesetzgeber regulatorisch nicht sinnvoll bewerkstelligen lässt. Eine Ablehnung einer verbandsrechtlich-herrschaftsschützenden judiziellen Beschlusskontrolle ist hiermit folglich nicht verbunden, wie ein Blick auf das GmbH-Recht bestätigt. dd) Bestätigung: die GmbH-rechtliche Primärebene Der Gesetzgeber hat sich des Schutzes des GmbH-Gesellschafters gegen nachteilige Beschlüsse der Gesellschafterversammlung im GmbHG mit den Liquidationsnormen und in noch breiterem Umfang im UmwG angenommen: Auflösung, Verschmelzung, Spaltung und Formwechsel einer GmbH sind danach mit einer 3/ -Mehrheit möglich (§ 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG, §§ 50 Abs. 1, 125, 240 Abs. 1 4 UmwG). Der GmbH-Gesellschafter kann folglich seine verbandsrechtliche Beteiligung an der Gesellschaft gegen seinen Willen verlieren. Ihm wird vom Gesetz lediglich, aber immerhin ein vermögensbezogener Schutz zuteil, indem er am Liquidationserlös (§§ 66 ff. GmbHG) bzw. am übernehmenden/neuen Rechtsträger beteiligt wird (§§ 5 Abs. 1 Nr. 2, 3, 20 Abs. 1 Nr. 3, 126 Abs. 1 Nr. 2–4, 131 Abs. 1 Nr. 3, 194 Abs. 1 Nr. 3, 202 Abs. 1 Nr. 2 UmwG), ggf. bare Zuzahlungsansprüche (§§ 15, 125, 196 UmwG) erhält und ihm in bestimmten Konstellationen die Möglichkeit eingeräumt wird, gegen eine Barabfindung auszuscheiden (§§ 29, 125, 207 UmwG). Die beschlussbezogenen Gesetzesnormen zur GmbH sind mit anderen Worten ebenfalls vermögensorientiert. Die GmbH-rechtliche 374 Vgl. Klausing, Aktiengesetz 1937, S. 177; vgl. aus der reichsgerichtlichen Rechtsprechung etwa RGZ 112, 14, 19; RG JW 1916, 575, 576; RGZ 107, 72, 75; RGZ 107, 202, 204; vgl. auch Zöllner, Schranken, S. 290 ff. 375 Hier nur K. Schmidt, in: GroßKomm/AktG, § 243 Rn. 52; weitere Nachweise oben bei § 4 B. II. 376 Siehe oben II. 2. c), insb. Fn. 357; ausführlich oben § 8 B. II. 2. a) aa). 377 Zu denken wäre noch an das Instrument des individuellen Zustimmungserfordernisses (vgl. etwa § 51 UmwG), siehe dazu oben bei § 3; es kommt jedoch – sein ebenfalls bestehendes Blockadepotential einmal ausgeblendet – nur in Betracht, wenn ein einzelner Gesellschafter eine besondere Rechtsposition innehat; als allgemeines mitgliedschaftsschützendes Regelungsinstrument muss es für den Gesetzgeber ausscheiden.
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Primärebene setzt sich wie die aktienrechtliche Primärebene ebenfalls vornehmlich aus vermögensschützenden Normen zusammen378. Für das GmbH-Recht ist man sich jedoch einig, dass eine Ersetzung verbandsrechtlicher durch vermögensbezogene Schutzinstrumentarien nicht in Betracht kommt379. Auch Mülbert scheint den Satz „Vermögensschutz statt Beschlusskontrolle“ im GmbH-Recht bei personalistisch strukturierten Gesellschaften nicht zur Geltung bringen zu wollen380. Damit aber wird der Sache nach anerkannt, dass die kapitalgesellschaftsrechtliche Primärebene aus den dargelegten strukturell-regulatorischen Gründen vermögensrechtlich konzipiert ist, ohne dass sich hieraus unmittelbar negative Folgerungen für eine materielle Beschlusskontrolle ziehen lassen. c) Folgerungen Ist die gesetzliche Primärebene aus strukturell-regulatorischen Gründen vermögensbezogen, lässt sich ein streng sekundärrechtlicher Ansatz im Sinne Mülberts nicht praktizieren. Denn der streng sekundärrechtliche Ansatz beruht auf der Prämisse, dass die gesetzliche Primärebene normative Orientierung stiftet – man kann die Rechtsprechung nur dann auf die Sekundärebene verweisen, wenn der Gesetzgeber auf der Primärebene bewusste normative Leitlinien setzt. Fehlt es an solchen Vorgaben insbesondere deshalb, weil dem Gesetzgeber auf der Primärebene die Regulierungsinstrumente fehlen, delegiert dieser sogar die Klärung einer bestimmten Rechtsfrage an Gesetzgebung und Rechtsprechung, kann sich der moderne Rechtsanwender nicht auf das Über-/Unterordnungsverhältnis zwischen dem Gesetzgeber und dem Rechtsanwender berufen381 und folglich auch nicht wie Mülbert die strukturell-regulatorischen Defizite der gesetzlichen Primärebene im Hinblick auf den verbands- und herrschaftsrechtlichen Schutz zum Programm erklären. IV. Systematik: das Zusammenwirken zweier Systemgedanken 1. Systembildung
Wie bereits angeklungen, bemüht Mülbert zur Begründung seiner Konzeption zwei unterschiedliche Systeme: das verbandsrechtliche System zum einen, das vermögensbezogene System zum anderen. Letzteres sieht Mülbert beim Schutz 378
Vgl. auch Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 518 f. Dies zeigt sich insbesondere darin, dass die ganz h. M. die Ausgleichsklausel des § 243 II 2 AktG im GmbH-Recht für nicht anwendbar hält, siehe Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, S. 251 f.; Zöllner, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 89; im Wesentlichen auch M. Winter, Treubindungen, S. 303 ff.; wohl auch Römermann, in: Michalski, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 310. 380 Siehe Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 519. 381 Vgl. Bachmann, Private Ordnung, S. 196. 379
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gegen nachteilige Hauptversammlungsbeschlüsse in zahlreichen gesetzlichen Einzelregelungen (§§ 243 Abs. 2 Satz 2, 255 Abs. 2 AktG, 304, 305 AktG, §§ 5 Abs. 1 Nr. 2, 3, 20 Abs. 1 Nr. 3, 15, 29 UmwG) verwirklicht382. Die vermögensbezogene Systembildung setzt also ausschließlich am Gesetzestext an. Diese positivistische Art der Systembildung erscheint mit Blick auf den Ausnahmecharakter der gesetzlichen Vermögensschutznormen aber zweifelhaft. Gesetzliche Vermögensschutzregeln gibt es nämlich nur dort, wo das Gesetz der Hauptversammlung eine Eingriffsbefugnis in Aktionärsrechte eröffnet, formaler gesprochen, wo das Gesetz eine entsprechende Beschlusskompetenz vorsieht, wie dies etwa für den squeeze-out in § 327a Abs. 1 AktG der Fall ist383. Wo es an solchen gesetzlichen Beschlussregeln fehlt, ist der Hauptversammlung ein Eingriff in die Rechte der Aktionäre nicht gestattet. Eben hierdurch, also durch Nichtnormierung, schützt der Gesetzgeber dann die verbandsrechtliche Beteiligung des Gesellschafters. Dies sei anhand eines Beispiels verdeutlicht: Anlässlich der Reform des Umwandlungsrechts hat der Gesetzgeber die nach früherem Recht bestehenden Möglichkeiten, Gesellschafter im Rahmen einer Umstrukturierung gegen ihren Willen auszuschließen, endgültig beseitigt, da eine solche Ausschlussmöglichkeit, so die Gesetzesbegründung, nicht den Grundsätzen des Minderheitenund Anlegerschutzes entspreche384. Oder, um noch ein weiteres Beispiel zu geben: Ein GmbH-Gesellschafter kann, von Sondertatbeständen der Mitgliedschaftsbeendigung abgesehen385, nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes ausgeschlossen werden386. Ohne einen solchen genießt die Mitgliedschaft in einer GmbH vollen Bestandsschutz. Diesen verbandsrechtlichen Schutz kann man aus dem positiven Gesetztext aber nicht unmittelbar ablesen, sondern dieser ergibt sich lediglich mittelbar-negativ daraus, dass das UmwG bzw. das GmbHG keine entsprechende Eingriffsbefugnis in Form einer Kompetenznorm für einen anlassunabhängigen Gesellschafterausschluss enthält. Angesichts dessen greift die Systembildung allein anhand des positiven Gesetzestextes zu kurz; das System kann nicht nur durch eine Gesetzestextanalyse entwickelt werden, die Systembildung muss vielmehr weiter gehend als Rechtsanalyse verstanden werden. Dann aber kann, wie die Beispiele zeigen, keine Rede davon sein, dass das Gesetz bzw. genauer: das Recht allein den Vermögensinteressen, nicht dagegen den Herrschaftsinteressen Schutz zuteilwerden lässt und lassen möchte. Gegen die positivistische Systembildung spricht weiter auch, dass sie das gebildete System einer 382 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 259–303, 347 ff., 354 ff. zusf. 357 ff. sowie bereits oben II. 2. 383 Vgl. Hüffer, AktG, § 119 Rn. 1. 384 Regierungsbegr. UmwBerG, BT-Drucks. 12/6699, S. 114, abgedruckt bei Ganske, Umwandlungsrecht, S. 146; siehe hierzu auch Lutter/Drygala, in: FS Kropff, S. 191, 200; Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 271. 385 Dazu Kolb, Ausschluss, S. 24–37. 386 Vgl. BGHZ 9, 157; Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 60 Rn. 60; Kolb, Ausschluss, S. 51 ff.
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ständigen Einsturzgefahr aussetzt: Wird die Masse, aus der sich das System bildet, das positive Gesetz, geändert, so wird auch das System regelmäßig nicht in seiner bisherigen Form bestehen bleiben können, sondern muss, sofern überhaupt möglich, nachziehen. Dieser „Nachziehnotwendigkeit“ sah sich auch Mülbert ausgesetzt – im Zuge der Einführung des squeeze-out (§§ 327a ff. AktG) musste er seinen ursprünglichen Ansatz vom ausschließlichen Vermögensschutz aller Aktionäre mit einer geringeren Beteiligung als 25% dahingehend modifizieren, dass nur Aktionäre, die nicht mehr als 5% der Anteile am Grundkapital halten, auf einen bloßen Vermögensschutz verwiesen werden387. 2. Systemkontrastierung
Mülbert kontrastiert das verbandsrechtliche und das vermögensbezogene Schutzsystem388: Das verbandsrechtliche System schützt den Aktionär als Mitglied eines bestimmten zweckgerichteten Personenverbandes, es ist mitgliedschaftlich-bestandsbezogen – gegen rechtswidrige Mehrheitsbeschlüsse kann der Aktionär im Wege der Anfechtungsklage vorgehen und dadurch (vgl. § 241 Nr. 5 AktG) – jedenfalls der Theorie nach389 – seine Mitgliedschaft in ihrer bisherigen Gestalt erhalten. Das vermögensorientierte System schützt den Aktionär dagegen in seiner Rolle als Kapitalanleger, dem vor allem an der Erzielung einer hohen Rendite gelegen ist. Des Rechtsbehelfs der Anfechtungsklage einschließlich einer materiellen Beschlusskontrolle bedarf es zur Durchsetzung dieses vermögensrechtlichen Schutzes nicht. Geboten, aber auch ausreichend ist die Einräumung materieller Entschädigungsansprüche, die verfahrensrechtlich (z. B.: Berichts- und Prüfungspflichten) und prozessual (Spruchverfahren) abgesichert sind. Die strikte theoretischen Kontrastierung der beiden Systeme, auf der das Mülbert’sche Kontrollmodell basiert, begegnet Bedenken. In interessenanalytischer Hinsicht ließe sich erstens einwenden, dass auch für den Aktionär als Verbandsmitglied die Vermögensinteressen eine gewichtige Bedeutung haben. Determinieren nicht auch für das Verbandsmitglied, eben weil jede Gesellschaft wie jedes Wirtschaften eine „Geldveranstaltung“ darstellt, finanzielle Aspekte die Mitgliedschaft?390 Aus entgegengesetzter Richtung ließe sich vortragen, dass gerade für den Aktionär als Kapitalanleger die Auswahlentscheidung für eine bestimmte 387 Siehe zunächst Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 259 ff., 349 und dann ders., in: FS Ulmer, S. 433, 450. 388 Vgl. zum Folgenden insb. Mülbert, in: FS Ulmer, S. 433 ff. 389 Die Lehre vom fehlerhaften Verband sowie vor allem der Ausbau des Freigabeverfahrens schränken diese bestandsschützende Wirkung inzwischen aber nicht unerheblich ein, vgl. oben § 6 B. II., § 9 B. VI. 2. a), unten § 14 B. II. 1., § 14 C. II. 2. b). 390 Siehe Habersack, AG 2005, 137, 140: „Wir wissen, dass selbst Großaktionäre ihre Beteiligungen bisweilen als reine Finanzanlagen halten.“ Vgl. aber auch unten § 14 C. I. 1. a).
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Geldanlage, und das heißt für eine verbandsrechtliche Beteiligung an einer bestimmten Gesellschaft, zentrale Bedeutung zukommt391. Sonderlich konsequent erscheint es jedenfalls nicht, die Auswahlentscheidung des Anlegers durch das Kapitalmarktrecht mit seinen umfassenden Informations- und Publizitätspflichten392 zunächst umfassend abzusichern, der auf dieser Grundlage getroffenen Anlageentscheidung in Form der Beteiligung an einer bestimmten AG dann aber unter Berufung auf kapitalmarktbezogene Funktionszusammenhänge einen Bestandschutz weitestgehend zu versagen393. Hinzu tritt, dass die beiden Schutzsysteme im positiven Recht eng miteinander verknüpft sind. So erfolgt die Durchsetzung der vermögensrechtlichen Schutzinstrumentarien der §§ 243 Abs. 2 Satz 2, 255 Abs. 2 AktG mittels der verbandsrechtlich zu qualifizierenden Anfechtungsklage. Erleiden die Aktionäre also einen Vermögensschaden, weil Sondervorteile zu ihren Lasten verfolgt oder beim Bezugsrechtsausschluss die neuen Aktien zu einem unangemessenen Betrag ausgegeben werden, werden sie nicht auf das dem vermögensbezogenen Schutzsystem zuzuordnende Spruchverfahren verwiesen, sondern können im Wege der aktienrechtlichen Anfechtungsklage die Mitgliedschaft in ihrer bisherigen Gestalt aufrechterhalten 394. (Materieller) Vermögensschutz und verbandsrechtlicher (Rechts-)Schutz sind also nicht voneinander getrennt, sondern eng miteinander verzahnt395. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass sich das verbandsrechtliche und das vermögensorientierte Schutzsystem auch in teleologischer Hinsicht verbinden lassen. Dies hat in Auseinandersetzung mit dem vermögensbezogenen Ansatz etwa Tröger herausgearbeitet396: Da es dem vermögensorientierten Schutzsystem aufgrund der Fehlbarkeit der betriebswirtschaftlichen Bewertungsverfahren sowie der oftmals kaum möglichen Feststellbarkeit und Quantifizierbarkeit von Aktionärsschäden nicht gelinge, die Vermögensinteressen der Aktionäre angemessen zu schützen, müsse der Vermögensschutz durch verbandsrechtliche Instrumentarien (= Anfechtungsklage, materielle Beschlusskontrolle) ergänzt werden. Diese Instrumentarien komplettierten so den von der gesetzlichen Regelung nur unvollständig und mangelhaft gewährleisteten Vermögensschutz, indem sie eine bestimmte Maßnahme erschwerten und damit auch das Risiko einer mit dieser Maßnahme verbundenen Fehlbewertung redu391 Prononciert Hanau, NZG 2002, 1040, 1043: „Krux der Aktienanlage“; siehe auch Habersack, AG 2005, 137, 140; siehe auch noch unten § 14 B. II. 2. a) bb). 392 Dazu Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, § 4 (S. 58 ff.), § 6 II (S. 113 ff.), § 6 III (S. 145 ff.), § 8 (S. 166 ff.); grundlegend Merkt, Unternehmenspublizität (2001). 393 Siehe erneut Hanau, NZG 2002, 1040, 1043: „Vermögensschutz durch Bestandsschutz“. 394 Vgl. auch Hirte, WM 1997, 1001, 1005. 395 Vgl. auch Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 317: Nebeneinander von Vermögensschutz und Inhaltskontrolle gesetzlich vorgegeben, da Gesetz sowohl Beachtung des § 255 II AktG als auch des Gleichbehandlungsgrundsatzes (§ 53a AktG) verlange. 396 Tröger, Treupflicht, S. 284 f.; ebenso Grundmann, Treuhandvertrag, S. 461; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 317; siehe auch Hanau, NZG 2002, 1040, 1043: Bewertungsproblematik als „klaffende Flanke“ des kapitalmarktrechtlichen Ansatzes.
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zierten397. Es ist kein Widerspruch, diesen Gedankengang zwar nicht als Argument für eine umfassende und weitreichende Beschlusskontrolle nur zurückhaltend gelten zu lassen398, wohl aber als Beleg dafür anzusehen, dass sich verbandsrechtliches und vermögensbezogenes Schutzsystem im theoretischen Ausgangspunkt – nur darauf kommt es vorliegend an – nicht unversöhnlich gegenüberstehen. 3. Systemausspielung
Die dargestellten Verknüpfungen stellen die Unterscheidung eines verbandsrechtlichen von einem vermögensbezogenen Schutzsystem zwar nicht grundsätzlich in Frage. Sie sprechen aber gegen die Vorgehensweise von Mülbert, die beiden Systeme scharf zu kontrastieren, auf dieser Basis dann einen Konflikt zwischen den beiden Systemen heraufzubeschwören und diesen schlussendlich zugunsten eines der beiden Systeme zu entscheiden399. Verbal scheint dies auch Mülbert anzuerkennen. Nach seinem Konzept soll bei den zweckgebundenen Beschlussgegenständen ja neben den vermögensrechtlichen Absicherungen die verbandsrechtliche Bindung an das aus dem Gesellschaftszweck abgeleitete Gesellschaftsinteresse bestehen bleiben400. Bei dieser Bindung an das Gesellschaftsinteresse handelt es sich jedoch nur vordergründig um eine verbandsrechtliche Kategorie. Denn der Gesellschaftszweck als Deduktionsbasis des Gesellschaftsinteresses401 besteht bei einer normtypischen AG in der Gewinnmaximierung402, sodass ein Beschluss dann im Gesellschaftsinteresse liegt, wenn er diesem Gewinnmaximierungsziel dient, also den Gegenwartswert der künftigen Erträge der Gesellschaft erhöht403. Das Gesellschaftsinteresse ist folglich ein vermögensrechtlicher Maßstab und daher in der Systemkategorisierung Mülberts auch dem vermögensbezogenen Schutzsystem zuzuschlagen, und nicht, wie es den terminologischen Anschein erweckt, dem verbandsrechtlichen Schutzsystem404. Setzt 397
Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 317. Oben § 6 F., unten § 14 B. III. 1. 399 Vgl. Mülbert, Aktiengesellschaft, insb. S. 346 f., 354 sowie oben A.; vgl. auch Merkt, AG 2003, 126, 129, der die Konzeption Mülberts trefflich als „Ersetzungsmodell“ im Sinne einer Substituierung zwingenden Aktienrechts durch kapitalmarktrechtliche Normen und Instrumente charakterisiert. 400 Mülbert, Aktiengesellschaft, insb. S. 321; siehe auch ders., Aktiengesellschaft, S. 103. 401 Zöllner, Schranken, S. 23 f.; Mülbert, ZGR 1997, 129, 141; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 254. 402 Zöllner, Schranken, S. 28; Hüffer, AktG, § 23 Rn. 22; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 255. 403 Siehe Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 256; vgl. auch Mülbert, ZGR 1997, 129, 158; Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 62 f. 404 Bezeichnenderweise erblickt Mülbert die entscheidenden Kontrollstufen des verbandsrechtlichen Sachgrunderfordernisses nicht in der Bindung an das Gesellschaftsinteresse, sondern in den zusätzlichen Kriterien der Erforderlichkeit und Angemessen398
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3. Teil: Die Reichweite einer materiellen Beschlusskontrolle
man sodann die Auffassung Mülberts, wonach bei vermögensmäßigem Ausgleich (vgl. § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG) eine materielle Beschlusskontrolle in breitem Umfang entfallen soll405, konsequent um, hat es im Grunde genommen bei satzungs- und strukturändernden Hauptversammlungsbeschlüssen mit einem ausschließlichen Vermögensschutz sein Bewenden. Als Systemkritik lässt sich daher festhalten: Mülbert bringt die beiden Schutzsysteme im Widerspruch zu ihrer engen Verzahnung gegeneinander in Stellung und spielt sie dann unberechtigterweise gegeneinander aus. Dieses Ausspielen einer Kategorie gegen eine andere findet seine Fortsetzung und damit auch Bestätigung auf der Ebene der Dogmatik. V. Dogmatik Mülbert legt für die materielle Beschlusskontrolle, wie oben bereits dargestellt, ein eigenes, funktional-rechtsgeschäftliches Fundament: Die Bindung der Gesellschafterversammlung an das Gesellschaftsinteresse folge aus ihrer Stellung als Organ eines zweckbestimmten Personenverbandes, die weiteren Kriterien der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit ließen sich rechtsgeschäftlich durch Auslegung der Erklärungen der Gesellschaftsgründer herleiten406. Die körperschaftliche Bindung an das Gesellschaftsinteresse ist dabei, wie eben gesehen, dem vermögensbezogenen Schutzsystem zuzuordnen, nur bei den Kriterien der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit handelt es sich also um echte verbandsrechtliche Kategorien407. Es lässt sich folglich von einem körperschaftlich-funktionalvermögensbezogenen und einem rechtsgeschäftlich-verbandsrechtlichen Element in der dogmatischen Grundlegung Mülberts sprechen. Von dieser zweispurigen dogmatischen Grundlage Mülberts bleibt bei der Konkretisierung dann allerdings nur das körperschaftlich-funktional-vermögensbezogene Element in Form der Bindung zweckgebundener Beschlüsse an das Gesellschaftsinteresse übrig. Das rechtsgeschäftlich-verbandsrechtliche Element, das die Kriterien der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit beisteuert, geht dagegen bei der Entwicklung konkreter Kontrollmaßstäbe unter, ohne dass für diesen Wegfall ein dogmatischer Grund ersichtlich wird. Mülbert verweist zwar stets auf die vermögensbezogenen gesetzlichen Wertungen, die einer Beschlussangemessenheitskontrolle entgegenstünden408. Leitet man die Kriterien der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit
heit, vgl. Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 323 f., 338, 339; daran zeigt sich, dass das Gesellschaftsinteresse nicht als wirkliche verbandsrechtliche Kategorie verstanden wird. 405 Vgl. oben A. III., B. I. 406 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 232 ff. sowie oben § 6 D. II. 2. b). 407 Vgl. auch Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 323 f., 338, 339, der die prägenden Kontrollstufen des verbandsrechtlich zu qualifizierenden Sachgrunderfordernisses denn auch in den Kriterien der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit zu erblicken scheint; dazu bereits oben Fn. 404. 408 Deutlich Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 344 f.
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aber rechtsgeschäftlich her, so genügt der Verweis auf gesetzliche Wertungen für sich genommen nicht. Denn eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung vermag nur dann keine Bindung mehr zu erzeugen, wenn das Gesetz der Vereinbarung die Gültigkeit abspricht. Es wäre also der Nachweis zu führen, dass das AktG durch seine vermögensorientierten Schutzregeln einer weiter gehenden Beschlusskontrolle in gesetzlich zwingender Weise eine Absage erteilt und daher auch die Gesellschaftsgründer eine weiter gehende Beschlussinhaltskontrolle auch nicht in der Satzung vereinbaren könnten. Insofern mag man zwar zunächst den Grundsatz der Satzungsstrenge (§ 23 Abs. 5 AktG) ins Feld führen, sieht sich dann aber mit dem Einwand konfrontiert, dass das AktG die Frage einer materiellen Beschlusskontrolle nicht (mehr) explizit regelt409, demnach auch nichts dagegen spricht, den Aktionären insoweit eine Satzungsänderungsbefugnis gem. § 23 Abs. 5 Satz 2 AktG zuzusprechen. Mülbert selbst stellt jedenfalls den Zusammenhang zwischen dem von ihm postulierten vermögensorientierten Schutzkonzept und dem Grundsatz der Satzungsstrenge nicht her – wohl aus gutem Grunde, kann doch eine dogmatische Erklärung eines bestimmten Rechtsinstituts, der von vorneherein das Gesetz entgegensteht, nicht als überzeugend bezeichnet werden. Kritisch ist daher anzumerken, dass Mülbert auch dogmatische Kategorien, die körperschaftlich-funktionale und die rechtsgeschäftliche Kategorie, im Widerspruch zur eigenen dogmatischen Grundlegung gegeneinander ausspielt, ohne hierfür einen stichhaltigen Grund anführen zu können. Das Wesen des vermögensorientierten Schutzkonzepts als eines entschiedenen Gegenentwurfs zum Sachgrunderfordernis zeigt sich so auch in dogmatischer Hinsicht, freilich in einer etwas merkwürdig anmutenden Art und Weise: Während das Sachgrunderfordernis über keine überzeugende dogmatische Grundlage verfügte410, gleichwohl aber eine Angemessenheitskontrolle des Beschlusses zur Folge hatte, führt Mülbert mit seinem funktional-rechtsgeschäftlichen Ansatz eine dogmatische Grundlage für dieses Institut an, praktiziert dagegen in concreto gerade keine materielle Beschlusskontrolle. Dies lässt bereits erahnen, dass die Konzeption von Mülbert auch in sachlich-inhaltlicher Hinsicht nicht zu überzeugen vermag. VI. Sachlich-inhaltliche Bewertung 1. Die Bindung an das Gesellschaftsinteresse
Nach Mülbert ist die Hauptversammlung maßgeblich an das Gesellschaftsinteresse gebunden; an diesem seien Beschlüsse der Hauptversammlung vornehm409 Über die beschlussmängelrechtliche Generalklausel des § 243 II AktG als direkten Anknüpfungspunkt für die Beschlusskontrolle ist die Rechtsentwicklung hinweggegangen (oben § 4 B. II.); § 186 III 4 ist lediglich eine punktuelle gesetzliche Regelung (oben § 6 C. III.); und die Frage einer materiellen Beschlusskontrolle i. e. S. hat der Gesetzgeber an Rechtsprechung und Wissenschaft delegiert (oben § 8 B. II. 2. a) aa)). 410 Oben § 6 D, § 9 V.
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lich zu messen411. Ein sachgerechter, dem Gebot der Äquidistanz Rechnung tragender Minderheitenschutz lässt sich damit jedoch nicht erreichen. Dies liegt zunächst an der von Mülbert nicht in Frage gestellten412 gegenständlichen Begrenztheit dieses Kontrollmaßstabs: Das Gesellschaftsinteresse mit dem Gesellschaftszweck als Ableitungsbasis ist auf Maßnahmen zugeschnitten, die der Realisierung des Gesellschaftszwecks dienen. Dies ist bei der geschäftsführenden, daher stets auf den Gesellschaftszweck bezogenen Tätigkeit von Vorstand und Aufsichtsrat der Fall, seltener jedoch bei der Hauptversammlung, um deren Kontrolle es vorliegend allein geht413. Denn diese hat nur in Ausnahmefällen über Geschäftsführungsfragen zu entscheiden (§§ 111 Abs. 4 Satz 3, 119 Abs. 2 AktG), ist dagegen häufig dann zur Entscheidung berufen, wenn nur ein geringer oder kein Bezug zur gemeinsamen Zweckverfolgung besteht (zweckneutrale Beschlüsse) oder gar eine Änderung des bisherigen Gesellschaftszwecks in Rede steht (zweckändernde Beschlüsse; Bsp.: Gesellschaftsauflösung, Verschmelzung auf Seiten der übertragenden Gesellschaft)414. Bei diesen Beschlussgegenständen, die wie die zweckändernden Beschlüsse oft die einschneidendsten Wirkungen auf die Rechte der Aktionäre zeitigen und daher vom Grundsatz auch der Zustimmung sämtlicher Aktionäre bedürfen (vgl. § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB)415, läuft der Kontrollmaßstab des Gesellschaftsinteresses von vorneherein leer416. Selbst bei den Beschlussgegenständen, bei denen der Maßstab des Gesellschaftsinteresses zur Anwendung gelangen kann, den zweckgebundenen Beschlussgegenständen (Bsp.: Bezugsrechtsausschluss), vermag er eine minderheitenschützende Wirkung nur eingeschränkt zu entfalten. Dies ist auf seine bereits angeklungene inhaltliche Begrenztheit zurückzuführen: Wie eben gesehen, handelt es sich bei dem Maßstab des Gesellschaftsinteresses mit seiner Verpflichtung auf das Gewinnmaximierungsziel der Gesellschaft um einen vermögensrechtlichen Maßstab. Er gewährleistet, dass der Gesellschaft bzw. den Gesellschaftern für die Abgabe von Vermögenswerten oder bei sonstigen Maßnahmen ein angemessener 411 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 321 ff., 338, 344, zusf. S. 358; oben A. III.; im Grundsatz auch Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 94 ff. 412 Vgl. Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 354, 358 f. 413 Vgl. Tröger, Treupflicht, S. 263 f. 414 Vgl. erneut Tröger, Treupflicht, S. 264 sowie Wiedemann, ZGR 1999, 857, 859. Zur im Text zugrunde gelegten an den Gesellschaftszweck anknüpfenden Systematisierung der Beschlussgegenstände Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 322 f. m.w. N. Zu zweckändernden Beschlussgegenständen bereits oben § 8 B. III. 2. b) aa). 415 So die herrschende, von Mülbert geteilte Auffassung, siehe hier nur Pentz, in: MünchKomm/AktG, § 23 Rn. 70 und Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 161, 234 mit Fn. 362; näher oben § 8 B. III. 2. b) aa). 416 A.A. auch insoweit Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 118 ff., der auch bei zweckändernden Beschlussgegenständen eine Überprüfung am Maßstab des Gesellschaftszwecks im Sinne des erwerbswirtschaftlichen Unternehmensziels und des hieraus abgeleiteten Gesellschaftsinteresses in breitem Umfang für möglich hält; ihm gegenüber lässt sich der Einwand der gegenständlichen Begrenztheit daher nicht erheben.
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Gegenwert bzw. hinreichende Vorteile sonstiger Art zufließen417. Diesem vermögensrechtlichen Kompensationsinteresse widmen sich bereits die gesetzlichen Vermögensschutznormen (vgl. §§ 243 Abs. 2 Satz 2, 255 Abs. 2, 304, 305, 311, 317, 320b, 327b AktG, §§ 5 Abs. 1 Nr. 3, 15, 20 Abs. 1 Nr. 3, 29, 125, 126 Nr. 3 u. 4, 131 Nr. 3, 194 Nr. 3, 196, 202 Nr. 2, 207 UmwG)418. Angesichts dessen vermag die zusätzliche Bindung an das Gesellschaftsinteresse kaum eine darüber hinausgehende Schutzwirkung zu entfalten419. Dies zeigt sich deutlich darin, dass einige Autoren eine Überprüfung des Bezugsrechtsausschlusses am Maßstab des Gesellschaftsinteresses aufgrund der vermögensschützenden Norm des § 255 Abs. 2 AktG für entbehrlich halten420; und Mülbert sieht den Bezugsrechtsausschluss allein aufgrund der Kosten, welche die Gewährung des Bezugsrechts verursacht, als stets im Gesellschaftsinteresse liegend an421. Auch insoweit läuft der Maßstab des Gesellschaftsinteresses also in breitem Umfang leer. Zu der gegenständlichen und inhaltlichen Begrenztheit tritt schließlich noch eine judizielle Begrenztheit: In der Rechtspraxis hat sich gezeigt, dass die Gerichte bei der Überprüfung eines Beschlusses anhand des Gesellschaftsinteresses häufig lediglich eine Plausibilitäts- und damit letztlich nicht mehr als eine Missbrauchskontrolle praktizieren422, die dem Minderheitsgesellschaften nur in seltenen Fällen zur Hilfe eilt423. Mülbert selbst geht davon aus, dass dem Kontrollmaßstab des Gesellschaftsinteresses bei vielen Beschlussgegenständen „kaum je praktische Relevanz“ zukommen wird424. Angesichts dessen können wir die Bindung der Hauptversammlung an das Gesellschaftsinteresse bei der sachlich-inhaltlichen Bewertung der Konzeption Mülberts kaum gelten lassen. 2. Die Beschlusskontrolle im Übrigen
Mülbert lehnt eine an die von einem Beschluss ausgehende Belastung anknüpfende Inhaltskontrolle anhand der Kriterien der Erforderlichkeit und Angemessenheit ab425, sodass allein eine einzelfallbezogene Rücksichts- und Rechts417 Vgl. BGHSt 50, 331, 335 ff. (Mannesmann); Zöllner, Schranken, S. 331 ff.; unten bei § 14 B. II. 2. a) aa). 418 Ausführlich unten § 14 B. II. 2. a) aa). 419 A.A. Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 95 ff. 420 Vgl. Ekkenga, AG 1994, 59, 64 f. 421 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 321 Fn. 725. 422 Vgl. BGHZ 71, 40, 46–50 (Kali & Salz); dazu auch oben § 5 A. II. 2., § 6 H. II. 1. a); BGHZ 125, 239, 241 (Deutsche Bank); OLG Stuttgart AG 1998, 529, 531; mit ausdrücklichem Bekenntnis OLG Braunschweig AG 1999, 84, 86: nicht mehr als Plausibilitätskontrolle. 423 Siehe nur Schockenhoff, Gesellschaftsinteresse, S. 21. 424 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 323 Fn. 733. 425 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 344 ff., 354, zusf. 358 f.; hieran dürften die Modifikationen von Mülbert, in: FS Ulmer, S. 433, 450 nichts geändert haben, denn diese beziehen sich vornehmlich auf die Schwellenwerte für die Abgrenzung zwischen dem
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3. Teil: Die Reichweite einer materiellen Beschlusskontrolle
missbrauchskontrolle anhand der § 242 BGB, § 243 Abs. 2 Satz 1 AktG übrig bleibt426. Als sachgerecht im hier verstandenen Sinne kann diese Kontrollreduktion nicht bewertet werden. Die Begründung dafür ist bereits bekannt427: Die zum Zuge kommende Rechtsmissbrauchskontrolle basiert auf einem Regel-Ausnahme-Verhältnis in favore majoritatis und steht daher mit dem Gebot der Äquidistanz als normativer Wertungsleitlinie nicht in Einklang. Diese Äquidistanzwidrigkeit wird durch die von Mülbert befürwortete Anwendung der vermögensrechtlichen Ausgleichsnorm, jedenfalls des § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG auf § 243 Abs. 1 AktG, also auf die Norm, in der nach gegenwärtiger Rechtslage auch die einzelfallbezogene Rücksichts- und Missbrauchskontrolle angesiedelt ist, weiter verschärft428. War das Sachgrunderfordernis mit dem Gebot der Äquidistanz in seiner mehrheitsschützenden Ausprägung nicht vereinbar429, so ist es die Konzeption Mülberts in der minderheitsschützenden Variante dieses Bewertungsmaßstabs. Ähnliches gilt in Bezug auf die privatrechtliche Kontrolldogmatik, auf die abschließend der Blick gerichtet sei. VII. Privatrechtliche Kontrolldogmatik Was die privatrechtliche Kontrolldogmatik betrifft, so sei hier vor allem ein Einwand gegen die Mülbert’sche Ablehnung einer Inhaltskontrolle im Sinne einer belastungsbasierten Beschlussangemessenheitskontrolle430 erhoben431. Er rührt aus einer Gegenüberstellung von Beschluss und Vertrag. Bei beiden handelt es sich zwar gleichermaßen um Rechtsgeschäfte432. Der grundlegende UnterKapitalanleger und dem Verbandsmitglied, die wiederum in der Konzeption Mülberts vor allem für die Frage der Anwendung des § 243 II 2 AktG auf § 243 I AktG von Bedeutung ist, vgl. oben A. III.; dass Mülbert dem Verbandsmitglied eine belastungsbasierte Angemessenheitskontrolle zuteilwerden lassen möchte, lässt sich aus seinen Stellungnahmen kaum ablesen. 426 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 344 ff., 354, zusf. 358; (lediglich) für zweckgebundene Beschlüsse verweist Mülbert mitunter noch auf § 53a AktG, vgl. Mülbert, a. a. O.; für eine bloße Missbrauchskontrolle abfindungsbewehrter Beschlüsse auch Klöhn, Abfindungsansprüche, S. 347 ff. 427 Oben § 8 B. II. 2. 428 Vgl. oben A. III., B. I. 429 Oben § 6 H., § 8 B. III. 1. 430 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 338, 334, 346, 354, 348 f. 431 Vgl. weiter auch die privatrechtlich fundierte Kritik bei Habersack, Mitgliedschaft, S. 330: Prinzip des „dulde und liquidiere“ mit freiheitlicher Privatrechtsordnung nicht vereinbar; ders., AG 2005, 137, 139: auch beim zivilrechtlichen Eigentum keine Ablösung von Abwehrrechten durch Entschädigungsansprüche; zweifelnd auch Hirte, WM 1997, 1001, 1008: mit Vertragsrecht kaum zu vereinbarendes ordentliches Kündigungsrecht um jeden Preis; vgl. auch unten § 13 B. III. 2. c). 432 Siehe für den Beschluss nur K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 15 I 2 a (S. 436 f.), dort auch Nachweise zu früher vertretenen anderen rechtsdogmatischen Einordnungen des Beschlusses.
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schied zwischen dem Vertrag und dem Beschluss besteht aber darin, dass Ersterer zu seiner Verbindlichkeit der Zustimmung aller von der vertraglichen Regel betroffenen Beteiligten bedarf, während der Beschluss unter dem Regime des Mehrheitsprinzips auch Gültigkeit gegenüber Personen beansprucht, die dem Beschluss ihre Zustimmung versagt haben. Trotz der allseitigen Zustimmung unterliegt der Vertrag gleichwohl in bestimmten Konstellationen einer richterlichen Inhaltskontrolle, die sich dabei über den vertraglichen Konsens hinwegsetzt und die vertragliche Vereinbarung auf ihre Angemessenheit hin überprüft433. Angesichts dessen ist nicht gut erklärbar, wie und warum der (Mehrheits)Beschluss, der nicht von allseitiger Zustimmung getragen ist, von einer solchen Inhaltskontrolle verschont bleiben kann und soll: Wenn sogar der allseits zustimmungsgetragene Vertrag einer Inhaltskontrolle unterliegt, warum dann nicht auch und erst recht der (Mehrheits-)Beschluss? Sprengt das Sachgrunderfordernis die dogmatischen Grenzen des autonomen Kontrollinstruments der Inhaltskontrolle434, so verzichtet Mülbert gleich ganz auf dieses Instrument. Akzeptabel wäre dies nur, wenn man die dann eingreifende Ausübungskontrolle435 an die Besonderheiten des Kapitalgesellschaftsrechts anpasste. Dies aber geschieht nicht, wenn man die Ausübungskontrolle wie Mülbert lediglich in ihrer traditionellen, aus dem allgemeinen Zivilrecht herrührenden Form als Missbrauchskontrolle versteht436. Damit können wir eine Schlussbetrachtung vornehmen.
C. Vermögenskonzeptionelle Schlussbetrachtung I. Vermögensbasierte Konzeptionen Das vermögensorientierte Schutzkonzept von Mülbert ist nach alledem abzulehnen. Mülbert ist zwar das verbleibende Verdienst zuzuschreiben, den gesetzlichen Vermögensschutz systematisch herausgearbeitet und auf Defizite des Sachgrunderfordernisses, allen voran die Ausblendung der vermögensrechtlichen Zusammenhänge, konkret: des § 255 Abs. 2 AktG437, aufmerksam gemacht zu haben. In dem darüber hinausgehenden Versuch, den gesetzlichen Vermögensschutznormen eine die materielle Beschlusskontrolle in breitem Umfang verdrängende Wirkung beizumessen, verdient seine Konzeption aus den dargelegten verfassungsrechtlichen bis privatrechtsdogmatischen Gründen dagegen keine Gefolgschaft. 433
Vgl. Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 9 ff., 79–213. Oben § 6 I. I. 1., § 8 B. V. 1. b). 435 Mülbert, Aktiengesellschaft, insb. S. 346, zusf. 358. 436 Vgl. Mülbert, Aktiengesellschaft, insb. S. 346: Beschränkung des Kontrollmaßstabs auf § 242 BGB; so auch dezidiert Klöhn, Abfindungsansprüche, S. 347 ff., insb. 354, zusf. 364; zum Missbrauchsmaßstab der Ausübungskontrolle siehe hier nur Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 24 f. 437 Oben § 6 F. 434
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Auch in anderer Ausgestaltung vermag die vermögensorientierte Konzeption nicht zu überzeugen. Dies gilt zunächst für den Ansatz Klöhns, der die aktienund umwandlungsrechtlichen Ausgleichs- und Abfindungsansprüche (Bsp.: § 305 AktG, § 29 UmwG) als Aufopferungsansprüche einordnet438 und damit Rücksichtspflichten in Form einer materiellen Beschlusskontrolle nach Art des Sachgrunderfordernisses für unvereinbar hält439. Es erscheint zweifelhaft, über den (Um-)Weg einer streitbaren dogmatischen Einordnung der Abfindungsansprüche in eine eher zivil- und sachenrechtliche Kategorie spezifisch gesellschaftsrechtliche Pflichtenbindungen wie den Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 53a AktG) oder die Treuepflicht geflissentlich beiseitezuschieben440. Die fehlende Tragfähigkeit des Aufopferungsgedankens für die materielle Beschlusskontrolle zeigt sich denn recht deutlich darin, dass auch Klöhn bei der Erörterung der konkreten Frage, was die Mehrheit denn nun darf und was nicht bzw. umgekehrt, was die Minderheit im Rahmen der Beschlussfassung hinzunehmen hat und was nicht, ausführliche positivistische, pflichtenbezogene und wertungsbasierte Erwägungen anzustellen hat, die sich auf den eigenen dogmatischen Ansatzpunkt im Aufopferungsmodell kaum noch zurückführen lassen441. Bei allem gilt: Die Missbrauchskontrolle nach § 242 BGB, die Klöhn bei abfindungsbewehrten Beschlüssen allein zum Zuge kommen lassen will442, steht mit dem Gebot der Äquidistanz nicht in Einklang. Paefgen betont – insofern ganz ähnlich wie Mülbert – neben den vermögensrechtlichen Absicherungen vor allem die Bindung der Gesellschafterversammlung an das Gesellschaftsinteresse443. Er schlägt dann aber eigene dogmatische Pfade ein, wenn er die business judgment rule als organübergreifende Rechtsregel verstanden wissen möchte und daher zuvörderst geprüft sehen will, ob auf der Grundlage angemessener Informationen entschieden wurde und die Entscheidungsträger unbeeinflusst von Interessenkonflikten gehandelt haben444. Auch diesem Ansatz soll hier und vor allem deshalb widersprochen werden, weil sich an der Übertragbarkeit der für das Geschäftsleiterhandeln entwickelten business judgement rule auf Entscheidungen der Anteilseignerversammlung zweifeln lässt, und zwar in dreierlei Hinsicht: In organisational-kompetenzieller Hinsicht, 438
Klöhn, Abfindungsansprüche, S. 157–190. Klöhn, Abfindungsansprüche, S. 345–364. 440 Vgl. hierzu die Verteidigung bei Klöhn, Abfindungsansprüche, S. 193 f. m.w. N. 441 Vgl. Klöhn, Abfindungsansprüche, S. 347 ff., insb. 350: „Ausgangspunkt für die Antwort auf die Frage, inwiefern die Minderheitsaktionäre ihre Interessen unterordnen müssen, ist die gesetzliche Ausgestaltung ihrer Rechte bei Umwandlungen.“ Siehe auch die daher insoweit kritische Rezension von Paefgen, ZHR 174 (2010), 741, 745: „fehlende Prägkraft des Aufopferungsgedankens“. 442 Klöhn, Abfindungsansprüche, S. 347 ff. 443 Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 94 ff. 444 Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 171–256; zustimmend Wandrey, Beschlusskontrolle, S. 163 ff. 439
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weil für die Anteilseignerversammlung als Prinzipal andere, geringere Rechtsbindungen bestehen müssen als für den Geschäftsleiter als Agent und nicht, wozu die organübergreifende Anwendung der business judgment rule führen würde, die gleichen445. In dogmatischer Hinsicht, weil die Elemente der business judgment rule bei der Kontrolle der Anteilseignerversammlung ihren spezifischen Standort haben – die Informationsvoraussetzung in den gesetzlichen Berichtsund Auskunftspflichten (vgl. § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG), das Nichtvorliegen von Interessenkonflikten im Stimm- (§ 136 AktG) und Sondervorteilsverbot (vgl. § 243 Abs. 2 AktG) –, aus dem sie nicht herausgelöst und in die für die Hauptversammlung gesetzlich nicht normierte (vgl. für den Vorstand § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) Überkategorie der business judgment rule eingebaut werden können. Schließlich in funktionaler Hinsicht, weil die business judgement rule maßgeblich die Gefahr eindämmen soll, dass die Gerichte im Organhaftungsprozess um eingetretene Schäden in Kenntnis der später eingetretenen Tatsachen überzogene Anforderungen an die organschaftliche Sorgfaltspflicht stellen (sog. hindsight bias)446, eben diese Gefahr aber bei der Kontrolle der Hauptversammlung, deren Entscheidungen mit der Anfechtungsklage präventiv, und das heißt ohne richterliche Kenntnis der späteren Entwicklung, überprüft werden, nur eingeschränkt besteht. II. Allgemeine konzeptionelle Einwände Kritisch zu sehen ist ganz allgemein der rechtsformbezogene Ansatz der vermögensorientierten Konzeptionen – diese fokussieren durchweg auf die Aktiengesellschaft447. Erfasst werden dabei zum einen sowohl börsennotierte als auch nicht börsennotierte Aktiengesellschaften448. Dies erscheint deshalb bedenklich, weil der Verzicht auf eine an die von einem Beschluss ausgehende Belastung anknüpfende Angemessenheitskontrolle, der die vermögensorientierten Konzeption eint, zwar bei großen börsennotierten Aktiengesellschaften in vielen Fällen sachgerecht sein mag, kaum jedoch bei den rechtstatsächlich deutlich überwiegenden449 kapitalmarktfernen Aktiengesellschaften und noch weniger bei den eben445 Vgl. hier nur Fleischer, WM 2003, 1045, 1046 ff.; näher unten § 12 A. III. 3. b) ee); explizit für eine organübergreifende Angleichung der Rechtsbindungen Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 17. 446 Siehe Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rn. 60; Spindler, in: MünchKomm/AktG, § 76 Rn. 29. 447 Vgl. Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt (1995); Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen und Rechtsbindung der Organe in der AG (2002); Klöhn, Das System der aktien- und umwandlungsrechtlichen Abfindungsansprüche (2009), dort insb. S. 6 (Hervorhebung jeweils nicht im Original). 448 Vgl. die Einbeziehung der nicht börsennotierten Aktiengesellschaft durch Mülbert, in: FS Ulmer, S. 433, 450; im Grundsatz ausdrücklich beide Typen von Aktiengesellschaft einbeziehend Klöhn, Abfindungsansprüche, S. 6. 449 Habersack, AG 2005, 137, 139; vgl. auch die statistischen Angaben bei Bayer, Gutachten, 67 DJT, S. E 19 f.
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falls anzutreffenden personalistischen Aktiengesellschaften450. Zum anderen hat der rechtsformbezogene Fokus auf die AG zur Folge, dass die GmbH aus der konzeptionellen Betrachtung weitestgehend ausgeblendet wird451 . Geht es aber, um an dieser Stelle nur den grundsätzlichsten Einwand gegen einen rechtsformbezogenen Ansatz vorzubringen452, bei der materiellen Beschlusskontrolle darum, eine Antwort auf das in der fehlenden Zustimmung des Normadressaten (Mehrheitsprinzip) begründete Legitimationsproblem zu geben453, so spricht dies für eine einheitliche, sowohl die AG als auch die GmbH erfassende Konzeption. Denn bei beiden gilt das Mehrheitsprinzip in gleichem Maße. Schließlich sei, insbesondere im Hinblick auf die Konzeption Mülberts als einen, wie mehrfach belegt werden konnte, entschiedenen Gegenentwurf zum Sachgrunderfordernis, der obige schadensersatzrechtliche Gedanke nochmals aufgegriffen. War mit dem Sachgrunderfordernis ein sach- und systemgerechter Ausgleich der divergierenden Mehrheits-/Minderheitsinteressen anfänglich unmöglich geworden, so ist zwar das schädigende Element, hier: das Sachgrunderfordernis, im Wege der Naturalrestitution zu beseitigen454. Insofern ist dem vermögensbezogenen Ansatz zuzustimmen. Nur: Naturalrestitution bedeutet Herstellung des Zustandes, der ohne das schädigende Ereignis heute bestünde455. Die hypothetische Weiterentwicklung des fraglichen Zustandes ist also zu berücksichtigen456. So gesehen erscheint es daher verkürzt, allein das Sachgrunderfordernis unter Berufung auf die Vermögensschutznormen des AktG 1965 und die gewiss gewachsenen kapitalmarktrechtlichen Einflüsse zu verdammen. Geboten ist es vielmehr, die gegenläufige Entwicklung hin zu einer über das Sittengebot sowie Treu und Glauben hinausgehenden Bindung der Mehrheit an materielle Rücksichtspflichten und Beschlussschranken einzubeziehen und auf dieser Basis zu fragen, welche Entwicklung das materielle Beschlussmängelrecht ohne das Sachgrunderfordernis genommen hätte. Vielleicht wäre diese Entwicklung, so kann man fragen, zu einer größeren Berücksichtigung des gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes (§ 53a AktG) hin verlaufen. Mit einem an diesen anknüpfenden Ansatz, der zudem rechtsformübergreifend angelegt ist, haben wir uns als Nächstes zu beschäftigen.
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Vgl. insoweit Friedewald, Die personalistische Aktiengesellschaft (1991). Zur GmbH finden sich insoweit lediglich wenige ergänzende Schlussbemerkungen, s. Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 518 ff.; Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 586. 452 Ausführlichere Kritik daran unten bei § 14 B. III. 2. b). 453 Vgl. Bachmann, Private Ordnung, S. 209 ff. sowie oben § 2 u. § 4. 454 Oben § 9 B. XI. 455 BGH NJW 1985, 793; Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 249 Rn. 2. 456 Grüneberg, Palandt, BGB, § 249 Rn. 2. 451
§ 11 Das Gleichbehandlungsmodell
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§ 11 Das Gleichbehandlungsmodell A. Darstellender Teil I. Der Gleichbehandlungsgrundsatz in der Rechtsprechung Bereits das Reichsgericht hatte in seiner frühen Rechtsprechung den gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz anerkannt457. Im Jahre 1902 erhob es die Pflicht zur Gesellschaftergleichbehandlung gar zu einem „obersten Grundsatz“ 458. Gleichwohl war dem Gleichbehandlungsgrundsatz in der weiteren Rechtsprechung keine nennenswerte Bedeutung beschieden. Dass ihm lediglich ein äußerst schmaler Anwendungsbereich verblieb, ist darauf zurückzuführen, dass das Reichsgericht ein enges, restriktives Verständnis des Merkmals der Ungleichbehandlung zugrunde legte: Nur Maßnahmen, die bereits ihrer äußeren Form nach eine Ungleichbehandlung der Gesellschafter enthielten (sog. formale Ungleichbehandlungen), sah es vom Gleichbehandlungsgrundsatz erfasst an, nicht dagegen solche, die äußerlich-formal alle Gesellschafter gleich behandeln, sich aber unterschiedlich auf die einzelnen Gesellschafter auswirken (sog. materielle Ungleichbehandlungen)459. An einem Beispiel verdeutlicht: In der Entscheidung RG LZ 1914, 273 hatte die Generalversammlung mit den Stimmen des Mehrheitsgesellschafters eine Kapitalherabsetzung im Verhältnis von 45:1 beschlossen. Der einzige Minderheitsaktionär hielt weniger als 45 Aktien und musste daher gegen seinen Willen aus der Gesellschaft ausscheiden. Mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz hatte dies nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts nichts zu tun, denn äußerlich-formal waren alle Gesellschafter gleich behandelt worden460. Dass sich die Maßnahme aber höchst unterschiedlich auf die einzelnen Gesellschafter auswirkte – nur der Minderheitsaktionär verlor seine Beteiligung –, war nach dem restriktiven Verständnis des Reichsgerichts ohne Belang. Zur Lösung dieser und anderer Fälle griff das Reichsgericht stattdessen auf das Gebot der guten Sitten zurück. Die reichhaltige Rechtsprechung zur Begrenzung der Mehrheitsherrschaft war eine Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen461. Der Gleichbehandlungsgrundsatz versank daneben in der Bedeutungslosigkeit462. 457
RGZ 41, 97, 99. RGZ 52, 287, 293 f. 459 Vgl. etwa RGZ 41, 97; RGZ 52, 287; RGZ 68, 210, 213; RGZ 80, 81; RGZ 80, 385, 390; RG JW 1916, 575, 576; RGZ 159, 163; RGZ 170, 358, 377 f.; ausführlich dazu Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 18 ff.; zur Unterscheidung formale – materielle Ungleichbehandlungen ders., S. 19 ff., 231 ff. 460 So zu diesem reichsgerichtlichen Judikat Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 21. 461 Vgl. monographisch aus der damaligen Zeit Raubold, Sittenwidrigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen einer Aktiengesellschaft (1929); dazu m.w. N. oben § 4 B. I., § 10 B. II. 2. a), unten § 12 A. III. 3. b) cc). 458
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Eine ähnliche Entwicklung war und ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu beobachten. Dieser ging in der – allerdings eine Vorstandsentscheidung betreffenden – „Minimax II“-Entscheidung des Jahres 1960 ohne größere Umschweife davon aus, dass das Rechtsverhältnis der Gesellschaft zu ihren Gesellschaftern vom Grundsatz der Gleichberechtigung beherrscht wird463. In der „Mannesmann“-Entscheidung aus dem Jahre 1977 sprach der Bundesgerichtshof dann in Bezug auf die nachträgliche Einführung eines Höchststimmrechtes davon, dass diese Maßnahme diejenigen Aktionäre, die Aktien über die Höchstquote hinaus hielten, ungleich schwerer belaste als die übrigen Aktionäre464. Dies veranlasste das Gericht nach einer verbreiteten Interpretation465 zu einer Überprüfung der Maßnahme anhand des Gleichbehandlungsgrundsatzes466. Hierdurch ließ der Bundesgerichthof, so die Einschätzung Verses, die grundsätzliche Bereitschaft erkennen, auch materielle Ungleichbehandlungen am Gleichbehandlungsgrundsatz zu messen467. Als der Gesetzgeber dann im Jahre 1979 seiner europarechtlichen Umsetzungspflicht aus Art. 42 Kapital-RL dadurch überschießend nachkam, dass er in § 53a AktG ganz allgemein festschrieb, dass Aktionäre unter gleichen Voraussetzungen gleich zu behandeln sind468, hätte man eigentlich erwarten können, dass die Gerichte fortan verstärkt auf den Gleichbehandlungsgrundsatz zurückgreifen würden. Das Gegenteil aber war der Fall. Der anfängliche Siegeszug des Sachgrunderfordernisses469 und der spätere Siegeszug der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht470 führten dazu, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz in der Beschlussmängelpraxis massiv an Bedeutung verlor471. Es blieb beim restriktiven Verständnis des Merkmals der Ungleichbehandlung. Bis zum heutigen Tage unterstellt die Rechtsprechung, von wenigen Ausnahmen abgesehen472, nur formale Ungleichbehandlungen dem Gleichbehandlungsgrund462 463 464 465
Siehe Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 19 ff. BGHZ 33, 175, 186 ff. BGHZ 70, 117, 121. Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S. 99; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz,
S. 33. 466 Der BGH verneinte einen Verstoß dann aber mit der Begründung, dass in der Regelung des § 134 I 2 AktG a. F. eine vom Gesetzgeber vorweggenommene Interessenabwägung zu sehen sei, siehe BGHZ 70, 117, 121 ff. 467 Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 33. 468 Art. 1 Nr. 10, Art. 5 Zweites Gesellschaftsrechtliches Koordinierungsgesetz, BGBl. 1978 I, S. 1959. Im GmbH-Recht, wo eine allgemeine gesetzliche Kodifikation fehlt, gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz als allgemeiner Rechtsgrundsatz bzw. Rechtsprinzip, s. T. Raiser, in: Ulmer, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 129 m.w. N. 469 Siehe oben § 5. 470 Siehe Immenga, in: FS 100 Jahre GmbHG, S. 189; Nachweise dazu oben § 4 B. IV. 471 Siehe Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 33 ff. 472 OLG Stuttgart JR 1955, 463, 464; LG Kassel AG 1989, 218, 219; BezG Dresden GmbHR 1994, 123, 125.
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satz473. Es muss also bereits äußerlich eine Differenzierung vorliegen, die unmittelbar an die Person der einzelnen Gesellschafter oder an einzelne Anteile anknüpft474. Paradebeispiel ist die verdeckte Gewinnausschüttung, die eben nur ein einzelner Gesellschafter erhält475. In den allermeisten Fällen greift die Rechtsprechung statt auf den Gleichbehandlungsgrundsatz auf die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht zurück476. II. Der Gegenentwurf von Verse Diese historisch gewachsene Bedeutungslosigkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes möchte Verse im Anschluss an grundlegende Überlegungen Fastrichs477 umkehren. Dem Sachgrunderfordernis, für dessen Aufgabe er plädiert, sei der Gleichbehandlungsgrundsatz deshalb überlegen, weil er nicht jeden Eingriff, sondern nur ungleiche Maßnahmen zum Anlass einer gerichtlichen Kontrolle nehme und daher schonender sowie im Einklang mit privatrechtlichen Grundsätzen in die Privatautonomie eingreife478. Und auch gegenüber einem intensiven Gebrauch der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht meldet Verse mit Blick auf deren tatbestandliche Weite und Unschärfe Bedenken an479. Der Vorzug gebühre auch insoweit dem Gleichbehandlungsgrundsatz; an ihn sei die materielle Beschlusskontrolle primär anzuknüpfen480. Notwendig sei es freilich – dies steht im Mittelpunkt seiner Argumentation –, das insbesondere in der Rechtsprechung vorherrschende restriktive Verständnis des Gleichbehandlungsgrundsatzes aufzugeben, was vor allem bedeute: Nicht nur formelle, sondern auch materielle Ungleichbehandlungen müssten einen Rechtfertigungszwang vor dem Gleichbehandlungsgrundsatz auslösen481. Die Frage, wann von einer materiellen Ungleichbehand473 Siehe dazu die Entscheidungsanalyse bei Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 33 ff. mit umfassenden Nw. 474 Siehe Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 231. 475 Vgl. BGH WM 1972, 931, 932 f.; BGH NJW-RR 1990, 290, 292; BGHZ 111, 224, 227. 476 Vgl. insbesondere BGHZ 76, 352; BGHZ 103, 184 (Linotype); BGHZ 142, 167 (Hilgers); diese Entscheidungen hätten nach Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 42 ff., genauso gut mit dem (materiell verstandenen) Gleichbehandlungsgrundsatz gelöst werden können. 477 Fastrich, Funktionales Rechtsdenken, S. 15 ff., 48 ff.; dann später ders., in: FS Kreutz, S. 585, 591 ff. 478 Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 54 ff.; näher zu dieser Argumentation unten B. VI. 479 Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 63 f.; auf eine treuepflichtgestützte Missbrauchskontrolle kann und möchte dagegen auch Verse nicht verzichten, siehe Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 304 ff., 462. 480 Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 53 ff., zusf. 64. 481 Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 59, 63 f., 232 ff.; dies entspricht im Grundsatz der wohl h. L., siehe Henze/Notz, in: GroßKomm/AktG, § 53a Rn. 62, 64 ff.; Drygala, in: KölnKomm/AktG, § 53a Rn. 12 ff.; Merkt, in: MünchKomm/
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lung konkret auszugehen sei, beantwortet Verse folgendermaßen: Eine materielle Ungleichbehandlung sei erstens dann gegeben, wenn einzelnen Gesellschaftern besondere Vorteile zuflössen, die Anlass zu der Befürchtung gäben, dass das Erstreben des Sondervorteils für die Entscheidung der Gesellschafterversammlung bestimmend war482, zweitens aber auch dann, wenn einzelne Gesellschafter durch die Maßnahme besondere Nachteile erlitten, was Verse aber durch verschiedene Gesichtspunkte (mitgliedschaftliche Nachteile, keine Expektanzen, faktische Beeinträchtigungen nur bei einigem Gewicht) einschränkt483. Was schließlich den Maßstab, an dem Ungleichbehandlungen zu messen sind, anbelangt, tritt Verse für eine differenzierte Handhabung ein484: Soweit die Ungleichbehandlung auf die Sondervorteilsvariante gründe, sei zu prüfen, ob diese dem Gesellschaftsinteresse diene485. Stünden dagegen Sondernachteile einzelner Gesellschafter in Rede, habe weiter gehend auch eine Überprüfung der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit i. e. S. zu erfolgen486.
B. Einordnender und bewertender Teil I. Europarecht: Art. 42 Kapital-RL Verse bemüht zur Begründung einer materiellen Auslegung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zunächst das europäische Gesellschaftsrecht. Dieses kennt zwar keinen allgemeinen Grundsatz der Aktionärsgleichbehandlung487, wohl aber spezielle Gleichbehandlungsgebote, allen voran Art. 42 Kapital-RL. Dieser lautet: „Für die Anwendung dieser Richtlinie müssen die Rechtsvorschriften der Mitgliedsstatten die Gleichbehandlung der Aktionäre sicherstellen, die sich in denGmbHG, § 13 Rn. 292; doch scheinen diese Weitungen insgesamt noch nicht ganz angekommen, in jedem Fall nicht hinreichend in die Gesamtdiskussion um eine materielle Beschlusskontrolle eingebettet zu sein. 482 Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 240 f.; davon, dass das Erstreben des Sondervorteils für die Entscheidung der Gesellschaftsorgane bestimmend war, sei dabei stets auszugehen, wenn der Sondervorteil einem Gesellschafter mit maßgeblichem Einfluss zukommt, siehe Verse, a. a. O. 483 Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 241 f. 484 Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 285 ff. 485 In der Rechtsprechung, teilweise auch in der Literatur, finden sich dagegen nicht selten etwas andere, einen bloßen Willkürmaßstab naheliegende Formulierungen, vgl. BGHZ 33, 175, 186 (Minimax I); BGHZ 116, 359, 373; BGHZ 120, 141, 150 (Bremer Bankverein); G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 341; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 II 2 b (S. 430). 486 So wohl generell die h. L., siehe Henze/Notz, in: GroßKomm/AktG, § 53a Rn. 70 f.; Drygala, in: KölnKomm/AktG, § 53a Rn. 17; Cahn/v. Spannenberg, in: Spindler/Stilz, AktG, § 53a Rn. 19; Merkt, in: MünchKomm/GmbHG, § 13 Rn. 296; ausführlich zum Ganzen Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 283 ff.; vgl. auch insoweit den Hinweis in Fn. 481. 487 EuGH NZG 2009, 1350 (Audiolux).
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selben Verhältnissen befinden.“ In Verbindung mit dem europarechtlichen Auslegungsgrundsatz des effet utile gewinnt Verse daraus488 sein europarechtliches Argument489: Von praktischer Wirksamkeit des Art. 42 Kapital-RL könne, wie insbesondere die reichsgerichtliche Rechtsprechung belege, bei einer formalrestriktiven Auslegung keine Rede sein. Art. 42 Kapital-RL müsse daher wie die sonstigen Diskriminierungsverbote des Gemeinschaftsrechts so interpretiert werden, dass auch materielle Ungleichbehandlungen erfasst würden. Folglich sei der nationale Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 53a AktG) richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass über formale Ungleichbehandlungen hinaus auch Ungleichbehandlungen materieller Art dem Gleichbehandlungsgrundsatz unterfielen. Den Einwand, dass die Kapital-RL nur die AG und auch dort lediglich einen Teilbereich (Kapitalmaßnahmen) adressiert (vgl. Art. 1 Kapital-RL)490, überwindet Verse mit dem Hinweis auf den Auslegungssatz, wonach der deutsche Gesetzgeber im Zweifel eine gespaltene Auslegung einer (einheitlichen) Norm verhindern wolle491. Zum Vorverständnis: Im deutschen Gesellschaftsrecht stehen zur Kontrolle nachteiliger Gesellschafterbeschlüsse verschiedene Rechtsgrundlagen zur Verfügung, neben dem Gleichbehandlungsgrundsatz insbesondere die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht sowie das Sachgrunderfordernis492. Im Verhältnis der Institute untereinander markiert der Gleichbehandlungsgrundsatz nach herrschender Meinung einen Spezialfall der Treuepflicht493, und auch im Verhältnis zum Sachgrunderfordernis lässt er sich als Spezialfall einordnen494. Jeder Gleichbehandlungsverstoß bedeutet daher zugleich eine Verletzung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht, jede Missachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes, insbesondere 488 Daneben bezieht sich Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 94 ff. noch auf Art. 17 I Transparenzrichtlinie, umgesetzt in § 30a Abs. 1 Nr. 1 WpHG; diese Norm adressiert jedoch nur die börsennotierte AG und betrifft lediglich die informationelle Gleichbehandlung; in unserem Zusammenhang soll daher der Blick auf die für das Beschlussmängelrecht maßgebliche Norm des Art. 42 Kapital-RL, umgesetzt in § 53a AktG, genügen. 489 Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 107 ff., mit den europarechtlichen Nachweisen. 490 Vgl. Bachmann, ZHR 171 (2007), 747, 749. 491 Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 112 f. 492 Oben § 4 B. 493 OLG Stuttgart AG 2000, 229, 230; Lutter, AcP 180 (1980), 85, 122; Henze/Notz, in: GroßKomm/AktG, § 53a Rn. 7 f.; Wiedemann, in: GroßKomm/AktG, § 186 Rn. 136; Seibt, in: Scholz, GmbHG, § 14 Rn. 41; (nur) für das Verhältnis des Gleichbehandlungsgrundsatzes zur Treuepflicht der Gesellschaft Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 87 ff.; a. A. etwa T. Raiser, in: Ulmer, GmbHG, § 14 Rn. 104 Fn. 240. 494 Dies deshalb, weil das Sachgrunderfordernis nicht nur den ungleichmäßigen Eingriff, sondern im Grundsatz jeden Eingriff in die Mitgliedschaft zum Anlass einer gerichtlichen Kontrolle nimmt, sodass beispielsweise und insbesondere nicht nur der ungleiche (= zugunsten bestimmter Gesellschafter erfolgende), sondern jeder Bezugsrechtsausschluss sachlicher Rechtfertigung bedarf, siehe oben § 5 C.
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beim Bezugsrechtsausschluss, markiert zugleich eine Missachtung des Gebots sachlicher Rechtfertigung. Beispielhaft angeführt seien aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Entscheidungen BGHZ 76, 352, BGHZ 103, 184 (Linotype) sowie BGHZ 142, 167 (Hilgers). Dort standen jeweils materielle Ungleichbehandlungen in Rede, das Gericht löste den Fall aber mit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht. Auslegung des Art. 42 Kapital-RL495: Der Wortlaut von Art. 42-Kapital-RL spricht davon, dass die Gleichbehandlung der Aktionäre „sicherzustellen“ sei. Diese eine erfolgsbezogene Konnotation aufweisende Vokabel deutet darauf hin, dass es der Norm – ganz dem Richtliniencharakter entsprechend – maßgeblich auf das Ergebnis und nicht auf den dazu beschrittenen Weg ankommt, konkret: Ob die Gleichbehandlung der Aktionäre dadurch „sichergestellt“ wird, dass man auch materielle Ungleichbehandlungen dem Gleichbehandlungsgrundsatz unterstellt, oder aber einen intensiven und die einschlägigen Konstellationen ebenfalls erfassenden Gebrauch von der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht macht oder gar ein nicht nur Ungleichbehandlungen, sondern weitergehend jeden Eingriff erfassendes Gebot sachlicher Rechtfertigung etabliert, dürfte mit Blick auf Art. 42 Kapital-RL einerlei sein. Ähnliches gilt für die teleologische Auslegung, in deren Rahmen auch der bemühte Auslegungsgrundsatz des effet utile anzusiedeln ist496. Der Regelungszweck von Art. 42 Kapital-RL lässt sich dahingehend beschreiben, dass ein europaweiter Mindestaktionärsschutz in Form eines Diskriminierungsschutzes gewährleistet werden soll497. Auch insoweit gilt: Ob man diesen Aktionärsschutz dadurch gewährleistet, dass man mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz ein spezielles Diskriminierungsverbot zur Geltung bringt oder aber hierfür auf allgemeine Normen und Institute zurückgreift, die diesen Diskriminierungsschutz gleichermaßen gewährleisten (Treuepflicht, Sachgrunderfordernis), ergibt in teleologischer Hinsicht keinen Unterschied. Es kann nicht – um die Brücke zur historisch-genetischen Auslegung zu schlagen und den denkbaren Einwand der autonomen Auslegung des Gemeinschaftsrechts auszuräumen – davon ausgegangen werden, dass der europäische Gesetzgeber die Mitgliedsstaaten auf eine bestimmte Rechtsgrundlage der materiellen Beschlusskontrolle festlegen wollte.
495 Die Frage einer materiellen Auslegung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist weniger bei der Frage der Generalklausel-Konkretisierungskompetenz des EuGH anzusiedeln (so aber wohl Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 94 ff.), sondern bei der konkreten Auslegung der einschlägigen Richtlinienbestimmung. 496 Siehe Riesenhuber, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 11 III 4 b (S. 336 ff.). 497 In dieser Zweckbeschreibung vereinigt sich das materielle Aktionärsschutzziel mit dem regulatorischen Ziel der Rechtsvereinheitlichung; Erwägungsgründe und Materialien enthalten keine spezifischen Aussagen zum Gleichbehandlungsgrundsatz; vgl. insoweit lediglich Erwägungsgrund 2 der Kapital-RL: „Die Koordinierung der einzelstaatlichen Vorschriften (. . .) ist vor allem bedeutsam, um beim Schutz der Aktionäre (. . .) ein Mindestmaß an Gleichwertigkeit sicherzustellen.“
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Hingewiesen sei insoweit zum einen darauf, dass weder in den Erwägungsgründen noch in den Materialien498 – und auch nicht im Richtlinientext selbst – an irgendeiner Stelle explizit von einem „Gleichbehandlungsgrundsatz“ die Rede ist; die in den einschlägigen Textsammlungen zu findende Paragraphenüberschrift zu Art. 42 Kapital-RL „Gleichbehandlungsgebot“ ist in Klammern gesetzt und daher nicht amtlich. Zum anderen ist im Rahmen der historischen Auslegung i. e. S. die vom europäischen Gesetzgeber vorgefundene Regelungssituation in den Mitgliedsstaaten zu berücksichtigen499. Die Frage einer materiellen Beschlusskontrolle ist dabei als ein „Grundsatzproblem des Gesellschaftsrechts“ 500 in besonderem Maße in die allgemeine nationale Verbandsrechtsdogmatik eingebettet, dementsprechend setzen die nationalen Gesellschaftsrechte hierfür auch auf gänzlich unterschiedliche Instrumente501. Ein materiell verstandener Gleichbehandlungsgrundsatz rechnet hierzu überwiegend nicht. Soweit der Gleichbehandlungsgrundsatz in den Mitgliedsstaaten überhaupt eine Rolle spielt, wird sein Anwendungsbereich ganz überwiegend auf formale Ungleichbehandlungen begrenzt502. Hielte man eine materielle Auslegung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für europarechtlich geboten, hätte dies denn auch die fragwürdige Folge, dass im Grunde genommen kein Mitgliedsstaat über ein in diesem Punkte europarechtskonformes Gesellschaftsrecht verfügen würde. All dies streitet – auch unter kompetenzrechtlichen Gesichtspunkten – für eine Auslegung, der zufolge den Mitgliedsstaaten durch Art. 42 Kapital-RL die Anwendung eines materiell verstandenen Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht vorgeschrieben ist503. In systematischer Hinsicht kann man zwar darauf verweisen, dass auch bei den sonstigen Diskriminierungsverboten des primären und sekundären Gemeinschaftsrechts ein materielles, d.h. „versteckte Ungleichbehandlungen“ erfassendes Verständnis zu498 Vgl. Erläuterungen der Kommission zum Entwurf der Zweiten Richtlinie, ABl. C 48 vom 24.4.1970, S. 8 ff.; Entschließung des Europäischen Parlaments ABl. C 11 vom 11.11.1971, S. 18 ff.; Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses, ABl. C 88 vom 6.9.1971, S. 1 ff. 499 Riesenhuber, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 11 III 3 e (S. 333 f.). 500 BT-Drucks. 12/6699, Begr. zu § 13 UmwG, S. 86; siehe auch Goette, ZGR 2008, 436, 437 ff. 501 Wiedemann, WM 2009, 1, 7 m.w. N. 502 Vgl. die rechtsvergleichende Untersuchung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Frankreich, England, Niederlande, Österreich, Schweiz) bei Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 114–167. 503 Lässt sich bereits für den von der Kapital-RL allein erfassten Bereich (AG, Kapitalmaßnahmen) ein europarechtliches Gebot der materiellen Betrachtungsweise des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht behaupten, so kann die Frage, ob man über den Hinweis auf die vom nationalen Gesetzgeber (angeblich) gewünschte einheitliche Auslegung auch im von der Kapital-RL nicht erfassten Bereich ein materielles Verständnis des Gleichbehandlungsgrundsatzes begründen kann, auf sich beruhen; vgl. insoweit aber immerhin die beachtenswerte Kritik an diesem Auslegungssatz bei C. Mayer/ Schürnbrand, JZ 2004, 545, 551.
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grunde gelegt wird504. Doch besteht der zentrale Unterschied darin, dass diese nicht wie der gesellschaftsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz in die Dogmatik des Körperschaftsrechts eingebunden sind, was im Folgenden aufzuzeigen ist. II. Dogmatik: körperschaftliche Friktionen und Restriktionen Jeder beschlussmängelrechtlichen Norm, jedem beschlussmängelrechtlichen Institut liegt eine bestimmte dogmatische Grundkonzeption zugrunde. Entweder rückt die Norm die juristische Person als selbstständiges Rechtssubjekt in den normativen Mittelpunkt (körperschaftliche Konzeption) oder aber die einzelnen Gesellschafter (individualistische Konzeption). Diese dogmatische Grundstruktur determiniert auch die Auslegung und Anwendung der Norm: Auslegung und Anwendung der Norm müssen deren dogmatischer Grundstruktur Rechnung tragen. Geschieht dies nicht, kommt es, wie sich gerade im Zusammenhang mit dem Sachgrunderfordernis gezeigt hat505, zu dogmatischen Unstimmigkeiten, die keine Norm und kein Rechtsinstitut dauerhaft durchzustehen vermag. Im Rahmen der dogmatischen Beurteilung der Konzeption Verses ist daher erstens zu fragen, welche dogmatische Konzeption dem Gleichbehandlungsgrundsatz zugrunde liegt (unter 1.), und zweitens, ob die von Verse befürwortete Auslegung des Gleichbehandlungsgrundsatz mit dieser dogmatischen Konzeption in Einklang steht (unter 2.). 1. Körperschaftliche Struktur des Gleichbehandlungsgrundsatzes
Wie bereits die systematische Stellung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (§ 53a AktG) im dritten Teil des Ersten Buches des AktG („Rechtsverhältnisse der Gesellschaft und der Gesellschafter“) erkennen lässt, verortet dieser den maßgeblichen Interessenkonflikt im Verhältnis Gesellschaft – Gesellschafter. Der Gleichbehandlungsgrundsatz nimmt weiter allein die Organe der Gesellschaft in die Pflicht; einzelne Gesellschafter sind dagegen nach herrschender Auffassung nicht an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden506. Die Anfechtbarkeit bei einem Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz basiert zudem auf der körperschaftlich konzipierten Norm des § 243 Abs. 1 AktG507. Was den Kon504 So Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 108 f., mit den europarechtlichen Nachweisen; zustimmend Bachmann, ZHR 171 (2007), 747, 749. 505 Oben § 6 D. III. 506 OLG Düsseldorf BB 1973, 910, 912; OLG Celle WM 1974, 1013, 1014; Drygala, in: KölnKomm/AktG, § 53a Rn. 5 f.; Bungeroth, in: MünchKomm/AktG, § 53a Rn. 5; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 172 ff. mit umfassenden Nachweisen; a. A. Reul, Gleichbehandlung, S. 270 f.; für das GmbH-Recht ebenfalls für eine Bindung der (Mehrheit) der Gesellschafter Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13 Rn. 124. 507 Siehe statt vieler Bungeroth, in: MünchKomm/AktG, § 53a Rn. 28; Merkt, in: MünchKomm/GmbHG, § 13 Rn. 299; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 355 ff.,
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trollgegenstand anbelangt, so knüpft der Gleichbehandlungsgrundsatz an den Beschluss der Gesellschafterversammlung, und das heißt an das von dem Willensbildungsorgan der Gesellschaft gefasste Rechtsgeschäft an508. All dies zeigt, dass es sich beim gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz durch und durch um einen körperschaftlichen Grundsatz handelt, einen Grundsatz, der die juristische Person als eigenständiges Rechtssubjekt und die mit und zu ihr bestehenden Rechts- und Pflichtenverhältnisse in den Mittelpunkt rückt. Klärungsbedürftig ist folglich, ob die von Verse befürwortetete Auslegung des Gleichbehandlungsgrundsatzes mit dessen körperschaftlicher Grundstruktur in Einklang steht. 2. Konvergenz von Auslegungsergebnis und dogmatischer Grundstruktur
a) Funktionale Normstruktur vs. körperschaftlicher Willensbildungsprozess Beim Gleichbehandlungsgrundsatz handelt es sich in funktionaler und normstruktureller Hinsicht509 um eine Schrankennorm: Der Gleichbehandlungsgrundsatz setzt den Handlungsbefugnissen der Gesellschaft Grenzen, fungiert als Schranke der Verbandsmacht510. Er kann daher auch nur dort seine Wirkung entfalten, wo einem Rechtssubjekt eine einseitige Gestaltungsmacht zukommt511. Eben diese vom Gleichbehandlungsgrundsatz vorausgesetzte einseitige Gestaltungsmacht wird aber durch den körperschaftlichen Willensbildungsprozess, in den der Gleichbehandlungsgrundsatz eingebunden ist, eingeebnet512: Während mit Nachweisen zur früher vertretenen Gegenauffassung (schwebende Unwirksamkeit gleichbehandlungswidriger Beschlüsse); zur körperschaftlichen Konzeption des § 243 I AktG oben bei § 6 D. II. 3. 508 Vgl. etwa Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 354 ff., der bei den Rechtsfolgen von Gleichbehandlungsverstößen allen voran die Anfechtbarkeit des Beschlusses erörtert. 509 Es geht insofern also nicht nur um terminologische Fragen, so aber wohl das Verständnis bei Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 3 ff. 510 So die Kennzeichnung bei Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 185; ebenso Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 3; dieses Verständnis des Gleichbehandlungsgrundsatzes entspricht der ganz h. M., vgl. Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 3 ff., insb. S. 4 mit Fn. 20. 511 Die wohl h. L. sieht den Gleichbehandlungsgrundsatz im Vorhandensein einseitiger Gestaltungsmacht begründet, versteht ihn als Korrektiv eben dieser einseitigen Gestaltungsmacht; siehe grundlegend L. Raiser, ZHR 111 (1948), 75, 92 ff.; aus dem jüngeren Schrifttum etwa T. Raiser, in: Ulmer, GmbHG, § 14 Rn. 103; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 16 II 4 b aa (S. 462 f.); ausführlich zum Streitstand mit eigenem Ansatz (Gleichbehandlungsgrundsatz als Instrument der ausgleichenden Gerechtigkeit) Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 68 ff.; die folgenden Ausführungen dürften aber von dem Standpunkt, den man hier bezieht, weitgehend unabhängig sein. 512 Siehe zum körperschaftlichen Willensbildungsprozess insbesondere Baltzer, Beschluss, S. 17–48; siehe weiter Hüffer, AktG, § 133 Rn. 2; Mülbert, in: GroßKomm/ AktG, Vor §§ 118–147 Rn. 19; Eberspächer, Nichtigkeit, S. 26 f.
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nämlich in der Gesellschafterversammlung zunächst die verschiedenen Interessen der Gesellschafter mithilfe des Stimmrechts um Anerkennung streiten, tritt dieses Stimmrecht der Gesellschafter dann zugunsten der kollektiven Entscheidungsfindung zurück. Die verschiedenen Einzelstimmen der Gesellschafter verschmelzen im Beschluss zu einer kollektiven Einheit. Der Beschluss bringt die von der Gesellschafterversammlung als einem Kollektivorgan getroffene notwendig einheitliche Willensentscheidung (Annahme oder Ablehnung des Antrags) zum Ausdruck. Das Stimmrecht und damit auch die Gestaltungsmacht, die es vermittelt, werden durch diese vereinheitlichende und vereinfachende Technik der körperschaftlichen Willensbildung aufgesogen, unsichtbar, kurz: nicht mehr zugriffsfähig gemacht. In der juristischen Sekunde, in welcher der körperschaftliche Gleichbehandlungsgrundsatz an den Beschluss ansetzen möchte, ist ihm daher bereits der gedankliche und rechtsdogmatische Anknüpfungspunkt abhanden gekommen. b) Tatbestandsseite: das Merkmal der Ungleichbehandlung aa) Körperschaftliche Zentripetalkraft – materielle Ungleichbehandlung Prädominant ist im körperschaftlichen Denkmodell die Vorstellung, wonach die ursprünglich nur zwischen den Gesellschaftern bestehenden Rechtsbeziehungen auf die juristische Person transferiert und dort monopolisiert werden513. Die normative Richtung geht folglich „weg“ von den Gesellschaftern und „hin“ zur juristischen Person. Physikalisch gesprochen werden körperschaftliche Rechtsnormen daher von einer unsichtbaren Zentripetalkraft beherrscht, die von den Gesellschaftern zur juristischen Person zieht. Eine materielle Auslegung des Gleichbehandlungsgrundsatzes steht hierzu im Widerspruch. Denn mit der Annahme, dass es für eine relevante Ungleichbehandlung genüge, wenn sich der gefasste Beschluss der Gesellschaft im Ergebnis ungleich auf die Gesellschafter auswirke514, verläuft die normative Richtung entgegengesetzt zur körperschaftlichen Zentripetalkraft – weg von der juristischen Person hin zu den Gesellschaftern515. 513 Vgl. hierzu aus der Treuepflicht-Diskussion M. Weber, Treubindungen, S. 115: „Übermächtig wirkte (. . .) die Vorstellung von der vermeintlich ausschließlichen Zuordnungssubjektivität juristischer Personen, die in rechtlicher Hinsicht buchstäblich alle Beziehungen zwischen den Gesellschaftern buchstäblich zerschneide.“ Vgl. auch Hüffer, in: FS Steindorff, S. 59, 67 m.w. N. zu der von ihm selbst abgelehnten Vorstellung; vgl. auch die ökonomische sog. Vertragsnetzthese („nexus of contracts“), wonach die juristische Person konzeptionell nur ein Vertragsgeflecht zwischen den verschiedenen Beteiligten darstelle; dazu aus juristischer Perspektive etwa Spindler, AG 1998, 53, 58, 74. 514 So der hier allein relevante Ausgangspunkt für die Bestimmung der materiellen Ungleichbehandlung, vgl. Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 19, 233. 515 Mit dieser Erwägung ließe sich denn auch an der Erfassung formaler Gleichbehandlungen und damit letzten Endes am Gleichbehandlungsgrundsatz überhaupt zweifeln; doch ergibt die Beschränkung auf formale Ungleichbehandlungen durchaus einen dogmatischen Sinn; siehe sogleich unter c).
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bb) Körperschaftliche Uniformität – materielle Ungleichbehandlung Körperschaftliche Rechtsnormen verorten den maßgeblichen Interessenkonflikt im Verhältnis der juristischen Person zu dem einzelnen Mitglied516. Wie bereits angeklungen, sind sie zudem von einem starken Vereinheitlichungs- und Vereinfachungsstreben geprägt517. Das normative Gesellschafterleitbild, das körperschaftlichen Normen zugrunde liegt, ist daher ein uniformistisches518. Auf Basis eines materiellen Verständnisses des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach unterschiedlichen Auswirkungen auf die einzelnen Gesellschafter zu fragen, bedeutet dagegen, den Blick auf die verschiedenartige Interessenlage und die unterschiedlichen Rechtspositionen innerhalb des häufig disparaten Gesellschafterkreises zu richten, heißt also, die Gesellschaftervielfalt zur Kenntnis zu nehmen. Dieser pluralistische Ansatz steht konträr zum uniformistischen Ansatz des körperschaftlich strukturierten Gleichbehandlungsgrundsatzes. cc) Körperschaftlicher Kontrollgegenstand – materielle Ungleichbehandlung Nochmals: Eine materielle Ungleichbehandlung liegt im Ausgangspunkt dann vor, wenn sich der Beschluss unterschiedlich auf die einzelnen Gesellschafter auswirkt. Abgestellt wird also auf die Veränderungen in der Rechtsstellung der jeweiligen Gesellschafter. Damit ist eine weitere dogmatische Friktion verbunden: Als körperschaftlicher Grundsatz knüpft der Gleichbehandlungsgrundsatz an den Beschluss an519. Dieser Beschluss bringt den Willen der Gesellschaft zum Ausdruck520. Handelt es sich aber beim Beschluss von seinem Wesen her um eine Willenskategorie521, so lassen sich damit die von einem materiellen Gleichbehandlungsgrundsatz aufgegriffenen Veränderungen in der Rechtsstellung der Gesellschafter nicht erfassen. Denn Veränderungen in der Außenwelt können bekanntlich nur durch Handlungen bewirkt werden. Die Rede vom Beschluss, der sich unterschiedlich auf die einzelnen Gesellschafter auswirke, kommt daher, 516 Vgl. von den allgemeinen Befürwortern einer körperschaftlichen Konzeption Flume, Juristische Person, § 7 II 2 (S. 211 f.); Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 37 ff.; Boese, Anwendungsgrenzen, S. 37 ff.; vgl. auch Mestmäcker, Verwaltung, S. 7 ff., insb. 11; speziell zum Gleichbehandlungsgrundsatz bereits oben 1. 517 Vgl. dazu den vorhergehenden Text [a), b) aa)] und die dortigen Nachweise. 518 Vgl. etwa zum körperschaftlich geprägten Sachgrunderfordernis BGHZ 71, 40, 43 ff. (Kali & Salz): „jeder Aktionär“; „für einen Aktionär“; „Eingriff in die Rechtsstellung der (. . .) Aktionäre“. 519 Oben 1.; vgl. näher unten § 12 A. III. 2. 520 Siehe die Nachweise oben bei 2. a) (Fn. 512); ausführlich m.w. N. unten § 12 A. III. 2. 521 Deutlich A. Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit, S. 240 f.: „Der Beschluß der Generalversammlung ist ja nichts anderes als eine Willensentscheidung der Gesellschaft.“
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wenn man so will, einer „contradictio in subjecto et praedicato“ gleich. Eine materielle Auslegung des körperschaftlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes steht folglich im Widerspruch zum Wesen seines Kontroll- und Anknüpfungsgegenstandes. c) Rechtsfolgenseite: der Maßstab des Gesellschaftsinteresses Liegt eine rechtlich relevante Ungleichbehandlung vor, kann diese durch im Gesellschaftsinteresse liegende Gründe gerechtfertigt werden; Kontrollmaßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist also zunächst das Gesellschaftsinteresse522. Dies lässt eine weitere konzeptionelle Schwäche des Kontrollkonzeptes von Verse offenbar werden: Jeder Kontrollansatz, der an den Gleichbehandlungsgrundsatz anknüpft, ist ein körperschaftlicher Kontrollansatz. Körperschaftlich konzipierte Ansätze aber werden stets bereits aufgrund des dogmatisch-konzeptionellen Ausgangspunktes die Organstellung der Gesellschafterversammlung betonen und dieses Organ an die Zwecke und Interessen des Rechtsträgers binden, in dessen Diensten es steht: das Gesellschaftsinteresse523. Für einen körperschaftlichen Ansatz versteht sich die Bindung der Gesellschaftsversammlung an das Gesellschaftsinteresse mehr oder weniger von selbst524. Dies aber bedeutet, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz mit dem Gesellschaftsinteresse einen materiellen Pflichtenmaßstab zur Geltung bringt, der aufgrund der körperschaftlichen Gesamtkonzeption, in die er eingebettet ist, ohnehin besteht. So liest man denn auch bei Verse an etwas versteckter Stelle: „In dieser Fallgruppe [scil. der Sondervorteilsvariante] geht der Gleichbehandlungsgrundsatz also [. . .] nicht über das hinaus, was sich bereits aus der Bindung aller Gesellschaftsorgane an den Verbandszweck und das daraus abgeleitete Gesellschaftsinteresse ergibt [. . .].“ 525 Eine eigenständige Bedeutung käme dem Gleichbehandlungsgrundsatz daher nur zu, wenn man die anhand des Gleichbehandlungsgrundsatzes praktizierte Be522 Siehe Henze/Notz, in: GroßKomm/AktG, § 53a Rn. 71; Cahn/v. Spannenberg, in: Spindler/Stilz, AktG, § 53a Rn. 19; Merkt, in: MünchKomm/GmbHG, § 13 Rn. 296; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 253; zur Erweiterung durch die Kriterien der Erforderlichkeit und Angemessenheit sogleich. 523 Vgl. als allgemeine Befürworter einer körperschaftlichen Konzeption Flume, Juristische Person, § 7 II 2 (S. 212 ff.); Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 232 ff.; 321 ff., 338, 344, zusf. 358. 524 Klar zum Vorschein tretend bei Flume, ZIP 1996, 161, 164. 525 Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 285 Fn. 158 mit dem kaum überzeugenden Hinweis – man könnte auch sagen: Rettungsversuch –, dass für Zweckbindungsverstöße mitunter ein subjektives Element der Sorgfaltswidrigkeit verlangt wird; eher rechtfertigen könnte man den Gleichbehandlungsgrundsatz insoweit mit der Überlegung, dieser verlange, dass gerade die Ungleichbehandlung durch im Gesellschaftsinteresse liegende Gründe gerechtfertigt werden müsse; doch zielt diese Formulierung bereits auf das zusätzliche Kriterium der Erforderlichkeit und bestätigt daher mehr die Kritik, als dass sie sie auszuräumen imstande ist; vgl. Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 285 f.
