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German Pages [551] Year 2020
Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 432 Herausgegeben vom
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren: Holger Fleischer, Ralf Michaels und Reinhard Zimmermann
Andreas Sahner
Materialisierung der Rechtswahl im Internationalen Familienrecht Zur Bedeutung des Schwächerenschutzes im Europäischen Kollisionsrecht
Mohr Siebeck
Andreas Sahner, geboren 1987; Studium der Rechtswissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster; 2013 Erstes Juristisches Staatsexamen; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Deutsches und Internationales Familienrecht der Universität Münster; Referendar am LG Münster; 2018 Promotion; 2019 Zweites Juristisches Staatsexamen; seit August 2019 Richter in NRW.
D6. Zugl.: Münster (Westf.), Univ., Diss. der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, 2018. ISBN 978-3-16-158262-2 / eISBN 978-3-16-158263-9 DOI 10.1628/978-3-16-158263-9 ISSN 0720-1141 / eISSN 2568-7441 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden. Printed in Germany.
Meiner Mutter
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2017/18 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur wurden bis Januar 2019 systematisch berücksichtigt, vereinzelt noch darüber hinaus. Die im Text genannten Internetseiten wurden zuletzt am 1. Juli 2019 besucht. Zunächst möchte ich meiner Doktormutter, Frau Prof. Dr. Bettina Heiderhoff, danken. Sie hat nicht nur die Entstehung dieser Arbeit sorgfältig und kritisch betreut, sondern mir auch jederzeit hilfreiche Anregungen gegeben und mir alle Freiheiten in der Themenwahl gelassen. Ihr und dem gesamten Team des Lehrstuhls von 303a bis 355a danke ich zudem für die schönen Jahre gemeinsamer Arbeit. Herrn Prof. Dr. Heinrich Dörner danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens, sowie für seine Vorlesungen im Grundstudium, die mein Interesse am Bürgerlichen Recht und vor allem am IPR erst richtig geweckt haben. Prof. Dr. Ralf Michaels, Prof. Dr. Dr. h.c. Holger Fleischer und Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Reinhard Zimmermann danke ich für die freundliche Aufnahme dieser Arbeit in die Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts in Hamburg. Dem Institut und dem Verlag Mohr Siebeck danke ich zudem für die angenehme Zusammenarbeit bei der Drucklegung. Persönlichen Dank bin ich vielen Menschen schuldig. Die Nennung an dieser Stelle soll mich nicht von der Verantwortung entbinden, ihnen dies auch zu sagen. Einige seien trotzdem hier erwähnt. Ich danke Henning Böttcher, Matthias Grönniger, Jeanette Teschke, Simon Tönies und Katja Wemmer für das Korrekturlesen. Dr. Anne Gläßner danke ich für Unterstützung bei der Formatierung. Ganz besonderer Dank, längst nicht nur für die Arbeit, gebührt Rayk Ahrens und Theresa Otto. Danken möchte ich auch meinen Brüdern Thorsten und Michael Sahner. Schließlich wäre keine Seite dieses Buches möglich gewesen ohne die bedingungslose Unterstützung meiner Mutter Karin Sahner. Ihr danke ich schlicht für alles. Diese Arbeit widme ich ihr. Münster, im Juli 2019
Andreas Sahner
Inhaltsübersicht Vorwort ...................................................................................................... VII Inhaltsverzeichnis ........................................................................................ IX Abkürzungsverzeichnis .......................................................................... XXIV Einleitung ...................................................................................................... 1 Kapitel 1: Materialisierung, der Schutz schwächerer Parteien und ihre Bedeutung für das Kollisionsrecht ................................................................. 5 § 1 Materialisierung der Rechtsordnung ........................................................ 5 § 2 Parteiautonomie und der Schutz schwächerer Parteien............................90 Kapitel 2: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl .....................................158 § 3 Verbot der Rechtswahl .........................................................................158 § 4 Begrenzte Rechtswahlmöglichkeiten ....................................................165 § 5 Formvorschriften ..................................................................................238 § 6 Der materielle Vertragsschluss .............................................................266 Kapitel 3: Schwächerenschutz nach Vertragsschluss ..................................295 § 7 Ordre public und ähnliche Instrumente.................................................295 § 8 Wirksamkeitskontrolle der Rechtswahl im Europäischen Internationalen Familienrecht .....................................................................369 Gesamtergebnis: Zusammenfassung und Ausblick ......................................463 Entscheidungsregister .................................................................................473 Literaturverzeichnis ....................................................................................479 Sachregister ................................................................................................517
Inhaltsverzeichnis Vorwort ...................................................................................................... VII Inhaltsübersicht ........................................................................................... IX Abkürzungsverzeichnis .......................................................................... XXIV Einleitung ...................................................................................................... 1
Kapitel 1: Materialisierung, der Schutz schwächerer Parteien und ihre Bedeutung für das Kollisionsrecht .............................................. 5 § 1 Materialisierung der Rechtsordnung ....................................................... 5 A. Zum Begriff der Materialisierung ............................................................. 5 I. Materialisierung des IPR als neuer Topos .............................................. 5 II. Die verschiedenen Erklärungsansätze für die Materialisierung…………6 1. Formelles und materielles Recht und Materialisierung als Phänomen des Rechts ........................................................................................ 7 a) Vielfalt der Definitionen…………………………………………...7 b) Formelles Recht als Verfahrensrecht………………………………7 c) Formeller Vertragsschluss als äußerlicher Vorgang ...................... 8 d) Formelles Recht als Gleichbehandlung ......................................... 8 e) Formelles Recht und materielle Möglichkeit der Wahrnehmung .10 f) Formalität als Technik des Rechts ................................................10 g) Materielles Recht im Internationalen Privatrecht .........................11 h) Fazit ............................................................................................12 2. Materialisierung bei Max Weber ......................................................12 a) Idealtypen rationalen Rechts bei Weber .......................................12 b) Formelle und materielle Rationalität ...........................................13 c) Die soziologische Betrachtung der Materialisierung ....................15 3. Systemtheoretische Erklärung der Materialisierung .........................17 a) Autopoiesis des Rechtssystems und der Code des Rechtssystems.17 b) Entfremdung in der Begegnung mit anderen Systemen................20 c) Modernes Recht: die Entdeckung der Selbstreflexion ..................22 aa) Die Selbstreflexion des Bürgerlichen Rechts und die dialektische Falle ....................................................................................24
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(1) Legitimation durch Vertrag ...............................................24 (2) Negative Dialektik der Vertragsfreiheit. ............................26 bb) Fortgesetzte Reflexivität durch Materialisierung: die Responsivität des Rechts ...................................................28 4. Schlussfolgerung: Auswirkungen von Materialisierung auf die rechtlichen Operationen ..................................................................29 a) Materialisierung als Prozess ........................................................29 b) Wechselwirkung zwischen Materialisierung und Formalisierung.31 c) Herausforderung für die Methodik: die „Meuterei auf der Bounty“ ..........................................................33 d) Exkurs: Besondere Bedeutung der Grundrechte und Generalklauseln ...........................................................................34 aa) Bedeutung der Grundrechte ...................................................35 bb) Bedeutung der Generalklauseln .............................................35 e) Materialisierung als generelles Phänomen des Rechts .................36 B. Die Materialisierung des Internationalen Privatrechts ..............................37 I. Ideenentwicklung im deutschen IPR: Von der Formalisierung zu Selbstreflexion und Selbstbegrenzung..................................................37 1. Die kopernikanische Wende .............................................................38 a) Die Statutentheorie ab Bartolus ...................................................38 b) Kritik an der Statutentheorie........................................................41 c) Rekonstruktion des IPR durch Savigny........................................43 d) Kodifizierung des Internationalen Privatrechts im EGBGB .........46 2. Die „Entdeckung“ der Interessen im IPR durch Gerhard Kegel........48 3. Die Entdeckung der Grundrechte im IPR .........................................52 a) Die herrschende Meinung vor dem Spanier-Beschluss ................53 b) Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ...................54 c) Rezeption des Urteils……………………………………………..56 aa) Reaktionen aus der Wissenschaft ..........................................................................56 bb) Reform des IPR von 1986 .....................................................57 4. Weiterentwicklung der kollisionsrechtlichenTheoriediskussionen ...59 a) Weiterentwicklung der Interessenjurisprudenz im IPR ................59 b) Interessenjurisprudenz im IPR contra Interessenjurisprudenz .................................................................62 c) Die Bedeutung der kulturellen Identität für das IPR ....................64 II. Die Europäisierung des Kollisionsrechts und Neuerungen in der Idee des IPR ................................................................................................66 1. Primärrechtliche Grundlagen: ein neues IPR für Europa? ................67 a) Überblick.....................................................................................67 b) Die Kompetenz nach dem Amsterdamer Vertrag .........................68 aa) Binnenmarktbezug .................................................................68 bb) Erforderlichkeit der Maßnahme für den Binnenmarkt ...........69
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(1) Grundsätzliches ................................................................69 (2) Keine inhaltlichen Vorgaben für den Inhalt der Kollisionsnormen...............................................................70 c) Die Kompetenz nach dem Vertrag von Lissabon .........................71 d) Inhaltliche Vorgaben für das IPR aus dem AEUV? .....................71 aa) These .....................................................................................71 bb) Bedenken ..............................................................................72 2. Neue Argumentationstopoi ..............................................................75 a) Ökonomische Analyse des Internationalen Privatrechts ...............76 aa) Grundzüge .............................................................................76 bb) Kritik ....................................................................................79 (1) Rechtsökonomie als Paradigmenwechsel für Methodik und Kollisionsrecht ..........................................................79 (2) Übertragbarkeit auf das (Internationale) Familienrecht? ..80 b) „Materialisierung“ des Kollisionsrechts ......................................84 aa) These: Aufwertung des sachrechtlichen Einflusses ................84 bb) Zum Verhältnis von Kollisionsnorm und Sachrecht ..............85 cc) Zur Verteidigung der internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit ..........................................................................86 c) EIPR als politisches Kollisionsrecht ............................................89 § 2 Parteiautonomie und der Schutz schwächerer Parteien ..........................90 A. Materialisierung durch Parteiautonomie ..................................................91 I. Alte Konzepte der und Vorbehalte gegen die Parteiautonomie ..............91 II. Rekonstruktion der Parteiautonomie ....................................................95 1. Dogmatische Erklärung ....................................................................95 a) Das Bündelungsmodell ................................................................95 b) Dogmatische Analyse der Rechtswahl .........................................96 aa) Unbegrenzte Rechtswahl .......................................................96 bb) Begrenzte Rechtswahl ...........................................................96 2. Interessen bei der Rechtswahl im Internationalen Familienrecht ......97 a) Zur Anknüpfungsverlegenheit im modernen Kollisionsrecht.......98 aa) Defizite des Staatsangehörigkeitsprinzips ..............................98 bb) Defizite der Aufenthaltsanknüpfung ....................................102 cc) Anknüpfungspatt im Kollisionsrecht ...................................103 b) Weitere Gründe für die Rechtswahl ...........................................105 aa) Förderung der Rechtssicherheit ...........................................105 bb) Ökonomische Überlegungen ...............................................106 cc) Normative Absicherung durch Grundrechte.........................106 (1) Schutzbereich der Grundrechte .......................................106 (2) Grenzen der grundrechtlichen Argumentation .................107 III. Fazit: Bedeutung für Materialisierung ..............................................108
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B. Der Schwächerenschutz im Privatrecht ..................................................109 I. Kritik der Privatautonomie..................................................................110 1. Privatautonomie und Vertragsfreiheit von Kant bis zum BGB .......110 a) Vernunftrechtliche Begründung seit Kant ..................................110 b) Das Konzept in der Rechtswissenschaft ....................................112 2. Schwächen des Konzeptes .............................................................113 a) Kritik am Idealismus .................................................................113 b) Reaktionen der Rechtswissenschaften auf die Arbeiterfrage ......114 c) Gründe für das Scheitern einer ultraliberalen Auffassung ..........115 3. Antwort auf die Kritik: Neubegründung der Privatautonomie ........118 a) These und Antithese ..................................................................118 b) Synthese: die Richtigkeitsvermutung des Vertrags ....................120 II. Dogmatische Verankerung des Schutzes schwächerer Personen: konkrete Materialisierung ..................................................................125 1. Generalisierter Schwächerenschutz: Verbesserung der Vertragsabschlusssituation ............................................................125 2. Flexibler Schutz .............................................................................128 a) Alte Rechtslage .........................................................................129 b) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts .......................132 c) Umsetzung der Vorgaben durch den BGH .................................134 aa) Überlegungen in der Literatur..............................................134 bb) Rechtsprechung des BGH ...................................................135 3. Prinzip des Schwächerenschutzes im materiellen Recht – ein Fazit ..............................................................................................141 C. Schutz schwächerer Parteien im IPR? Herausforderung der Parteiautonomie .....................................................................................144 I. Die dialektische Falle im IPR .............................................................145 1. Die Parallelität von Sach- und Kollisionsrecht ...............................145 2. Bedürfnis im Internationalen Familienrecht ...................................146 II. Wer ist schwächere Person im Internationalen Familienrecht? Grundzüge des Schutzsystems ...........................................................151 1. Mögliche Defizite der Rechtswahl .................................................151 a) Das Informationsparadigma .......................................................152 b) Ausnutzung der Schwächesituation ...........................................152 2. Umsetzung im Kollisionsrecht .......................................................153 a) Bekämpfung des Informationsdefizits........................................153 b) Bekämpfung des Ausnutzens von Schwächesituationen ............154 aa) Keine Möglichkeit der Generalisierung ...............................154 bb) Kein Günstigkeitsvergleich .................................................155 cc) Flexibler Schutz im Einzelfall .............................................155 III. Fazit: doppelt-flexibles Recht...........................................................156
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Kapitel 2: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl ......................158 § 3 Verbot der Rechtswahl..........................................................................158 A. HUP.......................................................................................................158 I. Ausgeschlossene Rechtswahl für bestimmte Unterhaltsverpflichtungen nach Artikel 8 Abs. 3 HUP .......................158 1. Grundsätzliches..............................................................................158 2. Einzelfragen ...................................................................................159 a) Unterstützungsbedürftige Erwachsene .......................................159 b) Personen unter 18 Jahren ...........................................................160 aa) Grundsätzliches zur Form ....................................................160 bb) Wahl der lex fori .................................................................160 cc) Alternative: Günstigkeitsvergleich ......................................162 II. Geltung der lex fori für den Unterhaltsverzicht, Artikel 8 Abs. 4 HUP.162 B. EuPartGüVO-E ......................................................................................164 C. Schlussfolgerungen ................................................................................165 § 4 Begrenzte Rechtswahlmöglichkeiten .....................................................165 A. Allgemeines Konzept.............................................................................166 B. Zur Rom III-VO .....................................................................................168 I. Die Rechtswahlmöglichkeiten im Einzelnen .......................................169 1. Der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt zum Zeitpunkt der Rechtswahl ....................................................................................169 a) Grundsätzliches zum gewöhnlichen Aufenthalt .........................169 b) Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts .......................................171 aa) Klassischer Ansatz ..............................................................171 bb) Funktionale Auslegung .......................................................173 cc) Subjektive oder objektive Bestimmung? ..............................175 c) Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts für die Rechtswahl .............................................................................. .176 aa) Notwendigkeit einer funktionalen Auslegung ......................176 bb) Auslegung nach dem Ziel des Schwächerenschutzes? .........177 cc) Auslegung nach den Zielen der Rechtswahl.........................178 dd) Fazit für den Schwächerenschutz ........................................179 2. Letzter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt bei einseitigem Fortbestehen ..................................................................................180 3. Staatsangehörigkeit eines der Ehegatten.........................................182 a) Parteien mit mehreren Staatsangehörigkeiten ............................184 aa) Argumente für eine Zulässigkeit der Wahl jeder Staatsangehörigkeit auf europäischer Ebene.........................185 bb) Argumente für die Bestimmung der effektiven
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Staatsangehörigkeit ..............................................................187 (1) Nationale Lösung des Problems ......................................188 (2) Bedeutung der allgemeinen Grundsätze ..........................188 (3) Ausnahmen von der Effektivitätsprüfung ........................190 cc) Neukonzeption des Begriffs der effektiven Staatsangehörigkeit ..............................................................191 b) Flüchtlinge, Asylberechtigte, andere Migrationsformen und Staatenlose ................................................................................193 aa) Verschiedene Formen der Migration ....................................193 bb) Staatenlose ..........................................................................197 c) Staatsangehörigkeit und interlokales Privatrecht........................198 aa) Problemaufriss.....................................................................198 bb) Rechtfertigung mit internationalprivatrechlichen Interessen ............................................................................ .201 cc) Erklärung mit anderen Interessen ........................................202 dd) Einschränkung der Risiken ..................................................202 4. Die Wahl der lex fori......................................................................204 a) Rechtfertigung der Wahlmöglichkeit .........................................205 aa) Defizite der internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit .....205 bb) Interessen an der Anwendung der lex fori ...........................206 cc) Favor divortii durch Wahl des Rechts des Forums? .............209 b) Floating choice of law? .............................................................209 aa) Auslegung nach dem Wortlaut .............................................210 bb) Systematische Auslegung ....................................................211 cc) Teleologische Auslegung .....................................................212 II. Bewertung .........................................................................................214 C. Zum Haager Unterhaltsprotokoll ............................................................216 I. Vorbemerkungen ................................................................................216 II. Die Rechtswahlmöglichkeiten im Einzelnen ......................................216 1. Staatsangehörigkeit einer Partei .....................................................216 a) Mehrstaater................................................................................217 b) Staatenlose, Asylsuchende und Flüchtlinge ...............................218 c) Territoriale Rechtsspaltung ........................................................219 2. Gewöhnlicher Aufenthalt einer Partei ............................................219 3. Akzessorische subjektive Anknüpfungen im HUP .........................221 a) Grundsätzliche Argumente für die akzessorische Anknüpfung ..221 b) Probleme der Anknüpfung.........................................................223 4. Wahl der lex fori ............................................................................225 a) Die Lösung von Artikel 7 HUP..................................................225 b) Teleologische Einschränkung von Artikel 7 Abs. 2 HUP? .........227 III. Bewertung, Zusammenfassung der Ergebnisse und Vergleich mit Rom III-VO .................................................................229 D. Zu den EuGüVOen ................................................................................231
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I. Vorbemerkung ....................................................................................231 II. Wahl des Rechts des gewöhnlichen Aufenthalts ................................232 III. Wahl des Heimatrechts einer Partei ..................................................232 IV. Keine Wahl der lex fori und akzessorische Verweisungen ................233 1. Wahl der lex fori ............................................................................233 2. Akzessorische Anknüpfungen und Teilrechtswahl .........................234 3. Akzessorische Wahl an das Partnerschaftsbegründungsstatut.........236 E. Zusammenfassung der Ergebnisse ..........................................................236 § 5 Formvorschriften ..................................................................................238 A. Funktion der Formerfordernisse .............................................................238 I. Grundsätzliche Ziele ...........................................................................238 II. Formerfordernisse im IPR .................................................................239 1. Das Formstatut von Rechtsgeschäften ............................................239 2. Besonderheiten des Internationalen Familienrechts ........................241 3. Andere Interessenlage bei der Rechtswahl .....................................242 B. Formerfordernisse in den drei Rechtsakten des Europäischen Internationalen Familienrechts ...............................................................243 I. Zur Rom III-VO..................................................................................243 1. Die Formerfordernisse de lege lata ................................................243 a) Grundsatz ..................................................................................243 aa) Qualifizierte Schriftform .....................................................243 (1) Brüssel Ia-VO .................................................................243 (2) EuUnthVO ......................................................................244 (3) Rom III-VO ....................................................................245 bb) Elektronische Übermittlung ................................................245 cc) Rechtswahl im Prozess ........................................................248 (1) Problemstellung ..............................................................248 (2) Lösung de lege lata .........................................................250 (a) Praktische Relevanz der Fragestellung .......................250 (b) Zulässigkeit weitergehender Formvorschriften...........252 b) Kumulation mit anderen Formerfordernissen ............................253 2. Kritik und die Formerfordernisse de lege ferenda ..........................256 II. Zum HUP 2007 .................................................................................257 1. Die Formerfordernisse de lege lata ................................................257 a) Wahl nach Artikel 8 Abs. 1 HUP ...............................................257 b) Wahl nach Artikel 7 HUP ..........................................................258 c) Weitergehende Formvorschriften der Mitgliedstaaten ...............259 aa) Sinnhaftigkeit weitergehender Formvorschriften .................259 bb) Zulässigkeit nach der herrschenden Meinung ......................260 2. Kritik .............................................................................................261 III. Zu den Güterrechtsverordnungen .....................................................262
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1. Formvorschriften de lege lata ........................................................262 2. Kritische Betrachtung ....................................................................263 IV. Zusammenfassung ............................................................................265 § 6 Der materielle Vertragsschluss .............................................................266 A. Vorgaben der Kollisionsrechtsakte ........................................................266 I. Rom III-VO und die Güterrechts-VOen ..............................................267 1. Bestimmung des Rechtswahlstatuts................................................267 2. Autonome Vorgaben an die Rechtswahl.........................................271 a) Rechtswahl als „Vereinbarung“ .................................................271 aa) Die Vorgaben der Rom III-VO ............................................271 bb) Dogmatische Konsequenz und Bewertung ..........................272 b) Zulässigkeit der konkludenten Rechtswahl? ..............................273 aa) Konkludente Rechtswahl im Internationalen Familienrecht .274 (1) Möglichkeit einer konkludenten Erklärung in Schriftform ......................................................................274 (2) Gefahr einer Überstrapazierung der konkludenten Rechtswahl ......................................................................275 bb) Autonome Vorgabe oder Frage des Rechtswahlstatuts ........278 cc) Zulässigkeit der konkludenten Erklärung .............................279 3. Einwand der fehlenden Bindung ....................................................282 a) Hintergrund der Vorschrift und Anwendung .............................282 b) Anwendungsbereich im Familienrecht ......................................283 4. Fazit ...............................................................................................285 II. Haager Unterhaltsprotokoll................................................................285 1. Autonome Vorgaben ......................................................................285 2. Bestimmung des Rechtswahlstatuts................................................288 a) Grundsätzliche Anknüpfung ......................................................288 b) Einwand der fehlenden Bindung? ..............................................289 B. Schutz durch das Rechtswahlstatut ........................................................290 I. Umfang des Rechtswahlstatuts in den Europäischen Verordnungen ....290 II. Umfang des Rechtswahlstatuts beim Haager Unterhaltsprotokoll ......294
Kapitel 3: Schwächerenschutz nach Vertragsschluss ..................295 § 7 Ordre public und ähnliche Instrumente ................................................295 A. Ordre public ..........................................................................................295 I. Allgemeine Einordnung des ordre public ............................................295 1. Voraussetzungen des ordre public .................................................295 2. Rechtsfolgen des ordre public........................................................297
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3. Erste Schlussfolgerungen für die Untersuchung .............................300 II. Der ordre public im Europäischen Internationalen Familienrecht ......301 1. Der Tatbestand der Vorbehaltsklauseln in den einzelnen Rechtstexten. ..................................................................................301 a) Die verschiedenen Formulierungen der Vorbehaltsklausel.........301 aa) Rom III-VO und die Güterrechtsverordnungen ....................301 bb) HUP ....................................................................................302 b) Anwendung eines fremden Rechts .............................................302 c) Anwendung und konkretes Ergebnis ..........................................302 aa) HUP ....................................................................................303 bb) Rom III-VO und EuGüVOen ..............................................303 d) Verstoß gegen die öffentliche Ordnung des Forums ..................304 aa) Europäischer ordre public? ..................................................305 (1) Krombach ./. Bamberski ..................................................306 (2) Weiterentwicklung der Rechtsprechung ..........................308 (3) Herausbildung eines autonomen Instruments? Diskussion und Gesetzgebung .........................................310 (a) Reaktionen ..................................................................310 (b) Mehrdeutigkeit der Antwort ........................................312 bb) Grenzen des ordre public im Internationalen Familienrecht durch Europarecht, insb. Grundrechte ............313 (1) Grenzen durch sekundäres EU-Recht ..............................313 (2) Einfluss des EU-Primärrechts, insbesondere der Grundrechtecharta ............................................................314 (a) Ansatzpunkt in den Verordnungen ..............................315 (b) Weite und enge Auslegung des Begriffs der „Durchführung“ ..........................................................316 (c) Rechtsprechung des EuGH und des Bundesverfassungsgerichts .........................................316 (aa) Åkerberg Fransson und Pfleger ...........................316 (bb) Kontroverse um das Urteil ...................................318 (cc) Die Position des Bundesverfasungsgerichts..........320 (dd) Folgerechtsprechung des EuGH ...........................323 (ee) Fazit .....................................................................324 (d) Durchführung des EU-Rechts im Internationalen Familienrecht ..............................................................328 (aa) GRCh-Bindung auf den verschiedenen Stufen der Kollisionsrechtsanwendung ..............................328 (bb) EU-Grundrechte und ordre public .......................330 (e) Fazit ...........................................................................333 e) Intensität des Widerspruchs .......................................................336 f) Inlandsbezug ..............................................................................337 g) Folgen des Verstoßes ................................................................338
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aa) Allgemein ............................................................................338 bb) Besondere Möglichkeiten bei der Rechtswahl .....................340 III. Bewertung des ordre public als Instrument zum Schwächerenschutz ..........................................................................341 B. Artikel 10 Rom III-VO als neue Art der Vorbehaltsklausel ....................343 I. Entstehungsgeschichte von Artikel 10 Rom III-VO ............................344 II. Dogmatische Analyse von Artikel 10 Rom III-VO ............................347 1. Die Rechtsfolgen von Artikel 10 Rom III-VO ................................347 a) Ersatz des gesamten Statuts .......................................................348 b) Zwang .......................................................................................349 c) Ersatzrecht.................................................................................349 2. Artikel 10 Var. 1 Rom III-VO ........................................................350 a) Unscheidbarkeit der Ehe ............................................................350 b) Dogmatische Einordnung von Artikel 10 Var. 1 Rom III-VO ...352 3. Artikel 10 Var. 2 Rom III-VO ........................................................353 a) Gewährung gleichberechtigten Zugangs ....................................353 aa) Ungleichbehandlung im islamischen und jüdischen Recht ...353 bb) Bedeutung des Zugangs zur Scheidung ...............................357 b) Teleologische Reduktion? .........................................................360 aa) Gründe für eine teleologische Reduktion .............................360 bb) Argumente gegen die teleologische Reduktion ....................362 4. Kritik .............................................................................................366 § 8 Wirksamkeitskontrolle der Rechtswahl im Europäischen Internationalen Familienrecht ....................................................................369 A. Rechtswahlkontrolle nach Artikel 8 Abs. 5 HUP ...................................371 I. Unbilligkeit und Unangemessenheit der Rechtswahl ...........................371 1. Autonomer oder nationaler Bewertungsmaßstab? ..........................372 a) Unterschiedliche Ansätze in der Literatur ..................................372 b) Stellungnahme...........................................................................373 2. Der autonome Bewertungsmaßstab ................................................376 a) Funktion und Bedeutung von Artikel 14 HUP ...........................377 b) Unangemessenheit und Unbilligkeit des Ergebnisses ................379 aa) Die Extremfälle ...................................................................380 (1) Verlust des Anspruchs durch die Rechtswahl ..................380 (2) Entstehung des Anspruchs durch die Rechtswahl ............380 bb) Die übrigen Fälle: Abweichungen im Umfang des Anspruchs .............................................................................381 (1) Unbilligkeit und Unangemessenheit der Abweichung.....381 (2) Modalitäten der Unterhaltsgewährung ............................383 c) Offensichtlichkeit .....................................................................383 II. Spezifisches Verhandlungsdefizit: Mangelnde Informationen ...........385
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1. Funktionsweise und Bedeutung der Informationen.........................385 2. Umfang der Informationen .............................................................386 3. Wie wird sichergestellt, dass die Parteien alle Informationen erhalten? ........................................................................................387 a) Information, über die die Parteien selbst verfügen .....................388 b) Informationen durch spezielle Formvorschriften .......................389 c) Staatliche Informationen ............................................................390 aa) Behörden .............................................................................390 bb) Internet................................................................................391 (1) Website des EJN .............................................................391 (2) Andere internationale Websites ......................................393 (3) Nationale Webseiten .......................................................394 d) Rechtsberatung ..........................................................................394 aa) Notarielle Beratung nach deutschem Recht..........................395 bb) Anwaltliche Beratung..........................................................397 e) Fazit ..........................................................................................398 III. Rechtsfolgen ....................................................................................399 IV. Bewertung der Wirksamkeitskontrolle im HUP ...............................401 1. Grundsätzliche Bedeutung .............................................................401 2. Anwendungsbereich der Wirksamkeitskontrolle ............................402 a) Unbilligkeit des Ergebnisses ......................................................403 b) Schutz bei der Rechtswahl.........................................................404 aa) Artikel 7 Abs. 1 HUP ..........................................................404 bb) Artikel 7 Abs. 2 HUP ..........................................................404 3. Abstellen auf das Informationsdefizit.............................................405 a) Schutzlücken durch die Verengung ............................................405 b) Schwierigkeiten der Generalisierung .........................................406 c) Fazit ..........................................................................................409 B. Rechtswahlkontrolle im Anwendungsbereich der Rom III-VO ..............409 I. Sinn und Zweck einer Billigkeitskontrolle der Rechtswahl im Rahmen der Rom III-VO ...................................................................410 1. Meinungsbild in der Literatur ........................................................410 2. Eigene Stellungnahme....................................................................412 a) Zum Schutzniveau der Rom III-VO ...........................................412 b) Abwägung mit anderen Prinzipien der Rom III-VO ..................414 II. Zulässigkeit einer Rechtswahl in der Rom III-VO .............................416 1. Gebotenheit der Wirksamkeitskontrolle .........................................416 a) Nationale oder supranationale Ebene .........................................416 b) Begründung der Rechtswahlfreiheit durch Europäische Grundrechte ..............................................................................417 aa) Keine Verbürgung in Artikel 15, 16 GRCh ..........................417 bb) Artikel 7 und 9 GRCh .........................................................418 cc) Parteiautonomie als allgemeiner Rechtsgrundsatz des
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Unionsrechts .........................................................................420 c) Andere allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts .............421 aa) Der Schutz des Schwächeren als allgemeiner Rechtsgrundsatz ....................................................................422 bb) Solidaritätsgrundsatz ...........................................................423 cc) Verbot des Rechtsmissbrauchs/Sittenwidrigkeit ..................425 dd) Effektivitätsgrundsatz .........................................................426 2. Durchführung der Wirksamkeitskontrolle ......................................428 3. Dogmatische Begründung der Wirksamkeitskontrolle im Rechtswahlstatut............................................................................431 4. Autonome Kriterien der Rechtswahl ..............................................433 a) Ausgangspunkt: einseitig belastendes, unangemessenes Ergebnis ....................................................................................434 aa) Defizite der internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit .....435 (1) Probleme der Staatsangehörigkeitsanknüpfung ...............435 (a) Mehrfache Staatsangehörigkeit ..................................435 (b) Staatsangehörigkeit und territoriale Rechtsspaltung... 438 (2) Die Wahl der lex fori .......................................................438 bb) Gerechtigkeitsdefizite auf materiellrechtlicher Ebene .........441 (1) Das Leitbild vom favor divortii.......................................442 (2) Kriterium für die Unbilligkeit: radikale Anerkennung des Parteiwillens..............................................................444 (a) Unterschiede in zeitlicher Hinsicht, insb. Trennungsfristen.........................................................446 (b) Unterschiede in den Scheidungsgründen ....................447 cc) Fazit ....................................................................................448 b) Defizit der Willensbildung: das Informationsprinzip und weitergehende Konzepte ...........................................................449 aa) Informationsprinzip .............................................................450 (1) Begründung des Ansatzes ...............................................450 (2) Dogmatik ........................................................................451 (a) Umfang der Infortmationen ........................................451 (b) Informationsmöglichkeiten zum Scheidungsrecht ......452 bb) Weitere Defizite der Entscheidungsfreiheit .........................454 C. Rechtswahlkontrolle im Anwendungsbereich der Güterrechts-VOen .....455 I. Notwendigkeit und Zulässigkeit einer Wirksamkeitskontrolle ............455 II. Dogmatische Grundzüge der Wirksamkeitskontrolle .........................457 1. Offensichtlich unangemessenes und unbilliges Ergebnis ................457 2. Spezifisches Defizit der Parteiautonomie .......................................460 D. Fazit ......................................................................................................460
Gesamtergebnis: Zusammenfassung und Ausblick ......................463
Inhaltsverzeichnis
XXIII
Entscheidungsregister .................................................................................473 Literaturverzeichnis ....................................................................................479 Sachregister ................................................................................................517
Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. ABGB ABl. Abs. AcP AEUV a.F. AG AGB Anm. AöR Art. ARSP AsylG Az. BAG BayObLG Bd. BeckOK BeckOGK BerDtGevVR BeurkG BGB BGBl. BGH BGHZ Brüssel Ia-VO Brüssel IIa-VO BT-Drucks. BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE CC CDT CEFL ders. dies. DJT
andere Ansicht am angegebenen Ort Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch Amtsblatt Absatz Archiv für die civilistische Praxis Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Artikel (Einzahl oder Mehrzahl, je nach Zusammenhang) Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Asylgesetz Aktenzeichen Bundesarbeitsgericht Bayrisches Oberstes Landesgericht Band Beck’scher Online-Kommentar Beck’scher Online-Großkommentar Beratungen der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Beurkundungsgesetz Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Brüssel Ia-Verordnung Brüssel IIa-Verordnung Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Code civile/Codice civile/Codigo civil (je nach Zusammenhang) Cuadernos de Derecho Transnacional Commission on European Family Law derselbe dieselbe/dieselben (je nach Zusammenhang) Deutscher Juristentag
Abkürzungsverzeichnis DM DNotZ DÖV EF-Z EG EGV EGBGB EGMR EIPR EMRK endg. eng. EPL ERCL ERPL etc. EU EuEheGüVO EuErbVO EuGVÜ Eur. J. Migr. L EuGH EuGRZ EuLF EuPartGüVO EuUnthVO EUV EuZW EVÜ EWG f. FamFG FamRZ ff. FF Fn. FPR fr. FRF FS FuR GFK GG GPR
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Deutsche Mark Deutsche Notar-Zeitschrift Die Öffentliche Verwaltung Zeitschrift für Familien- und Erbrecht Europäische Gemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Europäischer Gerichtshof Europäisches Internationales Privatrecht Europäische Menschenrechtskonvention endgültig englisch European Public Law European Review of Contract Law European Review of Private Law et cetera Europäische Union Europäische Ehegüterrechtsverordnung Europäische Erbrechtsverordnung Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen European Journal of Migration and Law Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechte-Zeitschrift European Law Forum Europäische Partnerschaftsgüterrechtsverordnung Europäische Unterhaltsverordnung Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft folgende (nur die nächste Seite/nur die nächste Vorschrift; je nach Zusammenhang) Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Zeitschrift für das gesamte Familienrecht folgende (eine unbestimmte Vielzahl von Seiten/Vorschriften; je nach Zusammenhang) Forum Familienrecht Fußnote Familie Partnerschaft Recht französisch französische Francs Festschrift Familie und Recht Genfer Flüchtlingskonvention Grundgesetz Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht, seit 2/13 Zeitschrift für das Privatrecht der Europäischen Union
XXVI GRCh HbStR HK HKK h.M. Hrsg. HS. HUP HUÜ IPR IPRax IPRspr. ital. IZVR JbItalR JbZivRWiss JPIL Jura jurisPK JuS JZ Kap. KG KritV KSÜ LA LG lit. LPartG m. MDR m.E. MittBayNot Mot. m.w.N. NBW n.F. NJW NJW-RR NVwZ NZA NZFam ÖJZ OLG OR PACS PECL RabelsZ
Abkürzungsverzeichnis Europäische Grundrechtecharta Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Handkommentar Historisch-kritischer Kommentar herrschende Meinung Herausgeber Halbsatz Haager Unterhaltsprotokoll Haager Unterhaltsübereinkommen Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des Internationalen Privatrechts italienisch Internationales Zivilverfahrensrecht Jahrbuch für Italienisches Recht Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler Journal of Private International Law Juristische Ausbildung juris-Praxiskommentar Juristische Schulung Juristenzeitung Kapitel Kammergericht Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtsprechung Haager Übereinkommen über den Schutz von Kindern Liber Amicorum Landgericht litera, literae, Buchstabe, Buchstaben (je nach Zusammenhang) Lebenspartnerschaftsgesetz mit Monatsschrift für Deutsches Recht meines Erachtens Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins Motive mit weiteren Nachweisen Nieuw Burgerlijk Wetboek neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungs-Report Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Familienrecht Österreichische Juristenzeitung Oberlandesgericht Obligationenrecht Pacte Civile de Solidarité Principles of European Contract Law Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationals Privatrecht
Abkürzungsverzeichnis RCDIP R.E.D.I. RG RGZ RIW Rn. Rom I-VO Rom II-VO Rom III-VO Rs. S. Slg. span. StAZ u. UAbs. UN usw. VersAusglG vgl. VO WM YbPIL ZEuP ZEuS ZfA ZfRV ZGB ZIP ZPO ZRG GA ZVglRWiss
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Revue critique de droit international privé Revista Española de Derecho Internacional Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der Internationalen Wirtschaft Randnummer Rom I-Verordnung Rom II-Verordnung Rom III-Verordnung Rechtssache Seite/Satz/Seiten (je nach Zusammenhang) Sammlung spanisch Das Standesamt unten Unterabsatz Vereinte Nationen und so weiter Versorgungsausgleichsgesetz vergleiche Verordnung Wirtschafts- und Bankrecht Yearbook of Private International Law Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Europarechtliche Studien Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Rechtsvergleichung, seit 1991 Zeitschrift für Europarecht, internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung Zivilgesetzbuch Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zivilprozessordnung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte: Germanistische Abteilung Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft
Einleitung Die Europäische Union treibt die Kollisionsrechtsvereinheitlichung der Mitgliedstaaten weiter voran. Nach den Erfolgen der Verordnungen Rom I und II hat sie sich, neben dem Erbrecht, vor allem dem Familienrecht gewidmet.1 Mittlerweile liegt eine doch beeindruckende Anzahl von europäischen Rechtsakten auf dem Gebiet des IPR und des IZVR vor. Der Eindruck wird jedoch getrübt, wenn man bedenkt, dass die meisten dieser Normen nicht in allen Mitgliedstaaten gelten. Im Gegensatz zu den Rom I und II-VOen bedürfen Maßnahmen zum Familienrecht mit grenzüberschreitendem Bezug gemäß Artikel 81 Abs. 3 AEUV eines einstimmigen Beschlusses des Rates. Die Verordnungen zum Internationalen Familienrecht konnten nicht alle diese Einstimmigkeit erreichen und mussten daher von engagierten Mitgliedstaaten im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit nach Artikel 20 EUV und 326 ff. AEUV verabschiedet werden.2 Dieser Befund stimmt nachdenklich. Bei der Kollisionsrechtsvereinheitlichung des Familienrechts scheint die europäische Integration an ihre Grenzen zu stoßen. Überlegt man, woran das liegen könnte, kann man es sich leichtmachen und allein politische Gründe anführen. In Zeiten von Finanz- und Wirtschaftskrisen, des Brexits und des Wiedererstarkens nationalistischer Bewegungen mag es sicherlich schwieriger sein, Begeisterung für eine Rechtsvereinheitlichung zu wecken. Eine besondere Rolle mag dabei spielen, dass das Gebiet des Familienrechts in den nationalen Rechtsordnungen eine Sonderstellung einnimmt. Kein Rechtsbereich ist so sehr geprägt von Traditionen, kulturellen Werten, nationalen Vorstellungen vom „richtigen“ Familienleben und gleichzeitig Gegenstand von heftigen Kontroversen um Leitbilder oder neue Formen intimen Zusammenlebens. Wo sich selbst in nationalen Diskussionen nur mühsam Mehrheiten finden lassen, scheint es nicht verwunderlich, dass sich auf einer europäischen Ebene keine Einstimmigkeit finden lässt. Ob dieser Befund richtig ist, mag dahingestellt bleiben. Die Rechtswissenschaft sollte sich zumindest nicht darauf verlassen. Sie kann vielmehr das Scheitern der ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zum Anlass nehmen, um sich kritisch zu den Rechtstexten zu positionieren. Solange ein Scheitern der Rechtsvereinheitlichung an den politischen Gegebenheiten nicht feststeht, 1 2
Vgl. die Darstellung der Entwicklung bei Heiderhoff, IPRax 2017, 160 ff. Vgl. Erwägungsgrund (7) der Rom III-VO; Erwägungsgrund (10) EuEheGüVO.
2
Einleitung
bleibt immer noch die Möglichkeit, dass das Gesetzgebungsverfahren an der Qualität dieses neuen Internationalen Privatrechts gescheitert ist. Ausführliche Analysen zum Europäischen IPR, seinem Verhältnis zum traditionellen, mitgliedstaatlichen IPR und seinem theoretischen Fundament fehlen noch. Dieses Buch soll einen kleinen Teil dieser Lücke schließen. Es möchte einen Teil des Europäischen Internationalen Familienrechts näher beleuchten. Vorweggenommen werden muss dabei, was in diesem Rahmen unter Europäischem IPR des Familienrechts genau verstanden wird. Nicht Gegenstand der Betrachtung ist der Bereich des Internationalen Zivilverfahrensrecht. Die Brüssel IIa-VO3 und die EuUnthVO4 bleiben somit außen vor. Bei einer Beschränkung auf das Kollisionsrecht stehen natürlich die Verordnungen selbst im Mittelpunkt, allen voran die Rom III-VO über das auf die Scheidung anwendbare Recht.5 Aber auch die noch relativ jungen Verordnungen zum anwendbaren Recht für vermögensrechtliche Beziehungen zwischen Eheleuten (EuEheGüVO)6 und in eingetragenen Partnerschaften (EuPartGüVO)7 zählen dazu. Diese Verordnungen gelten seit dem 29. Januar 2019 (vgl. Artikel 70 Abs. 2 UAbs. 2 EuEheGüVO/EuPartGüVO). Zum Europäischen Kollisionsrecht wird hier ferner das Haager Unterhaltsprotokoll8 (HUP) gezählt. Dies bedarf einer kurzen Begründung. Urheber dieses Protokolls ist, wie es der Name schon sagt, die Haager Konferenz für Internationales Privatrecht. Es handelt sich beim HUP um einen eigenständigen völkerrechtlichen Vertrag, der nicht nur den Mitgliedstaaten vorbehalten ist,
3 Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000, ABl. EU 2003 L 338, S. 1. 4 Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen, ABl. EU 2009 L 7, S. 1. 5 Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates vom 20. Dezember 2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts, ABl. EU 2010 L 343, S. 10. 6 Verordnung (EU) Nr. 2016/1103 des Rates vom 24. Juni 2016 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterstands, ABl. EU 2016 L 183, S. 1. 7 Verordnung (EU) Nr. 2016/1104 des Rates vom 24. Juni 2016 zur Durchführung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen güterrechtlicher Wirkungen eingetragener Partnerschaften, ABl. EU 2016 L 183, S. 30. 8 Haager Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 23. November 2007, ABl. EU 2009 L 331, S. 19.
Einleitung
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sondern auch anderen Staaten zur Zeichnung offensteht.9 Er weist jedoch eine Besonderheit auf: Erstes Mitglied des Unterhaltsprotokolls war die Europäische Union selbst. Ermöglicht wurde dies durch Artikel 24 HUP, der Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration den Beitritt erlaubte. Bei dieser Vorschrift wurde selbstverständlich genau an die Europäische Union gedacht. Man wollte eine Konkurrenz von Unterhaltsprotokoll und einer damals ebenfalls im Planungsstand befindlichen Europäischen Unterhaltsverordnung vermeiden und fand einen Kompromiss: Die Haager Konferenz verfolgt den Plan des HUP weiter, während die EU in ihrer Unterhaltsverordnung das Kollisionsrecht bis auf einen Verweis auf das HUP einsparen sollte, dafür aber direkt am HUP teilnehmen durfte.10 Artikel 15 EuUnthVO ordnet daher an, dass sich das anwendbare Recht für Unterhaltspflichten nach dem Haager Unterhaltsprotokoll bestimmt. Dadurch konnten die Regeln des HUP bereits angewandt werden, bevor das Protokoll völkerrechtlich überhaupt in Kraft getreten war. Auch wenn das Protokoll somit zwar aus einer anderen Quelle stammt, hat die Union es durch die Beitrittserklärung und den Verweis in Artikel 15 EuUnthVO zum Teil des Europäischen Kollisionsrechts gemacht. Mag die unterschiedliche Urheberschaft auch zu Spannungen mit dem restlichen Kollisionsrecht führen, so sind diese auszuhalten und gegebenenfalls sogar nutzbar zu machen anstatt zu ignorieren. Diese vier Rechtstexte bestimmen fast vollständig das gesamte Internationale Eherecht (und im Falle des HUP noch weitere Bereiche). Sie zeichnen sich durch viele Besonderheiten aus, die im Vergleich zum traditionellen Kollisionsrecht neuartig erscheinen mögen. Ein Aspekt sei für diese Arbeit herausgegriffen: Alle Texte stellen die Parteiautonomie an erste Stelle. Eine Rechtswahlvereinbarung soll grundsätzlich Vorrang vor jeder objektiven Anknüpfung haben. Diese Arbeit unternimmt den Versuch, die Regeln zur Parteiautonomie kritisch zu untersuchen, und zwar hinsichtlich der Frage, ob sie geeignet sind, einen Schutz schwächerer Parteien vor den Risiken einer verantwortungsbewussten Rechtswahl sicherzustellen. Weitere Rechtstexte völkerrechtlichen oder europarechtlichen Ursprungs werden nicht in Betracht genommen. Es gibt keine weiteren europäischen Rechtsakte, die die Rechtswahl in den Mittelpunkt der Anknüpfung stellen. Zwar tut dies auch die Erbrechtsverordnung11, vgl. deren Artikel 22. Es handelt sich hierbei jedoch um eine einseitige Rechtswahl. In dieser Konstellation
9
Bonomi, YbPIL 10 (2008), 333, 336. Zur Entstehungsgeschichte nur Andrae, GPR 2010, 196 ff. 11 Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, ABl. EU 2012 L 201, S. 107. 10
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Einleitung
muss Schwächerenschutz etwas ganz anderes bedeuten, als wenn sich zwei Private gegenüberstehen und nur gemeinsam eine Rechtswahl treffen können. Der dogmatischen Analyse des Schwächerenschutzes bei der Rechtswahl im Europäischen Familienrecht widmen sich der zweite und der dritte Teil. Im ersten Teil der Arbeit werden die theoretischen Grundlagen der Untersuchung gelegt. Schwächerenschutz ist eines der wichtigsten Schlagwörter im aktuellen privatrechtlichen Diskurs. Dabei wird allerdings selten ausgeführt, was das Wort überhaupt bedeutet. Es wird offensichtlich vorausgesetzt, dass es ein Einvernehmen gibt, was Schwächerenschutz bedeutet, wer also die schützenswerten Personen sind und wie diese zu schützen sind. Dieses Konzept kann nur aus dem Bürgerlichen Recht übernommen worden sein. Daher sind zwei Dinge zu untersuchen: Was besagt das Prinzip des Schwächerenschutzes im Bürgerlichen Recht und lässt sich dieses Konzept auf das Internationale Privatrecht so unproblematisch übertragen? Bei der dogmatischen Analyse muss daher auch nicht jeder Einzelfrage nachgegangen werden. Es soll eher darum gehen, anhand einzelner Instrumente zu zeigen, wie der Schwächerenschutz verwirklicht wird, und durch die Konzentration auf besondere Detailprobleme zu untersuchen, ob die Umsetzung gelungen ist. Vorausgeschickt sei jedoch zu einer anderen Frage Stellung genommen. Im Bürgerlichen Recht wird Schwächerenschutz als ein Sonderfall der Materialisierung des Privatrechts begriffen. Dieser Begriff ist nicht weniger unklar als der des Schwächerenschutzes. Er sorgt sogar für noch mehr Verwirrung, da er im IPR eine ganz spezielle Bedeutung angenommen hat, die sich nicht mit der Bedeutung des Begriffs im Bürgerlichen Recht vereinbaren lässt. Der theoretische Teil der Arbeit ist eine Gelegenheit, auch zu diesem Problem Stellung zu nehmen und den Begriff der Materialisierung, wie er am Beispiel des Schwächerenschutzes Verwendung findet, zu klären. Diese Ausführungen verfolgen zwei Ziele. Die Frage, ob Schwächerenschutz eine Aufgabe des IPR ist, dürfte einfacher zu bejahen sein, wenn nachgewiesen werden kann, dass das IPR bereits Elemente eines materialisierten Rechts enthält. Doch selbst wenn der Nachweis der Bedeutung des Schwächerenschutzes für das Kollisionsrecht womöglich ohne die Begriffsklärung der Materialisierung geführt werden könnte, ist das Ziel, die Sprachverwirrung um diesen Begriff zu beheben, Selbstzweck genug.
Kapitel 1
Materialisierung, der Schutz schwächerer Parteien und ihre Bedeutung für das Kollisionsrecht § 1 Materialisierung der Rechtsordnung § 1 Materialisierung der Rechtsordnung
A. Zum Begriff der Materialisierung I. Materialisierung des IPR als neuer Topos Thema dieser Untersuchung ist der Schutz der schwächeren Partei bei der Rechtswahl in den europäischen Rechtstexten zum Internationalen Familienkollisionsrecht. Bevor untersucht und bewertet werden kann, wie diese Rechtstexte den Schutz schwächerer Personen erreichen, muss allerdings gefragt werden, was mit diesem Thema überhaupt gemeint ist. Gibt es bei einer Rechtswahl schwächere Parteien? Wer ist schwächere Partei? Warum wird und wie wird sie geschützt? Dies sind Fragen, die im Kollisionsrecht und in der Rechtswissenschaft unterschiedlich beantwortet werden. Im Internationalen Privatrecht1 und im Zivilrecht wird die Frage schon seit Jahrzehnten diskutiert.2Anlässlich des Wirksamwerdens der Rom III-VO hat Anne Röthel als eine der Ersten3 auf das Thema im Internationalen Familienrecht aufmerksam gemacht. Sie setzt sich auseinander mit den Möglichkeiten der Wirksamkeitskontrolle von Rechtswahlvereinbarungen, die eine informierte Selbstbestimmung jeder Partei gewährleisten und den einen Ehepartner vor einer strukturellen Unterlegenheit gegenüber dem anderen schützen soll.4 In diesem Kontext spricht sie davon, dass hier „Impulse für eine Materialisierung der Privatautonomie“ gesetzt würden.5 Diese Einordnung scheint auf den ersten Blick jedoch nicht sehr hilfreich, da sie neben dem Schutz schwächerer Personen ein weiteres Thema anspricht, das alles andere als klar konturiert ist: die Materialisierung des 1 So lautete etwa 1976 der Titel des Kolloquiums anlässlich des fünfzigjährigen Bestehens des Hamburger Max Planck Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht „Der Schutz des Schwächeren im Recht“, vgl. RabelsZ 40 (1976), 361 ff.; insb. die Schlussbemerkungen von Zweigert, RabelsZ 40 (1976), 789 ff. 2 Weitnauer, Der Schutz des Schwächeren im Zivilrecht; von Hippel, Der Schutz des Schwächeren, S. 1. 3 Siehe aber auch schon Rühl, FS von Hoffmann, S. 364 ff. 4 Röthel, JbItalR 25 (2012), 3, 12. 5 Röthel, JbItalR 25 (2012), 3, 7.
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
Rechts, hier des Internationalen Privatrechts. So ist es nicht verwunderlich, dass Hannes Rösler anmerkt, es handle sich bei all diesen Begriffen um solche des Sachrechts, „so dass zu klären bleibt, ob dies[e] wirklich für das IPR pass[en]“.6 Dies soll an dieser Stelle zuerst geschehen, bevor in die Analyse der Rechtstexte eingestiegen werden kann. Dabei soll der von Röthel angeführte Oberbegriff der Materialisierung des Rechts zuerst untersucht werden, weil man das Phänomen des Schutzes schwächerer Personen nur verstehen kann, wenn man es seinerseits als Sonderfall der Materialisierung einordnen kann. Der Begriff der Materialisierung erscheint hierfür erfolgversprechend. Es folgt eine Untersuchung vom Abstrakten zum Konkreten, vom Allgemeinen zum Besonderen. II. Die verschiedenen Erklärungsansätze für die Materialisierung Der Begriff der Materialisierung ist tatsächlich im kollisionsrechtlichen Diskurs noch mehr oder weniger unverbraucht.7 Eine große Rolle hat der Begriff jedoch schon längere Zeit im Sachrecht gespielt, vor allem im Bürgerlichen Recht. Die „Materialisierung des Privatrechts“ war für viele ein Leitmotiv ihrer Arbeit,8 für andere eher ein Reizwort.9 Spätestens seit Canaris in seinem Vortrag auf der Tagung der deutschen Zivilrechtslehrer 1999 Tendenzen zu einer Materialisierung des Schuldvertragsrechts festgestellt hat, ist der Begriff in der Mitte der rechtswissenschaftlichen Diskussionen angekommen.10Als Phänomene der Materialisierung nannte Canaris dabei Themen, die den rechtlichen Diskurs der vorherigen Jahre weitgehend bestimmt hatten: die Aufladung des § 138 BGB durch BVerfG und BGH mit Kriterien zur Feststellung „tatsächlicher“ Vertragsfreiheit,11 die Entwicklung der (damals noch nicht kodifizierten) culpa in contrahendo als Mittel zur Sicherung „tatsächlicher“ Vertragsfreiheit bei Irreführung,12 die Inhaltskontrolle von AGB13 und die Widerrufsrechte im Verbraucherschutz.14 Was haben diese Themen nun gemeinsam und was ist an ihnen Materialisierung? Auch wenn der Begriff der Materialisierung oft auftaucht, bleibt seine Bedeutung zumeist im Vagen.15 Auf der Hand liegt, dass er nicht ohne Rückgriff 6
Rösler, RabelsZ 78 (2014), 155, 180 f., Fn. 160. Siehe zu einer spezifisch kollisionsrechtlichen Verwendung unten B. II. 2. b). 8 Prominent wurde der Begriff schon im Anschluss an Wieacker, Das Sozialmodell, S. 18. 9 Kritisch zum Beispiel Zöllner, Die Privatrechtsgesellschaft, S. 33 f; ders., AcP 176 (1976), 221, 235 f. 10 Canaris, AcP 200 (2000), 273 ff. 11 Canaris, AcP 200 (2000), 273, 295 ff. 12 Canaris, AcP 200 (2000), 273, 304 ff. 13 Canaris, AcP 200 (2000), 273, 320 ff. 14 Canaris, AcP 200 (2000), 273, 343 ff. 15 Vgl. auch die Feststellung von Kollmann, Begriffs- und Problemgeschichte, S. 29 und Canaris, AcP 200 (2000), 273, 276. 7
§ 1 Materialisierung der Rechtsordnung
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auf die beiden Begriffe erklärt werden kann, von denen er abgeleitet ist: die Adjektive formell und materiell, bzw. formal und material. Ihnen wird daher zuerst nachgegangen. 1. Formelles und materielles Recht und Materialisierung als Phänomen des Rechts a) Vielfalt der Definitionen Die Begriffe formell und materiell tauchen in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen auf. In der Philosophie wird seit Jahrtausenden über die Bedeutung von Form und Materie diskutiert; genauso spielt in ästhetischen Theorien die Unterscheidung zwischen der Form eines Kunstwerks, worunter man in einem weiter gefassten Sinn auch seine Gattung fassen kann, und seiner Materie, dem Inhalt oder konkreten Gegenstand, den es abbildet, eine Rolle.16 In einem Glossar zu Grundbegriffen der Rechtswissenschaft lassen sich unter dem Punkt „formal, formell“ drei unterschiedliche Bedeutungen finden: „formal: auf die äußere Gestalt bezogen (und nicht auf den Inhalt: material); formell: 1) sich streng nach der Vorschrift richtend (und nicht informell), 2) sich nach der Verfahrensweise richtend (und nicht nach dem Inhalt)“.17 Zu jeder dieser Unterscheidungen kann man sich verschiedene Vorstellungen machen. b) Formelles Recht als Verfahrensrecht So versteht man im üblichen juristischen Sprachgebrauch unter formellem Recht vor allem die Verfahrensregeln, die beachtet werden müssen, damit ein Rechtsakt zustande kommt.18 Die Regeln, die den Inhalt dieses Rechtsakts bestimmen, bilden das materielle Recht.19 Formelles Recht hat daher eine grundsätzlich dem materiellen Recht dienende Funktion.20 Wie weit verbreitet diese Unterscheidung ist, lässt sich auch am öffentlichen Recht studieren. Hier gibt es die Unterscheidung zwischen formellen und materiellen Gesetzen. Formelle Gesetze sind solche, die nach den Vorschriften zur Gesetzgebung erlassen wur-
16
Kollmann, Begriffs- und Problemgeschichte, S. 27. Muthorst, Grundlagen der Rechtswissenschaft, S. 277. Auch wenn den unterschiedlichen Endungen hier eine je eigene Bedeutung beigemessen wird, werden die Begriffe formell und formal bzw. materiell und material im Folgenden, sofern nichts anderes angegeben wird, synonym verwendet. Eine überzeugende Unterscheidung lässt sich in der Literatur nicht finden. Auch dort werden die Begriffe oft vermischt. 18 Kollmann, Begriffs- und Problemgeschichte, S. 30; Muthorst, Grundlagen der Rechtswissenschaft, § 13, Rn. 54. 19 Muthorst, Grundlagen der Rechtswissenschaft, § 13, Rn. 57. 20 Kollmann, Begriffs- und Problemgeschichte, S. 28; Muthorst, Grundlagen der Rechtswissenschaft, § 13, Rn. 58. 17
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
den. Materielle Gesetze erfüllen hingegen die inhaltliche Anforderung, abstrakt-generelle Normen vorzugeben.21 Ebenso unterscheidet man bei Verwaltungsakten zwischen formeller und materieller Rechtswidrigkeit, also Verfahrensfehlern und inhaltlichen Verstößen gegen höherstehende Normen.22 c) Formeller Vertragsschluss als äußerlicher Vorgang Diese sehr grobe Unterscheidung ist als Erklärungsansatz noch nicht ausreichend. Wenn das Sachrecht bereits materielles Recht ist, wie kann es dann materialisiert werden? Aber auch im Bürgerlichen Recht selbst tauchen die Begriffe formal/formell und material/materiell auf. So spricht man vom formellen Vertragsschluss, also der Einigung der Parteien in der vorgeschriebenen Form. Hiervon wird die materielle Seite des Vertrags abgegrenzt, der Inhalt des Rechts. Entscheidend ist hier das Anknüpfen an äußerliche, leicht überprüfbare Vorgänge wie die formelle Einigung, also das äußerliche Vorliegen zweier inhaltlich korrespondierender Willenserklärungen, Angebot und Annahme. Im Grundbuchverfahren gilt etwa meistens das formelle Konsensprinzip, bei dem das Grundbuchamt lediglich prüft, ob eine Bewilligung der Betroffenen vorliegt, während es nicht prüfen muss, ob das Rechtsgeschäft auch tatsächlich inhaltlich wirksam ist.23 Die Verwendung der Begriffe entspricht hier am ehesten einem Gegensatz von äußerlich/prozedural und innerlich/inhaltlich.24 Auch das kann auf dem Weg zum Verständnis der Materialisierung nicht weiterhelfen. Das BGB enthielt schließlich immer deutlich mehr Regeln über den Inhalt von Rechtsgeschäften als über ihren Abschluss. d) Formelles Recht als Gleichbehandlung Eine leicht abgewandelte Bedeutung nehmen die Begriffe in Diskussionen über Vertragsgerechtigkeit und-freiheit an. Hier meint Formalität den Versuch, „gleiche Fälle gleich und ungleiche Fälle ungleich zu behandeln“25, wie Oechsler ausführt. „Als formal versteht sich diese Beschreibung, solange die in ihr verwendeten Begriffe ‚gleich‘ und ‚ungleich‘ nicht durch materiale Inhalte konkretisiert sind.“26 Wieackers Kritik am Bürgerlichen Recht wird in diesem
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Siehe nur Kloepfer, Verfassungsrecht I, § 10, Rn. 96 ff.; Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Rn. 10. 22 Nur Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10, Rn. 9 ff.; Ehlers/Pünder/Ruffert, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 22, Rn. 2. 23 Daniel, Jura 2017, 1. 24 So die Erklärung, die Canaris den Begriffen unter Rückgriff auf Kants formale Ethik gegeben hat, AcP 200 (2000), 273, 282 f. Er geht in seiner Analyse aber auch auf Probleme ein, die vornehmlich unter den folgenden Punkt e) fallen. 25 Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 10. 26 Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 10.
§ 1 Materialisierung der Rechtsordnung
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Licht etwa als Versuch gelesen, der strikten Gleichbehandlung des Bürgerlichen Rechts ein Recht entgegenzusetzen, das versucht, auf die Unterschiedlichkeit der Individuen mittels schützender Normen und sozialstaatlicher Ideen der Verteilungsgerechtigkeit einzugehen.27 Wieacker selbst beobachtet in der Rechtsentwicklung des 20. Jahrhunderts den Versuch, die „formale Freiheitsethik“ des Bürgerlichen Rechts in eine „materiale Ethik sozialer Verantwortung“ zurück zu verwandeln.28 Genau um die Unterscheidung zwischen formaler Gleichheit als rein äußerlicher Gleichbehandlung und materialer Gleichheit als tatsächlicher Gleichheit, sowie um die Grenzen, an die das Sozialstaatsparadigma im 20. Jahrhundert gestoßen ist, geht es dann auch Habermas in seinen Ausführungen über die Materialisierung des Privatrechts in „Faktizität und Geltung“,29 quasi als Antwort auf Wieacker. Der Diskurs konzentriert sich darauf, einen gerechten Ausgleich von Leistung und Gegenleistung in den Verträgen zu erzielen. Marietta Auer spricht daher von einer Materialisierung der Vertragsgerechtigkeit.30 Hier ist mit Formalität grundsätzlich wieder ein äußerlicher Vorgang gemeint. Es geht um strikte Gleichbehandlung von Fällen. Andererseits ist damit jedoch in dieser Formalität ein inhaltliches, also materielles Kriterium enthalten, nämlich der Gleichbehandlungsgrundsatz. Formal gerecht ist das Recht, wenn es alle Vertragspartner ohne Anschauung ihrer Unterschiede gleichbehandelt und Vertragsinhalte gar nicht bewertet. Material gerecht ist es, wenn es auf die Unterschiedlichkeit der Vertragsschließenden achtet und auch den Inhalt des Vertrags danach bewertet, ob er einen fairen Ausgleich von Leistung und Gegenleistung erzielt. Eine Trennung nach „äußerlich“ und „innerlich“ führt bei dieser Begriffsverwendung nicht weiter. Ein so verstandenes Vertragsrecht bezieht sich nicht ausschließlich auf äußere Vorgänge, sondern hat eine inhaltliche Vorgabe, das Gleichbehandlungsgebot. Es scheint auch kaum überzeugend, aus einer so strikten Position den Ansatz des materialen Rechts zu kritisieren, die Unterschiedlichkeit der Vertragsschließenden mit in Betracht zu ziehen, da der Gleichheitssatz ohne Kriterien zur Unterscheidung von gleichen und ungleichen Fällen völlig hohl ist. Anders sieht es da aus, wo das materialisierte Recht Vertragsinhalte daraufhin kontrolliert, ob die Leistungsversprechen dem Äquivalenzgrundsatz standhalten. Ein solcher Ansatz materieller Vertragsgerechtigkeit steht in der Kritik, weil er sich dem Verdacht ausgesetzt sieht, sozialstaatliche Vermögensumverteilungen vornehmen zu wollen.31 27
Renner, Formalisierung, Materialisierung und Prozeduralisierung, S. 825. Wieacker, Das Sozialmodell, S. 18. 29 Habermas, Faktizität und Geltung, S. 472 ff. 30 Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 23. 31 Vgl. Canaris, Iustitia distributiva, S. 47; ders., AcP 200 (2000), 273, 280 f.; Zöllner, AcP 188 (1988), 85, 98 f. 28
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
e) Formelles Recht und materielle Möglichkeit der Wahrnehmung Eine ganz ähnliche, aber wieder etwas andere Bedeutung bekommt das Begriffspaar, wenn man das Wort „formal“ nicht ausschließlich mit dem Gleichheitssatz identifiziert, sondern anders kontextualisiert. Im Privatrechtsdiskurs wird oft von formeller und materieller Vertragsfreiheit gesprochen.32 Formelle Freiheit ist demnach die abstrakte, rechtliche Gewährung eines Rechts. Materielle Freiheit ist die tatsächliche Möglichkeit, dieses Recht auch wahrnehmen zu können. Auer spricht hier von der Materialisierung der Vertragsfreiheit, wo das Recht sich darauf konzentriert, Bedingungen zur tatsächlichen Wahrnehmung formal gewährter Rechte zu schaffen.33 Wichtig sei es, die beiden zuletzt genannten, unterschiedlichen Materialisierungsdiskurse auseinanderzuhalten und nicht unter einem Oberbegriff zu vermischen.34 Sie ließen sich auch kaum voneinander trennen, da die Materialisierung der Vertragsfreiheit auch Auswirkungen auf die Vertragsgerechtigkeit habe.35 Umgekehrt muss man sich auch die Frage stellen, inwieweit sozialstaatliche Gerechtigkeitsvorstellungen erforderlich sind, um gleiche Möglichkeiten der Freiheitsrealisierung zu erreichen. Insgesamt ist es angemessen, die Differenzierung beizubehalten. Zur Klärung der Frage, welcher Aspekt der Materialisierung für das Kollisionsrecht eine Rolle spielt, kann zumindest vermutet werden, dass es nicht so sehr um Aspekte der materiellen Vertragsgerechtigkeit geht, da das Äquivalenzprinzip auf Rechtswahlverträge nicht so einfach angewendet werden kann. Hier geht es nicht um den Ausgleich von Leistung und Gegenleistung. f) Formalität als Technik des Rechts Wieder eine andere Färbung nehmen die Begriffe an, wenn von dem Vorgang der Formalisierung des Rechts als einer Art Technik gesprochen wird. Bei Wieackers Kritik am Rechtsformalismus kann man, neben dem bereits erwähnten Schwerpunkt der Kritik an nur äußerlicher Gleichbehandlung, in puncto Formalisierung an einen Vorgang der Abstraktion denken: Lebenssachverhalte werden entstofflicht, also aller ihrer Besonderheiten entkleidet und auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht. Dieser wird in eine komplizierte Begriffssprache gekleidet, die dann rein technisch angewandt werden kann.36 Formelles Recht ist somit eher ein Instrument zur Beherrschung und Bewältigung 32 Kramer, Krise, S. 20 f.; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 44 f.; Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 78 ff.; Heinrich, Formale Vertragfreiheit, S. 53 ff.; Hönn, ZfA 2003, 325, 355; auch Canaris, AcP 200 (2000), 273, 295 ff. legt seinen Gedanken letztlich dieses Konzept zugrunde. 33 Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 23. 34 Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 23, mit Beispielen einer solchen Vermischung in Fn. 41; vgl. auch Canaris, AcP 200 (2000), 273, 276 ff., 282 ff. 35 Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 32 f. 36 Wieacker, Das Sozialmodell, S. 3.
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sozialer Spannungen als ein wirklicher Versuch, Gerechtigkeit herzustellen. Im Versuch, die Gegenstände auf einen gleichen Begriff zu bringen, kommt der Versuch, Gleiches gleich zu behandeln, immerhin zur Geltung. Gleichzeitig kann so aber die zweite Hälfte des Gleichheitssatzes kaum verwirklicht werden: der Anspruch Ungleiches ungleich zu behandeln. Materiales Recht wäre dann ein Recht, das sich dem Einzelfall mit seinen Besonderheiten überantwortet und diese nicht nivelliert. g) Materielles Recht im Internationalen Privatrecht Gerade im Internationalen Privatrecht kommt ein Wortgebrauch hinzu, der wieder eine andere Bedeutungsebene anspricht. Hier wird der Begriff materielles Recht gleichgesetzt mit dem Sachrecht.37 In diesem Sinne ist die Verbindung ähnlich wie bei der Gegenüberstellung von Prozessrecht und materiellem Recht. Kollisionsrecht wird hingegen selten als formelles Recht bezeichnet. Zudem scheint der Begriff der Materialisierung in den letzten Jahren im IPR zu einem Trendwort geworden zu sein mit einer Bedeutung, die er im Sachrecht niemals annehmen könnte. Hier meint Materialisierung nichts anderes als die Konzentration auf das sachrechtliche Ergebnis zur Bestimmung der geeigneten Anknüpfung.38 Im Gegensatz zum traditionellen IPR, ist das materialisierte IPR in diesem Sinne nicht mehr neutral gegenüber dem sachrechtlichen Ergebnis. Die Anknüpfung wird so gewählt, dass ein bestimmtes sachrechtliches Ergebnis erreicht werden kann. Als typisches Beispiel für diese Materialisierung kann Artikel 6 Rom I-VO genannt werden. Dieser sieht in seinem Anwendungsbereich eine Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers vor, damit dieser seine Verbraucherrechte effektiv geltend machen kann, Artikel 6 Abs. 1 Rom I-VO. Auch durch eine Rechtswahl soll ihm dieser Schutz nicht entzogen werden können, Artikel 6 Abs. 2 Rom I-VO. Wenn das ausländische Recht für ihn günstiger ist, kommt dieses zur Anwendung. Die Anknüpfung lässt sich ohne konkreten Blick auf das sachrechtliche Ergebnis also gar nicht bestimmen. Hier kann nur davor gewarnt werden, die Begriffe zu vermischen. Um diesen speziellen Trend des neuen Europäischen Kollisionsrechts geht es bei der von Röthel und Rösler angesprochenen Diskussion nicht. Denn wenn der Begriff Materialisierung seine eigene Bedeutung im Sachrecht hat, dann kann er nicht das spezifisch kollisionsrechtliche Phänomen meinen, das seit einigen Jahren im EIPR diskutiert wird. Es kann jedoch noch gezeigt werden, dass diese Materialisierung des IPR Ausdruck einer allgemeinen Materialisierung des Rechts ist, wie sie in dieser Arbeit verstanden wird.39
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Siehe zum Beispiel Kegel, FS Beitzke, S. 551, 552. Siehe dazu unten B. II. 2. b). 39 Siehe unten B. II. 2. b). 38
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h) Fazit Über die Begriffe des formellen Rechts und des materiellen Rechts herrscht eine weitgehende Verwirrung. Die wohl geläufigste Unterscheidung zielt bei der Formalität auf ein Verfahren ab, das der Verwirklichung eines bestimmten Inhalts, der Materie, dienen soll. Im Bürgerlichen Recht ist mit der Vorstellung der Formalität des Rechts aber auch ein bestimmter Inhalt verbunden, nämlich der Anspruch der absoluten Gleichbehandlung. Dabei kann zwischen dem Diskurs der Materialisierung der Vertragsgerechtigkeit und der Materialisierung der Vertragsfreiheit unterschieden werden. Bei Wieacker hingegen klingt an, dass mit Formalisierung eine bestimmte Technik der Rechtsfindung gemeint sein könnte. Es kann hier kein umfassender Versuch unternommen werden, die Begriffsgeschichte der Unterscheidung von formellem und materiellem Recht nachzuzeichnen.40 Zur Theoriebildung ist jedoch ein Rückgriff auf die historische Einführung des Begriffs unerlässlich. Rösler und Röthel weisen für das Internationale Privatrecht auf die zeitlich vorausliegende Materialisierung des Privatrechts hin. Für das Privatrecht wurde die Diskussion um die Materialisierung maßgeblich von Wieacker angestoßen. Orientiert man sich an dessen Quellen und Einflüssen, gelangt man zu Max Weber.41 Der Versuch, die Materialisierung des Rechts zu beschreiben, führt also eher in die Rechtssoziologie als in die Rechtsdogmatik. 2. Materialisierung bei Max Weber a) Idealtypen rationalen Rechts bei Weber Der Begriff der Materialisierung der Rechtsordnung geht auf Max Weber zurück.42 Seine Ausführungen sollten daher Grundlage jedes Erklärungsversuchs werden. Mittelpunkt seiner Rechtssoziologie ist die Rationalität des Rechts.43 Weber beschreibt in seinem posthum erschienenen Hauptwerk „Wirtschaft und Gesellschaft“ die Entwicklung des modernen Rechts historisch als eine Entwicklung der Rationalisierung.44 Dabei sagt er jedoch selbst: „Ein Recht kann aber in sehr verschiedenem Sinne ‚rational‘ sein, je nachdem, welche Richtungen der Rationalisierung die Entfaltung des Rechtsdenkens einschlägt.“45 Daher differenziert er auch Rationalität auf verschiedenen Stufen menschlichen 40
Diesen Versuch unternimmt Kollmann, Begriffs- und Problemgeschichte, passim. Wieacker, Das Sozialmodell, S. 3. 42 Wieacker, Das Sozialmodell, S. 3; Menke, Kritik der Rechte, S. 144; Renner, Formalisierung, Materialisierung und Prozeduralisierung, S. 821. 43 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 2. Teil VII § 1, S. 395. 44 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 2. Teil VII § 8, S. 504 f.; Baer, Rechtssoziologie, § 4, Rn. 126; Raiser, JZ 2008, 853, 855. 45 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 2. Teil VII § 8, S. 395. 41
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Handelns.46 Handeln sei jedes menschliche Verhalten, „wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden.“47 Und weiter: „‚Soziales‘ Handeln aber soll ein solches Handeln heißen, welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist.“48 Weber unterscheidet vier verschiedene Idealtypen des Handelns: die ersten beiden sind irrationale Handlungsweisen: „affektuell“, wenn das Handeln aus emotionalen Bindungen, Gefühlslagen heraus geschieht, „traditional“, wenn das Verhalten auf eingeübtem Handeln beruht. Rationales Handeln kann nach Weber ebenfalls auf zwei verschiedene Arten geschehen: „zweckrational“, wenn mit dem Handeln ein außerhalb des Handelns liegender Zweck verfolgt wird, und schließlich „wertrational“, wenn das Handeln einen „ethischen, ästhetischen, religiösen oder wie auch immer sonst zu deutenden […] unbedingten Eigenwert“ hat und keinen darüber hinausgehenden Zweck verfolgt.49 b) Formelle und materielle Rationalität Zur Beschreibung von Rationalität führt Weber an anderer Stelle die Begriffe „formell und materiell“ ein, die in unserem Kontext interessieren. Er benutzt sie, um die Rationalität des Rechtssystems näher zu beschreiben:50 „Rechtsschöpfung und Rechtsfindung können entweder rational oder irrational sein. Irrational sind sie formell dann, wenn für die Ordnung von Rechtsschöpfung und Rechtsfindungsproblemen andere als verstandesmäßig zu kontrollierende Mittel angewendet werden, z.B. die Einholung von Orakeln oder deren Surrogaten. Materiell sind sie irrational insoweit, als ganz konkrete Wertungen des Einzelfalls, seien sie ethische oder gefühlsmäßige oder politische, für die Entscheidung maßgebend sind, nicht aber generelle Normen. ,Rationale‘ Rechtsschöpfung und Rechtsfindung können wieder in formeller oder in materieller Hinsicht rational sein. Formell mindestens relativ rational ist jedes formale Recht. ,Formal‘ aber ist ein Recht insoweit, als ausschließlich eindeutige generelle Tatbestandsmerkmale materiellrechtlich und prozessual beachtet werden. Dieser Formalismus aber kann wieder doppelten Charakter haben. Entweder nämlich können die rechtlich relevanten Merkmale sinnlich anschaulichen Charakter besitzen. Das Haften an diesen äußerlichen Merkmalen: z.B. daß ein bestimmtes Wort gesprochen, eine Unterschrift gegeben, eine bestimmte, ein- für allemal in ihrer Bedeutung feststehende symbolische Handlung vorgenommen ist, bedeutet die strengste Art des Rechtsformalismus.“51
Die materielle Rationalität der Rechtsfindung bedeute hingegen, dass letztlich Normen anderen, nichtrechtlichen Ursprungs die Entscheidung beeinflussen 46
Näher Raiser, JZ 2009, 853, 853 ff. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 1. Teil I § 1, S. 1. 48 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 1. Teil I § 1, S. 1. 49 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 1. Teil I § 2, S. 12; Baer, Rechtssoziologie, § 4, Rn. 117. 50 Raiser, JZ 2008, 853, 854. 51 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 2. Teil VII § 1, S. 396. 47
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würden und den Formalismus des Rechts unterbrechen, etwa aus dem Bereich der Ethik oder der Politik.52 Dies sei aber immer noch rational, weil sie als außerrechtliche Normen immerhin der Durchschnittsauffassung entsprechen und sich dadurch von der Forderung nach Gerechtigkeit im Einzelfall unterscheiden.53 Formal ist das Recht demnach, wenn es die Form allgemeiner Gesetze annimmt. Material wird es, wenn nichtrechtliche Regeln Einfluss auf die Urteilsfindung nehmen. Beide verfolgen unterschiedliche Ziele: Formales Recht ist nach Weber entscheidend für „die Berechenbarkeit der Chancen und die rationale Systematik des Rechts und der Prozedur“, materielles Recht entspricht „praktisch-utilitaristischen und ethischen Anforderungen“.54 Hier zeigt sich, dass eine Deutung der Begriffe formell und materiell mit dem Begriffspaar prozedural und inhaltlich55 nicht die Intention Webers trifft. Diese Unterscheidung ist nicht aussagekräftig genug. Auch formale Regeln können auf inhaltliche Merkmale abstellen. Diese sind dann nicht so streng rational formalisiert wie Normen, die allein auf äußere Handlungen abstellen, oder, wie Weber es selbst ausdrückt, „am Sinnfälligen haften“.56 Eine rationale Handhabung dieser abstrakten Begriffe ist trotzdem möglich.57 Letztlich sind die Unterscheidungen zwischen Prozedur und Inhalt, äußeren Tatsachen und inneren, abstrakten Tatsachen, auch nicht besonders aussagekräftig und deutlich trennbar. Wenn der Gesetzgeber im BGB sich weitestgehend auf prozedurale Aspekte des Vertragsschlusses beschränkt, nämlich die grundsätzlich formfreie Einigung, und den Inhalt der Einigung nicht betrachtet, so muss das nicht heißen, dass er indifferent gegenüber dem Inhalt der Einigung ist und er diesen nicht werten muss. Es könnte leicht zu dem Fehlschluss kommen, dass das Recht nur die formellen Seiten des Rechtsgeschäfts regeln will, während die inhaltliche Seite komplett dem Willen der Parteien überlassen bleibt. Das ist jedoch nicht so. Auch wenn sich das Gesetz auf äußerliche Tatbestandsmerkmale beschränkt, kann damit eine inhaltliche Wertung verbunden werden. Dies zeigt etwa, wie noch zu erläutern sein wird, die Richtigkeitshypothese von Schmidt-Rimpler, nach der Verträge inhaltlich grundsätzlich richtig sind, wenn sich die Parteien geeinigt haben, so dass das Recht sich einer Korrektur enthalten kann.58 Der rationale Formalisierungsgrad ist zwar in diesem Fall höher, das Recht trifft aber durchaus prozedurale und inhaltliche Aussagen und Wertungen. Legt der Gesetzgeber also nicht nur konkrete äußere Tatbestandsmerkmale fest, sondern verwendet abstrakte Begriffe oder offene Generalklauseln, 52
Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 2. Teil VII § 1, S. 397. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 2. Teil VII § 8, S. 512. 54 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 2. Teil VII § 5, S. 468. 55 So hauptsächlich die oben S. 7 genannten rechtsdogmatischen Unterscheidungen. 56 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 2. Teil VII § 8, S. 512. 57 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 2. Teil VII § 1, S. 396. 58 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130 ff., 156 f; kritisch dagegen freilich Flume, Allgemeiner Teil des BGB II, S. 7 f.; siehe dazu ausführlich unten § 2 B. I. 3. 53
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bleibt es trotzdem eine formell-rationale Art der Regelaufstellung und eben keine materiell-rationale. Durch die Orientierung an generalisierten, allgemeinen Normen gewinnt das juristische Verfahren zwar eine prozedurale Qualität, die zu einer gewissen Technisierung der Rechtsgewinnung führt,59 dies trifft jedoch nicht nur auf solche formale Normen zu, die nur auf äußerliche, prozedurale Tatbestandsmerkmale abstellen, wie etwa die Einigung, sondern auch auf solche Normen, die abstrakte Tatbestandsmerkmale benutzen. c) Die soziologische Betrachtung der Materialisierung Weber beschreibt als Materialisierung verschiedene „Tendenzen“ seiner Zeit, „welche eine Auflösung des Rechtsformalismus begünstigen“.60 Zum einen meint er damit einen „wesentlich technischen“ Aspekt, den Übergang des streng formalen Beweisrechts zur freien Beweiswürdigung. Dadurch reagiere das Recht vor allem auf die „Verkehrsinteressen“, also im Grunde rein ökonomischen Interessen, die an das Recht herangetragen werden.61 Aber nicht nur im Beweisrecht, sondern auch im Bürgerlichen Recht stellt er fest, dass die Letztentscheidung über einen Fall letztlich Generalklauseln wie Treu und Glauben und die „guten Sitten des Verkehrs“ festlegten, also ethische Kategorien. Dadurch werde ein „(relativ) materiales Moment in den Rechtsformalismus“ hineingetragen.62 Die formelle Rationalität des Rechts wird also geschwächt, aber nicht vollständig aufgehoben. Es handelt sich schließlich, nach Webers oben gegebener Definition, immer noch um formelle Normen, deren abstrakte Begriffe erst noch logisch erschlossen werden müssen. Jedoch sind sie weniger rational als es Normen wären, die allein auf äußerlich fassbare Tatbestandsmerkmale abstellen. Diese Schwächung der formellen Rationalität werde dadurch ausgeglichen, dass ein Element materieller Rationalität ergänzt wird, nämlich ökonomische und ethische – und damit normative Forderungen einer anderen als der rechtlichen Qualität. Da die Anforderungen aber rein den Durchschnittsinteressen entsprächen, sei der Prozess der Rechtsfindung insgesamt noch rational.63 Während diese Tendenzen nichts an der grundlegenden Formalität des Rechts ändern, sondern seine Rationalität nur partiell einschränken, macht Weber noch eine weitere Tendenz aus. „Nun aber entstehen mit dem Erwachen moderner Klassenprobleme materiale Anforderungen an das Recht von seiten eines Teils der Rechtsinteressenten (namentlich der Arbeiterschaft) einerseits, der Rechtsideologen andererseits, welche […] ein soziales Recht auf der 59 Teubner, ARSP 68 (1982), 13, 15; Lukács, Die Verdinglichung und das Bewußtsein des Proletariats, S. 257, 271 ff. 60 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 2. Teil VII § 8, S. 505. 61 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 2. Teil VII § 8, S. 505. 62 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 2. Teil VII § 8, S. 506. 63 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 2. Teil VII § 8, S. 506.
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Grundlage pathetischer sittlicher Postulate (,Gerechtigkeit‘, ,Menschenwürde‘) verlangen. Dies aber stellt den Formalismus des Rechts grundsätzlich in Frage. Denn die Anwendung von Begriffen wie ,Ausbeutung der Notlage‘ (im Wuchergesetz) oder die Versuche, Verträge wegen Unverhältnismäßigkeit des Entgeltes als gegen die guten Sitten verstoßend und daher nichtig zu behandeln, stehen grundsätzlich auf dem Boden von, rechtlich betrachtet, antiformalen Normen, die nicht juristischen oder konventionellen oder traditionellen, sondern rein ethischen Charakter haben: materiale Gerechtigkeit statt formaler Legalität beanspruchen.“64
Es ist nicht leicht, Weber hier zu folgen. Denn auch die Subsumtion unter sehr vage Generalklauseln wie „Ausbeutung der Notlage“ wäre seiner Definition nach immer noch formell rational. Betrachtet man aber den Zusammenhang mit den „Rechtsideologen“, dann wird deutlich, worum es hier gehen soll: um Einzelfallgerechtigkeit, die nach Webers oben genannter Einteilung materiell irrational ist: Diese „Kadijustiz […] kommt dem Empfinden der nicht fachjuristisch geschulten Laien, deren Gefühl der Formalismus des Rechts im konkreten Fall immer wieder beleidigen muß, und überdies den Instinkten der nichtprivilegierten Klassen entgegen, welche materiale Gerechtigkeit verlangen.“65
Vergleicht man diese verschiedenen Entwicklungen, so gibt es nach Weber zunächst eine Entwicklung, die die formelle Rationalität des Rechts abschwächt zugunsten einer materiellen Rationalität, die sich aber nicht gegenseitig behindern würden. Deutlich negativ bewertet Weber hingegen die zweite Entwicklung, nach der formelles Recht insgesamt abgelöst werden soll durch Entscheidungen nach Billigkeitserwägungen.66 Er lehnt sie deshalb ab, weil er die Einzelfallgerechtigkeit als materiellen Irrationalismus kennzeichnet, der sich nicht mit formellem Rationalismus vertragen könne. Es ist hier nicht nötig, die Angemessenheit dieser Unterscheidung zu bewerten.67 Entscheidend ist vielmehr, dass Weber mit den beiden unterschiedlichen Tendenzen im Grunde ein und denselben Prozess kennzeichnet:68 Es werden Anforderungen an das Recht herangetragen von außerrechtlichen Normen, seien sie ökonomischen, ethischen oder politischen Ursprungs.69 Hier ist der wesentliche Kern der Materialisierung getroffen: die Konfrontation von rechtlichen Normen mit außerrechtlichen Normen, Erwartungen und Interessen. Für Weber bleibt es jedoch bei einem Primat des Formalismus vor materiellen Wertungen. Materielle Überlegungen sind danach immer eine potentielle Störung des Rechtssystems und führen im schlimmsten Fall zu einem Bruch. Die Gegenüberstellung erscheint jedoch zu einfach, bedenkt man, dass Weber 64
Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 2. Teil VII § 8, S. 507. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 2. Teil VII § 8, S. 511. 66 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 2. Teil VII § 8, S. 512. 67 Hierzu etwa Reich, FS Wassermann, S. 151, 156 ff. 68 Menke, Kritik der Rechte, S. 147. 69 Habermas, Faktizität und Geltung, S. 541 f. 65
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materielle Erwägungen in manchen Fällen durchaus als rational bezeichnet, in anderen Fällen nicht. Die Grenze scheint willkürlich. Im Folgenden soll versucht werden, die Begriffe Formalisierung und Materialisierung nicht als Widersprüche, sondern als dialektisch vermittelte Begriffe zu begreifen. Dies soll auch näheren Aufschluss darüber geben, auf welche Weise Recht überhaupt rechtmäßig außerrechtliche Anforderungen integrieren kann. Entscheidende Impulse liefert die kritische Theorie Christoph Menkes, die er im Anschluss an die Systemtheorie Niklas Luhmanns und Gunther Teubners entwickelt hat. Dieser Ansatz soll auch der Schlüssel für die Verwendung des Materialisierungsbegriffs in dieser Arbeit werden. Zum Verständnis bedarf es aber einiger Erläuterungen zur Systemtheorie. 3. Systemtheoretische Erklärung der Materialisierung a) Autopoiesis des Rechtssystems und der Code des Rechtssystems Die soziologische Systemtheorie von Niklas Luhmann ist ein Versuch, die gesellschaftliche Wirklichkeit möglichst genau zu beschreiben.70 Im Gegensatz zu Webers Soziologie untersucht die Systemtheorie nicht das soziale Handeln der einzelnen Individuen, sondern nimmt soziale Systeme der Gesellschaft in den Blick.71 Die Gesellschaft besteht demnach aus verschiedenen Systemen.72 Elemente eines Systems sind nicht einzelne Menschen oder ihre Handlungen, sondern es geht um soziale Mitteilungshandlungen: Kommunikationen.73 Luhmannsche Systeme sind Kommunikationskreisläufe, die die Aufgabe haben, Komplexität zu reduzieren.74 Sie bieten den Individuen, die an ihnen teilnehmen, bestimmte 70 Kneer/Nassehi, Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, S. 7; Kaufmann/Hassemer/Neumann/Büllesbach, Einführung, S. 428; es soll betont werden, dass die Systemtheorie nur ein Versuch von Wirklichkeitsbeschreibung und Gesellschaftsbeobachtung ist und lediglich darstellen möchte, wie Kommunikation in einer komplexen Welt funktioniert. Vorwürfe, die Systemtheorie verfolge eine eigene politische Agenda (vor allem Habermas, Faktizität und Geltung, S. 67; ders., Der philosophische Diskurs der Moderne, S. 426; vgl. auch Kaufmann/Hassemer/Neumann/Büllesbach, Einführung, S. 453 ff.) gehen daher fehl. Welche Schlüsse aus der Theorie gezogen werden, ist nicht Sache der Theorie, vgl. Kneer/Nassehi, Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, S. 11 f.;Systemtheoretische Beschreibungen können sogar eine kritische Theorie herangezogen werden, wie die Werke von Teubner und Menke zeigen; auch die Rechtswissenschaft kann Systemtheorie jedoch als bereichernd wahrnehmen Diese Arbeit übernimmt Beobachtung der Systemtheorie daher, soweit sie sie für richtig erachtet. Sie nimmt sich aber auch die Freiheit, sie ekklektisch mit Theorieansätzen zu verbinden, die gemeinhin als unvereinbar gelten, etwa der kritischen Theorie. 71 Raiser, JZ 2008, 853, 856 f. 72 Luhmann, Soziale Systeme, S. 30. 73 Luhmann, Soziale Systeme, S. 192; Vesting, Jura 2001, 299, 300. 74 Luhmann, Soziale Systeme, S. 192; ders., Legitimation durch Verfahren, S. 41.