§ 11 Das Gleichbehandlungsmodell
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schlusskontrolle nicht auf eine Überprüfung am Maßstab des Gesellschaftsinteresses beschränkte, sondern weiter gehend verlangte, der ungleiche Beschluss müsse sich mit Blick auf die ungleich betroffenen Minderheitsinteressen als erforderlich und angemessen erweisen. Dies wird zwar von einer im Vordringen befindlichen Literaturauffassung generell und von Verse beim Vorliegen von Sondernachteilen zu Lasten einzelner Gesellschafter bejaht526. Dieses Auslegungsergebnis steht aber erneut zur körperschaftlichen Struktur des Gleichbehandlungsgrundsatzes in Widerspruch. Denn als an die Organe der Gesellschaft adressiertes Gebot527 kann der Gleichbehandlungsgrundsatz von diesen nicht mehr verlangen, als dass sie sich am Interesse ihres Bezugssubjekts, eben dem Gesellschaftsinteresse, orientieren. Die eigenständige Berücksichtigung von Minderheitsinteressen über die Kriterien der Erforderlichkeit und Angemessenheit relativiert diese körperschaftlich-organschaftliche Bindung an das Gesellschaftsinteresse, wenn und weil im Gesellschaftsinteresse liegende Maßnahmen bei Nichterforderlichkeit oder Unangemessenheit unterbleiben müssen528. Allein eine ausschließliche, aber ja ohnehin bestehende Bindung an das Gesellschaftsinteresse würde folglich der körperschaftlichen Struktur des Gleichbehandlungsgrundsatzes gerecht. Auf Basis einer körperschaftlichen Konzeption wäre daher zu erwägen, dem Gleichbehandlungsgrundsatz keine materiell-rechtliche, sondern lediglich eine prozessuale Bedeutung beizumessen, und zwar insofern, als nicht den Anfechtungskläger die Darlegungs- und Beweislast für die Unvereinbarkeit des Beschlusses mit dem Gesellschaftsinteresse trifft, sondern die beklagte Gesellschaft Tatsachen darlegen und ggf. beweisen muss, aus denen sich die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung durch das Gesellschaftsinteresse ergibt529. Diese lediglich prozessuale Bedeutung des Gleichbehandlungsgrundsatzes würde dann auch die Beschränkung auf formale Ungleichbehandlungen erklären. Denn als dem prozessualen Bereich zuzuordnende Regel unterläge der Gleichbehandlungsgrundsatz auch den besonderen Rechtssicherheitsgeboten des Prozessrechts530. Daher sol-
526
Nachweise oben bei A. II. (Fn. 484, 486). Oben bei 1. 528 Vgl. hierzu insbesondere Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 232–359, der auf Basis eines körperschaftlich-organschaftlichen Ansatzes das Sachgrunderfordernis aufgrund dessen zusätzlicher Kriterien der Erforderlichkeit und Angemessenheit ablehnt; vgl. auch Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 80 ff.: Abwägung mit den Interessen der Gesellschafterminderheit anhand der Kriterien der Erforderlichkeit und Angemessenheit als unzulässige Lockerung der Bindung an den Verbandszweck. 529 Siehe zur Darlegungs- und Beweislast allgemein und speziell hinsichtlich des Gleichbehandlungsgrundsatzes Hüffer, in: FS Fleck, S. 151, 157, 164. 530 Die Norm zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast wird zwar dem materiellen Recht zugeordnet, siehe Hüffer, in: FS Fleck, S. 151, 153; doch liegt die Bedeutung der Darlegungs- und Beweislast im prozessualen Bereich; so ist denn auch anerkannt, dass bei der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast dem Gebot der Rechtssicherheit besondere Bedeutung zukommt; siehe speziell für die materielle Beschlusskontrolle BGHZ 71, 40, 48 f. (Kali & Salz); näher dazu oben bei § 6 H. II. 1. a). 527
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len nur solche Ungleichbehandlungen eine Umkehrung der Darlegungs- und Beweislast zur Folge haben, die unschwer zu erkennen und aus dem Inhalt des Beschlusses ohne Weiteres „ablesbar“ sind, also formale Ungleichbehandlungen. 3. Bestätigung der körperschaftlichen Friktionen und Restriktionen
Die bislang herausgearbeiteten, auf den ersten Blick vielleicht etwas unorthodox anmutenden körperschaftlichen Friktionen und Restriktionen lassen sich in zweifacher Hinsicht bestätigen. a) Historische Bedeutungslosigkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes Der knappe Überblick über die historische Entwicklung hat gezeigt, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz in der Beschlussmängelpraxis fast durchgängig formal-restriktiv gehandhabt wurde und ihm daher zu keiner Zeit eine nennenswerte Bedeutung beschieden war531. Man liegt nicht falsch, wenn man dies auch532 auf ein berechtigtes dogmatisches Unbehagen der Gerichte an einer Öffnung und Ausweitung des körperschaftlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes zurückführt. Wenn das Reichsgericht in RGZ 80, 385, 390 zunächst mit Verve auf ein formalrestriktives Verständnis des Gleichbehandlungsgrundsatzes pocht, keine zwei Zeilen weiter aber betont, dass die Ausübung der Mehrheitskompetenzen nicht zu einer Vergewaltigung der Minderheit führen dürfe, und hierfür auf das stets individualistisch gehandhabte Sittengebot verweist, so kann man darin einen Beleg für die Wirkmächtigkeit der Überkategorie der dogmatischen Grundkonzeption sehen533. Und wenn der Bundesgerichtshof in der „Linotype“-Entscheidung534, in der eine materielle Ungleichbehandlung der Gesellschafter mit Händen zu greifen war, den gesetzlich kodifizierten körperschaftlichen Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 53a AktG) mit keiner Silbe erwähnt, stattdessen der Treuepflicht der Gesellschafter untereinander und damit einer individualistischen Rechtsfigur zum Durchbruch verhilft, so belegt auch dies, wie stark die dogmatische Grundstruktur des Gleichbehandlungsgrundsatzes die Hinwendung zu gegensätzlich konzipierten Rechtsinstituten erzwingt. 531
Oben A. I. Zu sonstigen möglichen Gründen für die restriktive Haltung des RG Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 24 f.; die angeführten historischen Gründe erklären jedenfalls nicht, warum dem Gleichbehandlungsgrundsatz auch in der späteren bundesrepublikanischen Rechtsprechung kaum eine Bedeutung zukam. 533 Diese verkennt Reul, Gleichbehandlung, S. 271, wenn er eine „Überbetonung“ der körperschaftlichen Struktur moniert und daher bezüglich der Frage von Gleichbehandlungspflichten im Verhältnis der Aktionäre untereinander eine Parallele zur „modernen Auffassung der Treuepflicht“ zieht. 534 BGHZ 103, 184; näher zu dieser Entscheidung oben § 8 A. II. 2. sowie unten bei § 13 B. I. 2. 532
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b) Rechtsvergleichung: das französische Vorbild Im Rahmen einer rechtsvergleichenden Betrachtung, die im Übrigen für den Gleichbehandlungsgrundsatz recht ernüchternd ausfällt535, attestiert Verse dem französischen Recht eine Vorbildfunktion. Dort werden Mehrheitsbeschlüsse mittels der Rechtsfigur des abus de majorité überprüft536. Ein zur Anfechtung berechtigender Mehrheitsmissbrauch liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn der Beschluss „entgegen dem Gesellschaftsinteresse getroffen wurde in der alleinigen Absicht, die Mehrheitsaktionäre auf Kosten der Minderheit zu bevorzugen“ 537. Es kommt für einen abus de majorité also maßgeblich auf eine Ungleichbehandlung im Verhältnis der Gesellschaftermehrheit zur Gesellschafterminderheit an. Dabei werden – hieraus zieht Verse sein rechtsvergleichendes Argument538 – nicht nur formelle, sondern auch materielle Ungleichbehandlungen erfasst539. Mit dem Verweis auf das französische Recht lässt sich das von Verse entwickelte Gleichbehandlungsmodell entgegen dem ersten Anschein nicht rechtsvergleichend untermauern. Das Gegenteil ist der Fall. Gerade das französische Recht bestätigt die Bedeutung der dogmatischen Konzeption einer Norm für deren konkrete Handhabung und damit letzten Endes auch die Unvereinbarkeit der von Verse befürworteten Auslegungsergebnisse mit der dogmatischen Grundstruktur des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Bei der französischen Rechtsfigur des abus de majorité handelt es sich nämlich um eine individualistische Rechtsfigur – normativer Dreh- und Angelpunkt sind die Gesellschafter und nicht die Korporation. Dies belegt bereits die Definition des abus de majorité, die maßgeblich auf eine Bevorzugung der Gesellschaftermehrheit gegenüber der Gesellschafterminderheit abstellt und damit das Verhältnis der Gesellschafter untereinander fokussiert540. Hinzu tritt, dass der abus de majorité einen besonderen Anwendungsfall des Stimmrechtsmissbrauchs darstellt – abgestellt und angeknüpft wird also auf die Stimmrechtsausübung durch die Gesellschafter541. Die indivi535 Siehe das rechtsvergleichende Fazit von Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 166. 536 Grundlegend Cass. Com., 18.4.1961 (Piquard), JCP 1961 II, 69087 = D. 1961, jur., p. 661 s. = Gaz. Pal. 1961 II, p. 15; aus der Literatur etwa Le Cannu, Droit des societés, n. 247; aus dem deutschsprachigen rechtsvergleichenden Schrifttum dazu Kreß, Beschlusskontrolle, S. 43 ff.; Reiner, Gesellschaftsinteresse, S. 36 ff.; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 117 ff. 537 Cass. Comm., 18.4.1961, JCP 1961 II, 69087 (p. 423, 424) = D. 1961, p. 661, 662. 538 Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 121 ff., 130, 166 f. 539 Rives-Lange, Rev. jur. com., n ë spec. nov. 1991, 65, 68 f.; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 121. 540 Die Formel des abus de majorité beinhaltet zwar auch das Gesellschaftsinteresse, doch ist dieses eingebettet in den individualistischen Regelungsrahmen. 541 Siehe Reiner, Gesellschaftsinteresse, S. 54 ff., insb. 70; zur Anknüpfung des individualistischen Ansatzes an die Stimmrechtsausübung unten § 12 B.
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dualistische Konzeption des französischen Rechts zeigt sich schließlich etwa auch darin, dass es zur Bejahung eines abus de majorité des Vorliegens subjektiver, also auf die Gesellschafter bezogener Tatbestandsmerkmale bedarf, insbesondere des Bewusstseins auf Seiten der Mehrheit hinsichtlich der ungleichen Auswirkung der Maßnahme542. Auf der Grundlage dieser individualistischen Konzeption bereitet es dem französischen Recht keine dogmatischen Schwierigkeiten, materielle Ungleichbehandlungen zu erfassen und zu fragen, ob eine bestimmte Maßnahme der Gesellschaftermehrheit besondere Vorteile bzw. der Gesellschafterminderheit besondere Nachteile bringt. Anders als der Gleichbehandlungsgrundsatz nationaler Prägung wird der individualistische abus de majorité von der körperschaftlichen Zentripetalkraft, die zur juristischen Person hinzieht und damit ein „Durchblicken“ auf die einzelnen Gesellschafter verhindert, nicht erfasst. Er befindet sich daher nicht in jenem Dilemma wie der Gleichbehandlungsgrundsatz des deutschen Körperschaftsrechtes, das im Folgenden zu beschreiben ist. III. Sachlich-inhaltliche Beurteilung 1. Formal-restriktives Verständnis des Gleichbehandlungsgrundsatzes
Nur ein formal-restriktives Verständnis des Gleichbehandlungsgrundsatzes sowohl auf der Tatbestands- (= formale Ungleichbehandlungen) als auch auf der der Rechtsfolgenseite (= Gesellschaftsinteresse) wird – so das Ergebnis der vorstehenden Überlegungen – der körperschaftlichen Grundstruktur des Gleichbehandlungsgrundsatzes gerecht. Räumt man nun insoweit der Dogmatik den Vorrang ein, wird man aber in sachlich-inhaltlicher Hinsicht keine überzeugenden Ergebnisse erreichen können. Eine Konzeption der Beschlusskontrolle, die hauptsächlich mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz operiert, diesen aber formalrestriktiv versteht, wird dem Gebot der Äquidistanz zu Lasten der Gesellschafterminderheit nicht gerecht. Denn bei einer Beschränkung auf formale Ungleichbehandlungen werden, worin im Schrifttum ein zentraler Schwachpunkt des Gleichbehandlungsgrundsatzes gesehen wird, zahlreiche problematische Konstellationen von vorneherein nicht erfasst543. Als Beispiel hierfür kann auf die bereits erwähnte Entscheidung RG LZ 1914, 273 verwiesen werden. In der Tat muss es bedenklich stimmen, dass und wenn der Gleichbehandlungsgrundsatz als Schranke der Verbandsmacht einer Kapitalherabsetzung, die allem Anschein nach dem Zweck dient, einen missliebigen Minderheitsgesellschafter aus der Ge542 Vgl. D. Schmidt, Les droits de la minorité, n. 231; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 124: zum Zusammenhang zwischen subjektiven Tatbestandsmerkmalen und einer individualistischen Konzeption vgl. Flume, Juristische Person § 7 II 2 (S. 211 f.), § 7 III (S. 213 ff.). 543 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 II 2 b (S. 429 f.); Ulmer, in: Ulmer, GmbHG, § 53 Rn. 75; Kreß, Beschlusskontrolle, S. 13 f., 130.
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sellschaft hinauszudrängen, nichts entgegensetzen kann. Ein formal-restriktives Verständnis öffnet weiter Umgehungsstrategien Tür und Tor, wie die Entscheidung RGZ 122, 159 belegt544. Dort hatte die Gesellschafterversammlung einer GmbH mit den Stimmen des Mehrheitsgesellschafters und gegen den Minderheitsgesellschafter eine Kapitalerhöhung beschlossen, zu der allein die Tochtergesellschaft des Mehrheitsgesellschafters zugelassen war. Den Gleichbehandlungsgrundsatz sah das Reichsgericht durch diese die Machtverhältnisse zugunsten des Mehrheitsgesellschafters verschiebende Maßnahme nicht als berührt an, schließlich treffe der Ausschluss „formell beide [Alt-]Gesellschafter gleichmäßig“ 545. Dieses Beispiel lenkt die Aufmerksamkeit auf ein weiteres Problem. Im Schrifttum wird ein zentrales Defizit des Gleichbehandlungsgrundsatzes darin gesehen, dass dieser als Pflicht zur Gesellschaftergleichbehandlung dann leerlaufe, wenn nicht einzelne Gesellschafter, sondern ein Dritter zulasten der übrigen Gesellschafter begünstigt werde (= Gleichschlechtbehandlung der Gesellschafter)546. Verse möchte dem zwar im Einklang mit der herrschenden Meinung547 dadurch abhelfen, dass auch bestimmte Drittbegünstigungen mithilfe von Zurechnungsregeln dem Gleichbehandlungsgrundsatz unterstellt werden548. Auf Basis eines restriktiv-formalen Verständnisses des Gleichbehandlungsgrundsatzes lässt sich, wie das reichsgerichtliche Fallbeispiel belegt, eine solche Zurechnungsdogmatik indes kaum entfalten. Denn, ob der Vorteil des Dritten einem Gesellschafter zuzurechnen oder der Dritte bei wirtschaftlicher Betrachtung selbst als Gesellschafter anzusehen ist549, lässt sich nicht, wie es das formal-restriktive Verständnis aber bedingt, ohne Weiteres erkennen und aus dem Inhalt des Beschlusses ablesen. Was schließlich den Kontrollmaßstab des Gesellschaftsinteresses, den der Gleichbehandlungsgrundsatz zur Geltung bringt, betrifft, so sei auf die oben erläuterten Defizite im Hinblick auf den beschlussmängelrechtlichen Minderheitenschutz bei Satzungs- und Strukturänderungen hingewiesen550. Ohne eine Öff544
Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 21, 107. RGZ 122. 159, 163. 546 Zöllner, Schranken, S. 304; Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 15; Ernstberger, Mehrheitsherrschaft, S. 131; Roitzsch, Minderheitenschutz, S. 36; Boese, Anwendungsgrenzen, S. 53, 59 f. 547 Siehe OLG Stuttgart JR 1955, 463, 464; LG Kassel AG 1989, 218, 219; G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 340; Henze/Notz, in: GroßKomm/AktG, § 53a Rn. 40; Lutter/Zöllner, in: KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1988, § 53a Rn. 20; Ulmer, in: Ulmer, GmbHG, § 55 Rn. 51; vgl. aber auch insoweit den Hinweis in Fn. 934. 548 Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 244 ff. 549 Vgl. Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 244 ff. 550 Oben § 10 B. VI. 1.; vgl. auch die – allerdings nicht ganz stichhaltige – Maßstabskritik von Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 II 2 b (S. 430), wonach der Willkürmaßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht nur besonders unbestimmt sei, sondern der Mehrheit vor allem einen zu weiten Spielraum belasse, den diese für Differenzierungen zu Lasten der Minderheit ausnützen könne; vgl. weiter auch Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 285 ff., der auch unter Verweis auf die sonst bestehen545
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nung und Weitung des Gleichbehandlungsgrundsatzes lässt sich berechtigten Minderheitsinteressen also nicht Rechnung tragen. 2. Materielles Verständnis des Gleichbehandlungsgrundsatzes
Eine materielle und weite Auslegung des Gleichbehandlungsgrundsatzes sieht sich, wie soeben beschrieben, dogmatischen Bedenken ausgesetzt. Das Dilemma des Gleichbehandlungsgrundsatzes besteht also zunächst darin, dass sich dogmatisch und sachlich-inhaltlich überzeugende Ergebnisse nicht gleichzeitig bewerkstelligen lassen. Dogmatische Vorbehalte sollten sachgerechten Ergebnissen aber nicht absolut im Wege stehen. Die geschilderten dogmatischen Bedenken wären daher eventuell hintanzustellen, wenn ein materiell gehandhabter Gleichbehandlungsgrundsatz in sachlicher Hinsicht überzeugende Ergebnisse gewährleistete. Wie also sieht es damit aus? Das Grundproblem eines materiell verstandenen Gleichbehandlungsgrundsatzes besteht in seiner im theoretischen Ausgangspunkt „uferlose[n] Weite“ 551: Von einer materiellen Ungleichbehandlung ist wie bekannt im Grundsatz dann auszugehen, wenn ein Beschluss zwar formal alle Gesellschafter gleich behandelt, sich aber im Ergebnis unterschiedlich auf die einzelnen Gesellschafter auswirkt. Unterschiedliche Auswirkungen auf die einzelnen Gesellschafter aber zeitigt im Prinzip jeder Beschluss552. Denn mit Blick auf die unterschiedlichen Beteiligungsquoten, die verschiedenen rechtlichen und tatsächlichen Einflussmöglichkeiten, die unterschiedlichen mit einer Gesellschaftsbeteiligung verfolgten Interessen u. v. m. gleicht für gewöhnliche keine Beteiligung an einer – auch derselben – Gesellschaft der anderen. Angesichts dessen werden sich mit einem Mehrheitsbeschluss, der diesen Rechts- und Interessenpluralismus einheitlich und verbindlich ausgleicht und entscheidet, in den allermeisten Fällen auch unterschiedliche Auswirkungen auf die einzelnen Gesellschafter verbinden. Ein Beschluss etwa über die Verlegung des Gesellschaftssitzes in die Nachbarstadt wirkt sich bereits dann unterschiedlich auf die einzelnen Gesellschafter aus, wenn einer der Gesellschafter dadurch einen längeren Anfahrtsweg zur Gesellschafterversammlung hinzunehmen hat553. Soll man den Sitzverlegungsbeschluss deshalb einer engmaschigen richterlichen Verhältnismäßigkeitskontrolle unter-
den Schutzdefizite mit Nachdruck dafür plädiert, die Rechtfertigungsprüfung des Gleichbehandlungsgrundsatzes durch die Kriterien der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit zu erweitern; so auch die wohl h. L., siehe die Nachweise oben Fn. 486. 551 Reiner, Gesellschaftsinteresse, S. 49; vgl. auch Zöllner, Schranken, S. 303; Kreß, Beschlusskontrolle, S. 130 f.; Boese, Anwendungsgrenzen, S. 83; Wandrey, Beschlusskontrolle, S. 129 f. 552 So explizit Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 233, der die Problematik klar benennt. 553 Beispiel übernommen von Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 233.
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werfen? Das Beispiel zeigt, dass eine materielle Auslegung des Gleichbehandlungsgrundsatzes verbunden mit einer vollumfänglichen Verhältnismäßigkeitskontrolle die Gefahr einer übermäßigen Inhaltskontrolle birgt. Entscheidend kommt es daher darauf an, ob sich der Begriff der materiellen Ungleichbehandlung sachgerecht eingrenzen lässt554. Entsprechende Bemühungen waren bislang lediglich in Ansätzen erkennbar555. Mit der Konzeption Verses hat sich dies zwar geändert. Ob dessen definitorische Eingrenzungsversuche556 eine sachgerechte Begrenzung des materiell gehandhabten Gleichbehandlungsgrundsatzes zu leisten vermögen, muss allerdings bezweifelt werden, was beispielhaft anhand des Bezugsrechtsausschlusses aufgezeigt sei: Eine die richterliche Verhältnismäßigkeitskontrolle auslösende materielle Ungleichbehandlung in Form der Sondernachteilsvariante bejaht Verse hier dann, wenn die Beteiligungsquote eines Gesellschafters infolge des Bezugsrechtsausschlusses unter eine rechtlich relevante Beteiligungsschwelle sinkt, insbesondere unter die Grenze von 10% bzw. 5% des gezeichneten Kapitals557. Bei einer Verdoppelung des Grundkapitals wie etwa im „Kali & Salz“-Fall558 ist ein Absinken unter eine solchermaßen definierte relevante Beteiligungsschwelle aber bereits dann gegeben, wenn auch nur ein Gesellschafter eine Beteiligung in einer Höhe zwischen ca. 5,1% und 19,9% hält. Bei einer Kapitalerhöhung im Volumen von 50% genügt ein Gesellschafter mit einer Beteiligung zwischen ca. 5,1% und 7,49% bzw. 10,1% und 14,9%, bei einer Kapitalerhöhung um ein Drittel immerhin noch ein Gesellschafter mit einer Beteiligung zwischen ca. 5,1% und 6,6% bzw. 10,1% und 13,2%, um ein Absinken unter eine rechtlich relevante Beteiligungsschwelle zu bejahen und den Beschluss einer Verhältnismäßigkeitskontrolle zu unterwerfen559. Ist also der Gesellschafterkreis etwas diversifiziert, wird sich der Bezugsrechtsausschluss daher auch nach dem Kontrollkonzept von Verse in nicht wenigen Fällen einer gerichtlichen Verhältnismäßigkeitskontrolle zu stellen haben. Fällt die Kapitalerhöhung betragsmäßig dagegen gering aus, geht die gegenüber dem Sachgrunderfordernis abgeschwächte Kontrollintensität des Gleichbehandlungsgrundsatzes beim Bezugsrechtsausschluss ohnehin weitgehend ins Leere, denn dann entbindet bereits die Regelung zum vereinfachten Bezugsrechtsausschluss (§ 186 Abs. 3 Satz 4 554
Auch insoweit klar Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 233 f. Siehe etwa Lutter/Zöllner, in: KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1988, § 53a Rn. 11 f. (Ungleichbehandlung müsse sich aus „in der Mitgliedschaft angelegten Umständen“ ergeben); ähnlich BezG Dresden GmbHR 1994, 123, 125 sowie Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13 Rn. 126; ferner G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 55 f., 190 f. (Einbeziehung von Missbrauchskonstellationen); ausführlich zu den verschiedenen Abgrenzungsversuchen Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 234 ff. 556 Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 240 ff.; dazu oben A. II. 557 Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 460. 558 Zum Sachverhalt der Entscheidung oben § 5 A. I. 559 Zur Berechnungsmethode mit Beispielen Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 166 ff. 555
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AktG) von materiellen Beschlussanforderungen560. Von Bedeutung ist weiter, dass mit der 10%- bzw. 5%-Grenze keineswegs alle rechtlich relevanten Beteiligungsschwellen benannt sind: Von Verse selbst angesprochen ist die Sperrminorität, die je nach Beteiligungsverhältnissen und Präsenzen in der Gesellschafterversammlung bei unterschiedlich hohen Beteiligungsquoten gegeben sein kann. Eine rechtlich relevante Beteiligungsschwelle lässt sich weiter aber auch bei der 15%Grenze ansiedeln, denn nur ab einer solchen Beteiligungshöhe kommt der Gesellschafter in den Genuss des gewerbesteuerlichen Schachtelprivilegs (vgl. § 9 Nr. 2 GewStG). Auch die 1%-Grenze wäre als rechtlich relevante Beteiligungsschwelle anzuerkennen, denn das Gesetz knüpft bei der Gewährung von Minderheitsrechten mitunter auch an diese Schwelle an (vgl. § 148 Abs. 1 AktG). In all diesen Fällen lässt sich dann, wenn ein Minderheitsgesellschafter durch den Bezugsrechtsausschluss unter die maßgebliche Schwelle heruntergedrückt wird, gut von einem die Inhaltskontrolle auslösenden Sondernachteil des Gesellschafters sprechen. Bezieht man folglich auch diese Beteiligungsschwellen mit ein, wird der Bezugsrechtsausschluss dann aber doch wieder in vielen Fällen einer richterlichen Verhältnismäßigkeitskontrolle unterliegen. Nicht unberücksichtigt bleiben kann schließlich der Umstand, dass Verse der Zustimmung des nachteilig betroffenen Gesellschafters eine die Inhaltskontrolle ausschließende Wirkung nicht beimessen möchte, sondern diese erst bei der Rechtfertigung der Ungleichbehandlung berücksichtigen will561. Selbst wenn also der mit einem Sondernachteil belastete Gesellschafter zur Zustimmung bewogen werden konnte, muss sich die Gesellschaft auf eine im Anfechtungsprozess auszutragende gerichtliche Interessenabwägung einstellen, mag diese dann auch zu ihren Gunsten ausfallen562. All dies kann die Vermutung rechtfertigen, dass sich auch mit dem im Sinne Verses verstandenen materiellen Gleichbehandlungsgrundsatz der mit diesem verbundenen Gefahr einer übermäßigen Inhaltskontrolle nicht wirklich Herr werden lässt. Vermag also auch ein materiell gehandhabter Gleichbehandlungsgrundsatz in sachlicher Hinsicht nicht zu überzeugen, besteht kein Grund, die oben geschilderten dogmatischen Bedenken gegen eine weite Auslegung des Gleichbehandlungsgrundsatzes hintanzustellen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz befindet sich daher in einem echten Dilemma: Versteht man ihn konform mit der körperschaftlichen Dogmatik formal und restriktiv, bleiben berechtigte Minderheitsinteressen auf der Strecke. Öffnet und weitet man ihn, widersetzt man sich nicht nur der dogmatisch-körperschaftlichen Grundstruktur des Gleichbehandlungsgrundsatzes, sondern läuft auch Gefahr, der Mehrheit nicht gerecht zu werden.
560 Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 462 verneint im Anwendungsbereich des § 186 III 4 AktG bereits das Vorliegen einer relevanten Ungleichbehandlung. 561 Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 295 ff., 320 ff., 360 ff. 562 Vgl. zur insoweit maßgeblichen Steuerungsfunktion noch unten bei § 14 C. I. 1. c).
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IV. Systematik: gesetzlich vorgesehene Ungleichbehandlungen Rechtsprechung und herrschende Lehre erkennen Konstellationen an, in denen der Gleichbehandlungsgrundsatz von vorneherein nicht zur Anwendung gelangen soll. Dies soll insbesondere dann der Fall sein, wenn spezielle gesetzliche Regelungen von der Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes befreien563. Mit der Anerkennung „gesetzlich vorgesehener Ungleichbehandlungen“ sieht sich das Gleichbehandlungsmodell der gleichen Kritik ausgesetzt, wie sie oben an der herrschenden Meinung geübt wurde564: Die Anerkennung von Bereichsausnahmen vom Gleichbehandlungsgrundsatz hat zur Folge, dass bestimmte Beschlussgegenstände einer Inhaltskontrolle am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes unterliegen (Bsp.: Bezugsrechtsausschluss, Auflösung), während andere Beschlussgegenstände (Bsp.: Mehrheitseingliederung) von einer solchen Inhaltskontrolle generell freigestellt sind. An wirtschaftlich austauschbare Maßnahmen werden damit unterschiedliche rechtliche Anforderungen gestellt. Dies widerspricht dem herausgearbeiteten kapitalgesellschaftsrechtlichen Harmonisierungsgrundsatz565. Zudem mangelt es auch im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes an normativen Entscheidungshilfen bezüglich der Annahme gesetzlich vorgesehener Ungleichbehandlungen. Unklar geblieben ist etwa bis heute, ob in der Regelung des § 134 Abs. 1 Satz 2–6 AktG (Höchststimmrecht) ein gesetzlicher Dispens vom Gleichbehandlungsgrundsatz zu sehen ist566. Für den Ausschluss des Bezugsrechts hat Wiethölter die Frage aufgeworfen, wie sich die Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes mit der uneingeschränkten gesetzlichen Zulassung dieser Beschlussmaßnahme vertrage567. Und das Verhältnis des Gleichbehandlungsgrundsatzes zum Konzernrecht (§§ 291 ff., 311 ff. AktG) hat Lutter einst als „völlig unklar“ bezeichnet568. Noch weniger geklärt ist die Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Rahmen einer Verschmelzung (§ 2 UmwG)569. Über die Annahme einer gesetzlich vorgesehenen Ungleichbehandlung wird sich also nicht selten trefflich streiten lassen. Dieser Diskurs über eine Beschlussinhaltskontrolle vollzieht sich dann aber vorwiegend im positivistischen 563 Aus der Rechtsprechung insbesondere BGHZ 70, 117, 121 ff. (Mannesmann); aus der Literatur ausführlich und mit umfassenden Nachweisen Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 207 ff. 564 Oben § 8 B. IV. 565 Zu diesem Grundsatz oben § 8 B. IV. 2. 566 Für gesetzlichen Dispens BGHZ 70, 117, 121 ff. (Mannesmann); Bungeroth, in: MünchKomm/AktG, § 53a Rn. 24; Werner, AG 1975, 176, 179; dagegen Immenga, BB 1975, 1042, 1043 f.; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 212 f. m.w. N. 567 Wiethölter, Interessen, S. 124 f. 568 Lutter, in: FS Ferid, S. 599, 607. 569 In der umwandlungsrechtlichen Kommentarliteratur wird die Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Rahmen einer Verschmelzung häufig nicht einmal erörtert, vgl. Gehling, in: Semler/Stengel, UmwG, § 13 Rn. 23 f.; Lutter/Drygala, in: Lutter, UmwG, § 13 Rn. 31 ff.; Stratz, in: Schmitt/Hörtnagel/Stratz, UmwR, § 13 Rn. 23.
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Bereich (gesetzliche Zulassung; ja/nein?) und nicht, wo er jedenfalls auch hingehört, im Bereich juristischer Wertungen (Sachgerechtigkeit einer Inhaltskontrolle: ja/nein?) oder anders ausgedrückt: Die wertungsabhängige Frage, ob der Beschluss einer Inhaltskontrolle unterliegen sollte, wird auf die positivistische Frage der gesetzlichen Vorsehung einer Ungleichbehandlung verlagert und damit auch verkürzt. Angesprochen sind damit aber bereits methodische Fragen. V. Methodik und Rechtstheorie: das sekundärrechtliche Bindungsmodell Das Gleichbehandlungsmodell von Verse lässt sich als sekundärrechtliches Bindungsmodell kennzeichnen: Der Rechtsanwender wird auf die Sekundärebene verwiesen, von dieser aus hat er den Bedeutungsgehalt des auf der gesetzlichen Primärebene angesiedelten Gleichbehandlungsgrundsatzes im Wege der Auslegung zu ermitteln und den Gleichbehandlungsgrundsatz als ausgelegte Norm dann auf den konkreten Sachverhalt anzuwenden570. Gibt es gegen das methodische Vorgehen Verses an sich auch wenig zu erinnern, lässt sich gleichwohl aus zweierlei Gründen daran zweifeln, dass hiermit der überzeugendste methodische und rechtstheoretische Weg eingeschlagen ist. Zum einen stellt sich die Frage, ob mit dem Gleichbehandlungs-Bindungsmodell der Rechtsprechung nicht zu enge Zügel angelegt werden. Denn dieses zwingt die Gerichte vor der eigentlichen Inhaltskontrolle zu der schwierigen und strikten, aber zentralen Vorentscheidung „Ungleichbehandlung: ja/nein“ 571. Hier wäre der im Bereich der materiellen Beschlusskontrolle zur Rechtsfortbildung legitimierten572 und dabei auf einen nicht durch vorgeformte Tatbestandsmerkmale eingeschränkten Entscheidungsspielraum angewiesenen Rechtsprechung573 mit dem Abwägungsmodell möglicherweise besser gedient574. Zum Zweiten erhebt sich die Frage, ob eine dogmatisch, sachlich-inhaltlich sowie systematisch überzeugende Rechtsanwendung bei einer Anbindung an den gesetzlich normierten Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 53a AktG) überhaupt gelingen kann. Verse sieht es zwar gerade als einen Vorzug des Gleichbehandlungsgrundsatzes an, dass dieser im Gegensatz zu anderen Instituten (Sachgrunderfordernis, Treuepflicht) ausdrücklich gesetzlich normiert ist575. Dieser vordergründige Vorzug, 570 Vgl. Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 50, 57 f., 64, 228–251; vgl. generell zur Auslegung und zum Subsumtionsmodell Larenz, Methodenlehre, S. 155 ff., 312 ff. 571 Zutreffend Bachmann, ZHR 171 (2007), 747, 753. 572 Siehe oben § 8 B. II. 2. a) aa), § 10 B. III. 2. b). 573 Beleg 1: Bedeutungsverlust der gesetzgeberischen Rechtsnorm des § 243 II AktG (oben § 4 B. II.); Beleg 2: Bedeutungsverlust gerade des Gleichbehandlungsgrundsatzes in der Beschlussmängelpraxis (oben A. I.). 574 Vgl. unten § 14 A., B. 575 Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 50.
§ 11 Das Gleichbehandlungsmodell
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der ohnehin nur für das Aktienrecht (§ 53a AktG) gilt576, erweist sich bei genauerer Betrachtung allerdings als die entscheidende Ursache für die Schwächen des Gleichbehandlungsgrundsatzes: Als gesetzlich normierter Grundsatz ist der Gleichbehandlungsgrundsatz auf der Primärebene anzusiedeln. Diese primärrechtliche gesetzliche Lokalisierung wiederum bedingt die körperschaftliche Struktur des Gleichbehandlungsgrundsatzes: Es ist das positive Gesetz, das einer privaten Zweckverbindung die Rechtsfähigkeit verleiht (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AktG, § 13 Abs. 1 GmbHG). Die juristische Person ist mit anderen Worten ein Konstrukt der Primärebene. Von daher ist es auch nur konsequent, dass der die Primärebene ausformende Gesetzgeber sich bei seiner Rechtssetzungstätigkeit generell von der rechtlichen Selbstständigkeit der Gesellschaft als juristischer Person leiten lässt, also körperschaftlich strukturierte Rechtsnormen erlässt. Eben diese körperschaftliche Struktur erwies sich aber als entscheidendes dogmatisches und damit letztlich auch sachlich-inhaltliches Defizit des Gleichbehandlungsgrundsatzes – die körperschaftliche Struktur des Gleichbehandlungsgrundsatzes hatte nicht wenige Friktionen und Restriktionen zur Folge, die den Gleichbehandlungsgrundsatz als Rechtsgrundlage der materiellen Beschlusskontrolle ungeeignet erscheinen ließen. Die gesetzliche Normierung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und die hierdurch bedingte primärrechtliche Zuordnung zeichnet jedoch nicht nur für sein dogmatisches und sachlich-inhaltliches, sondern auch für sein systematisches Defizit verantwortlich: Als gesetzlicher, der Primärebene angehörender Grundsatz wurde der Gleichbehandlungsgrundsatz an vorderer, recht allgemeiner Stelle des Aktiengesetzes (Drittes Buch, Zweiter Teil, § 53a AktG) platziert. Angesichts dieses primärrechtlichen Standortes besteht unweigerlich die Tendenz, den Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes als allgemeine Norm zu betonen577, vor deren Hintergrund die an anderer bzw. hinterer Stelle des Gesetzes lokalisierten primärrechtlichen Beschlussregeln (Bsp.: Mehrheitseingliederung, §§ 320 ff. AktG) als spezielle Normen erscheinen. Angesichts dessen liegt es sodann nahe, dieses Normenverhältnis578 zugunsten des speziell normierten Beschlussgegenstandes zu entscheiden, bei diesem also eine Bindung an den Gleichbehandlungsgrundsatz abzulehnen. Da man aber nicht alle Normenverhältnisse nach diesem Muster auflösen kann – sonst bliebe vom allgemeinen Grundsatz wenig übrig –, wird das Ergebnis stets sein, dass bei einigen Beschlussge576 Im GmbH-Recht fehlt eine allgemeine gesetzliche Normierung, sodass der Gleichbehandlungsgrundsatz „nur“ als allgemeiner Rechtsgrundsatz bzw. Rechtsprinzip gilt, siehe T. Raiser, in: Ulmer, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 129 m.w. N. 577 Vgl. die GmbH-rechtliche Wendung vom „allgemeinen Grundsatz“ (Raiser, in: Ulmer, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 129). 578 Das Normenverhältnis spitzt sich insbesondere dann zu, wenn man den Rechtssatz des Gleichbehandlungsgrundsatzes dahingehend zerlegt, dass eine Ungleichbehandlung grundsätzlich unzulässig ist, es sei denn, es liegen ausnahmsweise rechtfertigende Gründe vor, siehe Hüffer, in: FS Fleck, S. 151, 163 sowie im Rahmen des Sachgrunderfordernisses oben § 6 H. II. 2. b).
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3. Teil: Die Reichweite einer materiellen Beschlusskontrolle
genständen keine Bindung an den Gleichbehandlungsgrundsatz besteht, bei anderen dagegen schon. Auf diese Weise führt von der gesetzlichen Normierung über die primärrechtliche Standortzuweisung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ein direkter Weg zur Missachtung des kapitalgesellschaftsrechtlichen Harmonisierungsgrundsatzes, der es nicht zulässt, an wirtschaftlich austauschbare Maßnahmen unterschiedliche rechtliche Anforderungen zu stellen. Nach den herausgearbeiteten Kritikpunkten können wir nun auch dem schärfsten Trumpf Verses entgegentreten: der Einordnung in die privatrechtliche Kontrolldogmatik. VI. Privatrechtliche Kontrolldogmatik 1. Autonomer Ansatz: Inhaltskontrolle
Grundsätzlichen Überlegungen Fastrichs579 folgend konzipiert Verse die kapitalgesellschaftsrechtliche Beschlusskontrolle auf der Basis eines autonomen Regelungsmodells, konkreter: auf der Basis des autonom-generellen Instrumentes der Inhaltskontrolle580. Wie dem Vertrag, so wird vorgetragen, komme auch dem Beschluss als privatautonome Entscheidung eine grundsätzliche Richtigkeitsgewähr zu. Eine Inhaltskontrolle sei daher auch nur dann geboten, wenn die Funktionsvoraussetzungen privatautonomer Entscheidungen ausnahmsweise nicht gegeben seien. Erblickt man diese Funktionsvoraussetzung für die kapitalgesellschaftsrechtliche Mehrheitsentscheidung nun in der Interessengleichrichtung der zweckverbundenen Gesellschafter, scheint der Weg in der Tat zum Gleichbehandlungsgrundsatz zu führen, da dieser diesen Grundgedanken in seinen Tatbestand aufnimmt – an der Interessengleichrichtung fehlt es typischerweise dann, wenn eine Ungleichbehandlung, in der Konkretisierung von Verse also Sondervorteile oder Sondernachteile, zu bejahen sind. 2. Würdigung
Die Überzeugungskraft des geschilderten Ansatzes steht und fällt mit der Benennung einer tragfähigen Grundlage für ein autonomes Regelungskonzept. Bei der Vertragsinhaltskontrolle ist dies die Zustimmung der Vertragspartner. Dem abgeschlossenen Vertrag wird eine Richtigkeitsgewähr deswegen zugesprochen, weil der vereinbarte Inhalt von allen Regeladressaten gewollt sein muss581. Es wurde bereits gesagt, bedarf gleichwohl nochmaliger Hervorhebung, dass diese 579 Fastrich, Funktionales Rechtsdenken, S. 15 ff., 24 f.; 48 ff.; später dann ders., in: FS Kreutz, S. 585, 590 ff. 580 Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 53 ff. Allgemein zum autonomen Regelungsansatz oben § 6 I. I.; zum autonomen Regelungsinstrument der Inhaltskontrolle oben § 8 B. V. 1. b). 581 Grundlegend Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 149 ff., 156, 161; näher dazu Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 51 ff.
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allgemeine und ursprüngliche Autonomiegrundlage für das Kapitalgesellschaftsrecht ausscheiden muss – denn aufgrund des hier geltenden Mehrheitsprinzips bedarf es für einen wirksamen Beschluss gerade nicht der Individualzustimmung sämtlicher Regeladressaten. Die Vertreter des autonomen Ansatzes verweisen denn auch nicht auf das Zustimmungselement als Autonomiegrundlage, sondern auf den spezifisch gesellschaftsrechtlichen Aspekt der Interessengleichrichtung der zweckverbundenen Gesellschafter582: Die Gesellschafter säßen, so beschreibt Fastrich bildhaft, durch ihre Beteiligung an der Gesellschaft alle im gleichen Boot. Eine dem Gesellschaftszweck widersprechende Entscheidung wird die Mehrheit schon deswegen zu vermeiden versuchen, weil sie sich damit auch selbst schädigt. Umgekehrt kommt eine den Gesellschaftszweck optimal fördernde Entscheidung auch den widersprechenden Minderheitsgesellschaftern zugute. Dieser Interessengleichlauf gewährleiste grundsätzlich „gerechte“ und „angemessene“ Ergebnisse, weshalb es einer Beschlussinhaltskontrolle anhand des Gleichbehandlungsgrundsatzes nur ausnahmsweise, nämlich bei einer Störung des Interessengleichlaufs, bedürfe. Die Problematik dieser Argumentation besteht darin, dass es an der in Bezug genommenen Interessengleichrichtung der zweckverbundenen Gesellschafter in nicht wenigen Fällen fehlen wird. Der normative Grund hierfür ist darin zu sehen, dass die Gesellschafterversammlung bei Satzungs- und Strukturänderungen häufig dann zur Entscheidung berufen ist, wenn kein Bezug zur gemeinsamen Zweckverfolgung besteht und keine rechtlich geschützten Interessen der Gesellschaft auf dem Spiel stehen (Bsp.: Auflösung, Verschmelzung)583. Gleichgerichtet in Bezug auf die Gesellschaft werden und können die Interessen der Gesellschafter in diesen Fällen kaum sein. Die(se) Interessenvielfalt der Gesellschafter584 ist der faktische Grund, warum es an der Interessengleichrichtung der Gesellschafter häufig fehlen wird. Um das von Fastrich gebrauchte Bild aufzugreifen: Geht es nicht – wie typischerweise bei Geschäftsführungsentscheidungen – darum, den Weg des Bootes festzulegen, sondern darum, das Boot (grundlegend) umzubauen und/oder den Insassen einen neuen Platz zuzuweisen – wie häufig bei Satzungs- und meistens bei Strukturänderungen –, läuft man mit dem Ansatz bei der Interessengleichrichtung der Gesellschafter Gefahr, das Gegenteil dessen zu bewirken, was man erreichen wollte: Weil sich das Nichtbestehen der Interessengleichrichtung häufig feststellen lassen wird – beweist nicht schon der Umstand, dass dem Mehrheitsbeschluss einige Minderheitsgesellschafter ihre Zustimmung verweigert haben, dass die Interessen der Gesellschafter nicht gleich-
582 Fastrich, Funktionales Rechtsdenken, S. 20 f., 26, 51 f.; ders., in: FS Kreutz, S. 585, 590, 593 f.; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 56 f. 583 Siehe mit Nachweisen oben § 10 B. VI. 1. 584 Siehe G. Hueck, Gesellschaftsrecht, 19. Aufl. 1991, S. 183; Boese, Anwendungsgrenzen, S. 74.
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3. Teil: Die Reichweite einer materiellen Beschlusskontrolle
gerichtet sind? –, kommt es in breitem Umfang zu einer Angemessenheitskontrolle des Beschlusses. Die nicht unerhebliche Kontrollreichweite, die der im Verse’schen Sinne verstandene materielle Gleichbehandlungsgrundsatz beim Bezugsrechtsausschluss zur Folge haben kann, mag insoweit als Beleg dienen. Die Interessengleichrichtung der Gesellschafter ist daher als Grundlage für ein autonomes Konzept der Beschlusskontrolle abzulehnen. Eine überzeugende Grundlage für ein autonomes Regelungskonzept erhält man nämlich erst dann, wenn man die mit dem Kriterium der Interessengleichrichtung verbundenen prozeduralen Aspekte mit einbezieht. Seinen entscheidenden Gehalt gewinnt dieses Kriterium erst durch seine prozedurale Unterlegung. Wer von der Interessengleichrichtung der Gesellschafter spricht, assoziiert damit für gewöhnlich die Vorstellung eines bestimmten verfahrensmäßigen Ablaufs, genauer: die Vorstellung eines „echten Willensbildungsprozesses“ 585. Dieser echte Willensbildungsprozess zeichnet sich dadurch aus, dass die Gesellschafter bei der Beschlussfassung unvoreingenommen in die Diskussion mit ihren Mitgesellschaftern eintreten, jede Seite mit Sachargumenten für ihre Position wirbt, sich aber zugleich mit den Argumenten der Gegenseite offen auseinandersetzt und sich am Ende im Beschluss dann das Konzept durchsetzt, das in diesem Ringen um die beste Lösung für das gemeinsame Unternehmen die meisten Anhänger auf seine Seite gezogen hat. Assoziiert wird der idealtypische Willensbildungsprozess in einer Gesellschaft mit breitgestreutem Anteilsbesitz, in der wechselnde Mehrheiten entscheiden, die das gemeinsame Interesse aller Gesellschafter zur Richtschnur ihres Handelns machen586. Dies ist auch das Leitbild, das dem Mehrheitsprinzip zugrunde liegt587. Wenn dem aber so ist, kann Grundlage für die Annahme einer grundsätzlichen Richtigkeitsgewähr der Mehrheitsentscheidung und ein darauf aufbauendes autonomes Regelungskonzept nur ein solcher „echter Willensbildungsprozess“ sein. Der Mehrheitsbeschluss wäre vom Recht als autonome, mit einer prinzipiellen Richtigkeitsgewähr ausgestatte Entscheidung nur dann uneingeschränkt zu akzeptieren, wenn sich der konkrete Willensbildungsprozess im eben beschriebenen Sinne vollzieht. Würde man demgemäß das Vorliegen eines „echten“ bzw. genauer: eines „unechten Willensbildungsprozesses“
585 Vgl. Fastrich, in: FS Kreutz, S. 585, 590: „Mehrheitsprinzip als Verfahren“; Beschlussfassung als Regelungsmodalität, die im Allgemeinen zu sachgerechten Ergebnissen führt (Hervorhebung nicht im Original); ders., Funktionales Rechtsdenken, S. 50: „prozedurale Gewährleistung der Richtigkeit“; vgl. weiter auch ders., Funktionales Rechtsdenken, S. 52, der an dieser Stelle von einer mit dem Mehrheitsprinzip verbundenen „prozeduralen Lösung“ spricht, diese aber verkürzend nur auf das materielle Kriterium der Interessengleichrichtung und nicht auch auf den verfahrensrechtlichen Ablauf bezieht; vgl. auch Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 56 f. 586 Vgl. Fastrich, in: FS Kreutz, S. 585, 590, der ein Bedürfnis für eine engmaschige Beschlusskontrolle gerade im Falle des Streubesitzes verneint. 587 Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 48 m.w. N.
§ 11 Das Gleichbehandlungsmodell
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zum Aufgreifkriterium der Beschlusskontrolle erklären, wäre eine breitflächige, noch dazu stark einzelfallabhängige Beschlusskontrolle die Folge. Schließlich ist rechtstatsächlich in vielen Gesellschaften eine konstante Gesellschaftergruppe schon Inhaber der Stimmrechtsmehrheit und muss deshalb auch gar nicht erst in einen „echten Willensbildungsprozess“ eintreten, sondern kann ihre Vorstellung von der Entwicklung der Gesellschaft/des Unternehmens ohne Weiteres durchsetzen588. Ein autonomes Regelungskonzept der kapitalgesellschaftsrechtlichen Beschlusskontrolle, das die vom Gesetzgeber angedachte Funktionsvoraussetzung des Mehrheitsprinzips ernst nimmt, läuft daher Gefahr, dem eigentlich zu schützenden privatrechtlichen Entscheidungsträger Steine statt Brot zu geben. Es ist bezeichnend, dass Wiedemann den von ihm befürworteten umfassenden Anwendungsbereich des Sachgrunderfordernisses gerade damit begründet, dass der Mehrheitsentscheidung unter den gewöhnlichen Verhältnissen keine Richtigkeitsgewähr zukomme589. Eine entsprechende Entwicklung war im Vertragsrecht zu beobachten. Dort wurde der von Schmidt-Rimpler noch als Schutztopoi zugunsten der Vertragsfreiheit gebrauchte Gedanke der Richtigkeitsgewähr590 über die Postulierung strenger Funktionsvoraussetzungen der Privatautonomie dazu verwandt591, um nach mancherlei Ansicht592 zu weitgehende Einschränkungen der Vertragsfreiheit zu legitimieren Eine überzeugende Grundlage für ein autonomes Regelungskonzept im Rahmen der kapitalgesellschaftsrechtlichen Beschlusskontrolle lässt sich demnach nicht ausmachen. Das autonome Regelungskonzept ist daher zu verwerfen. Es vermag folglich auch das Gleichbehandlungsmodell nicht zu rechtfertigen. Ohnehin sei ergänzend angemerkt, dass die Auffassung von Verse, eine an den Gleichbehandlungsgrundsatz anknüpfende Inhaltskontrolle sei dann geboten, wenn ein einzelner Gesellschafter Sondernachteile erleide, durchaus einen gewissen Bruch innerhalb seines autonomen Regelungskonzepts bedeutet. Denn damit wird der Blick „nach unten“, auf den einzelnen Gesellschafter, gerichtet, was einem heteronomen Ansatz selbstverständlich ist, nicht dagegen einem autonomen, denn dieser fokussiert auf den Entscheidungsträger, hier also die Gesellschaftermehrheit.
588 Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 48; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 I 1 (S. 406) mit dem vielzitierten, auf einen herrschenden Gesellschafter bezogenen programmatischen Ausspruch: „[D]er herrschende Gesellschafter beschließt nicht, sondern ordnet an.“ Siehe auch Henze, DStR 1993, 1823. 589 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 I 1 (S. 406); speziell mit Blick auf das Sachgrunderfordernis ders., WM 2009, 1, 8; näher oben § 9 B. IX. 1. 590 Siehe das eigene Bekunden von Schmidt-Rimpler, in: FS L. Raiser, S. 3, 9. 591 Vgl. insbesondere BVerfGE 81, 242, 255 f. (Handelsvertreter); BVerfGE 89, 214, 232 (Bürgschaft). 592 Vgl. etwa die Kritik an der Bürgschaftsentscheidung von Adomeit, NJW 1994, 2467 ff.
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3. Teil: Die Reichweite einer materiellen Beschlusskontrolle
VII. Fazit Verse verdient insofern Beifall, als er es nicht bei einer schlichten Absage an das Sachgrunderfordernis und einer Reduktion auf eine bloße Missbrauchskontrolle bewenden lässt, sondern die bestehenden gesellschaftsrechtlichen Bindungen aktiv zur Geltung bringen möchte und untersucht, welche Möglichkeiten das vorhandene Instrumentarium für eine materielle Beschlusskontrolle bietet. Den obigen auf das Sachgrunderfordernis bezogenen Gedanken der Naturalrestitution aufgrund anfänglicher Unmöglichkeit erneut aufgegriffen593: Verse lotet aus, welche Weiterentwicklung das materielle Beschlussmängelrecht ohne das Sachgrunderfordernis nehmen könnte. Der Gleichbehandlungsgrundsatz hat sich hierfür jedoch aufgrund seiner dogmatischen, sachlich-inhaltlichen sowie systematischen Defizite nicht als der zutreffende Anknüpfungspunkt erwiesen. Das Gleichbehandlungsmodell von Verse ist aufgrund dieser Defizite abzulehnen. Damit steht auch fest, dass keine der wichtigsten Auffassungen zur Streitfrage hinsichtlich der Reichweite einer materiellen Beschlusskontrolle Gefolgschaft verdient. Wir können uns daher der Entwicklung eines eigenen Ansatzes zuwenden. Besonderer Wert wird dabei sowohl auf die eingehende konzeptionelle Entfaltung der eigenen Position als auch auf deren rechtssatzmäßige Ausformung zu legen sein. Dies erklärt nicht nur die Länge des nun folgenden vierten Teils der Untersuchung, sondern auch den Umstand, dass der Leser an der einen oder anderen Stelle auf bereits in ähnlicher Form Bekanntes stoßen wird.
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Oben § 10 C. II.
Vierter Teil
Eigene Konzeption § 12 Dogmatik Ausgangspunkt einer jeden Konzeption zur materiellen Beschlusskontrolle ist die kapitalgesellschaftsrechtliche Gretchenfrage nach der Stellung der juristischen Person1. Wie im bisherigen Untersuchungsverlauf sichtbar geworden, lassen sich dabei zwei idealtypische Grundansätze unterscheiden: ein körperschaftlicher und ein individualistischer Ansatz. Im Rahmen des Sachgrunderfordernisses2 vertrat die herrschende Meinung einen individualistischen Standpunkt, wenn sie in der zwischen den Gesellschaftern bestehenden Treuepflicht die Grundlage des Sachgrunderfordernisses erblickte3. Diese Grundlegung des Sachgrunderfordernisses sah sich jedoch nicht wenigen Einwänden ausgesetzt4. Auch damit dürfte es zusammenhängen, dass sich in der Diskussion um eine materielle Beschlusskontrolle körperschaftliche Ansätze hartnäckig zu halten vermochten5. Dabei haben wir uns bislang zwar mit einigen körperschaftlichen Facetten befasst und etwa dem körperschaftlichen Gleichbehandlungsgrundsatz eine Absage erteilt. Damit ist jedoch noch keineswegs entschieden, ob nicht losgelöst hiervon ein körperschaftlicher Ansatz Zustimmung verdient. Diese allgemeine Auseinandersetzung mit dem körperschaftlichen Ansatz in seiner Idealform ist nun zu leisten.
1 Vgl. auch K. Schmidt, Gesellschaftsecht, § 8 II 1 (S. 187) (Auseinandersetzung mit juristischer Person müsse zwar keineswegs bei der Lösung von Fällen erfolgen, wohl aber bei der Rechtspolitik und der Rechtsfortbildung). Das Thema „juristische Person“, insbesondere deren theoretische Grundlagen können vorliegend allerdings nur in dem durch den Untersuchungsgegenstand (Beschlusskontrolle) begrenzten Umfang dargestellt und erörtert werden; ausführlich zur allgemeinen Thematik der juristischen Person Flume, Juristische Person, § 1 (S. 1 ff.); K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 8 II (S. 186 ff.). 2 Zur nicht eindeutig in diesen Kategorien argumentierenden Position der Rspr. vgl. oben § 6 D.; der körperschaftliche Anstrich des Sachgrunderfordernisses ist gleichwohl kaum zu verkennen, vgl. oben § 6 D. II. 3. 3 Oben § 6 D. II. 3. 4 Oben § 6 D. II. 3., § 9 B. V. 5 Oben § 6 D. II. 2. sowie folgende Fn. 7.
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4. Teil: Eigene Konzeption
A. Körperschaftliche Konzeption Zur positiven Begründung des körperschaftlichen, die juristische Person und ihre Organe6 in den Mittelpunkt stellenden Ansatzes7 werden im Wesentlichen die folgenden vier Argumente vorgetragen: I. Die körperschaftlichen Argumente 1. Das Wesensargument
Auf das Wesensargument beruft sich vor allem Flume zur Begründung einer körperschaftlichen Konzeption der Beschlusskontrolle8. Der körperschaftliche Ansatz ergibt sich für ihn aus der rechtlichen Selbstständigkeit der juristischen Person, also der Trennung der Gesellschaft als juristischer Person von ihren Mitgliedern. Handelt es sich bei der juristischen Person um ein selbstständiges Rechtssubjekt, um ein „ideales Ganzes“ 9, so erscheint es als selbstverständliche Folge hiervon, dass diese rechtliche Selbstständigkeit auch im Bereich der materiellen Beschlusskontrolle in Form eines körperschaftlichen Kontrollansatzes Beachtung verdient. Die rechtliche Selbstständigkeit der juristischen Person entspricht dem geltenden positiven Recht: § 1 Abs. 1 Satz 1 AktG, § 13 Abs. 1 GmbHG. Das positive Recht (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AktG, ähnlich § 13 Abs. 2 GmbHG) stellt jedoch im gleichen Atemzug fest: „Für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftet den Gläubigern nur das Gesellschaftsvermögen.“ Damit ist der entscheidende Einwand gegen das Wesensargument vorgezeichnet, der Einwand nämlich, dass die juristische Person allein rechtstechnisches Mittel der Haftungsbeschränkung sei und sich ihre Bedeutung daher auf das Außenverhältnis zu den Gesellschaftsgläubigern beschränke. Bei Konflikten und Instituten, bei denen die rechtstechnische und das Außenverhältnis betreffende Vermögenshaftungsordnung – wie insbesondere im Bereich der materiellen Beschlusskontrolle – dagegen keine Rolle spiele, 6 Im GmbH-Recht wird allerdings die Organqualität der Gesellschafterversammlung mitunter bestritten und gesagt, oberstes (Willensbildungs-)Organ einer GmbH seien die Gesellschafter in ihrer Gesamtheit, siehe etwa Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 45 Rn. 1; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 36 III 1 (S. 1094); mit Blick auf das gesetzliche Mehrheitsprinzip, das zum Schutz der Minderheit grundsätzlich eine förmlich einzuberufende Versammlung erfordert, erscheint dies allerdings nicht zutreffend, siehe näher Hüffer, in: FS 100 Jahre GmbHG, S. 521, 526 ff.; Schürnbrand, Organschaft, S. 128 f.; richtigerweise ist daher auch bei der GmbH die Gesellschafterversammlung als (oberstes Willensbildungs-)Organ zu qualifizieren, so neben den bereits genannten etwa auch Ulmer, in: Ulmer, GmbHG, Einl. A. Rn. 3. 7 Siehe Flume, Juristische Person, § 7 II (S. 201 ff.); Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 231 ff.; Boese, Anwendungsgrenzen, S. 37 ff.; vgl. auch bereits oben § 6 D. II. 2. sowie zum Gleichbehandlungsmodell von Verse § 11. 8 Flume, Juristische Person, § 7 II 1 (S. 201 ff.) sowie § 1 (S. 1 ff.). 9 Flume, Juristische Person, § 7 II 1 (S. 201).
§ 12 Dogmatik
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könne die rechtliche Selbstständigkeit der Gesellschaft als juristischer Person vernachlässigt werden10. Das Wesensargument lässt sich daher als Argument für eine körperschaftliche Konzeption der Beschlusskontrolle nicht nutzbar machen. 2. Das Eingriffsargument
Das Eingriffsargument, auf das sich die Vertreter körperschaftlicher Kontrollkonzepte berufen, lautet folgendermaßen11: Der Eingriff in die Mitgliedschaft, auf den es bei der Beschlusskontrolle entscheidend ankommt12, sei der Gesellschaft zuzurechnen. Sie sei es, die durch ihre Organe, hier: die Gesellschafterversammlung, in die mitgliedschaftliche Rechtsposition des Minderheitsgesellschafters eingreife. Stelle man auf den Eingriff als einen die Beschlusskontrolle rechtfertigenden Grund ab, müsse man konsequenterweise auch den Rechtsträger in die Pflicht nehmen, der diesen Eingriff zu verantworten habe. Dies aber sei die Gesellschaft, der das Handeln ihrer Organe zugerechnet werde. Damit steht dann die Gesellschaft als juristische Person im Mittelpunkt der dogmatischen Konzeption, der körperschaftliche Grundstein ist gelegt. Diese Argumentation hält einer genaueren Überprüfung jedoch nicht stand. Begibt man sich einmal auf die Suche nach dem Urheber des mitgliedschaftlichen Eingriffs, muss man zu einer anderen Antwort gelangen: Es ist der Registerrichter und damit der Staat, der in die Mitgliedschaftsrechte eingreift, indem er die beschlossene Satzungs- und Strukturänderung in das Handelsregister einträgt. § 20 Abs. 1 UmwG spricht dies besonders deutlich aus: „Die Eintragung der Verschmelzung hat folgende Wirkungen.“ Genau besehen ist es also nicht die Gesellschafterversammlung, welche durch ihren Beschluss die mitgliedschaftlichen Rechte der Minderheitsgesellschafter umgestaltet bzw. zum Erlöschen bringt, sondern der die Eintragung vornehmende Registerrichter. Gewiss: Dieser Einwand ist formalistisch und wirkt konstruiert. Er liegt aber auf genau der Linie, die von den Befürwortern des Eingriffsarguments als eines schon im Ansatz formal-konstruktivistischen Arguments vorgegeben wurde. Auch die weiter denkbare Erklärung, der Beschluss der Gesellschafterversammlung sei im Vergleich zur Anmeldung und Eintragung der Maßnahme der entscheidende Rechts- und Legitimationsakt, weshalb die Beschlusskontrolle auch auf diesen Akt abzustellen habe, überzeugt daher nicht. Lässt man sich einmal auf diese materielle Betrachtungsweise ein, wird man den entscheidenden Impuls für den Eingriff 10 Siehe grundlegend Ballerstedt, Kapital, S. 182 ff.; vgl. weiter Martens, Mehrheitsherrschaft, S. 117 ff., 130 ff., 141; ders., in: FS 100 Jahre GmbHG, S. 607 ff.; M. Weber, Treubindungen, S. 115 ff., 121 ff. m.w. N. 11 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 231, 241, 246; Boese, Anwendungsgrenzen, S. 37. 12 Also auch dann, wenn man das eingriffsgeprägte Sachgrunderfordernis ablehnt, stattdessen terminologisch und dogmatisch anders konzipiert, vgl. unten § 13 B. III. (treuepflichtgestützte Belastungskontrolle).
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4. Teil: Eigene Konzeption
sicherlich nicht im Beschluss der Gesellschafterversammlung, sondern in der Stimmrechtsausübung des (Mehrheits-)Gesellschafters oder gar der unternehmerischen Aktivität der geschäftsleitenden Verwaltung erblicken müssen. Das Eingriffsargument ließe sich also genauso gut für eine individualistische Konzeption, die beim einzelnen Gesellschafter und der Stimmrechtsausübung ansetzt, fruchtbar machen. Auch das Eingriffsargument vermag eine körperschaftliche Konzeption daher nicht zu tragen. 3. Das Rechtsfolgenargument
Die Vertreter körperschaftlicher Kontrollkonzepte berufen sich weiter auf ein Rechtsfolgenargument13, das folgendermaßen zu verstehen ist: Bei der materiellen Beschlusskontrolle geht es darum, den materiell-rechtlichen Pflichtentatbestand bei der Beschlussfassung zu ermitteln. Die dogmatische Konzeption dieses materiell-rechtlichen Pflichtentatbestandes aber müsse mit derjenigen der materiell-rechtlichen sowie der prozessrechtlichen Rechtsfolge eines fehlerhaften Beschlusses in Einklang gebracht werden. Besteht nun aber die materiell-rechtliche Rechtsfolge eines fehlerhaften Beschlusses in der Anfechtbarkeit des von der Gesellschafterversammlung gefassten Beschlusses und ist dementsprechend im Anfechtungsprozess auch die Gesellschaft Klagegegner (§ 246 Abs. 2 AktG), so lässt sich angesichts dieser körperschaftlichen Rechtsfolgen dogmatische Konvergenz nur erreichen, wenn auch die materielle Beschlusskontrolle körperschaftlich konzipiert werde. a) Wortlauterwägungen Der Wortlaut des § 243 Abs.1 AktG14 ist körperschaftlich gefasst („Beschluß der Hauptversammlung“). Die Norm bestätigt das Rechtsfolgenargument weiter auch insofern, als sie die materiell-rechtlichen Anfechtungsgründe („Verletzung des Gesetzes oder der Satzung“) und deren gerichtliche Durchsetzung („kann durch Klage angefochten werden“) in einem Atemzug regelt. Wenn der Wortlaut des § 243 Abs. 1 AktG das Rechtsfolgenargument gleichwohl nicht zu tragen vermag, dann deshalb, weil keineswegs geklärt ist, ob mit § 243 Abs.1 AktG der richtige Anknüpfungspunkt der Wortlautauslegung benannt ist. Die dogmatische Grundsatzfrage nach einem körperschaftlichen oder individualistischen Regelungskonzept findet ihre positivrechtliche Fortsetzung nämlich in der Frage, ob 13 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 243 ff., unter Einbeziehung auch der positiven Beschlussfeststellungsklage; Boese, Anwendungsgrenzen, S. 43 f. 14 Das Rechtsfolgenargument und die körperschaftliche Argumentation fußen maßgeblich auf § 243 I AktG, siehe zutreffend Tröger, Treupflicht, S. 262; daneben spielt auch § 246 II 1 AktG eine maßgebliche Rolle, vgl. Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 240, 243 ff.; dazu sogleich unter c).
§ 12 Dogmatik
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die körperschaftliche Norm des § 243 Abs. 1 AktG oder die individualistisch konzipierte Norm des § 243 Abs. 2 AktG (vgl. Stimmrechtsausübung des Aktionärs, Ausgleich an andere Aktionäre) die zutreffende positivrechtliche Anbindungsnorm der Beschlusskontrolle ist15. Erwägungen zum Wortlaut einer bestimmten Norm greifen daher insofern zu kurz, als die Entscheidung für eine bestimmte Norm erst am Ende des dogmatischen Diskurses, nicht dagegen an dessen Anfang stehen kann. b) Systematik des Beschlussmängelrechts Das Rechtsfolgenargument basiert auf der Prämisse, dass materiell-rechtliche (Tatbestand und Rechtsfolge) sowie prozessrechtliche Fragen in den §§ 241 ff. AktG eine Symbiose eingegangen sind, sodass es angesichts dieser Normenverflechtungen nur richtig sein könne, zwischen den verschiedenen Regelungskomplexen – materiell-rechtlicher Tatbestand, materiell-rechtliche Rechtsfolge, prozessrechtliche Rechtsfolge – dogmatische Konvergenz im Sinne eines einheitlichen körperschaftlichen Modells herzustellen. Der Prämisse des Rechtsfolgenarguments ist zu widersprechen. Eine genauere systematische Betrachtung der §§ 241 ff. AktG zeigt nämlich, dass das AktG die verschiedenen Regelungskomplexe trennt: Es scheidet zunächst recht sorgfältig das materielle Beschlussmängelrecht vom prozessualen Beschlussmängelrecht. Die Trennlinie verläuft dabei nach der Vorschrift des § 244 AktG: Die Vorschriften der §§ 241 bis 244 AktG enthalten den materiell-rechtlichen Regelungskomplex, die Normen der §§ 245 bis §§ 249 AktG das prozessuale Seitenstück16. Im Einzelnen: § 241 AktG regelt die materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgründe, § 242 AktG sodann den entsprechenden materiell-rechtlichen Heilungstatbestand17. Ebenso liegt es bei der Anfechtbarkeit: § 243 AktG regelt die materiell-rechtlichen Anfechtungsgründe18, § 244 AktG den dazugehörigen materiell-rechtlichen 15 Zum Einwand, die Rechtsentwicklung sei über § 243 II AktG hinweggegangen, unten II. 3. 16 Siehe Würthwein, in: Spindler/Stilz, AktG, § 243 Rn. 27. 17 Die Einordnung des § 242 AktG als materiell-rechtlicher Heilungstatbestand entspricht der heute ganz h. M., siehe Casper, in: Spindler/Stilz, § 242 Rn. 12; ders., Nichtige Beschlüsse, S. 141 ff., 145 ff.; Hüffer, AktG, § 242 Rn. 7; K. Schmidt, in: GroßKomm/AktG, § 242 Rn. 1, 13; Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, § 242 Rn. 14; a. A. etwa noch Heidel, in: Heidel, AktG, § 242 Rn. 5. 18 Siehe Würthwein, in: Spindler/Stilz, AktG, § 243 Rn. 27; ferner (aber auch) Hüffer, AktG, § 243 Rn. 1 („Norm eröffnet Anfechtungsmöglichkeit und nennt Anfechtungsgründe“). Die Wendung des § 243 I AktG „kann angefochten werden“ ist mehrdeutig, gibt es doch sowohl eine materiell-rechtliche Anfechtung (vgl. §§ 119 ff. BGB) als auch eine prozessuale Anfechtung i. S. d. Gestaltungsklage. Im Übrigen ist die forensische Formulierung des § 243 Abs. 1 AktG weitgehend überholt, vgl. dazu unten d); richtigerweise ist diese Norm des daher heute folgendermaßen zu lesen: „Ein Beschluss der Hauptversammlung ist anfechtbar, wenn er Gesetz und Satzung verletzt.“
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4. Teil: Eigene Konzeption
Heilungstatbestand19. Dann erst kommt das Prozessrecht: Anfechtungsbefugnis (§ 245 AktG), Anfechtungsfrist (§ 246 Abs. 1 AktG), Klagegegner (§ 246 Abs. 2 AktG), gerichtliche Zuständigkeit (§ 246 Abs. 3 Satz 1 bis 3 AktG), Verfahrensfragen (§ 246 Abs. 3 Satz 4, Abs. 4 AktG), Freigabeverfahren (§ 246a AktG), Streitwert (§ 247 AktG), Urteilswirkung (§ 248 AktG), Nichtigkeitsklage (§ 249 AktG). Konsequenterweise werden denn auch von einer stärker werdenden Mindermeinung die Anfechtungsbefugnis (§ 245 AktG) als prozessuale Befugnis20 und die Anfechtungsfrist (§ 246 Abs. 1 AktG) als prozessuale Frist21 eingeordnet22. Im Übrigen sind die Überschneidungen materiell-rechtlicher und prozessrechtlicher Regelungen in den §§ 241 ff. AktG (vgl. insbesondere die Regelungen des Freigabeverfahrens in § 246a AktG) punktueller Natur. Am Grundsatz ändern sie nichts: Das aktienrechtliche Beschlussmängelrecht scheidet das materielle Recht vom Prozessrecht. Eine gesetzliche Trennung lässt sich weiter auch innerhalb des materiellen Rechts selbst feststellen, und zwar in Form einer Trennung des materiell-rechtlichen Tatbestandes von der materiell-rechtlichen Rechtsfolge: Materiell-rechtliche Pflichtenbindungen der Gesellschaftermehrheit in Gestalt von Rücksichtnahmepflichten haben im Gesetz allein in der individualistisch konzipierten Norm des § 243 Abs. 2 AktG (Sondervorteilsverbot) Niederschlag gefunden23. Die materiell-rechtliche Rechtsfolge der Beschlussanfechtbarkeit ist dagegen allein und ausschließlich in der körperschaftlich konzipierten Norm des § 243 Abs. 1 AktG festgeschrieben. Dies gilt auch für den Fall, dass die Beschlussmängelklage auf § 243 Abs. 2 AktG gestützt wird. Denn § 243 Abs. 2 AktG spricht davon, dass die Anfechtung auch darauf gestützt werden könne, dass ein Aktionär mit der Ausübung des Stimmrechts Sondervorteile zu erlangen beabsichtige. Mit „Anfechtung“ kann aber nur die in § 243 Abs. 1 AktG genannte Beschlussanfechtung gemeint sein. Dies bedeutet, dass der materiell19 Auch hier entspricht das materiell-rechtliche Verständnis des Heilungstatbestandes der heute ganz h. M., siehe Hüffer, AktG, § 244 Rn. 5; K. Schmidt, in: GroßKomm/ AktG, § 244 Rn. 12 f.; Würthwein, in: Spindler/Stilz, AktG, § 244 Rn. 4; anders noch BGHZ 21, 354, 356. 20 OLG Düsseldorf AG 1991, 444; OLG Frankfurt AG 1991, 208, 210; Landrock, Innenrechtsstreit, S. 234; K. Schmidt, in: GroßKomm/AktG, § 245 Rn. 6; Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, § 245 Rn. 2; für die h. M. etwa BGH AG 2007, 863; Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 245 Rn. 3; vgl. aber auch BGHZ 180, 154, Rn. 23 (Wertpapierdarlehen): Anfechtungsbefugnis gem. § 245 AktG zwar materielle Klagevoraussetzung, aber „einem prozessualen Erfordernis jedenfalls angenähert“. 21 Landrock, Innenrechtsstreit, S. 249; Pflugradt, Leistungsklagen, S. 159; Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 246 Rn. 4; für die h. M. etwa BGH NJW 1998, 3344, 3345; Dörr, in: Spindler/Stilz, § 246 Rn. 12. 22 Auch § 246 II 1 AktG ist daher richtigerweise als eine Regelung der passiven Prozessführungsbefugnis und nicht als Regelung der Passivlegitimation (so die h. M., siehe Hüffer, AktG, § 243 Rn. 27 ff.) zu verstehen; vgl. dazu noch unten c), insb. Fn. 33; vgl. weiter auch die Paralleldiskussion im Verwaltungsprozessrechts zu § 78 VwGO, dazu etwa Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, § 33 4 a aa (S. 268). 23 Vgl. Kropff, Aktiengesetz 1965, S. 329.
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rechtliche Tatbestand des Sondervorteilsverbotes in § 243 Abs. 2 AktG geregelt ist, während die daran anknüpfende Rechtsfolge, die Anfechtbarkeit des Hauptversammlungsbeschlusses, in § 243 Abs. 1 AktG normiert ist. Ist im Gesetz aber eine Trennung der verschiedenen Regelungskomplexe angelegt, entzieht diese gesetzliche Gesamtsystematik dem Rechtsfolgenargument seinen Boden. Denn die von ihm vorausgesetzte und angeblich nicht zu entflechtende Regelungssymbiose materiell-rechtlicher Tatbestands-, materiell-rechtlicher Rechtsfolgen sowie prozessrechtlicher Fragen in den §§ 241 ff. AktG besteht nicht. c) Teleologie/Funktion Die teleologische Auslegung erhärtet die Zweifel an der Richtigkeit der These von der gebotenen dogmatischen Konvergenz materiell-rechtlicher und prozessrechtlicher Fragen. Das prozessuale Beschlussmängelrecht hat die Aufgabe, angemessenen prozessualen Rechtsschutz zu gewährleisten, und dies bei privatrechtlichen Personenverbänden (AG, GmbH), an denen rechtstatsächlich häufig eine Vielzahl von Personen beteiligt ist und denen auch das Leitbild eines Verbandes mit einer nicht unbeträchtlichen Zahl von Mitgliedern zugrunde liegt24. Dieser Zweckbestimmung kann das prozessuale Beschlussmängelrecht nur durch ein körperschaftliches Regelungsmodell gerecht werden, was anhand zweier Gesichtspunkte belegt sei. Erstens: Das körperschaftliche Modell hat die juristische Person im Fokus und führt damit in prozessualer Hinsicht stringent zur Beklagtenrolle der Gesellschaft (§ 246 Abs. 2 AktG). Eben diese Beklagtenrolle der Gesellschaft ist zur Gewährleistung eines angemessenen prozessualen Rechtsschutzes unabdingbar25. Ohne die Beklagtenrolle der Gesellschaft müsste der um Rechtsschutz nachsuchende Gesellschafter seine Mitgesellschafter verklagen. Dies können unter Umständen mehrere tausend bis hunderttausend, gar Millionen sein. Bereits deren ladungsfähige Anschriften wird der Gesellschafter kaum ermitteln können. Ohne ein körperschaftliches Modell stünde der einem Kapitalgesellschafter zugesprochene Rechtsschutz folglich nur auf dem Papier. Zweitens: Verfahrensökonomisch zwingend geboten ist auch die Inter-omnes-Wirkung einer stattgebenden Anfechtungsklage (vgl. §§ 241 Nr. 5, 248 AktG). Denn ohne diese müsste der klagende Gesellschafter doch wieder alle seine Mitgesellschafter verklagen, um eine allseitige Rechtskraftwirkung zu erreichen26. Mit einem körperschaftlichen Regelungsmodell lässt sich diese Inter-omnes-Wirkung konsistent erreichen. Denn ein 24 Siehe zum Leitbild der Aktiengesellschaft Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 48; zum GmbH-Leitbild: Entwurf eines Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung nebst Begründung und Anlagen, Amtliche Ausgabe (1891), S. 32. 25 Schwab, Gesellschaftsinterne Streitigkeiten, S. 294 f., dort auch zum folgenden Text und m.w. N. 26 Schwab, Gesellschaftsinterne Streitigkeiten, S. 296 m.w. N.
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4. Teil: Eigene Konzeption
körperschaftliches Regelungsmodell stellt auf den Beschluss als das von der Gesellschafterversammlung als Organ der juristischen Person gefasste Rechtsgeschäft ab. Wird nun dieser Beschluss durch kassatorisches Anfechtungsurteil aufgehoben, so versteht sich die Erga-omnes-Wirkung mehr oder weniger von selbst: Der eine Willensentscheidung verkörpernde und die Grundlage für die Rechtsund Pflichtenverhältnisse der Gesellschaft bildende Beschluss ist mit der Stattgabe der Anfechtungsklage schlichtweg aus der Welt geschaffen27. Während also das prozessuale Beschlussmängelrecht seine Funktion nur durch ein körperschaftliches Regelungsmodell erfüllen kann, verhält sich dies beim materiellen Beschlussmängelrecht anders. Dessen Regelungszweck besteht darin, der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft in Form einer materiellen Beschlusskontrolle den ihr gebührenden Schutz zuteilwerden zu lassen. Die dogmatische Konzeption des materiell-rechtlichen Pflichtentatbestandes wird durch diesen Regelungszweck nicht determiniert; hierfür geben sachliche und dogmatische, nicht aber teleologisch-funktionale Gesichtspunkte den Ausschlag. Das materielle Beschlussmängelrecht muss allerdings auch so ausgestaltet sein, dass es die prozessualen Regelungsziele nicht konterkariert. Entscheidend kommt es daher darauf an, ob die prozessualen Regelungsziele auch auf materiell-rechtlicher Seite eine körperschaftliche Konzeption erfordern. Das prozessuale Beschlussmängelrecht benötigt zur Erreichung seiner Regelungsziele, wie eben gesehen, den Beschluss als rechtsdogmatischen Anknüpfungspunkt. Diesen aber stellt ihm das materielle Recht in schulmäßiger Kooperation zur Verfügung, nämlich dadurch, dass es die Rechtsfolge von Pflichtwidrigkeiten stets in der Anfechtbarkeit des Beschlusses erblickt (§§ 243 Abs. 1 AktG, 243 Abs. 2 AktG)28. Für eine körperschaftliche Konzeption des materiell-rechtlichen Tatbestandes versteht sich dies zwar von selbst. Auch eine individualistische, auf die Stimmrechtsausübung der Gesellschafter abstellende Konzeption des materiell-rechtlichen Tatbestandes kann die Anfechtbarkeit des Beschlusses aber begründen: Treuwidrige Stimmabgaben der Gesellschafter sind nach bislang herrschender Meinung unwirksam29. Der Versammlungsleiter hat sie daher bei der Beschlussfeststellung außen vor zu lassen30. Berücksichtigt er sie dennoch, rechnet die 27
Siehe Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 245. Siehe oben b). 29 BGH NJW 1991, 846; BGH AG 1993, 513; OLG Hamburg GmbHR 1992, 43, 47; aus dem Schrifttum grundlegend und mit besonderem Nachdruck Zöllner, Schranken, S. 366 ff.; ders., in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 47 Rn. 108; Hüffer, AktG, § 53a Rn. 22; K. Schmidt, in: GroßKomm/AktG, § 243 Rn. 38, 47; a. A. Koppensteiner, ZIP 1994, 1325 ff.; Schwab, Gesellschaftsinterne Streitigkeiten, S. 333. 30 Für das Aktienrecht (vgl. § 130 II AktG): Henze/Notz, in: GroßKomm/AktG, Anh. § 53a Rn. 129; Hüffer, AktG, § 130 Rn. 22; Nehls, Treuepflicht, S. 96; für das GmbHRecht ebenso BGH ZIP 1991, 23, 24; BGH ZIP 1993, 1228, 1230; Bayer, in: Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, § 47 Rn. 53; a. A. Oelrichs, GmbHR 1995, 863, 866 ff.; vgl. zum Ganzen auch Schürnbrand, Organschaft, S. 136 ff. 28
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herrschende Meinung dieses pflichtwidrige Verhalten des Versammlungsleiters der Gesellschaft mit der Folge zu, dass der Beschluss der Gesellschaft anfechtbar wird31. Auf besserem argumentativen Boden steht man32, wenn man in der Regelung des § 243 Abs. 2 AktG in ihrem Zusammenspiel mit § 243 Abs. 1 AktG eine gesetzliche Fiktion erblickt: Die treuwidrige Stimmabgabe ist eine Pflichtverletzung des Gesellschafters und zieht daher im Grundsatz auch nur in der Person des Gesellschafters Rechtsfolgen nach sich. Ein Pflichtenverstoß der Gesellschaft und damit auch die Anfechtbarkeit des Beschlusses der Gesellschaft ist also „in Wahrheit“ nicht gegeben, wird aber durch die §§ 243 Abs. 2 i.V. m. 243 Abs. 1 AktG („Die Anfechtung kann auch darauf gestützt werden, dass [. . .]“) als gegeben behandelt und verlässt in dieser Form das materielle Beschlussmängelrecht33. In jedem Fall, also unabhängig von der dogmatischen Konzeption des materiell-rechtlichen Tatbestandes erhält das prozessuale Beschlussmängelrecht den von ihm benötigten Beschluss. Anders als auf prozessualer Ebene gibt es folglich auf der materiell-rechtlichen Seite keine teleologisch bedingten Zwänge. Die beschriebene unterschiedliche teleologische Ausgangslage lässt dogmatische Divergenzen zwischen dem materiell-rechtlichen (Tatbestands-)Komplex sowie dem prozessrechtlichen Regelungskomplex als konsequente Folge und nicht, worauf das Rechtsfolgenargument fußt, als zu behebenden Mangel erscheinen. d) Historie/Dogmengeschichte Die bisherigen Überlegungen, insbesondere die gebotene Trennung materiellrechtlicher (Tatbestands-) und prozessrechtlicher Fragen, bestätigen sich im Rahmen der historischen Auslegung. Ihren historischen Ursprung hat das heutige Beschlussmängelrecht in Art. 190a ADHGB 1884, der einzigen beschlussmängelrechtlichen Norm dieses Gesetzeswerkes. Die Vorschrift kannte – wie auch die Nachfolgebestimmung des § 271 HGB 1897 – weder die Unterscheidung der Nichtigkeit eine Beschlusses von dessen bloßer Anfechtbarkeit, noch trennte sie materiell-rechtliche und prozessrechtliche Fragen34. Zu Beginn der historischen 31 Siehe nur BGH ZIP 1991, 23, 24; BGH ZIP 1993, 1228, 1230; Tröger, Treupflicht, S. 261. 32 Überzeugende Kritik an der Nichtigkeitsthese sowie der von ihr vorausgesetzten Prüfungskompetenz des Versammlungsleiters bei Schwab, Gesellschaftsinterne Streitigkeiten, S. 331 ff. 33 Aus diesem Grunde ist § 246 II 1 AktG auch nicht als Regelung zur passiven Prozessstandschaft zu sehen, so etwa Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 246 Rn. 13; denn bereits nach materiellem (Rechtsfolgen-)Recht liegt ein anfechtbarer Beschluss der Gesellschaft vor; § 246 II 1 regelt daher die passive Prozessführungsbefugnis, siehe bereits Fn. 1068; vgl. auch die verwaltungsprozessrechtliche Diskussion zur dogmatischen Einordnung von § 78 VwGO, dazu Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, § 33 4 a aa (S. 268). 34 Vgl. den sowohl materiell-rechtliche als auch forensische Formulierungen enthaltenden sowie alle Rechtsverstöße erfassenden Normtext des Art. 190a ADHGB 1884:
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Entwicklung ging dies noch Hand in Hand35. Dies änderte sich erst, als das Beschlussmängelrecht gegen Ende des 19. und ab Beginn des vergangenen Jahrhundertes in der Rechtsprechung des Reichsgerichts sowie der diese begleitenden Wissenschaft Gestalt anzunehmen begann. Unter dem Etikett des Sittengebots entwickelte man materiell-rechtliche Pflichtenbindungen der Mehrheit36, begann die Beschlussnichtigkeit von der Beschlussanfechtbarkeit sorgsamer zu scheiden37 und wurde sich mehr und mehr auch der Trennung materiell-rechtlicher und prozessrechtlicher Fragen bewusst38. Dieser fortschrittliche Prozess der Ausdifferenzierung und Dogmatisierung des Beschlussmängelrechts fand seinen positivrechtlichen Niederschlag dann in den §§ 195 ff. AktG 1937 – den Vorläufernormen der §§ 241 ff. AktG –, in denen der Gesetzgeber die vorangegangene Rechtsprechung des Reichsgerichts weitgehend kodifizierte39. Der Gesetzgeber bemühte sich dabei um eine Übereinstimmung mit den bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen der Anfechtbarkeit und Nichtigkeit40, regelte bezeichnenderweise in § 195 AktG 1937 die materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgründe (heute: § 241 AktG) und erst in § 201 AktG 1937 (Nichtigkeitsklage; heute: § 249 AktG) deren gerichtliche Durchsetzung. In § 197 Abs. 1 AktG 1937 fand der körperschaftliche Anfechtungsgrund der Gesetzes- oder Satzungsverletzung (heute: § 243 Abs. 1 AktG) seinen Platz, in § 197 Abs. 2 AktG 1937 das individualistische Sondervorteilsverbot (heute: § 243 Abs. 2 AktG); in diesem Kontext bringt der historische Gesetzgeber auch den eben skizzierten Fiktionsgedanken zum Ausdruck: „Die Anfechtbarkeit eines Beschlusses hat wie bisher eine Verletzung des Gesetzes oder der Satzung zur Voraussetzung (§ 197). Als eine Verletzung des Gesetzes wird es auch angesehen, wenn der Beschluß auf einer Stimmrechtsausübung beruht, durch die ein Aktionär gesellschaftsfremde Sondervorteile für
„Ein Beschluß der Generalversammlung kann wegen Verletzung des Gesetzes oder des Gesellschaftsvertrages als ungültig im Wege der Klage angefochten werden. Dieselbe findet nur binnen einer Frist von einem Monate statt. Zur Anfechtung befugt ist (. . .). Ein klagender Kommanditist hat seine Aktien gerichtlich zu hinterlegen“; ähnlich dann § 271 HGB 1897. 35 Vgl. auch die grundlegende Entscheidung des Reichsoberhandelsgerichts ROHGE 23, 273, 275. 36 Genannt seien etwa RG JW 1916, 575, 576; RGZ 107, 72, 74 ff.; RGZ 112, 14, 15 ff.; RGZ 122, 159, 165 f.; RGZ 132, 149, 161 ff. (Victoria); aus der Wissenschaft vor allem A. Hueck, in: RG-Festgabe IV, S. 167 ff. 37 Siehe RGZ 21, 148, 159; RGZ 36, 134; 136; RGZ 37, 62, 64; Puchelt, ADHGB, 4. Aufl. 1893, Art. 190a Anm. 2; grundlegend A. Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen bei Aktiengesellschaften (1924); zum Ganzen aus heutiger Sicht Eberspächer, Nichtigkeit, S. 63 ff. 38 Vgl. RGZ 239, 242; RGZ 89, 367, 379 (zur klageweisen Geltendmachung der neuen Kategorie der Nichtigkeit); vgl. auch A. Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit, S. 237 ff.; vgl. aus heutiger Sicht Eberspächer, Nichtigkeit, S. 67 ff. 39 Vgl. Klausing, Aktiengesetz 1937, S. 171, 174, 177. 40 Klausing, Aktiengesetz 1937, S. 172.