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soziale Handlungs- und Kommunikationsalternativen und schließen andere Alternativen aus. Hieran können Menschen ihr soziales Verhalten zur Erreichung eines bestimmten Ziels ausrichten. Das Rechtssystem im Besonderen hat nach Luhmann die spezielle Funktion, normative Erwartungen zu sichern, den Mitgliedern der Gesellschaft also eine Art Kompass zu geben, welches Verhalten allgemein akzeptiert wird.75 In anderen Kontexten können sie mit ihrer Kommunikation ein anderes Ziel verfolgen. Dann bewegen sie sich in einem anderen System. Ein bestimmtes System ist daher erst einmal nur eine bestimmte Form der Kommunikation, die sich von anderen Formen unterscheidet. Das System ist der Unterschied zwischen dieser Form und den anderen Formen.76 Luhmann selbst hat in seinem Spätwerk gelegentlich den Begriff des Systems durch den der Form ersetzt, ohne damit etwas anderes zu meinen.77 Das Rechtssystem ist ebenfalls ein solches soziales System. Es handelt sich hierbei um einen Kommunikationskreislauf, der einen bestimmten Code zur Kennzeichnung der Kommunikation benutzt.78 Dieser Code ist eine Unterscheidung zur Markierung von Kommunikationen.79 Das Rechtssystem benutzt den Code „Recht/Unrecht“ als Leitdifferenz.80 Das Recht ist ein in sich geschlossenes System.81 Zur Kommunikation und Kennzeichnung von Phänomenen als Recht oder Unrecht bezieht es sich nur auf vorausgegangene Kommunikation, also auf Recht, und reproduziert sich damit aus sich selbst heraus ohne externe Einflüsse (Selbstreferentialität oder Autopoiesis).82 75
Luhmann, Rechtssoziologie, S. 40 ff.; ders., Das Recht der Gesellschaft, S. 131 ff.; hieraus folgert Luhmann dann auch seine berühmte Definition der Norm als kontrafaktisch stabilisierter Verhaltenserwartung: Das Recht der Gesellschaft, S. 133 f. 76 Vesting, Jura 2001, 299, 300. 77 Luhmann, in Huber, Interview mit Niklas Luhmann am 13.12.1990 in Bielefeld, Texte zur Kunst 1991, S. 121; vgl. auch Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 27. 78 Baer, Rechtssoziologie, § 4 Rn. 89. 79 Menke, Kritik der Rechte, S. 112; Vesting, Jura 2001, 299, 301. 80 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 69; Menke, Kritik der Rechte, S. 112; Vesting, Jura 2001, 299, 301. 81 Vesting, Jura 2001, 299, 300. 82 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 354 f.; Menke, Kritik der Rechte, S. 113; mit ausführlicher Begründung Teubner, Recht als autopoietisches System, S. 36 ff.; das Verhältnis von Selbstreferenz und Autopoiesis ist unklar: Bei Luhmann werden die Begriffe gleichgesetzt, vgl. Luhmann, Soziale Systeme, S. 57 f.; Teubner bildet eine Begriffsreihe, in der er Selbstreferenz als den allgemeinsten Begriff ansieht. Damit meint er nur den Fall, dass Kommunikation sich auf sich selbst bezieht. Autopoiesis sei hingegen die komplexeste Form der Selbstreferenz und bezeichne die Selbstorganisation eines Systems, das sich nur auf seine eigenen Komponenten beziehen könne und neue Elemente nur durch diesen Rückgriff produziere, die wiederum Anschluss für neue selbstreferentielle Operationen eröffneten, vgl. Teubner, Recht als autopoietisches System, S. 25 ff, 27, 32 f; Luhmann selbst gibt zu erkennen, dass eine solche Unterscheidung sinnvoll sein könnte, kann sich aber letztlich nicht zu ihr durchringen, vgl. Luhmann, Soziale Systeme, S. 60.
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Indem das Recht mit der Unterscheidung von Recht/Unrecht operiert, unterscheidet es sich von den Systemen, die diese Unterscheidung nicht vornehmen, dem Nichtrecht, oder der Umwelt des Systems.83 Das Verhältnis zwischen Recht und Nichtrecht ist wiederum sehr komplex. Ein System arbeitet, wenn es autopoietisch ist, operativ rekursiv-geschlossen, das heißt, es arbeitet ausschließlich mit eigenen Elementen.84 Es kommuniziert nicht mit seiner Umwelt, dem Nichtrecht.85 Weil es nur den Code „Recht/Unrecht“ benutzen kann, kann es keine Aussagen über das Nichtrecht treffen, es nicht unterscheiden, sondern nur als „nicht Recht“ wahrnehmen, als „infiniten Raum der Andersheit“.86 Dieses Nichtrecht findet im Raum des Rechts nicht statt, da das Recht geschlossen und alles, was in ihm passiert, ausschließlich rechtlich ist. Im Recht selbst gibt es keine (Um-)Welt.87 Das Recht ist damit zwar operativ geschlossen, aber nicht abgeschlossen von jeglichen Umwelteinflüssen, autark.88 Die Autopoiesis des Systems bezieht sich nur auf die Konstitution seiner Elemente.89 Es bedarf zumindest eines informationellen Inputs, um in Bewegung zu geraten, mit anderen Worten, einen Fall, den es lösen kann. Daraus folgen für das Rechtssystem aber Grenzen: Wenn in einem Verfahren über einen Sachverhalt entschieden wird, wird gar nicht über einen Streitfall in der sozialen Realität entschieden, sondern nur über eine Rechtsfrage.90 Der Rechtsfall wird gelöst, aber dadurch verschwindet nicht der soziale Konflikt. In vielen Fällen folgt sogar das Gegenteil: Der Streit wird verschärft, die Differenzen unüberbrückbar. Der außerrechtliche Stoff wird lediglich im rechtlichen System abgebildet, „zu Fall gebracht“.91 Wenn sich das Rechtssystem durch die Benutzung einer besonderen Form von anderen Systemen, dem Nichtrecht, unterscheidet, nämlich durch die Unterscheidung von „Recht/Unrecht“, dann kann man die Umwelt des Rechts, das Nichtrecht, den Stoff, als dasjenige bezeichnen, das in die Form des Rechts gebracht wird, die Materie.92
83
Menke, Kritik der Rechte, S. 112. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 355; Vesting, Jura 2001, 299, 300. 85 Teubner, Recht als autopoietisches System, S. 36; Menke, Kritik der Rechte, S. 115; Rückert/Seinecke/Sahm, Methodik des Zivilrechts – von Savigny bis Teubner, Rn. 1157. 86 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 174. 87 Menke, Kritik der Rechte, S. 115. 88 Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 69; ders., Das Recht der Gesellschaft, S. 43 f.; ders., Rechtssoziologie, S. 357; Vesting, Jura 2001, 299, 301. 89 Luhmann, Soziale Systeme, S. 60; ders.; Das Recht der Gesellschaft, S. 45. 90 Rückert/Seineke/Sahm, Methodik des Zivilrechts, Rn. 1166. 91 Menke, Kritik der Rechte, S. 116, in Anlehnung an Heidegger; siehe dazu sogleich S. 20. 92 Menke, Kritik der Rechte, S. 116. 84
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Recht und Nichtrecht sind jedoch nicht so leicht zu trennen, wie es die operative Geschlossenheit des Systems aussehen lässt. Beide Bereiche sind dialektisch verbunden. Das Recht benutzt nicht ausschließlich die Unterscheidung seiner Form, die Unterscheidung von Recht und Unrecht. Es benutzt immer auch die Unterscheidung von Recht und Nichtrecht mit, trifft also beide Unterscheidungen gleichzeitig.93 Die Benutzung beider Unterscheidungen ist in seiner Selbstreferentialität begründet. Um etwas als Recht oder Unrecht qualifizieren zu können, muss es sich auf vorangegangenes Recht beziehen. Um etwa entscheiden können, ob eine Forderung Recht ist, muss das Gericht auf eine Anspruchsgrundlage zurückgreifen. Indem es dies tut, bezieht es sich auf die Anspruchsgrundlage als Recht und nicht als Nichtrecht, gebraucht also zur Unterscheidung von Recht und Unrecht die Unterscheidung von Recht und Nichtrecht.94 Diese Unterscheidung wiederum kann es nur treffen, wenn es das Recht im Gegensatz zum Nichtrecht als dasjenige identifiziert, das die Unterscheidung von Recht und Unrecht trifft. Zur Identifizierung von etwas als Recht und nicht Nichtrecht muss sich das Recht also auf die Unterscheidung von Recht und Unrecht beziehen.95 „Indem sich das Recht im Gebrauch der Unterscheidung von Recht und Unrecht auf diese Unterscheidung bezieht, gebraucht es zugleich die Unterscheidung von Recht und Nichtrecht. Das Recht gebraucht beide Unterscheidungen, und dieser doppelstöckige Unterscheidungsgebrauch ist intern verknüpft. Das Recht ist die Doppelung, ja Spaltung und Verknüpfung von Entscheiden und Selbstbezug, Praxis und Selbstreferenz.“96
b) Entfremdung in der Begegnung mit anderen Systemen Das Rechtssystem muss sich also an seiner Umwelt orientieren, um sich auf sich selbst beziehen zu können und damit handlungsfähig zu bleiben. Ohne Umwelt ist kein System denkbar.97 Das Recht benötigt das Nichtrecht, um sich seiner selbst bewusst zu werden. Trotzdem bleiben System und Umwelt streng getrennt. Das System ist operativ geschlossen, aber kognitiv offen.98 Die saubere Trennung der Systeme ist zugleich Anlass für defizitäre Kommunikation 93
Vesting, Jura 2001, 299, 300. Menke, Kritik der Rechte, S. 113. 95 Menke, Kritik der Rechte, S. 114; vgl. auch Teubner, Recht als autopoietisches System, S. 29; beide weisen darauf hin, dass diese Identifizierung von etwas als Recht und nicht Nichtrecht den rules of recognition in der Theorie H.L.A. Harts entspricht; Hart sagt selbst, dass das Recht nicht nur aus primären (Verbots- oder Gebots-)Regeln bestehen könne, sondern zusätzlich aus solchen sekundären „Erkenntnisregeln“ bestehen müsse; vgl. Hart, Der Begriff des Rechts, S. 122 ff. 96 Menke, Kritik der Rechte, S. 114 f (Hervorhebung im Original); vgl. auch Vesting, Jura 2001, 299, 300. 97 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 355. 98 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 357. 94
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zwischen den Systemen. Schließlich existieren in der Gesellschaft weitere soziale Systeme wie etwa Wirtschaft, Familie und Religion. Vereinfacht gesagt müssen sich die Systeme zwangsläufig missverstehen, weil sie andere Kommunikationscodes verwenden. Die Systemtheorie beschreibt ein Moment der Entfremdung. Entscheidet ein Gericht etwa einen Fall aus dem Wirtschaftsleben, so muss der Sachverhalt aus dem System Wirtschaft zuerst in das Rechtssystem übersetzt und in einen Rechtsfall verwandelt werden. Weil das System Recht jedoch blind ist für seine Umwelt, kann es die wirtschaftliche Problematik des Systems Wirtschaft nicht verstehen. Dieses benutzt eine andere Kommunikationsform.99 Wenn das Recht das Problem rekonstruiert, ist es nicht länger ein wirtschaftlicher Konflikt, sondern ein Rechtsproblem. Somit findet eine Entfremdung statt, eine Abstraktion vom ursprünglichen Kontext.100 Es kommt dabei zu einem Missverständnis, weil die Wirtschaft auf die rechtliche Fragestellung wiederum indifferent oder ablehnend reagieren kann, da ihr Code nicht auf die Unterscheidung von Recht/Unrecht ausgerichtet ist, so dass andere Gesichtspunkte viel entscheidender sein können.101 Dies führt zu einer permanenten Entfremdung der verschiedenen Systeme. Für das System selbst ist das unerheblich, da die autopoietische Kommunikation nicht unterbrochen wird. Die Existenz des Nichtrechts ist dem Recht jedoch bewusst, sonst könnte es sich selbst nicht als Recht identifizieren. Da Entfremdung nicht zu vermeiden ist, droht dem System davon auch grundsätzlich keine Gefahr. Die Kommunikation im System kann schließlich ungehindert weitergehen. Wenn die kommunikativen Missverständnisse durch Entfremdung jedoch zu groß werden, kann es passieren, dass das System gestört wird. „[G]egen das rechtliche Verfahren kann sich immer die nichtrechtliche Welt bemerkbar machen, die sich ihrer rechtlichen Stellvertretung widersetzt: als Durcheinander, Gerede, Zerstreuung, Eigensinn, Störung, Ablehnung, Gewalt.“102 Das rechtliche Verfahren muss damit rechnen, dass es gestört wird, ein Urteil, dass es nicht befolgt wird, ein Gesetz, dass es nicht respektiert wird. Für das Rechtssystem ist dies umso problematischer, als dass es doch selbst den Anspruch erhebt, durch Normen Verhalten steuern zu können. Auf diese Störung kann das Recht nicht durch Recht reagieren, weil es dabei innerhalb seiner eigenen Grenzen bleibt.
99 Teubner/Zumbansen, Rechtsentfremdungen, S. 189, 190; Rückert/Seinecke/Sahm, Methodik des Zivilrechts – Von Savigny bis Teubner, Rn. 1157 f. 100 Teubner/Zumbansen, Rechtsentfremdungen, S. 189, 190. 101 Rückert/Seinecke/Sahm, Methodik des Zivilrechts – Von Savigny bis Teubner, Rn. 1157. 102 Menke, Kritik der Rechte, S. 116 f. (Hervorhebung im Original).
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
Die selbstreferentielle Abschottung des Rechts und die wachsende Entfremdung zwischen den Systemen wurden geschichtlich als „Krise des Rechts“ erlebt.103 Es entwickelte sich das Gefühl, die Komplexität der Gesellschaft nicht allein rechtlich steuern zu können, mit Recht nicht durchzudringen und soziale Konflikte nicht entschärfen zu können. Diese Unfähigkeit zum einen, die Umwelt so zu steuern wie es dem eigenen Anspruch des Rechts als Sollens-Ordnung eigentlich entspricht, und gleichzeitig die Empfindlichkeit gegenüber Störungen seiner Umwelt, beschreibt Christoph Menke als „die Lücke des Rechts“. Einerseits findet die Umwelt im System nicht statt, sie ist nicht anwesend, andererseits kann sie in das System hineinwirken und es stören.104 Versuche, diese Lücke im System selbst zu schließen, scheitern aus formlogischen Gründen; das System kann seine Form nicht aufgeben und die Differenz von System und Umwelt nicht umgehen, weil es nur durch diese Form definiert wird.105 Um es vereinfacht zu sagen: Das Recht kann nicht alleine befehlen und positiv ordnen. Es bedarf einer inhaltlichen Ergänzung, um akzeptiert zu werden. Es muss legitim sein. c) Modernes Recht: die Entdeckung der Selbstreflexion Mit dem Bewusstsein von der Lücke und der Erkenntnis, dass sie sich nicht schließen lässt, beginnt rechtshistorisch die Moderne. Vormodernes Recht brauchte keine reflexiven Überlegungen anzustellen, da seine Autorität noch nicht in Frage gestellt war, sei sie nun durch Gewalt oder den Verweis auf eine göttliche Ordnung gesichert. Das moderne Recht ist der Versuch, eine Legitimität zu gewinnen, die es nicht länger aus eigener Autorität erlangen kann.106 Legitimität lässt sich mit Luhmann definieren als die Bereitschaft, inhaltlich
103 Menke, Kritik der Rechte, S. 117 ff.; Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, S. 53; Adorno, Negative Dialektik, S. 305 f.; Habermas, Faktizität und Geltung, S. 477 ff.; Teubner/Zumbansen, Rechtsentfremdungen, S. 189, 190; Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 29 (2008), 9, 12 ff.; von diesem Krisengefühl zeugen im Privatrecht die Zweifel an der Möglichkeit liberalen Vertragsrechts, eine gerechte Wirtschaftsordnung zu erreichen. Wieacker, Das Sozialmodell, S. 3 ff.; Kramer, Die „Krise“, passim; Zweigert, FS Rheinstein, S. 493, 503; das Unbehagen gegenüber der Selbstreferentialität und Umweltblindheit des Rechtssystems zeigt sich immer noch in den Diskussionen um die Enge der Rechtsdogmatik und ihr Verhältnis zu den „Grundlagenfächern“ oder das „Proprium der Rechtswissenschaft“, vgl. Engel/Schön, Das Proprium der Rechtswissenschaft; Gutmann, JZ 2013, 697 ff.; Stolleis, JZ 2013, 712 ff; Jestaedt, JZ 2014, 1, 2 f.; Bumke, JZ 2014, 641; Kuntz, AcP 216 (2016), 866, 871 ff. 104 Menke, Kritik der Rechte, S. 118 ff. 105 Menke, Kritik der Rechte, S. 122 ff. 106 Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, S. 11 ff.; Menke, Kritik der Rechte, S. 122 f.; Habermas, Faktizität und Geltung, S. 101; Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 29 (2008), 9, 17.
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noch unbestimmte Entscheidungen innerhalb gewisser Toleranzgrenzen hinzunehmen.107 Das moderne Recht ist das Recht, das sich seiner eigenen Lückenhaftigkeit bewusst ist, das sich nicht umfassend aus sich heraus erklären und legitimieren möchte, sondern auf sich selbst beschränkt. „Das moderne Recht ist daher das Recht in der Krise; jenseits oder diesseits seiner Krise gibt es kein modernes Recht. Das moderne Recht ist das Recht, dessen Lücke sein Wesen, dessen Wesen seine Lücke ist. Es ist das Recht als Recht, das (als Recht) gesetzte Recht: das Recht, das nichts als Recht ist […]. Diese Selbstsetzung des Rechts als Recht radikalisiert seinen Selbstbezug zu seiner Selbstreflexion.“108
Der Begriff der Krise darf hier nicht falsch verstanden werden. Er heißt nicht etwa, dass in der Gesellschaft ein permanenter Ausnahmezustand herrschte oder Recht nicht befolgt würde. Der Begriff der Krise bedeutet hier lediglich, dass sich das Recht nicht durch selbstreferentielle Kommunikation und der Erörterung von Rechtsfragen eine Lösung von sozialen Konflikten erwarten darf, da es sonst seinen absoluten Anspruch auf Gesellschaftssteuerung einbüßt. Der vormoderne und heute höchstens noch von autoritären Regimen probierte Weg, diese Lücke zu schließen, ist die Gewalt.109 Will man diesen Weg nicht gehen, fordert die Krise dazu heraus, neue Wege zu finden. Daher ist dieser Krisenlösungsversuch ein Vorgang, der nicht erst seit einigen Jahren stattfindet (und auch etwa viel älter ist als das Spezialproblem der Materialisierung).110 Modernes Recht ist positiv und sich dessen bewusst. Das bedeutet, dass es nur auf anderes Recht, auf eine Entscheidung, zurückzuführen ist.111 Wenn sich das Recht bewusst darauf bezieht, also nur Recht als Recht setzt, wird es sich der Andersheit der Umwelt und seiner eigenen Lücke bewusst, seiner eigenen Ohnmacht. Dieses Selbstbewusstsein bezeichnet Gunther Teubner als Selbstreflexion. Selbstreflexion liegt vor „wenn Rechtstheorie und Rechtsdogmatik die aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen des Rechts (besonders seine Stellung im allgemeinen Prozess gesellschaftlicher Differenzierung) thematisieren und wenn das Recht in seiner Entscheidungspraxis daraus operative Konsequenzen
107
Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 28. Menke, Kritik der Rechte, S. 125 (Hervorhebung im Original). 109 Grundlegend Benjamin, Kritik der Gewalt, S. 29, 45; Menke, Kritik der Rechte, S. 122 ff.; so begreift Menke etwa den Versuch Carl Schmitts, Souveränität als Beherrschung des Ausnahmezustands zu definieren, als einen autoritären Weg, die Krise, den Ausnahmezustand zu beenden, vgl. Kritik der Rechte, S. 127 ff. 110 Luhmann hat das Problem der Lücke auch beschrieben. Jede Entscheidung des Rechts erzeuge demnach in der Sozialdimension Konsens und Dissens, vgl. ders., Das Recht der Gesellschaft, S. 130. Weil das Recht aber kognitiv offen sei, könne es „lernen“ und sich ändern, S. 92 ff. Menkes Bild der Lücke trifft jedoch besser die Gefahr, die in der operativen Geschlossenheit liegt und unterstreicht das Außergewöhnliche des Materialisierungsprozesses. 111 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 292. 108
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
zieht[…].“112 Es ist der Versuch, nicht nur ein positives Recht zu schaffen, sondern ein allgemein akzeptiertes, für rechtens gehaltenes Recht, ein legitimes Recht. In diesem Versuch, das System mit seiner Umwelt zu versöhnen, die Materie in der Form zu ihrem Recht kommen zu lassen, lässt sich bereits ein materieller Ansatz erkennen, denn es geht um die Konfrontation von Recht mit außerrechtlichen Erwartungen. Reflexivität ist daher der erste Schritt der Materialisierung. aa) Die Selbstreflexion des Bürgerlichen Rechts und die dialektische Falle (1) Legitimation durch Vertrag Das moderne Recht hat auf verschiedene Weise diese Selbstreflexion vorgenommen. Den bedeutsamsten Versuch, mit der Lücke im Recht umzugehen, stellt das formal-liberale Bürgerliche Recht des 19. Jahrhunderts dar. Es kann als resignativer Versuch, die Lücke des Rechts zu schließen, gelesen werden.113 Es will nicht länger eine sittliche, gerechte Ordnung vorgeben oder seine Umwelt steuern, so wie etwa das antike griechische Recht nach Aristoteles versuchte, moralisch erziehend zu wirken.114 Das Bürgerliche Recht begrenzt sich stattdessen darauf, der Umwelt zu ihrem Recht zu verhelfen. Das Privatrecht wird als vorstaatlicher Raum dem öffentlichen Recht entgegengesetzt, der die Freiheit des Bürgers schützen soll, das zu tun, wonach ihm ist, ohne Störung durch andere. Das Recht ist nur der formale Rahmen, den die Privaten selbst inhaltlich füllen müssen.115 Entscheidend sind dabei der individuelle Wille und seine Verwirklichung durch subjektive Rechte. Das rechtstechnische Mittel zur Verwirklichung dieser Ordnung ist die bereits beschriebene Formalisierung des Rechts. Entscheidend ist es, hier zu erkennen, dass diese Formalisierung wegen ihres selbstreflexiven Charakters nicht einfach nur formal ist, sondern ein starkes materielles Element in sich trägt. Die Gewährleistung der Privatautonomie zielt darauf ab, die Legitimität des Rechts zu sichern. Luhmann hat in Bezug auf Verfahren festgestellt, dass Legitimation auf mehrere Arten realisiert werden kann: durch einfache psychologische Motive und durch soziale Mechanismen. Diese Alternativen lassen sich auch bei der Privatautonomie feststellen. Offensichtlich ist das für den ersten 112
Teubner, Recht als autopoietisches System, S. 29. Menke, Kritik der Rechte, S. 142. 114 Luhmann, Subjektive Rechte: Zum Umbau des Rechtsbewußtseins für die moderne Gesellschaft, S. 45 ff.; Menke, Kritik der Rechte, S. 40 ff., 43 ff; als Beispiel für die nachrangige Bedeutung subjektiver Rechte im Rechtssystem etwa noch Pufendorf, dazu Auer, AcP 208 (2008), 584, 604 ff. 115 Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, S. 29 ff.; Habermas, Faktizität und Geltung, S. 477 ff.; Raiser, Die Zukunft des Privatrechts, S. 20; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts II, S. 6, 10. 113
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Punkt, die Legitimation durch psychologische Motive. Wenn Parteien genau das verbindlich und durchsetzbar machen können, was sie möchten, können sie mit dem Ergebnis zufrieden sein. In vielen Fällen stellt man jedoch fest, dass Parteien nicht mit der Rechtslage zufrieden sind, obwohl sie diese durch Vertrag selbst gestaltet haben. Motive können sich ändern. Privatautonomie sichert Legitimation jedoch noch auf einem zweiten Weg, durch sozialen Mechanismus. Was Luhmann für das gerichtliche Verfahren herausgefunden hat, lässt sich in Ansätzen auch auf den Vertrag übertragen. In „Legitimation durch Verfahren“ beschäftigt er sich nicht mit der inhaltlichen Überzeugungskraft von Rechtsnormen, sondern mit der Frage, wie gerichtliche Verfahren selbst Legitimität herstellen können, obwohl immer eine Partei unzufrieden mit dem Ergebnis eines streitigen Urteils sein muss.116 Durch die Beteiligung der Parteien am gerichtlichen Verfahren greift ein sozialer Mechanismus: Weil der Ausgang des Verfahrens ungewiss ist, müssen die Parteien die Gelegenheit nutzen, ihre Interessen, ihre Unzufriedenheit und ihren Protest auszudrücken und zu spezifizieren. Wenn sie dies tun, kann das Rechtssystem diese Informationen aufnehmen und in eine rechtliche Fragestellung umwandeln, die auf wenige offene Punkte zugespitzt wird.117 Die Parteien kriegen so gar nicht mit, dass sie selbst auf die Lösung des Rechtsstreits hinarbeiten. Sie können sich dann nicht mehr von der Entscheidung distanzieren, wenn sie mit ihr nicht einverstanden sind. Durch ihre Beteiligung bestätigen sie die Gültigkeit des Verfahrens. Bei einem Protest sind sie daher notwendig isoliert und können daher nicht auf Unterstützung hoffen. „Der Verlierer wird zum Sonderling, zum Querulanten, zu einem, dessen Lieblingsthema man kennt und nach Möglichkeit vermeidet“.118 Dieser Mechanismus lässt sich, quasi als Kehrseite der Privatautonomie, auch für den Vertragsschluss feststellen. Denn hierdurch wird der Private an der Rechtssetzung selbst beteiligt. Das positive Recht enthält selbst einen Aspekt von Verfahren.119 In den Vertragsverhandlungen können die Parteien ihren Willen spezifizieren, Zugeständnisse machen und ihre Interessen einbringen. Sie müssen sich dafür aber dann auch an das einmal vereinbarte halten, selbst wenn sie es später nicht mehr wünschen. Die freie Willenserklärung ist rechtlich bindend, weil sie gewollt ist.
116
Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S.114 ff. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 115 f. 118 Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 118. 119 In „Das Recht der Gesellschaft“, S. 449 ff. erfasst Luhmann diesen Aspekt der Legitimation des Vertrags durch Verfahren als strukturelle Kopplung der Systeme, allerdings aus einer systemtheoretisch erheblich schärferen Ausgangslage, die die Beziehung zu „Legitimation durch Verfahren“ kaum noch erahnen lässt. 117
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
(2) Negative Dialektik der Vertragsfreiheit Dass sich das Bürgerliche Recht durch die Resignation vor dem Willen selbst begrenzte und den freien Willen der Rechtssubjekte zur Durchsetzung verhalf, ist jedoch ein Irrtum. Die Wirkung der durch das Recht vorgenommenen Selbstzurücknahme ist vielmehr dialektisch und somit notwendig widersprüchlich. Die Setzung des Willens als Voraussetzung ist nicht nur eine negative Grenze des Rechts, sondern, weil es eine Setzung ist, gleichzeitig positiv. Wie Christoph Menke sagt: „Darin liegt die Inkonsequenz dieses Modells: Es ignoriert die einfache dialektische Einsicht, daß jedes Ziehen einer Grenze, also jede Selbstbegrenzung, das Hinausgehen über sie bedeutet“.120 Um verstehen zu können, was das bedeutet, muss zunächst geklärt werden, was mit dieser dialektischen Einsicht gemeint ist. Dies sei hier näher ausgeführt, weil sich der Begriff nicht von selbst versteht, sondern häufig Missverständnissen ausgesetzt ist. Die Dialektik ist der Versuch, der Eigentümlichkeit einer Sache gerecht zu werden, indem sie diese nicht als positiv und unveränderlich seiende begreift, sondern versucht, sie als werdende und verändernde wahrzunehmen.121 Dialektik ist damit sowohl eine bestimmte Art des Denkens, gleichzeitig beschreibt sie aber auch eine Selbstbewegung der Dinge selbst.122 Sie geht davon aus, dass Dinge nicht ideell starre, vorgegebene Eigenschaften haben, sondern dass ihre Eigenschaften objektiv und historisch bedingt sind. Wegen dieser objektiven Bedingtheit sind sie aber auch veränderlich, sie werden geschichtlich bewegt.123 Die Eigenschaft einer Sache ist somit nicht etwas konstantes, sondern ihr Wesen ist eher die Summe der geschichtlichen Entfaltungen ihrer Eigenschaften.124 Dieser Gedanke wurde von Hegel zusammengefasst in dem Satz, das Wahre sei das Ganze.125 Dies stellt eine nicht geringe Herausforderung für das menschliche Denken dar, das begrifflich arbeitet und von den Gegenständen, die es erfassen soll, Eigenschaften abstrahiert und diese positiv festsetzt. Unser begriffliches Denken ist demnach wie ein Fotoapparat: Es erfasst immer nur eine Momentaufnahme, eine Konstellation des Gegenstandes. Vollständig erfassen kann ihn das Denken nicht, Begriff und Sache sind niemals identisch.126 Nun ist diese Einsicht noch nicht allzu beunruhigend: 120
Menke, Kritik der Rechte, S. 144; vgl. dazu auch Adorno, Einführung in die Dialektik,
S. 94. 121
Adorno, Einführung in die Dialektik, S. 13. Adorno, Einführung in die Dialektik, S. 13. 123 Adorno, Einführung in die Dialektik, S. 20 f. 124 Adorno, Einführung in die Dialektik, S. 15 f. 125 Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 24; Adorno, Einführung in die Dialektik, S. 16. 126 Adorno, Negative Dialektik, S. 17, 156: „Der immanente Anspruch des Begriffs ist seine Ordnung schaffende Invarianz gegenüber dem Wechsel des unter ihm Befaßten. Diesen verleugnet die Form des Begriffs, auch darin ,falsch‘.“ 122
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Mit dem Gedanken, dass „alles im Fluss“ ist, kann man sich noch verhältnismäßig einfach arrangieren, genauso mit der Aufgabe, seine eigene Begriffsbildung ständig zu überprüfen. Die große „Zumutung“, die die Dialektik nun stellt, liegt in ihrer Negativität.127 Diese bedeutet, dass die Selbstbewegung der Dinge denknotwendig widersprüchlich ist, die Dinge also nicht nur dazu tendieren, in ihrer Selbstentfaltung anders zu werden, sondern ihr Gegenteil zu werden. Dies hängt eng zusammen mit unserer Art zu denken.128 Wenn wir ein möglichst einfaches Urteil fällen, eine Definition „A ist gleich B“ oder „A besteht aus den Eigenschaften, die man als B zusammenfassen kann“, dann machen wir eine Momentaufnahme des Gegenstands A in einer bestimmten geschichtlichen Konstellation. Entfaltet der Begriff sich nun geschichtlich weiter, so nimmt er eine Form C an, die nicht gleich B ist. A ist dann B und, in seiner Konsequenz zugleich nicht B. Dieses Urteil ist widersprüchlich. Unser Denken hat sich also an die notwendig widersprüchliche und paradoxe Entwicklung der Dinge zu gewöhnen. Es ist gezwungen, selbst negativ zu werden, sich also der widersprüchlichen Entfaltung der Dinge bewusst zu werden, aber auch der eigenen Unfähigkeit, diese jemals ganz in das Denken aufnehmen zu können, da die Begriffe nicht identisch sind mit den Dingen.129 Adorno fasst die Aufgabe dialektischen Denkens so zusammen: „Die Aufgabe des dialektischen Denkens kann es nicht sein, mit Begriffen zu jonglieren etwa in der Art, daß man nun irgendwelche Bestimmungen desselben Begriffs ersetzt. […] Sondern das, was ihrem Ideal nach […] von der Dialektik eigentlich verlangt wird, das ist vielmehr, die Begriffe selbst derart zu verwenden, derart ihre Sache zu verfolgen, vor allem den Begriff mit dem von ihm Gemeinten so lange zu konfrontieren, bis sich zeigt, daß sich zwischen einem solchen Begriff und der von ihm gemeinten Sache gewisse Schwierigkeiten herstellen, die dann dazu nötigen, den Begriff mit dem Fortgang des Denkens in einer gewissen Weise zu verändern, ohne daß man dabei jedoch die Bestimmungen, die der Begriff ursprünglich gehabt hat, aufgeben dürfte. Sondern vielmehr vollzieht sich diese Änderung gerade durch die Kritik an dem ursprünglichen Begriff […] und tut insofern dem ursprünglichen Begriff Gerechtigkeit an.“130
Indem man darauf hinweist, dass der Begriff mit dem Gegenstand nicht übereinstimmt, durch „immanente Kritik“131 also, zerstört man nicht die ursprüngliche Idee des Begriffes, sondern wirkt auf die Sache ein, damit sie sich in ihrer Selbstbewegung wieder ihrem ursprünglichen Entwurf annähert und sich verwirklicht.132 Über die Sache „hat keine Gewalt, was sie generell, von außen 127 Adorno, Negative Dialektik, S. 42: „Dialektik, die nicht länger an die Identität ,geheftet‘ ist, provoziert, wo nicht den Einwand des Bodenlosen, […] den des Schwindelerregenden“. 128 Adorno, Einführung in die Dialektik, S. 92 ff. 129 Adorno, Negative Dialektik, S. 17. 130 Adorno, Einführung in die Dialektik, S. 18. 131 Adorno, Einführung in die Dialektik, S. 19. 132 Adorno, Einführung in die Dialektik, S. 19 f.
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
abwehrt, anstatt in ihrem eigenen Gefüge mit ihr es aufzunehmen, nach Hegels Desiderat ihre eigene Kraft gegen sie zu wenden.“133 Das Recht sieht sich ebenfalls dem Problem der dialektischen Bewegung ausgesetzt. Es versucht, sich die Legitimität seiner Umwelt dadurch zu sichern, dass es sich aus der privaten Lebensgestaltung der Individuen zurückzieht, um ihre Selbstbestimmung zu ermöglichen. Die dialektische Falle besteht nun darin, dass dadurch eine eigendynamische Entwicklung in Gang gesetzt werden kann, die letztlich nicht zur Freiheitsentfaltung aller führt, sondern die zur Grundlage dafür wird, dass Selbstbestimmung letztlich verhindert wird.134 Recht verliert dadurch wieder seine Legitimität. Belässt man es also bei dieser ersten Setzung, wird der Prozess der Selbstreflexion abgebrochen. Dies kann zu neuen Konflikten mit der Umwelt führen, bei denen das Recht dann wieder neu ansetzen muss, um zu überprüfen ob seine Setzung noch sinnvoll ist. bb) Fortgesetzte Reflexivität durch Materialisierung: die Responsivität des Rechts Will man ein historisches Beispiel für diese dialektische Falle finden, so kann man den Umbruch zum 20. Jahrhundert nehmen, an dem Max Webers Beschreibung ansetzt. Er diagnostiziert einerseits die Tendenz, vom strikten Formalismus des Rechts abzuweichen und stärker die Besonderheiten des Rechtsverkehrs zu berücksichtigen über den Einfluss von ökonomischen Argumenten. Andererseits nennt er sittliche oder politische Forderungen, die an das Recht herangetragen und vom Recht aufgenommen werden. Auch wenn Weber diesen zweiten Punkt negativ bewertet, handelt es sich doch um das gleiche Phänomen: die Konfrontation des Systems Recht mit seiner Umwelt.135 Es ist die Fortsetzung der Selbstreflexion des Rechtssystems. Freiheit und Autonomie des Menschen, die vom Bürgerlichen Recht zum Ziel erklärt werden, äußern sich in mehreren Formen, etwa im Eigentum oder in der Testierfreiheit.136 Das Hauptgebiet der privatautonomen Gestaltung ist die Vertragsfreiheit,137 an der sich daher besonders deutlich das Problem der „Dialektik der Vertragskategorie“138 ausmachen lässt:139 Vertragsfreiheit und Privatautonomie als Konzept des Rechts geraten etwa dann in Erklärungsnot, 133
Adorno, Negative Dialektik, S. 104 in Bezug auf die Notwendigkeit einer immanenten Ontologiekritik. 134 Vgl. auch Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, S. 74 ff. 135 Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 29 (2008), 9, 20; Menke, Kritik der Rechte, S. 147. 136 Dazu Auer, AcP 216 (2016), 239, 253 ff., 270 ff. 137 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts II, S. 7. 138 Neumann, Funktionswandel des Gesetzes, S. 31, 39. 139 Das Thema ist Gegenstand einer ausführlicheren Untersuchung unten in § 2 B. Hier wird es nur kurz angerissen, um den Gedankengang zu verdeutlichen.
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wenn sie Personen als gleich, autonom und selbstständig behandeln, die es tatsächlich nicht sind. Dies kann der Fall sein, wenn sich eine Partei nicht deswegen auf einen Vertrag einlässt, weil er, soweit es geht, ihren Interessen entspricht, sondern weil sie sich gedrängt fühlt und aus einer Notsituation handelt. In diesem Fall bleibt die Entscheidung zwar äußerlich frei, es kann aber eigentlich nicht davon gesprochen werden, dass zwei gleiche Bürger auf Augenhöhe über den Vertrag verhandelt haben. So führte etwa die Industrialisierung und mit ihr einhergehend der Umzug gewaltiger Menschenmengen vom Land in die Städte dazu, dass viele Menschen, vor allem Arbeiter und Arbeiterinnen, gezwungen waren, Mietwohnungen zu harten Bedingungen und in einem erbärmlichen Hygienezustand zu mieten, weil sie schlicht keine Alternative hatten.140 Die ständige Angst vor einer Kündigung durch den Vermieter, der bloß sein formales Recht ausübt, führt ebenfalls dazu, dass sich die unterlegene Partei bereit zeigt, auf die Forderung der stärkeren Partei jederzeit einzugehen. Die formale Freiheit aller schlägt um in die soziale Herrschaft einzelner, wenn sich das Recht hier heraushält und sie die tatsächliche Macht haben, ihre Interessen gegen andere durchzusetzen. Um es mit einfachen Worten zu sagen: Es ist ein Unterschied, ob ein Gesetz anordnet, dass alle Menschen frei seien und privatautonom handeln könnten, oder ob sie es auch tatsächlich sind. An dieser Stelle setzt nun die vollständige Materialisierung des Rechts erneut an. 4. Schlussfolgerung: Auswirkungen von Materialisierung auf die rechtlichen Operationen a) Materialisierung als Prozess Wie verläuft nun der Übergang von einem selbstreflexiven zu einem vollständig materialisierten Recht? Das Recht erkennt, dass nicht nur seine Selbstreferentialität zu Störungen mit der Umwelt führen kann, sondern auch, dass jeder Versuch, die eigene Lücke durch positives Recht zu schließen, eine eigendynamische, dialektische Bewegung auslöst, die wiederum zu neuen Störungen führt. Indem das Recht darauf reagiert, welche negativen Folgen eine rechtliche Entscheidung im Nichtrecht hat, übernimmt es Verantwortung für seine Wirkungen und kann sich an seine Ökologie anpassen.141 Erneut wird der Kern der Materialisierung sichtbar. Außerrechtlichen Normen wird im Recht Geltung verschafft.142 Die unter dem Begriff der Materialisierung der Vertragsfreiheit zusammengefassten Phänomene143 sind der Versuch, die Dialektik der 140
Heiderhoff/Sahner, Ad legendum 2014, 108, 112. Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 29 (2008), 9, 19. 142 Besonders deutlich wird dies, wenn von einer Moralisierung des Vertragsrechts gesprochen wird, bei der ethische Normen immer größere Bedeutung bekommen, vgl. Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 265 ff.; Heiderhoff, Grundstrukturen, S.382 f.; Henrich, FS Medicus, S. 199, 202; Schulze, IPRax 2010, 290, 291. 143 Siehe oben S. 12 ff. 141
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Vertragsfreiheit einzufangen. Positive Vertragsfreiheit führt widersprüchlich auch dazu, dass Individuen die Möglichkeit verlieren, selbstbestimmt Geschäfte abschließen zu können. Die Rechtsordnung versucht, hier gegenzusteuern, nicht, weil sie das Ziel der Vertragsfreiheit durch ein anderes Prinzip ersetzen möchte, sondern weil sie durch immanente Kritik versucht, wirkliche Autonomie herzustellen. Das materialisierte Recht ist daher selbstreflexiv und „responsiv“144. Die Responsivität geht einen Schritt über die Selbstreflexion hinaus, indem sie die einmal positivierte Selbstreflexion wiederum zum Ausgangspunkt neuer Selbstreflexion macht. Diese Überprüfung kann es selbstverständlich nur innerhalb der Rechtsform geben. Weder greift das Recht gestaltend in das Nichtrecht ein, noch entscheiden umgekehrt allein außerrechtliche, etwa wirtschaftliche oder ethische, Maximen über das Ergebnis eines Rechtsstreits. Das Recht kann diese Anregungen nur aufgreifen und muss sie in eigene rechtliche Argumente verwandeln. Man kann die einzelnen Schritte also so zusammenfassen: Das Recht begreift die Selbstreferentialität seiner Form und beleuchtet diese kritisch. Es hinterfragt die Wirkungen, die es im Nichtrecht hervorruft, in dem Bereich, der nicht die Form selbst ist, sondern der nur in die Form gebracht werden kann: der Bereich der Materie. Diesen Schritt nannten wir Selbstreflexivität. Diese Formalisierung war also gleichsam von materiellen Erwägungen motiviert. Indem sich das Recht allerdings nicht mit dieser einmal erfolgten Grenzziehung zufriedengibt, erneuert es sich und gibt wiederum Forderungen nach, die das Nichtrecht an das Recht stellt. Damit wird die Materialisierung der Form des Rechts vollendet. Das Nichtrecht kann aber die rechtlichen Wertungen nicht einfach ersetzen. Außerrechtliche Forderungen sind nur der Anlass für eine Korrektur der rechtlichen Entscheidung. Dadurch wird das Verhältnis zur Umwelt ausdifferenziert und die Grenzen zum Nichtrecht werden neu gezogen. Das Recht wird responsiv. Christoph Menke spricht treffend von der „geschlossenen Offenheit“ des Rechts.145 Der Unterscheid zum liberalen Bürgerlichen Recht nach seiner ursprünglichen Konzeption besteht zum einen darin, dass es sich bei Materialisierung um einen Prozess handelt, der ständig wiederholt werden muss.146 Zum anderen kann sich das Recht nicht auf eine negative, passive Rolle zurückziehen und die privaten Akteure ihre Positionen aushandeln lassen, sondern muss aktiv eingreifen, indem es formale Ergebnisse der Rechtsanwendung auf den
144 Teubner, Recht als autopoietisches System, S. 123 ff.; ders., Zeitschrift für Rechtssoziologie 29 (2008), 9, 17; Menke, Kritik der Rechte, S. 148 f. 145 Menke, Kritik der Rechte, S. 150. 146 Menke, Kritik der Rechte, S. 150.
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Prüfstand stellt. Die Gerechtigkeit eines solchen Rechtssystems ist kontingent.147 Dieser letzte Schritt, der Übergang von einem reflexiven Recht zu einem responsiven Recht, ist es, der in der Rechtswissenschaft als „Materialisierung“ schon von Weber angegriffen worden ist. Es hat sich aber gezeigt, dass dieser Schritt nur ein Moment der Materialisierung ist, eine sinnvolle Weiterentwicklung der Selbstreflexivität, bei der es insgesamt darum geht, die Materie in der Form des Rechts zu ihrem Recht kommen zu lassen. Wir wollen daher zwischen der Materialisierung im engeren Sinne und der Materialisierung im weiteren Sinne unterscheiden. Unter Materialisierung im engeren Sinne verstehen wir die Responsivität des Rechts. Als Materialisierung im weiteren Sinne lässt sich letztlich der gesamte privatrechtliche Diskurs der Moderne begreifen, also sowohl die Formalisierung des Bürgerlichen Rechts als auch die responsive Sprengung dieser Formalität.148 b) Wechselwirkung zwischen Materialisierung und Formalisierung: Prinzip der immanenten Kritik Zugegeben ist, dass unter Materialisierung zunächst der rechtliche Formalismus als reine Technik, wie ihn Max Weber beschrieben hat, leidet und damit auch die Rechtssicherheit. Diese wird untergraben zu Gunsten von Werten wie Gerechtigkeit, über die ein allgemeiner Konsens in einer pluralen Gesellschaft kaum entstehen kann.149 Letztlich ist Rechtssicherheit im demokratischen Rechtsstaat aber auch kein Selbstzweck. Zudem muss man noch einen Aspekt mitdenken, der gewöhnlich übersehen wird. So wie sich im Formalismus des Bürgerlichen Rechts ein materieller Kern finden lässt, so wird auch die Materialisierung durch das formelle Recht geprägt. Durch Materialisierung soll nicht der richterlichen Willkür Tür und Tor geöffnet werden. Materialisierung hat eine Befriedungsfunktion. Sie soll die Defizite beheben, die ein strenger Formalismus außerhalb des Rechtssystems hervorruft. Das Recht soll nicht an seiner eigenen Lücke zerreißen. Funktionieren 147
Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 221; Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 29 (2008), 9, 17. 148 Vgl. auch Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 43: „[M]ateriale Wertungen sind nicht deshalb Bestandteil des geltenden Rechts, weil die Generalklauseln ihre Einbeziehung ermöglichen, sondern vielmehr konnten sich die Generalklauseln gerade umgekehrt nur deshalb zu offenen Wertungstatbeständen entwickeln, weil der materiale Wertungsgegensatz zwischen Individualismus und Kollektivismus und damit auch der Druck, als ungerecht empfundene Ergebnisse formalen Privatrechtsdenkens durch materiale Wertungen zu korrigieren, der Privatrechtsordnung von Anfang an zugrunde lag“ (Hervorhebung im Original). 149 Zur Relativität der Werte Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 78 ff.; Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, S. 38 ff.; Gutmann, Struktur und Funktion der Menschenwürde als Rechtsbegriff, S. 2; radikal Kelsen, Das Problem der Gerechtigkeit, S. 357 ff.
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
Gerichte nur wie Subsumtionsautomaten, leidet darunter die Legitimität des Rechtssystems, das als ungerecht empfunden werden kann. Spielen sich die Juristen umgekehrt als Richterkönige auf, die frei ohne formale Bindung argumentieren, zerfällt das Rechtssystem von innen, weil die Entscheidung nicht mehr durch selbstreferentiellen Rekurs auf das Recht selbst getroffen wird.150 Daher ist es wichtig noch einmal deutlicher zu sagen, was bei Menke nur impliziert ist: Materialisierung des Rechts ist immanente Kritik, die letztlich zu einer Stärkung der Idee des positiven Rechts führt. Es ist keine Erlaubnis, beliebige außerrechtliche Wertungen heranzuziehen. Immanente Kritik misst den Gegenstand immer an seinem ursprünglich verfolgten Ziel und kritisiert nur seine widersprüchliche, negative Entwicklung. Daher war es wichtig, dem Begriff der Dialektik größeren Raum zu widmen. Letztlich führt die Materialisierung auf Grund der Selbstreferentialität des Rechtssystems auch nicht zu einer Schwächung der Formalisierung des Rechts, wie oft befürchtet wird, sondern zu einer neuen Formalisierung.151 Dies liegt wieder an den Vorzügen der rechtlichen Operation. Auch wenn die Materialisierung zunächst zu Rechtsbrüchen und neuen rechtlichen Entscheidungen führt, sind diese wieder anschlussfähig für neue rechtliche Entscheidungen. Letztlich bleibt es dabei, dass alles Recht positives Recht ist. Es ist der inhärente Zug des Rechtssystems, dass es gar nicht zerfallen kann in Einzelfallentscheidungen, sondern nur an Komplexität zunehmen kann und deshalb immer neuerer Systematisierung bedarf.152 Die durch richterliche Rechtsfortbildung gefundenen Ergebnisse der Materialisierung könnten auch in neuen Gesetzen bestätigt werden. Argumente, die in der Materialisierung des Rechts ein Problem der Gewaltenteilung sehen,153 treffen also nicht. Materialisierung ist ein sich ständig fortsetzender Prozess der Selbstüberprüfung.154 Phasen der Systematisierung und Verfestigung von Recht wechseln sich mit Phasen der Revision ab, der Neubewertung und des Umbruchs. Die widersprüchliche Entfaltung der Begriffe ist, nach dem Wort Adornos, keine Entwicklungslehre: „[D]as immer Neue [ist] zugleich das Alte aus der Nähe […]. Das Neue fügt nicht dem Alten sich hinzu, sondern bleibt die Not des Alten.“155
150
Zum Spannungsverhältnis Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat?, S. 1 ff. Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 29 (2008), 9, 22 nennt dies eine „selbstquälerische Daueroszillation“, weil er die richtige dialektische Einsicht betonen möchte, dass das Recht natürlich dadurch in die Lage gesetzt wird, neue Ungerechtigkeiten zu produzieren; vgl. auch Lukács, Die Verdinglichung und das Bewußtsein des Proletariats, S. 257, 272. 152 Raiser, JZ 2008, 853, 856. 153 Vgl. zum Beispiel Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 2. 154 Vgl. zum reflexiven Recht Teubner, Recht als autopoietisches System, S. 85, 87 ff., 101 f. 155 Adorno, Reflexionen zur Klassentheorie, S. 7, 8. 151
§ 1 Materialisierung der Rechtsordnung
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c) Herausforderung für die Methodik: die „Meuterei auf der Bounty“ Recht gelangt operativ nur zu einer Entscheidung unter Bezug auf bereits entstandenes Recht.156 Ein Gericht kann kein Urteil fällen ohne Rückgriff auf Normen oder Präzedenzfälle. Ein Gesetz kann nicht erlassen werden, ohne dass bestimmte Verfahrensvorschriften beachtet werden. Materialisierung bedeutet, dass außerrechtlichen Forderungen Raum im Rechtssystem gegeben wird und dass das Recht die Effekte, die es auf seine Umwelt hat, ständig auf ihre Angemessenheit überprüft. Das bedeutet aber, dass die außerrechtlichen Normen und Forderungen im System Recht nicht als solche gelten können, sondern sie müssen übersetzt und als juristische Argumente verwendet werden, damit sie Wirksamkeit entfalten.157 Wenn man hieraus nicht die Konsequenz ziehen möchte, dass jedes Argument auch als juristisches Argument gebracht werden kann,158 bedeutet dies vor allem eine Herausforderung an die Rechtsdogmatik. Die Materialisierung des Rechts ist keine Ausfransung der Methodik und keine versteckte reine Billigkeitsrechtsprechung. Im Gegenteil muss das Ergebnis aus dem Recht selbst hergeleitet werden können. Die Kontingenz des Rechts, die angestrebt werden sollte, bedeutet, dass das Recht einerseits anders sein kann, dass es aber andererseits in seiner konkreten Form von Bedingungen abhängt. Teubner fasst das am deutlichsten zusammen: „Interne Konsistenz plus Responsivität gegenüber ökologischen Anforderungen – dies ist die Doppelformel juridischer Gerechtigkeit.“159 Interne Konsistenz verlangt aber eine gewissenhafte Methodik. Dazu mögen vielleicht andere Argumentationstechniken angebracht sein, als es in einem streng formalisierten Rechtssystem angebracht wäre, das auf ständige Selbstreflexion verzichtet. Natürlich ist hier vor allem an eine flexiblere Behandlung von Generalklauseln und, damit nach deutscher Dogmatik eng verbunden, die stärkere Berücksichtigung von Grundrechten zu denken.160 Es bleibt jedoch dabei, dass die Änderungen aus dem Rechtssystem selbst kommen müssen.161 Das Band der Selbstreferentialität darf nicht abgerissen werden. Dies kann auch zu der Konsequenz führen, dass es dem Rechtssystem an gewissen Punkten versperrt ist, Materialisierung durch bestimmte Mittel wie richterliche Rechtsfortbildungen durchzuführen. Es muss dann über legislative Prozesse Rechtsänderungen erreicht werden. Insgesamt 156
Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 29 (2008), 9, 18. Vesting, Jura 2001, 299 302; Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 29 (2008), 9, 17 f. 158 In diese Richtung das topische, unsystematische Rechtsdenken, vor allem Viehweg, Topik und Jurisprudenz; dazu Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 135 ff., insb. 141 ff.; Diederichsen, NJW 1966, 697. 159 Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 29 (2008), 9, 17. 160 Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 42 ff.; siehe den Exkurs unter d). 161 Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 29 (2008), 9, 18. 157
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
steht Materialisierung in der Tradition juristischer Argumentationen und nicht außerhalb von dieser. Das klingt harmloser, als es gemeint ist. Die Hoffnung auf systematische Stimmigkeit und innere Konsistenz des Rechtssystems sollten nicht überschätzt werden. Wenn der Einbruch materieller Anforderungen nur durch besondere Einfallstore in das Recht gelingen kann, ist dem Anspruch an juristische Konsistenz und methodische Verortung zwar genüge getan, aber das Systemdenken der Jurisprudenz leidet darunter.162 Ohne Bruch mit dem formalisierten Recht findet Materialisierung nicht statt.163 Es wird schließlich außerrechtlichen Normerwartungen zur Durchsetzung verholfen. Die Entwicklung des Rechts ist, da sie dialektisch gemeint ist, notwendig negativ und widersprüchlich. Materialisiertes Recht ist ein Angriff auf die Schwerfälligkeit des Rechts in seiner formellen Rationalität. Die Einbettung in die juristische Methode und der kontinuierliche Wechsel zwischen Formalisierung und Materialisierung ändert somit letztlich nichts an der kontingenten Gerechtigkeit des responsiven Rechts. Es trägt die Möglichkeit der Selbstsubversion in sich: „Sie [die Gerechtigkeit des responsiven Rechts, Anm. des Verf.] protestiert im Namen der Gesellschaft, der Menschen und der Natur – doch sie tut dies aus dem inneren Arkanum des Rechts heraus. Subversive Gerechtigkeit ist der Stachel im Fleisch. Meuterei auf der Bounty – dies ist die Botschaft der Soziologie für die juridische Gerechtigkeit.“164 d) Exkurs: Besondere Bedeutung der Grundrechtsanwendung und der Generalklauseln für die Materialisierung des Rechts In diesem Zusammenhang sei kurz erläutert, warum gerade der Rückgriff auf Grundrechte und Generalklauseln eine materiell gerechte Entscheidung erlaubt. Zwar wird der Rückgriff auf diese oft als Ärgernis und Störung der sorgfältigen Zivilrechtsdogmatik empfunden.165 Doch erlauben gerade sie eine Materialisierung der Entscheidungsfindung und verhindern eine formale Abschließung des Rechtssystems. Der Grund liegt in der Struktur der Normen selbst. 162
Prototypisch mit dem Anspruch, Rechtsfortbildungen nur mit systemimmanenten Wertungen vorzunehmen Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 119 ff. 163 Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 28 ff., 33 ff. 164 Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 29 (2008), 9, 21; vgl. auch die Skizze eines „enttäuschungslosen“ Rechtsverfahrens bei Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 112 f., der ein solches Verfahren für schwer umzusetzen hält, sich andererseits aber auch nur auf die Verfahrensebene selbst konzentriert und die Abweichungsmöglichkeiten bei der rechtlichen Bewertung ausklammert. 165 Vgl. Diederichsen, AcP 198 (1998), 171 ff., 185 ff., 214 ff., 220 ff.
§ 1 Materialisierung der Rechtsordnung
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aa) Bedeutung der Grundrechte Vorausgesetzt sei die Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien. Im Anschluss an Dworkin und Alexy sind unter Regeln Normen zu verstehen, die der Erfüllung eines Tatbestands eine bestimmte Rechtsfolge zuordnen. Wenn der Tatbestand x erfüllt ist, folgt daraus y. Regeln erheben den Anspruch, genau befolgt zu werden.166 Wenn auf x nicht y folgt, gilt die Regel nicht.167 Prinzipien hingegen sind Optimierungsgebote, die in unterschiedlich hohem Maße erfüllt werden können. Sie erheben nicht den Anspruch, befolgt zu werden und ordnen auch keinen feste Rechtsfolge im Falle ihrer Nichtbefolgung an, sie beanspruchen nur, so weit wie möglich verwirklicht zu werden.168 Für die Kollision von Regeln gibt es spezielle Regeln, etwa lex specialis derogat legi generali etc.169 Auf Prinzipienkollisionen können diese Regeln jedoch nicht angewendet werden. Im Kollisionsfall müssen die Prinzipien vielmehr abgewogen werden und genau bestimmt werden, wie weit die sich widersprechenden Prinzipien verwirklicht werden können.170 Grundrechtsnormen haben einen Doppelcharakter. Sie lassen sich zu Regeln verdichten und als solche anwenden, enthalten wegen ihres Abwägungscharakters allerdings stets Restelemente von Prinzipien.171 Die Abwägung sich widerstreitender Grundrechtspositionen ist das im Verfassungsrecht geläufige Prinzip der „praktischen Konkordanz“.172 Die praktische Konkordanz kann dabei nicht abstrakt formal bestimmt werden, sondern ist immer eine Frage des Einzelfalls. Grundrechte sind daher das ideale Einfallstor für Umweltforderungen im Einzelfall, die das Recht in seine Abwägung mit aufnehmen kann. Gerade, weil widerstreitende Positionen so berücksichtigt werden können, ist der Bezug auf grundrechtliche Erwägungen, ähnlich wie schon bei der Interessenjurisprudenz, ein Weg dahin, dass Recht seine grundsätzlich formelle Operationsweise reflektiert und auf seine Wirkungen in der Umwelt reagiert. bb) Bedeutung der Generalklauseln Nun können Grundrechte allein nur staatliche Gewalt binden (vgl. Artikel 1 Abs. 3 GG). Bedeutung für das Zivilrecht können sie damit nur gelangen, wenn mit ihrer Hilfe die Gesetzesnormen an sich angreifen. In den Zivilrechtsstreit
166
Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, S. 58; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 76. Dworkin, ebd. 168 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 75 f. 169 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 77 f. 170 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 78 f. 171 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 122 ff. 172 Vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 1993, Az. 1 BvR 567/89, BVerfGE 89, 214, 232. 167
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
hinein wirken die Grundrechtsnormen, indem sie über Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe in das Bürgerliche Recht implementiert werden.173 Beide Norminstrumente müssen im Einzelfall und für den Einzelfall konkretisiert wird. Hierin liegt ein Akt delegierter Rechtssetzungskompetenz an die Gerichte: der Gesetzgeber stößt, da er an die Rechtssetzungsform allgemeiner Gesetzgebung gebunden ist, ab einem bestimmten Punkt an seine Grenzen und muss der Rechtsprechung gemäß dem Gebot der sach- und funktionsgerechten Entscheidung die Befugnis zur Regelbildung für das konkrete Rechtsverhältnis erteilen.174 Aus dem Gebot der Sachgerechtigkeit ist es dem allgemeinen Gesetzgeber hier verwehrt, selbst rechtsetzend zu werden. Dem formellen Recht sind hier somit materielle Grenzen gezogen. Dabei sind die Gerichte an den Delegationsauftrag des Gesetzgebers als äußerer Grenze der Normkonkretisierung gebunden, der darin besteht, eine gerechte Einzelfalllösung zu finden und diese gleichzeitig rational zu begründen, damit die Verfassungs- und Gesetzesbindung der Normkonkretisierung gewahrt ist.175 Die delegierte Aufgabe des Gesetzgebers besteht aber genau darin, materielle, also außerrechtliche Erwartungen in das Recht zu integrieren, um die durch die Formalität des positiven Rechts und die autopoietische Kommunikation des Rechtssystems bedingte Abschottung gegenüber der Umwelt zu durchbrechen.176 Ihre Offenheit und Ausrichtung auf die Gerechtigkeit des Einzelfalls prädestinieren sie gerade dazu, die Resultate formalen Rechtsdenkens anzugreifen und im Notfall rückgängig zu machen.177 e) Materialisierung als generelles Phänomen des Rechts Zuletzt lässt sich bereits eine These zum Verhältnis von Materialisierung und Internationalem Privatrecht aufstellen. Materialisierung ist nicht allein auf eine einzige Erscheinung des positiven Rechts, das Bürgerliche Recht, beschränkt. Materialisierung in dem Sinne, wie er hier beschrieben wurde, ist eine Erscheinung des Rechtssystems, die verallgemeinert werden kann. Röslers Frage, ob
173 BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958, Az. 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198, 205 f.; aus der Literatur bloß Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, S. 66 ff., 113 f.; Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 42 f. 174 Ausführlich Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, S. 48 ff. mit vielen Nachweisen. 175 Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, S. 124 ff., 159 ff., 436. 176 Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 315 ff.; Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 42 f.; Mayer-Maly, JZ 1981, 801, 803; Weber, AcP 192 (1992), 516, 519 ff. 177 Adorno, Negative Dialektik, S. 305, der hier Aristoteles den Verdienst zuschreibt, gegen den ordnenden Zwang der abstrakten Rechtsnorm auf der Idee der Billigkeit bestanden zu haben.
§ 1 Materialisierung der Rechtsordnung
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Materialisierung damit auch eine Kategorie des Kollisionsrechts sein kann,178 ist somit grundsätzlich zu bejahen. Im Folgenden soll diese These ausführlich begründet werden. Die bisherigen Ausführungen können dabei als Schlüssel dienen, um die Entwicklung des IPR als einen Prozess der Materialisierung im weiteren Sinne zu begreifen. Es wird gezeigt, dass die Geschichte des modernen IPR seit den Arbeiten von Friedrich Carl von Savigny geprägt ist durch eine stetig neue Ausdifferenzierung von Kollisionsrecht und Umwelt. Dies öffnet das IPR gleichzeitig für zukünftige Änderungen und Neuansätze. Im Anschluss muss überlegt werden, was das Prinzip des Schwächerenschutzes, auf das im Besonderen einzugehen ist, bedeutet und wo es eine sinnvolle Ergänzung für die Materialisierung des Europäischen Internationalen Familienrechts sein könnte. B. Die Materialisierung des Internationalen Privatrechts I. Ideenentwicklung im deutschen IPR: Von der Formalisierung zu Selbstreflexion und Selbstbegrenzung179 Das folgende Kapitel will kein historischer Überblick sein. Um der Gefahr zu entgehen, einen vollumfänglichen Überblick über die historische Entwicklung des IPR im deutschen Recht zu versuchen, was nur scheitern kann, sollen hier nur einzelne entscheidende Wegmarken herausgegriffen und unter dem Aspekt zunehmender Selbstreflexion des IPR untersucht werden. Dabei kann kein vollständiges Bild der Entwicklung gegeben, sondern nur eine mögliche Lesart ihrer Geschichte erprobt und bestätigt werden. Die Auswahl ist natürlich subjektiv und birgt die Gefahr, mehr zu verschweigen als zu enthüllen. Sicherlich zeigt sich auch dabei, dass es sich nicht um eine geradlinige Entwicklung handelt. Diese kann vielmehr mit Rückschritten verbunden sein. Zu jedem Beispiel lässt sich ein Gegenbeispiel finden. Ziel ist es jedoch, eine eindeutige Tendenz in der Entwicklung des IPR auszumachen. Betrachtet werden sollen dabei alle Bereiche, die einen Umgang mit dem Internationalen Privatrecht pflegen, also Gesetze, Urteile und vor allem rechtswissenschaftliche Diskurse zum IPR. Ausgangspunkt der Betrachtungen ist die kopernikanische Wende Savignys, die immer noch als grundlegend für das heutige Verständnis des IPR betrachtet
178
Siehe oben S. 4. Dieser Abschnitt basiert zu einem großen Teil auf meinem Aufsatz: Europeanization and doctrines of Private International Law – New developments in International Family Law, S. 159 ff. Der Text wurde für diese Arbeit übersetzt und überarbeitet. 179
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
werden kann und wird.180 Die These dieser Arbeit lautet, dass seit diesem Zeitpunkt das IPR ein reflexives und responsives Recht ist.181 1. Die kopernikanische Wende Benutzt man das Bild der kopernikanischen Wende für den IPR-Ansatz von Savigny, muss noch geklärt werden, wie das kollisionsrechtliche Weltbild aussah, das Savigny auf den Kopf gestellt hat.182 Die Antwort darauf ist in der Statutentheorie zu finden, die bis ins 19. Jahrhundert die Behandlung internationaler Fälle thematisierte. Ausgangspunkt der Statutentheorie sind die materiellrechtlichen Statuten, also die Gesetze der einzelnen Städte und Länder. Durch Analyse dieser Statuten wird ihr internationaler Anwendungsbereich bestimmt und dadurch geklärt, welche Fälle mit welchen Regeln entschieden werden müssen.183 a) Die Statutentheorie ab Bartolus Erste Ansätze finden sich in den Schriften des bedeutenden Kommentators des römischen Rechts, Bartolus de Saxoferrato (1313–1357).184 In seinem Kommentar zur römischen lex cunctos populos C. 1,1,1 stellt er zwei Fragen: „utrum statutum porrigatur extra territorium ad non subditos“ und „utrum effectus statui porrigatur extra territorium statuentium“.185 Er möchte also herausfinden, ob ein Statut, also ein Gesetz einer Stadt oder einer Region, auch bei Fremden anwendbar ist, wenn sie in die Stadt kommen, in der das Gesetz gilt. Daneben fragt er, ob ein Statut auch außerhalb der Grenzen des Territoriums, in dem es erlassen wurde, Wirkung entfalten kann. Beide Fragen beantwortet Bartolus sehr differenziert, aber grundsätzlich verneint er die erste Frage und bejaht die
180 Sahner, Europeanization and doctrines, S. 159, 162 mit weiteren Nachweisen; Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 750 ff. 181 Vgl. in diese Richtung mit ähnlichen Schwerpunkten auch Weller, RabelsZ 81 (2017), 747 ff., der auch zu ähnlichen Ergebnissen kommt und der für diese Entwicklung einen passenden Titel gefunden hat: „Vom Staat zum Menschen“. 182 Es geht in diesem Abschnitt nicht um eine wirklich historische Aufarbeitung. Die Geschichte des IPR soll hier nicht noch einmal erzählt werden. Es soll lediglich die gängige Geschichtserzählung des IPR interpretiert werden. Die Informationen entnehme ich daher auch nicht den Originalquellen, sondern der gängigen Lehrbuchliteratur. 183 Sahner, Europeanization and doctrines, S. 159, 163 f. 184 Kegel/Schurig, IPR, S. 170; von Bar/Mankowski, IPR I, S. 481; E. Lorenz, Zur Struktur des Internationalen Privatrechts, S. 30; MK-BGB/von Hein, Einleitung IPR, Rn. 12. 185 Abgedruckt in Meili, Zeitschrift für Internationales Recht 1894, 262. Es besteht Einigkeit darüber, dass die Wörter „extra territorium“ in der ersten Frage gestrichen werden müssen. Zumindest muss das Wort „extra“ in „intra“ geändert werden; vgl. nur Kegel/Schurig, IPR, S. 171.
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zweite.186 Die Regel, dass Statuten Fremde nicht binden, war dabei bereits im 13. Jahrhundert von Accursius aufgestellt worden.187 Bartolus ergänzt sie jedoch um Ausnahmen. So sollte zum Beispiel die lex loci actus die Formwirksamkeit und den Inhalt von Verträgen regeln. Bei der zweiten Ausnahme unterschied er, neben anderen Kriterien, zwischen verbietenden und erlaubenden Regeln, wobei jene nur innerhalb ihres Territoriums Wirkung entfalten könnten.188 Diese besondere Formulierung der beiden Fragen legte den Grundstein für die Statutentheorie und fasste ihre Eigentümlichkeit für viele Jahrhunderte bereits zusammen. Ziel dieser Theorie war es, den räumlichen Anwendungsbereich der regional unterschiedlichen Statuten zu ermitteln.189 Methodischer Ausgangspunkt war dabei die Analyse des materiellen Rechts selbst. Nicht eigenständige Kollisionsregeln gaben vor, wie die Gesetze untereinander abgegrenzt werden sollten, die Regeln folgten erst aus einer Untersuchung der Gesetze selbst.190 Aus diesen Untersuchungen folgten jedoch keine besonders klaren Regeln, das Kollisionsrecht gewann keine Eigenständigkeit vom materiellen Recht. Die Ergebnisse, die so erzielt wurden, mussten daher von unserem heutigen Standpunkt willkürlich, fast „impressionistisch“ wirken.191 Es bleibt jedoch festzuhalten, dass, auch wenn die Entwicklung des IPR zu einem eigenständigen Ansatz noch in den Kinderschuhen steckte, hier bereits ein moderner Blick auf das Recht genommen wird. Das Recht betrachtet sich nicht als unbegrenzt und absolut geltende Weltordnung, sondern als begrenzt und relativ. Neben dem eigenen Rechtssystem gibt es noch andere Rechtssysteme, von denen es sich abgrenzt, indem es seine Grenzen ausdifferenziert. Dieser Ansatz ist fortschrittlicher als noch in der Antike, wo der Gedanke, es könnte neben dem eigenen Recht noch weiteres Recht geben, zum Beispiel im griechischen Recht gar nicht aufkam.192 Und auch im römischen Recht entwickelten die Juristen aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen ein Fremdenrecht.193 Eine erste richtige Systematisierung der Statutentheorie erreichte im 16. Jahrhundert der französische Jurist Bertrand d’Argentré. Dabei entwickelte er
186
Eine Zusammenfassung seiner Argumentation findet sich bei Gamillscheg, Der Einfluss Dumoulins auf die Entwicklung des Kollisionsrechts, S. 53 ff. 187 von Bar/Mankowski, IPR I, S. 482. 188 Lorenz, Zur Struktur des Internationalen Privatrechts, S. 31; Kegel/Schurig, IPR, S. 171. 189 Kropholler, IPR, S. 11. 190 von Bar/Mankowski, IPR I, S. 483. 191 Kegel/Schurig, IPR, S. 173. 192 Rauscher, IPR, Rn. 19. 193 Rauscher, IPR, Rn. 21.
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
keinen neuen Ansatz, sondern brachte eine Ordnung in die überlieferten Gedanken seiner Vorgänger.194 D’Argentré teilte die Statuten in drei Kategorien ein: in statuta personalia, statuta realia und statuta mixta.195 Statuta personalia bestimmen dabei den rechtlichen Status einer Person, zum Beispiel ihre Geschäftsfähigkeit, die elterliche Verantwortlichkeit, aber auch die Rechte und Pflichten aus einfachen Verträgen und Rechte über bewegliche Gegenstände. Sie banden nur diejenigen, die ihren Wohnsitz in den Grenzen der Regel hatten.196 Statuta realia bezogen sich auf unbewegliche Gegenstände. Für sie galt die lex rei sitae.197 Ließ sich eine Regel nicht eindeutig einer dieser beiden Gruppen zuordnen, war es eine der statuta mixta. Bei diesen überwog nach d’Argentré letztlich ihr „realer“ Anteil, so dass die lex rei sitae zur Anwendung kam.198 Ein Beispiel für eine konkrete Anwendung dieser Statutentheorie lässt sich bereits in Bartolus, Kommentar zur lex cunctos populos, finden, die „quaestio anglica“, die Englische Frage.199 Hierbei ging es darum, wer Erbe eines Engländers ist. Nach Bartolus gab es zu seiner Zeit in England eine Regel, die, anders als in Kontinentaleuropa, bestimmte, dass nur der erstgeborene Sohn Erbe des Vaters werden könne.200 Um die Fälle zu bestimmen, in denen diese Regel zur Anwendung gelangt, kommt es nun nach Bartolus auf den Wortlaut der Vorschrift an: ist die Norm etwa formuliert „bona decedentium veniant in primogenitum“ (die Güter des Verstorbenen sollen an den Erstgeborenen gehen), dann gehöre die Regel zu den statuta realia, weil sie die Güter der Erblassers anspreche. Sei die Regel jedoch einfach nur formuliert als „primogenitus succedat“, dann spreche sie die Person des Erben an und gehöre somit zu den statuta realia. Im ersten Fall könne ein Gericht in Italien die Regel also nicht anwenden, in England gelte sie für Einheimische wie für Fremde, im zweiten Fall sei die Regel grundsätzlich beachtlich, wenn ein Engländer verstirbt (in Italien würde sie dennoch nicht angewendet werden, da sie „odiosum“, also nachteilig, für andere Erben sei; das Gericht würde sich also auf den Einwand der öffentlichen Ordnung berufen, um es modern auszudrücken).201
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Kegel/Schurig, IPR, S. 173 f. Kegel/Schurig, IPR, S. 174; von Bar/Mankowski, IPR I, S. 491. 196 Rauscher, IPR, Rn. 27; Kegel/Schurig, IPR, S. 174. 197 von Bar/Mankowski, IPR I, S. 491. 198 Rauscher, IPR, S. 9, Rn. 27; von Bar/Mankowski, IPR I, S. 491; ein berühmtes Beispiel zur Anwendung der Statutentheorie war die von Bartolus gestellte „quaestio anglica“, dazu Sahner, Europeanization and doctrines, S. 159, 165. 199 Zitate nach Kegel/Schurig, IPR, S. 171. 200 von Bar/Mankowski, IPR I, S. 483. 201 Lorenz, Zur Struktur des Internationalen Privatrechts, S. 31; Kegel/Schurig, IPR S. 171. 195
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In den Niederlanden geriet während des 17. Jahrhunderts eine andere Frage in den Vordergrund: es wurde versucht, eine Begründung dafür zu finden, warum ein Gericht überhaupt ausländisches Recht anwenden sollte. Auch hier zeigt sich ein moderner, reflexiver Ansatz der Rechtswissenschaft. Paul Voet (1619–1667), sein Sohn Johannes Voet (1647–1714) und Ulrich Huber (1636– 1694) erklärten die Frage allein unter Rückgriff auf das Völkerrecht. Ausgangspunkt war dabei das Prinzip der Staatssouveränität. Die Staaten seien nicht verpflichtet, fremdes Recht anzuwenden. Der räumliche Anwendungsbereich eines Gesetzes ende viel mehr an der Grenze des Gebietes, das der Gesetzgeber beherrsche. Wenn ein Staat auch die Anwendung fremden Rechts zulasse, handle er freiwillig. Hierin sei ein Zeichen der Annäherung und Rücksichtnahme auf andere Staaten zu sehen. Auf diese Weise würden die Staaten eine weltweite Gemeinschaft, die sogenannte „comitas“ bilden.202 Die Systematisierung der Statutentheorie durch d’Argentré sowie die comitas-Theorie der Niederlande wurden bis in 19. Jahrhundert als herrschende Lehre in Deutschland verbreitet.203 In ihrer rigiden Klassifizierung und Systematisierung wird deutlich, wie wenig diese Theorie reflexiv auf die Bedürfnisse ihrer Umwelt ausgerichtet war. b) Kritik an der Statutentheorie In den Jahren 1841 und 1842 veröffentlichte Carl Georg von Wächter (1797– 1880)204 im „Archiv für die civilistische Praxis“ einen Aufsatz mit dem Titel „Ueber die Collision der Privatrechtsgesetze verschiedener Staaten“.205 Dieser Text wird oftmals als Todesstoß der Statutentheorie angesehen.206 Wächter übernahm die niederländische comitas-Theorie und dachte sie zu Ende. Staaten seien souverän, so dass nur der Staat selbst seinen Gerichten die Anwendung fremden Rechts vorschreiben könne.207 Wenn dieser Ansatzpunkt aber richtig sei – Wächter lässt keinen Zweifel daran –, dann könne der räumliche Anwendungsbereich einer Regel sich nicht aus einer Analyse der Regel selbst ergeben, sondern die Anwendbarkeit müsse durch eine selbstständige Regel der lex fori
202 Kegel/Schurig, IPR, S. 175 ff.; von Bar/Mankowski, IPR I, S. 498 f.; diese betonen, dass vor allem die Voets als die Urheber der comitas-Theorie betrachtet werden müssen, während Huber die Ideen nur ausbaute; a.A. zum Beispiel Rauscher, IPR, S. 9. 203 Überblick über die Entwicklung etwa bei von Bar/Mankowski, IPR I, S. 492. 204 Die Schreibweise des Vornamens ist je nach Quelle unterschiedlich. Da in dem AcPText der Vorname nicht genannt wird, übernehme ich die Schreibweise von Kegel/Schurig, IPR, S. 182. 205 Wächter, AcP 24 (1841), 230 ff.; AcP 25 (1842), 1 ff., 161 ff., 361 ff. 206 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 118; Kropholler, IPR, S. 13; von Bar/Mankowski, IPR I, S. 510; Rauscher, IPR, S. 9, Rn. 29. 207 Wächter, AcP 24 (1841), 230, 237.
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selbst erklärt werden. Eine solche Norm sei dem Recht aber nicht zu entnehmen.208 Daneben griff er die Statutentheorie auch mit einigen praktischen Argumenten an: Die oberflächliche Einteilung aller Normen in drei Gruppen sei zu vage, unsicher und willkürlich. Die Ergebnisse seien durch die Praxis kaum vorherzusagen oder beherrschbar und seien nach Korrekturen hinzunehmen.209 An dieser Argumentation sind zwei Aspekte erstaunlich. Zuerst gelingt es Wächter, durch eine konsequente Anwendung der comitas-Theorie die Eigenständigkeit des Kollisionsrechts zu betonen und es stärker gegen seine Umwelt auszudifferenzieren. Nicht das Sachrecht selbst regelt seine räumliche Anwendbarkeit, dies kann nur eine besondere Kollisionsnorm der lex fori selbst.210 Dieser Gedanke kam in der Statutentheorie nie derart deutlich zum Ausdruck. Das Kollisionsrecht schien aus dem Sachrecht zu fließen und nicht eigenständig daneben zu stehen. Zudem ist auffallend, dass Wächter auch einen Schwerpunkt auf die praktischen Auswirkungen der Theorie legt: Sie sei abzulehnen, weil sie in der Praxis nur Schaden anrichte, denn sie sei von den Rechtsanwendern nicht beherrschbar und führe in vielen Fällen zu ungerechten Konsequenzen. Dies ist als Ansatz einer reflexiven Betrachtung des Kollisionsrechts anzusehen, als der erste Schritt zu einer Materialisierung des IPR. Seit der scharfen Kritik Wächters war die Statutentheorie tatsächlich nicht mehr haltbar. Uns erscheint sie heute geradezu als unlogisch.211 Die Vertreter der Statutentheorie arbeiten nur mit der Auslegung des materiellen Rechts. Ausgangspunkt ist dabei die Sachnorm. Durch eine Analyse dieser Norm kann zwar festgestellt werden, dass der Anwendungsbereich der Norm X den Fall Y abdeckt. Damit ist die Fragestellung des Internationalen Privatrechts aus heutiger Sicht jedoch knapp verfehlt. Das Internationale Privatrecht fragt: Welches Recht soll über den Fall Y entscheiden? Dies kann aber die Auslegung der Regel X nicht entscheiden, denn sie sagt nichts über andere Rechtsregeln aus anderen Rechtsordnungen.212 Dies kann am Beispiel der bereits erläuterten quaestio anglica verdeutlicht werden: Bartolus meinte, ob im Falle eines Engländers, der in Italien verstirbt, das englische exklusive Erbrecht des Erstgeborenen zur Anwendung gelangt, hänge davon ab, wie das englische Recht formuliert sei, nämlich ob es ein Real- oder ein Personalstatut sei. Gamillscheg hat dargelegt, dass es sich bei dieser Schlussfolgerung um eine eigenständige und von der Sachnorm unabhängige Kollisionsnorm handele.213 208
Wächter, ebd. Wächter, AcP 24 (1841), 230, 286. 210 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 118. 211 Siehe vor allem die starke Kritik von Gamillscheg, Der Einfluss Dumoulins auf die Entwicklung des Kollisionsrechts, S. 72 ff. 212 Gamillscheg, Der Einfluss Dumoulins, S. 73 f. 213 Gamillscheg, Der Einfluss Dumoulins, S. 74. 209
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Wie diese zustande kommt, wird allerdings nicht deutlich. Warum entscheidet etwa nicht die Formulierung des italienischen Erbrechts der Nachkommen darüber, ob es zur Anwendung kommt. Wenn das italienische Recht dann zum Beispiel als Personalstatut formuliert ist, während das englische Recht ein Realstatut ist, kommt es zu einem Normenmangel, der nicht allein durch eine Analyse des Sachrechts gelöst werden kann.214 Die Wahl einer bestimmten Sachnorm als Ausgangspunkt der kollisionsrechtlichen Überlegungen ist demnach unlogisch, solange es keine allgemeine formale Kollisionsnorm gibt, die eben gerade auf dieses Sachrecht verweist. Aber genau diese logisch vorgelagerte Kollisionsnorm gab es in der Statutentheorie nicht. Sie fehlte schlicht.215 Es ist daher nicht überraschend, wenn heutige Autoren ihre Verwunderung darüber zum Ausdruck bringen, dass eine jahrhundertealte Theorie sich auf einem logischen Denkfehler entwickeln konnte.216 Immerhin zeigt es, dass man auch auf Grundlage einer irrationalen Hypothese noch viele rationale Schlussfolgerungen ziehen kann. Erstaunlich ist daher vielmehr, dass das Ende der Statutentheorie gar nicht so sehr durch ihre logischen Unzulänglichkeiten, sondern durch ihre schwere Beherrschbarkeit in der Praxis besiegelt worden ist. c) Rekonstruktion des IPR durch Savigny Wächter zerstörte mit seiner Kritik die tradierten Überzeugungen der Lehre vom Kollisionsrecht. Sein „nur sehr schüchtern“217 vorgetragener Vorschlag, wie die von ihm gerissenen Lücken zu füllen seien, konnte jedoch nicht überzeugen. Er sprach sich hauptsächlich für eine Anwendung der lex fori aus, soweit das Gesetz nicht ausdrücklich ein anderes vorschreibe.218 Ein neuer, überzeugenderer Ansatz gelang schließlich Savigny im 1849 erschienenen 8. Band des „Systems des heutigen Römischen Rechts“.219 Noch deutlicher als bei Wächter war zudem Savignys reflexives Bewusstsein. Savigny machte nicht die gleichen Fehler wie seine Vorgänger. Er konzentrierte sich nicht auf die Analyse des Sachrechts, sondern sein Augenmerk
214
Gamillscheg, Der Einfluss Dumoulins, S. 74. von Bar/Mankowski, IPR I, S. 485; Lorenz, Zur Struktur des Internationalen Privatrechts, S. 32 ff., versucht, den letztlich nicht überzeugenden Nachweis zu führen, dass eine solche Kollisionsnorm doch existierte; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 113 ff., weist richtig darauf hin, dass der Ansatz vom Sachverhalt und der Ansatz vom Gesetz letztlich gleichwertig sind, stellt aber trotzdem differenziert die Unterschiede zwischen Statutentheorie und Savigny dar. 216 von Bar/Mankowski, IPR I, S. 485. 217 Wächter, AcP 24 (1841), 230, 235. 218 Wächter, AcP 25 (1842), 1, 33 ff, insb. 35.; Kropholler, IPR S. 13. 219 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band 8. 215
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richtet sich auf einen neuen Ansatz. Er lenkte den Fokus auf das Rechtsverhältnis.220 Der traditionelle Ansatz fragte, für welche Rechtsverhältnisse ein bestimmtes Statut/ein bestimmtes Gesetz gelte. Savigny drehte dies um und fragte, welche Statuten/Gesetze für ein bestimmtes Rechtsverhältnis gelten.221 Das war zunächst einmal bescheidener. So war keine umfassende Systematisierung aller Rechte der Welt und ihres Anwendungsbereichs erforderlich, sondern Savigny konzentriert sich auf das, was für die Praxis tatsächlich von Bedeutung ist, nämlich welches Recht im Einzelfall gelten soll. Außerdem umging Savigny damit die Falle, aus der Analyse des materiellen Rechts dessen räumlichen Anwendungsbereich abzuleiten. Das Internationale Privatrecht ist nach dieser Konzeption ein autonomes Rechtsgebiet mit einer eigenen Fragestellung, die sich nun sehr deutlich von der des Privatrechts abgrenzt und nicht aus dieser entwickelt werden muss.222 Zudem fällt die formelle Rationalität im Sinne Max Webers dieses Ansatzes auf: die Aufgabe, den Sitz des Rechtsverhältnisses zu finden, ist ein formales, allgemeines Prinzip, das sich auf alle Fälle übertragen lässt.223 Noch einmal wird deutlich, dass eine solche Formalisierung durch materielle Wertungen motiviert sein kann. Die richtige Einordnung und Lokalisierung des in Frage stehenden Rechtsverhältnisses war daher für Savigny die Aufgabe des IPR. Es gehe darum, „daß bei jedem Rechtsverhältniß dasjenige Rechtsgebiet aufgesucht werde, welchem dieses Rechtsverhältniß seiner eigenthümlichen Natur nach angehört oder unterworfen ist (worin dasselbe seinen Sitz hat)“.224 Den Sitz oder, wie Otto von Gierke es formuliert hat, den „Schwerpunkt“225 des Rechtsverhältnisses in einem bestimmten Rechtssystem zu finden, ist bis zum heutigen Tag die erste Aufgabe des IPR geblieben.226 Das IPR sucht also die räumlich engste Verbindung, nicht das sachrechtlich beste Recht.227 Seine Vorstellungen über den Grund des IPR lehnte Savigny an die comitasTheorie der Niederländer an. Nach seiner Vorstellung ist, wie bei Wächter, IPR keinesfalls Teil des Völkerrechts, einem universalistischen Verständnis des
220
Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band 8, S. 1; Seif, RabelsZ 65 (2001), 492, 502 f.; zur Angemessenheit des Begriffs des Rechtsverhältnisses im IPR bei Savigny vgl. Kegel, FS Raape, S. 13, 14 ff.; ausführlich zuletzt Reuter, RabelsZ 81 (2017), 661, 662 ff. 221 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band 8, S. 2. 222 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 117. 223 Kegel/Schurig, IPR, S. 183 f. 224 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, S. 108. 225 Gierke, Deutsches Privatrecht I, S. 217. 226 Statt aller MK-BGB/von Hein, Einleitung IPR, Rn. 29; Lehmann, FS Spellenberg, S. 245. 227 Rauscher, IPR, Rn. 47; Lagarde, Le principe de proximité, Rec. des Cours 196 (1986), S. 9 ff.; Weller, IPRax 2011, 430 f.
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Kollisionsrechts erteilt er eine Absage.228 Aus der Souveränität der Staaten leitet er ab, dass jeder Staat frei darin sei, seine Kollisionsregeln selbst zu bestimmen.229 Er könne es sogar ablehnen, überhaupt fremdes Recht anzuwenden und in äußerster Konsequenz Fremden jedes Recht verweigern.230 Dies sei jedoch nirgendwo der Fall. Grund dafür ist der praktische Rat, Fremde angemessen zu behandeln, damit den eigenen Einwohnern in der Fremde ebenfalls Rechte zuerkannt werden. Vor allem geht es Savigny um die Interessen der am internationalen Handel beteiligten Individuen.231 Und auch die Völkergemeinschaft selbst erscheint bei Savigny weniger als ein Rechtsbegriff mit einer eigenen Rechtsordnung, sondern als ein rein faktischer Begriff, der einfach nur ausdrücken will, dass sich die Völker auf Grund gemeinsamen Handels, einer gemeinsamen Kultur und Religion aus rein praktischen, ökonomischen Gründen weiter annähern.232 Daraus folgt ein wichtiger Baustein von Savignys IPR-System: Gegenseitige Anerkennung kann nur verwirklicht werden, wenn alle Rechtsordnungen als gleichwertig betrachtet werden.233 Internationales Privatrecht erscheint so als neutrales, apolitisches Rechtsgebiet, das fremdes Recht nicht bewertet.234 Als weiteres Ziel erwächst aus den praktischen Bedürfnissen und der Gleichheit der Rechtsordnungen auch der Wunsch, eine internationale Entscheidungsharmonie herzustellen, damit ein Fall möglichst überall gleich entschieden wird.235 Der Blickwechsel vom Sachrecht zum Sitz des Rechtsverhältnisses und die daraus resultierende Möglichkeit, mehr als drei verschiedene Kategorien von Rechten zu berufen, werden als Savignys größte Leistungen im Internationalen Privatrecht eingestuft.236 Neuhaus sprach zu Recht von einer „kopernikanischen Wende“.237 Savigny selbst betonte bescheidener, dass eigentlich kein Unterschied bestehe, ob man in der kollisionsrechtlichen Beurteilung vom 228
Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 118 ff. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band 8, S. 26. 230 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band 8, S. 25. 231 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band 8, S. 26 ff. 232 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band 8, S. 27; Neuhaus, RabelsZ 15 (1949/50), 364, 368. 233 MK-BGB/Sonnenberger, 5. Auflage, Einleitung IPR, Rn. 23. 234 Statt vieler nur MK-BGB/Sonnenberger, 5. Auflage, Einleitung IPR, Rn. 23 mit weiteren Nachweisen, der aber selbst anmerkt, ein solche Kollisionsrecht sei nicht unpolitisch, sondern vielmehr kosmopolitisch und liberal. 235 MK-BGB/von Hein, Einleitung IPR, Rn. 19. 236 Lorenz, Zur Struktur des Internationalen Privatrechts, S. 42; Kropholler, IPR, S. 13 f.; Kegel, FS Raape, S. 13, 16; Neuhaus, RabelsZ 13 (1949/50), 364, 370; Weller, IPRax 2011, 430 ff.; Sahner, Europeanization and doctrines, S. 159, 170 f. jeweils mit weiteren Nachweisen; distanziert, aber im Urteil trotzdem positiv Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 113 ff. 237 Neuhaus, RabelsZ 13 (1949/50), 366; siehe auch MK-BGB/von Hein, Einleitung IPR, Rn. 19; Jayme, Pasquale Stanislao Mancini, S. 8, 10; von Bar/Mankowski, IPR I, S. 513. 229
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Sachverhalt ausgehe oder von der Norm.238 Dies mag zwar richtig sein, nur kam es gerade auf den Perspektivwechsel an, um die Fehler und logischen Brüche der Statutentheorie genau zu sehen und das IPR als autonomes Rechtsgebiet zu rekonstruieren. d) Kodifizierung des Internationalen Privatrechts im EGBGB Savignys konkrete Vorschläge zur Sitzbestimmung waren jedoch oft kaum überzeugend. Ihm ging es meistens um eine tatsächliche räumliche Lokalisierung von Rechtsverhältnissen. Die engste Verbindung wurde sehr wörtlich genommen, ohne Rücksicht auf die konkreten Ziele des Rechtsgebietes.239 Savignys Vorschlag, das Personalstatut an das Recht des Wohnsitzes und das Deliktsstatut an die lex fori anzuknüpfen, hat keine Gefolgschaft gefunden. Stattdessen übernahm man das Staatsangehörigkeitsprinzip für das Personalstatut und das Tatortprinzip für das Deliktsstatut. Diese Ansätze stammten von dem italienischen Politiker und Juristen Pasquale Stanislao Mancini, dessen Einfluss auf die konkrete Ausgestaltung der Kollisionsnormen somit größer war als der von Savigny.240 Bei der Kodifizierung des IPR im EGBGB übernahm der Gesetzgeber nur die Grundsätze des Savigny’schen Kollisionsrechts und entwarf Kollisionsnormen ausgehend vom Rechtsverhältnis. Doch anstatt allseitige Kollisionsnormen zu entwerfen, beschränkte er sich darauf, lediglich einseitig die Anwendung deutschen Rechts festzulegen. Die Mehrseitigkeit der Kollisionsnormen sollte als politisches Druckmittel in den diplomatischen Außenbeziehungen eingesetzt werden.241 Im Vergleich zum Kollisionsrecht Savignys, das auf die Bedürfnisse der Praxis genau so reagierte wie auf die Anforderungen an ein eigenständiges IPR, war dies ein klarer Rückschritt. Über die nächsten Jahrzehnte waren Rechtsprechung und Literatur daher zunächst damit beschäftigt, aus den einseitigen Kollisionsnormen allseitige Normen zu extrahieren.242 Erst mit der IPR-Reform von 1986 wurde der Anspruch eines allseitig verfassten Kollisionsrechts verwirklicht.243 Den derart gefundenen Kollisionsnormen konnte man hingegen eine formale Regelmäßigkeit und Gültigkeit nicht absprechen. Die anhand dieser richterrechtlichen Regelungen getroffene Entscheidung war bindend. Es gab wenig Möglichkeiten zur Korrektur. Zwar enthielt das EGBGB von Anfang an mit 238 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, S. 3; dies betonen auch Lorenz, Zur Struktur des Internationalen Privatrechts, S. 41 ff.; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S 115 ff. 239 Neuhaus, RabelsZ 13 (1949/50), 366, 370. 240 Jayme, Pasquale Stanislao Manicini, S. 8, 10; Mankowski, IPRax 2017, 130. 241 Kegel/Schurig, IPR, S. 204. 242 Besonders einflussreich waren hier die Werke von Ernst Rabel, vgl. Kegel/Schurig, IPR, S. 187 f. 243 Sahner, Europeanization and doctrines, S. 159, 171 f.; dazu auch unten S. 55.
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Artikel 30 a.F. eine ordre public-Klausel, die eine Korrektur im Einzelfall gestattete.244 Allerdings lag der Schwerpunkt dabei nicht auf der Frage, welche Auswirkungen das ausländische Recht auf die Parteien hatte, sondern wie es auf die Öffentlichkeit wirkte. Der ordre public war somit eher ein Ordnungsinstrument.245 Der BGH und die Literatur versuchten, die Dogmatik eher auf die spezifisch privatrechtlichen Rechtspositionen auszurichten.246 Ein entscheidendes Detail von Savignys Theorie wurde jedoch geändert: Nach der herrschenden Meinung der Literatur sollte es nicht darauf ankommen, die engste Verbindung des Rechtsverhältnisses festzustellen, sondern einfach die engste Verbindung der Tatumstände, des Sachverhalts.247 Als Grund wurde die Gefahr eines Zirkelschlusses genannt. Damit man überhaupt von einem Rechtsverhältnis reden könne, bedürfe es zunächst der Anerkennung dieses Verhältnisses durch eine Rechtsordnung.248 Das IPR müsse diese Rechtsordnung aber zuerst noch bestimmen.249 Wenn sie bestimmt sei, sei damit zudem noch nicht gesagt, dass sie das Rechtsverhältnis als solches überhaupt anerkenne. Die Beschränkung auf die engste Verbindung der Fallumstände zu einer Rechtsordnung sei daher der angemessenere Ansatz. Savignys Theorie erwies sich dennoch als der erste Eckstein in der modernen Theorie des Kollisionsrechts und zugleich als ein wichtiges Beispiel für reflexives Recht, das zwar ein geschlossenes Rechts(-sub-)system darstellt, aber seine Bausteine eben nach den praktischen Bedürfnissen der Rechtsanwendung, den Forderungen aus Wirtschaft und Handel, auswählt. Im nächsten Schritt musste das Internationale Privatrecht auf die Defizite in Savignys Theorie reagieren. Noch immer war unklar, nach welchen Kriterien genau die engste Verbindung eigentlich festgestellt werden kann. Eine Beantwortung dieses Problems sollte zu einer gewaltigen Profilschärfung des Internationalen Privatrechts führen. Es dauerte jedoch einige Zeit, bis diese Ergänzung gelang, nämlich in den 1950er Jahren durch die Arbeiten des Kölner Rechtswissenschaftlers Gerhard Kegel. Er setzte einen eigenen Schwerpunkt mit zwei folgenreichen Begriffen, der „Interessenjurisprudenz im IPR“ und der „Internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit“, mit denen er das IPR Savignys auf ein „solideres Fundament“ stellte.250
244
MK-BGB/von Hein, Art. 6 EGBGB, Rn. 11. Vgl. die Definition des Reichsgerichts der öffentlichen Ordnung als der „Grundlagen des deutschen staatlichen oder wirtschaftlichen Lebens“, RG, Urteil vom 21. März 1905, Az. II 387/04, RGZ 60, 296, 300; Staudinger/Voltz, Art. 6 EGBGB, Rn. 130. 246 Vgl. Staudinger/Voltz, Art. 6 EGBGB, Rn. 131. 247 Rabel, Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 5 (1931), 241, 243 ff.; Kegel, FS Raape, S. 13, 23. 248 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts II, S. 1 f. 249 Kegel, FS Raape, S. 13, 22. 250 Krüger, Gerhard Kegel (1912–2006), S. 2. 245
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2. Die „Entdeckung“ der Interessen im IPR durch Gerhard Kegel Gerhard Kegel, ein Schüler Ernst Rabels,251 veröffentlichte die Idee von der Interessenjurisprudenz im IPR zuerst in seinem Beitrag für die Festschrift Lewald.252 Ihm ging es dabei zuerst um die Frage, welchen Gerechtigkeitsaspekten das IPR dient. Da Kollisionsrecht und Sachrecht zwei unterschiedliche Rechtsgebiete seien, müssten sie auch unterschiedlichen „Gerechtigkeiten“ dienen: Internationales Privatrecht diene der „internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit“, materielles Recht der „materiellprivatrechtlichen Gerechtigkeit“. Gerechtigkeit sei natürlich unteilbar, aber bei diesen beiden Begriffen handele es sich um zwei Seiten derselben Medaille.253 Die Fragestellung des Privatrechts laute: Welches ist die gerechteste sachrechtliche Lösung für einen Fall, was ist das angemessenste Ergebnis? Diese Frage nach dem besten materiellen Ergebnis könne im Kollisionsrecht allerdings keine Rolle spielen, denn sonst würde jedes Gericht die lex fori anwenden, die es für das beste Recht halten müsse. Ansonsten müsse die lex fori geändert werden.254 In vielen Fällen sei es jedoch angebracht, ein fremdes Recht anzuwenden, nicht weil es materiellrechtlich höherwertig sei, sondern weil es nach räumlichen Gesichtspunkten die angemessenere, weil näherliegende Lösung ist. Dies ist die engste Verbindung, nach Kegel die „internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit.“255 Damit schuf Kegel keinen neuen Ansatz im IPR. Er war vielmehr ein konservativer Denker, der fest in der Tradition des Kollisionsrechts seit Savigny verankert war. Indem er den Sitz des Rechtsverhältnisses (bei Kegel: der Schwerpunkt des Sachverhalts256) als eigenen Gerechtigkeitsaspekt auswies, gelang ihm jedoch eine schärfere Abgrenzung des Internationalen Privatrechts vom Sachrecht. Bei der Frage, wie diese Gerechtigkeit jetzt im Einzelnen zu erreichen ist, wies er zunächst Versuche, den Sitz des Rechtsverhältnis direkt lokalisieren zu wollen oder eine Einteilung der Gesetze wie bei der Statutentheorie als begriffsjuristische Konstruktionen zurück.257 Entscheidend seien nur die Interessen.258 Damit schloss Kegel an das Konzept der Interessenjurisprudenz von Philipp Heck an und macht dieses für das IPR fruchtbar.
251
Vgl. Kegel, IPRax 2007, 1. Kegel, FS Lewald, S. 259. 253 Kegel, FS Lewald, S. 259, 270. 254 Kegel, FS Lewald, S. 259, 270. 255 Kegel, FS Lewald, S. 259, 270 ff.; Kegel/Schurig, IPR, S. 131 f. 256 Kegel, FS Raape, S. 13, 23. 257 Kegel, FS Lewald, S. 259, 260. 258 Kegel, FS Beitzke, S. 551, 558. 252
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Nach Heck sei ein Gesetz erst dann vollständig verstanden, wenn es als Resultat einer Interessenabwägung oder als legislativer Fehler begriffen sei.259 Interessen seien weit zu verstehen als sämtliche Begehrenspositionen, die eine Rolle im Fall spielten. Es seien also nicht also nur die tatsächlichen, aktuellen und materiellen Interessen einer Partei gemeint, sondern auch die Interessen des Gesetzgebers und seine Wertungsmaßstäbe, seien sie wirtschaftlichen, ethischen, gesellschaftlichen oder politischen Ursprungs.260 Das Gericht müsse begreifen, dass jede Gesetzesnorm nur die Antwort des Gesetzgebers auf den latenten Konflikt aller sich widersprechenden Interessen sei. Diesen Konflikt habe es bei der Subsumtion zu beachten und, wenn nötig, das Ergebnis der Normanwendung zu korrigieren, wenn dieses nicht dem Willen des historischen Gesetzgebers entspreche, wenn der Interessenkonflikt also durch Auslegung nicht gelöst werden könne.261 Mit diesem Ansatz befreite Heck die Rechtswissenschaft von metaphysischen, ideologischen Gerechtigkeitsspekulationen und verwies sie auf eine empirische Interessenanalyse.262 Damit reihte er sich an diejenigen Juristen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, wie Oliver Wendell Holmes, Roscoe Pound oder René Demogue an, die einen formaljuristischen Ansatz ablehnten und sich eher mit den sozialen Auswirkungen von Recht beschäftigen.263 Es ist deutlich, dass diese Art rechtswissenschaftlichen Denkens als eine der von Weber kritisierten Materialisierungsströmungen begriffen werden muss, die formal-rationale Rechtsanwendung nur als ersten Schritt bei der Lösung eines Falles begreift. Die Interessenjurisprudenz ist gerade ein Prototyp für ein reflektiertes, modernes Rechtsdenken, das versucht, auf Irritationen und Störungen in anderen Systemen responsiv zu reagieren.264 Heck hat selbst erklärt, dass sein Ansatz auch im IPR fruchtbar gemacht werden könnte.265 Ähnlich wie bei dem großen Systembauer Savigny sind seine eigenen konkreten, praktischen Ansätze jedoch nicht sonderlich weiterführend. Ohne wirklich Verständnis für die Eigenständigkeit der internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit zu haben, mochte er lediglich die in Frage kommenden Rechte vergleichen und entscheiden, welches Recht besser ist, den zu 259
Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, S. 41; ders., Interessenjurisprudenz, S. 13; ders. AcP 112 (1914), 1, 8; siehe für die hier verwendete Formulierung dort S. 96; Auer, ZEuP 2008, 517, 521 f.; Fikentscher, Methoden des Rechts, S. 376; Rückert/Seinecke/Manegold, Methodik des Zivilrechts von Savigny bis Teubner, Rn. 438, 440 ff. 260 Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, S. 37, 40 ff.; ders., AcP 112 (1914), 1, 59; Fikentscher, Methoden des Rechts, S. 376; Auer, ZEuP 2008, 517, 522. 261 Auer, ZEuP 2008, 517, 526 ff. 262 Fikentscher, Methoden des Rechts, S. 374 ff. 263 Auer, ZEuP 2008, 517 und 525 ff. 264 Nach Heck ist das „Leben“ die Quelle des Rechts, vgl. Heck, Interessenjurisprudenz, S. 27; vgl. auch Auer, ZEuP 2008, 517, 533. 265 Heck, Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht 38 (1891), 305 ff.
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Grunde liegenden Interessenkonflikt zu lösen. Bei Heck führt das zu einer Art better law approach mit klarer Präferenz für die lex fori.266 Kegel wiederholte diesen Fehler jedoch nicht. Er argumentierte: Wenn es eine internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit gebe, müsse man sich darauf konzentrieren, die internationalprivatrechtlichen Interessen genauer in den Blick zu nehmen. Diese müssten andere sein als die materiellrechtlichen Interessen.267 Kegel unterteilte die Interessen in vier Kategorien:268 zunächst nennt er die internationalprivatrechtlichen Parteiinteressen. Grundsätzlich gingen diese Interessen im IPR dahin, dass ein Recht zur Anwendung kommt, mit dem die Parteien eng verbunden und vertraut sind.269 Für das Personalstatut bedeute das etwa eine Anknüpfung an das Recht der Staatsangehörigkeit.270 Die zweite Gruppe bilden die internationalen Verkehrsinteressen,271 die Interessen der „Umwelt (der community)“.272 Die Regel „locus regit actum“ bietet nicht nur den konkreten Parteien eine verlässliche und vorhersehbare Anknüpfung, sondern erleichtert allgemein internationale Vertragsschlüsse, da die rechtlichen Risiken im Verkehr so genau eingeschätzt und vermieden werden können.273 Auch das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs kann mit Verkehrsinteressen erklärt werden, da so die Vorhersehbarkeit der Entscheidungen gefördert wird.274 In der dritten Gruppe findet sich das staatliche Ordnungsinteresse an einer systematischen, einheitlichen und kohärenten Rechtsordnung. An vielen Entscheidungen, für die Verkehrsinteressen sprechen, hat auch der Staat selbst ein Ordnungsinteresse, das etwa auf die Vermeidung hinkender Rechtsverhältnisse, internationalen Entscheidungseinklang oder auch den internen Entscheidungseinklang gerichtet sein kann.275 Dabei besteht natürlich auch ein Interesse an einem Heimwärtsstreben, um die Arbeit der Gerichte zu erleichtern.276
266
Spickhoff, Der ordre public im internationalen Privatrecht, S. 143. Kegel, FS Lewald, S. 259, 273. 268 Kegel, FS Lewald, S. 259, 273; siehe auch ders., FS Beitzke, S. 551, 558; Kegel/Schurig, IPR, S. 128 ff. 269 Kegel, FS Lewald, S. 259, 274. 270 Kegel/Schurig, IPR, S. 446 ff. 271 Kegel, FS Lewald, S. 259, 274. 272 Kegel, FS Beitzke, S. 551, 558; hierbei ist „Umwelt“ freilich nicht streng im systemtheoretischen Sinne zu verstehen, obwohl es immerhin um die Beachtung von systemfremden Umweltinteressen im Rechtssystem geht. 273 Kropholler, IPR, S. 310. 274 Kegel selbst ordnet den Entscheidungseinklang eher in die dritte Interessengruppe ein: Kegel, FS Lewald, S. 259, 277; ähnlich wie hier auch MK-BGB/Sonnenberger, 5. Auflage, Einleitung IPR, Rn. 89, der die Parteiinteressen als Grund des internationalen Entscheidungseinklangs nennt. 275 Kegel, FS Lewald, S. 259, 277. 276 Kegel/Schurig, IPR, S. 143 ff. 267
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Davon grenzt Kegel in der letzten Kategorie politische, staatliche Interessen ab, die sich nicht auf die Ordnung der eigenen Rechtsordnung beziehen, sondern anderen Zwecken dienen. Als Beispiel nennt Kegel die Bevorzugung der deutschen Staatsangehörigkeit in Artikel 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB, die er für einen Ausdruck von Chauvinismus hält.277 Die Einteilung hielt Kegel im Laufe der nächsten Jahrzehnte nicht strikt durch. Die politischen Interessen fielen mehr oder weniger weg oder wurden den Ordnungsinteressen zugesprochen.278 Später treten auch die materiellrechtlichen Interessen als vierte Kategorie im IPR hinzu, auf die das Kollisionsrecht ausnahmsweise Rücksicht nehmen müsse.279 Die Änderungen in den Details fallen jedoch kaum ins Gewicht. Bemerkenswert ist es, wie Kegel die Interessenjurisprudenz für das IPR fruchtbar gemacht hat und dabei gleichzeitig die Eigenständigkeit der kollisionsrechtlichen Fragestellung bewahrt. Was Kegel mit den internationalprivatrechtlichen Interessen geschafft hat, ist ein Katalog von „Vektoren“ der Rechtsfindung280, die offen für außerrechtliche Interessen im Einzelfall sind und somit die formelle Rationalität zugunsten materieller Argumente zurückdrängte. Diese Offenheit führte jedoch schnell zu Missverständnissen, die auch Kegels Theorie nicht gerecht wurden. Während die These von der internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit allgemein akzeptiert wurde,281 wurde der Ansatz über die Interessen als zu vage, willkürlich und subjektiv teilweise scharf zurückgewiesen.282 Interessen seien zu vielfältig, als dass sie tatsächlich zu einer vernünftigen Normbildung beitragen könnten, die Besonderheiten des Einzelfalls seien so gravierend, dass Rechtsprechung in reinen Dezisionismus abgleiten müsste.283 Entscheidend sei statt den Interessen der Parteien deren Gewichtung und Wertung durch den Gesetzgeber, sowie bei Gesetzeslücken durch das Gericht.284 Die Argumentation verläuft hier parallel zur zivilrechtlichen Kritik an der Interessenjurisprudenz durch die Wertungsjurisprudenz.285 Ob diese Kritik nicht ihrerseits unberechtigt argumentiert und die Gesetzesbindung in den Interessenjurisprudenz nicht unterschätzt, kann hier dahingestellt
277
Kegel, FS Lewald, S. 259, 279. Kegel, FS Beitzke, S. 551, 558. 279 Kegel/Schurig, IPR, S. 145 ff. 280 Kegel/Schurig, IPR, S. 133. 281 MK-BGB/Sonnenberger, 5. Auflage, Einleitung IPR, Rn. 76; MK-BGB/von Hein, Einleitung IPR, Rn. 30; Kropholler, IPR, S. 24; Rauscher, IPR, S. 14. 282 Neuhaus, RabelsZ 25 (1960), 378; Kropholler, IPR, S. 31 ff. 283 MK-BGB/Sonnenberger, 5. Auflage, Einleitung IPR, Rn. 85. 284 MK-BGB/Sonnenberger, 5. Auflage, Einleitung IPR, Rn. 85. 285 Westermann, Wesen und Grenzen der richterlichen Streitentscheidung im Zivilrecht, S. 17 ff.; Fikentscher, Methoden des Rechts, S. 406. 278
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bleiben.286 Zumindest verfehlen sie die Intentionen Kegels, dessen Ziel nicht eine rein materiell-rationale Urteilsfindung anhand des Einzelfalls war. Kegel war vielmehr von der Richtigkeit und Vorzugswürdigkeit des formellen Rechts überzeugt und betonte selbst ausdrücklich, dass die Lösung des Interessenkonflikts durch den Gesetzgeber vom Gericht zu befolgen ist.287 Die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit und die kollisionsrechtlichen Interessen sind zumindest bis heute ein beliebtes Argumentationsmuster in der Wissenschaft.288 Zwar spielen Ordnungsinteressen bei Kegel noch eine große Rolle, die gerade nicht für die Beachtung außerrechtlicher Erwartungen stehen. Kegel scheint die Interessen auch lediglich als Abwägungsfaktoren der teleologischen Auslegung und der Normbildung heranziehen zu wollen.289 Doch zeigt sich gerade in den Kategorien der Partei- und Verkehrsinteressen ein Ansatzpunkt, nichtrechtliche Wertungen in das IPR zu integrieren und methodisch nutzbar zu machen. Die Interessentheorie ist daher als reflexive Theorie zu begreifen, deren materielles Potential freilich erst von Kegels Schülern ausgeschöpft werden konnte.290 3. Die Entdeckung der Grundrechte im IPR Hat sich bereits bei der Entdeckung der Interessen im IPR gezeigt, wie gewinnbringend sich Materialisierungstendenzen aus dem allgemeinen Zivilrecht für das Kollisionsrecht adaptieren lassen, lässt sich dieser Befund anhand einer weiteren Entwicklung im IPR feststellen. Ähnlich wie im Zivilrecht lässt sich auch im IPR eine Erschütterung überkommener Prinzipien durch Konstitutionalisierung beobachten. Während für das Zivilrecht bereits mit dem Lüth-Urteil des Bundesverfassungsgerichts feststand, dass die Grundrechte auch im Verhältnis Privater untereinander zumindest mittelbar eine Rolle spielen und über Generalklauseln 286 Vgl. zum Beispiel Heck, Deutsche Juristenzeitung 10 (1905), 1140 ff.; sehr differenziert Auer, ZEuP 2008, 517 ff. 287 Kegel/Schurig, IPR, S. 134. 288 Vgl. BGH, Beschluss vom 12. Mai 1971, Az. IV ZB 52/70, BGHZ 56, 193; MKBGB/Sonnenberger, 5. Auflage, Einleitung IPR, Rn. 83; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 96 ff.; Bucher, Grundfragen der Anknüpfungsgerechtigkeit im internationalen Privatrecht, S. 36 ff.; Hohloch, Deliktsstatut, S. 231 ff.; Batiffol, FS Kegel I, S. 11 ff.; Lüderitz, FS Kegel I, S. 31 ff.; Henrich, FS Bosch, S. 411, 412 Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, S. 149 ff.; Kühne, LA Kegel, S. 65; Mummenhoff, NJW 1975, 476 ff; Simitis, StAZ 1976, 14 zuletzt etwa (durchaus auch kritisch) Schinkels, FS von Hoffmann, S. 390 ff; Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 558 ff; vgl. auch Auer, ZEuP 2008, 517, Fn. 3; skeptisch zur Bedeutung der Lehre, aber die gleiche Terminologie benutzend Neuhaus, RabelsZ 25 (1960), 375, 377 ff.; Flessner, Interessenjurisprudenz im internationalen Privatrecht, S. 13 ff. 289 Vgl. Kegel, Wandel auf dünnem Eis, S. 35, 44. 290 Siehe dazu unten unter 4.
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verfassungsrechtliche Wertungen Eingang in das Zivilrecht finden,291 hielt sich im Kollisionsrecht viel länger die Überzeugung aufrecht, dass das Verfassungsrecht und die Grundrechte hier keine Rolle spielen könnten. Ein wegweisendes Urteil fehlte hier deutlich länger. Und ganz ähnlich wie bei der Diskussion im Zivilrecht folgte auf die Verfassungsrechtsprechung zunächst Kritik an der Traditionsblindheit des Gerichts, sowie Beschwerden über einen Angriff auf die formelle Rationalität des Rechts, bis sich langsam ein Verständniswandel durchsetzte.292 a) Die herrschende Meinung vor dem Spanier-Beschluss Während es unter der Weimarer Reichsverfassung noch überhaupt kein Bewusstsein für die Frage gab, ob verfassungsrechtliche Vorgaben für das Kollisionsrecht eine Rolle spielen,293 diskutierte man zuerst nach Inkrafttreten des Grundgesetzes über die Reichweite der Bindungen von Artikel 1 Abs. 3 GG und Artikel 20 Abs. 3 GG. Man stellte sich zwei unterschiedliche Fragen: Hat das Grundgesetz einen Einfluss auf das IPR selbst, also auf Form und Inhalt der Kollisionsnormen, und was soll geschehen, wenn ein anwendbares ausländisches Recht den Anforderungen des Grundgesetzes nicht genügt? Was die erste Frage betrifft, so wurde der Einfluss des Verfassungsrechts auf das Kollisionsrecht zunächst überwiegend verneint. Stärker vielleicht noch als im Zivilrecht konnte man sich darauf berufen, dass die Grundrechte nicht für das IPR konzipiert seien: Der technische und formale Ordnungscharakter spreche gegen eine Grundrechtsrelevanz des Kollisionsrechts.294 Das IPR bestimme lediglich das anwendbare Recht und könne daher nicht in die Grundrechte der beteiligten Personen eingreifen. Zwar gab es durchaus kritische Stimmen, die zum Beispiel die Anknüpfung an das Heimatrecht des Ehemannes für eherechtliche Fragen als einen Verstoß gegen Artikel 3 Abs. 2 GG begriffen. Denn mit der Anerkennung einer internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit konnte eigentlich nicht mehr in Frage stehen, dass auch das IPR nicht bloßes Ordnungsrecht sei.295 Diese blieben jedoch Mindermeinung.
291 BVerfGE 7, 198; Dürig, FS Nawiasky, S. 157, 176 ff.; Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 81; die genaue Dogmatik ist immer noch umstritten: für eine unmittelbare Geltung unter Privaten Hager, JZ 1994, 373 ff; sehr kritisch zur Methodik des BVerfG Diederichsen, AcP 198 (1998), 171 ff. 292 Die Geltung des Grundgesetzes für das IPR wird inzwischen nicht mehr in Frage gestellt, siehe nur Kropholler, IPR, S. 34 f.; Coester-Waltjen, BerDtGesVR 38 (1998), 9 ff.; Looschelders, RabelsZ 65 (2001), 463 ff. 293 Beitzke, Grundgesetz und Internationalprivatrecht, S. 10. 294 Dölle, RabelsZ 18 (1953), 119, 120; Finke, MDR 1957, 449, 455. 295 Beitzke, Grundgesetz und Internationalprivatrecht, S. 14 ff, insb. S. 16, unter ausdrücklichem Verweis auf Kegel.
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
Auch wo es um die durch die Verfassung gesetzten Grenzen der Anwendung ausländischen Rechts geht, herrscht zunächst kein Problembewusstsein. Artikel 6 S. 2 EGBGB gab es zu dieser Zeit noch nicht. Wiederum erst in den 1960ern entwickeln sich erste Ansätze in der Rechtswissenschaft, auch in Rezeption des Lüth-Urteils.296 Vertreten wurde einmal ein eigenes Kollisionsrecht der Verfassung, das von Kegel so genannte „internationale Grundrechtsrecht“,297 bei dem über eine Auslegung des Grundgesetzes dessen Relevanz für den internationalen Sachverhalt bestimmt werden soll.298 Diese Herangehensweise enthält Elemente des ordre public, soll aber unabhängig von diesem bestehen.299 Der Ansatz ähnelt sogar stark der Statutentheorie. Nach einer anderen Ansicht sollen die Wertungen des Grundgesetzes als Elemente des ordre public herangezogen werden.300 Die herrschende Meinung zögerte zunächst, so weit zu gehen. Zwar wurde eine vollständige Irrelevanz der Grundrechte für das IPR kaum vertreten, doch wollte man den Einfluss der Grundrechte bei der Anwendung ausländischen Rechts auf ein Minimum, nämlich eine Verletzung ihres Wesensgehalts bei starkem Inlandsbezug, beschränken.301 b) Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Der Paukenschlag, der die herrschende Meinung störte, war der Spanier-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 1971.302 Ein in Deutschland lebender, unverheirateter konfessionsloser Spanier sowie eine evangelische, geschiedene Deutsche wollten in Deutschland heiraten. Der Präsident des Oberlandesgerichts Hamm verweigerte dem Spanier jedoch die Befreiung von der Beibringung eines Ehefähigkeitszeugnisses, das ihm die spanischen Behörden nicht ausstellen wollten. Das OLG Hamm unterstützte diese Entscheidung des Präsidenten. Es führte an, dass die persönlichen Voraussetzungen der Eheschließung für jeden Ehegatten gemäß Artikel 13 Abs. 1 EGBGB von seinem Heimatrecht abhängen würden. Unter spanischem Recht liege jedoch das Verbot der Doppelehe vor, da die deutsche Verlobte nach kanonischem Recht wirksam verheiratet sei und das spanische Recht eine Scheidung nicht kenne.
296
Vgl. Spickhoff, Der ordre public im internationalen Privatrecht, S. 116. Kegel/Schurig, IPR, S. 533. 298 Wengler, JZ 1965, 100, 101; Bernstein, NJW 1965, 2273, 2275; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 267 f.; weitere Nachweise bei Spickhoff, Der ordre public im internationalen Privatrecht, S. 116. 299 Spickhoff, Der ordre public im internationalen Privatrecht, S. 117. 300 Gamillscheg, FS Nipperdey I, S. 323, 338 ff.; Ferid, FS Dölle II, S. 119, 143. 301 Vgl. besonders BGH, Beschluss vom 12. Februar 1964, Az. IV AR (VZ) 39/63, BGHZ 41, 136, 151; Gamillscheg, JZ 1963, 22 ff.; weitere Nachweise bei BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 1971, Az. 1 BvR 636/68, BVerfGE 31, 58, 62 f.; 71 f.; zusammenfassend Henrich, RabelsZ 36 (1972), 2. 302 BVerfGE 31, 58. 297
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Das deutsche Scheidungsurteil würde in Spanien nicht anerkannt. Um eine hinkende Ehe zum Schutze beider Parteien zu vermeiden, müsse die Ehefähigkeit verneint werden.303 Hiergegen erhob das Paar Verfassungsbeschwerde, die das BVerfG für begründet hielt. Es sah eine Verletzung der Eheschließungsfreiheit aus Artikel 6 Abs. 1 GG. Der Prüfung von Artikel 6 GG stehe es dabei nicht entgegen, dass das Gericht ausländisches Recht angewendet habe.304 Dabei erteilte es allen Versuchen, den Anwendungsbereich einzuschränken, sowohl für den Inhalt der Kollisionsnormen als auch die Subsumtion unter ausländisches Recht, eine Absage. Aus Artikel 1 Abs. 3 GG ergebe sich eine vollumfängliche Bindung des Kollisionsrechts an die Vorgaben des Grundgesetzes.305 Die „objektive Wertordnung“ des Grundgesetzes306 müsse ernst genommen werden. IPR sei, wie Raape betont habe, ein „Sprung ins Dunkle“. Es könne nicht sein, dass die privaten Parteien gerade bei diesem Sprung von der Rechtsprechung im Stich gelassen würden.307 Auf die Besonderheiten des Auslandssachverhaltes könne durch eine „sinngerechte Auslegung der Grundrechte“ Rücksicht genommen werden, was aber nicht bedeute, dass sie bei ausreichend starkem Auslandsbezug gar nicht gelten würden.308 Sodann prüfte das Verfassungsgericht, ob die Kollisionsnorm des Artikels 13 Abs. 1 EGBGB gegen Artikel 6 Abs. 1 GG verstoße. Dies verneint das Gericht, da die Anknüpfung der Voraussetzungen der Eheschließung an das Heimatrecht jedes Verlobten im Interesse der Parteien liege.309 Lediglich in der Entscheidung, den Beschwerdeführern die Eheschließung zu verweigern, also bei der konkreten Anwendung der abstrakten Norm, sah das Gericht einen nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die Eheschließungsfreiheit, da durch die Anwendung spanischen Rechts eine Heirat für die Frau und den Mann unmöglich gemacht wird.310 Das Bundesverfassungsgericht kontrollierte also hier nicht nur die Anwendung des ausländischen Rechts auf seine Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz, sondern es maß die Kollisionsnorm selbst am Maßstab der Grundrechte. Damit erteilte es der Erklärung, Kollisionsnormen seien lediglich technische Normen und könnten daher keinen Grundrechtseingriff vornehmen, eine Absage. Aus dieser Perspektive heraus konnte die nächste wichtige Entscheidung des BVerfG zum IPR vom 22. Februar 1983 nicht wirklich überraschen.311 Hier
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Nach BVerfGE 31, 58, 59 ff. BVerfGE 31, 58, 70. 305 BVerfGE 31, 58, 72 f. 306 BVerfGE 7, 198. 307 BVerfGE 31, 58, 73. 308 BVerfGE 31, 58, 77. 309 BVerfGE 31, 58, 78 ff. 310 BVerfGE 31, 58, 80 ff. 311 BVerfG, Beschluss vom 22. Februar 1983, Az. 1 BvL 17/81, BVerfGE 63, 181. 304
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
erklärte es zum ersten Mal eine Anknüpfungsregel des EGBGB für verfassungswidrig. Artikel 15 Abs. 1 EGBGB a.F. knüpfte bis dahin das Ehegüterrecht an das Heimatrecht des Mannes an.312 Im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle fragte das Amtsgericht Kaufbeuren nach der Verfassungsmäßigkeit der Norm. Eine Frau hatte einen Erbschein beantragt, nachdem ihr Ehemann verstorben war. Dieser hatte zum Zeitpunkt der Eheschließung die iranische Staatsangehörigkeit, so dass die Anwendung iranischen Ehegüterrechts im Raum stand, nach dem die Ehefrau keinen dem § 1371 BGB ähnelnden finanziellen Vermögensausgleich anlässlich des Todes des Ehegatten erhalten hätte. Das Bundesverfassungsgericht erklärte die einseitige Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit des Ehemannes für unvereinbar mit Artikel 3 Abs. 2 GG und daher nichtig. Der Gesetzgeber und bis zu einer Neuregelung die Gerichte hätten eine Anknüpfung zu finden, die die Interessen beider Ehepartner berücksichtige und Rechtssicherheit garantiere.313 Damit war die uneingeschränkte Geltung des Grundgesetzes im IPR höchstrichterlich bestätigt. Kurz darauf wurde auch die Anknüpfungsnorm für das Scheidungsrecht, Artikel 17 EGBGB a.F. aus den gleichen Gründen für verfassungswidrig erklärt.314 c) Rezeption des Urteils aa) Reaktionen aus der Wissenschaft Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wurde sehr unterschiedlich aufgenommen. Während ein Teil der Literatur das Urteil begrüßte und die Bedeutung der Grundrechte für das IPR hervorhob,315 zeigte sich ein anderer Teil skeptisch.316 Kritisiert wurde, dass über eine Heranziehung des Grundgesetzes ausgewogene, allgemein akzeptierte Wertungen des Rechtsgebiets in Frage gestellt werden sollten und zu Gunsten anderer Gerechtigkeitsvorstellungen Rechtssicherheit erzeugt werden sollen. Wie Kegel es ausdrückte, sei dies der Versuch gewesen, „die beste aller möglichen Welten oder wenigstens
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Die Norm war ihrem Wortlaut nach nur einseitig, wurde aber von der Rechtsprechung und Literatur allseitig angewandt, vgl. nur BGH, Beschluss vom 9. Juli 1980, Az. IV b ZR 507/80, NJW 1980, 2643, 2644. 313 BVerfGE 63, 181, 194 ff. 314 BVerfG, Beschluss vom 8. Januar 1985, Az. 1 BvR 830/83, BVerfGE 68, 384; Basedow, NJW 1986, 2971, 2973. 315 Henrich, RabelsZ 36 (1972), 2 ff.; Lüderitz, RabelsZ 36 (1972), 35; Siehr, RabelsZ 36 (1972), 93 f.; Wengler, RabelsZ 36 (1972), 116 f.; insoweit auch zustimmend Neuhaus, RabelsZ 36 (1972), 127, 129 f. 316 Jayme, RabelsZ 36 (1972), 19 f.; Kegel, RabelsZ 36 (1972), 27 ff., 30 ff.
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die mindest schlechte, jedenfalls ein ‚juste milieu‘ zu schaffen.“317 Er sieht sogar einen Versuch des Bundesverfassungsgerichts, insgesamt „der Anwendung ausländischen Rechts ans Leder“ gehen zu wollen.318 Diese Klagen sind tatsächlich nichts anderes als Beschwerden über eine Rücknahme der formalen Rationalität des Kollisionsrechts zur Einführung materieller Gerechtigkeitskriterien. Die Argumente decken sich daher mit der Kritik Max Webers. Historisch hat sich gezeigt, dass die Sorge vor einem Ende des IPR wegen Verfassungswidrigkeit genauso übertrieben war wie ähnliche Panikreaktionen in anderen Rechtsgebieten. Nicht jede Anwendung des ausländischen Rechts wurde an den Grundrechten gemessen, sondern die allgemeine ordre publicKlausel des Artikels 30 EGBGB a.F. wurde als Einfallstor für Grundrechte in das IPR herangezogen. Hierbei blieb es bei der allgemeinen Dogmatik, dass nur ein offensichtlicher und schwerwiegender Verstoß in Ausnahmefällen die Anwendung ausländischen Rechts verhindern konnte.319 Zudem zeigt sich in den folgenden Jahrzehnten eine zunehmende Sicherheit bei der Berufung auf Grundrechte. Neben die deutschen Grundrechte des Grundgesetzes treten dabei zunehmend Menschenrechte internationalen Ursprungs, vor allem aus der EMRK.320 Zurückhaltende und kritische Stimmen wie bei der Spanier-Entscheidung gibt es nicht mehr. Die Berücksichtigung von Grundrechten ist tatsächlich selbstverständlich geworden.321 Menschenrechte waren dabei oft Anregung für die weiteren Änderungen im kollisionsrechtlichen Diskurs, wie im Folgenden noch darzulegen ist. bb) Reform des IPR von 1986 Die zweite Entscheidung des BVerfG von 1983 hinterließ vor allem Spuren in der Gesetzgebung. Erstmals wurde eine Kollisionsnorm, nämlich Artikel 15 EGBGB a.F. für nichtig erklärt. Der Gesetzgeber war daher aufgefordert, diese Lücke zu schließen, wenn er die Frage nicht dem Richterrecht überlassen wollte. Er entschied sich jedoch nicht nur zu einer Nachbesserung, sondern direkt zu einer großen Reform des IPR und unterzog viele Regelungen einer
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Kegel, RabelsZ 36 (1972), 27, 28. Kegel, RabelsZ 36 (1972), 27, 36. 319 Spickhoff, Der ordre public im internationalen Privatrecht, S. 97 m.w.N. 320 Dazu Coester-Waltjen, BerDtGesVR 38 (1998), 9, 10; Kokott, BerDtGesVR 38 (1998), 71, 90 ff. 321 Aktuell besonders stark diskutiert werden die Möglichkeiten, Menschenrechtsverletzungen von Unternehmen im Ausland justiziell aufzuarbeiten, vgl. Stürner, FS CoesterWaltjen, S. 843 ff.; Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387 ff.; Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717 ff.; Thomale/Hübner, JZ 2017, 385 ff.; siehe auch LG Dortmund, Urteil vom 10. Januar 2019, Az. 7 O 95/15, juris. 318
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
Modernisierung.322 Diese war bereits seit längerem geplant und konnte sich auf intensive Vorarbeiten des Deutschen Rats für Internationales Privatrecht stützen.323 Ein weiterer Anlass war die (umstrittene)324 Aufnahme des EVÜ im EGBGB.325 Das Reformgesetz wurde am 25. Juli 1986 verabschiedet und trat nach seinem Artikel 7 § 2 am 1. September 1986 in Kraft.326 Dabei wurden viele Entscheidungen des Gesetzgebers von 1900, die auf politisch fragwürdige Überlegungen zurückzuführen waren, rückgängig gemacht. Kennzeichen des neuen Kollisionsrechts war die allseitige Fassung der Kollisionsnormen und die Verringerung von Exklusivnormen.327 Die allseitige Anwendung der früheren Kollisionsnormen war nur mühsam von der Rechtsprechung entwickelt worden,328 konnte jetzt aber endlich im Gesetz verankert werden. Im allgemeinen Teil des IPR wurde die ordre public-Klausel neu gefasst und enthielt jetzt, als Reaktion auf den Spanier-Beschluss, in Artikel 6 S. 2 EGBGB einen Hinweis auf die besondere Bedeutung der Grundrechte für den Bestand der öffentlichen Ordnung.329 Um den Interessen der beteiligten Personen stärker gerecht zu werden, insbesondere um eine Anknüpfung für Probleme des Eherechts zu finden, die dem Gleichheitssatz in Artikel 3 Abs. 2 GG standhält, wurden innovative moderne Anknüpfungstechniken entwickelt. Herausragendes Beispiel ist dabei die subsidiäre Anknüpfung in Artikel 14 Abs. 1 EGBGB, nach wie vor als „Kegel’sche Leiter“ bezeichnet.330 Ein weiterer Schwerpunkt und eine Besonderheit war die Ausweitung der Parteiautonomie, die vor der Reform nur im Schuldvertragsrecht bekannt war und für das Familienrecht keine Rolle spielte.331 Auch wenn das Ausmaß der Parteiautonomie 322 Dazu Jayme, IPRax 1986, 265 ff.; Basedow, NJW 1986, 2971 ff.; Kegel, Rpfleger 1987, 1 ff.; Dörner, StAZ 1990, 1 ff. und das bei Kegel/Schurig, IPR, S. 206 unter Fn. 11 zusammengestellte Schrifttum. Zuletzt Henrich, IPRax 2017, 120 ff.; Pirrung, IPRax 2017,124 ff.; Kühne, IPRax 2017, 243 ff. 323 Kegel/Schurig, IPR, S. 205 f.; Kegel, Rpfleger 1987, 1, 3; siehe auch Kühne, IPRax 2017, 243 ff. 324 Siehe zum Beispiel die Stellungnahme der EG-Kommission vom 15. Januar 1985 (85/111/EWG), ABlEG 1985 L 44/42 = IPRax 1985, 178. 325 Basedow, NJW 1986, 2971, 2973. 326 Gesetz zur Neuregelung des IPR vom 25.7.1986 (BGBl. 1986 I S. 1142); dazu vor allem BT-Drucks. 10/504; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 1, Rn. 135; Kegel/Schurig, IPR, S. 206. 327 Jayme, IPRax 1986, 265; das neue Recht enthielt trotzdem noch einige Exklusivnormen, die regelmäßig kritisiert werden, vor allem Artikel 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB. 328 Siehe oben S. 46. 329 BT-Drucks. 10/504, S. 44. 330 Statt vieler nur von Hoffmann/Thorn, IPR, § 1, Rn. 135; Kegel selbst war mit der konkreten Fassung von Artikel 14 Abs. 1 EGBGB allerdings nicht einverstanden, vgl. Kegel/Schurig, IPR, S. 833; Heiderhoff, IPRax 2017, 160, 161; kritisch zum Begriff Kropholler, IPR, S. 347; Staudinger/Mankowski, Artikel 14 EGBGB, Rn. 28 schlägt vor, von der „modifizierten Kegelschen Leiter“ zu sprechen. 331 Kühne, IPRax 2017, 243, 244.
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vom heutigen Standpunkt aus gering erscheint und selbst damals schon hinter einigen Erwartungen aus der Wissenschaft zurückblieb, war dieser Schritt zum damaligen Zeitpunkt mutig.332 Welchen Beitrag Parteiautonomie bei der Materialisierung des Kollisionsrechts leistet und welche eigenen Herausforderungen sie wiederum an das Recht stellt, soll jedoch nicht an dieser, sondern an späterer Stelle dargestellt werden.333 Das EGBGB in seiner modernen und stärker auf die Grundrechte und individuellen Interessen der Parteien orientierten Fassung von 1986 bildet bis heute im Großen und Ganzen unverändert das Internationale Privatrecht des deutschen Rechts, auch wenn seine Bedeutung selbstverständlich durch die Europäisierung in vielen Rechtsgebieten deutlich abgenommen hat.334 Auffallend sind insgesamt die gründliche Rezeption der Interessentheorie von Gerhard Kegel und die genaue und begründete Abwägung der Parteiinteressen in der Gesetzesbegründung.335 4. Weiterentwicklung der kollisionsrechtlichen Theoriediskussionen Wenn im Folgenden nun noch auf neuere Theoriediskussionen in der Kollisionsrechtswissenschaft eingegangen wird, dann dient dies zum einen der weiteren Untermauerung der These, dass sich das Internationale Privatrecht seit langem schon durch einen Reflexionsprozess auszeichnet und genügend Mittel und Wege gefunden hat, einmal formal getroffene Entscheidungen zu korrigieren, worin das wesentliche Merkmal von Materialisierung gesehen wird. Da dies jedoch schon weitgehend deutlich geworden ist, muss noch eine weitere Begründung gefunden werden, die die Länge des folgenden Teils rechtfertigt. So dient der Abschnitt auch dazu, bestimmte Argumentationsansätze zu beleuchten, die im deutschen Kollisionsrecht besonders fruchtbar angebracht werden konnten, im Europäischen IPR aber noch vernachlässigt sind. a) Weiterentwicklung der Interessenjurisprudenz im IPR Ausgangspunkt der weiteren Entwicklung ist der Entwurf der internationalprivatrechtlichen Interessen durch Gerhard Kegel. Das traditionelle IPR nach Savigny sah sich in den 1950er und 60er Jahren einem erheblichen theoretischen Gegenwind von Übersee ausgesetzt. Die „conflicts revolution“, der Neuansatz im Kollisionsrecht, der an amerikanischen Universitäten gelehrt wurde,
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BT-Drucks. 10/504, S. 50 f. Siehe unten § 2 A. 334 Dazu Henrich, FS Spellenberg, S. 195 ff.; Jayme, IPRax 2017, 179 ff. 335 Mansel, Personalstatut, S. 65; vgl. BT-Drucks 10/504, S. 30 linke Spalte unten. 333
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verlangte nach einem deutlich flexibleren Recht ohne feste Kollisionsnormen.336 Sie ließen den Gerichten einen breiteren Entscheidungsspielraum, welches Recht sie zur Anwendung bringen wollen. Entscheidend sollten hier dann nicht bloß räumliche, formale Zuordnungen sein, sondern wiederum besondere Interessen, allerdings ganz andere als die von Kegel angeführten: Besonders bei Currie geht es um die politischen Interessen, die die Staaten an der Anwendung ihres Rechts haben, bei anderen wie Leflar allein um die materiellrechtlichen Interessen, von denen sich das Gericht leiten lassen müsse, um das „beste Recht“ zu bestimmen (better law approach).337 Auf diese Strömungen muss an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden, weil sie im deutschen Recht kaum ihre Spuren hinterließen, allenfalls in einigen wissenschaftlichen Beiträgen.338 Die conflicts revolution veranlasste die traditionell eingestellte Kollisionsrechtswissenschaft jedoch dazu, über die Grundlagen ihres Rechtsgebiets noch einmal vertieft nachzudenken und einigen Begründungsaufwand bei dessen Rekonstruktion zu leisten, mit anderen Worten, die eigene Arbeit zu reflektieren und zu überprüfen, ob sie den außerrechtlichen Legitimitätsanforderungen an das Rechtssystem genügen kann.339 Der Ansatz lautete, in den Worten von Kegel: „[M]an geht von den geltenden Kollisionsnormen aus, prüft ihre Zwecke und bildet das Recht vorsichtig fort. Reform, nicht Revolution ist geboten.“340 Dafür unterzog man die internationalprivatrechtlichen Interessen einer Neubewertung und versuchte, ihr Verhältnis zueinander näher zu bestimmen. Es zeigte sich dabei, dass zwei der von Kegel vorgestellten vier Gruppen keine allzu große Bedeutung hatten: Die politischen Interessen verschwanden fast völlig aus dem Diskurs, während die Ordnungsinteressen des Staates zumindest nur eine nachrangige Position einnahmen und man sich auf die Ordnung der berechtigten Interessen von Privaten und des Rechtsverkehrs beschränkte. Internationales Privatrecht wurde immer stärker in Verbindung gesetzt zum materiellen Privatrecht. Politische und öffentliche Interessen spielen darin nur eine geringe Rolle und werden eher im öffentlichen Recht verortet.341
336
Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 753. Zur amerikanischen „IPR-Revolution“ ausführlich Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 23 ff.; Flessner, Interessenjurisprudenz, S. 5 ff.; Kegel/Schurig, IPR, S. 197 ff.; Kegel, Recueil des cours 112 (1964 II), 95 ff.; ders., FS Beitzke, S. 551. 338 Besonders Juenger, Zum Wandel des IPR, S. 21 ff.; auch Zweigert, RabelsZ 37 (1973), 447 f.; zu beiden kritisch Kegel, Wandel auf dünnem Eis, S. 35 ff. 339 Siehe vor allem Kegel, Recueil des cours 122 (1964 II), 91 ff.; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 13 f. und passim; näher zu dessem wissenschaftlichen Beitrag Mankowski, LA Schurig, S. 159 ff.; Sahner, Europeanization and doctrines, S. 159, 181 ff. 340 Kegel/Schurig, IPR, S. 200. 341 Flessner, Interessenjurisprudenz, S. 9 ff.; von Bar/Mankowski, IPR I, S. 546. 337
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Der Fokus wurde so immer mehr auf individuelle oder generalisierte private Interessen verengt. Es war vor allem der Kegel-Schüler Alexander Lüderitz, der diesen Gedankengang zuerst nachzeichnete und sodann eine Systematisierung der Parteiinteressen vornahm.342 Dadurch wurde erst das ganze Potential der Parteiinteressen für ein reflexives Denken deutlich. Lüderitz konzentrierte sich zunächst auf das Staatsangehörigkeitsprinzip und stellte richtig fest, dass es sich nur um eine Vermutung handeln könne, dass eine Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit den Parteiinteressen wirklich voll gerecht werde. Für Ausländer, die ihr Heimatland schon vor längerer Zeit verlassen haben, sei es schließlich oft schwierig, Informationen über dessen Recht zu erhalten. Die Vorstellung, dass sie mit dem Recht bereits vertraut seien und es gut kennen würden, sei unrealistisch. Es sei für die Parteien daher oftmals wichtiger, ein Recht zur Anwendung zu bringen, über das sie sich leicht informieren können oder an das sie sich bereits durch Integration in die neue Umgebung gewöhnt haben.343 In Wahrheit sei daher eine Vielzahl von unterschiedlichen Interessen relevant, die zu unterschiedlichen Rechtsordnungen führen können. Der Gesetzgeber stehe daher immer vor dem Dilemma, unter diesen Interessen eine Wertung treffen zu müssen, da die Kollisionsnorm nur an eine Rechtsordnung anknüpfen könne. Unter einer solch formalen Typisierung leide aber zwangsläufig die individuelle Gerechtigkeit im Einzelfall.344 Lüderitz empfahl daher, den Parteien die Lösung des Interessenkonflikts selbst zu überlassen, indem man ihnen eine Rechtswahl gestatte. „Denn ein Parteiinteresse gegen den bezeugten Willen des mündigen Bürgers zu bestimmen, ist dort, wo gleiche Verhandlungsmacht besteht, Besserwisserei.“345 Diese Argumentation ist für die Rechtfertigung der Parteiautonomie essentiell. Bemerkenswert ist jedoch, wie ein Kollisionsrechtler hier Abstand vom Ordnungsanspruch des Kollisionsrechts nahm und eher beleuchtete, wann eine rechtliche Entscheidung zu Störungen in der Umwelt führen kann. Diese Reflexion verläuft wieder parallel (aber verspätet) zur Entwicklung im Bürgerlichen Recht bei dem Versuch, durch die Erlaubnis von Privatautonomie die Lücke im Recht zu schließen. Man kann nicht behaupten, dass Lüderitz Vorschlag zu dem Zeitpunkt, als er 1977 veröffentlicht wurde, starken Zuspruch von der herrschenden Lehre erhalten hätte. Kegel selbst bezeichnete Parteiautonomie als bloße „Verlegenheitslösung“ des Internationalen Schuldrechts.346 Der Gesetzgeber habe noch andere Interessen als bloße Parteiinteressen zu berücksichtigen, nämlich Interessen Dritter oder Verkehrsinteressen. Ziehe man diese in die Wertung mit ein
342
Lüderitz, FS Kegel I, S. 31. Lüderitz, FS Kegel I, S. 31, 36 ff. 344 Lüderitz, FS Kegel I, S. 31, 40. 345 Lüderitz, FS Kegel I, S. 31, 48 f. 346 Kegel/Schurig, IPR, S. 653. 343
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und stelle sich dann heraus, dass es einen Wertungsgleichstand zwischen verschiedenen Rechtsordnungen gibt, könne eine Rechtswahl gestattet werden.347 Immerhin traf Lüderitz einen Nerv der Zeit, denn jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen dachten ähnlich wie Lüderitz,348 so dass der Gesetzgeber, wie bereits erwähnt, eine begrenzte Parteiautonomie sogar im Internationalen Familienrecht bei der IPR-Reform von 1986 zuließ.349 b) Interessenjurisprudenz im IPR contra Interessenjurisprudenz Den bis heute einflussreichsten Angriff auf das traditionelle deutsche IPR, dessen wesentliche Argumentationsstränge sich auch in den Diskussionen zum Europäischen Kollisionsrecht oft wiederfinden, führte Axel Flessner.350 Sein Ziel war eine Neubestimmung der internationalprivatrechtlichen Interessen durch einen empirisch belegten, soziologischeren Ansatz. Flessner bescheinigte Kegels Interessenjurisprudenz einen großen Einfluss auf die Wissenschaft. Sie hinterlasse jedoch keine Spuren in der Gesetzgebung oder der Rechtsprechung wegen ihrer abstrakten Begrifflichkeiten.351 Flessner selbst sieht die strikte Trennung von kollisionsrechtlichen und materiellrechtlichen Interessen kritisch. Da er das IPR nur als Fortsetzung des materiellen Privatrechts auf internationaler Ebene begreift, müssten die Interessen im IPR den materiellrechtlichen stärker ähneln.352 Die wirklichen, reellen Interessen sprächen dann grundsätzlich für eine Anwendung der lex fori, da die Anwendung eines fremden Rechts für die Parteien teurer sei und die Qualität der Rechtsprechung bei ausländischem Recht grundsätzlich minderwertiger als bei der Anwendung eigenen Rechts. Als Konsequenz plädierte Flessner für eine großzügigere Zulassung der Parteiautonomie und sogar die Möglichkeit, auf eine Anwendung der Kollisionsnormen ganz zu verzichten: ein fakultatives Kollisionsrecht.353 Diese Idee wurde vom größten Teil der Wissenschaft zurückgewiesen. Sie ist zum einen nicht mit dem Gesetz vereinbar.354 Zum anderen scheint Flessners Bestimmung der internationalprivatrechtlichen Interessen 347
MK-BGB/Sonnenberger, 5. Auflage, Einleitung IPR, Rn. 92. Zum Beispiel Kühne, Die Parteiautonomie im internationalen Erbrecht, passim; Stojanovic, Die Parteiautonomie und der internationale Entscheidungseinklang, passim; Sturm, FS Ernst Wolf, S. 637 ff.; Reinhart, ZVglRWiss 80 (1981), 150, 161 ff. 349 Kühne, IPRax 1987, 69; die praktische Relevanz der Vorschriften bezweifelt Soergel/Schurig, Artikel 14 EGBGB, Rn. 16. 350 Flessner, Interessenjurisprudenz im internationalen Privatrecht; ders., RabelsZ 34 (1970), 547 ff. 351 Flessner, Interessenjurisprudenz, S. 44 ff. 352 Flessner, Interessenjurisprudenz, S. 52 f. 353 Flessner, Interessenjurisprudenz im IPR, S. 120 ff.; siehe bereits ders., RabelsZ 34 (1970), 547 ff. 354 BGH, Urteil vom 7. April 1993, Az. XII ZR 266/91, NJW 1993, 2305; BGH, Urteil vom 21. September 1995, Az. VII ZR 248/94, NJW 1996, 54; BGH, Urteil vom 15. Juli 348
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aber genauso fiktiv zu sein, wie er es Kegel vorwirft. Parteien hätten nicht ein grundsätzliches Interesse an geringen Kosten oder an einer qualitativ hochwertigen Rechtsprechung, sondern ganz einfach ein Interesse daran, den Rechtsstreit zu gewinnen.355 Da der Gesetzgeber sich aber nicht hieran orientieren könne, müsse er andere Interessen in den Blick nehmen und dafür Sorge tragen, dass die Parteien wenigstens die Entscheidung nachvollziehen könnten, um sich mit ihr abzufinden, was wieder zu Kegels Interessentheorie zurückführe. Das Kollisionsrecht leiste eben dann seinen eigenen Beitrag zu der Gerechtigkeit der Entscheidung.356 Die Theorie vom fakultativen Kollisionsrecht, die Flessner bereits 1970 entwickelt hat, fand nicht wenige Anhänger und wird immer noch diskutiert.357 Für das Europäische Kollisionsrecht spielt die Diskussion jedoch keine große Rolle. Aus dem effet utile wird gefolgert, dass die Gerichte eine Pflicht zur Anwendung des Kollisionsrechts von Amts wegen trifft.358 Eine Entscheidung des EuGH zu dieser Frage gibt es jedoch nicht. Daher zeigen empirische Untersuchungen, dass Staaten, in denen seit jeher von einem fakultativen Kollisionsrecht ausgegangen wird, auch das Europäische Privatrecht nicht für ex officio anwendbar halten.359 Es ist daher nicht verwunderlich, dass Flessner selbst aus der Analyse des Europäischen Primärrechts eine Bestätigung seiner These vom fakultativen Kollisionsrecht zieht.360 Das Thema kann daher jederzeit virulent werden.361 Was die Diskussion der deutschen Kollisionsrechtswissenschaft gebracht hat, ist letztlich eine Stärkung der Parteiautonomie und eine Vorsicht gegenüber vorschnell unterstellten Interessen, die der Wirklichkeit 2008, Az. VI ZR 105/07, BGHZ 177, 237; MK-BGB/von Hein, Einleitung IPR, Rn. 292; Trautmann, Europäisches Kollisionsrecht und ausländisches Recht im nationalen Zivilverfahren, S. 20 f. 355 von Bar/Mankowski, IPR I, S. 369, Rn. 69; Schurig, RabelsZ 59 (1995), 240, 243. 356 Siehe die ausführliche, kritische Besprechung von Flessners Monographie durch Schurig, RabelsZ 59 (1995), 240, insb. 243 ff. 357 Sturm, FS Zweigert (1981), S. 329 ff.; Simitis, StAZ 1976, 7 ff.; Reichert-Facilides, Fakultatives und zwingendes Kollisionsrecht, S. 63 ff., 81 f.; Wagner, ZEuP 1999, 6 ff.; Lesage-Mathieu, Dispositives Kollisionsrecht, S. 97 ff., 144 ff.; siehe zuletzt Flessner, LA Pintens, S. 593 ff.; ausführlich und rechtsvergleichend Trautmann, Europäisches Kollisionsrecht und ausländisches Recht im nationalen Zivilverfahren, S. 17 ff. 358 MK-BGB/von Hein, Einleitung IPR, Rn. 292; Sonnenberger, FS Kropholler, S. 227, 245; Spickhoff, Die Rechtswahl und ihre Grenzen unter der Rom I-VO, S. 117, 119 ff. 359 Kieninger, Ermittlung und Anwendung ausländischen Rechts, S. 479, 489 ff. 360 Flessner, LA Pintens, S. 593, 598 ff; für Frankreich etwa Witz, L’établissement du contenu du droit étranger en Allemagne, S. 27 f.; für ein Opt-Out Recht aus dem Kollisionsrecht Corneloup, RabelsZ 78 (2014), 844, 853 ff. 361 Remien, ZVglRWiss 115 (2016), 570. 572; eine sehr gründliche Studie zu den Möglichkeiten eines fakultativen Europäischen Kollisionsrechts mit einer Stellungnahme gegen ein solches IPR liefert Trautmann, Europäisches Kollisionsrecht und ausländisches Recht im nationalen Zivilverfahren, S. 289–374, 416 f., 427.
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
nicht zwangsläufig entsprechen müssen. Gesetzgeber und Gerichte trifft eine große Sorgfaltspflicht bei der Ermittlung der tatsächlichen Parteiinteressen. c) Die Bedeutung der kulturellen Identität für das IPR Eine Bereicherung der kollisionsrechtlichen Argumentationstopoi, weg von ökonomisch rein rationalen Erwägungen, hin zu einer mehr kulturwissenschaftlichen Ebene erfuhr das IPR in den 1990er Jahren durch das Werk von Erik Jayme. Durch seine Untersuchungen zum postmodernen Recht wurde der Fokus auf die Aufgabe des IPR gelenkt, kulturelle Identität zu bewahren.362 Die Idee der kulturellen Identität betont die Singularität des Individuums und die Wichtigkeit, in einer postmodernen Welt dem eigenen Lebensentwurf Sinn zu verleihen. International geltende Menschenrechte und völkerrechtliche Verträge konzentrieren sich immer stärker hierauf.363 Gelingen kann dieser Entwurf etwa durch die Einordnung der eigenen Biographie in ein größeres Narrativ. So entsteht eine kulturelle Tradition, eine Verbundenheit mit der Vergangenheit und der eigenen Abstammung und Herkunft.364 Kulturelle Identität kann auf verschiedene Weisen ausgedrückt werden: durch Sprache, Religion, Bräuche und Rituale.365 Ein besonderes Zeichen der Kultur eines Volkes ist dabei ihr Rechtssystem.366 Die Verbundenheit mit dieser Kultur führt dabei nach Ansicht von Jayme etwa zu einer neuerlichen Stärkung des Staatsangehörigkeitssystems als primären Anknüpfungspunkt.367 Aber auch eine Rechtfertigung der Parteiautonomie lässt sich über diesen Zusammenhang herleiten.368 Auf diese Weise gelingt es Jayme, traditionelle Diskurse in Frage zu stellen und bereits getroffene Entscheidungen noch einmal zu reflektieren. Zusätzlich kann er aber auch neue Phänomene in die Rechtswissenschaft einführen, die bislang dort keine Rolle gespielt haben, in anderen Kulturwissenschaften aber einen immer prominenteren Platz einnehmen, etwa den Nomadismus des sich heimatlos fühlenden entfremdeten Individuums in einer globalisierten Welt.369 Dies stärkt noch einmal das von Savigny verfolgte Ziel, die engste Verbindung ausfindig zu machen und fordert größere Anstrengungen in der Begründung
362 Jayme, Recueil des Cours 251 (1995), insb. S. 166 ff.; ders., IPRax 2000, 165 ff.; ders., RabelsZ 67 (2003), 211 ff.; ders., Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, in Jayme, Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, S. 5 ff.; ders., Zugehörigkeit und kulturelle Identität – Die Sicht des Internationalen Privatrechts, passim. 363 Jayme, Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, S. 5, 6 ff. 364 Jayme, Recueil des Cours 251 (1995), 9, 167 ff. 365 Jayme, Recueil des Cours 251 (1995), 9, 166 ff. 366 Jayme, RabelsZ 67 (2003), 211, 214 ff. 367 Jayme, IPRax 1996, 237, 242; ders., Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, S. 5, 11. 368 Jayme, Zugehörigkeit und kulturelle Identität, S. 22 f. 369 Jayme, Zugehörigkeit und kulturelle Identität, S. 31 ff.
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einer Entscheidung, unter Bezug auf Diskurse aus anderen Wissenschaftszweigen. Die Interdisziplinarität stärkt dabei die Reflexion des Rechtssystems. Gelegentlich wird hingegen bezweifelt, ob die Berufung auf eine kulturelle Identität wirklich zu konkret greifbaren Ergebnissen führt, da es gar nicht so sicher sei, wie eine kulturelle Verbindung sich überhaupt ausdrücke.370 Dass die Staatsangehörigkeit etwa eine solche Verbindung ausdrücke, sei auch nur eine Vermutung. Man könne auch argumentieren, dass der gewöhnliche Aufenthalt diese Verbindung genauso transportieren könnte. Bestimmte von Jayme aufgezeigte Phänomene wie die Identifikation mit Regional- oder Stammeskulturen ließen sich meistens gar nicht im IPR ausdrücken, da sie kein staatlich gesetztes Recht seien.371 Das Problem mit einem Diskurs, der zu stark auf kulturelle Identitäten abstellt, besteht zudem darin, dass die eigenen Werte der Rechtsordnung des Forums, denen man eigentlich einen universellen Geltungsanspruch zuspricht und die Symbol für die Errungenschaft einer rechtsstaatlichen, demokratischen Gesellschaft sind, wie etwa Gleichberechtigung der Geschlechter, zurückgestellt werden können. Hier besteht zumindest ein deutliches Konfliktpotential.372 In der Tat ist es fraglich, ob sich aus der kulturellen Identität alleine konkrete Handlungsschritte für das Recht ableiten lassen. Legislative Vorgaben lassen sich aus diesem Topos kaum ziehen. Das ist aber nicht das Entscheidende. Jayme ist es vor allem gelungen, auf die kulturelle Dimension des Rechts hinzuweisen. Diese scheint im Europäischen Internationalen Privatrecht zeitweise ein wenig aus dem Blickfeld geraten zu sein. Jayme spricht hier von den „Zwängen des Binnenmarkts“.373 Das Idealbild des kosmopolitischen homo oeconomicus, der sich nur an rational bestimmbaren ökonomischen Interessen orientiert und sich in einem Binnenmarkt ohne Binnengrenzen und große Unterschiede zwischen den einzelnen Rechtskulturen bewegt, hat sehr lange die Diskussionen auf Europäischer Ebene mitbestimmt.374 Doch dieses Bild ist aus mehreren Gründen nicht überzeugend: Zunächst regelt das IPR nicht alleine die Rechtsanwendung im Binnenmarkt, die Kollisionsregeln des Europäischen IPR sind allseitig und universell anwendbar. Es müssen daher auch erhebliche Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen berücksichtigt werden. Das Europäische IPR scheint die Vielfalt der Rechtsordnungen gelegentlich zu vergessen.375 Zudem sind die Annahmen des homo oeconomicus selbst nur sehr
370
Mankowski, IPRax 2004, 282, 284 ff. Basedow, FS Stoll, S. 405, 414; Henrich, FS Jayme, S. 321, 323; Mankowski, IPRax 2004, 282, 286. 372 Mankowski, IPRax 2004, 282, 285; vgl. auch Jayme, Zugehörigkeit und kulturelle Identität, S. 23 mit dem Beispiel des Schwächerenschutzes bei der Rechtswahl. 373 Jayme, IPRax 2008, 72. 374 Siehe unten § 1 B. II. 2. a). 375 Schurig, Internationalität und Zivilrecht heute, S. 16. 371
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
eingeschränkt sinnvoll, weil sie an einem empirisch nicht zu belegenden Idealmodell des egoistischen, marktrational handelnden Bürgers festhalten. Wie vor allem die Verhaltensökonomie und die Verhaltenspsychologie zeigen, handelt der Mensch eben nicht ausschließlich rational und lässt sich nicht allein von rationalen Motiven anleiten.376 Die kulturelle Dimension des Rechts weist darauf hin und ermutigt, auch ökonomisch gesehen vielleicht irrationale Interessen und Zwecke zu berücksichtigen, wenn sie für die Parteien eine besondere emotionale oder kulturelle persönliche Bedeutung haben.377 Diesen tieferen Beweggründen darf nicht von vorne herein eine Absage erteilt werden, weil sie aus objektiver Sicht irrelevant erscheinen mögen.378 Für die Parteien, deren Rechtsstreit immerhin durch die Rechtsanwendung gelöst werden soll, spielen sie eine Rolle. Je stärker das Rechtsgebiet dabei selbst durch traditionelle, regionale oder religiöse Vorstellungen geprägt ist, desto wichtiger wird die kulturelle Bedeutung dabei wohl. So dürfte die kulturelle Verbundenheit im Familienrecht, das in Europa immer noch die größten Unterschiede aufweist, einen erheblich stärkeren Einfluss ausüben als etwa im Vertrags- und Wirtschaftsrecht. Letztlich ist die kulturelle Identität ein weiterer Vektor der Entscheidungsfindung, der dazu auffordert, die Interessen der Parteien genauer und realistischer zu bewerten und nicht allzu früh mit Mutmaßungen und eigenen Ordnungsvorstellungen zu operieren. Die Zielrichtung ist damit ähnlich wie bei dem Neuansatz von Flessner. Beide versuchen, die „echten Interessen der Menschen“ zu bestimmen, auch wenn diese Bestimmung jeweils völlig unterschiedlich ausfällt. In beiden Fällen geht es jedoch um eine kontinuierliche Selbstreflexion des Rechts. II. Die Europäisierung des Kollisionsrechts und Neuerungen in der Idee des IPR Unterschiedliche nationale Privat- und Kollisionsrechte sind ein Hindernis für den internationalen Handel. Unsicherheiten über die juristischen Probleme könnten Personen davon abhalten, in anderen Ländern zu kontrahieren oder gar das eigene Land zu verlassen und einen fremden Markt zu betreten.379 Es ist daher sehr leicht verständlich, dass die EU und ihre Rechtsvorgängerinnen die Zersplitterung der mitgliedstaatlichen Kollisionsrechte als Hindernis für die 376 Grundlegend Simon, Quarterly Journal of Economics 69 (1955), 99 ff.; Kahnemann/Tversky, Econometrica 47 (1979), 263 ff.; dies., Science 211 (1981), 453 ff.; Limbach, KritV 1986, 165, 171; Fezer, JZ 1986, 817, 821; Towfigh/Petersen /Englerth, Ökonomische Methoden im Recht, S. 165 ff. 377 Jayme, Recueil des cours 251 (1995), 9, 247 ff.; ders., IPRax 2000, 165, 169. 378 Siehe dazu unten zu einer formalistischen Betrachtung des Scheidungsrechts § 2 C. I. 2. 379 Rühl, Statut und Effizienz, S. 29 ff.
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Entfaltung des gemeinsamen Binnenmarkts gesehen haben und die Entwicklung eines gemeinsamen Europäischen Kollisionsrechts zu einem wesentlichen Teil ihrer gesetzgeberischen Arbeit gemacht haben.380 Es lohnt sich, hier eine Zäsur zu machen, um zu verdeutlichen, dass Europäisches IPR (EIPR) nicht einfach bloß eine Fortsetzung des deutschen IPR auf einer supranationalen Ebene ist, sondern eine eigene Kategorie. Ein supranationaler Gesetzgeber kann sich nicht ausschließlich auf die Tradition eines einzelnen Mitgliedstaats beschränken, sondern muss Anregungen aus allen Mitgliedstaaten aufnehmen, will er nicht ein komplett neues Kollisionsrecht schaffen. Hier seien aber trotzdem die Entwicklungslinien des EIPR nachgezeichnet, um zu verdeutlichen, dass das Europäische Kollisionsrechts ebenfalls einer ständigen Materialisierung unterliegt und einer Reflexion seiner Auswirkungen gegenüber offensteht. Wieder können damit gleichzeitig wichtige Argumentationsstränge zur Bestimmung des anwendbaren Rechts vorgestellt werden, damit überlegt werden kann, wo diese Argumente einer Ergänzung bedürfen. 1. Primärrechtliche Grundlagen: ein neues IPR für Europa? Die Behandlung der Kompetenzen nimmt im Folgenden vergleichsweise viel Raum in Anspruch. Dies dient nicht nur dazu, die These von der Materialisierung zu erhärten, sondern es soll auch die Frage geklärt werden, ob sich aus den Kompetenznormen der EU für das IPR inhaltliche Vorgaben ergeben. a) Überblick Bis zum Vertrag von Amsterdam konnten gemeinsame Kollisionsregeln nur staatsvertraglich abgeschlossen werden. Das Subsidiaritätsprinzip erlaubte kein Tätigwerden der EWG ohne ausdrückliche Kompetenzgrundlage.381 Auf diesem Wege sind wenige, aber bedeutende Regelungen verabschiedet worden, allen voran das EVÜ über das anwendbare Recht für vertragliche Schuldverhältnisse vom 19. Juni 1980.382 Zum 1. Mai 1999 trat allerdings eine durch den Vertrag von Amsterdam geschaffene Kompetenznorm der EG für Gesetzesvorhaben auf dem Gebiet des Kollisionsrechts in Kraft, Artikel 61 lit. c), 65 lit. b) EGV. Die wichtigsten Projekte, die sich auf Artikel 61 lit. c), 65 lit. b) EGV stützen, sind die Rom II-VO, die am 11. Januar 2009 in Kraft trat, und die Rom I-VO mit Wirkung vom 17. Dezember 2009. Mit dem Vertrag von Lissabon wurde die alte Kompetenzgrundlage ersetzt durch den neuen Artikel 81 Abs. 2 lit. c) AEUV, auf den sich auch die neueren Texte zum Internationalen 380
Rühl, Statut und Effizienz, S. 34 f.; Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, Rn. 542. Basedow, Common Market Law Review 37 (2000), 687, 691. 382 Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, Rn. 546; zu den vielen Problemen dieser Vorgehensweise Basedow, Die Vergemeinschaftung des Kollisionsrechts nach dem Vertrag von Amsterdam, S. 19, 20 ff. 381
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
Familienrecht stützen. Dennoch lohnt ein genauerer Blick auf beide Vorschriften, da ein Vergleich der Vorschriften im Detail aufschlussreich ist. b) Die Kompetenz nach dem Amsterdamer Vertrag aa) Binnenmarktbezug Maßnahmen nach Artikel 61 lit. c), 65 lit. b) EGV setzten zunächst einen grenzüberschreitenden Bezug voraus.383 Dieser liegt beim Internationalen Privatrecht vor.384 Zudem konnten nach dem Wortlaut nur Maßnahmen zur Vereinheitlichung des Kollisionsrechts getroffen werden, soweit dies „für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich“ ist. Dies verlangte zweierlei: Die Maßnahme musste einen Binnenmarktbezug aufweisen und für das Funktionieren dieses Binnenmarkts erforderlich sein. Ein Binnenmarktbezug ist für das IPR ebenfalls leicht aufzuzeigen, da jeder grenzüberschreitende Bezug, also jede Privatrechtskollision auch eine Störung des Binnenmarktes hervorrufen kann.385 Viel interessanter als die Frage, was genau von diesem Kriterium erfasst wurde, ist, was davon ausgeschlossen wurde. Man hätte die Norm nämlich wörtlich so auslegen können, dass nur solche Kollisionsnormen gedeckt waren, die die Rechtskollision von zwei mitgliedstaatlichen Rechtssystemen auflösen, während Kollisionsnormen für Drittstaatensachverhalte nicht erfasst worden wären.386 Die ganz herrschende Meinung war jedoch, dass auch die Außenkompetenz der EU zur Kollisionsrechtsvereinheitlichung bei Drittstaatenbezug erfasst war.387 Schließlich ist es nicht so, dass durch Sachverhalte mit Bezug zu Drittstaaten keine Störungen des Binnenmarkts auftreten könnten: Diese Fälle betreffen auch Teilnehmer des Binnenmarkts. Eine unterschiedliche Behandlung in den verschiedenen Mitgliedstaaten kann eine Marktbehinderung darstellen, wenn natürliche oder juristische Personen aus Sorge vor einem Statutenwechsel etwa einen Umzug in einen anderen Mitgliedstaat unterlassen oder wegen unterschiedlicher Anknüpfungen gegenüber Konkurrenten einen Wettbewerbsnachteil erleiden.388
383
Callies/Ruffert/Rossi, EUV/EGV, Art. 65 EGV, Rn. 6. Lenz/Borchardt/Bergmann, EU- und EG-Vertrag, Art. 65 EGV, Rn. 3. 385 Lenz/Borchardt/Bergmann, EU- und EG-Vertrag, Art. 65 EGV, Rn. 3. 386 Remien, Common Market Law Review 38 (2001), 53, 75 ff. 387 MK-BGB/Martiny, Art. 3 Rom I-VO, Rn. 1; Weber, Die Vergemeinschaftung des Internationalen Privatrechts, S. 131 ff.; Basedow, Die Vergemeinschaftung des Kollisionsrechts nach dem Vertrag von Amsterdam, S. 19, 41 f.; Leible/Staudinger, EuLF 4 (2000/2001), 225, 231; Leible/Lehmann, RIW 2007, 721, 724; für die Nachfolgeregelung in Art. 81 AEUV Calliess/Ruffert/Rossi, EUV/AEUV, Art. 81 AEUV, Rn. 14; Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 26. 388 Basedow, Die Vergemeinschaftung des Kollisionsrechts, S. 19, 41; Leible/Staudinger, EuLF 2000/2001, 225, 231. 384
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bb) Erforderlichkeit der Maßnahme für den Binnenmarkt (1) Grundsätzliches Wesentlich schwieriger zu beantworten war die Frage, wann die Kollisionsrechtsvereinheitlichung für das „reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich“ ist. Tatsächlich ist diese Hürde im Gesetzgebungsprozess wohl nicht besonders hoch gewesen. Dies ergab sich zum einen aus einem systematischen Vergleich mit Artikel 95 Abs. 1 EGV (jetzt Artikel 114 AEUV). Danach erlässt der Rat Maßnahmen zur Rechtsvereinheitlichung, um die „Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts“ zu bewirken. Diese Kompetenznorm existierte bereits vor dem Vertrag von Amsterdam.389 Nach der Rechtsprechung des EuGH zu Artikel 100a EGV im Urteil zur Tabakwerberichtlinie existierte jedoch keine umfassende Kompetenznorm der EG zur Rechtsvereinheitlichung,390 sondern es mussten tatsächliche, spürbare Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten und des Wettbewerbs vorliegen, die durch die Maßnahme verbessert werden könnten.391 Man ging zum Beispiel davon aus, dass eine Kollisionsrechtsvereinheitlichung der Rom II-VO über Artikel 95 EGV nicht möglich sei, da der Binnenmarkt durch die verschiedenen Kollisionsrechte nicht in diesem erheblichen Maße beeinträchtigt gewesen sei.392 Die Hürden des Artikels 65 EGV mussten demnach geringer sein als die von Artikel 95 EGV.393 Dies wird auch durch den Wortlaut der Vorschrift deutlich. Schließlich setzte Artikel 65 EGV nicht voraus, dass die Maßnahme für das Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich ist, sondern für dessen reibungsloses Funktionieren.394 Jede Reibung war demnach ausreichend um eine Kompetenz der EG zu begründen.395 Dies führte dazu, dass letztlich jede Maßnahme
389 Roth, Europäische Kollisionsrechtsvereinheitlichung: Überblick – Kompetenzen – Grundfragen, in: Kieninger/Remien, Europäische Kollisionsrechtsvereinheitlichung, S. 11, 18. 390 EuGH, Urteil vom 5. Oktober 2000, Rs. C-376/98, Tabakerzeugnisse, Slg. I-2000, 8498, 8524, Rn. 83. 391 Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, Rn. 14; Roth, Europäische Kollisionsrechtsvereinheitlichung, S. 11, 18. 392 Roth, Europäische Kollisionsrechtsvereinheitlichung, S. 11, 18. 393 Calliess/Ruffert/Rossi, EUV/EGV, Artikel 65 EGV, Rn. 8; Schwarze/Becker/ Hatje/Schoo/Großhof, Artikel 65 EGV, Rn. 11; Leible/Staudinger, EuLF 2000/2001, 225, 228 f; Wagner, RabelsZ 68 (2004), 119, 138; Roth, Europäische Kollisionsrechtsvereinheitlichung, S. 11, 19. 394 Leible/Staudinger, EuLF 2000/2001, 225, 228. 395 Calliess/Ruffert/Rossi, EUV/EGV, Artikel 65 EGV, Rn. 8.
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auf dem Gebiet des IPR als unter die Kompetenznorm fallend angesehen werden konnte, da unterschiedliche Kollisionsnormen immer zu Friktionen im Binnenmarkt führen können.396 (2) Keine inhaltlichen Vorgaben für den Inhalt der Kollisionsnormen Einige Kollisionsrechtswissenschaftler vertraten jedoch ein engeres Normverständnis. Es entstand eine Ansicht, nach der das Erfordernis der Binnenmarktförderung auch auf den Inhalt der Kollisionsnormen selbst durchschlagen müsse. Nicht jede IPR-Vereinheitlichung sei in der Lage, den Binnenmarkt und die Ausübung der Grundfreiheiten zu stärken. Es komme auf besonderen Anknüpfungen und Techniken an. Dieses binnenmarktorientierte IPR stehe im Gegensatz zum traditionellen IPR Savigny’scher Prägung,397 es sei sogar eine veritable „IPR-Revolution“.398 Am weitesten vom traditionellen IPR entfernte sich die Diskussion um das Anerkennungsprinzip.399 Beispiele dieses Binnenmarkt-IPR werden im Folgenden noch genannt. Ob die Einschätzung eines Paradigmenwechsels tatsächlich zutreffend ist, mag hier dahingestellt bleiben,400 ebenso ob ein IPR, das für einen Binnenmarkt konzipiert wurde, aber universelle Anwendung genießt, die bestmögliche Lösung ist.401 An dieser Stelle entscheidend ist allein die Frage, ob aus der Kompetenznorm des Artikels 65 EGV irgendeine inhaltliche Vorgabe für den Zuschnitt der Kollisionsnormen entnehmen ließ, beziehungsweise umgekehrt, ob Artikel 65 EGV nur in Anspruch genommen werden darf, wenn das Europäische Kollisionsrecht dann auch diesem Binnenmarkt-IPR entsprechen.402 Dies ist zu verneinen. Wie sich bereits aus dem systematischen Vergleich ergibt,
396 Leible/Staudinger, EuLF 2000/2001, 225, 229; Schwarze/Becker/Hatje/Schoo/Großhof, Artikel 65 EGV, Rn. 11 weist daraufhin, dass man den Wortlaut auch genau umgekehrt verstehen könnte: Nicht jede Verbesserung des Binnenmarktes sei zulässig, sondern nur eine, die eine besonders deutliche und spürbare Verbesserung bewirken würden; i.E. stimmt er der herrschenden Meinung aber zu. 397 Weller, IPRax 2011, 429. 398 Michaels, FS Kropholler, S. 151; auch Kühne, LA Schurig, S. 129, 142 ff.; Weller, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, S. 133, 142 ff.; Brödermann, NJW 2010, 807; Coester-Waltjen, FamRZ 2013, 170. 399 Vgl. Coester-Waltjen, FS Jayme, S. 121 ff.; Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651 ff.; Grünberger, Alles obsolet? – Anerkennungsprinzip vs. klassisches IPR, S. 81 ff. 400 Es handelt sich freilich um weitere Beispiele für die Selbstreflexion des Kollisionsrechts; ob es sich um eine Revolution oder eine Reform handelt, ist auch unwichtig, da die Begriffe in der politischen Theorie zwar eine Rolle spielen mögen, für die Rechtsentwicklung aber keinen präzisen Aussagewert haben. 401 Einen Wandel vom nationalen zu europäischem Provinzialismus stellt fest Schurig, Das Fundament trägt noch, S. 5, 18. 402 Die Frage mag ungewohnt erscheinen, wird aber klarer, wenn man die Diskussion sogleich unter d) vergleicht.
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sollte der Artikel 65 EGV geringe Hürden für das Tätigwerden der Gemeinschaft stellen und lediglich ein reibungsloseres Funktionieren ermöglichen.403 Dies bedeutet aber auch, dass jede Kollisionsrechtsvereinheitlichung, egal welchen Inhalt sie hat, von Artikel 65 EGV erfasst wird. Eine Förderung des internationalen Entscheidungseinklangs ist immer gut für die Entwicklung des Binnenmarkts. Darüber hinaus ließ sich aus Artikel 65 EGV kein Hinweis auf eine Inhaltsvorgabe entnehmen. c) Die Kompetenz nach dem Vertrag von Lissabon Inzwischen wurde die Kompetenznorm der EU zur Kollisionsrechtsvereinheitlichung noch einmal deutlich klarer gefasst. Artikel 81 AEUV stellt die Rechtsvereinheitlichung auf dem Gebiet des IPR in den Zusammenhang des Aufbaus der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug, die auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen beruht. Nach Artikel 81 Abs. 2 lit. c) AEUV erlassen das Europäische Parlament und der Rat für diesen Zweck Maßnahmen zur Vereinheitlichung des Kollisionsrechts, „insbesondere wenn dies für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich ist“. Die Binnenmarktförderung wird somit zum Regelbeispiel.404 Der Status quo ante wird nicht eingeschränkt. Die Norm beseitigt jedoch zum einen Zweifel, ob auch das Internationale Familienrecht von der EU geregelt werden kann.405 Einige Stimmen konnten bis dato keine Verbindung von Binnenmarktförderung und Internationalem Familienrecht ausmachen.406 Was außerdem klargestellt wird, ist aber, dass sich aus der Kompetenznorm keine Vorgaben für den Zuschnitt und den Inhalt der Anknüpfungstechniken entnehmen lässt, sondern sie diese Aufgabe der rechtspolitischen Entscheidung von Parlament und Rat überlässt.407 d) Inhaltliche Vorgaben für das IPR aus dem AEUV? aa) These Zuletzt wurde versucht, aus dem Primärrecht weitere Vorgaben für das Kollisionsrecht abzuleiten. Weller hat dafür die wichtigsten Grundsätze aus dem
403
Siehe oben Fn. 393. Calliess/Ruffert/Rossi, EUV/AEUV, Art. 81 AEUV, Rn. 13; Jayme, IPRax 2008, 72; Weller, IPRax 2011, 429, 436. 405 Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 21; Wagner, FamRZ 2009, 269, 275; Streinz, FS Coester-Waltjen, S. 271, 275. 406 Wagner, IPRax 2000, 512, 519; Rauscher, FS Geimer, S. 883, 891 f.; ders., FS Jayme, 719, 721; andere Ansicht Wagner, RabelsZ 68 (2004), 119, 126 ff. 407 Weller, IPRax 2011, 429, 436; Rühl, Allgemeiner Teil und Effizienz, S. 161, 169. 404
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EUV herangezogen.408 Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung verlange, dass alle auf Artikel 81 gestützten Maßnahmen die in Artikel 3 EUV genannten Unionspolitiken fördern müssten.409 Diese Vorgabe sei in Artikel 65 EGV direkt eingeflossen, weshalb die Anknüpfungsprinzipien der Rom I- und II-Verordnung zwingend an dem Erfordernis der Binnenmarktförderung hätten ausgerichtet werden müssen.410 Aber auch ohne die spezielle Erwähnung in Artikel 65 EGV müsste der Inhalt der Kollisionsnormen an den Unionspolitiken ausgerichtet werden, weshalb sich ein „neutrales“ IPR in Zukunft verbiete.411 Hieraus leitet er mehrere Folgerungen ab: Um einen ökonomisch effizienten Binnenmarkt zu errichten, müsse den Parteien vor allem Rechtswahlfreiheit gewährleistet werden.412 Als Ergänzung brauche das IPR feste Anknüpfungsregeln, um Rechtssicherheit in allen anderen Fällen zu gewährleisten.413 Die Mobilität im Binnenmarkt förderten zudem der Wechsel vom Staatsangehörigkeits- zum Aufenthaltsprinzip und die gegenseitige Anerkennung von Rechtslagen.414 Da der Binnenmarkt auch als soziale Marktwirtschaft ausgestaltet werden müsse, Artikel 3 Abs. 3 EUV, gelte das Prinzip des Schwächerenschutzes, ergänzt um die speziellen Diskriminierungsverbote des EUV.415 bb) Bedenken Der Ansatz ist richtig. Die Unionsorgane und die Mitgliedstaaten sind an die Politiken gebunden und haben diese zu fördern, sowie alle Maßnahmen zu unterlassen, die ihnen widersprechen könnten.416 Dies ergibt sich schon aus Artikel 4 Abs. 3 EUV. Trotzdem sollte dem Unionsgesetzgeber ein größerer Spielraum für den Inhalt des Europäischen Kollisionsrechts gelassen werden. Die Frage, ob sich aus den Zielbestimmungen der Union derart konkrete Vorgaben
408 Weller, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, S. 133, 143 ff.; siehe zuletzt auch RabelsZ 81 (2017), 747, 758. 409 Weller, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, S. 133, 142. 410 Weller, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, S. 133, 143. 411 Weller, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, S. 133, 142, 160; insofern zeigt sich durchaus eine Zuspitzung der von Weller in IPRax 2011, 429, 436 vertretenen Ansicht: Sah er hier durch die Neufassung der Kompetenz in Artikel 81 AEUV noch die Chance, zum traditionellen IPR zurückzukehren, ist diese Möglichkeit versperrt, wenn man auf die Unionspolitiken direkt zurückgreift. 412 Weller, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, S. 133, 143 f.; IPRax 2011, 429, 431 f. 413 Weller, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, S. 133, 145 ff. 414 Weller, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, S. 133, 148 ff. 415 Weller, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, S. 133, 151 ff., 154 ff. 416 Calliess/Ruffert/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 3 EUV, Rn. 4.
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für das Kollisionsrecht ableiten lassen, begegnet zwei Bedenken. Das eine bezieht sich auf die Auslegung von Artikel 3 EUV, das andere ist eher grundsätzlicher und rechtstheoretischer Natur. Zum ersten Bedenken ist von Bedeutung, dass die Politiken der Union sehr vielfältig sind. Es gibt mehrere grundverschiedene Ziele, die selbst nur relativ vage umrissen werden.417 Sicherlich kann man aus Artikel 3 EUV einzelne Ziele herausfiltern und daran bestimmte Forderungen anknüpfen. Die Ziele sind jedoch sehr allgemein gehalten und zeigen keine klare Gestaltungsrichtung an. Die Ziele können sich widersprechen. So ist es ja keineswegs ausgemacht, dass die Ziele des Binnenmarkts und der soziale Schwächerenschutz sich nicht widersprechen, auch wenn man versucht, beides unter dem Begriff einer sozialen Marktwirtschaft zusammenzubringen. Andere Ziele könnten ganz aus den Augen geraten. Der EUV enthält schließlich nicht nur die von Weller angeführten Unionsziele, sondern es gibt noch weitere primärrechtliche Vorgaben, die ebenso herangezogen werden könnten, um ein gegenteiliges Ergebnis zu begründen. Nach Artikel 3 Abs. 3 UAbs. 4 EUV wahrt die Union den Reichtum ihrer kulturellen und sprachlichen Vielfalt. Es ist naheliegend, hier eine Parallele zur Diskussion im deutschen Internationalen Privatrecht zu ziehen, bei der Erik Jayme die Idee der kulturellen Dimension des Rechts ins Spiel gebracht hat, die man in Gegenposition zu einem rein nach ökonomischen Gesichtspunkten skizzierten IPR vorbringen kann.418 Dies gilt besonders für das Internationale Familienrecht, auf das sich der Unionsgesetzgeber zuletzt hauptsächlich konzentriert hat – ist dieses doch noch so stark in die mitgliedstaatlichen Rechtstraditionen eingebettet, dass sich hier allzu marktwirtschaftliche Erwägungen verbieten und differenzierte Lösungen angebrachter erscheinen.419 Ebenso achtet die Union nach Artikel 4 Abs. 2 EUV die nationale Identität der Mitgliedstaaten und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung in den Mitgliedstaaten. Gegenüber Drittstaaten ist sie zwar nach Artikel 3 Abs. 5 EUV danach bestrebt, ihre Werte und Interessen weltweit zu vertreten, gleichzeitig ist sie aber auch hier zu gegenseitiger Achtung verpflichtet. Es ist sicherlich möglich, viele der Aspekte, die das EIPR ausmachen, auf Vorgaben des Primärrechts zurückzuführen und die Motivation der Gesetzgebung zu begründen. Der umgekehrte Weg, von den Bestimmungen des Unionsrechts auf eine bestimmte Form der Anknüpfung zu schließen, ist jedoch unzulässig. Hier werden primärrechtliche Vorgaben überstrapaziert.
417
Streinz/Pechstein, Art. 3 EUV, Rn. 1; Calliess/Ruffert/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 3 EUV, Rn. 6; Rühl, Allgemeiner Teil und Effizienz, S. 161, 168 f. 418 Siehe oben I. 4. b) 419 Vgl. unter Verweis auf die deutschen verfassungsrechtlichen Grenzen Streinz, FS Coester-Waltjen, S. 271, 282 ff., insb. S. 284.