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sich oder einen Dritten zum Schaden der Gesellschaft verfolgt (§ 197 Abs. 2 AktG).“ 41 Die gerichtliche Geltendmachung dieser Anfechtungsgründe wird erst in § 199 AktG 1937 (heute: § 246 AktG) geregelt. Der Gesetzgeber des AktG 1965 lehnte sich dann sowohl äußerlich als auch inhaltlich sehr eng an dieses Regelungskonzept an42. Die historische Entwicklung des Beschlussmängelrechts, so kann man folglich sagen, ging weg von einer undifferenzierten und undogmatischen normativen Einheitsbehandlung fehlerhafter Beschlüsse hin zu einer stärkeren Ausdifferenzierung und Dogmatisierung des Beschlussmängelrechts sowohl auf materiell-rechtlicher (Nichtigkeit und Anfechtbarkeit, körperschaftliches und individualistisches Regelungsmodell) und prozessualer Seite (Nichtigkeitsklage und Anfechtungsklage) als auch im Verhältnis der verschiedenen Regelungskomplexe zueinander. Das Rechtsfolgenargument, das den verschiedenen Regelungskomplexen ein einheitliches dogmatisches Regelungsmodell zugrunde legen möchte, dreht diese Entwicklung – jedenfalls ein Stück weit – zurück. Auch daher verdient es keine Zustimmung, ergänzend sei angemerkt: ebenso wenig wie die eng mit ihm verknüpfte These eines materiell-rechtlichen Substrats der Anfechtungsklage43. 4. Das Gleichbehandlungsargument
Schließlich berufen sich die Anhänger körperschaftlicher Kontrollansätze noch auf den gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 53a AktG)44: Dieser gesetzlich normierte Grundsatz sei körperschaftlich konzipiert, was auch dann Beachtung in Form eines körperschaftlichen Regelungsmodells verlange, wenn man für eine materielle Beschlusskontrolle auf andere Normen und Institute zurückgreife. Dieses Argument spricht nicht für eine körperschaftliche Konzeption. Denn der Gleichbehandlungsgrundsatz hat im Beschlussmängelrecht zu keiner Zeit eine nennenswerte Rolle gespielt45. Hierfür zeichnete, wie wir oben sahen, eben seine körperschaftliche Struktur verantwortlich; sie bedingte allerlei Friktionen und Restriktionen, die den Gleichbehandlungsgrundsatz als Rechtsgrundlage der Beschlusskontrolle ungeeignet erscheinen ließen46. Der Verweis auf den gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ist daher weniger ein Argument für, als vielmehr ein Argument gegen eine körperschaftliche Konzeption.
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Klausing, Aktiengesetz 1937, S. 177 (Hervorhebung nicht im Original). Vgl. zur Anfechtbarkeit Kropff, Aktiengesetz 1965, S. 329. 43 Vgl. Schwab, Gesellschaftsinterne Streitigkeiten, S. 277 mit umfassenden Nachweisen zum Streitstand. 44 Insbesondere Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 232, 236 f., 241. 45 Oben § 11 A. I. 46 Oben § 11 B. II. 42
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II. Allgemeine Kritikpunkte an einer körperschaftlichen Konzeption 1. Der Außenbereich
Körperschaftliche Ansätze legen Wert auf die Trennung der juristischen Person von ihren Mitgliedern; die Gleichsetzung der juristischen Person mit ihren Mitgliedern wird als „Hauptirrtum“ gebrandmarkt47. Seine organschaftliche Fortsetzung findet dieses Trennungsdogma in der Vertretertheorie, nach welcher der juristischen Person die Handlungen ihrer verfassungsmäßigen Vertreter „angerechnet“ werden48. Organschaftliches Handeln ist also nicht Handeln der juristischen Person selbst, sondern wird dieser nach vertretungsrechtlichen Grundsätzen zugrechnet49. Auf der Basis dieses Trennungs- und Vertretungsdogmas kann es den Mitgliedern der juristischen Person kaum gestattet sein, die Auflösung der juristischen Person oder ihre Fusion auf eine andere juristische Person zu beschließen50; denn die einzelnen Mitglieder können das rechtlich selbstständige Kollektiv, das „ideale Ganze“, nicht seiner Existenz berauben, der Vertreter kann den Vertretenen nicht liquidieren. Das positive Recht entscheidet bekanntlich anders. Es lässt die Auflösung der juristischen Person (§ 262 Abs. 1 Nr. 2 AktG, § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG) oder ihre Verschmelzung auf eine andere juristische Person (§§ 65 Abs. 1, 50 Abs. 1 UmwG) durch (Mehrheits-)Beschluss der Mitgliederversammlung zu. Dieser vom positiven Recht geschaffene hier sog. Außenbereich lässt sich mit körperschaftlichen, auf die juristische Person in ihrer bestehenden Existenz zugeschnittenen Denkvorstellungen nicht greifen. Es ist bei den körperschaftlichen Kontrollansätzen daher hier ein gewisser Defätismus zu beobachten: Weil sich ein in ein körperschaftliches Regelungsmodell eingebetteter Minderheitenschutz im körperschaftlichen Denkvorstellungen nicht zugänglichen Außenbereich gedanklich nicht verwirklichen lässt, wird der Minderheitenschutz hier gleich weitgehend ganz gekappt. So wird aus einem Pflichtrecht der Mitglieder der juristischen Person (Innenbereich) ein Eigenrecht des Mehrheitsgesellschafters im Außenbereich und wird aus einer strengen Rechtsbindung der Mitgliederversammlung ein rechtlich nicht weiter gebundenes Entscheidungsermessen der Gesellschaftermehrheit51. In dem Bereich, in dem die Min47 Flume, Juristische Person, § 7 II 2 (S. 210) unter Berufung auf Savigny, System, Bd. II, S. 347. 48 Primärquelle: Savigny, System, Bd. II, S. 282 f.; aus der heutigen Literatur namentlich Flume, Juristische Person, § 11 I (S. 377 ff.); zur Vertretertheorie siehe auch die Nachweise in der folgenden Fn. 49 Vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 10 I 2 (S. 250 ff.); Schürnbrand, Organschaft, S. 17 ff. 50 Savigny hielt bei Satzungsänderungen, der Gesellschaftsauflösung sowie Veränderungen in der Substanz des Verbandsvermögens Mehrheitsentscheidungen für ungerecht und selbst einstimmige Beschlüsse für zweifelhaft, s. Savigny, System, Bd. II, S. 347 ff. 51 Vgl. Flume, Juristische Person, § 7 II 1 (S. 201 ff.) einerseits und § 7 IV (S. 217 ff.) andererseits.
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derheit am schärfsten betroffen ist – sie verliert infolge Auflösung oder Verschmelzung ihre Beteiligung –, in dem das Mehrheitsprinzip seiner inneren Rechtfertigung (Interessengleichrichtung der zweckverbundenen Mitglieder) verlustig geht52, in dem historisch (Sonderrechtstheorie)53 und auch prinzipiell heute noch (§ 33 Abs. 1 Satz 2 BGB als allgemeiner Grundsatz des Verbandsrechts)54 die Zustimmung aller Gesellschafter gefordert ist, kurz: im Außenbereich, stellt ein körperschaftlicher Kontrollansatz den Minderheitsgesellschafter weitestgehend schutzlos. Der beschlussmängelrechtliche Minimalschutz, den die Vertreter körperschaftlicher Kontrollansätze dem Minderheitsgesellschafter im Außenbereich zuteilwerden lassen möchten55 , hilft diesem in jedem Fall nicht viel56. Er bedeutet aber vor allem eine Aufgabe des eigenen dogmatisch-konzeptionellen Ausgangspunktes. Denn im Bereich der „Beschlüsse ohne Rücksicht auf das Interesse der juristischen Person“ (Auflösung, Verschmelzung, Unternehmensvertrag, Mehrheitseingliederung)57 können der maßgebliche Interessenkonflikt nur im Verhältnis der Gesellschafter untereinander verortet und die Minimal-Beschlusskontrolle nur an eine individualistische Rechtsnorm angebunden werden. Konsequent durchhalten lässt sich ein körperschaftlicher Kontrollansatz also nicht58. 2. Die Schadensersatzhaftung
Ein rechtswidriger Eingriff in Gesellschafterrechte zieht prinzipiell zwei Rechtsfolgen nach sich: Er hat zum einen die Anfechtbarkeit des von der Gesellschafterversammlung gefassten Beschlusses zur Folge und begründet zum anderen Schadensersatzansprüche der geschädigten Gesellschafter59. Diese Schadensersatzhaftung soll aber nach allgemeiner Ansicht nicht die Gesellschaft treffen; denn müsste der Schadensersatzanspruch von der Gesellschaft und damit aus 52
Siehe oben § 2 B., C. Hierzu vorerst nur Roitzsch, Minderheitenschutz, S. 25 ff.; näher unten bei § 13 B. III. 2. b). 54 Hier nur K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 4 II 3 a (S. 65); ausführlicher oben § 8 B. III. 2. b) aa). 55 Flume, Juristische Person, § 7 III (S. 213 ff.), § 7 IV (S. 217): (lediglich) Sondervorteilsverbot; allenfalls eine Missbrauchskontrolle befürwortend (vgl. bereits oben § 10) Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 353 ff., 358 f.; für einen bloßen Missbrauchsschutz auch Boese, Anwendungsgrenzen, S. 41, 308, 337 f. 56 Zur begrenzten Schutzwirkung der Rechtsmissbrauchskontrolle oben § 8 B. III. 2. a). 57 Flume, Juristische Person, § 7 IV (S. 217). 58 Siehe zutreffend Wandrey, Beschlusskontrolle, S. 38 f., 36. 59 Grundlegend Zöllner, Schranken, S. 381 ff. (Anfechtbarkeit), S. 424 ff. (Schadensersatzpflicht); zum gesamten Rechtsfolgensystem mit weiteren Aspekten ders., Schranken, S. 357 ff. Die Frage einer Schadensersatzhaftung wurde bislang allerdings, soweit ersichtlich, im Bereich der Satzungs- und Strukturänderungen kaum praktisch relevant und auch nicht eingehender untersucht. 53
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dem Gesellschaftsvermögen beglichen werden, würden sich die Schadensersatz begehrenden Gesellschafter über ihre Beteiligungsinteressen mittelbar selbst schädigen. Schadensersatz soll der geschädigte Gesellschafter lediglich von seinen Mitgesellschaftern verlangen können, wenn und weil diese die sie treffende Treuepflicht verletzt haben60. In ein individualistisches Regelungskonzept fügt sich diese allgemein anerkannte Rechtsfolge bestens ein. Wer materielle Beschlussschranken generell aus der zwischen den Gesellschaftern bestehenden Treuepflicht deduziert, dem ist es selbstverständlich, dass die Schadensersatzhaftung bei Verletzung dieser Pflichtenbindung unmittelbar im Verhältnis der Gesellschaftermehrheit zur Gesellschafterminderheit eintritt61. Den Vertretern eines körperschaftlichen Kontrollansatzes bereitet diese Schadensersatzrechtsfolge dagegen konzeptionelle Probleme. In jedem Fall sehen sie sich dem Vorwurf der Inkonsequenz ausgesetzt, wenn sie im Rahmen der Beschlussanfechtung unter Berufung auf die beschlussmängelrechtliche Rechtsfolge (= Anfechtbarkeit des Beschlusses der Gesellschaft) für ein körperschaftliches Modell plädieren62, dann aber im Bereich der schadensersatzrechtlichen Sanktion eine Rechtsfolge für richtig gehalten (= Haftung der Gesellschaftermehrheit)63, die sich nur auf der Basis eines individualistischen Konzeptes überzeugend erklären lässt64. 3. Gesetzeswidrigkeit: § 243 Abs. 2 AktG
Materielle Rechtsbindungen der Gesellschaftermehrheit in Form von Rücksichtnahmepflichten haben im Gesetz maßgeblich in § 243 Abs. 2 AktG ihren Niederschlag gefunden; von besonderen Anfechtungsgründen (vgl. § 254 AktG) und der Verletzung zwingender gesetzlicher und satzungsmäßiger Einzelnormen (§ 243 Abs. 1 AktG) abgesehen kann und konnte ein Beschluss nach der gesetzlichen Lösung allein unter Berufung auf das Sondervorteilsverbot des § 243 Abs. 2 AktG zu Fall gebracht werden65. Dieser Norm aber liegt, wie bereits erwähnt, ein individualistisches Regelungsmodell zugrunde: Abgestellt wird auf die Stimmrechtsausübung durch die Gesellschafter, gefragt wird nach Sondervorteilen in der Person des Gesellschafters, verlangt werden subjektive, also ein Subjekt – den Gesellschafter – voraussetzende Tatbestandsmerkmale, und schließlich 60 Boese, Anwendungsgrenzen, S. 39, 41 f.; Tröger, Treupflicht, S. 264; M. Winter, Treubindungen, S. 86 ff., insb. S. 90 f.; wohl auch Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 241 f. 61 Siehe M. Winter, Treubindungen, S. 86 ff., insb. S. 90 f. 62 Zum Rechtsfolgenargument oben I. 3. 63 Boese, Anwendungsgrenzen, S. 39, 41 f.; wohl auch Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 241 f. 64 Vgl. Boese, Anwendungsgrenzen, S. 41; Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 241 f.; (wohl) beide wollen im Bereich der Schadensersatzhaftung auf die zwischen den Gesellschaftern bestehende Treuepflicht zurückgreifen. 65 Vgl. Kropff, Aktiengesetz 1965, S. 329.
§ 12 Dogmatik
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entfällt die Anfechtbarkeit, wenn den anderen Gesellschaftern, nicht also der Gesellschaft, ein angemessener Ausgleich gewährt wird66. Eine körperschaftliche Konzeption, so daher der schlichte Vorwurf, widerspricht folglich dem Gesetz67. Nun wird man hiergegen auf die Bedeutungslosigkeit des § 243 Abs. 2 AktG in der Beschlussmängelpraxis verweisen und einwenden, die Rechtsentwicklung sei über diese Vorschrift hinweggegangen68. Für sich genommen trifft dies zwar zu, bleibt aber im vorliegenden Kontext zu ungenau: Die Bedeutungslosigkeit des § 243 Abs. 2 AktG ist darauf zurückzuführen, dass sich mit dieser Norm aufgrund ihrer tatbestandlichen Enge (Sondervorteil, Vorsatzerfordernis, Ausgleichsmöglichkeit) sachgerechte Rechtsanwendungsergebnisse (Gebot der Äquidistanz) nicht bewerkstelligen lassen69. Diese tatbestandliche Enge wiederum ist maßgeblich dem oben bereits dargelegten Umstand geschuldet, dass § 243 Abs. 2 AktG entstehungsgeschichtlich auf dem Gebot der guten Sitten und damit auf einer überholten Wertungsgrundlage fußt70. Die einschränkenden Tatbestandsmerkmale sind dagegen nicht zwingend durch den individualistischen Regelungszuschnitt der Norm bedingt71. Die Bedeutungslosigkeit des aktienrechtlichen Sondervorteilsverbotes (§ 243 Abs. 2 AktG) beruht also auf sachlichinhaltlichen, nicht dagegen, worauf es vorliegend entscheidend ankommt, auf dogmatischen Gründen. In dogmatischer Hinsicht ist diese individualistische Norm fortschrittlicher denn je, war doch für die Treuepflicht im Horizontalverhältnis der Gesellschafter untereinander, also eine ebenfalls individualistische Rechtsnorm, ein „Siegeszug“ zu vermelden72, gar von einer der größten „juristische[n] Entdeckungen im Gesellschaftsrecht“ 73 die Rede – und dies gerade aufgrund ihres individualistischen Charakters. Bezeichnenderweise spricht der Bundesgerichtshof in der den Siegeszug der Treuepflicht für das Aktienrecht einläutenden „Linotype“-Entscheidung von der Anfechtbarkeit „entsprechend § 243
66 Siehe zum individualistischen Charakter der Norm Flume, Juristische Person, § 7 II 2 (S. 211). Der individualistische Zuschnitt speziell der Ausgleichsklausel wird von der h. M. durch eine teleologische Reduktion insofern eingeschränkt, als diese bei Schädigung der Gesellschaft nur gilt, wenn Gläubigerbelangen durch konzernrechtliche Vorschriften oder durch Ausgleichsgewährung an die Gesellschaft selbst Rechnung getragen wird, vgl. Zöllner, in: KölnKomm/AktG, § 243 Rn. 242; Hüffer, in: MünchKomm/ AktG, § 242 Rn. 95 m.w. N. 67 Siehe auch Wandrey, Beschlusskontrolle, S. 36. 68 Vgl. hier nur Hüffer, AktG, § 243 Rn. 31; T. Raiser, in: Ulmer, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 127; K. Schmidt, in: GroßKomm/AktG, § 243 Rn. 52. 69 Siehe oben § 4 B. II.; vgl. weiter Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 72. 70 Vgl. oben § 4 B. II., § 10 B. II. 2. a). 71 Statt Vorsatz („zu erlangen suchte“) könnte man Fahrlässigkeit genügen lassen und auf die Ausgleichsklausel verzichten; generell steht eine individualistische Konzeption weitreichenden Rechtsbindungen nicht entgegen; vgl. Zöllner, Schranken, S. 335 ff.; ders., in: Baumbach/Hueck, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 101 ff. 72 Immenga, in: FS 100 Jahre GmbHG, S. 189; näher oben § 4 B. IV. 73 Fleischer, in: FS K. Schmidt, S. 375, 393 ff.
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4. Teil: Eigene Konzeption
Abs. 2 AktG“ 74. Insofern trifft es also nicht zu, dass die Rechtsentwicklung über § 243 Abs. 2 AktG hinweggegangen ist – dies weiter auch deswegen nicht, weil die Ausgleichsklausel des § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG eine Wertung beinhaltet, die sich abgemildert in der modernen kapitalmarktorientierten Gesetzgebung und (Verfassungs-)Rechtsprechung an zahlreichen Stellen wiederfindet75. Gesetzestreu verfährt man mit einer körperschaftlichen Konzeption der Beschlusskontrolle also nicht. Freilich gilt auch hier der Satz: „Lex moneat, non doceat“. Er hält dazu an, nach weiteren, beschlussmängelspezifischen Argumenten gegen eine körperschaftliche Konzeption Ausschau zu halten. III. Beschlussmängelspezifische Kritikpunkte 1. Das Aufgreifkriterium der Beschlusskontrolle
Nach dem körperschaftlichen Denkmodell tritt die juristische Person bei der Beschlussfassung durch ihr Organ Gesellschafterversammlung in Erscheinung. Kommt es dabei zu einer Beeinträchtigung von Mitgliedschaftsrechten, führt dies nach diesem Modell zu einem Konflikt zwischen dem einzelnen Gesellschafter, dessen Mitgliedschaftsrecht beeinträchtigt wird, und der durch ihre Organe agierenden juristischen Person76. Der vom Recht zu entscheidende Interessenkonflikt wird dann im Verhältnis der juristischen Person zu ihrem Mitglied lokalisiert: die juristische Person auf der einen, das einzelne Mitglied auf der anderen Seite77. Diese körperschaftliche Konfliktbetrachtung erschwert das Auffinden eines sachgerechten Aufgreifkriteriums für die richterliche Beschlusskontrolle: Wer eine mit einer besonderen Rechtsmacht (Mehrheitsprinzip) ausgestattete, noch dazu künstliche Rechtsperson (juristische Person, Gesellschaft)78 einem Rechtssubjekt gegenüberstellt, das dieser Rechtsmacht ausgesetzt ist und das noch dazu mit der Vorstellung einer natürlichen Person assoziiert ist (Mitglied, Gesellschafter), der wird dieses Verhältnis recht schnell als ein solches der Über-/Unterordnung charakterisieren und auf die ähnlich gelagerte Konstellation im Verhältnis Staat – Bürger verweisen. Es ist dann nur noch ein kleiner Schritt zur Anglei74 BGHZ 103, 184, 193 ff.; anders (Treuepflichtverletzung als Fall des § 243 I AktG) dann allerdings die spätere Rechtsprechung und Rechtsentwicklung, siehe etwa BGHZ 142, 167, 169 ff. (Hilgers); BGH NZG 2005, 551, 552; Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 17, 57. 75 Vgl. unten § 14 B. 76 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 231, 241, 246; Boese, Anwendungsgrenzen, S. 37 f. 77 Vgl. Flume, Juristische Person, § 7 II 2 (S. 211 f.); Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 232 ff.; Boese, Anwendungsgrenzen, S. 37 ff.; vgl. auch Mestmäcker, Verwaltung, S. 7 ff., insb. S. 11 sowie in Bezug auf den Gleichbehandlungsgrundsatz oben § 11 B. II. 78 Vgl. zum theoretischen Grundsatzstreit über das Wesen der juristischen Person (Fiktionstheorie vs. Theorie der realen Verbandspersönlichkeit) K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 8 II 2 (S. 187 ff.); die Position, die man dabei einnimmt, dürfte auf die hier angestellten Überlegungen keinen Einfluss haben, vgl. K. Schmidt, a. a. O.
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chung auch der jeweiligen Kontrollmaßstäbe79. Diese Angleichung aber kann nicht richtig sein: Während nämlich die staatliche Verwaltung durch die Grundrechte gebunden ist (Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3 GG), wird die in der Gesellschafterversammlung agierende Gesellschaftermehrheit von den Grundrechten (Art. 14 GG) und auch vom einfachen Recht (Mehrheitsprinzip, Kompetenznorm) geschützt. Die jeweiligen Kontrollmaßstäbe müssen daher unterschiedlich ausgestaltet sein. Dies ist eine Lehre aus dem Scheitern des an öffentlich-rechtliche Kategorien angelehnten Sachgrunderfordernisses80. Zu dieser Einsicht aber dringt nicht durch, wer den Blick auf die juristische Person zentriert, ja dort abbricht und die sich hinter der juristischen Person verbergenden Rechtspositionen der Gesellschaftermehrheit daher gar nicht mehr erkennen kann. Noch aus einem weiteren Grunde verursacht die körperschaftliche Konfliktbetrachtung Schwierigkeiten. Körperschaftlichen Konzeptionen liegt – wie bei der Erörterung des Gleichbehandlungsmodells von Verse bereits erläutert81 – ein uniformistisches Gesellschafterbild zugrunde: jeder Gesellschafter gleicht im Grundsatz dem anderen, jedes Mitglied befindet sich (eben) im gleichen Konflikt mit der (einen) juristischen Person82. In der gesellschaftsrechtlichen Realität aber werden sich die Gesellschafter auch innerhalb ein und derselben Gesellschaft nicht selten stark voneinander unterscheiden, etwa hinsichtlich der Beteiligungsquote, der rechtlichen und tatsächlichen Einflussmöglichkeiten oder der mit der Beteiligung verfolgten Interessen83. Diese Gesellschaftervielfalt kann nicht unberücksichtigt bleiben, will man sachgerechte, differenzierende, dem Gebot der Äquidistanz Rechnung tragende Lösungen entwickeln. Auch diese Lehre gilt es aus dem Scheitern des generalisierenden Sachgrunderfordernisses zu ziehen84. 2. Der Gegenstand der Beschlusskontrolle
Kontrollgegenstand einer körperschaftlichen Konzeption ist, wie bereits mehrfach erwähnt, der Beschluss als das von der Mitgliederversammlung als Willensbildungsorgan der juristischen Person gefasste Rechtsgeschäft85. Dieser Be79 Vgl. zum Vorstehenden deutlich aus der das Sachgrunderfordernis vorbereitenden Literatur Füchsel, BB 1972, 1533, 1536 f.; ders., Bezugsrechtsausschluss, S. 95 ff., 106 ff.; vgl. auch BGHZ 71, 40, 44 ff. (Kali & Salz). 80 Vgl. oben § 6 H. II. 3. 81 Oben § 11 B. II. 2. b) bb). 82 Vgl. neben den Nachweisen in Fn. 76 aus der Rspr. insbesondere BGHZ 71, 40, 43 ff. (Kali & Salz): jeder [einzelne] Aktionär; für einen Aktionär; Eingriff in die Rechtsstellung der [d.h. aller] ausgeschlossenen Aktionäre. 83 Siehe G. Hueck, Gesellschaftsrecht, 19. Aufl. 1991, S. 183; Boese, Anwendungsgrenzen, S. 74. 84 Vgl. oben § 7 B. II. 3., § 8 A. I. 1. a), § 9 B. IX. 2. a). 85 Oben § 6 D. II. 3., § 11 B. II.; vgl. Boese, Anwendungsgrenzen, S. 37 ff.; Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 232 ff.
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schluss verkörpert den Willen der Gesellschaft86. Beim Beschluss handelt es sich von seinem Wesen her um eine Willenskategorie. In den deutlichen Worten A. Huecks: „Der Beschluß der Generalversammlung ist ja nichts anderes als eine Willensentscheidung der Gesellschaft [. . .].“ 87 Dieses Wesen des Beschlusses limitiert die Möglichkeiten, den Beschluss zum Anknüpfungsgegenstand gesellschaftsrechtlicher Institute zu machen: Gesellschafterschützende Instrumente können nur dann und nur so lange an den Beschluss anknüpfen, wie sie einen Willensbezug aufweisen. Einen Willensbezug weisen zunächst die verfahrensrechtlichen Schutzvorschriften des AktG, GmbHG und UmwG auf. Diese haben nämlich nicht nur eine individualrechtliche, auf den einzelnen Gesellschafter abzielende, sondern auch eine institutionelle, auf die Gesellschaft bezogene Schutzrichtung, indem sie die Unbefangenheit und „Richtigkeit“ der körperschaftlichen Willensbildung gewährleisten sollen88. In den Worten der Begründung der Aktienrechtsnovelle von 1884: „[. . .] wird sich die Gesetzgebung nicht der Aufgabe entziehen können [. . .], durch geeignete Kautelarvorschriften zu sichern, daß der Mehrheitsbeschluss den wahren Willen der Gesellschaft unverfälscht zum Ausdruck bringt.“ 89 Bei einer Anknüpfung an den Beschluss ist also eine verfahrensrechtliche Kontrolle möglich (= Überprüfung der Einhaltung der verfahrensrechtlichen Schutznormen, vgl. § 241 Nr. 1 und 2, § 243 Abs. 1 AktG)90. Ohne mit dem Beschluss als einer Willenskategorie ins Gehege zu kommen, kann man diesen weiter einer Anerkennungskontrolle unterwerfen: Die Rechtsordnung erkennt hier zwar an, dass der Beschluss den Willen der Gesellschaft verkörpert, sie versagt diesem Willen aber aus in der Rechtsordnung liegenden und übergeordneten Gründen die rechtliche Geltung91. Diese Anerkennungskontrolle knüpft auf Tatbestandsseite an eine zwingende konkrete Gesetzesnorm an, 86 Deutlich die Gesetzesbegr. der Aktienrechtsnovelle 1884, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, 100 Jahre Aktienrecht, S. 464: „Der Wille der Aktiengesellschaft (. . .) findet seinen Ausdruck allein in der Generalversammlung der Aktionäre. (. . .). In der Generalversammlung muß der (. . .) gefaßte Mehrheitsbeschluss der erschienen Aktionäre als Wille der Gesellschaft gelten (. . .).“ Siehe weiter Baltzer, Beschluss, S. 17 ff.; Hüffer, AktG, § 133 Rn. 2; ders., in: FS 100 Jahre GmbHG, S. 521, 529; Mülbert, in: GroßKomm/AktG, Vor §§ 118–147 Rn. 19; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 15 I 1 b (S. 435). 87 A. Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit, S. 240 f. 88 Siehe zum Stimmverbot Zöllner, Schranken, S. 145, 157 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 21 II 2 a (S. 608). 89 Gesetzesbegr. Aktienrechtsnovelle 1884, abgedr. bei Schubert/Hommelhoff, 100 Jahre Aktienrecht, S. 464. 90 Vgl. hierzu auch Baltzer, Beschluss, S. 49–77; hinzu tritt hier, dass man für die Nichtbeachtung verfahrensrechtlicher Nomen die Verwaltung bzw. den Versammlungsleiter als verantwortlich sehen kann und daher auch ein Zurechnungsgrund an die Gesellschaft vorliegt. 91 Vgl. Eberspächer, Nichtigkeit, S. 27.
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deren Verletzung sie mit der Rechtsfolge der Beschlussnichtigkeit (= Nichtanerkennung des Gesellschaftswillens) sanktioniert92. Diese Kontrollform hat ihren positivrechtlichen Niederschlag in § 241 Nr. 3 Fall 2 u. 3 AktG gefunden, wonach ein Beschluss der Hauptversammlung nichtig ist, wenn er „durch seinen Inhalt Vorschriften verletzt, die ausschließlich oder überwiegend zum Schutz der Gläubiger der Gesellschaft oder sonst im öffentlichen Interesse gegeben sind“ 93. Die Beschlusskontrolle kann sich jedoch – heute unbestritten – nicht auf die Überprüfung der Einhaltung von Verfahrensnormen und der Vereinbarkeit mit zwingenden gesetzlichen Nichtigkeitsnormen beschränken; denn missbräuchliches und interessenschädigendes Verhalten bleibt auch dort möglich, wo diese Schranken eingehalten wurden94. Mit der Verfahrens- und Anerkennungskontrolle sind denn auch noch nicht alle möglichen Formen der Beschlusskontrolle beschrieben. Es gibt noch eine dritte Kontrollform, die ebenfalls dem Wesen des Beschlusses als einer Willenskategorie gerecht wird, die hier sog. materielle Zurechnungskontrolle: Die Gesellschaft ist als juristische Person zu einer natürlichen Willensbildung unfähig. Ihr wird daher die Entscheidung ihres Organs Gesellschafterversammlung zugerechnet (Zurechnungsprinzip)95. Der Beschluss verkörpert so zwar den Willen der Gesellschaft, dieser Wille wird aber inhaltlich durch die Gesellschafterversammlung geformt. Man setzt sich daher nicht in Widerspruch zum Wesen des Beschlusses als einer Willenskategorie, wenn man, wie es körperschaftliche Ansätze denn auch tun96, im Rahmen der Beschlusskontrolle danach fragt, ob die von der Gesellschafterversammlung getroffene Entscheidung auch dem „wahren Willen“ der Gesellschaft entspricht, ob sich also, in Zurechnungskategorien gedacht und gesprochen, das Zurechnungssubjekt (= Gesellschafterversammlung) an den Zwecken und Interessen des Zurechnungsobjektes (= Gesellschaft)97 orientiert hat, kurz: ob der Beschluss mit dem Gesellschaftsinteresse vereinbar ist98. Positivrechtlich lässt sich diese Kontrollform in § 243 92 Beschlussschranken, deren Nichtbeachtung die Rechtsfolge der Anfechtbarkeit nach sich zieht, lassen sich nicht unter diese Anerkennungskontrolle fassen, denn der Beschluss ist hier im Ausgangspunkt (schwebend) wirksam und bleibt es auch, wenn niemand gegen ihn vorgeht, vgl. Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 243 Rn. 1. 93 Der vom Gesetz an erster Stelle genannten Alternative (Unvereinbarkeit mit Wesen der AG) kommt nach heute h. M. nur eine Auffangfunktion zu, weshalb ihre praktische Bedeutung gering ist, siehe Hüffer, AktG, § 241 Rn. 14 ff., insb. Rn. 21; T. Raiser, in: Ulmer, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 45 ff., jew. m.w. N. 94 Zöllner, Schranken, S. 287; näher oben § 3. 95 Baltzer, Beschluss, S. 17 ff.; Hüffer, AktG, § 133 Rn. 2; ders., in: FS 100 Jahre GmbHG, S. 521, 529; Mülbert, in: GroßKomm/AktG, Vor §§ 118–147 Rn. 19; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 15 I 1 b (S. 435). 96 Boese, Anwendungsgrenzen, S. 71 f., 84 ff. 97 Zur hier gebrauchten Begrifflichkeit Buck, Wissen, S. 108 ff., 114 ff. 98 Siehe oben § 6 D. II. 3., § 8 B. I. 2. b) bb), § 11 B. II. 2. c); vgl. Flume, Juristische Person, § 7 II 2 (S. 212); Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 321 ff., 338, 344, zusf. 358; Boese, Anwendungsgrenzen, S. 71 f., 84 ff.
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Abs. 1 Alt. 2 AktG beim Anfechtungsgrund der Satzungsverletzung verorten99, denn das Gesellschaftsinteresse leitet sich aus dem Gesellschaftszweck ab100, und dieser ist Satzungsbestandteil101. Die Überzeugungskraft einer körperschaftlichen Konzeption hängt somit maßgeblich von der Überzeugungskraft dieser Inhaltskontrolle anhand des Gesellschaftsinteresses ab. 3. Der Kontrollmaßstab: das Gesellschaftsinteresse
Einige wichtige Aspekte des terminologisch und dogmatisch vielschichtigen Problemkomplexes „Gesellschaftsinteresse“ 102 wurden oben bereits herausgearbeitet103. Sie sollen hier zu Beginn gleichwohl nochmals kurz skizziert werden, um die für die weitergehende Beurteilung notwenige Basis zu schaffen. a) Kontrollgrundlagen des Gesellschaftsinteresses Das Gesellschaftsinteresse leitet sich aus dem Gesellschaftszweck ab104; es ist die Kehrseite des Gesellschaftszwecks105. Der Gesellschaftszweck einer normtypischen Kapitalgesellschaft besteht wiederum in der Erzielung von Gewinnen106. Daraus folgt: Ein Beschluss liegt dann im Gesellschaftsinteresse, wenn er diesem Gewinnmaximierungsziel dient, wenn er – weiter heruntergebrochen – den Gegenwartswert der künftigen Erträge erhöht (sog. net cash flows)107.
99 Anders die h. M., siehe nur BGHZ 71, 40, 43 ff., insb. 49 (Kali & Salz); M. Winter, Treubindungen, S. 296. 100 Nachweise sogleich bei 3. a). 101 Siehe Ulmer, in: Ulmer, GmbHG, § 1 Rn. 9 m.w. N. 102 Vgl. (ausführlich) Zöllner, Schranken, S. 17 ff., 318 ff.; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 253 ff.; vgl. auch, insbesondere zur Einbettung des Gesellschaftsinteresses in die Grundsatzdiskussion um die Zielkonzeption des Aktienrechts, Hüffer, AktG, § 76 Rn. 12 ff. 103 Oben § 10 B. VI. 1. 104 Zöllner, Schranken, S. 23 f.; Mülbert, ZGR 1997, 129, 141; Schockenhoff, Gesellschaftsinteresse, S. 15, 16; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 254. 105 Zöllner, in: KölnKomm/AktG, § 243 Rn. 178; vgl. auch Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 217. 106 Zöllner, Schranken, S. 28; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 3 I 3 a (S. 155); Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 39; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 255; näher sowie zu umstrittenen Einzelfragen etwa Ulmer, in: Ulmer, GmbHG, § 1 Rn. 4 ff. 107 Siehe Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 256; vgl. auch Mülbert, ZGR 1997, 129, 158; Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 62 f.; tendenziell a. A. Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 27 ff., der den Maßstab des Gesellschaftsinteresses mit dem Kriterium der Vorhersehbarkeit konkretisiert wissen möchte.
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b) Kritik am Kontrollmaßstab „Gesellschaftsinteresse“ aa) Gegenständliches und inhaltliches Defizit Bereits bekannt108 sind das gegenständliche und das inhaltliche Defizit des Kontrollmaßstabes „Gesellschaftsinteresse“: Das gegenständliche Defizit besteht darin, dass das Gesellschaftsinteresse ob seiner Deduktionsbasis im bisherigen Gesellschaftszweck nur bei Beschlüssen mit einem Bezug zur gemeinsamen Zweckverfolgung (zweckgebundene Maßnahmen) eine Schutzwirkung zu entfalten vermag. Bei den unter dem Aspekt des Minderheitenschutzes besonders problematischen zweckändernden Beschlussgegenständen läuft es dagegen von vorneherein leer109. Das inhaltliche Defizit resultiert daraus, dass es sich beim Maßstab des Gesellschaftsinteresses mit seiner Verpflichtung auf das Gewinnmaximierungsziel der Gesellschaft um einen vermögensrechtlichen Maßstab handelt. Als ein solcher vermag er lediglich abzusichern, dass die Gesellschaft bzw. die Gesellschafter für die Abgabe von Vermögenswerten oder bei sonstigen Maßnahmen einen angemessenen Gegenwert bzw. hinreichende Vorteile anderer Art erhalten110. Für diesen Vermögensschutz aber hat das Gesetz bereits an zahlreichen Stellen gesorgt111. Mit einem weiteren vermögensrechtlichen Maßstab ist der Gesellschafterminderheit daher nicht viel geholfen. Deutlich tritt dies in dem Umstand zum Vorschein, dass etwa beim Bezugsrechtsausschluss einige Autoren der Bindung der Gesellschafterversammlung an das Gesellschaftsinteresse aufgrund der bereits vorhandenen vermögensschützenden Gesetzesnorm des § 255 Abs. 2 AktG keine oder allenfalls eine stark dezimierte Bedeutung beimessen112. bb) Ansatzimmanentes Kontrolldefizit Nicht nur aus der Perspektive der Minderheit, sondern auch aus der derjenigen der Gesellschaft bzw. der Gesellschaftermehrheit erweist sich der Kontrollansatz des Gesellschaftsinteresses als problematisch. Nochmals: Ein Beschluss steht dann mit dem Gesellschaftsinteresse in Einklang, wenn er dem Zweck der Gesellschaft, Gewinne zu erzielen, dient. Spitzt man dies weiter zu, lässt sich der judizielle Kontrollauftrag im Rahmen der materiellen Beschlusskontrolle folgendermaßen formulieren: Das Gericht hat zu prüfen, ob der von dem zentralen Le108
Oben § 10 B. VI. 1. Vgl. Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 321 ff., 345 ff., 353 ff., zusf. 356 ff. Nachweise zum zweckändernden Charakter der im Text genannten Beschlussgegenstände oben bei § 8 B. III. 2. b) aa) (Fn. 125–127). Zur besonderen Problematik zweckändernder Beschlussgegenstände oben II. 1. 110 Vgl. BGHSt 50, 331, 335 ff. (Mannesmann); Zöllner, Schranken, S. 331 ff.; näher unten bei § 14 B. II. 2. a) aa) (1) (a). 111 Oben § 10 sowie ausführlich unten § 14 B. II. 2. a) aa) (1). 112 Vgl. Ekkenga, AG 1994, 59, 65; Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 321 Fn. 725; anders aber Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 97 ff. 109
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gitimations- und Willensbildungsorgan eines privatrechtlichen Rechtssubjektes gefasste Beschluss dem Zweck und Interesse dieses privatrechtlichen Rechtssubjektes entspricht, indem er zu einer Gewinnmaximierung beitragen wird. Ein solcher Kontrollansatz ist in zweierlei Hinsicht verfehlt. Zum einen mutet er doch sehr paternalistisch und autonomiefeindlich an113; Röhricht sprach in ähnlichem Kontext gar von einer „Entmündigung der Hauptversammlung zugunsten der staatlichen Gerichtsbarkeit“ 114. Zum anderen ist es dem Richter auch gar nicht möglich, den Prüfungsauftrag, ob der Beschluss künftig das Vermögen der Gesellschaft mehren wird oder nicht, verlässlich zu erfüllen. Denn die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Maßnahme trägt wie jede unternehmerische Entscheidung Prognosecharakter115. Treffend bringt Reul dies auf den Punkt: „Da Richter also keine Möglichkeit haben, den wirklichen Nutzen [einer Maßnahme] ex ante auch nur halbwegs zuverlässig zu beurteilen, können sie höchstens raten, ob diese „im Interesse“ [der Gesellschaft] ist.“ 116 Der Maßstab des Gesellschaftsinteresses weist daher ein ansatzimmanentes Kontrolldefizit auf. Rechtsprechung und herrschende Lehre sehen dies – ausgesprochen oder nicht – im Grunde genommen genauso. Unterschiede sind jedoch in der normativen Reaktion auf das erkannte Defizit auszumachen. cc) Historisch-organschaftliche Lösung Eine erste normative Reaktion auf das Kontrolldefizit des Gesellschaftsinteresses, genau genommen: ein Ausweichen vor diesem Defizit, besteht im Rückgriff auf eine Theorie zur Erklärung organschaftlichen Handelns: der Organtheorie. Nach dieser ist die Tätigkeit der Organe der juristischen Person als Tätigkeit der juristischen Person selbst zu verstehen, organschaftliches Wollen und Handeln ist also nichts anderes als Wollen und Handeln der juristischen Person117. Macht man sich diesen Standpunkt zu eigen, kann man getrost eine objektiv-rechtliche Bindung der Gesellschafterversammlung an das Gesellschaftsinteresse behaupten. Denn diese Bindung bleibt auf der Basis der Organtheorie theoretisch. Handelt es sich bei der Gesellschafterversammlung um ein Organ der juristischen 113
Vgl. Schockenhoff, Gesellschaftsinteresse, S. 17 ff. Röhricht, ZGR 1999, 445, 471. 115 Siehe Schockenhoff, Bezugsrechtsausschluss, S. 16 f.; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 270. 116 Reul, Gleichbehandlung, S. 298; die Äußerung bezieht sich unmittelbar auf Konzernierungsmaßnahmen, lässt sich aber ohne weiteres im dargelegten Sinne verallgemeinern. 117 Primärquelle: v. Gierke, Das Wesen menschlicher Verbände (1902); ders., Genossenschaftstheorie, S. 603 ff.; aus der heutigen Literatur: Beuthien, in: FS Zöllner, Bd. I, S. 87, 92 ff.; Hadding, in: Soergel, BGB, § 26 Rn. 2; Hüffer, AktG, § 78 Rn. 3; vgl. weiter K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 10 I 2 (S. 250 ff.); Schürnbrand, Organschaft, S. 17 ff. 114
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Person, ist organschaftliches Wollen und Handeln aber stets als Wollen und Handeln der juristischen Person zu verstehen, so ist es nur folgerichtig anzunehmen, der Beschluss der Gesellschafterversammlung bringe gleichsam automatisch den wahren Willen der Gesellschaft zum Ausdruck, sei also immer und zwangsläufig mit dem Gesellschaftsinteresse vereinbar118. Diesen Weg hat das Reichsgericht insbesondere im berühmt-berüchtigten „Hibernia“-Urteil beschritten, als es von einem „im Gesetze zur Anerkennung gelangten Grundsatz“ sprach, dem zufolge „die Mehrheit des Aktienbesitzes über die Verwaltung der Gesellschaft und darüber entscheidet, was im Interesse der Gesellschaft und ihrer Aktionäre zu tun und zu lassen ist“ 119. Mit dieser Gleichsetzung von Mehrheitsbeschluss und Gesellschaftsinteresse hatte der Minderheitenschutz, so die heutige Einordnung, seinen historischen Tiefpunkt erreicht120. In der Folgezeit griff das Reichsgericht dann auf das Gebot der guten Sitten zurück, fragte in dessen normativem Rahmen nach Sondervorteilen der Gesellschaftermehrheit, subjektiven Elementen auf Seiten der Mehrheitsgesellschafter und Schädigungen der Gesellschafterminderheit121. Das Ausweichen vor der körperschaftlichen Bindung der Gesellschafterversammlung an das Gesellschaftsinteresse endete also in einem individualistischen Regelungskonzept der Beschlusskontrolle. dd) Modern-judizielle Lösung Rechtsprechung und herrschende Lehre gehen heute einen anderen Weg; der im Beschluss sichtbar gewordene Mehrheitswille wird nicht mehr mit dem Gesellschaftsinteresse identifiziert. Der Gesellschafterversammlung wird bei der Artikulation des Gesellschaftsinteresses aber ein der judiziellen Kontrolle entzogener unternehmerischer Beurteilungsspielraum eingeräumt und die gerichtliche Kontrolldichte auf diese Weise reduziert122. Überzeugen kann die moderne Reaktion auf das ansatzimmanente Kontrolldefizit des Gesellschaftsinteresses allerdings ebenfalls nicht. Bedenklich stimmt
118 Siehe Gesetzesbegr. Aktienrechtsnovelle 1884, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, 100 Jahre Aktienrecht, S. 464: Mehrheitsbeschluss als Wille der Gesellschaft. 119 RGZ 68, 235, 246; siehe auch RGZ 107, 67, 71; RGZ 107, 202, 204. 120 Roitzsch, Minderheitenschutz, S. 29. 121 Etwa RG JW 1916, 575, 576; RGZ 107, 72, 74 ff.; RGZ 112, 14, 15 ff.; RGZ 122, 159, 165 f.; RGZ 132, 149, 161 ff. (Victoria); vgl. A. Hueck, in: RG-Festgabe IV, S. 167 ff.; Flume, Juristische Person, § 7 II 2 (S. 211). 122 BGHZ 71, 40, 49 f. (Kali & Salz); OLG Stuttgart AG 1998, 529, 531; OLG Braunschweig AG 1999, 84, 86; Lutter, ZGR 1979, 401, 405, 414; Hüffer, AktG, § 186 Rn. 36; Peifer, in: MünchKomm/AktG, § 186 Rn. 73 (alle zur Sachkontrolle beim Bezugsrechtsausschluss); im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes grundsätzlich auch Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 270 ff.; generell für einen Beurteilungsspielraum auf Basis der business judgment rule Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 171–256.
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4. Teil: Eigene Konzeption
zunächst die damit einhergehende Überlappung der Prüfungsstationen123: Während es in einem ersten Schritt darum ging, die materiell-rechtlichen Voraussetzungen und Maßstäbe einer richterlichen Kontrolle festzulegen, hat man nun noch in einem weiteren Schritt die Voraussetzungen festzulegen, von denen die Anerkennung des Beurteilungsspielraums abhängt124. Diese Verdoppelung des Tatbestandes verkompliziert den Rechtsanwendungsvorgang und macht ihn undurchsichtiger. Entscheidend ist vorliegend aber Folgendes: Fragt man einmal, wann ein Beschluss trotz Anerkennung eines Beurteilungsspielraums hinsichtlich des Gesellschaftsinteresses insoweit der Anfechtung unterliegt, so bekommt man verschiedene Antworten: Einige wollen danach entscheiden, ob die Mehrheit Sondervorteile zu erlangen beabsichtigte125; andere stellen auf das Verbot missbräuchlicher Rechtsausübung ab126; speziell für das Sachgrunderfordernis, in dessen Rahmen die Existenz eines Beurteilungsspielraums ebenfalls anerkannt war127, hat man später die Auffassung geäußert, dass eine Angleichung an eine bloße Missbrauchskontrolle längst vollzogen sei128. All dies aber sind individualistische Kategorien, Begriffe und Formeln, die auf die einzelnen Gesellschafter abzielen, deren Stimmrechtsausübung in den Fokus rücken, nach den von ihnen verfolgten Zwecken fragen und in Form des Missbrauchsverbots ein auf die Gesellschafter abzielendes Unwerturteil zum normativen Kontrollauftrag erheben. Der körperschaftliche Kontrollansatz wird durch die Kategorie des Beurteilungsspielraums so zwar nicht de jure, wohl aber de facto durch ein individualistisches Kontrollregime ersetzt. Eine Parallele zum öffentlichen Recht, wo die Kategorie des Beurteilungsspielraums ihren Ursprung hat129, bestätigt dies: Ein rechtlicher Maßstab, hier: der unbestimmte Rechtsbegriff des Gesellschaftsinteresse, dort: der unbestimmte Rechtsbegriff in den jeweiligen Ermächtigungsnormen, kann aus Gründen der begrenzten richterlichen Erkenntnisfähigkeit sowie des Schutzes des jeweiligen Entscheidungsträgers nicht voll überprüft werden. Der Schutz der jeweiligen Personengruppe, hier: der Gesellschafterminderheit, dort: des grund123
Siehe Bachmann, ZHR 171 (2007), 747, 750. Vgl. Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 57 ff., 232 ff., 277. Das Problem stellt sich freilich nicht, wenn man die Zuschreibung eines Beurteilungsspielraums von keinen weiteren Voraussetzungen abhängig macht, so wohl die h. M., vgl. BGHZ 71, 40, 49 f. (Kali & Salz); OLG Stuttgart AG 1998, 529, 531; OLG Braunschweig AG 1999, 84, 86; Hüffer, AktG, § 186 Rn. 36; Peifer, in: MünchKomm/AktG, § 186 Rn. 73; dies dürfte allerdings kaum richtig sein, siehe Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 271 ff. 125 Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 277 (zum Gleichbehandlungsgrundsatz). 126 Dreher, ZHR 158 (1994), 614, 629 (zum Ermessen des Aufsichtsrats). 127 Siehe die Nachweise in Fn. 122. 128 Cahn, ZHR 163 (1999), 554, 581; siehe auch Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 22; ders., NZG 2010, 58, 59; Schockenhoff, Gesellschaftsinteresse, S. 21; vgl. aber auch Liebert, Bezugsrechtsausschluss, S. 108. 129 Vgl. Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Verwaltungsrecht, Bd. I, § 10 G III 3 (S. 743 ff.). 124
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rechtsbetroffenen Bürgers, wird anstelle einer Auslegung und Subsumtion unter den rechtlichen Maßstab durch ein nach gänzlich anderen Regeln funktionierendes Kontrollregime ersetzt. Dieses andere Kontrollregime ist im Verwaltungsrecht die Beurteilungsfehlerlehre; die verwaltungsbehördliche Entscheidung kann dann keinen Bestand haben, wenn allgemein gültige Bewertungsmaßstäbe nicht angewandt oder sachfremde Erwägungen angestellt wurden130. Im Kapitalgesellschaftsrecht ist dieses andere Kontrollregime eine individualistische Konzeption, welche die Gesellschafter und deren Stimmrechtsausübung in den Mittelpunkt rückt. Die Kategorie des Beurteilungsspielraums ist demnach keine körperschaftliche Lösung für das ansatzimmanente Kontrolldefizit des Maßstabs des Gesellschaftsinteresses. Es ist vielmehr eine in ein individualistisches Regelungsregime führende Kategorie und zugleich Anzeichen dafür, dass der materiell-rechtliche Maßstab, auf den der Beurteilungsspielraum bezogen ist, das Gesellschaftsinteresse, nicht zutreffend ausgewählt ist. Dies leitet über zu einem weiteren Kritikpunkt an der Bindung der Gesellschafterversammlung an das Gesellschaftsinteresse. ee) Organisationales Defizit des Gesellschaftsinteresses Der zentrale Einwand gegen die von einem körperschaftlichen Ansatz betonte Bindung der Gesellschafterversammlung an das Gesellschaftsinteresse zielt auf die damit verbundene Gleichsetzung mit der Rechtsbindung des Geschäftsführungs- (Vorstand, Geschäftsführung) und Aufsichtsorgans (Aufsichtsrat) der Gesellschaft. Für diese ist die Bindung an das Gesellschaftsinteresse einhellig anerkannt (vgl. auch § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG: „zum Wohle der Gesellschaft“)131. Für die Gesellschafterversammlung kann sie daher nicht richtig sein: für die Gesellschafterversammlung müssen andere, nämlich geringere Rechtsbindungen bestehen als für die anderen Organe der Gesellschaft132. Die Mitglieder des Geschäftsführungs- und Aufsichtsorgans üben ein fremdnütziges Amt aus, sind Treuhänder fremden Vermögens oder, wie sich der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs auszudrücken pflegte, „Gutsverwalter“ 133. Die
130 Vgl. BVerwGE 8, 272, 274; BVerwGE 61, 175, 185; Mauer, Verwaltungsrecht, § 7 III 3 d (S. 160 f.). 131 Für die AG: Hopt, in: GroßKomm/AktG, § 93 Rn. 72 ff. (Vorstand); Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rn. 21 (Aufsichtsrat); für die GmbH: Kleindiek, in: Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, § 43 Rn. 10 ff. insb. Rn. 24 (Geschäftsführer); Lutter, in: Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, § 52 Rn. 66 (Aufsichtsrat); aus der Rechtsprechung insbesondere BGHZ 135, 244 (ARAG/Garmenbeck). Zur zweifelhaften Einschränkung dieser Pflichtenbindung durch ein „Unternehmensinteresse“ Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 21 ff. 132 Vgl. auch Fleischer, WM 2003, 1045, 1048. 133 Mündliche Urteilsbegründung zu BGHSt 50, 331 (Mannesmann), vgl. FAZ Nr. 299 vom 23.12.2005; siehe auch BGHSt 50, 331, 338 f. (Mannesmann).
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4. Teil: Eigene Konzeption
Bindung an das Gesellschaftsinteresse als eine Bindung an die Interessen der Gesellschaft als eines fremden Rechtssubjektes geht damit in eleganter Weise konform. Die Mitglieder der Gesellschafterversammlung dagegen üben kein fremdnütziges Amt aus. Sie sind nicht Treuhänder fremden Vermögens, sondern entscheiden als „Gutsherren“ 134 in der Gesellschafterversammlung über die Verwendung ihres eigenen Vermögens135. Die fremdbezogene Kategorie des Gesellschaftsinteresses passt da sehr viel weniger. Hinzu treten legitimatorische Gründe: Die Mitglieder des Geschäftsführungs- und Aufsichtsorgans erhalten ihre Berechtigung, für die Gesellschaft tätig zu werden, durch einen unmittelbaren bzw. mittelbaren rechtsgeschäftlichen Akt der Gesellschafterversammlung; sie sind Empfänger fremder Legitimation136. Die Mitglieder der Gesellschafterversammlung sind dagegen nicht Empfänger fremder Legitimation, sondern Stifter eigener Legitimation. Was Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG für die demokratische Stellung des Volkes festschreibt, gilt in ähnlicher Weise für die legitimatorische Stellung der Gesellschafter als der Financiers der Gesellschaft: Alle Legitimation geht von den Mitgliedern aus137. Dieser unterschiedlichen legitimatorischen Basis wird nicht gerecht, wer Geschäftsführungs-/Aufsichtsorgan einerseits sowie Gesellschafterversammlung andererseits an den gleichen materiell-rechtlichen Maßstab, das Gesellschaftsinteresse, bindet. Offenbar werden die Unterschiede zwischen der Gesellschafterversammlung und dem Leitungs- sowie Überwachungsorgan der Gesellschaft, wenn man einstimmig gefasste Beschlüsse in den Blick nimmt. Die Zustimmung sämtlicher Mitglieder des Geschäftsführungs- bzw. Aufsichtsorgans zu einem Beschluss dispensiert nicht von der Bindung an Gesellschaftsinteresse. Ein einstimmig gefasster Beschluss der Gesellschafterversammlung dagegen kann nicht unter Berufung auf seine Unvereinbarkeit mit dem Gesellschaftsinteresse zu Fall gebracht werden. Ist das Gesellschaftsinteresse nichts anderes als das Interesse der Gesamtheit der Gesellschafter138, kann ein Beschluss, dem alle Gesellschafter zugestimmt haben, das Verdikt der Gesellschaftsinteressenwidrigkeit nicht tragen139.
134 Mündliche Urteilsbegründung zu BGHSt 50, 331 (Mannesmann), vgl. FAZ Nr. 299 vom 23.12.2005. 135 Vgl. BGHSt 50, 331, 338 f. (Mannesmann); vgl. auch Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 II 3 b (S. 434), der auf die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen dem Eigentümer und dem Amtsträger hinweist, diese aber für den herrschenden Gesellschafter je nach Angelegenheit differenzieren möchte, welche Rolle maßgeblich ist; dagegen spricht, dass (auch der herrschende) Gesellschafter durchweg Gesellschafter und Eigentümer ist. 136 Siehe K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 16 I 1 (S. 450). 137 Siehe erneut K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 16 I 1 (S. 450). 138 Siehe Zöllner, Schranken, S. 19 ff.; Wiedemann, in: GroßKomm/AktG, § 186 Rn. 139. 139 Siehe Hüffer, AktG, § 186 Rn. 26; Stamatopoulos, Genehmigtes Kapital, S. 35; Zöllner, AG 2000, 145, 154 (jeweils zur Sachkontrolle beim Bezugsrechtsausschluss).
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Die Definitionshoheit bezüglich des Gesellschaftsinteresses liegt also bei den Gesellschaftern. Einen teleologisch-funktionalen Sinn kann die Bindung der Gesellschafterversammlung an das Gesellschaftsinteresse daher nur bei nicht einstimmig gefassten Beschlüssen ergeben. In diese Richtung wurde denn auch in der Literatur argumentiert: Die Bindung der Gesellschafterversammlung an das Gesellschaftsinteresse komme bei Mehrheitsbeschlüssen zum Tragen und diszipliniere dort die Mehrheit zum Schutze der Minderheit auf die Verfolgung des gemeinsamen Zweckes, ergo des Gesellschaftsinteresses140. Auch dieses Argument vermag es aber nicht zu rechtfertigen, die Gesellschafterversammlung einer objektiv-rechtlichen Bindung an das Gesellschaftsinteresse zu unterwerfen. Es macht sich insoweit nämlich ein weiteres Defizit des Maßstabs des Gesellschaftsinteresses bemerkbar, seine fehlende Flexibilität: Stimmen alle Gesellschafter dem Beschluss zu, ist der Beschluss allein deshalb als mit dem Gesellschaftsinteresse vereinbar anzusehen. Sobald aber auch nur ein Gesellschafter dem Beschluss seine Zustimmung verweigert, kommt die volle Bindung an das Gesellschaftsinteresse zum Tragen. Der für die Intensität der judiziellen Beschlusskontrolle wichtige Umstand, dass und wie viele Gesellschafter dem Beschluss zugestimmt und damit eine vom Recht zu respektierende Interessenbewertung getroffen haben141, lässt sich dabei nicht hinreichend berücksichtigen. c) Funktionale Rechtfertigung des Gesellschaftsinteresses Trotz der aufgezeigten Defizite des Gesellschaftsinteresses hält sich dieses in der Diskussion um eine materielle Beschlusskontrolle hartnäckig. Dies wirft die Frage nach den dafür ausschlaggebenden Gründen auf – oder etwas anders gewendet: Lässt sich für ein Festhalten am Gesellschaftsinteresse ein rechtfertigender funktionaler Grund ausmachen? aa) Legitimations- und Klarstellungsfunktion des Gesellschaftsinteresses Im „Kali & Salz“-Urteil hat der Bundesgerichtshof der Bindung an das Gesellschaftsinteresse einen bedeutenden Stellenwert beigemessen – gleich zu Beginn hebt er diese Bindung hervor, entwickelt von ihr aus die weiteren Elemente der richterlichen Beschlusskontrolle142. Bei der konkreten Anwendung des entwickelten Maßstabs beschränkt sich der Bundesgerichtshof dann aber weitestgehend auf die Feststellung, dass die Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss einer nicht anders abwendbaren Liquiditätskrise diente143. Ähnliches lässt sich in 140 141 142 143
Zöllner, Schranken, S. 144; M. Weber, Treubindungen, S. 143 f. Vgl. Bachmann, Private Ordnung, S. 199; näher noch unten § 14 C. I. 1. c). BGHZ 71, 40, 44; ausführlich oben § 5 A. II. 1. BGHZ 71, 40, 44, 46 ff.; ausführlich oben § 5 A. II. 2.
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4. Teil: Eigene Konzeption
der Entscheidung BGHZ 125, 239 (Deutsche Bank) beobachten. Auch dort operiert der Bundesgerichtshof mit dem Sachgrunderfordernis und damit dem Gesellschaftsinteresse als maßgeblichem Kontrollmaßstab144. Bei der Subsumtion unter diesen Maßstab hat es allerdings mit einer recht großzügigen Prüfung sein Bewenden, bei der letztlich darauf abgestellt wird, dass es sich bei der Platzierung von Aktien auf einem ausländischen Kapitalmarkt um ein gesellschaftslegitimes Ziel handelte145. Weitere Beispiele aus der obergerichtlichen Rechtsprechung ließen sich für diese Vorgehensweise anführen146. Aus dem Gesagten kann hinsichtlich der funktionalen Rechtfertigung des Maßstabs des Gesellschaftsinteresses zweierlei geschlossen werden. Erstens: Das Gesellschaftsinteresse dient in der praktischen Rechtsanwendung offenbar weniger als materiell-rechtlicher Kontrollmaßstab, sondern vielmehr als Legitimationsgrundlage der richterlichen Beschlusskontrolle. Nicht eine Überprüfung des Beschlusses auf seine Konformität mit dem Gesellschaftsinteresse steht im Mittelpunkt, die Funktion des Gesellschaftsinteresses besteht vielmehr darin, der richterlichen Beschlussinhaltskontrolle ein dogmatisches Legitimationsgerüst zu verleihen147. Ein Festhalten am Gesellschaftsinteresse vermag dies aber nicht zu rechtfertigen. Denn die Legitimationsfunktion wird inzwischen – anders noch als zu „Kali & Salz“-Zeiten – von der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht übernommen148. Zweitens: Wie gesehen, beschränkt sich die sub titulo „Gesellschaftsinteresse“ erfolgende richterliche Beschlusskontrolle häufig darauf, ob der von der Gesellschafterversammlung bzw. der Gesellschaftermehrheit verfolgte Zweck legitim ist149. Diese richterliche Legitimitätsprüfung hinsichtlich des verfolgten Zweckes wird wohl deshalb in die Formel „Gesellschaftsinteresse“ gekleidet, um nicht den fälschlichen Eindruck zu erwecken, die Mehrheit könne im Beschluss ihre eigensüchtigen Ziele verfolgen150. Dem Gesellschaftsinteresse
144
BGHZ 125, 239, 241. Vgl. BGHZ 125, 239, 241. 146 Vgl. OLG Stuttgart AG 1998, 529, 531; OLG Braunschweig AG 1999, 84, 86. 147 Vgl. auch Schockenhoff, Gesellschaftsinteresse, S. 15: „Mit der Anerkennung der Formel vom Gesellschaftsinteresse ist ein wichtiger Schritt im Minderheitenschutz zurückgelegt. Auf ihrer Grundlage kann das Verhalten der Mehrheit (. . .) kontrolliert werden.“ 148 Zur umfassenden Anerkennung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht oben § 4 B. IV.; zur Legitimationsfunktion der Treuepflicht Wiedemann, in: GroßKomm/AktG, § 179 Rn. 173. 149 Vgl. aus der Rechtsprechung die Nachweise in Fn. 142–146; siehe auch Servatius, in: Spindler/Stilz, AktG, § 186 Rn. 43 („am Gesellschaftszweck zu messendes sinnvolles unternehmerisches Konzept“) sowie Wiedemann, in: GroßKomm/AktG, § 186 Rn. 139 („mit dem Gesellschaftszweck vereinbare Ziele [müssen] verfolgt werden“). 150 Vgl. Hüffer, AktG, § 186 Rn. 26; Peifer, in: MünchKomm/AktG, § 186 Rn. 75; Wiedemann, in: GroßKomm/AktG, § 186 Rn. 139; vgl. zum Ganzen auch Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 278 ff. 145
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scheint also keine Maßstabs-, sondern lediglich eine Klarstellungsfunktion zuzukommen. Auch insoweit erweist sich das „Gesellschaftsinteresse“ dann aber als unnötig. Denn auch im Rahmen der Zweck-Legitimitätsprüfung kann man verlautbaren, dass von der Gesellschaftermehrheit keine eigensüchtigen Ziele verfolgt werden dürfen, nämlich einfach dadurch, dass man solche Ziele als „nicht legitim“ einstuft151. bb) Steuerungsfunktion des Gesellschaftsinteresses (standard of conduct) Der Schlüssel zum Verständnis des Gesellschaftsinteresses und seiner Bedeutung für das Kapitalgesellschaftsrecht dürfte aber in der aus dem US-amerikanischen Recht stammenden Unterscheidung zwischen Sorgfaltsmaßstäben (standards of conduct) und Prüfungsmaßstäben (standards of review) liegen: Erstere richten sich an die Normunterworfenen, verpflichten diese dabei auf die Einhaltung gewisser normativer Standards und entfalten auf diese Weise vor allem eine ermahnende und verhaltenssteuernde Wirkung. Letztere dagegen adressieren die Gerichte, indem sie diesen für ihre Kontrolltätigkeit den materiell-rechtlichen Maßstab liefern152. Für das deutsche Recht wurde diese Zweiteilung von Fleischer für das Vorstandsrecht, genauer: die dogmatische Einordnung der gesetzlichen Kodifikation der business judgment rule (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG), fruchtbar gemacht153. Für das Vorstandsrecht kann man den Sorgfaltsmaßstab von dem Prüfungsmaßstab dabei deshalb entkoppeln, weil es häufig allein auf den standard of conduct und die von ihm ausgehende Steuerungsfunktion ankommt, nicht dagegen auf den standard of review. Denn direkte Klagemöglichkeiten gegen das Handeln des Vorstandes gibt es kaum154. Und auch tatsächliche Haftpflichtprozesse, in denen Richter dazu gehalten wären, das Verhalten des Vorstands auf seine Vereinbarkeit mit dem Gesellschaftsinteresse zu überprüfen, sind nach wie vor eher selten155. Bei der Kontrolle von Beschlüssen der Gesellschafterversammlung verhält es sich dagegen anders: Das Instrument der Anfechtungsklage, die von jedem Gesellschafter erhoben werden kann, hat hier zur Folge, dass Beschlüsse der Gesellschafterversammlung in vielen Fällen auch tatsächlich auf den
151
Vgl. unten § 13 B. II. Bentham, A Fragment on Government and an Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 430; Dan-Cohen, Decision Rules and Conduct Rules: On Accoustic Separation in Criminal Law, 97 Harv. L. Rev. 625 (1984); für das Gesellschaftsrecht dann Eisenberg, The Divergence of Standard of Conduct and Standard of Review in Corporate Law, 62 Fordham L. Rev. 437, 465 (1993). 153 Fleischer, ZIP 2004, 685, 689 f.; ders., in: Fleischer, HdB/VorstandsR, § 7 Rn. 50. 154 Vgl. Wilhelm, Kapitalgesellschaftsrecht, S. 338 ff. 155 Vgl. Spindler, in: MünchKomm/AktG, § 93 Rn. 2 ff. 152
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4. Teil: Eigene Konzeption
gerichtlichen Prüfstand gehoben werden. Jeder Sorgfaltsmaßstab, den man der Gesellschafterversammlung auferlegt, wird auf diese Weise zugleich zum Prüfungsmaßstab. Die Folge: Standard of conduct und standard of review lassen sich hier nicht entkoppeln. Rechtsbindungen für die Gesellschafterversammlung müssen sich stets sowohl als standard of conduct als auch als standard of review bewähren. Als Prüfungsmaßstab aber ist das Gesellschaftsinteresse aus den herausgearbeiteten Gründen ungeeignet. Als ein solcher eignet sich das Gesellschaftsinteresse lediglich in seiner negativen Ausprägung, in der es auch häufig zu verstanden werden scheint, nämlich als ein an die Gesellschafter adressiertes Verbot, auf Kosten der Gesellschaft oder der Mitgesellschafter Sondervorteile zu verfolgen156. Bei diesem Sondervorteilsverbot aber handelt es sich um eine individualistische Rechtsnorm (vgl. § 243 Abs. 2 AktG)157. Auch insoweit mündet daher ein körperschaftlicher Kontrollansatz mit der Bindung an das Gesellschaftsinteresse im normativen Zentrum letztlich in eine individualistische Kontrollkonzeption. Einer solchen gebührt nach alledem der Vorzug.
B. Individualistische Konzeption Die Konzeption, die es im Folgenden zu entwickeln und auszuformen gilt, wird eine individualistische sein. Auch eine solche Konzeption sieht sich Einwänden ausgesetzt158 und hat Schwierigkeiten zu bewältigen, insbesondere das Problem, die eröffnete Gesellschaftervielfalt wieder sachgerecht einzugrenzen und mit dem Gebot der Rechtssicherheit in Einklang zu bringen. Darauf wird an gegebener Stelle einzugehen sein159. An dieser Stelle seien zunächst nur die wichtigsten Parameter einer individualistischen Konzeption genannt: (1) Ihre positiv-gesetzliche Anbindungsnorm findet eine individualistische Konzeption – wie sogleich näher zu entfalten sein wird – in § 243 Abs. 2 AktG160, (2) ihre dogmatische Rechtsgrundlage in der zwischen den Gesellschaftern161 bestehen156 Vgl. Stamatopoulos, Genehmigtes Kapital, S. 40; Zöllner, Schranken, S. 335 („negative Bindung“). 157 Näher oben A. II. 3. 158 Siehe insbesondere Flume, Juristische Person, § 7 II 2 (S. 210 ff.). 159 Siehe unten bei § 14 B. IV. 2., § 14 C. I. 1. a) cc) (3) (a). 160 Unten § 13 B. III. 2. a). 161 Auf Basis des individualistischen Ansatzes kann nur die Treuepflicht zwischen den Gesellschaftern nicht dagegen die im Verhältnis Gesellschafter – Gesellschaft zur Geltung kommen. Häufig wird dagegen vorrangig auf Letztere zurückgegriffen, gar ein Vorrang dieser Treubindung behauptet, um auf diese Weise der Gesellschaft selbst die Aktiv- und Passivlegitimation bei Schadensersatz- und Unterlassungsansprüchen zuzuweisen, siehe Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 255; M. Winter, Treubindungen, S. 85 ff. Doch fokussiert man dabei maßgeblich auf Entscheidungen in Geschäftsführungsangelegenheiten und nicht auf die hier im Fokus des Interesses stehenden Satzungs- und Strukturänderungsbeschlüsse, vgl. M. Winter, Treubindungen, S. 85 ff.
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den Treuepflicht162. (3) Den maßgeblichen Interessenkonflikt verortet eine individualistische Konzeption denn auch im Verhältnis der Gesellschafter untereinander. Gerade bei den hier im Fokus stehenden Satzungs- und mehr noch: Strukturänderungsbeschlüssen, bei denen häufig keine rechtlich geschützten Interessen der Gesellschaft auf dem Spiel stehen, erscheint diese Konfliktsbetrachtung zutreffend163. Für große börsennotierte Publikumsgesellschaften mag zwar zunächst eine Konfliktverortung im Verhältnis der Verwaltung zu den Aktionären naheliegen164. Doch gilt auch für diese, dass die Legitimation allein von den Mitgliedern ausgeht165. Stellt man dabei auf den konkret gefassten Mehrheitsbeschluss ab166, lässt sich auch hier ein Konflikt zwischen den Gesellschaftern gut behaupten167, nämlich ein Konflikt zwischen den Gesellschaftern, die dem Beschluss zugestimmt und damit ihr Veränderungsinteresse bekundet haben, und denjenigen Gesellschaftern, die dem Beschluss ihre Zustimmung verweigert und dadurch ihr Bewahrungsinteresse verlautbart haben. (4) Eine individualistische Konzeption richtet den normativen Blick bei der Ermittlung des Aufgreifkriteriums der Beschlusskontrolle auf die Gesellschafter, also entweder auf die Gesellschaftermehrheit oder die Gesellschafterminderheit168. (5) Auch die Kontrollmaßstäbe bzw. Kontrollansätze müssen in einer individualistischen Konzeption anders lauten169. (6) Eine individualistische Konzeption stellt schließlich, was den Kontrollgegenstand anbelangt, auf die Stimmrechtsausübung durch die Gesellschafter ab170. Angesprochen ist damit das nächste Thema, mit dem wir uns zu beschäftigen haben, die privatrechtliche Kontrolldogmatik. Erste Erscheinungsformen der individualistischen Konzeption der Beschlusskontrolle171 werden dabei sichtbar werden.
162 Zur umfassenden Anerkennung der Treuepflicht siehe die Nachweise oben bei § 4 B. IV.; zu den (umstrittenen) Grundlagen der Treuepflicht unten bei § 14 A. I. sowie § 14 C. I. 1. a) cc). 163 Siehe M. Winter, Treubindungen, S. 94, 130 ff. m.w. N. 164 Vgl. Hopt, ZHR 175 (2011), 444, 449. 165 Siehe K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 16 I 1 (S. 450). 166 Siehe unten bei § 14 C. I. 1. c). 167 So auch Wandrey, Beschlusskontrolle, S. 33 f. 168 Vgl. unten § 13 B. I., II., III. 169 Vgl. unten § 13 B. 170 Siehe oben § 6 D. II. 3.; vgl. nochmals: Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privaten Personenverbänden (1963). 171 Trotz des individualistischen, auf das Stimmrecht abstellenden Ansatzes wird im Folgenden am Begriff der „Beschlusskontrolle“ festgehalten. Zum einen hat sich dieser Begriff eingebürgert. Zum anderen ist er dogmatisch auch nicht falsch, denn im Rahmen des Anfechtungsprozesses steht aufgrund dessen prozessual-körperschaftlichen Rahmens auch der Beschluss auf dem Prüfstand. Dies ändert freilich nichts daran, dass materiell-rechtlich und tatbestandlich die Stimmrechtsausübung einer Kontrolle unterzogen wird.
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4. Teil: Eigene Konzeption
§ 13 Privatrechtliche Kontrolldogmatik A. Privatrechtsdogmatische Konzeption I. Regelungsansatz Mit der Entscheidung für einen individualistischen Ansatz sind in privatrechtsdogmatischer Hinsicht die Würfel gefallen. Denn wie gesehen, knüpft ein individualistischer Ansatz gedanklich172 an die Stimmrechtsausübung durch die die Gesellschaftermehrheit konstituierenden Gesellschafter an. In eben dieser Stimmrechtsausübung sieht der heteronome Regelungsansatz der Privatrechtsdogmatik den Ausdruck der mehrheitlichen Gestaltungsbefugnis und damit den rechtsgeschäftlichen Grund der Fremdbestimmung, der sich der Minderheitsgesellschafter ausgesetzt sieht173. Die folglich mit der Entscheidung für eine individualistische Konzeption einhergehende Befürwortung eines heteronomen Regelungsansatzes, der Stimmrechtsschranken ganz zivilistisch „von unten“ her konzipiert, deckt sich mit dem bisherigen Untersuchungsverlauf, haben wir doch dem autonomen Regelungsansatz mangels einer überzeugenden Autonomiegrundlage eine Absage erteilt174 II. Regelungsinstrument 1. Erstes Regelungsinstrument: Gestaltungsgrund
Dem heteronomen Regelungsansatz stehen zur rechtlichen Begrenzung der mehrheitlichen Gestaltungsbefugnis bzw. zum Schutz des Gestaltungsunterworfe172 Es geht im Folgenden also zuvörderst darum, wie man sich bestimmte Abläufe gedanklich vorstellt; da diese Abläufe (Stimmrechtsausübung, Beschluss etc.) bei einem konkret gefassten Mehrheitsbeschluss unstreitig gegeben sind (vgl. Zöllner, Schranken, S. 367) und so Grundlage für verschiedene gedankliche Vorstellungen (Heteronomie, Autonomie etc.) sein können, sollen hiermit in Zusammenhang stehende schwierige dogmatische und auch selten erörterte Fragen wie die dogmatische Einordnung des Stimmrechts, das Zusammenwirken der verschiedenen Stimmrechtsbefugnisse der Gesellschafter, die Konstruktion der Verbindlichkeit der Mehrheitsentscheidung oder das exakte Verhältnis von Stimmrecht und Beschluss vernachlässigt werden; diese Fragen spielen letzten Endes für die zu treffenden konzeptionellen Entscheidungen und die Entwicklung materieller Erfordernisse keine entscheidende Rolle; siehe insoweit auch noch Fn. 1223; vgl. zu den vorstehend skizzierten Fragen aber immerhin Zöllner, Schranken, S. 9 ff., 93 ff. (mit Fn. 2 u. 7) sowie Bötticher, Gestaltungsrecht, S. 27 ff. 173 Vgl. insbesondere Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privaten Personenverbänden (1963); ders., AG 2000, 145, 153 ff.; vgl. weiter auch Martens, Mehrheitsherrschaft, S. 108 ff.; Hofmann, Minderheitenschutz, S. 109 ff., insb. 113; ders., in: FS Hopt, Bd. 1, S. 833, 836 ff., 839 f.; vgl. auch Hanau, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke privater Gestaltungsmacht (2004); grundlegend zum Ganzen Bötticher, Gestaltungsrecht und Unterwerfung im Privatrecht (1964); siehe zum heteronomen Regelungsansatz bereits oben § 6 I. II. 174 Vgl. oben § 11 B. VI.
§ 13 Privatrechtliche Kontrolldogmatik
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nen zwei Instrumente zur Verfügung175: Die erste Möglichkeit besteht darin, die Gestaltungsbefugnis an einen bestimmen Gestaltungsgrund zu binden. So verfährt etwa das Zivil- und Arbeitsrecht, wenn die Anfechtung nur bei ganz bestimmten Gründen (§§ 119, 123 BGB), der Rücktritt nur beim Vorliegen eines Rücktrittsgrundes (§ 323 BGB), die Kündigung nur im Falle eines wichtigen Grundes (§ 626 BGB) bzw. sozialer Rechtfertigung (§ 1 KSchG) zugelassen werden176. Die kapitalgesellschaftsrechtliche Variante bestünde darin, das Stimmrecht dadurch an einen Gestaltungsgrund zu binden, dass man der jeweiligen Kompetenznorm das materielle Erfordernis eines sachlichen Grundes einfügt177. Dieser Weg wurde bekanntlich mit dem Sachgrunderfordernis beschritten178. Er war aber, wie gesehen, nicht von Erfolg gekrönt – und dies zu Recht. Denn im Gegensatz zum Bürgerlichen Gesetzbuch oder dem Kündigungsschutzgesetz verlangt das Aktien-, GmbH- und Umwandlungsgesetz gerade nicht das Vorliegen eines Gestaltungsgrundes. Der Gesellschafterversammlung bzw. Gesellschaftermehrheit wird vielmehr in zahlreichen Normen eine an keine Sachgründe gebundene Kompetenz eingeräumt (vgl. § 186 Abs. 3 AktG, § 53 Abs. 3 GmbHG, § 65 Abs. 1 UmwG)179. Mit der Gesetzesbindung Ernst zu machen und die richtigen Lehren aus dem Scheitern des Sachgrunderfordernisses zu ziehen, bedeutet daher, der Gestaltungsgrund-Option zu entsagen. Zum Zuge kommen kann und muss daher das zweite heteronome Regelungsinstrument, die Ausübungskontrolle. 2. Zweites Regelungsinstrument: Ausübungskontrolle
Die Ausübungskontrolle stellt die jeweilige vertragliche oder gesetzliche Kompetenznorm nicht in Frage, sondern unterzieht die Ausübung des Gestaltungsrechts im konkreten Fall einer richterlichen Kontrolle180. Gefragt wird, ob der konkrete Gebrauch eines bestehenden Rechts (Gestaltungsrecht, Stimmrecht) von diesem gedeckt ist, insbesondere nicht gegen Pflichten innerhalb einer bestehenden Sonderverbindung verstößt181. Als positivrechtliche Grundlage bedarf die Ausübungskontrolle daher einer Norm mit Schrankenfunktion. Diese Norm war früher § 826 BGB182, wurde dann in der weiteren Rechtsentwicklung § 242 175
Vgl. Bötticher, Gestaltungsrecht, S. 3 sowie bereits oben § 9 B. IX. 2. Näher mit Nachweisen oben § 9 B. IX. 2. a). 177 Auch wegen dieser rechtstechnischen Ausgestaltung der Gestaltungsgrund-Option kann die genaue rechtsdogmatische Einordnung der mehrheitlichen Stimmrechtsausübung bzw. des Stimmrechts vernachlässigt werden; vgl. hierzu bereits obige Fn. 172. 178 Siehe etwa oben § 6 G. III. 179 Siehe bereits oben § 9 B. IX. 2. a). 180 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 24 f.; Pfeifer, Inhaltskontrolle, S. 92 f. 181 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 24 f. 182 Die Norm ist nämlich nicht nur Anspruchsgrundlage für Schadensersatzansprüche, sondern verpflichtet auch präventiv zum Unterlassen sittenwidriger Schädigungen, siehe Wolf/Neuner, AT, § 20 IV 3 b (S. 232). 176
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BGB und ist heute die hier als Rechtsgrundlage der Beschlusskontrolle befürwortete gesellschaftsrechtliche Treuepflicht in ihrer horizontalen Wirkweise183. Da die Ausübungskontrolle die Kompetenz bzw. das Recht als solches nicht in Zweifel zieht, sondern lediglich deren/dessen Ausübung unter den besonderen Umständen des Einzelfalls, beschränkt sich die Ausübungskontrolle traditionellerweise auf eine bloße Rechtsmissbrauchskontrolle184. Die Ausübungskontrolle wird daher auch dem allgemeinen zivilrechtlichen Institut des Rechtsmissbrauchsverbotes bzw. dem Verbot der unzulässigen Rechtsausübung zugeordnet185. Diese Institute finden ihre Grundlage nach herrschender Meinung im Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB)186, werden aber im gesellschaftsrechtlichen Rahmen nach ebenfalls überwiegender und zutreffender Auffassung von der Treuepflichtbindung mit umfasst187. Keinem besonderen Begründungszwang unterliegt man daher, wenn man die Stimmrechtsausübung einer treuepflichtgestützten Missbrauchskontrolle unterzieht. Um der Missbrauchskontrolle schärfere Konturen zu verleihen, ist die allgemeine Definition des Rechtsmissbrauchs heranzuziehen. Von einem Rechtsmissbrauch wird dann ausgegangen, wenn ein bestimmtes Mittel, hier: der Mehrheitsbeschluss, zu einem rechtlich missbilligten Zweck eingesetzt wird oder die Art und Weise des Mitteleinsatzes missbilligt wird188. Es sind hiernach zwei Elemente, die den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs begründen können: die Missbilligung des verfolgten Zweckes oder die Missbilligung des an den Tag gelegten Verhaltens. Demnach lassen sich eine treuepflichtgestützte Zweck- sowie eine treuepflichtgestützte Verhaltenskontrolle ausmachen. Die herrschende Meinung spricht hier zwar allgemeiner von einer treuepflichtgestützten Missbrauchskontrolle und stellt dieser das Sachgrunderfordernis gegenüber189. Doch kommt dabei der entscheidende Aspekt, nämlich das jeweilige Aufgreifkriterium für die richterliche Kontrolle, nicht hinreichend klar zum Ausdruck. Der im Schrifttum mitunter beklagte „Wust von verschiedenen Kontrollmaßstäben“ 190 bei der materiellen Beschlusskontrolle dürfte auch hiermit zu tun haben. Unterscheidet man
183 Vgl. zur Entwicklung A. Hueck, Der Treugedanke im modernen Privatrecht (1947); M. Weber, Treubindungen, S. 26–51 sowie bereits mit Nachweisen oben § 4 B. 184 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 25; Pfeifer, Inhaltskontrolle, S. 92 f. 185 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 24. 186 BGHZ 30, 140, 143 ff.; BGH NJW-RR 2005, 619, 620; Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 242 Rn. 38 ff. 187 Bezzenberger, ZIP 2002,1917, 1926; Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 150 ff.; Rieder, ZGR 2009, 981, 986; Timm, ZGR 1987, 403, 413; siehe auch BGHZ 103, 184, 193 ff. (Linotype). 188 Boese, Anwendungsgrenzen, S. 21; siehe auch Schubert, in: MünchKomm/BGB, § 242 Rn. 235. 189 Oben § 8 A. I. 1., 2. 190 Fastrich, Funktionales Rechtsdenken, S. 19.
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dagegen wie im Folgenden nach dem jeweiligen Aufgreifkriterium191, werden die Dinge klarer.
B. Erscheinungsformen der treuepflichtbasierten Stimmrechtsausübungskontrolle I. Die treuepflichtgestützte Verhaltenskontrolle 1. Methodischer Rahmen
Die treuepflichtgestützte Verhaltenskontrolle erfährt, wie unschwer zu erahnen, ihre maßgebliche Prägung durch das Verhaltenselement. Anlass und Ziel der gerichtlichen Beschlusskontrolle sind von einer rechtlichen Missbilligung des von der Gesellschaftermehrheit192 an den Tag gelegten Verhaltens geprägt. Schwab bringt dies klar zum Ausdruck, wenn er ausführt: [G]egen den betroffenen Aktionär [wird] der individuelle Vorwurf gesellschaftswidrigen Verhaltens erhoben; über sein Stimmverhalten wird ein Unwerturteil gefällt.“ 193 Im Einzelnen bedeutet dies: Ohne den „Anfangsverdacht“ eines Verhaltensunwertes, der sich aus dem ggf. durch einen richterlichen Hinweis ergänzten Sachvortrag der Parteien ergeben muss, besteht kein Anlass, den Beschluss einer eingehenderen richterlichen Kontrolle zu unterziehen; der „Anfangsverdacht“ eines rechtlich zu missbilligenden Verhaltens markiert das Aufgreifkriterium der treuepflichtgestützten Verhaltenskontrolle. Besteht ein solcher Anfangsverdacht, kommt es zu einer Abwägung sämtlicher Interessen und Umstände des Einzelfalls194. Auch diese einzelfallabhängige Interessenabwägung, für die neben dem Inhalt der Treuepflicht als Rücksichtnahmepflicht, den verschiedenen Konkretisierungs- und Bestimmungsfaktoren der Treuepflicht auch teleologisch-systematische Aspekte Relevanz erlangen können, erhält aber durch das Verhaltenselement ihre entschei191 Siehe auch die Ansätze dazu bei M. Winter, Treubindungen, S. 157, 160; Boese, Anwendungsgrenzen, S. 21. 192 Zum Begriff der Gesellschaftermehrheit oben § 1 Fn. 6; vgl. in diesem Zusammenhang zur theoretisch anspruchsvollen, praktisch aber wohl vernachlässigbaren Frage, bei wie vielen Gesellschaftern ein Verhaltensunwert zu bejahen sein muss: Zöllner, Schranken, S. 296 f. m.w. N. 193 Schwab, Gesellschaftsinterne Streitigkeiten, S. 335. Ein subjektives Tatbestandsmerkmal im Sinne von Vorsatz und Fahrlässigkeit ist hiermit nicht verbunden; für die Bejahung eines zur Anfechtbarkeit führenden Treuepflichtverstoßes bedarf es nicht des Vorliegens subjektiver Elemente; vgl. BGHZ 142, 167 (Hilgers); BGHZ 111, 224, 227; BGH ZIP 1991, 1584; Lutter, JZ 1995, 1053, 1055; Janke, Treuepflicht, S. 68; in der Realität aber werden Fälle eines Verhaltensunwertes, ohne dass der Mehrheit insoweit zumindest Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann, aber wohl nur selten vorkommen. 194 Vgl. – die für die Einzelfallabwägung bestehende Eingangsvoraussetzung allerdings nicht ansprechend – Henze/Notz, in: GroßKomm/AktG, Anh. § 53a Rn. 58; Emmerich, in: Scholz, GmbHG, § 13 Rn. 39; Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13 Rn. 145 ff.; T. Raiser, ZHR 151 (1987), 422, 435 ff., insb. 437.
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dende normative Stoßrichtung: Sie arbeitet auf einen Verhaltensvorwurf hin, zielt darauf ab, ein verhaltensbezogenes Unwerturteil zu begründen und zu bestätigen. Es wird demnach nicht die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme, sondern deren Unverhältnismäßigkeit überprüft und diese dann zur Grundlage eines Verhaltensvorwurfs gemacht. Auch die mit einer bestimmten Maßnahme verbundene Belastung, die Eingriffsintensität, ist neben anderen nur ein Faktor bei der Begründung des Verhaltensunwertes. 2. Beispiele
Es würde den Rahmen der vorliegenden Untersuchung sprengen, die treuepflichtgestützte Verhaltenskontrolle im Einzelnen weiter zu konkretisieren195. Eine solche Konkretisierung ist nur in Bezug auf die einzelnen Beschlussgegenstände möglich196 und setzt überdies hinreichend vorhandenes Fallmaterial voraus, was nur eingeschränkt der Fall ist197. So mögen einige Beispiele genügen, um Wesen und Struktur der treuepflichtgestützten Verhaltenskontrolle zu veranschaulichen. In den Fällen BGHZ 76, 352 (zur GmbH) und BGHZ 103, 184 (Linotype) wurde mit den Stimmen des Mehrheitsgesellschafters die Auflösung der Gesellschaft beschlossen. Bereits im Vorfeld der Beschlussfassung hatte allerdings der Mehrheitsgesellschafter Maßnahmen zur Übernahme des Gesellschaftsunternehmens ergriffen. Durch dieses Verhalten im Vorfeld der Beschlussfassung habe der Mehrheitsgesellschafter, so der Vorwurf des Bundesgerichtshofs, der Liquidation unerlaubt vorgegriffen, was dem zweiten Zivilsenat unter Abwägung mit den sonstigen Einzelfallumständen für ein verhaltensbezogenes Unwerturteil genügte. Der Anfechtungsklage wurde daher wegen Verletzung der dem Mehrheitsgesellschafter obliegenden Treuepflicht stattgegeben bzw. zur weiteren Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Unter dem Treue- und Verhaltensaspekt ebenfalls interessant ist das Urteil BGH DStR 1993, 1566. Dort hatte ein Minderheitsgesellschafter von seinem satzungsmäßigen Vorerwerbsrecht Gebrauch gemacht. Die beabsichtigte Einräumung einer Gesellschaftsbeteiligung an einen der Geschäftsführer der verklagten Gesellschaft war aufgrund dessen nicht mehr zu realisieren. Im Wege einer mehr-
195
Vgl. zum Untersuchungsgegenstand oben S. 29 f. Vgl. für den Bezugsrechtsausschluss Bezzenberger, ZIP 2002, 1917, 1926; für den squeeze-out Amberger, Die Mißbrauchskontrolle im Rahmen des aktienrechtlichen Squeeze-out (2007); Fleischer, in: GroßKomm/AktG, § 327a Rn. 76 ff.; Rieder, ZGR 2009, 981 ff. (Besprechung der Entscheidung BGHZ 180, 54 [Wertpapierdarlehen]); für Umwandlungsbeschlüsse Grunewald, in: FS Röhricht, S. 129 ff.; jew. m.w. N. 197 Vgl. T. Raiser, in: Ulmer, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 140 sowie bereits oben bei § 10 B. III. 2. b) cc). 196
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heitlichen Satzungsänderung wurde das Vorerwerbsrecht der Gesellschafter daraufhin ersatzlos gestrichen. Der Bundesgerichtshof nimmt Anstoß an diesem „strafenden Verhalten“ der Gesellschaftermehrheit. Er würdigt die Umstände des Einzelfalls, wägt die widerstreitenden Interessen gegeneinander ab und gelangt in diesem Rahmen zu der Feststellung, dass das Verhalten der Mehrheitsgesellschafter eine Überreaktion darstelle. Es bedurfte nicht der völligen Entziehung des Vorerwerbsrechtes, stattdessen hätte es genügt (Verhältnismäßigkeit, Gebot des mildesten Mittels), den Minderheitsgesellschafter notfalls gerichtlich auf Zustimmung zur geplanten Maßnahme in Anspruch zu nehmen. Die Anfechtungsklage hatte wegen Verletzung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht Erfolg. Den (Aus-)Weg über die treuepflichtgestützte Verhaltenskontrolle beschritt der Bundesgerichtshof auch im prominenten „Hilgers“-Fall198. Dort hatte die beklagte AG199 einen „Kapitalschnitt“ vorgenommen. Die sich der Kapitalherabsetzung anschließende Kapitalerhöhung war allerdings so ausgestaltet, dass einige Kleinaktionäre infolge des Entstehens sog. Aktienspitzen aus der Gesellschaft ausscheiden mussten. Diese Ausgestaltung tadelte der zweite Zivilsenat, waren doch für diese Ausgestaltung weder ein rechtlicher noch ein sonstiger Grund ersichtlich. Qua Treuepflicht und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hätte der Mehrheitsgesellschafter daher, so der Bundesgerichtshof, einen Beschluss mit einem geringeren, die Rechte der Minderheitsaktionäre wahrenden Aktiennennbetrag „fassen müssen“ 200. Dies nicht getan zu haben, also einer rechtlichen Verhaltenspflicht nicht genügt zu haben, begründet den Erfolg der Anfechtungsklage aufgrund einer Verletzung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht. Restlos zu überzeugen vermag dieser hypothetische Umweg („hätte fassen müssen“) auf den ersten Blick nicht, schließlich muss die Gesellschaftermehrheit im Rahmen der treuepflichtgestützten Missbrauchskontrolle nicht ohne Weiteres einen sachlichen Grund für die von ihr gewählte Gestaltung vorweisen können201. Möglicherweise steckte hinter der gewählten Ausgestaltung des Kapitalschnittes aber die Absicht des Mehrheitsgesellschafters, unliebsame Kleinaktionäre aus der Gesellschaft hinauszudrängen. Dies aber wäre auch im Rahmen der treuepflichtgestützten Missbrauchskontrolle zu tadeln, zwar nicht in Form der treuepflichtgestützten Verhaltenskontrolle, wohl aber im Rahmen der treuepflichtgestützten Zweckkontrolle.
198
BGHZ 142, 167. Vgl. für die GmbH den ähnlich gelagerten Fall BGH NZG 2005, 551. 200 BGHZ 142, 167, 169. 201 Dem Sachgrunderfordernis, das eben dies verlangte, möchte der BGH in der „Hilgers“-Entscheidung, so hat es den Anschein, geflissentlich ausweichen. 199
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4. Teil: Eigene Konzeption
II. Die treuepflichtgestützte Zweckkontrolle 1. Methodischer Rahmen
Mittels der treuepflichtgestützten Zweckkontrolle werden Beschlüsse beanstandet, mit denen die Gesellschaftermehrheit202 rechtlich missbilligte Zwecke verfolgt203. Erneut bedarf es zunächst hinreichender Anhaltspunkte dafür, dass der Mehrheit ein solcher Zweckvorwurf gemacht werden kann, bevor das Gericht gehalten ist, dem durch eine judizielle Kontrolle genauer nachzugehen. Besteht ein solcher „Anfangsverdacht“, wird sich die daran anschließende judizielle Kontrolle mitunter darauf beschränken können, den von der Gesellschaftermehrheit verfolgten Zweck tatsächlich und rechtlich zu würdigen. Das Gericht hat dann eine Entscheidung darüber zu treffen, ob dieser Zweck von der Rechtsordnung missbilligt wird. Nicht selten wird diese Frage allerdings schwer zu beantworten sein, sei es, weil sich der Rechtsordnung keine eindeutigen Wertungen für eine Zweckmissbilligung entnehmen lassen, sei es, weil die Gesellschaftermehrheit mehrere, sich hinsichtlich ihrer rechtliche Legitimität unterscheidende Zwecke verfolgt (Zweckbündel). Dann muss im Rahmen einer einzelfallbezogenen Interessenabwägung, in der verschiedene Gesichtspunkte eine Rolle spielen können (gesetzliche Wertungen, Konkretisierungs- und Bestimmungsfaktoren der Treuepflicht, Prinzip der Erforderlichkeit u. v. m.), ein Wertungsverhältnis zwischen dem von der Gesellschaftermehrheit verfolgten Zweck und den für die Gesellschafterminderheit sprechenden Gesichtspunkten hergestellt werden. Fällt dieses Wertungsverhältnis zugunsten des mehrheitlich verfolgten Zweckes aus, ist die Anfechtungsklage abzuweisen, andernfalls ist ihr stattzugeben. 2. Beispiele
Wie bei der treuepflichtgestützten Verhaltenskontrolle ist auch bei der treuepflichtgestützten Zweckkontrolle der Grad der – den Gerichten zugewiesenen – Dezision hoch204. Auch insoweit muss es daher mit einigen Beispielen sein Bewenden haben. Ein erstes findet sich in der Begründung des Gesetzes für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts. Nach der ohne Weiteres zustimmungswürdigen Auffassung des Gesetzgebers ist ein Bezugsrechtsausschluss, „der allein zu dem Zweck beschlossen wird, einem Minderheitsaktionär seine Minderheitsrechte zu nehmen“, unzulässig205.
202 Zur Frage, wie vielen (Mehrheits-)Gesellschaftern ein solcher Zweckvorwurf gemacht werden können muss, siehe die obige Fn. 192. 203 Zur Frage, inwiefern damit ein subjektives Tatbestandsmerkmal verbunden ist, vgl. die obige Fn. 193. 204 Siehe Lutter, ZHR 153 (1989), 446, 451. 205 Fraktionsbegründung, BT-Drucks. 12/6271, S. 10.
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Eine schulbuchmäßige Konkretisierung hat die treuepflichtgestützte Zweckkontrolle im berühmten „Victoria“-Urteil des Reichsgerichts aus dem Jahre 1931 erfahren206. Unter dem damals noch verwendeten Etikett des Sittengebots legte das Reichsgericht zunächst Wert auf die Feststellung, dass die beschlossene Kapitalerhöhung unter Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre nicht dem Zweck der Kapitalbefriedigung, sondern der Absicherung der bestehenden Mehrheitsverhältnisse diente. Dieser von der Gesellschaftermehrheit verfolgte Zweck war nach den (damaligen) Rechts- und Wertvorstellungen zwar nicht eindeutig zu missbilligen207. Er veranlasste208 das Reichsgericht aber zu einer einzelfallbezogenen Abwägung, in deren Rahmen es besonderen Wert auf das Prinzip des mildesten Mittels (= Erforderlichkeit) legte. Da im konkreten Fall zum Schutz der Gesellschaft vor der angeführten Überfremdungsgefahr andere, die Minderheit weniger belastende Mittel zur Verfügung standen, gab das Reichsgericht der Anfechtungsklage statt. Ein wichtiger Anwendungsfall der treuepflichtgestützten Zweckkontrolle ist weiter das Verfolgen von Sondervorteilen. Denn die Treuepflicht verbietet das Verfolgen von Sondervorteilen209. In den vorliegenden Kontext eingefügt, heißt das: Das Verfolgen von Sondervorteilen ist ein Zweck, der durch die treuepflichtgestützte Zweckkontrolle beschlussmängelrechtlich sanktioniert wird. Die treuepflichtgestützte Zweckkontrolle hat folglich auch eine klar vermögensbezogene Schutzrichtung, indem sie unberechtigten finanziellen Vorteilen der Gesellschaftermehrheit zu Lasten der vermögensrechtlichen Postionen der Gesellschafterminderheit einen Riegel vorschiebt210. III. Die treuepflichtgestützte Belastungskontrolle 1. Sachliche Gebotenheit einer treuepflichtgestützten Belastungskontrolle
a) Abstrakte Begründung Die bislang beschriebene treuepflichtgestützte Stimmrechtskontrolle in Form der Verhaltens- und Zweckkontrolle ist im Grunde genommen nichts Besonderes. Die gesamte Debatte um die materielle Beschlusskontrolle im Allgemeinen und das Sachgrunderfordernis im Speziellen hat mit ihr wenig zu tun. Diese drehte 206
RGZ 132, 149, 159 ff. Viel bemühter, auch im „Victoria-Fall“ vorgetragener Gesichtspunkt war der Schutz vor „äußerer oder innerer Überfremdung“ der Gesellschaft, s. RGZ 132, 149, 162; siehe auch M. Winter, Treubindungen, S. 39. 208 Daneben betonte das RG in der Entscheidung noch die (treuhänderische) Pflichtenstellung der Mehrheit sowie die Bedeutung der gesetzlichen Minderheitsrechte, s. RGZ 132, 149, 162 f. 209 Vgl. nur T. Raiser, in: Ulmer, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 126 ff. m.w. N. 210 Vgl. auch M. Winter, Treubindungen, S. 306 sowie unten bei § 14 B. II. 2. a) aa) (1) (a). 207
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sich vielmehr um die Frage, ob es noch eine weitere Form der Kontrolle geben kann und muss, die nicht mit verhaltens- und zweckbezogenen Unwerturteilen operiert, sondern an die von einer bestimmten Maßnahme ausgehende Belastung anknüpft und den Beschluss aus diesem Grunde einer Verhältnismäßigkeitskontrolle unterwirft. Den Leser der bisherigen Ausführungen wird es nicht überraschen, dass diese Frage zu bejahen ist. Denn bei der treuepflichtgestützten Verhaltens- und Zweckkontrolle handelt es sich lediglich um Ausprägungen und Unterformen der allgemeinen Rechtsmissbrauchskontrolle. Wie diese sind daher auch jene durch ein Regel-Ausnahme-Verhältnis in favore majoritatis geprägt, das sich materiell-rechtlich (= grundsätzliche Rechtmäßigkeit des Mehrheitsbeschlusses), prozessual (= Darlegungs- und Beweislast beim Anfechtungskläger) und steuerungsfunktional (= Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt) niederschlägt. Diese Restriktionen haben auch zur Folge, dass rechtsmissbräuchliches Handeln, auch wenn ein solches tatsächlich vorliegt, gleichwohl mitunter nicht wird abgewehrt werden können. Nur auf den ersten Blick widersprüchlich ist daher der Befund, dass es zum effektiven Schutz vor missbräuchlichem Handeln mehr als nur materiell-rechtlicher Missbrauchsmaßstäbe bedarf. Aus dem Gesagten folgt: Eine Konzeption, die ausschließlich eine solche Regel-Ausnahme-Missbrauchskontrolle zum Zuge kommen lässt, steht mit der minderheitsschützenden Ausprägung des Gebots der Äquidistanz als Wertungsleitlinie aufgrund der damit verbundenen Solidarisierung mit einer der konfligierenden Seiten nicht in Einklang. Dies alles wurde oben bereits im Einzelnen dargelegt211 und bedarf daher keiner nochmaligen Erörterung. Die sachliche Gebotenheit einer weiteren Kontrollform soll hier vielmehr noch anhand zweier Beispiele verdeutlicht werden. b) Konkrete Begründung Das erste Beispiel betrifft die „übertragende Auflösung“, bei der der Mehrheitsgesellschafter den Zweck verfolgt, das Gesellschaftsunternehmen unter Ausschluss der Minderheit zu übernehmen. Beließe man es hier bei einer bloßen Missbrauchskontrolle und erkennt man weiter mit der Rechtsprechung den vom Mehrheitsgesellschafter verfolgten Zweck als legitim an212, so könnte theoretisch ein Aktionär mit einer Beteiligungsquote von 25% unabhängig von den besonderen Voraussetzungen der Mehrheitseingliederung (§ 320 AktG) oder des squeezeout (§ 327a AktG) grundlos aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden213. Dies aber erscheint weder sachlich richtig noch systematisch stimmig214. 211
Siehe oben § 8 B. III. 2., § 10 B. VI. 2., § 10 C. I. Siehe BGHZ 76, 352, 353 f.; BGHZ 103, 184, 189 ff. (Linotype). 213 A.A. aber Lutter/Drygala, in: FS Kropff, S. 191, 216, 220 f., die in solchen Fällen die „übertragende Auflösung“ für rechtsmissbräuchlich halten; doch erscheint fraglich, wie man einen Rechtsmissbrauchsvorwurf begründen kann, wenn man das mehrheitliche Vorgehen im Grundsatz nicht beanstandet wissen möchte. 212
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Hingewiesen sei zum Zweiten auf die Streitfrage um das Mehrheitserfordernis beim Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages mit einer GmbH als abhängiger Gesellschaft. Die herrschende Meinung hält hier einen einstimmigen Beschluss für erforderlich215 und gibt damit zu erkennen, dass eine Mehrheitsentscheidung verbunden mit einer bloßen Missbrauchskontrolle nicht hinreichend ist216. Mit Blick auf § 65 Abs. 1 UmwG, der bei einer GmbH-Verschmelzung eine 3/4-Mehrheit genügen lässt, sprechen freilich die besseren Gründe dafür, auch für den Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages eine 3/4-Mehrheit genügen zu lassen217, den dadurch reduzierten Gesellschafterschutz dann aber durch eine materielle Beschlusskontrolle zu kompensieren218. Diese materielle Beschlusskontrolle sollte man nun aber nicht dadurch zu bewerkstelligen suchen, dass man die treuepflichtgestützte Verhaltensund Zweckkontrolle aufweicht, indem man sie ihrer Unwertprägung teilweise entkleidet und mit objektiven Angemessenheitspostulaten überfrachtet und vermengt219. Schon um der nötigen Rechtssicherheit willen muss es dabei bleiben, dass die treuepflichtgestützte Missbrauchskontrolle in Form der Verhaltens- und Zweckkontrolle nur in Ausnahmefällen Platz greift220. Die sachlich gebotene materielle Beschlusskontrolle ist vielmehr durch eine zusätzliche Kontrollform zu gewährleisten, die an die von einem Beschluss ausgehende Belastung anknüpft und diesen daher unter Angemessenheitsvorbehalt stellt. Fraglich und entscheidend ist sodann aber, ob sich eine solche Belastungskontrolle mit dem hier befürworteten Konzept einer treuepflichtgestützten individualistischen StimmrechtsAusübungskontrolle vereinbaren lässt. Einwände sind dabei aus verschiedenen Richtungen denkbar, etwa dem positiven Recht.
214 Vgl. auch die Auffassung, wonach die „übertragende Auflösung“ nur mit 95%iger Mehrheit vorgenommen werden könne, siehe etwa Henze, in: FS Peltzer, S. 181, 189; Hamann, Squeeze-Out-Beschluss, S. 143 m.w. N. 215 Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, Anh. § 13 Rn. 40; Binnewies, Konzerneingangskontrolle, S. 265 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 38 III 2 a (S. 1191); Zöllner/Beurskens, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, SchlAnhKonzernR, Rn. 54. 216 Vgl. Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Kommentar Konzernrecht, § 293 Rn. 43a, der der h. M. aufgrund der sonst bestehenden Zweifel an einem angemessen Minderheitenschutz zuneigt. 217 Lutter/Hommelhoff, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. zu § 13 Rn. 66; Grauer, Konzernbildungskontrolle, S. 18 ff.; Heckschen, DB 1989, 29, 30; Koerfer/Selzner, GmbHR 1997, 285, 287 ff. 218 So auch Heckschen, DB 1989, 29, 30; a. A. Lutter/Hommelhoff, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. zu § 13 Rn. 66. 219 In der „Hilgers“-Entscheidung (BGHZ 142, 167) schimmert eine solche Tendenz durch, siehe oben unter I. 220 Dafür mit Nachdruck Wandrey, Beschlusskontrolle, S. 215 ff., der es damit aber generell und im Unterschied zur hier vertretenen Auffassung sein Bewenden haben lassen will.
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4. Teil: Eigene Konzeption 2. Einwände gegen eine treuepflichtgestützte Belastungskontrolle
a) Positivrechtlicher Einwand: § 243 Abs. 2 AktG Die hier zu entwickelnde individualistische Kontrollkonzeption findet ihre positivrechtliche Grundlage in der Vorschrift des § 243 Abs. 2 AktG221. Diese Norm aber trägt, wie das einen Verhaltensunwert umschreibende Merkmal der Verfolgung von Sondervorteilen sowie die subjektiven Elemente zeigen, den Charakter eines Rechtsmissbrauchsverbotes222. Eine objektive Belastungskontrolle lasse sich, so daher der denkbare Einwand, auf dieser Basis nicht konzipieren. Dieser Einwand verfängt nicht, und zwar deswegen, weil § 243 Abs. 2 AktG zwar die positiv-gesetzliche Anbindungsnorm, nicht aber die vorrangige Konkretisierungs- und Wertungsgrundlage der hiesigen Kontrollkonzeption darstellt: Als positiv-gesetzliche Anbindungsnorm bestimmt die Norm die dogmatische Grundkonzeption (individualistischer Ansatz), benennt den Kontrollgegenstand (Stimmrechtsausübung) und hält im Zusammenspiel mit § 243 Abs. 1 AktG eine Rechtsfolge (Wirksamkeit der Stimmrechtsausübung, Anfechtbarkeit des Beschlusses) parat223. Wenn Satz 2 von § 243 Abs. 2 AktG weiter den Blick auf die Gesellschafterminderheit („anderen Aktionären“) richtet und durch die Ausgleichsmöglichkeit die Vermögensinteressen aus der judiziellen Kontrolle herauszuhalten sucht, so werden damit auch normative Fingerzeige für die Möglichkeit und Ausgestaltung einer belastungsbasierten Stimmrechtskontrolle gegeben224. Die verschiedenen Ausprägungen einer Stimmrechtskontrolle sind sodann aber nicht durch eine wortlautgetreue Anwendung der Norm des § 243 Abs. 2 AktG zu gewinnen, noch ist diese Vorschrift insoweit die primäre Konkretisierungsund Wertungsgrundlage. Die verschiedenen Ausprägungen der Stimmrechtskontrolle sind vielmehr durch Konkretisierung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht zu ermitteln. Diese Scheidung zwischen positiv-gesetzlicher Anbindungsnorm und Konkretisierungs- und Wertungsnorm erscheint deshalb möglich und zulässig, weil § 243 Abs. 2 AktG entwicklungsgeschichtlich auf dem heute überholten Verbot sittenwidrigen Verhaltens basiert225 und daher innerhalb des normativen Rahmens des § 243 Abs. 2 AktG durch die Treuepflicht ersetzt wurde226. Die Problemstellung verschiebt sich daher auf die Frage, ob sich auf 221
Oben § 12 B. Siehe etwa BGHZ 103, 184, 189 ff. (Linotype); Fastrich, Funktionales Rechtsdenken, S. 21. 223 Oben § 12. 224 Näher sogleich unter b. sowie unten bei § 14 B. III. 1. 225 Hier nur Hüffer, in: FS Kropff, S. 127, 134 ff.; näher oben § 4 B. II., § 10 B. II. 2. a). 226 Siehe insbesondere BGHZ 103, 184, 193 ff. (Linotype): Treuepflichtverletzung als Fall des § 243 II AktG; in der späteren Rechtsentwicklung hat man diese zutreffende Verortung der Treuepflicht in § 243 II AktG dann aber vernachlässigt, vgl. etwa BGHZ 142, 167, 169 ff. (Hilgers); BGH NZG 2005, 551, 552; Hüffer, in: Münch222
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Basis der Treuepflicht eine belastungsbezogene Stimmrechtskontrolle begründen lässt. b) Kapitalgesellschaftsrechtsdogmatischer Einwand: Treuepflicht Die Treuepflicht fokussiert als Instrument des institutionellen Minderheitenschutzes auf die Pflichten des Entscheidungsträgers227, wogegen eine Belastungskontrolle im Ausgangspunkt an die Rechtsstellung der Entscheidungsunterworfenen anknüpft. Das Unbehagen, das eine diesbezügliche Verbindung in einer treuepflichtgestützten Belastungskontrolle hervorzurufen scheint, kann man etwa daran ablesen, dass die Rechtsprechung bis heute keinen Zusammenhang zwischen der Treuepflicht und dem belastungs- bzw. eingriffsanknüpfenden Sachgrunderfordernis hergestellt hat228. Angesichts dessen stellt sich die Frage, ob es sich bei der auf die Aktivseite ausgerichteten Treuepflicht und der die PassivSeite fokussierenden Belastungskontrolle um inkompatible Kategorien handelt. Mit dem Gesetz lässt sich eine Inkompatibilitätsthese zunächst nicht begründen, im Gegenteil: § 243 Abs. 2 AktG in Satz 1 verbietet den Aktionären/der Aktionärsmehrheit zunächst das Verfolgen von Sondervorteilen. Satz 2 der Norm schließt die Anfechtung dann aber aus, wenn den unterlegenen Aktionären ein angemessener Ausgleich gezahlt wird. Hier werden Aktiv- und Passivelemente in ein und derselben Norm harmonisch verbunden. Auch dogmatisch erscheint die Annahme einer Inkompatibilität nicht zwingend. Denn die Statuierung eine Rechtspflicht gründet für gewöhnlich auf einer korrespondierenden Rechtsbeeinträchtigung, und einem Entscheidungsträger steht stets ein Entscheidungsunterworfener gegenüber. Die Elemente einer Belastungskontrolle sind der Treuepflicht folglich auch durchaus, wenn auch nur im spiegelbildlichen Sinne, immanent229. Die gedanklichen Ursprünge der Inkompatibilitätsthese dürfen denn auch tiefer, nämlich in der Dogmengeschichte des verbandsrechtlichen GesellschafterKomm/AktG, § 243 Rn. 17, 57; Nachweise zur umfassenden Anerkennung der Treuepflicht oben bei § 4 B. IV. 227 Siehe Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 I 3 b (S. 418 f.), § 8 II 3 (S. 431 ff.); Martens, GmbHR 1984, 265, 266 ff. (Minderheitenschutz durch Rechts- und Pflichtenbindung der Mehrheitskompetenzen = Treuepflicht), 270 ff. (Minderheitenschutz durch individuelle Minderheitsrechte); vgl. auch die jahrzehntelange Dauerstreitfrage, wer von der Treuepflicht aktiv-verpflichtet wird (nur ein GmbH-Gesellschafter oder auch ein Aktionär, nur der Mehrheits- oder auch der Minderheitsgesellschafter), siehe dazu monographisch etwa Jilg, Die Treuepflicht des Aktionärs (2006). 228 Siehe oben § 6 D. I. 229 Vgl. auch Wiedemann, Gesellschaftsrecht, § 8 sowie Roitzsch, Minderheitenschutz, S. 36 ff.: Treuepflicht als Schutzinstrument der Gesellschafterminderheit; siehe dazu K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 20 IV 3 (S. 593); vgl. auch die Bestimmungsund Konkretisierungsfaktoren der Treuepflicht (Zusammenstellung bei Michalski/ Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13 Rn. 145), von denen nicht wenige auf den Entscheidungsunterworfenen zugeschnitten sind (Bsp.: Dauer der Beteiligung, schutzwürdiges Vertrauen).
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und Minderheitenschutzes, konkret: der althergebrachten Sonderrechtstheorie, liegen. Die Sonderrechtstheorie stand am Beginn der Entwicklung verbandsrechtlicher Schutzmechanismen. Die Sonderrechtstheorie fokussierte auf das einzelne Verbandsmitglied und versuchte dessen Individualsphäre dadurch zu schützen, dass sie ihm eine Reihe von Rechtspositionen zuschrieb, die durch einen Mehrheitsbeschluss nicht aufgehoben oder beeinträchtigt werden konnten230. Dies ging so weit, dass man von einem Recht des Einzelmitgliedes auf Einhaltung der wesentlichen Satzungsbestimmungen ausging; der Bestand des Mitgliedschaftsrechts durfte in seiner Substanz nicht beeinträchtigt werden. Satzungsänderungen, Kapitalerhöhungen mit relativen Anteilsverschiebungen, Fusionen etc. waren damit in weitem Umfang unzulässig231. Auf diese Weise stand die Sonderrechtstheorie notwendigen ökonomischen Anpassungsprozessen des Verbandes im Wege232. Sie vermochte sich daher nicht durchzusetzen, sondern wurde im Zuge der Erweiterung des Mehrheitsprinzips auf Satzungs- und Strukturänderungen (Aktienrechtsnovelle 1884) zunehmend zurückgedrängt233. Für den verbandsrechtlichen Minderheitenschutz bedeutete dies eine kopernikanische Wende. Nicht mehr das Verbandsmitglied als Entscheidungsunterworfener und seine Rechtsstellung standen im konzeptionellen Fokus, sondern die den Verband tragende Mehrheit und deren Pflichten. Verbandsrechtliche Instrumentarien wurden fortan nicht mehr aus der Rechtsstellung des Einzelmitglieds, sondern mit dem Gebot der guten Sitten und später dann der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht aus der Pflichtenstellung der Mehrheit heraus entwickelt. In diesem bis heute fortwährenden Ansatz- und Perspektivwechsel dürfte, so steht zu vermuten, die eigentliche Wurzel der Inkompatibilitätsthese liegen. Rechtfertigen lässt diese sich damit jedoch ebenfalls nicht. Denn der dogmengeschichtliche Grund für den Ansatz- und Perspektivwechsel, die durch die Sonderrechtstheorie verursache Verhinderung ökonomisch notwendiger Anpassungs- und Veränderungsprozesse, ist heute infolge der flächendeckenden gesetzlichen Anordnung des Mehrheitsprinzips nicht mehr einschlägig. Und funktional gesehen sind der individualistische (Bsp.: Sonderrechte des Einzelmitgliedes) und der institutionelle (Bsp.: Treuepflichten) Ansatz ohnehin austauschbar: Beide bezwecken den Schutz desjenigen, der sich an einem privatrechtlichen Personenverband beteiligt, vor einer unbegrenzten Mehrheitsherrschaft. Eine tragfähige Begründung für die Inkompatibilitätsthese lässt 230
Siehe Roitzsch, Minderheitenschutz, S. 25 m.w. N. Siehe ROHGE 14, 354; ROHGE 20, 43; ROHGE 19, 141; ROHGE 25, 259, 266; näher Roitzsch, Minderheitenschutz, S. 26. 232 Roitzsch, Minderheitenschutz, S. 26. 233 Von Seiten des Gesetzgebers siehe insbesondere Gesetzesbegr. Aktienrechtsnovelle 1884, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, 100 Jahre Aktienrecht, S. 466; von Seiten der Rechtsprechung vgl. insbesondere RGZ 68, 235, 246 (Hibernia); von Seiten der Wissenschaft siehe insbesondere Laband, Hirths Annalen 1874, Sp. 1487, 1500 ff. 231
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sich demnach nicht ausmachen. Treuepflicht und Belastungskontrolle erweisen sich nicht als per se inkompatible Kategorien. Die Treuepflicht als Rechtsgrundlage einer Belastungskontrolle hat aber Einfluss – was im Rahmen des Sachgrunderfordernisses nicht beachtet wurde234 – sowohl auf die Herleitung als auch auf die Struktur einer solchen Belastungskontrolle. Die insoweit bestehenden Vorgaben können wir an dieser Stelle aber einstweilen zurückstellen und uns der Frage zuwenden, ob sich gegen eine solche Kontrollform aus privatrechtsdogmatischer Sicht Einwände erheben lassen, konkret: ob sich eine solche Kontrollform mit der hier befürworteten Konzeption einer Ausübungskontrolle in Einklang bringen lässt. c) Privatrechtsdogmatischer Einwand: Ausübungskontrolle Die Ausübungskontrolle wird herkömmlicherweise als bloße Rechtsmissbrauchskontrolle verstanden235. Als solche operiert sie mit Verhaltens- und Zweckvorwürfen, nicht dagegen mit den Kategorien der Belastung und Angemessenheit. Möchte man diese Kontrollbegrenzung mit einer belastungsbezogenen Ausübungskontrolle überwinden, so hat man nach ihren Hintergründen zu fragen. Ein Grund für die Kontrollbeschränkung ist darin zu sehen, dass Gestaltungsrechte sehr häufig nur bei Vorliegen eines Gestaltungsgrundes rechtmäßig ausgeübt werden können. Dies gilt etwa für das Anfechtungsrecht, das gem. § 119 BGB einen Inhalts-, Erklärungs- oder Eigenschaftsirrtum zur Voraussetzung hat oder das Rücktrittsrecht, das dem Gläubiger ausweislich § 323 BGB nur bei Nichtleistung trotz Fristsetzung zusteht. Soweit die Ausübung subjektiver Rechte, etwa die Geltendmachung eines vertraglichen Anspruches, in Rede steht, unterliegen die anspruchsbegründenden vertraglichen Regelungen in bestimmten Konstellationen einer Inhaltskontrolle. Aufgrund dieser vorgeschalteten Kontrolle kann und muss sich die nachgeschaltete Ausübungskontrolle auf eine Missbrauchskontrolle in Form verhaltens- und zweckbezogener Unwerturteile beschränken. Für die kapitalgesellschaftsrechtliche Beschlusskontrolle entfällt nach der hier befürworteten Lösung dagegen diese vorgeschaltete Kontrolle – die Mehrheitskompetenz bzw. das Stimmrecht wird nicht an einen sachlichen Gestaltungsgrund gebunden, eine entsprechende „Inhaltskontrolle“ der gesetzlichen Beschlusskompetenzen findet nicht statt. Fällt aber die vorgeschaltete Normkontrolle weg, hat, wie dies etwa auch bei der Inhaltskontrolle von Personengesellschaftsverträgen anerkannt wird236, die nachgeschaltete Ausübungskontrolle intensiver auszufallen. Mit dem Wegfall der Vorschaltkontrolle entfällt ein recht-
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Siehe oben § 6 D. II. 3., § 10 V. Siehe Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 24 f.; Pfeifer, Inhaltskontrolle, S. 92 f., jew. m.w. N. 236 Siehe Röttger, Kernbereichslehre, S. 51 f.; ferner Hönn, JA 1987, 337, 339. 235
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fertigender Grund für die Begrenzung der Ausübungskontrolle auf eine bloße Missbrauchskontrolle. Weiter gilt es zu berücksichtigten, dass die Ausübungskontrolle mit ihrem Rechtsmissbrauchsstab auf die gewöhnlichen subjektiven Rechte des Privatrechts zugeschnitten ist. Klassisches Beispiel ist die Geltendmachung eines vertraglichen Anspruchs237. Die mehrheitliche Gestaltungsbefugnis unterscheidet sich davon aber sowohl von ihren rechtspraktischen Auswirkungen her238 als auch in ihrer rechtstheoretischen Zuordnung. Die mehrheitliche Gestaltungsbefugnis des Kapitalgesellschaftsrechts ist hier eher in die Nähe der heteronomen Regelsetzungsbefugnisse des kollektiven Arbeitsrechts zu rücken239: So wie die Tarif- und Betriebspartner im Tarifvertrag und in der Betriebsvereinbarung eine Regel durchsetzen, die den einzelnen Arbeitnehmer ohne sein aktuelles Zutun trifft, setzt die Gesellschaftermehrheit mittels des Stimmrechts eine Regel über die Entwicklung der Gesellschaft durch, die den Minderheitsgesellschafter nicht nur ohne sein Zutun, sondern sogar gegen seinen erklärten Willen trifft. Betriebs- und Tarifverträge aber unterliegen im Grundsatz einer recht strengen richterlichen Kontrolle: Nach überwiegender Auffassung besteht eine volle Bindung an die Grundrechte der Verfassung und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz240. Auch dabei handelt es sich jedoch der Sache nach um eine Ausübungskontrolle. Denn es wird nicht die Kompetenznorm zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung (§ 77 Abs. 1 BetrVG) oder eines Tarifvertrages (§ 1 Abs. 1 TVG) durch Einbau eines materiellen Grundes in Frage gestellt, sondern lediglich die konkrete Ausübung der Betriebs- und Tarifmacht unter Kontrolle genommen. Dies zeigt, dass das Instrument der Ausübungskontrolle nicht zwangsläufig auf eine bloße Rechtsmissbrauchskontrolle beschränkt bleiben muss, sondern durchaus intensivere Formen annehmen kann. Hierfür muss sich dann allerdings ein spezifischer rechtlicher Gesichtspunkt ausfindig machen lassen. Für das Kapitalgesellschaftsrecht gewinnt hier der Umstand Bedeutung, dass die Missbrauchsausübungskontrolle ihre Grundlage lediglich in § 242 BGB (Treu und Glauben) findet, wogegen die kapitalgesellschaftsrechtliche Stimmrechtskontrolle auf der gesellschafts-
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Siehe Wolf/Neuner, AT, § 20 IV 3 c), 4 (S. 232 ff.). Man vergleiche etwa einen Auflösungsbeschluss in einer kleinen GmbH, der einem maßgeblich beteiligten Gesellschafter-Geschäftsführer seine Tätigkeits- und Existenzgrundlage nehmen kann, mit den Auswirkungen, die beispielsweise das zivilrechtliche Rücktrittsrecht idealtypisch entfaltet. 239 Bachmann, Private Ordnung, S. 206 ff. 240 Für Tarifverträge: grundlegend BAG 15.1.1955 AP Nr. 4 zu Art. 3 GG; BAG 15.1.1964 AP Nr. 87 zu Art. 3 GG; Boemke, in: FS 50 Jahre BAG, S. 613, 617 ff.; Gamillscheg, Grundrechte im Arbeitsrecht, S. 103 f.; a. A. Dieterich, in: FS Schaub, S. 117 ff.; für eine mittlere Lösung nun aber BAG 27.5.2004 AP Nr. 4 zu § 1 TVG Gleichbehandlung. Für Betriebsvereinbarungen: BAG 30.1.1970 AP Nr. 142 zu § 242 BGB Ruhegehalt; BAG 11.6.1976 AP Nr. 1 zu § 77 BetrVG 1972 Auslegung; die Einzelheiten (Rechts-, Inhalts-, Billigkeitskontrolle) sind zwischen Rspr. und h. L. umstritten, vgl. Richardi, in: Richardi, BetrVG, § 77 Rn. 117 ff. 238
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rechtlichen Treuepflicht fußt241. Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht bedeutet aber gegenüber dem Maßstab des § 242 BGB eine Verschärfung. Ob man die Treuepflicht daher, wofür einiges spricht, ganz von § 242 BGB ablöst242 oder an einer Anbindung an § 242 BGB festhalten will243, bleibt sich gleich, solange man nur die durch die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht bewirkte Intensivierung der Rechtsbindungen anerkennt244. Diese Intensivierung ist dadurch zu verwirklichen, dass man neben den missbrauchsbezogenen Kontrollformen der treuepflichtgestützten Verhaltens- und Zweckkontrolle mit einer treuepflichtgestützten Belastungskontrolle eine weitere Kontrollform zum Zuge kommen lässt. Andernfalls müsste man sich die kaum überzeugend zu beantwortende Frage stellen, wozu es der als große „juristische Entdeckung“ gefeierten gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht245 in einem so zentralen Bereich wie dem materiellen Beschlussmängelrecht überhaupt bedürfte. Denn für die mit personenbezogenen Unwerturteilen operierende Verhaltens- und Zweckkontrolle wäre die Treuepflicht nicht vonnöten – das allgemeine und alleinige Instrumentarium des § 242 BGB würde dafür genügen246. Was für die positiv-gesetzliche Grundlage des § 243 Abs. 2 AktG und die Treuepflicht als Konkretisierungs- und Wertungsgrundlage festgestellt wurde, lässt sich demnach in gleicher Weise auch für die Einordnung der zu entwickelnden Konzeption in die Dogmatik der Ausübungskontrolle sagen: Sie steht dem grundsätzlichen „Ob“ einer treuepflichtgestützten Belastungskontrolle nicht entgegen, beeinflusst aber deren Herleitung und konkrete Ausgestaltung: das „Wie“ der Belastungskontrolle. Diese Determinierung betrifft insbesondere die Einzelfallbezogenheit der Ausübungskontrolle. Denn da sie die Kompetenznorm nicht in Frage stellt, sondern lediglich den konkreten Gebrauch der Kompetenz einer Kontrolle unterzieht, handelt es sich bei ihr nicht um eine Norm-, sondern um eine Einzelfallkontrolle247. Dies führt zum nächsten Thema. 241
Siehe oben A. II. 1. So etwa Hüffer, in: FS Steindorff, S. 59, 72 ff.; zustimmend Henze/Notz, in: GroßKomm/AktG, Anh. § 53a Rn. 19; wohl auch Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13 Rn. 140. 243 Dafür Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 228 ff.; G. H. Roth, in: MünchKomm/ BGB, 5. Aufl. 2007, § 242 Rn. 166. 244 Dies aber geschieht allgemein, siehe etwa Röhricht, in: Hommelhoff/Hopt/von Werder, Handbuch Corporate Governance, 1. Aufl. 2003, S. 513, 517; G. H. Roth, in: MünchKomm/BGB, 5. Aufl. 2007, § 242 Rn. 166. 245 Fleischer, in: FS K. Schmidt, S. 375, 393 ff. 246 Vgl. Bezzenberger, ZIP 2002, 1917, 1926; auch G. H. Roth/Bachmann, in: MünchKomm/BGB, § 241 Rn. 109 Fn. 343: „[D]ie meisten Fälle, für die eine Treue(. . .)pflicht in Anspruch genommen wird (. . .) lassen sich mit dem Gedanken der missbräuchlichen Rechtsausübung lösen (. . .).“ 247 Siehe Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 25; Pfeifer, Inhaltskontrolle, S. 92 f.; Wiedemann, WM 1990, Beilage 8, 1, 22 f.; vgl. aus der Rspr. BGHZ 76, 352, 353; BGHZ 103, 184, 189 ff. (Linotype). 242
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4. Teil: Eigene Konzeption
§ 14 Rechtstheorie und Methodik/Methodenprodukt A. Die Rechtsmethode: abstrakt I. Rechtsmethode und konzeptioneller Zwischen- und Erkenntnisstand Das prägende Kennzeichen der Ausübungskontrolle besteht in deren Einzelfallbezogenheit. Die Ausübungskontrolle ist also, um dies in die entwickelten rechtstheoretischen Kategorien fortzuführen, nicht auf der gesetzlichen Primärebene, sondern auf der einzelfallbezogenen Sekundärebene anzusiedeln. Mit der privatrechtsdogmatischen Entscheidung für das Regelungsinstrument der Ausübungskontrolle ist folglich in rechtstheoretischer Hinsicht eine Entscheidung für den sekundärrechtlichen Standort verbunden. Diese Standortbestimmung entspricht nicht nur dem bisherigen Untersuchungsverlauf, haben wir doch dem primärrechtlichen Sachgrunderfordernis248 ebenso eine Absage erteilt wie dem streng primärrechtlichen Ansatz Wiedemanns249, sondern harmoniert auch mit der unter dogmatischem Gesichtspunkt befürworteten individualistischen Konzeption. Denn die juristische Person, die vom körperschaftlichen Ansatz in das normative Zentrum gestellt wird, ist ein Produkt der gesetzlichen Primärebene250. Ein individualistischer Ansatz, der sich von der juristischen Person löst, löst sich damit auch von der gesetzlichen Primärebene und ist demnach der Ebene zuzuordnen, auf der sich häufig auch die realen Interessenkonflikte zwischen den Gesellschaftern abspielen251: der einzelfallbezogenen Sekundärebene. Auch für den sekundärrechtlichen Ansatz stellt sich allerdings die Frage, ob sich auf seiner Grundlage eine Belastungskontrolle begründen lässt. Die Problematik besteht im Folgenden: Auf der untergeordneten Sekundärebene ist der Rechtsanwender an die übergeordnete Primärebene, insbesondere auch an die primärrechtlichen Beschlusskompetenznormen, gebunden252. Von diesen Kompetenznormen aber ist die von einem Beschluss ausgehende Belastung, an die angeknüpft werden soll, ökonomisch gesprochen, bereits eingepreist. Wenn etwa § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG den Ausschluss des Bezugsrechts durch Beschluss der Hauptversammlung zulässt, so sind damit die von diesem Beschluss ausgehenden nachteiligen Auswirkungen auf die Rechtsstellung der ausgeschlossenen Aktionäre einbezogen und mitberücksichtigt. Die mit dem sekundärrechtlichen Ansatz verbundene Subordination unter die Primärebene könnte daher einer Belastungskontrolle entgegenstehen. Doch würde dies bedeuten, den sekundärrechtlichen Standpunkt falsch, nämlich in dem Sinne zu verstehen, als verpflichte er die auf 248 249 250 251 252
Oben § 6 G. III. Oben § 10 B. X. Begründung oben bei § 10 V. Vgl. oben § 12 B. Näher oben § 6 G. I.
§ 14 Rechtstheorie und Methodik/Methodenprodukt
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die Sekundärebene verwiesene Rechtsprechung auch dort zu striktem Gehorsam gegenüber der gesetzlichen Primärebene, wo – wie im Bereich der materiellen Beschlusskontrolle –, die gesetzlichen Grundlagen sachlich überholt sind und der Gesetzgeber die Austarierung eines bestimmten Regelungskomplexes Rechtsprechung und Wissenschaft überträgt. Der Konzeption Mülberts, die auf einem solchen streng sekundärrechtlichen Ansatz fußt, haben wir oben253 eine Absage erteilt. Den sekundärrechtlichen Standpunkt einzunehmen bedeutet vielmehr, bei der Entwicklung einer rechtlichen Lösung zuerst alle auffindbaren Fingerzeige in Gesetz, Gesamtrechtsordnung und Dogmatik, kurz: auf der Primärebene, aufzuspüren, um auf dieser Grundlage dann eine ggf. auch über den positiven Gesetzestext hinausgehende Entscheidung zu treffen (= sekundärrechtlicher Ausgangs-, nicht Endpunkt)254. In methodischer Hinsicht bedeutet das, rechtliche Institute nicht freischwebend, „per ordre de mufti“ 255 zu etablieren, sondern nur im Wege der Deduktion aus einer bestimmten primärrechtlichen Rechtsgrundlage. Eine solche primärrechtliche Rechtsgrundlage ist auch die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht. Die Grundlagen der Treuepflicht sind zwar nach wie vor umstritten: Manche betonen ihren vertraglichen Ursprung256, andere halten allein eine gesetzliche Ableitung für begründbar257, wieder andere suchen, was am meisten für sich hat, eine Lösung in der Verbindung beider Elemente, indem sowohl auf den Organisationsvertrag der Gesellschaftsgründer als auch auf eine richterrechtliche Generalklausel abgestellt wird258. Details dieser vielschichtigen Diskussion bedürfen vorliegend aber keiner weiteren Entfaltung259, da die rechtstheoretische Zuordnung der Treuepflicht unbestritten ist: Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht ist eine richterrechtliche Generalklausel und damit eine primärrechtliche Rechtsnorm260. Man kann den Rechtsanwender deswegen auf die Sekundärebene verweisen, weil die Primärebene mit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht bereits eine normative Grundlage enthält, also nicht erst kraft richterlicher Rechtsfortbildung ergänzt werden muss. Den sekundärrechtlichen Standpunkt einzunehmen, bedeutet also, eine Belastungskontrolle nur im Wege der Deduktion und Konkretisierung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht als primärrechtlichem Anknüpfungspunkt zu entwickeln. 253
Oben § 10 B. II. 2. a), § 10 B. III. Vgl. Picker, JZ 1988, 1, 6 Fn. 39. 255 So in Bezug auf das Sachgrunderfordernis Zöllner, AG 2000, 145, 154. 256 Etwa M. Winter, Treubindungen, S. 63 ff. 257 Dezidiert Bachmann, Private Ordnung, S. 211. 258 So insbesondere Hüffer, in: FS Steindorff, S. 59, 66 ff. 259 Ausführlich mit allen Nachweisen etwa Nodoushani, Die Treuepflicht der Aktionäre und ihrer Stimmrechtsvertreter (1997); Wandrey, Beschlusskontrolle, S. 255 ff.; M. Weber, Treubindungen, S. 110 ff.; M. Winter, Treubindungen, S. 43 ff. 260 Vgl. Henze/Notz, in: GroßKomm/AktG, Anh. § 53a Rn. 19; Hüffer, AktG, § 53a Rn. 15; Emmerich, in: Scholz, GmbHG, § 13 Rn. 36 ff.; Merkt, in: MünchKomm/ GmbHG, § 13 Rn. 88; M. Weber, Treubindungen, S. 134 ff. 254
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4. Teil: Eigene Konzeption
Die Methode zur Konkretisierung der Treuepflicht wiederum ist die rechtlich geleitete Interessenabwägung261. Die Methode der rechtlich geleiteten Interessenabwägung tritt allerdings in zwei Ausprägungen in Erscheinung: zum einen als Mikroabwägung, bei der die in einem konkreten Rechtsstreit widerstreitenden Mehrheits-/Minderheitsinteressen gegeneinander abgewogen worden, zum anderen als Makroabwägung, bei der in einem vorgelagerten Schritt durch eine Abwägung abstrakt widerstreitender Interessen über die Aufstellung einer Rechtsregel entschieden wird262. Auch die sich damit erhebende Frage, welche Art der Abwägung bei der Entwicklung einer treuepflichtgestützten Belastungskontrolle zur Anwendung gelangen muss, ist dabei durch den sekundärrechtlichen Ausgangspunkt determiniert: Der Gesetzgeber, der bestimmte Beschlussmaßnahmen auf der Primärebene normativ regelt und zulässt, stattet damit auch die von diesem Beschlussgegenstand ausgehende Belastung mit gesetzgeberischer Legitimität aus. Die Belastung, die sich mit einem Beschlussgegenstand verbindet, ist, wie eben gesehen, in den primärrechtlichen Beschlusskompetenzen also in gewissem Sinne „eingepreist“. Möchte der auf der Sekundärebene startende Rechtsanwender an das von der übergeordneten Primärebene eingepreiste Belastungselement eine Einzelfallabwägung knüpfen, muss er aufgrund dieses rechtstheoretischen Ausgangspunktes daher in einem vorgelagerten Schritt ermitteln und begründen, in welchem Umfang eine solche Belastungskontrolle überhaupt angängig ist. Der Verzicht auf eine solche „Vorschaltabwägung“ wäre auch nicht mit den hier getroffenen beschlussmängelrechtlichen Grundentscheidungen in Einklang zu bringen. Nur im und durch den methodischen Rahmen der rechtlich geleiteten Makroabwägungsmethode, die mit dem Funktionskreis der Treuepflicht als einer Ermächtigungsnorm korrespondiert263, lässt sich, wie im Folgenden sichtbar zu machen sein wird, den durch die getroffenen beschlussmängelrechtlichen Grundentscheidungen bedingten Konsequenzen und Restriktionen Rechnung tragen.
261 Prononciert Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 248; siehe auch T. Raiser, ZHR 151 (1987), 422, 434, 435 ff., 440; vgl. auch, allerdings nur die Einzelfallabwägung im Blick habend Henze/Notz, in: GroßKomm/AktG, Anh. § 53a Rn. 58; Emmerich, in: Scholz, GmbHG, § 13 Rn. 39 f.; Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13 Rn. 145 ff.; Wandrey, Beschlusskontrolle, S. 203. 262 Röhl/Röhl, Rechtslehre, § 82 I (S. 651 f.) sowie bereits oben § 9 B. VIII. 263 Die Ermächtigungsfunktion der Treuepflicht legitimiert den Rechtsanwender, den vorhandenen Bestand an Rechtsnormen-, instituten und -figuren unter Berücksichtigung gesetzlicher Wertungen zu ergänzen bzw. fortzuentwickeln, siehe Hüffer, in: FS Steindorff, S. 59, 69; Schmiedel, ZHR 134 (1970), 173, 182; Wiedemann, in: GroßKomm/ AktG, § 179 Rn. 173. Die Bedeutung und Einordnung der verschiedenen Funktionskreise der Generalklausel „Treuepflicht“ wird zutreffend herausgearbeitet bei Wandrey, Beschlusskontrolle, S. 247 ff., 297.
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II. Die Methode der rechtlich geleiteten Interessenabwägung Die Abwägungsmethode hat in der Methodenlehre klare Konturen und eine handhabbare Struktur verliehen bekommen264: (1) Ermittlung und Aufdeckung der berührten Interessen (2) Gewichtung dieser Interessen (3) Abwägung im engeren Sinne (4) Herstellung und Überprüfung des Abwägungsergebnisses. Schon aufgrund dieser rationalen Kontrollstruktur sind Befürchtungen vor einem großen „Weichmacher“ 265 des (Gesellschafts-)Rechts nicht berechtigt. Sie sind es aber auch deswegen nicht, weil bei der Begründung einer Belastungskontrolle die Interessenabwägung als Methode der Rechtsgewinnung in Rede steht: Durch eine generalisierende Abwägung soll eine Rechtsregel erst ermittelt werden, die Auskunft darüber gibt, inwieweit eine belastungsanknüpfende Einzelfallabwägung zulässig und angezeigt ist. Die Interessenabwägung als Methode der Rechtsgewinnung ist seit der Interessenjurisprudenz Philipp Hecks anerkannt266. Ihr bedient sich auch der Gesetzgeber bei seiner Rechtssetzungstätigkeit; er ist hierzu schon aufgrund seiner Bindung an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gehalten. Und auch der rechtsfortbildende Bundesgerichtshof bekennt sich im „Kali & Salz“-Urteil der Sache nach zu ihr, wenn er bei der Verteilung der Darlegungsund Beweislast von „der hier gebotenen Interessenabwägung“ 267 spricht. Der entscheidende Vorzug dieser Rechtsmethode besteht in seiner institutionellen Absicherung einer angemessenen und gleichrangigen Berücksichtigung sämtlicher involvierter Interessen (Gebot der Äquidistanz): Durch die Pflicht, alle berührten Interessen zu ermitteln, zu gewichten und zu bewerten, wird ein vorschnelles Abstellen auf einzelne, sich (nur) auf den ersten Blick in den Vordergrund drängende Interessen verhindert268. Dieser Methode, deren Wahl auch den im Laufe der Untersuchung gewonnenen Erkenntnissen entspricht269, wollen wir uns bedienen, um entsprechend den Vorgaben der Wertungsjurisprudenz den Bereich der materiellen Beschlusskontrolle durch eine Abwägungsentscheidung normativ aufzufüllen. Stets gilt es dabei, den sekundärrechtlichen Auftrag zu erfüllen, also, alle auffindbaren Fingerzeige in Gesetz, Gesamtrechtsordnung und Dogmatik (= Primärebene) aufzuspüren, zu berücksichtigen und einzubeziehen. Der gewählte Ansatz und Aufbau bringt es dabei mit sich, dass gelegentlich auch be-
264 Ausführlich Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 57 ff.; ferner Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 248 ff.; vgl. auch Larenz, Methodenlehre, S. 404 ff. 265 So bezügl. des (verfassungsrechtl.) Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Ossenbühl, VVDStRL 39 (1981), 189. 266 Siehe Röhl/Röhl, Rechtslehre, § 82 I (S. 652); siehe zudem die Nachweise oben bei § 1. 267 BGHZ 71, 40, 48 (Hervorhebung nicht im Original); vgl. dazu oben § 5 A. II. 2., § 6 H. II. 1. a). 268 Zutreffend Hennrichs, AcP 195 (1995), 222, 254 f. 269 Siehe oben § 6 E., § 8 B. II., § 9 B. VIII., § 10 B. II., § 11 B. V.
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4. Teil: Eigene Konzeption
reits Bekanntes, allerdings anders eingebettet, zur Darstellung gebracht werden muss.
B. Die Rechtsmethode: konkret I. Erster Schritt: grobe Zusammenstellung des Abwägungsmaterials Auf Basis des individualistischen, sekundärrechtlichen und systematisch einheitlichen Ansatzes hat man sich den Interessenkonflikt, über den im Rahmen der Belastungskontrolle zu entscheiden ist, als einen konkreten Konflikt zwischen den Gesellschaftern vorzustellen, der bei den hier interessierenden Beschlussgegenständen prinzipiell gleich liegt: Im Bereich der Satzungs-, vor allem aber der Strukturänderungen stehen die Veränderungsinteressen der Gesellschaftermehrheit den Bewahrungsinteressen der Gesellschafterminderheit. Die Interessen derjenigen Gesellschafter, die dem Beschluss ihre Zustimmung erteilt und damit ihrem Veränderungsinteresse Ausdruck verliehen haben, sind darauf gerichtet, die satzungs- bzw. strukturmäßige Änderung des Status quo eigenverantwortlich, also ohne eine judizielle Belastungskontrolle, durchzuführen. Die Interessen der Gesellschafter, die dem Beschluss ihre Zustimmung verweigert und damit ihr Bewahrungsinteresse bekundet haben, wollen den mitgliedschaftlichen Status quo durch eine richterliche Beschlusskontrolle geschützt wissen270. Diese noch recht allgemeine und grobe Interessenzusammenstellung kann hier genügen. Genauer werden muss man erst beim nächsten Abwägungsschritt: der Interessengewichtung. II. Gewichtung der widerstreitenden Interessen 1. Gewichtung der mehrheitlichen Veränderungsinteressen
Das Recht, Satzungs- und Strukturänderungen eigenverantwortlich zu beschließen, ist grundrechtlich geschützt271. Vor allem haben die mehrheitlichen Veränderungsinteressen durch den Gesetzgeber normative Anerkennung erfahren: Indem der Gesetzgeber Satzungs- und Strukturänderungen dem Mehrheitsprinzip unterstellt272, erkennt er an, dass es ein legitimes Interesse daran geben kann, die satzungs- und verfassungsmäßige Struktur des Gesellschaftsunternehmens veränderten wirtschaftlichen Bedingungen anzupassen. Der Gesetzgeber räumt den mehrheitlichen Veränderungsinteressen folglich einen hohen Stellenwert ein. Dieser primärrechtlichen Gewichtung der mehrheitlichen Veränderungsinteressen hat der auf der Sekundärebene platzierte Rechtsanwender im Rahmen des Abwägungsprozesses Rechnung zu tragen. Das abstrakte Gewicht 270 271 272
Zum Vorstehenden auch bereits oben § 1. Näher oben § 6 B. II. Oben § 2 A.
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der mehrheitlichen Veränderungsinteressen ist daher als sehr hoch zu veranschlagen. Mit der Ermittlung des abstrakten Wertes ist die Gewichtung der mehrheitlichen Veränderungsinteressen allerdings noch nicht abgeschlossen. Um den Wert zu ermitteln, mit dem die mehrheitlichen Veränderungsinteressen in die eigentliche Abwägung um eine belastungsbezogene judizielle Kontrolle einzustellen sind, ist vielmehr noch zu erkunden, in welchem Ausmaß die mehrheitlichen Veränderungsinteressen durch eine solche Kontrolle beeinträchtigt würden273. Hinsichtlich dieses sog. konkreten Erfüllungsgrades274 ist zu unterscheiden: (1) Eine belastungsbezogene Beschlusskontrolle zum Zuge kommen zu lassen, bedeutet, den Beschluss allein aufgrund der mit ihm verbundenen Belastung einer im Rahmen eines Anfechtungsprozesses auszutragenden judiziellen Einzelfallangemessenheitskontrolle zu unterwerfen. Bereits hiermit ist eine Beeinträchtigung der mehrheitlichen Veränderungsinteressen verbunden. Denn der Anfechtungsprozess mit einer treuepflichtgestützten Belastungskontrolle als materiell-rechtlicher Basis ist eine finanzielle, zeitliche und planerische (Rechtssicherheit) Unwägbarkeit275. Vor allem aber wird eine aufgrund einer eingreifenden Treuepflichtkontrolle nicht offensichtlich erfolglose Anfechtungsklage nicht selten die notwendige Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister verhindern276, sei es, weil aufgrund der erhobenen Anfechtungsklage eine vom Gesetz geforderte Negativ-Erklärung (vgl. etwa § 16 Abs. 2 UmwG) nicht abgegeben werden kann, sei es, weil der Registerrichter kraft seiner Prüfungskompetenz (vgl. §§ 21 Abs. 1, 381 FamFG) die Eintragung verweigert277. Der Grad der Interessenbeeinträchtigung der mehrheitlichen Veränderungsinteressen ist bzw. genauer: war daher prinzipiell als hoch zu veranschlagen. Für eine beachtliche Abschwächung des Grades der Interessenbeeinträchtigung hat nämlich der Ausbau des gesellschaftsrechtlichen Freigabeverfahrens gesorgt278. Mit diesem Verfahren, das inzwischen bei den wichtigsten Satzungs- und Strukturänderungen zur Verfügung steht (vgl. § 246a AktG, § 16 Abs. 3 UmwG), lässt sich eine Eintragung des Beschlusses trotz erhobener, unter Umständen sogar erfolgversprechender279 Anfechtungsklage erreichen. Allerdings ist auch dieses gerichtliche Verfahren mit finanziellen, zeitlichen und planerischen Mühen verbunden und sind auch in die273
Siehe Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 61. Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 61. 275 Allgemein „Zur Problematik der aktienrechtlichen Anfechtungsklage“ Zöllner, AG 2000, 145 ff. m.w. N. 276 Ausführlich Baums, Gutachten 63. DJT, S. F. 155 ff. („Hebelwirkung der Anfechtungsklage“) m.w. N.; siehe auch Boujong, in: FS Kellermann, S. 1, 3. 277 Zur Prüfungskompetenz des Registerrichters nur Hüffer, AktG, § 243 Rn. 51 ff. m.w. N. 278 Näher mit Nachweisen oben bei § 9 B. VI. 2. a). 279 Zu dieser umstrittenen, von der h. M. aber bejahten Frage oben bei § 9 B. VI. 2. a) mit Fn. 255. 274
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sem Verfahren die materiell-rechtlichen Kontrollmaßstäbe nicht ohne Belang280. Das Ausmaß der bereits mit einer treuepflichtgestützten Belastungskontrolle verbundenen Interessenbeeinträchtigung ist daher immerhin noch im mittleren Bereich anzusiedeln. (2) Unterwirft man den Beschluss einer treuepflichtgestützten Belastungskontrolle und hat die Anfechtungsklage aufgrund dieser judiziellen Kontrolle auch Erfolg, so ist zwar die Wahrscheinlichkeit dieser Form der Interessenbeeinträchtigung geringer, dafür aber ist das Ausmaß der Interessenbeeinträchtigung hier besonders hoch. Denn mit der Rechtskraft des Anfechtungsurteils fällt der Beschluss der Nichtigkeit anheim (§ 241 Nr. 5 AktG), womit die causa der Satzungs- und Strukturänderung entfällt und diese ex tunc mit allen hiermit verbundenen Schwierigkeiten rückabzuwickeln ist281. Auch insoweit sind jedoch Entwicklungen zu verzeichnen, die den Grad der Interessenbeeinträchtigung reduzieren. So verhindert die inzwischen breitflächig anerkannte Lehre vom fehlerhaften Verband immerhin, aber eben auch nur eine Rückabwicklung ex tunc282. Beruht die Eintragung der Satzungs- und Strukturänderung auf einem rechtskräftigen Freigabebeschluss, den zu erreichen aber, wie gesehen, Mühe kostet, so entfällt die Pflicht zur Rückabwicklung gar ganz. Um den Preis einer Schadensersatzpflicht ordnen die §§ 246a Abs. 4 AktG, 16 Abs. 3 Satz 9 u. 10 UmwG an, dass nach der Eintragung Mängel des Beschusses seine Durchführung unberührt lassen, also auch eine Rückabwicklung ex nunc ausgeschlossen ist283. Insgesamt lässt sich daher auch insoweit von einer Interessenbeeinträchtigung mittleren Grades sprechen. Es lässt sich festhalten: Kommt den mehrheitlichen Veränderungsinteressen ein sehr hohes abstraktes Gewicht zu und liegt ihr konkreter Erfüllungsgrad im mittleren Bereich, so bedeutet dies für den konkreten Wert, mit dem die mehrheitlichen Veränderungsinteressen in die Abwägung einzustellen sind, dass dieser als hoch zu veranschlagen ist. 2. Gewichtung der Interessen der Gesellschafterminderheit
Die mit den mehrheitlichen Veränderungsinteressen konfligierenden Minderheitsinteressen haben wir bislang als Bewahrungsinteressen gekennzeichnet. Diese Kennzeichnung ist aber zu allgemein gehalten, als dass sich mit ihr im Rahmen der Interessenabwägung arbeiten ließe. Ein Instrument, das mit dem Be280
Oben § 9 B. VI. 2. a). Siehe etwa C. Schäfer, Fehlerhafter Verband, S. 22 f., 62 ff. 282 BGHZ 103, 1, 4 f. (Familienheim); BGHZ 105, 168, 382; BGHZ 116, 37, 39 (jew. zu Unternehmensverträgen); aus dem Schrifttum insbesondere Kort, Bestandsschutz fehlerhafter Strukturänderungen im Kapitalgesellschaftsrecht (1998); C. Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband (2002). 283 Statt vieler nur Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 246a Rn. 35; Bork, in: Lutter, UmwG, § 16 Rn. 39; a. A. jedenfalls in umwandlungsrechtlichem Zusammenhang aber C. Schäfer, Fehlerhafter Verband, S. 191 ff. 281
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lastungselement den Blick auf die Gesellschafterminderheit richtet, kommt, will es sachgerechte, differenzierende Ergebnisse gewährleisten, um eine weitere Spezifizierung der Minderheitsinteressen nicht umhin. Eine Spezifizierung drängt sich dabei geradezu auf: die Spezifizierung der Minderheitsinteressen in Vermögens- und Herrschaftsinteressen284. Diese interessenanalytische Unterscheidung verbirgt sich hinter der in jedem Gesellschaftsrechtslehrbuch zu findenden rechtsbezogenen Differenzierung zwischen Vermögens- und Mitverwaltungsrechten285. Auch der Gesetzgeber hat auf diese Unterscheidung bei seiner Rechtssetzungstätigkeit mehrmals zurückgegriffen286. Die einzige gesetzliche Norm, die unmittelbar den Komplex materielle Beschlusskontrolle behandelt, § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG, ist das kodifikatorische Produkt der Unterscheidung zwischen Vermögens- und Herrschaftsinteressen287. Diese Differenzierung liegt weiter auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum aktienrechtlichen Minderheitenschutz zugrunde288. Und auch in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs lassen sich zahlreiche Beispiele für die Differenzierung zwischen Vermögens- und Herrschaftsinteressen finden289 – gerade das Sachgrunderfordernis gründet im Ausgangspunkt auf der Unterscheidung zwischen Vermögens- und Herrschaftsinteressen290. Eine „Zerlegungsdoktrin“, wie diese Unterscheidung in der Literatur mit Blick auf die mit ihr häufig einhergehende Schutzreduktion vereinzelt charakterisiert wurde291, ist damit nicht verbunden. Denn mit der Unterscheidung zwischen Vermögens- und Herrschaftsinteressen ist noch keine Entscheidung über den Umfang des durch eine materielle Beschlusskontrolle zu ge284 Prononcierte Interessenunterscheidung bei Assmann, Prospekthaftung als Haftung für die Verletzung kapitalmarktbezogener Informationspflichten nach deutschem und US-amerikanischem Recht (1985); Kalss, Anlegerinteressen, Der Anleger im Handlungsdreieck von Vertrag, Verband und Markt (2002); speziell im Zusammenhang mit der materiellen Beschlusskontrolle Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt (1996); Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 138 ff.; zur Unterscheidung Vermögens- und Herrschaftsinteressen siehe auch Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 2 I 3 b (S. 103 f.). 285 Siehe mit zum Teil lediglich geringfügig anderer Terminologie und Systematisierung Windbichler, Gesellschaftsrecht, § 22 II 2 (S. 248 ff.), § 30 III 2 (S. 409); T. Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 11 III (S. 64 ff.); K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 19 III c (S. 557 f.). 286 Siehe insbesondere Regierungsbegründung Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und Unternehmensübernahmen, BT-Drucks. 14/7034, S. 32 (Einführung des squeeze-out). 287 Siehe Fraktionsbegründung Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts, BT-Drucks. 12/6271, S. 10. 288 Besonders deutlich etwa BVerfG ZIP 2000, 1670, 1671 ff. (Moto Meter); ausführlich oben § 6 B. 289 Etwa in BGHZ 82, 188, 192 f. (Hoesch/Hoogovens) sowie BGHZ 153, 47, 54 ff. (Macrotron). 290 Siehe BGHZ 71, 40, 45 (Kali & Salz); besonders deutlich BGHZ 120, 141, 146 ff. (Bremer Bankverein). 291 Wiedemann, in: FS K. Schmidt, S. 1731, 1734.
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währleistenden Minderheitenschutzes gefallen. Die Unterscheidung zwischen Vermögens- und Herrschaftsinteressen dient zunächst allein dazu, die Operabilität der Interessenabwägung zu gewährleisten und deren Rationalität zu erhöhen. Sie harmoniert auch mit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht als Rechtsgrundlage der Belastungskontrolle, denn die Art des betroffenen Interesses ist ein Konkretisierungs- und Bestimmungsfaktor der Treuepflicht292. a) Gewichtung der Vermögensinteressen Die Treuepflicht als Rechtsgrundlage determiniert die Gewichtung der Vermögensinteressen: Als Generalklausel kann die Treuepflicht als interessenschützendes Instrument nicht zur Anwendung gelangen, wenn die vorhandenen gesetzlichen Regeln bereits einen angemessenen Interessenschutz gewährleisten293. Oder sekundärrechtlich gesprochen: Das Gewicht, das der auf der Sekundärebene startende Rechtsanwender den Vermögensinteressen einräumen darf, hängt ob dieser rechtstheoretischen Standortbestimmung vom Umfang des Vermögensschutzes auf der Primärebene ab: Je stärker/schwächer die Vermögensinteressen auf der dem Rechtsanwender übergeordneten gesetzlichen Primärebene geschützt sind, desto geringer/höher darf der Rechtsanwender die Vermögensinteressen bei der von ihm vorzunehmenden Interessenabwägung gewichten. Dass das Gesetz die Vermögensinteressen schützt, wird in der Literatur zwar immer wieder gesagt294. Auch wir haben an mehreren Stellen auf vermögensschützende gesetzliche Regelungen hingewiesen295. Möchte man daraus jedoch konkrete Folgen für ein beschlussübergreifendes Institut ziehen, so muss man konkreter werden und den Umfang des gesetzlichen Vermögensschutzes bei den verschiedenen Beschlussgegenständen genauer in den Blick nehmen. Hier wird, so viel sei vorweggenommen, eine zentrale Weichenstellung für die treuepflichtgestützte Belastungskontrolle liegen. Wie also ist es um den Vermögensschutz auf der gesetzlichen Primärebene bestellt? aa) Vermögensinteressen als finanzielle Kompensationsinteressen Vermögensinteressen sind finanzielle, geldwerte Interessen. Sie beziehen sich bilanzrechtlich gesprochen auf das Vermögen als Summe aller Aktivposten. Auch bei der Beteiligung an einer Gesellschaft handelt es sich um einen Aktivposten in der Bilanz des Gesellschafters. Die vermögensrechtlichen Interessen des Gesellschafters sind hiernach darauf gerichtet, dass dieser Aktivposten keinen Wertver292
Siehe Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 252. Siehe BGHZ 65, 15, 19 (ITT); vgl. auch Henze/Notz, in: GroßKomm/AktG, Anh. § 53a Rn. 97. 294 Etwa von Tröger, Treupflicht, S. 283 Fn. 116. 295 Oben bei § 3, § 10 B. III. 2. a), § 10 B. VI. 1., § 12 A. III. 3. b) aa). 293
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lust erleidet, sei es in der Form, dass die Gesellschaft als materielles Substrat des Aktivpostens „Gesellschaftsbeteiligung“ Vermögenswerte abgibt, ohne hierfür hinreichend entschädigt zu werden, sei es, dass der Aktivposten „Gesellschaftsbeteiligung“ selbst eine unmittelbare vermögensrechtliche Beeinträchtigung erfährt, ohne dass dem eine angemessene Kompensation gegenüberstünde. (1) Primärrechtlicher Normenbestand (a) Nicht institutionalisierter Vermögensschutz Den vermögensrechtlichen Kompensationsinteressen widmen sich auf der gesetzlichen Primärebene unterschiedliche Schutzsysteme. Ein erstes primärrechtliches Schutzsystem, der hier sog. nicht institutionalisierte Vermögensschutz, kommt dann zur Anwendung, wenn die Gesellschaft Vermögenswerte abgibt. Ein solcher vermögensrechtlicher Abfluss aus dem Gesellschaftsvermögen ist bei einer Reihe der hier im Mittelpunkt stehenden Beschlussgegenstände zu bejahen. Zu nennen sind etwa Ausgliederungen im Wege der Einzelrechtsnachfolge (insbesondere sog. „Holzmüller-Fälle“)296, die Gesamtvermögensübertragung nach § 179a AktG, die sog. „übertragende Auflösung“ (vgl. § 179a Abs. 3 AktG)297, Unternehmensverträge gem. § 292 AktG, Ausgliederungen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge gem. § 123 Abs. 3 UmwG. Das nicht institutionalisierte Vermögensschutzkonzept der Primärebene versucht in den genannten Konstellationen sicherzustellen, dass die Gesellschaft für den vermögensrechtlichen Abfluss einen angemessenen Gegenwert erhält298. Es sieht dafür aber nicht eine verfahrensrechtlich (Berichts- und Prüfungspflichten) und prozessual (Spruchverfahren) abgesicherte spezielle vermögensrechtliche Norm vor. Beim eben daher nicht institutionalisierten Vermögensschutz ist der finanzielle Kompensationsschutz vielmehr eingebettet in das allgemeine gesellschaftsrechtliche Instrumentarium. Dieses unterscheidet sich danach, ob der vermögensrechtliche Abfluss aus dem Gesellschaftsvermögen einem neutralen Dritten (sog. echte Drittfälle) oder einer der Gesellschaft nahestehenden Person, insbesondere dem Mehrheitsgesellschafter zufließt299. Was die echten Drittfälle anbelangt, so ist zunächst auf die Verhaltenspflichten der Leitungs- und Aufsichtsorgane der Gesellschaft zu verweisen: Vorstand (AG) bzw. Geschäftsführung (GmbHG) und Aufsichtsrat unterliegen einer strengen or296 BGHZ 83, 122; zur Reichweite dieser „Doktrin“ Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 9 IV 1 d (S. 123 f.). Zur „Holzmüller-Doktrin“ im GmbH-Recht siehe Priester, in: FS H. P. Westermann, S. 1281 ff. 297 Begriff von Lutter/Drygala, in: FS Kropff, S. 191 ff. 298 Siehe auch Klöhn, Abfindungsansprüche, S. 217 ff. („Gegenleistungskonzept“); ferner Martens, Wirtschaftsabhängigkeit, S. 19 ff. („Äquivalenzprinzip“). 299 Siehe erneut Klöhn, Abfindungsansprüche, S. 226 f.
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ganschaftlichen Bindung an das Gesellschaftsinteresse300. Diese Bindung verpflichtet die Leitungs- und Aufsichtsorgane dazu, das Wohl der Gesellschaft zu mehren und Schaden von ihr abzuwenden301, verbietet ihnen so, vermögensrechtlich und negativ gesprochen, Vermögenswerte der Gesellschaft abzugeben, ohne dass dem ein anderweitiger Vorteil für die Gesellschaft gegenübersteht302. Diese Verhaltenspflicht ist haftungs- (§§ 93, 116 AktG, 43, 52 GmbHG) und strafbewehrt (§ 266 StGB). Sie wird regelmäßig eine präventiv-verhaltenssteuernde Wirkung dahingehend entfalten, dass der Gesellschaft für vermögensrechtliche Abflüsse ein hinreichender anderweitiger Vorteil zufließt303. In beschlussmängelrechtlicher Hinsicht ist auf die treuepflichtgestützte Verhaltenskontrolle zu verweisen: Bei einer völlig sinnlosen, für die Gesellschaft keinerlei Vorteile bringenden Verschwendung von Gesellschaftsvermögen wird sich regelmäßig ein verhaltensbezogenes Unwerturteil begründen, kompensationslosen vermögensrechtlichen Abflüssen also ein Riegel vorschieben lassen304. Solche Fälle werden freilich deshalb selten vorkommen, weil Gesellschafter und Gesellschaftsorgane in echten Drittfällen ein gleichgerichtetes Interesse daran haben, für die Abgabe von Vermögenswerten einen möglichst hohen Gegenwert zu erhalten. Dieser Interessengleichlauf wird zusammen mit dem Vertragsschlussmechanismus in den allermeisten Fällen dafür sorgen, dass der vermögensrechtliche Abfluss aus dem Gesellschaftsvermögen durch eine angemessene Gegenleistung kompensiert wird305. Der gesellschaftsinterne Interessengleichlauf entfällt bei Transaktionen zwischen der Gesellschaft und einem (Mehrheits-)Gesellschafter bzw. einem mit diesem verbundenen Unternehmen. Die Gefahr ungerechtfertigter Vermögensverlagerungen von der Gesellschaft auf den (Mehrheits-)Gesellschafter ist in diesen Konstellationen denn auch besonders hoch. Das nicht institutionalisierte Vermögenskonzept der Primärebene tritt dem mit einer ganzen Reihe von Instrumenten
300 Für die AG: Hopt, in: GroßKomm/AktG, § 93 Rn. 72 ff. (Vorstand); Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rn. 21 (Aufsichtsrat); für die GmbH: Kleindiek, in: Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, § 43 Rn. 10 ff. insb. Rn. 24 (Geschäftsführer); Lutter, in: Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, § 52 Rn. 66 (Aufsichtsrat); aus der Rechtsprechung insbesondere BGHZ 135, 244 (Arag/Garmenbeck). Zur zweifelhaften Einschränkung dieser Pflichtenbindung durch ein „Unternehmensinteresse“ Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 21 ff. 301 Hopt, in: GroßKomm/AktG, § 93 Rn. 72. 302 In aller Deutlichkeit BGHSt 50, 331, 335 ff. (Mannesmann). 303 Siehe Klöhn, Abfindungsansprüche, S. 218, 227; siehe in Bezug auf Unternehmensverträge gem. § 292 AktG auch Hüffer, AktG, § 292 Rn. 16: „Wenn Vertragspartner nicht Aktionär ist, wird Vorstand keinen Anlaß sehen, etwas zu verschenken.“ 304 Zur treuepflichtgestützten Verhaltenskontrolle oben § 13 B. I. 305 Siehe Lutter/Drygala, in: FS Kropff, S. 191, 203; Klöhn, Abfindungsansprüche, S. 227; aus der Rechtsprechung insbesondere BVerfG ZIP 2000, 1670, 1672 (Moto Meter).
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entgegen, die gewährleisten sollen, dass der Gesellschaft für die Abgabe von Vermögenswerten ein angemessener Gegenwert zufließt. Erneut sind hier die organschaftlichen Verhaltenspflichten (Bindung an Gesellschaftsinteresse) und Haftungsnormen (§§ 93, 116 AktG, 43, 52 GmbHG) zu nennen; sie beanspruchen auch und gerade bei gesellschaftsinternen Transaktionen Geltung (vgl. §§ 93 Abs. 3 Nr. 1, 116, 317, 318 AktG, §§ 43 Abs. 3, 52 GmbHG). Da die organschaftliche Haftung jedoch entfällt, wenn das Organhandeln auf einem gesetzmäßigen Beschluss der Hauptversammlung beruht (§ 93 Abs. 4 Satz 1 AktG)306, kommt es entscheidend darauf an, welche spezifisch beschlussmängelrechtlichen Instrumente gegen unangemessene gesellschaftsinterne Vermögensverlagerungen zur Verfügung stehen. Ein wichtiges Instrument zum Schutze der finanziellen Kompensationsinteressen auch der Gesellschafter ist das Verbot der Einlagenrückgewähr (§ 57 Abs. 1 Satz 1 AktG)307. Es kommt dann zum Tragen, wenn einem (Mehrheits-)Aktionär außerhalb der Bilanzverwendung Leistungen der Gesellschaft zufließen, die nicht durch eine angemessene Gegenleistung kompensiert werden308. Beschlüsse, die solchermaßen ungerechtfertigte Vermögensverlagerungen legitimieren, sind wegen Verletzung gläubigerschützender Vorschriften gem. § 241 Nr. 3 Alt. 1 AktG nichtig309. Dieses vermögensrechtliche Instrumentarium wird jedoch in Rechtsprechung und Literatur mitunter nicht (hinreichend) zur Anwendung gebracht, etwa dadurch, dass man einem (zeitlichen) Vorrang der Regelungen zum faktischen Konzern (§§ 311 ff. AktG) das Wort redet310, oder dergestalt, dass man einer (zu) weitgehenden Verdrängung der Rechtsfolge der Beschlussanfechtbarkeit durch die Rechtsfolge der Beschlussnichtigkeit mit Skepsis entgegentritt311. Ein ohnehin nur eingeschränkter finanzieller Kompensationsschutz der Gesellschafter lässt sich mit den Kapitalerhaltungsnormen im GmbH-Recht bewerkstelligen (§§ 30, 31 GmbHG), denn dort beanspruchen diese erst dann Geltung, wenn durch die gesellschaftsinterne Vermögensverlagerung das satzungsmäßige Stammkapital angegriffen wird. Der nicht institutionalisierte Vermögensschutz kann jedoch auch mit einem Instrument aufwarten, dessen Rechtsfolge lediglich in der Anfechtbarkeit des Beschlusses besteht und das in gleicher Weise wie im Aktienrecht auch im GmbH306 In der GmbH gilt auch ohne eine entsprechende gesetzliche Vorschrift im Prinzip das Gleiche, siehe Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 43 Rn. 40. 307 Klöhn, Abfindungsansprüche, S. 218, 227; zutreffende Betonung der auch-gesellschafterschützenden Funktion der Kapitalerhaltungsnormen bei Hüffer, AktG, § 57 Rn. 1 sowie Hommelhoff, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 30 Rn. 1. 308 Hüffer, AktG, § 57 Rn. 1, 8. 309 Würthwein, in: Spindler/Stilz, AktG, § 241 Rn. 211. 310 Speziell für das Beschlussmängelrecht: OLG Stuttgart ZIP 1995, 1515, 1518 (Moto Meter I); Bachelin, Minderheitenschutz, S. 67/8; allgemein: BGH ZIP 2009, 70, 71 f. (MPS); Bayer, in: MünchKomm/AktG, § 57 Rn. 129 ff.; eigene Erwägungen dazu noch unten in Fn. 318. 311 Schilling, in: FG Hengeler, S. 226, 233.
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Recht zur Anwendung gebracht werden kann: die treuepflichtgestützte Zweckkontrolle. Indem die treuepflichtgestützte Zweckkontrolle das Verfolgen von Sondervorteilen zum Schaden der Gesellschaft312 beschlussmängelrechtlich sanktioniert, vermag sie in einer mit dem positiven Recht (§ 243 Abs. 2 AktG) in Einklang stehenden und dogmatisch stimmigen Weise finanziellen Kompensationsschutz zu gewährleisten. Dies gelingt ihr aus folgenden tatbestandlichen Gründen: Der objektive Tatbestand erfordert zunächst die Feststellung eines Sondervorteils. Als Vorteil lässt die heute ganz herrschende Meinung jedweden Vorteil genügen, Vorteile vermögensrechtlicher Art werden ebenso erfasst wie korporationsrechtliche Vorteile313. Das „Sonder“-Element ist sodann nicht, wie dies in Rechtsprechung und Literatur häufig geschieht314, durch Wertungs- und Abwägungselemente (Gesamtwürdigung, Sachwidrigkeit des Vorteils, wirtschaftliche Rechtfertigung des Vorteils) zu überfrachten, sondern entsprechend dem individualistischen Zuschnitt des § 243 Abs. 2 AktG allein personenbezogen zu verstehen: Von einem „Sonder“-Vorteil ist demnach bereits dann auszugehen, wenn die Gesellschaftermehrheit bzw. der Mehrheitsgesellschafter einen Vorteil erhält, welcher der Gesellschafterminderheit vorenthalten bleibt315. So ist beispielsweise bei der „übertragenden Auflösung“ ein relevanter Sondervorteil bereits deshalb gegeben, weil der Mehrheitsgesellschafter mit der Übernahme des Gesellschaftsunternehmens einen allein ihm und nicht auch den anderen Gesellschaftern zukommenden Vorteil erhält. Entscheidend kommt es sodann auf das zweite objektive Tatbestandsmerkmal, das Vorliegen eines Schadens auf Seiten der Gesellschaft, an316. Schaden in diesem Sinne kann hier wie auch bei den gleichgelagerten Vorschriften der §§ 93, 117, 311, 317, 318 AktG nur ein Vermögensschaden sein317, mithin ein Vorgang, bei dem ein vermögensrechtlicher Abfluss aus dem Gesell312 Die Variante „zum Schaden der anderen Aktionäre“ hat keine eigenständige Bedeutung; in diesen Konstellationen greift der (semi-)institutionalisierte Vermögensschutz ein, siehe dazu sogleich. 313 Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 76; K. Schmidt, in: GroßKomm/AktG, § 243 Rn. 54; Zöllner, in: KölnKomm/AktG, § 243 Rn. 215. 314 BGHZ 138, 71, 80 f. (Sachsenmilch); BGH AG 2009, 534, 535; OLG Hamm NZG 2008, 914, 915 (Gesamtwürdigung, Sachwidrigkeit); Hüffer, AktG, § 243 Rn. 35 (sachwidrige Bevorzugung); K. Schmidt, in: GroßKomm/AktG, § 243 Rn. 55 in Anknüpfung an Schilling, in: GroßKomm/AktG, 3. Aufl. 1973, § 243 Rn. 21 (wirtschaftliche Rechtfertigung des Sondervorteils). 315 Für den Fall, dass kein Vergleichsmarkt existiert, auch OLG Frankfurt AG 1973, 136, 137; explizit gegen ein personenbezogenes Verständnis aber K. Schmidt, in: GroßKomm/AktG, § 243 Rn. 55. 316 Schäden der Gesellschaft sind automatisch auch Schäden der Gesellschafter, siehe Schilling, in: FG Hengeler, S. 226, 231 Fn. 18; eine eigenständige Bedeutung kommt der Variante „zum Schaden der anderen Aktionäre“ im Rahmen des nicht institutionalisierten Vermögensschutzes nicht zu. 317 Zum vermögensbezogenen Begriffsverständnis bei diesen Normen Hüffer, AktG, § 93 Rn. 15, § 117 Rn. 5, § 311 Rn. 25, § 317 Rn. 4, § 318 Rn. 3.