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
Dies führt zu dem zweiten und grundsätzlichen Bedenken. Bei den in Artikel 3 EUV festgelegten Zielen handelt es sich um Prinzipien in dem von Alexy bestimmten Sinne.420 Es gilt demnach ein Optimierungsgebot, diese Ziele in Einklang zu bringen, ohne eines unverhältnismäßig zu beschneiden. Da es sich eben nicht um justiziable Regeln handelt, bei denen die Rechtsfolge vorgegeben ist, kommt dem Gesetzgeber ein erheblicher Einschätzungsspielraum bei der Lösung von Zielkonflikten zu.421 Die Ziele selbst sind nicht justiziabel, das heißt, sie spielen auch bei der juristischen Argumentation nur eine untergeordnete Rolle.422 Allenfalls lässt sich ein Untermaßverbot aus dem Primärrecht herleiten, das eingreift, wenn eine Maßnahme offenkundig die Ziele der Union verfehlt.423 Darauf kommt es hier jedoch nicht an, da eine völlige Verfehlung der Unionsziele bei keiner Maßnahme zu erkennen ist. Insbesondere kann aus Artikel 3 Abs. 3 EUV nicht etwa gefolgert werden, dass das EIPR entweder Rechtswahlfreiheit vorsehen müsse oder ansonsten primärrechtswidrig sei. Der Weg, inhaltliche Anforderungen, die man bislang in Artikel 65 EGV gelesen hat, über einen Rückgriff auf Artikel 3 EUV auch für die Kompetenz von Artikel 81 AEUV als verbindlich auszugeben, ist damit nicht gangbar. Insgesamt ist es für die juristische Argumentation entscheidend, bestimmte Ergebnisse aus den betreffenden Verordnungen und anderen Texten selbst herzuleiten und mit den Anforderungen des jeweiligen Rechtsgebiets zu argumentieren, bevor man auf primärrechtliche Vorgaben zurückgreift. Richtig ist die Annahme, dass die Zielvorgaben des EU-Vertrags sicherlich die Entwürfe zum IPR beeinflusst haben und dass es legitim ist, diese zum inhaltlichen Leitfaden des Kollisionsrechts zu machen.424 Diese Ziele fordern auch weiter zu einer sorgfältigen Interessenabwägung und zur Berücksichtigung konkreter Auswirkungen des Kollisionsrechts auf. Das Verdikt der Primärrechtswidrigkeit sollte jedoch nur bei offensichtlichem Ungenügen der Maßnahmen der Zielverwirklichung herangezogen werden.
420
Calliess, Kollektive Ziele und Prinzipien im Verfassungsrecht der EU, S. 85 f.; zum Begriff des Prinzips in diesem Sinne, siehe oben § 1 A. II. 3. d) aa); nach Dworkin handelt es sich bei den Zielen des Artikels 3 EUV nicht um Prinzipien, die zur Begründung subjektiver Rechte herangezogen werden können, sondern um Politiken (policies), da sie ein kollektives Ziel verfolgen; siehe Calliess, Kollektive Ziele und Prinzipien im Verfassungsrecht der EU, S. 85, 86 f.; vgl. Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, S. 55; gleichwohl wird im Folgenden weiter der Begriff des Prinzips verwendet, da es dem Autor nicht sonderlich auf den von Dworkin angesprochenen Aspekt ankommt, sondern eher auf das Optimierungsgebot des Prinzips. 421 Vgl. EuGH, Urteil vom 29. Oktober 1980, Rs. C-139/79, Maizena, Slg. 1980, 3393, Rn. 23; Calliess/Ruffert/Ruffert, EUV/AEUV, Artikel 3 EUV, Rn. 11. 422 Calliess/Ruffert/Ruffert, EUV/AEUV, Artikel 3 EUV, Rn. 5; Calliess, Kollektive Ziele und Prinzipien im Verfassungsrecht der EU, S. 85, 94. 423 Calliess/Ruffert/Ruffert, EUV/AEUV, Artikel 3 EUV, Rn. 5 424 Rühl, Allgemeiner Teil und Effizienz, S. 161, 168 f.
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2. Neue Argumentationstopoi Die einzelnen bereits angesprochenen neuen Motive, die für das Europäische Internationale Privatrecht entscheidend sind, sollen noch einmal nachgezeichnet werden. Dadurch wird klar, welche Regelungsziele hinter den legislativen Maßnahmen zum EIPR stehen, was wiederum für eine teleologische Auslegung der Rechtsakte wichtig ist. Zum anderen kann gezeigt werden, dass auch das EIPR kein starres, formales Ordnungsrecht ist, sondern vielmehr bemüht ist, außerrechtlichen Ansprüchen, Normen und Erwartungen gerecht zu werden. Mit anderen Worten: Es handelt sich um reflexives Recht und es ist damit offen für Materialisierungstendenzen. Die einzelnen Punkte können nur thesenartig dargestellt werden. Die Stichhaltigkeit der Thesen im Einzelnen kann durch die Untersuchung im Besonderen Teil überprüft werden. Einleitend soll eine Bemerkung gestattet sein: Das Europäische IPR wird oft charakterisiert als Abkehr von der kontinentalen IPR-Tradition, wobei vor allem eine Abwendung von den deutschen Grundsätzen konstatiert wird. So wird das kontinentale IPR gleichgesetzt mit Savignys Rechtsgrundsätzen.425 Das Europäische Kollisionsrecht ist dann ein „Paradigmenwechsel“426, eine IPR„Revolution“427 oder der „Abschied von Savigny“428. Ob solche Begriffe weiterhelfen, darf bezweifelt werden. Ebenso wird man bezweifeln müssen, ob das Europäische Kollisionsrecht tatsächlich so neu und anders angelegt ist als das traditionelle IPR, wie es oft behauptet wird.429 Methodisch gesehen besteht offensichtlich eine Kontinuität in der Verwendung allseitig formulierter Kollisionsregeln.430 Schurig hat überzeugend gezeigt, dass alle vermeintlichen Neuerungen des EIPR mit dem traditionellen Handwerkszeug des Kollisionsrechts erklärt werden, selbst das Anerkennungsprinzip, das als unversöhnlich mit den mitgliedstaatlichen Kollisionsrechten beschrieben wird.431 Es kommt daher wohl vor allem auf die inhaltliche Ausgestaltung der Kollisionsnormen an. Die Darstellung dieser Schwerpunkte darf freilich nicht überzeichnet, Gegensätze nicht auf die Spitze getrieben, Verallgemeinerungen müssen so weit wie möglich vermieden werden. Die vorangehende Darstellung der deutschen Kollisionsrechtsgeschichte hat, wenn auch natürlich selbst wiederum sehr grob, gezeigt, dass Kollisionsrecht in Deutschland weitaus mehr ist als Savigny, und dass sich die Theorie auf mehrere Säulen stützt, von denen 425 Vgl. MK-BGB/von Hein, Einleitung IPR, Rn. 28; Rühl, Statut und Effizienz, S. 178 ff.; Weller, IPRax 2011, 429, jeweils mit weiteren Nachweisen. 426 Rühl, Statut und Effizienz, S. 193; Coester-Waltjen, FamRZ 2013, 170. 427 Meeusen, Eur. J. Migr. L. 9 (2007), 287 ff.; Michaels, FS Kropholler, S. 151 ff. 428 Weller, IPRax 2011, 429. 429 Skeptisch MK-BGB/von Hein, Einleitung IPR, Rn. 40 ff.; Schurig, Das Fundament trägt noch, S. 5 ff. 430 MK-BGB/von Hein, Einleitung IPR, Rn. 40. 431 Schurig, Das Fundament trägt noch, S. 5, 16 ff., insb. 21 f.
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die Lehre von Savigny nur die historisch erste bildete.432 Schurig hat darauf hingewiesen, dass durch das Abstellen auf Schlagwörter wie „engste Verbindung“ das Europäische IPR als etwas völlig neues wahrgenommen werden muss, da so bereits das Bild vom deutschen Kollisionsrecht nur unterkomplex verzerrt wird.433 Das Auffinden der engsten Verbindung ist selbst ein hoch komplizierter Vorgang, bei dem die unterschiedlichsten Wertungen und Interessen zu berücksichtigen sind. Unter diesem Vorzeichen soll das Europäische Kollisionsrecht analysiert werden: als Neugewichtung von Argumentationstopoi. Ob die Quantität der Änderungen dann so hoch ist, dass sie in eine neue Qualität umschlägt, ist, so zutreffend Schurig, egal.434 a) Ökonomische Analyse des Internationalen Privatrechts aa) Grundzüge Wenn das EIPR der Perfektionierung eines Marktes dienen soll, liegt es nahe, die Wirkungen seiner Regelungen auf ihre ökonomische Effizienz abzuklopfen.435 Die ökonomische Analyse kann dabei als Prototyp einer reflexiven Rechtswissenschaft gelten, der es hier darauf ankommt, Forderungen des Systems Wirtschaft ins Rechtssystem zu übertragen, nämlich Effizienz der rechtlichen Institutionen und ihrer Regelungen, so dass keine Ressourcen verschwendet werden. Die umfangreichste Arbeit zur ökonomischen Analyse des Rechtsanwendungsrechts stellt sich dementsprechend auch dem Anspruch, „dem Internationalen Privatrecht ein realwissenschaftliches Fundament zu geben“.436 Ökonomische Analyse beschränkte sich dabei lange Zeit auf das materielle Zivilrecht. Überlegungen zur Wirtschaftlichkeit des Kollisionsrechts blieben dagegen auf Einzelphänomene beschränkt.437 Erst seit den letzten Jahren beschäftigt sich die Wissenschaft intensiver mit dem IPR. Hierbei ist auffallend,
432
Auch Schurig, Das Fundament trägt noch, S. 5, 17. Schurig, Das Fundament trägt noch, S. 5, 17. 434 Schurig, Wortbeitrag zur ersten Diskussionsrunde zu seinem Beitrag: Das Fundament trägt noch, festgehalten von Deren/Krause/Lutzi, in: Mansel, Internationales Privatrecht im 20. Jahrhundert, S. 39. 435 Vgl. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 450 ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. XXXIII. 436 Rühl, Statut und Effizienz, S. 699. 437 Rühl, Statut und Effizienz, S. 21 f. 433
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dass sehr oft Bezüge zum Europäischen Binnenmarkt und der Rechtsvereinheitlichung auf supranationaler Ebene gezogen werden,438 so dass diese Argumentationsstruktur eher im europäischen Kontext zu verorten ist als im deutschen Diskurs.439 Das IPR bietet eigene Ansatzpunkte für ökonomische Überlegungen. Den Gedanken, dass die Diversität der Rechtsordnungen ein Hindernis für einen funktionierenden Markt und darin stattfindende Transaktionen darstellen könnte, kann die ökonomische Analyse unter dem Stichwort des internationalen Transaktionsdilemmas genauer erläutern.440 Ausgangspunkt ist die konstitutionelle Unsicherheit über die rechtlichen Probleme internationaler Geschäfte.441 Da oft nicht klar sei, wo eine internationale Zuständigkeit begründet liege, durch welches Recht ein Vertrag beurteilt werde, oder ob ein Urteil in einem anderen Land vollstreckt werden könne, sei es für Akteure eines internationalen Geschäfts, die nicht in Vorleistung treten müssen,442 oft aus spieltheoretischer Sicht vernünftiger, ihre Gegenleistung gar nicht zu erbringen, da die Risiken einer Nichtleistung, wie Schadensersatzpflichten, gering seien. Die andere Partei werde daher versuchen, den Vertrag simultan abzuwickeln bei höheren Transaktionskosten, oder, wenn die Kosten den Ertrag des Geschäfts übersteigen, von dem Geschäft Abstand nehmen.443 Um die Risiken besser kalkulieren und minimieren zu können, helfe aber nicht nur eine Vereinheitlichung des Privatrechts, sondern auch des Internationalen Privatrechts. Darüber hinaus kann auch der Inhalt der Kollisionsnormen effizient gestaltet werden. Wichtigster Ansatzpunkt für die ökonomische Analyse ist das sogenannte Coase-Theorem.444 Nach diesem in den Wirtschaftswissenschaften von dem Nobelpreisträger Ronald Coase entwickelten Grundsatz würden sich effiziente Transaktionen, also ökonomisch rationale Allokationen von Ressourcen und Rechtspositionen, erzielen lassen, wenn sie vollkommen marktförmig, das heißt privatautonom von den Marktteilnehmern vereinbart, und nicht interventionistisch durch staatliche Eingriffe entschieden werden.445 Da die Marktteil438 Schmidtchen, RabelsZ 59 (1995), 56, 107 ff.; Weller, IPRax 2011, 429, 433; Riesenhuber/Franck, Europäische Methodenlehre, S. 70 ff.; Rühl, Statut und Effizienz, S. 165 ff.; dies., Allgemeiner Teil und Effizienz, S. 161 ff. 439 Weller, IPRax 2011, 429, 433. 440 Schmidtchen, RabelsZ 59 (1995), 56, 71 ff. 441 Rühl, Statut und Effizienz, S. 33; Schmidtchen, RabelsZ 59 (1995), 56, 71 ff. 442 Tatsächlich ist es so, dass die meisten Transaktionen nicht Zug um Zug abgewickelt werden, sondern eine Partei, meist der Verkäufer, in Vorleistung tritt, Rühl, Statut und Effizienz, S. 36 f. 443 Rühl, Statut und Effizienz, S. 37. 444 Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 59. 445 Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 59 ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 74; Rühl, Statut und Effizienz, S. 198; Weller, IPRax 2011, 429, 433.
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
nehmer auf eine Maximierung ihres persönlichen Nutzen aus seien und am besten selbst einschätzen könnten, wie dieser zu erreichen sei, würden sie durch Transaktionen eine Verteilung von Ressourcen und Rechtspositionen vornehmen, die dieser maximalen Nutzbarkeit entspreche.446 Daher besteht ein Grundsatz der ökonomischen Analyse darin, den Parteien möglichst viel Privatautonomie zu gewährleisten, da sie am besten in der Lage seien, Verträge effizient zu gestalten.447 Man kann von einer Effizienzvermutung des Vertrages sprechen. Auf das Internationale Privatrecht übertragen heißt das, dass auch hier die Parteien grundsätzlich in der Lage sein müssen, die besonderen Probleme im internationalen Rechtsverkehr selbst zu lösen durch die großzügige Einräumung von Rechtswahlfreiheit.448 Eng damit verbunden ist die Freiheit der Parteien, durch Gerichtsstandsvereinbarung das zuständige Gericht ex ante zu bestimmen.449 Aber auch Markteingriffe lassen sich ökonomisch rechtfertigen, wie etwa die Sonderanknüpfung von Verbraucherverträgen dadurch, dass Informationsdefizite des Verbrauchers verringert werden können.450 Diese führen nämlich dazu, dass Verbraucher Marktangebote nicht zur Kenntnis nehmen, sondern sich auf diejenigen Produkte beschränken, die sie bereits kennen, wodurch ein Markt zusammenbrechen kann. Allgemein lässt sich eine Einschränkung der Parteiautonomie da begründen, wo es ein Marktversagen gibt, wo das Coase-Theorem also nicht weiterführt.451 Schließlich kann – neben der Stärkung der Rechtswahlfreiheit – auch ein Heimwärtsstreben im IPR ökonomisch begründet werden. Dadurch fallen höhere Kosten zur Ermittlung ausländischen Rechts weg.452 Diese Argumentation ist bereits mit der Theorie des fakultativen Kollisionsrechts in Deutschland zur Kenntnis genommen worden.453 Neben einer häufigeren Anwendung der lex fori besteht eine andere Lösung darin, den Parteien die Kosten der Rechtsfindung aufzuerlegen oder sie zumindest stärker daran zu beteiligen, wenn sie das Recht gewählt haben.454
446
Rühl, Statut und Effizienz, S. 198 f. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 63 f.; Rühl, Statut und Effizienz, S. 199; Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 179 ff.; Müller-Graff, Die Marktfreiheiten als Herzstück der europäischen Wettbewerbsidee, S. 329, 332 f. 448 Rühl, Statut und Effizienz, S. 437 ff.; Siehr, FS Firsching, S. 269, 280; Basedow, FS Horn, S. 229, 242; ders., The Law of Open Societies, Rn. 235 ff.; Mankowski, FS Schäfer, S. 369, 369 f.; Weller, Anknüpfungsprinzipien im europäischen Kollisionsrecht, S. 11; O’Hara/Ribstein, University of Chicago Law Review 67 (2000), 1151, 1151 f.; Weller, IPRax 2011, 429, 433. 449 Mankowski, FS Schäfer, S. 369, 370. 450 Rühl, Statut und Effizienz, S. 558 f. 451 Rühl, Statut und Effizienz, S. 700. 452 Flessner, LA Pintens, S. 593; kritisch Rühl, RabelsZ 71 (2007), 559, 574 ff. 453 Siehe oben unter B. I. 4. b). 454 Rühl, RabelsZ 71 (2007), 559, 584 ff. 447
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bb) Kritik (1) Rechtsökonomie als Paradigmenwechsel für Methodik und Kollisionsrecht Im Europäischen Kollisionsrecht kann die ökonomische Analyse somit eine prominente und wichtige Rolle spielen. Das gilt auch für das Effizienzprinzip.455 Dies ist auch naheliegend, da ein Rechtsgebiet, das vornehmlich der Markteffizienz dienen soll, auf solche Überlegungen angewiesen ist. Es bietet sich hier jedoch die Gelegenheit, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob damit ein konzeptioneller Neuanfang im Europäischen Kollisionsrecht gegenüber dem traditionellen deutschen IPR vorgenommen wurde.456 Die Binnenmarktförderung ist ein politisches Ziel, das unter einem Optimierungsgebot steht. Rechtspolitische Forderungen können daneben unter anderem auch auf ökonomische Erwägungen gestützt werden. Gleichzeitig darf nicht übersehen werden, dass die EU noch weitere, teilweise auch gegenläufige Zielvorgaben gemacht hat. Ein modernes, reflexives Recht kann sich nicht auf eines dieser Ziele versteifen und darüber die anderen ignorieren. Es geht vielmehr darum, die verschiedenen Vorgaben in einen vernünftigen Ausgleich zu bringen, also auch der Ökonomisierung des Rechts Grenzen zu setzen.457 Was die Auslegung der Gesetze und die Rechtsfortbildung anbelangt, muss man der ökonomischen Analyse ihren Platz in einem kohärenten Methodensystem zuweisen.458 Hierbei darf man die ökonomische Analyse als Methode keinesfalls überschätzen. Im Rahmen der einfachen Gesetzesauslegung kann sie vor allem eine Rolle spielen, wenn Effizienz eines der Ziele des Gesetzes ist.459 Daraus sollte nun aber kein Universalitätsanspruch für das gesamte Kollisionsrecht abgeleitet werden. Wie bereits gezeigt,460 folgt eine solche Annahme nicht aus dem Primärrecht. Die Kompetenznorm des Artikels 65 EGVertrag setzte keine derartige Hürde. In Artikel 81 AEUV ist die Förderung des Binnenmarkts ein wichtiges, aber nicht das einzige Ziel. Aus den Politiken des EU-Vertrags lässt sich kaum je eine konkrete Vorgabe entnehmen, da es sich lediglich um Optimierungsgebote handelt, die einer Abwägung bedürfen. Die meisten Instrumente des Europäischen Kollisionsrecht dürften jedoch Effizienzerwägungen gegenüber offenstehen, da sie gerade auf die Bedürfnisse
455 Rühl, Allgemeiner Teil und Effizienz, S. 161, 169: Effizienz ist sicher eines der wichtigsten Prinzipien, könne aber zugunsten anderer Ziele eingeschränkt werden; auch in den Verordnungen gebe es kein nachhaltiges Bekenntnis zur Effizienz. 456 So Kühne, LA Schurig, S. 129, 133, 142; Rühl, Statut und Effizienz, S. 188 ff. 457 Rühl, Allgemeiner Teil und Effizienz, S. 161, 168. 458 Grundlegend Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 450 ff. 459 Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 452. 460 Siehe oben Abschnitt II. 1. d).
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
des internationalen Handels und den Binnenmarkt zugeschnitten sind, wie insbesondere die Rom I-VO, aber auch zum größten Teil die Rom II-VO.461 Dies muss jedoch im Einzelnen nachgewiesen werden.462 Es dürfte zu weit gehen, das gesamte Internationale Schuldrecht etwa per se als effizienzorientiert anzusehen. Wenn Effizienz als Ziel des Gesetzes identifiziert ist, können ökonomische Argumente eine teleologische Auslegung unterstützen.463 Aber auch dann erfordert eine verantwortungsvolle und reflexive Methodik, dass weitere Wertungen in die Entscheidung einfließen. Kein Rechtsgebiet ist allein auf ökonomische Effizienz ausgerichtet, so dass dieses Kriterium ständig der Abwägung mit anderen Regelungszielen und Interessen unterliegt. Im IPR kann das Effizienzkriterium als Ordnungsinteresse erkannt und somit in die von Kegel skizzierte Interessenjurisprudenz des IPR eingeordnet werden.464 Festzustellen ist jedoch, dass durch solche Überlegungen auch ein stärkerer Blick auf die materiellrechtlichen Interessen geworfen werden, da neben der Verringerung der Auswirkungen des internationalen Transaktionsdilemmas ein Recht zur Anwendung kommen soll, dass ein möglichst effizientes und maximal nützliches Ergebnis hervorbringt.465 (2) Übertragbarkeit auf das (Internationale) Familienrecht? Zweifel ergeben sich bei dem Versuch, Effizienzkriterien auf das Familienrecht zu übertragen. Weitgehende Untersuchungen hierzu gibt es noch nicht. Es stellt sich die Frage, inwiefern Effizienz für das Familienrecht nützlich sein könnte.466 Gerade im Zusammenhang mit der Parteiautonomie, die allgemein die Kernforderung der ökonomischen Theorie des Internationalen Privatrechts darstellt,467 wird oft überlegt, inwieweit die Parteien tatsächlich rational handeln und Wert auf Minimierung ihrer Transaktionskosten legen. Hierbei ist eine Tendenz erkennbar, die kulturellen Besonderheiten des Familienrechts kleinzureden. Den Eheleuten einer Scheidung wird unterstellt, dass es ihnen grundsätzlich darum gehe, ihre Scheidung so kostengünstig,
461
Dies zeigt sich an Erwägungsgrund (1) der Verordnungen Rom I und Rom II; vgl. auch die differenzierte Analyse bei Rühl, Allgemeiner Teil und Effizienz, S. 161, 170 ff. 462 Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 454; vgl. auch Rühl, Allgemeiner Teil und Effizienz, S. 161, 166. 463 Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 452. 464 Schurig, Das Fundament trägt noch, S. 5, 24 f.; vgl. auch Mankowski, Liber amicorum Schurig, S. 159, 172. 465 Besonders deutlich wird dies bei Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 450 f., die angesichts des Gewichts materiellrechtlicher Interessen im Europäischen IPR meint, dass es keine internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit gebe. 466 Vorsichtig die Nützlichkeit bejahend Rühl, Statut und Effizienz, S. 702; auch dies., Allgemeiner Teil und Effizienz, S. 161, 171 f., 179. 467 Rühl, Statut und Effizienz, S. 700.
§ 1 Materialisierung der Rechtsordnung
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schnell und einfach wie möglich zu gestalten.468 Ihre Interessen seien daher fast rein materiellrechtlich, ihnen gehe es um das Recht, das zu einer schnellen Erledigung des Rechtsstreits führe.469 Familienstrukturen werden dabei mit den inneren Strukturen einer Personengesellschaft verglichen, so dass man auch die Interessen gleichsetzen zu können meint.470 Zwar wird dabei eingestanden, dass es bei familienrechtlichen Streitigkeiten zu Rationalitätsdefiziten komme und die Parteien sich nicht in jeder Entscheidungssituation für die Alternative entscheiden, die ihnen den größten persönlichen Nutzen bringt zu möglichst geringen Kosten.471 Doch würden diese Aspekte nicht so stark ins Gewicht fallen, dass eine Vergleichbarkeit in Frage gestellt werden müsste, da die Ehegatten sich während der Ehe in ständigen Verhandlungen über die effiziente Allokation der Güter befänden und auch die Ehe nur eingingen, wenn sie vorher eine Kosten-Nutzen-Abwägung getroffen hätten.472 Konsequenz ist, dass ganz konkrete Ergebnisse aus dem Wirtschaftsrecht ohne größere Änderungen auf das Familienrecht übertragen werden: Die Parteien sollen ein ihnen bekanntes Recht wählen können, über das sie sich ohne Sprachbarrieren kostengünstig informieren können. Das spare Transaktionskosten in der Rechtsberatung.473 Gleiches gelte grundsätzlich bei der Wahl der lex fori.474 Sogar ein „neutrales“ Recht sollen die Eheleute wählen können.475 Bei internationalen Handelsverträgen sei es nachgewiesen, dass die Vertragsparteien oftmals ein Recht wählten, zu dem beide Seiten keine Beziehung aufweisen, das aber den Ruf genieße, neutral zu sein, also auf die Interessen beider Parteien gleichmäßig Rücksicht zu nehmen, wie das englische und das schweizerische Recht.476 Auch Ehepaare sollten bei einer Ehescheidung auf ein solches neutrales Recht zurückgreifen können, da dies eine Einigung wahrscheinlicher mache, oder auf ein Recht, das den übereinstimmenden Bedürfnissen der Parteien entgegenkommt wie zum Beispiel das scheidungsfreundliche spanische oder schwedische Familienrecht.477 Dies werde allerdings nur möglich, wenn auch im Bereich des Internationalen Familienrechts eine grundsätzlich unbeschränkte Rechtswahl zugelassen werde.478 468
Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 435 ff., insb. S. 437. Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 445. 470 Becker, Treatise on the Family, S. 30 ff.; Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 435 f.; siehe dagegen Dethloff, Contracting in Family Law: A European Perspective, S. 65, 85 ff. 471 Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 434 f. 472 Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 436. 473 Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 424, 437, 439. 474 Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 425. 475 Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 438 f. 476 Eidenmüller, JZ 2009, 641, 645. 477 Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 438 f. 478 Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 568. 469
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
Spätestens beim letzten Argument begegnen jedoch grundsätzliche Zweifel, ob die Situation von Eheleuten wirklich mit der von kommerziellen Akteuren auf dem Markt vergleichbar ist. Viele Argumente scheinen an der Lebenswirklichkeit der meisten Menschen vorbeizugehen. Über ein vertrautes Recht können die Parteien sich bestimmt schneller informieren als über ein Recht, das sie nicht kennen. Aber bei Laien dürften die grundsätzlichen Möglichkeiten, sich über rechtliche Fragen zu informieren, sehr gering sein. Meistens wird eine professionelle Rechtsberatung unumgänglich sein. Diese kann auch nur dann relativ sicher, zügig und kostengünstig Auskunft geben, wenn es sich beim anwendbaren Recht um die lex fori handelt. Ausländisches Recht ist immer noch mit größerem Aufwand zu ermitteln.479 Während aber Unternehmen oft über eigene Rechtsabteilungen verfügen und Nachforschungen über ausländisches Recht anstellen können, sich also auf die internationale Situation einstellen und Kosten internalisieren können,480 bleibt diese Möglichkeit den Ehepaaren verschlossen. Noch fragwürdiger ist die Idee, den Parteien die Wahl eines neutralen Rechts zu eröffnen. Dies ist nur bei einer grundsätzlich unbegrenzten Rechtswahl möglich. Doch je mehr Rechte den Parteien zur Auswahl stehen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Parteien den Überblick über die Rechtsfolgen verlieren. Die meisten Personen haben nicht einmal den vollständigen (oder grundlegenden) Überblick über bloß ein Scheidungsrecht.481 Während beim internationalen Handel professionelle Parteien Verträge schließen, ist man im Familienrecht Laie, da der private Lebensbereich betroffen ist. Es stellen sich zudem noch praktische Folgefragen: Was heißt es überhaupt, wenn ein Familienrecht neutral ist und auf welches trifft dies zu? Beispielhaft wird das Recht der Schweiz genannt.482 Doch worauf gründet sich eine solche Einschätzung? Bereits im Vertragsrecht ist das Kriterium der Neutralität „wenig aussagekräftig“.483 Oftmals ist der Begriff nur vorgeschoben, weil die Parteien eigentlich eine bestimmte Qualität des Rechts besonders schätzen, etwa beim schweizerischen Recht die fehlende Inhaltskontrolle und stärkere Achtung von formal privatautonom getroffenen Entscheidungen.484 Was bedeutet nun Neutralität – angenommen, man hält an dem Argument fest – auf das Familienrecht übertragen? Eine Rechtsordnung, die über ein liberales Vertragsrecht verfügt, kann gleichzeitig ein äußerst strenges und konservatives Familienrecht haben. Es gibt, mit anderen Worten, keine ausreichenden rechtsvergleichenden Untersuchungen darüber, welches Familienrecht neutral ist, weil 479
Dethloff, FS Martiny, S. 41, 57 ff. Mankowski, FS Schäfer, S. 369, 372. 481 M. E. in diesem Punkt zu optimistisch Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 574. 482 Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 438. 483 Eidenmüller, JZ 2009, 641, 645. 484 Eidenmüller, JZ 2009, 641, 646. 480
§ 1 Materialisierung der Rechtsordnung
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das Kriterium zu vage ist und hierüber kein Konsens besteht. Die Ehegatten benötigen für eine solche Entscheidung Rechtsberatung. Anwaltskanzleien sind aber in der Regel auch nicht ausreichend spezialisiert auf ausländisches Familienrecht, um eine solche Hilfestellung geben zu können. Sind sie es doch, steigen natürlich wiederum die Kosten der Beratung. An diesem Punkt stoßen ökonomische Überlegungen an eine Grenze, da die Beteiligten eines Familienstreits keine professionellen Akteure sind, die sich in den Rechtsordnungen ebenso frei bewegen können wie international tätige Unternehmen. Ökonomische Effizienz ist daher nicht das entscheidende Kriterium zur Ausgestaltung der Rechtswahlmöglichkeiten, mit dem die Parteien am engsten verbunden sind. Es müssen andere Erklärungsmuster herangezogen werden. Die ökonomische Analyse ist nicht in der Lage, denjenigen Aspekt des Familienrechts zu beleuchten, der für dieses Rechtsgebiet immer noch prägend ist: die kulturelle und emotionale Dimension. Das Familienrecht betrifft vordringlich die private Lebensführung und die Ehe ist immer noch ein Zusammenschluss aus hauptsächlich emotionalen Gründen statt eine rein ökonomische Zweckgemeinschaft. Dass das Familienrecht eine eigene kulturelle Bedeutung hat, wird nicht richtig wahrgenommen.485 Die Annahme, dass einige Entscheidungen zwar irrational getroffen, aber durch die kontinuierlichen Verhandlungen über die Güterverteilung ausgeglichen würden, verkennt das Problem. Es gibt starke emotionale, traditionelle und kulturelle Aspekte, die die Parteien mehr beeinflussen als die kühle Abwägung, wie man das Scheidungsverfahren am günstigsten und schnellsten hinter sich bringt. Das deutsche Kollisionsrecht hat dafür besondere Wertungen gefunden, um diese „irrationalen“ Aspekte zu berücksichtigen, etwa durch Berücksichtigung der kulturellen Identität. Das Recht muss auch diese „irrationalen“ Interessen befriedigen. Das Effizienzprinzip hilft dann aber nicht weiter, weil seine wichtigsten Grundlagen vom Bild des homo oeconomicus geprägt sind.486 Menschen haben das Recht, ineffizient zu handeln, insbesondere, wenn es um ihre private Lebensführung, die Entwicklung der eigenen Identität, des Selbstverständnisses und der eigenen Biografie geht. Das Recht muss sich darauf einstellen, diese Aspekte zu reflektieren und zu respektieren. Die Ergebnisse der ökonomischen Analyse sollten durchaus mitberücksichtigt werden. Aber es wäre falsch, ihre Maximen zum Leitbild des Familienrechts zu erklären. Da das aber Effizienzkriterium nur eines von mehreren Prinzipien ist, läuft das Europäische Kollisionsrecht nicht die Gefahr, seinen Blick zu stark zu verengen.
485
Kritisch auch Kühne, RabelsZ 78 (2014), 863, 871. Dazu Schäfer/Ott, S. 95 ff.; deutliche Kritik an diesem anthropologischen Verständnis etwa Limbach, KritV 1986, 165, 171; Fezer, JZ 1986, 817, 822. 486
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
b) „Materialisierung“ des Kollisionsrechts aa) These: Aufwertung des sachrechtlichen Einflusses Sehr oft wird von einer „Materialisierung“ des Europäischen Kollisionsrechts gesprochen.487 Damit ist jedoch etwas anderes gemeint, als wir unter Materialisierung des Rechts zu Beginn der Arbeit dargestellt haben. Unter „Materialisierung“ wird in der aktuellen Diskussion meist verstanden, dass nicht internationalprivatrechtliche Interessen entscheiden sollten, also die engste Verbindung zum Recht bestimmt werden solle, sondern dass es allein auf das konkrete materiellrechtliche Ergebnis ankomme.488 Sehr grob gesagt, solle es einmal den Parteien nur darauf ankommen, ob sie im Rechtsstreit siegen. Zudem lege auch der Europäische Gesetzgeber nicht einfach nur Kollisionsnormen fest, nach denen das Recht, zu dem der Sachverhalt räumlich die engste Verbindung hat, bestimmt werden könne. Der Gesetzgeber lege vielmehr Wert darauf, dass ein Recht zur Anwendung komme, das bestimmten Kriterien genüge und das zu einem bestimmten Ergebnis führe.489 Es werde nicht mehr nach dem räumlich besten, sondern nach dem materiell besten Recht gesucht.490 Die Festlegung der Anknüpfungspunkte wird quasi rückwärts, vom sachrechtlichen Ergebnis gedacht, vorgenommen. Dies führt sogar so weit, dass teilweise die Idee einer eigenständigen internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit ganz verworfen wird.491 Als Beispiele für die stärkere Berücksichtigung materiellrechtlicher Interessen ist schon länger die Sonderanknüpfung für bestimmte Verträge in der Rom I-VO bekannt, insbesondere in Artikel 6 Rom I-VO für Verbraucherverträge.492 Sachrechtliche Interessen werden als Motiv für Parteiautonomie genannt, da die Parteien das Recht wählten, das für sie zum sachrechtlich optimalen Ergebnis führe.493 Der zweite Aspekt, die staatlichen Interessen an der Anwendung eines „besseren“ Rechts, werden belegt mit dem Verweis auf die stärkere Berücksichtigung von Eingriffsnormen, die besonderen, neuartigen Klauseln wie Artikel 10 Rom III-VO.494 Aber auch Artikel 14 HUP stellt die 487 Weller, Anknüpfungsprinzipien im Europäpischen Kollisionsrecht, S. 133, 142; ders., IPRax 2011, 429 ff.; Kühne, LA Schurig, 129, 138; ders., ZVglRWiss 114 (2015), 355 ff.; vgl. auch Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 450; Dutta, EuZW 2010, 530, 533 f.; zum deutschen Recht: Coester, IPRax 2013, 114, 115; soweit als Beleg für Materialisierung auf Röthel, JbItalR 25 (2012), S. 3 ff. verwiesen wird, ist der Verweis jedoch irreführend: Röthel begreift den Begriff der Materialisierung im allgemeinen Sinne der Materialisierung des Privatrechts, siehe oben S. 4. 488 Sehr deutlich wird dies bei Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 769. 489 Kühne, LA Schurig, S. 129, 138 f. 490 Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 451. 491 Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 450 f. 492 Kühne, LA Schurig, S. 129, 138 f. 493 Kühne, LA Schurig, S. 129, 136. 494 Weller, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, S. 133, 155 f.
§ 1 Materialisierung der Rechtsordnung
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Anwendung eines Rechts unter den Vorbehalt, dass bestimmte Ziele des Unterhaltsprozesses verwirklicht werden, und stellt somit inhaltliche, materielle Anforderungen an das Ergebnis der Rechtsanwendung.495 bb) Zum Verhältnis von Kollisionsnorm und Sachrecht Man verzerrt das Verhältnis von Kollisionsrecht und Sachrecht, wenn man sie sich als streng getrennte Bereiche vorstellt, die sich gegenseitig nicht beeinflussen. Eine interessengerechte Anknüpfung wäre in diesem Fall gar nicht möglich.496 Bei der Bestimmung des Anknüpfungsmoments muss sich das IPR von den Zielen und Wertungen des jeweiligen Sachrechtsgebiets leiten lassen. So wurde im deutschen Recht für das Personalstatut an die Staatsangehörigkeit angeknüpft, weil es bei vielen Fragen um die persönliche Lebensführung der Person geht, wie beispielsweise im Familienrecht, und man daher ein Recht anknüpfen musste, mit dem die Person selbst sehr eng verbunden ist.497 Solche Fragen spielen wiederum im Deliktsrecht keine Rolle. Hier geht es eher darum, Deliktsrecht auch als Gesellschafts- und Verhaltenssteuerung zu begreifen, so dass es zur Bestimmung des Deliktsstatuts auf die jeweils geltenden Verhaltensregeln und Verkehrserwartungen am Tatort ankommt. Eine Anknüpfung an das Recht des Tatorts liegt dann am nächsten.498 Da es aber auch darum geht, Schäden zu kompensieren und die Interessen des Geschädigten zu schützen, hat etwa das deutsche Deliktsrecht dem Geschädigten in Artikel 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB unter anderem deshalb eine Wahlmöglichkeit gegeben, das Recht am Ort des Schadenseintritts zur Anwendung zu bringen.499 Im Verbraucherrecht geht es darum, Verbraucher zum Kauf von Produkten zu animieren und ihnen die nötigen Informationen zu geben, damit sie vernünftige Entscheidungen treffen können. Diese Wertungen überträgt die Rom I-VO auf die internationale Ebene, indem bei Verbraucherverträgen unter bestimmten Bedingungen der Vertrag an das Heimatrecht des Verbrauchers angeknüpft wird, Artikel 6 Abs. 1 Rom I-VO. Ebenso wird bei der Rechtswahl zum Schutz des Verbrauchers ein Günstigkeitsvergleich vorgenommen. Verbraucher sollen nicht von der Konfrontation mit einer fremden Rechtsordnung abgeschreckt werden, ein Geschäft abzuschließen und im europäischen Binnenmarkt zu konsumieren.500 495
Sahner; Europeanization and doctrines, S. 159, 214. Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 98 f.; 214 ff.; ders., Das Fundament trägt noch, S. 5, 19; Hohloch, Das Deliktsstatut, S. 238 ff.; Roth, Internationales Versicherungsvertragsrecht, S. 151 ff.; Kegel/Schurig, IPR, S. 317; von Bar/Mankowski, IPR I, S. 199; Mankowski, LA Schurig, S. 159, 167; Sahner; Europeanization and doctrines, S. 159, 182 ff. 497 BT-Drucks. 10/504, S. 31. 498 Hohloch, Das Deliktsstatut, S. 257 ff. 499 Vgl. Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 99; Heiderhoff, FS Coester-Waltjen, S. 413, 426, dass hinter dieser Entscheidung eher Praktikabilitätserwägungen standen. 500 Vgl. Erwägungsgrund (23) Rom I-VO; Rauscher/Heiderhoff, Artikel 6 Rom I-VO, Rn. 1 f.; Lehmann, FS Spellenberg, S. 245, 250 f. 496
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
Diese Kollisionsnormen lassen sich gar nicht abstrakt festlegen, sondern werden unter Betrachtung der Ziele und Funktionen des Sachrechts gebildet werden. Die internationalprivatrechtlichen Interessen ergeben sich meistens erst durch eine Übernahme der sachrechtlichen Wertungen. Damit lässt sich die These von der Neuausrichtung des EIPR jedoch noch nicht ausräumen. Neuartig sei das Ausmaß der Berücksichtigung materiellrechtlicher Wertungen, das alle anderen klassisch internationalprivatrechtlichen Interessen wie Nähe und Vertrautheit des anzuwendenden Rechts verdränge.501 Dass das sachrechtliche Ergebnis der Rechtsanwendung eine größere Rolle im EIPR spielt, als man es aus dem deutschen Kollisionsrecht gewohnt ist, kann kaum bestritten werden. Aber auch im autonomen deutschen Kollisionsrecht lassen sich vereinzelt solche Tendenzen feststellen, wie Artikel 17b EGBGB zeigt.502 An dieser Stelle muss nicht entschieden werden, ob die These vom Paradigmenwechsel richtig ist. Die Analyse der Normen des Europäischen Internationalen Familienrechts wird noch zeigen, welchen Stellenwert das materielle Recht bei der Anknüpfung tatsächlich hat. Eines gibt es jedoch zu bedenken: Um eine Ausrichtung der Anknüpfung am Ergebnis der Sachrechtsanwendung vornehmen zu können, muss es ein autonomes Konzept geben, wie dieses Sachrecht aussehen könnte. Für das Internationale Familienrecht bedeutet das, dass es eine gemeinsame Vorstellung eines Europäischen Familienrechts geben muss. Es stellt sich die interessante Frage, ob die Union mit dem eigenen Kollisionsrecht tatsächlich eigene Vorgaben an das Familienrecht stellt und ob sich somit aussagekräftige und scharfe Konturen eines eigenen Europäischen Familienrechts abzeichnen.503 cc) Zur Verteidigung der Internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit Die These von der „Materialisierung“ des EIPR führt in ihrer radikalen Gestalt zu der Annahme, dass internationalprivatrechtliche Interessen von materiellrechtlichen Interessen vollständig verdrängt werden, dass eine internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit gar keine eigenständige Bedeutung hat.504 Unabhängig von der noch bevorstehenden Analyse des Kollisionsrechts scheint es dennoch angemessen, darauf hinzuweisen, dass diese Zuspitzung übertrieben
501
Kühne, ZVglRWiss 114 (2015), 355, 365 f. Coester, IPRax 2013, 114, 115. 503 Dazu unten vor allem noch § 8. 504 So Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 450 f.; auch Schack, LA Kegel, S. 179, 188 ff. 502
§ 1 Materialisierung der Rechtsordnung
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ist.505 Es drängen sich Parallelen auf zu den vermeintlich lange beendeten Diskussionen zum better-law-approach des amerikanischen Kollisionsrechts.506 Diese Lehre versuchte ebenfalls, das sachrechtlich beste Recht zu berufen. Wenn die sachrechtlichen Resultate jedoch allein für das Europäische Kollisionsrecht prägend sein sollen, drängt sich der Einwand Kegels auf, dass für solch ein Unterfangen der Bewertungsmaßstab fehle.507 Wolle man das Unterfangen ernsthaft durchführen, müsse man alle Rechte der Welt durchgehen,508 käme aber immer noch zu willkürlichen Ergebnissen.509 Eine notwendige Eingrenzung der zu untersuchenden Rechtsordnungen könne nur nach Gesichtspunkten der engsten Verbindung zum Sachverhalt vorgenommen werden, wodurch man die Idee einer eigenständigen internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit schon wieder restauriert habe.510 Die Suche nach dem besten Recht kann aber auch nur ein Vorwand sein, zur lex fori zu gelangen.511 Warum sollte man in diesem Fall überhaupt noch den Umweg über das komplizierte Kollisionsrecht nehmen? Doch das europäische Recht folgt diesem Ansatz nicht. Schon allein die Begrenzung der Rechtswahlmöglichkeiten und die differenzierten objektiven Anknüpfungsregeln in den Rechtsakten des Kollisionsrechts beweisen, dass das Ziel der engsten Verbindung nach wie vor zumindest nicht völlig verschwunden ist. Ohne die Idee einer internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit ergeben sich noch weitere Folgeprobleme, etwa unter dem Aspekt der Gleichbehandlung. Die unterschiedliche Behandlung von Sachverhalten mit Auslandsberührung im Gegensatz zu Fällen ohne Auslandsberührung kann nur über internationalprivatrechtliche Gerechtigkeitserwägungen begründet werden, weil andere Rechtsordnungen an einem Sachverhalt einfach „näher dran“ sind.512 Fällt dieser Begründungsstrang weg, stellt sich aber die Frage, warum Parteien nicht auch in einem Fall, der keine Beziehung zum Ausland aufweist, das anwendbare Recht wählen können sollen. Der Gedanke stellt in letzter Konsequenz das Rechtssystem auf den Kopf: Jede Rechtsordnung wäre dann nur noch ein Angebot an die Bürger, das durch Rechtswahl abgewählt werden könnte. Was im Vertragsrecht, das sowieso schon fast vollständig der Gestaltungsfreiheit der
505
Skeptisch auch Kühne, RabelsZ 78 (2014), 863, 868. Sahner, Europeanization and doctrines, S. 159, 213; in ihrer wiederum extremsten Variante vertreten von Juenger, Zum Wandel des Internationalen Privatrechts, S. 21 ff. 507 Kegel, FS Beitzke, S. 551, 571. 508 Kegel, Wandel auf dünnem Eis, S. 35, 36: „Das beste wäre doch das beste.“ 509 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 309 f. 510 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 310; Kegel, FS Beitzke, S. 551, 571. 511 Kegel, Wandel auf dünnem Eis, S. 35, 36 f. 512 Kropholler, IPR, S. 25. 506
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
Parteien unterliegt, akzeptabel erscheint,513 führt in Rechtsgebieten mit größerem Ordnungscharakter zu Problemen. Die Ordnungsfunktion des Rechts würde letztlich aufgegeben. Im Familienrecht ist dies unter den gegenwärtigen politischen Bedingungen europaweit völlig undenkbar. Um überhaupt eine kollisionsrechtliche Anknüpfung für Fälle mit Auslandsberührung begründen zu können und die Anwendung fremden Rechts in diesen Fällen zu rechtfertigen, bedarf es der Idee der internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit. Auch was die Annahme betrifft, die Parteien hätten lediglich sachrechtliche Interessen, basiert die These auf zu engen Annahmen. Es stellt sich zunächst die Frage, was überhaupt für sie das „beste“ Recht ausmacht.514 Die These jedenfalls, dass es den Parteien nur auf das Ergebnis des Falls, gewissermaßen also ein Obsiegen um jeden Preis, ankäme, ist eine Behauptung, die sich so einfach nicht nachweisen lässt. Vernachlässigt wird dabei die gesamte kulturelle Seite des IPR, nämlich der Gedanke, dass die Anwendung eines Rechts, das die Parteien entweder kennen, zu dem sie eine kulturelle Verbindung haben, sei es vermittelt über die Staatsangehörigkeit oder den gewöhnlichen Aufenthalt, eine eigene Bedeutung für sie hat und eine Befriedungsfunktion im familienrechtlichen Verfahren wahrnimmt.515 Die Erkenntnis, dass die Realität der Parteiinteressen äußerst divers ist und sich Pauschalunterstellungen verbieten, ist in der Theoriediskussion zum deutschen IPR fest etabliert. Es wäre fatal, wenn das EIPR hinter diese Einsicht zurückfiele, indem es sich ausschließlich auf das materiellrechtliche Ergebnis konzentrierte. Wie zu zeigen ist, wird diese These im Europäischen Kollisionsrecht aber auch nicht gestützt. Das Europäische Kollisionsrecht zeichnet sich jedoch dadurch aus, dass es den Parteien keine gerechte Ordnung vorgeben will, sondern es den Parteien selbst überlässt, internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit und sachrechtliche Vorstellung in ein Verhältnis zu setzen. Hierin zeigt sich die Materialisierung des IPR am deutlichsten.
513 So reicht es als Auslandsberührung im Rahmen der Rom I-VO aus, wenn die Parteien nur ein ausländisches Recht wählen, vgl. Staudinger/Magnus, Art. 1 Rom I-VO, Rn. 10; MKBGB/Martiny, Art. 1 Rom I-VO, Rn. 19; Rauscher/von Hein, Art. 1 Rom I-VO, Rn. 21; a.A. aber BeckOGK-BGB/Kindler, Art. 1 Rom I-VO, Rn. 23. Als Gegengewicht gilt trotzdem, dass die Parteien zwingende Vorschriften nicht abwählen können, vgl. Art. 3 Abs. 3 Rom IVO. 514 Kühne, RabelsZ 78 (2014), 863, 871. 515 Kühne, RabelsZ 78 (2014), 863, 871.
§ 1 Materialisierung der Rechtsordnung
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c) EIPR als politisches Kollisionsrecht Die stärkere Betonung materiellrechtlicher Wertungen führt zu einer Politisierung des IPR. Ein Grundsatz des traditionellen Kollisionsrechts ist seine Neutralität.516 Jedes ausländisches Recht wird grundsätzlich angewendet. Nur im Ausnahmefall, wenn sich herausstellt, dass das angewendete Recht gegen wichtige Grundsätze der eigenen Rechtsordnung verstößt, greift nachträglich der ordre public und wehrt das ausländische Recht ab. Oberhalb dieser Grenze wird das fremde Recht jedoch so angewendet wie es ein Gericht in dem jeweiligen Land tun würde, weil dies die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit gebietet. Wenn die These von der „Materialisierung“ im Sinne einer Ausrichtung auf die Wertungen des Europäischen Rechts oder der mitgliedstaatlichen Rechte aber richtig sein sollte, dann muss es zu Reibungen zwischen beiden Prinzipien kommen. Denn ein derart auf materiellrechtliche Aspekte ausgerichtetes und binnenmarktbezogenes IPR nimmt gerade nicht lediglich eine ex post-Betrachtung des anzuwendenden Rechts vor, sondern beurteilt schon bei der Berufung das Ergebnis der Rechtsanwendung.517 Dies hat unterschiedliche Auswirkungen, je nachdem welches Recht eigentlich berufen wird. In Bezug auf die mitgliedstaatlichen Rechte entsteht ein politischer Wettbewerb. Mittelbar können die Staaten dazu angehalten werden, ihr Recht dem materiellen Leitbild anzupassen, wenn sie möchten, dass ihr Recht weiter angewendet werden kann.518 Hier ist vor allem zu untersuchen, ob über die Bindung an die EU-Grundrechte und die allgemeinen Ziele der EU nicht sogar eine Pflicht zur Angleichung angenommen werden muss.519 Eine heimliche Sachnormangleichung würde die Kompetenz der EU in Frage stellen.520 Diese Wirkung wird freilich auf ein erträgliches und unproblematisches Maß abgeschwächt.521 Im Vergleich zu Drittstaaten hingegen nimmt diese Tendenz einen politischeren, wenn man so will auch diskriminierenden Zug an, da sie auf eine Ab-
516
MK-BGB/von Hein, Einleitung IPR, Rn. 30; Rühl, Statut und Effizienz, S. 181; Kegel/Schurig, IPR, S. 133; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6, Rn. 136; Rehbinder, JZ 1973, 151, 151; Lehmann, FS Spellenberg, S. 245, 259 f.; Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 751 f. 517 Rühl, Statut und Effizienz, S. 193 für die Blickrichtung der ökonomischen Analyse; Weller, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, S. 133, 157 f. 518 Kroll-Ludwigs, S. 30; kritisch Kohler, FamRZ 2008, 1673, 1680. 519 Vgl. nur den Hinweis in Erwägungsgrund (16) der Rom III-VO: Vereinbarkeit des gewählten Rechts mit den Grundrechten der Verträge und der Grundrechte-Charta. 520 Kohler, FamRZ 2008, 1673, 1680. 521 Vgl. Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 31.
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
wehr nichtmitgliedstaatlichen Rechts hinausläuft, wenigstens auf eine Bevorzugung mitgliedstaatlichen Rechts.522 Besonders augenfällig wird bei dem als „Anti-Islam-Klausel“ verstandenen Artikel 10 Rom III-VO.523
§ 2 Parteiautonomie und der Schutz schwächerer Parteien § 2 Parteiautonomie und Schwächerenschutz Nach den grundlegenden und ganz allgemeinen Erwägungen im ersten Abschnitt soll es nun im zweiten Abschnitt um das zentrale Problem der Arbeit gehen: die Parteiautonomie und den Schutz schwächerer Parteien. Dabei soll zunächst eine ebenfalls noch allgemeinere und theoretische Perspektive erhalten bleiben. Es werden zunächst die wichtigsten Grundzüge der Parteiautonomie, ihre Begründung und ihre Auswirkungen auf das IPR vorgestellt. Auf Grund der Unterschiedlichkeit der Rechtsgebiete, in denen Parteiautonomie zugelassen wird, und vor allem auf Grund ihrer offensichtlich stark unterschiedlichen Ausgestaltung liegt es dabei nahe, dass es keine für jedes Rechtsgebiet gültige Begründung der Parteiautonomie geben wird.524 Die Argumente dürften im Schuldvertragsrecht andere sein als im Scheidungsrecht. Diese Arbeit konzentriert sich daher vor allem auf die Rechtswahl, wie sie im Internationalen Familienrecht vorgefunden wird: Sie zeichnet sich vor allem durch ihre Begrenzung auf wenige wählbare Rechtsordnungen aus.525 Dabei steht auch wieder die Frage im Mittelpunkt, wie die Materialisierung des Kollisionsrechts durch Rechtswahlmöglichkeiten erreicht wird. Dadurch soll weiterhin die These untermauert werden, dass die Entwicklung des Kollisionsrechts parallel zur Geschichte des Privatrechts als fortschreitende Materialisierung begriffen werden kann (A.). Mit der Einführung der Parteiautonomie als Kern des Anknüpfungssystems drängt sich dabei der Vergleich mit der Entscheidung für Privatautonomie im Zivilrecht auf. Hier hat die Materialisierung jedoch eine sinnvolle Ergänzung der formellen Privatautonomie durch das Prinzip des Schutzes schwächerer Personen verlangt (B.). Es wird zu zeigen sein, dass die Parteiautonomie im Kollisionsrecht ebenfalls eines flexiblen Schutzsystems bedarf, will sie nicht in die gleichen Sackgassen führen wie ein zu formell verstandenes Prinzip der Privatautonomie im materiellen Privatrecht (C.). Damit ist letztlich der theoretische Rahmen für den Besonderen Teil gesetzt.
522
MK-BGB/von Hein, Einleitung IPR, Rn. 42; Mankowski, FS 75 Jahre MPI, S. 595, 612 ff.; Michaels, FS Kropholler, S. 151, 172; Weller, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, S. 133; Schurig, FS von Hoffmann, S. 405, 410. 523 Siehe unten § 7 B. 524 Maultzsch, Parteiautonomie im Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht, S. 153, 162. 525 Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 99.
§ 2 Parteiautonomie und Schwächerenschutz
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A. Materialisierung durch Parteiautonomie I. Alte Konzepte der und Vorbehalte gegen die Parteiautonomie Parteiautonomie war dem modernen IPR immer bekannt. Überlegungen, dass die Parteien das Recht, das in ihren Fall gelten soll, selbst wählen können, sollen bis auf Dumoulin zurückgehen.526 Der Parteiwille ist inzwischen nahezu weltweit der primäre Anknüpfungspunkt im Schuldvertragsrecht.527 Im EIPR bildet die Parteiautonomie einen der Ecksteine des gesamten Kollisionsrechts.528 Im deutschen IPR spielte die Parteiautonomie jedoch traditionell keine besonders wichtige Rolle.529 Relevanz, auch praktische, hatte sie allenfalls im Schuldvertragsrecht. Doch schien diese Rechtswahlfreiheit von vielen wichtigen Autoren nicht mit großer Leidenschaft verteidigt zu werden. Besonders prominent ist dabei die Ansicht Gerhard Kegels, der die Rechtswahl als bloße „Verlegenheitslösung“ bezeichnete und sie damit erklärt, dass sich kein geeigneter objektiver Anknüpfungspunkt finden ließ.530 Dem liegt ein besonderes, konservatives Verständnis des IPR zu Grunde, aus dem heraus sich viele Vorbehalte gegen die Parteiautonomie erst verstehen lassen. IPR sei demnach vor allem ein Ordnungsrecht, das dem Gericht sage, welches Recht es anzuwenden habe. Dabei wird den Parteien in der Regel nicht zugetraut, die für die Bestimmung des Rechts relevanten Interessen selbst zu bestimmen und abzuwägen; zumindest könne dies der Gesetzgeber genauso gut.531 Der Gedanke der Selbstbestimmung hat hier noch einen anderen Stellenwert als im Privatrecht. Kegel bringt diesen Ordnungsgedanken besonders deutlich auf den Punkt, wenn er meint, dass im intertemporalen Recht auch niemand auf die Idee käme, den Parteien die Wahl zwischen der alten und der 526 Corneloup, Grundlagen der Rechtswahl im Familien- und Erbrecht, S. 15; Leible, FS Jayme I, S. 485; a.A. Gamillscheg, Der Einfluss Dumoulins, S. 121; Kegel/Schurig, IPR, S. 173; Michaels, FS Basedow, S. 247, 266; Sturm, FS Erich Wolff, S. 637 beschreibt sogar Spuren im ptolemäischen Ägypten; zur Geschichte der Rechtswahl insgesamt Püls, Parteiautonomie, S. 24 ff. 527 Staudinger/Magnus, Einleitung zur Rom I-VO, Rn. 67; Basedow, The Law of open societies, Rn. 183; ders., RabelsZ 75 (2011), 32; Leible, FS Jayme I, S. 485 ff. 528 Vgl. Erwägungsgrund (11) Rom I-VO; MK-BGB/von Hein, Einleitung IPR, Rn. 35; Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 1; Kohler, L’autonomie de la volonté en droit international privé, S. 21 ff.; Jayme, Die Kodifikationsidee am Beispiel der kollisionsrechtlichen Parteiautonomie, S. 63, 72; Henrich, LA Pintens, S. 701; Mansel, Parteiautonomie, Rechtsgeschäftslehre der Rechtswahl, S. 241, 245; Kühne, LA Schurig, S. 129, 134 ff.; Rühl, FS Kropholler, S. 187 ff.; dies., RabelsZ 71 (2007), 559, 564; Rösler, RabelsZ 78 (2014), 155, 160 ff.; Weller, IPRax 2011, 429, 433; Weller, Anknüpfungsprinzipien im europäischen Kollisionsrecht, S. 11; Sahner, Europeanization, S. 159, 188 ff.; Arnold, Gründe und Grenzen der Parteiautonomie, S. 23; Michaels, FS Basedow, S. 247, 248. 529 Einsele, RabelsZ 60 (1996), 417, 421 f. 530 So bereits Kegel, IPR, 3. Auflage, S. 255; immer noch Kegel/Schurig, IPR, S. 653. 531 Kegel/Schurig, IPR, S. 653; vgl. auch Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 760.
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
neuen Rechtslage zu eröffnen.532 Die Entwicklung des IPR, die im ersten Teil beschrieben wurde,533 fügt sich genau in diesen Rahmen: Gesetzgebung, Rechtsprechung und Wissenschaft bemühen sich zwar um Selbstreflexion, indem sie das Rechtsanwendungsrecht immer stärker auf die Interessen der Parteien und des Rechtsverkehrs ausrichten, im Grunde bleibt diese Selbstreflexion aber nur äußerlich, da sie fast bevormundend die Interessenwertung für die Parteien übernehmen und den Individuen somit die beste Ordnung vorgeben, anstatt ihnen die Autonomie zu verleihen, diese selbst zu gestalten. Wenn man das IPR somit als Anweisung des Gesetzgebers an die Judikative betrachtet, als eine Art öffentlich-rechtliche Norm, die ausschließlich Gerichte verpflichtet und nur eine Ordnungsfunktion hat, ist es in der Tat schwer, hier einen Platz für die Privaten zu finden. Eine Rechtswahl ist dann gleichzusetzen mit einem Souveränitätsverlust des Staates.534 Der Bürger erhält die Rechte, die er ausübt, schließlich erst durch den hoheitlichen Akt einer Rechtsordnung, die er daher nicht wählen kann.535 Auch Überlegungen, die Parteiautonomie aus der Privatautonomie der Bürger abzuleiten, können dann leicht mit dem Hinweis abgewehrt werden, dass die Parteiautonomie noch viel weitergehe als die Privatautonomie, da sogar zwingendes Recht über eine Rechtswahl abgewählt werden könne.536 Überzeugen können solche Überlegungen nicht mehr.537 Man kann schon von einer rechtsphilosophischen Position aus bezweifeln, ob die blockartige Gegenüberstellung von Staat und Bürgern nicht zu vereinfachend und undialektisch gedacht ist, da der Staat selbst nicht bloß eine abstrakte Verkörperung von Gerechtigkeit oder Sittlichkeit ist, sondern sich moderne Demokratien mit Hilfe eines vertragstheoretischen Modells erklären lassen, wie es zuerst John Locke und Jean-Jacques Rousseau im 17. und 18. Jahrhundert entwickelt haben. Demnach leitet sich die Souveränität des Staates selbst nur von der Souveränität und Autonomie der Bürger ab, die das Staatsvolk bilden. Wenn der Wille der Parteien demnach den Staat bildet, kann die Berücksichtigung des Willens bei der Rechtswahlfreiheit nicht per se eine Souveränitätsschwächung des Staates sein.538 Nun könnte man sich dieser Argumentation noch entziehen, indem man die Gegenüberstellung von Staat und Individuen ersetzt durch die 532
Kegel/Schurig, ebd. § 1 B. 534 Batiffol, Aspects philosophiques du droit international privé, S. 83 f.; vgl. Basedow, RabelsZ 75 (2011), 32, 41. 535 Rechtstheoretische Zuspitzung bei Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 70 f.; vgl. auch Basedow, RabelsZ 75 (2011), 32, 41 f. 536 Kühne, Parteiautonomie, S. 29; ders., LA Kegel, 65, 67; Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, S. 78. 537 Siehe alle in Fn. 528 genannten. 538 Basedow, RabelsZ 75 (2011), 32, 42 f.; das Zusammendenken von staatlicher und privater Souveränität ist der Grundgedanke von Habermas, Faktizität und Geltung, passim. 533
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Gegenüberstellung von kollektiver und individueller Entscheidung der Parteien. Wenn man eine kollektivere Idee vom Staat hat, stellt sich die Frage, warum sich Einzelne der Entscheidung, die alle zum gemeinsamen Wohl aller getroffen haben, entziehen sollten. Man muss vielmehr genauer darauf eingehen, wo überhaupt die Interessen des Staates tatsächlich betroffen werden. Dabei lässt sich feststellen, dass die Souveränität des Staates nicht verletzt wird. Rechtswahl ist kein überstaatliches Rechtsprinzip. Die Diskussion weist Parallelen zur Diskussion über die Entwicklung der Privatautonomie im Zivilrecht auf. So wie dort feststeht, dass das Privatrecht einem staatlichen Recht nicht vorgeht, sondern Privatautonomie erst durch die Rechtsordnung zugelassen wird und vertragliche Regelungen anerkannt werden,539 so können im Kollisionsrecht die Parteien das anwendbare Recht nur wählen, wenn es durch das Gesetz ausdrücklich zugelassen wird.540 Damit werden nicht nur die Bedenken von Gegnern der Parteiautonomie ausgeräumt, sondern zugleich auch denjenigen Befürwortern eine Grenze gezogen, die von der Parteiautonomie als vorpositivem Recht sprechen.541 Die Idee von Rechten, die der Rechtsordnung vorausgehen, darf nicht normativ naturrechtlich verstanden werden.542 Stattdessen ist dem Rechtspositivismus zuzugeben, dass im demokratischen Rechtsstaat mit seiner Gesetzesbindung der Organe, subjektive Rechte nur aus der Rechtsordnung selbst erwachsen können.543 Es gibt kein Recht, das eine Person ausüben kann, das nicht zugleich von der Rechtsordnung anerkannt und zugebilligt wird. Die Überpositivität der Parteiautonomie ist hingegen als Idee haltbar, wenn sie nicht normativ, sondern funktional, als Zweckbestimmung des Rechts verstanden wird: Auch das Kollisionsrecht ist dazu da, die Interessen der einzelnen Personen zu schützen und ihrem Willen zur Durchsetzung zu verhelfen.544 539
BVerfG, Beschluss vom 7. Februar 1990, Az. 1 BvR 26/84, NJW 1990, 1469, 1470; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts II, S. 2; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 16. 540 MK-BGB/Martiny, Artikel 3 Rom I-VO, Rn. 8; Kropholler, IPR, S. 295; Stoll, FS Heini, S. 429, 437; Kohler, L’autonomie de la volonté, S. 64 ff.; Maultzsch, Privatautonomie im Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht, S. 153, 160; Arnold, Gründe und Grenzen der Parteiautonomie, S. 23, 29. 541 Vgl. Basedow, The Law of Open Societies, Rn. 250.; Basedow, RabelsZ 75 (2011), 32, 54; Jayme, Recueil des Cours 251 (1995), 9, 147 ff.; Leible, FS Jayme, S. 485, 488. 542 Skeptisch auch Mansel, Parteiautonomie, Rechtsgeschäftslehre der Rechtswahl, S. 241, 264 f.: im EU-Recht „eher pragmatische […] Grundlegungen der Parteiautonomie […]. Doch ist von einem Normgeber keine Theorie der Rechtswahl, sondern eine Systematik der Rechtswahl zu erwarten, die allerdings im Bereich des europäischen Verordnungsrechts de lege lata nicht wirklich bruchfrei erkennbar ist.“ 543 Hoffmann, Das Verhältnis von Gesetz und Recht, S. 27 ff.; Maunz/Dürig/Grzeszick, Artikel 20 GG, Rn. 66; Stern/Sachs, Staatsrecht, Bd. III/2, S. 375 m.w.N. 544 Basedow, The Law of Open Societies, Rn. 248 ff.; ders., Revue Hellénique de Droit International 62 (2009), 715, 738; Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 155;
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Dies ist der entscheidende Schritt, der die Entwicklung des Kollisionsrechts parallel mit der Entstehung des Bürgerlichen Rechts setzt: Ausgangspunkt aller Überlegungen zur Problemlösungen ist der freie Wille der Parteien. Im IPR hat sich letztlich der gleiche Gedanke durchgesetzt: Eine Ordnung, die zwar behauptet, die Interessen der Individuen zu verwirklichen, indem sie sie für alle Fälle generalisiert und den Parteien vorgibt, bleibt Besserwisserei.545 Die Lücke des Rechts, die Einsicht, letztlich keine richtige Ordnung stabilisieren zu können, zwingt zur Zurückhaltung, zur Resignation des Rechts. Es muss sich auch im IPR darauf beschränken, der Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger zu dienen und ihrer Verwirklichung behilflich zu sein. Rechtstheoretische und rechtsphilosophische Bedenken bestehen daher nicht gegen die Parteiautonomie. Dass die Rechtswahl bis vor einigen Jahrzehnten keine große Rolle im Kollisionsrecht spielte, liegt nicht im Wesen des Rechtsgebiets begründet, sondern in einem anderen Verständnis von der Ordnungsfunktion des Kollisionsrechts, das sich mittlerweile liberalisiert hat, und das inzwischen die Interessen der Parteien, deren Rechtsstreit gelöst werden muss, in den Mittelpunkt stellt. Hier zeichnet sich bereits ab, dass die Entwicklung der Rechtswahl ganz parallel zur Entwicklung des Privatrechts als Materialisierungsentwicklung im anfangs beschriebenen Sinne begriffen werden kann. Damit ist aber noch nicht gesagt, wann und in welchem Umfang Parteiautonomie zugelassen werden muss. Dies ist eine Frage, die nur durch eine kollisionsrechtliche Rekonstruktion der Parteiautonomie beantwortet werden kann. Dazu soll zunächst gezeigt werden, was Rechtswahl überhaupt dogmatisch genau bedeutet, welchen Platz im System des IPR sie einnimmt. Wenn dies feststeht, können die Wertungen genauer bestimmt werden, die für und gegen Parteiautonomie aus kollisionsrechtsinterner Perspektive sprechen.
Flessner, Interessenjurisprudenz, S. 98 ff.; ders., FS Canaris, S. 545 f.; ders., FS Kühne, S. 703; Nishitani, Mancini und die Parteiautonomie, S. 325; Lüderitz, FS Kegel, S. 31, 53; Schack, LA Kegel, S. 179, 190, 195; Sonnenberger, ZVglRWiss 100 (2001), 107, 123; Leible, FS Jayme, S. 485, 498; Mansel, Das Staatsangehörigkeitsprinzip, S. 119, 138 ff.; ders., Parteiautonomie, Rechtsgeschäftslehre der Rechtswahl, S. 241, 262; Jayme, BerDtGesVR 43 (2008), 137, 174 ff. 545 Lüderitz, FS Kegel, S. 31, 48 f.
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II. Rekonstruktion der Parteiautonomie 1. Dogmatische Erklärung a) Das Bündelungsmodell Die Struktur und Dogmatik des Kollisionsrechts lassen sich durch das von Klaus Schurig entwickelte Bündelungsmodell beschreiben.546 Dieses Modell erhebt den Anspruch, jede denkbare Erscheinungsform des Kollisionsrechts zu beschreiben, sei es Statutentheorie, kontinentales IPR nach Savigny oder die amerikanische IPR-Revolution. Daher bietet es sich auch grundsätzlich für die Erklärung der Rechtswahl an. Schurig geht im Anschluss an Kegel davon aus, dass der Tatbestand einer Kollisionsnorm aus zwei Elementen besteht, Sachverhalt und Rechtsnorm, die miteinander über den Anknüpfungspunkt verknüpft werden.547 Rechtsfolge ist die Anwendung eines bestimmten Rechts auf den Sachverhalt. Schurig spaltet die Kollisionsnorm jedoch auf in ihre einzelnen, kleinsten Teile. Das Atom der Kollisionsnorm, um in diesem Bild zu bleiben, bildet dabei die Elementkollisionsnorm.548 Diese verbindet einen Sachverhalt mit einer ganz speziellen Sachnorm, die für diesen Fall gelten soll. Ob man dabei vom Sachverhalt ausgeht oder von der Sachnorm, ist theoretisch gleichgültig, da es auf die Verknüpfung von beiden gleichermaßen ankommt.549 Wenn man eine Sachnorm einer bestimmten Rechtsordnung dem Sachverhalt zuordnet, so kann man in weiteren Elementarkollisionsnormen in der Regel auf Grund gleicher Interessenlage und gleicher Wertungen noch andere Rechtsnormen dieser Rechtsordnung dem Sachverhalt zuordnen. Einem Erbfall lassen sich so etwa alle Normen eines nationalen Erbrechts zuordnen. So entsteht das Erbstatut. Die Zusammenfassung all dieser Elementkollisionsnormen und somit die Zusammenfassung aller für den Sachverhalt geltenden Sachnormen auf Grund gleichlaufender Wertung nennt Schurig eine vertikale Bündelung.550 Durch vertikale Bündelungen entstehen einseitige Kollisionsnormen, die eine bestimmte Rechtsordnung einem Sachverhalt zuordnen. Der Schritt zur allseitigen Kollisionsnorm geschieht durch Abstraktion des Anknüpfungspunktes und Verallgemeinerung des Sachverhalts, durch horizontale Bündelungen.551 Entscheidend ist, dass die jeweilige Bewertung der kollisionsrechtlichen Interessen zum
546 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 89 ff.; ders., RabelsZ 50 (1990), 217, 229 ff.; ders., FS Jayme, S. 837, 840; Kegel/Schurig, IPR, S. 313 ff. 547 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 78 ff., insb. 87 f.; Kegel, FS Raape, S. 13, 22 ff. 548 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 93; von Bar/Mankowski, IPR I, S. 199. 549 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 89 ff., 114. 550 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 102 ff. 551 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 105.
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gleichen Ergebnis führt.552 Das Bündelungsmodell ist somit eine dogmatische Strukturanalyse der Kollisionsnormen, die sich ganz auf deren traditionelle Erscheinungsform, die allgemeine Kollisionsnorm, konzentriert. Wichtig ist, sich klar zu machen, dass eine solche Kollisionsnorm aus vielen gebündelten Elementkollisionsnormen besteht. b) Dogmatische Analyse der Rechtswahl aa) Unbegrenzte Rechtswahl Betrachtet man nun im Falle der unbegrenzten Rechtswahl den Aufbau der Elementkollisionsnorm, so stellt man zunächst fest, dass die Kollisionsnorm unvollständig ist. Es gibt die Rechtsfrage, aber diese wird nicht direkt mit einer Rechtsordnung verknüpft. Bei der unbegrenzten Rechtswahl gibt es potentiell unüberschaubar viele mögliche Rechtsordnungen, mit denen der Sachverhalt verbunden werden könnte. Eine Entscheidung muss getroffen werden. Diese wird von den Parteien vorgenommen. Durch den Willen der Parteien werden Sachverhalt und Rechtsordnung miteinander verbunden. Die Rechtswahl ist damit zwar einerseits eine Tatsache, ein Teil des Sachverhalts. Gleichzeitig wird diese Tatsache aber doch noch zu etwas anderem: einem Anknüpfungspunkt.553 Bei der unbegrenzten Rechtswahl ist der Wille der Parteien nach Interessenwertung bereits ein hinreichender Anknüpfungspunkt, da er allein schon die Lücke zwischen Rechtsordnung und Rechtsordnung zu schließen vermag.554 bb) Begrenzte Rechtswahl Ähnliches gilt für die begrenzte Rechtswahl. Hier werden aus potentiell unbegrenzt vielen Rechtsordnungen einige relevantere herausgenommen und näher an den Sachverhalt gerückt als andere. Dies geschieht über einen Anknüpfungspunkt, wie etwa die Staatsangehörigkeit oder den gewöhnlichen Aufenthalt der Eheleute. Dieser Anknüpfungspunkt ist notwendig, aber noch nicht hinreichend, da er die Lücke zwischen Sachverhalt und Sachnorm nicht allein schließen kann. Zwischen diesen Rechtsordnungen muss aber noch eine Entscheidung getroffen werden, da der Sachverhalt nicht mit mehreren Rechtsordnungen verknüpft werden soll (sofern man nicht eine kumulative Anknüpfung wünscht, wofür aber im Sonderfall besondere Gründe sprechen müssen).555
552
Mankowski, LA Schurig, S. 159. Sahner, Europeanization and doctrines, S. 159, 191; Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, S. 77; Rauscher, IPR, S. 74; Kropholler, IPR, S. 292; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 5, Rn. 96. 554 Sahner, Europeanization and doctrines, S. 159, 191. 555 Schurig, Das Fundament trägt noch, S. 5, 23. 553
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Fällt der Parteiwille aber den Stichentscheid, so wird er damit wieder zum Anknüpfungspunkt. Bildlich gesprochen schließt er nun die Lücke, die der notwendige, aber nicht hinreichende Anknüpfungspunkt noch nicht schließen konnte. Er ist dessen Verlängerung. Gleichzeitig ist der Parteiwille hier auch kein hinreichender Anknüpfungspunkt, sondern ebenfalls nur ein notwendiger. Nehmen die Parteien tatsächlich keine Rechtswahl vor, wird die Lücke durch den Willen des Gesetzgebers geschlossen, indem ein Anknüpfungspunkt zum hinreichenden erklärt wird. Dies ist die ganz normale objektive Anknüpfung. Diese Analyse relativiert die Bedeutung der Parteiautonomie, indem sie zeigt, dass die Rechtswahl kein überpositives Rechtsprinzip ist oder ein Paradigmenwechsel im Kollisionsrecht, sondern sie fügt die Rechtswahl, auch für das Europäische Internationale Privatrecht, in die Tradition des kontinentalen Kollisionsrechts ein. Wenn die Rechtswahl ein Anknüpfungspunkt ist, dann gelten für sie die gleichen Grundsätze wie bei allen Anknüpfungsmomenten: Der Gesetzgeber kann sich für diesen bestimmten Anknüpfungspunkt entscheiden, wenn die internationalprivatrechtlichen Interessen, die sich an den Wertungen des Sachrechts orientieren müssen, für diesen sprechen und gegen die anderen. Immerhin bleibt die Verwirklichung des tatsächlichen Willens Ziel der Gesetzgebung, der aber nicht unbedingt in der Form der unbegrenzten Rechtswahl verwirklicht zu werden braucht. 2. Interessen bei der Rechtswahl im Internationalen Familienrecht Im Folgenden sollen die wichtigsten internationalprivatrechtlichen Interessen, die für die Zulassung der Parteiautonomie sprechen, kurz vorgestellt werden. Eine ausführliche Darstellung erübrigt sich, da im Besonderen Teil immer wieder auf diese Argumente zurückgegriffen werden muss und sich genauer belegen lässt, wie die Rechtswahl ausgestaltet werden muss, um diesen Zielen gerecht zu werden. Hierbei sei noch einmal betont, dass die hier vorgenommenen Begründungen der Rechtswahl nur auf das Familienrecht ausgerichtet sind. Die Argumente, die für eine Rechtswahl in der Rom I- oder II-VO sprechen, können sich mit denen des Familienrechts decken, müssen aber nicht identisch sein.556 Wenn man die Rechtswahlmöglichkeiten im Internationalen Familienrecht mit denen der Rom I und II-VOen vergleicht, fällt ein grundlegender Unterschied auf. Die Rechtswahlmöglichkeiten im Internationalen Familienrecht sind begrenzt, in den anderen Fällen sind sie (typischerweise) unbegrenzt.557 Denkt man an den Befund der dogmatischen Analyse, stellt sich dann zunächst eine Frage: Warum sind die Anknüpfungsmomente, die neben die parteiauto-
556 Maultzsch, Parteiautonomie im Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht, S. 153, 162. 557 Statt aller Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 99.
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
nome Entscheidung treten, weiterhin notwendig, aber nicht hinreichend? Warum reichen sie dem Gesetzgeber nicht zur abschließenden und zwingenden Bestimmung des anwendbaren Rechts, wieso soll der Wille der Parteien hinzutreten? Des Weiteren lässt sich fragen: Warum ist der Wille der Parteien eine sinnvolle, notwendige Ergänzung des ersten Anknüpfungspunkts, aber kein selbst hinreichender Anknüpfungspunkt? a) Zur Anknüpfungsverlegenheit im modernen Kollisionsrecht aa) Defizite des Staatsangehörigkeitsprinzips Die Staatsangehörigkeit war das prägende Anknüpfungsmoment für das Personalstatut im kontinentaleuropäischen Kollisionsrecht des späten 19. und 20. Jahrhunderts.558 Verstehen lässt sich dieser Befund nur, wenn man die enge Verknüpfung dieser Entwicklung mit der Geschichte der Nationalstaatsbewegung erkennt. Der Code Civil und das ABGB setzten die Staatsangehörigkeit zum ersten Mal als eigenständigen Anknüpfungspunkt im Internationalen Privatrecht ein.559 Der wichtigste Förderer des Staatsangehörigkeitsprinzips im 19. Jahrhundert war Pasquale Stanislao Mancini, einer der wichtigsten Vertreter des Risorgimento, wegweisender Politiker in der Italienischen Republik und Rechtsgelehrter.560 Für einen liberalen, national gesinnten Wissenschaftler konnte es auf die Frage, zu welchem Staat eine Person die engste Verbindung habe, nur eine Antwort geben: zu derjenigen der eigenen Nation.561 Diese Antwort entsprach dem damaligen Zeitgeist.562 Man ging davon aus, dass jeder Mensch am meisten durch seine Heimat geprägt wird, die Sprache, die er gelernt hat, die Rechtsordnung und Kultur, in der er hineingewachsen ist.563 Man muss dazu wissen, dass es keine markante Migrationsbewegungen innerhalb der europäischen Nationalstaaten gab, so dass es hier nicht zu den Problemen verstärkter Fremdrechtsanwendung kam. Zwar kannte das 19. Jahrhundert auch die Massenauswanderungen in neue Staaten wie die USA und Kolonien in Übersee. Durch die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit erhielt man diesen Personen aber die Anwendung deutschen Rechts. 564 558
Statt aller Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, S. 28 ff. Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, S. 7; Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 320; Rohe, FS Rothoeft, S. 1, 7. 560 Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, S. 15 ff.; Jayme, Pasquale Stanislao Mancini, S. 10 ff. 561 Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, S. 16. 562 MK-BGB/von Hein, Artikel 5 EGBGB, Rn. 27; Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, S. 27; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 2, Rn. 35; Basedow, IPRax 2011, 109, 110. 563 Siehe Frankenstein, Internationales Privatrecht I, S. 36 f. 564 Basedow/Diehle-Leistner, Das Staatsangehörigkeitsprinzip im Einwanderungsland, S. 13, 19 ff. 559
§ 2 Parteiautonomie und Schwächerenschutz
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Für das Staatsangehörigkeitsprinzip sprachen theoretische und praktische Argumente. Was die Praxis betrifft, so ist die Staatsangehörigkeit in der Regel leicht zu identifizieren.565 Auch wenn es teilweise schwierig sein kann, für einzelne Personen die Staatsangehörigkeit sicher zu bestimmen,566 ist die Feststellung leichter als bei den viel auslegungsbedürftigeren Anknüpfungsmerkmalen gewöhnlicher Aufenthalt oder Domizil.567 Zudem bietet die Staatsangehörigkeit eine hohe Stabilität und geringe Manipulationsmöglichkeiten, was die Rechtssicherheit steigert.568 Diesen praktischen Vorzügen wird heute jedoch häufiger mit dem Einwand begegnet, dass die Staatsangehörigkeit zwar leichter zu ermitteln sei, sie deshalb aber auch öfter zur Anwendung eines ausländischen Rechts führt, was mit höheren Rechtsstreitkosten, etwa für die Erstellung von Gutachten zur Rechtslage im ausländischen Recht, verbunden sei.569 Schwierigkeiten ergeben sich auch bei der theoretischen Begründung des Staatsangehörigkeitsprinzips und seinem Beitrag zur internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit. Eine sehr grundsätzliche Argumentation verweist auf das Demokratieprinzip. Die Staatsbürger einer Nation sind in der Lage, über Wahlen mittelbar Einfluss auf die Gesetzgebung zu nehmen. Durch diese Teilnahme am Willensbildungsprozess erhält das Recht seinen Legitimitätsanspruch.570 Da Ausländer in der Regel nicht die Möglichkeit haben, an den allgemeinen Wahlen teilzunehmen und am demokratischen Diskurs insoweit ausgeschlossen sind, hat dieses Recht für sie nicht eine so hohe integrative Kraft.571 Eher fühlen sie sich noch ihrem Heimatrecht verbunden, das sie selbst durch Wahlen beeinflussen 565 BT-Drucks. 10/504, S. 31; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 5, Rn. 15; Mankowski, IPRax 2017, 130, 132. 566 Kropholler, IPR. S. 271 f. nennt als Grund, dass der Erwerb der Staatsangehörigkeit oft von schwer zu ermittelnden Vorfragen wie der Abstammung abhänge; dies sind aber keine Fragen, die für die Gerichte allzu entscheidend wären, da hier Ausweisdokumente in der Regel verlässlich Auskunft geben; kritisch auch: Henrich, FS Stoll, S. 437, 444; teilweise auch kritisch von Bar/Mankowski, IPR I, § 7, Rn. 19; Mankowski, IPRax 2017, 130, 135. 567 BT-Drucks. 10/504; S. 31; MK-BGB/von Hein, Artikel 5 EGBGB, Rn. 31; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 5, Rn. 15; Rauscher, FS Jayme, S. 719, 730, 734. 568 BT-Drucks. 10/504, S. 31; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 5, Rn. 13, 14; Dopffel/Siehr, RabelsZ 44 (1980), 344, 345; Henrich, FS Stoll, S. 437, 444; Rauscher, FS Jayme, S. 719, 730. 569 Schon bei der IPR-Reform wurden dieses Argument gegen das Staatsangehörigkeitsprinzip in Stellung gebracht von Neuhaus/Kropholler, Rabels Z 44 (1980), 326, 335; Basedow/Diehl-Leistner, Staatsangehörigkeitsprinzip im Einwanderungsland, 1990, S. 13, 37 ff. 570 Vgl. statt vieler nur Habermas, Faktizität und Geltung, S. 50 f. und passim; Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, S. 60 f.; Mankowski, IPRax 2017, 130, 131. 571 Frankenstein, Internationales Privatrecht I, S. 36; Mansel, Staatsangehörigkeitsprinzip, S. 119, 135; NK-BGB/Schulze, Art. 5 EGBGB, Rn. 6.