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schaftsvermögen nicht durch eine Gegenleistung an die Gesellschaft hinreichend kompensiert wird318. Die sowohl verfassungs- als auch einfach-rechtlich gebotene Wert- bzw. Äquivalenzkontrolle bei Eingriffen in mitgliedschaftliche Rechte der Gesellschafter319 lässt sich somit recht zwanglos an dieser Stelle des objektiven Tatbestandes einordnen. Bei der „übertragenden Auflösung“, um im Beispiel zu bleiben, wäre ein (Vermögens-)Schaden der Gesellschaft folglich dann zu bejahen, wenn der Kaufpreis für die Übertragung des gesamten Gesellschaftsvermögens nicht dem Wert des übertragenen Vermögens entspricht. In subjektiver Hinsicht bedarf es dann noch der Feststellung, dass der (Mehrheits-)Gesellschafter diesen Vorteil auch gewollt hat. Eine hohe Hürde ist damit jedoch nicht aufgestellt. Denn zum einen genügt insoweit bedingter Vorsatz (dolus eventualis), Absicht im Sinne eines dolus directus ersten Grades ist nicht erforderlich320. Zum anderen und entscheidend muss sich der Vorsatz lediglich auf das Erlangen des Sondervorteils, nicht dagegen auf das Schadenselement beziehen. Dies ist für § 243 Abs. 2 AktG weitgehend anerkannt321. Für das in die treuepflichtgestützte Zweckkontrolle eingebettete Sondervorteilsverbot kann dann nichts anderes gelten. (b) Semi-institutionalisiertes Schutzkonzept Ein semi-institutionalisiertes Schutzkonzept setzt dann ein, wenn die vermögensrechtlichen Kompensationsinteressen deswegen berührt werden, weil der Aktivposten „Gesellschaftsbeteiligung“ unmittelbar wegfällt (Wegfall-Konstellation) 318 Vgl. auch zum strafrechtlichen Begriff des Vermögensschadens insbesondere im Rahmen des Betrugstatbestandes (§ 263 StGB) Küper, Strafrecht BT, S. 375 ff. An dieser tatbestandlichen Stelle stellt sich das Problem des Verhältnisses der §§ 311 ff. AktG zum Beschlussmängelrecht: Wird der von den §§ 311 ff. AktG geforderte Nachteilsbzw. Schadensausgleich sofort erbracht, fehlt es bereits an einem Vermögensschaden der Gesellschaft, womit die Anfechtbarkeit des Beschlusses entfällt, siehe auch Schilling, in: FG Hengeler, S. 226, 234. Was die umstrittene Frage nach einem Vorrang der §§ 311 ff. AktG aufgrund der Möglichkeit, den Nachteilsausgleich zeitlich aufzuschieben, betrifft (zu dieser Streitfrage ausführlich Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 288 ff.), so soll hier nur zu bedenken gegeben werden, dass die Annahme eines Vorrangs der §§ 311 ff. AktG zur Folge hat, dass ungerechtfertigte Vermögensverlagerungen in faktischen Konzernverhältnissen regelmäßig keine beschlussmängelrechtliche Sanktion nach sich ziehen – wird der Nachteilsausgleich zu einem späteren Zeitpunkt nicht erbracht, hat es nämlich mit der Schadensersatzpflicht gem. §§ 317 f. AktG sein Bewenden. 319 Zur verfassungsrechtlichen Grundlage dieses Gebots hier nur BVerfGE 289, 303 ff. (DAT/Altana); ausführlich oben § 6 B.; zur einfach-rechtlichen Grundlage im Zusammenhang mit dem Bezugsrechtsausschluss (§ 255 Abs. 2 AktG) etwa Bayer, ZHR 163 (1999), 505, 522 ff.; näher sogleich im Text. 320 So die h. M. im Rahmen von § 243 Abs. 2 AktG: Hüffer, AktG, § 243 Rn. 34: Zöllner, in: KölnKomm/AktG, § 243 Rn. 223; a. A. Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 243 Rn. 24 m.w. N. 321 Hüffer, AktG, § 243 Rn. 34; Zöllner, in: KölnKomm/AktG, § 243 Rn. 224; Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 243 Rn. 24.
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oder eine Wertminderung dieses Aktivpostens deswegen droht, weil sein materielles Substrat, das Gesellschaftsvermögen, mit hinzukommenden Gesellschaftern geteilt werden muss (Teilungskonstellation). Ersteres ist bei der Gesellschaftsauflösung, der Zwangseinziehung (§ 237 AktG, § 34 GmbHG) sowie dem Gesellschafterausschluss aus wichtigem Grund322 der Fall323. Letzteres liegt in folgenden Konstellation vor: beim Bezugsrechtsausschluss, regelmäßig bei Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen auf Seiten der herrschenden Gesellschaft (Abfindungspflicht in eigenen Aktien der herrschenden Gesellschaft gem. § 305 Abs. 2 Nr. 1 u. 2 AktG), der aktienrechtlichen Mehrheitseingliederung ebenfalls auf Seiten der herrschenden Gesellschaft (Abfindungspflicht in eigenen Aktien der Hauptgesellschaft gem. § 320 b Abs. 1 AktG), den umwandlungsrechtlichen Vorgängen der Verschmelzung und der Spaltung jeweils auf Seiten der übernehmenden Gesellschaft. Der semi-institutionalisierte Vermögensschutz hält bei den genannten Maßnahmen eine spezielle vermögensschützende Norm parat, die den Wertverlust der Gesellschafter finanziell ausgleichen soll: Bei der Gesellschaftsliquidation hat der Gesellschafter einen vermögensrechtlichen Anspruch auf den anteiligen Liquidationserlös (§ 237 AktG, § 34 GmbHG), der durch liquidationsrechtliche Pflichten und Haftungsansprüche weiter abgesichert wird324. Bei der aktien- oder GmbH-rechtlichen Zwangseinziehung wird die Gesellschaft regelmäßig ein (angemessenes) Einziehungsentgelt zu zahlen haben (vgl. § 237 Abs. 2 Satz 3 AktG)325. Ein Gesellschafterausschluss aus wichtigem Grund ist nur zulässig, wenn der ausgeschlossene Gesellschafter eine angemessene Abfindung für seinen Gesellschaftsanteil erhält326. Beim Bezugsrechtsausschluss und den genannten konzern- und umwandlungsrechtlichen Maßnahmen gleicht das semi-institutionalisierte Schutzkonzept den Wertverlust durch die Verpflichtung aus, die neuen Beteiligungen nur gegen eine angemessene Gegenleistung in das Gesell322 Vgl. dazu Grunewald, Ausschluss, S. 1 ff., 29 ff., 60 ff.; zum Gesellschafterausschluss im GmbH-Recht Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 34 Anh. Rn. 2 ff.; zur umstrittenen Rechtslage im Aktienrecht Grunewald, Ausschluss, S. 52 ff. sowie K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 28 I 5 (S. 803). 323 Weiter führt auch die Anteilskaduzierung gem. §§ 64 AktG, 21 GmbHG zum Verlust der Mitgliedschaft, doch kann dieser Fall vorliegend vernachlässigt werden, insbesondere deshalb, weil der Gesellschafter hier den Verlust der Mitgliedschaft durch Nichterbringung der Einlage selbst zu vertreten hat, vgl. Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 35. Auch eine Kapitalherabsetzung kann in Ausnahmefällen (Entstehen von Aktienspitzen) zum Verlust der Mitgliedschaft führen, siehe BGHZ 138, 71, 76 (Sachsenmilch); Hofmann, Minderheitenschutz, S. 456 ff.; für eine Kompensation sorgt hier die Möglichkeit, etwaige Teilrechte zu veräußern (BGHZ 138, 71, 77 [Sachsenmilch]) sowie das Verfahren der Kraftloserklärung und Verwertung für Rechnung der Beteiligten (vgl. § 226 AktG sowie dazu Hüffer, AktG, § 226 Rn. 7 ff., 14 ff.). 324 Prononcierte Hervorhebung und Darstellung der vermögensrechtlichen Schutzwirkung der gesetzlichen Liquidationsnormen bei M. Winter, Treubindungen, S. 157 ff. 325 Zu den umstrittenen Einzelheiten Hüffer, AktG, § 237 Rn. 17 f., 28 f. 326 Statt vieler Grunewald, Ausschluss, S. 86 ff.
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schaftsvermögen auszugeben. So kann eine Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss gem. § 255 Abs. 2 AktG327 (analog)328 angefochten werden, wenn die neuen Aktien nicht zu ihrem „wahren, inneren“ Wert ausgegeben werden329. Und bei den konzern- und umwandlungsrechtlichen Vorgängen fordert das Gesetz (§§ 293e, 305, 320e Abs. 3, 320b AktG, § 12 Abs. 2 UmwG i.V. m. § 125 Satz 1 UmwG) eine „angemessene Abfindung“ bzw. ein „angemessenes Umtauschverhältnis“, andernfalls ist der Konzernierungs- und Umwandlungsbeschluss ebenfalls anfechtbar330. Diesen Normen ist folglich nur dann genügt, wenn in das Gesellschaftsvermögen ein angemessener Gegenwert fließt, beim Bezugsrechtsausschluss der für die neuen Anteile aufzubringende Geldbetrag bzw. Sachwert, bei den konzern- und umwandlungsrechtlichen Vorgängen der Gewinn bzw. das Vermögen der abhängigen Gesellschaft bzw. des übertragenden Rechtsträgers. Der Wertverlust der Alt-Gesellschafter wird dadurch finanziell kompensiert, denn zwar müssen sie den „Gesellschaftskuchen“ nun mit neuen Gesellschaftern teilen, doch wird eben dieser „Kuchen“ größer, wodurch ein wertmäßiger Verlust verhindert wird. (c) Institutionalisierter Vermögensschutz Besonders wirksam ist der finanzielle Kompensationsschutz dann, wenn dieser voll institutionalisiert ist, was bedeutet: Der Gesellschafter wird für den Wegfall 327 Auch für das GmbH-Recht ist anerkannt, dass der Ausgabepreis nicht unter Wert liegen darf, siehe Lutter/Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 55 Rn. 24; Priester, in: Scholz, GmbHG, § 55 Rn. 56; Rottnauer, ZGR 2007, 401, 413; T. Raiser, in: Ulmer, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 145, der mit Recht darauf hinweist, dass die genaue Begründung hierfür (§ 255 Abs. 2 AktG analog, Treuepflicht, Gleichbehandlungsgrundsatz) von der rechtsdogmatischen Ausgestaltung des Gesellschafterschutzes beim Bezugsrechtsausschluss im GmbH-Recht abhängt; monographisch zu dieser umstrittenen Frage etwa Heitsch, Das Bezugsrecht der Gesellschafter der GmbH bei Kapitalerhöhungen (1996). 328 § 255 Abs. 2 AktG findet nach h. M. in zahlreichen Konstellationen (Kapitalerhöhung gegen Sacheinlagen, bedingte Kapitalerhöhung gem. § 192 AktG, Kapitalbeschaffung mittels der Instrumente des § 221 AktG) analoge Anwendung, vgl. Hüffer, AktG, § 255 Rn. 15 f.; Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 255 Rn. 6 ff., jew. m.w. N.; siehe auch noch die folgende Fn. 329. 329 Es kann heute als weitgehend anerkannt gelten, dass die in § 255 Abs. 2 AktG gebrauchte Formulierung „unangemessen niedrig“ nicht so zu verstehen ist, als decke sie „angemessen niedrige“ Ausgabebeträge; die Anfechtbarkeit ist vielmehr immer schon dann gegeben, wenn der Ausgabebetrag nicht dem vollen inneren Wert der neu geschaffenen Aktien entspricht; siehe Bayer, ZHR 163 (1999), 505, 522 ff.; Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 255 Rn. 15 ff., jew. m.w. N. zur Rspr. sowie (früher) vertretenen Gegenauffassungen. 330 Die Anfechtbarkeit für die Gesellschafter der herrschenden bzw. übertragenden Gesellschaft gründet in diesem Falle auf einer analogen Anwendung des § 255 Abs. 2 AktG, siehe ausführlich zu den konstruktiven und methodischen Einzelheiten Adolff, Unternehmensbewertung, S. 426 ff., (zur Verschmelzung), S. 441 (zum Beherrschungsund Gewinnabführungsvertrag), S. 432 f. (zur Spaltung), S. 442 (zur Eingliederung); ferner Bayer, ZHR 163 (1999), 502, 516 (zur Verschmelzung).
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des Aktivpostens „Gesellschaftsbeteiligung“ oder für eine anderweitige Entwertung dieses Aktivpostens von der Primärebene durch einen eigenen materiellrechtlichen Anspruch entschädigt. Dieser Anspruch wird verfahrensmäßig dadurch abgesichert, dass die Leitungsorgane über seine Werthaltigkeit zu berichten und unabhängige Sachverständige hierüber eine Prüfung durchzuführen haben. Die prozessuale Durchsetzung des materiell-rechtliche Anspruches erfolgt sodann im gesellschaftsrechtlichen Spruchverfahren, das vom Amtsermittlungsgrundsatz beherrscht wird331 und dessen Kosten die Gesellschaft zu tragen hat (§ 15 Abs. 2 SpruchG). Der institutionalisierte Vermögensschutz kommt bei einer ganzen Reihe der im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehenden Beschlussgegenstände zur Anwendung: Ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag räumt dem herrschenden Unternehmen ein im Konzerninteresse stehendes Weisungsrecht ein (§ 308 AktG), hebt die kapitalerhaltungsrechtliche Vermögensbindung auf (§ 291 Abs. 3 AktG) und verhindert das Entstehen eines ausschüttungsfähigen Bilanzgewinns – der finanziellen Kompensation für diese vermögensrechtliche Entwertung dient die Ausgleichspflicht des § 304 AktG332. Die aktienrechtliche Mehrheitseingliederung hat zur Folge, dass die Minderheitsgesellschafter ihre Beteiligung an der einzugliedernden Gesellschaft, also eine vermögensrechtliche Position, einen Aktivposition verlieren (§ 320a AktG) – dafür haben sie gem. § 320b AktG Anspruch auf eine angemessene Abfindung bzw. einen angemessenen finanziellen Ausgleich333. Ähnlich liegen die Dinge beim aktienrechtlichen Zwangsausschluss (§§ 327a ff. AktG); hier lautet das Motto: Aktien gegen Barabfindung. Die umwandlungsrechtliche Verschmelzung und Aufspaltung hat das Erlöschen des übertragenden Rechtsträgers zur Folge, womit den Gesellschaftern der übertragenden Gesellschafter auch ihre Gesellschaftsbeteiligung verloren geht – für 331 Zum Amtsermittlungsgrundsatz des Spruchverfahrens und seinen Einschränkungen Fritzsche/Dreier/Verfürth, SpruchG, Vorbem. §§ 7–10, Rn. 1 ff. 332 Dem Umstand, dass eine Dividendengarantie (§ 304 AktG) nicht alle vermögensrechtlichen Nachteile bei und infolge des Abschlusses eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags kompensieren könne (Wertverlust der Aktien am Kapitalmarkt, Verringerung des Erlöses bei der Liquidation), soll nach Auffassung des historischen Gesetzgebers das zusätzlich bestehende Abfindungsrecht nach § 305 AktG Rechnung tragen, siehe Kropff, Aktiengesetz 1965, S. 397. Für Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge im GmbH-Recht hängt die analoge Anwendbarkeit des § 304 AktG von der Vorfrage nach den notwendigen Abschlussvoraussetzungen [dazu bereits oben bei § 13 B. III. 1. b)] ab: Hält man einen einstimmigen Beschluss für erforderlich (so etwa Zöllner/Beurskens, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, SchlAnhKonzernR Rn. 54 m.w. N.), so kann man den Gesellschafterschutz der privatautonomen Vereinbarung überlassen; lässt man eine 3/4-Mehrheit genügen (so etwa Lutter/Hommelhoff, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. § 13 Rn. 52, 65 f.), spricht alles für eine analoge Anwendung von § 304 AktG, vgl. auch Liebscher, in: MünchKomm/GmbHG, § 13 Anh. Rn. 711 ff. 333 Zum Doppelcharakter der Abfindung gem. § 320b AktG zwischen Austrittsrecht und Ausschluss gegen finanzielle Entschädigung Schindler, Austrittsrecht, S. 113 f. m.w. N. zu anderen Einordnungen.
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die finanzielle Kompensation sorgt hier die ggf. um bare Zuzahlungsansprüche ergänzte Beteiligung dieser Gesellschafter am übernehmenden Rechtsträger (§§ 2, 5 Abs. 1 Nr. 2, 15, 20 Abs. 1 Nr. 3, 123 Abs. 1 und 2, 131 Nr. 3 UmwG)334. Auch der umwandlungsrechtliche Formwechsel lässt sich, geht man über die Identitätsdogmatik einmal hinweg, in das gesellschafterbezogene Gegenleistungskonzept einordnen – die Gesellschafter verlieren ihre Beteiligung an der Gesellschaft alter Rechtsform, werden dafür jedoch mit der Beteiligung an der Gesellschaft neuer Rechtsform finanziell entschädigt. Stets normiert das Gesetz besondere Berichts- und Prüfungspflichten (Unternehmensverträge: §§ 293a ff. AktG; Eingliederung: § 320 Abs. 2–4 AktG; squeeze-Out: § 327c und d AktG; Verschmelzung: §§ 8 ff., 47 ff., 60 ff. UmwG, Aufspaltung: § 125 Satz 1 UmwG; Formwechsel: § 192 UmwG) und ordnet die Geltung des SpruchG an (siehe § 1 SpruchG). Die umfassenden materiell-rechtlichen, verfahrensrechtlichen und prozessualen vermögensschützenden Instrumente, kurz: der primärrechtliche Vermögensschutz, soll sicherstellen, dass die Gesellschafter bei Eingriffen in ihre Rechte wirtschaftlich voll entschädigt werden. Die Gesellschafter sollen mit anderen Worten keinen finanziellen, in Geld messbaren Nachteil erleiden. Dies wirft – um zur Gewichtungsfrage im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung zurückzukehren – die Frage auf, ob der auf der Sekundärebene platzierte Rechtsanwender die von der Primärebene umfangreich geschützten Vermögensinteressen im Rahmen der Interessenabwägung nicht mit dem Wert null zu gewichten hat bzw. sie vielleicht gar nicht erst in die Abwägung hätte einstellen dürfen. Betrachtet man allein den vorhandenen Bestand an primärrechtlichen Normen und Instituten, könnte man in der Tat geneigt sein, diese Frage zu bejahen. Bezieht man dagegen auch die Normanwendungsebene mit ein, wird es etwas schwieriger. (2) Rechtsanwendungsebene (a) Die vermögensrechtlichen Probleme Die Defizite und Schwierigkeiten des finanziellen Kompensationsschutzes335 zeigen sich erst und vor allem auf der Rechtsanwendungsebene. Mit einem klassischen Rechtsanwendungsproblem hat man es dann zu tun, wenn das vermögensschützende Potential vorhandener Normen und Institute nicht voll ausgeschöpft wird. Beispiele hierfür bilden etwa der vermögensrechtliche Kompensations-
334
Siehe Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 269 f. Vgl. zu weiteren, im vorliegenden Kontext aber nicht unmittelbar relevanten vermögensrechtlichen Problemen Hüffer, in: FS Kropff, S. 127, 140 (zu § 243 Abs. 2 AktG) sowie Tröger, Treupflicht, S. 284 f. 335
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schutz bei der „übertragenden Auflösung“ 336 vor dem verfassungsgerichtlichen Einschreiten337 sowie die Vernachlässigung des § 255 Abs. 2 AktG im Rahmen des Bezugsrechtsausschlusses338. Beim nicht bzw. nur semi-institutionalisierten Vermögensschutz besteht ferner ein Einflussproblem. Die Gesellschaftermehrheit/der Mehrheitsgesellschafter hat hier vielfältige rechtliche und faktische Möglichkeiten, auf das gesellschaftsinterne Verfahren (Ablauf, Begutachtung, Unternehmensbewertung) und die handelnden Personen (Geschäftsführung, Liquidatoren, Aufsichtsrat, beauftragte Wirtschaftsprüfer) mit dem Ziel und dem Ergebnis Einfluss zu nehmen, dass die vorhandene vermögensschützende Norm ausgehöhlt wird, sie im wahrsten Sinne des Wortes leer läuft339. Im „Linotype“-Fall340 etwa hatte der Mehrheitsgesellschafter durch Einflussnahmen auf Geschäftsführung und Liquidatoren für eine „günstige“ Überleitung des Gesellschaftsunternehmens auf sich selbst gesorgt, wodurch das nach Abschluss der Liquidation zu verteilende Vermögen und damit der Liquidationsanspruch der Gesellschafter geschmälert wurde. Der seine vermögensrechtlichen Kompensationsinteressen verfolgende Gesellschafter hat beim nicht bzw. nur semi-institutionalisierten Vermögensschutz weiter mit einem Nachweisproblem zu kämpfen. Denn die Darlegungs- und Beweislast obliegt hier grundsätzlich dem Gesellschafter als Anfechtungskläger, dieser muss also insbesondere den Nachweis der Unangemessenheit der für einen vermögensrechtlichen Abfluss erhaltenen Gegenleistung führen341. Diesen Nachweis wird er allerdings häufig nur schwer bis kaum führen können, werden sich die hierfür notwendigen Informationen doch regelmäßig in der Hand der Gesellschaft befinden – und besondere Berichts- und Prüfungspflichten, die sich auf die Angemessenheit der erhaltenen Gegenleistung beziehen, bestehen im nicht-/ semi-institutionalisierten Vermögensschutz gerade nicht342. Ein zentrales Problem, mit dem jedes vermögensrechtliche Schutzkonzept konfrontiert wird, ist das Bewertungsproblem343. Die Beurteilung der Frage, ob
336 Vgl. etwa OLG Stuttgart ZIP 1995, 1515, 1518 ff. (Moto Meter I), das sich einem vermögensrechtlichen Kompensationsschutz weitgehend verweigert. 337 BVerfG ZIP 2000, 1670 (Moto Meter). 338 Vgl. BGHZ 71, 40, 44 f. (Kali & Salz); Füchsel, BB 1972, 1533 ff.; ausführlich oben § 6 F.; zutreffende Analyse bei Hirte, DB 1995, 1113 ff. 339 Siehe Lutter/Drygala, in: FS Kropff, S. 191, 202 ff., 206 f. 340 BGHZ 103, 184; zum GmbH-Recht der ähnlich gelagerte Fall BGHZ 76, 352. 341 Zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Anfechtungsprozess hier nur Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 144 ff.; näher oben § 8 B. III. 2. a) sowie unten § 14 C. II. 1. a). 342 Siehe Lutter/Drygala, in: FS Kropff, S. 191, 199 f. 343 Prononciert im Zusammenhang mit dem aktienrechtlichen Zwangsausschluss Hanau, NZG 2002, 1040, 1043: „klaffende Flanke“ des vermögensrechtlichen Schutzansatzes; ferner auch Lutter/Drygala, in: FS Kropff, S. 191, 206 f.
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die für einen vermögensrechtlichen Abfluss erhaltene Gegenleistung angemessen ist, macht es notwendig, die beteiligten Unternehmen zu bewerten. Unternehmensbewertungen aber sind aufgrund ihrer Subjektbezogenheit (= Abhängigkeit der Bewertung von der bewertenden Person)344, der stets bestehenden Ansatzund Bewertungsspielräume345 sowie ihres prognostischen Charakters (= Zukunftsbezogenheit von Unternehmensbewertungen)346 fehleranfällig. So sehr Verfassungsrecht und einfaches Recht betonen, dass Gesellschafter für Eingriffe in ihre Rechte wirtschaftlich voll entschädigt werden müssen347, dass die erhaltene Gegenleistung dem „wahren, inneren Wert“ der erhaltenen Leistung/Beteiligung entsprechen muss348, so klar ist denn auf der anderen Seite, dass Unternehmensbewertungen diesen Wert verfehlen können349. Beispiele dafür gibt es in nicht geringer Zahl350. (b) Gewichtungsveränderung Die im vorliegenden Kontext entscheidende Frage besteht darin, ob die aufgezeigten Defizite des finanziellen Kompensationsschutzes eine andere, nämlich höhere Gewichtung der Vermögensinteressen zur Folge haben müssen. Hinsichtlich des erwähnten klassischen Rechtsanwendungsdefizits ist diese Frage zu verneinen. Denn dieses Defizit ist nicht auf der gesetzlichen Norm-, der Primärebene angelegt, sondern betrifft allein die Rechtsanwendungs-, die Sekundärebene. Ein Rechtsanwender aber, der sich der Frage einer treuepflichtgestützten Belastungskontrolle von der Sekundärebene her nähert, darf dabei Interessen aufgrund normativer Defizite nur dann höher gewichten, wenn dieses Defizit von der Primärebene herrührt, nicht dagegen, wenn es auf der Sekundärebene verursacht wird. Denn dann kann und muss der Rechtsanwender das Defizit selbst auf der Rechtsanwendungsebene beheben. Eine in diesem Sinne veränderte Rechtsanwendung scheint sich denn auch abzuzeichnen351. 344
Adolff, Unternehmensbewertung, S. 1 f. Bayer, ZHR 163 (1999), 505, 533; Lutter/Drygala, in: FS Kropff, S. 191, 206 f. 346 Bayer, ZHR 163 (1999), 505, 533; Lutter/Drygala, in: FS Kropff, S. 191, 206. 347 Etwa BVerfGE 289, 303 ff. (DAT/Altana); näher oben § 6 F. 348 Zu § 255 Abs. 2 AktG etwa Hüffer, AktG, § 255 Rn. 5; dazu auch oben Fn. 329. 349 Statt vieler Tröger, Treupflicht, S. 283; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 317; konzediert auch von Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 340; man kann dies auch schlicht damit begründen, dass es diesen einen richtigen Wert nicht gibt, siehe Adolff, Unternehmensbewertungen, S. 1 ff. 350 Siehe Lutter/Drygala, in: FS Kropff, S. 191, 206 mit Fn. 61. 351 Vgl. etwa das treuepflichtbasierte Sondervorteilsverbot bzw. § 243 II AktG für einen finanziellen Kompensationsschutz fruchtbar machend OLG Zweibrücken ZIP 2005, 948, 959 (zur übertragenden Auflösung); OLG Frankfurt AG 1937, 136, 137 f. (Betriebspachtvertrag); LG München NZG 2002, 826, 827 f. (allerdings auf eine „massive Vermögensverschiebung“ bei einem Aktientauschvertrag abstellend); vgl. auch das 345
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Etwas schwieriger ist die Gewichtungsfrage bezüglich des Einfluss- und Nachweisdefizits. Denn diese Defizite sind auf der gesetzlichen Primärebene zumindest angelegt: Die rechtliche und faktische Herrschaft über das der vermögensrechtlichen Norm vorausliegende und sie umrahmende Verfahren kommt der Gesellschaftermehrheit/dem Mehrheitsgesellschafter nur deswegen zu, weil die Primärebene auf eine (volle) Institutionalisierung des finanziellen Kompensationsschutzes mitunter verzichtet. Und die Darlegungs- und Beweislast für unangemessene Vermögensverlagerungen trifft den Gesellschafter in diesen Fällen deswegen, weil dies die materiell-rechtliche Primärebene durch die Tatbestandsfassung so vorgibt352. Allerdings gilt es zu bedenken, dass zur Minderung sowohl des Einfluss- als auch des Nachweisdefizits bereits andere Instrumente und Mittel zur Verfügung stehen. Einer illegitimen Einflussnahme auf das vermögensrechtliche Verfahren und die maßgeblichen Akteure setzt neben der gesetzlichen Verfahrensordnung353 und Kompetenzverteilung354 vor allem die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht als Schadensersatz-355 und beschlussmängelrechtliche Kontrollnorm (treuepflichtgestützte Verhaltenskontrolle)356 Schranken. So wurde in der „Linotype“-Entscheidung wie auch in der GmbH-rechtlichen Parallelentscheidung der Auflösungsbeschluss auch und vor allem deswegen im Rahmen der treuepflichtgestützten Verhaltenskontrolle beanstandet, weil durch die Einflussnahmen des Mehrheitsgesellschafters der erzielbare Liquidationserlös und damit der vermögensrechtliche Anspruch der Gesellschafter gem. § 271 AktG, § 72 GmbHG verkürzt wurde357. Und dem Nachweisproblem kann, wie in Rechtsprechung und Literatur zunehmend befürwortet, mit prozessualen Mitteln, insbesondere einer Modifikation der Darlegungs- und Beweislast, abgeholfen werden: Das Prinzip der Tatsachennähe lässt es zu, vom klagenden Gesellschafter lediglich den Nachweis der Möglichkeit einer unangemessenen Gegenleistung abzuverlangen, die Darlegungs- und Beweislast im Übrigen aber der Gesell-
freimütige Geständnis von Hirte, WM 1997, 1001, 1004, die „Schlüsselrolle“ der vermögensrechtlichen Norm des § 255 II AktG anfänglich unterschätzt zu haben; siehe auch Bayer, ZHR 1963 (1999), 505, 514 f. 352 Im vorliegenden Zusammenhang also § 243 AktG, der die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen des Anfechtungsgrundes dem Anfechtungskläger aufbürdet, siehe im Einzelnen Hüffer, in: FS Fleck, S. 151, 154 ff. 353 So etwa die gesetzliche Verfahrensordnung bei der Liquidation (§§ 264 ff. AktG, 66 ff. GmbHG), siehe hierzu M. Winter, Treubindungen, S. 157 ff. 354 Dies trifft vor allem auf das Aktienrecht zu, das dem Mehrheitsgesellschafter außerhalb eines vertraglichen Konzernverhältnisses grundsätzlich nur Einflussnahmen in der in ihren Kompetenzen eingeschränkten Hauptversammlung (vgl. § 119 AktG) gestattet. 355 In Betracht gezogen von BGHZ 103, 184, 189 (Linotype) (zur Liquidation). 356 Siehe oben § 13 B. I. 357 Zutreffende vermögensrechtliche Deutung von BGHZ 76, 352 bei M. Winter, Treubindungen, S. 160 f.; für BGHZ 103, 184 (Linotype) lässt sich Gleiches sagen.
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schaft, deren Sphäre der Unternehmenswert zuzuordnen ist, aufzubürden358. Dass weiter auch das subjektive Tatbestandsmerkmal der treuepflichtgestützten Zweckkontrolle (Vorsatz bzgl. Sondervorteils) keine große Hürde darstellt, wurde bereits dargetan359. Die genannten Defizite betreffen zudem allein den nicht- bzw. semi-institutionalisierten Vermögensschutz. Sie verlieren in dem Maße an Gewicht, in dem der finanzielle Kompensationsschutz institutionalisiert wird. In diese Richtung aber geht die Rechtsentwicklung. Gesetzgebung, (Verfassungs-)Rechtsprechung und Literatur lassen deutlich die Tendenz erkennen, den finanziellen Kompensationsschutz zu institutionalisieren: Nahezu übereinstimmend wird inzwischen von der Analogiefähigkeit des SpruchG ausgegangen360; das Spruchverfahren kann also auch dann zur Verfügung gestellt werden, wenn dies bei einem bestimmten Beschlussgegenstand nicht gesetzlich festgeschrieben ist361. Auch der analogen Anwendung der Berichts- und Prüfungspflichten des Aktien- und Umwandlungsrechts (§§ 293a ff. AktG, 8 ff. UmwG) steht man in gewachsenem Maße aufgeschlossen gegenüber362. Einen materiell-rechtlichen Anspruch zu begründen, auf den dieser verfahrensmäßige und prozessuale Rahmen ausgerichtet ist, bereitet dann nur noch wenig Mühe363. Als Beispiel für die Institutionalisierung bisher nicht institutionalisierter vermögensgefährdender Konstellation kann etwa der Beschluss über den Börsenrückzug (sog. Delisting) genannt werden364. Auch die „übertragende 358 Siehe OLG Frankfurt AG 1973, 136, 137 (zum Betriebspachtvertrag); deutlicher BayOblG AG 1991, 185, 187 (Magna Media) (zur übertragenden Auflösung); in diese Richtung wohl auch OLG Zweibrücken ZIP 2005, 948, 950 (zur übertragenden Auflösung); aus der Literatur etwa M. Roth, NZG 2003, 998, 1003 f. (zur übertragenden Auflösung); siehe ferner Hüffer, AktG, § 243 Rn. 62. 359 Oben bei (1) (a). 360 Begründung Rechtsausschuss Gesetz zur Neuordnung des gesellschaftsrechtlichen Spruchverfahrens, BT-Drucks. 15/838, S. 16; BVerfG ZIP 2000, 1670, 1673 (MotoMeter); BGHZ 153, 47, 57 f. (Marotron); BayOblG AG 1999, 185, 186 (Magna Media); Bidmon, Spruchverfahren, S. 53 f.; Fritzsche/Dreier/Verfürth, SpruchG, § 1 Rn. 73 ff.; Melber, Spruchverfahren, S. 117 ff.; Wiedemann, ZGR 1999, 857, 866 f.; zurückhaltender Hüffer, AktG, § 179a Rn. 12a. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen gegen eine solche Analogie nicht, mah diese auch nicht in allen Fällen verfassungsrechtlich geboten sein (vgl. BVerfG ZIP 2012, 1402, 1408). 361 Ausführlich zu den einzelnen Konstellationen Fritzsche/Dreier/Verfürth, SpruchG, § 1 Rn. 127 ff. 362 Siehe LG Karlsruhe ZIP 1999, 385 ff. (Ausgliederung im Wege der Einzelrechtsnachfolge); Leinekugel, Ausstrahlungswirkung, S. 227 ff. (für alle wirtschaftlichen Umwandlungen); Lutter/Drygala, in: FS Kropff, S. 191, 207 f. (zur übertragenden Auflösung); von Riegen, Ausgliederung, S. 130 ff. (Ausgliederungsbericht analog § 127 UmwG); vgl. dazu m.w. N. Schnorbus, Gestaltungsfreiheit, S. 59 f. 363 Siehe zur übertragenden Auflösung Stein, in: MünchKomm/AktG, § 179a Rn. 87 f.; siehe aber auch Klöhn, Abfindungsansprüche, S. 309. 364 BGHZ 153, 47, 57 f. (Macrotron); Habersack, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung, § 40 Rn. 9 ff.; K. Schmidt, NZG 2003, 601, 603; ablehnend etwa Reiff, Delisting, S. 157 ff. Das BVerfG (BVerfG ZIP 2012, 1402) hat dieser Institu-
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Auflösung“ soll nach der sich verfestigenden herrschenden Meinung aus dem nicht institutionalisierten Vermögensschutz in den institutionalisierten Bereich überführt werden365. Für zahlreiche weitere Beschlussgegenstände (Bezugsrechtsausschluss, Verschmelzungen und Spaltungen auf Seiten der übernehmenden Gesellschaften, Ausgliederungen) existieren entsprechende Vorschläge366. In einem Verfahren aber, in dem, unterstützt durch Berichts- und Prüfungspflichten, die Kontrolle der Werthaltigkeit eines vermögensrechtlichen Anspruches zur gerichtlichen Aufgabe gemacht wird (Amtsermittlungsgrundsatz), kurz: im (zunehmend) institutionalisierten Vermögensschutz, kommen die genannten Rechtsanwendungs-, Einfluss- und Nachweisdefizite kaum zum Tragen. Übrig bleibt daher hauptsächlich die Bewertungsproblematik. Sie ist auf der Primärebene angelegt, lässt sich weder dort noch auf der Sekundärebene ohne Weiteres beheben und stellt sich auch dann, wenn man den vermögensrechtlichen Kompensationsschutz vollständig institutionalisiert – auch im Spruchverfahren bleibt die Unternehmensbewertung eine subjektbezogene sowie zukunftsgerichtete und damit fehleranfällige Angelegenheit. Dieses Normanwendungsdefizit steht einer Gewichtung der Vermögensinteressen mit dem Wert null entgegen. Eine hohe Gewichtung der vermögensrechtlichen Kompensationsinteressen ist aufgrund der Bewertungsschwierigkeiten aber ebenfalls nicht gerechtfertigt. Denn zum einen werden sich wertmäßige Verfehlungen – insbesondere dann, wenn der Vermögensschutz institutionalisiert ist – in einem gewissen Rahmen halten; „leer ausgehen“ wird der um seine Ausgleichs- und Abfindungsrechte kämpfende Gesellschafter nicht (Grad der Interessenbeeinträchtigung)367. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass es sich bei etwaigen Fehlbewertungen lediglich um mögliche vermögensrechtliche Interessenbeeinträchtigungen handelt. Sie treten keineswegs mit Sicherheit ein und können bei einer Überbewertung auch dem einzelnen Gesellschafter zugutekommen368. Sie lassen sich daher lediglich tionalisierung zwar ihre verfassungsrechtliche Begründung genommen, jedoch ist davon auszugehen, dass der BGH nun mit einfachrechtlicher Begründung an den MacrotronGrundsätzen festhalten wird, siehe Habersack, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung, § 40 Rn. 4; Paschoß/Klaaßen, ZIP 2013, 154, 159. 365 Vgl. Stein, in: MünchKomm/AktG, § 179a Rn. 78 ff. mit umfassenden Nachweisen. 366 Beschluss Nr. 12 b wirtschaftrechtliche Abteilung 63. DJT, abgedruckt in: Verhandlungen des 63. DJT, S. O 76; Hirte, AG 1990, 373, 375; Bayer, ZHR 163 (1999), 505, 549 (jew. zum Bezugsrechtsausschluss); Beschluss Nr. 12 a wirtschaftsrechtliche Abteilung 63. DJT, abgedruckt in: Verhandlungen des 63. DJT, S. O 76; Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des DAV (UmwG), NZG 2000, 802, 803; Bayer, ZHR 163 (1999), 505, 547, 549 (jew. zu Verschmelzungen); Fuhrmann/Linnerz, Der Konzern 2004, 265, 266 (zur Ausgliederung). 367 Siehe bezüglich des squeeze-out BVerfG NJW 2007, 3268, 3270 (Edscha). 368 Siehe zutreffend Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 340; überzogene Kritik daran bei Tröger, Treupflicht, S. 283 („aktienrechtliche Form des Roulettespiels“); die gegenteilige Überbewertung geht dann freilich zu Lasten der anderen Gesellschafter (der herr-
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als nicht unwahrscheinlich bezeichnen (Wahrscheinlichkeit der Interessenbeeinträchtigung). Angesichts dessen ist das Gewicht der Vermögensinteressen eher gering zu veranschlagen. Eine stärkere Gewichtung der Vermögensinteressen wäre nur gerechtfertigt, wenn diese noch eine weitere, von der Primärebene nicht geschützte Facette aufweisen würden. bb) Vermögensinteressen als Beteiligungsinteressen Die Vermögensinteressen wurden bislang allein unter dem Kompensationsaspekt betrachtet – dabei erscheinen die Vermögensinteressen der Gesellschafter als eine rein finanzielle Größe, gänzlich unabhängig von einem bestimmten Vermögensobjekt. Eine solche Betrachtungsweise aber ist verkürzt. Sie lässt einen wichtigen vermögensrechtlichen Aspekt außen vor, den Aspekt, dass der Gesellschafter seine vermögensrechtlichen Interessen gerade in ein bestimmtes Unternehmen gesetzt hat369: Aufgrund von Vertrauen in dieses Unternehmen, sein Management oder das von ihm betriebene Geschäft sieht er seine Vermögensinteressen in genau diesem Unternehmen als gut aufgehoben an370. So haben wir denn auch an der vermögensbezogenen Konzeption Mülberts kritisiert, dieser Auswahlentscheidung des Gesellschafters/Anlegers für eine bestimmte Geldanlage, hier also für eine verbandsrechtliche Beteiligung an einer ganz bestimmten Gesellschaft, nicht genügend Beachtung geschenkt zu haben371. Diese vermögensrechtliche Beteiligung und die damit verbundenen vermögensrechtlichen Beteiligungsinteressen sind bei den hier im Fokus stehenden Beschlussgegenständen nicht selten in Gefahr, so etwa dann, wenn die Gesellschafter aus der Gesellschaft (teilweise) ausgeschlossen werden (Bezugsrechtsausschluss, squeeze-out, Eingliederung) oder die bisherige rechtliche (Auflösung, Verschmelzung und Aufspaltung auf Seiten der übertragenden Gesellschaft) oder unternehmensmäßige (Unternehmensverträge, Ausgliederung) Struktur bzw. Existenz des Investitionsobjektes „Gesellschaft“ beseitigt werden soll. Die entscheidende Frage besteht erneut darin, ob dieser vermögensrechtliche Beteiligungsaspekt eine höhere Gewichtung der Vermögensinteressen im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung rechtfertigt. Die besseren Gründe dürften dafür sprechen, diese Frage zu verneinen: Erstens handelt es sich bei der vermögensrechtlichen Beteiligung an einer bestimmten Gesellschaft lediglich um einen zusätzlichen vermögensrechtlichen Schutzaspekt, eine weitere Anreicheschenden bzw. übernehmenden Gesellschaft), denen jedoch das semi-institutionalisierte Schutzkonzept zur Seite steht. 369 Hanau, NZG 2002, 1040, 1043; siehe auch Lutter/Drygala, in: FS Kropff, S. 191, 210. 370 Siehe zum US-amerikanischen freezeout Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 614. 371 Oben bei § 10 B. IV. 2.
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rung der Vermögensinteressen. Der substantielle Kern der Vermögensinteressen in Form finanzieller, geldwerter, also objektunabhängiger Interessen ist und bleibt durch die primärrechtlichen Instrumentarien geschützt. Zweitens wird den vermögensrechtlichen Beteiligungsinteressen auch bereits durch die treuepflichtgestützte Zweck- und Verhaltenskontrolle ein gewisser vermögensrechtlicher Bestandsschutz zuteil. Beispielsweise kann ein Kapitalherabsetzungsbeschluss, der allein dazu dient, über das Entstehenlassen sog. Spitzen den Aktionären ihre vermögensrechtliche Beteiligung an der Gesellschaft zu nehmen, mit diesen beschlussmängelrechtlichen Instrumenten abgewehrt werden372. Dieser Schutz durch die treuepflichtgestützte Zweck- und Verhaltenskontrolle lässt sich auch nicht – anders als nach dem vermögensbezogenen Schutzansatz Mülberts – durch einen finanziellen Ausgleich von vorneherein aushebeln373. Drittens sieht die Rechtsordnung zur Kompensation der Beeinträchtigung des vermögensrechtlichen Beteiligungsinteresses ein anderes Instrument vor, das Abfindungsrecht. Dies bedarf genauerer Erläuterung: Die Beeinträchtigung des Beteiligungsinteresses resultiert in vermögensrechtlicher Hinsicht daraus, dass die Investitionsentscheidung des Anlegers/Gesellschafters für eine bestimmte Anlage, hier also die Beteiligung an einer konkreten Gesellschaft mit einer ganz bestimmten Gesellschafts- und Unternehmensstruktur, missachtet wird: Das Investitionsobjekt „Gesellschaft“ wird in ihrer rechtlichen Existenz beseitigt (Auflösung, Verschmelzung und Aufspaltung auf Seiten der übertragenden Gesellschaft), der Anleger/Gesellschafter wird aus dem Investitionsobjekt ausgeschlossen (Eingliederung, squeeze-out) oder es werden andere unternehmensmäßige Umstrukturierungen vorgenommen, die von der ursprünglichen Investitionsentscheidung nicht mehr gedeckt sind (Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge, Formwechsel). Diese Rechts- und Interessenbeeinträchtigung ist einer (teilweisen) Kompensation dergestalt zugänglich, dass dem nachteilig betroffenen Gesellschafter in Form des Abfindungsrechts eine erneute Investitionsentscheidung ermöglicht wird374. Wenn § 305 AktG das herrschende Unternehmen beim Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages dazu verpflichtet, „auf Verlangen eines außenstehenden Aktionärs dessen Aktien gegen eine im Vertrag bestimmte angemessene Abfindung zu erwerben“ (§ 305 Abs. 1 AktG), so kann der außenstehende Aktionär frei entscheiden, ob er seine Investition unter den veränderten gesellschaftsrechtlichen Bedingungen (Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag) aufrechterhalten will (= Verzicht auf das Abfindungsrecht) oder ob er sein Investment beenden will (= Geltendmachung des Abfindungsrechts). Letzterenfalls wird dem vermögensrechtlichen Beteiligungsinteresse des Gesellschafters zusätzlich dadurch Rechnung getragen, dass er primär in Aktien 372
Siehe oben bei § 13 B. I., II. Siehe oben § 10. 374 Vgl. Klöhn, Abfindungsansprüche, S. 36 mit Nachweisen, insbesondere aus dem ökonomischen Schrifttum. 373
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des herrschenden Unternehmens abzufinden ist (§ 305 Abs. 2 Satz 1 AktG), wodurch er zumindest wirtschaftlich an der nun abhängigen Gesellschaft als seinem ursprünglichen Investitionsobjekt beteiligt bleibt375. Auch das Umwandlungsrecht setzt auf das Instrument der Abfindung: Nach § 29 Abs. 1 UmwG (i.V. m. § 125 Satz 1 UmwG) steht den Gesellschaftern bei einer form- (AG/GmbH) bzw. typuswechselnden (börsennotiert/nicht börsennotiert; nicht verfügungsbeschränkt/verfügungsbeschränkt) Verschmelzung (Auf- und Abspaltung) ebenfalls ein Abfindungsrecht zu. Gem. § 207 UmwG hat ein seine Rechtsform wechselnder Rechtsträger widersprechenden Anteilsinhabern den Erwerb ihrer umgewandelten Anteile gegen eine angemessene Barabfindung anzubieten. Für den Fall, dass dieselben Rechtswirkungen durch Umstrukturierungen außerhalb des UmwG (sog. wirtschaftliche Umwandlungen) herbeigeführt werden, räumt die zutreffende herrschende Meinung den nachteilig betroffenen Gesellschaftern einen ungeschriebenen Abfindungsanspruch an und beruft sich hierfür auf die im UmwG zum Ausdruck gebrachten Wertungen376. In den genannten Konstellationen wird also die Beeinträchtigung des vermögensrechtlichen Beteiligungsinteresses, verstanden als Missachtung der ursprünglichen Investitionsentscheidung, dadurch teilweise kompensiert, dass dem Gesellschafter von Rechts wegen die freie Entscheidungsmöglichkeit eröffnet wird, entweder am neuen Unternehmensverbund als dem veränderten Investitionsobjekt beteiligt zu bleiben oder aber das Investment zu beenden. Die finanziellen Mittel, die er im letzteren Fall erhält, versetzen ihn dann, was ebenfalls als kompensatorischer Effekt angesehen werden kann, in die Lage, eine anderweitige neue Investitionsentscheidung zu treffen377. Mit dieser Erwägung lässt sich auch einigen der oben genannten finanziellen Kompensationsleistungen (Bsp.: Liquidationsanspruch gem. § 271 AktG, § 72 GmbHG; Barabfindungsanspruch beim squeeze-out gem. § 327b AktG) eine kompensatorische Wirkung auch bezüglich des vermögensrechtlichen Beteiligungsinteresses zusprechen378. Die Beeinträchtigung des vermögensrechtlichen Beteiligungsinteresses wird also durch das primärrechtliche Instrument der Abfindung in wichtigen Konstellationen teilweise kompensiert. Zwar bleiben sowohl quantitative als auch qualitative Lücken, denn nicht bei jedem Beschlussgegenstand existieren Abfindungsrechte379; und das vermögensrechtliche Beteili375 Sog. Prinzip des Primärschutzes, s. Klöhn, Abfindungsansprüche, S. 53 f.; siehe ferner Kropff, Aktiengesetz 1965, S. 398. Dieses Prinzip findet sich auch bei der Eingliederung verwirklicht (§ 320b I 2 AktG); zur Doppelnatur des eingliederungsrechtlichen Abfindungsrechts (aber) Schindler, Austrittsrecht, S. 113 f. 376 Klöhn, Abfindungsansprüche, S. 313; Leinekugel, Ausstrahlungswirkung, S. 228. 377 Siehe auch Lutter/Drygala, in: FS Kropff, S. 191, 212. 378 Zur Einordnung des Abfindungsrechtes bei der aktienrechtlichen Mehrheitseingliederung (§ 320b AktG) Schindler, Austrittsrecht, S. 113 f. 379 Für zahlreiche weitere Konstellationen werden ungeschriebene Abfindungsansprüche aber diskutiert und erwogen, vgl. Klöhn, Abfindungsansprüche, S. 287 ff. sowie Schindler, Austrittsrecht, S. 177 ff.
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gungsinteresse als ursprüngliche Investitionsentscheidung bleibt trotz des Abfindungsrechts in seiner ursprünglichen Integrität beeinträchtigt380. Auch dies rechtfertigt eine besondere Berücksichtigung der vermögensrechtlichen Beteiligungsinteressen indes nicht. Viertens nämlich hält die Rechtsordnung eine Wertung parat, die gegen die besondere Berücksichtigung der vermögensrechtlichen Beteiligungsinteressen spricht: die Wertung, dass ungesicherte Hoffnungen und Erwartungen auf eine positive künftige Wertentwicklung, kurz: Exspektanzen, keinen besonderen (verfassungs-)rechtlichen Schutz genießen381. Eben eine solche rechtlich ungeschützte Expektanz aber steht in Rede, wenn der Gesellschafter seiner vermögensrechtlichen Beteiligung an einer bestimmten Gesellschaft verlustig zu gehen droht. Denn unter vermögensrechtlichem Aspekt wird hierdurch die Hoffnung und Erwartung enttäuscht, mit der gesellschaftsrechtlichen Beteiligung an einem bestimmten Unternehmen zukünftig finanzielle Vorteile zu generieren382. cc) Vermögensinteressen als Liquiditätsinteressen Betraf das vermögensrechtliche Beteiligungsinteresse den Umstand, dass die finanziellen Mittel des Gesellschafters einem ganz bestimmten Vermögensobjekt, der konkreten Gesellschaft, zur Verfügung gestellt und demzufolge dort auch gebunden werden, ist umgekehrt auch ein entgegengesetztes vermögensrechtliches Interesse des Gesellschafters anzuerkennen, die investierten Mittel wieder zurückzuerhalten, sie liquide zu machen. Dieses vermögensrechtliche Liquiditätsinteresse begegnet zum einen als Ausschüttungsinteresse und zum anderen als Veräußerungsinteresse. Das Ausschüttungsinteresse ist dann unmittelbar383 betroffen, wenn die Gesellschafterversammlung im Rahmen der Rechnungslegung und Gewinnverwendung über die Grundlagen und die Verwendung des Jahresergebnisses zu entscheiden hat. Das Veräußerungsinteresse wird insbesondere dann in Mitleidenschaft gezogen, wenn eine Umstrukturierung zur Folge hat, dass ein Gesellschafter eine fungible Beteiligung gegen eine weniger fungible Beteiligung eintauschen muss, was insbesondere bei Umwandlungen zwischen (börsennotierten) Aktiengesellschaften und nicht börsennotierten Aktien-
380 In ihrer Integrität unangetastet bliebe die ursprünglichen Investitionsentscheidung nur durch ein Verbot der jeweiligen Beschlussmaßnahme, siehe Lutter/Drygala, in: FS Kropff, S. 191, 210. 381 Vgl. BVerfGE 45, 142, 173; BVerfGE 68, 193, 222; BVerfGE 77, 84, 118; vgl. in strafrechtlicher Hinsicht Hefendehl, Vermögensgefährdung und Exspektanzen (1994). 382 Siehe BVerfG ZIP 2000, 1670, 1672 (Moto Meter); siehe auch Hanau, NZG 2000, 1040, 1043 (jeweils zur übertragenden Auflösung). 383 Mittelbar kann dieses Ausschüttungsinteresse auch bei anderen Maßnahmen betroffen sein, etwa aufgrund unterschiedlicher gesetzlicher Thesaurierungs- und Kapitalregeln bei einem Formwechsel zwischen AG und GmbH, siehe etwa Leinekugel, Ausstrahlungswirkung, S. 110 f.; vgl. dazu aber noch den weiteren Text.
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gesellschaften bzw. Gesellschaften mit beschränkter Haftung der Fall sein kann384. Vermag nun dieses vermögensrechtliche Liquiditätsinteresse eine höhere Gewichtung der Vermögensinteressen zu rechtfertigen? In Bezug auf das Ausschüttungsinteresse ist dies zu verneinen. Denn zum einem wird dieses Interesse auf der Primärebene durch den besonderen Anfechtungstatbestand des § 254 AktG, der sich auf die GmbH übertragen lässt385, sowie die Thesaurierungsschranken des § 58 AktG (abschließend) geschützt. Zum anderen könnte die Berücksichtigung des Ausschüttungsinteresses ohnehin nur zu einer judiziellen Kontrolle speziell der Rechnungslegungs- und Gewinnverwendungsbeschlüsse, nicht aber dazu führen, dass Ausschüttungsinteresse bei der Entwicklung eines allgemeinen beschlussübergreifenden Kontrollinstituts einzubeziehen. Ähnlich verhält es sich mit dem vermögensrechtlichen Liquiditätsinteresse in Form des Veräußerungsinteresses. Eine Beeinträchtigung des Ausschüttungsinteresses im Rahmen gesellschaftsrechtlicher Umstrukturierungen wird durch den Abfindungsmechanismus kompensiert. Bei den wichtigsten Beschlussgegenständen, die die Freiheit des Gesellschafters, seine Beteiligung zu veräußern und damit liquide zu machen, einschränken, sieht das Gesetz oder die rechtsfortbildende herrschende Meinung ein Abfindungsrecht vor: Rechtsformwechselnde Verschmelzungen sowie Aufund Abspaltungen (§§ 29 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, 125 Satz 1 UmwG), Verschmelzungen sowie Auf- und Abspaltungen von einer nicht börsennotierten auf eine börsennotierte Aktiengesellschaft (§§ 29 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, 125 Satz 1 UmwG), Verschmelzungen sowie Auf- und Abspaltungen auf eine Gesellschaft, deren Satzung Verfügungsbeschränken beinhaltet (§§ 29 Abs. 1 Satz 2, 125 Satz 1 UmwG), der Wechsel der Rechtsform (§ 207 UmwG), wirtschaftliche Umwandlungen, bei denen abseits der Bahnen des UmwG mittels Auflösung, Vermögensübertragung, Bezugsrechtsausschluss, Neugründung etc. die gleichen Rechtswirkungen herbeigeführt werden (herrschende Meinung)386, die aktienrechtliche Mehrheitseingliederung auf eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft (herrschende Meinung)387, der Beschluss über den Rückzug vom organi-
384 Bei nicht börsennotierten Gesellschaften fehlt ein organisierter Markt, auf dem die Anteile problemlos veräußert werden können; im GmbH-Recht erschweren das Gesetz (Beurkundungserfordernis gem. § 15 III u. IV GmbHG) und häufig auch die Satzung (Anteilsvinkulierungen [§ 15 Abs. 5 GmbHG]) die Fungibilität der Geschäftsanteile. 385 Für eine Übertragung auf das GmbH-Recht Zöllner, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 107; Römermann, in: Michalski, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 348; a. A. K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG, § 45 Rn. 44; T. Raiser, in: Ulmer, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 144 (treuepflichtgestützte Einzelfallkontrolle); differenzierend G. Hueck, in: FS Steindorff, S. 54, 56 (nur bei kapitalistischen GmbHs). 386 Klöhn, Abfindungsansprüche, S. 313; Leinekugel, Ausstrahlungswirkung, S. 228. 387 Grunewald, ZIP 2004, 542, 543 f.; Singhof, in: Spindler/Stilz, AktG, § 320b Rn. 7; Ziemons, in: K. Schmidt/Lutter, § 320 Rn. 6.
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sierten Börsenhandel (sog. Delisting, Rechtsprechung und herrschende Lehre)388 – all diese verfügungsbeschränkenden Beschlüsse sind mit der Verpflichtung der Gesellschaft(en)/des Mehrheitsgesellschafters verbunden, den nachteilig betroffenen Gesellschaftern die Möglichkeit einzuräumen, ihre Beteiligung gegen eine angemessene Barabfindung zu veräußern. Macht der Gesellschafter von der Abfindungsoption keinen Gebrauch, ist der verfügungsbeschränkte Rechtszustand durch Zustimmung des nachteilig betroffenen Gesellschafters (teilweise) legitimiert. Votiert der Gesellschafter dagegen für die Abfindung, wird sein Veräußerungsinteresse, genauer: das dahinter steckende finanzielle Liquiditätsinteresse, sofort befriedigt, wenn und weil ihm seine Beteiligung von den Gesellschaften bzw. dem Mehrheitsgesellschafter abgekauft wird. Eine Berücksichtigung des vermögensrechtlichen Liquiditätsinteresses in Form des Ausschüttungsinteresses im Rahmen der Interessenabwägung um eine treuepflichtgestützte Belastungskontrolle kommt angesichts dessen nicht in Betracht. Zwar gibt es daneben auch einige verfügungsbeschränkende mehrheitliche Gesellschafterbeschlüsse ohne kompensatorisches Abfindungsrecht, wie etwa insbesondere die Zustimmungsverweigerung zur Übertragung vinkulierter Anteile (vgl. § 68 Abs. 2 AktG, § 15 V GmbHG). Doch kann man darin zum einen Ausnahmen sehen, die die Regel im Sinne der Nichteinbeziehung des vermögensrechtlichen Veräußerungsinteresses bestätigen. Zum anderen könnte auch hier die Berücksichtigung dieses Interesses nur zu einer Kontrolle des speziellen verfügungsbeschränkenden Beschlusses389, nicht aber dazu führen, das Veräußerungsinteresse generell bei der Entwicklung einer treuepflichtgestützten Belastungskontrolle in Stellung zu bringen. dd) Vermögensrechtliche Sicherheitsinteressen Schließlich lassen sich noch vermögensrechtliche Sicherheitsinteressen bzw. vermögensrechtliche Restrisiken ausmachen: So besteht die Gefahr, dass der für den Aktionär wichtige (Börsen-)Kurs der Anteile bei und aufgrund einer bestimmten Maßnahme negative Kapriolen schlägt390. Auch ist nicht auszuschließen, dass besondere geldwerte Vorteile, die sich für einen bestimmten Gesellschafter mit einer bestimmten Beteiligungshöhe verbunden („Paket“- bzw. „Quotenzuschlag“) bei der vermögensrechtlichen Kompensationsleistung nicht einbezogen werden391. Ebenfalls denkbar ist, dass sich die Beteiligung, die man für den Wegfall der ursprünglichen Beteiligung etwa im Rahmen einer Ver388 BGHZ 153, 47, 57 f. (Macrotron); Klöhn, Abfindungsansprüche, S. 315 ff.; weitere Nw. oben Fn. 364, dort auch zur Entscheidung BVerfG ZIP 2012, 1402. 389 Zur materiellen Beschlusskontrolle bei der Anteilsvinkulierung M. Winter/Reichert, in: FS 100 Jahre GmbHG, S. 209 ff. 390 BGHZ 71, 40, 45 (Kali & Salz) nennt den Fall, dass der Kurs der Anteile aufgrund einer Abhängigkeitsbegründung sinkt. 391 Vgl. Grundmann, Treuhandvertrag, S. 458 ff.
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schmelzung eingetauscht erhält, später als Verlustbeteiligung erweist. Weiter besteht das Risiko, dass Haftungsverpflichtungen (für Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge § 302 AktG, für die Mehrheitseingliederung § 322 AktG) und Haftungsvereinigungen (für die Verschmelzung § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG) zu erheblichen Vermögensverlusten bei der herrschenden/übernehmenden Gesellschaft und damit deren Gesellschaftern führen392. Auch kann die Situation eintreten, dass die Gesellschaft im Anschluss an eine bestimmte Maßnahme und Strukturänderung (Abhängigkeitsbegründung, Vermögensveräußerung, Ausgliederung, Formwechsel etc.) nicht mehr über eine gewinnbringende unternehmerische Basis verfügt oder vermögensgefährdende Folgemaßnahmen (ungerechtfertigte Vermögensverlagerungen auf den Mehrheitsgesellschafter, übermäßige Thesaurierungspolitik (der Verwaltung in der Untergesellschaft) etc.) ergriffen werden393. Weitere potentielle vermögensrechtliche Beeinträchtigungen ließen sich finden. Trotz der denkbaren vermögensgefährdenden Situationen ist eine andere, eine höhere Gewichtung der Vermögensinteressen letztlich auch insoweit nicht angezeigt. Die bereits in ähnlicher Form bekannte Begründungstrias lautet: Erstens werden in den angesprochenen Konstellationen mitunter bereits andere Normen und Instrumente zur Verfügung stehen, die für Abhilfe sorgen können, etwa eine verfassungsrechtlich angetriebene und sich verfestigende Dogmatik des Rechts der Unternehmensbewertungen394, das Abfindungsrecht (vgl. für die Kontrollerlangung über eine börsennotierte Gesellschaft § 35 WpÜG), die vermögensschützenden Regeln für faktische Konzernverhältnisse (§§ 311 ff. AktG, treuepflichtbasiertes Schädigungsverbot) oder in bestimmten Sachverhalten auch die treuepflichtgestützte Zweck- und Verhaltenskontrolle. Zweitens handelt es sich bei den genannten vermögensgefährdenden Konstellationen größtenteils um künftige Entwicklungen und Ereignisse, die lediglich im Bereich des Möglichen liegen, aber keineswegs eintreten müssen und in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle rechtstatsächlich auch nicht eintreten (geringere Wahrscheinlichkeit der Interessenbeeinträchtigung). In wertungsmäßiger Hinsicht gilt schließlich – sofern hier nicht ohnehin nur ungeschützte Exspektanzen in Rede stehen – drittens das, was das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit dem squeeze-out ausgesprochen hat395, aber verallgemeinert werden kann: Das Recht im Allgemeinen und die materielle Beschlusskontrolle im Speziellen brauchen nicht gegen jedes denkbare Risiko des Wirtschaftslebens Vorkehrungen zu treffen.
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Siehe Leinekugel, Ausstrahlungswirkung, S. 96, 114 f. Siehe Leinekugel, Ausstrahlungswirkung, S. 100–111. 394 Vgl. etwa Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft (2007). 395 BVerfG NJW 2007, 3268, 3270 (Edscha). 393
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ee) Ergebnis der vermögensrechtlichen Betrachtung Als Ergebnis der vermögensrechtlichen Betrachtung können wir nach alldem festhalten: Das Gewicht, mit dem die Vermögensinteressen in die vorzunehmende Interessenabwägung einzustellen sind, ist aufgrund der Normanwendungsdefizite bei den vermögensrechtlichen Kompensationsinteressen zwar nicht mit dem Wert Null zu taxieren. Da die dargelegten Bewertungsdefizite den hauptsächlichen berücksichtigungsfähigen vermögensrechtlichen Interessenaspekt markieren, sind die Vermögensinteressen aber nur mit einem geringen Gewicht zu veranschlagen. Kommen wir damit zur Gewichtung der Herrschaftsinteressen der Gesellschafterminderheit. b) Gewichtung der Herrschaftsinteressen der Gesellschafterminderheit aa) Abstraktes Gewicht Die Mitgliedschaft in einem privatrechtlichen Personenverband weist neben einer vermögensrechtlichen auch eine herrschaftsrechtliche Komponente auf 396. Beide Komponenten genießen verfassungsrechtlichen Schutz397. Im einfachen Gesetzesrecht kann man den Stellenwert der herrschaftsrechtlichen Komponente an den zahlreichen Mitverwaltungsrechten ablesen, die der Gesetzgeber den Gesellschaftern einräumt398. Sie wurden gerade in jüngerer Zeit weiter ausgebaut399. Gleichwohl wäre es verfehlt, die mitgliedschaftlichen Herrschaftsinteressen mit einem hohen abstrakten Gewicht in die Interessenabwägung einzustellen. Denn indem der Gesetzgeber in verfassungsrechtlich zulässiger Weise Satzungsund Strukturänderungen dem Mehrheitsprinzip unterstellt, ermöglicht und legitimiert er die mit diesen Maßnahmen häufig verbundene Beeinträchtigung der Herrschaftsinteressen. Die Herrschaftsinteressen der Gesellschafterminderheit bei Satzungs- und Strukturänderungen werden damit vom Gesetzgeber abgewertet. Der auf der Sekundärebene platzierte Rechtsanwender hat dem Rechnung zu tragen und das abstrakte Gewicht der Herrschaftsinteressen gering zu veranschlagen.
396 Siehe Lutter, AcP 180 (1980), 84, 86; Huber, Vermögensanteil, S. 6 ff.; Wiedemann, Mitgliedschaftsrechte, S. 23 ff.; Nachweise aus der Lehrbuchliteratur oben bei und in Fn. 285. 397 BVerfGE 100, 289, 301 (DAT/Altana); siehe auch Henssler/Wiedemann, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. II, S. 20. 398 Monographisch Kloppenburg, Die Mitverwaltungsrechte der Aktionäre (1982). 399 Vgl. § 148 AktG i. d. F. des Gesetzes zur Unternehmensintegrität und zur Modernisierung des Anfechtungsrechtes vom 22.09.2005 (UMAG) (BGBl. I, S. 2802 ff.) (Verfolgungsrecht der Aktionäre im Bereich der Organhaftung), § 127a AktG i. d. F. des UMAG (Einführung eines Aktionärsforums); vgl. auch Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie vom 30.08.2009 (ARUG) (BGBl. 2009 I, S. 2749).
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bb) Konkreter Erfüllungsgrad Wie oben gesehen, ist die dargelegte primärrechtliche Gewichtung der Herrschaftsinteressen vor allem strukturell-regulatorischen Gründen geschuldet. Mit ihr verbindet sich keine Absage an eine materielle Beschlusskontrolle400. Es ist daher geboten, in einem zweiten Schritt den konkreten Erfüllungsgrad zu ermitteln, also zu fragen, in welchem Ausmaß die mitgliedschaftlichen Herrschaftsinteressen bei Satzungs- und Strukturänderungen beeinträchtigt werden. Dies hängt von zwei Faktoren ab: von der Quantität und Qualität der Beeinträchtigung der Herrschaftsinteressen bei Satzungs- und Strukturänderungen zum einen, von anderweitigen Schutzinstrumenten und der Kompensation der Interessenbeeinträchtigung zum anderen. (1) Quantität und Qualität der Interessenbeeinträchtigung Die Herrschaftsinteressen werden zunächst offenkundig dann beeinträchtigt, wenn das rechts- und interessenstiftende Element, die Mitgliedschaft, beendet, präziser: der Gesellschafter aus der Gesellschaft ausgeschlossen wird401. Dies ist bei der Kaduzierung (§ 64 AktG, § 21 GmbHG), der Zwangseinziehung von Gesellschaftsanteilen (§ 237 AktG, § 34 GmbHG), dem Gesellschafterausschluss aus wichtigem Grund402, der aktienrechtlichen Mehrheitseingliederung (§ 320a AktG) und dem aktienrechtlichen Zwangsausschluss (§ 327e Abs. 2 AktG) der Fall und kann auch bei einer Kapitalherabsetzung vorkommen403. Eine Beeinträchtigung der Herrschaftsinteressen ist weiter dadurch denkbar, dass die subjektiv-rechtliche Basis dieser Herrschaftsinteressen durch einen Beschluss der Gesellschafterversammlung verkürzt wird404. Der im Zusammenhang 400
Siehe etwa oben § 10 B. III. 2. b). Vgl. den Überblick und die Systematisierung der Ausschlusstatbestände bei Hofmann, Minderheitenschutz, S. 367 ff.; ferner Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 7 III 2 a (S. 383 ff.); monographisch etwa Reinisch, Der Ausschluss von Aktionären aus der Aktiengesellschaft (1992). 402 Zum Gesellschafterausschluss aus wichtigem Grund Grunewald, Ausschluss, S. 1 ff., 29 ff., 60 ff.; zum Gesellschafterausschluss aus wichtigem Grund im GmbHRecht Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 60 Rn. 77 ff.; zur nicht ganz unumstrittenen Rechtslage im Aktienrecht Grunewald, Ausschluss, S. 52 ff. sowie K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 28 I 5 (S. 803). 403 Nämlich dann, wenn die Kapitalherabsetzung durch Zusammenlegung von Aktien erfolgt (§ 222 Abs. 4 Satz 2 AktG) und ein Aktionär nicht über die zur Zusammenlegung erforderliche Anzahl von Aktien verfügt, siehe BGHZ 138, 71, 76 (Sachsenmilch); Hofmann, Minderheitenschutz, S. 456 ff. 404 Diese Fallgruppe spielt im Zusammenhang mit einer materiellen Beschlusskontrolle allerdings eine geringere Rolle, weil hier im Aktienrecht (vgl. § 23 V AktG [Grundsatz der Satzungsstrenge]), aber nicht nur dort (vgl. § 51a III GmbHG) bereits das zwingende Recht Schranken setzt; im GmbH-Recht steht zudem die Kernbereichslehre zur Verfügung; ein Entzug oder eine Einschränkung der Herrschaftsrechte ist nach 401
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mit einer materiellen Beschlusskontrolle meist diskutierte Fall ist hier die nachträgliche Einführung von Höchststimmrechten (§ 134 Abs. 1 Satz 2–6 AktG). Das wichtigste Herrschafts- bzw. Mitverwaltungsrecht des Aktionärs, sein Stimmrecht, wird durch einen solchen Beschluss dann beeinträchtigt, wenn der Aktionär bei Einführung des Höchststimmrechts über die entsprechende Quote hinaus beteiligt ist405. Da „Herrschaft“ eine im mathematischen Sinne reziproke Kategorie darstellt – mit der Erhöhung des Einflusses des einen geht zwangsläufig eine Verminderung des Einflusses des anderen einher –, liegt eine Beeinträchtigung der Herrschaftsinteressen der Gesellschafter auch dann vor, wenn einer Person mitgliedschaftlicher Einfluss auf die Gesellschaft, also eine Beteiligung an der Gesellschaft, eingeräumt wird. Diese Form der herrschaftsbezogenen Interessenbeeinträchtigung begegnet bei folgenden hier im Mittelpunkt stehenden Beschlussgegenständen: dem Bezugsrechtsausschluss, dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag auf Seiten der herrschenden Gesellschaft, der aktienrechtlichen Mehrheitseingliederung auf Seiten der herrschenden Gesellschaft, der Verschmelzung auf Seiten der übernehmenden Gesellschaft, den spaltungsrechtlichen Vorgängen der Aufspaltung, der Abspaltung sowie der Ausgliederung jeweils auf Seiten der übernehmenden Gesellschaft. Diese Maßnahmen eint, dass neuen (Bezugsrechtsausschluss zugunsten Dritter, konzern- und umwandlungsrechtliche Vorgänge) oder bereits an der Gesellschaft beteiligten Personen (Bezugsrechtsausschluss zugunsten des [Mehrheits-]Gesellschafters) (erhöhte) Beteiligungen an der Gesellschaft eingeräumt werden (vgl. §§ 305 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 u. 2, 320 b Abs. 1 AktG, §§ 20 Abs. 1 Nr. 3 UmwG, 131 Nr. 3 UmwG), wodurch der mitgliedschaftliche Einfluss der bisherigen Gesellschafter sinkt, ergo ihre mitgliedschaftlichen Herrschaftsinteressen beeinträchtigt werden. Eine letzte Fallgruppe der Beeinträchtigung von Herrschaftsinteressen ergibt sich aus der Objektbezogenheit der Herrschaftskategorie: „Herrschaft“ ist stets auf einen ganz bestimmten Herrschaftsgegenstand bezogen, in dem die Herrschaftsrechte ausgeübt werden können und auf den die Herrschaftsinteressen ausgerichtet sind. Sind die Herrschaftsinteressen aber derart an ein bestimmtes Herrschaftsobjekt gekoppelt, hier: an die konkrete Gesellschaft, ist eine Beeinträchtigung der Herrschaftsinteressen auch dann zu bejahen, wenn dieses Herrschaftsobjekt (1) in seiner rechtlichen Existenz beseitigt oder (2) rechtlichen oder (3) sonstigen strukturellen Veränderungen unterworfen wird, die den auf das Herrschaftsobjekt bezogenen Rechten und Interessen ein anderes Gepräge geben. diesen Schranken entweder von vorneherein unzulässig oder an die Zustimmung des nachteilig betroffenen Gesellschafters gebunden; vgl. mit den Nachweisen oben § 3; vgl. zu die Herrschaftsrechte verkürzenden Gesellschafterbeschlüssen auch noch unten § 14 C. I. 1. b). 405 Hüffer, AktG, § 134 Rn. 8; Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 92 ff.
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(1) In seiner rechtlichen Existenz beseitigt wird das Herrschaftsobjekt „Gesellschaft“ bei der Gesellschaftsauflösung (§ 262 Abs. 1 Nr. 2 AktG, § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG), der Verschmelzung auf eine andere Gesellschaft (§ 20 Abs. 1 Nr. 2 UmwG) sowie der Aufspaltung (§ 131 Nr. 2 UmwG). (2) Einer rechtlichen Veränderung mit Rückwirkungen auf die gesellschaftsbezogenen Rechte und Interessen wird das Herrschaftsobjekt „Gesellschaft“ beim Rechtsformwechsel (§§ 190 ff. UmwG) unterworfen – die Gesellschaft/das Gesellschaftsunternehmen erhält ein anderes Rechtskleid, die Rechte der Gesellschafter bestimmen sich fortan nach einem anderen normativen Rahmen406. (3) Von einer unternehmensstrukturellen Änderung, die den auf die Gesellschaft bezogenen Rechten und Interessen ein anderes Gepräge gibt, lässt sich bei bedeutenden Unternehmensausgliederungen (§ 123 Abs. 3 UmwG; „Holzmüller“-Maßnahmen) sowie bei Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen sprechen – die Gesellschafter werden zu bloßen Holdinggesellschaftern (Ausgliederungen)407 bzw. zu „Rentnergesellschaftern“ (Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag)408, der maßgebliche Einfluss geht auf die Verwaltung („Mediatisierungseffekt“ bei Unternehmensausgliederungen)409 bzw. das herrschende Unternehmen (vgl. § 308 AktG)410 über. Als Fazit lässt sich nach dem Vorstehenden festhalten: Die Herrschaftsinteressen werden im Rahmen der Beschlussfassung in Satzungs- und Strukturänderungsangelegenheiten in erheblicher und vielfältiger Weise beeinträchtigt. (2) Herrschaftsschützende Instrumente/Kompensation Was anderweitige Schutzinstrumente gegen eine Beeinträchtigung der Herrschaftsinteressen betrifft, so mag man in beschlussmängelrechtlicher Hinsicht zwar zunächst die treuepflichtgestützte Zweck- und Verhaltenskontrolle ins Feld 406
Siehe Leinekugel, Ausstrahlungswirkung, S. 110 f. Siehe BGHZ 83, 122, 137 (Holzmüller) und Brondics, Aktionärsklage, S. 148. 408 Zur Beeinträchtigung der Rechte der Gesellschafter der beherrschten Gesellschaft durch einen Unternehmensvertrag Hofmann, Minderheitenschutz, S. 604 ff. 409 BGHZ 83, 122, 136 ff. (Holzmüller); Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 7 I 2 (S. 100). 410 Mit dem Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages ist daher sehr wohl eine Beeinträchtigung der Herrschaftsinteressen verbunden, siehe zutreffend BGHZ 135, 374, 377 f. (Guano); Hofmann, Minderheitenschutz, S. 605; Hüffer, AktG, § 305 Rn. 1; sub specie des Art. 14 GG auch BVerfGE 100, 289, 301 f. (DAT/ Altana); anders aber Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 144 ff., auch mit dem etwas formalistischen Argument, dass der Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages die Herrschaftsverhältnisse unberührt lasse. Für das GmbH-Recht folgt die Beeinträchtigung der Herrschaftsrechte und Herrschaftsinteresse schon daraus, dass das herrschende Unternehmen ein direktes Weisungsrecht erhält, womit die Kompetenz der Gesellschafterversammlung in Geschäftsführungsangelegenheiten und damit auch die Herrschaftsrechte und -interessen der Gesellschafterminderheit beeinträchtigt werden, siehe Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 32 II 8 (S. 500). 407
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führen. Diese Instrumente werden dem in seinen Herrschaftsinteressen beeinträchtigten Minderheitsgesellschafter jedoch nur selten eine Hilfe sein. Denn sie knüpfen an einen einzelfallbezogen Verhaltens- und Zweckvorwurf an – und damit gerade nicht an das Element, das bei den vorliegend im Mittelpunkt stehenden Beschlussgegenständen in besonderem Maße betroffen ist, eben die Beeinträchtigung der mitgliedschaftlichen Herrschaftsinteressen. Der Regel-Ausnahme- sowie generell der Missbrauchscharakter dieser Kontrollformen werden das Übrige dazu beitragen, dass einer Beeinträchtigung der Herrschaftsinteressen mittels dieser Instrumente nur selten effektiv begegnet werden kann411. Schwieriger zu beantworten ist die Frage, inwiefern die oben dargestellten Ausgleichs- und Abfindungsleistungen eine Beeinträchtigung der mitgliedschaftlichen Herrschaftsinteressen kompensieren können. Insbesondere dem Abfindungsrecht (vgl. für Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge § 305 AktG) wird in Rechtsprechung und Literatur immer wieder eine kompensatorische Wirkung auch hinsichtlich der Herrschaftsinteressen beigemessen412. Doch wird dabei nicht klar genug zwischen dem vermögensrechtlichen (Beteiligungs)Interesse und dem herrschaftsrechtlichen, besser: verbandsrechtlichen Beteiligungsinteresse getrennt. Beim vermögensrechtlichen (Beteiligungs-)Interesse geht es um den Schutz finanzieller, geldwerter Interessen; auch das vermögensrechtliche Beteiligungsinteresse ist nichts anderes als ein zeitlich gestrecktes finanzielles Interesse – man hofft, mit der Beteiligung an einer bestimmten Gesellschaft zukünftig finanzielle Vorteile zu erzielen. Eine Beeinträchtigung dieser Interessen kann durch Ausgleichs- und Abfindungsleistungen deswegen kompensiert werden, weil beeinträchtigtes Interesse und kompensatorisches Mittel kongruieren – ein vermögensrechtliches, also finanzielles Interesse ist betroffen, ein vermögensrechtliches, zu finanziellen Ausgleichs- und Abfindungsleistungen führendes Kompensationsinstrument setzt ein. Anders verhält es sich auf der herrschafts- bzw. verbandsrechtlichen Seite. Eine finanzielle Ausgleichs- und Abfindungsleistung mag die Beeinträchtigung der Herrschaftsinteressen für den nachteilig betroffenen Gesellschafter in einem subjektiv-psychologischen Sinne abmildern. Normative Relevanz im Sinne einer kompensatorischen Wirkung kommt den Ausgleichs- und Abfindungsleistungen in Bezug auf die mitgliedschaftlichen Herrschaftsinteressen jedoch nicht zu413: Es fehlt an der dafür notwendigen Kongruenz zwischen beeinträchtigtem Interesse und eingesetztem Kompensationsinstrument. Denn bei den mitgliedschaftlichen Herrschaftsinteressen geht es nicht um den Schutz der ursprünglichen Investitionsentscheidung (vermögensrechtlich eingebetteter mittelbarer Schutz der Mitgliedschaft), son411
Vgl. dazu im Einzelnen oben § 13 B. I., II. So für das Abfindungsrecht nach § 305 AktG BGHZ 135, 374, 379 (Guano); Kropff, Aktiengesetz 1965, S. 397; Röhricht, ZHR 162 (1998), 249, 264 f. 413 Insofern zutreffend Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 136, 138. 412
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dern um den Schutz der konkreten Mitgliedschaft in einem bestimmten privatrechtlichen Personenverband (unmittelbarer Mitgliedschaftsschutz). Bei den mitgliedschaftlichen Herrschaftsinteressen steht nicht das Interesse, mit der Beteiligung an der Gesellschaft in finanzieller Hinsicht gut zu fahren (vermögensrechtliches Interesse) in Rede, sondern das spezifische Beteiligungsinteresse, Mitglied in einem ganz bestimmten privatrechtlichen Personenverband zu sein (verbandsrechtliches Interesse). Bestehen somit einerseits mangels Kongruenz weder eine normative Kompensation für die Beeinträchtigung der mitgliedschaftlichen Herrschaftsinteressen noch ein effektiver beschlussmängelrechtlicher Schutz des Herrschaftsinteresses, andererseits aber vielfältige Möglichkeiten, diese Interessen durch einen Beschluss der Gesellschafterversammlung erheblich zu beeinträchtigen, so ist das Ausmaß der Beeinträchtigung der mitgliedschaftlichen Herrschaftsinteressen als hoch zu bezeichnen (konkreter Erfüllungsgrad)414. Als Ergebnis der herrschaftsrechtlichen Betrachtung lässt sich festhalten: Das abstrakte Gewicht der mitgliedschaftlichen Herrschaftsinteressen ist gering, ihr konkreter Erfüllungsgrad dagegen hoch zu veranschlagen. Der konkrete Wert, der Wert, mit dem die mitgliedschaftlichen Herrschaftsinteressen in die Abwägung im engeren Sinne einzustellen sind, ist daher im mittleren Bereich zu taxieren415. Dieser Abwägung im engeren Sinne, in deren Rahmen die Abwägungsentscheidung zu fällen ist, können wir uns nun als Nächstes zuwenden. Auch insoweit ist zwischen Vermögens- und Herrschaftsinteressen zu trennen. III. Abwägung der widerstreitenden Interessen/Abwägung im engeren Sinne 1. Mehrheitliche Veränderungsinteressen – Vermögensinteressen
a) Abwägung/Abwägungsentscheidung Ein wichtiger Gesichtspunkt im Rahmen einer jeder Interessenabwägung ist das Prinzip der Geeignetheit416 bzw. das Prinzip der Vermeidbarkeit der Interessenbeeinträchtigung417: Die Beeinträchtigung eines Interesses durch ein bestimmtes, ein gegenläufiges Interesse schützendes Rechtsinstitut ist nur dann zu414 Vgl. zu weiteren Differenzierungen dieser immer noch (zu) allgemeinen Aussage unten III. 2. b). 415 Vgl. allgemein Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 71 ff., insb. 72, mit dem zutreffenden Hinweis, dass es sich dabei nicht um mathematische, sondern vielmehr um genuin normativ-bewertende Vorgänge handelt. 416 Für den öffentlich-rechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Hufen, Staatsrecht II, § 9 III 1 (S. 116); für den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Zivilrecht Medicus, AcP 192 (1992), 35, 36. 417 Speziell für die Treuepflicht-Konkretisierung Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 252.
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lässig, wenn dieses Rechtsinstitut zur Förderung des anderen Interesses geeignet ist, wenn die Interessenbeeinträchtigung des zu schützenden Interesses durch das zu etablierende Rechtsinstitut vermieden werden kann. Im vorliegenden Kontext bedeutet das: Die Beeinträchtigung der mehrheitlichen Veränderungsinteressen durch eine treuepflichtgestützte Belastungskontrolle ist nur dann begründbar, wenn eine solche Kontrolle geeignet ist, schützenswerten Vermögensinteressen zu dienen, und die Beeinträchtigung der Vermögensinteressen hierdurch vermieden werden kann. Hierbei sind nur diejenigen vermögensrechtlichen Aspekte und Interessen zu berücksichtigen, die die zweite Stufe der Abwägung, die Gewichtungsebene, überstanden haben. Nur diese können bei der Abwägung im engeren Sinne überhaupt noch Relevanz erlangen, vorliegend also vor allem die durch die Normanwendungs-, genauer: Bewertungsdefizite hervorgerufene Beeinträchtigung der vermögensrechtlichen Kompensationsinteressen. Auf Basis dieser Abwägungsprämissen bestehen Zweifel an einer treuepflichtgestützten Belastungskontrolle zugunsten der Vermögensinteressen, denn: Eine belastungsbezogene Einzelfallabwägung ist als solche kein geeignetes Mittel zum Schutze der abwägungsrelevanten Vermögensinteressen. Eine solche judizielle Kontrolle kann diesen vermögensrechtlichen Interessen deswegen nicht behilflich sein, weil die Gefahren für diese Interessen, wie gesehen, vor allem auf der Ebene der Normanwendung liegen. Diese Normanwendungsprobleme werden stets von Neuem auftauchen, egal also ob sich die Normanwendung anhand der vermögensschützenden Norm oder anhand der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle vollzieht. Am Beispiel des Bezugsrechtsausschlusses verdeutlicht: Vermögensschützende Kompensationsnorm ist hier § 255 Abs. 2 AktG. In der praktischen Rechtsanwendung, d.h. bei der gerichtlichen Kontrolle dieser Norm im Anfechtungsprozess, bestehen die beschriebenen Schwierigkeiten, insbesondere diejenige, dass Unternehmensbewertungen den von der Norm vorgeschriebenen wahren inneren Wert der auszugebenden Anteile aufgrund der Unbestimmtheit und Unsicherheit der zur Verfügung stehenden Gefahren verfehlen können418. Dieses Problem wird sich in gleicher Weise bei der in § 243 Abs. 2 i.V. m. § 243 Abs. 1 AktG zu verortenden treuepflichtgestützten Belastungskontrolle stellen. Das Rechtsanwendungs- und Bewertungsproblem wird somit nur von einer Norm bzw. einem Institut auf eine andere Norm bzw. ein anderes Institut verlagert, gelöst wird es aber nicht – gelöst werden kann es auch gar nicht, schließlich liegt das Bewertungsproblem in der Natur der Sache von Gegenstands- und Unternehmensbewertungen. Der entscheidende Gesichtspunkt ist angesprochen: Lässt sich das Rechtsanwendungs- und Bewertungsproblem allein durch eine judizielle Kontrolle nicht beheben, so nur dadurch, dass man die Maßnahme, die das Rechtsanwendungsund Bewertungsproblem erst entstehen lässt, verbietet. Dieser regulatorische 418
Näher oben unter II. 2. a) aa) (2) (a).
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Grundansatz lässt sich beschlussmängelrechtlich mittels eines normativen RegelAusnahme-Verhältnisses zu Lasten der Gesellschaftermehrheit und einer entsprechenden Steuerungsfunktion verwirklichen: Man konzipiert die judizielle Beschlusskontrolle in einer Weise, die die Gestaltungspraxis von der Ergreifung der vermögensgefährdenden Beschlussmaßnahme absehen lässt419. Eine solche Konzeption aber kann für die hier zu entwickelnde treuepflichtgestützte Belastungskontrolle nicht in Betracht kommen. Das hohe Gewicht, das den mehrheitlichen Veränderungsinteressen im Rahmen der Abwägung zukommt, lässt es nicht zu, in solcher Intensität in die Gestaltungsfreiheit einzugreifen. Auch vermag das eher geringe Gewicht, das den Vermögensinteressen der Gesellschafterminderheit einzuräumen ist, eine solche vermögensschützende minderheitsfreundliche RegelAusnahme-Konzeption nicht zu rechtfertigen. Eine solche Regel-Ausnahme-Konzeption stünde zudem auch konträr zu den getroffenen beschlussmängelrechtlichen Grundentscheidungen, insbesondere der Wahl des sekundärrechtlichen Ausgangspunktes. Denn dieser gestattet es nicht, die übergeordneten Kompetenz- und damit Erlaubnisnormen im Wege richterlicher Rechtsfortbildung zu Inkompetenz-, zu Verbot-mit-Erlaubnisvorbehalt-Normen zu degradieren. Welche Rolle aber können die Vermögensinteressen der Gesellschafterminderheit im Rahmen der treuepflichtgestützten Beschlusskontrolle dann spielen? Die Antwort lautet: gar keine. Für den notwendigen Vermögensschutz sorgt insbesondere das oben skizzierte, zunehmend institutionelle Formen annehmende vermögensschützende Instrumentarium, nicht aber eine treuepflichtgestützte Belastungskontrolle. Für diese Herausnahme der Vermögensinteressen lassen sich auf der Primärebene einige Wertungsparallelen finden. b) Wertungsparallelen Als erste Wertungsparallele für die Herausnahme der Vermögensinteressen kann auf die gesetzgeberische Generalklausel des Beschlussmängelrechts und die positiv-gesetzliche Anbindungsnorm der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle, § 243 Abs. 2 AktG, verwiesen werden420. Nach dieser Norm kann im Rahmen des Anfechtungsprozesses judiziell überprüft werden, ob ein Aktionär mit der Ausübung des Stimmrechts Sondervorteile für sich oder einen Dritten zu erlangen beabsichtigte und der Beschluss geeignet war, diesem Ziel zu dienen. Diese judizielle Kontrollmöglichkeit entfällt gem. § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG aber von vorneherein dann, wenn den anderen Aktionären ein angemessener finanzieller Ausgleich für ihren Schaden gewährt wird. Mit dieser Ausgleichsklausel hält der Gesetzgeber ganz im Sinne des hier verfolgten Ansatzes die Vermö419 Siehe zutreffend Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 341; vgl. zum Sachgrunderfordernis oben § 6 H. II. 2. b). 420 Vgl. zu § 243 II oben insb. § 12 A. II. 3., § 13 B. III. 2. a).
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gensinteressen aus der judiziellen Stimmrechts- bzw. Beschlusskontrolle heraus. Eine zweite Wertungsparallele kann zu § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG, der einzigen Norm, mit der sich der Gesetzgeber des Komplexes materielle Beschlusskontrolle und Sachgrunderfordernis direkt angenommen hat, gezogen werden. Diese Norm hat eine herrschaftsrechtliche und eine vermögensrechtliche Komponente. Die vermögensrechtliche Komponente liegt in der Wendung „und der Ausgabebetrag den Börsenpreis nicht wesentlich unterschreitet“ – vermögensrechtlich ist diese Komponente deswegen, weil sich der Gesetzgeber dabei von der Erwägung hat leiten lassen, dass die Gefahr eines Kursverlustes (Wertverwässerung), also einer Beeinträchtigung der Vermögensinteressen, dann nicht bestehe, wenn die Ausgabe der jungen Aktien zum Börsenpreis erfolge421. Beide Elemente bewirken zusammengenommen, dass der Ausschluss des Bezugsrechts ohne Weiteres zulässig ist, es also, wie es der Gesetzgeber formuliert, keine „Interessenabwägung, wie sie für den Bezugsrechtsausschluss im übrigen verlangt wird (vgl. BGHZ 71, 40, 46), noch weiterer sachlicher Rechtfertigungsgründe“ bedarf 422. Die Beachtung der vermögensrechtlichen Komponente ist folglich wesentliche Voraussetzung für die Reduktion der materiellen Beschlusskontrolle – mit der Beachtung des vermögensrechtlichen Mechanismus kann man sich eine Zurücknahme der gerichtlichen Kontrolldichte verdienen. Mit anderen Worten: Durch einen vermögensrechtlichen Mechanismus wird die gerichtliche Beschlusskontrolle entlastet, werden die Vermögensinteressen aus dem Komplex materielle Beschlusskontrolle herausgehalten. Für die „Heraushaltungs-Wertung“ können drittens auch die Regelungen zum aktienrechtlichen Zwangsausschluss (squeezeout, §§ 327a ff. AktG) und zur aktienrechtlichen Mehrheitseingliederung (§§ 320 ff. AktG) angeführt werden423. Diese gesetzlichen Instrumente erlauben es, Aktionäre gegen eine Abfindung auszuschließen. Den Aktionären wird hier lediglich ein vermögensrechtlicher Kompensationsschutz, nicht dagegen ein verbands- und herrschaftsrechtlicher Beteiligungsschutz zuteil. In interessenbezogener Hinsicht bedeutet das nichts anderes, als dass die Vermögensinteressen von den verbandsrechtlichen Herrschaftsinteressen separiert und aus dem verbands421 Fraktionsbegründung Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts, BT-Drucks. 12/6271, S. 10. 422 Fraktionsbegründung Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts, BT-Drucks. 12/6271, S. 10. 423 Im GmbH-Recht sind eine Mehrheitseingliederung und ein Zwangsausschluss nach dem Vorbild der §§ 320 ff., 327a ff. AktG nach ganz h. M. zwar nicht möglich, siehe für die Eingliederung Grunewald, in: MünchKomm/AktG, § 319 Rn. 5; Ziemons, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 319 Rn. 6 AktG; für den squeeze-out Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 10a II 1 (S. 174); Fleischer, in: GroßKomm/AktG, § 327a Rn. 8. Doch ist dies vorliegend unschädlich. Denn es geht an dieser Stelle nur um die Verallgemeinerung der „vermögensbezogenen Heraushaltungswertung“. Über die Reichweite des schlussendlichen (verbandsrechtlich-herrschaftsschützenden) Schutzes in Form einer treuepflichtgestützten Belastungskontrolle ist damit noch nichts gesagt. Hier sind Differenzierungen in der Tat geboten, vgl. unten III. 2. b) sowie C. I. 1. a) cc) (3).
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rechtlich-herrschaftsschützenden Instrumentarium herausgehalten werden. Dass die „Heraushaltungs“-Wertung weiter auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde liegt, das die genannten gesetzlichen Regelungen verfassungsrechtlich abgesegnet und inspiriert hat424, bedarf keiner vielen Worte. Auch der Bundesgerichtshof hat sich in seiner jüngeren Rechtsprechung dieses „vermögensrechtlichen Heraushaltungsansatzes“ bedient425: In der „Macrotron“Entscheidung billigt er den Aktionären beim Beschluss über den Börsenrückzug (sog. Delisting) zunächst ein Abfindungsrecht zu und lehnt eine Inhaltskontrolle des Delisting-Beschlusses dann maßgeblich mit der Erwägung ab, dass der vermögensrechtliche Schutz bereits durch das Erfordernis eines im Spruchstellenverfahren überprüfbaren Pflichtangebots gewährleistet sei426. Auch hier lautet also die Devise, die zugleich die zunehmende Eigenständigkeit des Kapitalmarktrechts gegenüber dem Gesellschaftsrecht widerspiegelt427: Vermögensschutz und materielle Beschlusskontrolle sind voneinander zu trennen. Als letztes sei auf das Personengesellschaftsrecht verwiesen. Im Rahmen des Gesellschafterausschlusses aus wichtigem Grund (vgl. § 140 HGB) setzt sich dort zunehmend die Erkenntnis durch, dass Abfindung (= vermögensrechtlicher Mechanismus) und Ausschließung (= verbandsrechtlich-herrschaftsrechtliche Komponente) zu trennen sind, insbesondere, dass über Abfindung und Ausschließung getrennt und unabhängig voneinander zu entscheiden ist428. 2. Mehrheitliche Veränderungsinteressen – Herrschaftsinteressen
a) Herrschaftsschützende Belastungskontrolle Mit der Herausnahme der Vermögensinteressen ist eine Entscheidung hinsichtlich der teleologischen Ausrichtung der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle daher gefallen: Sie kann nur zum Schutz der mitgliedschaftlichen Herrschaftsinteressen gerechtfertigt werden. Das von Mülbert gegen eine herrschaftsschützende judizielle Kontrolle vorgebrachte Argument, wonach das AktG mit seinem einheitlichen, zwischen Herrschafts- und Vermögensrechten nicht unterscheidenden, am „inneren Wert“ der Aktie ansetzenden Bewertungssystem (vgl. 424 BVerfGE 100, 289, 301 ff. (DAT/Altana) (unter anderem zu den §§ 319 ff. AktG); zuvor bereits BVerfGE 14, 263, 273 ff. (Feldmühle); BVerfG NJW 2007, 3268, 3269 f. (Edscha) (zum squeeze-out); zuvor bereits BVerfG ZIP 2000, 1670, 1671 ff. (Moto Meter). 425 Anders bekanntlich die Sachgrunderfordernis-Rechtsprechung, siehe BGHZ 71, 40, 44 f. (Kali/Salz); dazu oben § 6 F.; deutlich auch BGHZ 120, 141, 146 ff. (Bremer Bankverein). 426 BGHZ 153, 47, 57 f. 59; zur Entscheidung BVerfG ZIP 2012, 1402 oben Fn. 364. 427 Vgl. dazu Merkt, AG 2003, 126 ff. 428 BGHZ 105, 213, 220; BGHZ 107, 351, 354; vgl. auch K. Schmidt, in: MünchKomm/HGB, § 140 Rn. 31.
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§§ 255 Abs. 2, 304, 305 AktG) einer solchen Kontrolle entgegenstehe429, verfängt nicht. Für dieses einheitliche Bewertungssystem geben gesetzespraktische Gründe den Ausschlag – erst die einheitliche Bestimmung des Aktienwertes gewährleistet eine praxistaugliche Handhabung der vermögensrechtlichen Schutznormen inkl. ihrer prozessualen Durchsetzung im Spruchverfahren. Wie und warum aus dieser praktischen Gründen geschuldeten einheitlichen Aktienwertbestimmung die Unzulässigkeit einer herrschaftsschützenden Belastungskontrolle folgen sollte, ist nicht ersichtlich. Die Argumentation Mülberts zielt denn auch hauptsächlich gegen den Ansatz Hirtes. Dieser wollte eine engmaschige richterliche Beschlusskontrolle im Grundsatz bei jedweder Beeinträchtigung von Herrschaftsinteressen Platz greifen lassen430. Dies aber ginge in der Tat zu weit431. Denn eine Beeinträchtigung von Herrschaftsinteressen ist mit vielen Beschlussgegenständen stets verbunden: Jeder Bezugsrechtsausschluss tangiert die Herrschaftsinteressen der ausgeschlossenen Gesellschafter, jede Verschmelzung wirkt sich nachteilig auf die Herrschaftsinteressen der Gesellschafter sowohl der übertragenden als auch der übernehmenden Gesellschaft aus, jeder Auflösungsbeschluss beeinträchtigt Herrschaftsrechte und Herrschaftsinteressen, mit jedem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag und jeder Mehrheitseingliederung ist eine Verkürzung der Herrschaftsinteressen verbunden432. Eine solche flächendeckende herrschaftsschützende Belastungskontrolle lässt sich auf Basis des herausgearbeiteten Gewichtungsverhältnisses nicht begründen: Das hohe Gewicht, das den mehrheitlichen Veränderungsinteressen im Rahmen der Abwägung einzuräumen ist, steht einer flächendeckenden herrschaftsschützenden Belastungskontrolle entgegen. Von praktischer Konkordanz, die es im Rahmen des Abwägungsvorgangs herzustellen gilt433, könnte wohl keine Rede sein, wenn die Gesellschafterminderheit bei jedweder Beeinträchtigung ihrer Herrschaftsinteressen eine richterliche Angemessenheitskontrolle und damit eine Beeinträchtigung der mehrheitlichen Veränderungsinteressen verlangen könnte. Eine flächendeckende herrschaftsschützende Belastungskontrolle wäre zudem auch mit den getroffenen beschlussmängelrechtlichen Grundentscheidungen nicht in Einklang zu bringen, etwa der privatrechtsdogmatischen Entscheidung für das Instrument der Ausübungskontrolle434. Denn die 429
Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 334 f. Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 138 f.; dazu bereits oben bei § 8 A. I. 1. a). 431 Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 140 ff. ist denn auch dazu gezwungen, beschlussgegenständliche Ausnahmen von der Sachkontrolle zuzulassen; auch dazu bereits oben bei § 8 A. I. 1. a). 432 Siehe die Systematisierung oben unter II. 2. b) bb) (1). 433 Für den grundrechtlichen Abwägungsprozess Hesse, Verfassungsrecht, § 2 III 2 c aa (S. 28); BVerfGE 41, 29, 51; BVerfGE 77, 240, 255; BVerfGE 81, 298, 308; BVerfGE 83, 130, 143; speziell für die Treuepflicht-Konkretisierung siehe Hennrichs, AcP (195), 1995, 221, 253. 434 Oben etwa bei § 12 A. II. 430
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Ausübungskontrolle lässt die jeweilige Kompetenznorm unberührt. Mit einer flächendeckenden richterlichen Einzelfallabwägung bei Beeinträchtigungen mitgliedschaftlicher Herrschaftsinteressen wird den jeweiligen Beschlusskompetenznormen aber der Sache nach das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des sachlichen Grundes hinzugefügt. Konträr zu Wesen und Struktur der Ausübungskontrolle wird damit die Kompetenznorm angetastet. Eine normative Pauschallösung im Sinne einer flächendeckenden herrschaftsschützenden Belastungskontrolle kommt folglich nicht in Betracht. Eine Pausschallösung in entgegengesetzter Richtung in Form einer generellen Reduktion auf eine bloße Rechtsmissbrauchskontrolle kann andererseits aber auch nicht die richtige Lösung sein. Bei einer solchen Kontrollreduktion bliebe unberücksichtigt, dass auch den Herrschaftsinteressen der Gesellschafterminderheit ein nicht unerhebliches Gewicht zukommt. Einen schonenden Ausgleich zwischen den konfligierenden mehrheitlichen Veränderungs- und Herrschaftsinteressen der Minderheit herzustellen435, kann nicht für sich beanspruchen, wer Letzteren mit einer Missbrauchskontrolle allein eine Kontrollform zuteilwerden lässt, die lediglich in engen Ausnahmefällen eingreift und auch gar nicht an die Beeinträchtigung der mitgliedschaftlichen Herrschaftsinteressen, sondern einen verhaltens- und zweckbezogenen Unwertverdacht anknüpft. Und auch hier gilt: Eine Reduktion auf eine bloße Missbrauchskontrolle wäre mit den getroffenen beschlussmängelrechtlichen Grundentscheidungen nicht in Einklang zu bringen. Dies gilt etwa für die Wahl der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht als Rechtsund Konkretisierungsgrundlage. Denn bei einer Beschränkung auf eine Missbrauchskontrolle, die als verhaltens- und zweckbezogene Unwertkontrolle lediglich das Etikett der Treuepflicht trägt, wäre diese für das Beschlussmängelrecht streng genommen überflüssig436. Kurz: Die Frage, wann ein Beschluss einer treuepflichtbasierten herrschaftsschützenden judiziellen Kontrolle unterliegt, kann nicht pauschal, sondern nur differenzierend beantwortet werden. Die entscheidende Frage besteht darin, wie diese Differenzierung auszusehen hat. b) Differenzierungsmöglichkeiten aa) Beschlussgegenstandsbezogene Differenzierung Eine erste Differenzierungsmöglichkeit haben wir bereits abgelehnt und können sie daher schnell beiseiteschieben. Die Rede ist von einer Differenzierung nach verschiedenen Beschlussgegenständen. Eine solche Differenzierung geht dogmatisch fehl, weil die Treuepflicht prinzipiell bei allen Beschlussgegenständen Geltung beansprucht. Teleologisch vermag sie nicht zu überzeugen, da Herr435 436
Zu diesem Abwägungsgebot vgl. die Nachweise oben in Fn. 433. Näher oben bei § 13 B. III. 2. c).
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schaftsinteressen bei vielen Beschlussgegenständen in ganz ähnlicher Weise beeinträchtigt werden. In systematischer Hinsicht trägt eine beschlussgegenstandsbezogene Differenzierung dem herausgearbeiteten Harmonisierungsgrundsatz nicht Rechnung, weil an wirtschaftlich austauschbare Maßnahmen (Bezugsrechtsausschluss, Verschmelzung etc.) unterschiedliche rechtliche Anforderungen gestellt werden437. bb) Gesellschaftsbezogene Differenzierung Schon eher in Betracht zu ziehen ist ein gesellschaftsbezogener Differenzierungsansatz. Es ließe sich im Einklang mit einem aktuellen Trend in der deutschen, europäischen und ausländischen Gesetzgebung erwägen, im Rahmen der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle danach zu unterscheiden, ob die Beschlussfassung bei einer GmbH oder einer AG438, einer kapitalmarktfernen oder einer kapitalmarktorientierten439, einer personalistischen oder kapitalistisch geprägten Gesellschaft440 in Rede steht. Auch die gesellschaftsbezogene Differenzierungsmöglichkeit ist aber bei genauerer Betrachtung zu verwerfen: Rechtsgrundlage der hier zu entwickelnden treuepflichtgestützten Belastungskontrolle ist die zwischen den Gesellschaftern bestehende Treuepflicht. Bei dieser Deduktionsbasis aber bestehen Zweifel, ob eine gesellschaftsbezogene Differenzierung möglich ist. Denn war die individualistische Treuepflicht in einem frühen dogmatischen Entwicklungsstadium noch an eine bestimmte Rechtsform – zuerst: Personengesellschaft, dann: GmbH – gebunden441 oder von einer bestimmten Gesellschaftsstruktur – personalistische Ausprägung – abhängig442, so sind diese Anwendungsbeschränkungen mit der „Linotype“-Entscheidung des Jahres 1988 gefallen443. Seitdem gehört der Satz, 437 Näher zu alldem oben § 8 B. I. 2. a) (umfassende Geltung der Treuepflicht) sowie § 8 B. IV. 438 Angedacht von Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 519 (mit ergänzendem Bezug auf die Unterscheidung personalistische und kapitalistische GmbH). 439 Bayer, Gutachten 67. DJT, S. E 81 ff. (grundsätzliche Differenzierung nach der Börsennotierung); in ähnliche Richtung Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 55 (Differenzierung zwischen anstaltsähnlichen Publikumsaktiengesellschaften mit Großunternehmen und mitglieds- bzw. personenbezogenen Aktiengesellschaften). 440 Siehe Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 55; Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 519. 441 Für das Personengesellschaftsrecht bereits RG JW 1913, 29 f.; RGZ 162, 388, 394; siehe dazu M. Winter, Treubindungen, S. 9 ff. m.w. N. Für die GmbH grundlegend dann BGHZ 65, 15, 18 f. (ITT); siehe auch insoweit M. Winter, Treubindungen, S. 1 ff., 41 ff. 442 BGHZ 9, 157, 163; BGHZ 14, 25, 38; siehe auch noch BGHZ 65, 15, 18 f. (ITT); siehe hierzu die Rechtsprechungsanalyse von T. Raiser, ZHR 151 (1987), 422, 430 ff. 443 BGHZ 103, 184, 194 f.
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wonach die Frage nach der Existenz von Treuepflichten rechtsform- und typenunabhängig zu bejahen ist, diese Faktoren also lediglich Einfluss auf die Reichweite und den Inhalt der Treuepflicht haben, zum gesicherten Bestand gesellschaftsrechtlicher Lehrsätze; Rechtsform und Struktur einer Gesellschaft bestimmen nicht das „Ob“ der Treuepflicht, sondern lediglich deren „Wie“ 444. Mit dieser Treuepflicht-Dogmatik gerät man in Konflikt, wenn man ein aus der Treuepflicht abzuleitendes Rechtsinstitut von vorneherein nur bei Gesellschaftern einer bestimmten Rechtsform oder eines bestimmten Typus zur Anwendung bringt, es bei anderen Gesellschaftern dagegen mit einer bloßen Rechtsmissbrauchskontrolle sein Bewenden haben lässt. Denn im Rahmen der Rechtsmissbrauchskontrolle in Form der verhaltens- und zweckbezogenen Unwertkontrolle fungiert die Treuepflicht mehr als Etikett denn als dogmatisch notwendige Ableitungsbasis. Bei den von einer Belastungskontrolle dann nicht erfassten (= ausschließliche Missbrauchskontrolle) kapitalmarktorientierten, kapitalistischen Gesellschaften steht im zentralen Bereich des materiellen Beschlussmängelrechts daher durchaus das „Ob“ und nicht lediglich das „Wie“ der Treuepflicht in Frage. Auch im Übrigen spricht einiges gegen eine gesellschaftsbezogene Differenzierung. Von den Definitions- und Abgrenzungsschwierigkeiten, die ein solcher Ansatz, insbesondere bei einer Unterscheidung zwischen personalistisch und kapitalistisch strukturierten Gesellschaften, hervorruft, einmal abgesehen445, sieht sich auch ein gesellschaftsbezogener Differenzierungsansatz teleologischen Bedenken ausgesetzt: Bedenklich stimmt zunächst, dass es bei einer gesellschaftsbezogenen Differenzierung die Gesellschaft bzw. Gesellschaftermehrheit in gewissem Sinne in der Hand hätte, das Eingreifen einer treuepflichtgestützten Belastungskontrolle durch einen Wechsel der Gesellschaftsform (Rechtsformwechsel, Rückzug vom Kapitalmarkt, Herbeiführung einer kapitalistischen Gesellschaftsstruktur) auszuhebeln. An der Richtigkeit dieser Lösung sind auch deswegen Zweifel angebracht, weil sich in der juristischen Sekunde, in der aus einer GmbH eine AG, aus einer kapitalmarktfernen eine kapitalmarktorientierte, aus einer personalistischen eine kapitalistische Gesellschaft wird, in teleologischer Hinsicht nichts Entscheidendes verändert. Das Telos der Belastungskontrolle, der Schutz der mitgliedschaftlichen Herrschaftsinteressen, kann davor und danach in glei-
444 Lutter, AcP 180 (1980), 84, 102 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 20 IV 2 d (S. 592); Grunewald, Gesellschaftsrecht, 2 C III 1 b (S. 255), 2 F 2 b aa (S. 336); Henze/Notz, in: GroßKomm/AktG, Anh. § 53a Rn. 1 ff. und insb. Rn. 9 (mit Aufbereitung der historischen Entwicklung); Merkt, in: MünchKomm/GmbHG, § 13 Rn. 97 ff., alle m.w. N. 445 Siehe etwa Fleischer, in: MünchKomm/GmbHG, Einl. Rn. 39: „Der Begriff der personalistischen GmbH weist als Typusbegriff beträchtliche Unschärfen auf, die seine Heranziehung im Rahmen der Gesetzesauslegung oder Lückenschließung nur mit großer Vorsicht erlauben“; siehe auch BGH GmbHR 1982, 129, 130.
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cher Weise einschlägig sein446. Die rechtstatsächliche Landschaft ist zu vielfältig, als dass sich mit einem nach verschiedenen Gesellschaftsformen differenzierenden Ansatz (GmbHG/AG, kapitalmarktfern/kapitalmarktorientiert, personalistisch/kapitalistisch) durchweg teleologisch-wertungsmäßig überzeugende Ergebnisse erreichen ließen. So gibt es neben anonymen Publikumsaktiengesellschaften, bei denen die Aktionäre reine Anlagezwecke verfolgen, auch nicht wenige Aktiengesellschaften, bei denen die Aktionäre eng miteinander verbunden sind, aktiv im Gesellschaftsunternehmen mitwirken und eine echte mitgliedschaftliche Beteiligung anstreben (personalistische Aktiengesellschaften in Form der Mitunternehmer-AG und der Familien-AG)447. Ähnlich liegen die Dinge bei der GmbH: Es existieren zwar viele Gesellschaften mbH mit wenigen, stark in das Gesellschaftsunternehmen eingebundenen, eine verbandsrechtliche Zielsetzung verfolgenden Gesellschaftern448. Rechtstatsächlich sind aber auch kapitalistische Gesellschaften mbH anzutreffen, bei denen die Gesellschafter im Hintergrund bleiben und die Vermögensbeteiligung ganz im Vordergrund steht449. Auch zahlreiche Mischformen bestehen in der Rechtswirklichkeit, etwa dergestalt, dass an einer börsennotierten, kapitalistischen Aktiengesellschaft neben anonymen Anlegeraktionären auch Aktionäre, denen an ihren Mitverwaltungsrechtlichen und der Realisierung des Verbandszweckes viel gelegen ist, beteiligt sind; man denke etwa an die gemischte Publikums-AG450 oder an eine börsennotierte FamilienAG451; umgekehrt gibt es auch grundsätzlich als personalistisch einzustufende Gesellschaften, bei denen gleichwohl lediglich ein Teil der Gesellschafter an der dauerhaften und gedeihlichen Entwicklung des Gesellschaftsunternehmens interessiert ist, während ein anderer Teil eher kurzfristige Kapitalanlagezwecke verfolgt452. Die schutzwürdigen Herrschaftsinteressen, denen die Belastungskontrolle zu dienen bestimmt ist, sind mit anderen Worten quer über alle Gesellschaftsformen verteilt. Eine judizielle Kontrolle von vorneherein nur bei bestimmten Gesellschaftsformen zur Anwendung gelangen zu lassen, birgt daher die Gefahr, eine judizielle Belastungskontrolle Platz greifen zu lassen, obwohl 446 Vgl. in diesem Zusammenhang das viel gebrauchte (K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 20 IV 2 d [S. 592]), auf Wiedemann (Wiedemann, in: FS Barz, S. 561, 569) zurückgehende Bild, wonach der Gesellschafter bei der Umwandlung der Gesellschaft seine Pflichtenstellung nicht an der Garderobe abgeben könne. Für den vorliegenden Kontext ist zu ergänzen: Auch seine Gesellschafterstellung und seine schutzwürdigen Herrschaftsinteressen bleiben nicht an der Garderobe hängen. 447 Siehe etwa Friedewald, Personalistische Aktiengesellschaft, S. 10 ff.; siehe auch die Phänomenologie der Aktiengesellschaft bei Henssler/Wiedemann, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. II, S. 23 ff. 448 Fleischer, in: MünchKomm/GmbHG, Einl. Rn. 37 m.w. N. 449 Fleischer, in: MünchKomm/GmbHG, Einl. Rn. 44 m.w. N. 450 Zu dieser Friedewald, Personalistische Aktiengesellschaft, S. 9. 451 Siehe zu dieser den gleichnamigen Beitrag von Kallmeyer, in: FS Kropff, S. 145 ff. 452 Vorerst nur Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 136 ff.; näher sogleich C. I. 1. a) aa).
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sie teleologisch-wertungsmäßig gar nicht geboten ist, und umgekehrt auf eine judizielle Kontrolle zu verzichten, wenn sie angezeigt wäre. Einem gesellschaftsbezogenen Differenzierungsansatz fehlt folglich die notwendige Wertungstiefe. Eng mit dem zuletzt genannten Kritikpunkt hängt ein spezifisch abwägungsrechtlicher Kritikpunkt an einer gesellschaftsbezogenen Differenzierung zusammen: Der Rechtsanwender, der im Rahmen der rechtlich geleiteten Interessenabwägung zu einer eigenen Wertungsentscheidung befugt ist, hat, um einen rationalen Diskurs und eine richterliche Kontrolle der Abwägungsentscheidung zu ermöglichen, seine Wertungsgrundlagen offenzulegen453. Diesem abwägungsrechtlichen Transparenzgebot trägt ein objektiv-gesellschaftsbezogener Ansatz nicht hinreichend Rechnung. Denn er verdeckt seine subjektiv-gesellschafterbezogene Wertungsbasis. Nimmt man die Wertungsgrundlage der gesellschaftsbezogenen Differenzierung nämlich näher in den Blick, wird man feststellen, dass sich hinter der gesellschaftsbezogenen Differenzierung nicht, wie man vermuten würde, auch eine gesellschafts-, sondern vielmehr eine gesellschafterbezogene Wertung verbirgt. Eine unterschiedliche intensive Kontrolle bei den verschiedenen Gesellschaftstypen hält man weniger aus Gründen für richtig, die speziell in der Form bzw. der Struktur der Gesellschaft begründet sind. Eine intensivere Kontrolle bei kapitalmarktfernen, personalistischen Gesellschaften und dementsprechend eine eingeschränkte judizielle Kontrolle bei kapitalmarktorientierten, kapitalistischen Gesellschaften wird vielmehr vor allem deshalb befürwortet, weil die Gesellschafter einmal enger miteinander verbunden sind und eine echte mitgliedschaftliche Beteiligung anstreben, während der Gesellschafterkreis im anderen Falle durch Anonymität gekennzeichnet ist und für die Gesellschafter die Vermögensbeteiligung ganz im Vordergrund steht454. Die besseren Gründe sprechen daher dafür – in vorsichtiger Übereinstimmung mit den Beschlüssen des 67. DJT 2008455 – einer objektiv-gesellschaftsbezogenen Differenzierung zu 453 Siehe sub specie des Erfordernisses sachlicher Entscheidungsbegründung Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 97 ff., insb. 99, 163 ff.; siehe auch Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 254 f. 454 Deutlich kommt dies bei Bayer, Gutachten 67. DJT, S. E 101 ff. zum Ausdruck: „Die Differenzierung zwischen der [befürworteten] börsen- und nichtbörsennotierten Gesellschaft steht in unmittelbaren Zusammenhang mit der Differenzierung zwischen dem Unternehmer und dem Anlegeraktionär“; klar ausgesprochen auch von Krieger, Referat 67. DJT, S. N 25, 36; siehe auch Fleischer, in: MünchKommGmbHG, Einl. Rn. 37 f. sowie Merkt, AG 2003, 126, 128 f.; auch die grundlegende Arbeit von Mülbert, die vordergründig auf eine Differenzierung zwischen der (börsennotierten) Aktiengesellschaft und der (personalistischen) GmbH hinausläuft, hat vor allem wegen der in ihr herausgearbeiteten Differenzierung zwischen dem Kapitalanleger und dem Verbandsmitglied Berühmtheit erlangt, vgl. Mülbert, Aktiengesellschaft, insb. S. 136 ff., S. 519; dazu bereits oben § 10 sowie noch unten C. I. 1. a) aa). 455 So hat die objektiv-gesellschaftsbezogene Beschlussempfehlung, stärker zwischen verschiedenen Typen von Aktiengesellschaften zu differenzieren, nicht die Zustimmung des DJT gefunden (Beschluss Nr. 1, 67. DJT, abgedruckt in: Verhandlungen des 67. DJT, S. N 239), wogegen die untrennbar mit der gesellschafterbezogenen Differenzie-
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entsagen und direkt die Differenzierungsmöglichkeit zugrunde zu legen, die übrig bleibt: eine gesellschafterbezogene456. cc) Gesellschafterbezogene Differenzierung Eine gesellschafterbezogene Differenzierung harmoniert mit der individualistischen Treuepflicht: Anerkanntermaßen können aus der Treuepflicht nur einzelne Gesellschafter verpflichtet werden und andere nicht – nur den Gesellschafter, der eine abstimmungsmäßige Blockadeposition innehat, kann eine positive Stimmpflicht qua Treuepflicht treffen457, nur der Gesellschafter, der über besondere gesellschaftsrelevante Informationen verfügt, hat diese ggf. zu offenbaren458, nur der Gesellschafter, dessen anderweitige unternehmerische Betätigung ernsthafte Gefahren für die Gesellschaft birgt, unterliegt einem Wettbewerbsverbot459. Können aber auf der Pflichtenseite die aus der Treuepflicht abgeleiteten Verhaltensgebote zwischen einzelnen Gesellschaftern divergieren, so ist es nur konsequent, bei dem mit der Belastungskontrolle einhergehenden Perspektivwechsel vom Pflichtenträger zum Rechtsbetroffenen auch nur einzelnen Gesellschaftern den Schutz dieses Rechtsinstituts zuteilwerden zu lassen, anderen dagegen nicht. Auf diese Weise wird zwischen der Aktiv- und der Passivseite, der Pflichten- und der Rechtsseite der Treuepflicht, dogmatische Konvergenz hergestellt. Hinzu tritt: Nach Rechtsprechung und Literatur hängt die Reichweite und der Inhalt der Treuepflicht auch vom Umfang und der Dauer der Beteiligung an der Gesellschaft460 sowie dem gerechtfertigten Vertrauen des Gesellschafters ab461. Daraus ist zu schließen, dass auch die aus der Treuepflicht fließenden Rechte je nach Gesellschafter divergieren können, eben weil die Beteiligung des einen Gesellschafters einen größeren Umfang aufweist, von längerer Dauer ist oder ein grörung zusammenhängende stärkere Fokussierung auf den Vermögensschutz im Recht der börsennotierten Gesellschaft die Zustimmung des Plenums fand, s. Beschluss Nr. 5, 67. DJT, abgedruckt in: Verhandlungen des 67. DJT, S. N 240. Auch Befürworter einer gesellschaftsbezogenen Differenzierung wollen auf weitere, und gerade auch gesellschafterbezogene Subdifferenzierungen nicht verzichten, siehe Bayer, Gutachten 67. DJT, S. E 92 ff., E 101 ff. 456 Für eine gesellschafterbezogene Differenzierung im Bereich der materiellen Beschlusskontrolle bereits früher Martens, ZIP 1992, 1677, 1688 ff. 457 Dazu im Einzelnen M. Winter, Treubindungen, S. 167 ff. 458 Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 14 Rn. 25; Merkt, in: MünchKomm/ GmbHG, § 13 Rn. 172 ff. 459 Siehe Merkt, in: MünchKomm/GmbHG, § 13 Rn. 212 ff. (mit Auflistung der vom Wettbewerbsverbot erfassten Gesellschafter); ausführlich mit Darstellung des Streitstandes M. Winter, Treubindungen, S. 239 ff. 460 BGHZ 65, 15, 19 (ITT); Merkt, in: MünchKomm/GmbHG, § 13 Rn. 89; Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13 Rn. 145; Seibt, in: Scholz, GmbHG, § 14 Rn. 53. 461 Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13 Rn. 145; Seibt, in: Scholz, GmbHG, § 14 Rn. 53 mit Verweis auf RG DR 1941, 1305, 1307.
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ßeres Vertrauen rechtfertigt als die Beteiligung eines anderen Gesellschafters. Auch im Übrigen erscheint eine gesellschafterbezogene Differenzierung sachgerecht, insbesondere deshalb, weil der gleiche Beschluss den einen Gesellschafter nur geringfügig, einen anderen Gesellschafter dagegen in erheblichem Maße beeinträchtigen kann. Ein Bezugsrechtsausschluss etwa kann bei einem entsprechenden Volumen der Kapitalerhöhung die Stellung eines maßgeblich beteiligten Gesellschafters entscheidend schwächen, wogegen sich ein atomistisch beteiligter Publikumsaktionär von einer Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss, die zu einem angemessenen (Börsen-)Ausgabepreis erfolgt, kaum wirklich beschwert fühlen dürfte462. Mit der Befürwortung einer gesellschafterbezogenen Differenzierung sind alle Elemente herausgearbeitet, die für eine Abwägungsentscheidung in Form eines Rechtssatzes benötigt werden. IV. Abwägungsergebnis 1. Der Ausgangsrechtssatz
Der Ausgangsrechtssatz, der die Frage beantwortet, wann ein Beschluss bzw. die mehrheitliche Stimmrechtsausübung einer treuepflichtgestützten Belastungskontrolle unterliegt, ergibt sich aus der Zusammenfügung der getroffenen beschlussmängelrechtlichen Grundentscheidungen: (1) Beim sekundärrechtlichen Ausgangspunkt (rechtstheoretische Standortbestimmung) sowie dem (2) privatrechtsdogmatischen Instrument der Ausübungskontrolle handelt es sich um Einzelfallkategorien. Der Rechtssatz der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle beginnt daher folgendermaßen: Eine treuepflichtgestützte Belastungskontrolle kommt dann zur Anwendung, wenn im Einzelfall . . . (3) Der nächste Satzbestandteil folgt aus der eben gewonnenen Erkenntnis, wonach eine gesellschafterbezogene Differenzierung die besseren Argumente auf ihrer Seite hat. Es ist daher zu ergänzen: Eine treuepflichtgestützte Belastungskontrolle greift Platz, wenn im Einzelfall ein Gesellschafter . . . (4) Als Nächstes ist das Element umzusetzen, das dem Rechtsinstitut seinen Namen gibt, das Belastungselement. Hier nun wirkt die oben getroffene dogmatische Grundsatzentscheidung ein. Im Unterschied zur generalisierenden Betrachtungsweise des körperschaftlichen Ansatzes463 legt ein individualistischer Ansatz, wie er hier befürwortet wird, auch eine individualisierende Betrachtungsweise bei der Belastungsbeurteilung zugrunde464. Statt generalistisch und öffentlich-rechtlich anmutend von einem „Ein462 Siehe Kübler/Mendelson/Mundheim, AG 1990, 461, 475; Kübler, ZBB 1993, 1, 7; ders., AG 1994, 141, 147; Martens, ZIP 1992, 1677, 1689 ff.; Röhricht, ZGR 1999, 445, 475. 463 Siehe oben bei § 8 A. I. 1. a) mit § 6 D. II. 3. u. § 9 B. IX. 2.; siehe zudem § 12 A. III. 1. 464 Diese für den Bezugsrechtsausschluss früh befürwortend Martens, ZIP 1992, 1677, 1688 ff.
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griff“ zu sprechen465, sollte man daher besser die eine personenbezogene Konnotation aufweisende Vokabel „betroffen“ verwenden466. Wir können also ergänzen: Eine treuepflichtgestützte Belastungskontrolle ist angezeigt, wenn im Einzelfall ein Gesellschafter betroffen ist . . . Dieser noch unvollständige Satz bedarf nun noch der Vervollständigung. (5) Ein weiteres Element steuert die teleologische Grundentscheidung bei. Eine Belastungskontrolle kommt, wie gesehen, grundsätzlich nur zum Schutz der mitgliedschaftlichen Herrschaftsinteressen in Betracht, sodass der erweiterte Rechtssatz nun lautet: Eine treuepflichtgestützte Belastungskontrolle ist dann geboten, wenn im Einzelfall ein Gesellschafter betroffen ist, dessen Herrschaftsinteressen . . . (6) Komplettiert wird dieser Satz durch das im Rahmen der Interessenabwägung herausgearbeitete Gewichtungsverhältnis: Ist den mehrheitlichen Veränderungsinteressen ein hohes Gewicht einzuräumen, so kann nicht schon jedwede Beeinträchtigung der Herrschaftsinteressen eine judizielle Kontrolle rechtfertigen. Vielmehr muss von dem Beschluss ein Gesellschafter nachteilig betroffen sein, dessen Herrschaftsinteressen besonders schutzwürdig sind. Der vollständige Ausgangsrechtssatz lautet sodann: Eine treuepflichtgestützte Belastungskontrolle kommt dann zur Anwendung, wenn im Einzelfall ein Gesellschafter betroffen ist, dessen Herrschaftsinteressen besonders schutzwürdig sind467. Bevor dieser Ausgangsrechtssatz weiter zu konkretisieren ist, sind auf Basis des sekundärrechtlichen Standortes Wertungsparallelen in der primärrechtlichen Gesamtrechtsordnung auszumachen.468 2. Wertungsparallelen
Eine erste Wertungsparallele lässt sich erneut zu § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG ziehen. Von der Notwendigkeit einer judiziellen Beschlusskontrolle dispensiert diese Norm dann, wenn neben der vermögensrechtlichen (= Orientierung am Börsenpreis) auch die herrschaftsrechtliche Komponente der Norm erfüllt ist. Die herrschaftsrechtliche Komponente besteht in der Beschränkung des vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses auf Kapitalerhöhungen, deren Volumen 10% des Grundkapitals nicht übersteigt. Der Gesetzgeber begründet dies unter anderem damit, dass eine Beeinträchtigung der Herrschaftsrechte in Form eines Ein465 So die Terminologie und Dogmatik des generalistischen (oben bei § 8 A. I. 1. a), § 9 IX. 2. a)) und öffentlich-rechtlich konzipierten (oben § 6 H. II. 3.) Sachgrunderfordernisses, siehe BGHZ 71, 40, 44 ff. (Kali & Salz); Füchsel, BB 1972, 1533, 1536 f. 466 So auch Martens, ZIP 1992, 1677, 1688 ff.: „persönliche Betroffenheit des vom Bezugsrecht ausgeschlossen Anfechtungsklägers“. 467 Für den Bezugsrechtsausschluss bereits ähnlich Martens, ZIP 1992, 1677, 1688 ff.; siehe auch auf Basis einer Grundsatzkritik am Sachgrunderfordernis Röhricht, ZGR 1999, 445, 472 ff. 468 Siehe Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 253: Notwendigkeit einer „Verträglichkeitsprobe“ des Abwägungsergebnisses mit den Wertungen der Rechtsordnung.
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flussverlustes in diesem Fall nicht zu befürchten sei – bei diesem Volumen der Kapitalerhöhung hätten die bei der Abstimmung überstimmten Aktionäre die Möglichkeit, ihre relative Beteiligung über einen Aktiennachkauf an der Börse zu erhalten und so eine Beeinträchtigung ihrer Herrschaftsinteressen zu verhindern469. Anders und im Sinne der hiesigen Wertung gewendet: Eine richterliche Beschlusskontrolle aufgrund einer Beeinträchtigung der Herrschaftsinteressen kommt nicht in Betracht, da im Einzelfall, nämlich aufgrund des konkreten Volumens der Kapitalerhöhung bei der beschlussfassenden Gesellschaft und der bestehenden Nachkaufmöglichkeit über die Börse, besonders schutzwürdige Herrschaftsinteressen der konkret überstimmten Aktionäre nicht gegeben sind470. Gegen § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG als primärrechtliche Wertungsparallele für den hier entwickelten Rechtssatz mag man zwar zunächst einwenden, dass diese Norm mit der Anknüpfung an den Börsenkurs implizit zwischen börsennotierten und nicht börsennotierten Gesellschaften, also gesellschaftsbezogen, und nicht, wie hier für richtig geheißen, gesellschafterbezogen differenziert. Doch dürfte diese gesetzliche Differenzierungsentscheidung neben ihrer Einbettung in ein stärker nach verschiedenen Typen von Aktiengesellschaften differenzierendes Gesamtkonzept471 möglicherweise auch dem Umstand geschuldet sein, dass sich gesellschafterbezogene Differenzierungen im Sinne des hiesigen Rechtssatzes472 mit dem körperschaftlichen Einheitsdenkmuster473, das der primärrechtlichen Ausgestaltung durch den Gesetzgeber meist zugrunde liegt474, nicht gut vertragen. Wertungsmäßig schimmert auch bei § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG die gesellschafterbezogene Differenzierung recht deutlich durch. Denn der Gesetzgeber legt in der Gesetzesbegründung dar, inwiefern das Bezugsrecht dem Schutz der Altaktionäre dient, und begründet die Erleichterung des Bezugsrechtsausschlusses damit, dass unter den Voraussetzungen der Norm ein Schutzbedürfnis der Altaktionäre nicht gegeben sei475. Allein auf diese materiell-gesellschafterbezogene Wertungsbasis kommt es vorliegend an. Sie ist einer Verallgemeinerung in Form des entwickelten Rechtssatzes zugänglich.
469 Fraktionsbegründung Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts, BT-Drucks. 12/6271, S. 10. 470 Siehe auch die Verallgemeinerung der in § 186 III 4 AktG enthaltenen Wertung bei Röhricht, ZGR 1999, 445, 473. 471 Vgl. den Gesetzestitel: Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts vom 2.8. 1994, BGBl. I, S. 1961 (Hervorhebung nicht im Original). 472 Wenn der Gesetzgeber zwischen verschiedenen Gesellschaften differenziert, dann durch Anknüpfen an starre Beteiligungsquoten und -schwellen; ausführlich dazu unten bei C. I. 1. a) cc) (3) (b). 473 Oben § 11 B. II. 2. b) bb), § 12 A. III. 2. 474 Siehe oben bei § 11 B. V. 475 Fraktionsbegründung Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts, BT-Drucks. 12/6271, S. 10.
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Eine weitere Wertungsparallele sei zu den aktienrechtlichen Instituten der Mehrheitseingliederung (§ 320 AktG) und des Zwangsausschlusses (squeeze-out, §§ 327a ff. AktG) gezogen. Unter der Voraussetzung, dass einem Gesellschafter476 95% der Anteile an einer Gesellschaft gehören, es sich bei dieser Gesellschaft um eine Aktiengesellschaft handelt und die verbleibende Aktionärsminderheit, deren Beteiligung unter bzw. bei höchstens 5% liegen darf, angemessen entschädigt wird, kann den Gesellschaftern die Grundlage jedweder Herrschaftsrechte und Herrschaftsinteressen, die Mitgliedschaft, genommen werden. Erneut im Sinne der hiesigen Wertung formuliert: Das Gesetz gewährt hier deswegen keinen verbandsrechtlichen Bestandsschutz, weil von diesen Maßnahmen aufgrund der besonderen Einzelfallumstände (Hauptaktionär mit 95% Klein- und Kleinstaktionäre mit lediglich bzw. weniger als 5% Rechtsform der konkret ausschließenden Gesellschaft als Aktiengesellschaft) typischerweise lediglich Gesellschafter betroffen sind, deren verbandsrechtliche Herrschaftsinteressen nicht besonders schutzwürdig erscheinen. Durchgreifende Bedenken, diese im Schrifttum mitunter auch kritisierten Regelungen477 als Wertungsanleihe heranzuziehen, bestehen nicht. Denn während die angeführten aktiengesetzlichen Institute die Mitgliedschaft dem an keine weiteren Voraussetzungen gebundenen Zugriff des Hauptaktionärs aussetzen, geht es bei der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle darum, ob zusätzlich zu einer treuepflichtgestützten Belastungskontrolle ein weiteres gesellschafterschützendes Rechtsinstitut zum Tragen kommen soll, mit anderen Worten: Mehrheitseingliederung und squeeze-out „nehmen“ (die Mitgliedschaft), die treuepflichtgestützte Belastungskontrolle dagegen „gibt“ (Schutz durch judizielle Kontrolle). Insofern ist es dann aber durchaus sachgerecht, diesen besonderen Schutz nur demjenigen Gesellschafter zuteilwerden zu lassen, dessen Herrschaftsinteressen besonders schutzwürdig erscheinen. Dem weiteren Einwand, dass die Mehrheitseingliederung und der squeeze-out nur bei Aktiengesellschaften, nicht aber bei Gesellschaften mbH möglich sind478, also objektiv-gesellschaftsbezogen und nicht, wie hier für richtig geheißen, subjektivgesellschafterbezogen differenziert wird, ist in ähnlicher Weise wie im Zusammenhang mit dem vereinfachten Bezugsrechtsausschluss zu entgegnen: Zu einer Rechtsregel, wonach ein Ausschluss gegen Entschädigung möglich ist, wenn im Einzelfall aufgrund der überhohen Beteiligungsquote des Hauptaktionärs lediglich Gesellschafter nachteilig betroffen werden, deren Herrschaftsinteressen nicht besonders schutzwürdig erscheinen, wird sich der Gesetzgeber auf der von der 476 Bei der Eingliederung muss es sich bei dem Gesellschafter zusätzlich um eine Aktiengesellschaft mit Sitz im Inland handeln (§ 320 Abs. 1 AktG). 477 Kritisch zum aktienrechtlichen Zwangsausschluss Zöllner, AG 2002, 585, 592; kritisch auch unter verfassungsrechtlichem Blickwinkel Hanau, NZG 2002, 1040 ff.; jedenfalls die Erstreckung des squeeze-out auch auf nicht börsennotierte Aktiengesellschaften ist vielfach auf Kritik gestoßen, siehe Habersack, ZIP 2001, 1230, 1232 ff.; Hüffer, AktG, § 327a Rn. 4a; Merkt, AG 2003, 126, 133. 478 Nachweise oben Fn. 423.
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Kategorie der juristischen Person beherrschten, daher in personenbezogener Hinsicht zu Generalisierung neigenden Primärebene kaum durchringen können. Überall dort aber, wo die Kategorie der juristischen Person als Rechtskonstrukt an Bedeutung verliert – bei der Gesetzesbegründung, in der Rechtsprechung und eben der hier individualistisch konzipierten treuepflichtgestützten Belastungskontrolle –, tritt die gesellschafterbezogene Wertung in den Vordergrund. So rechtfertigt der Gesetzgeber den aktienrechtlichen Zwangsausschluss maßgeblich damit, dass die davon betroffenen „Aktionäre ihre Aktien vorwiegend als Kapitalanlage betrachten und ihr Interessenschwerpunkt regelmäßig auf der Vermögenskomponente der Mitgliedschaft liegt“ 479. Noch deutlicher spricht das Bundesverfassungsgericht den §§ 327a ff. AktG eine verfassungsrechtliche Unbedenklichkeitsbescheinigung mit der Erwägung aus, dass sichergestellt sei, „dass nur Aktionäre ausgeschlossen werden, deren Anlageinteresse sich angesichts des Fehlens realer Einwirkungsmöglichkeiten auf die Unternehmensführung auf die vermögensrechtliche Komponente konzentriert“ 480. Sodann führt es fort: „Ob etwas anderes gilt, wenn ein Aktionär im Einzelfall ein weitergehendes, anerkennenswertes Interesse an der Beteiligung an einem Unternehmen hat [. . .], kann hier offenbleiben. Die Bf. haben ein solches besonderes Interesse nicht dargelegt.“ 481 Auf dieser verfassungsrechtlichen Linie liegt der hier entwickelte Rechtssatz bzw. genauer: Die vom Verfassungsgericht nur angedeutete, aber offengelassene Frage ist uneingeschränkt zu bejahen. Wenn im Einzelfall ein Gesellschafter betroffen ist, dessen Herrschaftsinteressen besonders schutzwürdig sind, hat generell etwas anderes zu gelten – der nachteilige Beschluss unterliegt einer treuepflichtgestützten Belastungskontrolle. Auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hält ein Fallbeispiel parat, mit dem sich diese Wertung untermauern lässt. In der Entscheidung BGH DStR 1994, 214 hatte die Gesellschafterversammlung einer zweigliedrigen GmbH mit den Stimmen des Mehrheitsgesellschafters (51%) den Geschäftsführer gem. §§ 38 Abs. 1, 46 Nr. 5 GmbHG abberufen. Der zweite Zivilsenat verlangt in concreto eine sachliche Rechtfertigung des Abberufungsbeschlusses, weil es sich bei dem abberufenen Geschäftsführer um einen maßgeblich beteiligten Gesellschafter (49%) handelte, der aktiv im Gesellschaftsunternehmen tätig war, es mit aufgebaut hatte und ihm auch in familiärer Hinsicht eng verbunden war482. Man könnte dies auch anders formulieren: Eine sachliche Rechtfertigung war erforderlich, weil im Einzelfall ein Gesellschafter nachteilig betroffen war, dessen Herrschaftsinteressen von besonderer Wertigkeit waren.
479 Begr. RegE Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen, BT-Drucks. 14/7034, S. 32. 480 BVerfG NJW 2007, 3269, 3270 (Edscha). 481 BVerfG NJW 2007, 3269, 3270 (Edscha). 482 BGH DStR 1994, 214, 216.
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4. Teil: Eigene Konzeption
Wie die genannten Normen und Judikate zeigen, besteht der hier entwickelte Rechtssatz die abwägungsrechtlich geforderte „Verträglichkeitsprobe“ mit den Wertungen der Gesamtrechtsordnung. Wir können uns daher nun seiner weiteren Konkretisierung zuwenden. Hier ist noch einiges zu leisten. Zum einen ist die Frage, wann denn nun die Herrschaftsinteressen eines Gesellschafters besonders schutzwürdig sind, noch keineswegs beantwortet. Zum anderen stellt sich die Frage, wie die vorliegende, sehr viel stärker dem Einzelfall zugewandte Konzeption dem gegenläufigen Gebot der Rechtssicherheit Rechnung tragen kann483. Beides läuft auf die Frage nach der genauen normativen Gestalt der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle hinaus.
C. Das Methodenprodukt: die treuepflichtgestützte Belastungskontrolle I. Materiell-rechtliche Seite 1. Der Tatbestand der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle
a) Erstes Tatbestandsmerkmal: Vorhandensein eines Bindungsgesellschafters aa) Normativer Ausgangspunkt Eine treuepflichtgestützte Belastungskontrolle findet Anwendung, wenn im Einzelfall ein Gesellschafter betroffen ist, dessen Herrschaftsinteressen besonders schutzwürdig erscheinen. Wann aber sind die Herrschaftsinteressen eines Gesellschafters von besonderer Wertigkeit? Man wird dabei wohl zuerst an die maßgeblich von Mülbert in die Diskussion eingebrachte Unterscheidung zwischen dem reinen Kapitalanleger und dem echten Verbandsmitglied denken484. Dem vermögensorientierten Schutzkonzept Mülberts, das auf dieser Entscheidung aufbaute, haben wir jedoch oben die Gefolgschaft verweigert485. Es hat sich auch nicht in seiner Schärfe durchgesetzt486. Kritik hat Mülbert vor allem 483 Hier tritt die Hauptschwierigkeit eines individualistischen Ansatzes zutage: Er muss die eröffnete Gesellschaftervielfalt wieder in sachgerechter Weise eingrenzen, ja „einfangen“. Auch für den sekundärrechtlichen Ansatz und das Instrument der Ausübungskontrolle besteht die zentrale Herausforderung darin, dem Rechtssicherheitsgebot gerecht zu werden. 484 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 54 ff., insb. 136 ff., dort auch Nachweise zu anderen, früheren Ansätzen. 485 Oben unter § 3 D. II. 486 Siehe die ablehnenden Stellungnahmen etwa von Grundmann, Treuhandvertrag, S. 459 ff.; Habersack, Mitgliedschaft, S. 264, 326 ff.; Hüffer, in: FS Kropff, S. 127, 132 ff.; ders., in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 56; Kindler, ZGR 1998, 35, 51; Liebert, Bezugsrechtsausschluss, S. 74 ff.; Tröger, Treupflicht, S. 285 ff.; auch die (etwas) veränderte Konzeption Mülberts (Mülbert, in: FS Ulmer, S. 433, 450: Vermögensschutz
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auch wegen seiner (ursprünglichen) begrifflich-typologischen Grenzziehung erfahren487, wonach jeder Aktionär mit einer Beteiligung von unter 25% als Kapitalanleger einzustufen sei und ihm daher lediglich ein vermögensrechtlicher, nicht aber ein verbandsrechtlicher Schutz zuteilwerde488. Es dürfte zu einem nicht geringen Teil dieser viel zu hoch gesetzten Schwelle geschuldet sein, dass die Kritik an Mülberts Konzeption mitunter zu hart ausfiel, so etwa bei dem Vorwurf, seine Konzeption laufe auf eine „aktienrechtliche Zweiklassenlandschaft“ hinaus489. Denn wie soeben erläutert, sprechen nicht wenige Gesichtspunkte gerade für eine Differenzierung zwischen verschiedenen Gesellschaftern. Berechtigt ist die Kritik jedoch insofern, als sie verdeutlicht, dass es für eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Gesellschaftertypen eines hinreichend stichhaltigen Wertungsgrundes bedarf. Gerade in diesem Punkte hat Mülbert jedoch wertvolle Vorarbeit geleistet, die es zwar nicht in Form der konkreten daraus abgeleiteten Rechtsfolgen, wohl aber in ihrem dogmatischen Grundsatzgehalt fruchtbar zu machen gilt. Mülbert hat nämlich, bezogen auf die Unterscheidung Kapitalanleger und Verbandsmitglied, das (auch) von dem hier entwickelten Rechtssatz in Bezug genommene Verhältnis zwischen dem Rechtssubjekt und den diesem zustehenden Rechten und den von diesem verfolgten Interessen („[. . .] Gesellschafter [. . .], dessen Herrschaftsinteressen [. . .].“) genauer herausgearbeitet490: Für den Kapitalanleger haben die Mitverwaltungs- bzw. Herrschaftsrechte eine instrumentale Funktion, sie dienen der Verwaltung der Investition in seinem Interesse. Sofern er von ihnen überhaupt Gebrauch macht, tut er dies mit dem Ziel, seinen eigenen Wohlstand, den Wert seines Investments, also: seine Vermögensinteressen, zu wahren. Seine Herrschaftsinteressen sind daher letzten Endes nichts anderes als verkappte Vermögensinteressen491. Beim Verbandsmitglied verhält es sich dagegen umgekehrt: Bei ihnen stehen die Herrschaftsrechte nicht im Dienste der Vermögensinteressen, sondern im Dienste der „gemeinsamen Sache“; das Verbandsmitglied macht von den Mitverwaltungsrechten Gebrauch, um über Maßnahmen zur Verwirklichung und Förderung des gemeinsamen Zweckes, also des Gesellschaftsunternehmens mitentscheiden zu können. Die Herrschaftsinteressen lassen sich beim Verbandsmitglied im theoretischen Ausgangspunkt von den Vermögensinteressen separieren, sie haben einen über die Vermögensbis an die Grenze von 5%) stieß auf Kritik, siehe Habersack, AG 2005, 137, 139 f.; Boese, Anwendungsgrenzen, S. 112; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 312 ff. 487 Deutlich ablehnend Hüffer, in: FS Kropff, S. 127, 143 sowie die Nachweise in der vorhergehenden Fn. 488 Zusammenfassend Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 357 ff.; ausführlich oben § 10 A.; Modifikation dieses Ansatzes bei Mülbert, in: FS Ulmer, S. 433, 450 (Vermögensschutz bis an die Grenze von 5%). 489 So die Kritik bei Habersack, AG 2005, 136, 140; ähnlich auch Hüffer, in: FS Kropff, S. 127, 143: Aktiengesetz kennt keine verschiedenen Aktionärsqualitäten. 490 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 138. 491 Siehe zum vermögensrechtlichen Beteiligungsinteresse oben B. II. 2. a) bb).
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4. Teil: Eigene Konzeption
interessen hinausgehenden Gehalt. Verkürzt zusammengefasst: Dem Kapitalanleger geht es um „sein Investment“, dem Verbandsmitglied um „seine Gesellschaft“. Eben hierin liegt das entscheidende Wertungsmoment: Die besonders schutzwürdigen Herrschaftsinteressen, die eine treuepflichtgestützte Belastungskontrolle rechtfertigen, sind vor allem durch die Einstellung ihres Trägers gekennzeichnet. Der Gesellschafter, der Träger besonders schutzwürdiger Herrschaftsinteressen ist, steht zu der beschlussfassenden Gesellschaft in einer Verbindung, die so gefestigt ist, dass sie ihn von „seiner Gesellschaft“ sprechen lässt. Die besondere Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit dieser Identifikation wird in Rechtsprechung und Literatur zwar immer wieder betont492. Konzeptionelle Folgen wurden daraus bislang jedoch nicht abgeleitet. Dies dürfte möglicherweise auch darauf zurückzuführen sein, dass die Frage einer Bindung einer Person zu einer Organisation als eines im Ausgangspunkt psychologischen Sachverhalts zunächst vor allem Gegenstand der Organisationspsychologie ist. Wollen wir die treuepflichtgestützte Belastungskontrolle als ein Instrument zum Schutz des Bindungsgesellschafters – so die im Folgenden gebrauchte Bezeichnung – entwickeln, haben wir folglich einen interdisziplinären Seitenblick auf die Organisationspsychologie zu werfen. bb) Organisationspsychologische Fortsetzung: organisationales Commitment Die Frage, inwiefern sich Individuen einer Organisation zugehörig und verbunden fühlen, hat psychoanalytische Ursprünge493, fand dann in der Organisationspsychologie ihren wissenschaftlichen Standort494 und beschäftigt heute auch und vor allem die betriebswirtschaftliche Personalforschung495. Mögen die konzeptionellen Grundlagen noch im Unklaren liegen und die Begrifflichkeit im Einzelnen variieren496, so ist doch das Stichwort, unter dem diese Frage diskutiert wird, klar. Es lautet: organisationales Commitment. Unter organisationalem Com-
492 BVerfGE 14, 263, 274 (Feldmühle) (der andere [scil. Aktionär] fühlt sich „seiner“ Gesellschaft zugehörig) (Feldmühle); in eigenkapitalersatzrechtlichem Kontext explizit ausgesprochen von Habersack, ZHR 162 (1998), 201, 219 („Identifizierung der Gesellschafter mit der von der GmbH betriebenem Unternehmen“); Lutter/Drygala, in: FS Kropff, S. 191, 211 („Bindung an sein Unternehmen“); Röhricht, ZGR 1999, 445, 472 ff., insb. 475 („seine Gesellschaft“); Veil, ZGR 2000, 223, 230; letztlich auch, wenn auch in vermögensrechtlichem Kontext BGHZ 71, 40, 44 (Kali & Salz): Entzug des Vorrechts des Aktionärs, in „seinem Unternehmen investieren zu können“ als schwerer Eingriff; siehe auch Jung, Unternehmergesellschafter, S. 37 f. 493 Schuler, Organisationspsychologie, S. 281. 494 Siehe erneut Schuler, Organisationspsychologie, S. 281. 495 Siehe Berthel/Becker, Personalmanagement, S. 350 f.; Staehle, Management, S. 570 ff. 496 Schommers, Organisationales Commitment, S. 188 f.
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mitment versteht man eine psychologische Bindung zwischen einem Individuum und einem Unternehmen497 oder, wie es an anderer Stelle heißt, einen psychologischen Zustand, der die Beziehung eines Mitarbeiters zur Organisation charakterisiert und Einfluss auf dessen Entscheidung hat, künftig Mitglied der Organisation zu bleiben oder nicht498. Je nach dem, wodurch dieser psychologische Zustand konkret bestimmt wird, unterscheidet man verschiedene Arten des organisationalen Commitment499: Beim kalkulierten Commitment besteht eine Bindung an eine Organisation auf Grund der Kosten („perceived costs“), die durch das Verlassen der Organisation entstünden. Der Mitarbeiter fühlt sich dem Unternehmen hier deswegen verbunden, weil es ihm nützlicher erscheint bzw. er keine andere Wahl hat („economic school“)500. Normatives Commitment dagegen meint, dass sich eine Person – vor allem aufgrund erhaltener Leistungen von der Organisation – aus einem Gefühl der Verpflichtung („obligation“) heraus der Organisation verbunden fühlt („normative school“)501. Die Komponente des organisationalen Commitments mit der größten Bedeutung sowohl in der Organisationspsychologie als auch im vorliegenden Kontext ist das affektive Commitment. Es bezieht sich auf die emotionale Bindung einer Person an eine Organisation. Personen mit einem hohen affektiven Commitment fühlen sich der Organisation emotional verbunden und identifizieren sich mit ihr. Sie verbleiben in der Organisation, weil sie es so wollen („psychologic school“)502. An dieser Stelle überschneidet sich das organisationale Commitment mit einem anderen organisationspsychologischen Konstrukt, dem der organisationalen Identifikation503. Dieses Konstrukt richtet den Blick verstärkt auf das einzelne Individuum und fokussiert dabei auf die spezifische Frage der Identifikation dieses Individuums mit der Organisation. Bei der organisationalen Identifikation geht es um die wissenschaftliche Erfassung von Einstellungen, Verhaltensmerkmalen und Prozessen, mit denen ein Individuum Eigenschaften fremder Identifikationsobjekte, hier: Unternehmen, assimiliert und zum Gegenstand seines eigenen Selbstverständnisses macht504. Auch bei der organisationalen Identifikation werden verschiedene Komponenten unterschieden, so eine kognitive (Wissen um Zugehörigkeit zur Organisation), eine affektive (emotionale Bedeutung der Mitgliedschaft für eine Person), eine evaluative (Vergleich der eigenen Organisation mit anderen) und
497
Berthel/Becker, Personalmanagement, S. 350. Meyer/Allen, Hum. Resource Managment Rev. 1 (1991), 61 f. 499 Dazu auch Westphal/Gmür, JfB 59 (2009), 201, 203 f. 500 Grundlegend Becker, Am. J. Sociol. 66 (1960), 32–40. 501 Grundlegend Wiener, Acad. Management Rev. 7 (1982), 418–428. 502 Grundlegend Mowday/Porter/Steers, Employee-Organization Linkages: The Psychology of Commitment, Absenteism, and Turnover (1982). 503 Siehe Franke/Felfe, ZfAO 52 (2008), 135 ff. 504 Spieß, in: Vahlens Personallexikon, S. 483. 498
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4. Teil: Eigene Konzeption
eine behaviorale (Auswirkungen der Identifikation auf organisationsbezogenes Verhalten)505. Der wissenschaftlich-methodische Zugriff auf die genannten Phänomene ist ein empirischer: Durch empirische Studien, vor allem also durch Befragung von Unternehmensmitarbeitern und systematische Ergebnisauswertung, versucht man zu ermitteln, ob der psychische Sachverhalt des Zugehörigkeits- und Identitätsgefühls bei den Befragten gegeben ist, von welchen Einflussfaktoren er determiniert wird und welche Auswirkungen er zeitigt506. Was die Einflussfaktoren anbelangt, so hat die bisherige Forschung eine Vielzahl verschiedener Faktoren zutage gefördert507. Im Groben lassen sich dabei personen- (z. B.: Dauer der Unternehmenszugehörigkeit), arbeits- (z. B.: Signifikanz, Umfang und Autonomiemaß der ausgeübten Tätigkeit) und organisationsbezogene (z. B.: partizipative Organisationsstruktur) Einflussfaktoren unterscheiden508. In Bezug auf die Auswirkungen ist zu beobachten, dass die Risiken eines (zu) hohen Maßes an Zugehörigkeitsund Identifikationsgefühl (z. B.: Vernachlässigung sozialer Beziehungen außerhalb der Organisation) weit weniger wissenschaftliches Interesse hervorgerufen haben als die damit verbundenen Vorteile. Dem organisationalen Commitment und der organisationalen Identifikation werden in der organisationspsychologischen und betriebswirtschaftlichen Forschung vor allem positive Effekte (z. B.: geringerer Absentismus, quantitative und qualitative Leistungssteigerungen) zugeschrieben509. So besteht denn auch das Ziel der wissenschaftlichen Beschäftigung mit diesen psychologischen Phänomenen vorwiegend darin, der Unternehmenspraxis Handlungsanweisungen zur Steigerung des Zugehörigkeits- und Identifikationsgefühls der Unternehmensmitarbeiter an die Hand zu geben510. cc) Normative Umsetzung (1) Rezeption rechtsexterner Erkenntnisse Die in der Organisationspsychologie gewonnenen Erkenntnisse gilt es zur näheren Kennzeichnung des von der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle ge505
Bleuß, Neues Verwaltungsmanagement 2010, C 2.8, S. 5. Siehe Westphal/Gmür, JfB 59 (2009), 201 ff. 507 Siehe das Schaubild bei Westphal/Gmür, JfB 59 (2009), 201, 214. 508 Bleuß, Neues Verwaltungsmanagement 2010, C 2.8, S. 11; Westphal/Gmür, JfB 59 (2009), 201, 208; grundlegend (zur organisationalen Identifikation) Riketta, Journal Vocat. Behaviour, 66 (2005), 358–384. 509 Bleuß, Neues Verwaltungsmanagement 2010, C 2.8, S. 12; Westphal/Gmür, JfB 59 (2009), 201, 206 f.; Schommers, Commitment, S. 223 ff., jew. m.w. N. 510 Siehe etwa Böhm, Organisationale Identifikation als Voraussetzung für eine erfolgreiche Unternehmensentwicklung, Eine Wissenschaftliche Analyse mit Ansatzpunkten für das Management (2008); Westphal/Gmür, JfB 59 (2009), 201, 221 ff.; Wunderer/ Mittmann, Identifikationspolitik: Einbindung der Mitarbeiter in den unternehmerischen Wertschöpfungsprozess (1995). 506
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schützten Bindungsgesellschafters fruchtbar zu machen. Dabei ist allerdings den Charakteristika der jeweiligen Disziplin Rechnung zu tragen: In methodischer Hinsicht muss der empirische Ansatz der Organisationspsychologie für das (materielle Beschlussmängel-)Recht ausscheiden. Es erscheint wenig sachgerecht, den Kläger im Anfechtungsprozess zu befragen, ob er sich der beklagten Gesellschaft zugehörig fühle und sich mit ihr identifiziere511. Welcher am Erfolg der erhobenen Anfechtungsklage interessierte Gesellschafter würde diese Frage schon ehrlich und im verneinenden Sinne beantworten? Für das Recht bedarf es mithin einer weitgehenden Objektivierung: Die in der Organisationpsychologie gewonnenen Erkenntnisse zu den Grundlagen, den Einflussfaktoren und den Auswirkungen von organisationalem Commitment und organisationaler Identifikation können für Zwecke des Rechts nur insoweit Bedeutung erlangen, als sich ihnen objektive Anhaltspunkte für den psychischen Sachverhalt des Zugehörigkeits- und Identitätsgefühls entnehmen lassen. Hinzu kommt, dass es der Organisationspsychologie und mehr noch der betriebswirtschaftlichen Personalforschung maßgeblich darum geht, Aussagen zu treffen, mit welchen Maßnahmen sich das Zugehörigkeits- und Identitätsgefühl von abhängig Beschäftigten eines Unternehmens steigern lässt512. Im Bereich des materiellen Beschlussmängelrechts ist dagegen um die Frage zu tun, ob einem Minderheitsgesellschafter, also einem wirtschaftlichen Eigentümer des Unternehmens, im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens ein besonderer Schutz durch eine judizielle Beschlusskontrolle zuteilwerden soll. Auch dieses unterschiedliche Telos und dieser unterschiedliche Wirkbereich bedingen Modifikationen bei der Rezeption organisationspsychologischer Erkenntnisse, sei es, dass einige organisationspsychologische Kriterien aufgrund ihres Zuschnitts auf die Situation abhängig Beschäftigter in einem Unternehmen für das minderheitsgesellschafterschützende Beschlussmängelrecht ausscheiden (z. B.: Führungsstil der Vorgesetzten) oder anders gedeutet werden müssen (z. B.: autonome Arbeitsgestaltung), sei es, dass sie mit spezifisch rechtlichen Erfordernissen, insbesondere demjenigen der Sachgerechtigkeit, nicht in Einklang zu bringen sind (z. B.: Alter, Geschlecht, Bildungsgrad der Person). Angesprochen ist damit bereits ein weiterer und letzter Aspekt der Rechtsrezeption: Fremdwissenschaftliche Erkenntnisse bedürfen eines juristischen Umsetzungsaktes oder, wie es Fleischer nennt, der „dogmatischen Erdung nach den Maßstäben der eigenen Disziplin“ 513. Dieser Transformationsakt hat sich vorliegend anhand der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht zu vollziehen, denn diese markiert die dogmatische Rechtsgrundlage der Belastungskontrolle. Die organisationspsychologischen Kriterien organisationaler Zugehörigkeit und Identifikation können daher nur insoweit zur näheren Bestimmung des Bindungsgesellschafters übertra511 Siehe zutreffend Escher/Weingart, Deregulierung, S. 200 (zur Abgrenzung Anteilseigner/Anleger). 512 Siehe die Nachweise in Fn. 510. 513 Fleischer, ZGR 2007, 500, 501.
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gen werden, als dies mit der Dogmatik der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht kompatibel ist. Mit den genannten Maßgaben lassen sich die folgenden objektiven Merkmale organisationaler Zugehörigkeit und Identifikation, personenbezogen gesprochen: die folgenden objektivem Kennzeichen des Bindungsgesellschafters ausmachen. (2) Rechtsbegründung: die Merkmale des Bindungsgesellschafters Die Dauer der Betriebszugehörigkeit wird in der organisationspsychologischen und betriebswirtschaftlichen Forschung als ein personenbezogener Einflussfaktor des organisationalen Commitments und der organisationalen Identifikation angesehen: Mit zunehmender Dauer der Betriebszugehörigkeit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Mitarbeiter dem Unternehmen zugehörig fühlt und sich mit ihm identifiziert514. Da es sich bei der Dauer der Gesellschaftsbeteiligung auch um einen anerkannten Bestimmungsfaktor zur Konkretisierung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht handelt515, lässt sich dieses Zeitelement recht harmonisch in das Institut der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle integrieren: Ein Minderheitsgesellschafter wird daher umso eher als ein von der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle geschützter Bindungsgesellschafter einzustufen sein, je länger er bereits Mitglied der Gesellschaft ist – und umgekehrt516. Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor lässt sich – die Titulierung in der organisationspsychologischen und betriebswirtschaftlichen Literatur divergiert – als selbstbestimmte und eigenverantwortliche Tätigkeitsgestaltung beschreiben: Organisationales Commitment und organisationale Identifikation hängen davon ab, in welchem quantitativen und qualitativen Ausmaß ein Mitarbeiter Tätigkeitsabläufe im Unternehmen beeinflussen kann517. Ein Mitarbeiter wird sich umso 514 Bleuß, Neues Verwaltungsmanagement 2010, C 2.8, S. 11; grundlegend Riketta, Journal Vocat. Behaviour, 66 (2005), 358, 364; vgl. auch Westphal/Gmür, JfB 59 (2009), 201, 209. 515 Merkt, in: MünchKomm/GmbHG, § 13 Rn. 89; Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13 Rn. 145; Seibt, in: Scholz, GmbHG, § 14 Rn. 53; siehe auch BGH NJW 1993, 3193, 3194; BGH ZIP 1992, 237, 241 (Dauer der Gesellschaftszugehörigkeit als relevantes Kriterium bei der Beurteilung der Zulässigkeit gesellschaftsvertraglicher Abfindungsklauseln). 516 Siehe auch BGH WM 1973, 11 (zum personengesellschaftsrechtlichen Gesellschafterausschluss nach § 140 HGB): „Zum anderen hatte der Beklagte [= der Ausgeschlossene], was in diesem Zusammenhang nicht minder von Bedeutung ist, in der Gesellschaft noch keine besonders schutzwürdige Position erworben. Er gehörte der Gesellschaft (. . .) kaum mehr als ein halbes Jahr, also erst verhältnismäßig kurze Zeit an“; siehe aber auch noch die Nachweise in Fn. 524. 517 Siehe Westphal/Gmür, JfB (59) 2009, 201, 208 ff.; Schommers, Organisationales Commitment, S. 198 ff. mit Verweis auf die „Selbstbestimmungstheorie“ von Deci/ Ryan (Hrsg.), Handbook of Self-Determination Research (2002); siehe auch Bleuß, Neues Verwaltungsmanagement 2010, C 2.8, S. 11.
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mehr mit der ihm übertragenen Aufgabe/dem Betrieb/dem Unternehmen als Ganzem518 identifizieren, je autonomer und eigenverantwortlicher er in diesem Bereich agieren kann519. Möchte man dieses Gestaltungselement auf das materielle Beschlussmängelrecht übertragen, so hat man sich zunächst die spezifische Situation zu vergegenwärtigen, in der sich die Frage einer treuepflichtgestützten Belastungskontrolle stellt, die Situation also, dass ein Gesellschafter sich einem nicht von seiner Zustimmung getragenen Mehrheitsbeschluss konfrontiert sieht und nun dessen judizielle Angemessenheitskontrolle begehrt. In dieser Situation steht fest, dass sich der betroffene Gesellschafter bei der konkreten Abstimmung nicht durchsetzen konnte, also im konkreten Fall gerade nicht gestalterisch auf die Geschicke der Gesellschaft einwirken konnte. Das Gestaltungsmerkmal kann man im gesellschaftsrechtlichen Kontext daher nicht so verstehen, als ließe es sich nur bei beherrschendem Einfluss oder einer vorhandenen Sperrminorität bejahen. Das Gestaltungselement ist vielmehr auf die unterlegenen Minderheitsgesellschafter zu beziehen und dabei zu fragen, inwiefern diese grundsätzlich und in dem gesteckten Rahmen die Möglichkeit haben, in der einen oder anderen Weise Einfluss auf die gesellschaftsinternen Abläufe zu nehmen. Die theoretisch (Organmitgliedschaft, Informations- und Kontrollrechte, Stimmbindungsverträge) und faktisch (geringe Hauptversammlungspräsenzen, günstige Verteilung der übrigen Kapitalanteile, familiäre Bindungen) in Betracht kommenden Einflussmittel auch des über keinen beherrschenden Einfluss oder eine Sperrminorität verfügenden Gesellschafters sind vielfältig520. Das geeignetste Kriterium zur generellen Ermittlung des Einfluss- und Gestaltpotenzials dürfte dabei das Kriterium der Kapitalbeteiligungsquote des jeweiligen (Minderheits-)Gesellschafters darstellen521. Denn als Grundlage für die Ermittlung der Stimmrechtsmacht (§ 47 Abs. 2 GmbHG, §§ 12 Abs. 1 Satz 1, 134 Abs. 1 Satz 1 AktG) zeigt es das – im Einzelnen freilich von weiteren Umständen (Beteiligungsstruktur, Präsenzen in der Gesellschafterversammlung etc.) abhängige – Einfluss- und Gestaltpotenzial eines Gesellschafters an. Mit Blick auf gesetzliche Mitverwaltungsrechte lassen sich hier denn auch Unterschiede ausmachen: Ein mit weniger als 5% am Grundkapital einer Aktiengesellschaft beteiligter Aktionär hat etwa nicht die Möglichkeit, die Einberufung der Tagesordnung zu verlangen (§ 122 Abs. 1 AktG) und Gegenstände auf die Tagesordnung zu setzen (§ 122 Abs. 2 AktG), ein mit 5% beteiligter Aktionär dagegen sehr wohl. Das Recht, die Einzelentlastung von Verwaltungsmitgliedern zu beantragen, um ein weiteres Beispiel zu
518 Grundsätzlich können verschiedene Objekte als Gegenstand der Identifikation in Betracht kommen, siehe Bleuß, Neues Verwaltungsmanagement 2010, C 2.8, S. 3; Staehle, Management, S. 570 sowie sogleich noch im Text bei Fn. 535. 519 Vgl. auch das „Job-Characteristics-Modell“ von Hackman/Oldham, Work Redesign (Organization Development) (1980). 520 Vgl. Jung, Unternehmergesellschafter, S. 58 ff. 521 So etwa auch Jung, Unternehmergesellschafter, S. 59.
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geben, steht dem 5%-Aktionär dagegen noch nicht zu; dieses Recht wird erst einem Aktionär mit einer Beteiligungsquote von mindestens 10% zuteil (§ 120 Abs. 1 Satz 2 AktG). Die Einzelheiten dieses gesellschaftsrechtlichen Gestaltungselements können an dieser Stelle noch offenbleiben. Vorweggenommen sei aber, dass eine an die jeweilige Beteiligungsquote des Minderheitsgesellschafters anknüpfende differenzierende Beurteilung des Gestaltungselements mit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht als interdisziplinärem Transmitter harmoniert522. Eine positive Auswirkung organisationalen Commitments und organisationaler Identifikation bestehe, so die organisationspsychologische und betriebswirtschaftliche Forschung, neben einer qualitativen Leistungssteigerung (sog. In-Rollen-Verhalten, d.h. verbesserte Ausführung der übertragenen Aufgaben) vor allem auch in einer quantitativen Verbesserung der Leistungsfähigkeit und -bereitschaft: Mitarbeiter mit einem stark ausgeprägten Zugehörigkeits- und Identitätsgefühl mit dem Unternehmen seien in besonderem Maße bereit, sich freiwillig über das vertraglich Vereinbarte hinaus für die Organisation zu engagieren (sog. Extra-Rollen-Verhalten bzw. Organizational Citizenship Behavior [OCB])523. Mitarbeiter mit einem hohen Maß an organisationalem Commitment und organisationaler Identifikation machen sich mit anderen Worten in besonderer Weise um das Unternehmen verdient. Dieses Verdienstelement lässt sich gut in die treuepflichtgestützte Belastungskontrolle integrieren524. Denn die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, Deduktionsbasis der Belastungskontrolle, ist als Generalklausel mit den Inhalten ,Treue‘ und ,Rücksichtnahme‘ dem Aspekt der (Einzelfall-)Gerechtigkeit in besonderer Weise verpflichtet525. Es ist aber nur gerecht, dass einer Person, die für eine Organisation besondere Verdienste erbracht hat, für den Fall, dass ihre Mitgliedschaft in eben dieser Organisation beendet oder beeinträchtigt wird, auch ein besonderer Schutz durch die Rechtsordnung zuteil
522
Ausführlicher dazu sogleich im Text. Berthel/Becker, Personalmanagement, S. 233; Bleuß, Neues Verwaltungsmanagement 2010, C 2.8, S. 12; Gauger, Commitment-Management in Unternehmen (2000); Staehle, Management, S. 571 f.; Westphal/Gmür, JfB 59 (2009), 201, 206. 524 Für eine Berücksichtigung besonderer Verdienste im Rahmen des Gesellschafterausschlusses aus wichtigem Grund auch BGHZ 4, 108, 111, 122; BGHZ 6, 113, 118; BGHZ 39, 53, 59; BGHZ 46, 392, 396; BGH WM 1968, 430, 431; BGH WM 1970, 20, 22; Balz, Beendigung, S. 54; K. Schmidt, in: MünchKomm/HGB, § 140 Rn. 32; a. A. aber etwa Grunewald, Ausschluss, S. 74; das von der Gegenansicht vorgetragene Argument, besondere Verdienste des Auszuschließenden seien für die Frage, ob das Korporationsziel nur ohne den Auszuschließenden weiterverfolgt werden könne und damit für den Sinn und Zweck des Gesellschafterausschlusses irrelevant (Grunewald, Ausschluss, S. 74), lässt sich auf den vorliegenden Kontext nicht übertragen, denn der Gesellschafterausschluss aus wichtigem Grund und die treuepflichtgestützte Belastungskontrolle sind unterschiedlichen Zwecken zu dienen bestimmt. 525 Vgl. den auch im Zusammenhang mit der Treuepflicht stehenden Beitrag von Zöllner, AG 2002, 585 mit dem Titel „Gerechtigkeit bei der Kapitalerhöhung“. 523
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wird. Lassen sich also objektiv Verdienste des Gesellschafters für die Gesellschaft feststellen, hat er sich etwa an einer sanierenden Kapitalerhöhung freiwillig beteiligt526, besondere vermögensrechtliche Verpflichtungen zugunsten der Gesellschaft übernommen (Bsp.: eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen, Bürgschaften, Bestellung von Realsicherheiten)527 oder in sonstiger Weise besonderen Anteil am Aufbau und Erfolg des Unternehmens528, so lässt dies regelmäßig den Rückschluss zu, dass sich der Gesellschafter der Gesellschaft zugehörig fühlt und sich mit ihr identifiziert. Besondere Verdienste sind ein objektiver Anhaltspunkt für die Einstufung als Bindungsgesellschafter. Aus den dem Gestaltungs- und Verdienstelement zugrundeliegenden organisationspsychologischen Erkenntnissen lässt sich ein weiteres Element des Bindungsgesellschafters verselbstständigen: das Erwerbselement. Gemeint ist die Unterscheidung, ob die Mitgliedschaft eines Gesellschafters auf seiner Mitwirkung an der Gesellschaftsgründung beruht (primärer Erwerb) oder die Gesellschaftsbeteiligung nachträglich erworben wurde (sekundärer Erwerb). Mit seinem Beitrag zur Gründung der Gesellschaft hat ein Gesellschafter typischerweise auch einen besonderen gesellschaftsbezogenen Gestaltungsakt gesetzt. Auch wird ihm dann ein relevanter Anteil am Aufbau des Unternehmens regelmäßig nicht abzusprechen sein. So hat denn auch der Bundesgerichtshof für das eng mit der Treuepflicht verknüpfte Institut des Gesellschafterausschlusses aus wichtigem Grund die Eigenschaft als Gründungsgesellschafter als relevantes die Ausschlussmöglichkeit beschränkendes Kriterium anerkannt529. Überträgt man dies auf den vorliegenden Kontext, so lässt sich sagen, dass die Eigenschaft eines Gesellschafters als Gründungsgesellschafter ein gewichtiger für die Einordnung als Bindungsgesellschafter sprechender Gesichtspunkt ist530. 526 Vgl. dazu Merkt, in: MünchKomm/GmbHG, § 13 Rn. 150 (allerdings sub specie der Treuepflicht). 527 Vgl. Jung, Unternehmergesellschafter, S. 53 ff. (Übernahme besonderer, im Einzelnen dargestellter Verpflichtungen als Kriterium für die Einordnung eines Gesellschafters als Unternehmergesellschafter). 528 Vgl. BGH BB 1952, 649; BGH WM 1971, 20, 22; BGH WM 1977, 500, 502. 529 BGH WM 1977, 500, 502; zustimmend K. Schmidt, in: MünchKomm/HGB, § 140 Rn. 32; a. A. auch insofern Grunewald, Ausschluss, S. 74; siehe dazu auch die Nach- und Hinweise in Fn. 524. 530 Siehe auch für „seinen“ Unternehmergesellschafter Jung, Unternehmergesellschafter, S. 93. Eine weitere Unterscheidung innerhalb des sekundären Erwerbs dahingehend, ob die Beteiligung entgeltlich (schuldrechtliches Austauschgeschäft) oder unentgeltlich (Schenkung, Erbgang) erworben wurde (siehe BGHZ 46, 392), erscheint dagegen weniger angezeigt. Denn das Entgelt, dass nur der Käufer, nicht dagegen der Beschenkte oder der Erbe zu entrichten hat, fließt nicht der Gesellschaft, sondern dem veräußernden Gesellschafter zu. Es lässt sich daher nicht sagen, dass der entgeltliche Erwerber im Gegensatz zum unentgeltlichen Erwerber einen besonderen Anteil, wenn man so will: einen Verdienst am Aufbau und Erfolg des Unternehmens hat. Einbeziehen ließe sich diese Unterscheidung daher allenfalls durch einen unmittelbaren Rekurs auf den die Treuepflicht prägenden Gerechtigkeitsgedanken.
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4. Teil: Eigene Konzeption
Sowohl das organisationale Commitment als auch die organisationale Identifikation werden maßgeblich durch ihre affektive Komponente geprägt; Zugehörigkeit zu und Identifikation mit einer Organisation sind vor allem dadurch gekennzeichnet, dass die Mitgliedschaft in der Organisation mit Gefühlen verbunden wird, dass sie emotional beladen ist531. Es handelt sich hierbei um die am stärksten subjektiv-psychologisch gefärbte Komponente des organisationalen Commitments und der organisationalen Identifikation. In dieser Form sind sie, wie bereits erwähnt, für Zwecke des Rechts ungeeignet. Im Bereich des (materiellen Beschlussmängel)Rechts kann man diesbezüglich einzig danach fragen, ob sich objektiv feststellbare Umstände benennen lassen, bei denen typischerweise von einer emotionalen Bedeutung der Mitgliedschaft für den Gesellschafter ausgegangen werden kann. Der soweit ersichtlich einzige objektiv feststellbare Umstand mit emotionaler Relevanz ist die familiäre Bindung des Gesellschafters an die Gesellschaft – sei es, dass der Gesellschafter mit dem Unternehmensgründer bzw. dessen Stamm verwandtschaftlich verbunden ist, sei es, dass ihn mit seinen Mitgesellschaftern ein familiäres Band verbindet (vgl. die Definition der Familiengesellschaft in § 76 Abs. 6 Satz 2 BetrVG 1952). Im Rahmen der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle ein emotional-familiäres Elemente zu berücksichtigen, geht mit der Treuepflicht-Dogmatik konform. Denn es ist in Rechtsprechung und Literatur im Grundsatz anerkannt, dass verwandtschaftliche Bindungen in die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht hineinwirken können532, mit anderen Worten das Ausmaß der aus ihr abgeleiteten Verhaltenspflichten, etwa im Rahmen einer treuepflichtgestützten Belastungskontrolle, intensivieren können. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zur verfassungsrechtlichen Bewertung des squeeze-out (§§ 327a ff. AktG) die eine Inhaltskontrolle auslösende bzw. verstärkende Wirkung einer emotional-familiären Bindung angedeutet533. Für die Einstufung als Bindungsgesellschafter spricht es somit, wenn der Gesellschafter im genannten Sinne mit der Gesellschaft familiär verbunden ist.
531 Westphal/Gmür, JfB 59 (2009), 201, 203 ff. (zum organisationalen Commitment); Bleuß, Neues Verwaltungsmanagement, C 2.8, S. 5 (zur organisationalen Identifikation); siehe dazu bereits oben bei Fn. 502 u. 505. 532 BGHZ 4, 108, 111; BGHZ 51, 204, 206; BGH WM 1970, 20, 22; im Grundsatz auch K. Schmidt, in: MünchKomm/HGB, § 140 Rn. 35; speziell für den GmbH-rechtlichen Gesellschafterausschluss aus wichtigem Grund auch Lutter, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 34 Rn. 55; die häufig anzutreffende Einschränkung, verwandtschaftliche Bindungen könnten Verfehlungen auch als besonders schwerwiegend erscheinen lassen (BGHZ 51, 204, 206; K. Schmidt, in: MünchKomm/HGB, § 140 Rn. 35; Lutter, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 34 Rn. 55), passt für den auf persönliches Fehlverhalten zugeschnittenen Gesellschafterausschluss aus wichtigem Grund, nicht dagegen für die treuepflichtgestützte Belastungskontrolle. 533 BVerfG NJW 2007, 3268, 3270 (Edscha) mit Verweis auf OLG Hamburg NZG 2003, 978, 979.
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Als eines der denkbaren Risiken zu hoher organisationalen Identifikation mit dem Unternehmen wird in der organisationspsychologischen und betriebswirtschaftlichen Literatur die Vernachlässigung von (sozialen) Beziehungen außerhalb der Organisation genannt534. Ein hohes Maß an Identifikation kann mit anderen Worten dazu führen, dass eine Person in einem zu starken Maße auf das eine Identifikationsobjekt fokussiert. Identifikation ist, so die sich dahinter letztlich verbergende Grundannahme, grundsätzlich nur mit einem Identifikationsobjekt möglich; dies jedenfalls dann, wenn das Identifikationskonstrukt auf miteinander nicht kompatible Organisationen bezogenen wird535. Für die treuepflichtgestützte Belastungskontrolle lässt sich daraus Folgendes schließen: Es spricht gegen die Zuordnung zum Typus des Bindungsgesellschafters, wenn der Gesellschafter neben der Beteiligung an der beschlussfassenden Gesellschaft noch an zahlreichen weiteren Gesellschaften beteiligt ist. Ist der Gesellschafter dagegen umgekehrt nur an der beschlussfassenden Gesellschaft beteiligt, so kann dies ein Indiz dafür sein, dass er sich dieser Gesellschaft auch verbunden fühlt und sich mit ihr identifiziert. Im Übrigen wird es freilich sehr stark von den Einzelfallumständen (Anzahl der Mitgliedschaften, Umfang der jeweiligen Beteiligung, Konkurrenz zwischen den verschiedenen Gesellschaften) abhängen, inwiefern Beteiligungen an verschiedenen Gesellschaften der Annahme einer Bindung und Identifikation mit einer bestimmten Gesellschaft entgegenstehen. Die Treuepflicht steht der Berücksichtigung dieses Beteiligungselements, wie sogleich darzulegen ist, nicht entgegen – im Gegenteil536. (3) Rechtsanwendung (a) Methodik Bei dem Terminus des Bindungsgesellschafters, dessen Elemente soeben herausgearbeitet wurden, handelt es sich in methodologischer Hinsicht nicht um einen Begriff, sondern um einen Typus. Während der Begriff dadurch gekennzeichnet ist, dass eine tatsächliche Erscheinung immer dann, aber auch nur dann unter ihn zu subsumieren ist, wenn alle Begriffsmerkmale vorliegen, dabei der Grad der Ausprägung der einzelnen Merkmale ohne Belang ist537, verhält sich dies bei 534 Bleuß, Neues Verwaltungsmanagement 2010, C 2.8, S. 12; van Dick, Commitment und Identifikation, S. 40 f., jew. mit Aufzählung weiterer, hier nicht relevanter Risiken. 535 Dazu, dass grundsätzlich verschiedene Gegenstände/Objekte der Identifikation in Betracht kommen, siehe bereits die Nachweise bei Fn. 1564; zum Problem wird dies wie gesagt erst, wenn die verschiedenen Identifikationsobjekte, wie bei Gesellschaften als Identifikationsobjekt nicht selten der Fall, miteinander nicht kompatibel sind; dann zeigt sich, dass das Identifikationskonstrukt ein monolithisches Konstrukt ist. 536 Siehe Fn. 556. 537 Bydlinksi, Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 544; Larenz, Methodenlehre, S. 216, 221.