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konnten. An dieser Argumentation ist nichts falsch. Es lässt sich höchstens fragen, ob die integrative Kraft des demokratischen Willensbildungsprozesses für die Menschen in Zeiten hoher Nichtwählerquoten tatsächlich eine so hohe Wichtigkeit hat.572 Ebenfalls über eine demokratietheoretische und verfassungsrechtliche Argumentation wird die Schutzverantwortung des Staates bemüht, seine Bürgerinnen und Bürger nicht zu schnell ausländischen Rechtsordnungen zu überlassen, sondern sie durch Berufung des Heimatrechts zu schützen.573 Dieses Argument kann jedoch höchstens herangezogen werden, um die Bevorzugung der deutschen Staatsbürgerschaft bei Artikel 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB sowie internationale Zuständigkeiten für Staatsangehörige zu rechtfertigen.574 In der Diskussion um das Staatsangehörigkeitsprinzip führt der Gedanke nicht weiter. Schutz vor fremden Rechtsordnungen benötigen Staatsangehörige vor allem, wenn ein ausländisches Gericht an den gewöhnlichen Aufenthalt anknüpft. Hieran ändert auch eine Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit im deutschen IPR nur etwas, wenn das ausländische IPR eine Gesamtverweisung beachtet. Die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit schützt die kulturelle Beziehung einer Person zu ihrem Heimatstaat.575 Wie Sprache, Kunst, Geschichte, Religion, Traditionen und Bräuche eines Landes drückt auch die Rechtsordnung die Kultur eines Landes aus, die seine Angehörigen affirmativ und emotional besetzen können, um sie zum Teil der eigenen Identität zu machen.576 Diese Verbindung ist umso stärker, je enger die Person mit ihrem Herkunftsstaat durch den Lauf ihres Lebens verbunden ist, was für die meisten Menschen in ihrer Biografie der Fall sein dürfte. In diesem letzten Punkt liegt aber bereits die Schwachstelle der Argumentation. Die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit ist nur eine Vermutung, die für eine große Anzahl der Menschen richtig ist, und mit der immer noch die ausschlaggebende Wertung zugunsten dieses Prinzips begründet wird. Einige Stimmen äußern jedoch starke Zweifel daran, dass Verbundenheit und kulturelle Identität tatsächlich über die Staatsangehörigkeit vermittelt werden können. Einmal bestehe die Gefahr, die Bedeutung der Rechtsordnung für die kulturelle Identität zu überschätzen. Im Alltagsleben vieler Menschen spiele die
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Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 324. Das Argument nennt Rauscher, FS Jayme, S. 719, 731, auch wenn er es sich nur eingeschränkt zu eigen macht. 574 Rauscher, FS Jayme, S. 719, 731. 575 BVerfGE 31, 58, 78; NK-BGB/Schulze, Art. 5 EGBGB, Rn. 6; Staudinger/Bausback, Anhang I zu Art. 5 EGBGB, Rn. 14; Mansel, Personalstatut, S. 65; Kegel/Schurig, IPR, S. 448; Rauscher, FS Jayme, 719, 730; Jayme, Rec des Cours (1995), 9, 167 ff.; ders., Kulturelle Identität, S. 5, 10; ders., RabelsZ 67 (2003), 211, 224; ders., IPRax 1996, 237, 242; Basedow, IPRax 2011, 109, 115; Looschelders, RabelsZ 65 (2001), 464, 469 ff. 576 Jayme, RabelsZ 67 (2003), 211, 214. 573
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sie keine Rolle.577 Durch die Europäisierung hätten sich die Rechtskulturen auch so stark angeglichen, dass Unterschiede kaum noch relevant seien.578 Zudem wird erwidert, dass sich der Kulturkreis, durch den eine Person geprägt wird, in der Regel nicht in ein Staatsgebiet mit eigener Rechtsordnung fassen lasse. Regionale Bräuche oder Stammeskulturen seien oft viel prägender. Diese Verbindung könne die Staatsangehörigkeit aber nicht abbilden.579 Auch können die Interessen von Personen, die von mehr als einer Kultur geprägt werden, durch die Staatsangehörigkeitsanknüpfung nicht berücksichtigt werden.580 Schließlich müsse sich auch das Recht mit neuen Lebensbedingungen konfrontiert sehen: Dass Menschen in dem Staat aufwachsen, dessen Angehörige sie sind, mag für die überwiegende Anzahl der Menschen immer noch der Fall sein. Aber durch eine vollkommen andere Migrationssituation und die hohe Mobilität und Flexibilität vieler Menschen im europäischen Binnenmarkt kommen wiederum neue Aufgaben auf das Kollisionsrecht zu. Durch eine Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt könne die Integration dieser Menschen gefördert und das Zusammenleben von Menschen aus unterschiedlichsten Nationen erleichtert werden.581 Dies entspreche auch eher dem Lebensgefühl von (EU-)Bürgern, die weitaus weniger an ihrer Staatsangehörigkeit hängen würden, sondern flexibler, internationaler eingestellt seien und eher eine europäische Identität besäßen als eine enge, nationalstaatliche.582 Die Überzeugungskraft der einzelnen Argumente schwankt. Dass die Unterschiede der Rechtsordnungen inzwischen so gering sind, dass es für die Parteien egal ist, nach welchem Recht sie beurteilt werden, darf in dieser Pauschalität bezweifelt werden. Dieses Argument verengt den Blick nur auf die europäischen Rechtsordnungen und blendet andere Rechtskulturen mit deutlichen Unterschieden etwa im Familienverständnis aus. Und selbst innerhalb Europas sind die Unterschiede zwischen den verschiedenen Rechten noch sehr groß, was schon bei grundlegenden Fragen wie dem Ehebegriff in Europa deutlich wird.583 577
Henrich, FS Stoll, 437, 444; Mankowski, IPRax 2004, 282, 284. Henrich, FS Stoll, 437, 444. 579 MK-BGB/von Hein, Art. 5 EGBGB, Rn. 36; Mankowski, IPRax 2004, 282, 286. 580 Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 367; Mankowski, IPRax 2004, 282, 285 f. 581 MK-BGB/von Hein, Artikel 5 EGBGB, Rn. 35; Mansel, Personalstatut, S. 68, Rn. 59 ff.; Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 334; Basedow/Diehle-Leistner, Das Staatsangehörigkeitsprinzip im Einwanderungsland, S. 13, 39 ff.; Kindler, IPRax 2010, 44, 47; Lurger, Die Verortung natürlicher Personen im europäischen IPR und IZVR, S. 202, 215. 582 Henrich, FS Jayme, S. 321, 322 f.; zur europäischen Identität, die die nationale Identität verdrängen könnte Michaels, FS Kropholler, 151, 171 f.; skeptisch Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 357 ff. 583 Optimistischer für die zukünftige Entwicklung Boele-Woelki, FS Martiny, S. 27, 28 ff. 578
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Das Argument, dass bei vielen Biografien die kulturelle Identität und Verbundenheit nicht pauschal durch die Staatsangehörigkeit abgebildet werden kann, ist jedoch leicht nachvollziehbar. Man denke etwa an ein Kind, das kurz nach der Geburt mit den Eltern in ein fremdes Land zieht, hier aufwächst und mit der Kultur dieses Landes vertraut wird, ohne allerdings dessen Staatsangehörigkeit anzunehmen. Dies war oft bei Kindern von Gastarbeitern der Fall. Hier die engste Verbindung über die Staatsangehörigkeit zum Geburtsland zu ziehen, geht womöglich deutlich an der Realität dieser Person vorbei.584 bb) Defizite der Aufenthaltsanknüpfung In Europa hat sich der gewöhnliche Aufenthalt als primärer Anknüpfungspunkt durchgesetzt.585 Dennoch sprechen nicht alle Argumente für die Wahl des gewöhnlichen Aufenthalts als primären Anknüpfungspunkt. So lässt sich der Gedanke, dass für viele Menschen das Recht der eigenen Nationalität als Heimatrecht die entscheidende Rolle spielt, nicht von der Hand weisen. Dies lässt sich besonders deutlich bei der EuErbVO zeigen. So sehr auch die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt als Leitprinzip der objektiven Anknüpfung im Europäischen Kollisionsrecht begrüßt wird, hat sie doch nicht alle Bedenken beseitigt. Viele Stimmen der Wissenschaft sehen es als Problem an, dass ältere Menschen, die ihr Leben in und mit der Rechtsordnung ihres Heimatstaates verbracht haben, aber zuletzt ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einen anderen Staat verlagern, um dort ihren Lebensabend zu verbringen oder weil sie von Verwandten zwecks günstigerer Pflege dort in Heimen untergebracht werden, nun nach dem Recht dieses Landes vererben sollen, wie es Artikel 21 Abs. 1 EuErbVO vorsieht.586 Dies ändert nichts an der grundsätzlich positiven Bewertung dieser Anknüpfung,587 doch muss diesen Problemen relativ umständlich begegnet werden durch Ausweichklauseln (Artikel 21 Abs. 2 EuErbVO), eine perpetuatio legis (Artikel 24 Abs. 1 und Artikel 25. Abs. 1 EuErbVO) oder ganz grundsätzlich durch eine sehr funktionell ausgerichtete Auslegung des gewöhnlichen Aufenthalts (vgl. Erwägungsgrund (23) EuErbVO).588 Dies führt zu einem weiteren Argument. Der gewöhnliche Aufenthalt ist deutlich schwieriger zu bestimmen als die Staatsangehörigkeit; je nach Sinn und Zweck des 584
MK-BGB/von Hein, Artikel 5 EGBGB, Rn. 35. Basedow, The Law of Open Societies, Rn. 489 ff.; Jayme, Zugehörigkeit und Identität, S. 20 ff.; Henrich, FS Stoll, S. 437 ff.; Rauscher, FS Jayme, 719, 739; Weller, Der „gewöhnliche Aufenthalt“, S. 293, 298; ders., FS Coester-Waltjen, S. 897; ders., Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, S. 133, 148 f.; Coester-Waltjen; FamRZ 2013, 170; Dutta, IPRax 2017, 139 f. 586 Kern/Glücker, RabelsZ 78 (2014), 294, 300 ff.; Weller, Der „gewöhnliche Aufenthalt“, 293, 295; Pfeiffer, IPRax 2016, 310. 587 Kern/Glücker, RabelsZ 78 (2014), 294, 300 f. 588 Vgl. nur Pfeiffer, IPRax 2016, 310, 311 ff. 585
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jeweiligen Rechtsakts kann es sogar dazu kommen, dass der gewöhnliche Aufenthalt einer Person je nach Kontext in unterschiedlichen Staaten liegt.589 Praktisch führt das Aufenthaltsprinzip zudem häufiger zu einem Statutenwechsel, der von den Parteien in bestimmten Rechtsgebieten, die eine Rechtskontinuität verlangen, nicht gewünscht ist. Zu großen Problemen führt ein Statutenwechsel etwa im Güterrecht. 590 Im Unterhaltsrecht, wo ein Statutenwechsel aus Sicht des Unterhaltsberechtigten durchaus sinnvoll ist, führt er zumindest zu Rechtsunsicherheit auf Seiten des Unterhaltsverpflichteten.591 Letztlich beruht die Bevorzugung des gewöhnlichen Aufenthalts genauso auf Unterstellungen und Pauschalisierungen wie das Staatsangehörigkeitsprinzip:592 Unterstellt wird ein Anpassungsinteresse, ein Integrationswille, den allerdings nicht alle Leute haben.593 Dies heißt nicht, dass man aus ordnungspolitischen Erwägungen nicht doch den gewöhnlichen Aufenthalt heranziehen könnte, um ein Auseinanderdriften der Gesellschaft und die Bildung von „Parallelgesellschaften“ zu verhindern, wo diese drohen könnten.594 Auch sprechen schließlich keine primärrechtlichen Gründe für eine zwingende Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt. Längst hat der EuGH deutlich gemacht, dass das Staatsangehörigkeitsprinzip nicht per se einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Artikels 18 AEUV darstellt.595 cc) Anknüpfungspatt im Kollisionsrecht Bei einer Abwägung von Staatsangehörigkeits- und Aufenthaltsprinzip gewinnt zwar das Aufenthaltsprinzip die Oberhand, weil es für die allermeisten Menschen eine interessengerechte Anknüpfung darstellt. Rechtspolitisch entspricht das Aufenthaltsprinzip eher den Anliegen des europäischen Gesetzgebers596 und liegt auch international im Trend, was dem internationalen Entscheidungseinklang zugutekommt. Restlos überzeugend ist diese Anknüpfung 589 Lurger, Die Verortung natürlicher Personen im europäischen IPR und IZVR, S. 202, 227 ff. 590 Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 387 f., 393; Dutta, IPRax 2017, 139, 145 f. 591 Andrae, FPR 2008, 196. 592 Henrich, FS Jayme, S. 321, 323; Lurger, Die Verortung natürlicher Personen im europäischen IPR und IZVR, S. 202, 216. 593 Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 381; Dopffel/Siehr, RabelsZ 44 (1980), 344, 346; Gaudemet-Tallon, LA Lando, S. 151, 156; Mansel, Staatsangehörigkeitsprinzip, S. 119, 133 ff. 594 MK-BGB/von Hein, Artikel 5 EGBGB, Rn. 37; Rohe, FS Rothoeft, S. 1, 22 f. 595 EuGH, Urteil vom 10. Juni 1999, Rs. C-430/97, Johannes, Slg. 1999, I-3486, 3495; Urteil vom 14. Oktober 2008. Rs. C-353/06, Grunkin und Paul, Slg. 2008, 7639, Rn. 20; Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 345 ff.; Basedow, IPRax 2011, 109, 112 f.; Kern/Glücker, RabelsZ 78 (2014), 294, 301; Dutta, FamRZ 2016, 1213, 1215. 596 Weller, FS Coester-Waltjen, S. 897, 902 ff.
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
nicht. Es gibt vielmehr ein Patt der internationalprivatrechtlichen Interessen.597 Als Ausweg aus diesem Dilemma bleibt es nur, den Parteien die Wahl des für sie geltenden Rechts selbst zu überlassen. Der internationalprivatrechtliche Grund für die Rechtswahl ist also zunächst, dass es keinen Anknüpfungspunkt gibt, der allein hinreichend überzeugend für eine objektive Anknüpfung ausreichen würde. Dies ergibt eine an den potenziellen Interessen der Parteien ausgerichtete Analyse. Hier drängt sich wieder die Parallele zum materiellen Zivilrecht auf. So hat hier ein Funktionswandel des Rechts stattgefunden in dem Sinne, dass die subjektiven Rechte und das Zivilrecht hauptsächlich ihre Funktion darin erfüllen, den natürlichen Willen der Personen zu sichern.598 Ganz ähnlich ist die Entwicklung des Kollisionsrechts: Die einmal für gerecht empfundene Ordnung der objektiven Anknüpfung ist brüchig geworden. Diese sollte schon länger die Interessen der Parteien verwirklichen. Letztlich setzte sich aber die Erkenntnis durch, dass dies nur wirklich geschehen kann, wenn die Parteien selbst ihren Willen auch ausdrücken können. Der Staat hat grundsätzlich kein eigenes Interesse daran, den Parteien nicht die Wahl des Rechts selbst zu überlassen.599 Aus der ursprünglichen Anknüpfungsverlegenheit des Kollisionsrechts wächst die Einsicht, dass das Recht viel klüger beraten ist, wenn es die Entscheidung den Parteien überlässt. Der Wille der Parteien rückt somit in den Mittelpunkt des IPR.600 Dies wird noch klarer, wenn man sich noch einmal vergegenwärtigt, dass die Bestimmung der internationalprivatrechtlichen Interessen nicht abstrakt stattfindet, sondern das Sachrecht der Stoff ist, aus dem sich das Kollisionsrecht bildet.601 In vielen Bereichen des Bürgerlichen Rechts genießen die Bürgerinnen und Bürger schon längst eine gewisse Autonomie und können über das dispositive Recht frei verfügen. Es ist nicht nachvollziehbar, dass sich diese Freiheit auf internationaler Ebene nicht fortsetzen sollte. Dabei kann nicht als Gegenargument angeführt werden, dass die Parteien bei einer Rechtswahl nicht nur über dispositives Recht verfügen, sondern sogar über zwingendes Recht, was nicht 597
Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 401; Corneloup, Grundlagen der Rechtswahl im Familien- und Erbrecht, S. 15, 19 f.; Basedow, LA Pintens, S. 135, 140, 147; Helms, LA Pintens, S. 681, 690; Kühne, LA Schurig, S. 129, 136; ders. ZVglRWiss 114 (2015), 355, 364; Jayme, Recueil des cours 251 (1995), 9, 166; Jayme, Die Kodifikationsidee, S. 63, 65 ff.; Henrich, FS Jayme, 321, 327; Mansel, Parteiautonomie, Rechtsgeschäftslehre der Rechtswahl, S. 241, 263 f.; Arnold, Gründe und Grenzen der Parteiautonomie, S. 23, 29; Röthel, JbItalR 25 (2013), 2, 8. 598 Siehe oben § 1 A. II. 3. c). 599 Corneloup, Grundlagen der Rechtswahl im Familien- und Erbrecht, S. 15, 20; Mansel, Parteiautonomie, Rechtsgeschäftslehre der Rechtswahl, S. 241, 262; Schack, LA Kegel, S. 179, 195; Staudinger/Sturm/Sturm, Einleitung IPR, Rn. 137. 600 Flessner, Interessenjurisprudenz, S. 98 ff; Rühl, FS Kropholler, S. 187 f. 601 Berühmte Formulierung nach Kahn, Bedeutung der Rechtsvergleichung, S. 491, 493.
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gestattet werden sollte.602 Aus Gründen der internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit hat das Gesetz schon immer in Kauf genommen, dass ein anderes Recht als die lex fori berufen wird, aus dem sich zwingende Regeln ergeben können, aber nicht müssen. Eine grundsätzliche Faustformel für die Zulässigkeit der Parteiautonomie kann daher wie folgt formuliert werden: Wo der Gesetzgeber im materiellen Zivilrecht keine eigenen Ordnungsinteressen verfolgt, sondern lediglich die Privatautonomie der Parteien fördert, hat er auch grundsätzlich kein internationalprivatrechtliches Interesse an der Anwendung eines bestimmten Rechts, sondern kann den Parteien die Entscheidung überlassen.603 b) Weitere Gründe für die Rechtswahl Die schon beinahe rechtsphilosophische Begründung der Rechtswahlfreiheit hat sich ursprünglich aus dem Dilemma entwickelt, dass eine objektiv gerechte Ordnung für die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit ohne Beteiligung der Parteien nicht zu erkennen war. Daneben gibt es jedoch weitere Argumente, die aus genuin kollisionsrechtlicher Sicht für eine Zulassung der Parteiautonomie sprechen. aa) Förderung der Rechtssicherheit Der Wechsel zum Aufenthaltsprinzip bei der objektiven Anknüpfung bringt weitere Folgen mit sich: Bei besonders mobilen Paaren, die öfter ihren gewöhnlichen Aufenthalt wechseln, muss sich ständig das anwendbare Recht mit verändern. Ein mehrfacher Statutenwechsel ist der Rechtssicherheit jedoch abträglich und führt zu Planungsschwierigkeiten. Es ist für die Parteien daher förderlich, wenn sie ein Recht dauerhaft sichern können. Dies erläutert auch Erwägungsgrund (15) der Rom III-VO. Die Parteiautonomie gibt den Parteien also Planungssicherheit, um eine dauerhafte Regelung der eigenen rechtlichen Angelegenheiten zu ermöglichen und erleichtert damit die Mobilität im europäischen Rechtsraum.604
602
Vgl. Kühne, LA Schurig, S. 129, 136. Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 188; Jayme, YPIL 11 (2009), 1, 2; Röthel, JbItalR 25 (2012), 2, 9; Coester/Coester-Waltjen, LA Schurig, S. 33, 34; Mansel, Parteiautonomie, Rechtsgeschäftslehre der Rechtswahl, S. 241, 263. 604 MK-BGB/von Hein, Einleitung IPR, Rn. 36; Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 411; Corneloup, Grundlagen der Rechtswahl im Familien- und Erbrecht, S. 15, 18; Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 127; Kohler, FS von Hoffmann, S. 208, 211; Mansel, Parteiautonomie, Rechtsgeschäftslehre der Rechtswahl, S. 241, 265; Arnold, Gründe und Grenzen der Parteiautonomie, S. 23, 34; kritisch zur Formelhaftigkeit dieser Begründung Röthel, JbItalR 25 (2012), 2, 10. 603
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
bb) Ökonomische Überlegungen Ob der Verordnungsgeber im Familienrecht tatsächlich Effizienzüberlegungen getroffen hat, lässt sich nicht eindeutig nachweisen.605 Das Ziel der Binnenmarktförderung in Erwägungsgrund (1) der Rom III-VO, der EuUnthVO und der EheGüVO scheinen eher nur Lippenbekenntnisse zu sein.606 Wie dem auch sei, die Parteien können sicherlich die Rechtswahlfreiheit auch nutzen, um ein Verfahren möglichst effizient zu gestalten, wenn sie dies wünschen, indem sie etwa ein Recht wählen, das eine schnelle und unkomplizierte Scheidung und einfache Klärung der Scheidungsfolgen ermöglicht, oder einfach die lex fori zur Einsparung der Rechtsermittlungskosten.607 cc) Normative Absicherung durch Grundrechte (1) Schutzbereich der Grundrechte Die vorher genannten Gründe ermöglichen Parteiautonomie durch die Abwägung kollisionsrechtlicher Interessen. In der Literatur wird zuweilen auch versucht, dieses Ergebnis mit grundrechtlichen Erwägungen noch einmal abzusichern. Noch verhältnismäßig leicht lässt sich dabei eine grundrechtliche Absicherung der Parteiautonomie für das nationale Kollisionsrecht vornehmen, soweit dieses nicht durch Europäisches Recht überlagert ist.608 Beginnt man mit der allgemeinen Handlungsfreiheit des deutschen Grundgesetzes, so schützt Artikel 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht jedes menschliche Verhalten.609 Eine besondere Ausprägung dieser Freiheit ist die Fähigkeit, Verträge zu schließen und rechtsgeschäftlich zu handeln.610 Diese Freiheit beschränkt sich aber nicht allein auf die Privatautonomie des Bürgerlichen Rechts. Auch die kollisionsrechtliche Freiheit, das anwendbare Recht zu wählen, fällt unter diese Freiheit.611
605
Corneloup, Grundlagen der Rechtswahl im Familien- und Erbrecht, S. 15, 22. Rühl, Allgemeiner Teil und Effizienz, S. 161, 171. 607 Maultzsch, Parteiautonomie im Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht, S. 153, 163 ff.; Arnold, Gründe und Grenzen der Parteiautonomie, S. 23, 34 f. 608 Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 198 ff. 609 Stetige Rechtsprechung seit BVerfG, Urteil vom 16. Januar 1957, Az. 1 BvR 253/56, BVerfGE 6, 32, 36 ff.; BVerfG, Beschluss vom 6. Juni 1989, Az. 1 BvR 921/85, BVerfGE 80, 137, 152; Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 GG Rn. 12. 610 BVerfG, Beschluss vom 11. 7. 2006, Az. 1 BvL 4/00, NZA 2007, 42, 45; BeckOkGG/Lang, Artikel 2, Rn. 6; Coester-Waltjen, Jura 2006, 436, 437. 611 Staudinger/Sturm/Sturm, Einleitung IPR, Rn. 135 f.; Beitzke, Grundgesetz und Internationalprivatrecht, S. 16 f.; Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 222 ff.; Flessner, Interessenjurisprudenz im IPR, S. 100; Junker, Internationales Arbeitsrecht im Konzern, S. 54; Jayme, IPRax 1991, 429 ff; a.A. Kühne, Parteiautonomie S. 30. Wenn die allgemeine Handlungsfreiheit allerdings jedes menschliche Verhalten umfasst, muss die 606
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Auch auf menschenrechtlicher Ebene lässt sich die Verankerung der Parteiautonomie begründen. Erik Jayme hat als rapporteur des Institut de Droit international zusammengefasst, „que l’autonomie de la volonté des parties est un des principes de base du droit international privé“.612 Die Freiheit der Individuen werde umfassend auch von den Konventionen und Resolutionen der Vereinten Nationen anerkannt.613 Schließlich werden, und das ist für das Europäische Kollisionsrecht entscheidend, auch auf europarechtlicher Ebene mit unterschiedlicher Begründung teilweise die Grundfreiheiten herangezogen614 oder als allgemeiner Rechtsgrundsatz nach Artikel 6 Abs. 3 EUV auch die allgemeine Handlungsfreiheit für die Union bemüht.615 Ob diese Argumentation vom EU-Recht gestützt wird, muss an dieser Stelle ebenfalls nicht genau betrachtet werden. Dies geschieht im Besonderen Teil der Arbeit.616 Es reicht aus, festzustellen, dass die Parteiautonomie grundrechtlich auf allen Rechtsebenen begründet und abgesichert wird. Dies ist ein weiterer Beleg für ein reflexives Recht und eine materialisierte Kollisionsrechtsordnung. (2) Grenzen der grundrechtlichen Argumentation Grundsätzlich ist der Weg, das vernünftige Konzept der Parteiautonomie über Grundrechte abzusichern, sinnvoll. Gleichzeitig darf die Aussagekraft einer solchen normativen Herleitung aber auch nicht überschätzt werden. Dies lässt sich wiederum an Artikel 2 Abs. 1 GG deutlich zeigen. Hierbei handelt es sich um ein im Vergleich zu den anderen Grundrechten des Grundgesetzes relativ schwaches Grundrecht, das leichter beschränkt werden kann. Es unterliegt der Schrankentrias der Rechte anderer, des Sittengesetzes und der verfassungsmäßigen Ordnung, wobei sich die beiden ersten Schranken in der dritten vollständig wiederfinden.617 Unter der verfassungsmäßigen Ordnung versteht das Bundesverfassungsgericht alle Normen, die formell und materiell mit der Verfassung in Einklang stehen.618 Sie unterliegen selbst nur den allgemeinen Schranken-Schranken, wobei praktisch nur der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entscheidend ist.619 Damit erfordert dieses Auffanggrundrecht aber nichts anderes, Handlungsfreiheit auch die Parteiautonomie umfassen, vgl. Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 223 f. 612 Jayme, Rapport définitif, S. 62, 65 f. 613 Jayme, Rapport définitif, S. 62, 77. 614 Vgl. Staudinger/Magnus, Neubearbeitung 2016, Art. 3 Rom I-VO, Rn. 3; von Wilmowsky, RabelsZ 62 (1998), 1, 3 ff. 615 Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 252 ff. mit weiteren Nachweisen, auch zur Gegenansicht; Ehlers/Ehlers, Europäische Grundrechte, § 14, Rn. 34. 616 Siehe vor allem unten § 8 B. II. 1. 617 Allgemeine Meinung, siehe nur BeckOK-GG/Lang, Artikel 2, Rn. 24. 618 BVerfGE 6, 32 ff.; Beschluss vom 25. Januar 2011, Az. 1 BvR 918/10, NJW 2011, 836; BeckOK-GG/Lang, Artikel 2, Rn. 24. 619 BeckOK-GG/Lang, Artikel 2, Rn. 25.
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
als was das Kollisionsrecht schon verlangt: eine genaue Bewertung der kollisionsrechtlichen Interessen. Man kann Grundrechte in der Regel nicht wie eine Geheimwaffe aktivieren, um ein konkretes und besonders für wünschenswert gehaltenes Ergebnis zu erreichen. Grundrechte verlangen, dass man die Parteiautonomie als Grundlage des Anknüpfungssystems in Betracht zieht. Alle weiteren Einschränkungen bis hin zum vollständigen Verbot der Rechtswahlfreiheit sind dann jedoch immer noch möglich, wenn sie sich sinnvoll begründen lassen und verhältnismäßig sind. Diese Abwägung wird für jede einzelne Kollisionsnorm erneut vorgenommen. III. Fazit: Bedeutung der Materialisierung für das Kollisionsrecht Mit dem Siegeszug der Parteiautonomie wiederholt sich im Kollisionsrecht eine Entwicklung, die schon das materielle Zivilrecht durchlaufen hat: Das Recht hört auf, den Rechtsunterworfenen eine Ordnung vorgeben zu wollen. Es reagiert damit auf die eigene Lücke, nämlich die Blindheit gegenüber Umwelteinflüssen, indem es die Erwartungen dieser Umwelt zum Gegenstand macht und sie in den eigenen Diskurs internalisiert. So wie in der Entwicklung des Privatrechtsdiskurses ein Funktionswandel gesehen werden kann, der den subjektiven Rechten die Aufgabe der Sicherung des natürlichen, vorrechtlichen oder außerrechtlichen Willens der Parteien zuteilt, so nimmt das Internationale Privatrecht nicht mehr paternalistisch die Interessenabwägung für die Parteien selbst vor, sondern überlässt ihnen die Entscheidung. Indem das IPR somit den Willen der Parteien in den Mittelpunkt der Anknüpfungen stellt, steigert es sein Reflexionspotential noch einmal beträchtlich. Dass Reflexion schon in der Entwicklung des IPR durch die Herausarbeitung einer internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit und internationalprivatrechtlicher Interessen angelegt war, wurde bereits gezeigt. Die Weiterentwicklung der Parteiautonomie fügt sich daher bruchlos in diese Materialisierung ein, auch wenn die Pioniere der Interessenjurisprudenz im IPR dies nicht sehen konnten oder wollten. Die Geschichte des Kollisionsrechts scheint tatsächlich wie eine Wiederholung der Geschichte des Privatrechts. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Parteiautonomie heute dort gewährt wird, wo im Privatrecht Privatautonomie herrscht. Damit ist eine Grundentscheidung für das moderne Kollisionsrecht getroffen. Im Zentrum des Anknüpfungssystems steht der Wille der Parteien. Das bedeutet aber prinzipiell noch nichts für die normative Umsetzung dieser Grundprämisse. Insbesondere bedeutet das nicht, dass für alle Statute eine freie Rechtswahl zugelassen werden müsste. Wir können in nahezu allen Bereichen des IPR feststellen, dass eine unbegrenzte Rechtswahl die Ausnahme ist, nicht
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die Regel.620 Über die anschließende Interessenwertung, die dann zu der konkreten Form der Rechtswahlfreiheit und ihrer konkreten Reichweite führt, ist noch nichts gesagt. Der Gesetzgeber kann die Rechtswahl aus unterschiedlichen Gründen einschränken: zum Schutze einer Partei, zum Schutz Dritter, ausnahmsweise bestehenden ordnungspolitischen Gründen. Nicht zuletzt gelten für subjektive Anknüpfungen, da es sich um ganz normale Anknüpfungen handelt, die allgemeinen Grenzen wie der ordre public oder Eingriffsnormen.621 Im Folgenden soll es nur darum gehen, welche Einschränkungen die Rechtswahl erfährt zum Schutz schwächerer Parteien. Die anderen Gründe bleiben in dieser Arbeit außer Betracht. Bevor diese Frage am geltenden Recht beantwortet wird, soll aber noch allgemein und abstrakt erläutert werden, was Schutz der schwächeren Partei überhaupt bedeutet. Wer ist schwächere Partei und wogegen wird sie geschützt? Wieder bietet es sich an, die Antwort auf diese Fragen im Vergleich zum Wandel des Bürgerlichen Rechts zu suchen. Im einleitenden Teil wurde die dialektische Falle der Privatautonomie beschrieben: Durch das Postulat, alle Menschen seien frei, ihre rechtlichen Angelegenheiten selbstständig und gleichberechtigt zu führen, werden diejenigen vernachlässigt, die tatsächlich nicht über diese Fähigkeit verfügen. Dessen war man sich immer bewusst. So wurde niemals ernsthaft in Frage gestellt, dass die Geschäftsfähigkeit von Minderjährigen mit guten Gründen eingeschränkt oder ausgeschlossen werden kann. Alle weiteren Schritte des Staates zum Schutz bestimmter Personen waren jedoch immer umstritten, weil sie sich mit einem orthodox interpretierten Liberalismus nicht vertrugen. Der Schutz der schwächeren Partei ist damit in erster Linie ein ideologisches Problem, und erst anschließend ein rechtliches. Diese Kontroverse soll daher zuerst erläutert werden. B. Der Schwächerenschutz im Privatrecht Schwache Personen gibt es viele. Jeder Mensch ist in irgendeiner Beziehung schwach. Immer gibt es Personen, die über irgendwelche Eigenschaften und Fähigkeiten im besonderen Maß verfügen und andere, die dies nur eingeschränkt können. Auch das Recht kann sich der besonderen Begehrenspositionen von schwächeren Personen in vielen verschiedenen Gestalten annehmen. Das gesamte Sozialrecht etwa beschäftigt sich in verschiedenen Formen damit, die Nachteile auszugleichen, die Personen auf Grund einer besonderen Schwäche erleiden, um ihnen Partizipation am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.
620 Maultzsch, Parteiautonomie im Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht, S. 153, 156 ff. 621 Rühl, FS Kropholler, S. 187, 200 ff.
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
Im Privatrecht ist der Schutz schwächerer Personen zu einem der wichtigsten Schlagworte des rechtswissenschaftlichen Diskurses geworden. Die Schwäche, der hier entgegengewirkt werden soll, betrifft die mangelnde Fähigkeit, privatautonom zu handeln. Es handelt sich um ein Defizit der Vertragsfreiheit. I. Kritik der Privatautonomie 1. Privatautonomie und Vertragsfreiheit von Kant bis zum BGB a) Vernunftrechtliche Begründung seit Kant Privatautonomie ist „das Prinzip der Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse durch den einzelnen nach seinem Willen.“622 Wichtigste Ausprägung der Privatautonomie des Bürgerlichen Rechts ist die Vertragsfreiheit als die Fähigkeit, sich gegenüber anderen durch Vertrag so zu binden, wie beide es wollen.623 Weitere Ausprägungen der Privatautonomie sind etwa die Eigentumsfreiheit, die Testierfreiheit oder, wenn man sie nicht schon zur Vertragsfreiheit zählt, die Eheschließungsfreiheit.624 Der Grundsatz der Privatautonomie liegt den Regelungen des BGB zugrunde (vgl. § 311 Abs. 1, § 903, § 1297 Abs. 1, § 1937 Abs. 1 BGB).625 Er ist in allen europäischen Vertragsrechten verankert.626 Dieser Gedanke war den liberalen Gesetzgebern von 1897 so selbstverständlich, dass sie ihn nicht einmal ausdrücklich niederschrieben.627 Ohne rechtsgeschichtliche und rechtsphilosophische Rückgriffe lässt sich das Dilemma der Vertragsfreiheit nicht vollständig verstehen. Begreifen wir unser Verständnis der rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung nicht als das Ergebnis jahrhundertealter Diskurse, als ein zusammengesetztes Bild aus unterschiedlichen Quellen mit unterschiedlichen Urhebern, können wir auch keine 622 BVerfG, Beschluss vom 13. Mai 1986, Az. 1 BvR 1542/84, BVerfGE 72, 155, 170; nach Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts II, Das Rechtsgeschäft, S. 1; vgl. aus der Literatur nur Isensee, HbStR, § 150, Rn. 7; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 15 mit weiteren Nachweisen. 623 Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 17; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts II, S. 8; Bork, Allgemeiner Teil, Rn. 100; vgl. zur Bedeutung auch Isensee, HbStR, § 150, Rn. 1 ff. 624 Bork, Allgemeiner Teil, Rn. 100. 625 Isensee/Kirchhof/Isensee, HbStR, § 150, Rn. 6; Bork, Allgemeiner Teil, Rn. 101; dies gilt auch im Europäischen Privatrecht, vgl. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 22; Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, Rn. 233, m.w.N. 626 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 321. 627 Vgl. Mot., Bd. II, 2; HKK-BGB/Hofer, Vor § 241, Rn. 6; dies setzt sich im Europäischen Privatrecht fort; die Selbstverständlichkeit der Privatautonomie und das Fehlen einer ausdrücklichen Regelung hat seltsamerweise dazu geführt, dass man sich inzwischen auch deshalb die Frage stellt, ob die Privatautonomie ein Grundsatz des Europäischen Privatrechts ist, vgl. Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, Rn. 234.
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angemessene Kritik an ihm üben. Um die Problematik des Konzepts klar zu machen, sei daher auf die Theoriegeschichte hingewiesen. Das Konzept der rechtlichen Selbstbestimmung wurzelt in der deutschen Ideologie der Aufklärung und findet ihren Höhepunkt bei Immanuel Kant.628 Kants Rechtslehre wiederum kann nur vor dem Hintergrund seiner Moralphilosophie verstanden werden. Für Kant ist Freiheit vor allem Willkürfreiheit.629 Diese Willkürfreiheit darf aber nicht so verstanden werden, dass jeder Mensch tun können muss, was er möchte. Der Wille ist bei Kant ein Vermögen, „der Vorstellung gewisser Gesetze gemäß sich selbst zum Handeln zu bestimmen. Und ein solches Vermögen kann nur in vernünftigen Wesen anzutreffen sein.“630 Kant geht davon aus, dass die Person ihre Willkür vernünftig, das heißt an den Geboten der praktischen Vernunft, der Moral ausrichtet.631 In der Befolgung dieser praktischen Gebote kommt der Wille „zu sich selbst.“632 Die Gebote, die die Vernunft angibt, sind rein formal, da sie von allen subjektiven Begehren abstrahieren und für alle Individuen in allen Situationen gelten müssen, so sie denn vernünftig sein sollen.633 Als apriorische Maxime der Vernunft gilt der kategorische Imperativ: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.“634 Erst in der Befolgung dieses Gebots ist der Mensch somit wirklich frei. Die Vernunft gestattet es ihm, sich diese Moralgesetze selbst zu geben und zu befolgen.635 Daraus erwachsen ihm ein angeborener Würdeanspruch und ein Recht auf Anerkennung als vernunftbegabtes, sittliches Individuum.636 Das Recht hat die Aufgabe, diese Einzigartigkeit und die Selbstverantwortung der Person nachzuzeichnen, indem es ihr subjektive Rechte verleiht, die den natürlichen Eigenwillen und seine Betätigung sichern sollen.637 Damit das Recht die Willkür aller Menschen schützen kann, muss es Privatautonomie als allgemeines Prinzip zur Grundlage der Rechtsbeziehungen machen. Die Rechtsordnung sichert somit die Willkür der Bürgerinnen und Bürger durch subjektive Rechte.638 Da die unbegrenzte Will-
628
Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, S. 19; Basedow, ERPL 2008, 901, 902; Unberath, ZRG GA 127 (2010), 142, 145 ff. 629 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 203, 237; Hruschka, JZ 2004, 1085 f. 630 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 59 (Hervorhebung im Original). 631 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 52 ff.; Auer, AcP 208 (2008), 584, 611; Mentz, Moralphilosophie im Stande der Unfreiheit, S. 39. 632 Schweppenhäuser, Ethik nach Auschwitz, S. 83. 633 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 59. 634 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 52. 635 Kipke/Gündüz, Jura 2017, 9, 11. 636 Kant, Grundlagen zur Metaphysik der Sitten, S. 61 ff., 68. 637 Habermas, Faktizität und Geltung, S. 122; Unberath, ZRG GA 127 (2010), 142, 162. 638 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 231; Kersting; Wohlgeordnete Freiheit, S. 98 f.
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
kür des einzelnen jedoch zu Konflikten mit der unbegrenzten Willkür der anderen führen muss, muss das Recht die Freiheitssphären so gegeneinander abgrenzen, dass jeder seine Verhältnisse in Willkürfreiheit regeln kann, ohne die Willkür des anderen zu verletzen.639 Die Gesetze, die dafür notwendig sind, müssen daher notwendig allgemein sein, also von der Gleichheit des Einzelnen vor dem Gesetz ausgehen.640 „Recht ist die Einschränkung der Freiheit eines jeden auf die Bedingung ihrer Zusammenstimmung mit der Freiheit von jedermann, insofern diese nach einem allgemeinen Gesetze möglich ist.“641 Es entsteht so eine Privatrechtsgesellschaft Freier und Gleicher, die durch Eigenverantwortung einen Ausgleich ihrer Interessen vornehmen und die nur gebunden werden, wenn sie es wollen. Dies geschieht durch die externen Grenzen, die die Rechtsordnung setzt unter der Bedingung, dass die Freiheit des einen nicht die Freiheit des anderen ohne dessen Zustimmung einschränke. Durch diese Grenzziehung gibt er den Individuen die Möglichkeit, nach den eigenen Regeln der Sittlichkeit zu handeln. b) Das Konzept in der Rechtswissenschaft Die deutsche Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts erhebt sich auf diesem Gedankenkonzept.642 Savigny stand genauso im Bann des Freiheitsdenkens, das Kant formuliert hatte.643 Nach Savignys Definition sichert das Rechtsverhältnis „die der einzelnen Person zustehende Macht: ein Gebiet, worin ihr Wille herrscht – und mit unserer Einstimmung herrscht.“644 Diese Formel vereint zwei Aspekte: Erstens weist sie darauf hin, dass Privatautonomie kein normativ überpositives Prinzip ist, sondern erst durch die Rechtsordnung etabliert wird, die die private Willkür anerkennt.645 Zweitens setzt die Rechtsordnung einen Freiheitsraum fest, aus dem sie sich dann ganz zurücknimmt und den sie 639
Auer, AcP 208 (2008), 584, 619 f.; Hruschka, JZ 2004, 1085, 1086. Kant, Über den Gemeinspruch, S. 21 ff.; Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 375. 641 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 21. 642 Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 337 f.; Püls, Parteiautonomie, S. 28 ff.; Auer, AcP 208 (2008), 584, 611; Hruschka, JZ 2004, 1085; Gutmann, ZRG GA 122 (2005), 150, 165 ff.; ausführlich Unberath, ZRG GA 127 (2010), 142 ff.; HKK-BGB/Hofer, Vor § 241, Rn. 4 weist darauf hin, dass sich in den Arbeiten der historischen Rechtsschule keine expliziten Bezüge auf Kant finden lassen. Wenn sich womöglich ein kausaler Einfluss Kants auf die Rechtsentwicklung des 19. Jahrhunderts so einfach nicht konstruieren lässt, so kann es doch angebracht sein, sich zur Begründung des liberalen Verständnisses hauptsächlich auf Kant zu beziehen, da die Ideen des Liberalismus sich hier am klarsten ausgedrückt haben; siehe auch die Begründung bei Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, S. 20. 643 Differenzierend zum genauen Einfluss Kants auf Savigny Rückert, Idealismus, Jurisprudenz und Politik bei Friedrich Carl von Savigny, S. 287 ff., 364 ff.; Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, S. 20; dies., AcP 208 (2008), 584, 629 f. 644 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 1, S. 7; vgl. auch Band 2, S. 2. 645 Habermas, Faktizität und Geltung, S. 112. 640
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ganz der Gestaltungsfreiheit des natürlichen Willens der Bürger überlässt.646 Eine deutliche Zuspitzung erfuhr die Lehre noch einmal durch Windscheid, der nicht das Rechtsverhältnis in den Mittelpunkt stellte, sondern direkt den Anspruch, das subjektive Recht.647 So wurde dieses Konzept letztlich auch Grundlage des Bürgerlichen Gesetzbuches.648 Ein so streng verstandener Liberalismus erkennt dabei die Betätigung des freien Willens als Wert an sich an, ohne Rücksicht auf deren Inhalt und Konsequenzen.649 2. Schwächen des Konzeptes a) Kritik am Idealismus Das Konzept der Privatautonomie achtet den Willen des Einzelnen und bewertet ihn nicht. Es verweist auf die Anerkennung der angeborenen Würde der Person: Diese gebiete es, dem einzelnen grundsätzlich zuzutrauen, die eigenen Angelegenheiten in Selbstherrlichkeit zu regeln. Ein solch idealistischer Ansatz muss demnach im Grundsatz von der Gleichwertigkeit der Willensäußerungen und der Gleichheit der Individuen vor dem Gesetz ausgehen, da allen Menschen die gleiche Würde zukommt.650 Kritik an diesen Grundsätzen hat es schon vor Erlass des BGB immer gegeben.651 Diese konnte an allgemeine philosophische Strömungen anknüpfen, die den deutschen Idealismus in Frage stellten. Hegel überhöhte den kantischen Idealismus, indem er die Vernunft nicht bloß zum Erkenntniswerkzeug des Individuums erklärte, sondern die gesamte Welt zur Verkörperung der Vernunft, des objektiven Geistes. Indem er die Entfaltung des Geistes in der Zeit aber als dialektisch erkannte, konnte er sittliche Zerfallstendenzen in der Bürgerlichen Gesellschaft auf ihre Rechtsform, in deren Zentrum Eigentum und subjektive Rechte standen, zurückführen.652 Noch weiter ging der dialektische Materialismus, der das Verhältnis von Sein und Bewusstsein auf den Kopf stellte und einen Vorrang des Seins vor dem Bewusstsein, der Materie vor der Idee postulierte. Marx wandte gegen Kant und Hegel ein: „Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß
646 Isensee/Kirchhof/Isensee, HbStR, VII, § 150, Rn. 2; Unberath, ZRG GA 127 (2010), 142, 165. 647 Windscheid, Die actio des römischen Civilrechts, S. 3; Auer, AcP 208 (2008), 584, 594 f. 648 von Tuhr, Allgemeiner Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, S. 53; HKKBGB/Hofer, Vor § 241, Rn. 6; Wagner, AcP 193 (1993), 319, 320. 649 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts II, S. 6. 650 Zum Aspekt der Gleichheit der Rechtspersonen Isensee, HbStR, VII, § 150, Rn. 11. 651 Überblick bei HKK-BGB/Hofer, Vor § 241, Rn.20 ff. 652 Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, S. 51 f.; Henrich, Vernunft in Verwirklichung, S. 9, 18 ff.
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überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt.“653 b) Reaktionen der Rechtswissenschaften auf die Arbeiterfrage Im Anschluss an den Materialismus, aber oft eingekleidet als Gegensatz zwischen germanisch geprägtem Deutschen Recht und Römischem Recht,654 stellte sich in der Rechtswissenschaft die Frage, ob die Fixierung auf die rechtliche Gleichheit, die mit dem individuellen Würde- und Achtungsanspruch des Einzelnen begründet wurde, angemessen war oder ob sie nicht vielmehr den Blick auf die Probleme tatsächlicher, gesellschaftlicher und ökonomischer Ungleichheit versperrte.655 Am drängendsten schien das Problem ab Mitte des 19. Jahrhunderts bei der „Arbeiterfrage“.656 Die miserablen Lebensbedingungen der Landbevölkerung nach der Bauernbefreiung und die Industrialisierung führten zu einem großen Bevölkerungszustrom vom Land in die Städte, weil in den Fabriken Arbeitskräfte gebraucht wurden, von denen in der Regel keine Ausbildung verlangt wurde.657 Hier versagte das streng liberale Konzept der Vertragsfreiheit. Die Gleichheit der Rechtspersonen war so offensichtlich nicht gegeben, dass man schwerlich behaupten konnte, Arbeitgeber und Arbeitnehmer handeln frei und in gegenseitigem Einverständnis ihren Willen aus. Vielmehr war es der Arbeitgeber, der seinen Willen durchsetzen konnte: Der Arbeitnehmer war dringend auf eine Stelle angewiesen, da er seine Existenz bestreiten musste; auf Grund der vielen Konkurrenz hatte er jedoch keine Verhandlungsmacht um seine Positionen umzusetzen. Er war gezwungen, zu den Bedingungen des Arbeitgebers zu kontrahieren. Daraus resultierten niedrige Löhne und eine fehlende soziale Absicherung im Falle einer Krankheit oder der Kündigung. Ähnliche Probleme ergaben sich auf dem Wohnungsmarkt, wo die Nachfrage nach Wohnungen so hoch und dringend war, dass Vermieter ungehindert zu den niedrigsten hygienischen Bedingungen Wohnungen zu hohen Mietzinsen ohne den Schutz vor Kündigungen anbieten konnten.658 Die Notlage der Menschen war also begründet in der formalen und allgemeinen Freiheit und Gleichheit des liberalen Privatrechts, „der majestätischen Gleichheit des Gesetzes, das Reichen wie Armen verbietet, unter Brücken zu 653
Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, S. 8 f. Repgen, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, S. 35 ff.; Luig, Römische und germanische Rechtsanschauung, individualistische und soziale Ordnung, S. 95 ff. 655 Dieser Ungleichheit gegenüber ist die Gleichheit des Gesetzes gegenüber nicht empfänglich. „Justitia ist blind“: Kersting: Wohlgeordnete Freiheit, S. 375 f. 656 Ausführlich Repgen, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, S. 27 ff. mit vielen Originalquellen. 657 Repgen, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, S. 25. 658 Vgl. Repgen, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, S. 231 ff.; HKK-BGB/Oestmann, Vor § 535, Rn. 69 ff.; Heiderhoff/Sahner, Ad Legendum 2014, 108, 112. 654
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schlafen, auf den Straßen zu betteln und Brot zu stehlen“659, wie Anatole France sarkastisch anmerkte. Es war die oben bereits erläuterte dialektische Falle: Durch Erlaubnis der Willkürfreiheit wollte man dem Menschen zur Selbstbestimmung verhelfen. Das Recht verlieh Rechte und antwortete damit auf Umwelterwartungen, die Emanzipationsbestrebungen des Bürgertums. Wer jedoch bestimmt, dass alle Menschen in der Lage sind, ihren Willen auszudrücken und ihm zur Geltung zu verhelfen, benachteiligt damit diejenigen, die dazu gerade nicht in der Lage sind, so idealistisch und gut gemeint der Ansatz auch ist.660 Der Erste Entwurf des BGB von 1888 wurde von mehreren Seiten scharf angegriffen.661 Die Eignung der Vertragsfreiheit als Grundsatz der Kodifikation selbst wurde in Zweifel gezogen. Besonders prominent war Otto von Gierckes Forderung eines „Tropfen sozialistischen Öls“,662 wobei es Giercke dabei nicht so sehr um den Schutz schwächerer Personen ging, sondern um ein soziales Privatrecht, das Ausdruck einer Volksgemeinschaft sei und Zusammenhalt stiften und Gemeinwohlbelange fördern müsse, anstatt individuell-fragmentierende Bestrebungen zu fördern.663 Wesentlich deutlicher auf die Belange der Arbeiterklasse und ihres Schutzes bezog sich Anton Menger mit seiner Schrift „Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen“, die einen deutlichen und nachdrücklichen Widerspruch gegen die Arbeiten den ersten Entwurf aussprach und viel Zuspruch fand.664 c) Gründe für das Scheitern einer ultraliberalen Auffassung Das Versagen der Privatautonomie in diesen Bereichen kann sowohl rechtstheoretisch als auch von einem materialistischen Standpunkt kritisiert werden. Materialistisch betrachtet war das wirtschaftliche Ungleichgewicht zwischen den Parteien so groß, dass es gar nicht zu Verhandlungen auf gleicher Augenhöhe kommen konnte.665 Diese Schwäche war selbstverständlich auch den Ver-
659
France, Die rote Lilie, S. 116. Ausführlich zur dialektischen Falle oben, § 1, A, II, 3, c). 661 Vgl. Repgen, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, S. 2 ff.; HKK-BGB/Hofer, Vor § 241, Rn. 23 f. 662 Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, S. 10. 663 Repgen, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, S. 51 ff. 664 Repgen, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, S. 71 f.; HKK-BGB/Hofer, Vor § 241, Rn. 23. 665 Menger, Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, S. 19; von Hippel, Der Schutz des Schwächeren, S. 1; Weitnauer, Der Schutz des Schwächeren, S. 18; Isensee/Kirchhof/Isensee, HbStR, § 150, Rn. 24; Raiser, JZ 1958, 1, 3. 660
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tretern der liberalen Position bewusst, sie konnte gar nicht ausgeblendet werden.666 Man ging aber davon aus, dass das Ungleichgewicht ausgeglichen werden könnte durch die Mechanismen eines sich frei entwickelnden Marktes. Dieser würde im Wettbewerb den schwächeren Parteien genügend Wahlmöglichkeiten gewähren, so dass sie einen Vertragspartner auswählen können, der ihren Interessen entgegenkommt oder dem jetzigen Vertragspartner mit einem Wechsel zu einem anderen Vertragspartner drohen und unter Druck setzen können.667 Die regulierende Wirkung des Marktes blieb jedoch aus, von alleine entwickelte sich kein Wettbewerb unter Arbeitgebern und Vermietern, das Angebot an Arbeitsplätzen und Wohnungen war zu gering, so dass sich eher auf der anderen Seite der Vertragsparteien ein Wettbewerb als race to the bottom entwickelte.668 Während also der Markt nicht die Defizite in der Verhandlungsfreiheit beheben konnte, war das allgemeine Gesetz dazu auch nicht in der Lage, weil es eben allgemein war und von der Gleichheit der Parteien ausging. In dieser Gleichstellung verliert das Gesetz die Individualität der Personen aus dem Blick. Dieser Blick wäre aber, wie gezeigt, im Einzelfall genau erforderlich, um Freiheit, als negative Freiheit von Fremdbestimmung, zu ermöglichen. Die formelle Rationalität des Rechts zeigt hier ihre dialektische Tendenz, reine Naturbeherrschung zu ermöglichen.669 Indem sie die Menschen unter den allgemeinen Begriff des Gesetzes fasst, tut sie diesen immer auch Zwang an und verbaut die Möglichkeit, das Nichtidentische im Recht zu seinem Recht kommen zu lassen, den individuellen Ansprüchen der Schwächeren. Letztlich fiel auch die letzte theoretische Stütze weg, die dem Konzept der reinen liberalen Vertragstheorie ihre Legitimität verlieh. Kant trennte zwar Recht und Moral deutlich, das Recht sollte aber für ihn Freiheit ermöglichen, die vor allem darin bestand, den allgemeinen sittlichen Regeln der Vernunft zu folgen. Kant geht also davon aus, dass der Mensch grundsätzlich moralisch vernünftig ist und sein Handeln an den Geboten des kategorischen Imperativs auszurichten fähig ist. Freiheit bedeutet für Kant demnach nicht nur Willkürfreiheit, sondern die Fähigkeit spontan vernünftig und moralisch zu handeln.670
666 Planck, AcP 75 (1889), 327, 408; vgl. Repgen, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, S. 68 ff., 500 ff. Auch in den heutigen Diskussionen um Privatautonomie ist man sich insoweit einig. Für Flume handelt es sich um ein „ewiges Dilemma“, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts II, S. 7. Beinahe der einzige, der an einem streng (neo)liberalen Freiheitsverständnis festhält, ist Nozick, Anarchy, State, and Utopa, S. 26 ff.; vgl. Auer, AcP 208 (2008), 584, 597 mit Fn. 59. 667 Kramer, Die „Krise“, S. 23 f. 668 Raiser, JZ 1958, 1, 3. 669 Grundlegend Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, S. 9 ff. 670 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 74 f., 81 f.; Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. Mentz, Moralphilosophie im Stande der Unfreiheit, S. 39; Auer, Der privatrecht-
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Von diesem Grundsatz ist dann auch seine Rechtslehre abhängig. Das Recht kann diesen Grundsatz jedoch nicht absichern und die Einhaltung dieses Satzes nicht erzwingen. Diese Unzulänglichkeit ist in der Form des Rechts selbst begründet:671 Das Bürgerliche Recht definiert sich dadurch, dass es den Einzelnen, den Bürgern, subjektive Rechte verleiht. Innerhalb dieser Rechtsräume soll nur ihr Eigenwille herrschen. „Das Wollen des Subjekts gilt“.672 Dies ist eine deontologische Setzung. Sie fragt gerade nicht danach, ob der Wille dieser Person also tatsächlich moralisch ist oder amoralisch, ob er sozial ist oder asozial, ob er sich an sittlichen Praktiken orientiert oder hiervon Abstand nimmt. Das Recht ermächtigt somit nicht nur das moralische Individuum der praktischen Vernunft, sondern auch den nur auf seine eigenen Vorteile bedachten homo oeconomicus, den Menschen, der dem Menschen ein Wolf ist.673 Hier zeigt sich, dass der Setzung der Freiheit bei Kant als Begriff der Sittlichkeit eben kein empirischer Befund entspricht,674 sondern dass ein rein rational begründeter Freiheitsbegriff die Zusammensetzung des menschlichen Willens aus sowohl rationalen als auch natürlichen und triebhaften Komponenten negiert.675 Lässt man diesen Willen in den Grenzen allgemeiner Gesetze gewähren, wird die angestrebte allgemeine Freiheit des Menschen verfehlt. Das Ziel der Aufklärung, das Kants Rechtstheorie zu Grunde liegt, ist die Emanzipation, der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit.676 „Den Eigenwillen als Tatsache gelten zu lassen ist das Gegenteil der Emanzipation des Subjekts. […] Emanzipation bedeutet nicht bloß, seinen Eigenwillen geltend machen zu können. Aber mehr als die Geltung des Eigenwillens kann die Ermächtigung durch subjektive Rechte nicht erreichen. […] Die rechtliche Ermächtigung kann immer nur eine Gestalt des Eigenwillens auf
liche Diskurs der Moderne, S. 19; Honneth, Das Recht der Freiheit, S. 62 ff.;diese Argumentation setzt sich auch bei Hegel fort und wird noch heute etwa von Honneth vertreten, der im Anschluss an Hegel die Hauptaufgabe von subjektiven Rechten darin sieht, dem Individuum einen privaten Rückzugsort zur moralischen und ethischen Reflexion von einmal Erreichtem und zukünftigen Zielen zu geben, vgl. Honneth, Das Recht der Freiheit, S. 132 ff., 137 ff.; Habermas setzt hingegen den Akzent darauf, dass subjektive Rechte hauptsächlich vom Kommunikationszwang der Rechtfertigung befreien, vgl. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 152 f. 671 Zum Folgenden vor allem Menke, Kritik der Rechte, S. 197 ff., 248 ff. 672 Menke, Kritik der Rechte, S. 249. 673 Isensee/Kirchhof/Isensee, HbStR, VII, § 150, Rn. 12; zum Widerspruch der Freiheitsbegriffe beim Vergleich mit religiösem Recht auch Michaels, FS Basedow, S. 247, 270 f. 674 Adorno, Negative Dialektik, S. 230; Mentz, Moralphilosophie im Stande der Unfreiheit, S. 39, 42. 675 Adorno, Negative Dialektik, S. 229. 676 Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, S. 481; das emanzipatorische Moment an der formalen Rechtslehre Kants betont Adorno, Probleme der Moralphilosophie, S. 224.
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Kosten seiner anderen sichern. Sie kann aber nicht die Einheit seines Willens verwirklichen.“677 3. Antwort auf die Kritik: Neubegründung der Privatautonomie a) These und Antithese Die Selbstreflexion hat in der Blütezeit der Aufklärung zur Entstehung des Bürgerlichen Rechts geführt, das ganz auf die Eigenverantwortung des Individuums setzt und daher die Privatautonomie zum Grundprinzip des Rechts macht. Dadurch trat es aber in die dialektische Falle, dass Selbstbestimmung einiger zur Fremdbestimmung anderer führt. Dem liberalen Bürgerlichen Rechtsparadigma fehlte es an Überzeugungskraft. Eine Antwort auf diese frühe Kritik an der Privatautonomie ist die Entstehung des öffentlichen Sozialrechts als Ergänzung des Privatrechts. So entstanden zum Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Sozial- und Rentenversicherungen, um den Interessen von abhängig Beschäftigten entgegenzukommen.678 Zudem entsteht ein soziales Wohnrecht außerhalb des Privatrechts.679 Im Privatrecht selbst blieb das Prinzip der Privatautonomie jedoch weiterhin grundsätzlich bestehen. Diente vorher die Moraltheorie Kants als Grundlage der Selbstbestimmung, musste eine neue Legitimierung von Vertragsfreiheit gefunden werden.680 Diese Neubegründung konnte nur erfolgen, indem man nicht mehr jede Willensbetätigung als schützenswert betrachtete, sondern ihre Folgen und Auswirkungen in Augenschein nahm. Dies geschah jedoch auf unterschiedliche Weise. Eine Möglichkeit bestand in der immanenten Kritik, die die emanzipatorische Grundentscheidung für die Privatautonomie nicht aufgeben mochte, sondern lediglich die widersprüchliche Entfaltung dieser subjektiven Rechte kritisierte. Ein erster Ansatz war die von Jhering angestoßene Kontroverse, ob das Schutzgut des subjektiven Rechts der Wille der Individuen sei, oder ihre Interessen.681 Mit der Interessentheorie erklärt Jhering, dass das Recht einen Willen nicht seiner selbst wegen schützt, sondern weil dieser Wille einen bestimmten Zweck verfolgt, der von der Rechtsordnung gebilligt wird: „Das Recht ist nicht des Willens, sondern der Wille des Rechts wegen da.“682 Der Idee der Selbst-
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Menke, Kritik der Rechte, S. 250. Repgen, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, S. 27. 679 Lammel, FS Blank, S. 713, 714 ff., 725 ff.; Heiderhoff/Sahner, Ad Legendum 2014, 108, 112 f. 680 Habermas, Faktizität und Geltung, S. 113. 681 Zu diesem Streit etwa Menke, Kritik der Rechte, S. 89 ff., insb. 91 ff.; Wagner, AcP 193 (1993), 319, 321 ff.; Auer, AcP 208 (2008), 584, 593 ff. 682 Jhering, Geist des römischen Rechts, S. 331. 678
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bestimmung bleibt diese Theorie jedoch weiterhin verpflichtet, weil auch Jhering die individuellen und privaten Interessen, also die autonom gekürten Zwecke in den Mittelpunkt des Rechts rückte.683 Hierauf konnte Hecks Interessentheorie aufbauen, um die Absichten und Zwecke von Normen und Parteien stärker in den Blick zu nehmen und so die absolute Willkürfreiheit des Bürgerlichen Rechts abzumildern.684 Auch im angloamerikanischen Rechtskreis wurde im gleichen Zeitraum die Lehre der subjektiven Rechte angegriffen. Wesley N. Hohfeld zeigte, dass aus dem Begriff der Freiheit nicht logisch notwendig ein subjektives Recht folgen muss und bereitete damit den Critical Legal Studies den Weg.685 Der andere Weg, der wegen seiner Radikalität und Einfachheit mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte, bestand in externer Kritik: Anstatt das Konzept weiterzuentwickeln, schmälerte man die Bedeutung der Privatautonomie für das Privatrecht und ersetzte sie durch andere Prinzipien. In extremster Konsequenz führte diese Richtung zu den Ungeheuerlichkeiten des völkischen Rechtsdenkens, das dem Individuum nur den Platz im Glied eines imaginären Volkskörpers zubilligt. Dies führte es zur völligen Aufgabe des Selbstbestimmungsrechts in der nationalsozialistischen Privatrechtstheorie des NS-Staates (Larenz).686 Beide Richtungen griffen auf außerrechtliche Forderungen zurück und ließen konsequentialistische Erwägungen einfließen. Geht man mit Weber davon aus, dass eine deontische Bewertung des Eigenwillens nur durch ein formales, allgemeines Recht verwirklicht wird, dann erkennt man, dass mit den unterschiedlichen Kritiken an der Privatautonomie die von Weber festgestellten und kritisch bewerteten Materialisierungstendenzen gemeint sind.687 Letztlich bildete sich so ein dauerhafter Gegensatz heraus: Entweder verteidigte man Privatautonomie oder man lehnte sie ab. Entweder erkannte man in der Willensbetätigung des Bürgers einen Eigenwert, der selbst dann entscheidend sei, wenn das konkrete Ergebnis inakzeptable Folgen mit sich brachte, oder man akzeptierte sie nur, wenn das Ergebnis, also in der Regel der Vertragsinhalt, billig schien und vernachlässigte damit das emanzipatorische Anliegen des Bürgerlichen Rechts, die Selbstbestimmung der Person zu gewährleisten.688 Die immanente Kritik wirkte eher im Stillen und bestimmte daher nicht so stark den Diskurs.
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Wagner, AcP 193 (1993), 319, 323 f. Siehe oben § 1 B. I. 2. 685 Hohfeld, Yale Law Journal 23 (1913), 16 ff.; dazu Auer, AcP 208 (2008), 584 ff. 686 Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 339 ff. mit umfangreichen Nachweisen zum damaligen Schrifttum. 687 Siehe oben § 1 A. II. 2. c). 688 Zum „ewigen Dilemma der Vertragsfreiheit“ Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts II, S. 7, 10; Isensee/Kirchhof/Isensee, HbStR, VII, § 150; Rn. 24 ff. 684
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b) Synthese: die Richtigkeitsvermutung des Vertrags Eine Synthese beider Ansätze vollbrachte erst 1941 Walter Schmidt-Rimpler mit seiner Theorie der Richtigkeitsgewähr, in der er versuchte, den Eigenwert formaler Vertragsschlüsse und die Auswirkungen des Vertrags auf die Rechtsumwelt in Einklang zu bringen.689 Er ließ damit die Idee subjektiver Rechte unberührt, konnte aber auch ihre dialektischen Folgen mit einbeziehen. Schmidt-Rimpler entwickelte diese Idee in der Zeit der Rechtsumdeutungen des Nationalsozialismus, als die Privatautonomie in Gefahr war, völlig aufgegeben zu werden, damit die letzten Spuren liberalen Denkens aus dem illiberalen nationalsozialistischen Rechtsregime getilgt werden konnten. Sein Text im „Archiv für die civilistische Praxis“ 1941 konnte somit zwar einerseits so gelesen werden, als wolle er die deontische Betrachtung der Privatautonomie ebenfalls beseitigen. Gleichzeitig kann hier aber ein Rettungsversuch gesehen werden, den Eigenwert privater Entscheidungen vor der völligen Zerstörung durch die Nationalsozialisten zu retten.690 Er stellt somit ein vorsichtiges Bekenntnis des Nichteinverstanden-Seins dar, was nicht eben ungefährlich war. Wie auch immer man diese Distanzierung aber letztlich bewertet: Ohne historisch einordnenden Blick wird der Text nicht verständlich.691 Nach Schmidt-Rimpler solle man nicht die Frage stellen, ob ein Vertrag gerecht oder ungerecht sei, da sich über solche Fragen kein Konsens finden ließe. Stattdessen könne man sich nur darauf beschränken, ob der Vertrag für die Parteien „richtig“ sei, also einen gerechten Ausgleich ihrer Interessen darstelle und für sie zweckmäßig sei.692 Grundsätzlich müsse man bei einer Einigung von der Richtigkeit des Vertrages ausgehen. Denn ansonsten hätten die Parteien ihn nicht abgeschlossen, wenn sie seinen Inhalt nicht gewollt hätten.693 Dieses Ergebnis müsse man hinnehmen, solange durch den Vertragsmechanismus, nämlich das Aushandeln von Vertragsinhalten bei gegenseitigem Entgegenkommen, die Richtigkeit des Vertrages gewährt sei. Es sei zweckmäßig und gerecht, mithin „richtig“.694 Sei dieser Vertragsmechanismus allerdings gestört, kommt es also nicht zu einem Interessenabgleich beider Kontrahenten auf Augenhöhe, weil auf Grund von Ungleichgewichtslagen oder anderen Defiziten der Willensbildung eine Partei der anderen ihren Willen oktroyieren kann, dann greife auch die Richtigkeitsgewähr nicht. In diesen Fällen müsste 689
Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130 ff. Es geht im Folgenden nicht darum, dessen Theorie so originalgetreu wie möglich darzustellen. Sie ist in vielen Stellen problematisch, hat aber einen richtigen Kern, der eine Weiterentwicklung verdient. 690 Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 369; HKK-BGB/Hofer, Vor § 241 Rn. 31 mit Fn. 169; Schmidt-Rimpler; FS Raiser, S. 3, 10; Limbach, JuS 1985, 10, 12; dies., KritV 1986, 165, 176. 691 Habersack, AcP 189 (1989), 403, 406. 692 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 132 f. 693 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 152 f., 161 ff. 694 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 152.
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eine hoheitliche Regelung durch das Gericht oder das Gesetz gefunden werden.695 Wie und in welchen Fällen der Vertragsmechanismus eine Korrektur erfahren müsse, ließ Schmidt-Rimpler allerdings offen, da es ihm nur um eine theoretische Rekonstruktion der Privatautonomie ging.696 Entscheidend ist, dass Schmidt-Rimpler gerade keine Aufgabe der Privatautonomie verlangt. Sie bleibt Grundsatz des Privatrechts. Schmidt-Rimpler geht von der Richtigkeit der Einigung aus und lässt der Einigung der Parteien somit einen eigenen Wert zukommen. Damit diese formale Einigung allerdings eigenwertvoll ist, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt und eine einigermaßen gleiche Verhandlungsposition gewährleistet sein.697 Vertreter eines streng liberalen Privatrechtssystems haben die Thesen Schmidt-Rimplers abgelehnt.698 Die Frage, ob ein Vertrag richtig sei, dürfe gar nicht gestellt werden, da sonst die natürliche Willkür der Parteien nicht respektiert werde. Wenn jede Einigung der Bürger unter dem Vorbehalt stehe, als nicht richtig abgestempelt und für nichtig erklärt zu werden, werde die Autonomie der Bürger letztlich auch instrumentalisiert. Was richtig ist, sei allein Sache der Parteien, nicht der Rechtsordnung. Diese Ansicht gipfelt in Flumes Leitsatz „stat pro ratione voluntas“.699 Der Staat könnte in die Versuchung geraten, jeden Unterschied der Parteien zum Grund einer Ungleichgewichtslage zu nehmen und ein vermeintlich objektiv gerechtes Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung selbst zu bestimmen.700 Eine solche Kritik überzeugt letztlich nicht ganz. Zugestanden werden kann ihr wohl, dass der Vorbehalt, den der Staat gegenüber der grundsätzlichen Richtigkeitsgewähr der Einigung aussprechen kann, bei Schmidt-Rimpler noch sehr stark ist.701 Das wichtigste Prinzip zur Ersetzung unrichtiger Entscheidungen ist für ihn die Zweckmäßigkeit für die Volksgemeinschaft.702 Betrachtet man den Hintergrund, vor dem der Text entstanden ist und entfernt diesen Gedanken aus der Argumentation, ohne damit seine Unangemessenheit und Falschheit relativieren zu wollen, so bleibt der grundsätzliche Respekt vor der privatautonomen Entscheidung der Individuen. Die Einigung der Parteien wird prinzipiell als richtig (und damit als nicht weiter hinterfragbar) gewertet, als 695
Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 157. Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 157; HKK-BGB/Hofer, Vor § 241, Rn. 31; Limbach, KritV 1986, 165, 177. 697 HKK-BGB/Hofer, Vor § 241, Rn. 31. 698 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts II, S. 7; Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 46 f.; ders., FS Lerche, S. 882 f.; Isensee/Kirchhof/Isensee, HbStR, VII, § 150, Rn. 14; Adomeit, NJW 1994, 2467, 2468. 699 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts II, S. 6. 700 Adomeit, NJW 1994, 2467, 2468. 701 Kritisch auch Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 68; Raiser, FS 100 Jahre DJT, S. 101, 118 f. 702 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 132 f; HKK-BGB/Hofer, Vor § 241, Rn. 31. 696
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Ausdruck der Freiheit und Autonomie der Person. Sie wissen am besten, wie sie ihre Interessen verwirklichen können. Die Richtigkeitslehre leitet somit die Vertragsgerechtigkeit aus der Vertragsfreiheit ab.703 Sie folgt aber nicht dem nicht mehr zu rechtfertigenden Ansatz, dass alleine der formale Wille der Parteien ausreichend sein soll, die Geltung des Vertrags zu begründen, indem es den Zweck des Vertrags anspricht. Schmidt-Rimplers ursprüngliche Konzeption kann zudem an vielen Stellen noch weiterentwickelt werden: Die grundsätzliche Richtigkeitsvermutung verlangt es nicht, dass nur solche Verträge von der Rechtsordnung toleriert werden, die auf einen absoluten Interessenausgleich der Parteien hinauslaufen. Sie setzt nur ein gleiches Verhandlungsgleichgewicht der Parteien voraus, mithin das Potential, dass beide Seiten ihre volle Verhandlungsstärke eingesetzt haben.704 Sie verlangt aber gerade nicht, dass jeder Teil seine Interessen auch tatsächlich durchgesetzt hat und hinterfragt die Verhandlungen nicht weiter. Es wird dann auch hingenommen, dass in vielen Fällen ein Vertragsteil besser verhandelt, geschickter argumentiert und einen lukrativeren Vertrag abschließt. Solange ein gleiches Verhandlungsgewicht herrscht, liegt diese Gefahr im Verantwortungsbereich eines jeden Vertragspartners.705 Die Richtigkeitsvermutung entlastet sie gerade nicht von dem Risiko, ein ungünstiges Geschäft abzuschließen.706 Verträge werden nur nicht hingenommen, wenn die beteiligten Personen situativ oder strukturell nicht in der Lage waren, tatsächlich autonom zu handeln, sondern objektiv so eingeschränkt waren, dass sie ihre Interessen nicht vertreten konnten.707 Die Folge einer solchen Verhandlungssituation ist, dass der andere Teil, da er keinen Widerstand erfährt, seine Interessen vollständig verwirklichen kann. Die ideell autonome Entscheidung ist materiell heteronom. Ein solcher Vertrag kann aber nicht die Richtigkeitsgewähr für sich beanspruchen.708 In der Literatur hat der Begriff der Ungleichgewichtslage scharfe Kritik erfahren.709 Es wird der Vorwurf erhoben, der Begriff sei ein eher ideologischer Vorwurf, der die Fähigkeiten der „stärkeren“ Parteien, ihre Interessen gegen den Willen des Partners durchzusetzen, völlig überschätze. Die wichtige Frage
703
Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 36 f. Insofern kann Raisers Kritik an der Richtigkeitsthese in diese integriert werden, ohne den Kern der Theorie aufzugeben: ders., FS 100 Jahre DJT, S. 101, 118. 705 Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 69 ff.; dagegen Isensee/Kirchhof/Isensee, HbStR, VII, § 150, Rn. 14. 706 Daher hat Grundmann Recht mit der Feststellung, es ginge eigentlich nicht um eine Richtigkeitsgewähr, sondern um eine bloße Richtigkeitschance: Privatautonomie, Vertragsfunktion und „Richtigkeitschance“, S. 875, 880. 707 Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 70. 708 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1947), 130, 151. 709 Vgl. statt vieler Adomeit, NJW 1994, 2467, 2468; Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 15 ff. 704
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laute daher nicht, wie man die Fremdbestimmung durch die stärkere Partei verhindern kann, sondern wie man es schafft, die Entscheidungsfreiheit jeder Person zu gewährleisten.710 Daran ist richtig, dass man das Problem nicht vom Ende her angehen sollte. Die Aufgabe besteht darin, Selbstbestimmung zu erreichen, damit nicht Fremdbestimmung entsteht, nicht umgekehrt Fremdbestimmung zu verhindern, damit Selbstbestimmung entstehen kann.711 Das bedeutet jedoch nicht, dass man sich von der Figur des Ungleichgewichts verabschieden müsste. Denn wenn das Defizit auch in der Selbstbindungsfähigkeit liegt, so ist die Folge ein Ungleichgewicht der Kräfte, das von der Rechtsordnung nicht hingenommen werden kann. Die Konzentration auf die individuelle Entscheidungsfreiheit öffnet aber eine weitere Perspektive: Die Gewähr der Richtigkeit bieten auch solche Verträge nicht unbedingt, bei denen beide Parteien unter Defiziten der Selbstbestimmung leiden. Diese Feststellung ist auch für die Rechtswahlfreiheit wichtig. In allen Fällen der fehlenden Entscheidungsfreiheit müssen sich die Verteidiger eines ultraliberalen Prinzips fragen lassen, welchen Wert eine solche Einigung denn dann tatsächlich noch hat. Die Autonomie der Beteiligten rechtfertigt sie jedenfalls nicht, denn diese ist bei starkem Verhandlungsungleichgewicht nicht gegeben. Versteift man sich auf die Freiheit und die abstrakte rechtliche Gleichheit der Personen, verurteilt man die schwächeren Bürgerinnen und Bürger zu einer Freiheit, der sie selbst ohne Unterstützung durch die Rechtsordnung nicht gewachsen sind. Ein Rechtssystem, das sich auf diese Position zurückzieht, härtet sich tatsächlich gegenüber seiner Umwelt ab, zirkuliert weiter autopoietisch ungestört, verliert allerdings dafür seine Legitimität und erhält sich vor allem durch die Macht der Faktizität. Auch von liberalen Autoren wurde darauf hingewiesen, dass nur unter der Bedingung gleicher Verhandlungsstärke die Autonomie der Personen sich wirklich ausdrücke.712 Diesen Gedanken implementiert die Richtigkeitsgewähr. Aufgabe der Rechtswissenschaft ist es demnach nicht, einen fairen Interessenausgleich festzulegen, sondern die Mechanismen des Vertragsschlusses so zu beeinflussen, dass typische Ungleichgewichtslagen ausgeglichen werden. Es müssen Bedingungen geschaffen werden, unter denen die Parteien ohne Druck verhandeln können.713 In diesem Sinne gelingt der Theorie der Richtigkeitsvermutung, unter Modifikationen und Ausschluss der kollektivistischen Betrachtungsweise bei der Folgenbewertung unrichtiger Entscheidungen, die Synthese zwischen der Achtung vor der Freiheit des Individuums in der Privatautonomie und materialen 710
Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 26 ff. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 73. 712 Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 26; Reuter, FS für Hoppmann, S. 349, 356 f. 713 Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 70. 711
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
Gerechtigkeitsforderungen, so dass sie auch von einem heutigen Standpunkt aus überzeugend ist.714 Nach den Ausführungen von Schmidt-Rimpler hat es keine grundlegend neuen Konzeptionen der Privatautonomie mehr gegeben. Die Diskussionen tendierten abwechselnd zu einer eher liberalistischen Betrachtung des Privatrechts unter starker Betonung der Privatautonomie,715 andererseits zu einer vertragsfreiheitskritischeren Ansicht, die die Wertgebundenheit des Rechts betonte.716 Zwischen diesen beiden Polen finden nach wie vor die Diskussionen statt.717 Beide Seiten trugen so auf ihre Weise zur Materialisierung des Rechts bei. Für die letzte Seite ist dies offensichtlich, da sie an das Recht außerrechtliche Forderungen herantrug, Forderungen aus anderen Diskurssystemen: Das Recht muss sozial sein, das Recht muss gerecht sein. Aber auch die liberale Seite trägt zur Selbstreflexion des Rechts bei. Sie ist mehr als die bloße Betonung der Formalität des Rechts, sondern sorgt dafür, dass das Privatrecht sich seiner historischen Grundlagen vergewissert und sorgt im Diskurs für einen Ausgleich der Position, verhindert den Umschlag in ein illiberales, paternalistisches System und weist auf den berechtigten Kern liberalen Denkens hin, die Emanzipation des Individuums. Dieser Wechsel zwischen den beiden Seiten ist geradezu die Grundbedingung eines materialisierten und flexiblen Rechts, eine stetige Spannung zwischen deontischer Freiheit und funktionalistischen Eingriffen in diese Freiheiten. Ohne dieses Gleichgewicht müsste das System zu einer Seite kippen.
714 Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, S. 62 ff.; Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 69 ff.; Weitnauer, Der Schutz des Schwächeren im Zivilrecht, S. 18; Limbach, KritV 1986, 165, 176 f.; Habersack, AcP 189 (1989), 403, 407 ff.; Heiderhoff/Sahner, Ad Legendum 2014, 108 f.; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 284 erkennt trotz seiner grundsätzlichen Kritik einen immer noch „richtigen und weiterführenden [….] Kern“ der These. 715 Böhm, ORDO 17 (1966), 75 ff.; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts II, S. 1 ff.; ders., FS 100 Jahre DJT, S. 136; Zöllner, AcP 196 (1996), 1 ff.; Diederichsen, AcP 198 (1998), 171 ff. 716 Zweigert, FS Rheinstein, S. 493, 499 ff.; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung II, 2. Auflage, S. 8 ff. (deutlich zurückhaltender die von Kötz allein bearbeitete 3. Auflage Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 324 f.; früher schon Wieacker, Das Sozialmodell, S. 18 ff.; Raiser, JZ 1958, 1, 6 ff.; ders. FS 100 Jahre DJT, S. 101 ff.; ders., Das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 90 ff.; Kramer; Die „Krise“, S. 20 ff.; Limbach, JuS 1985, 10 ff. Die Liste ließe sich noch lange fortführen. 717 Isensee/Kirchhof/Isensee, HbStR, VII, § 150, Rn. 27; HKK-BGB/Hofer, Rn. 32 ff.
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II. Dogmatische Verankerung des Schutzes schwächerer Personen: konkrete Materialisierung 1. Generalisierter Schwächerenschutz: Verbesserung der Vertragsabschlusssituation Neben diesen theoretischen Überarbeitungen des Konzepts der Parteiautonomie, stellt sich aber die ganz konkrete Frage, wie dogmatisch der Schutz der schwächeren Parteien verwirklicht werden konnte. Die Aufgabe bestand darin, Schwächen in der Entscheidungsfreiheit der Individuen zu identifizieren und die Mittel zu ihrer Behebung zu finden.718 Dies ist zusammengefasst der Grundsatz des Schutzes schwächerer Parteien. Der Gesetzgeber reagierte auf die Ungleichgewichtslagen beim Vertragsschluss nicht, indem er das Prinzip der Vertragsfreiheit aufgab. Der Grundsatz wurde beibehalten. Eine Überlagerung der formalen Rationalität des Bürgerlichen Rechts durch materielle Gerechtigkeitserwägungen hätte das liberale Selbstverständnis der Bürgerlichen Gesellschaft umgestoßen, wäre zu einseitig gegen die Privatautonomie gerichtet.719 So führte Gottlieb Planck, eines der wichtigsten Mitglieder beider Kommissionen zur Erarbeitung des BGB aus: „Es wird daher immer auf eine genaue Prüfung der einzelnen Rechtsverhältnisse ankommen, besonders aber darauf, ob sich die Voraussetzungen, unter welchen ein zum Schutze des Schwachen bestimmter Rechtssatz Anwendung finden soll, sowie der Inhalt dieses Rechtssatzes selbst so bestimmen lassen, daß dadurch wenigstens regelmäßig wirklich nur der Schwache geschützt wird und nicht daneben andere schwerwiegende Nachtheile für die Sicherheit des Verkehrs eintreten.“720 Eine konkrete Kontrolle jedes einzelnen Vertrags in Hinblick auf eingeschränkte Verhandlungsfreiheit der Parteien wäre für den Rechtsverkehr eine unzumutbare Einschränkung, weil jeder Vertrag von den Gerichten auf seine Ausgewogenheit überprüft und für nichtig erklärt werden könnte.721 Stattdessen musste der hauptsächliche Weg darin bestehen, Gruppen von typisch schwächeren Personen zu benennen und für diese Gruppe zwingende Regeln zu erlassen, die das Ungleichgewicht der Parteien ausgleichen sollte.722 Der
718 Limbach, KritV 1986, 165, 177. Dies ist übrigens nicht nur ein deutsches Phänomen, sondern es gilt für jede Rechtsordnung, die auf Vertragsfreiheit beruht, vgl. Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 323 f. 719 Vgl. Repgen, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, S. 69. 720 Planck, AcP 75 (1889), 327, 409. 721 Lieb, AcP 178 (1978), 196, 203; Rittner, NJW 1994, 3330; Mankowski, JZ 2016, 787, 788. 722 von Hippel, Schwächerenschutz, S. 1; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 218; Dauner-Lieb, Verbraucherschutzrecht, S. 64 f.; Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 1133; Schmidt-Salzer, NJW 1971, 173, 174; Lieb, AcP 178 (1978), 196, 203; Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1, 27.
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Gesetzgeber schuf somit mehrere Sonderprivatrechte, die das allgemeine Privatrecht überlagerten.723 Es ist die einfachste und überzeugendste Art, Schwächerenschutz zu verwirklichen, da es bei generalisierbaren Gruppen oft leichter zu begründen ist, worin die Schwäche liegt. Die Einschränkung der Vertragsfreiheit wird so plausibler.724 Zudem wird die Rechtssicherheit durch generalisierte Regelungen gar nicht gestört, da sich jeder am Rechtsverkehr beteiligte auf die besonderen Regeln einstellen kann und ihre Folgen genau abzuschätzen vermag.725 Dieser Ausgleich mit den Rechtserwartungen der stärkeren Partei rechtfertigt es auch, dass Personen die Hilfe des Schwächerenschutzes selbst in Situationen in Anspruch nehmen können, in denen sie konkret gar nicht unterlegen sind.726 Hier zeigt sich, was im 1. Abschnitt beschrieben worden ist: die Anreicherung des Privatrechts um materielle Gerechtigkeitskriterien führt nicht zu einem Verfall formeller Rationalität, sondern es herrschen Wechselwirkungen, da materielle Wertungen wieder formalisiert werden können und damit zu einem Teil des positiven Rechtssystems werden.727 Es ist hier nicht erforderlich, alle Regelungen in den einzelnen Rechtsgebieten, die auf Überlegungen des Schwächerenschutzes basieren, anzusprechen. Beispiele enthält das Privatrecht zuhauf. Klassisch können hier das Arbeitsrecht728 und das Mietrecht729 genannt werden. Die Unterlegenheit von Arbeitnehmern und Mietern lässt sich klar auf ihre Angewiesenheit auf Arbeit und Unterkunft und der damit einhergehenden schwächeren Marktposition erklären. Im 20. Jahrhundert wurden als weitere Betätigungsfelder für Schwächerenschutz das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen730 und das Verbraucherprivatrecht731 deutlich ausgeweitet. Letzteres wurde entworfen, um Verbraucher vor unseriösen Geschäftspraktiken zu schützen, bei denen Un-
723
von Hippel, Schwächerenschutz, S. 1 ff. und passim. Lieb, AcP 178, 196, 203. 725 Draxl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 276; Mankowski, JZ 2016, 787, 788. 726 Hommelhoff, Verbraucherschutzrecht, S. 8; Reichert-Facilides, Einführung in die Thematik „Internationales Verbraucherschutzrecht“, S. 1, 2 f. 727 Siehe oben § 1 A. II. 4. b). 728 von Hippel, Der Schutz des Schwächeren, S. 3 ff.; Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 1, Rn. 3; Thüsing, FS Wiedemann, S. 559, 562, 570 f.; vgl. auch Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 157. 729 Hierzu ausführlich Heiderhoff/Sahner, Ad Legendum 2014, 108 ff. 730 Klassisch und nach wie vor überzeugend Raiser, Das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 94; ausführlich auch Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Vertragsrecht, S. 79 ff.; Canaris, AcP 200 (2000), 2273, 320; Rösler, ERPL 2010, 729, 741; kritisch zum Schutzansatz Ansatz Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1, 18 ff., aber zustimmend in den Fällen, in denen der Vertragspartner existentiell auf die Leistung angewiesen ist und keine Abhilfe durch Wettbewerb geschaffen werden kann. 731 Vgl. umfassend Tamm, Verbraucherschutzrecht, passim. 724
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ternehmer bewusst Überrumpelungssituationen ausnutzen, um einen Vertragsschluss herbeizuführen, wie die Haustürsituationen.732 Zugleich wurde es durch die Zunahme von Fernabsatzverträgen notwendig, einen spezifischen Informationsvorsprung der Unternehmer auszugleichen, der dadurch entstand, dass die Verbraucher die Waren vor dem Kauf nicht testen konnten und nicht wussten, worauf sie sich genau einlassen.733 Der Ausgleich geschah durch besondere Informationspflichten der Unternehmer sowie durch Einführung eines Widerrufsrechts für Verbraucher. Gerade die Gesetzgebungstätigkeit der EU auf dem Gebiet des Verbraucherrechts zeigt aber auch, dass die Entwicklung des Verbraucherrechts selbst widersprüchlich verlaufen kann und notwendigerweise der Korrekturen bedarf. Zum einen erweist sich das Mittel der Information selbst als neue Gefahr für Verbraucher. Je konkreter und detaillierter die Informationspflichten werden, desto schwieriger wird es für den Verbraucher, die für ihn wichtigen Informationen zu filtern.734 Heute arbeitet man daran, den Informationsoverload zu verringern und Informationen zu vereinfachen.735 Zum anderen kann man am Verbraucherrecht beobachten, wie der Schwächerenschutz auch durch andere Ziele überlagert werden kann. So lassen sich durch Verbraucherregeln besondere Anreize zum Konsum im Fernabsatz setzen, um so den Binnenmarkt zu fördern.736 Einen Sonderfall des Schwächerenschutzes nimmt das Recht der Geschäftsunfähigen und beschränkt Geschäftsfähigen ein.737 Hier ist das individuelle, konstitutive Defizit der Vertragsfreiheit so groß, dass es nicht durch besondere Regeln ausgeglichen werden kann. Daher hat man sich für einen Ausschluss der Geschäftsunfähigen vom Geschäftsleben entschieden um ihren Schutz zu verwirklichen. Stattdessen werden ihre Interessen von den gesetzlichen Vertretern (§§ 1626 Abs. 1, 1629 Abs. 1 S. 1 BGB), dem Vormund (§§ 1773, 1793 732
Tamm, Verbraucherschutzrecht, S. 465 f.; vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2003, Az. X ZR 178/02, NJW 2004, 363. 733 Tamm, Verbraucherschutzrecht, S. 15; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 63 ff.; Heiderhoff, Grundstrukturen, S. 266 ff.; Habermas, Faktizität und Geltung, S. 487; Lieb, AcP 178 (1978), 196 ff.; Zöllner, AcP 188 (1988), 85, 91 ff. 734 Früh darauf aufmerksam machend Kind, Die Grenzen des Verbraucherschutzes durch Information, S. 442 ff.; Martinek, Unsystematische Überregulierung und kontraintentionale Effekte im europäischen Verbraucherschutzrecht, S. 511, 512 ff.; siehe auch Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 115; Heiderhoff, Grundstrukturen, S. 269; Reich, General Principles, S. 50; Heiderhoff/Sahner, Ad Legendum 2014, 108, 110; Heiderhoff/Schulze, Verbraucherrecht und Verbraucherverhalten, S. 11, 16 f. 735 Rösler, ERPL 2010, 729, 737 f.; Tscherner, Austrian Law Journal 2014, 144, 148 ff.; Howells, Consumer Credit and Behavioural Economics, S. 61, 71 ff. 736 Heiderhoff, Grundstrukturen, S. 219 ff.; dies, Europäisches Privatrecht, Rn. 190; Heiderhoff/Schulze, Verbraucherrecht und Verbraucherverhalten, S. 11 f.; Grundmann/Bianca/Grundmann, EU-Kaufrechts-Richtlinie, Einleitung, Rn. 24; Heiderhoff/Sahner, Ad Legendum 2014, 108, 111. 737 von Hippel, Der Schutz des Schwächeren, S. 54 ff., 103 ff.
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Abs. 1 S. 1 BGB) oder dem Betreuer (§§ 1896 Abs. 1, 1902 BGB) durchgesetzt, der die Personen vertritt. Ganz ähnlich steht bei beschränkt Geschäftsfähigen die rechtsgeschäftliche Tätigkeit unter der Bedingung der Zustimmung der Vertreter, es sei denn, sie ist lediglich rechtlich vorteilhaft, also mit keinem Risiko für den beschränkt Geschäftsfähigen verbunden. Man sieht an der Strenge dieser Vorschriften, dass sie nur ultima ratio sein können. Die Autonomie der Person gebietet es, im Grundsatz davon auszugehen, dass die Menschen in der Lage sind, mit Unterstützung durch die Rechtsordnung am Geschäftsleben teilzunehmen. Der Ausschluss muss die absolute Ausnahme sein, die sich in diesen Fällen aber gut begründen lässt. 2. Flexibler Schutz im Familienrecht Die Entwicklung des Privatrechts seit Erlass des BGB hatte einen Ausgleich zwischen materieller Gerechtigkeit und Rechtssicherheit erzielt. Die Richtigkeitsgewähr des Vertrages wurde in vielen Bereichen durch allgemeine Normen wiederhergestellt, so dass die schwächeren Parteien beim Vertragsschluss sicher sein konnten, dass ihre wichtigsten Interessen berücksichtigt werden. Gleichzeitig erlitt die stärkere Partei keine zu großen Nachteile, da sie sich auf die zwingenden Regeln einstellen und sie in ihre Kalkulationen mit einbeziehen konnte. Formales Recht und materielle Anforderungen an das Recht konnten so ausdifferenziert werden. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts zeigte sich jedoch eine zweite Entwicklung in der Rechtsprechung, die darüber hinausging und materieller Gerechtigkeit einen weit höheren Stellenwert zusprach. Die wichtigsten Urteile für das allgemeine Zivilrecht waren der Handelsvertreter-Beschluss738 und der Beschluss zu den Bürgschaftsfällen739 des Bundesverfassungsgerichts. Ihnen zugrunde lagen Sachverhalte, in denen generalisierte Normen, die die schwächeren Parteien schützen konnten, fehlten. Dies lag daran, dass schon die Frage, wer schwächere Partei ist, nicht eindeutig generell beantwortet werden konnte. Es ging nicht um Personengruppen, auf die sich die Gesetzgebungstätigkeit konzentriert hatte. Es ergab sich stattdessen eher eine situative Unterlegenheit, die so gravierend war, dass die Rechtsprechung aus materiellen Gerechtigkeitserwägungen ihr abhelfen musste. Dieser Ansatz ist aus dem AGB-Recht bekannt, wo sich die These einer generell unterlegenen Personengruppe nicht halten ließ. Zur Berücksichtigung der situativen Unterlegenheit mobilisierte man einerseits die Grundrechte und andererseits die allgemeinen Generalklauseln des Zivilrechts als Einfallstore außerrechtlicher Normen in das Recht. Anstatt die Entscheidungen im Einzelnen nachzuvollziehen, soll direkt auf die im Rahmen dieser Arbeit besonders interessante Situation im Familienrecht eingegangen werden. Hier stieß das BVerfG eine ähnliche Entwicklung an wie 738 739
BVerfG, NJW 1990, 1469 ff. BVerfGE 89, 214 ff.