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4. Teil: Eigene Konzeption
einem Typus anders. Dieser beschreibt mit Hilfe eines elastischen Merkmalsgefüges einen Wesenskern, der allen dem Typus zugehörigen Erscheinungen trotz der Verschiedenheit ihrer Einzelzüge innewohnt538. Im Rahmen der Rechtsanwendung kommt es bei einem Typus darauf an, ob die typusprägenden Merkmale in einer Anzahl und in einer Intensität vorhanden sind, die es bei maßgeblicher Berücksichtigung des leitenden Wertungsgesichtspunkts rechtfertigen, die tatsächliche Erscheinung dem Typus zuzuordnen539. Im vorliegenden Kontext hieße das, in jedem einzelnen Rechtsanwendungsfall zu untersuchen, wie viele der herausgearbeiteten Merkmale in welcher Intensität auf einen Gesellschafter zutreffen, um auf dieser Basis dann die Wertungsentscheidung zu treffen, ob dem betreffenden Gesellschafter als Bindungsgesellschafter der Schutz durch eine treuepflichtgestützte Belastungskontrolle zuteilwerden soll. Bei einer solchen Vorgehensweise dürfte die vorliegende Konzeption indes kaum mit Zustimmung rechnen. Der Vorwurf fehlender Rechtssicherheit wäre geradezu vorprogrammiert: Eine vollständig den Einzelfallumständen überantwortete Zuordnung zum Typus des Bindungsgesellschafters wäre dem Gebot der Rechtssicherheit in erheblichem Maße abträglich; eine verlässliche Auskunft darüber, wann ein Beschluss einer judiziellen Kontrolle unterliegt und wann nicht, könnte nicht gegeben werden. Es bedarf daher einer Rechtsanwendungslösung, die dem Gebot der Rechtssicherheit zu der ihm gebührenden Beachtung verhilft. Wie könnte diese Rechtsanwendungslösung aussehen? Den Leser der bisherigen Ausführungen wird es nicht überraschen, dass hier ein an die jeweilige Beteiligungshöhe anknüpfendes Stufenmodell mit entsprechenden Rechtsvermutungen propagiert wird. (b) Beteiligungsquotenbezogenes Stufenmodell: abstrakt Für ein beteiligungsquotenbezogenes Stufenmodell lassen sich im Wesentlichen fünf Gesichtspunkte anführen („Ob“ des Stufenmodells), denen zugleich normative Anhaltspunkte für die genauere Grenzziehung entnommen werden können („Wie“ des Stufenmodells). Für ein beteiligungsquotenbezogenes Stufenmodell spricht erstens in primärrechtlicher Hinsicht, dass auch der Gesetzgeber in einer ganzen Reihe von Rechtsnormen mit an eine bestimmte Beteiligungsquote anknüpfenden Differenzierungen operiert540. Einem Gesellschafter etwa mit einer geringeren Beteiligungsquote von 5% räumt der Gesetzgeber keine besonderen Mitverwaltungsrechte ein. Gesellschafter mit einer Beteiligungsquote von weniger als 5% verfü538 Larenz, Methodenlehre, S. 221, 462; H. P. Westermann, Vertragsfreiheit, S. 98; Jung, Unternehmergesellschafter, S. 24 ff. (dort auch zu weiteren Gemeinsamkeiten aber auch Unterschieden zwischen begrifflichem und typologischem Denken sowie zu Funktionen und Vor- und Nachteilen typologischen Denkens). 539 Leenen, Typus, S. 34 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 221, 303 f., 451. 540 Siehe auch Jung, Unternehmergesellschafter, S. 94 f.
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gen zwar über die mit jeder Mitgliedschaft verbundenen Grundmitverwaltungsrechte (Informationsrecht, Teilnahmerecht, Stimmrecht etc.). Auch können sie im Aktienrecht eine Sonderprüfung beantragen (§§ 142 Abs. 2, 258 Abs. 2 Satz 3 AktG) und unter besonderen Voraussetzungen Ersatzansprüche der Gesellschaft geltend machen (§ 148 AktG). Besondere Mitverwaltungsrechte, mit denen sie, ohne auf die Mitwirkung anderer angewiesen zu sein541, speziell auf das Beschlussverfahren der Gesellschafterversammlung Einfluss nehmen könnten, gewährt ihnen das Gesetz jedoch nicht. Das GmbH-Recht setzt die Schwelle hierfür in § 50 GmbHG besonders hoch, und das Aktienrecht lässt das Recht, die Einberufung der Gesellschafterversammlung zu verlangen (§ 122 Abs. 1 AktG, § 62 Abs. 2 UmwG) und Gegenstände auf die Tagesordnung der Gesellschafterversammlung zu setzen (§ 122 Abs. 2 AktG) erst bei einer Beteiligungsquote von 5% beginnen. Auch für die Anfechtung des Gewinnverwendungsbeschlusses (§ 254 Abs. 2 Satz 3 Alt. 1 AktG) und das Recht, Einfluss auf die Person der Liquidatoren zu nehmen (§ 265 Abs. 3 Satz 1 AktG), bedarf es mindestens einer Beteiligungsquote von 5% am Grundkapital. Entscheidend tritt hinzu, dass das Gesetz einem Aktionär, der mit lediglich 5% oder weniger am Kapital der Gesellschaft beteiligt ist, einen Bestandsschutz seiner Mitgliedschaft weitestgehend abspricht. Denn es lässt durch die eine 95%-Mehrheit erfordernden Institute der Mehrheitseingliederung (§ 320a AktG) und des squeeze-out (§§ 327a ff. AktG) zu, dass einem mit 5% oder weniger beteiligten Gesellschafter seine Mitgliedschaft durch einen Beschluss der Hauptversammlung vollkommen genommen werden kann. Ein Institut, das sich wie das hier zu entwickelnde um größtmögliche Berücksichtigung primärgesetzlicher Wertungen bemüht (sekundärrechtlicher Standort), kann an dieser gesetzgeberischen Wertentscheidung nicht vorbeigehen542. Da die treuepflichtgestützte Belastungskontrolle anders als die erwähnten gesetzlichen Institute nichts „nimmt“, sondern nur einen besonderen richterlichen Schutz „gibt“, spricht nichts dagegen, diese gesetzgeberischen Wertungen in das beteiligungsquotenbasierte Stufenmodell der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle aufzunehmen. Neben der 5%-Grenze liegt eine weitere primärrechtliche Demarkationslinie bei einer Beteiligungsquote von 10%: Ab einer Beteiligungsquote von 10% am Stammkapital der Gesellschaft kommt auch der Gesellschafter einer GmbH in den Genuss besonderer Mitverwaltungsrechte, kann also die Einberufung der Gesellschafterversammlung verlangen (§ 50 Abs. 1 GmbHG), Gegenstände auf die Tagesordnung der Gesellschafterversammlung setzen (§ 50 Abs. 2 GmbHG), Auflösungsklage erheben (§ 61 Abs. 2 Satz 2
541 Die besonderen Mitverwaltungsrechte/Minderheitenrechte können freilich auch dann ausgeübt werden, wenn sich mehrere Gesellschafter zusammenschließen und gemeinsam den jeweiligen Schwellenwert erreichen. 542 Für Wertungsparallele zur Mehrheitseingliederung im Rahmen der Missbrauchskontrolle bei der „übertragenden Auflösung“ auch Lutter/Drygala, in: FS Kropff, S. 191, 220.
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4. Teil: Eigene Konzeption
GmbHG) und die gerichtliche Bestellung von Liquidatoren beantragen (§ 66 Abs. 2 GmbHG). Im Aktienrecht kann ein Aktionär ab einer Beteiligungsquote von 10% erreichen, dass über die Entlastung der Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat einzeln und gesondert abgestimmt wird (§ 120 Abs. 2 Satz 2 AktG). Auch räumt der Gesetzgeber einem Aktionär mit einer Beteiligungsquote von mindestens 10% das Recht ein, die gerichtliche Ersatzbestellung von besonderen Vertretern zu beantragen (§ 147 Abs. 2 Satz 2 AktG). Ein mit 10% oder mehr am Grundkapital beteiligter Aktionär kann ausweislich der §§ 50 Satz 1, 93 Abs. 4 Satz 3, 116 Satz 1, 117 Abs. 4, 309 Abs. 3 Satz 1 AktG auch verhindern, dass die Hauptversammlung auf der Gesellschaft zustehende Ersatzansprüche gegen Organmitglieder und sonstige einflussnehmende Personen verzichtet oder sich hierüber vergleicht. Gegen einen 10%-Gesellschafter kann zudem im Rahmen einer Konzernverschmelzung ein verschmelzungsrechtlicher squeeze-out betrieben werden (§ 62 Abs. 5 UmwG). Besondere Beachtung verdient wegen ihres gesellschaftsrechtlichen Kontextes weiter die Regelung des § 39 Abs. 5 InsO. Diese Norm statuiert eine Ausnahme vom insolvenzrechtlichen Nachrang von Gesellschafterdarlehen, wenn dieses von dem nicht geschäftsführenden Gesellschafter gegeben wurde, der mit 10% oder weniger am Haftkapital beteiligt ist (sog. Zwerganteilsprivileg, früher: § 32 a Abs. 3 Satz 2 GmbHG)543. Dabei hat sich der Gesetzgeber bei Erlass der – freilich sehr umstrittenen544 – Vorgängervorschrift dieser Norm von der Erwägung leiten lassen, dass erst ab einer Beteiligungsschwelle von mehr als 10% eine über die vermögensrechtliche Komponente hinausgehende unternehmerische Beteiligung mit einer entsprechenden Finanzierungsfolgenverantwortung beginne545. Auch außerhalb im engeren Sinne gesellschaftsrechtlicher Regelungen bedient sich der Gesetzgeber gern und häufig des Schwellenwertes von 10%, und zwar mitunter gerade auch unter dem Aspekt einer über die vermögensrechtliche Komponente hinausgehenden mitgliedschaftlichen Beteiligung an der Gesellschaft: So definiert das KWG in § 1 543 Zu § 32a III 2 GmbHG a. F. ausführlich Barth, § 32a Abs. 3 GmbHG, S. 29–132; zur früheren Rechtslage im Aktienrecht BGHZ 90, 281 (BuM/WestLB) sowie Veil, ZGR 2000, 223 ff. In das Insolvenzrecht wurde die Norm überführt durch Art. 1 Nr. 22 u. Art. 9 Nr. 5 b) des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23.10.2008, BGBl. I S. 2026; mit diesem Regelungsstandort findet die Norm nun rechtsformübergreifend Anwendung, insbesondere also auch im Aktienrecht; dort setzte die Verstrickung eines Aktionärsdarlehens bislang eine wesentliche Beteiligung, konkreter: eine Beteiligung von in der Regel (!) 25% voraus (grundlegend BGHZ 90, 281, 390 ff. (BuM/WestLB); dazu auch Veil, ZGR 2000, 223, 228 ff.; zur Neuregelung etwa Habersack, in: Ulmer, GmbHG, § 30 Rn. 1 ff., insb. Rn. 47 ff.; speziell zu den mit ihr verbundenen Auswirkungen im Aktienrecht K. Schmidt, in: FS Hüffer, S. 885 ff. 544 (Scharfe) Kritik etwa bei Altmeppen, ZIP 1996, 1455; Dauner-Lieb, DStR 1998, 609, 610 ff.; K. Schmidt, ZIP 1996, 1586 ff.; Überblick über den damaligen literarischen Meinungsstand bei Barth, § 32a Abs. 3 GmbHG, S. 49 ff. 545 Begr. Regierungsentwurf Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz (KapAEG), BTDrucks. 13/7141, S. 11 f.
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Abs. 9 eine bedeutende Beteiligung als eine Beteiligung mit einer Kapitalquote von mindestens 10% und knüpft hieran bei den bankrechtlichen Anzeigepflichten (§ 2 c KWG) und der bankrechtlichen Inhaberkontrolle an (§§ 33 Abs. 1 Nr. 3, 44 b KWG). Im Außenwirtschaftsrecht besteht eine Meldepflicht für Direktinvestition bei einem Beteiligungserwerb in einer Höhe von 10% oder mehr (§ 56a Abs. 1 Nr. 1 AWV bzw. § 58a Abs. 1 Nr. 1 AWV). Und das Investmentrecht (vgl. im Übrigen § 2 Abs. 20 Satz 1 InvG) schreibt vor, dass eine Kapitalanlagegesellschaft Aktien lediglich in Höhe von 10% der Stimmrechte der Anlagegesellschaft erwerben darf (§ 64 Abs. 2 InvG); mit dieser Schwelle, die ursprünglich bei lediglich 5% lag, soll sichergestellt werden, dass sich eine Kapitalanlagegesellschaft in Übereinstimmung mit der Investment-Idee auf die Verfolgung vermögensrechtlicher Beteiligungszwecke beschränkt546. Auch im Steuerrecht war die 10%-Grenze ein beliebter Anknüpfungspunkt, so etwa im Rahmen des sog. Stuttgarter Verfahrens547 oder im Rahmen steuerrechtlicher Schachtelprivilegien (§ 26 Abs. 2 Nr. 2 KStG a. F., § 102 BewG a. F.). Gewiss: All die vorgenannten primärrechtlichen Regelungen stehen in einem bestimmten teleologischen sowie regulatorischen Kontext und werden demnach auch von spezifischen Eigengesetzlichkeiten bestimmt548. Es wäre daher sicher nicht richtig, zu behaupten, aus den genannten Normen ließen sich für die treuepflichtgestützte Belastungskontrolle bestimmte Schwellenwerte mehr oder weniger zwingend ableiten. Doch geht es darum auch gar nicht. Hier ist allein um den Nachweis zu tun, dass (bestimmte) Schwellenwerte nicht freischwebend eingeführt zu werden brauchen, sondern sich für eine (bestimmte) Grenzziehung auf der gesetzlichen Primärebene Regelungsvorbilder ausfindig machen lassen. Dieser Nachweis kann, wie die zahlreichen gesetzlichen Regelungen zeigen (vgl. im Übrigen auch noch § 52 Abs. 1 AktG (Nachgründungsvorschriften bei bestimmten Verträgen mit einem mehr als 10% beteiligten Gesellschafter), § 21 WpHG (Mitteilungspflichten bei 3, 5, 10, 15, 20, 25, 30 50, 75%), §§ 29, 35 WpÜG (abfindungsverpflichtender Kontrollerwerb bei 30%)), erbracht werden. Die Höhe der Kapitalbeteiligung eines Gesellschafters bringt zweitens, wie bereits angeklungen, maßgeblich das für die typologische Zuordnung entscheidende Gestaltungselement zum Ausdruck. Je höher die Beteiligungsquote ausfällt, desto größer ist typischerweise das Einfluss- und Gestaltpotential des betroffenen Ge546 Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2000, 12.97 (zum alten Recht); Escher-Weingart, Deregulierung, S. 201. 547 Etwa BFH BStBl. 1968 II, 734 (10%-Grenze im Rahmen der Bewertung von GmbH-Anteilen); BFH BStBl. 1876, 706, 707 (10%-Grenze und Einzelfallberücksichtigung bei Aktienbewertung); die finanzgerichtliche Rechtsprechung zusammenfassend BFH BStBl. 1990 II, 493, 494; siehe auch Jung, Unternehmergesellschafter, S. 95 m.w. N. 548 So im Rahmen der eigenkapitalersatzrechtlichen Diskussion der Einwand von Pentz, BB 1997, 1265, 1266 gegen die vom Gesetzgeber für die 10%-Grenze des § 32a III 2 GmbHG a. F. gezogene Parallele zu den steuerrechtlichen Schachtelprivilegien.
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4. Teil: Eigene Konzeption
sellschafters und desto eher wird daher auch eine Zuordnung zum Typus des Bindungsgesellschafters in Betracht kommen: Ein Gesellschafter, der mit 5% oder weniger am Kapital der Gesellschaft beteiligt ist, wird regelmäßig keinen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft oder die Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung nehmen können. Denn über besondere rechtliche oder faktische Einflussmöglichkeiten verfügt er, wie eben dargelegt, regelmäßig nicht549. Das für den Bindungsgesellschafter maßgebliche Gestaltungsmerkmal ist daher bei diesem Gesellschafter nur äußerst schwach bis gar nicht ausgeprägt. Mit Blick auf die verbesserte Rechtsstellung eines Gesellschafters/Aktionärs mit einer Beteiligungsquote von (über) 5% (besondere Mitverwaltungsrechte, kein Zwangsausschluss) wird eine Zuordnung zum Typus des Bindungsgesellschafters hier schon eher in Betracht kommen550. Bei einer rechtsformübergreifenden Betrachtung hat unter typologischem Gesichtspunkt allerdings hier der Umstand besonderes Gewicht, dass nur einem mit mindestens 10% beteiligten Gesellschafter einer GmbH die besonderen Mitverwaltungsrechte der §§ 50 Abs. 1 u. 2, 61 Abs. 2 Satz 2, 66 Abs. 2 GmbHG zustehen und nur ein Aktionär, der mit 10% und mehr am Grundkapital der Gesellschaft beteiligt ist, über die Rechte aus §§ 120 Abs. 2 Satz 2, 147 Abs. 2 Satz 2, §§ 50 Satz 1, 93 Abs. 4 Satz 3, 116 Satz 1, 117 Abs. 4, 309 Abs. 3 Satz 1 AktG verfügt. Der Gesellschafter, der in diesem Sinne maßgeblich an der Gesellschaft beteiligt ist, kann daher mittels dieser Rechte Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft nehmen. Das für die typologische Zuordnung zentrale Gestaltungselement wird bei ihm daher in der Regel stärker ausgeprägt sein. Man kann sich dabei gewiss darüber streiten, inwiefern auf der Basis der genannten Rechtsposition eine echte Einflussnahme auf die Entwicklung der Gesellschaft überhaupt möglich ist. Diese Frage wurde insbesondere im Zusammenhang mit der Einführung des eigenkapitalersatzrechtlichen Zwerganteilsprivilegs (§ 32a Abs. 3 Satz 2 GmbHG a. F.) lebhaft diskutiert. Während einige Autoren dies bejahten551, wurde dies von anderen Stimmen mit dem an sich richtigen Hinweis verneint, nur ein Gesellschafter mit einer Mehrheitsbeteiligung könne die Geschicke der Gesellschaft wirklich bestimmen und gestalten552. Vorliegend trifft dies jedoch nicht den zentralen Punkt. In unserem Zusammenhang ist entscheidend, dass sich innerhalb der Personengruppe, die als geschützter Adressatenkreis der Belastungskontrolle in Betracht kommt – Gesellschafter, die bei der konkreten Abstimmung unterlegen waren –, aufgrund der erwähnten Rechtspositionen mit Blick auf das typologische Gestaltungsele-
549
Siehe nur BVerfG NJW 2007, 3268, 3270 (Edscha). Siehe im Zusammenhang mit den Schwellenwerten bei der Beteiligungstransparenz Burgard, AG 1992, 41, 51. 551 Lutter/Hommelhoff, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 14. Aufl. 1995, §§ 32a/b Rn. 56; Hommelhoff, Haftung bei unternehmerischer Beteiligung, S. 36; Rümker, ZGR 1988, 494, 504 f.; siehe auch Ehricke, KTS 1996, 209, 216. 552 So prononciert etwa Altmeppen, ZIP 1996, 1455. 550
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ment ein Unterschied zwischen einem mit mehr und einem mit weniger als 10% beteiligten Gesellschafter ausmachen lässt. Auch mit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht als dogmatischer Rechtsgrundlage der Belastungskontrolle lässt sich, drittens, eine beteiligungsquotenbasierte Abstufung gut vornehmen, und zwar aus folgenden Gründen: In Rechtsprechung und Literatur wird, erstens, übereinstimmend davon ausgegangen, dass es sich beim Umfang einer Beteiligung um einen Bestimmungsfaktor bei der Treuepflicht-Konkretisierung handelt553. Zwar hat man dabei überwiegend die AktivSeite, also den Pflichtenträger, im Blick. Der Bestimmungsfaktor „Umfang der Beteiligung“ soll hier normativ verlautbaren, dass einen maßgeblich beteiligten (Mehrheits-)Gesellschafter größere Pflichten treffen als den nur geringfügig beteiligten Gesellschafter. Doch kann für die Passiv-Seite, die von der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle fokussiert wird, nichts anderes gelten. Allein aus Gründen der gebotenen Konvergenz von Aktiv- und Passiv-Seite ist dem „Umfang der Beteiligung“ – nur hier eben – des Minderheitsgesellschafters normative Relevanz zuzusprechen. Zweitens ist auf den die Treuepflicht tragenden Gedanken der Korrelation von Rechtsmacht und Verantwortung zu verweisen554. Die Rechtsmacht, die der Gesellschaftermehrheit gegenüber einem Gesellschafter mit einer nicht unerheblichen Kapitalbeteiligung (Bsp.: 10%; 15%) zukommt, ist eine größere als gegenüber einem Gesellschafter mit einer minimalen Kapitalbeteiligung (Bsp.: 2,5; 0,1%); der Eingriff in Form des Verlustes oder der Beeinträchtigung der Mitgliedschaft wiegt im ersteren Fall typischerweise schwerer als im letzteren555. Der damit verbundenen höheren Rechtsmacht der Gesellschaft im ersten Fall entspricht eine gesteigerte Verantwortung im Rahmen der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle; umgekehrt korreliert mit der geringeren Eingriffsrechtsmacht der Gesellschaftermehrheit im zweiten Fall eine reduzierte Verantwortlichkeit im Rahmen der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle556. 553 BGHZ 65, 15, 19 (ITT); Merkt, in: MünchKomm/GmbHG, § 13 Rn. 89; Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13 Rn. 145; Seibt, in: Scholz, GmbHG, § 14 Rn. 53. 554 Zum Korrelatsgedanken grundlegend Zöllner, Schranken, S. 335 ff.; siehe ferner Lutter, ZHR 153 (1989), 446, 454 f.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 II 3 (S. 432); aus der Rechtsprechung BGHZ 65, 15, 18 f. (ITT); BGHZ 103, 184, 194 f. (Linotype); zur rechtsdogmatischen und rechtssystematischen Einordung dieses Prinzips Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 235 ff. 555 Zutreffend im Rahmen des personengesellschaftsrechtlichen Gesellschafterausschlusses (§ 140 HGB) K. Schmidt, in: MünchKomm/HGB, § 140 Rn. 33. 556 Mit diesem Argument findet das oben bei (2) entwickelte Beteiligungselement seine rechtsdogmatische Erdung: Den Gesellschafter, der nur an einer Gesellschaft beteiligt ist, kann es hart treffen, wenn er diese eine Mitgliedschaft verliert bzw. diese eine Mitgliedschaft eine Beeinträchtigung erfährt. Der damit verbundenen höheren Rechtsmacht der Gesellschaft entspricht eine gesteigerte Verantwortung im Rahmen der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle. Umgekehrt wird der Eingriff typischerweise weniger schwer wiegen, wenn der benachteiligte Gesellschafter neben der Beteiligung an der beschlussfassenden Gesellschaft noch zahlreiche weitere Beteiligungen erhält.
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Eine beteiligungsquotenbasierte Abstufung kann dieser rechtstheoretischen Basis der Treuepflicht normativen Boden unter den Füßen geben. Schließlich lässt sich, drittens, aus der bereits als zentral herausgestellten Regelung des § 39 Abs. 5 InsO über die Treuepflicht als Transformator auch ein Gerechtigkeitsargument speziell für die 10%-Grenze gewinnen: Da nur einen Gesellschafter mit einer Beteiligungsquote über 10% eine besondere Rechtspflicht in Form der eigenkapitalersatzrechtlichen Finanzierungsverantwortung trifft, ist es nur gerecht, dem mit mehr als 10% beteiligten Gesellschafter auch den normativen Schutz in Form einer treuepflichtgestützten Belastungskontrolle zuteilwerden zu lassen. Wen einerseits besondere Pflichten treffen, dem sollen andererseits auch besondere Rechte zustehen. Viertens erlaubt die jeweilige Höhe der Beteiligungsquote regelmäßig auch Rückschlüsse auf die von einem Gesellschafter verfolgten Interessen. In empirischer Hinsicht wird man einem Gesellschafter mit einer Beteiligung von 5% und weniger für gewöhnlich nicht Unrecht tun, wenn man ihm unterstellt, er verfolge mit der Beteiligung vorwiegend finanzielle Interessen, sei also nicht Träger besonders schutzwürdiger Herrschaftsinteressen (Bindungsgesellschafter)557. Bei einem Gesellschafter mit einer darüber hinausgehenden Beteiligungsquote wird diese Annahme ihre empirische Basis dagegen zunehmend verlieren. Hält ein Gesellschafter etwa eine Beteiligungsquote von über 10%, wird man mit der Annahme eines allein an seinen Vermögensinteressen interessierten Gesellschafters (= kein Bindungsgesellschafter) wohl regelmäßig falsch liegen558. Fünftens schließlich markiert die Höhe der Kapitalbeteiligung auch einen wichtigen verfassungsrechtlichen Parameter, der die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wie einen roten Faden durchzieht: Einem Gesellschafter, jedenfalls aber einem Aktionär, der mit 5% oder weniger am Kapital der Gesellschaft beteiligt ist, wird dabei kein verfassungsrechtlicher Bestandsschutz sub specie des Art. 14 GG zuteil. Daran hat das Bundesverfassungsgericht insbesondere in seinen Urteilen zur „übertragenden Auflösung sowie zum aktienrechtlichen Zwangsausschluss (squeeze-out, §§ 327a ff. AktG) – in beiden Sachverhaltskonstellationen waren lediglich minimal beteiligte Aktionäre betroffen – keinen Zweifel gelassen559. Verfassungsrechtliche Relevanz könnte dagegen auch hier der 10%-Schwelle zukommen; ein Blick auf die Genese des Umwandlungsrechts lässt dies jedenfalls vermuten. So war Gegenstand des berühmten „Feldmühle“-Streits die übertragende Umwandlung nach § 15 des UmwandlungsgesetMit der in diesem Fall bestehenden geringeren Eingriffsrechtsmacht der Gesellschaftermehrheit korreliert eine reduzierte Verantwortlichkeit im Rahmen der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle. 557 BVerfG NJW 2007, 3268, 3270 (Edscha); Lutter/Drygala, in: FS Kropff, S. 191, 220 f.; siehe aber auch Habersack, AG 2005, 137, 140. 558 Siehe Burghard, AG 1992, 41, 51; Lutter/Drygala, in: FS Kropff, S. 191, 220 f. 559 BVerfG ZIP 2000, 1670 (Moto Meter); BVerfG NJW 2007, 3268 (Edscha).
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zes 1956, bei der das Vermögen der Gesellschaft im Wege der Gesamtrechtsnachfolge unter Ausschluss der Minderheitsgesellschafter auf den Hauptgesellschafter übergeht. Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit dieser eine 3/4-Mehrheit erfordernden Maßnahme vermerkt das Bundesverfassungsgericht in eben jenem „Feldmühle“-Urteil vom 7. August 1962: „Wenn der Gesetzgeber eine Mehrheit von mehr als drei Vierteln des Grundkapitals [. . .] verlangt, und dies in einer Hand, so mag das gerade noch innerhalb der Grenzen des Zulässigen bleiben. Jedenfalls lässt sich [. . .] nicht eindeutig sagen, dass dieses Quorum außer Verhältnis zu der Intensität des Eingriffs stehe.“ 560 Dieses verfassungsgerichtliche Räuspern hat der Gesetzgeber wohl verstanden und für die übertragende Umwandlung dann im Rahmen der Aktienrechtsreform von 1965 verlangt, dass sich 9/10 des Grundkapitals in der Hand des übernehmenden Gesellschafters befinden müssen (§ 39 EGAktG 1965 a. F., §§ 9, 15 UmwG a. F.)561. Damit wurde in wohl nicht fehlgehender verfassungsrechtlicher Interpretation sichergestellt, dass von dieser bestandsvernichtenden Maßnahme kein Gesellschafter betroffen werden konnte, der mit mehr als 10% am Kapital der Gesellschaft beteiligt ist (vgl. für den verschmelzungsrechtlichen squeeze-out jetzt auch § 62 Abs. 5 UmwG). (c) Beteiligungsquotenbezogenes Stufenmodell: konkret Bei der Umsetzung der dargelegten Gesichtspunkte in konkrete Beteiligungsstufen sieht man sich vor die Schwierigkeit gestellt, dass der Gesetzgeber im Aktienrecht und im GmbH-Recht mitunter an unterschiedliche Schwellenwerte anknüpft (vgl. etwa § 122 AktG u. § 50 GmbHG)562 und auch die Frage, ob der exakt einen Beteiligungsgrenzwert erreichende Gesellschafter vom Anwendungsbereich einer Norm erfasst wird, nicht einheitlich beantwortet (vgl. etwa §§ 320a, 327a AktG u. § 122 AktG)563. Doch muss dies einem hier befürworteten rechtsformübergreifenden und einheitlichen Beteiligungsstufenmodell nicht entgegenstehen. Denn bei einer mit Schwellenwerten operierenden Grenzziehung hat immer auch der Pragmatismus seinen – bis zu einem gewissen Grade berechtigten – Platz und spielen Zweckmäßigkeitserwägungen eine Rolle564. Das vorliegende dreistufige Rechtsanwendungsmodell nimmt für sich denn auch keineswegs in Anspruch das einzig richtige, weil allein aus Gesetz und Dogmatik ableitbar, zu sein. Es nimmt lediglich, aber immerhin für sich in Anspruch, dass sich für dieses Modell zum einen einige Gesichtspunkte anführen lassen und dass 560
BVerfGE 14, 263, 280. Siehe Großfeld, Aktiengesellschaft, S. 40 ff., insb. S. 43. 562 Siehe DAV-Handelsrechtsausschuss, NZG 1998, 56, 57 (Stellungnahme zur seinerzeitigen Einführung des § 32a III 2 GmbHG a. F.). 563 Siehe zu diesem Problem noch (die Nachweise in) Fn. 569, 575. 564 Vgl. auch DAV-Handelsrechtsausschuss, NZG 1998, 56, 57 f. (zu § 32a III 2 GmbHG a. F.). 561
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es zum anderen im immerwährenden Grundkonflikt zwischen Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit eine Kompromisslinie fährt, dergestalt, dass weder ein strikt zu handhabender, absoluter Schwellenwert statuiert wird565 noch die Einzelfallumstände als allein maßgeblich erklärt werden566. Dieser Kompromiss, diese „weiche“ Grenzziehung567, sieht folgendermaßen aus. Die erste Stufe des Rechtsanwendungsmodells, genauer gesagt: die Beteiligungsschwelle dieser ersten Stufe, verläuft bei einer Beteiligungsquote von exakt 5%568. Bei einem Gesellschafter, der mit 5% oder weniger am Kapital der Gesellschaft beteiligt ist, spricht aufgrund der herausgearbeiteten Gesichtspunkte (Primärebene, Typologie, Treuepflicht, Empirie, Verfassungsrecht) eine widerlegliche Vermutung gegen die Einstufung als Bindungsgesellschafter569. Diese Vermutung kann, wie jede andere Vermutung auch, widerlegt werden. Man wird an diese Widerlegung hier aber sehr strenge Anforderungen zu stellen haben. Zu verlangen ist, dass der Gesellschafter drei der oben herausgearbeiteten Merkmale des Bindungsgesellschafters in nicht unerheblicher Intensität vorweisen kann. Ein Beispiel wäre der Fall, dass ein Gesellschafter, der die Gesellschaft vor langer Zeit (Zeitelement) mit gegründet (Erwerbselement) und am Aufbau des Gesellschaftsunternehmens maßgeblichen Anteil hat (Verdienstelement), mit einer Quote von 4% am Kapital der Gesellschaft beteiligt ist. Fasst die Gesellschafterversammlung in einem solchen Fall einen die Mitgliedschaft dieses Gesellschafters vernichtenden oder beeinträchtigenden Beschluss, so darf dies nur unter Beachtung der Grundsätze der Erforderlichkeit und Angemessenheit (treuepflichtgestützte Belastungskontrolle) erfolgen. Bei großen börsennotierten Aktiengesell565 Hierfür aber im Rahmen der eigenkapitalersatzrechtlichen Diskussion zu § 32a III 2 GmbHG a. F. DAV-Handelsrechtsausschuss, NZG 1998, 56, 57 f.; siehe auch Seibert, GmbHR 1998, 309. 566 Dies für die Behandlung eigenkapitalersetzender Aktionärsdarlehen vor Einführung des § 39 V InsO aber im Grundsatz befürwortend Habersack, ZHR 162 (1998), 201, 221. 567 Eine solche wurde denn auch in der Diskussion zu § 32a III 2 GmbHG a. F. vielfach befürwortet, siehe K. Schmidt, ZIP 1996, 1586, 1588; Karollus, ZIP 1996, 1893, 1894; vgl. auch Barth, § 32a III GmbHG, S. 58; für eigenkapitalersetzende Aktionärsdarlehen vor Einführung des § 39 V InsO auch BGHZ 90, 381, 390 ff. (BuM/WestLB) (mit allerdings anderer als der hier befürworteten Grenzziehung). 568 Siehe für die Sachkontrolle des Bezugsrechtsausschlusses auch Martens, ZIP 1992, 1677, 1692; für die Missbrauchskontrolle bei der übertragenden Auflösung auch Lutter/Drygala, in: FS Kropff, S. 191, 220 f.; siehe ferner Mülbert, in: FS Ulmer, S. 433, 450. 569 Auch der mit genau 5% am Kapital beteiligte Gesellschafter wird also noch von der ersten Stufe erfasst; die vorgenannten Regelungen und Gesichtspunkte entscheiden diesbezüglich freilich, wie angemerkt, unterschiedlich; für die hier vorgeschlagene Lösung kann aber angeführt werden, dass auch ein mit exakt 5% beteiligter Aktionär noch keinen gesetzlichen (§§ 320a, 327a AktG) und verfassungsrechtlichen Bestandsschutz genießt; zur vergleichbaren eigenkapitalersatzrechtlichen Problematik im Rahmen der 10%-Grenze des § 32a III 2 GmbHG a. F. Barth, § 32a III, S. 49, 56; Dauner-Lieb, DStR 1998, 609, 613; vgl. weiter auch Klöhn, Abfindungsansprüche, S. 308.
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schaften wird eine judizielle Belastungskontrolle bei der vorgeschlagenen Grenzziehung dagegen wohl seltener relevant werden – rechtstatsächlich, insbesondere auch aufgrund der Anteilsstreuung, kann und wird es hier nicht selten an einem unterlegenen Minderheitsgesellschafter mit einer Beteiligungsquote von mehr als 5% fehlen. Diese Reduktion der Kontrollmaßstäbe bei großen börsennotierten Publikumsaktiengesellschaften liegt im Trend der von gesetzgeberischer Seite angestoßenen (Stichwort: Deregulierung des Aktienrechts570), der Rechtsprechung aufgegriffenen (Stichwort: „Siemens/Nold“ 571) und der Wissenschaft beförderten (Stichwort: Börsengesellschaftsrecht572) Rechtsentwicklung. Wertungsmäßig lässt sich dagegen nur schwer etwas vorbringen: Verfolgen die beteiligten Minderheitsgesellschafter, wie bei großen börsennotierten Aktiengesellschaften regelmäßig der Fall, als Kapitalanleger vornehmlich Vermögensinteressen und ist es um diesen Vermögensschutz gut und zunehmend besser bestellt573, ist kein Grund ersichtlich, der Gestaltungsfreiheit hier Zügel anzulegen. Die zweite Stufe des beteiligungsquotenbasierten Rechtsanwendungsmodells verläuft bei einer Beteiligungsquote von über 5%574 bis zu einer Beteiligungsquote von 10%575. Hält ein Gesellschafter eine Beteiligung in diesem Bereich, kommt eine Einstufung als Bindungsgesellschafter schon eher in Betracht. Auch in diesem Bereich hat es aber auf Basis der oben herausgearbeiteten Gesichtspunkte (Primärebene, Typologie, Treuepflicht, Empirie, Verfassungsrecht) noch bei einer Vermutung gegen die Zuordnung zum Typus des Bindungsgesellschafters zu bleiben, hier allerdings nur in der abgeschwächten Form einer Primafacie-Vermutung. An die Widerlegung, genauer: Erschütterung dieser Vermutung sind denn auch geringere Anforderungen zu stellen. Es genügt, wenn der Nachweis eines anderen stark ausgeprägten Merkmals des Bindungsgesellschafters gelingt. Diesen Nachweis wird etwa ein Gesellschafter erbringen können, der bereits seit vielen Jahren (Zeitelement) mit einer Beteiligungsquote von 6,5% ausschließlich an der beschlussfassenden Gesellschaft (Beteiligungselement) betei570 Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts vom 2.8. 1994, BGBl. I, S. 1961. 571 BGHZ 136, 133. 572 Begriff von Nobel, in: FS Bär, S. 301; für das deutsche Recht adaptiert von Fleischer, ZHR 165 (2001), 513, 514 f. 573 Oben B. II. 2. a). 574 Für 5%-Grenze im Rahmen der Sachkontrolle des Bezugsrechtsausschlusses auch Martens, ZIP 1992, 1677, 1692; für 5%-Grenze im Rahmen der Missbrauchskontrolle bei der übertragenden Auflösung auch Lutter/Drygala, in: FS Kropff, S. 191, 220 f.; siehe ferner Mülbert, in: FS Ulmer, S. 433, 450. 575 Auch der mit genau 10% beteiligte Gesellschafter wird noch von der ersten Stufe erfasst; die vorgenannten Regelungen und Gesichtspunkte entscheiden diesbezüglich freilich, wie angemerkt, unterschiedlich, doch treffen sie auf den mit exakt 10% beteiligten Gesellschafter eher noch nicht zu (vgl. § 62 V UmwG, § 39 V InsO); zur vergleichbaren Problematik im Rahmen des § 32a III 2 GmbHG a. F. siehe die Nachweise in Fn. 569.
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ligt ist. Ebenfalls erschüttern werden kann die Prima-facie-Vermutung von einem mit 5,5% beteiligten Gesellschafter einer Familiengesellschaft, der zum Familienstamm des Unternehmensgründers gehört oder mit den Mitgesellschaftern familiär verbunden ist (emotional-familiäres Element). Als Beispiel mag ferner der Fall einer von mehreren Personen gegründeten Mitunternehmer-AG dienen, an der fünf Gesellschafter mit einer Quote von ca. 15% und drei Gesellschafter mit einer Quote von 8% beteiligt sind. Hier können die 8%-Gesellschafter mit Blick auf die konkrete Beteiligungsstruktur und die nicht ganz geringe Beteiligungsquote (Gestaltungselement) sowie ihre Mitwirkung an der Gesellschaftsgründung (Erwerbselement) die Prima-facie-Vermutung erschüttern. Tun sich also die fünf mit 15% beteiligten Gesellschafter zusammen und beschließen gegen die Stimmen ihrer Mitgesellschafter eine Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss, so unterliegt dieser Beschluss einer treuepflichtgestützten Belastungskontrolle. Die dritte und letzte Stufe des Rechtsanwendungsmodells beginnt bei einer Beteiligungsquote von über 10%576. Ist ein Gesellschafter mit 10% oder mehr am Grundkapital der Gesellschaft beteiligt, spricht aufgrund der dargelegten Gesichtspunkte (Primärebene, Typologie, Treuepflicht, Empirie, Verfassungsrecht) eine widerlegliche Vermutung für seine Zuordnung zum Typus des Bindungsgesellschafters. Widerlegt werden kann diese Vermutung etwa durch den Nachweis, dass der betroffene Gesellschafter trotz seiner maßgeblichen Beteiligungsquote allein eine finanzielle Beteiligung anstrebt, wie dies insbesondere bei institutionellen Anlegern, die zudem für gewöhnlich noch an zahlreichen weiteren Gesellschaften beteiligt sind (Beteiligungselement), der Fall ist577. Hält also etwa ein Kreditinstitut, eine Kapitalanlagegesellschaft oder eine Versicherung eine Beteiligung in Höhe von 11% und unterliegt sie bei einer Abstimmung, kommt eine treuepflichtgestützte Belastungskontrolle nicht zum Tragen. b) Zweites Tatbestandsmerkmal: Beeinträchtigung der identifikatorischen Bindung Wie oben entwickelt, ist es die identifikatorische Bindung des Gesellschafters als Identifikationssubjekt zu der konkreten Gesellschaft als Identifikationsobjekt, die eine besondere judizielle Kontrolle geboten und gerechtfertigt erscheinen lässt. Weitere tatbestandliche Voraussetzung für das Eingreifen der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle ist daher, dass diese identifikatorische Bindung durch einen Beschluss der Gesellschafterversammlung beeinträchtigt wird. Drei Fallgruppen lassen sich dabei unterscheiden. 576 Für eine generelle 10%-Grenze bei der Abgrenzung Anteilseigner/Anleger Escher-Weingart, Deregulierung, S. 201 f. 577 Siehe zu institutionellen Anlegern Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 2 I 3 b (S. 104); monographisch etwa Spillmann, Institutionelle Investoren im Recht der (echten) Publikumsgesellschaften (2004).
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aa) Ausschluss vom Identifikationsobjekt Offenkundig beeinträchtigt wird die identifikatorische Bindung des Gesellschafters an die Gesellschaft dann, wenn der Gesellschafter aus dem Identifikationsobjekt „Gesellschaft“ ausgeschlossen wird. Die möglichen Ausschlusstatbestände werden gegenüber einem Bindungsgesellschafter freilich nur selten Relevanz erlangen: Bei der Kaduzierung (§ 64 AktG, § 21 GmbHG) kommt eine treuepflichtgestützte Belastungskontrolle formell deshalb nicht in Betracht, weil sich die Kaduzierung ohne einen kontrollfähigen Beschluss der Gesellschafterversammlung vollzieht578, und materiell, weil der Gesellschafter den Ausschluss durch die Nichterbringung der versprochenen Einlage selbst verschuldet hat579. Die aktienrechtlichen Ausschlusstatbestände der Mehrheitseingliederung (§ 320a f. AktG) und des squeeze-out (§§ 327a ff. AktG) haben zur Voraussetzung, dass einem Hauptgesellschafter 95% der Aktien der Gesellschaft gehören. Von diesen Maßnahmen können daher nur Gesellschafter betroffen sein, die mit 5% oder weniger am Grundkapital beteiligt sind. Solche Gesellschafter sind aber für gewöhnlich schon gar nicht als Bindungsgesellschafter einzustufen580. Ähnliches gilt für einen weiteren denkbaren Ausschlusstatbestand, nämlich die Kapitalherabsetzung durch Zusammenlegung von Aktien (§ 222 Abs. 4 Satz 2 AktG), bei der einige Aktionäre nicht über die zur Beibehaltung der Mitgliedschaft erforderliche Mindestanzahl an Aktien verfügen und daher aus der Gesellschaft ausscheiden müssen581. Die Zuordnung zum Typus des Bindungsgesellschafters setzt eine gewisse Kapitalbeteiligungsquote voraus582. Ein als Bindungsgesellschafter zu qualifizierender Gesellschafter wird daher in aller Regel über die zur Beibehaltung der Mitgliedschaft erforderliche Anzahl an Aktien verfügen. Bei dem Gesellschafterausschluss aus wichtigem Grund als einem weiteren Ausschlusstatbestand stellt sich die Frage einer treuepflichtgestützten Belastungskontrolle nicht. Denn dieses Institut setzt seinem dogmatischen Wesen und seiner Bezeichnung nach bereits einen wichtigen Grund voraus. Diesbezüglich findet dann auch eine volle gerichtliche Kontrolle statt583. Als Gegenstand für die treuepflichtgestützte Belastungskontrolle kommt daher hauptsächlich die Zwangsein578 Für das Aktienrecht (implizit): Hüffer, AktG, § 64 Rn. 2; für das GmbH-Recht: Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 21 Rn. 6; hier kann die Gesellschafterversammlung allerdings einen die Geschäftsführer bindenden Weisungsbeschluss fassen, s. Fastrich, a. a. O. 579 Siehe Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 35. 580 Oben bei 1. a) cc) (3) (c). 581 Siehe BGHZ 138, 71, 76 (Sachsenmilch); Hofmann, Minderheitenschutz, S. 456 ff. Im GmbH-Recht kann diese Konstellation nicht auftreten, da die Zusammenlegung von Geschäftsanteilen hier die Zustimmung der betroffenen Gesellschafter erfordert, siehe Zöllner/Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 58 Rn. 10. 582 Oben bei 1. a) cc) (3) (c). 583 Vgl. Grunewald, Ausschluss, S. 29 ff.; ferner Hofmann, Minderheitenschutz, S. 393 ff., jew. m.w. N.
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ziehung von Gesellschaftsanteilen (§ 237 AktG, § 34 GmbHG) in Betracht: Soweit die Zwangseinziehung also nicht bereits nach der Satzung an bestimmte sachliche Gründe gebunden ist (sog. angeordnete Zwangseinziehung)584, unterliegt, vorausgesetzt ein widersprechender Bindungsgesellschafter ist betroffen, der konkrete Einziehungsbeschluss585 der Gesellschafterversammlung als mitgliedschaftsvernichtende Maßnahme einer treuepflichtgestützten Belastungskontrolle586. bb) Beseitigung des Identifikationsobjekts Weitaus häufiger wird eine treuepflichtgestützte Belastungskontrolle dagegen in der zweiten Fallgruppe Platz greifen. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass nicht auf die Mitgliedschaft des Identifikationssubjektes „Gesellschafter“, sondern auf das Identifikationsobjekt, also die Gesellschaft, eingewirkt wird. Eine besonders intensive Einwirkung auf die Gesellschaft ist dann gegeben, wenn diese in ihrer rechtlichen Existenz beseitigt wird. Dies ist bei der Gesellschaftsauflösung (§ 262 Abs. 1 Nr. 2 AktG, § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG), der Verschmelzung auf Seiten der übertragenden Gesellschaft (§ 20 Abs. 1 Nr. 2 UmwG) sowie der Aufspaltung (§ 131 Nr. 2 UmwG) der Fall. Bringen diese Maßnahmen mit der Gesellschaft aber das Identifikationsobjekt zum Erlöschen, so beeinträchtigen sie zwangsläufig die identifikatorische Bindung des Gesellschafters an „seine“ Gesellschaft und unterliegen daher der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle587. 584 Siehe dazu Boese, Anwendungsgrenzen, S. 221 ff.; Hüffer, AktG, § 237 Rn. 10. Im GmbH-Recht hat die Zwangseinziehung stets zur Voraussetzung, dass hierfür in der Satzung sachliche Gründe festgelegt sind (Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 34 Rn. 9 ff.), sodass sich die Frage einer richterrechtlichen judiziellen Belastungskontrolle des konkreten Einziehungsbeschlusses weitgehend erübrigt. 585 Als kontrollierbarer Beschlussgegenstand käme weiter auch der Satzungsänderungsbeschluss, der eine Zwangseinziehung allgemein anordnet oder gestattet, in Betracht. Doch muss eine Belastungskontrolle dieses Beschlusses richtigerweise schon deshalb ausscheiden, weil (allein) durch diesen ermächtigenden Satzungsänderungsbeschluss die Mitgliedschaft (noch) nicht vernichtet wird; zur Beschlusskontrolle bei der (aktienrechtlichen) Zwangseinziehung siehe Boese, Anwendungsgrenzen, S. 221 ff. 586 Zur (in dieser Konstellation) fehlenden Stichhaltigkeit des Arguments von der Erkennbarkeit der Einziehungsmöglichkeit (vgl. § 237 I 2 AktG) Boese, Anwendungsgrenzen, S. 224 f. 587 Die gegen eine Sachkontrolle des Auflösungsbeschlusses vorgebrachten Argumente vermögen schon in Bezug auf das Sachgrunderfordernis nicht zu überzeugen (oben bei § 8 B. IV. 3.); in Bezug auf die treuepflichtgestützte Belastungskontrolle als einer sehr viel zurückhalterenden Form der Beschlusskontrolle treffen sie noch weniger zu. Zur judiziellen Kontrolle des Verschmelzungsbeschlusses m.w. N. bereits oben bei § 8 B. II. 2. a) aa), § 8 B. II. 2. c). Bei der Aufspaltung, insbesondere bei der Aufspaltung zur Neugründung (§ 123 I Nr. 2 UmwG), lässt sich sicherlich über das Vorhandensein eines besonderen Schutzbedürfnisses auf Seiten der Minderheitsgesellschafter streiten, da sich hier lediglich die formal-rechtliche Zuordnung des Gesellschaftsvermögens
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Auch außerhalb der rechtlichen Auflösungstatbestände lassen sich bindungsbeeinträchtigende Gesellschafterbeschlüsse ausmachen. Deutlich tritt die Beeinträchtigung der identifikatorischen Bindung des Gesellschafters an die Gesellschaft beim Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag zutage588. Mit Abschluss eines solchen Vertrages wird die Vermögensbindung zugunsten der herrschenden Gesellschaft aufgehoben (§§ 57 Abs. 1 Satz 3 Alt.1, 291 Abs. 3 AktG, § 30 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 GmbHG) und erhält die herrschende Gesellschaft ein im Konzerninteresse stehendes Weisungsrecht (vgl. § 308 AktG)589. Die abhängige Gesellschaft wird mit anderen Worten den Interessen der herrschenden Gesellschaft dienstbar gemacht. Für den Bindungsgesellschafter der fortan abhängigen Gesellschaft bedeutet das in identifikatorischer Hinsicht, dass die Gesellschaft fortan nicht mehr „seine Gesellschaft“ ist, sondern der Sache nach die der herrschenden Gesellschaft; das bisher ihm zugängliche Identifikationsobjekt „Gesellschaft“ wird durch das herrschende Unternehmen besetzt. Die somit gegebene Beeinträchtigung der identifikatorischen Bindung des Gesellschafters an seine Gesellschaft macht eine treuepflichtgestützte Belastungskontrolle des Zustimmungsbeschlusses der Gesellschafterversammlung der zukünftig abhängigen Gesellschaft zu einem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag erforderlich. Das speziell gegen eine materielle Beschlusskontrolle dieses Beschlussgegenstandes vorgebrachte Argument, der Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages verbessere nur die Rechtsstellung der Minderheitsgesellschafter gegenüber dem vorher regelmäßig bestehenden Zustand des faktischen Konzerns590, verfängt nicht. Denn es unterstellt zum einen ohne hinreichende empirische Basis „Wildwest“-Zustände im faktischen Konzern (vgl. dagegen §§ 311 ff. AktG bzw. das treuepflichtbasierte Schädigungsverbot im Konzernrecht) und lässt zum anderen die dargelegten rechtlichen Auswirkungen eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages unberücksichtigt. Auch die Anfechtungsausschlüsse der §§ 304 Abs. 3 Satz 2, 305 Abs. 5 Satz 1 u. 2 AktG stehen einer treuepflichtgestützten Belastungskontrolle trotz deren positivrechtlicher Anbindung an § 243 Abs. 2 AktG nicht entgegen. Denn anerkanntermaßen gilt der Anfechtungsschluss allein für die Rüge, der herrschende Aktionär verfolge mit dem Abschluss des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages
ändert, die Gesellschafter selbst aber die Vermögensteile in der gleichen personellen Zusammensetzung innehaben wie zuvor, so der Einwand von Boese, Anwendungsgrenzen, S. 350. Doch ist um die rechtliche Vernichtung der Gesellschaft und damit dem Identifikationsobjekt nicht umhinzukommen. 588 Im GmbH-Recht stellt sich die Frage einer judiziellen Belastungskontrolle des Zustimmungsbeschlusses der Gesellschafterversammlung zum Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag nur, wenn man insoweit eine 3/4-Mehrheit genügen lässt, siehe dazu oben bei § 13 B. III. 1. b) sowie bei § 14 B. II. 2. a) aa) (1) (c) (Fn. 332). 589 Zu den Auswirkungen eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages BGH NJW 1997, 2242, 2243; Hofmann, Minderheitenschutz, S. 605 f. 590 Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 144.
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Sondervorteile ohne angemessenen Ausgleich bzw. ohne (angemessene) Abfindung für die außenstehenden Aktionäre591. Zur zweiten Fallgruppe bindungsbeeinträchtigender Gesellschafterbeschlüsse rechnen weiter diejenigen Maßnahmen, für die – sofern nicht bereits das Gesetz eine Mitwirkung der Gesellschafterversammlung zwingend anordnet – im Aktienrecht eine ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeit nach der „Holzmüller“-Doktrin in Betracht gezogen592 und im GmbH-Recht den Geschäftsführern eine zwingende Vorlagepflicht an die Gesellschafterversammlung auferlegt wird593. Genannt seien: krasse Veränderungen des Unternehmensgegenstandes (§§ 179 Abs. 2 Satz 2, 23 Abs. 3 Nr. 2 AktG, §§ 53, 3 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG)594, die Veräußerung des gesamten (vgl. § 179a AktG)595 oder doch des wesentlichen Teils des Gesellschaftsvermögens596, Betriebspacht- und Betriebsüberlassungsverträge (§ 292 I Nr. 3 AktG)597, die Ausgliederung wesentlicher Unternehmensteile im Wege der Gesamtrechts- (§ 123 Abs. 3 UmwG)598 oder der Einzelrechts-
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Statt vieler Würthwein, in: Spindler/Stilz, AktG, § 243 Rn. 215. BGHZ 83, 122, 131 f., 136 ff. (Holzmüller); klarstellend aus jüngerer Zeit BGHZ 159, 30, 37 ff. (Gelatine I) sowie BGH NZG 2004, 571, 572 ff. (Gelatine II); aus dem Schrifttum etwa Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 9 IV 1 (S. 119 ff.) mit umfassenden Nachweisen. 593 Zur Vorlagepflicht der GmbH-Geschäftsführer Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 9 III 1 (S. 118); Paefgen, in: Ulmer, GmbHG, § 37 Rn. 9; Uwe H. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 37 Rn. 12 ff.; generell zur „Holzmüller“-Doktrin im GmbHRecht Priester, in: FS H. P. Westermann, S. 1281 ff. 594 Zwar bedarf jede Änderung des Unternehmensgegenstandes als Satzungsänderung der Mitwirkung der Gesellschafterversammlung, doch sind nur krasse Fälle der Änderung des Unternehmensgegenstandes für die treuepflichtgestützte Belastungskontrolle von Relevanz; Beispiele dazu bei Klöhn, Abfindungsansprüche, S. 297 ff. 595 Vgl. dazu monographisch Packi, Die Veräußerung des ganzen Gesellschaftsvermögens (2009); ebendort (S. 236 ff.) auch zur Frage der analogen Anwendung des § 179a AktG im GmbH-Recht. 596 Vgl. dazu auch Leinekugel, Ausstrahlungswirkung, S. 100 ff., 105 ff. Für die Veräußerung wesentlicher Beteiligungen ist eine ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeit nach der „Holzmüller“-Doktrin freilich sehr umstritten, vgl. dazu Spindler, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 119 Rn. 34 (mit ablehnender Stellungnahme). Nur wenn man eine solche bejaht, kann sich logischerweise die Frage einer judiziellen Kontrolle des in Wahrnehmung dieser Zuständigkeit gefassten Beschlusses stellen. 597 Betriebspacht- und Betriebsüberlassungsverträge i. S. d. § 292 I Nr. 3 AktG können auch mit einer GmbH geschlossen werden, Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Kommentar Konzernrecht, § 292 Rn. 53 f. (dort auch zu den umstrittenen Zulässigkeitsvoraussetzungen). 598 Obwohl § 123 III UmwG und die weiteren umwandlungsgesetzlichen Regelungen bei jeder auch noch so geringfügigen Ausgliederung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge greifen, wird aus dieser erst dann ein Fall für die treuepflichtgestützte Belastungskontrolle, wenn sie einen wesentlichen Teil des Gesellschaftsvermögens betrifft; vgl. dazu auch H. Schmidt, in: Habersack/Koch/Winter, Spaltung, S. 10 ff. sowie Reichert, in: Habersack/Koch/Winter, Spaltung, S. 25 ff. 592
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nachfolge599, die Abspaltung wesentlicher Unternehmensteile im Wege der Gesamtrechts- (§ 123 Abs. 2 UmwG)600 oder der Einzelrechtsnachfolge 601, der Erwerb maßgeblicher Beteiligungen602, die wirtschaftlich bedeutende Bargründung von Tochtergesellschaften603. Unter der Prämisse, dass diese Maßnahmen einen wesentlichen Teil des Gesellschaftsvermögens betreffen – in der „Holzmüller“Diskussion hat sich der Schwellenwert von 80% des Gesellschaftsvermögens durchgesetzt604 –, bedeuten diese Maßnahmen regelmäßig eine tiefgreifende Umgestaltung der Gesellschaft bzw. des Gesellschaftsunternehmens605. Die Gesellschaft ist mit anderen Worten nicht mehr die gleiche wie zuvor, etwa kann aus einer operativ tätigen Gesellschaft eine Holding-Gesellschaft geworden606 oder eine selbstständig am Markt agierende Gesellschaft zur „Rentnerin“ verkümmert sein607. Das Bindungs- und Identifikationskonstrukt ist aber auf ein ganz bestimmtes Identifikationsobjekt bezogen, hier die Gesellschaft in ihrer konkreten 599 Zur rechtstechnischen Konstruktion Schnorbus, Gestaltungsfreiheit, S. 35; allgemeiner dazu Leinekugel, Ausstrahlungswirkung, S. 35 ff. Bei der Ausgliederung im Wege der Einzelrechtsnachfolge handelt es sich, was den Beschlussgegenstand betrifft, um den wohl sichersten Anwendungsbereich der „Holzmüller“-Grundsätze, siehe Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 9 IV 1 d (S. 123). 600 Anders als der Ansatz der gesetzlichen Regelung kommt die Abspaltung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge also ebenfalls erst dann als Gegenstand der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle in Betracht, wenn sie einen maßgeblichen Teil des Gesellschaftsvermögens betrifft. Zur (diskutablen) Frage des Schutzbedürfnisses der Gesellschafter insbesondere bei der Abspaltung zur Neugründung vgl. auch Fn. 1633 (zur Aufspaltung). 601 Siehe dazu Leinekugel, Ausstrahlungswirkung, insb. S. 37 f., 116 ff. 602 Auch für diese Konstellation ist das Bestehen einer ungeschriebenen Hauptversammlungszuständigkeit nicht unumstritten, vgl. dazu Spindler, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 119 Rn. 33 (mit befürwortender Stellungnahme). Die Frage einer gerichtlichen Beschlusskontrolle stellt sich nur, wenn man eine solche Kompetenz bejaht. 603 Eine „Holzmüller“-Zuständigkeit der Hauptversammlung wird für bedeutende Bargründungen von Tochtergesellschaften überwiegend bejaht, siehe Habersack, in: Emmerich/Habersack, Kommentar Konzernrecht, Vor § 311 Rn. 42; Goette, AG 2006, 522; Liebscher, ZGR 2005, 1, 23 f.; a. A. etwa Bungert, BB 2004, 1345, 1350. 604 Siehe die Interpretation der „Gelatine“-Entscheidungen (BGHZ 159, 30, 43 ff., insb. 45; BGH NZG 2004, 571, 574) durch die Literatur: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 9 IV 1 d (S. 124); Fleischer, NJW 2004, 2335, 2337. 605 Vgl. BGHZ 83, 122, 132 (Holzmüller) (Maßnahme „änderte die Unternehmensstruktur von Grund auf“); siehe ferner Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 9 IV 1 c (S. 122) („auf Mitgliedschaft ausstrahlende Umgestaltung der Gesellschaft“); Fleischer, NJW 2004, 2335, 2337 („tief greifende Umgestaltung des Unternehmens“): Spindler, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 119 Rn. 30 (fundamentale Strukturentscheidungen“). 606 In den „Holzmüller“-Fällen kann und wird eben dies häufig der Fall sein, siehe die Klagebegründung bei BGHZ 159, 30, 33 (Gelatine I); BGH NZG 2004, 571 (Gelatine II). 607 So eine häufig anzutreffende Bewertung in Bezug auf Unternehmensverträge gem. § 292 I Nr. 3 AktG, siehe Altmeppen, in: MünchKomm/AktG, § 292 Rn. 97; Koppensteiner, in: KölnKomm/AktG, § 292 Rn. 16, 64; Rehbinder, ZHR 147 (1983), 464, 470.
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rechtlichen und unternehmensmäßigen Struktur. Wird Letztere, wie bei den genannten Maßnahmen der Fall, von Grund auf verändert, bedeutet dies der Sache nach einen Austausch des Identifikationsobjektes. Bezogen auf die Gesamtvermögensübertragung hat Leinekugel dies mit folgenden Worten treffend zum Ausdruck gebracht: „Die Aktionäre werden dann bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise Gesellschafter eines ,neuen‘ Unternehmens [. . .].“ 608 Dieser faktische Austausch des Identifikationsobjektes markiert eine Beeinträchtigung der identifikatorischen Bindung des Gesellschafters an „seine“ bisherige Gesellschaft. Die entsprechenden Beschlüsse unterliegen daher, sofern ein widersprechender Bindungsgesellschafter vorhanden ist, einer treuepflichtgestützten Belastungskontrolle609. Ob dagegen auch der Formwechsel zur zweiten Fallgruppe bindungsbeeinträchtigender Gesellschafterbeschlüsse zu rechnen ist, erscheint eher zweifelhaft. Sicherlich nicht der Fall ist dies beim Beschluss einer AG über den Formwechsel in eine GmbH. Denn aufgrund der gesteigerten Mitsprache- und Mitwirkungsrechte des GmbH-Gesellschafters im Bereich der Geschäftsführung wird durch einen solchen Beschluss die Bindung des Gesellschafters an die Gesellschaft eher intensiviert denn beeinträchtigt610. Mit dieser Erwägung ist dagegen eine treuepflichtgestützte Belastungskontrolle für den umgekehrten Fall des Formwechsels einer GmbH in eine AG zu erwägen611. cc) Teilausschluss/Strukturänderung des Identifikationsobjektes Schließlich lässt sich noch eine dritte Fallgruppe bindungsbeeinträchtigender Gesellschafterbeschlüsse ausmachen. Sie liegt in der Mitte zwischen den beiden ersten Fallgruppen, trägt also je nach Blickwinkel Ausschluss- oder Strukturänderungscharakter. Gemeint sind solche Maßnahmen, bei denen neue Beteiligungen an der Gesellschaft eingeräumt werden (müssen), also insbesondere die Kapitalerhöhung mit gesetzlichem Bezugsrechtsausschluss (Bsp.: bedingte Kapital608
Leinekugel, Ausstrahlungswirkung, S. 104. Zur fehlenden Stichhaltigkeit des Argumentes, dass es sich bei den „Holzmüller“Maßnahmen um einen reinen Kompetenzkonflikt im Verhältnis der Verwaltung zu den Gesellschaftern handele, der mit der Statuierung einer ungeschriebenen Gesellschafterzuständigkeit behoben sei, oben bei § 8 B. II. 2. c). 610 Quotale Beteiligungsverluste können bei diesem Formwechsel richtigerweise nicht ohne die Zustimmung des Betroffenen eintreten, siehe ausführlich dazu Boese, Anwendungsgrenzen, S. 368 ff. Und dass das Aktienrecht die Schwellen für gewisse Minderheitenrechte mitunter höher ansetzt (vgl. etwa § 50 I, II GmbHG gegenüber § 122 AktG), ist zwar richtig; doch wird dies durch die insgesamt bessere Ausgestaltung der (Individual-)Rechte des GmbH-Gesellschafters kompensiert, siehe zutreffend Boese, Anwendungsgrenzen, S. 372; siehe auch Veil, Umwandlung, S. 197 f. (zusammenfassend); jegliches (besonderes) Schutzbedürfnis bei einem Formwechsel verneint Bayer, ZIP 1997, 1613, 1624. 611 Vgl. (aber) auch Veil, Umwandlung, S. 198 mit Fn. 1913; auch hier eine (Sach-) Kontrolle ablehnend Bayer, ZIP 1997, 1613, 1624. 609
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erhöhung gem. § 192 AktG)612, der rechtsgeschäftliche Bezugsrechtsausschluss im Rahmen einer ordentlichen Kapitalerhöhung (§ 186 Abs. 3 AktG), der Ausschluss des Bezugsrechts bei der Ausgabe von Wandel- und Optionsanleihen (§ 221 AktG)613, ggf. auch bei der Ausgabe von Genussrechten und Gewinnschuldverschreibungen614, der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag auf Seiten der herrschenden Gesellschaft (§ 305 Abs. 1 u. Abs. 2 Nr. 1 u. 2 AktG), die aktienrechtliche Mehrheitseingliederung auf Seiten der herrschenden Gesellschaft (§ 320 b Abs. 1 AktG), die Verschmelzung auf Seiten der übernehmenden Gesellschaft (§ 20 Abs. 1 Nr. 3 UmwG) sowie die Spaltung auf Seiten der übernehmenden Gesellschaft (§ 131 Nr. 3 UmwG). Von einem dem vollständigen Gesellschafterausschluss nahestehenden (Teil-) Ausschluss bzw. einer grundlegenden Strukturänderung lässt sich bei den genannten Maßnahmen allerdings nicht generell sprechen – eine minimale Kapitalerhöhung bzw. die Einräumung geringfügiger Beteiligungen an der Gesellschaft kann sowohl für den einzelnen Gesellschafter als auch die Gesellschaft recht bedeutungslos sein, rechtfertigt jedenfalls nicht die Charakterisierung der Maßnahme als „echten“ (Teil-)Ausschluss des Gesellschafters bzw. als grundlegende Strukturänderung der Gesellschaft615. Hiervon und damit auch von einer Beeinträchtigung der identifikatorischen Bindung des Gesellschafters kann erst dann die Rede sein, wenn die genannten Maßnahmen ein gewisses quantitatives und folglich auch qualitatives Ausmaß erreichen. Um eine volumenmäßige Festlegung, also eine „gegriffene Größe“ 616, ist daher nicht umhinzukommen: Der Gesetzgeber hat für die Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss einen Schwellenwert des Kapitalerhöhungsvolumens von 10% bezogen auf das Grundkapital der Gesellschaft für sachgerecht befunden (§ 186 Abs. 3 Satz 4 AktG). Um dieser Liberalisierungsnorm einen eigenständigen Anwendungsbereich zu belas-
612 Vgl. dazu m.w. N. zum Streitstand um eine materielle Beschlusskontrolle Veil, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 192 Rn. 5. 613 Diese Anleihen gewähren Bezugsrechte auf junge Aktien, weshalb mit ihnen, wenn auch nicht sofort und zudem abhängig vom Willen der Berechtigten, eine Veränderung der Beteiligungsstruktur einhergeht, siehe Merkt, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 221 Rn. 99 m.w. N. (zur Sachkontrolle bei diesen Anleihen). 614 Eine materielle Beschlusskontrolle kommt bei diesen Finanzierungtiteln dann in Betracht, wenn sie (ausnahmsweise) ein Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien gewähren, siehe Hüffer, AktG, § 221 Rn. 43; näher zum Streitstand Merkt, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 221 Rn. 100; aus der Rspr. vgl. insbesondere BGHZ 120, 141, 145 ff. (Bremer Bankverein). 615 Die auf Hirte zurückgehende Charakterisierung des Bezugsrechtsausschlusses als „(Teil)-Ausschluss“ bzw. als „Gesellschafterausschluss auf Raten“ (Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 31) ist daher nur bei einer formal-rechtlichen Betrachtung, nicht dagegen bei der im vorliegenden Zusammenhang angezeigten teleologisch-wirtschaftlichen Betrachtungsweise zutreffend. 616 Methodische (kritische) Bewertung dazu bei Wank, Juristische Begriffsbildung, S. 103 ff.
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sen617, ist der Schwellenwert für die treuepflichtgestützte Belastungskontrolle jedenfalls höher anzusetzen. Im Schrifttum wurde ein Schwellenwert von 50% des Grundkapitals vorgeschlagen618. Dies wiederum scheint deutlich zu hoch gegriffen, wenn man bedenkt, dass bei dieser Grenzziehung einem Gesellschafter mit einer Kapitalbeteiligungsquote von 20% ein Einflussverlust um fast 7% zugemutet wird. Nimmt man daher einen geringeren Wert, so bietet sich ein Schwellenwert des Maßnahmenvolumens von 20% des Grundkapitals an – ein Gesellschafter mit einer Beteiligungsquote von 20% kann dann lediglich, aber immerhin auf 16,6%, ein Gesellschafter mit einer Quote von 15% auf 12,5% und ein Bindungsgesellschafter mit 8% auf 6,6% fallen619. Dies erscheint sachgerecht und daher einer Verallgemeinerung zugänglich: Nur wenn also die genannten Maßnahmen ein solches Volumen aufweisen und daher/bzw. Beteiligungen an der Gesellschaft eingeräumt werden, die zu einem im dargelegten Sinne nennenswerten Einflussverlust des Bindungsgesellschafters führen, unterliegt der Beschluss einer treuepflichtgestützten Belastungskontrolle. Mit der dargelegten Grenzziehung lassen sich schließlich auch weitere Fälle, in denen ein Bindungsgesellschafter einen Einflussverlust zu befürchten hat, wie etwa der auf einem Hauptversammlungsbeschluss beruhenden Veräußerung eigener Aktien der Gesellschaft (Aktivierungseffekt, vgl. § 71 b AktG)620, der nachträglichen Einführung von Höchststimmrechten (§ 134 Abs. 1 Satz 2 AktG)621 oder der satzungsändernden Aufhebung von Vorzugsaktien (§ 141 IV, Stimmrechtszuwachs der ehemaligen Vorzugsaktionäre)622, normativ greifen: Dann, aber auch nur dann, wenn durch diese Maßnahmen ein Bindungsgesellschafter einen im dargelegten Sinne nennenswerten Einflussverlust erleidet, unterliegt der jeweilige Beschluss allein aufgrund der mit ihm verbundenen Belastung einer judiziellen Kontrolle. Dass die treuepflichtgestützte Belastungskontrolle schlussendlich auch auf weitere Beschlussgegenstände übergreifen kann, belegt die bereits erwähnte Entscheidung BGH DStR 1994, 214. Gegenstand dieser Entscheidung war ein Personalbeschluss der Gesellschafterversammlung, genauer: die Abberufung des maßgeblich beteiligten (49%) Gesellschafter-Geschäftsführers aus seiner Geschäftsfüh617 Siehe Liebert, Bezugsrechtsausschluss, S. 84 f. sowie Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 62. 618 Richter, ZHR 172 (2008), 419, 455; siehe auch Krieger, Referat 67. DJT, S. N 25, 35. 619 Siehe zum Vorstehenden die Berechnungen bei Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 166 ff. 620 Ausführlich zur (Sach-)Kontrolle beim Erwerb eigener Aktien, inkl. der Frage, wann die Hauptversammlung hier überhaupt zur Mitwirkung berufen ist, Boese, Anwendungsgrenzen, S. 267 ff. 621 Zur (Sach-)Kontrolle dieses Beschlussgegenstands knapp Hüffer, AktG, § 134 Rn. 8, § 243 Rn. 24, 28; ausführlich Boese, Anwendungsgrenzen, S. 263 ff., jew. m.w. N. 622 Zur (Sach-)Kontrolle bei Beschlussfassungen zu Vorzugsaktien umfassend Boese, Anwendungsgrenzen, S. 248 ff.
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rerposition (§§ 46 Abs. 1 Nr. 4, 38 Abs. 1 GmbHG). Aufgrund der konkret obwaltenden Umstände – der andere Gesellschafter hielt eine Beteiligung in Höhe von 51% und war nach der Abberufung der alleinige Geschäftsführer – kam dies jedoch einem faktischen „Rauswurf“ aus der Gesellschaft gleich. Der Bundesgerichtshof verlangte daher für den Abberufungsbeschluss in concreto eine sachliche Rechtfertigung – zu Recht, denn wegen seines Ausschlusscharakters stellte die Abberufung im konkreten Fall eine identifikationsbeeinträchtigende Maßnahme dar und war daher einer treuepflichtgestützten Belastungskontrolle zu unterziehen. c) Drittes Tatbestandsmerkmal: Beschlussablehnung des Bindungsgesellschafters Die Frage, welche Bedeutung die Zustimmung benachteiligter Gesellschafter für die Beschlusskontrolle aufweist, war und ist im Rahmen des Sachgrunderfordernisses recht ungeklärt: Die Rechtsprechung äußerte sich (wohl) eher zurückhaltend, was die Berücksichtigung des Zustimmungselementes betrifft623; Teile des Schrifttums wollten dagegen im Rahmen der Einzelfallabwägung nur die Interessen der dissentierenden624 oder gar nur der klagenden Gesellschafter625 berücksichtigt wissen. Für Klärung sorgt bei der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle die rechtstheoretische Standortbestimmung: Normativer Ausgangspunkt ist auf Basis des sekundärrechtlichen Standortes immer der konkrete Streitfall, und das heißt hier: der konkrete Mehrheitsbeschluss in der Gestalt, die ihm von der Gesellschafterversammlung der beschlussfassenden Gesellschaft verliehen wurde. Für diesen hat der auf der Sekundärebene agierende und entscheidungsbefugte Richter die Frage nach einer treuepflichtgestützten Belastungskontrolle zu beantworten. Die Interessen derjenigen Gesellschafter, die in concreto dem Beschluss ihre Zustimmung erteilt haben, also zur Beschlussmehrheit gehören, müssen dabei außen vor bleiben – das rechtsethische Prinzip der Selbstbestimmung, das zivilistische Prinzip der Privatautonomie, der verfassungsrechtliche Satz von der freien Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) und der wohlfahrtsöko623 BGHZ 71, 40, 44 (Kali & Salz) (Bezugsrechtsausschluss als schwerer Eingriff in die Mitgliedschaft „für den Aktionär“); BGHZ 120, 141, 145 ff. (Bremer Bankverein) (Folgen „für die ausgeschlossenen [scil. d.h. aller ausgeschlossenen einschließlich der zustimmenden] Aktionäre“); BGHZ 125, 239, 246 (Deutsche Bank) (Beeinträchtigung, welche „die Aktionäre“ durch den Bezugsrechtsausschluss erleiden); so auch Schumann, Bezugsrechtsausschluss, S. 73. 624 Boese, Anwendungsgrenzen, S. 98 f.; Vollhard, AG 1998, 397, 403 f.; wohl auch Cahn, ZHR 163 (1999), 554, 579 f.; zur offenen Frage, ob darunter nur die ausdrücklich widersprechenden oder auch die sich der Abstimmung enthaltenden oder ihr ferngebliebenen Gesellschafter zu verstehen sind, Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 295 f. 625 So insbesondere Martens, ZIP 1992, 1677, 1688 ff.
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nomische Gesichtspunkt der Präferenzautonomie lassen hier keinen anderen Schluss zu626. Für den auf der Sekundärebene platzierten Richter stellt sich daher stets nur die Frage, ob sich in der konkret unterlegenen, also dissentierenden Minderheit Gesellschafter befinden, deren Herrschaftsinteressen besonders schutzwürdig sind (Bindungsgesellschafter). Ist dies nicht der Fall, weil alle – insbesondere aufgrund ihrer Kapitalbeteiligungsquote – hierfür in Betracht kommenden Gesellschafter dem Beschluss ihre Zustimmung erteilt haben, muss eine treuepflichtgestützte Belastungskontrolle ausscheiden, präziser gesagt: muss der Richter die dem vorausliegende herrschaftsrechtliche Abwägungsfrage bei der Sammlung des Abwägungsmaterials abbrechen, also verneinen, denn die Interessen der zustimmenden Gesellschafter sind eben schon gar nicht in die Abwägung einzustellen. Dieser sekundärrechtliche Entscheidungsprozess vollzieht sich – zumindest gedanklich – bei jedem konkreten Streitfall von neuem. Die treuepflichtgestützte Belastungskontrolle hat daher ein weiteres allgemeines negatives Tatbestandsmerkmal: die fehlende Zustimmung des nachteilig betroffenen Bindungsgesellschafters bzw. als positives Tatbestandsmerkmal und klarer formuliert: den Widerspruch im Sinne einer ausdrücklichen Beschlussablehnung des nachteilig betroffenen Bindungsgesellschafters. Klarer ist die positive Formulierung deswegen, weil sie deutlich macht, dass die Fälle der Stimmenthaltung sowie das Fernbleiben von der Beschlussfassung – in beiden Fällen fehlt es ebenfalls an der Zustimmung des Betroffenen – für das Eingreifen der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle nicht genügen. Denn es geht vorliegend weniger darum, das Fernbleiben von der Versammlung oder die Stimmenthaltung als Zustimmung im zivilistischen Sinne rechtsdogmatisch zu konstruieren627. Vielmehr ist darum zu tun, das rechtstheoretische und rechtsmethodische Legitimations- und Startsignal für eine judizielle Kontrolle zu geben. Dieses legitimierende Startsignal kann aber nicht bereits die fehlende Zustimmung unter Einbezug der Stimmenthaltung und des Fernbleibens, sondern nur der Widerspruch des nachteilig betroffenen Bindungsgesellschafters sein. Ein Interessenschutz von Gesellschaften durch eine richterliche Beschlusskontrolle erscheint nämlich dann nicht angängig, wenn es, wie bei der Stimmenthaltung und dem Fernbleiben der Fall, an einer eigenen Interessenbewertung und Interessensentscheidung des Gesellschafters fehlt. Dass der Widerspruch des nachteilig betroffenen Bindungsgesellschafters Tatbestandsmerkmal der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle ist, ein fehlender Widerspruch also eine judizielle Belastungskontrolle verhindert, hat zwei entscheidende Vorzüge: Der erste Vorzug, ein steuerungsfunktioneller, besteht darin, dass hiermit ein Anreiz628 für die Gesellschaftermehrheit gesetzt wird, um die 626
Vgl. Bachmann, Private Ordnung, S. 174 ff. m.w. N. Dies aber wohl annehmend Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 297. 628 Vgl. dazu allgemein aus regulierungstheoretischer Hinsicht Binder, Regulierungsinstrumente, S. 61 f.: Verhaltenssteuerung durch Anreizsetzung. 627
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Zustimmung des Bindungsgesellschafters zu werben. Denn sie kann sich, wenn dieses Werben von Erfolg gekrönt ist, damit die Kontrollfreiheit des Beschlusses „verdienen“. Die in der Diskussion um eine Richtigkeitsgewähr der Mehrheitsentscheidung immer wieder als zentral herausgestellten Aspekte eines „echten Willensbildungsprozesses“, eines „Ringens um die beste Lösung“, eines „Werbens um Zustimmung“ 629, erhalten so normativen Boden unter den Füßen. Der zweite Vorzug der präferierten Lösung ist legitimatorischer Art: Mit der vorgeschlagenen Lösung wird die Reichweite der richterlichen Beschlusskontrolle in ein gewisses Dependenzverhältnis zur jeweils erreichten Beschlussmehrheit gebracht. Denn je höher/niedriger die in concreto erreiche Beschlussmehrheit ausfällt, desto unwahrscheinlicher/wahrscheinlicher wird es, dass sich in der konkret unterlegenen Gesellschafterminderheit ein die judizielle Belastungskontrolle auslösender Bindungsgesellschafter befindet. Damit wird der in der (politischen) Ökonomie grundgelegten630 und von Bachmann631 für die rechtliche Legitimationsfrage fruchtbar gemachten Erkenntnis Rechnung getragen, dass sich der Legitimations- und damit auch Kontrollbedarf einer Mehrheitsentscheidung in dem Maße erhöht/dezimiert, in dem die Zustimmung bzw. das Zustimmungsquorum für eine Mehrheitsentscheidung steigt/fällt. 2. Die Rechtsfolge der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle
Im Mittelpunkt der Diskussion um das Sachgrunderfordernis als auch der vorliegenden Arbeit steht die Frage, wann ein Mehrheitsbeschluss einer gesteigerten judiziellen Kontrolle unterliegt. Diese Frage ist mit dem eben herausgearbeiteten Tatbestand der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle beantwortet. Zur Rechtsfolgenseite sollen daher einige Anmerkungen zur richterlichen Kontrolle genügen632. a) Angemessenheitsgebot und Mikroabwägung Die Rechtsfolge der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle besteht ganz allgemein gesprochen darin, dass der Mehrheitsbeschluss einem spezifischen Angemessenheitsgebot bzw. Unangemessenheitsverbot untersteht. In Anlehnung an § 307 Abs. 1 BGB formuliert: Der Beschluss ist nicht wirksam, wenn er die Gesellschafterminderheit, hier weiter konkretisiert: den Bindungsgesellschafter, entgegen dem gesellschaftsrechtlichen Treuegebot unangemessen benachteiligt. Ob eine solche unangemessene Benachteiligung vorliegt, ist im Wege einer am kon629
Siehe oben insb. bei § 11 B. VI. 2. Buchanan/Tullock, The Calculus of Consent, S. 45 f., 63 ff., insb. 81, 98 ff. 631 Bachmann, Private Ordnung, S. 199 f. 632 Zur Frage der Wirksamkeit bzw. Unwirksamkeit der Stimmrechtsausübung oben bei § 12 A. I. 3. c), d). Zur Frage einer Schadensersatzhaftung oben § 12 A. II. 2. 630
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kreten Fall orientierten Interessenabwägung (= Mikroabwägung)633 zu ermitteln634, d.h., es sind die in dem konkreten Rechtsstreit konfligierenden Interessen der Gesellschaftermehrheit (= alle Gesellschafter, die dem streitgegenständlichen Beschluss zugestimmt haben) gegen die Interessen des Bindungsgesellschafters abzuwägen635. Gegen die Rechtsfolgen-Konkretisierung der Belastungskontrolle in Form einer einzelfallbezogenen Interessenabwägung mag man zwar zunächst mit Blick auf das Gebot der Rechtssicherheit und die Komplexität unternehmerischer Entscheidungen Bedenken hegen. Doch gilt es zu sehen, dass hier ein Grundkonflikt zwischen dem Rechtssicherheitsgebot sowie dem unternehmerischen Charakter einer Maßnahme und dem vom materiellen Beschlussmängelrecht verfolgten Gerechtigkeitsziel wiederkehrt. Wie bei jedem Grundkonflikt kann man auch hier nicht einen Aspekt isoliert herausgreifen, sondern hat, worum sich die treuepflichtgestützte Belastungskontrolle bemüht (z. B.: Stufenmodell), Kompromisse zu suchen. Im Übrigen zählt eine Einzelfallabwägung konkret widerstreitender Interessen zu den anerkannten Aufgaben der Rechtsprechung. Man denke etwa an die richterliche Beurteilung der Frage, ob ein Rücktritt erheblich ist (§ 323 Abs. 5 Satz 2 BGB) oder ein die fristlose Kündigung (§ 626 BGB) oder den Ausschluss eines Gesellschafters rechtfertigender Grund vorliegt. Besonders deutlich ist der den Gerichten vom Gesetz übertragene Abwägungsauftrag beim Freigabeverfahren formuliert: Das Gericht hat zu prüfen, ob nach seiner freier Überzeugung die Interessen einer Aktiengesellschaft an der vorzeitigen Eintragung einer angefochtenen Maßnahme die Interessen des Anfechtungsklägers an einem Eintragsaufschub überwiegen (§ 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG, § 16 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 UmwG). Besonders ins Gewicht fällt weiter der Umstand, dass die materiell-rechtlichen Kontrollmaßstäbe des Beschlussmängelrechts und gerade die treuepflichtgestützte Belastungskontrolle eine nicht unerhebliche Steuerungsfunktion zu entfalten pflegen, sodass es häufig gar nicht zu einer richterlichen Kontrolle kommt bzw. auf eine richterliche Kontrolle ankommt636. Auch gilt es
633 Während also zur Tatbestandsfindung die Methode der rechtlich geleiteten Interessenabwägung in Form der Makroabwägung zur Anwendung kam, greift auf der Rechtsfolgenseite diese Methode in Form der Mikroabwägung Platz, vgl. oben § 14 A. 634 Vgl. Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 9 m.w. N. 635 Die richterliche Kontrolle vollzieht sich also nicht, wie im Rahmen des Sachgrunderfordernisses gelehrt wurde (oben § 5 C. II.), anhand eines strikten und isoliert stehenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes mit seinen Teilstufen „legitimer Zweck“, „Geeignetheit“, „Erforderlichkeit“, „Angemessenheit“; diese Prinzipien sind vielmehr eingebettet in die Struktur der rechtlich geleiteten Interessenabwägung. Die Besonderheit der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle besteht darin, dass diese Einzelfallabwägung allein aufgrund der mit dem Beschluss verbundenen Belastung zum Tragen kommt, also nicht etwa aufgrund des Anfangsverdachtes eines Verhaltens- oder Zweckunwertes, vgl. oben § 13 B. 636 Siehe oben § 6 H. II. 2. b), § 12 A. III. 3. c) bb), § 14 C. I. 1. c).
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zu berücksichtigen, dass sich aus den im Wege der Einzelfallabwägung gewonnenen Ergebnissen nach und nach Fallgruppen werden herausarbeiten lassen, die dann als weiterer Erkenntnisfaktor bei der Ermittlung der unangemessenen Benachteiligung hinzutreten. Die Einzelfallinteressenabwägung wird auf diese Weise nach und nach – wenn auch nie vollständig637 – hinter den Ähnlichkeitsschluss zu den bestehenden, anerkannten Fallgruppen zurücktreten können638. Schließlich ist von Bedeutung, dass die Einzelfallabwägung nicht dem freien Gutdünken des Rechtsanwenders überlassen ist und sich auch nicht im luftleeren Raum abspielt, sondern im Gegenteil rechtlich eingebettet und strukturiert verläuft639. Diese Struktur der Mikro-Interessenabwägung sieht folgendermaßen aus640. b) Struktur der rechtlich geleiteten Mikro-Interessenabwägung Der erste Schritt der Interessenabwägung besteht in der Sammlung des Abwägungsmaterials641, im Rahmen der Mikro-Abwägung also in der Ermittlung des spezifischen Interesses der Gesellschaftermehrheit an der beschlossenen Maßnahme und des Interesses des Rechtsschutz suchenden Gesellschafters am Erhalt seiner mitgliedschaftlichen Rechtsstellung. In einem zweiten Schritt sind diese Interessen dann zu gewichten642. Diese Gewichtung wird von verschiedenen Faktoren bestimmt: Die Gewichtung des konkreten Interesses der Gesellschaftermehrheit an der Durchführung der Maßnahme hängt zunächst davon ab, ob und inwiefern der Gesetzgeber diesem Interesse besondere Anerkennung hat zuteilwerden lassen bzw., etwas anders gewendet, inwieweit der von der Gesellschaftermehrheit verfolgte Zweck mit dem vom Gesetzgeber der Beschlusskompetenznorm zugedachten Zweck übereinstimmt (primärrechtlicher Faktor)643. Einfluss auf die Gewichtung hat weiter die Bedeutung der Maßnahme für die Gesellschaft bzw. Gesellschaftermehrheit; droht etwa die Gesellschaft ohne die Maßnahme in
637 Dazu, dass Fallgruppen nicht wie feststehende Rechtsnormen gehandhabt werden dürfen, sondern auch die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls zu beachten sind, siehe Beater, AcP 194 (1994), 82, 89; Mayer-Maly, AcP 194 (1994), 105, 133 ff. 638 Siehe Beater, AcP 194 (1994), 82 ff.; Mayer-Maly, AcP 194 (1994), 105, 132 ff.; vgl. Fastrich, Inhaltskontrolle S. 9; kritisch gegenüber der „Fallgruppenmethode“ R. Weber, AcP 192 (1992), 516, 535 ff. 639 Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 248 ff. 640 Siehe zur rationalitätssichernden Funktion der Abwägungsstruktur Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 94 ff.; Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 254. 641 Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 57 ff.; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 295 ff. (zur Verhältnismäßigkeit i. e. S. von Ungleichbehandlungen); vgl. auch Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 250 ff. 642 Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 61 ff.; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 298 ff. (zur Verhältnismäßigkeit i. e. S. von Ungleichbehandlungen); vgl. auch Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 252. 643 Vgl. Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 251, 254 f.