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im allgemeinen Zivilrecht. Diese ist von besonderem Interesse, weil sie viele Argumentationsmuster für das Internationale Familienrecht, insbesondere für die Wirksamkeitskontrolle, vorwegnimmt.740 Sie wird daher ausführlicher behandelt. Im Lüth-Urteil hatte das Bundesverfassungsgericht erklärt, die Grundrechte bänden unmittelbar nur den Staat, nicht Private. Das Grundgesetz enthalte aber eine objektive Wertordnung, die auf die gesamte Rechtsordnung und somit das Bürgerliche Recht ausstrahle. Die Gerichte hätten Sorge zu tragen, dass diese Wertordnung tatsächlich realisiert wird, da sie unmittelbar an die Verfassung gebunden seien.741 Einfallstore der Grundrechte in das Zivilrecht seien die Generalklauseln. Wie stark diese Werte die Rechtsordnung aber tatsächlich anstrahlen und dunkle Stelle in ihrer Systematik sichtbar machen können, haben die Gerichte im Eherecht gezeigt, nämlich bei der Wirksamkeits-742 und Ausübungskontrolle von Eheverträgen, die die Scheidungsfolgen mitregeln.743 a) Alte Rechtslage Da die Ehe ein wichtiger Teil der höchst privaten Lebensführung ist, steht es den Ehegatten im Großen und Ganzen frei, untereinander ihre Rechtsbeziehung so zu regeln, wie sie es für richtig halten. Ein staatliches Ordnungsinteresse, wie das Verhältnis der Ehegatten zueinander zu regeln ist, besteht nicht.744 Im Gegenteil wird die eherechtliche Privatautonomie grundgesetzlich durch Artikel 6 Abs. 1 GG abgesichert.745 So haben die Eheleute bei finanziellen Fragen grundsätzlich volle Dispositionsmöglichkeit über den Güterstand (§ 1363 740
Siehe unten § 8. BVerfGE 7, 198, 205 f. 742 In Rechtsprechung und Literatur wird häufig von der Inhaltskontrolle gesprochen. Dogmatisch korrekter ist der Begriff der Wirksamkeitskontrolle, vgl. Rauscher, DNotZ 2004, 524, 533: Es geht, wie noch zu zeigen sein wird, nicht so sehr um die Kontrolle des Vertragsinhalts in Hinblick auf ein gerechtes Ergebnis, sondern darum, ob der Vertrag privatautonom vereinbart wurde, also um die Vertragsfreiheit. Weil der unbillige Inhalt des Vertrags allerdings Ausgangspunkt dieser Prüfung ist, ist eine Bezeichnung als Inhaltskontrolle zumindest nicht ganz abwegig. Im Folgenden soll der Begriff der Wirksamkeitskontrolle vorgezogen werden. 743 Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 26, Rn. 1, Fn. 1 spricht hier von Scheidungsverträgen. Nach ihrer Ansicht ist der Begriff „Ehevertrag“ nicht korrekt, da er sich nur auf die güterrechtliche Vereinbarung bezieht. Die Terminologie „Ehevertrag“ wird hier jedoch beibehalten. Sie wird gewöhnlich in der Aufsatzliteratur verwendet. Unter dem Begriff „Ehevertrag“ ist, möglichst weit, jede finanzielle Vereinbarung für die eheliche Lebensgemeinschaft und für die Scheidungsfolgen, auch vorsorgliche Vereinbarungen, gemeint. 744 Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 26, Rn. 3; Zöllner, FS Lange, S. 975, 985; Grziwotz, FamRZ 1997, 585, 586; Dauner-Lieb, AcP 201 (2001), 295, 314 f. 745 BVerfG, Urteil vom 6. Februar 2001, Az. 1 BvR 12/92, BVerfGE 103, 89, 101 = FamRZ 2001, 343 ff.: Maunz/Dürig/Badura, Artikel 6 GG, Rn. 50a; Dreier/Brosius-Gersdorf, GG, Artikel 6, Rn. 66. 741
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Abs. 1, 1408 Abs. 1 BGB), den Versorgungsausgleich (§ 1408 Abs. 2 BGB) sowie den nachehelichen Unterhalt (§ 1585c S. 1 BGB).746 Das Gesetz enthält auch selbst wenige Schutzregeln. So werden die Ehegatten durch die Form von § 1410 BGB, Niederschrift des Vertrags bei gleichzeitiger Anwesenheit vor dem Notar, vor den schwerwiegenden Folgen eines Vertragsabschlusses gewarnt. Zudem gibt es eine besondere Vorschrift für beschränkt geschäftsfähige und geschäftsunfähige Ehegatten, § 1411 BGB. Praktisch erheblich wichtiger dürfte § 1412 BGB sein, der den Schutz Dritter, die am Vertrag nicht beteiligt sind, bezweckt. Die Rechtsprechung hielt den Grundsatz der formellen Vertragsfreiheit und das daraus resultierende pacta sunt servanda länger hoch als im Bürgschaftsrecht. In der Regel ließ der BGH Eheverträge, die sogar einen Totalverzicht auf alle Scheidungsfolgenansprüche vereinbarten, nicht am Verhandlungsungleichgewicht scheitern.747 Zwar entschied er, dass Eheverträge wegen Verstoßes gegen die §§ 134, 138 BGB nichtig sein könnten.748 Bezugspunkt für die Sittenwidrigkeit sei aber der Zeitpunkt des Vertragsschlusses, bei dem die schwerwiegenden Folgen, die gerade im Einzelfall so anstößig wirken, oft noch gar nicht absehbar sind.749 Eine Ausübungssperre nach § 242 BGB hingegen komme nur in Betracht, wenn die Interessen gemeinsamer Kinder dies gebieten würden, so dass etwa ein Unterhaltsverzicht des die Kinder betreuenden Ehegatten zeitweilig nicht wirksam wäre, oder wenn die Ausübung zu Lasten der Sozialhilfe ginge.750 Weder der Inhalt der Eheverträge noch die konkreten Umstände ihres Zustandekommens reichten nach Ansicht des BGH für das Verdikt der Sittenwidrigkeit. So hatte er einen Fall zu entscheiden, in dem die Eheleute vor der Eheschließung Gütertrennung, Verzicht auf die Hälfte des nachehelichen Unterhaltsanspruchs sowie Verzicht auf Versorgungsausgleich vereinbart hatten.751 Die Ehefrau war zum Zeitpunkt des Abschlusses im fünften Monat schwanger. Der Ehemann habe nach Aussage der Ehefrau die Eheschließung davon abhängig gemacht, dass die Mutter auf eine Erwerbstätigkeit verzichtet, um sich um 746
Dethloff, Familienrecht, § 5, Rn. 7 ff. BGH, Urteil vom 28. November 1990, Az. XII ZR 16/90, FamRZ 1991, 306; Beschluss vom 18. September 1996, Az. XII ZB 206/94, JZ 1997, 411; Urteil vom 16. April 1997, Az. XII ZR 293/95, FamRZ 1997, 873; Dethloff, Familienrecht, § 5 Rn. 20. 748 BGH, FamRZ 1991, 306, 307. 749 BGH, FamRZ 1991, 306, 307; Büttner, FamRZ 1998, 1, 4. 750 BGH, FamRZ 1991, 306, 307; auch BGH, Urteil vom 24. April 1985, Az. IVb ZR 17/84, FamRZ 1985, 787; Urteil vom 16. April 1997, Az. XII ZR 293/95, FamRZ 1997, 873 ff.; zum Unterhaltsrecht: Urteil vom 8. Dezember 1982, Az. IVb ZR 333/81, BGHZ 86, 82; kritisch zur Annahme der Sittenwidrigkeit bei Unterhaltsverzicht zulasten der Sozialhilfe Zöllner, FS Lange, S. 975, 988; zu allem Grziwotz, FamRZ 1997, 585, 587; Schwenzer, AcP 196 (1996), 88, 96 f. mit vielen weiteren Nachweisen zu Rechtsprechung und Literatur. 751 BGH, JZ 1997, 411. 747
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das Kind zu kümmern, und den Regelungen des Ehevertrags zustimmt. Der XII. Zivilsenat konnte hier kein Ausnutzen einer Zwangslage feststellen.752 Beide Eheleute hätten nicht heiraten müssen. Der Vater hätte sich auch mit seiner Rechtsposition als nichtehelicher Vater begnügen können. Dem wurde schon damals entgegengehalten, dass nur aus der Eheschließungsfreiheit des Mannes nicht die tatsächliche Entscheidungsfreiheit aller Parteien gefolgert werden dürfe.753 Überträgt man dieses Argument etwa auf die Bürgschaftsentscheidung, müsste man argumentieren, dass der Bürgschaftsvertrag nicht sittenwidrig sein könne, da die Bank nicht verpflichtet war, dem Kreditnehmer Kredit zu gewähren. Das ist wenig überzeugend. Eine solch „androzentristische“754 Sichtweise nimmt die Situation der Ehefrau nicht genügend in den Blick. Während teilweise in direkter Übertragung der Schlagworte des Bundesverfassungsgerichts im Bürgschaftsfall, vertreten wurde, dass Frauen Männern grundsätzlich strukturell unterlegen seien, da jene sozio-ökonomisch statistisch finanziell schwächer und unerfahrener als diese seien und durch gesellschaftliche Erwartungen und psychischen Druck in die Rolle von Hausfrauen, Müttern und zurückhaltenden Ehegattinnen gedrängt würden,755 beschränkten sich andere Stimmen darauf, dass zumindest im vorliegenden Fall ein Verhandlungsungleichgewicht angenommen werden durfte. Die Schwangerschaft der Frau habe diese besonders schutzwürdig gemacht.756 Zur Zeit der Eheschließung, 1984, sei eine uneheliche Abstammung noch stärker stigmatisiert gewesen. Unterhaltsrechtlich stünden alleinstehende Mütter außerdem wesentlich schlechter da als verheiratete Mütter. Um Versorgungssicherheit auch für ihr Kind zu erlangen, hätte sich die Frau daher gezwungen gesehen, den Forderungen des Ehemannes nachzugeben. Die formell freie Entscheidung sei daher in Wahrheit fremdbestimmt. Grundrechtlich geschützte Positionen der Ehefrau würden dadurch verletzt. Zu nennen sei hier einmal die in Artikel 2 Abs. 1 GG geschützte Privatautonomie der Ehefrau,757 aber auch speziellere Grundrechte, wie die in Artikel 6 Abs. 1 GG aufgeführte Eheschließungsfreiheit und den Schutz der Schwangeren nach Artikel 6 Abs. 4 GG.758
752 BGH, JZ 1997, 411, 412; zustimmend etwa Grziwotz, FamRZ 1997, 585, 587 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen; siehe zuvor schon Zöllner, FS Lange, S. 975, 986 ff. 753 Dethloff, JZ 1997, 414; Büttner, FamRZ 600, 601. 754 Dethloff, ebd. 755 Schwenzer, AcP 196 (1996), 88, 104 ff.; dagegen besonders scharf Grziwotz, FamRZ 1997, 585, 589. 756 Dethloff, JZ 1997, 414, 415; Büttner, FamRZ 1997, 600 f. 757 Dethloff, JZ 1997, 414, 415. 758 Dethloff, Familienrecht, § 5, Rn. 20.
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b) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Gernhuber hatte schon in den 1980er Jahren darauf hingewiesen, dass die formelle Vertragsfreiheit die Richtigkeit und Angemessenheit der vertraglichen Vereinbarungen nicht garantiere.759 So würden viele Ehefrauen öfter vertraglichen Bedingungen zustimmen, die gerade für sie typischerweise später deutlich negative Konsequenzen hätten.760 Diese Irrationalität könne nicht grundsätzlich hingenommen und als Ausdruck von Freiheit verklärt werden.761 Vielmehr sei das Zustandekommen der Einigung mit in den Blick zu ziehen, so dass letztlich wieder aus einer Gesamtschau von Vertragsschluss und Vertragsinhalt beurteilt werden müsse, ob Grundrechtspositionen verletzt seien und der Vertrag für sittenwidrig erklärt werden müsse. Der Bundesgerichtshof sah sich zu diesem Schritt jedoch außerstande, so dass in einem anderen Fall eine Intervention des Bundesverfassungsgerichts notwendig wurde. Der Sachverhalt erinnerte stark an den BGH-Fall.762 Eine 26-jährige Frau, die aus einer vorherigen Ehe ein Kind hatte, erwartete mit ihrem neuen Lebensgefährten ein weiteres Kind. Als Bedingung für eine Heirat verlangte ihr Mann den Abschluss eines Ehevertrags. Dieser enthielt einen kompletten Ausschluss jeglichen Unterhalts. Der Unterhalt des gemeinsamen Kindes wurde auf 150 DM pro Monat begrenzt. Nach 13 Jahren wurde die Ehe geschieden und die Frau heiratete erneut. Der Vater des Kindes wurde durch den Sohn auf Unterhalt in Anspruch genommen, erreichte aber in einem weiteren Verfahren die Freistellung von allen Unterhaltszahlungen, die über die vertraglich vereinbarten 150 DM hinausgingen. Hiergegen legte die Mutter des Kindes Verfassungsbeschwerde ein. Das Verfassungsgericht stellte fest, dass das letztinstanzliche Urteil des OLG die Beschwerdeführerin in ihren Grundrechten aus Artikel 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Artikel 6 Abs. 4 GG, sowie Artikel 6 Abs. 2 GG verletzt hatte.763 Die Ausübung der Vertragsfreiheit hänge von der tatsächlichen Entscheidungsfähigkeit ab. Dieses Leitprinzip gelte auch im Ehevertragsrecht, wo die Gleichberechtigung der Ehepartner noch einmal zusätzlich durch Artikel 3 Abs. 2 GG untermauert werde.764 Daher müsse der Dominanz eines Ehegatten entgegengewirkt werden. Dies gelte aber nicht ausnahms- und anlasslos. Vielmehr setze eine Wirksamkeitskontrolle zunächst eine einseitige Lastenvertei-
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Gernhuber, Eherecht und Ehetypen, S. 17 f. Schwenzer, AcP 196, (1996), 88, 103. 761 Vgl. dafür etwa Zöllner, FS Hermann Lange, S. 973, 986; vor einer „Entmündigung“ schwangerer Frauen durch die Rechtsprechung warnend etwa Langenfeld, DNotZ 2001, 272, 279. 762 BVerfG, FamRZ 2001, 343, 344 f. 763 BVerfG, FamRZ 2001, 343, 345. 764 BVerfG, FamRZ 2001, 343, 345 f. 760
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lung voraus. In diesem Fall erkannte das Gericht eine außergewöhnliche Belastung der Ehefrau, da die Vertragsnorm zwar allgemein formuliert worden war, aber die Ehefrau unter Berücksichtigung der Lebensplanung der Eheleute faktisch härter treffen musste, da sie als Hausfrau und Mutter kein Vermögen bilden konnte und auf Unterhaltszahlungen angewiesen war.765 Diese ungleiche Verteilung, setzte das Gericht in Bezug zur Schwangerschaft der Frau und betonte die besondere Schutzbedürftigkeit in diesem Fall. Es führte aus: „Eine Situation von Unterlegenheit ist regelmäßig anzunehmen, wenn eine nicht verheiratete schwangere Frau sich vor die Alternative gestellt sieht, in Zukunft entweder allein für das erwartete Kind Verantwortung und Sorge zu tragen oder durch Eheschließung den Kindesvater in die Verantwortung einzubinden, wenn auch um den Preis eines mit ihm zu schließenden, sie aber stark belastenden Ehevertrages. Ihre Verhandlungsposition wird hier geschwächt sein durch die tatsächliche Lage, in der sie sich befindet […].“766
Die Gerichte treffe daher eine Schutzpflicht gegenüber der Frau, auch da das Gesetz zu diesem Zeitpunkt keine weiteren Schutzvorschriften bei Unterhaltsvereinbarungen vorsah, insbesondere keine formellen Anforderungen stellte.767 Damit übertrug das BVerfG wichtige Leitgedanken aus früheren Urteilen in das Familienrecht. Im Handelsvertreter-Beschluss hatte es ausgeführt, dass die formale Vertragsfreiheit, die das Grundgesetz in Artikel 2 Abs. 1 GG gewähre, einen materiellen Widerhall haben müsse. Im Beschluss zu den Angehörigenbürgschaften ging es näher darauf ein, worauf Gerichte dabei zu achten haben. Das BVerfG führte zwei Kriterien an. „Ist aber der Inhalt des Vertrages für eine Seite ungewöhnlich belastend und als Interessenausgleich offensichtlich unangemessen, so dürfen sich die Gerichte nicht mit der Feststellung begnügen: ,Vertrag ist Vertrag‘. Sie müssen vielmehr klären, ob die Regelung eine Folge strukturell ungleicher Verhandlungsstärke ist, und gegebenenfalls im Rahmen der Generalklauseln des geltenden Zivilrechts korrigierend eingreifen.“768 Das erste Kriterium für einen Eingriff ist die ungewöhnliche Belastung der einen Seite. Diese muss zudem Folge einer strukturellen Unterlegenheit sein. Genau diese beiden Punkte lassen sich in der Entscheidung zu den Eheverträgen wiederfinden. Die Parallelität der Fälle lag auf der Hand.769
765
BVerfG, FamRZ 2001, 343, 347. BVerfG, FamRZ 2001, 343, 346. 767 BVerfG, FamRZ 2001, 343, 346 f.; vgl. heute aber § 1585c S. 2 BGB. 768 BVerfGE 89, 214, 234. 769 So schon Schwenzer, AcP 196 (1996), 88, 101 ff.; Dethloff, JZ 1997, 414, 415; siehe auch Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 26, Rn. 19. 766
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
c) Umsetzung der Vorgaben durch den BGH aa) Überlegungen in der Literatur Hatte das Bundesverfassungsgericht auf die Berücksichtigung materieller Gerechtigkeitskriterien über den Rekurs auf Grundrechtspositionen gedrängt, so oblag es nun dem Bundesgerichtshof als oberstem Zivilgericht, diese Vorgaben in das System des Familienvermögensrechts einzuarbeiten, um vorhersehbare Kriterien zu finden, nach denen sich die Gerichte und nicht zuletzt die Eheleute bei ihrer Planung selbst orientieren konnten. Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts lauteten, dass der Vertrag nichtig ist, wenn eine Partei stark und offensichtlich einseitig mit den negativen Folgen der Scheidung belastet wird und diese Belastung auf dem Verhandlungsungleichgewicht und der starken Dominanz des anderen Partners beruht, die in Fremdbestimmung umschlägt.770 Da das Scheidungsfolgenrecht mit dem Ehegüterrecht, dem Versorgungsausgleichsrecht und dem Unterhaltsrecht Rechtsgebiete mit unterschiedlichen Regelungszielen und Schutzvorgaben umfasst und nicht durch Einheitlichkeit und Kohärenz überzeugt, zeichnete sich in der Literatur bereits ab, dass hier nicht ein einziger Maßstab für die Sittenwidrigkeit gefunden werden konnte. Die Sittenwidrigkeit werde davon abhängen, welcher Bereich des jeweiligen Teilgebiets in welcher Intensität getroffen sei und ob die Regelung, die beide Partner treffen, der Lebensplanung, insbesondere der Rollenverteilung in der Familie bezüglich Betreuung und Erziehung von Kindern und eigenständiger Berufsausübung entspreche.771 Das gesetzliche Leitbild schütze die Partner in der Einverdiener-Ehe. Wenn die Ehepartner davon abweichen, müssten die Gerichte beachten, ob die Änderungen der Lebenssituation auch gerecht werden.772 Während (vor allem von Notaren) vorgeschlagen wurde, die Bemerkung des Bundesverfassungsgerichts aufzugreifen und ausreichenden Schutz durch die strengere Formvorschrift der notariellen Beurkundung sicherzustellen,773 wiesen andere darauf hin, dass es in den problematischen Konstellationen nicht um ein intellektuelles und informationelles Ungleichgewicht gehe, sondern um eine soziale Abhängigkeit von der Heirat und eine finanzielle Abhängigkeit von der Unterstützung durch den Ehegatten.774 Dies zeigt auch, dass es neben der Bestimmung der einseitigen Überforderung auch schwer fiel, ein formelles Kriterium für die strukturelle Unterlegenheit zu formulieren. Einerseits wollte man nicht, wie Ingeborg Schwenzer, die Frau generell und immer für strukturell unterlegen erklären775 und damit Biografieklischees wiederho770
Schwab, FamRZ 2001, 349. Dauner-Lieb, AcP 201 (2001), 295, 312 ff. 772 Dauner-Lieb, AcP 201 (2001), 295, 316 f.; Schwab, FamRZ 2001, 349. 773 Langenfeld, DNotZ 2001, 272, 279. 774 Schwenzer, AcP 201 (2001), 295, 320 f. 775 Schwenzer, AcP 196 (1996), 88, 104 ff. 771
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len, die die Wirklichkeit vor allem junger Frauen nicht mehr widerspiegelten.776 Andererseits konnte man auch nicht in Verdrehung der Bedeutung des Gleichheitssatzes jegliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern und faktische Zwänge und Rollenerwartungen, die tatsächlich noch existieren, leugnen und, allein aus einer männlichen Perspektive, zu dem Schluss kommen, dass die Schwangere sich freuen könne, wenn der Kindsvater sie überhaupt heirate.777 Der Ansatz war also zugleich richtig und falsch. Falsch, wenn man ihn zu sehr verallgemeinert, richtig jedoch in manchen Einzelfällen. Dass Frauen faktisch durch die gesellschaftlich vorstrukturierte Aussicht, ihr Kind allein aufziehen zu müssen und auf ständige Unterstützung Dritter angewiesen zu sein, unter einen erheblichen Druck gesetzt werden, der zu für sie ungünstigen Entscheidungen nötigt, muss weiter berücksichtig werden.778 bb) Rechtsprechung des BGH Der BGH setzte die Vorgaben des BVerfG schließlich in einem eigenen Konzept um, das schon in seiner vorherigen Rechtsprechung angelegt war.779 Dieses Konzept enthielt zwei Instrumente: die Inhaltskontrolle (korrekter: die Wirksamkeitskontrolle) nach § 138 BGB und die Ausübungskontrolle nach § 242 BGB. Beide Instrumente unterscheiden sich nach ihrem zeitlichen Bezugspunkt.780 Anknüpfungspunkt für die Wirksamkeitskontrolle, also die Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB, ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Der Vertrag verdient nur besondere Missbilligung, wenn die einseitige Überforderung einer Partei schon zu diesem Zeitpunkt intendiert war.781 In der Literatur wurde darauf hingewiesen, dass so eine Schutzlücke entstehen könne. Es gebe Situationen, in denen sich beide Ehegatten der strukturellen Unterlegenheit und Hilfsbedürftigkeit einer Partei bewusst seien, aber darauf vertrauen würden, dass es bei ihnen besser laufen müsste und sie ihre Lebenspläne, für die vertragliche Regelungen angemessen wären, weiterverfolgen könnten.782 Ändere sich aber die Biografie der Eheleute und werde ein Ehegatte gezwungen, die Arbeitsstelle aufzugeben und zuhause zu bleiben, erschienen die ehevertraglichen Normen in einem neuen Licht. Dies führe, so der BGH, 776 Dauner-Lieb, AcP 201 (2001), 295, 321; dies., FS Brudermüller, S. 99, 107; kritisch auch Grziwotz, FamRZ 1997, 585, 589; Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 472 f. 777 So aber tendenziell Grziwotz, FamRZ 1997, 585, 587. 778 Dauner-Lieb, AcP 201 (2001), 295, 321. 779 MK-BGB/Kanzleitner, § 1408, Rn. 26; Staudinger/Rehme, § 1408, Rn. 72. 780 Schwab, Familienrecht, Rn. 217; Dethloff, Familienrecht, § 5, Rn. 35; Bosch, FamRZ 2016, 1026 f. 781 Staudinger/Rehme, § 1408, Rn. 80. 782 Dauner-Lieb, AcP 201 (2001), 295, 323 spricht treffend vom „Zeitbombencharakter“ der Sondersituation.
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
jedoch nicht zur Sittenwidrigkeit, sondern könne lediglich den Einwand begründen, eine Ausübung der Vertragsrechte verstoße gegen Treu und Glauben nach § 242 BGB.783 Diese Einteilung erscheint überzeugend, da die Ausübungskontrolle nach § 242 BGB ein milderes Mittel darstellt als die Sittenwidrigkeit, die nur angemessen ist, wenn dem Ehevertrag schon von Anfang an ein zu missbilligender Regelungsgehalt eingeschrieben ist. Für die Wirksamkeitskontrolle setzt der BGH eine evident einseitige und unzumutbare Lastenverteilung voraus.784 Ob die im Ehevertrag vereinbarten Regelungen unzumutbar seien, sei eine Frage des Einzelfalls und hänge von einer Gesamtschau aller Regelungen ab. Der BGH sortiert die verschiedenen Scheidungsfolgen nach ihrer Wichtigkeit. Je tiefer die Vertragsklauseln den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts modifizieren würden, desto rechtfertigungsbedürftiger seien sie.785 Diese sogenannte Kernbereichslehre solle den Ehegatten Flexibilität bei der Vertragsgestaltung in den Randbereichen lassen und gleichzeitig vorhersehbare Kriterien für die Bewertung der Sittenwidrigkeit im Einzelfall liefern. Zum tiefen Kernbereich der Ehe gehöre der Unterhaltsbedarf eines Ehegatten, der wegen seiner Ausrichtung auf die akute Bedürftigkeit des Gatten Vorrang vor Zugewinn- und Versorgungsausgleich genießt.786 Besonders die in Zusammenhang mit der Kindererziehung stehenden Unterhaltsansprüche genießen dabei obersten Schutz, also vor allem der Anspruch aus § 1570 Abs. 1 BGB und die Ansprüche aus § 1571 und § 1572 BGB, soweit sie dem Ausgleich ehebedingter Nachteile dienen, die durch die Betreuung eines Kindes entstanden sind.787 Auf zweiter Stufe stehen die sonstigen Unterhaltsansprüche aus § 1571 und § 1572 BGB788 sowie, wahrscheinlich, wegen seiner eher elternbezogenen Anlage der Anspruch aus § 1570 Abs. 2 BGB.789 Hier geht es nicht mehr um die gemeinsame Verantwortung für Kinder, die nicht von einer vertraglichen Absprache aufgehoben werden kann, sondern um nacheheliche Solidarität, die für fast ebenso wesentlich gehalten wird. Erst dann folgt der Unterhalt wegen Erwerbslosigkeit, der nicht mehr so wichtig erscheint, da das 783 BGH, Urteil vom 11. Februar 2004, Az. XII ZR 265/02, NJW 2004, 930, 935; MKBGB/Kanzleitner, § 1408, Rn. 32; Bergschneider, Die richterliche Kontrolle von Eheverträgen, S. 18; Hahne, Grundsätze der Inhaltskontrolle von Eheverträgen, S. 8, 12 f. 784 BGH, NJW 2004, 930, 934; Urteil vom 5. November 2008, Az. XII ZR 157/06, FamRZ 2009, 198, 200; Dauner-Lieb, AcP 210 (2010), 580, 595; Bosch, FamRZ 2016, 1026, 1027. 785 BGH, NJW 2004, 930, 934; Dauner-Lieb, FS Brudermüller, S. 99, 101 f. 786 Dethloff, Familienrecht, § 5, Rn. 25; skeptisch im Hinblick auf die Reformen des Unterhaltsrechts Dauner-Lieb, FS Brudermüller, S. 99, 102: „Der Kern schmilzt!“. 787 BGH, NJW 2004, 930, 934; BGH, Urteil vom 25. Mai 2005, Az. XII ZR 221/02, FamRZ 2005, 1449, 1451; Palandt/Brudermüller, § 1408 BGB, Rn. 10; Dethloff, Familienrecht, § 5, Rn. 25. 788 BGH, NJW 2004, 930, 934; Palandt/Brudermüller, § 1408, Rn. 10. 789 Münch, FamRZ 2009, 171, 173; Dethloff, Familienrecht, § 5, Rn. 25.
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Gesetz grundsätzlich Eigenverantwortung zur eigenen Versorgung verlangt (vgl. § 1569 BGB, 1573 Abs. 4 BGB), sowie der Kranken- und Altersvorsorgeunterhalt (§ 1578 Abs. 2, Var. 1, Abs. 3 BGB). Am ehesten verzichtbar sind Ansprüche auf Aufstockungs- und Ausbildungsunterhalt (§1573 Abs. 2 und 1575 BGB). Auf der gleichen Stufe wie der Altersunterhalt steht der Versorgungsausgleich. Ein Ausschluss des Versorgungsausgleichs zur Absicherung im Alter unterliegt daher den gleichen Grenzen wie ein Ausschluss oder ein Teilverzicht des Altersunterhalts.790 Der Zugewinnausgleich steht nur ganz am Rande des Scheidungsfolgenrechts. Da es kein Eheleitbild gibt, scheint die Frage, wie das Vermögen der Eheleute untereinander verteilt wird, am weitesten zur Disposition der Parteien zu stehen.791 Steht die einseitige Lastenverteilung fest, muss geprüft werden, ob die vertraglichen Regelungen nicht eine Rechtfertigung in der Biografie der Eheleute bis zur Eheschließung, vor allem aber in ihren Plänen zur Familienplanung finden können.792 Dadurch soll entschieden werden, ob die Vereinbarung Ausdruck des freien Willens der Eheleute ist, der rationale Zwecke verfolgt, oder ob sie das Ergebnis einer Verhandlungsimparität sind, einer Dominanz des einen Ehegatten in der Verhandlung, die darauf abzielt, die Schwächen des anderen bewusst auszunutzen.793 Über eine Gesamtschau aller Umstände ist dann ein abschließendes Urteil zu fällen, ob die Lastenverteilung unangemessen einseitig und unzumutbar ist.794 Entscheidend ist, ob die Regelung mit dem Grundsatz der ehelichen Solidarität nach § 1353 BGB vereinbar ist oder ob sie Ausdruck eines egoistischen Strebens nach eigenen Interessen und Bevorteilung zu Lasten des anderen Partners ist.795 Hiermit wird das subjektive Element abgedeckt, das immer Teil der Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB ist. Dabei betont der BGH, dass auf Grund der Wichtigkeit der Parteiautonomie nur eine Unzumutbarkeit angenommen werden könne, wenn tatsächlich Regelungen des engsten Kernbereichs ohne anderweitige Kompensation abbedungen würden.796 790
MK-BGB/Kanzleitner, § 1408, Rn. 34; Hahne, Grundsätze der Inhaltskontrolle von Eheverträgen, S. 8, 14. 791 BGH, NJW 2004, 930, 934; Urteil vom 17. Oktober 2007, Az. XII ZR 96/05, FamRZ 2008, 386; MK-BGB/Kanzleitner, § 1408, Rn. 32.; kritisch Wiemer, Inhaltskontrolle von Eheverträgen, passim; Gernhuber/Coester-Waltjen, § 26, Rn. 20; Dauner-Lieb, AcP 210 (2010), 580, 602 ff.; dies., FS Brudermüller, S. 99, 103. 792 Erman/Heinemann, § 1408 BGB, Rn. 5. 793 BGH, Urteil vom 31. Oktober 2012, Az. XII ZR 129/10, NJW 2013, 380, 382. 794 BGH, NJW 2004, 930, 935; OLG Hamm, Urteil vom 6. Juni 2005, Az. 4 UF 187/04, FamRZ 2005, 1567; OLG Frankfurt, Urteil vom 20. Juli 2005, Az. 5 UF 75/04, FamRZ 2006, 339; Urteil vom 24. März 2006, Az. 7 UF 288/05, FamRZ 2006, 1034, 1037; Staudinger/Rehme, § 1408, Rn. 80. 795 BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2004, Az. XII ZB 110/99, FamRZ 2005, 26, 27; Staudinger/Rehme, § 1408, Rn. 80. 796 BGH, NJW 2004, 930, 935.
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
Dies ist aber nur der erste Schritt in der Feststellung der Verhandlungsimparität. Selbst wenn sich ein Ehegatte mit missbilligenswerten Forderungen durchsetzt, muss dies hingenommen werden, wenn der andere Partner freiwillig zustimmt. Für die Sittenwidrigkeit sind objektive Kriterien erforderlich, die eine strukturelle Unterlegenheit begründen. Dem BGH gelingt es jedoch nicht, wie bei den Angehörigenbürgschaften ein deutliches Kriterium aufzustellen, wann eine Fremdbestimmung unter den Eheleuten vorliegt.797 Es bleibt daher nur übrig, im situativen Einzelfall zu schauen, ob eine Person in einer Zwangslage war und ob es gute Gründe für eine ehevertragliche Neuordnung der finanziellen Verhältnisse gab. Rechtsprechung und Wissenschaft müssen jedoch den Anspruch verfolgen, hier auf längere Sicht zur Fallgruppenbildung zu kommen.798 Die Schwangerschaft einer Frau wird dabei auch weiterhin ein wichtiges Indiz sein. Daneben werden Überrumpelungssituationen genannt, in denen ein Ehepartner unter erheblichen emotionalen Druck gesetzt wurde, wenn er mit dem Ehevertrag erst am Tag der Hochzeit wenige Stunden vor der Eheschließung konfrontiert wird.799 Auch kann hier ein erheblicher Wissensvorsprung einer Partei relevant werden, der selbst bei notarieller Beratung nicht vermieden werden kann.800 In der Rechtsprechung wurden Fälle diskutiert, in denen eine Partei Probleme mit einer für sie fremden Sprache hatte,801 oder in denen ein Gatte den Ehevertrag einseitig gestellt hatte.802 Weitere Zwangslagen sind denkbar, etwa das Ausnutzen einer finanziellen Bedürftigkeit oder einer anderen aussichtslosen Lage,803 oder auch von Krankheiten, sofern diese nicht die Geschäftsfähigkeit aufheben.804 Dies sind Indizien, die in die Gesamtwertung einfließen können, aber nicht automatisch alleinentscheidend sind. Sie müssen auch mit anerkennenswerten, vernünftigen und achtenswerten Gründen aufgewogen werden, wenn etwa beide Partner versuchen, ihre Beziehung von finanziellen Nutzenerwägungen frei zu halten.805
797
Staudinger/Rehme, § 1408 BGB, Rn. 79; Rauscher, DNotZ 2004, 524, 534, 539. Langenfeld, DNotZ 2001, 272, 277; Rauscher; DNotZ 2004, 524, 539 ff. 799 OLG Koblenz, Urteil vom 4. Februar 2003, Az. 11 UF 371/02, FF 2003, 138; Wiemer, Inhaltskontrolle von Eheverträgen, S. 230; Rauscher, DNotZ 2004, 524, 541. 800 Rauscher, DNotZ 2004, 524, 540 f. 801 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Oktober 2003, Az. II-2 UF 149/03, FamRZ 2004, 461, Rn. 17; zustimmend Rauscher, DNotZ 2004, 524, 540; a.A. OLG München, Beschluss vom 25. September 2002, Az. 16 WF 1328/02, FamRZ 2003, 376 (bloß Anfechtungsrecht). 802 OLG Koblenz, FF 2003, 138. 803 Wiemers, Inhaltskontrolle von Eheverträgen, S. 230. 804 AG Rheine, Teilurteil vom 20. Februar 2004, Az. 18 F 47/03, FamRZ 2005, 451 bei Alkoholismus; Wiemer, Inhaltskontrolle von Eheverträgen, S. 230. 805 Rauscher, DNotZ 2004, 524, 542. 798
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Bleibt ein Vertrag schließlich wirksam bestehen, haben sich aber die Lebensumstände der Partner nach der Eheschließung unvorhergesehen so grundlegend anders entwickelt als geplant, so dass die vertragliche Lastenverteilung von einem Partner offensichtlich nicht fairer Weise getragen werden kann, verstößt eine Berufung auf eine Klausel des Ehevertrags bei einer Gesamtabwägung gegen das auch nachehelich geltende Gebot der gegenseitigen Solidarität. Der unterlegene Ehepartner kann unter Verweis auf § 242 BGB auf der Einhaltung der gesetzlichen Regelungen bestehen. Es findet also zusätzlich noch eine Ausübungskontrolle nach den allgemeinen Regeln des Schuldrechts statt. Diese Ausübungskontrolle ist jedoch nicht mehr mit der Begründung der Verhandlungsimparität zu erklären. Ihr Anliegen ist nicht, die Verhandlungsfreiheit der Ehegatten zu sichern, sondern ungerechte Entscheidungen abzuwenden. Dem Willen der Parteien kann im Ehevermögensrecht letztlich nicht in allen Fällen die gleiche Überzeugungskraft beigemessen werden wie im Vertragsrecht. Auf Grund eines oft irrationalen Vertrauens in den Partner und der Eigendynamik, die Beziehungen entwickeln, können in die Prognoseentscheidungen bei Eheverträgen gravierende Entwicklungen nicht einbezogen werden. Der „dynamische Charakter“ der Ehe rechtfertigt daher die Ausübungskontrolle, nicht ein Verhandlungsungleichgewicht der Partner.806 Neben Lob hat das BGH-Urteil in der Literatur auch Kritik erhalten. Der Kernbereichslehre wird vorgeworfen, dass die Bedeutung einzelner Teile des Scheidungsfolgenrechts nicht angemessen gewürdigt wird.807 Vor allem die pauschale Fixierung des Zugewinnausgleichs im Randbereich verkenne, dass im Zugewinnausgleich oftmals ein beträchtlicher Ausgleichsanspruch entstehen kann, der für die Altersvorsorge als auch eine akute Bedürftigkeit von hoher Bedeutung sein könnte. Der dogmatischen Kritik braucht hier nicht nachgegangen zu werden. In jüngeren Urteilen hat sich der BGH nicht mehr so stark am Kernbereich orientiert, wie er es am Anfang getan hat.808 So entschied er, dass auch Regelungen in Eheverträgen, die für sich genommen unbedenklich sind, sittenwidrig und nichtig sein können, wenn sie insgesamt auf die Ausnutzung einer Verhandlungsimparität hindeuten.809 Er weicht somit vom starren Bewertungsschema ab und setzt die Schwelle für eine Kontrolle niedriger an. Die einseitige Belastung kann sich auch aus einer Gesamtwürdigung aller Einzelregelungen ergeben, wenn sie darauf abzielen, einen Partner zu benachteiligen. Obwohl diese Ausnutzungsabsicht dabei nach einem subjektiven Tatbestandsmerkmal klingt 806
Dauner-Lieb, FS Brudermüller, S. 99, 106 f. Wiemer, Inhaltskontrolle von Eheverträgen, passim; Gernhuber/Coester-Waltjen, § 26, Rn. 20; Dauner-Lieb, AcP 210 (2010), 580, 602 ff.; dies., FS Brudermüller, S. 99, 102 ff. 808 Vgl. Dauner-Lieb, FS Brudermüller, S. 99, 103; Born, NJW 2017, 1886. 809 BGH, NJW 2013, 380, 382; Beschluss vom 15. März 2017, Az. XII ZB 109/16, NJW 2017, 1883, 1885 f. 807
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und der BGH auch die subjektive Seite besonders betont,810 reichen für die Sittenwidrigkeit allein missbilligenswerte Motive aber weiter nicht aus. Um von der Ausnutzung einer Partei sprechen zu können, muss weiterhin objektiv ihre strukturelle Unterlegenheit festgestellt werden. Der BGH hat dies etwa in einem Fall angenommen, in dem eine Frau, die wegen ihres kleinen Kindes und der eigenen Erwerbslosigkeit in finanzieller Abhängigkeit zum Verlobten stand, nicht einmal an der Vertragsausarbeitung beteiligt wurde und beim Notartermin sich nicht einmal den Vertragstext in Ruhe durchlesen konnte.811 Somit fand zwar eine Bedeutungsverschiebung in den einzelnen Prüfungsschritten statt. Anstatt sich an einer starren Rechtsprechung zu orientieren, der zu folge bestimmte Klauseln erlaubt und andere nichtig sind, orientiert sich der BGH neuerdings mit seiner Gesamtbetrachtung stärker an den Besonderheiten des Einzelfalls. Er kann so leichter auf einseitige Belastungstendenzen reagieren. Dadurch wertet er die Wirksamkeitskontrolle im Vergleich zur Ausübungskontrolle auf.812 Die Prüfungsschritte insgesamt hat der BGH jedoch beibehalten. Er macht damit jedoch deutlich, dass es bei der Kontrolle nicht darum geht, ein objektives, gesetzliches Leitbild, einen Kern des ehelichen Vermögensrechts durchzusetzen. Es geht darum, strukturelle Imparitäten zwischen den Eheleuten aufzudecken. Die Schwelle zum Eingriff der Kontrolle muss sich daher auch an den Besonderheiten des Einzelfalls orientieren. Es konnte gezeigt werden, dass die Rechtsprechung im Bereich des Familienrechts als weiteres Beispiel von Rechtsmaterialisierung durch das Prinzip des Schutzes schwächerer Parteien dienen kann.813 Hier lässt sich wieder beobachten, dass sich Phasen der Formalisierung und Materialisierung nicht einfach nur stetig abwechseln, sondern komplex verschränken. Während der BGH bei den Bürgschaftsfällen eine Formel finden konnte, die ohne weiteres Inhalt einer formellen, allgemeinen Norm sein konnte, gelingt es ihm bei den Eheverträgen nicht, abschließende Kriterien zu finden, wann ein Ungleichgewicht zwischen den Eheleuten so gravierend ist, dass Selbstbestimmung in Fremdbestimmung umschlägt. Ingeborg Schwenzers Ansatz, Frauen einen strukturellen Nachteil nachzuweisen, geht dabei zu weit. Wirksamkeitskontrollen auf den Fall einer Schwangerschaft zu beschränken, erfasst womöglich andere Fälle einer deutlichen Fremdbestimmung nicht. Die Realität der gelebten Beziehungen und emotionalen Verbindungen, die Materie, ist zu komplex, als dass sie sich in eine einzige Form gießen ließe.
810
Vgl. nur BGH NJW 2017, 1883, 1886, Rn. 42. BGH NJW 2017, 1883, 1886, Rn. 43 f. 812 Wellenhofer, JuS 2017, 1209, 1211. 813 Dauner-Lieb, AcP 210 (2010), 580, 594. 811
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Mit der Ausübungskontrolle zeigt sich zudem wieder ein Instrument, das nicht die Gewährleistung der Vertragsfreiheit sichern soll, sondern auf eine Materialisierung des Ergebnisses der Rechtsanwendung hinausläuft. Auch wenn sich die Materialisierung des Rechts hauptsächlich in der Materialisierung der Vertragsfreiheit zeigt, so hat sie eben auch noch andere Erscheinungsformen. 3. Prinzip des Schwächerenschutzes im materiellen Recht – ein Fazit Das Prinzip des Schwächerenschutzes ist ein Sonderfall der Materialisierung des Privatrechts. Das Prinzip ist eine Korrektur der schrankenlosen Vertragsfreiheit. Diese geht im Grundsatz davon aus, dass die Parteien eines Vertrages vor dem Gesetz gleich sind und kraft ihrer Privatautonomie selbst in der Lage sind, ihre Interessen vertraglich zur Durchsetzung zu verhelfen. Es ist der Grundgedanke des Liberalismus, dass die staatliche Rechtsordnung nur einen formalen Rahmen setzen muss, um die Freiheitssphären der einzelnen Bürger voneinander abzugrenzen, und ihnen im Weiteren bloß Instrumente an die Hand zu geben hat, die ihnen den Austausch und Interaktion mit anderen ermöglicht. Wohlgemerkt: Hierin ist bereits ein wichtiger Akt der Materialisierung zu sehen. Diese Gewährung der Vertragsfreiheit gerät aber in eine dialektische Falle: Sie abstrahiert es aber von der tatsächlichen Ungleichheit und übergeht diejenigen, die dieser Verantwortung nicht gewachsen sind, weil ihre Verhandlungsposition tatsächlich so schwach ist, dass ihre Zustimmung oft nicht Ausdruck von Selbstbestimmung ist, sondern von Fremdbestimmung.814 Ralf Dahrendorf, vielleicht der wichtigste deutschsprachige Vertreter eines modernen Liberalismus, hat gut erkannt, dass ein derart strenges Bestehen auf Freiheit und Selbstverantwortung leicht zur Ideologie verkommen kann. Unter Bezug auf die Vertragsfreiheit von Arbeitgebern und -nehmern schrieb er: „Was heißt schon ,frei und gleich‘, wenn eine Vertragspartei arbeiten muß, um zu überleben, während die andere sich Partner aussuchen und sie nach Belieben anstellen und entlassen kann?“815 Die Vertragsfreiheit bedarf daher bei großen Machtgefällen einer Unterstützung, die nicht primär darauf abzielt, die Privatautonomie der stärkeren Partei zu untergraben, sondern die schwächere Partei bei möglichst geringem Eingriff in die Privatautonomie der anderen Partei stärkt. Schwächerenschutz ist daher nicht das Ende der Vertragsfreiheit, sondern ihre Bedingung. Der geeignete Ansatzpunkt, um die liberale Vertragstheorie um diese Gesichtspunkte zu erweitern, ist die Theorie der Richtigkeit des Vertrags. Sie enthält sich einer eigenen Gerechtigkeitswertung des Vertragsinhalts, sondern erklärt den Inhalt der Einigung grundsätzlich für richtig, da die Einigung den 814 815
Isensee/Kirchhof/Isensee, HbStR, § 150, Rn. 25. Dahrendorf, Der moderne soziale Konflikt, S. 64.
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Schluss nahelegt, die Parteien haben genau die für sie wichtigen Interesse auf dem Verhandlungswege durchsetzen können oder angleichen können, die für sie wichtig waren. Hierin liegt keine konsequentialistische Betrachtung, da mit der Richtigkeitsvermutung nur die Wertung wiederaufgegriffen wird, die die Rechtsordnung mit der Gestattung der Vertragsfreiheit bereits getroffen hat. Dass sich der Staat jeglicher Wertung enthält, ist nicht denkbar. Es ist nämlich niemals so gewesen, als hätte sich der Staat je einer Bewertung und Einschätzung des Privatrechts enthalten und alle Entscheidungen den Parteien überlassen, denn gerade mit der Gewährung von Privatautonomie bezieht er deutlich Stellung, nämlich dass Selbstbestimmung die angemessenste Lösung ist, um allgemeine Wohlfahrt zu sichern, sodass mit den Verträgen immer eine Richtigkeitswertung der Rechtsordnung verbunden ist.816 Nach der Richtigkeitstheorie sind ungerecht erscheinende Ergebnisse nämlich nur dann rechtlich relevant, wenn sie auch der Ausdruck einer Verhandlungsimparität sind, Ergebnis von defizitärer Privatautonomie. Daher muss das Prinzip des Schwächerenschutzes ansetzen, diese Ungleichgewichtslage auszugleichen, so dass die Vermutung der Richtigkeit wieder greifen kann und selbst unbillige Ergebnisse akzeptiert werden müssen, da sie der Verantwortungssphäre der Parteien zugeordnet werden können. Einfallstor dieser materiellen Anforderungen in das formelle Privatrecht sind die Grundrechte und Generalklauseln, die den Gesetzgeber und die Gerichte an eine objektive Wertordnung binden und ihn zur Rücksicht auf die schwächere Partei verpflichten. Der Schutzbereich von Artikel 2 Abs. 1 GG umfasst die Privatautonomie und somit die „Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben.“817 Wichtigste Ausprägung ist die vollumfassende Vertragsfreiheit, die Freiheit, einen Vertrag, begründen, ändern und aufheben zu können.818 Im Wesentlichen gibt das Grundgesetz wieder nur den formalen Rahmen vor und garantiert die Selbstbestimmung im Geschäftsverkehr.819 Dagegen kann aus Artikel 2 Abs. 1 GG nur ausnahmsweise eine Schutzpflicht resultieren, die sich darauf beziehen muss, die individuellen Schwächesituationen auszugleichen.820 Der Schutz durch die allgemeine Handlungsfreiheit kann 816
Vgl. Isensee/Kirchhof/Isensee, HbStR, § 150, Rn. 3. BVerfG, BVerfGE 89, 214, 231; Urteil vom 26. Juli 2005, Az. 1 BvR 782/94, BVerfGE 114, 1, 34; Beschluss vom 6. Dezember 2005, Az. 1 BvR 1905/02, BVerfGE 115, 51, 52 f.; Dreier/Dreier, Art. 2 GG, Rn. 35. 818 BVerfG, Beschluss vom 12. November 1958, Az. 2 BvL 4/56, BVerfGE 8, 274, 328; Beschluss vom 16. Mai 1961, Az. 2 BvF 1/60, BVerfGE 12, 341, 347; Beschluss vom 4. Juni 1985, Az. 1 BvL 12/84, BVerfGE 70, 115, 123; Urteil vom 3. April 2001, Az. 1 BvR 2014/95, BVerfGE 103, 197, 215; Dreier/Dreier, Art. 2 GG, Rn. 35; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 6 ff.; Isensee/Kirchhof/Isensee, HStR, § 150; Rn. 1 ff., 24 ff., 39. 819 Höfling, Vertragsfreiheit, S. 25 ff.; Dreier/Dreier, Artikel 2 GG, Rn. 63. 820 BVerfGE 81, 242, 255; 89, 214, 232; Jarass/Pieroth/Jarass, Artikel 2 GG, Rn. 16; Dreier/Dreier, Artikel 2 GG, Rn. 63; Maunz/Dürig/Di Fabio, Artikel 2 GG, Rn. 107 f., 115. 817
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natürlich noch durch die Schutzgehalte anderer, spezieller Grundrechte wie Artikel 12 GG oder Artikel 6 GG verstärkt werden. Entscheidend ist, dass als Vehikel dieser Materialisierung die Grundrechte und mittelbar die Generalklauseln des Zivilrechts dienen, da sie das formelle Recht für außerrechtliche Wertungen öffnen. Die Schutzpflicht des Grundgesetzes trifft in erster Linie den Gesetzgeber. Diesem obliegt es, ein kohärentes Schutznetz zu entwickeln, das möglichst lückenlos funktioniert. Dies hat den Vorteil, dass es beiden Parteien Planungssicherheit gibt und die formelle Rationalität des Rechts nicht nachhaltig gestört wird. Hier zeigt sich das sehr raffinierte Wechselspiel von Formalisierung und Materialisierung, die sich nicht ausschließen, sondern dialektisch verschränken. Erste Aufgabe des Gesetzgebers ist es, Gruppen von schutzbedürftigen Personen zu typisieren. Will er nicht ein paternalistisches Zivilrecht entwerfen, das von der Unmündigkeit seiner Bürger ausgeht, muss er die Schutzmaßnahmen auf abgrenzbare Personengruppen beschränken. Ist ihm dies gelungen, so geht es darum, die Verhandlungsimparitäten zwischen stärkerer und schwächerer Partei auszugleichen, bevor der Vertrag geschlossen wird. Das schonendste Mittel sind dabei Informationspflichten, die wirksam werden, wenn das Defizit der schwächeren Partei vor allem intellektuell bedingt ist. Hauptanwendungsbereich ist das Verbraucherrecht. In vielen Situationen reichen Informationspflichten nicht aus. Wenn das Problem nicht in einem Mangel an Informationen liegt, sondern im tatsächlichen psychischen oder äußeren Druck, einen konkreten Vertrag eingehen zu müssen, weil er eine existenzielle Rolle spielt, wie der Arbeitsvertrag oder der Wohnraummietvertrag, dann helfen Informationen nicht weiter. Hier bedarf es der Ergänzung um zwingende Regeln, die den Druck von der schwächeren Partei nehmen, indem sie für die schwächere Partei besonders wichtige Punkte von vorneherein der Verhandlungsmasse entziehen. Nicht immer ist es allerdings möglich, ausreichenden Schutz über zwingende Regeln herzustellen. Es können neue Entwicklungen auftreten, die vorher nicht absehbar waren. Vielleicht ist es aber auch schwierig, überhaupt eine klar definierbare Gruppe zu bilden, die geschützt werden muss. Dass eine Schwächeposition nicht unbedingt rollenspezifisch sein muss, sondern auch situationsbedingt sein kann, wurde etwa bei den Eheverträgen deutlich, wo man sicherlich sagen konnte, dass die schwangere Frau Schutz verdiente, weil sie schwanger ist, aber eben nicht generell, dass eine Ehefrau Schutz verdient, weil sie Ehefrau ist. Für solche Fälle bedarf es jedoch ebenfalls eines einzelfallbezogenen, situativen Schutzes. Dieser kann dann allerdings nicht vor und begleitend zum Vertragsschluss eingreifen, sondern er muss hinterher ansetzen. Gewährleistet wird er durch eine Wirksamkeitskontrolle, weniger einschneidend durch eine Ausübungskontrolle. Dabei wird jedoch keinesfalls, wie es der Name zunächst vermuten lässt, nur der Inhalt des Vertrags kontrolliert. Das
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Bundesverfassungsgericht gibt vielmehr vor, dass, als Ausgleich für die fehlende Rechtsvorhersehbarkeit, zunächst eine krasse einseitige Belastung einer Vertragspartei gegeben sein muss, eine offensichtliche Überforderung mit den ihr zugeteilten Pflichten. Dies ist aber noch nicht ausreichend. Vielmehr muss diese Unbilligkeit auf einem Verhandlungsungleichgewicht basieren, bei dem der andere Teil seine Interessen gegen die schwächere Partei durchsetzen kann, weil diese intellektuell oder sozial unterlegen ist. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist der Vertrag sittenwidrig nach § 138 Abs. 1 BGB. Betont werden muss, dass eine solche Wirksamkeitskontrolle, da sie erst nach Vertragsschluss ansetzt, immer Ausnahmecharakter haben muss und besonders schwere Voraussetzungen hat. Es reicht eben nicht jeder unbillige, einseitig belastende Vertrag aus. Es bedarf vielmehr einer offensichtlichen und krassen Überforderung. Diese muss zudem auf ein Verhandlungsungleichgewicht zurückzuführen sein, das nicht der schwächeren Partei zugerechnet werden können darf. Nur dann ist es gerechtfertigt, das Ergebnis der formellen Rechtsanwendung zurückzunehmen und durch ein an materiellen Wertungsgesichtspunkten orientiertes Ergebnis zu ersetzen. Betont werden soll noch einmal, dass dies allerdings nicht das Ende formellen Rechtsdenkens ist, sondern Formalität und Materialität des Rechts dialektisch verschränkt sind. Durch die Anwendung der Generalklauseln entsteht natürlich zunächst Rechtsunsicherheit. Es entsteht aber auch gleichzeitig neues Richterrecht, das sich formalisieren lässt. Entweder greift der Gesetzgeber die Anregung auf, oder es entstehen neue Fallgruppen, die sich praktisch handhaben lassen. Die Schwarz-WeißMalereien und Klagen über das Ende des formellen Rechts und der Vertragsfreiheit sind jedenfalls unangemessen, um das Phänomen der Materialisierung zu beschreiben. Der Schutz schwächerer Parteien im Zivilrecht stellt sich so jedenfalls, wie die Materialisierung insgesamt, als ein fortlaufender Prozess dar, bei dem das Recht seine eigenen Mechanismen ständig überprüft und seine Ergebnisse an der Akzeptanz seiner Umwelt überprüft. Es zählen also Reflexivität und Responsivität. C. Schutz schwächerer Parteien im IPR? Herausforderung der Parteiautonomie In diesem letzten Abschnitt des allgemeinen Teils gilt es, die Fäden zusammenzuführen. Im ersten Abschnitt wurde der Begriff der Materialisierung eingeführt, erläutert und es wurde gezeigt, dass sich die Entwicklung des Internationalen Privatrechts als eine Geschichte der Materialisierung, also fortlaufender Reflexivität, verstehen lässt. Im zweiten Abschnitt wurden zunächst die Bedeutung der Parteiautonomie, ihre Begründung und ihre dogmatische Erklärung als Sonderfall der Materialisierung begriffen. Anschließend wurde ein
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Blick auf das Privatrecht geworfen, wobei nachgewiesen wurde, dass die Gewährung der Privatautonomie als Kernstück des Bürgerlichen Rechts notwendigerweise die Ergänzung durch das Prinzip des Schutzes schwächerer Parteien bedarf. Diese Argumentation soll nun abschließend als allgemeines Konzept in das IPR übertragen werden. Ziel ist es, die Notwendigkeit des Schwächerenschutzes bei der Rechtswahl zu begründen, und eine Skizze zu geben, wie das Konzept umgesetzt werden kann. Es soll nur eine Skizze erfolgen, da genauere Ausführungen im Besonderen Teil erfolgen. Hiermit wird nur die „Marschrichtung“ vorgegeben. I. Die dialektische Falle im IPR 1. Die Parallelität von Sach- und Kollisionsrecht Was die Gestaltungsfreiheit des Individuums anbelangt, so hinkt das Kollisionsrecht dem materiellen Recht deutlich hinterher. Während im Bürgerlichen Recht die Selbstbestimmung der Person, die Privatautonomie, schon länger Grundlage aller Überlegungen ist, ist Parteiautonomie zwar kein ganz neues Phänomen, aber doch erst seit sehr kurzer Zeit Ausgangspunkt der Anknüpfung. Da aber auch das Internationale Privatrecht letztlich die Aufgabe erfüllt, dem Willen und den Interessen der betroffenen Individuen zu dienen und staatliche Interessen an der Anwendung eines bestimmten Rechts im Regelfall nicht interessieren, ist die Parteiautonomie die logische Vollendung einer fortschreitenden Materialisierung. Es zeigt sich somit hier wieder, dass die Entwicklung des Internationalen Privatrechts, grob gesagt, zwar zeitlich verzögert, aber doch parallel zum Zivilrecht verläuft. Es gilt die Faustformel, wo das materielle Recht Vertragsfreiheit gewährt, folgt das Kollisionsrecht früher oder später auch.821 Daher drängt es sich geradezu auf, die Erfahrungen mit dem Konzept des Schwächerenschutzes, die im materiellen Recht gemacht wurde, auf das Kollisionsrecht zu übertragen. Die grundsätzliche Vergleichbarkeit von Rechtswahl und sachrechtlichem Vertragsschluss gebietet dies: Im Internationalen Familienrecht findet die subjektive Anknüpfung nicht durch einseitige Bestimmung einer Partei statt, sondern beide Seiten müssen sich über das anwendbare Recht einigen. Die Rechtswahl besteht somit in einem Rechtswahlvertrag.822 Somit können sich auch hier ganz prinzipiell die gleichen Probleme stellen wie im Sachrecht. Es droht hier die Gefahr der dialektischen Falle der Vertragsfreiheit.823 821
Vgl. Coester/Coester-Waltjen, LA Schurig, S. 33, 34 f.; Corneloup, Grundlagen der Rechtswahl, S. 15, 20 f. 822 Nur Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 148. 823 Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 449; Köthe, Schranken der Parteiautonomie, S. 66; Kropholler, IPR, S. 297; ders., RabelsZ 42 (1978), 634 f.; von Hoffmann, RabelsZ 38 (1974), 396, 398 f.; Leible, JbZivRWiss 1995/96, 245, 251 f.; ders., FS Jayme, S. 486, 492; Rühl, FS von Hoffmann, S. 364, 366.
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In dieser Hinsicht gibt es keinen Unterschied zwischen Parteiautonomie und Privatautonomie. Beide Ideen gehen davon aus, dass die einzelnen Individuen am besten wissen, was ihren Interessen entspricht und dass sie die tatsächlichen Fähigkeiten haben, diese Interessen dann auch rechtlich durchzusetzen, bei dieser als Rechtsgeschäft, bei jener als Rechtswahl. Im IPR darf nicht der ideologische Fehler des Bürgerlichen Rechts wiederholt werden, das mit der rechtlichen Setzung von Vertragsfreiheit zunächst glaubte, Freiheit auch tatsächlich verwirklicht zu haben und damit die Sphären von Sein und Sollen verwechselt hat. Nur ein wirklich freier Wille gewährleistet die Legitimität der Rechtswahl. 2. Bedürfnis im Internationalen Familienrecht Vor die Klammer gezogen seien noch Ausführungen zu der Frage, warum es im Internationalen Familienrecht, bei der hier zu behandelnden Rom III-VO, dem Haager Unterhaltsprotokoll und den Güterrechtsverordnungen, wichtig ist, die freie Entscheidung der Parteien zu sichern. Welche Folgen könnte es haben, wenn das „falsche“ Recht zur Anwendung kommt? Leidet die Legitimität des Ergebnisses, wenn „nur“ ein nach Kriterien der internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit unbilliges Recht zur Anwendung kommt? Was ist mit einem System des Schwächerenschutzes hier konkret erreicht? Für das HUP und die Güterrechtsverordnungen ist es noch recht offensichtlich, warum ein freier Wille entscheidend für die Legitimität des Ergebnisses ist. Hier haben die Parteien starke finanzielle Interessen. Es geht für sie um Unterhaltsansprüche und die Teilhabe am ehelichen Vermögen oder am Vermögen des anderen Partners. Dabei ist es entscheidend, welches Recht zur Anwendung kommt. Hierdurch werden oft die Weichen eines Falls gestellt. Die Güterrechte und Unterhaltsrechte können stark differieren, auch in Europa. Zweifel könnten hingegen für die Rom III-VO aufkommen. Hier sind einige ausführlichere Anmerkungen über die Bedeutung des Scheidungsrechts und die Folgen einer Rechtswahl angebracht. Hier ist zunächst einer Tendenz in der Literatur entgegenzutreten, die die Bedeutung und die Wirkungen der Scheidung gering wertet und eine Entmaterialisierung des Scheidungsrechts824 konstatiert. Die Argumentation lautet, dass die leichte und schnelle Scheidung, der favor divortii, inzwischen europaweit auf dem Vormarsch sei. Große kulturelle Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen bestünden nicht, so dass die Scheidung ein regelrecht formaler Akt geworden sei.825 Dies entspreche auch der Bedeutung der Scheidung
824
Formulierung übernommen von Helms, FS Coester-Waltjen, S. 431, 432. Althammer/Mayer, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 3; BeckOGK-BGB/Gössl, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 20; Gruber, Rechtswahl in der Rom III-VO, S. 33, 44; Mörsdorf-Schulte, RabelsZ 77 (2013), 786, 805 f. 825
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für die Parteien. Es sei nicht die Scheidung selbst, der sich die Ehepartner widersetzten und die sie interessierte, sondern es seien die Scheidungsfolgen, für die aber andere Statute gölten.826 Zunächst ist zu sagen, dass die Verlagerung von Geboten der Sittlichkeit, der Religion oder Tradition zu den praktischen Bedürfnissen derjenigen, die eine Scheidung begehren, noch keine Entmaterialisierung bedeutet. Es werden nur andere Interessen in den Blick genommen. Von Entmaterialisierung könnte man nur sprechen, wenn die Scheidungsregeln für die Parteien selbst keinen materiellen Gerechtigkeitsgehalt mehr enthielten, sondern nur formelle Anforderungen wären. In der Tat lässt sich nicht bestreiten, dass die Scheidung ihre rechtliche Bedeutung verloren hat und oft nichts als eine reine Formsache ist. Scheidungen selbst werden relativ einfach durchgeführt. Sie erfordern nur einen gewissen Kosten- und Zeitaufwand. Selbst die Fristen des § 1566 Abs. 2 BGB spielen in der Gerichtspraxis keine Rolle mehr.827 Widersetzt sich ein Ehegatte der Scheidung und ist die Dreijahresfrist noch nicht abgelaufen, wird anhand der Anhaltspunkte des Einzelfalls direkt unter den Grundtatbestand des § 1565 Abs. 1 BGB subsumiert, wobei ein Schwerpunkt auf den ernsthaften Willen des Antragstellers zur Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft gesetzt wird, ein Wille, der freilich eigentlich schon mit der Einreichung des Scheidungsantrags deutlich gemacht wird.828 Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes werden daher auch kaum noch Scheidungsanträge abgelehnt. Im Jahr 2014 wurden 166.354 Ehen geschieden, in lediglich 274 Fällen wurde die Scheidung abgelehnt, was einem Anteil von 0,16 % entspricht.829 Nicht genauer aufgeschlüsselt wird, wie viele dieser Fälle an der Hürde des § 1566 Abs. 2 BGB gescheitert sind, wonach womöglich zu schließen ist, dass diese Fälle empirisch gar nicht mehr vorkommen. Auch wird nicht angegeben, in wie vielen Fällen deutsches Recht anwendbar war oder ob die Abweisung prozessuale Gründen hatte. Die Abweisung des Scheidungsantrags wegen eines Härtefalls nach § 1568 BGB spielt mit 12 Fällen eine marginale Rolle.830 Das bedeutet jedoch nicht, dass dem Scheidungsverfahren kein materieller Gerechtigkeitsgehalt mehr zukäme. Auf die statistische Häufigkeit der Fälle kommt es dabei gar nicht an. Diese wäre erst entscheidend, wenn die Zahl der abgelehnten Scheidungsanträge seit Jahren bei null läge. Hier geht es eher um ein dogmatisches Problem, für das bloß entscheidend ist, dass die Fälle immer noch auftreten und jederzeit auftreten können. Zudem muss der Blick eine in826
Rauscher/Helms, Artikel 6 Rom III-VO, Rn. 10 f. So auch die Einschätzung bei Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 27 I 3, 5, S. 253 f.; Helms, FS Coester-Waltjen, S. 431, 433. 828 Helms, FS Coester-Waltjen, S. 431, 433. 829 Statistisches Bundesamt, Fachserie 1 Reihe 1.4, 2014, S. 19. 830 Statistisches Bundesamt, Fachserie 1 Reihe 1.4, 2014, S. 19. 827
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ternationalere Perspektive einnehmen. Nimmt man nur eine europäische Perspektive ein, zeichnet sich sicherlich ein Trend zur Erleichterung der Scheidung ab.831 So ist die Scheidung inzwischen in allen EU-Mitgliedstaaten zulässig.832 Auch herrscht in den meisten Ländern das Zerrüttungsprinzip vor, zugleich werden die Voraussetzungen für einverständliche Scheidungen immer weiter gesenkt.833 Dies sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine Scheidung auf Grund Verschuldens eines Ehegatten in einigen Mitgliedstaaten immer noch möglich ist, z. B. in Österreich und Frankreich.834 Die Trennungsfristen variieren auch deutlich innerhalb Europas. Irland etwa sieht eine Trennungsfrist von vier Jahren vor.835 Es ist nicht ausgeschlossen, dass dieses Verschulden dann auch auf die Scheidungsfolgen Einfluss ausübt, etwa auf den nachehelichen Unterhalt.836 Hieran wird übrigens auch deutlich, dass man die Rechtswahl nach der Rom III-VO nicht ganz losgelöst von den Scheidungsfolgen betrachten sollte. Zumindest für das Unterhaltsstatut können die Parteien eine Brücke schlagen, indem sie das nach der Rom III-VO gewählte Recht auch zum Unterhaltsstatut gemäß Artikel 8 Abs. 1 lit. d) küren. Es spielt auch eine Rolle für den Versorgungsausgleich nach Artikel 17 Abs. 3 S. 1 EGBGB.837 Die Gültigkeit der Rechtswahl im Scheidungsrecht hat daher mittelbar eine Relevanz für die Scheidungsfolgen Selbst wenn man den Trend in Europa derzeit als liberal betrachten und positiv bewerten kann, sind derlei Trends nicht in Stein gemeißelt. Sie können sich zum Nachteil der Eheleute auch wieder ändern. Zudem betrachtet man nur
831
Vgl. Dethloff, Familienrecht, § 6, Rn. 164 ff. Der letzte Staat, der an der Unauflösbarkeit der Ehe festhielt, Malta, hat zum 1.10.2011 die Scheidung eingeführt, vgl. Pietsch, FamRZ 2012, 426 f.; in anderen Ländern werden zudem Privatscheidungen etabliert, vgl. zu Frankreich Gaudemet-Tallon, LA Kohler, S. 91 ff. 833 Dethloff, Familienrecht, § 6, Rn. 164; Röthel, JbItalR 25 (2012), 3, 4 f.; vgl. auch Prinzip 1:4 der CEFL für Scheidungen und Ehegattenunterhalt, Boele-Woelki et al., Principles of European Family Law regarding divorce, S. 27. 834 Bergmann/Ferid/Henrich/Henrich/Schönberger, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Länderbericht Frankreich (Stand: 1. Februar 2014), S. 48; Bergmann/Ferid/Henrich/Lurger/Schwimann, Länderbericht Österreich (Stand: 1. Mai 2017), S. 54. 835 Rule 10.G Irish Circuit Court Rules; Boele-Woelki et al., Principles of European Family Law regarding Divorce, S. 29; im Gegensatz zum deutschen Recht kann diese Frist auch nicht immer umgangen werden. In Italien geht der Scheidung sogar die gerichtliche Feststellung der Einhaltung der Trennungsfrist voraus. Bis diese rechtskräftig ist, kann wieder eine deutliche Zeit vergehen, vgl. Süß/Cubbedu Wiedemann/Wiedemann, Eherecht in Europa, Italien, Rn. 162, Röthel, JbItalR 25 (2012), 3, 5. 836 So in Belgien, Bulgarien, Österreich, Polen, Portugal, vgl. Boele-Woelki et al., Principles of European Family Law regarding Divorce, S. 74 f. 837 Rauscher/Helms, Artikel 6 Rom III-VO, Rn. 10. 832
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einen Ausschnitt der Rechtslage weltweit. Außerhalb des europäischen Rechtskreises wird die Ausgestaltung des Scheidungsrechts weiter variieren.838 Hier gibt es vertragliche Privatscheidungen,839 Verschuldensscheidungen, Zerrüttungsscheidungen mit unterschiedlich langen Fristen, schließlich sogar vereinzelt noch Scheidungsverbote.840 Die sachrechtlichen Unterschiede können dabei durchaus das Ergebnis des Verfahrens beeinflussen, auch wenn sich der Verordnungsgeber mit Artikel 10 Rom III-VO Mühe gegeben hat, die Anwendung nichteuropäischen Rechts stark zurückzudrängen. Wenn sich auch in den Daten des Statistischen Bundesamtes kein wesentlicher Einfluss von § 1566 Abs. 2 BGB mehr finden lässt – es ist doch zu vermuten, dass die Zahl der Fälle, bei denen ausländisches Recht zur Abweisung des Antrags führt, größer ist.841 Wieder ist es nicht möglich, hier von Bedeutungslosigkeit zu sprechen. Es ist für die Beteiligten schon ein Unterschied, ob sie eine Scheidung nach einem Jahr erlangen können oder erst nach vier Jahren.842 Es ist wichtig, dass man nicht leichthin von einer Entmaterialisierung des Eherechts ausgehen sollte. Mit einer Abwertung der Unterschiede des Scheidungsrechts würde man der wesentlichen Bedeutung der Ehe nicht gerecht. Man muss sich deutlich machen, dass es bei der Scheidung um die Auflösung einer der wichtigsten Rechtsbeziehungen im Leben einer Person geht. Es kann daher wichtig für die Person sein, dass die Scheidung in einem Verfahren stattfindet, dessen grundlegende Wertentscheidungen die Beteiligten nachvollziehen und als legitim empfinden können. Hier hinein spielen auch Aspekte kultureller Identität.843 Sei es, weil man die Ehe für eine wichtige, grundsätzlich unauflösliche Institution hält und eine Scheidung deshalb emotional schwerer nimmt, wenn sie bereits nach einer kurzen Bedenkzeit vollzogen werden kann, oder sei es, weil man eine liberale und progressive Einstellung zur Ehe hat und es als belastend empfindet, wenn man trotz Enttäuschung über das Scheitern der Beziehung vier Jahre bis zu einer Ehescheidung warten muss. Daher könnte auch die Anwendung des deutschen Rechts für einige Personen je nach Hintergrund und Biographie eine Hürde darstellen. Für viele Menschen dürfte auch die Anwendung eines Rechts, das auf Verschulden abstellt, anstößig und unbillig wirken. Eine einseitige Verschuldenszuteilung könnte als Makel empfunden werden oder als Angriff auf die eigene Lebensführung. Sie wirkt wie ein anachronistischer Versuch, die Komplexität moderner Paarbeziehungen auf 838 Optimistisch bezüglich einer Annäherung der Familienrechte allgemein Boele-Woelki, RabelsZ 82 (2018), 1, 17 ff. 839 Vor allem in ostasiatischen Rechtsordnungen wie China, Japan, Südkorea, Taiwan und Thailand, vgl. Helms, FS Coester-Waltjen, S. 431, 432 m.w.N. 840 Hauptsächlich die Philippinen, vgl. Staudinger/Mankowski, Artikel 17 EGBGB, Rn. 20 f. 841 Helms, FS Coester-Waltjen, S. 431, 433. 842 Röthel, JbItalR 25 (2012), 3, 6. 843 Schack, RabelsZ 65 (2001), 615, 616.
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persönliche Verfehlungen herunter zu brechen.844 Diese emotionalen Aspekte lassen sich nur schwer fassen, sie hängen stark von den jeweiligen Partnern ab und sind auch nicht unbedingt rational auffangbar. Es ist jedenfalls davor zu warnen, die Ehescheidung als rein formellen Vorgang zu betrachten, an dem die Partner nur emotionslos beteiligt sind. Wenn sich eine Scheidung auch der Wunsch einer Partei nicht realisieren lässt, einer Scheidung ganz zu entgehen, so trifft den Staat doch eine Verantwortung, das Verfahren so zu gestalten, dass die Beteiligten es als legitim erleben können, die Chance haben, von seiner Richtigkeit überzeugt zu werden und mit dem Ergebnis (Rechts-)Frieden zu schließen. Das Scheidungsrecht bietet daher insgesamt genügend Möglichkeiten, die bei den Parteien für Frustration sorgen können. Der Eindruck, dass es bei der Scheidung um weniger ginge als im Unterhaltsrecht und im Güterrecht, mag zwar vom Standpunkt rein materieller (im Sinne von: finanzieller) Interessen richtig sein. Darauf kommt es aber nicht an. Auch wenn es einen Trend zur Liberalisierung der Scheidung gibt, kann diese doch für viele eine ganz persönliche und besondere Bedeutung im Leben der Parteien spielen, so dass es wichtig ist, dass die Anwendung eines bestimmten Scheidungsrechts auch tatsächlich vom Willen der Parteien getragen wird. Psychologisch kann es dadurch für die Beteiligten leichter sein, die Scheidung zu verarbeiten. Zumindest dürfte dieser Prozess schwieriger werden, wenn für die Scheidung eine Vereinbarung eine Rolle spielen sollte, die nicht vom freien Willen der Parteien getragen ist. Auch ganz praktisch kann das anwendbare Recht darüber entscheiden, ob ein Scheidungsantrag abgewiesen wird oder nicht. Solange dies theoretisch möglich ist, müssen darauf theoretische Antworten gegeben werden. Es ist daher wichtig, dass hierfür das richtige Recht bestimmt wird. Mit der Legitimität der Anwendung eines bestimmten Rechts kann daher das gesamte Scheidungsverfahren stehen und fallen. Eine unangemessene Bestimmung des Scheidungsstatuts kann zu einem frühen Zeitpunkt bereits einen gravierenden Fehler darstellen, der die Legitimität des Gesamtergebnisses in Frage stellt. Der Verordnungsgeber hat sich dafür entschieden, in der Rom III-VO den Willen der Parteien in den Mittelpunkt zu stellen. Diese Vorgabe ist genauso ernst zu nehmen wie im Unterhaltsrecht und im Güterrecht. Es müssen die gleichen Sorgfaltsanforderungen gelten.
844 In den Principles of European Family Law wird eine Verschuldensscheidung daher zu Recht für überflüssig gehalten, vgl. Boele-Woelki et al., Principles of European Family Law regarding Divorce, S. 26.
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II. Wer ist schwächere Person im Internationalen Familienrecht? Grundzüge des Schutzsystems Die Schutzgerüste des Bürgerlichen Rechts müssen nun auf das Kollisionsrecht übertragen werden. Durch diesen Transfer können Leitlinien des Schwächerenschutzes bei der Rechtswahl vorgegeben werden. Dieser kennt zwei Ansatzpunkte: Einmal kann das Recht Hilfestellung leisten, damit die Parteien die Anforderungen der Rechtswahl eigenverantwortlich bewältigen können.845 Diese Regeln begleiten den Vertragsschluss. Zusätzlich muss das Recht aber auch auf die Fälle reagieren können, in denen eine Hilfestellung versagt hat. Hier geht es um flexiblen, situativen Schutz.846 Dieser zweite Ansatz ist notwendig, hat aber den Nachteil, dass er nicht echte Vertragsfreiheit herstellen kann, sondern im Fall eines nicht mehr behebbaren Autonomiedefizits die schwächere Partei von den negativen Folgen des Vertrags freihalten. Beide Wege lassen sich auch im IPR beschreiten.847 1. Mögliche Defizite der Rechtswahl Damit stellt sich zunächst die Frage, auf welche Defizite es im Kollisionsrecht überhaupt ankommt. Aus dem Bürgerlichen Recht konnten unterschiedliche Problemkreise festgestellt werden: eine generelle Unreife, um Verträge abzuschließen und eine kontextabhängige Unfähigkeit das Geschäft und seine Folgen bewerten zu können. Zudem eine situativ schwache Verhandlungsposition, von der aus man keinen Einfluss auf den Vertragsinhalt nehmen kann. Bei der Rechtswahl im Internationalen Familienrecht können nun fast alle diese einzelnen Aspekte zusammenfließen. Eine generelle Unreife spielt dabei nicht so sehr im Internationalen Eherecht eine Rolle, sondern beim Unterhaltsrecht. Hier sind in sehr vielen Fällen Kinder die Unterhaltsberechtigten. Es stellt sich die Frage, ob man sie mit der Verantwortung einer Rechtswahl belasten sollte. In anderen Fällen ist ein generelles Verbot der Rechtswahl jedoch kaum vorstellbar.848 Hingegen wird es bei der Rechtswahl nicht darum gehen, dass eine Partei so dringend auf den Abschluss einer Rechtswahlvereinbarung angewiesen sein wird, dass sie aus diesem Grund kaum Möglichkeiten wahrnehmen kann um den Inhalt zu vereinbaren. Eine existentielle Not gibt es nicht. Wird eine Rechtswahl nicht vorgenommen, beruft das IPR nämlich nach objektiven Kriterien eine Rechtsordnung. Dabei kann der Anspruch erhoben werden, dass die Interessen beider Parteien respektiert werden.
845
Siehe oben § 2 B. II. 1. Dazu § 2 B. II. 2. 847 Rühl, FS Kropholler, S. 364, 368. 848 Insgesamt dazu unten § 3. 846
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
a) Das Informationsparadigma Das Hauptaugenmerk muss aber auf der spezifischen Unfähigkeit liegen, die Bedeutung und Folgen der Rechtswahl zu überblicken. Dieses liegt in einem Informationsdefizit der Parteien begründet.849 Während der durchschnittliche am Rechtsverkehr Beteiligte eine zwar nicht juristische, aber doch ausreichende Grundvorstellung von den einzelnen Vertragstypen des nationalen Sachrechts hat, sind die durchschnittlichen Kenntnisse der Bevölkerung im Familienrecht schon geringer.850 Oft hat man noch eine grobe Vorstellung über Voraussetzungen von Heirat und Scheidung, aber spätestens beim ehelichen Güterrecht oder beim nachehelichen Unterhalt reicht die Kenntnis nicht sehr weit. Daher sind besonders hier im deutschen Sachrecht die Formvorschriften auch sehr hoch. Es wird grundsätzlich darauf gesetzt, dass die Parteien Beratung durch einen Notar bekommen. Gelangt man jetzt auf die internationale Ebene, ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Parteien gut informiert sind, noch viel geringer. Die meisten Menschen wissen nicht, wie Kollisionsrecht funktioniert und haben kein Bewusstsein für die Frage, welches Recht auf ihren Fall zur Anwendung kommen soll. Ebenso gering ist ihr Wissen über das ausländische Familienrecht. Wenn schon Gerichte Gutachten in Auftrag geben müssen, um Auskunft über das ausländische Recht zu gelangen, dann muss das Wissen bei den Beteiligten des Rechtsstreits erst recht gering sein. Hierauf muss sich das Kollisionsrecht einstellen und Vorkehrungen treffen, die die Risiken einer Rechtswahl allen Parteien bewusstmacht. Die europäischen Rechtsakte machen deutlich, dass das Informationsparadigma den Schlüssel für den Schwächerenschutz im Familienrecht darstellt, Erwägungsgründe (17) ff. Rom III-VO, (47) EuEheGüVO, (46) EuPartGüVO. Auch Artikel 8 Abs. 5 HUP macht klar, dass dem Kenntnisstand der Parteien auch im Unterhaltsrecht besondere Bedeutung zukommt. b) Ausnutzung der Schwächesituation Der Blick in das nationale materielle Ehevertragsrecht hat bereits gezeigt, dass Schwächesituationen nicht bloß aus einem intellektuellen Ungleichgewicht entstehen, sondern oftmals aus einem sozialen oder psychischen Druck.851 Die Ausnutzung einer situativen Schwächeposition ist ein ebenso wichtiges Problem.
849 Vor allem Dethloff, FS Martiny, S. 41, 56 ff.; ausführlich zum Informationsparadigma noch unten § 8 A, II. 850 Dethloff, LA Pintens, S. 473, 476 ff. 851 Siehe als bestes Beispiel den Sachverhalt auf S. 132.
§ 2 Parteiautonomie und Schwächerenschutz
153
2. Umsetzung im Kollisionsrecht Die erste Frage muss nun lauten, welchen Defiziten der Parteiautonomie durch einen ex ante-Schutz beizukommen ist. Dieser Weg ist zunächst vorzugswürdig, da er dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit der Rechtsanwendung entgegenkommt. a) Bekämpfung des Informationsdefizits Die wichtigste Aufgabe besteht daher darin, den Parteien die notwendigen Informationen zu geben, damit sie eine freie Rechtswahl treffen können. Hierzu bieten sich hauptsächlich Formvorschriften an, am besten solche, bei denen die Parteien eine rechtliche Beratung erhalten.852 Dabei erscheint es jedoch nicht ausreichend, den Parteien bloß Informationen über das IPR zu geben und ihnen zu vermitteln, was sie bei einer Rechtswahl genau machen. Das Bild über die Rechtswahl ist unvollständig, wenn die Parteien nicht gleichzeitig auch Informationen über das wählbare Sachrecht erhalten. Sonst erfahren sie nur, dass die Rechtswahl immer risikobehaftet ist, können das Risiko aber nicht einschätzen. Das ist nicht genug, wenn man das Ziel der Verordnungen ernst nimmt, den Parteien die Planung ihrer Rechtsverhältnisse selbst in die Hand zu geben. Wenn man den Parteien also Informationen über alle in Frage kommenden Sachrechte der Welt gibt, können sie das für sie beste Recht wählen. Das ist jedoch offensichtlich utopisch. Der Versuch würde die Parteien überfordern. Daher bedarf die Rechtswahl nicht nur formeller Hürden, sondern eines ganz wichtigen Schritts, der der Information vorgelagert ist: Die Rechtswahl ist notwendig zu begrenzen auf Rechtsordnungen, zu denen die Ehegatten bereits eine enge Verbindung haben und die in Kombination mit dem Parteiwillen zur engsten Verbindung aufgewertet werden können.853 Es geht dabei nicht darum, die Parteien einzuschränken, sondern sie von einer Eigenverantwortung zu entlasten, der sie nicht gerecht werden können. Die Einschränkung hat sich dabei am Leitbild der engsten Verbindung zu orientieren. Damit ist sichergestellt, dass die Rechtswahl unter dem Aspekt internationalprivatrechtlicher Gerechtigkeit überzeugt. Allein die Tatsache, dass im Internationalen Familienrecht die Rechtswahlmöglichkeiten beschränkt sind, beweist, dass die kollisionsrechtliche Gerechtigkeit noch eine Rolle im EIPR spielt.854
852
Nur Coester/Coester-Waltjen, LA Schurig, S. 33, 44. Siehe nur Maultzsch, Parteiautonomie im Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht, S. 153, 168. 854 Letztlich nicht überzeugend daher Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 450 f. 853
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
b) Bekämpfung des Ausnutzens von Schwächesituationen aa) Keine Möglichkeit der Generalisierung Um Schwächesituationen ex ante bekämpfen zu können, müssen entweder die schwächeren Parteien eindeutig typisiert werden können, oder aber die Konstellation, in der eine Machtasymmetrie das Verhandlungsgleichgewicht bedroht. Für diese Fälle könnten zwingende Regeln erlassen werden. Voraussetzung für eine gesetzliche Regelung ist jedoch, dass die Typisierung eine hinreichende Plausibilität besitzt. Es reicht nicht aus, dass in bestimmten Konstellationen typischerweise Imparitäten auftreten. Diese müssen vielmehr in einer hinreichenden Anzahl auftreten, um auch eine Einschränkung der Vertragsfreiheit in allen nicht von Unterlegenheit geprägten Fällen zu rechtfertigen.855 Dies ist manchmal einfach und offensichtlich, wie bei Arbeitnehmern und Arbeitgebern, Mietern und Vermietern, sogar noch Unternehmern und Verbrauchern. Im Bereich des Internationalen Familienrechts ergibt sich jedoch ein ebenso schwieriges Bild wie bei den Eheverträgen im nationalen Recht. Generell schwächere Parteien sind kaum zu identifizieren.856 So wie dort, verbietet sich auch hier eine grobe Schwarz-Weiß-Einteilung, die eine strukturelle Schwächeposition mit dem Geschlecht verknüpft. Gleichzeitig könnte es nicht ausreichend sein, nur bestimmte Situationen zu erfassen, etwa Sonderregeln für Schwangere, weil dadurch wieder anders gelagerte Fälle aus dem Raster fallen könnten. bb) Kein Günstigkeitsvergleich Deshalb fällt ein effizientes, aber in seinem Schematismus doch zu grobes Hilfsinstrument für das Internationale Familienrecht aus: der Günstigkeitsvergleich. Dieser wird gelegentlich als ausreichender Schutz vorgeschlagen, da er der schwächeren Partei den Schutz zwingender Normen ihres gewöhnlichen Umweltrechts gewähre.857 Wenn sich eine schwächere Partei jedoch gar nicht ausmachen lässt, dann kann auch nicht das günstigste Recht angewandt werden. Es lässt sich nämlich nicht entscheiden, für wen das Recht günstiger sein soll. Der Günstigkeitsvergleich geht zudem immer am Kern des Problems vorbei. Er nimmt hin, dass eine Person schwächer ist, ohne zu versuchen, diese Schwäche zu beheben. Der Versuch der Rechtswahlbeschränkung hingegen nimmt die Informationsdefizite der Parteien grundsätzlich nicht hin, sondern trifft eine
855
Siehe oben § 2. B. II. 3. Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 471; siehe oben § 2. C. II. 857 Zur Vorzugswürdigkeit des Günstigkeitsvergleichs für den Schwächerenschutz Rühl, FS von Hoffmann, S. 364, 373. 856
§ 2 Parteiautonomie und Schwächerenschutz
155
Vorauswahl von eng mit dem Sachverhalt verbundenen Rechten, über die dann eine Information der Parteien zu erfolgen hat. cc) Flexibler Schutz im Einzelfall In besonderen Fällen kann der Schutz im Familienrecht daher nur ex post erfolgen. Damit wird zwar die Einzelfallgerechtigkeit erhöht, die Rechtssicherheit jedoch eingeschränkt. Dies ist in den Fällen der Fremdbestimmung hinzunehmen. Auf solche Art geschlossene Vereinbarungen verdienen die Billigung der Rechtsordnung nicht. Gleichzeitig ist dafür zu sorgen, dass die Sensoren des Rechts für Störungen der Autonomie so sensibilisiert werden, dass tatsächlich auch nur diese Fälle erfasst werden. Es muss der Gefahr begegnet werden, dass die Selbstbestimmung der Parteien von Gerichten prinzipiell infrage gestellt wird. Die nachträgliche Kontrolle muss sich auf den Einzelfall und auf Ausnahmesituationen beschränken. Daraus ergeben sich die möglichen Schutzmittel. Zunächst könnte man sich überlegen, diejenigen Korrekturmechanismen zu aktivieren, die dem IPR bereits vertraut sind. In erster Linie wird zu sehen sein, ob die Abwehrklausel des ordre public oder eng damit verwandte Instrumente bereits ausreichen. Sollte es hier jedoch grundlegende Defizite geben, ist über ein weiteres Instrument nachzudenken, nämlich eine Wirksamkeitskontrolle, wie sie dem deutschen Recht bereits bekannt ist.858 Mit Artikel 8 Abs. 5 HUP wurde bereits ein Modell für eine solche Wirksamkeitskontrolle etabliert, die ihrerseits aber durch den Informationsstand der Parteien begrenzt wird. Ob dieser Ansatz hinreichend ist oder ob er an wichtigen Fällen scheitert, bleibt zu begutachten. Ob darüber hinaus eine Wirksamkeitskontrolle in anderen Rechtsakten des Europäischen Privatrechts möglich ist, steht völlig offen. Möglichkeiten und Grenzen dieses neuen kollisionsrechtlichen Instruments sowie sein Verhältnis zu den traditionellen Instrumenten sind daher genau zu untersuchen. Als besonderes Problem der Wirksamkeitskontrolle stellt sich im Kollisionsrecht die Frage, nach welchen Maßstäben die Unbilligkeit eines Ergebnisses festgestellt werden soll. Das Verhältnis von internationalprivatrechtlicher und sachrechtlicher Gerechtigkeit im Internationalen Familienrecht wurde noch nicht eindeutig bestimmt. Nach allem, was bereits ausgeführt wurde, dürfte feststehen, dass die IPR-Gerechtigkeit nicht vollkommen an Bedeutung verloren hat. Die materiellrechtliche Gerechtigkeit hat jedoch ohne Zweifel einen stärkeren Einfluss auf die Anknüpfung von Rechtsverhältnissen bekommen.859 Dies wird sich auch im Familienrecht widerspiegeln müssen.
858 859
Jayme, Die Kodifikationsidee, S. 63, 72; dazu unten ausführlich § 8. Siehe oben § 1. B. II. 2. b).
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1. Kap.: Materialisierung und Schwächerenschutz
III. Fazit: doppelt-flexibles Recht Ziel des 1. Kapitels war es, den Begriff der Materialisierung einzuführen. Dieser Begriff bezeichnet einen Wesenszug modernen Rechts: seine Reflexivität und Responsivität. Will sich das selbstreferentiell und autopoietisch operierende Recht nicht komplett von seiner Umwelt entfremden, muss es ständig überprüfen, ob die Ergebnisse des formalen Rechtsgewinnungsprozesses tatsächlich den materiellen Bedürfnissen eben dieser Umwelt entsprechen. Will es weiter den Anspruch legitimen Rechts erheben, muss es also bereit sein, sich zu ändern. Materialisierung darf dabei nicht nur als strikter Gegensatz von formellem Recht verstanden werden, als ein willkürliches Springen von Einzelfall zu Einzelfall. Formalisierung und Materialisierung stehen in einem dialektischen Verhältnis. Das eine enthält das andere und beide bringen sich erst hervor. Materialisierung ist jedoch immer ein starker Bruch mit dem Systemdenken der Rechtswissenschaft. Die Idee der „selbstsubversiven Gerechtigkeit“ fasst diesen Bruchzusammen. Bezeichnend für das moderne Recht ist daher nicht, dass es eine nur formelle oder nur materielle Qualität besitzt, sondern dass es durch eine offene Entwicklung geprägt ist und somit beide Aspekte aufweist. Im Anschluss wurde dies an der Entwicklung des Kollisionsrechts bestätigt. Hier konnte gezeigt werden, dass sich das IPR immer stärker an den tatsächlichen und nicht bloß vermuteten Interessen der Parteien ausrichtet und seinen eigenen Gerechtigkeitsanspruch immer weiter verfeinert und neu ausdifferenziert. Vorläufiger Höhepunkt dieses Prozesses ist die Gewährung von Parteiautonomie. Die Entwicklung des IPR verläuft somit zwar zeitlich versetzt, aber im Grunde parallel zum Privatrecht. Die Gewährung von Rechtswahlmöglichkeiten steht in ihrer Reichweite der Anerkennung der Privatautonomie im Sachrecht gleich. Hier hat sich aber gezeigt, dass eine unbeschränkte Vertragsfreiheit materiellen Gerechtigkeitserwägungen nicht gerecht wird und notwendig der Ergänzung um ein Prinzip des Schutzes schwächerer Parteien bedarf, damit die formelle Selbstbestimmung nicht in tatsächliche Fremdbestimmung umschlägt. Ausgangspunkt für den Schwächerenschutz ist dabei die Theorie von der Richtigkeit des Vertrags. Dieser Befund ist auf das Kollisionsrecht übertragbar. Es lässt sich somit eine parallele, aber zeitlich verschobene Entwicklung von Bürgerlichem Recht und IPR belegen. Nur wenn die Parteien autonom das Recht wählen können, kommt auch das unbestritten richtige Recht zur Anwendung. Das IPR muss daher im Bereich des Familienrechts Schutz dieser Autonomie sicherstellen. Parteiautonomie ist hier neu. Aspekte internationalprivatrechtlicher Gerechtigkeit haben zudem wegen des sehr persönlichen Einschnitts in das Leben der Beteiligten gleichzeitig noch einen höheren Stellenwert als im internationalen Geschäftsverkehr.