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eine Krise zu geraten oder steht gar eine Insolvenz zu befürchten, ist das Interesse der Gesellschaftermehrheit besonders hoch zu gewichten644. Ganz generell wird man sagen können, dass es für die Gewichtung des Interesses der Gesellschaftermehrheit maßgeblich auf den vermögensmäßigen Wert dieses Interesses, ggf. ermittelt durch Sachverständige oder im Wege der Schätzung gem. § 287 ZPO, ankommt645. Was das Interesse des Bindungsgesellschafters am Erhalt seiner mitgliedschaftlichen Rechtsstellung betrifft, so spielt für dessen Gewichtung etwa die Intensität der Bindung des Gesellschafters an die Gesellschaft in concreto (= Quantität und Qualität der Merkmale des Bindungsgesellschafters) sowie die Intensität der Beeinträchtigung der identifikatorischen Bindung durch die Maßnahme (Bsp.: vollständiger oder nur teilweiser Verlust der Mitgliedschaft) eine Rolle. Einen weiteren Gewichtungsfaktor wird man in der Vorhersehbarkeit der Interessenbeeinträchtigung erblicken können646 – musste der Gesellschafter beim Erwerb seiner Beteiligung damit rechnen, dass es zu Beeinträchtigungen der identifikatorischen Bindung kommen werde, so reduziert dies das Gewicht seines Interesse an der Wahrung dieser identifikatorischen Bindung. Sind die widerstreitenden Interessen ermittelt und gewichtet, schließt sich daran in einem dritten Schritt die eigentliche Abwägung an647. In Anlehnung an Hennrichs und ohne scharfe Abgrenzung zueinander können dabei folgende Gesichtspunkte Bedeutung erlangen648: die Möglichkeit und Einfachheit der Vermeidung einer Interessenbeeinträchtigung, der Gedanke der Zumutbarkeit, die Realstruktur der Gesellschaft, der Grundsatz der Erforderlichkeit bzw. das Prinzip des schonenden Ausgleichs (unter mehreren gleich geeigneten Maßnahmen ist dasjenige zu wählen, das die Interessen des anderen Teils am wenigsten beeinträchtigt), die Angemessenheit bzw. Verhältnismäßigkeit i. e. S. Als Faustformel gilt: Je größer das Gewicht des Interesses der Gesellschaftermehrheit an der Durchführung der Maßnahme, desto stärker muss auf der anderen Seite das Interesse des Bindungsgesellschafters am Erhalt seiner Mitgliedschaft wiegen und umgekehrt. Bei all dem gilt es zu beachten, dass es sich um eine Abwägung im Einzelfall handelt, bei der stets besondere einzelfallbezogene Gesichtspunkte gefunden und beachtet werden müssen. Eine weitere Konkretisierung dieser allgemeinen Formeln kann nur durch eine genaue Untersuchung eines jeden einzelnen Beschlussgegenstan644 Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 298 (zur sachlichen Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen). 645 Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 298 (zur sachlichen Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen). 646 Siehe im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes auch Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 298, der diesen Gewichtungsfaktor allerdings umgekehrt auf die Gesellschaft bzw. Gesellschaftermehrheit bezieht. 647 Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 74 ff.; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 301 ff. (zur Verhältnismäßigkeit i. e. S. von Ungleichbehandlungen); siehe auch Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 252 f. 648 Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 252 f.
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des erfolgen. Dies kann von der vorliegenden Untersuchung nicht geleistet werden und war von ihr aufgrund ihres allgemeinen, beschlussübergreifenden Ansatzes auch nicht beabsichtigt. Zur Veranschaulichung seien immerhin noch zwei abstrakt einigermaßen fassbare Beispiele angeführt. c) Beispiele aa) Sachkapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss Bei einer Sachkapitalerhöhung unter Ausschluss des Bezugsrechtes konfligiert das Finanzierungs- und Erwerbsinteresse der Gesellschaft/Gesellschaftermehrheit mit dem Interesse des Bindungsgesellschafters am Erhalt seiner mitgliedschaftlichen Rechtsstellung. Für die Gewichtung der Interessen der Gesellschaft/Gesellschaftermehrheit kommt es dabei maßgeblich darauf an, wie dringend die Gesellschaft auf den einzulegenden Gegenstand angewiesen ist. Bildet die Sachkapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss etwa einen Teil eines umfassenden Sanierungskonzeptes, ist das Interesse der Gesellschaft-/Gesellschaftermehrheit hoch zu veranschlagen. Geht es der Gesellschaftermehrheit dagegen umkehrt hauptsächlich darum, ihren gesellschaftsrechtlichen Einfluss auszubauen oder die korporationsrechtliche Stellung des Bindungsgesellschafters zu schwächen, so ist ihr Interesse an der Maßnahme normativ gering zu gewichten649. Auf Seiten des Bindungsgesellschafters ist zu berücksichtigen, dass der Bezugsrechtsausschluss seine Mitgliedschaft nicht vollständig, sondern nur teilweise beseitigt – wobei hierbei auch das jeweilige Volumen der Kapitalerhöhung Beachtung finden muss. Eine Rolle spielt weiter auch, zu wessen Gunsten der Bezugsrechtsausschluss erfolgt: Wird das Bezugsrecht zugunsten eines konstanten Mehrheitsgesellschafters bzw. einer stabilen Mehrheitsgruppe ausgeschlossen, so wird durch den damit verbundenen Einflusszuwachs das Identifikationsobjekt „Gesellschaft“ in verstärktem Maße vom Mehrheitsgesellschafter bzw. der Mehrheitsgruppe besetzt. Die Beeinträchtigung der identifikatorischen Zugehörigkeit des Bindungsgesellschafters fällt dann stärker aus als bei einem Bezugsrechtsausschluss zugunsten eines gesellschaftsfremden Dritten. Das Interesse des Bindungsgesellschafters an der Wahrung des Status quo ist folglich in ersterem Fall höher zu gewichten als in letzterem650. Die Abwägung im engeren Sinne wird bei der 649 Näher dazu sogleich im Text. In diesen Fällen wird zwar auch regelmäßig die treuepflichtgestützte Verhaltens- und Zweckkontrolle eingreifen, siehe oben § 13 B. I., II.; der Vorteil, diese Einwände im Rahmen der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle zur Geltung zu bringen, besteht aber darin, dass ihr Eingreifen lediglich von dem objektiven Umstand der Belastung abhängt, der bereits vorab eine Steuerungsfunktion entfaltet und vor allem leichter darzulegen und zu beweisen ist, vgl. oben § 13 B. 650 Durch diese „Gewichtungslösung“ wird die vielerorts angestellte und zutreffende Überlegung aufgegriffen, wonach es im Rahmen der Kontrolle des Bezugsrechtsausschlusses einen Unterschied machen müsse, ob der Bezugsrechtsausschluss zugunsten
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4. Teil: Eigene Konzeption
Sachkapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss vor allem durch das Prinzip der Erforderlichkeit geprägt. Zu fragen ist etwa, ob der Gegenstand der Sacheinlage nicht auch ebenso gut käuflich auf dem Markt hätte erworben und die dazu benötigten Mittel durch eine Barkapitalerhöhung mit Bezugsrecht hätten beschafft werden können651. Zu erwägen ist weiter, insbesondere bei hoher Gewichtung der Interessen des Bindungsgesellschafters, die Sachkapitalerhöhung durch eine parallele Barkapitalerhöhung mit Bezugsrecht zu begleiten652. Auch dadurch lässt sich die bisherige Beteiligungsquote aufrechterhalten653. bb) „Übertragende Auflösung“ Das Auflösungsinteresse der Gesellschaftermehrheit ist zwar grundsätzlich – Stichwort: Desinvestitionsfreiheit – hoch zu gewichten654. „Echte“ Auflösungsbeschlüsse dürften daher auch kaum je an der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle scheitern. Bei der sog. „übertragenden Auflösung“ (vgl. § 179a Abs. 3 AktG)655 aber verhält es sich anders. Denn dem Mehrheitsgesellschafter geht es hier nicht um „echte Desinvestition“ im Sinne eines „Flüssigmachens“ des in der Gesellschaft gebundenen Kapitals, sondern um die Übernahme des Gesellschaftsunternehmens unter Ausschluss der Minderheit656. Dieser von der Mehrheit ver-
der Mehrheit oder eines gesellschaftsfremden Dritten erfolge, vgl. Bezzenberger, ZIP 2002, 1917, 1924 ff., 1928 ff.; Lutter, in: KölnKomm/AktG, § 186 Rn. 79; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 57 f., 459 f.; Zöllner, AG 2000, 145, 154 f. 651 Siehe Lutter, in: KölnKomm/AktG, § 186 Rn. 79; Liebert, Bezugsrechtsausschluss, S. 126 f.; Schumann, Bezugsrechtsausschluss, S. 188 f. (alle im Rahmen des Sachgrunderfordernisses); Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 466 (zur sachlichen Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen). 652 Siehe Lutter, in: KölnKomm/AktG, § 186 Rn. 79; Liebert, Bezugsrechtsausschluss, S. 127; Schumann, Bezugsrechtsausschluss, S. 189 ff. (alle im Rahmen des Sachgrunderfordernisses); Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 466 f. (zur sachlichen Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen). 653 Die genannten Maßnahmen sind bei der Abwägung aber dann nicht zu berücksichtigen, wenn der Sacheinleger zu der Einlage nur gegen die Bedingung bereit war, dass eine begleitende Barkapitalerhöhung unterbleibt, siehe Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 46 f.; Schumann, Bezugsrechtsausschluss, S. 189 ff.; strenger Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 77 ff. sowie Schockenhoff, Gesellschaftsinteresse, S. 73. Bei der ggf. gebotenen begleitenden Barkapitalerhöhung wird man es mit Blick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz aber nicht für zulässig halten dürfen, nur dem Bindungsgesellschafter und nicht auch den sonstigen Gesellschaftern das Bezugsrecht einzuräumen, siehe Lutter/Drygala, in: FS Kropff, S. 127, 221. 654 Vgl. BGHZ 103, 184, 190 f. (Linotype); Ulmer, in: FS Möhring, S. 301 ff.; M. Winter, Treubindungen, S. 156 ff. 655 Vgl. dazu BVerfG ZIP 2000, 1670 (Moto Meter); Lutter/Drygala, in: FS Kropff, S. 127 ff. 656 Siehe Grunewald, Ausschluss, S. 298 f.; Schwab, Gesellschaftsinterne Streitigkeiten, S. 285 f.; Timm, JZ 1980, 665, 669 f.; vgl. auch Lutter/Drygala, in: FS Kropff, S. 127, 217 f.
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folgte Zweck – mag man ihn mit der Rechtsprechung auch als grundsätzlich legitim ansehen657 – entfernt sich von der den gesetzlichen Liquidationsnormen (§§ 262 Abs. 1 Nr. 2, 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG) zugrundeliegenden Vorstellung einer Gesellschaftsauflösung, bei der das unternehmerische Engagements beendet und das gebundene Kapital aus dem unternehmerischen Risiko gelöst wird658. Hinzu tritt, dass der Gesetzgeber mit der Mehrheitseingliederung (§§ 320 ff. AktG) und dem squeeze-out (§§ 327a ff. AktG) spezifische Instrumente zur Fortsetzung des unternehmerischen Engagements unter Ausschluss der Minderheit zur Verfügung gestellt hat659. Diese beiden primärrechtlichen Erwägungen sprechen dafür, das Interesse des Mehrheitsgesellschafters an der übertragenden Auflösung normativ gering zu bewerten. Auf Seiten des Bindungsgesellschafters fällt ins Gewicht, dass dieser seine Mitgliedschaft bei der übertragenden Auflösung vollständig verliert. Bereits aufgrund dieses Gewichtungsverhältnisses gebührt abseits besonderer Einzelfallumstände im Rahmen der Abwägung den Interessen des Bindungsgesellschafters gegenüber dem Interesse des Mehrheitsgesellschafters an der übertragenden Auflösung der Vorrang (Prinzip der Zumutbarkeit bzw. der Angemessenheit). Ist also von der übertragenden Auflösung ein dissentierender Bindungsgesellschafter betroffen, dann – aber auch nur dann – ist diese aufgrund der eingreifenden treuepflichtgestützten Belastungskontrolle unzulässig660. Materiell-rechtlich kann sich der Bindungsgesellschafter also gegen die übertragende Auflösung wehren. Ohne einen prozessualen Rechtsbehelf ist dieser materiell-rechtliche Schutz freilich nicht viel wert. Dies führt zur prozessualen Seite der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle; ein zentraler Einwand gegen die entwickelte treuepflichtgestützte Belastungskontrolle wird dabei auszuräumen sein.
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Siehe BGHZ 76, 352, 353 f.; BGHZ 103, 184, 189 ff. (Linotype). Siehe Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 151; Schwab, Gesellschaftsinterne Streitigkeiten, S. 285; vgl. zum Zweck der gesetzlichen Liquidationsbefugnis Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 262 Rn. 11. 659 So wird denn auch mitunter unter Berufung auf die §§ 320 ff., 327a ff. AktG die Auffassung vertreten, die „übertragende Auflösung“ könne nur mit 95%iger Mehrheit vorgenommen werden, siehe etwa Henze, in: FS Peltzer, S. 181, 189; Hamann, SqueezeOut-Beschluss, S. 143 m.w. N. 660 So auch allerdings auf Basis einer – ihre Grenzen dadurch wohl überschreitenden (siehe oben § 13 B. II.) – Missbrauchskontrolle Lutter/Drygala, in: FS Kropff, S. 127, 216 ff.; in der verfassungsgerichtlichen Entscheidung zur übertragenden Auflösung war kein Bindungsgesellschafter, sondern waren lediglich minimal beteiligte Aktionäre betroffen, vgl. BVerfG ZIP 2000, 1670 (Moto Meter). Zur Frage, welcher Beschlussgegenstand genau (Auflösungsbeschluss oder Zustimmungsbeschluss zur Vermögensübertragung) der Anfechtbarkeit unterliegt, vgl. Hofmann, Minderheitenschutz, S. 441 ff. 658
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II. Prozessuale Seite 1. Anfechtungsklage
Die treuepflichtgestützte Belastungskontrolle wird prozessual mittels der Anfechtungsklage geltend gemacht661. Von den zahlreichen sich hier stellenden Fragen sei an dieser Stelle auf zwei Fragenkreise näher eingegangen662. a) § 243 AktG: Darlegungs-, Beweis- und Wertungslast Im Rahmen des Sachgrunderfordernisses war die Verteilung der Darlegungsund Beweislast für die die sachliche Rechtfertigung begründenden Tatsachen bekanntlich eine recht umstrittene Angelegenheit. Während der Bundesgerichtshof im „Kali & Salz“-Urteil nach einer verbreiteten Deutung663 Darlegungs- und Beweislast spaltete und Erstere der Gesellschaft, Letztere dagegen dem klagenden Gesellschafter zuwies664, sprach sich das ganz herrschende Schrifttum mit Blick auf die Einordnung des Sachgrunderfordernisses als ungeschriebene sachliche Wirksamkeitsvoraussetzung dafür aus, der Gesellschaft die volle Darlegungsund Beweislast aufzuerlegen665. Der herrschenden Lehre ist insofern beizupflichten, als sie darauf verweist und Wert legt, dass sich die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast auch im Anfechtungsprozess nach der Normentheorie richtet666. Danach trägt jede Partei die Darlegungs- und Beweislast für das Vorhandensein aller Voraussetzungen, derjenigen Normen, ohne deren Anwendung ihr Prozessbegehren keinen Erfolg haben kann, kurz: jede Partei trägt die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen der ihr günstigen Normen667. Dem Gesellschafter als Anfechtungskläger 661 Zur analogen Anwendung der §§ 241 ff. AktG im GmbH-Recht siehe nur BGHZ 11, 231, 235; Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. zu § 47 Rn. 1 ff. m.w. N. auch zur Gegenmeinung. 662 Ausführlicher und zu weiteren Fragen, insbesondere der Präsenz- und Widerspruchsobliegenheit gem. § 245 Nr. 1 AktG, sowie der zu Recht verneinten Frage einer (analogen) Anwendung des § 245 Nr. 3 AktG etwa Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 355 ff. 663 Lutter, ZGR 1979, 401, 412 ff.; ursprünglich auch Hüffer, in: Geßler/Hefermehl/ Eckardt/Kropff, AktG, § 243 Rn. 145; zu seiner revidierten Position siehe Fn. 676. 664 Siehe BGHZ 71, 40, 48 f.; näher oben § 5 A. II. 2., § 6 H. II. 2. 665 Für das Schrifttum hier nur Lutter, ZGR 1979, 401, 412 ff.; Hüffer, in: Geßler/ Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, § 243 Rn. 147; Wiedemann, ZGR 1980, 147, 158; ausführlicher m.w. N. oben bei § 5 B. II. (Fn. 25). 666 Die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast entspricht der ganz h. M., siehe Hüffer, in: FS Fleck, S. 151, 152 ff.; ders., in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 144; ders., AktG, § 243 Rn. 59; K. Schmidt, in: GroßKomm/AktG, § 246 Rn. 80; Würthwein, in: Spindler/Stilz, AktG, § 243 Rn. 235; aus der Rechtsprechung vgl. BGHZ 71, 40, 48 f. (Kali & Salz). 667 Grundlegend Rosenberg, Beweislast, S. 98 f.; aus der heutigen zivilprozessualen Literatur Foerste, in: Musielak, ZPO, § 286 Rn. 34 f.; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht,
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sind dabei die Normen günstig, aus denen sich die sachlichen Voraussetzungen eines auf Nichtigerklärung lautenden Urteils (vgl. § 248 AktG) ergeben668. Als ihm günstig muss der klagende Gesellschafter daher auch die Voraussetzungen des § 243 AktG, also das Vorliegen eines Anfechtungsgrundes, beweisen669. Um daraus für die treuepflichtgestützte Belastungskontrolle Näheres ableiten zu können, ist der von dieser aufgestellte anfechtungsbewehrte Rechtssatz genauer zu beleuchten. Dieser Rechtssatz lautet: Ein Beschluss ist anfechtbar, wenn der Tatbestand der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle erfüllt ist und die daher stattzufindende An- bzw. Unangemessenheitsprüfung in Form einer Interessenabwägung ergibt, dass das Interesse des Bindungsgesellschaftes das Interesse der Gesellschaftermehrheit überwiegt. Kürzer und für Zwecke der Normentheorie noch klarer: Ein Beschluss ist grundsätzlich wirksam, es sei denn, es liegt eine unangemessene Benachteiligung des Bindungsgesellschafters vor bzw. die Interessen eines nachteilig betroffenen Bindungsgesellschafters überwiegen die Interessen der Gesellschaftermehrheit670. Dem klagenden Gesellschafter obliegt daher zunächst die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen des Tatbestands der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle671 – wobei ihm diese hinsichtlich seiner Einstufung als Bindungsgesellschafter durch das oben skizzierte Vermutungssystem erleichtert wird672. Auch für die Unangemessenheit und das Überwiegen seiner Interessen trägt er im Grundsatz die Darlegungs- und Beweislast; er muss also Umstände vortragen und, sofern bestritten, beweisen, die ein Überwiegen seiner Interessen nahelegen. Von dem Grundsatz, dass die Darlegungs- und Beweislast beim Gesellschafter als Anfechtungskläger liegt, ist jedoch eine wichtige Einschränkung zu machen. Diese Einschränkung liegt in dem Umstand begründet, dass der klagende Gesellschafter in die Sphäre der Gesellschaft/Gesellschaftermehrheit regelmäßig keinen unmittelbaren Einblick haben wird673. Hat der klagende Gesellschafter Umstände § 50 IV (S. 203); Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 115 II 1, 2 (S. 645 f.); aus der Rechtsprechung etwa BGHZ 113, 222, 224 f. 668 Hüffer, in: FS Fleck, S. 151, 156. 669 Hüffer, in: FS Fleck, S. 151, 154 ff.; dort auch zur mit Recht verneinten Frage, ob aufgrund der institutionellen Funktion der Anfechtungsklage oder des Aspekts des Minderheitenschutzes eine andere Verteilung angezeigt ist. 670 Mit dem Gebot der Äquidistanz, das Regel-Ausnahme-Verhältnissen entgegensteht (oben § 6 H. I. 2.), gerät man damit insofern nicht in Konflikt, als es vorliegend nicht, wofür das Gebot der Äquidistanz allein der normative Orientierungsmaß ist, um die Entwicklung materiell-rechtlicher Kontrollmaßstäbe geht, sondern um die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Anfechtungsprozess; hier ist um eine Grundregel der Beweislastverteilung im wiedergegebenen Sinne nicht umhinzukommen; vgl. zudem noch den weiteren Text. 671 Zu diesem Tatbestand oben I. 1. 672 Zu diesem Vermutungssystem oben bei I. 1. a) cc) (3) (c). 673 Darauf wird verbreitet hingewiesen, siehe statt vieler Würthwein, in: Spindler/ Stilz, AktG, § 243 Rn. 246.
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dargelegt und ggf. bewiesen, die für ein Überwiegen seiner Interessen sprechen, obliegt es daher in Anlehnung an die prozessualen Grundsätze der sekundären Darlegungs- und Beweislast674 der beklagten Gesellschaft, nun ihrerseits Umstände vorzutragen und ggf. zu beweisen, die ihre Interessen als überwiegend erscheinen lassen675. Dies entspricht im Grundsatz, mag die Terminologie und Dogmatik im Einzelnen auch etwas schwanken, der ganz herrschenden Meinung im Schrifttum676; auch der Bundesgerichtshof dürfte im „Kali & Salz“-Urteil nicht viel anderes gemeint haben677. Es ist also, um diesen Gedanken noch etwas fortzuführen und in weitere prozessrechtsdogmatische Kategorien einzuordnen, zwischen, wie man früher sagte678, der Haupt- und der Gegenbeweislast oder, wie man dies heute nennt679, der abstrakten und der konkreten Darlegungs- und Beweislast zu unterscheiden. Die abstrakte Darlegungs- und Beweislast betrifft die allgemeine Entscheidungsregel für den Fall der Behauptungslosigkeit bzw. des non liquet680. Diese abstrakte Darlegungs- und Beweislast obliegt aufgrund der Normentheorie (= Vorliegen des Anfechtungsgrundes als eine dem klagenden Gesellschafter günstige Norm) stets dem Gesellschafter als Anfechtungsläger. Die konkrete Darlegungs- und Beweislast spielt dagegen im Rahmen der konkreten Sachverhaltswürdigung eine Rolle681. Diese konkrete Darlegungs- und Beweislast kann je nach Verfahrensstand zwischen den Parteien wechseln, sie hängt vom Diskurs- bzw. Abwägungsverlauf ab682: Das Gericht kann nach dem bisherigen Stand des Vorbringens bzw. dem bisherigen Stand der Beweisaufnahme vom Überwiegen der Interessen des Bindungsgesellschafters (vorläufig) überzeugt sein, sofern nicht die Gesellschaft bzw. Gesellschaftermehrheit Umstände vorträgt und ggf. beweist, die für ein Überwiegen ihrer Interessen sprechen, was, wenn dies gelingt, die konkrete Darlegungs- und Beweislast wieder zum Bindungsgesellschafter wechseln lässt. Letztlich läuft dies auf die Regel hinaus: Jede Partei trägt die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlichen Umstände 674 BGHZ 140, 156, 158 f.; BGHZ 159, 1, 13; BGHZ 160, 308, 320; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, § 50 I (S. 202); Pohlmann, Zivilprozessrecht, § 8 II 3 a (S. 137 f.). 675 Vgl. auch BGHZ 103, 184, 196 (Linotype); BGHZ 142, 167, 171 (Hilgers). 676 Siehe K. Schmidt, in: GroßKomm/AktG, § 246 Rn. 82; Würthwein, in: Spindler/ Stilz, AktG, § 243 Rn. 246; für Darlegungs- und Beweislast außerhalb der Reichweite des Sachgrunderfordernisses auch Hüffer, in: FS Fleck, S. 151, 167; vgl. aber auch ders., in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 149 ff. 677 Siehe zutreffend Hüffer, in: FS Fleck, S. 151, 166; Bezzenberger, ZIP 2000, 1917, 1927. 678 A. Blomeyer, Gutachten 46. DJT, S. 18 f.; Maassen, Beweisprobleme, S. 15. 679 Prütting, Beweislast, S. 7 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 115 IV 3 (S. 652 f.) (konkrete Behauptungslast). 680 Prütting, Beweislast, S. 7 f.; Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 124. 681 Prütting, Beweislast, S. 7 f.; Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 124. 682 Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 124 f.; siehe auch Prütting, Beweislast, S. 9; vgl. zudem Motsch, in: GS Rödig, S. 334, 343 („hin- und herwandernde Beweislast“, „shifting burden“).
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der von ihr verfolgten Interessen sowie für die tatsächliche Basis derjenigen Wertungsgesichtspunkte, die im Rahmen der Abwägung zu ihren Gunsten ausfallen683. Die auf einzelne Rechtsnormen und Tatbestandsmerkmale zugeschnittene Normentheorie wäre so zu einer den offenen Abwägungscharakter berücksichtigenden Interessenabwägungstheorie ausgebaut. Seine Fortsetzung findet das Gesagte in einer Kategorie, die dem Umstand Rechnung tragen soll, dass im Rahmen der materiellen Beschlusskontrolle im Allgemeinen und der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle im Speziellen häufig weniger die tatsächlichen Verhältnisse als vielmehr deren rechtliche Bewertung in Streit stehen684. Auch in Bezug auf rechtliche Bewertungen ist es aber mit Riehm und entgegen der ganz herrschenden Meinung denkbar, dass der Richter einer bestimmten rechtlichen Bewertung weder positiv noch negativ gegenübersteht, dass er sich hinsichtlich einer bestimmten Wertung eine Überzeugung weder in die eine noch in die andere Richtung bilden kann685. Um auch in dieser Konstellation eine Sachentscheidung herbeizuführen, bedarf es der Kategorie der Wertungslast: Die Wertungslast beantwortet im Falle eines non liquet in rechtlichen Bewertungsfragen, zu wessen Lasten dieses non liquet geht686. Auch die Verteilung der Wertungslast richtet sich im Ausgangspunkt nach der Normentheorie687. Im Rahmen der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle liegt sie daher grundsätzlich beim Gesellschafter als Anfechtungskläger. Lässt sich also, um den allgemeinsten Anwendungsfall aufzugreifen, im Rahmen der Interessenabwägung weder ein Überwiegen der Interessen des Bindungsgesellschafters noch ein Überwiegen der Interessen der Gesellschaft bzw. Gesellschaftermehrheit zur richterlichen Überzeugung feststellen, so geht dies zu Lasten des klagenden Gesellschafters – die Anfechtungsklage ist abzuweisen. Anderes wird in Fortführung der entwickelten Gedanken auch hier zu gelten haben, wenn es sich um rechtliche Wertungen handelt, die im Rahmen der Interessenabwägung auf der Seite der Gesellschaft bzw. Gesellschaftermehrheit zu Buche schlagen.
683 Soweit der Anfechtungskläger dabei auf Informationen angewiesen bleibt, die sich in der Sphäre der Gesellschaft befinden, stehen ihm dabei die prozessualen Instrumente der Parteivernehmung (§ 445 ZPO), der Urkundsvorlage (§§ 421, 423, 428 ff. ZPO) zur Verfügung; auch kann das Gericht von sich aus die Vorlage von Urkunden anordnen (§ 142 ZPO); siehe zum Ganzen Bezzenberger, ZIP 2000, 1917, 1927. 684 Siehe etwa K. Schmidt, in: GroßKomm/AktG, § 246 Rn. 80: Schwergewicht bei der Rechtsfrage. 685 Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 114 ff. („entscheidungspsychologische Realität“); dort auch ausführliche Auseinandersetzung mit der gegenteiligen h. M., welche dies mit Blick auf den Grundsatz „iura novit curia“ und das Rechtsverweigerungsverbot nicht für möglich hält, vgl. Rosenberg, Beweislast, S. 9; Schumann, ZZP 81 (1968), 79 ff. 686 Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 122 ff., 128 ff., dort auch zu weiteren Funktionen. 687 Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 139 f.
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b) § 245 AktG: Anfechtungsbefugnis und treuepflichtgestützte Belastungskontrolle Die treuepflichtgestützte Belastungskontrolle kommt nur bestimmten Gesellschaftern zugute, nämlich dem nachteilig betroffenen und dissentierenden Bindungsgesellschafter; andere, nicht darunter fallende Gesellschafter können die treuepflichtgestützte Belastungskontrolle dagegen nicht zur Geltung bringen688. Die treuepflichtgestützte Belastungskontrolle kennzeichnet mit anderen Worten das Erfordernis einer besonderen individuellen Rechtsverletzung, einer ganz besonderen persönlichen Betroffenheit. Die vorliegende Konzeption hat daher mit einem Einwand zu rechnen, der aus einem zentralen Grundsatz des Anfechtungsrechts herrührt und lautet: Die Anfechtung eines Beschlusses setzt keine persönliche Betroffenheit des Anfechtungsklägers in subjektiven Rechten voraus, bedarf nicht der Darlegung einer individuellen Beschwer und kann selbst auf die Begründung gestützt werden, der Beschluss beeinträchtige einen Mitaktionär in seinen Rechten689. Zu diesem Grundsatz, so der zu erwartende Einwand, stehe die vorliegende Konzeption der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle konträr690. Da der gegen die treuepflichtgestützte Belastungskontrolle in Stellung gebrachte Grundsatz positivrechtlich der Vorschrift des § 245 Nr. 1 AktG zuzuordnen ist691, ist über die Tragfähigkeit des Einwandes durch Auslegung dieser Norm zu entscheiden. Im Rahmen der Wortlautauslegung kommt es zunächst darauf an, was mit dem Begriff der „Anfechtung“, zu dem der Gesetzgeber in § 245 AktG jeden Aktionär befugt, gemeint ist. Legt man hier das Begriffsver688 Hat der Bindungsgesellschafter dem Beschluss zugestimmt, so fehlt es bereits an einem materiell-rechtlichen Tatbestandsmerkmal der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle, siehe oben I. 1. c). Doch auch in der praktisch wohl selteneren Konstellation, dass der Bindungsgesellschafter den Beschluss abgelehnt hat, dann aber auf eine Klage verzichtet, wird man andere Nichtbindungsgesellschafter nicht für befugt halten können, die treuepflichtgestützte Belastungskontrolle zur Geltung zu bringen; denn bei dieser handelt es sich um ein Instrument des Individualschutzes, siehe unten § 15 A. 689 BGHZ 43, 261, 265 f. (zur GmbH); BGHZ 70, 117, 118 f. (Mannesmann); BGHZ 107, 296, 308 (Kochs/Adler); Hüffer, AktG, § 246 Rn. 9; Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 243 Rn. 2; K. Schmidt, in: GroßKomm/AktG, § 246 Rn. 60, alle m.w. N. 690 Gegen die der vorliegenden Konzeption ähnliche, allerdings auf den Bezugsrechtsausschluss beschränkte Konzeption von Martens (Martens, ZIP 1992, 1677, 1690) wurde dieser Einwand denn auch prompt erhoben, siehe Tröger, Treupflicht, S. 290 f. 691 Häufig wird bei Erörterungen dieses Grundsatzes neben § 245 Nr. 1 noch § 243 I AktG genannt und zitiert, siehe Baums, Gutachten 63. DJT, S. F 99; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 361. § 243 I AktG regelt aber lediglich und insofern noch völlig neutral, dass ein Beschluss anfechtbar ist, wenn er Gesetz oder Satzung verletzt. Erst § 245 AktG sagt etwas dazu, wer den Beschluss unter welchen individuellen Voraussetzungen anfechten kann. Die Anfechtungsklage des Aktionärs (vgl. dagegen § 245 Nr. 5 AktG) wird dabei von § 245 Nr. 1–3 AktG an keine besonderen materiell-individuellen Bedingungen gebunden. Zuordnungsnorm für den besagten Grundsatz ist daher primär § 245 AktG.
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ständnis des historischen Gesetzgebers des AktG 1965 zugrunde, lässt also Wortlaut- und genetische Auslegung im Sinne der subjektiven Auslegungstheorie zusammenlaufen692, so erweist sich der auf § 245 AktG gestützte Einwand gegen die treuepflichtgestützte Belastungskontrolle als nicht tragfähig. Denn der historische Gesetzgeber des AktG 1965 verstand unter „Anfechtung“ nur die Geltendmachung eines Beschlussmangels wegen der Verletzung konkreter Bestimmungen des Gesetzes oder der Satzung (§ 243 Abs. 1 AktG) sowie aufgrund der Verfolgung von Sondervorteilen (§ 243 Abs. 2 AktG)693. Diese „Anfechtung“ aber wird durch die vorliegende Konzeption nicht in Frage gestellt. Jeder Aktionär kann weiterhin jeden Beschluss mit der Begründung anfechten, er verstoße gegen – auch drittschütztende – gesetzliche oder satzungsmäßige Einzelnormen (§ 243 Abs. 1 AktG), oder es werden unzulässige Sondervorteile verfolgt (§ 243 Abs. 2 AktG, heute: treuepflichtgestützte Verhaltens- und Zweckkontrolle). Ein jeder Aktionär kann den Beschluss lediglich nicht mit der Begründung anfechten, seine nicht in einer konkreten Norm ausgeformte mitgliedschaftliche Rechtsstellung sei in schwerwiegender Weise beeinträchtigt, weshalb die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht eine belastungsbasierte und zu seinen Gunsten ausgehende richterliche Einzelfallabwägung gebiete. Einen solchen allgemeinen generalklauselbasierten mitgliedschaftlichen Rechtsschutz hatte der historische Gesetzgeber bei der Verwendung des Wortes „Anfechtung“ nicht vor Augen. Für die teleologische Auslegung ist entscheidend, worin man Sinn und Zweck einer nicht an das Erfordernis einer individuellen Beschwer geknüpften Anfechtungsbefugnis (§§ 243 Abs. 1, 245 AktG) erblickt. Neigt man einer institutionellen Deutung zu, betont man also die Funktion des Anfechtungsrechtes als Instrument zur objektiven Rechtskontrolle von Beschlüssen der Gesellschafterversammlung694, lässt sich ein Konflikt der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle mit dieser Zweckbestimmung kaum behaupten695. Denn diese institutionelle Funktion schielt auf die Verletzung konkreter Einzelnormen. Nur in dieser Hinsicht kann der klagende Aktionär als Wahrer der objektiven Rechtsordnung696 auftreten. Diese auf die Verletzung konkreter Einzelnormen gegründete Anfech692
Vgl. Wank, Auslegung, S. 46, 66 f. Vgl. Kropff, Aktiengesetz 1965, S. 329; die Rechtsentwicklung ist danach freilich dahin gegangen, dass auch die Verletzung von Generalklauseln § 243 I AktG zugeordnet wird, siehe nur Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 243 Rn. 17; jedenfalls für die Treuepflicht im Verhältnis der Gesellschafter untereinander erscheint dies aber zweifelhaft, vgl. oben § 12 A. 694 Siehe Becker, Verwaltungskontrolle, S. 71 ff.; Hüffer, AktG, § 245 Rn. 3; K. Schmidt, in: GroßKomm/AktG, § 245 Nr. 10; mit besonderem Nachdruck ders., Referat 63. DJT, S. O 15; vgl. auch Dörr, in: Spindler/Stilz, AktG, § 245 Rn. 6 (Doppelfunktion) sowie Eberspächer, Nichtigkeit, S. 82 f. 695 Vgl. auch Martens, ZIP 1992, 1677, 1690, der zusätzlich auf die Disponibilität abstellt; gegen ihn aber Tröger, Treupflicht, S. 290 ff. 696 K. Schmidt, in: GroßKomm/AktG, § 245 Rn. 10; ders., Referat 63. DJT, S. O 15. 693
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4. Teil: Eigene Konzeption
tung wird von der hier befürworteten Treuepflicht-Konzeption, wie eben geschildert, nicht eingeschränkt. Von der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle scheint weniger die institutionelle als vielmehr die individualrechtliche Funktion des Anfechtungsrechtes angesprochen. Auch auf diese Funktion des Anfechtungsrechtes vergisst man nicht hinzuweisen: Das Anfechtungsrecht sei auch ein Schutzrecht des einzelnen Aktionärs, mit dem dieser gesetzes- und satzungswidrige Beschlüsse der Gesellschafterversammlung abwehren könne697. Auch auf individualrechtlicher Grundlage lässt sich eine teleologische Divergenz mit der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle nicht begründen, im Gegenteil: Müsste nicht gerade individualrechtliches Denken zu je nach Gesellschaftertyp unterscheidenden individuellen Schutzinstrumenten nach Art der treuepflichtgestützte Belastungskontrolle führen?698 Vor allem aber ist die vorliegend entscheidende Frage nach der Reichweite des Individualschutzes eine Frage des materiellen Rechts, die vom Prozessrecht nicht determiniert wird. Dies führt zur gesetzlichen Systematik. Wie oben bei der systematischen Auseinandersetzung mit dem körperschaftlichen Rechtsfolgenargument dargetan, ist bei der Anwendung der §§ 241 ff. AktG streng zwischen dem in den §§ 241–244 AktG normierten materiellen Beschlussmängelrecht und dem in den §§ 244–249 AktG geregelten prozessualen Beschlussmängelrecht zu unterscheiden699. Der Grundsatz, dass die Anfechtungsklage keine individuelle Beschwer voraussetzt, ist dabei mit § 245 AktG eine Frucht des prozessualen Beschlussmängelrechts, dessen körperschaftliches und damit uniformistisches Gesellschafterleitbild Differenzierungen nach der jeweiligen individuellen Beschwer kaum zulässt700. Bei der Belastungskontrolle handelt es sich dagegen um einen materiell-rechtlichen Kontrollmaßstab, positivrechtlich an die materiell-rechtliche, individualistische Tatbestandsnorm des § 243 Abs. 2 AktG, dogmatisch an die Treuepflicht angebunden701. Dieser im materiellen Beschlussmängelrecht gefundene und entwickelte Kontrollmaßstab ist vom prozessualen Beschlussmängelrecht uneingeschränkt zu akzeptieren702. Dabei kann man ganz allgemein auf den Topos der lediglich „dienenden Funktion des Verfahrensrechts“ verweisen703, muss hierbei aber nicht einmal stehen bleiben. Denn, wie oben dargetan, ist die Trennung und Eigenständigkeit materiell-recht697 Siehe Dörr, in: Spindler/Stilz, AktG, § 245 Rn. 8; Zöllner, in: KölnKomm/AktG, § 243 Rn. 2; vgl. auch Eberspächer, Nichtigkeit, S. 83 ff. 698 Vgl. K. Schmidt, Referat 63. DJT, S. O 15: Der einem Aktionär gebührende individuelle Rechtsschutz ließe sich bei Publikumsgesellschaften durchaus auch nach dem Motto „Dulde und liquidiere!“ bewerkstelligen. 699 Oben § 12 A. I. 3. b). 700 Vgl. oben § 12 A. III. 1.; vgl. auch oben § 11 B. II. 2. b) bb). 701 Siehe oben § 12 A. II. 3., § 12 B. 702 Siehe auch Martens, ZIP 1992, 1677, 1690 (individuelle Betroffenheit als materiell-rechtliche Voraussetzung). 703 Vgl. auch Tröger, Treuepflicht, S. 263.
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licher und prozessualer Beschlussmängelregeln im positiven Recht (§§ 241 ff. AktG) angelegt, teleologisch fundiert und historisch abgesichert704. Angesichts dessen geht es fehl, einem materiell-rechtlichen Institut, der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle, prozessuale Grundsätze (§ 245 AktG, allgemeine Anfechtungsbefugnis) entgegenzuhalten bzw. genauer: Der Einwand, die treuepflichtgestützte Belastungskontrolle widerspreche dem Grundsatz der an keine individuell Beschwer geknüpften Anfechtungsbefugnis, trifft für sich genommen zwar zu, dieser Grundsatz aber kann sich nicht gegen das materiell-rechtlich begründete Ergebnis durchsetzen. § 245 AktG ist denn auch richtigerweise folgendermaßen zu lesen: „Zur Anfechtung nach Maßgabe des materiellen Beschlussmängelrechts ist befugt [. . .].“ Auf dieser Linie liegt es, wenn die wirtschaftsrechtliche Abteilung des 63. Deutschen Juristentages auf Basis der lex lata explizit dafür plädiert hat, die Anfechtungsklage generell an das Erfordernis einer allgemeinen individuellen Beschwer zu knüpfen705. Halten wir also fest: Aus dem im positiven Recht nicht zwingend festgeschriebenen Grundsatz der an keine individuelle Beschwer geknüpften Anfechtungsbefugnis lässt sich kein überzeugender Einwand gegen die vorliegende Konzeption, die diesen Grundsatz (ohnehin) nur für einen engen Teilbereich (= belastungsbasierte Treuepflichtkontrolle) aufgibt, formulieren. 2. Freigabeverfahren
Auch im praxisrelevanten Freigabeverfahren (§§ 246a AktG, 16 Abs. 3, 125, 198 Abs. 3 UmwG)706 können sich Fragen im Zusammenhang mit der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle stellen. Dabei ist zwischen den verschiedenen Freigabegründen zu unterscheiden. a) Freigabegrund der offensichtlichen Unbegründetheit Nach inzwischen herrschender Meinung kommt es für die offensichtliche Unbegründetheit (§ 246a Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 AktG, § 16 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 Alt. 2 UmwG) der Anfechtungsklage nicht auf die leichte Erkennbarkeit bei einer nur kursorischen Prüfung, sondern auf die Eindeutigkeit der Sach- und Rechtslage oder gleichbedeutend auf die Unvertretbarkeit einer anderen Beurteilung an707. 704
Oben § 12 A. I. 3. b). Siehe Beschluss Nr. 2, 63. DJT, abgedruckt in: Verhandlungen des 63. DJT, S. O. 220 f.; vorgeschlagen von Baums, Gutachten 63. DJT, S. F. 101 f.; zuvor bereits Zöllner, in: KölnKomm/AktG, § 245 Rn. 86; ders., in: Semler/Hommelhoff/Doralt/Druey, Reformbedarf, S. 147, 157. 706 Zum Freigabeverfahren bereits oben bei § 9 B. VI. 2. a), § 14 B. II. 1. Zur Frage der Anwendbarkeit des § 246a AktG im GmbH-Recht Fleischer, DB 2011, 2132 ff. 707 Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 246a Rn. 20; aus der umfangreichen Rechtsprechung etwa OLG Düsseldorf AG 2004, 207 f.; OLG Frankfurt AG 2008, 827; OLG Hamburg NZG 2005, 86; OLG Jena AG 2007, 31, 32; OLG Karlsruhe ZIP 2007, 270, 705
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4. Teil: Eigene Konzeption
Rechtsfragen hat das Freigabegericht dabei voll durchzuprüfen708. Hinsichtlich des Tatsachenstoffes ist eine Beweiserhebung dagegen nicht erforderlich, Glaubhaftmachung genügt (§ 246 Abs. 3 Satz 3 AktG, § 16 Abs. 3 Satz 6 UmwG). Für die treuepflichtgestützte Belastungskontrolle ergibt sich daraus Folgendes: Das Freigabegericht hat auf der Grundlage der unstrittigen oder glaubhaft gemachten Tatsachen zunächst festzustellen, ob der Tatbestand der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle erfüllt ist, mithin die identifikatorische Bindung eines dissentierenden und klagenden Gesellschafters zu „seiner“ Gesellschaft beeinträchtigt wird. Ist dies zu bejahen, unterliegt der Beschluss einem Angemessenheitsgebot bzw. Unangemessenheitsverbot, dessen Beachtung im Wege einer Einzelfallinteressenabwägung festzustellen ist. Aus der Schwierigkeit dieser Abwägungsprüfung und den dabei notwendigerweise zu treffenden Wertungen kann jedoch für das Freigabeverfahren nicht ohne Weiteres die fehlende Offensichtlichkeit der Unbegründetheit der Anfechtungsklage abgeleitet werden709. Der Freigabegrund der offensichtlichen Unbegründetheit ist mit anderen Worten nicht allein aufgrund des Eingreifens der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle zu verneinen. Aus dem eben skizzierten Prüfungsmaßstab folgt vielmehr, dass sich das Freigabegericht auf Basis des vorhandenen Tatsachenstoffes und im Rahmen der begrenzten Zeit (vgl. § 246a Abs. 3 Satz 6 AktG, § 16 Abs. 3 Satz 5 UmwG) eine (vorläufige) rechtliche Überzeugung hinsichtlich der Angemessenheit und der Frage zu bilden hat, ob die Interessen der Gesellschaft bzw. der Gesellschaftermehrheit oder die Interessen des Bindungsgesellschafters überwiegen. Lässt sich dabei mit Gewissheit kein Gesichtspunkt ausmachen, der den Interessen des Bindungsgesellschafters besonderes Gewicht verleiht, diese Interessen als überwiegend erscheinen lässt, kann der Freigabebeschluss auf die offensichtliche Unbegründetheit der Anfechtungsklage gestützt werden. Stehen die widerstreitenden Interessen dagegen gleich oder ist ein relevanter, zu Gunsten des Bindungsgesellschafters ausfallender Gesichtspunkt erkennbar oder denkbar, so kann die Anfechtungsklage nicht als offensichtlich unbegründet angesehen werden – der Freigabeantrag ist insoweit abzuweisen. Auch daher hat die Frage Bedeutung, ob die Gesellschaft noch mit einem anderen Freigabegrund durchdringen kann.
271; OLG Stuttgart AG 2004, 105, 106; aus der Literatur neben dem bereits genannten etwa Dörr, in: Spindler/Stilz, AktG, § 246a Rn. 25; Büchel, in: FG Happ, S. 1, 10; Riegger, FS Bechtold, S. 375, 380 f.; a. A. etwa OLG Stuttgart AG 1997, 138, 139; Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 246a Rn. 3. 708 Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 246a Rn. 22; deutlich auch Dörr, in: Spindler/ Stilz, AktG, § 246a Rn. 25. 709 Unzutreffend daher LG Darmstadt AG 2006, 127, 130, das im Rahmen der allgemeinen Treuepflichtkontrolle die Anfechtungsklage bereits deshalb als nicht offensichtlich unbegründet ansieht, weil die Beurteilung in erheblichem Maße von Wertungen und Abwägungen abhängig ist; zutreffend dagegen Hüffer, in: MünchKomm/AktG, § 246a Rn. 21; Riegger, in: FS Bechtold, S. 375, 381.
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b) Freigabegrund des vorrangigen Vollzugsinteresses der Gesellschaft Nach § 246 Abs. 2 Nr. 3 AktG, § 16 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 UmwG – neugefasst durch das Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG)710 – kann ein Freigabebeschluss auch dann ergehen, wenn das alsbaldige Wirksamwerden des Beschlusses vorrangig erscheint, weil die Nachteile für die Gesellschaft (= Antragssteller) bzw. Gesellschaftermehrheit nach freier Überzeugung des Gerichts die Nachteile für den Antragsgegner (= Anfechtungskläger) überwiegen, es sei denn, es liegt eine besondere Schwere des Rechtsverstoßes vor. Unter Letztere wird man die von der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle aufgegriffene Beeinträchtigung der identifikatorischen Bindung wohl eher nicht subsumieren können, denn dem Gesetzgeber schwebte dabei eine restriktive Linie vor711. Ob und wenn ja, wie die identifikatorische Bindung an die Gesellschaft bei der folglich ausschlaggebenden Interessenabwägung berücksichtigt werden kann, hängt am Verständnis der Formulierung „Nachteile für den Antragsgegner“, konkret: Sind hierunter nur vermögensrechtliche (gleichbedeutend: wirtschaftliche, finanzielle) Nachteile zu fassen oder ist der Begriff auch offen für das von der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle geschützte nicht vermögens-, sondern herrschaftsrechtliche Interesse im Sinne einer identifikatorischen Bindung an die Gesellschaft? Der Wortlaut steht einem erweiterten Verständnis nicht entgegen. „Nachteile“ können nach allgemeinem Wortverständnis vermögensrechtlicher und nicht vermögensrechtlicher Art sein712. Der Begriff „Nachteil“ erweist sich als Oberbegriff, der sowohl pekuniäre als auch nicht pekuniäre, hier also: identifikatorische Interessen einschließt. In systematischer Hinsicht kann man dafür zwar weniger auf das – allerdings auch vermögenskonzentrierte – AktG verweisen713, wohl aber auf das bürgerliche Recht, das unter dem allgemeinen Begriff des Schadens sowohl den Vermögens- als auch den Nichtvermögensschaden versteht (vgl. § 253 BGB)714. Gewichtige Argumente für eine über die vermögensrechtliche Komponente hinausgehende Interpretation des Nachteilsbegriffs steuert die teleologisch-funktionale Auslegung bei – jedenfalls, wenn man dieses Auslegungskriterium in einem weiten Sinne versteht und handhabt. Gesetzesanlass (causa im710
BGBl. 2009 I, S. 2749. Vgl. Rechtsausschuss, BT-Drucks. 16/13098, S. 42, insb. die dort genannten Bsp.; anderes kann gelten, wenn über und mit der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle besonders schwerwiegende Rechtsverstöße geltend gemacht werden, siehe zu dieser Möglichkeit oben Fn. 649 – dies zumal die Gesetzesbegründung (a. a. O.) Konstellationen anspricht, bei denen – wie dies bei der Beeinträchtigung der identifikatorischen Bindung der Fall ist – eine Kompensation durch Schadensersatz nicht möglich ist. 712 Siehe Kösters, WM 2000, 1921, 1926. 713 Vgl. oben bei B. II. 2. a) aa) (1) (a) (zum treuepflichtbasierten Sondervorteilsverbot). 714 Vgl. Grüneberg, in: Palandt, BGB, Vorb v § 249 Rn. 9. 711
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4. Teil: Eigene Konzeption
pulsiva) des Freigabeverfahrens im Allgemeinen und der Interessenabwägungsklausel im Besonderen war die Eindämmung missbräuchlicher Aktionärsklagen: Von Aktionären mit einer minimalen Beteiligungsquote und mit unlauteren Motiven erhobenen Anfechtungsklagen soll der Garaus gemacht werden715. Mit dem räuberischen Aktionär, dem die Norm den Kampf ansagt, hat der Bindungsgesellschafter aber wenig bis nichts gemein. Ihn kennzeichnet gerade ein besonderes Interesse an der Beteiligung an seiner Gesellschaft. Auch wird er regelmäßig über eine nicht unerhebliche Beteiligungsquote verfügen716. Die § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG, § 16 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 UmwG erfassen allerdings auch diesen Gesellschaftertypus und versagen ihm durch die endgültige Bestandskraft entfaltende Freigabeentscheidung (§ 246 Abs. 4 Satz 2 AktG, § 16 Abs. 3 Satz 10 Hs. 2 UmwG) jedweden Primärrechtsschutz. Diese in persönlicher Hinsicht überschießende Tendenz der Interessenabwägungsklausel legt eine Auslegung nahe, die zu den zu berücksichtigenden „Nachteilen für den Antragsgegner“ auch und gerade die nicht vermögensrechtlichen Interessen (= identifikatorisches Interesse an der Beteiligung) zählt. Im Grunde genommen ergibt die Norm erst bei einer solchen Auslegung einen rechten Sinn. Denn vermögensrechtliche Nachteile des Antragsgegners infolge der vorzeitigen Eintragung der Maßnahme sind in der Regel schwer auszumachen und darzulegen717, dies gerade auch deswegen, weil für den finanziellen Kompensationsschutz im Allgemeinen (vgl. §§ 255 Abs. 2, 304, 305 AktG)718 und beim Freigabeverfahren im Speziellen (vgl. §§ 246a Abs. 4 Satz 1 AktG, § 16 Abs. 3 Satz 10 Hs. 1 AktG) vom Gesetz bereits anderweitig hinreichend Vorsorge getroffen wurde719. Erst die Einbeziehung der nichtvermögensrechtlichen Nachteile gibt der Norm die von ihr vorausgesetzte und benötigte Interessenbasis und sorgt auf diese Weise für ihre funktionale Rechtfertigung. Bedenken gegen die befürwortete Auslegung des Nachteilsbegriffs scheinen sich sodann aber im Rahmen der historischen Auslegung zu ergeben. In den Gesetzesmaterialien zum ARUG ist nämlich die Rede davon, dass im Rahmen
715
Rechtsausschuss, BT-Drucks. 16/13098, S. 1. Vgl. oben C. I. 1. a) cc). 717 Vgl. zum freigaberechtlichen Schadensersatzanspruch Zöllner, in: FS H. P. Westermann, S. 1631, 1638 („kann Nullspiel sein“; bezifferbarer Vermögensnachteil nur bei hinreichend großem Aktienpaket); ebenso Dörr, in: Spindler/Stilz, AktG, § 246a Rn. 33. 718 Oben insb. B. II. 2. a). 719 Vgl. insoweit OLG Jena AG 2007, 31, 37, das eine auf die Abwägungsklausel gestützte Freigabe eines Bezugsrechtsausschluss mit der Begründung verfügte, ein etwaiger Verwässerungsschaden der Aktionäre werde durch die Differenzhaftung des Neuaktionärs ausgeglichen; in die gleiche Richtung (= Berücksichtigung des Schadensersatzes für den Fall der Begründetheit der Klage) Schwanna, in: Semler/Stengel, UmwG, § 16 Rn. 39; vgl. auch, wenngleich kritisch, was die Berücksichtigung von Kompensationsleistungen anbelangt, Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 246a Rn. 21. 716
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der Interessenabwägung die wirtschaftlichen Interessen des klagenden Aktionärs gegen die Unternehmensnachteile abzuwägen seien720. Doch dürfte dies nicht im Sinne einer Ausklammerung nicht wirtschaftlicher Interessen gemeint sein, trägt der Gesetzgeber doch zur Begründung für den wirtschaftlichen Abwägungsansatz vor: „[. . .] denn die Schwere des Rechtsverstoßes ist nicht mehr in die Interessenabwägung aufzunehmen, sondern ist außerhalb der Interessenabwägung zu berücksichtigen.“ 721 Es ging dem Gesetzgeber also nicht darum, einem streng vermögensrechtlichen Verständnis des Nachteilsbegriffs zum Durchbruch zu verhelfen, sondern um eine Klarstellung und Verlautbarung, dass anders als nach bisherigem Recht das abstrakt-normative Gewicht des gerügten Beschlussmangels bei der Interessenabwägung keine Rolle mehr spielt. Aus der Entstehungsgesichte der Interessenabwägungsklausel lässt sich daher auch kein zwingender Grund gegen eine sowohl vermögens- als auch nicht vermögensrechtliche Nachteile erfassende Interpretation der § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG, § 16 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 UmwG ableiten722. Auf der Grundlage dieses Verständnisses723 lässt sich hinsichtlich der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle Folgendes festhalten: Ist von dem streitgegenständlichen Beschluss ein dissentierender und klagender Bindungsgesellschafter betroffen, ist im Rahmen der § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG, § 16 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 UmwG dessen besonderes Interesse an der Beteiligung an „seiner“ Gesellschaft, das durch die Erteilung der Freigabe endgültig (vgl. § 246 Abs. 4 Satz 2 AktG, § 16 Abs. 3 Satz 10 Hs. 2 UmwG) und kompensationslos724 beeinträchtigt würde, gegen das Interesse der Gesellschaft an der vorzeitigen Eintragung abzuwägen. Eine auf die Interessenabwägungsklausel gestützte Stattgabe des Freigabeantrags wird durch diesen Abwägungsansatz nicht ausgeschlossen, doch steigen die Anforderungen an Quantität und Qualität der der Gesellschaft ohne die Freigabe drohenden wirtschaftlichen Nachteile.
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Rechtsausschuss, BT-Drucks. 16/13098, S. 42. Rechtsausschuss, BT-Drucks. 16/13098, S. 42. 722 Vgl. auch Rechtsausschuss, BT-Drucks. 16/13098, S. 42, wonach die Abwägung bei Aktionären mit geringer Beteiligung schwerlich zu deren Gunsten ausgehen wird; daraus lässt sich im Umkehrschluss folgern, dass den Interessen von Gesellschaftern mit einer höheren Beteiligungsquote und damit in der Regel auch des Bindungsgesellschafters bei der Abwägung ein verstärktes Gewicht einzuräumen ist. 723 Siehe auch Dörr, in: Spindler/Stilz, AktG, § 246a Rn. 33: „Als Aufschubinteresse sind die wirtschaftlichen Nachteile (. . .) sowie die Auswirkungen der Rechtsverletzung auf das Mitgliedschaftsrecht des Klägers in Abwägung einzustellen.“ (Hervorhebung nicht im Original). 724 Zur fehlenden Möglichkeit, eine Beeinträchtigung von Herrschaftsinteressen zu kompensieren, oben bei B. II. 2. b) bb) (2). 721
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4. Teil: Eigene Konzeption
§ 15 Systematik: Ergebnis/Zusammenfassung/Anschlussfragen Nachdem im vorstehenden Kapitel die treuepflichtgestützte Belastungskontrolle entwickelt, materiell-rechtlich ausgeformt und prozessual eingeordnet worden ist, kann und soll die Untersuchung nun mit einer systematischen Schlussbetrachtung zu Ende geführt werden.
A. Systematik des beschlussmängelrechtlichen Minderheitenschutzes Die eingangs skizzierte Systematik des beschlussmängelrechtlichen Minderheitenschutzes725 stellt sich mit der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle nun etwas verändert wie folgt dar: Der beschlussmängelrechtliche Minderheitenschutz nimmt seinen Anfang in der verfahrensrechtlichen Komponente, die ihren Niederschlag in den gesetzlichen Informations- und sonstigen Verfahrensrechten gefunden hat und prozessual im Wege der Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage durchgesetzt wird. Hinzu tritt die vermögensrechtliche Komponente in Form des beschriebenen institutionalisierten, semi-institutionalisierten und nicht institutionalisierten Vermögensschutzes726. Weiter lässt sich eine positivrechtliche Komponente ausmachen, deren Devise lautet: materieller Gesellschafterschutz durch zwingendes Recht. Dieses Instrument ist im GmbH-Recht (vgl. etwa § 51a Abs. 3 GmbHG), vor allem aber im Aktienrecht (vgl. § 23 Abs. 5 AktG) im Einsatz. Ein Beschluss, der zwingende gesetzliche Regeln verletzt, ist gem. § 241 Nr. 3 AktG (analog) nichtig. Aufgrund der eingeschränkten Reichweite der genannten Instrumente bedarf es – darüber besteht Einigkeit – einer weiteren Komponente727, der Komponente nämlich, die im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit stand: der materiellen Beschlusskontrolle. Auf Basis der vorliegenden Konzeption ist hier zwischen dem institutionellen und dem individuellen Minderheitenschutz zu unterscheiden. Der institutionelle Minderheitenschutz richtet den Blick auf den Entscheidungsträger und knüpft an dessen Pflichtenstellung an728, hier also an die (Treue-)Pflichten der Gesellschaftermehrheit. Im Rahmen der materiellen Beschlusskontrolle wird dieser institutionelle Minderheitenschutz durch den – allerdings formal-restriktiv zu handhabenden – Gleichbehandlungsgrundsatz und insbesondere die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht in Form der Verhaltens- und Zweckkontrolle bewerkstelligt. Da dadurch jedoch lediglich das (verfassungs-)rechtliche Mindestmaß (= Missbrauchsschutz) gewährleistet ist, be725
Oben § 3. Ausführlich oben § 14 B. II. 2. a) aa) (1) (a)–(c). 727 Näher mit den Nachweisen oben § 3. 728 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 I 3 b (S. 419); vgl. auch Martens, GmbHR 1984, 265, 266 ff. 726
§ 15 Systematik: Ergebnis/Zusammenfassung/Anschlussfragen
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darf es (vgl. das Gebot der Äquidistanz) – entsprechend dem neuen mehrstufigen Schutzkonzept des Personengesellschaftsrechts (institutioneller Minderheitenschutz durch den Bestimmtheitsgrundsatz, individueller Minderheitenschutz durch die Kernbereichslehre, materielle Beschlusskontrolle)729 – einer zusätzlichen individuellen Schutzrichtung, die auf den Entscheidungsunterworfenen und dessen Rechtsstellung fokussiert730. Sie tritt ihrerseits in zwei Ausprägungen in Erscheinung: zum einen subjektiv-rechtlich in Form individueller (vgl. § 180 AktG, § 50 Abs. 2, § 51 UmwG) oder kollektiver (vgl. §§ 141, 179 Abs. 3 AktG) Zustimmungserfordernisse, zum anderen personenbezogen-statusrechtlich in Form der hier konzipierten treuepflichtgestützten Belastungskontrolle als Instrument zum Schutz des Bindungsgesellschafters. Diese Zuordnung der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle als einer Unterform der materiellen Beschlusskontrolle zum individuellen Minderheiten- bzw. Gesellschafterschutz macht in dreierlei Hinsicht eine gedankliche Umorientierung notwendig: erstens dergestalt, dass individueller Minderheitenschutz nicht nur subjektiv-rechtlich, sondern auch personenbezogen-statusrechtlich gedacht werden kann, zweitens dahingehend, dass die Treuepflicht, die herkömmlicherweise allein mit dem institutionellen Minderheitenschutz in Verbindung gebracht wird731, auch im Rahmen des individuellen Gesellschafterschutzes eingesetzt werden kann, und schließlich drittens insofern, als ein Instrument des individuellen Minderheitenschutzes (= treuepflichtgestützte Belastungskontrolle) nicht wie sonst mit der allgemeinen Feststellungsklage732, sondern im Rahmen der aktienrechtlichen Anfechtungsklage durchgesetzt wird. Ein zwingender Grund gegen diese gedankliche Umorientierung lässt sich indes nicht ausmachen: Ob man rechtliche Institute subjektiv-rechtlich oder personenbezogen-statusrechtlich konzipiert, ist auch eine Frage der Sachgerechtigkeit; die Monopolisierung der Treuepflicht im institutionellen Minderheitenschutz ist vorwiegend dogmengeschichtlich begründet und heute nicht mehr aktuell733; und was schließlich die Durchsetzung des individuellen Schutzinstruments der treuepflichtgestützten Belastungskontrolle im Anfechtungsprozess anbelangt, so spiegelt sich darin lediglich die dienende Funktion des Verfahrensrechts wider734. 729 Siehe BGHZ 170, 283, 286 ff. (Otto); K. Schmidt, ZGR 2008, 1, 8 ff., 16 ff.; Heinrichs, Mehrheitsentscheidungen, S. 69 ff., 151 ff., 220 ff., zusf. 244 f. 730 Siehe zur individuellen Schutzrichtung Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 I 3 b (S. 419); vgl. auch Martens, GmbHR 1984, 265, 270 ff. 731 Vgl. Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 I 3 b (S. 418 f.), § 8 II 3 (S. 431 ff.); Martens, GmbHR 1984, 265, 266 ff.; dazu näher oben § 13 B. III. 2. b). 732 Beschlüsse, denen die erforderliche Zustimmung fehlt, sind unwirksam, was mit der allgemeinen Feststellungsklage gem. § 256 ZPO gerichtlich festgestellt werden kann. 733 Oben § 13 B. III. 2. b). 734 Zur Unabhängigkeit der aus dem materiellen Recht folgenden Ergebnisse vom prozessualen Beschlussmängelrecht siehe oben § 14 C. II. 1. b).
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4. Teil: Eigene Konzeption
B. Systematische Anschlussfragen I. Kapitalgesellschaftsrecht 1. Anfechtbarkeit von Entlastungsbeschlüssen
Nicht erörtert wurde in der vorliegenden Untersuchung die viel diskutierte Frage der Anfechtbarkeit von Entlastungsbeschlüssen. Diesbezüglich steht die inzwischen herrschende Meinung auf dem Standpunkt, dass ein Entlastungsbeschluss im Grundsatz dann anfechtbar ist, wenn die Verwaltung entlastet wird, obwohl ihr ein schwerwiegender Gesetzes- oder Satzungsverstoß anzulasten ist735. Auch diese Anfechtbarkeit wurde immer wieder mit der für die vorliegende Konzeption bedeutsamen gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht in Verbindung gebracht736. Der Sache nach läuft dies auf einen Verhaltensvorwurf (vgl. die treuepflichtgestützte Verhaltenskontrolle) hinaus, einer Verwaltung trotz gravierender Gesetzes- oder Satzungsverletzung Entlastung erteilt zu haben737. Dieser Ansatz bzw. Umweg über die Treuepflicht erscheint indes nicht recht überzeugend. Näher liegt insoweit eine positivgesetzlich-typusbezogene Begründung, die in der Debatte auch durchschimmert: So wie ein als „Kaufvertrag“ bezeichneter schuldrechtlicher Vertrag, der allerdings die unentgeltliche Übertragung einer Sache zum Gegenstand hat, kein Kaufvertrag im Sinne des BGB und daher auch nicht unter § 433 BGB zu subsumieren ist, so ist auch ein „Entlastungsbeschluss“, der – sofern man ihm mit der herrschenden Meinung generell eine solche Rechtmäßigkeitskomponente zuschreibt738 – einer rechtswidrig handelnden Verwaltung Entlastung erteilt, kein Entlastungsbeschluss im Sinne des § 120 AktG und daher gesetzeswidrig. Streng genommen ließe sich schon an der Kompetenz der Hauptversammlung für einen solchen Beschluss (vgl. § 119 Abs. 1 735 BGHZ 153, 47, 51 f. (Macrotron); BGHZ 160, 385, 388; aus der reichhaltigen obergerichtlichen Rspr. etwa OLG München AG 2008, 593, 595; aus dem Schrifttum Hofmann, in: Spindler/Stilz, AktG, § 120 Rn. 50 f.; Hüffer, AktG, § 120 Rn. 12; a. A. Kubis, in: MünchKomm/AktG, § 120 Rn. 47. 736 Siehe BGHZ 153, 47, 51; OLG Hamm ZIP 1993, 119, 121; besonders deutlich OLG Frankfurt AG 2007, 329, 330: „Nur dann [scil. im Falle der Deckung eines eindeutigen Rechtsverstoßes] läge nämlich eine Treuepflichtverletzung der Mehrheit gegenüber der Minderheit der Aktionäre vor, die einen Ermessensmissbrauch darstellen würde“; siehe auch K. Schmidt, NZG 2003, 601, 605; nur der Treuepflicht-Aspekt vermag auch das postulierte Erkennbarkeitserfordernis zu erklären, siehe erneut OLG Frankfurt AG 2007, 330. 737 Vgl. in diesem Zusammenhang Vollhard, in: Semler/Vollhard, Arbeitshandbuch Hauptversammlung, 1. Aufl. 1999, II C 4 sowie, darauf Bezug nehmend, BGHZ 153, 47, 51 (Macrotron) mit der die Anfechtbarkeit tragenden Erwägung, andernfalls könnte eine zur Billigung rechtsbrechenden Verhaltens entschlossene Mehrheit gegen den Widerstand einer gesetzes- oder satzungstreuen Minderheit eine Entlastung der Verwaltung erteilen. 738 BGHZ 153, 47, 50 ff. (Macrotron); OLG Köln ZIP 2010, 219; Hüffer, AktG, § 120 Rn. 12; a. A. Kubis, in: MünchKomm/AktG, § 120 Rn. 15; Lutter, NJW 1973, 113 f.
§ 15 Systematik: Ergebnis/Zusammenfassung/Anschlussfragen
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Nr. 3 AktG: „Die Hauptversammlung beschließt [. . .] über [. . .] die Entlastung [. . .].“) zweifeln739. 2. Rechtsschutz beim genehmigten Kapital
Die Besonderheit des genehmigten Kapitals (§§ 202 ff. AktG; vgl. für das GmbH-Recht § 55a GmbHG) besteht darin, dass hier nicht die Hauptversammlung, sondern der Vorstand für die Beeinträchtigung der mitgliedschaftlichen Rechtsstellung verantwortlich zeichnet. Dies gilt nicht nur dann, wenn der Vorstand selbst das Bezugsrecht ausschließt (§ 203 Abs. 2 AktG), sondern auch dann – weil erst durch die freie Entscheidung des Vorstands über die Inanspruchnahme des genehmigten Kapitals die mitgliedschaftsbeeinträchtigende Maßnahme realisiert wird –, wenn bereits die Hauptversammlung das Bezugsrecht ausgeschlossen hat (§ 203 Abs. 1 AktG)740. Aufgrund dieses Fehlens einer unmittelbaren Rechtsbeeinträchtigung durch einen Beschluss der Hauptversammlung ist dem Bundesgerichtshof beizupflichten, wenn er in der „Siemens/Nold“Entscheidung die Hauptversammlung beim Bezugsrechtsausschluss im Rahmen eines genehmigten Kapitals wieder weitgehend von materiellen Beschlussanforderungen freigestellt hat741. Bei dem vielschichtigen und im Einzelnen umstrittenen Thema „Rechtsschutz der Aktionäre beim genehmigten Kapital“ 742 geht es aufgrund der Eingriffsverantwortlichkeit des Vorstands vielmehr darum, rechtliche Maßstäbe für das Handeln des Vorstands zu entwickeln743. Dieser unterliegt vor allem einer organschaftlichen Bindung an das Gesellschaftsinteresse744. Dass die Diskussion um den Rechtsschutz der Aktionäre beim genehmigten Kapital neuerdings von der Formel des „(wohlverstandenen) Interesse[s] der Gesellschaft“ bzw. dem „Gesellschaftsinteresse“ dominiert wird745, bietet daher keinen Anlass zur Kritik, sondern entspricht den in der vorliegenden Arbeit herausgestellten dogmatisch-körperschaftlichen Zusammenhängen746. Unter systematischem Gesichtspunkt (= gleiche Anforderungen bei gleicher Belastung, unabhän739 Konsequenz dieses Gedankens wäre es, den Beschluss wegen einer Kompetenzüberschreitung der Hauptversammlung als nichtig anzusehen (vgl. Hüffer, AktG, § 241 Rn. 20 m.w. N.). 740 Vgl. Hüffer, AktG, § 202 Rn. 2 u. 20 sowie § 203 Rn. 21 u. 33. 741 BGHZ 136, 133, 136 ff. insb. 139 f. (Siemens/Nold) in Abkehr von BGHZ 83, 319 (Holzmann); dezidiert zustimmend etwa Bungert, NJW 1998, 488, 490 ff.; dezidiert ablehnend („Unglück“) Lutter, JZ 1998, 50 ff. 742 Vgl. Maslo, Interessenwahrung und Rechtsschutz der Aktionäre beim Bezugsrechtsausschluss im Rahmen des genehmigten Kapitals (2006); Stamatopoulos, Die Pflichtenstellung des Vorstands der Aktiengesellschaft und der Schutz der Aktionäre beim bezugsrechtsfreien genehmigten Kapital (2007). 743 Siehe Hüffer, AktG, § 203 Rn. 11a; vgl. BGHZ 136, 133, 139 ff. (Siemens/Nold). 744 Näher mit den Nachweisen oben § 12 A. III. 3. b) ee). 745 BGHZ 136, 133, 139 f. (Siemens/Nold). 746 Oben § 12 A. III. 3. b) ee).
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4. Teil: Eigene Konzeption
gig vom Eingriffssubjekt) spräche zwar einiges dafür, die hier entwickelten Kriterien auch auf das Vorstandshandeln zu übertragen, besondere Anforderungen also insbesondere dann zu stellen, wenn von der Vorstandsentscheidung ein Bindungsgesellschafter nachteilig betroffen ist. Doch bedarf dies der Anbindung an eine speziell die Verwaltung adressierende Rechtsgrundlage, generell der Abstimmung mit der Rechtsstellung des Leitungsorgans Vorstand747 und auch der Berücksichtigung des Rechtsschutzrahmens, in dem sich die Frage der Rechtmäßigkeit des Vorstandshandelns stellt748. Dies bedürfte einer gesonderten Untersuchung, die nicht wie die hiesige allein auf das Handeln der Gesellschafter fokussiert und materielle Erfordernisse dabei aus der den Gesellschaftern obliegenden und zwischen ihnen bestehenden Treuepflicht entwickelt. II. Personengesellschaftsrecht Wirkmächtig ist im Personengesellschaftsrecht die Vorstellung, der konkrete Mehrheitsbeschluss müsse sich in irgendeiner Weise auf den Vertragswillen jedes einzelnen Gesellschafters zurückführen lassen749. Davon ausgehend hat man materielle Erfordernisse mit dem Bestimmtheitsgrundsatz, der Kernbereichslehre, dem Belastungsverbot und insbesondere der zwischen den Gesellschaftern bestehenden Treuepflicht750 individualistisch konzipiert. Die gleiche dogmatische Konzeption bringt man auf der Rechtsfolgenseite zur Geltung, wenn man die Klärung der Beachtung dieser Erfordernisse grundsätzlich einem zwischen den Gesellschaftern auszutragenden Prozess auf Feststellung der Nichtigkeit bzw. Unwirksamkeit des Beschlusses zuweist751. Für die materielle Beschlusskontrolle des Kapitalgesellschaftsrechts hat sich dieser dogmatische Gleichlauf jedoch als unzutreffend erwiesen: Auf Tatbestandsseite gebührt einem individualistischen Konzept der Vorrang, auf der Rechtsfolgenseite dagegen hat das körperschaftliche Modell seine Berechtigung752. Könnte die Aufgabe des dogmatischen 747
Vgl. Stamatopoulos, Genehmigtes Kapital, S. 106 ff. m.w. N. Vgl. zum Rechtsschutzrahmen BGHZ 164, 241 u. BGHZ 164, 249 (Mangusta/ Commerzbank). 749 Vgl. etwa die „Theorie der antizipierten Zustimmung“ (Martens, DB 1973, 413, 415) als Herleitung des Bestimmtheitsgrundsatzes; selbst wenn man diesem Ansatz wie die heute h. M. (vgl. Heinrichs, Mehrheitsentscheidungen, S. 80 ff.) nicht folgt, bleibt die Vorstellung eines irgendwie gearteten Mitwirkungsaktes eines jeden Gesellschafters und damit individualistisches Gedankengut prädominant, siehe Schwab, Gesellschaftsinterne Streitigkeiten, S. 434. 750 Vgl. die Monographie von Heinrichs, Mehrheitsbeschlüsse bei Personengesellschaften – Bestimmtheitsgrundsatz, Kernbereichslehre und materielle Beschlusskontrolle unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses der Institute zueinander (2006). 751 BGHZ 81, 264, 265; BGH NJW 1993, 3113, 3114; Hopt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 109 Rn. 38 ff., § 119 Rn. 31 f.; Ulmer, in: Staub, HGB § 119 Rn. 78 ff. 752 Siehe oben § 12 A. I. 3. (zum Rechtsfolgenargument der körperschaftlichen Ansätze). 748
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Gleichklangs vielleicht auch für das Personengesellschaftsrecht die richtige Lösung sein? Dies würde bedeuten, es bei dem individualistischen Zuschnitt der Tatbestandsseite zu belassen, auf der Rechtsfolgenseite dann aber eine Anlehnung an das prozessuale Anfechtungsmodell der §§ 241–249 AktG vorzunehmen sowie etwa der Gesellschaft die Beklagtenrolle zuzuweisen und eine Inter-omnesWirkung des stattgebenden Anfechtungsurteils anzuerkennen. Diese Auffassung gewinnt an Boden753. III. Rechtspolitik: die große Reform des Beschlussmängelrechts Der Gesetzgeber hat das Beschlussmängelrecht in der vergangenen Dekade mehrmals (UMAG, ARUG) reformiert, von einer grundlegenden Reform des Beschlussmängelrechts jedoch abgesehen. Der beschrittene Weg, es beim großzügigen Anfechtungsrecht des Aktionärs zu belassen, dann aber in Form des Freigabeverfahrens drastische Einschränkungen vorzunehmen, ist im rechtswissenschaftlichen Schrifttum auf scharfe Kritik gestoßen und hat den Ruf nach einer Totalreform des Beschlussmängelrechts laut werden lassen754. Ob eine solche Reform geboten und notwendig ist, kann und soll hier nicht beurteilt werden – die hier vorgeschlagene einschränkende Auslegung der Interessenabwägungsklausel (§ 246a Abs. 2 Nr. 3, § 16 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 UmwG) würde die Unstimmigkeiten des Freigabeverfahrens, und damit den maßgeblichen Grund für den Ruf nach einer grundlegenden Reform, jedenfalls abmildern. Wichtiger ist im vorliegenden Kontext der Umstand, dass die für eine solche Reform im Schrifttum unterbreiteten konzeptionellen Vorschläge755 die im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit stehende Frage einer materiellen Beschlusskontrolle nicht unmittelbar behandeln. Ob man die Anfechtungsbefugnis generell an das Erfordernis einer individuellen Beschwer bindet756, von einem Mindestanteilsbesitz abhängig macht757 oder bezüglich der kassatorischen Wirkung eines stattgebenden Urteils stärker differenzieren möchte758, stets bleibt die davon unabhängige Frage zu beantworten, ob und wenn ja wann ein Anfechtungskläger, der die prozessuale759 Hürde der Anfechtungsbefugnis überwunden hat, verlangen kann, 753 Vgl. K. Schmidt, in: FS Stimpel, S. 217, 231 f.; ders., ZGR 2008, 1, 26 ff.; Becker, Verwaltungskontrolle, S. 520, 522; Enzinger, in: MünchKomm/HGB, § 119 Rn. 98 f., 105, 107 ff.; Schwab, Gesellschaftsinterne Streitigkeiten, S. 425 ff., zusf. 444. 754 Siehe nur Bayer, AG 2012, 141, 149 m.w. N. 755 Darstellung und Würdigung der verschiedenen Konzeptionen bei Habersack/Stilz, ZGR 2010, 710, 723 ff. 756 Dafür Baums, Gutachten 63. DJT, S. F. 101 f.; ihm folgend 63. DJT, Beschluss Nr. 2, abgedruckt in: Verhandlungen des 63. DJT, S. O. 220 f.; näher m.w. N. oben § 14 C. II. 1. b). 757 Hierfür etwa Bayer, Gutachten, 67. DJT, S. E 107; 67. DJT, Beschluss Nr. 14 u. 15, abgedruckt in: Verhandlungen des 67. DJT, S. N 105. 758 So im Kern die Vorschläge des AK Beschlussmängelrecht, AG 2008, 617 ff. 759 Siehe oben § 12 A. I. 3. b) sowie § 14 C. II. 1. b).
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4. Teil: Eigene Konzeption
dass ein Beschluss aufgrund der mit ihm verbundenen Belastung einer materiellen Beschlusskontrolle unterliegt. Diesbezüglich dürfte denn auch kaum mit einer gesetzlichen Regelung zu rechnen sein760. Sie kann dem Gesetzgeber auch nicht angeraten werden. Für den Fall, dass sich hier anderes ergeben sollte, sei zum Abschluss auf der Grundlage der vorliegenden Konzeption noch folgende klarstellende Regelung vorgeschlagen, welche die gebotene Trennung des materiellen vom prozessualen Beschlussmängelrecht durch eine nicht forensische Formulierung zum Ausdruck bringt und die gewonnenen systematischen und dogmatischen Einsichten abbildet: § 243 Anfechtungsgründe. (1) Ein Beschluss der Hauptversammlung ist anfechtbar, wenn er konkrete gesetzliche Bestimmungen oder die Satzung verletzt. (2) Die Anfechtung kann auch auf eine Verletzung der zwischen den Gesellschaftern bestehenden Treuepflicht gestützt werden.
760 Vgl. eine große Reform des Beschlussmängelrechts generell nicht in Aussicht stellend Seibert/Böttcher, ZIP 2012, 12, 15.
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Stichwortverzeichnis Aktiengesetz 1937 – Beschlussmängelrecht 229 ff. – Sondervorteilsverbot 41, 171 f. Anfechtungsklage – Anfechtungsbefugnis 226, 364 ff. – Beschlussmängelrecht siehe dort – Darlegungs- und Beweislast 360 f. – Funktion 365 f. – Sachgrunderfordernis 97 f. Auflösung – Gesellschaftsinteresse 118, 120 – Herrschaftsrechtlicher Eingriff 301, 304 – Sachgrunderfordernis 115 – Übertragende Auflösung 134, 260, 277, 256, 280, 286, 289 f. – Vermögensschutz 178, 282, 293 Ausübungskontrolle 141 f., 161 f., 189, 265 ff. Beherrschungs-/Gewinnabführungsvertrag – Herrschaftsrechtlicher Eingriff 301, 345, 349 – Mehrheitserfordernis GmbH-Recht 261 – Sachgrunderfordernis 62, 111 – Vermögensschutz 282, 284 f. Berichtspflichten – analoge Anwendung 289 – Bezugsrechtsausschluss 60 ff. – Kapital-RL 53 ff. Beschluss – Rechtsgeschäft 188 f. – Willenskategorie 73 f., 203, 237 ff. – Zustandekommen 201 f., 239
Beschlussmängelrecht – Historische Entwicklung 229 ff. – Reform 377 f. – Systematik 225 Beurteilungsspielraum – Gesellschaftsinteresse 243 f. – Sachgrunderfordernis 49 Bezugsrechtsausschluss – Durchführung der Beschlusskontrolle 357 f. – Erleichterter Bezugsrechtsausschluss 63 ff., 305, 316 ff. – Genehmigtes Kapital 97 f., 114 f., 375 – Gleichbehandlungsgrundsatz 211 f. – Herrschaftsrechtlicher Eingriff 46, 300, 348 f. – Historie 100 – Kali & Salz-Entscheidung 45 ff. – Kapital-Richtlinie 51 f. – Vermögensschutz durch § 255 Abs. 2 82 ff., 255 f., 283 Darlegungs- und Beweislast – Anfechtungsklage 360 f. – Missbrauchskontrolle 128 f. – Sachgrunderfordernis 47, 49 f., 156 f., 360 – Treuepflichtgestützte Belastungskontrolle 360 ff. Delisting – Sachgrunderfordernis 116 – Vermögensschutz 289 f., 307 Eingliederung – Herrschaftsrechtlicher Eingriff 299 f., 306 f., 318, 343, 349
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Stichwortverzeichnis
– Sachgrunderfordernis 112 – Vermögensschutz 284 f., 293, 306 f. Entlastungsbeschluss 374 f. Erleichterter Bezugsrechtsausschluss 63 ff., 305, 316 ff. Frankreich 207 f. Freigabeverfahren 154 ff., 273 f., 367 ff. Gebot der guten Sitten siehe Sittengebot Geschäftsführung – Business judgment rule 190 f., 249 f. – Gesellschaftsinteresse 246 ff. – Sachgrunderfordernis 30 – Verhaltenspflichten 277 f. Gesellschaftsinteresse – Beurteilungsspielraum 187, 243 f. – Funktionen 247 ff. – Gleichbehandlungsgrundsatz 204 ff. – Grundlagen 240 – Inhalt 186 f., 241 – Organtheorie 242 – Reichweite 118 ff., 186, 241 Gleichbehandlungsgrundsatz Gleichbehandlungsmodell 193 ff. – Körperschaftliche Konzeption 231 – Rechtsgrundlage der Beschlusskontrolle 42 f. Höchststimmrecht – Herrschaftsrechtlicher Eingriff 300, 350 – Sachgrunderfordernis 111 Holzmüller-Entscheidungen – Herrschaftsrechtlicher Eingriff 301, 347 – Sachgrunderfordernis 126 f. – Vermögensschutz 277 Inhaltskontrolle 125, 140 f., 189, 216 ff.
Juristische Person – Fiktions- und Verbandstheorie 221 Fn. 1 – Gleichbehandlungsgrundsatz 200 ff. – Körperschaftliche Konzeption 222 ff. – Organtheorie 242 – Rechtliche Selbstständigkeit 222 f. – Sachgrunderfordernis 69 ff. – Vertretertheorie 232 Kapitalherabsetzung – Gleichbehandlungsgrundsatz 193, 208 – Herrschaftsrechtlicher Eingriff 299 – Missbrauchskontrolle 257 – Sachgrunderfordernis 115 – Treuepflichtgestützte Belastungskontrolle 343 Kapitalmarktrecht – Eigenständigkeit 307 – Kapitalmarktrechtliche Konzeption 166 ff. – Sachgrunderfordernis 148 f. Kapital-Richtlinie – Berichtspflicht 53 ff. – Bezugsrecht 51 f. – Gleichbehandlungsgrundsatz 196 ff. Liquidation siehe Auflösung Mehrheitsprinzip – Grundlagen 33 ff. – Regel-Ausnahme-Verhältnis 129 ff. – Richtigkeitsgewähr 131, 216 ff., 353 Methodik – Abwägungsmodell 80 f., 158 f., 255, 258, 270 ff. – Begriff/Typus 331 – Interessenjurisprudenz 32, 271 – Objektive Auslegungstheorie 78 – Rechtsfortbildung 84 ff., 142 ff., 162 ff., 268 ff. – Regel-Ausnahme-Argumentation 76 ff. – Subjektive Auslegungstheorie 78
Stichwortverzeichnis
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– Vorrang des Spezialgesetzes 123 f. – Wertungsjurisprudenz 125 Minderheitenschutz – Individueller Minderheitenschutz 263 f., 372 f. – Institutioneller Minderheitenschutz 263 f., 372 f. – Systematik 36 ff., 372 f. Missbrauchskontrolle – Erscheinungsformen 255 ff. – Grundlagen 253 f. – Prüfungsmaßstab 113 – Regel-Ausnahme-Charakter 128 f.
– Rechtsgrundlage der Beschlusskontrolle 41 f. – Tatbestandsmerkmale 280 f. Squeeze-out – Herrschaftsrechtlicher Eingriff 299, 306 f., 318 f., 343 – Sachgrunderfordernis 116 – Vermögensschutz 284 f., 293, 306 f., 318 f. Steuerungsfunktion – Gesellschaftsinteresse 249 f. – Mehrheitsentscheidung 352 f. – Sachgrunderfordernis 98 f.
Organisationales Commitment 322 ff. Organtheorie 242
Treuepflicht – Anwendungsbereich 310 f. – Funktionen 247 ff., 253 f., 270 – Generalklausel 117 ff., 269 – Grundlage des Sachgrunderfordernisses 72, 74 ff., 117 ff., 151 ff. – Konkretisierungsfaktoren 314, 326, 328, 330 f., 337 – Methode der Konkretisierung 270 – Minderheitenschutz 263 ff., 372 f. – Rechtsgrundlage der Beschlusskontrolle 43 f. – Schadensersatzhaftung 233 – Zweckändernde Beschlüsse 117 ff.
Personalentscheidungen – Materielle Beschlusskontrolle 319 – Sachgrunderfordernis 30 – Treuepflichtgestützte Belastungskontrolle 350 f. Personengesellschaftsrecht – Beschlusskontrolle 376 f. – Einstimmigkeitsprinzip 33 Psychologie – Mehrheitsentscheidungen 131 ff. – Organisationales Commitment 322 ff. Rechtsfortbildung 84 ff., 142 ff., 162 ff., 268 ff. Rechtsvergleichung – Frankreich 207 f. – Schweiz 150 f. Schweiz 150 f. Sittengebot 40 f., 171 f., 193, 243 Sonderrechtstheorie 263 ff. Sondervorteilsverbot – Ausgleichsklausel 171 f., 262 f., 305 – Dogmatische Struktur 234 f. – Funktion 262
Übertragende Auflösung siehe Auflösung Verfassungsrecht – Beteiligungsquote 338 f. – Missbrauchsschutz 168 ff. – Sachgrunderfordernis 56 ff. – Treuepflichtgestützte Belastungskontrolle 319 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz – Gleichbehandlungsgrundsatz 196, 205, 210 f. – Grundlage 98 ff. – Sachgrunderfordernis 47, 49, 50
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Stichwortverzeichnis
– Treuepflichtgestützte Belastungskontrolle 354 mit Fn. 635 Verschmelzung – Herrschaftsrechtlicher Eingriff 300 f., 344 – Sachgrunderfordernis 62, 126 – Vermögensschutz 178, 283 ff., 293
Vertretertheorie 232 Vorstand – Business judgment rule 190 f., 249 f. – Gesellschaftsinteresse 246 ff. – Sachgrunderfordernis 30 – Verhaltenspflichten 277 f.