§ 2 Parteiautonomie und Schwächerenschutz
157
Da eine grundsätzlich schutzbedürftige Partei im Familienrecht nicht identifiziert werden kann, sondern nur ein häufig auftretendes Defizit in der Entscheidungssituation – fehlende Kenntnis des gewählten Rechts –, muss das Recht Schutz verwirklichen, indem es die Wissenslücken beider Parteien durch Information abbaut. Im Besonderen Teil ist daher zunächst zu untersuchen, ob die Begrenzung der Rechtswahlmöglichkeiten sinnvoll und kohärent ist und ob die formellen Voraussetzungen der Rechtswahl zu einem ausreichenden Schutzniveau beitragen oder zu durchlässig sind. Anschließend gilt es, sich dem flexiblen Schutz zu widmen. Hierfür werden der ordre public und ihm verwandte Instrumente in den Blick genommen. Abschließend muss die Methode der Wirksamkeitskontrolle genauer untersucht werden. Allgemein lässt sich sagen, dass dieser flexible Schutz auf eine doppelte Herausforderung reagieren muss. Zum einen lässt sich nicht genau sagen, in welcher Situation eine Person schutzwürdig ist. Es ist zumindest zweifelhaft, ob es schon ausreicht, wenn sie über die Folgen der Wahl informiert ist. Zum anderen ist nicht ganz klar, auf welchen Gerechtigkeitsaspekt der IPR-Gerechtigkeit es bei der Feststellung ankommt, ob ein Ergebnis extrem unbillig ist. IPR-Interessen und das materiellrechtliche Ergebnis müssen hier in ein bestimmtes Rangverhältnis gesetzt oder es muss eine flexiblere Formel gefunden werden. Auf Grund dieser Schwierigkeiten zeichnet sich jedoch bereits ab, dass ein solch flexibler Schutz nur auf absolute Ausnahmefälle beschränkt sein kann.
Kapitel 2
Schwächerenschutz bei der Rechtswahl § 3 Verbot der Rechtswahl § 3 Verbot der Rechtswahl
Die stärkste Möglichkeit, Parteien vor den Herausforderungen einer Rechtswahl zu schützen, besteht darin, diese gar nicht erst zuzulassen. Da es hingegen gute Gründe gibt, sowohl nach klassischer internationalprivatrechtlicher Gerechtigkeit als auch nach den vom europäischen Gesetzgeber selbst bestimmten Zielen Parteiautonomie zu gewährleisten, kann dieses Verbot nur ultima ratio sein und nur greifen, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, dass die Parteien selbstbestimmt über ihre Rechtsverhältnisse entscheiden. Dementsprechend selten sind komplette Rechtswahlverbote im Europäischen Familienrecht. Diese sind im Folgenden näher zu betrachten. A. HUP I. Ausgeschlossene Rechtswahl für bestimmte Unterhaltsverpflichtungen nach Artikel 8 Abs. 3 HUP 1. Grundsätzliches Die wichtigste Norm, die ein Rechtswahlverbot für bestimmte Personengruppen und Unterhaltspflichten vorsieht, ist Artikel 8 Abs. 3 HUP. Eine Rechtswahl nach Artikel 8 Abs. 1 HUP ist demnach ausgeschlossen für Unterhaltspflichten betreffend eine Person, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, oder einen Erwachsenen, der auf Grund einer Beeinträchtigung oder der Unzulänglichkeit seiner persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage ist, seine Interessen zu schützen. Das HUP sieht hier ein Rechtswahlverbot für diejenigen Gruppen vor, die auch nach nationalem Recht als die schwächsten angesehen werden im Hinblick auf die Fähigkeit, rechtsgeschäftlich zu handeln. Minderjährige und unterstützungsbedürftige Erwachsene werden im materiellen Recht als die Personen identifiziert, bei denen die Richtigkeitsgewähr des Vertragsschlusses ohne Zweifel nicht greift.1 Sie können zwar ihren Willen frei äußern, ihnen fehlt aber die Reife und das Verantwortungsbewusstsein, um die Folgen der Rechtswahl überblicken zu können. Die Begründung für eine Beschränkung lässt sich aus
1
Siehe oben § 2 B. II. 1.
§ 3 Verbot der Rechtswahl
159
dem materiellen Recht direkt auf die internationale Ebene übertragen.2 Um die in der Person selbst liegenden Defizite auszugleichen müsste ein zu großer Aufwand betrieben werden und die Person beim Abschluss des Rechtswahlvertrags Schritt für Schritt und mit viel Mühe und besonders hohem Erklärungsaufwand begleitet werden. Da dieser Aufwand nicht realisierbar ist, muss eine alternative Lösung gefunden werden. Ein Weg könnte darin bestehen, Rechtswahlfreiheit zu gewähren, ihre Ausübung aber auf den gesetzlichen Vertreter zu übertragen. Im materiellen deutschen Recht umfasst die elterliche Sorge auch die Vertretung des Kindes, §§ 1626 Abs. 1, 1629 Abs. 1 BGB. Überzeugend scheint dies als generelle Lösung jedoch nicht.3 Hierbei muss man bedenken, dass es in Unterhaltsfällen, die Minderjährige betreffen, nahezu ausschließlich um Fragen des Kindesunterhalts gegenüber den Eltern geht. Die Eltern sind aber in vielen Fällen auch die Sorge- und damit auch Vertretungsberechtigten. Es droht die Gefahr eines Insichgeschäftes. So wie § 181 BGB und § 1614 Abs. 1 BGB einem Missbrauch materiellrechtlich vorbeugen, muss es den Eltern auch auf kollisionsrechtlicher Ebene untersagt werden, das anwendbare Unterhaltsstatut im Namen des Kindes zu bestimmen.4 Eine praktische Notwendigkeit der Rechtswahl besteht zudem nicht, weil anstelle der Rechtswahl die objektive Anknüpfung treten kann. Dies ist bei der rechtsgeschäftlichen Vertretung im materiellen Recht nicht möglich. Anders mag es in dem Moment sein, wenn zum Zwecke eines einzelnen Verfahrens das Recht nach Artikel 7 HUP gewählt werden soll. Typischerweise hat der beklagte Elternteil hier nämlich nicht mehr die Elternsorge. Gleichzeitig mit der Versagung der Parteiautonomie für die Fälle des Artikels 7 Absatzes 3 HUP ist aber auch zu verlangen, dass sie auch nur auf jene Personengruppen beschränkt wird. Andere Personen, bei denen generell und grundsätzlich vermutet werden kann, dass sie den Anforderungen der Rechtswahl auch mit angemessener Hilfestellung nicht gewachsen sind, sind nicht feststellbar. 2. Einzelfragen a) Unterstützungsbedürftige Erwachsene Erwachsene definiert das HUP vertragsautonom als alle Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben.5 Die Umschreibung der Schutzbedürftigkeit ist an 2 Gruber, Der Schutz schwächerer Personen im Familien- und Erbrecht, S. 336, 343; vgl. auch Jayme, Die Kodifikationsidee, S. 63, 72, mit dem Hinweis, dass Ehegatten auch nicht vertraglich über Unterhaltspflichten für diese Personen bestimmen könnten. 3 Zur Ausnahme bei Artikel 7 HUP, siehe sogleich. 4 Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 469; NK-BGB/Bach, Artikel 8 HUP, Rn. 3; Staudinger/Mankowski, Artikel 8 HUP, Rn. 65; Lipp, LA Pintens, S. 847, 858; Rieck, NJW 2014, 257, 258. 5 Rauscher/Andrae, Artikel 8 HUP, Rn. 19.
160
2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
das Haager Übereinkommen über den internationalen Schutz von Erwachsenen vom 13. Januar 20006 angelehnt, das daher für die Auslegung herangezogen werden kann.7 b) Personen unter 18 Jahren aa) Grundsätzliches zur Form Bei der Beschränkung auf Personen unter 18 Jahren galt es, mehrere Fragen zu klären. Zuerst musste vertragsautonom die Altersgrenze der Schutzbedürftigkeit festgelegt werden. Hier hätte sich auch eine höhere Grenze von 21 Jahren angeboten. Artikel 4 Abs. 1 lit. b) i.V.m. Abs. 2, 3, 4 HUP sieht für Unterhaltspflichten gegenüber Personen, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, subsidiäre Anknüpfungen vor, falls nach dem objektiv berufenen Recht keine Unterhaltspflicht besteht. Man entschied sich für die Grenze von 18 Jahren, da in den meisten teilnehmenden Staaten zu diesem Zeitpunkt Volljährigkeit eintritt und die Personen wegen der Korrekturmöglichkeiten von Artikel 8 Abs. 5 HUP nicht schutzlos waren.8 Diese Entscheidung ist gut nachvollziehbar. Die zweite Frage war, ob ein Verweisungsvertrag auch ausgeschlossen werden könnte, wenn die Person unter 18 Jahren vertreten sei. Da in der Regel aber Kinder durch ihre Eltern vertreten werden und in den meisten Fällen eine Unterhaltspflicht der Eltern gegen das Kind im Raume stand, hielt man einen Interessenkonflikt für zu wahrscheinlich und erlaubte auch diese Möglichkeit nicht.9 Vom Standpunkt der Kindesinteressen aus ist das ebenfalls überzeugend. bb) Wahl der lex fori Der Ausschluss bezieht sich jedoch nur auf die Rechtswahl nach Artikel 8 Abs. 1 HUP, nicht für die Rechtswahl nach Artikel 7 HUP.10 Nach dieser Vorschrift kann für die Zwecke eines bestimmten Verfahrens die jeweilige lex fori gewählt werden. Diese Wahl hat den Vorteil, dass sie die Rechtsanwendung vereinfacht, den Prozess günstiger macht und verkürzt.11 Auch wenn die Wahl nach Artikel 7 Abs. 1 HUP grundsätzlich auch für Minderjährige offensteht, dürfte sie in den meisten Fällen faktisch erschwert sein. Das Geschäftsfähigkeitsstatut, das für jede Partei selbstständig als Vorfrage zu bestimmen ist,12 6
BGBl. 2007 II, S. 323. Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 127; Gruber, FS Spellenberg, S. 177, 190. 8 Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 128; Rauscher/Andrae, Artikel 8 HUP, Rn. 19. 9 Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 128. 10 Gruber, FS Spellenberg, S. 177, 190. 11 Rauscher/Andrae, Artikel 7 HUP, Rn. 1. 12 NK-BGB/Bach, Artikel 7 HUP, Rn. 13; Staudinger/Mankowski, Artikel 7 HUP, Rn. 6. 7
§ 3 Verbot der Rechtswahl
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wird in der Regel vorsehen, dass Minderjährige nicht voll geschäftsfähig sind und keine Rechtswahl ausüben können.13 Minderjährige müssen daher vertreten werden. Eine Vertretung bei der Rechtswahl ist grundsätzlich möglich.14 Die Regeln zur Vertretung fallen nicht unter das Unterhaltsstatut.15 Das gilt auch für die gesetzliche Vertretungsmacht, für die Artikel 11 lit. d) HUP nicht anwendbar ist, da die Vorschrift explizit prozessuale Fragen ausklammert und die Wahl der lex fori für ein einzelnes Verfahren unter diese Ausnahme fällt.16 Ob eine gesetzliche Vertretungsmacht für die Rechtswahl besteht, ist daher selbstständig anzuknüpfen.17 In Deutschland und vielen anderen Staaten sind hier die Kollisionsregeln des KSÜ maßgebend: Artikel 16 KSÜ bezeichnet das Recht, nach dem die elterliche Verantwortung bestimmt wird, Artikel 17 KSÜ das Recht, nach dem sich die Ausübung der elterlichen Verantwortung richtet.18 Unter die Ausübung nach Artikel 17 KSÜ fällt auch die Frage des Verbots eines Insichgeschäfts.19 Viele Staaten sehen ein solches Verbot vor, Deutschland etwa in § 181 BGB. Aus diesem Grund wird eine Wahl der lex fori in den Fällen, in denen es um Kindesunterhalt geht, nicht ohne weiteres möglich sein.20 Möglich wird sie vor allem, wenn das Kind durch einen Anwalt vertreten wird. Eine analoge Anwendung von Artikel 4 Abs. 3 S. 2 HUP scheidet hier aus, da man einem Anwalt zutrauen kann, die Folgen der Rechtswahl der lex fori zu überblicken.21 Nur für den sehr unwahrscheinlichen Fall, dass ein mitgliedstaatliches Recht ein Verbot des Insichgeschäfts nicht vorsieht und eine Rechtswahl nach Artikel 7 HUP zur Anwendung eines Rechts führt, das nicht das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes ist und das dem Kind keinen Unterhaltsanspruch gewährt, ist Artikel 4 Abs. 3 S. 2 HUP analog anzuwenden, da in diesen Fällen alle Schutzmechanismen versagt haben und weder eine Inhaltskontrolle nach Artikel 8 Abs. 5 HUP möglich ist noch eine Korrektur über Artikel 14 HUP. Diese Konstellation ist aber, wie gesagt, praktisch nahezu ausgeschlossen.
13
NK-BGB/Bach, Artikel 7 HUP, Rn. 3. Hausmann, FS Martiny, S. 345, 347. 15 Rauscher/Andrae, Artikel 7 HUP, Rn. 4; Staudinger/Mankowski, Artikel 7, Rn. 11. 16 Staudinger/Mankowski, Artikel 7, Rn. 11. 17 Hausmann, FS Martiny, S. 348, 349 hält es für ausreichend, wenn nach Unterhaltsstatut oder nach selbstständiger Anknüpfung eine Vertretungsmacht besteht. 18 Rauscher/Andrae, Artikel 7 HUP, Rn. 4. 19 Staudinger/Pirrung, KSÜ, G 112. 20 NK-BGB/Bach, Artikel 7 HUP, Rn. 3. 21 Insoweit ist Lipp, LA Pintens, S. 847, 855 zuzustimmen. 14
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
cc) Alternative: Günstigkeitsvergleich? In der Literatur wurde vorgeschlagen, das Verbot des Artikels 8 Abs. 3 HUP teleologisch in favorem creditoris zu reduzieren, falls das gewählte Recht für den Unterhaltsberechtigten offensichtlich sehr viel günstiger sei.22 Ein solcher Vorschlag lässt sich jedoch nicht mit dem Gesetz und der Funktion von Parteiautonomie vereinbaren. Das Unterhaltsprotokoll erlaubt die Rechtswahl, weil es den frei gebildeten gemeinsamen Willen der Parteien akzeptiert. Dabei geht es von einem materiellen Freiheitsbegriff aus und der Idee, dass die Parteien tatsächlich die Möglichkeit haben müssen, die Folgen der Rechtswahl vollständig zu überblicken. Diese Bedingung ist aber bei Personen, die unter Artikel 8 Abs. 3 HUP fallen, nicht erfüllt. Es ist daher nicht vertretbar, die Willenserklärung dieser Personen ausnahmsweise dann als gültig anzusehen, wenn sie zufällig zu einem günstigen Ergebnis führt. Das wäre letztlich keine subjektive Anknüpfung, sondern eine gerichtlich gebilligte, aber eigentlich ungültige Rechtswahl, mithin eine objektive Anknüpfung. Dem objektiven Anknüpfungssystem des HUP sind alternative Anknüpfungen nach dem Kriterium der Meistbegünstigung aber fremd. Ein Günstigkeitsvergleich eignet sich daher grundsätzlich nicht für die Rechtswahl von Minderjährigen und unterstützungsbedürftigen Erwachsenen. Die Situation ist hier eine andere als bei den Verbraucherverträgen nach Artikel 6 Abs. 2 Rom I-VO, weil Minderjährige aus sich heraus schon keine gültige Rechtswahl herbeiführen können, die dann aus Schutzgesichtspunkten korrigiert werden könnte. II. Geltung der lex fori für den Unterhaltsverzicht, Artikel 8 Abs. 4 HUP Artikel 8 Abs. 4 HUP unterstellt die Frage, ob eine unterhaltsberechtigte Person auf ihren Anspruch verzichten kann, ungeachtet des gewählten Rechts, dem Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigen. Diese Regelung hat deutlich einen individualschützenden Charakter: Sie soll verhindern, dass Parteien einen Unterhaltsanspruch verlieren, der ihnen nach dem objektiv anwendbaren Recht nicht genommen werden könnte.23 Für den Unterhaltsverzicht wird eine Sonderanknüpfung vorgenommen. Die Anwendung des Rechts am gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten rechtfertigt sich dadurch, dass der Berechtigte durch den Verzicht in eine finanzielle Notlage geraten kann, in der er nur durch das staatliche Netz des Sozialrechts aufgefangen werden muss. Es wird vom Recht am gewöhnlichen Aufenthalt er-
22
MK-BGB/Siehr, 6. Auflage, Artikel 8 HUP, Rn. 20 f.; allgemein zur Vorzugswürdigkeit des Günstigkeitsvergleich als Schwächerenschutz im IPR Rühl, FS von Hoffmann, S. 364, 373. 23 Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 147; Gruber, Der Schutz schwächerer Personen im Familien- und Erbrecht, S. 336, 347.
§ 3 Verbot der Rechtswahl
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wartet, dass es einen Verzicht nur zulässt, wenn diese Absicherung gewährleistet ist. Da es hier um elementare Lebensbedürfnisse geht, ist diese zwingende Sonderanknüpfung sachgerecht. Hier kann wieder beobachtet werden, dass eine Regelungstechnik des Sachrechts auf die internationale Ebene übertragen werden kann. Neben ihrer individualschützenden Wirkung bedient die Norm zudem noch hoheitliche Interessen, nämlich die Bewahrung der öffentlichen Sozialkassen vor Inanspruchnahme wegen Mittellosigkeit. Allerdings ändert dieser Aspekt nichts am grundsätzlich individualschützenden Charakter der Vorschrift. Die Norm des Artikels 8 Abs. 4 HUP greift nach ihrem Wortlaut einen zweischrittigen Fall auf: Zunächst wählen die Parteien ein Recht, das einen Unterhaltsanspruch zulässt, worauf im zweiten Schritt der Gläubiger materiellrechtlich den Verzicht erklärt.24 Nach dem erläuternden Bericht von Bonomi soll die Norm aber auch auf den Fall Anwendung finden, dass die Parteien ein Recht wählen, nach dem der Gläubiger gar keinen Unterhaltsanspruch hat.25 Eine solche Rechtswahl solle als Verzicht begriffen werden. Doch lässt sich diese Auslegung nicht mit Artikel 8 Abs. 4 HUP vereinbaren.26 Nimmt man das Wort „verzichten“ ernst, so kann man nur auf etwas verzichten, auf das man zumindest einen Anspruch hat. Ob eine Person einen Unterhaltsanspruch hat, bestimmt sich jedoch nach dem anwendbaren Recht. Dieses anwendbare Recht wird aber durch die Rechtswahl erst bestimmt. Die Rechtswahl geht der objektiven Anknüpfung vor. Man kann also nicht sagen, dass eine Person einen Unterhaltsanspruch hat, auf den sie per Rechtswahl verzichtet, da das gewählte Recht erst festlegt, ob die Person überhaupt einen Anspruch hat. Wirtschaftlich betrachtet mag zwar kein Unterschied bestehen zwischen einer solchen Rechtswahl und einem materiellrechtlichen Unterhaltsverzicht. Unter Berücksichtigung der Perspektive der Person, die die negativen Folgen einer solchen Wahl trifft, und nach dem allgemeinen Sprachgebrauch, der sicher nicht auf die soeben beschriebenen juristischen Feinheiten achtet, könnte man eine solche Rechtswahl aber wohl noch unter den Begriff des Verzichts fassen.27 Aber spätestens aus der Formulierung, dass sich der Unterhaltsverzicht nach einem bestimmten Recht richten soll, ergibt, dass nur ein sachrechtlicher Unterhaltsverzicht gemeint sein kann. Die Rechtswahl kann sich nicht nach dem Recht am gewöhnlichen Aufenthalt richten, sondern hat den Regeln des Haager Unterhaltsprotokolls zu folgen.
24
Prinz, Das neue Internationale Unterhaltsrecht, S. 229. Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 149; zustimmend Palandt/Thorn, HUP, Rn. 32; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, C, Rn. 685; BeckOKBGB/Heiderhoff, Artikel 8 HUP, Rn. 17. 26 Prinz, Das neue Internationale Unterhaltsrecht, S. 234; Rauscher/Andrae, Artikel 8 HUP, Rn. 23. 27 BeckOK-BGB/Heiderhoff, Artikel 8 HUP, Rn. 17. 25
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
Da der Fall der Wahl eines Rechts ohne Unterhaltsanspruch für den Berechtigten somit nicht von Artikel 8 Abs. 4 HUP umfasst ist, kann über eine Analogie nachgedacht werden.28 Immerhin legt der Bonomi-Bericht eine solche Anwendung nahe. Zudem könnte der Gedanke der Gesetzesumgehung dafür streiten. Die Parteien könnten sonst die Hürden des Aufenthaltsrechts durch eine Rechtswahl übergehen. Für eine solche Analogie fehlt es allerdings an einer Regelungslücke. Für den Fall, dass die Person nach gewähltem Recht keinen Unterhalt erhält, der ihr nach objektiv berufenem Recht zustünde, greift die Wirksamkeitskontrolle nach Artikel 8 Abs. 5 HUP.29 Entscheidend für die Annahme einer Lücke muss sein, ob die betroffene Partei ausreichend geschützt ist. Hier eignet sich die Wirksamkeitskontrolle besser für einen Schutz der Parteien als der strikte Artikel 8 Abs. 4 HUP, da sie sowohl auf die Unangemessenheit des Ergebnisses reagieren kann als auch die persönliche Schutzbedürftigkeit der Partei im Auge behält. B. EuPartGüVO-E Vom Grundsatz der Parteiautonomie im Europäischen Kollisionsrecht machte der Entwurf zur Verordnung über das anwendbare Recht für die güterrechtlichen Wirkungen eingetragener Partnerschaften eine Ausnahme: Der Entwurf sah lediglich eine objektive Anknüpfung an das Recht des Registerortes der Partnerschaft vor, enthielt aber keine Rechtswahlmöglichkeit.30 Diese Einschränkung stieß in der Literatur zu Recht auf Kritik.31 Es ist offensichtlich, dass die Beschränkung nicht auf eine konstitutionelle Unfähigkeit von Partnern, ein angemessenes Güterrechtsstatut zu wählen, zurückzuführen war, sondern wohl hauptsächlich durch ein Misstrauen gegenüber eingetragenen Partnerschaften politisch motiviert war. Es wurde einmal argumentiert, dass die Partnerschaften in den mitgliedstaatlichen Rechten zu unterschiedlich ausgestaltet seien. Das lade zum law shopping ein und berge für die Parteien auch die Gefahr, ein Recht zu wählen, das gar keine Regeln für Partnerschaften vorsieht.32 Das ist jedoch kein Grund, den Parteien nicht wenigstens die Wahl zwischen denjenigen Rechtsordnungen zu erlauben, die eine solche Wahl vorsehen.33 28
Prinz, Das neue Internationale Unterhaltsrecht, S. 234; Palandt/Thorn, HUP, Rn. 32. Rauscher/Andrae, Artikel 8 HUP, Rn. 23; a.A. Prinz, Das neue Internationale Unterhaltsrecht, S. 234 ff., die allerdings auf die Möglichkeit der Wirksamkeitskontrolle gar nicht eingeht. 30 Vorschlag vom 16. März 2011 für eine Verordnung über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Güterrechts eingetragener Partnerschaften, KOM(2011) 127. 31 Rauscher/Kroll-Ludwigs, Einführung EuPartGüVO-E, Rn. 8 ff.; Martiny, IPRax 2011, 437, 456; Buschbaum/Simon, RCDIP 2011, 801, 807. 32 Döbereiner, MittBayNot 2011, 463, 466 f. 33 Buschbaum/Simon, RCDIP 2011, 801, 807. 29
§ 4 Begrenzte Rechtswahlmöglichkeiten
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Auch die Unterschiede in den Rechtsordnungen rechtfertigen dies nicht. Immerhin haben die Parteien zu diesen Rechten immer einen Bezug. Ihnen die Möglichkeit zu versagen, ihre Partnerschaft eigenständig zu gestalten, verstößt gegen das Diskriminierungsverbot der Artikel 20, 21 der Grundrechtecharta.34 Die endgültige Fassung der EuPartGüVO sieht daher richtigerweise eine Rechtswahl vor.35 C. Schlussfolgerungen Von dem schärfsten Schwert zum Schutze schwächerer Parteien, dem Rechtswahlverbot, sollte nur unter besonderen Umständen Gebrauch gemacht werden. Zwei Fälle haben sich im Haager Unterhaltsprotokoll gezeigt, bei denen diese Maßnahme virulent werden musste: Minderjährige und besonders unterstützungsbedürftige Erwachsene können die Folgen einer Rechtswahl in der Regel nicht absehen. Da man ihnen aber auch keine Hilfestellung leisten kann, ist ihnen die Rechtswahl zu versagen. Keine Rechtswahl ist ferner möglich bei existenziellen Entscheidungen. Hier ist die Gefahr für eine Partei zu groß. Ein Beispiel dafür ist der Unterhaltsverzicht. Dieser muss sich notwendig am Umweltrecht der unterhaltsverpflichteten Person orientieren. Außerhalb des HUP sind solche Fälle im Familienrecht allerdings nicht zu erkennen. Weder für die Ehescheidung, noch für das Ehegüterrecht sind solche Situationen und Personengruppen von Belang. Es ist aber passend, dass in den Bereichen des Familienrechts, in denen es um Minderjährige und das Kindeswohl geht, ebenfalls keine Rechtswahl zugelassen ist.36
§ 4 Begrenzte Rechtswahlmöglichkeiten § 4 Begrenzte Rechtswahlmöglichkeiten
Der augenfälligste Eingriff in eine schrankenlose Parteiautonomie ist die Begrenzung der Rechtswahlmöglichkeiten. Anders als zum Beispiel in der Rom IVO, wo grundsätzlich jedes staatliche Recht gewählt werden kann,37 können die Parteien im Internationalen Europäischen Scheidungs- und Scheidungsfolgenrecht nur bestimmte Rechtsordnungen wählen. Man spricht von begrenzter 34
European Union Agency for Fundamental Rights, Opinion of 31.5.2012 on the Proposal for a regulation on jurisdiction, applicable law and the recognition and enforcement of decisions regarding the porperty consequences of registered partnerships; Rauscher/KrollLudwigs, Einführung EuPartGüVO-E, Rn. 9. 35 Kroll-Ludwigs, NZFam 2016, 1061, 1064 f. 36 Gruber, Der Schutz schwächerer Personen im Familien- und Erbrecht, S. 336, 342. 37 NK-BGB/Staudinger, Art. 3 Rom I-VO, Rn. 2; BeckOK-BGB/Spickhoff, Art. 3 Rom IVO, Rn. 8; es wird auch die Wahl nichtstaatlichen Rechts diskutiert: vgl. MK-BGB/Martiny, Art. 3 Rom I-VO, Rn. 28 ff.; Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie, S. 55 ff.; Michaels, FS Basedow, S. 247, 252 ff.
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
Rechtswahl. Im ersten Teil wurde die These aufgestellt, dass die Begrenzung der Rechtswahl dem Schutz der Beteiligten dient und vor allem ihre internationalprivatrechtlichen Interessen schützen soll. Diese These wird zunächst weiter ausgeführt. Anschließend sollen die Rechtswahlbegrenzungen in der Rom III-VO, dem HUP und den Güterrechts-VOen untersucht werden. Es stellt sich zunächst die Frage, welche Rechtsordnungen gewählt werden können und warum. So können die Rechtstexte auf ihre Kohärenz überprüft werden, um die These zu erhärten. A. Allgemeines Konzept Im EIPR gibt es zwei unterschiedliche Begründungen für eine Einschränkung der Rechtswahl. Die eine Richtung begreift sie als ein Mittel des Schwächerenschutzes.38 Eine andere Ansicht verneint die Möglichkeit, durch Begrenzung der Rechtswahl eine für die Parteien wirklich optimale Anknüpfung zu garantieren, und sieht in der Begrenzung eher hoheitliche Interessen verwirklicht, die Vorgabe einer vermeintlich objektiv gerechten Ordnung, die letztlich dem Prinzip des Vorrangs parteiautonomer Entscheidungen zuwiderläuft.39 Dieses hoheitliche Ordnungskonzept kristallisiere sich im Topos von der engsten Verbindung.40 Zuzustimmen wäre der zweiten These nur, wenn die Parteien ausschließlich Interessen verfolgten, deren Verwirklichung durch die Begrenzung der Rechtswahl verhindert würde. Zudem müssten sie die eigentlich angestrebten Ziele ohne Beschränkung der Rechtswahl auch leichter erreichen können. Nach traditioneller Ansicht soll durch die engste Verbindung kollisionsrechtliche Gerechtigkeit verwirklicht werden. Diese stünde demnach den „wirklichen Interessen“ der Parteien im Weg. Damit können nur sachrechtliche Interessen gemeint sein. Die Fokussierung auf die sachrechtlichen Interessen zeigt sich besonders in dem Argument, die Beschränkung der Rechtswahl verhindere die Wahl eines neutralen Rechts.41 Im Wirtschaftsrecht wird ein vermeintlich neutrales Recht gewählt, damit die Parteien auf die Anwendung ihres eigenen Rechts verzichten.42 Diese Möglichkeit müsse den Parteien im Familienrecht auch gestattet werden. Es geht hierbei um die Wahl des für die Parteien besten 38
Gruber, Der Schutz schwächerer Personen, S. 336, 342; Jayme, Die Kodifikationsidee, S. 63, 71; Rühl, FS von Hoffmann, S. 364, 369; Helms, LA Pintens, S. 681, 691; Lipp, LA Pintens, S. 847, 857; Looschelders/Boos, FamRZ 2006, 374, 376 f.; zögerlich Coester/Coester-Waltjen, LA Schurig, S. 33, 47. 39 Vor allem Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 483 ff.; Maultzsch, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 153, 169; Arnold, Gründe und Grenzen der Parteiautonomie, S. 23, 42 f. 40 Coester/Coester-Waltjen, LA Schurig, S. 33, 38. 41 Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 438 f. 42 Mankowski, FS Schäfer, S. 369, 374 f.
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Rechts, wie beim better law approach der amerikanischen Conflicts-Revolution.43 An diesem Beispiel zeigt sich aber auch das Problem dieses Ansatzes: Gesetzt den Fall, die Parteien einigen sich auf die Qualitätskriterien, die das anwendbare Recht für sie erfüllen sollen, wie ermitteln sie jetzt, welches Recht diese Kriterien erfüllt? Wenn die Parteien nicht gerade internationale Familienrechtler sind, wird ihnen das Wissen fehlen. Dass etwa das spanische oder das schwedische Recht eine einfache und schnelle einvernehmliche Scheidung ermöglichen,44 ist kein Allgemeinwissen. Aus den wählbaren Rechtsordnungen das passende herauszusuchen, ist daher eine komplizierte Aufgabe, die Ehegatten allein ohne Rechtsberatung nicht zugemutet werden sollte.45 Eheleute und Familien sind keine internationalen Unternehmen mit eigener Rechtsabteilung. Sollen die Parteien also ihre Wahlmöglichkeiten überblicken können, dann müssen diese zwingend eingeschränkt werden. Dies dient ihrem Schutz. Zudem dient die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit auch dem Interesse der Parteien. Die Ausführungen des ersten Teils haben gezeigt, dass internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit nach wie vor einen eigenen Gehalt hat. Freilich spielen im Spektrum dieser internationalprivatrechtlichen Interessen die materiellrechtlichen Aspekte, also das konkrete sachrechtliche Ergebnis, der Ausgang des Prozesses, eine immer stärkere Rolle. Es lässt sich jedoch nicht belegen, dass das sachrechtliche Ergebnis alle weiteren Aspekte verdrängt. Gerade in familienrechtlichen Fällen, in denen noch nicht die vollständige Fokussierung auf materielle und finanzielle Interessen dominiert, bleiben noch weitere Interessen von Bedeutung, die dem klassischen Bereich internationalprivatrechtlicher Gerechtigkeit zugeordnet werden können. Die enge Verbundenheit mit einem Recht ist auch bei solchen Fragen, die den Status einer Person betreffen und die das Privatleben berühren, immer noch von Bedeutung. Somit müssen auch die internationalprivatrechtlichen Interessen der Parteien geschützt werden.46 Die Anwendung des richtigen Rechts erhöht die Legitimität des Urteils, sorgt für Rechtsfrieden und versöhnt die Parteien mit dem Ergebnis des Rechtsstreits. Durch die Anwendung eines von den Parteien verknüpften Rechts entsteht eine vielleicht nicht extrem starke, aber doch auch nicht zu unterschätzende zusätzliche Verbindung, die zu Akzeptanz des Urteils führen kann. Um es einfach zu sagen: Es macht einen Unterschied, ob ein Recht angewandt wird, zu dem die Parteien keinerlei individuelle Verbindung haben oder ob ein Recht zur Anwendung gelangt, das für die Parteien plausibel ist, weil es in Berührung mit wichtigen Aspekten ihrer Biografien oder Identitäten steht.47 Es ist nicht einzusehen, dass in einem von den Beteiligten hochgradig 43
Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 309 ff. Mit diesem Beispiel Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 439. 45 Siehe ausführlich unten § 8 A. II. 3. 46 Gruber, Der Schutz schwächerer Personen im Familien- und Erbrecht, S. 336, 344. 47 Siehe bereits die Argumentation oben § 1 B. II. 2. b) cc) und § 2 C. I. 2. und III. 44
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
emotional besetzten Bereich wie dem Familienrecht diese Gedanken keine Rolle spielen sollen. Nicht homines oeconomici lassen sich scheiden, sondern Individuen mit deutlich vielfältigeren Persönlichkeitsprofilen. Die Existenz des IPR mit seinen hochdifferenzierten Anknüpfungen beweist schon, dass die Frage des anwendbaren Rechts nicht zweitrangig ist. Nur wenn das gesamte rechtliche Verfahren in allen seinen Teilen für die Beteiligten nachvollziehbar ist, kann das Ergebnis akzeptiert werden. Wenn dabei der Gesetzgeber dem Willen der Parteien selbst eine zentrale Rolle erteilt, dann ist darauf zu achten, dass dieser Wille nicht bloß formal begriffen wird. Die Begrenzung hat daher zwei Ziele: Sie soll für die Parteien überhaupt den Grund ebnen, damit sie die Rechtswahl handhaben können. Hierbei gehen notwendig Möglichkeiten verloren. Rechtswahlmöglichkeiten werden verbaut, die für die Parteien eine gute Lösung bereithalten. Dies lässt sich aber nicht vermeiden. Es kommt darauf an, den Kreis der Wahlmöglichkeiten maßvoll zu ziehen. Gleichzeitig wird dadurch erreicht, dass ein kollisionsrechtlich gerechtes Ergebnis zustande kommt. Dies ist keine leere Formel, sondern der Qualitätsanspruch, Rechtsordnungen auszuwählen, zu denen die Parteien eine enge (kulturelle) Verbindung haben und an deren Anwendung sie ein Interesse haben. Die Berufung eines vertrauten Rechts hat dann einen eigenen Gerechtigkeitsgehalt. Zur Begrenzung der Rechtswahlmöglichkeiten können in aller Regel ‚klassische‘ Anknüpfungspunkte herangezogen werden, an denen man eine Verbindung festmachen kann, aber auch neuartige. Die Anknüpfungspunkte müssen nicht eine selbstständige Anknüpfung begründen können. Erst in Verbindung mit dem Willen der Parteien entsteht die engste Verbindung.48 Ausgeschlossen werden müssen dabei diejenigen Rechtsordnungen, zu denen die Parteien faktisch keine Beziehung haben. Die Analyse der Rechtswahlmöglichkeiten im Europäischen Internationalen Familienrecht wird dieses Konzept an der Realität des positiven Rechts messen müssen. B. Zur Rom III-VO Die Rom III-VO rückt die Rechtswahl ins Zentrum der Anknüpfungsmöglichkeiten. Artikel 8 der Verordnung, der die objektive Anknüpfung regelt, stellt sowohl durch seine Überschrift „In Ermangelung einer Rechtswahl anzuwendendes Recht“ als auch durch seinen Wortlaut „Mangels einer Rechtswahl gemäß Artikel 5…“, sowie seine systematische Stellung hinter Artikel 5 klar, dass die subjektive Anknüpfung der objektiven vorgeht.49
48 49
Lipp, LA Pintens, S. 847, 857. Helms, LA Pintens, S. 681, 694.
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I. Die Rechtswahlmöglichkeiten im Einzelnen Die Rom III-VO bietet eine eingeschränkte Rechtswahlmöglichkeit. Gemäß Erwägungsgrund (16) sollen die Parteien „das Recht eines Landes wählen können, zu dem sie einen besonderen Bezug haben, oder das Recht des Staates des angerufenen Gerichts“. Das heißt: Anders als bei der Rom I oder II-Verordnung50 kann die Wahl nicht zu Gunsten jedes staatlichen Rechts erfolgen, sondern es werden von vornherein nur bestimmte Rechtsordnungen zur Wahl gestellt. Gemäß Artikel 5 Abs. 1 Rom III-VO handelt es sich dabei um „das Recht des Staates, in dem die Ehegatten zum Zeitpunkt der Rechtswahl ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, das Recht des Staates, in dem die Ehegatten zuletzt ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, sofern einer von ihnen zum Zeitpunkt der Rechtswahl dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, das Recht des Staates, dessen Staatsangehörigkeit einer der Ehegatten zum Zeitpunkt der Rechtswahl besitzt, oder das Recht des Staates des angerufenen Gerichts.“
Diese den Parteien zur Wahl überlassenen Rechtsordnungen sollen zunächst genauer beleuchtet werden. Dabei kann auch die Frage geklärt werden, ob das Prinzip des Schwächerenschutzes bei der Auslegung dieser Begriffe im Rahmen der teleologischen Auslegung zu berücksichtigen ist. 1. Der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt zum Zeitpunkt der Rechtswahl Die Parteien können einmal das Recht ihres gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts wählen. Voraussetzung ist, dass wirklich beide Parteien ihren gewöhnlichen Aufenthalt jeweils im selben Mitgliedstaat haben. Nicht erforderlich ist es hingegen, dass beide ihren gewöhnlichen Aufenthalt am selben Wohnsitz haben.51 Der gemeinsame Aufenthalt muss zudem im Zeitpunkt der Rechtswahl bestehen. Größeren Raum muss die Frage einnehmen, was unter dem autonomen52 Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts zu verstehen ist. a) Grundsätzliches zum gewöhnlichen Aufenthalt Der gewöhnliche Aufenthalt ist einer der schillerndsten Begriffe im Internationalen Privatrecht. Er taucht in fast allen Rechtsakten der EU zum IPR/IZVR
50 Mansel, Parteiautonomie, Rechtsgeschäftslehre der Rechtswahl, S. 241, 256; Maultzsch, Parteiautonomie im Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht, S. 153, 167. 51 BeckOK-BGB/Heiderhoff, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 5. 52 BeckOK-BGB/Heiderhoff, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 6.
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
auf53 und hat den Anknüpfungspunkt der Staatsangehörigkeit für das Personalstatut weitgehend abgelöst.54 Die Gründe wurden bereits erläutert.55 In Zeiten der höheren Mobilität und Flexibilität und eines gemeinsamen europäischen Binnenmarktes, wirkt die Nationalstaatsanknüpfung überholt. Die EU fördert so die Anpassung der Bürgerinnen und Bürger an ihre jeweilige Umwelt und sendet somit ein Signal zur Integration. Zudem führt die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt öfter zur Anwendung der lex fori, was die Rechtsanwendung erleichtert und verbessert.56 Damit konkretisiert der gewöhnliche Aufenthalt die engste Verbindung von Personen zu einer Rechtsordnung und verwirklicht somit genuin internationalprivatrechtliche Interessen. Wie bereits gezeigt, kann eine ausschließliche Anknüpfung von Rechtsverhältnissen an den gewöhnlichen Aufenthalt einer oder beider Parteien nicht überzeugen. Wie bei jedem Anknüpfungspunkt werden bestimmte Aspekte vernachlässigt, neue Rechtsfragen entstehen.57 Praktisch bringt die Anknüpfung bei Aufenthaltsverlagerung zwangsläufig einen Statutenwechsel mit sich. Integration in die neue Umgebung ist zudem ein langfristiger Prozess, der nicht mit der Neubegründung des Aufenthalts in einem fremden Land abgeschlossen ist, sondern erst dann beginnt. Vom Standpunkt der Parteien aus betrachtet, werden diese schon frühzeitig mit einem Recht konfrontiert, mit dem sie nicht unbedingt vertraut sein müssen, das sie eventuell nicht kennen. Die Gewöhnung an dieses Recht kann mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein. Gerade bei persönlichen Angelegenheiten im Familienrecht besteht das Interesse der Parteien daher vielleicht darin, ein Recht berufen zu können, durch das sie über die Staatsangehörigkeit verbunden sind.58 Dies rechtfertigt eine Rechtswahl. Gleichwohl ist die Möglichkeit, das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts wählen zu können, in jedem Fall überzeugend. Eine enge Verbindung liegt in jedem Fall für beide Ehepartner vor. Sofern sie mit den Regeln am Aufenthaltsort nicht bereits vertraut sind, können sie hier leicht an die nötigen Infor-
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Wichtigste Ausnahme ist die Brüssel Ia-VO, die den allgemeinen internationalen Gerichtsstand an den Wohnsitz anknüpft; dazu Geimer/Schütze/Geimer, A.1, Art. 2, Rn. 20 f.; MK-ZPO/Gottwald, Art. 2 Brüssel I-VO, Rn.1; Lurger, Die Verortung natürlicher Personen im europäischen IPR und IZVR, S. 202, 205, 220. 54 Siehe nur MK-BGB/von Hein, Artikel 5 EGBGB, Rn. 9; Baetge, Stichwort „Gewöhnlicher Aufenthalt“, S.758, Helms, LA Pintens, S. 681, 686; Jayme, Zugehörigkeit und Identität, S.20 ff., 29 f.; Winkler von Mohrenfels, ZEuP 2013, 699, 712. 55 Siehe oben § 2 A. II. 2. a). 56 Flessner, Interessenjurisprudenz im internationalen Privatrecht, S. 58 ff., 111 ff.; ders., LA Pintens, S. 593; Baetge, Stichwort „Gewöhnlicher Aufenthalt“, S. 758. 57 Siehe oben § 2 A. II. a) bb). 58 So plädieren Basedow/Diehl-Leistner, Das Staatsangehörigkeitsprinzip im Einwanderungsland, S. 15, 39 ff. dafür, bei Einwanderern zunächst an der Staatsangehörigkeitsanknüpfung für das Personalstatut festzuhalten und erst nach einigen Jahren zur Aufenthaltsanknüpfung überzugehen, siehe auch Basedow, FS Stoll, S. 405, 414.
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mationen gelangen. Voraussetzung ist jedoch, dass beide Partner ihren tatsächlichen gewöhnlichen Aufenthalt im selben Land haben, was die Norm ausdrücklich sicherstellt. b) Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts Trotz der Prominenz des gewöhnlichen Aufenthalts bleibt die Auslegung des Begriffs relativ umstritten. Kein Anknüpfungspunkt ist so oft diskutiert worden, trotzdem sind nur grobe Konturen unstreitig.59 Die Haager Konferenz, die den Begriff ins Internationale Privatrecht eingeführt hatte,60 hat es abgelehnt, eine Definition des gewöhnlichen Aufenthalts zu geben, um ihm nicht seine Flexibilität zu rauben.61 Auch ein Vorstoß des EU-Parlaments, den Begriff in den Erwägungsgründen der Rom III-VO zu definieren, scheiterte.62 Im Folgenden soll gar nicht versucht werden, eine allgemein gültige Definition für alle Bereiche zu finden. Dies ist wegen der Uneinheitlichkeit der Ansätze kaum möglich. Es soll lediglich untersucht werden, wie der gewöhnliche Aufenthalt in der Rom III-VO verstanden werden kann. Der konkreten Auslegung des Begriffs nähert man sich daher am Besten in zwei Schritten: Zunächst sind die in Frage kommenden, allgemein anerkannten Kriterien und tatsächlichen Sachverhaltselemente zu nennen. Anschließend ist zu klären, worin die Probleme des Begriffs und die Meinungsunterschiede begründet sind. Dabei muss geklärt werden, wie sich der Begriff für die Rechtswahl bestimmen lässt und ob das Prinzip des Schwächerenschutzes hierbei schon eine Rolle spielt. aa) Klassischer Ansatz Zunächst ist festzuhalten, dass der Begriff auf Grund des Erfordernisses seiner europaweit einheitlichen Anwendung in allen Rechtsakten autonom ausgelegt werden muss.63 Man könnte als Ausgangspunkt für die Auslegung von Artikel
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Weller Der „gewöhnliche Aufenthalt“, S. 292, 296 spricht vom „Chamäleon unter den kollisionsrechtlichen Anknüpfungspunkten“; Generalanwalt Sir Jean-Pierre Warner stellte fest: „It seems to me that habitual residence is, rather like an elephant, easier to recognize than to define“, EuGH, Rs. C-42/75, Delvaux/Kommission, Slg. 1976, 179. 60 Baetge, Der gewöhnliche Aufenthalt im IPR, S. 5 ff.; ders., FS Kropholler, S. 77; Schwind, FS Ferid, S. 423. 61 Pirrung, IPRax 2011, 50, 53. 62 EP, Bericht über den Vorschlag KOM(2006) 399 endg, 19.9.2008, A6-0361-2008, 7 f.; EP, Legislative Entschließung vom 21.10.2008 zu KOM(2006) 399 endg, ABl. C 15 E/128, 129 f.; Hilbig-Lugani, FS Brudermüller, S. 323, 324. 63 EuGH, Urteil vom 2. April 2009, Rs. C-523/07, A, FamRZ 2009, 843, 844 f.; Urteil vom 22. Dezember 2010, Rs. C-497/10, Mercredi, FamRZ 2011, 617, 619; Rauscher/Rauscher, Artikel 3 Brüssel IIa-VO, Rn. 21; Lurger, Die Verortung natürlicher Personen im europäischen IPR und IZVR, S. 202, 205, 228; speziell zur Rom III-VO: Palandt/Thorn, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 3; Althammer/Mayer, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 19; Gruber, IPRax
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
5 Abs.1 lit. a) Rom III-VO auf die anerkannten Grundsätze des Begriffes zurückgreifen, wie sie aus dem nationalen Recht bekannt sind. Hier könnte die im deutschen Schrifttum geläufige Formel zum deutschen Internationalen Privatrecht auf die internationale Ebene übertragen werden, nach der der „Schwerpunkt der Bindungen“, der „Daseinsmittelpunkt“ der Personen ausfindig zu machen ist.64 Diese Formel ist mit dem Verständnis in anderen Mitgliedstaaten wie Belgien oder Bulgarien deckungsgleich.65 Auch auf EU-Ebene wurde dieser Ansatz übernommen.66 Der EuGH spricht gelegentlich vom Mittelpunkt der persönlichen Interessen einer Person.67 Diese Formulierung übernimmt er aus Artikel 3 und 4 der EuInsVO.68 Folgt man diesem Ansatz, sollte man bei weiteren Kriterien aus dem nationalen Recht allerdings vorsichtig sein. Insbesondere die dem Steuerrecht (§ 9 AO) entlehnte „Sechs Monate-Faustregel“ der deutschen Rechtsprechung69 sollte nicht übernommen werden.70 Sie ist schon für das deutsche Recht sehr umstritten und in ihrer Einfach- und Starrheit zu grob. In anderen Ländern gibt es ähnliche Faustformeln mit unterschiedlichen Zeitspannen,71 weshalb die Auslegung notwendig in den verschiedenen Foren auseinanderfallen müsste. Der traditionelle Ansatz stellt auf die Umstände des Einzelfalls ab. Hierbei müssen alle Sachverhaltselemente genau in Augenschein genommen werden.
2012, 381, 385; Traar, ÖJZ 2011, 805, 808; Helms, LA Pintens, S. 681, 687; Hilbig-Lugani, FS Brudermüller, S. 323, 324. 64 BGH, Urteil vom 5. Februar. 1975, Az. IV ZR 103/73, NJW 1975,1068; Palandt/Thorn, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 3; MK-BGB/von Hein, Artikel 5 EGBGB, Rn. 114; Erman/Hohloch, Art. 5 Rom III-VO, Rn. 4; NK-BGB/Hilbig-Lugani, Art. 5, Rn. 40; jurisPK-BGB/Ludwig, Art. 5, Rn. 9; Sonnenberger, FS Kropholler, S. 227, 237; Helms, FamRZ 2011, 1765, 1769; Weller, Der „gewöhnliche Aufenthalt“, S. 292, 307 f. 65 Baetge, FS Kropholler, S. 77, 82; Weller, Der „gewöhnliche Aufenthalt“, S. 292, 307. 66 EuGH, Rs. C-523/07, A, FamRZ 2009, 843, 844 f. Rn. 31 und 37 ff.; vgl. auch Erwägungsgrund (23) EuErbVO. 67 EuGH, Urteil vom 25. Februar 1999, Rs. C-90/97, Swaddling, EuroAS 1999, 42, 44, Rn. 29; EuGH, Urteil vom 25. Oktober 2011, verb. Rs. C-509/09 und C-161/10, eDate Advertising und Olivier Martinez, JZ 2012, 199, 201, Rn .49; Hess, JZ 2012, 189, 192. 68 Weller, Der „gewöhnliche“ Aufenthalt“, S. 297, 304. 69 BGH, Urteil vom 5. Februar 1975, Az. IV ZR 103/73, NJW 1975, 1068; BGH, Beschluss vom 18. Juni 1997, Az. XII ZB 156/95, NJW 1997, 3024, 3025; auch OLG Hamm, Beschluss vom 12. März 1991, Az. 1 UF 471/90, FamRZ 1991, 1346, 1347; Beschluss vom 16. Mai 1991, Az. 4 UF 8/91, NJW 1992, 636, 637; OLG Frankfurt, Beschluss vom 29. Februar 1996, Az. 3 UF 19/96, FamRZ 1996, 1478, 1479; Baetge, Der gewöhnliche Aufenthalt im IPR, S. 132. 70 EuGH, Rs. C-497/10, Mercredi, FamRZ 2011, 617, 619, Rn. 51; MK-BGB/Sonnenberger, 5. Auflage, Einleitung IPR, Rn. 722; NK/Hilbig-Lugani, Art. 5 Rom III-VO, Rn. 41; unklar Ermann/Hohloch, Art. 5 Rom III-VO, Rn. 4a. 71 Aus dem englischen Schrifttum spricht zum Beispiel Lamont, JPIL 2007, 261, 263 von einem Jahr als „always sufficient.“
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Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts sei eine „question de pur fait“72. Dem Wortlaut sei bereits zu entnehmen, dass der gewöhnliche Aufenthalt eine gewisse Beständigkeit voraussetze.73 Insbesondere können für eine Annahme des gewöhnlichen Aufenthaltes als Indizien sprechen: die Aufenthaltsdauer insgesamt im betreffenden Staat, wie auch der relative Anteil im Laufe eines Jahres,74 familiäre und berufliche Bindungen,75 Staatsangehörigkeit,76 Schulund Berufsausbildung,77 Sprachkenntnisse78 oder schlicht der Bleibewille.79 Das Verhältnis dieser Faktoren zueinander ist jedoch vage und entzieht sich eindeutiger Aussagen. Bei dem Versuch, eine Ordnung oder Hierarchie in die Anhaltspunkte zur Feststellung des gewöhnlichen Aufenthalts zu bringen, haben sich zwei Fragen herauskristallisiert, auf die sich die neueren wissenschaftlichen Ansätze konzentrieren. bb) Funktionale Auslegung Umstritten ist zunächst, ob der gewöhnliche Aufenthalt im Europäischen IPR und IZVR einheitlich ausgelegt werden muss, oder ob er je nach Sachzusammenhang funktional anders ausgelegt werden kann. Nach der ersten Ansicht hat eine Person nur einen gewöhnlichen Aufenthalt, der bei allen Statuten gleich ist.80 Nach der zweiten Ansicht sind bei den verschiedenen Statuten jeweils unterschiedliche Interessen einschlägig, so dass es angemessen erscheint, wenn im Einzelfall die Indizien anders gewichtet werden, so dass der gewöhnliche Aufenthalt einer Person in der Konsequenz an unterschiedlichen Orten liegen kann. Im Detail unterscheiden sich die Ansichten allerdings, wie stark die Auslegung differieren kann: Der Gedanke, dass der gewöhnliche Aufenthalt einer Person nicht einheitlich für alle Anknüpfungsgegenstände bestimmt werden darf, sondern unterschiedlich ausfallen kann, wurde für das deutsche IPR vor allem von Neuhaus81 72
Schwind, FS Ferid, S. 423. EuGH, Rs. C-497/10, Mercredi, FamRZ 2011, 617, 619; Hilbig-Lugani, FS Brudermüller, S. 323, 324. 74 EuGH, Rs. C-523/07, A, FamRZ 2009, 843, 845, Rn. 39; Hilbig-Lugani, GPR 2014, 8, 9. 75 EuGH, ebd. 76 EuGH, ebd.; Mankowski, GPR 2011, 209, 210. 77 EuGH, ebd. 78 EuGH, ebd. 79 EuGH, Rs. C-497/10, Mercredi, FamRZ 2011, 617, 619, Rn. 51; Palandt/Thorn, Artikel 5 EGBGB, Rn. 13; Hilbig-Lugani, GRP 2014, 8, 9; Weller, Der „gewöhnliche Aufenthalt“, S. 293 ff. 80 In diese Richtung Palandt/Thorn, Artikel 5 EGBGB, Rn. 13; Mankowski, GPR 2011, 209, 212. 81 Vgl. Neuhaus, Grundbegriffe, S. 227 ff. 73
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
und Kropholler82 entwickelt.83 Sie argumentierten, dass für die Bestimmung des Personalstatuts eine engere Verbindung zum Aufenthaltsstaat und Eingliederung in diesen verlangt werden müsse als für die Begründung einer konkurrierenden Zuständigkeit im Internationalen Verfahrensrecht.84 Der EuGH hat im Urteil A ebenso eine einheitliche, systemübergreifende Auslegung für alle Rechtsgebiete abgelehnt und ist zu einer nur auf die jeweiligen Rechtsakte bezogenen Interpretation übergegangen.85 Nach Ansicht des EuGH wird der Begriff zwar autonom für alle Mitgliedstaaten verbindlich ausgelegt, zur Bestimmung des Inhalts der Norm könne jedoch nicht oder nur eingeschränkt systematisch auf andere Rechtsakte, die den gewöhnlichen Aufenthalt ebenso verwenden, zurückgegriffen werden. Vielmehr komme es auf alle Umstände des Einzelfalls an, um die jeweils durchschlagenden Kriterien zur Bestimmung des Lebensmittelpunkts nach Sinn und Zweck der einschlägigen Regelung ausfindig zu machen und ihn funktional zu interpretieren.86 Im Urteil A ging es um die Internationale Zuständigkeit nach Artikel 8 Abs. 1 Brüssel IIa-VO für Entscheidungen über die elterliche Verantwortung. Der EuGH führte Erwägungsgrund (12) Brüssel IIa-VO an, der bei der Auslegung dieser Regel zur Berücksichtigung des Kindeswohls anhält. In Bezug auf diesen Aspekt nennt der EuGH dann auch die oben genannten Kriterien zur Feststellung des gewöhnlichen Aufenthalts. Das bedeutet nicht, dass die oben vorgenommene Verallgemeinerung der Begriffe zwangsläufig falsch ist. Man kann beide Ansichten verbinden, wenn man argumentiert, dass man auf ganz andere Kriterien zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts nicht kommen wird. Man kann demnach immer noch von einem einheitlichen Begriffskern ausgehen.87 Wichtig sind aber für die Gewichtung Ziel und Zweck des jeweiligen Rechtsaktes, so dass die Gerichte in der Würdigung der Indizien zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen können. Daher kann man unterschiedliche Wege gehen: Entweder behält man die Unterscheidung bei, die Kropholler und Neuhaus entwickelt haben, und diffe-
82
Vgl. Kropholler, IPR, S. 285 ff. Baetge, Der gewöhnliche Aufenthalt im IPR, S. 87. 84 Kropholler, IPR, S. 286; siehe allgemein auch MK-BGB/Sonnenberger, 5. Auflage, Einleitung IPR, Rn. 721 mit Fn. 2169. 85 Zur Brüssel IIa-VO: EuGH, Rs. C-523/07, A, FamRZ 2009, 843, 845, Rn. 36. 86 EuGH Rs. C-523/07, A, FamRZ 2009, 843, 845, Rn. 35, 37; siehe auch EuGH Rs. C-497/10, Mercredi, FamRZ 2011, 617, Rn. 47. 87 Palandt/Thorn, Artikel 5 EGBGB, Rn. 13. 83
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renziert danach, ob es sich um eine Anknüpfung im IPR oder eine Zuständigkeitsbestimmung im IZVR handelt.88 Oder man bezieht wie der EuGH regelungsgegenstandsspezifische Wertungen in die Bestimmung mit ein.89 Egal, welcher Ansicht man sich anschließt: Man kann die Notwendigkeit der Differenzierung auch auf die Spitze treiben und darüber sogar den gemeinsamen Begriffskern des gewöhnlichen Aufenthalts aufgeben. Eine solche Radikalisierung des Konzepts wird allerdings nicht vertreten. Im Folgenden ist daher auch von einem gemeinsamen Begriffskern auszugehen, der an den Rändern eventuell Raum für Differenzierungen lässt. cc) Subjektive oder objektive Bestimmung? Ein anderer Streitpunkt betrifft das Verhältnis von objektiven Faktoren und dem subjektiven Willen der Parteien, einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen. In letzter Zeit wird von einigen Autoren die Notwendigkeit betont, von den objektiven Faktoren abzurücken und hauptsächlich auf den Willen einer Partei zur Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts (animus manendi) abzustellen.90 Dieser Meinung zufolge muss sich der (natürliche)91 Wille der Parteien, an einem Ort zu bleiben, auf irgendeine Weise manifestieren. Insofern stimmt sie auf den ersten Blick mit der herrschenden Meinung überein, die die objektiven Faktoren als Indizien für den Willen zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts betrachtet.92 Entscheidend sind aber die objektiven Kriterien. Doch die subjektive Theorie geht hierüber noch hinaus: Als Manifestation des Willens scheint es ihr zu reichen, wenn der Wille deutlich geäußert wird. Dieser animus manendi könne zum einen den Mindestaufenthalt im neuen Land überflüssig machen, zum anderen einen gewöhnlichen Aufenthalt in ei-
88 NK-BGB/Hilbig-Lugani, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 38a; Rauscher/Rauscher, Artikel 3 Brüssel IIa-VO, Rn. 22; Helms, FamRZ 2011, 1765, 1770; ders., LA Pintens, S. 681, 689. 89 MK-BGB/Sonnenberger, 5. Auflage, Einleitung IPR, Rn. 720; MK-BGB/Winkler von Mohrenfels, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 5; Rauscher/Helms, Artikel 8 Rom III-VO, Rn. 16; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, A, Rn. 57; NK/HilbigLugani, Art. 5 Rom III-VO, Rn. 37 ff.; dies., GPR 2014, 8, 10 ff.; dies., FS Brudermüller, S. 323, 325; jurisPK-BGB/Ludwig, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 12; Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 379; Baetge, FS Kropholler, S. 77, 82. 90 Vor allem Weller, Der „gewöhnliche Aufenthalt“, S. 292 ff.; ders., IPRax 2014, 225, 227; ders., FS Coester-Waltjen, S. 897, 907 f.; im Anschluss an Mann, JZ 1956, 466; zustimmend Hilbig-Lugani, GPR 2014, 8, 9. 91 Weller, Der „gewöhnliche Aufenthalt“, S. 292, 321; auch Baetge, Der gewöhnliche Aufenthalt im IPR, S. 132 ff. 92 Palandt/Thorn, Artikel 5 EGBGB, Rn. 13; Franzina, CDT 3 (2011), 85, 97
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
nem Land aufrecht erhalten, selbst wenn alle objektiven Verbindungen zu diesem Land abgerissen sind.93 Damit finde ein Funktionswandel statt: Anstatt bloß als „kleiner Bruder des Staatsangehörigkeitsprinzips“ die Anknüpfung des Personalstatuts zu bestimmen, rücke der gewöhnliche Aufenthalt als „kleiner Bruder der Parteiautonomie“ in die Nähe der Rechtswahlfreiheit.94 c) Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts für die Rechtswahl aa) Notwendigkeit einer funktionalen Auslegung Die These, dass sich der gewöhnliche Aufenthalt für alle Rechtsgebiete und Rechtsakte einheitlich bestimmen lässt, kann nicht mehr überzeugen. Der gewöhnliche Aufenthalt ist ein offener Rechtsbegriff, der eine Sammlung und Gewichtung unterschiedlicher Indizien erfordert. Insofern ist er offen für eine Interessenabwägung. Diese kann allerdings nicht ohne Rücksicht auf den Kontext stattfinden, für den der gewöhnliche Aufenthalt bestimmt werden soll. Eine für alle Bereiche des Kollisions- und Verfahrensrechts gültige Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts erscheint daher kaum sachgerecht. Selbst, wenn man von einem sehr großen gemeinsamen Begriffskern ausgeht, sind zumindest am Rand Abweichungen möglich. Für das Europäische Kollisionsrecht gibt auch die Rechtsprechung des EuGH eine Berücksichtigung von Kontext und Ziel des jeweiligen Rechtsaktes vor. Die Rechtsprechung des EuGH gibt zudem vor, dass die bloße Unterscheidung zwischen IPR und IZVR noch nicht aussagekräftig genug ist, um eine Unterscheidung vorzunehmen. Nach der ursprünglich von Neuhaus und Kropholler entwickelten These müssten die Anforderungen an den gewöhnlichen Aufenthalt im IZVR niedriger sein, da es nur darum geht, ein geeignetes Forum zu begründen, während es für die Anknüpfung des Personalstatuts auf eine tatsächliche Integration in die fragliche Rechtsordnung ankommt, so dass die Anforderungen höher sein müssen.95 Der EuGH hat in A jedoch relativ konkrete inhaltliche Anforderungen an den gewöhnlichen Aufenthalt für die Bestimmungen der Brüssel IIa-VO gestellt und die Verordnung im Lichte materiellrechtlicher Ziele, des Kindeswohls, ausgelegt.96 Es muss also primär der Regelungsgegenstand des Rechtsaktes mit in die Wertung einbezogen werden,
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So ist wohl Weller, Der „gewöhnliche Aufenthalt“, S. 293, 322 f., zu verstehen, wenn man dessen Ausführungen zum „Altenpflegetourismus“ verallgemeinert. 94 Weller, Der „gewöhnliche Aufenthalt“, S. 293, 295, 320. 95 Kropholler, IPR, S. 286. 96 EuGH, Rs. C-523/07, A, FamRZ 2009, 843, 845, Rn. 35.
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nicht die Unterscheidung von IPR und IZVR. Dafür spricht auch Erwägungsgrund (10) Rom III-VO, der grundsätzlich eine einheitliche Auslegung von Brüssel IIa-VO und Rom III-VO nahelegt.97 bb) Auslegung nach dem Ziel des Schwächerenschutzes? Somit stellt sich die Frage, wie groß der gemeinsame Kernbereich des gewöhnlichen Aufenthalts ist und wie weit er kontextabhängigen Unterscheidungen offensteht. Der EuGH hatte in A und Mercredi naheliegender Weise Kindeswohlerwägungen angestellt. Es stellt sich die Frage, ob es im Eherecht von Brüssel IIa-VO und Rom III-VO ähnliche Ziele gibt, die eine teleologische Auslegung erfordern.98 Im Rahmen dieser Arbeit interessiert vor allem die Frage, ob das Prinzip des Schwächerenschutzes Hilfe bei der Gewichtung der einzelnen Faktoren zur Feststellung eines gewöhnlichen Aufenthalts geben kann. Möglicherweise muss das Ziel, den Schwächeren vor den Folgen einer für ihn negativen Rechtswahl zu bewahren, die er aus Unwissenheit oder Unterlegenheit eingegangen ist, schon bei der Frage herangezogen werden, aus welchen Rechten überhaupt gewählt werden kann.99 Damit würde dieses Prinzip bereits zum frühestmöglichen Zeitpunkt einsetzen. Nicht erst die tatsächlich erfolgte Rechtswahl würde von diversen Schutzmaßnahmen flankiert, sondern im Rahmen der teleologischen Auslegung werden bereits die wichtigsten Grenzen zum Wohle der schwächeren Partei gezogen. Allerdings scheint diese Idee die Grenzen der Auslegung zu sehr zu strapazieren. Man muss sich klarmachen, was die Aufladung des Begriffs mit Schutzerwägungen bedeuten würde. Wichtig bei der Rechtswahl ist immer, dass die Parteien selbst die wählbaren Rechtsordnungen identifizieren können. Das Gericht vollzieht lediglich ex post nach, ob das von den Eheleuten benannte Recht überhaupt zur Wahl stand. Daher ist für die Gerichte eine größere Zurückhaltung bei der teleologischen Auslegung geboten, als wenn das Gericht das anwendbare Recht erst noch bestimmen müsste. Das Gericht könnte sich ansonsten dazu verleitet sehen, unter dem Deckmantel der einfachen Anlegung die schon geknüpfte Verbindung aufzuheben und eine Ersatzanknüpfung vorzunehmen, die es für angemessener hält. Die Rechtswahl würde im Nachhinein 97
NK-BGB/Hilbig-Lugani, Art.5 Rom III-VO, Rn. 38; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, A, Rn. 370; Palandt/Thorn, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 3; Kränzle, Heimat als Rechtsbegriff?, S. 158; Gruber, IPRax 2012, 381, 385; Hammje, RCDIP 2011, 291, 316; Traar, ÖJZ 2011, 805, 808. 98 Mankowski, GPR 2011, 209, 212 vermutet, der EuGH habe nicht so sehr auf den Anknüpfungsgegenstand geachtet, sondern darauf, dass für Kinder als „Anknüpfungssubjekte“ andere Regeln gelten müssten als bei Erwachsenen. 99 Den Gedanken aufwerfend Hilbig-Lugani, FS Brudermüller, S. 323, 332; für eine Beachtung von Schutzinteressen bei Artikel 6 Rom I-VO auch Hilbig-Lugani, GPR 2014, 8, 13.
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
unwirksam werden. Diese Vorgehensweise ist jedoch unehrlich. Wenn das Gericht ein konkretes Gerechtigkeitsdefizit in der Auslegung feststellt, hat es diese, solange sie vom freien Willen der Parteien getragen ist, grundsätzlich hinzunehmen. Das geeignete Mittel, um hierauf zu reagieren, wäre, wenn die Entscheidungsfähigkeit der Parteien in Frage steht, die Wirksamkeitskontrolle. Gerichte haben somit jedenfalls keinen großen Spielraum, Gerechtigkeitserwägungen in die Auslegung des Begriffs „gewöhnlicher Aufenthalt“ einfließen zu lassen. Sie sind eher zum Nachvollzug der Rechtswahl angehalten als zur eigenmächtigen Anknüpfung. Somit wird jedoch klar, auf welche funktionale Besonderheit man bei der Aufenthaltsbestimmung zu achten hat: Der Begriff muss so ausgelegt werden, dass er auch für die Parteien leicht zu bestimmen ist, so dass sie eine gültige Rechtswahl treffen können. cc) Auslegung nach den Zielen der Rechtswahl Die funktionale Auslegung erfordert bei der Rom III-VO eine Berücksichtigung, ob der gewöhnliche Aufenthalt für die objektive Anknüpfung bei Artikel 8 Rom III-VO bestimmt werden soll oder als Wahlmöglichkeit bei der Rom III-VO offenstehen soll. Bei der Rechtswahl nach Artikel 5 Rom III-VO könnte man daher auf die Idee kommen, sich der neuerdings wieder stärker vertretenen subjektiven Theorie anzuschließen und die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts allein dem von den Parteien ausgedrückten Willen zu entnehmen. Die Bezeichnung eines Ortes als gewöhnlichen Aufenthalt wäre dann bereits eine unhinterfragbare Bestimmung, sofern die Parteien an diesem Ort objektiv irgendeinen Aufenthalt begründet haben. Damit würde der Funktionswandel des Aufenthaltsprinzips zum „kleinen Bruder der Rechtswahlfreiheit“ besonders deutlich vor Augen gestellt.100 Allerdings geht auch eine solche radikale Position zu weit. Aus den Augen gelassen wird hier, dass mit den Kollisionsnormen immer auch noch ein konkretes Ziel verfolgt werden soll: internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit. Was gerecht ist, sollen die Parteien zwar bei der Rechtswahl selbst bestimmen. Aber die Tatsache, dass die Rechtswahlfreiheit in der Rom III-VO beschränkt ist, zeigt, dass eine Vorauswahl der wählbaren Rechte getroffen werden muss. In dieser Vorauswahl soll sich ein „besonderer Bezug“ der Ehegatten, eine enge Verbindung zu der Rechtsordnung ausdrücken (Erwägungsgrund (16) Rom III-VO). Dieser Aspekt kann den Parteien damit gar nicht vollständig überlassen werden. Der gewöhnliche Aufenthalt muss somit immer noch objektiv bestimmbar sein. Das Aufenthaltsprinzip ist aus diesem Grund nicht „kleiner Bruder der Parteiautonomie“.101 Auch wenn es den Parteien selbstverständlich offensteht, von ihrer Freizügigkeit Gebrauch zu machen und ihren 100 101
Weller, Der „gewöhnliche Aufenthalt“, S. 293, 295, 320. MK-BGB/von Hein, Artikel 5 EGBGB, Rn. 153.
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Aufenthalt zumindest im gemeinsamen Binnenmarkt nach Belieben zu begründen. Die objektive Manifestation dieses Willens ist jedoch, in gewissen Grenzen, gerichtlich nachprüfbar. Es kann damit auch bei der Rechtswahl bei dem objektiven Begriffskern bleiben, den der EuGH in A und Mercredi vorgegeben hat. Demnach muss eine „gewisse Integration in ein soziales und familiäres Umfeld“ vorliegen, die nur konkret im Einzelfall festgestellt werden kann.102 Daraus können gewisse Mindestvoraussetzungen abgeleitet werden, die erfüllt sein müssen. Der Aufenthalt setzt die körperliche Präsenz in dem betreffenden Staat voraus, der auf eine gewisse Dauer zumindest angelegt ist.103 In den meisten Fällen wird es ganz offensichtlich sein, wo erwachsene Menschen ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben.104 Wo der Sachverhalt einmal Zweifel aufwirft und eine Gewichtung der Faktoren unklar ist, wird man jedoch auf die von den Parteien bestimmte Rechtsordnung abstellen müssen. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Parteien diese Abwägung selbst am besten treffen können. Somit ist letztlich doch der Wille der Parteien entscheidend, aber nur insofern, als dass durch objektive Kriterien zunächst die Integration in ein bestimmtes soziales und familiäres Umfeld belegt sein muss. Das wichtigste und entscheidende Indiz beim Stichentscheid ist die gemeinsame Erklärung der Parteien in der Rechtswahlvereinbarung. Diese ist daher nur in Ausnahmefällen von den Gerichten hinterfragbar, wenn außer der Erklärung alle Anhaltspunkte des Sachverhalts gegen einen gewöhnlichen Aufenthalt in dem Land sprechen, dessen Rechtsordnung gewählt wurde. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts wird so möglichst einfach gehalten, damit er von den Parteien vernünftig gehandhabt werden kann.105 Eine Mindestaufenthaltsdauer in einem Land ist jedenfalls mit diesem Konzept nicht zu vereinbaren.106 dd) Fazit für den Schwächerenschutz Als wichtiges Fazit kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass das Prinzip des Schwächerenschutzes bei der Auslegung nicht helfen kann. Es würde das Interesse der Parteien, die wählbaren Rechtsordnungen eigenständig identifizieren zu können, unterlaufen und ihnen die Rechtssicherheit bei der Wahl neh-
102 NK-BGB/Hilbig-Lugani, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 40 f.; Helms, FamRZ 2011, 1765, 1769; ders., LA Pintens, S. 681, 687. 103 EuGH Rs. C-523/07, A, FamRZ 2009, 843, 845, Rn. 38, Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, A, Rn. 59. 104 Dutta, IPRax 2017, 139, 145. 105 Für das Ziel der Einfachheit und Klarheit bei der Begriffsbestimmung Hammje, RCDIP 2011, 291, 316. 106 NK-BGB/Hilbig-Lugani, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 41; Rauscher/Helms, Artikel 8 Rom III-VO, Rn. 21.
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
men. Die Einschränkung an sich, dass nur das Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts zum Zeitpunkt der Rechtswahl bestimmt werden kann, ist schon selbst Ausdruck des Prinzips des Schwächerenschutzes. Sie konkretisiert eine von mehreren engeren Verbindungen, um ein kollisionsrechtlich überzeugendes Ergebnis zu garantieren und befreit die Parteien somit vom Druck, aus allen Rechtsordnungen eine aussuchen zu müssen, die einen Bezug zur Ehegemeinschaft hat. Den Begriff dazu noch zusätzlich mit Schutzerwägungen auszulegen, schießt über das Ziel hinaus und führt letztlich zu Bevormundung, da nicht eine konkrete Einschränkung der Parteiautonomie aufgewogen werden soll, sondern das Gericht einfach seine Entscheidung anstelle der Parteientscheidung setzen müsste. Manipulationsmöglichkeiten sind hier auch nicht zu erwarten. Artikel 5 Abs. 1 lit. a) Rom III-VO verlangt einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Parteien. Eine einseitige Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthalts führt nicht dazu, dass der Rechtswahl ihre Grundlage entzogen wird. Das Aufenthaltsland bloß eines Ehegatten braucht einen Bezug zur Ehegemeinschaft und somit zu beiden Eheleuten. Das ist auch im Interesse der Parteien überzeugend. 2. Letzter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt bei einseitigem Fortbestehen Ebenfalls wählbar ist das Recht des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Ehegatten, sofern einer von ihnen dort zum Zeitpunkt der Rechtswahl noch seinen Aufenthalt hat, Artikel 5 Abs. 1 lit. b) Rom III-VO. Für die Auslegung gilt das Gleiche wie zu lit. a). Von Interesse ist daher lediglich die Frage, ob die Rechtswahlmöglichkeit die internationalprivatrechtlichen Interessen der Eheleute bei der Scheidung befriedigt. Gewählt werden kann hiernach ein Recht, zu dem die Ehe keinen aktuellen Bezug mehr hat, sondern das lediglich einen früheren Bezug reaktiviert. Man kann daher den Vorwurf erheben, dass kein aktueller Bezug zur Ehescheidung gegeben sei. Wenn die Ehe zerbreche oder schon zerbrochen sei, könne die Anknüpfung zwar eventuell damit begründet werden, dass an das Recht der früheren, intakten Gemeinschaft angeknüpft wird, in den meisten Fällen sei diese Rechtswahlmöglichkeit kollisionsrechtlich aber nicht gerechtfertigt.107 Die Kritik nimmt die Aufgabe, den Sitz des Rechtsverhältnisses zu bestimmen, jedoch zu wörtlich. Der Weg, eine enge Verbindung der Ehe auszumachen, versperrt die Einsicht, dass das entscheidende Anknüpfungskriterium die Interessen der Parteien sind. Diese rechtfertigen durchaus eine Wahl des am letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt geltenden Rechts. Es ist nicht auszuschließen, dass die Parteien durch dieses Recht eine besondere Prägung erhalten haben, dass sie mit den Regeln dieses Rechts gut vertraut sind. 107
Coester/Coester-Waltjen, LA Schurig, S. 33, 38; NK-BGB/Hilbig-Lugani, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 43.
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Vielleicht lokalisieren die Parteien ihre Ehe in diesem Rechtsrahmen. Die Bewertung sollte den Parteien hier selbst überlassen bleiben. Zu weit ginge es indes, jeden früheren gemeinsamen Aufenthalt zur Wahl zu stellen. Die Rechtswahlmöglichkeiten sollen die Parteiautonomie bewusst einschränken, um die Parteien von den hohen Anforderungen einer Auswahl stückweise zu entlasten. Der gewöhnliche Aufenthalt wird zwar nicht oft wechseln, es kann aber mobile Paare geben, die einen häufigen Aufenthaltswechsel haben. Aus diesem Grund wird die Wahl eines früheren gemeinsamen Aufenthalts doppelt eingeschränkt: Die Eheleute können nur das Recht des letzten gemeinsamen Aufenthalts wählen, und dies auch nur, sofern einer der Ehegatten sich in diesem Land weiterhin aufhält. Es ist nicht ausreichend, dass ein Ehegatte wieder in diesem Land lebt, sondern er muss ihn ununterbrochen beibehalten haben, wie es das Wort „noch“ ausdrückt (englische Fassung: „still“; französisch: „encore“).108 Beide Einschränkungen führen jedoch auch dazu, dass im Einzelfall eine interessengerechte Rechtswahl nicht möglich ist. Lebt ein Ehepaar etwa während der gesamten Ehe in Spanien und zieht eines Tages gemeinsam nach Frankreich, trennt sich aber kurz nach der Begründung des neuen Aufenthalts, können die Ehegatten nicht spanisches Recht wählen, obwohl sie mit diesem vielleicht gut vertraut sind und die sehr liberalen Scheidungsregeln über die einverständliche Scheidung als sachgerecht für ihre Ehe betrachten. Schwächerenschutz arbeitet jedoch grundsätzlich mit Generalisierungen, die auch dazu führen können, dass Parteien geschützt werden, die gar keinen Schutz benötigen. Dies ist hinzunehmen, solange die Generalisierung grundsätzlich für die Mehrheit der Fälle überzeugt. Davon ist bei Artikel 5 Abs. 1 lit. b) Rom III-VO auszugehen. Es gibt jedoch auch Situationen, in denen die Interessen der Parteien bedroht sind und die an der Wahlmöglichkeit daher zweifeln lassen. Eine solche Situation entsteht, wenn man eine zeitliche Komponente einbezieht.109 Die Wahl über Artikel 5 Abs. 1 lit. b) Rom III-VO setzt immer voraus, dass ein Ehegatte das Recht eines Staates wählt, in dem er sich früher gewöhnlich aufgehalten hat, dies aber inzwischen nicht mehr tut. Eine maximale Zeitspanne, die zwischen Verlegung des Aufenthalts und Abschluss des Rechtswahlvertrages vergehen kann, besteht nicht. Zum Zeitpunkt der Wahl kann es daher vorkommen, dass eine Partei nur wegen bestimmter sachrechtlicher Vorstellungen der Wahl zustimmt, die gar nicht mehr stimmen müssen. Es kann inzwischen zu einer Gesetzesreform mit grundlegenden Änderungen im Familienrecht gekommen sein. Davon muss der Ehegatte nicht unbedingt etwas mitbekommen haben. Es kann daher zu einem Informationsungleichgewicht kommen, bei dem der im 108 Erman/Hohloch, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 5; Hausmann, Europäisches und Internationales Ehescheidungsrecht, A, Rn. 373; Rauscher/Helms, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 27; Hilbig-Lugani, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 42. 109 Vgl. Boele-Woelki, YPIL 12 (2010), 1, 15 f.
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
Land gebliebene Gatte einen Vorsprung vor dem anderen Gatten hat. Anders als bei der Wahl eines Rechts, zu dem ein Partner von vorneherein keinen Bezug hat (etwa bei der Staatsangehörigkeit), weiß der umgezogene Partner allerdings nicht, dass es zu grundlegenden Änderungen gekommen ist und denkt sogar, mit dem Recht des ehemaligen Aufenthalts vertraut zu sein. Diese Konstellation hat das Potential, die Selbstbestimmungsfreiheit beider Parteien in Frage zu stellen und an der Richtigkeitschance dieses Rechtswahlvertrages Zweifel entstehen zu lassen. Sie stellt die Rechtswahlmöglichkeit des Artikels 5 Abs. 1 lit. b) Rom III-VO damit zwar nicht vollständig in Frage, erfordert aber weitere Ausgleichsmechanismen.110 3. Staatsangehörigkeit eines der Ehegatten Gemäß Artikel 5 Abs. 1 lit. c) Rom III-VO können die Ehepartner auch das Recht des Staates wählen, dessen Staatsangehörigkeit einer der Ehegatten zum Zeitpunkt der Rechtswahl besitzt. Die Regelung sagt eindeutig, dass es sich hierbei nicht um eine gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehegatten handeln muss.111 Die Frage, welche Staatsangehörigkeit eine Person hat, beantwortet die Verordnung nicht selbst, sondern sie wird vom IPR unstreitig dem in Betracht kommenden Staat selbst nach dessen eigenem Recht überlassen.112 Die Anknüpfung des Scheidungsstatuts an die Staatsangehörigkeit ist im deutschen Internationalen Eherecht bislang die bevorzugte Lösung gewesen, vgl. Artikel 17 EGBGB a.F. Dass die Parteien also grundsätzlich die Staatsangehörigkeit wählen können, muss nicht weiter begründet werden.113 Erklärungsbedürftig erscheint allerdings, warum die Parteien nicht nur eine gemeinsame Staatsangehörigkeit wählen können, sondern die Staatsangehörigkeit eines jeden Gatten. Auch im Rahmen der nationalen, stark beschränkten Rechtswahlmöglichkeiten für die allgemeinen Ehewirkungen des Artikels 14 Abs. 3 EGBGB kann an die Staatsangehörigkeit eines Ehegatten angeknüpft werden, selbst wenn der andere Ehegatte nicht Angehöriger dieses Staates war. Die Hürden hierfür sind jedoch relativ hoch. Hier zeigt sich die Skepsis des 110
Dies kann im Rahmen der Wirksamkeitskontrolle erfolgen. NK-BGB/Hilbig-Lugani, Art. 5 Rom-III VO, Rn. 44. 112 Erman/Hohloch, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 6; NK-BGB/Hilbig-Lugani, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 44; Franzina, CDT 3 (2011), 85, 116; es handelt sich hierbei um eine allgemeine Regel des Völkergewohnheitsrechts, vgl. Art. 3 Abs. 1 des Europäischen Übereinkommens über die Staatsangehörigkeit vom 6.11.1997 (BGBl. 2004 II, S. 579); EuGH, Urteil vom 2. März 2010, Rs. C-135/08, Rottmann, Slg. 2010, 1-1449, Rn. 39; BVerfG, Beschluss vom 28. Mai 1952, Az. 1 BvR 213/51, BVerfGE 1, 322, 329, BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1954, Az. II C 38.54, BVerwGE 1, 206; MK-BGB/von Hein, Artikel 5 EGBGB, Rn. 14; Kegel/Schurig, IPR. S. 15; Kropholler, IPR, S. 15; Basedow, IPRax 2011, 109, 116; Mankowski, IPRax 2017, 130, 132. 113 Althammer/Mayer, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 17; Henrich, FS Spellenberg, S. 195, 197; Winkler von Mohrenfels, FS von Hoffmann, S. 527, 536. 111
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deutschen Gesetzgebers vor einer Anknüpfung an das Recht eines Staats, dem nicht beide Ehepartner angehören. Die Verbindung zu diesem Land ist eben nicht so stark wie beim gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt.114 Ein Ehegatte hat bei der Option nach Artikel 5 Abs. 1 lit. c) Rom III-VO unmittelbar nichts mit der fremden Rechtsordnung zu tun.115 Besonders deutlich wird dies, wenn man sich vorstellt, die Rom III-VO würde objektiv in Artikel 8 lediglich an eine einseitige Staatsangehörigkeit anknüpfen. Die Anknüpfung allein an die Staatsangehörigkeit einer Partei wäre gleichbedeutend mit der vollständigen Vernachlässigung der Interessen einer anderen Partei und somit ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Artikels 18 AEUV116 beziehungsweise des Artikels 21 Abs. 2 GRCh. Aus diesem Grund erklärte das Bundesverfassungsgericht die das Internationale Eherecht dominierende Anknüpfung an das Heimatrecht des Ehegatten für verfassungswidrig und machte eine Reform des EGBGB notwendig.117 Ein ausreichend enger Anknüpfungspunkt ist die Staatsangehörigkeit eines Ehegatten somit nicht.118 Als hinreichender Anknüpfungspunkt, der in Kombination mit dem Willen der Ehepartner zur engsten Verbindung erstarkt, ist die Staatsangehörigkeit eines Ehegatten jedoch tauglich. Rechtfertigen lässt sich die Verbundenheit nur eines Ehegatten mit dem praktischen Hinweis, dass die Paare oftmals gar keine gemeinsame Nationalität haben, so dass ihnen andernfalls keine Wahlmöglichkeit bliebe.119 Hier stößt das Prinzip des Schwächerenschutzes auf eine immanente Grenze. Versagte man den Ehepaaren die Wahl des Rechts der bloß einseitigen Staatsangehörigkeit, ließe sich die Parteiautonomie nicht als Grundprinzip des Kollisionsrechts halten. Die Begrenzung der Wahlmöglichkeiten wäre dann so stark, dass man den Parteien fast jede eigene Entscheidung abnehmen würde. Sie könnten wählen zwischen gemeinsamen Aufenthalt und gemeinsamer Staatsangehörigkeit. Damit wäre die Rechtswahl tatsächlich nicht mehr als eine Verlegenheitslösung.120 Es kann jedoch Problemfälle geben, bei denen die Wahl der Staatsangehörigkeit zu stärkeren und offensichtlichen Konflikten mit den Interessen einer
114 Hammje, RCDIP 2011, 291, 314; vgl. auch Althammer/Mayer, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 18. 115 Rösler, RabelsZ 78 (2014), 155, 169. 116 Basedow, IPRax 2011, 109, 116. 117 Siehe oben § 1 B. I. 3. b). 118 Rösler, RabelsZ 78 (2014), 155, 169. 119 Coester/Coester-Waltjen, LA Schurig, S. 33, 38. 120 Mörsdorf-Schulze, RabelsZ 77 (2013), 786, 814; Kritisch zur Beschränkung der Rechtswahl aus diesem Grund, aber sowohl die internationalprivatrechtlichen Interessen und die Notwendigkeit des Schwächerenschutzes zu sehr vernachlässigend: Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 408 ff., 483 ff.
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
Partei führen kann und dementsprechend beschränkt werden muss. Diese Fälle sollen im Folgenden betrachtet werden. a) Parteien mit mehreren Staatsangehörigkeiten Nicht geregelt wird in der Verordnung, wie Personen behandelt werden sollen, die mehrere Staatsangehörigkeiten besitzen, sogenannte Mehrstaater. Mehrfache Staatsangehörigkeiten entstehen hauptsächlich aus dem Zusammenspiel von ius soli- und ius sanguinis-Prinzip, durch Heirat oder andere familienrechtliche Vorgänge und Einbürgerung nach Zuwanderung.121 Multiple Staatsangehörigkeiten sind ein grundsätzliches Problem (nicht nur) im IPR, weil sie eine eindeutige Zuordnung einer Person zu einer Rechtsordnung verhindern. Es gibt daher plausible praktische Gründe, ihre Entstehung einzudämmen, was nicht bedeutet, dass sie in vielen Fällen, in denen andere Rechtsgüter vorrangig sind, hingenommen werden müssen.122 Das deutsche Kollisionsrecht, das bislang hauptsächlich auf objektiven Anknüpfungen beruhte, ging mit den Herausforderungen so um, dass es in allen Fällen der Staatsangehörigkeitsanknüpfung eine effektive Staatsangehörigkeit auswählte, die den Schwerpunkt der Verbindungen der Person zu einer Rechtsordnung ausmachte und knüpfte sodann an diese an (vgl. Artikel 5 Abs. 1 EGBGB).123 Da in der Rom III-VO eine normierte Lösung fehlt, sind die Ansätze für die Rechtswahl umstritten. Es stellt sich vor allem die Frage, ob die Parteien das Recht eines Staates wählen können, dessen Nationalität eine Partei zwar formell innehat, die aber nicht die effektive Staatsangehörigkeit darstellt. Diesem Streit soll vor allem unter dem Aspekt nachgegangen werden, ob sich auch hier eine Einschränkung zum Schutz einer schwächeren Partei anbietet. Die Verordnung regelt zwar den Umgang mit interlokalen (Artikel 14 Rom III-VO) und interpersonalen Rechtsspaltungen (Artikel 15 Rom III-VO) autonom, gibt aber keine Hinweise zur Behandlung doppelter oder mehrfacher Staatsangehörigkeiten.124 Lediglich Erwägungsgrund (22) widmet sich diesem Problem und gibt an, dass die Behandlung der Mehrstaater „weiterhin nach innerstaatlichem Recht geregelt“ wird, „wobei die allgemeinen Grundsätze der Europäischen Union uneingeschränkt zu achten sind“. Aus dieser vagen Anordnung lassen sich divergierende Schlüsse ziehen. 121
Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, S. 85; Kegel/Schurig, IPR, S. 453. 122 Ausführlich Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, S. 85 ff.; MK-BGB/von Hein, Artikel 5 EGBGB, Rn. 54 f.; Staudinger/Bausback, Artikel 5 EGBGB, Rn. 5a; Dethloff, JZ 1995, 64; Fuchs, FS Martiny, S. 303, 304 ff. 123 Zum Begriff der effektiven Staatsangehörigkeit, vgl. BeckOK-BGB/Lorenz, Art. 5 EGBGB, Rn. 6; ausführlich Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, S. 158 ff. 124 NK-BGB/Hilbig-Lugani, Art. 5 Rom III-VO, Rn. 45; Basedow, LA Pintens, S. 135, 140; Rösler, RabelsZ 78 (2014), 155, 182.
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Wenn man den Erwägungsgrund beim Wort nimmt, so ergibt sich unzweifelhaft ein Verweis auf mitgliedstaatliches Recht. Deutsche Gerichte wenden daher deutsches Recht an, also Artikel 5 Abs. 1 EGBGB.125 Der Text macht deutlich, dass dies immer gilt, wenn in der Verordnung auf die Staatsangehörigkeit als Anknüpfungspunkt verwiesen wird. Das ist bei genau zwei Stellen der Fall, nämlich bei der Rechtswahl nach Artikel 5 Rom III-VO und bei der objektiven Anknüpfung.126 Es wäre widersprüchlich, alle beiden vorkommenden Fälle zu bezeichnen, jedoch nur eine Alternative tatsächlich zu meinen. Auch in anderen Sprachfassungen wird die Pluralbezeichnung besonders deutlich.127 Nun sind damit in der Literatur die Auslegungsfragen bei weitem nicht gelöst. Einerseits wird der Verweis auf das nationale Recht zumindest für die Rechtswahl bestritten, andererseits ist unklar, wie das deutsche Recht mit der Rechtswahl nach der Rom III-VO überhaupt umgehen würde und welche Grundsätze des Unionsrechts hierbei eine Rolle spielen. aa) Argumente für eine Zulässigkeit der Wahl jeder Staatsangehörigkeit auf europäischer Ebene Gegen den Verweis auf das nationale Kollisionsrecht führen einige Stimmen unterschiedliche Argumente ins Feld: Aus der Systematik wird Folgendes abgeleitet: Erwägungsgrund (22) Rom III-VO stehe hinter einem Erwägungsgrund, der Erläuterungen zur objektiven Anknüpfung gibt. Er stehe eben nicht zwischen Erwägungsgrund (21) Rom III-VO und den Ausführungen zur Rechtswahl in den Erwägungsgründen (14) bis (19) Rom III-VO und sei nicht den Regelungen vorangestellt. Aus seiner systematischen Stellung müsse geschlossen werden, dass sich die Anwendung der mitgliedstaatlichen Regelungen nur auf die objektive Anknüpfung beziehe.128 Angeführt wird auch der Wortlaut: Erwägungsgrund (22) Rom IIIVO gelte nur, wenn die Staatsangehörigkeit „als Anknüpfungspunkt“ verwen-
125 BeckOk-BGB/Heiderhoff, Art. 5 Rom III-VO, Rn. 10; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, A, Rn. 376; Gruber, IPRax 2012, 381, 385 f.; ders., Rechtswahl in der Rom III-Verordnung, S. 33, 42; Rösler, RabelsZ 78 (2014), 155, 182; Basedow, LA Pintens, S. 135, 140. 126 NK-BGB/Hilbig-Lugani, Art. 5 Rom III-VO, Rn. 45. 127 Besonders zur spanischen Fassung: NK-BGB/Hilbig-Lugani, Art. 5 Rom III-VO, Rn. 45 mit Fn. 231. 128 RegE BT-Dr 17/11049, S. 8; Gade, JuS 2013, 779, 780; Fuchs, FS Martiny, S. 303, 317.
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
det wird. Bei Artikel 5 Rom III-VO sei aber der Parteiwille Anknüpfungspunkt, nicht die Staatsangehörigkeit.129 Historisch bestärkt wird dieses Argument durch „sehr kryptisch[e]“130 Äußerungen der Kommission zum Gesetzgebungsverfahren, die in die gleiche Richtung gehen: „Furthermore, systematically the proposed new Recital 19a is included after the recital on the applicable law in the absence of choice by the parties, which may reduce the possibilities of using it also in relation to the choice of applicable law by the parties.“131 Vor allem werden jedoch teleologische Argumente genannt, um eine Rechtswahl auch der ineffektiven Staatsangehörigkeit autonom zu begründen. Zum einen wird unter Bezugnahme auf Erwägungsgrund (10) gefordert, den Umgang mit der Mehrstaatlichkeit parallel zur Brüssel IIa-Verordnung auszugestalten.132 Gerade im Rahmen dieser prozessrechtlichen Verordnung hat jedoch ein Abkehr vom Prinzip der effektiven Staatsangehörigkeit stattgefunden, ausgelöst durch das Urteil des EuGH in der Sache Hadadi.133 Hier stellt der EuGH zunächst unter Verweis auf seine ständige Rechtsprechung klar, dass der Begriff „gemeinsame Staatsangehörigkeit“ in Artikel 3 Abs. 1 lit. b) Brüssel IIa-VO einheitlich autonom ausgelegt werden müsse, sofern sich im Gesetzestext nicht eindeutig ein Verweis auf mitgliedstaatliches Recht finde,134 um den Erfordernissen der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts sowie dem Gleichheitssatz gerecht zu werden.135 Sodann erteilt der EuGH auch einer autonomen Effektivitätsprüfung eine Absage. Der Wortlaut der Verordnung liefere dazu keinen Anhaltspunkt.136 Zudem widerspreche eine solche Einschränkung auch den Zielen des Rechtsaktes. Die Freizügigkeit der Bürger werde de facto unterlaufen. Effektive Staatsangehörigkeit und gewöhnlicher Aufenthalt fielen oft zusammen, so dass Artikel 3 Abs. 1 lit. b) Brüssel IIa-VO ins Leere liefe. Die Verordnung wolle den Parteien jedoch mehrere alternative Gerichtsstände zur Verfügung stellen, unter denen sie auswählen können sollen.137 Die Feststellung der effektiven Staatsangehörigkeit wiederum sei sehr aufwändig und mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, so dass sie der 129
Corneloup/González Beilfuss, Article 5 Rome III, Rn. 23; ähnlich Winkler von Mohrenfels, ZEuP 2013, 699, 710. 130 NK-BGB/Hilbig-Lugani, Art. 5 Rom III-VO, Rn. 45. 131 Commission Communication on the action taken on opinions and resolutions adopted by Parliament at the December 2010 part-session, A7-0360/2010 / P7_TA-PROV(2010) 0477, 15. Dezember 2010, S. 2. 132 Palandt/Thorn, Art. 5 Rom III-VO, Rn. 4; Basedow, LA Pintens, 135, 141; Helms, FamRZ 2011, 1765, 1770 f.; ders., LA Pintens, 681, 695; Traar, ÖJZ 2011, 805, 810; Rösler, RabelsZ 78 (2014), 155, 182 ff.; Coester-Waltjen, FF 2013, 48, 53; Fuchs, FS Martiny, S. 303, 318. 133 EuGH, Urteil vom 16. Juli 2009, Rs. C-168/08, Hadadi, IPRax 2010, 66. 134 Was bei der Brüssel IIa-VO nicht der Fall ist. 135 EuGH, Rs. C-168/08, Hadadi, IPRax 2010, 66, 69, Rn. 38. 136 EuGH, Rs. C-168/08, Hadadi, IPRax 2010, 66, 70, Rn. 51. 137 EuGH, Rs. C-168/08, Hadadi, IPRax 2010, 66, 70 f., Rn. 49, 53 f.
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Rechtssicherheit gar nicht dienlich sei.138 Die Gefahr eines Wettlaufs zu den Gerichten auf Grund der unterschiedlichen Kollisionsnormen in den Mitgliedstaaten schätzt das Gericht als nicht sehr groß ein.139 Dieses Urteil liegt auf einer Linie mit der herrschenden Meinung im Schrifttum.140 Unabhängig von der Rechtsprechung des EuGH wird außerdem vorgebracht, die Feststellung der effektiven Staatsangehörigkeit sei unsicher und aufwändig und habe somit Rechtsunsicherheit zur Folge, die die Rom III-VO ausweislich ihrer Erwägungsgründe gerade vermeiden wollte. Ziel der Verordnung sei es schließlich erklärtermaßen, die Parteiautonomie zu stärken und den Parteien die Wahl des für sie angemessenen Rechts zu überlassen. Dazu sei es hilfreich, wenn den Ehegatten möglichst viele Rechte zur Wahl gestellt würden.141 Gegen die Anwendung von Artikel 5 Abs. 1 EGBGB im Besonderen wird gesagt, dass die einseitige Bevorzugung der deutschen Staatsangehörigkeit nach Artikel 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB diskriminierend und daher schwerlich mit „den allgemeinen Grundsätzen der Europäischen Union“ (Erwägungsgrund (22) Rom III-VO) zu vereinbaren sei.142 Aus den genannten Gründen spricht sich die herrschende Meinung daher für eine subjektive Anknüpfung an die ineffektive Staatsangehörigkeit aus.143 bb) Argumente für die Bestimmung der effektiven Staatsangehörigkeit Bei der Argumentation sind zwei Probleme auseinanderzuhalten: Richtet sich der Umgang mit Mehrstaatern bei der Rechtswahl nach nationalem Recht? Und
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EuGH, Rs. C-168/08, Hadadi, IPRax 2010, 66, 71, Rn. 55. EuGH, Rs. C-168/08, Hadadi, IPRax 2010, 66, 71, Rn. 57. 140 Magnus/Mankowski/Borrás, Art. 3 Brussel IIbis Regulation, Rn. 16; Rauscher/Rauscher, Art. 3 Brüssel IIa-VO; Rn. 49; Geimer/Schütze/Geimer, Art. 3 Brüssel IIa-VO, Rn. 39; HK-ZPO/Dörner, Art. 3 Brüssel IIa-VO, Rn. 17; MK-ZPO/Gottwald, Artikel 3 Brüssel IIa-VO, Rn. 25; Musielak/Borth/Borth/Grandel, Art. 3 Brüssel IIa-VO, Rn. 2; Schack, IZVR, Rn. 424; ders., RabelsZ 65 (2001), 615, 623 f.; Dilger, Die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in Ehesachen, S. 345; ders., IPRax 2010, 54, 58; Hau, FamRZ 2000, 1333, 1337; ders., IPRax 2010, 50, 53; Boele-Woelki, YPIL 2010, 1, 18. 141 NK-BGB/Hilbig-Lugani, Art. 5 Rom III-VO, Rn. 45; Helms, FamRZ 2011, 1765, 1771; ders. LA Pintens, 681, 694; Palandt/Thorn, Art. 5 Rom III-VO, Rn. 4; Rösler, RabelsZ 78 (2014), 155, 183; Hau, FamRZ 2013, 249, 253; ders., FS Stürner, S. 1237, 1249. 142 Althammer/Mayer, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 19; MK-BGB/Winkler von Mohrenfels, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 8; NK-BGB/Hilbig-Lugani, Art. 5 Rom III-VO, Rn. 45; jurisPKBGB/Ludwig, Art. 5 Rom III-VO, Rn. 13; Basedow, IPRax 2011, 109, 116; Coester-Waltjen/Coester, LA Schurig, 33, 39; Gruber, IPRax 2012, 381, 386; Franzina, CDT 3 (2011), 85, 111; Finger, FuR 2011, 61, 65. 143 Neben den bereits aufgeführten noch Andrae, Internationales Familienrecht, § 4 Rn. 18; Rauscher, IPR, Rn. 818; Mörsdorf-Schulte, RabelsZ 77 (2013), 786, 814. 139
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
kommt es allein auf eine effektive Staatsangehörigkeit an? Beide Fragen können unabhängig voneinander behandelt werden, werden aber oft vermischt. Auf beide Punkte soll im Folgenden eingegangen werden. (1) Nationale Lösung des Problems Den bereits genannten Argumenten kann insgesamt nicht gefolgt werden. Der Wortlaut von Erwägungsgrund (22) ist, unabhängig davon, welche Autorität man den Erwägungsgründen beimisst,144 grundsätzlich ernst zu nehmen.145 Der Text spricht von einer Verweisung auf das Recht der Staatsangehörigkeit in der gesamten Verordnung, nicht bloß bei der objektiven Anknüpfung. Vor allem in anderen Sprachfassungen, die gleichwertig neben der deutschen Fassung stehen, wird der Plural besonders deutlich.146 Wenn für den einzigen anderen Fall, die subjektive Anknüpfung, der Verweis nicht gelten sollte, hätte dies im Verordnungstext deutlich gemacht werden müssen. Systematische gegenläufige Argumente wirken dagegen ziemlich konstruiert und erreichen nicht denselben Grad an Klarheit und Erkennbarkeit.147 Die Wortlautargumente lassen sich dogmatisch nicht halten: Zunächst ist festzustellen, dass die Rechtswahl natürlich auch eine Anknüpfung ist, wenn auch eine subjektive und keine objektive. Hinzukommt, dass bei der Rechtswahl der Wille der Parteien nicht alleiniger Anknüpfungspunkt ist, sondern die Verbindung erst zusätzlich mit den weiteren Anknüpfungsmomenten von Artikel 5 Abs. 1 Rom III-VO hergestellt wird. Die Staatsangehörigkeit ist somit auch Anknüpfungspunkt im Sinne des Erwägungsgrunds (22) Rom III-VO. Die Äußerungen der Kommission im Gesetzgebungsverfahren sind zu vage, um eine zwingend andere Sichtweise begründen zu können, da sie auch zudem nur von einem der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Akteure stammt. (2) Bedeutung der allgemeinen Grundsätze Als erstes Teilergebnis bleibt somit festzuhalten, dass sich der Umgang mit Mehrstaatern nach dem nationalen Recht richtet. Als nächstes bleibt die Frage zu klären, ob Artikel 5 Abs. 1 EGBGB konsequent angewendet werden kann, oder ob man auf die Bestimmung der effektiven Staatsangehörigkeit bei der
144 Vgl. zur Einordnung von Erwägungsgründen: Martens, Methodenlehre des Unionsrechts, S. 178 f. 145 Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, A, Rn. 376; Althammer/Mayer, Artikel 15 Rom III-VO, Rn. 19; Jauernig/Budzikiewicz, Anmerkung zu den Artikeln 5-16 Rom III-VO, Rn. 3; Gruber, Rechtswahl in der Rom III-Verordnung, S. 33, 42. 146 NK-BGB/Hilbig-Lugani, Art. 5 Rom III-VO, Rn. 45. 147 Ebenfalls zweifelnd, aber letztlich offenlassend NK-BGB/Hilbig-Lugani, Art. 5 Rom III-VO, Rn. 45.
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Rechtswahl verzichten soll.148 Um eine Effektivitätsprüfung zu vermeiden, könnte man argumentieren, dass dieses nicht den „allgemeinen Grundsätzen der Europäischen Union“ entspricht. Hierfür müsste man die Hadadi-Rechtsprechung als allgemeinen Grundsatz anerkennen.149 Als solcher hätte er sich auch in Artikel 22 Abs. 1 UAbs. 2 EuErbVO niedergeschlagen.150 Die Hadadi-Rechtsprechung nimmt jedoch nicht den Rang eines solchen Rechtsgrundsatzes ein.151 Der EuGH legt im Urteil Hadadi den Begriff der Staatsangehörigkeit autonom aus. Voraussetzung für eine solche Begriffsbestimmung ist aber, dass die betroffene Vorschrift „für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist“.152 Genau dies tut die Rom III-VO jedoch nach Erwägungsgrund (22). Es ist kaum davon auszugehen, dass der EuGH auf dieser Basis selbst eine Verallgemeinerung des Rechtsgedankens vornehmen würde. Eine Bewertung der Hadadi-Rechtsprechung als Grundsatz der Europäischen Union würde jedoch vor allem die Unterschiede zwischen Internationalem Verfahrensrecht und Internationalem Privatrecht nivellieren.153 In dem vom EuGH entschiedenen Fall geht es im Kern darum, ob die ineffektive Staatsangehörigkeit ausreichend ist, um für den Antragssteller im Scheidungsverfahren die internationale Zuständigkeit eines weiteren Staates zu begründen, um also ein neues Forum zur Verfügung zu stellen. Bei der Rom III-Verordnung stellt sich die Frage, ob die ineffektive Staatsangehörigkeit den Parteien bei der Rechtswahl offenstehen soll, also ob sie Anknüpfungspunkt für eine subjektive Anknüpfung sein kann. Hinter der Eröffnung der internationalen Zuständigkeit und der Bestimmung eines geeigneten Anknüpfungspunktes stehen jedoch unterschiedliche Interessen, die eine unterschiedliche Behandlung nahelegen. Dies fällt direkt ins Auge, wenn man sich überlegt, dass mehrere Staaten nebeneinander international für einen Sachverhalt nach dem Internationalen Zivilverfahrensrecht zuständig sein können, das IPR aber grundsätzlich nur die Anwendung eines Rechts für einen Anknüpfungsgegenstand bestimmt.154 So können Forum und anwendbares Recht zwar übereinstimmen (die Rom III-VO versucht gerade,
148 Dafür Gruber, IPRax 2012, 381, 385 f.; ders., Rechtswahl in der Rom III-Verordnungs, S. 33, 42; Finger, FuR 2011, 61, 65. 149 In diese Richtung MK-BGB/Winkler von Mohrenfels, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 8; Hau, FS Stürner, S. 1237, 1249. 150 Rösler, RabelsZ 78 (2014), 155, 182. 151 Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, A, Rn. 376. 152 EuGH Rs. C-168/08, Hadadi, IPRax 2010, 66, 69, Rn. 38. 153 Franzina, CDT 3 (2011), 85, 116. 154 Dies hat bereits Savigny bemerkt: Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band 8, S. 169; ausführlich Mankowski, FS Heldrich, S. 867, 868 ff.; Lüttringhaus, RabelsZ 77 (2013), 31, 37.
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
dies zu erreichen, ohne den lex fori in foro proprio-Ansatz vollständig zu übernehmen)155, wenn sie den gleichen Anknüpfungspunkt wählen, sie müssen es aber nicht.156 Das Internationale Zivilverfahrensrecht ist bestrebt, dem Rechtssuchenden die Prozessführung möglichst zu erleichtern und stellt ihm daher mehrere Gerichtsstände zur Wahl, wenn eine hinreichende Verbindung besteht.157 Das IPR will hingegen das anwendbare Recht bestimmen nach dem Prinzip der engsten Verbindung. Es ist eben nicht ausreichend, dass nur irgendeine Verbindung zu einem bestimmten Recht besteht, sondern es muss sich um die engste Verbindung, aus der Sicht des internationalen Privatrechts die gerechteste Lösung handeln. Auch das Europäische IPR hat sich, trotz seiner Betonung, die Mobilität der Bürger stärken zu wollen, von diesem Prinzip nicht verabschiedet. Hinzu kommt der Wertungsunterschied zwischen IZVR und IPR. Im IZVR der Union ist ein einheitliches System zur Vermeidung von mitgliedstaatlichen Zuständigkeitsstreitigkeiten innerhalb der Union entworfen worden, für welches das Hadadi-Urteil sinnvoll ist. Das Kollisionsrecht gilt jedoch universell,158 regelt also auch Drittstaatensachverhalte, für die zumindest das Diskriminierungsverbot des Unionsrechts nicht gilt. Eine Übertragung der Hadadi-Rechtsprechung auf die Rom III-VO ist daher nicht angebracht, weil die im Urteil ausschlaggebenden Interessen im IPR ganz anders bewertet werden müssen. Als Grundsatz des Unionsrechts dürfte lediglich das Verbot der Bevorzugung der eigenen Rechtsordnung vor anderen gelten, wie sie Artikel 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB vornimmt.159 (3) Ausnahme von der Effektivitätsprüfung Damit ist aber immer noch nicht entschieden, dass Artikel 5 Abs. 1 S. 1 EGBGB bei der Rechtswahl herangezogen werden muss. Das deutsche Recht kannte bereits vor der Europäisierung die Rechtswahl und musste sich dem Problem mehrfacher Staatsangehörigkeit also schon stellen. Bei den relevantesten Rechtswahlmöglichkeiten wurde die Effektivitätsprüfung daher ausgeschlossen: Artikel 14 Abs. 2, 10 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 5 Nr. 1 EGBGB, die auch
155 NK-BGB/Hilbig-Lugani, Art. 8 Rom III-VO, Rn. 4; Franzina, CDT 3 (2011), 85, 93 ff.; allgemein Hau, FS Stürner, S. 1237, 1241 ff. 156 Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, S. 62. 157 Heldrich, Internationale Zuständigkeit, S. 63; Schack, IZVR, Rn. 248; Mankowski, FS Heldrich, S. 867, 869; Kropholler, IPR, S. 612. 158 Winkler von Mohrenfels, ZVglRWiss 115 (2016), 650, 651. 159 Althammer/Mayer, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 19; MK-BGB/Winkler von Mohrenfels, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 8; NK-BGB/Hilbig-Lugani, Art. 5 Rom III-VO, Rn. 45; jurisPKBGB/Ludwig, Art. 5 Rom III-VO, Rn. 13; Basedow, IPRax 2011, 109, 116; Coester-Waltjen/Coester, LA Schurig, 33, 39; Gruber, IPRax 2012, 381, 386; Franzina, CDT 3 (2011), 85, 111; Finger, FuR 2011, 61, 65; noch weitere Rechtsordnungen nutzen eine ähnliche Regel: Österreich, Rumänien, Italien und Polen, vgl. Mankowski, IPRax 2017, 130, 134.
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analog auf andere Fälle erweitert werden können.160 Für die Rom III-VO kann dieser Gedanke aufgenommen werden und somit die Feststellung der effektiven Staatsangehörigkeit unterbleiben.161 Die Argumente, die von denjenigen angeführt werden, die eine autonom-europäische Lösung und die Übertragung der Grundsätze aus Hadadi befürworten, sind grundsätzlich überzeugend und richtig, wenn sie auch auf der falschen Ebene geltend gemacht werden. Eine Effektivitätsprüfung kann von den Parteien sinnvoll nicht verlangt werden. Wenn das deutsche Recht sogar bei den stark eingeschränkten Rechtswahlmöglichkeiten des EGBGB eine Ausnahme hiervon macht, muss es dies erst recht für die europäischen Normen, die die Rechtswahl noch stärker in den Vordergrund. Das deutsche Recht erlaubt es, die besonderen Wertungen bei der Rechtswahl zu berücksichtigen. Dies sollte europäischer Konsens werden.162 Wo es in den mitgliedstaatlichen Kollisionsrechten bereits möglich ist, im Wege der Rechtsfortbildung auf die Feststellung der effektiven Staatsangehörigkeit zu verzichten, sollte dies aus teleologischen Erwägungen erwogen werden. cc) Neukonzeption des Begriffs der effektiven Staatsangehörigkeit Die Relevanz internationalprivatrechtlichen Interessen der Eheleute bei der Rom III-VO wird begründet durch die besondere emotionale Bedeutung, den Einschnitt ins Privatleben, den die Scheidung darstellt. Die Ehe nimmt einen überragenden Platz im Leben der Ehegatten ein, alle intimen Beziehungen sind in der Regel durch sie institutionalisiert oder mittelbar über sie verbunden. Wenn diese Ehe dann durch ein fremdes Recht geschieden wird, zu dem eine Person gar keine Verbindung hat und der andere Partner nur eine sehr lose, kann dies die Unzufriedenheit der Parteien über den Ausgang des Verfahrens noch verstärken. Dies stellt die Legitimität des Rechtsfindungsprozesses in Frage. Wenn die Anknüpfung an dieses Recht somit schon nicht durch eine offensichtliche Verbindung getragen wird, dann kann sie nur durch eine freie Entscheidung der Ehegatten gerechtfertigt werden. Nur wenn die Partner durch eine freie Wahl darauf hinwirken, dass das Recht einer nicht-effektiven Staatsangehörigkeit zur Anwendung gelangt, ist die Rechtsanwendung legitim. Die Analyse hat gezeigt, dass sich Effektivitätsprüfung und Rechtswahl nicht vereinbaren lassen. Der Nachteil von Lösungen, wie Artikel 5 Abs. 1 S. 1 EGBGB sie vorsieht, liegt darin begründet, dass sie zu grob sind für Rechtswahlverträge. Sie sind für die objektive Anknüpfung gemacht. In einem IPR, das Rechtswahlanknüpfungen als Verlegenheitslösungen für den Notfall betrachtet, ist das nicht weiter bedenklich. Im Europäischen Kollisionsrecht 160 Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effizienz, S. 496 ausführlich, S. 343 ff.; vgl. auch Kegel/Schurig, IPR, S. 843. 161 Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, A, Rn. 377. 162 Hau, FS Heldrich, S. 1237, 1249.
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
können die Folgen gravierender sein. Hier besteht die Notwendigkeit, den Begriff der effektiven Staatsangehörigkeit zu überdenken und für Belange der Rechtswahl neu zu konstruieren. Hinter Artikel 5 Abs. 1 EGBGB steht, plakativ gesagt, der Grundsatz „es kann nur eine Rechtsordnung geben“. Anders wäre eine objektive Anknüpfung nicht möglich. Artikel 5 Abs. 1 S. 1 EGBGB löst also ein spezielles Anknüpfungsproblem.163 Dieses Problem stellt sich bei einer Rechtswahl gar nicht. Die Lösung dieser Anknüpfungsverlegenheit übernimmt letztlich die Einigung der Ehegatten. Daher ist es möglich, dass eine Person für die Belange der subjektiven Anknüpfung mehrere effektive Staatsangehörigkeiten hat. Es muss unter verschiedenen engen Verbindungen keine engste bestimmt werden. Internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit ergibt sich aus dem Zusammenspiel von enger Verbindung und Parteiwille. Weil die internationalprivatrechtlichen Interessen aber immer noch eine nicht zu vernachlässigende Bedeutung spielen und eine Erweiterung der Rechtswahlmöglichkeiten den Parteien eine größere Verantwortung aufbürdet, kann über einen neuen Ansatz nachgedacht werden. Eine Effektivitätsprüfung unter umgekehrten Vorzeichen erscheint für die Rechtswahl sinnvoll: Nicht das Recht, zu dem die engste Verbindung besteht, muss festgestellt werden. Sondern es müssen die Fälle aussortiert werden, in denen aus internationalprivatrechtlicher Perspektive beide Parteien kein Interesse an der Anwendung dieses Rechts haben. Je geringer dabei die Verbindung der Person, die die Staatsangehörigkeit formal innehat, zu der Rechtsordnung ist, desto unangemessener ist es erst recht für die andere Partei, dieses Recht anzuwenden. Dem Effektivitätsprinzip kommt dadurch eher die Rolle einer Plausibilitätskontrolle zu. Sie soll vor Missbrauch schützen und die Anwendung von Rechtsordnungen ausschließen, zu denen die Ehegatten offensichtlich keine Beziehung haben. Dies ist etwa der Fall, wenn der formelle Staatsangehörige nicht einmal die Sprache dieses Landes spricht, noch nie oder schon seit einer sehr langen Zeit (einige Jahre werden hierfür sicher nicht reichen) nicht mehr in dem Land war oder ähnliches. Letztlich ist dies eine Frage des Einzelfalls, die unter Abwägung aller konkreten Umstände beantwortet werden muss. Dabei sollte man mit der Annahme einer subjektiv erheblichen effektiven Staatsangehörigkeit großzügig sein. Problematisch ist, wie man eine solche Effektivitätsprüfung für die Rechtswahl dogmatisch umsetzen kann. Dies ist letztlich genau so schwierig wie bei Artikel 5 Abs. 1 EGBGB. Es gibt keine Möglichkeit, dass diese Effektivitätsprüfung von den Parteien vorgenommen wird oder dass sie erfahren, welche Rechtsordnungen sie wählen können. Wenn sie eine freie, selbstbestimmte Entscheidung ohne Druck treffen können, würden sie ein Recht, zu dem sie keine 163
MK-BGB/Sonnenberger, 5. Auflage, Art. 5 EGBGB, Rn. 3.
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Verbindung haben, sowieso nicht wählen. Wenn sie dazu nicht in der Lage sind, wird ihnen niemand diese Entscheidung vor der Rechtswahl abnehmen. Der passende Ort für solche Überlegungen ist die Wirksamkeitskontrolle nach der Rechtswahl. Es wird an anderer Stelle zu zeigen sein, dass das Konzept der Effektivitätsprüfung bei der Rechtswahl ein wichtiges Kriterium unter mehreren sein kann, um eine Wirksamkeitskontrolle zu begründen.164 b) Flüchtlinge, Asylberechtigte, andere Migrationsformen und Staatenlose aa) Verschiedene Formen der Migration Grenzüberschreitende Migration findet nicht allein durch die Inanspruchnahme von Freizügigkeit auf geordneten Bahnen statt. Krieg, Vertreibung und Not in großen Teilen der Welt zwingen viele Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen und andere Staaten dazu, ihnen Schutz zu gewähren. Die Aufnahme und Integration dieser Menschen stellt auch an das IPR besondere Anforderungen. Die verschiedenen Migrationsformen, die das öffentliche Recht kennt, erfordern differenzierte Antworten im Kollisionsrecht: So gilt es, eine passende Anknüpfung von Rechtsfragen zu finden für Flüchtlinge, Asylberechtige, subsidiär nach der Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU Schutzberechtigte, abgelehnte Asylbewerber mit Aufenthaltstitel, nicht anerkannte Flüchtlinge und Asylbewerber, Geduldete, Menschen ohne Aufenthaltstitel und ohne subsidiäre Schutzberechtigung, Asylbewerber im laufenden Verfahren und personae coniunctae mit abgeleitetem Schutzstatus.165 Im Rahmen der Rechtswahl nach Artikel 5 Rom III-VO stellt sich die Frage, ob diese Personen die Möglichkeit haben, das Recht des Staates zu wählen, den sie zu verlassen gezwungen waren. Dies sei zunächst am Beispiel von Flüchtlingen im Rechtssinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK)166 veranschaulicht. Die GFK regelt in ihrem Artikel 1 ausführlich, welchen Personen der Flüchtlingsstatus zusteht.167 Praktisch kann man davon ausgehen, dass alle Personen, denen der Flüchtlingsstatus nach § 3 Abs. 4 AsylG zuerkannt ist, Flüchtlinge sind; ansonsten ist die Flüchtlingseigenschaft individuell festzustellen.168 Zunächst ist wieder unklar, ob sich die Antwort aus der Rom III-Verordnung selbst ergibt oder dem mitgliedstaatlichen Recht überlassen bleibt. Dem Ver-
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Siehe dazu unten § 8 B. II. 4. a) aa). Kategorisierung durch Mankowski, IPRax 2017, 40 ff. 166 Geneva Convention relating to the Status of Refugees of 28 July 1951, 189 UNTS 150 (= Genfer UN-Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. 1953 II 560). 167 Ausführlich Lass, Der Flüchtling im deutschen Internationalen Privatrecht, S. 38 ff. 168 OLG Hamm, Beschluss vom 29. Juli 1991, Az. 15 W 147/91, NJW-RR 1992, 391, 392; Mankowski, IPRax 2017, 40, 41; kritisch Majer, StAZ 2016, 337, 339. 165
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
ordnungstext ist insoweit keine Antwort zu entnehmen. Die herrschende Meinung sieht hier eine Regelungslücke und will in Analogie zu Erwägungsgrund (22) Rom III-VO die Antwort im nationalen Recht suchen.169 Hausmann wendet gegen diese Ansicht ein, dass dem Verordnungsgeber die Flüchtlingsproblematik bewusst gewesen sein muss. Er habe daher bewusst eine Regelung vermieden, so dass Erwägungsgrund (22) und somit nationales Recht nicht zur Lückenschließung entsprechend herangezogen werden könnten. Flüchtlinge hätten zu ihrem Herkunftsstaat auf Grund der Flucht keine Verbindung mehr. Daher stehe zumindest die Wahlmöglichkeit nach Artikel 5 Abs. 1 lit. c) Rom III-VO den Parteien nicht mehr offen.170 Es gibt jedoch tatsächlich keinen Anhaltspunkt, dass man es hier mit einem beredten Schweigen zu tun hätte. Genauso gut könnten sich die an der Verordnungsentstehung beteiligten Akteure nicht einig gewesen sein. In diesem Fall würde es besser zum Europäischen Kollisionsrecht passen, diese Entscheidung den Mitgliedstaaten zu überlassen, wie Erwägungsgrund (22) Rom III-VO andeutet, wie es die Verordnung aber auch in anderen Fällen vorsieht, in denen kein Konsens über eine einheitliche Regelung finden lässt, vgl. Erwägungsgrund (10) UAbs. 3 Rom III-VO. Schließlich lässt sich auch nicht ausschließen, dass das Problem übersehen wurde. Die Lösung sollte daher im nationalen Recht gesucht werden. Dort lässt sich dann auch eine differenzierte und interessengerechte Lösung finden, die es im Fall einer groben Versagung der Wahlmöglichkeit nach Artikel 5 Abs. 1 lit. c) Rom III-VO nicht geben könnte. Für die Anknüpfung des Personalstatuts greift im deutschen IPR allgemein Artikel 12 Abs. 1 GFK, der nach Artikel 3 Nr. 2 EGBGB Anwendungsvorrang vor den Regeln des EGBGB hat.171 Artikel 12 Abs. 1 GFK ersetzt die Anknüpfung durch das Personalstatut durch die Anknüpfung an das Recht seines Wohnortes, hilfsweise an das Recht des reinen Aufenthaltes. Dafür gibt es drei Gründe: Zum einen will man aus humanitären Erwägungen eine für die Geflüchteten unangemessene und diskriminierende Anknüpfung vermeiden, da man davon ausgeht, dass die traumatisierende Flucht aus dem Herkunftsland zu einer Entfremdung von dieser Rechtsordnung geführt hat. Zudem fördert die Domizilanknüpfung die Integration in die neue Umgebung. Schließlich führt Artikel 12 Abs. 1 GFK praktisch auch häufig zu einer Anwendung der lex fori
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Rauscher/Helms, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 38; NK-BGB/Hilbig-Lugani, Art. 5 Rom III-VO, Rn. 47; Palandt/Thorn, Art. 5 Rom III, Rn. 4; Gruber, IPRax 2012, 381, 386; Franzina, CDT 3 (2011), 85, 111 f. 170 Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, A, Rn. 378; auch Niethammer-Jürgens, Auswirkungen des Flüchtlingsstatuts, S. 119, 123 ff. 171 BeckOK-BGB/Lorenz, Artikel 5 EGBGB, Rn. 12, 20; Kegel/Schurig, IPR, S. 462; Mankowski, IPRax 2017, 40, 41.
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und erspart die Ermittlung des ausländischen Rechts.172 Die herrschende Meinung will daher Artikel 5 Abs. 1 lit. c) Rom III-VO so interpretieren, dass die Parteien bei Flüchtlingsstatus eines Ehegatten anstelle der Staatsangehörigkeit das Recht am Domizil der geflüchteten Person wählen können.173 So sinnvoll dieser Weg für die objektive Anknüpfung ist, so lässt sich jedoch argumentieren, dass für die Rechtswahl wieder eine andere Interessenbewertung sinnvoll ist.174 Aus der Situation des Flüchtlings betrachtet, kann der Wunsch, mit seiner Vergangenheit abzuschließen und mit dem Land zu brechen, dessen Staatsangehöriger er zwar ist, das ihn aber verfolgt und bedroht hat, eine ausreichend enge Verbindung zum Land des Wohnorts herstellen, so dass die internationalprivatrechtlichen Interessen des anderen Ehegatten nicht dadurch gefährdet würden, wenn dieses Recht gewählt würde. Andrae weist jedoch völlig richtig darauf hin, dass dies nur Vermutungen sind.175 Im Einzelfall könnte sich der Flüchtling, trotz Verfolgung, immer noch stark mit seiner Heimat identifizieren, ob aus kulturellen, religiösen oder sentimentalen Gründen. Auch das gemeinsame Eheleben kann von dieser Rechtsordnung geprägt sein, etwa weil die Parteien im Herkunftsland ihre Ehe geschlossen haben und sich daher kulturell mit dieser Rechtsordnung verbunden fühlen. Es sprechen auch keine öffentlichen Interessen für eine Einschränkung der Wahlmöglichkeiten. Insbesondere kann nicht im Rahmen der Integration verlangt werden, dass Geflüchtete jede Verbindung zum Heimatland kappen müssen.176 Geflüchteten kann nicht mehr Anpassungsleistung abgefordert werden als anderen Migranten. Die Neubestimmung des Personalstatuts nach Artikel 12 GFK erfolgt zum Schutz der geflüchteten Person, nicht primär aus öffentlichen Interessen. Nach Auffassung von Andrae sollte dem Flüchtling in diesem Fall die Wahl seines Heimatrechts offenbleiben, selbst wenn sein Personalstatut objektiv an seinen gewöhnlichen Aufenthalt geknüpft wird.177 Dies kann man so verstehen, dass nach ihrer Ansicht sich einfach nichts an der Anknüpfung von Artikel 5 172 Zu allen Punkten Lass, Der Flüchtling im deutschen Internationalen Privatrecht, S. 2 ff.; Majer, StAZ 2016, 337, 339 argumentiert, dass sich auf Grund der Diversität der Fluchtursachen nicht argumentieren lasse, dass Flüchtlinge immer mit der Rechtsordnung des Landes brechen wollen. 173 Althammer/Mayer, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 20; Gruber, IPRax 2012, 381, 386. 174 Andeutend schon Lass, Der Flüchtling im deutschen Internationalen Privatrecht, S. 3; vgl. auch in der Argumentation weitgehend gleich Majer, StAZ 2016, 337, 339 f., der allerdings für eine generelle teleologische Reduktion von Artikel 12 GFK plädiert, ohne allerdings die Rechtswahl als Ausweg in Betracht zu ziehen. 175 Andrae, Internationales Familienrecht, § 4, Rn. 18. 176 So aber Niethammer-Jürgens, Auswirkungen des Flüchtlingsstatuts, S. 119, 123, 128 f. 177 Andrae, Internationales Familienrecht, § 4, Rn. 18; zustimmend Rauscher/Helms, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 38.
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
Abs. 1 lit. c) Rom III-VO ändert. M. E. muss man noch einen Schritt weitergehen. Die besondere Position des Flüchtlings, der sowohl zu seiner verlorenen Heimat einen Bezug hat, als auch zu seinem neuen Aufenthaltsland einen Bezug aufbauen möchte, rechtfertigt es, ihm und seinem Ehegatten nach lit. c) sowohl sein Heimatrecht, als auch, wenn er dies möchte, das Recht des neuen Domizils zur Wahl zu stellen.178 Es kann eben einfach sein, dass die kulturelle Verbundenheit mit dem Heimatstaat nicht abgerissen ist. Wie Henrich es für Asylsuchende in der Bundesrepublik ausdrückt: Diese Personen „wollen Schutz vor der Verfolgung, aber nicht ein deutsches Personalstatut.“179 Die Interessen der anderen Partei werden dadurch nicht berührt, weil immer eine ausreichend enge Verbindung die Rechtswahl legitimiert. Darüber hinaus werden die Interessen des zwischen zwei Rechtssystemen hin- und hergerissenen Asylsuchenden so respektiert. In diesem Fall spricht nichts dagegen, den Parteien zusätzlich Flexibilität und Eigenverantwortung zu ermöglichen. Artikel 12 Abs. 1 GFK kann für diese Fälle teleologisch reduziert werden. Er ist nicht für die Belange einer Rechtswahl konzipiert worden. Wie sein Absatz 2 aber zeigt, hat er eine hauptsächlich individualschützende Wirkung, weshalb es der Autonomie der geflüchteten Person überlassen bleibt, ihre Interessen selbst auszudrücken. Das Ziel, die Integration in das Recht des Domizilstaats zu fördern, ist demgegenüber nachrangig. So wichtig und sinnvoll Integration ist, sie steht und fällt nicht mit dem Scheidungsstatut. Asylberechtigte nach Artikel 16a Abs. 1 GG müssen diese Wahlmöglichkeit ebenfalls haben. Die Interessenlage ist hier die gleiche. § 2 Abs. 1 AsylG stellt Asylberechtigte den Flüchtlingen gleich und verweist auch auf Artikel 12 GFK.180 § 2 Abs. 2 AsylG stellt allerdings klar, dass immer die für den Asylberechtigten günstigste Regel zur Anwendung gelangen soll. Unabhängig davon, ob damit ein Günstigkeitsvergleich angeordnet ist oder nicht,181 wird damit jedoch wenigstens die individualschützende Zielrichtung von § 2 Abs. 1 AsylG deutlich, so dass die Rechtsfortentwicklung auch hier tragbar erscheint. Bei subsidiär Schutzberechtigten, bei denen Artikel 12 GFK nach dem Wortlaut nicht eingreift, sind die Regeln zur Rechtswahl bei Flüchtlingen ebenfalls anzuwenden. Das Band zum Herkunftsstaat kann hier theoretisch genauso
178 Majer, StAZ 2016, 337, 339 f.; wohl auch BeckOK-BGB/Heiderhoff, Art. 5 Rom IIIVO, Rn. 12. 179 Henrich, FS Jayme, S. 321, 328. 180 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20. März 1989, Az. 3 Wx 105/89, StAZ 1989, 281, 282; Palandt/Thorn, Anhang Artikel 5 EGBGB, Rn. 26; Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effizienz, S. 84; Lass, Der Flüchtling im deutschen Internationalen Privatrecht, S. 56; Mankowski, IPRax 2017, 40, 42. 181 Dafür: Lass, Der Flüchtling im deutschen Internationalen Privatrecht, S. 60; Jayme, IPRax 1984, 114, 115.
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stark sein. Da sie aber einen subsidiären Schutz durch den Aufnahmestaat genießen, sind sie Flüchtlingen weitestgehend gleichzustellen.182 Bei allen Personen mit einem niedrigeren Status bleibt es hingegen bei der Wahlmöglichkeit des Staatsangehörigkeitsrechts, da die Verbindung zu diesem Staat nicht abgerissen ist. So nimmt man diesen Personen auf Grund ihres Status keine Position weg. Das Recht des Aufenthaltsstaats bleibt evtl. wählbar über die Möglichkeiten des gewöhnlichen Aufenthalts. Dieser kann bei Asylbewerbern im laufenden Asylverfahren mit Einreichung des Antrags im Aufnahmestaat angenommen werden, da sich hierdurch ein hinreichender animus manendi manifestiert.183 bb) Staatenlose Ein weiteres Problem ergibt sich, wenn einer der Ehegatten staatenlos ist.184 Die Frage, ob sich die Rechtswahlmöglichkeiten nach Artikel 5 I lit. c) Rom III-VO in diesem Fall ändern, wird unterschiedlich beantwortet. Aus dem gesamten Text der Verordnung ergibt sich dafür keine Lösung. Gemäß Artikel 12 Abs. 1 des New Yorker UN-Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28.9.1954185 bestimmt sich für Staatenlose das Personalstatut nach den Gesetzen des Landes ihres Wohnsitzes oder, wenn sie keinen Wohnsitz haben, nach dem Recht des Landes ihres schlichten Aufenthalts. Es stellt sich jedoch die Frage, ob anlässlich einer Rechtswahl den Ehegatten das Recht des Wohnsitzes des staatenlosen Ehegatten zur Option stehen sollte, oder ob die Rechtswahl nach Artikel 5 Abs. 1 lit. c) Rom III-VO sich in diesem Fall auf die tatsächlich existierende Staatsangehörigkeit des anderen Ehegatten beschränken sollte (oder im Falle doppelter Staatenlosigkeit ganz wegfällt). Die überwiegende Meinung bejaht die erste Lösung. Sie argumentiert wieder mit dem Grundgedanken von Erwägungsgrund (22). Dieser ist seinem Wortlaut nach zwar nicht einschlägig. Da das Problem aber übersehen worden sei, könne der Erwägungsgrund entsprechend herangezogen und die unbeabsichtigte Lücke durch nationales Recht geschlossen werden. Auf diesem Weg gelangt man zur Anwendung von Artikel 12 des UN-Übereinkommens vom 28.9.1954186 oder von ähnlichen Vorschriften wie Artikel 5 Abs. 2 EGBGB mit 182
Mankowski, IPRax 2017, 40, 44. Mankowski, IPRax 2017, 40, 47. 184 Das Problem stellt sich natürlich genau so, wenn beide Ehegatten staatenlos sind. Diese Konstellation dürfte noch seltener vorkommen und ist im Folgenden immer auch mitgemeint. Sie wird nach den gleichen Maßstäben gelöst. 185 BGBl. 1976 II, 474; abgedruckt bei Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht, Nr. 12. 186 BeckOGK-BGB/Gössl, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 52; Palandt/Thorn, Art. 5 Rom III, Rn. 4; Rauscher/Helms, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 37; NK-BGB/Hilbig-Lugani, Art. 5 183
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
der gleichen Rechtsfolge.187 Diese knüpfen an den gewöhnlichen Aufenthalt an. Wieder wird dagegen vorgebracht, dass dem Verordnungsgeber die Problematik der Staatenlosigkeit bewusst gewesen sein müsse. Er habe daher bewusst eine Regelung vermieden, so dass Erwägungsgrund (22) und somit nationales Recht nicht zur Lückenschließung entsprechend herangezogen werden können. Das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Staatenlosen stehe den Parteien damit zumindest nicht nach Artikel 5 Abs. 1 lit. c) Rom III-VO zur Wahl.188 Letztlich kann hier nichts anderes gelten als bei Flüchtlingen. In der Person des Staatenlosen ist kein Grund angelegt, der eine Differenzierung rechtfertigen würde. Wenn für die objektive Anknüpfung des Personalstatuts eines Staatenlosen der gewöhnliche Aufenthalt herangezogen werden kann, dann ist dieser Anknüpfungspunkt in diesem Fall auch für die Rechtswahl akzeptabel. Die Rom III-VO hat durch Artikel 5 Abs. 1 lit. c) Rom III-VO den Grundsatz, eine enge Verbindung beider Ehegatten zum anwendbaren Recht zu gewährleisten, durchbrochen. Ob nun das Recht einer einseitigen Staatsangehörigkeit oder ausnahmsweise das Recht des einseitigen gewöhnlichen Aufenthalts gewählt werden kann, ist praktisch auch unerheblich. Diese Lösung führt nicht zu neuen Problemen, die zum Schutz der schwächeren Partei vermieden werden müssen. Es kann somit auch das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort einer staatenlosen Person gewählt werden. c) Staatsangehörigkeit und interlokales Privatrecht aa) Problemaufriss Die Rechtsordnung mancher Staaten sieht kein einheitliches Privatrecht vor. Es ist dann aufgespalten in mehrere Teilrechtsordnungen. Wählen die Parteien nach Artikel 5 Abs. 1 lit. a) oder b) Rom III-VO das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts eines oder beider Ehegatten, so ergeben sich keine besonderen Probleme. Nach Artikel 14 lit. b) Rom III-VO ist jede Bezugnahme auf den gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Staat als Bezugnahme auf den gewöhnlichen Aufenthalt in einer Gebietseinheit zu verstehen. Optieren die Parteien jedoch über Artikel 5 Abs. 1 lit. c) Rom III-VO für ein territorial gespaltenes Staatssystem, so wird die Sache komplizierter. Hier greift Artikel 14 lit. c) Rom III-VO. Dieser bestimmt, „dass jede Bezugnahme auf die Staatsangehörigkeit […] die durch das Recht dieses Staates bezeichnete Gebietseinheit“ betrifft, „oder, mangels einschlägiger Vorschriften, die durch Rom III-VO, Rn. 46; Andrae, Internationales Familienrecht, § 6, Rn. 18; Gruber, IPRax 2012, 381, 386; Franzina, CDT 3 (2011), 85, 111 f. 187 So andeutend Erman/Hohloch, Art. 5 Rom III, Rn. 8. 188 Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, Art. 5 Rom IIIVO, Rn. 378.
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die Parteien gewählte Gebietseinheit oder, mangels einer Wahlmöglichkeit, die Gebietseinheit, zu der der Ehegatte oder die Ehegatten die engste Verbindung hat bzw. haben.“ Diese Vorschrift lohnt einen näheren Blick. Sie löst nicht nur das altbekannte Problem der territorialen Rechtsspaltung auf unkonventionelle Weise, sondern sorgt (deshalb?) selbst für mehrere Unklarheiten. Zudem kann sie näheren Aufschluss geben zur genauen Positionierung der Rom III-VO zwischen traditionellen IPR und neuem Kollisionsrecht, was auch für die Frage des Schwächerenschutzes bedeutsam ist. Artikel 14 lit. c) Rom III-VO errichtet eine Anknüpfungsleiter.189 Zunächst wird das interlokale Privatrecht des jeweiligen Landes mit Territorialspaltung selbst befragt. Dies ist ein ganz traditioneller Schritt, der sich ebenso zum Beispiel in Artikel 4 Abs. 3 S. 1 HS. 2 EGBGB findet. Ein solches einheitliches interlokales Recht findet sich zum Beispiel in Artikel 14 Abs. 1 Código Civil im spanischen Recht.190 Bei anderen Ländern wie den USA ist die Lage nicht so eindeutig. Die herrschende Meinung geht davon aus, dass die Vereinigten Staaten kein solches interlokales Privatrecht haben.191 Fehlen einschlägige Vorschriften, so knüpft die 2. Stufe von Artikel 14 lit. c) Rom III-VO an das Recht der „durch die Parteien gewählte[n] Gebietseinheit“ an. Diese Möglichkeit ist im Internationalen Familienrecht neu und ungewöhnlich.192 Sie soll näher beleuchtet werden. Zunächst lassen sich in der Literatur Uneinigkeiten feststellen, was diese Formulierung bedeuten soll. Andrae versteht die Vorschrift folgendermaßen: Fehlt es an einer gesamtstaatlichen Regelung, „kann jede Partei selbst angeben, welchem Gebiet sie zugeordnet werden soll.“193 Was dies im Zusammenhang der Rechtswahl bedeutet, wird nicht ganz klar. Angenommen, ein in Deutschland lebender US-Amerikaner und seine deutsche Ehepartnerin möchten USRecht wählen. Soll dann nur der Ehemann bestimmen dürfen, welches Privatrecht der USA gewählt werden kann? Eichel hält die Norm für widersprüchlich und daher für unanwendbar. Zunächst kritisiert er, dass der Verordnungsgeber mit Artikel 14 lit. c) 1. Variante 189
NK-BGB/Nordmeier, Art. 14 Rom III-VO, Rn. 21; Palandt/Thorn, Art. 14 Rom IIIVO, Rn. 2. 190 NK-BGB/Nordmeier, Art. 14 Rom III-VO, Rn. 22, Fn. 35; Schröder, Die Verweisung auf Mehrrechtsstaaten, S. 179; Jayme, RabelsZ 55 (1991), 303, 306; González Beilfuss, IPRax 1992, 396, 397 f. 191 OLG Zweibrücken, Urteil vom 3. November 1998, Az. 5 UF 44/98, FamRZ 1999, 940; MK-BGB/Winkler von Mohrenfels, Artikel 14 Rom III-VO, Rn. 6; Schröder, Die Verweisung auf Mehrrechtsstaaten, S. 219; Staudinger/Hausmann, Anhang zu Artikel 4 EGBGB, Rn. 84. 192 Eichel, Interlokale und interpersonale Rechtsspaltung, S. 397, 414; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, A, Rn. 515; Gruber, IPRax 2012, 381, 389; vielleicht übersieht sie Pietsch, NJW 2012, 1768, 1769 daher ganz. 193 Andrae, Internationales Familienrecht, § 4, Rn. 39.
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Rom III-VO vom grundsätzlichen Prinzip des Artikels 14 lit. a) Rom III-VO abweiche und eine Gesamtverweisung auf das (interlokale) Kollisionsrecht des Mehrrechtsstaates vornehme, anstatt den Parteien von vorneherein die Wahl selbst zu überlassen. Auf Grund dieses Widerspruchs sei die Norm unanwendbar und das interlokale Kollisionsrecht eines Staates bei der Rechtswahl grundsätzlich nicht zu berücksichtigen.194 In den Fällen, wo ein Staat kein interlokales Recht habe, ergebe sich die Wahlmöglichkeit jeder Teilrechtsordnung bereits aus Artikel 5 Rom III-VO, was Artikel 14 lit. b) Rom III-VO noch einmal bestätige.195 Diese Auslegungen machen skeptisch. Die Lösung von Andrae widerspricht dem Wortlaut. Dieser spricht von der „von den Parteien gewählte[n]“ Rechtsordnung, nennt die Parteien also im Plural. Die anderen Sprachfassungen der Verordnung weichen hiervon nicht ab.196 Es kann ein regionales Privatrecht demnach nur von beiden Parteien gemeinsam gewählt werden. Eine Vorsortierung durch einen Partner findet nicht statt. Die Ansicht von Eichel beruht wohl teilweise auf Missverständnissen. Man kann zwar kritisieren, dass die Rom III-VO bei einer Rechtswahl nach Artikel 5 lit. c) Rom III-VO den Parteien gemäß Artikel 14 lit. c) Rom III-VO die Wahl der Teilrechtsordnung nur überlässt, wenn es keine gesamtstaatliche interlokale Kollisionsregel gibt. Im Folgenden wird die Sinnhaftigkeit dieser Normierung auch diskutiert werden müssen. Eine Unanwendbarkeit von Artikel 14 lit. c), Var. 1 Rom III-VO kann daraus jedenfalls nicht abgeleitet werden, weil die Parteiautonomie kein überpositives Prinzip ist, sondern immer nur im Rahmen der und durch die Grenzen der Rechtsordnung gewährt wird. Mag die Norm rechtspolitisch unerwünscht sein, sie steht nicht im Widerspruch zu einer anderen Norm. Zudem wird nicht klar, wie sich die Möglichkeit zur Wahl jedes Teilrechts bereits aus Artikel 5 Rom III-VO ergeben soll, erst recht nicht aus Artikel 14 lit. b) Rom III-VO. Artikel 5 Rom III-VO sagt allgemein eben gerade nichts von Teilrechtsordnungen. Artikel 14 lit. b) Rom III-VO hilft hier nicht weiter, weil es dabei nur um die Wahl des Rechts am gewöhnlichen Aufenthalt geht. Was soll diese Vorschrift aber etwa einer US-Amerikanerin mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland sagen, die gerne ein US-Amerikanisches Recht wählen will. Auch die Grundregel197 von Artikel 14 lit. a) Rom IIIVO hilft hier nicht weiter. Sie sagt bloß grob, dass Teilrechtsordnungen wie die Rechte eines eigenen Staates behandelt werden können. Bei Artikel 5 Abs. 1 lit. c) Rom III-VO sagt diese Regel aber nichts aus: Es gibt zwar etwa 194 Eichel, Interlokale und interpersonale Rechtsspaltung, S. 397, 414; zustimmend Althammer/Mayer, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 21. 195 Eichel, Interlokale und interpersonale Rechtsspaltung, S. 397, 415. 196 Eng.: „chosen by the parties“; Fr.: „choisie par les parties“; Ital.: „dalle parti“; Span.: „elegida por los partes“. 197 Rauscher/Helms, Artikel 14 Rom III-VO, Rn. 6.
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eine US-amerikanische Staatsangehörigkeit, aber keine Staatsangehörigkeit von Illinois oder Michigan. Man muss Artikel 14 lit. c) Rom III-VO also einfach beim Wort nehmen: Wählen die Parteien das Recht der Staatsangehörigkeit eines Gatten, so bestimmt zunächst das interlokale Privatrecht des Staates, welches Recht zur Anwendung kommt. Fehlen solche Regeln, können die Parteien die Teilrechtsordnung selbst bestimmen. Nur wenn sie dies nicht getan haben – weil sie etwa nur „US-amerikanisches Recht“ gewählt haben – kommt es auf die engste Verbindung an.198 Die Rechtswahlvereinbarung ist dann jedenfalls nicht nichtig.199 bb) Rechtfertigung mit internationalprivatrechlichen Interessen Mit Artikel 14 lit. c), Var. 2 Rom III-VO scheint der Verordnungsgeber über sein Ziel, maßvoll Parteiautonomie einzuräumen, hinausgeschossen zu sein. Durch den Verzicht, die Anknüpfung der Teilrechtsordnung wie in Artikel 14 lit. b) Rom III-VO selbst zu regeln, werden den Parteien Rechtsordnungen zur Wahl gestellt, zu denen sie überhaupt keine Beziehung haben. Man muss sich hier nur den Extremfall der Vereinigten Staaten vor Augen führen, der gleichfalls bestimmt nicht unwahrscheinlich ist. Ist bei einem Ehepaar mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem teilnehmenden Staat einer der Ehegatten US-Amerikaner, so haben die Parteien nach Artikel 5 Abs. 1 lit. c) die Wahl zwischen 50 verschiedenen Privatrechtsordnungen. Haben oder hatten sie lediglich ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Bundesstaat, so können sie nach Artikel 14 lit. b) nur das Ortsrecht wählen. Diese Diskrepanz ist überraschend und schwer handhabbar.200 Wenn man genauer überlegt, ob ein Interessenunterschied besteht, wird man nicht fündig. Aus dem Kriterium der Staatsangehörigkeit im Vergleich zum gewöhnlichen Aufenthalt ergibt sich nichts. Die Verbundenheit mit der kulturellen Heimat ist nicht so eng, dass gleichzeitig die Rechtsordnung eines jeden anderen Bundesstaats dem Staatsangehörigen bewusst ist. Die Parteien haben keinerlei internationalprivatrechtlich durchschlagende Interessen, nach dem Recht eines jeden Teilrechts geschieden werden zu können. Auch sprechen nicht Gründe der Anknüpfungsverlegenheit für die Zulassung einer solch weitreichenden Rechtswahlmöglichkeit.201 Zwar ist, im Gegensatz zum gewöhnlichen Aufenthalt, die Staatsangehörigkeit nicht lokalisierbar. Eine Notanknüpfung an die engste Verbindung ist deshalb jedoch nicht 198
Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, A, Rn. 517; der deutsche Wortlaut ist somit ungenau: es kommt nicht auf eine Wahlmöglichkeit an, sondern ob eine Wahl tatsächlich stattgefunden hat, vgl. etwa die englische Sprachfassung und Rauscher/Helms, Artikel 14 Rom III-VO, Rn. 10. 199 So Althammer/Mayer, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 21. 200 Kritik auch von Gruber, IPRax 2012, 381, 389; NK-BGB/Nordmeier, Art. 14, Rn. 22. 201 So Rauscher/Helms, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 9 Rom III-VO.
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so vage, dass sie nicht beherrschbar wäre und zu willkürlichen Ergebnissen führen muss. In den meisten Fällen dürfte es leichtfallen, eine Entscheidung zu treffen; in anderen ist sie nicht schwieriger als die Bestimmung der effektiven Staatsangehörigkeit, die bei Mehrstaatern ebenfalls vorgenommen werden muss. Der Vorrang der Beachtung des interlokalen Kollisionsrechts des Staates nach Artikel 14 lit. c), 1. Var. Rom III-VO erscheint hier in diesem Licht jedenfalls als sachgerecht. Mit den Interessenabwägungen des klassischen IPR kommt man dem Regelungsgehalt des Artikels 14 lit. c) Var. 2 Rom III-VO somit nicht näher. cc) Erklärung mit anderen Interessen Versucht man, andere Gründe zu suchen, wird es jedoch nicht einfacher. Aus dem Erwägungsgrund (28) Rom III-VO, der sich auf Artikel 14 Rom III-VO bezieht, erfährt man ebenfalls nichts. Es können daher nur die allgemeinen Begründungskriterien herangezogen werden: Flexibilität und Rechtssicherheit, Erwägungsgrund (15). Sicherlich würde eine umfassende Rechtswahl zu Rechtssicherheit führen, wenn die Wahlmöglichkeiten von den Parteien gut beherrschbar wären und auch schwächere Parteien zu einer Entscheidung gelangen können, die ihren Interessen entspricht. Dies ist zweifelhaft, wenn die durch Artikel 5 Rom III-VO vorgesehenen typischerweise vielleicht 3–5 Rechtswahlmöglichkeiten durch Artikel 14 lit. c) Rom III-VO verzehnfacht werden. Dem europäischen Gesetzgeber dürfte die unkontrollierbare Reichweite dieser Vorschrift inzwischen aufgefallen sein. Die parallele Vorschrift in der EuErbVO, Artikel 36 Abs. 2 lit. b) knüpft, mangels eines eigenständigen interlokalen Privatrechts des Heimatstaates, direkt an die engste Verbindung an. Auch in den Güterrechts-VOen findet sich eine Wahlmöglichkeit der Parteien nicht mehr.202 De lege lata kann die Norm jedoch nicht ignoriert werden. Es gilt darum vielmehr, ihre Schwächen an anderer Stelle auszugleichen. dd) Einschränkung der Risiken Entscheidend ist daher die dogmatische Einordnung dieser Optionsmöglichkeit. Es handelt sich hierbei um eine echte Rechtswahl, auch wenn sie nicht eigenständig steht, sondern Artikel 5 Abs. 1 lit. c) ergänzt.203 Dies hat zur Folge, dass auf die Rechtswahl die Schutzvorschriften der Artikel 6 und 7 Rom III-VO Anwendung finden. So können die allergröbsten Unbilligkeiten
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Siehe unten D. III. Althammer/Schäuble, Artikel 14 Rom III-VO, Rn. 12; NK-BGB/Nordmeier, Artikel 14 Rom III-VO, Rn. 22; Erman/Hohloch, Artikel 14 Rom III-VO, Rn. 3; jurisPK-BGB/Ludwig, Artikel 14 Rom III-VO, Rn. 7. 203
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wohl vermieden werden. Am Problem, im schlimmsten Fall aus 50 verschiedenen Privatrechtsordnungen die passende auszuwählen, ändert sich jedoch nichts. In der Literatur wird teilweise behauptet, bei der Wahl nach Artikel 14 Rom III-VO handele es sich nicht um eine wirkliche Rechtswahl.204 Über Artikel 5 Rom III-VO könnten die Parteien auf einer primären Stufe das anzuwendende Recht wählen, begründet allein mit der Autonomie der Parteien. Artikel 14 Rom III-VO greife erst auf einer sekundären Ebene ein, als Korrekturinstrument aus rein praktischen Gründen, wenn die Anknüpfung nicht zu eindeutigen Ergebnissen führe. Aus diesem Grund sollte die Wahl nach Artikel 14 Rom III-VO großzügiger zugelassen werden. Auf die zeitliche oder begriffliche Differenzierung kommt es aber nicht an. Sicherlich muss logisch zuerst das Heimatrecht bezeichnet werden, bevor unter dessen Rechtsordnungen ein Teilrecht ausgewählt wird. In der Regel fallen diese Akte jedoch zusammen. Das Beispiel der Vereinigten Staaten zeigt zudem, dass die zweite Wahl mindestens genauso relevant wie die erste ist und nicht bloß eine sekundäre Feinjustierung der bereits getroffenen Rechtswahl. Dass es sich bei Artikel 14 lit. c), Var. 2 Rom III-VO um eine tatsächliche Rechtswahl handelt, lässt sich verdeutlichen, wenn man die entsprechende Regelung der Rom I-VO betrachtet. Artikel 22 Abs. 1 Rom I-VO besagt, dass „für die Bestimmung des nach dieser Verordnung anzuwendenden Rechts jede Gebietseinheit als Staat“ behandelt werden muss. Der Regelungsgehalt ist identisch. Der Wortlaut zeigt klar, dass ein Unterschied zwischen der Rechtswahl auf der primären Ebene und derjenigen auf sekundärer Ebene im Grunde nicht besteht. Selbst wenn man auf der Unterscheidung bestehen sollte, ist es angebracht, die Schutznormen der Artikel 5 bis 7 Rom III-VO zumindest analog anzuwenden.205 Einen eigenen Versuch zur Begrenzung nimmt Winkler von Mohrenfels vor.206 Er verlangt für eine gültige Teilgebietsrechtswahl, dass der Mehrrechtsstaat erstens eine Rechtswahl überhaupt anerkennt und dass zweitens eine Verbindung zu dem Teilrechtsstaat besteht in Form eines der in Artikel 5 Rom IIIVO genannten Anknüpfungsmerkmale.207 Diese Einschränkungen leuchten jedoch nicht ein. Zunächst ist fraglich, wie man die Forderung, die Rechtswahl müsse vom betreffenden Staat anerkannt 204 Franzina, CDT 3 (2011), 85, 119; zustimmend Rauscher/Helms, Artikel 14 Rom IIIVO, Rn. 9. 205 Den Wertungswiderspruch bemerkt auch Franzina, CDT 3 (2011), 85, 119, wenn er meint, die Schutzvorschriften „should therefore represent (at least) reference for the purpose of Article 14, too“. 206 Winkler von Mohrenfels, ZEuP 2013, 699, 719. 207 So versteht auch Althammer/Schäuble, Artikel 14 Rom III-VO, Rn. 12 die Auslegung von Eichel, Interlokale und interpersonale Anknüpfung, S. 397, 414 f.
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
werden, aus dem Gesetz begründen kann. Dass der Mehrrechtsstaat die Wahl eines beliebigen Teilgebiets zulässt, kann nicht gemeint sein. Denn dann würde der Gesamtstaat ja über ein interlokales Privatrecht verfügen, dessen Fehlen jedoch Bedingung für die Anwendbarkeit der zweiten Variante von Artikel 14 lit. c) Rom III-VO ist. Ob der betreffende Staat eine Rechtswahl generell anerkennt, ist außerdem völlig unerheblich.208 Die Rechtswahl ist nichts Weiteres als eine Anknüpfung, bei der die Parteien (an Hand verschiedener Anknüpfungspunkte) das Verweisungsziel selbst bestimmen. Zieht man ein fremdes IPR hinzu, handelt es sich somit um eine heimliche renvoi-Prüfung, die aber nach Artikel 11 Rom III-VO gerade ausgeschlossen ist. Auch die zweite Einschränkung hilft nicht weiter. Sie scheint auf den Fall zugeschnitten zu sein, dass die objektive Anknüpfung nach Artikel 8 lit. c) Rom III-VO zu einem territorial gespaltenen Staat führt.209 Nur dann ergibt es Sinn, dass die Parteien ein Recht wählen können, zu dem sie noch eine zusätzliche Verbindung nach Artikel 5 Rom III-VO haben. Doch auch diese Erklärung führt letztlich nicht weiter. Diese Rechtsordnungen können die Parteien sowieso schon wählen. Zu dem hier interessierenden Fall, nach dem sie eine Teilrechtsordnung wählen möchten, zu dem sie eben nur über die Staatsangehörigkeit eine Verbindung haben, gibt diese Auslegung der Norm keine neuen Aufschlüsse. Die Einschränkung läuft darauf hinaus, dass die Parteien in diesem Fall überhaupt keine Wahlmöglichkeiten außer die des Rechts desjenigen Teilgebiets, zudem sie nach Alt. 3 die engste Verbindung haben. Auch wenn dieses Ergebnis aus der Perspektive des Schwächerenschutzes wünschenswert wäre, wäre es doch auch gleichfalls absurd. Im Falle der objektiven Anknüpfung könnte die Teilrechtsordnung gewählt werden. Bei einer echten Rechtswahl ausschließlich nach Artikel 5 lit. c) Rom III-VO soll den Parteien letztlich die Variante 2 von Artikel 14 lit. c) Rom III-VO aber nicht offenstehen. Das stellt die Absichten des Gesetzgebers auf den Kopf. Dieser Versuch einer Einschränkung führt somit ebenfalls nicht zu tragfähigen Resultaten. Auch wenn die Norm zu unangemessenen Ergebnissen führen kann, kann sie nicht sinnvoll bei Abschluss der Rechtswahl eingeschränkt werden. 4. Die Wahl der lex fori Nach Artikel 5 Abs. 1 lit. d) Rom III-VO können die Ehegatten auch das Recht des Staates des angerufenen Gerichts wählen. Diese Möglichkeit ist im Vergleich zum deutschen Internationalen Scheidungsrecht neu.210 Sie kommt vor 208
Rauscher/Helms, Artikel 14 Rom III-VO, Rn. 9. Dies geht aus dem Beispielsfall hervor, den Winkler von Mohrenfels bildet, ZEuP 2013, 699, 719. 210 Hau, FS Stürner, S. 1237, 1241; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, A, Rn. 380. 209
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allem den Mitgliedstaaten entgegen, die einen strikten lex fori-Ansatz verfolgen.211 Wieder sollen zunächst die Interessen, die zum Erlass der Regel geführt haben, untersucht werden, bevor Probleme in der Anwendung genauer beleuchtet und über eine Interessenabwägung gelöst werden. a) Rechtfertigung der Wahlmöglichkeit Die Rom III-VO macht in Erwägungsgrund (16) selbst deutlich, dass sich die Zulässigkeit der Wahl der lex fori nicht so leicht unter das Gerechtigkeitsideal der engsten Verbindung fassen lässt.212 Hier sei zunächst noch einmal darauf hingewiesen, dass IPR und IZVR andere Ziele verfolgen. Es ist leichter, zu einem Land eine hinreichende Verbindung aufzubauen, um die internationale Zuständigkeit dieses Gerichts zu begründen, als tatsächlich zu einer Rechtsordnung eine derart enge Verbindung zu etablieren, dass die Anwendung des Rechts auf den konkreten Fall tatsächlich gerechtfertigt wird.213 Bei der Zuständigkeit des Forums spielen demnach auch andere Interessen eine Rolle als bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts. Die verschiedenen Interessen überschneiden sich zwar teilweise. Die Parteien eines Rechtsstreits haben schließlich auch ein Interesse daran, nicht nur ein möglichst sachnahes Recht zu bestimmen, sondern auch ein sachnahes Gericht.214 Hinzu kommen jedoch andere Interessen, die im IPR keine Rolle spielen: zum Beispiel Beweisnähe des Gerichts oder Vollstreckungsnähe.215 Diese muss nicht unbedingt in einem Staat gegeben sein, zu dem beide Seiten eine enge Verbindung aufweisen. Hinzu kommen im IPR unbekannte Gerichts-, Staats- und Ordnungsinteressen, die zur Eröffnung einer bestimmten Zuständigkeit führen können. Dementsprechend kann die Zahl der möglichen Foren in einem Scheidungsprozess auch höher sein. Die Konflikte mit der internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit sollen sogleich erläutert werden: aa) Defizite der internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit Für viele internationale Fälle bestimmt sich die internationale Zuständigkeit eines Mitgliedstaates nach der Brüssel IIa-Verordnung. Allein schon deren Zuständigkeitskatalog geht über die Rechtswahlmöglichkeiten des Artikels 5 Rom III-VO hinaus. So stellt Artikel 3 Brüssel IIa-Verordnung den Ehepart-
211
BeckOGK-BGB/Gössl, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 53; Kohler, FamRZ 2008, 1673, 1678 f.; Rösler, RabelsZ 78 (2014), 155, 159 f.; siehe zu diesen Rechtsordnungen Martiny, Symposium Spellenberg, S. 119, 122 ff. 212 Rösler, RabelsZ 78 (2014), 155, 168; ders., FS Basedow, S. 277, 294. 213 Schack, IZVR, Rn. 246 ff. 214 Schack, IZVR, Rn. 231. 215 Schack, IZVR, Rn. 321 ff.
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
nern sieben verschiedene Gerichtsstände vor. Dies wird schon für die Brüssel IIa-Verordnung selbst häufig als zu weitgehend kritisiert.216 Unter ihnen befinden sich zudem reine Klägergerichtsstände, zu denen der Gegner des Scheidungsantrags keine Beziehung hat.217 Die Anknüpfungsmöglichkeiten werden also beträchtlich erweitert.218 Für die Belange des IPR ist eine solche Zahl von Anknüpfungsmöglichkeiten schwer tolerierbar. Das Prinzip der engsten Verbindung wird hier aufgegeben zu Gunsten einer nur hinreichenden Bedingung. Warum sollten die Parteien ein Recht wählen können, zu dem allein der Scheidungsantragssteller eine Verbindung hat, weil er dort seit mindestens einem Jahr unmittelbar vor der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt errichtet hat (Artikel 3 Abs. 1 lit. a) Spiegelstrich 5 Brüssel IIa-VO)? In vielen Fällen könnte es so sein, dass der andere Ehegatte überhaupt keine Beziehung zu diesem Land und der Partner diese Verbindung erst errichtet hat, nachdem sich das Paar bereits getrennt hatte. Wieso sollte die gemeinsame Scheidung nach diesem Recht einheitlich beurteilt werden können? Internationalprivatrechtliche Interessen nach traditioneller Anschauung scheinen hier keine Bedeutung mehr zu haben. Dies ist umso gravierender, weil durch die Option des Artikels 5 Abs. 1 lit. d) Rom IIIVO die Wertungen der vorherigen Optionsmöglichkeiten unterlaufen wurden. Bei der Beschränkung auf diese Rechtsordnungen hatte der Verordnungsgeber, wie gezeigt, stets die internationalprivatrechtlichen Interessen der Parteien im Blick: man wollte garantieren, dass die Parteien durch Parteiautonomie nicht überfordert werden und immer durch ein Recht geschieden werden, zu dem die Parteien eine enge Verbindung haben, das also richtig ist und zum Fall passt. Es ging, kurz gesagt, um die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit. Diese Vorschriften laufen allerdings ins Leere, wenn ihre Grenzen von lit. d) übersprungen werden; die mühsam erzielte Interessenabwägung wird unterlaufen.219 Eine kulturelle Verbindung zu allen Gerichtsständen herzustellen, damit die Parteien zumindest auf der Kollisionsrechtlichen Ebene von der Richtigkeit des Ergebnisses überzeugt werden, ist nicht möglich. bb) Interessen an der Anwendung der lex fori Aus der Diskussion um ein fakultatives Kollisionsrecht ist die These bekannt, dass Parteien in der Regel nicht grundsätzlich ein Interesse an der Anwendung
216
MK-FamFG/Gottwald, Artikel 3 Brüssel IIa-VO, Rn. 19; Schack, IZVR, Rn. 424; ders., RabelsZ 65 (2001), 615, 622; Hau, FamRZ 2000, 1333, 1334; Spellenberg, FS Geimer, S. 1257, 1268; dagegen Rauscher/Rauscher, Artikel 3 Brüssel IIa-VO, Rn. 39 f. 217 Coester/Coester-Waltjen, LA Schurig, S. 33, 39. 218 Palandt/Thorn, Art. 5 Rom III-VO, Rn. 5; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, A Rn. 380; Gruber, IPRax 2012, 381, 386. 219 Schurig, FS von Hoffmann, S. 405, 408.
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ausländischen Rechts haben müssen, sondern „bei realistischer Betrachtung“220 die lex fori bevorzugen würden. Diese sei dem Gericht bekannt, so dass es sich nicht mühsam durch eine oft unübersichtliche Quellenlage kämpfen oder Gutachten einholen muss.221 Zudem sei es im Umgang mit dem eigenen Recht sicherer und flexibler und traue sich daher eher, durch Rechtsfortbildung auch für ein gerechtes Ergebnis im Einzelfall sorgen.222 Hinzu trete die fehlende Revisibilität des ausländischen Rechts.223 Daher sei die Anwendung der lex fori im Ergebnis nicht nur materiell gerechter, der Prozess werde auch kürzer und weniger aufwendig und daher nicht zuletzt kostengünstiger für die Parteien.224 Zweigert monierte den unzureichenden juristischen „Service“225 bei der Anwendung ausländischen Rechts. Exakt diese Argumente werden auch bei der Wahlmöglichkeit nach Artikel 5 Abs. 1 lit. d) Rom III-VO genannt.226 Tatsächlich trafen die Überlegungen des fakultativen Kollisionsrechts schon immer einen wahren Kern. Hieran hat sich nicht viel geändert. Die Feststellung des ausländischen Rechts ist nach wie vor aufwendig. Gerichte, vor allem Instanzgerichte, verfügen zwar teilweise über gut ausgestattete Bibliotheken oder die Richterinnen und Richter verfügen über Grundwissen im ausländischen Recht. In den meisten Fällen müssen jedoch Universitäten oder das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg mit Gutachten zur Ermittlung der einschlägigen Rechtsnormen beauftragt werden.227 Deren Kosten werden in aller Regel auf die Parteien abgewälzt.228 Diese trifft zusätzlich eine Mitwirkungspflicht aus § 138 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO zur Feststellung des ausländischen Rechts.229
220 Flessner, Interessenjurisprudenz im internationalen Privatrecht, S. 119; zur Lehre vom fakultativen Kollisionsrecht, siehe oben § 1. B. I. 4. b). 221 Flessner, RabelsZ 34 (1970), 546, 550. 222 Auf Goldschmidt geht das Wort zurück, dass das Gericht im eigenen Recht Architekt, im fremden lediglich Fotograf sei, vgl. Goldschmidt, Suma del derecho internacional privado, S. 92; Flessner, RabelsZ 34 (1970), 546, 551 f. 223 Flessner, RabelsZ 34 (1970), 546, 554; ders., Interessenjurisprudenz im internationalen Privatrecht, S. 119. 224 Flessner, Interessenjurisprudenz im internationalen Privatrecht, S. 119. 225 Zweigert, RabelsZ 37 (1973), 435, 445. 226 Hausmann, Internationales und Europäisches Scheidungsrecht, A Rn. 380; NKBGB/Hilbig-Lugani, Art. 5 Rom III-VO, Rn. 48; Erman/Hohloch, Art. 5 Rom III-VO, Rn. 9; Franzina, CDT 3 (2011), 85, 94; Rösler, RabelsZ 78 (2014), 155, 158 f.; Flessner, LA Pintens, S. 593. 227 Remien, ZVglRwiss 115 (2016), 570, 574 ff. 228 Rühl, RabelsZ 71 (2007), 559, 572 f. 229 Becker, FS Martiny, S. 619, 631 f.
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
Zudem bleibt es bei der Irrevisibilität ausländischen Rechts. § 545 Abs. 1 ZPO a.F. stellte diese indirekt fest.230 Die Neufassung des § 545 Abs. 1 ZPO scheint von dieser strengen Position abzurücken und alles Recht grundsätzlich der Revision zugänglich zu machen, da das Wort „Bundesrecht“ durch „Recht“ ersetzt wurde.231 Nach der Gesetzesbegründung sollte damit jedoch lediglich die Überprüfbarkeit von Landesrecht in der Revision eingeführt werden.232 Es bleibt bei der ablehnenden Haltung der herrschenden Meinung gegenüber der Revision ausländischen Rechts.233 Auch in anderen Mitgliedstaaten ist die Lage selbstverständlich nicht einfacher.234 Die größten Unterschiede, nämlich die zum common law, fallen in diesem Zusammenhang nicht in Betracht, da Großbritannien sich nicht an der Rom III-VO beteiligt. Als ein Beispiel mag hier Frankreich dienen. Das Bestehen fremdländischer Regeln wird dort zwar auch inzwischen als Rechtsfrage angesehen und nicht bloß als Tatsachenfrage qualifiziert. Es ist zudem Aufgabe des Gerichts, dieses Recht zu ermitteln. Es kann jedoch die Parteien zur Mithilfe verpflichten.235 Zur genauen Feststellung des ausländischen Rechts werden in der Praxis meistens Sachverständigengutachten aufgegeben, sogenannte certificats de coutume, deren Kosten in der Regel von den Parteien getragen werden müssen.236 Es ist dabei unerheblich, ob die Schwierigkeiten bei der Ermittlung ausländischen Rechts in den meisten Fällen tatsächlich so gravierend sind, wie oft kritisiert wird, oder nicht.237 Die Gefahr, dass die ausländische Rechtsanwendung zu Problemen, Unsicherheiten und steigenden Kosten führt, wird immer 230
Siehe nur BGH, Urteil vom 29. Juni 1987, Az. II ZR 6/87, NJW 1988, 647; Urteil vom 25. Januar 1991, Az. V ZR 258/89, NJW 1991, 2214; Urteil vom 23. Januar 1996, Az. VI ZR 291/94, NJW-RR 1996, 732; Stein/Jonas/Jacobs, § 545 ZPO, Rn. 19; Kropholler, Internationales Privatrecht, S. 646. 231 Siehe nur Eichel, IPRax 2009, 389, 390. 232 BT-Dr. 16/9733, 301 f. 233 BGH Beschluss vom 4. Juli 2013, Az. V ZB 197/12, NJW 2013, 3656, 3658; Sturm, JZ 2011, 74; Schack, IZVR, Rn. 723; Althammer, IPRax 2009, 381, 389; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, § 545 ZPO, Rn. 5; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 545, Rn. 8/9; Stein/Jonas/Jacobs, § 545 Rn. 21; MK-ZPO/Krüger, § 545, Rn. 6; Roth, NJW 2014, 1224; a.A.: Trautmann, Europäisches Kollisionsrecht und ausländisches Recht im nationalen Zivilverfahren, S. 29 f.; Zöller/Geimer, ZPO, § 545, § 293, Rn. 28; ders., IZVR, Rn. 2601; Hess/Hübner, NJW 2009, 3132 ff.; Eichel, IPRax 2009, 389 ff.; Aden, RIW 2009, 475 ff.; Riehm, JZ 2014, 73 ff. 234 Eine ausführliche rechtsvergleichende Studie bei Trautmann, Europäisches Kollisionsrecht und ausländisches Recht im nationalen Zivilverfahren, S. 164–263. 235 Trautmann, Europäisches Kollisionsrecht und ausländisches Recht im nationalen Zivilverfahren, S. 213 ff., insb. S. 216, 220 f. 236 Trautmann, ebd., S. 223. 237 Optimistisch, was die Zuverlässigkeit der Ermittlung bei sorgfältiger Anstrengung des Gerichts betrifft zB. Remien, ZVglRWiss 115 (2016), 570, 583 f.
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bestehen bleiben. Je „exotischer“ die fremde Rechtskultur ist, desto langwieriger wird der Einarbeitungsprozess dauern. Da die Rom III-VO eine loi uniforme (Artikel 4 Rom III-VO) ist, wird dieses Risiko sogar noch erhöht. Es ist daher richtig, dass die Rom III-VO es den Parteien überlässt, grundsätzlich einen Gleichlauf zwischen Forum und Recht herzustellen.238 Hierbei handelt es sich um mehr als ein bloßes Entgegenkommen gegenüber dem lex fori-Prinzip der skandinavischen und common law-Länder.239 Wenn die Parteien selbst kein Interesse daran haben, nach einem ihnen verbundenen Recht geschieden zu werden, weil sie der internationalprivatrechtliche Gerechtigkeitsaspekt gar nicht interessiert, etwa weil sie mit der Ehe bereits emotional abgeschlossen haben und nur noch ein einfaches und schnelles Scheidungsverfahren wünschen, dann gibt es keinen Grund, auf der aufwendigen Ermittlung unbekannter Gesetze zu bestehen und den Parteien den Prozess noch schwieriger zu machen, als er ohnehin schon ist. Es besteht kein zwingender Grund, die Parteien in diesem Fall zu ihrem „internationalprivatrechtlichen Glück“ zu zwingen, indem man sie nötigt, mit dem Gericht gemeinsam zunächst das „richtige“ Recht zu erörtern. cc) Favor divortii durch Wahl des Rechts des Forums? Teilweise wird behauptet, dass durch die Wahl der lex fori ein bestimmtes materiell-rechtliches Ergebnis herbeigeführt werden soll, nämlich eine schnelle Scheidung, dass sich hier also schon der favor divortii der Rom III-VO zeige und somit ein starker Hinweis für eine Verabschiedung von der IPR-Gerechtigkeit und für eine Hinwendung zum nackten Ertrag des Prozesses.240 Dem kann teilweise zugestimmt werden. In der Tat wird es wohl in den allermeisten Fällen so sein, dass durch die Wahl der lex fori das Verfahren abgekürzt und es auf jeden Fall zu einer Scheidung kommen kann. Das muss jedoch nicht zwangsläufig so sein. Die lex fori kann trotz allem strengere Anforderungen an eine Scheidung stellen als eines der anderen wählbaren Rechte. Die Parteien würden dann durch eine Rechtswahl wahrscheinlich die Kosten einer Ermittlung des ausländischen Rechts sparen wollen. b) Floating choice of law? Wie soll eine Rechtswahl der lex fori im Einzelfall nun erfolgen? Reicht es, wenn ein internationales Ehepaar schon anlässlich der Eheschließung eine Scheidungsklausel beschließt, in der es heißt: „Auf unser Scheidungsverfahren 238 Maultzsch, Parteiautonomie im Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht, S. 153, 163, 165; Kieninger, Ermittlung und Anwendung ausländischen Rechts, S. 479, 493; Hau, FS Stürner, S. 1237, 1239. 239 NK-BGB/Hilbig-Lugani, Art. 8 Rom III-VO, Rn. 4; Martiny, FPR 2008, 187, 190; Rösler, RabelsZ 78 (2014), 155, 158 ff.; Mörsdorf-Schulte, RabelsZ 77 (2013), 786, 806. 240 Hammje, RCDIP 2011, 291, 319.
210
2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
findet das Recht des zuständigen Gerichts Anwendung“? Bei einer solchen unbestimmten Rechtswahl, die nur die Maßgeblichkeit der lex fori anordnet, ohne das Forum zu präzisieren, spricht man von einer vorsorglichen Rechtswahl oder floating choice of law. Oder muss das Gericht genauer bestimmt sein? Die internationalen Zuständigkeiten für Scheidungsverfahren in der Brüssel IIa-VO sind äußerst unbeständig. Bereits einige Monate nach Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts durch einen Partner eröffnet sich die Zuständigkeit eines neuen Gerichts. Diese Regelung begünstigt den mobileren Kläger,241 könnte aber auch zu einem Wettlauf zu den Gerichten einladen.242 Gilt die Rechtswahlvereinbarung dann auch in jedem Fall, oder müssen aus Gesichtspunkten des Schwächerenschutzes strengere Bestimmtheitsanforderungen an die Wahl der lex fori gestellt werden? Die Frage stellte sich bereits im Internationalen Schuldrecht. Dogmatisch konstruierte man eine solche Rechtswahl als bedingte Rechtswahl unter der aufschiebenden Bedingung der Klageerhebung.243 Im Internationalen Familienrecht drängt sie sich erneut auf. aa) Auslegung nach dem Wortlaut Artikel 5 Abs.1 lit. d) Rom III-VO erlaubt die Wahl des angerufenen Rechts. Nach dieser Formulierung muss das Forum also bereits angerufen sein. Dies spricht zunächst gegen eine floating choice of law.244 In dieselbe Richtung geht die niederländische Fassung: mit dem Ausdruck „het recht van de staat waar de zaak aanhangig wordt gemaakt“ ist eine Präsens-Form gewählt, die eine frühere Festlegung auf die lex fori ausschließt.245 Andere Sprachfassungen sprechen hingegen neutral von der „lex fori“ oder ähnlichen Formulierungen, ohne ein genaues Gegenstück zu dem Perfekt-Partizip „angerufen“ zu bringen.246 Insgesamt lässt sich somit aus den verschiedenen Sprachfassungen kein gemeinsamer Text herstellen.247 Ein Vorrang bestimmter Versionen vor anderen ist im Europäischen Recht nicht festzustellen. Alle Sprachen haben das
241
Basedow, LA Pintens, S. 135, 142. Althammer/Mayer, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 23, 25; zweifelnd NK-BGB/Hilbig-Lugani, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 49b; Basedow, LA Pintens, S. 135, 141. 243 NK-BGB/Leible, Art. 3 Rom I-VO, Rn. 42; Rauscher/von Hein, Art. 3 Rom I-VO, Rn. 72; Kropholler, IPR, S. 463. 244 NK-BGB/Hilbig-Lugani, Art. 5 Rom III, Rn. 49; jurisPK/Ludwig, Art. 5 Rom III-VO, Rn. 15; Basedow, LA Pintens, S. 135, 142; Helms, FamRZ 2011, 1765, 1767; Gruber, IPRax 2012, 381, 386. 245 Basedow, LA Pintens, S. 135, 142; Helms, FamRZ 2011, 1765, 1767. 246 Engl: „the law of the forum”; fr.: „la loi du for“; span.: „la ley del foro“, ital.: „la legge del foro“; weitere Nachweise bei NK-BGB/Hilbig-Lugani, Art. 5 Rom III-VO, Rn. 49. 247 NK-BGB/Hilbig-Lugani, Art. 5 Rom III, Rn. 49; Basedow, LA Pintens, S. 135, 142; Helms, FamRZ 2011, 1765, 1767; Gruber, IPRax 2012, 381, 386. 242
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gleiche Gewicht.248 Dem Wortlautkriterium kann daher kein eindeutiges Ergebnis entnommen werden. bb) Systematische Auslegung Systematisch müssen vor allem die weiteren europäischen Rechtsakte zum Internationalen Privatrecht betrachtet werden. Die Rom I-VO enthält keine ausdrückliche Regelung der Zulässigkeit einer vorsorglichen oder bedingten Rechtswahl. Dementsprechend gehen die Meinungen im Schrifttum auseinander. Ganz überwiegend wird eine floating choice of law jedoch für zulässig gehalten.249 Im Internationalen Vertragsrecht bestehen keine besonderen Bedenken gegen die Unbestimmtheit einer solchen Vereinbarung, da sie vor allem den Interessen der Parteien entgegenkommt, durch ein Verfahren nach der lex fori die Verfahrenskosten so gering wie möglich zu halten. Skepsis besteht nur insofern, als dass englische Gerichte traditionell eine solche Rechtswahl nicht anerkennen.250 Hier hat in der Literatur jedoch bereits ein Stimmungswandel eingesetzt, der sich der kontinentaleuropäischen Sichtweise anschließt.251 Anders ist die Lage beim HUP einzuschätzen. Im Falle einer Rechtswahl nach Artikel 7 Abs. 2 HUP wird eine Bezeichnung wie „Es gilt das Recht des angerufenen Gerichts.“ als unzureichend angesehen.252 Zur Begründung wird angeführt, dass eine solche Vereinbarung dem Grundsatz widerspricht, dass die Partner über die Folgen der Rechtswahl informiert sein müssen. Dies können sie kaum sein, wenn nicht einmal feststeht, welches Recht zur Anwendung kommen soll.253 Zumindest das Land, in dem der Prozess stattfinden soll, müsse feststehen.254 Aus diesem Befund lassen sich unterschiedliche Schlussfolgerungen ziehen. Da die Scheidung thematisch eng mit den Unterhaltsfragen verbunden ist, liegt es auf den ersten Blick nahe, die Rom III-VO parallel auszulegen und eine vor-
248 EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982, Rs. C-283/81, C.I.L.F.I.T., Slg. 1982, 3415, Rn. 18; Riesenhuber/Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, S. 205; Kropholler, FS MPI, S. 582, 590 f. 249 NK-BGB/Leible, Art. 3 Rom I-VO, Rn. 43; Rauscher/von Hein, Art. 3 Rom I-VO, Rn. 72; Staudinger/Magnus, Art. 3 Rom I-VO, Rn. 54; MK-BGB/Martiny, Art. 3 Rom IVO, Rn. 18; jurisPK-BGB/Ringe, Art. 3 Rom I-VO, Rn. 10, 29; Kegel/Schurig, IPR, S. 653; Kropholler, IPR, S. 463. 250 Zum Beispiel Armar Shipping Co Ltd v Caisse Algérienne d’Assurance et de Réassurance [1981] 1 WLR 207, 215 (CA). 251 Dicey/Morris/Collins, Rn. 32-087. 252 Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 120; Rauscher/Andrae, Art. 7, Rn. 8; BeckOKBGB/Heiderhoff, Art. 7 HUP, Rn. 6. 253 Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 120. 254 BeckOK-BGB/Heiderhoff, Art. 7 HUP, Rn. 6.
212
2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
sorgliche Rechtswahl abzulehnen, um einen Gleichlauf zum Unterhaltsprotokoll zu erreichen.255 Man kann jedoch auch den Standpunkt vertreten, dass das Unterhaltsprotokoll auf Grund seines völkerrechtlichen Ursprungs nicht den Rang des übrigen EU-Rechts hat und daher nicht ausschlaggebend sein kann.256 Daraus können zwei Resultate folgen: entweder man betrachtet die systematische Auslegung als nicht ergiebig oder man befürwortet eine ähnliche Auslegung wie in der Rom I-Verordnung. Letztlich ist ein Vergleich mit der Rom I-VO jedoch nicht weiterführend. Im Internationalen Vertragsrecht, das auch maßgeblich für den internationalen Handel ausgelegt ist, gelten völlig andere Voraussetzungen und Interessen als im Familienrecht. Hier sollte man sich eher am HUP orientieren. Sicher ist es richtig, dass beide Rechtstexte einen anderen Ursprung haben. Doch die EU hat über Artikel 15 EuUnthVO das HUP bereits vor dessen völkerrechtlichem Inkrafttreten zum anwendbaren Recht für alle an der EuUnthVO teilnehmenden Mitgliedstaaten gemacht und es somit als Teil seines neuen einheitlichen Internationalen Familienrechts integriert. Dementsprechend muss es auch wie EU-Recht behandelt werden.257 cc) Teleologische Auslegung Sinn und Zweck, aber auch Gefahren einer vorsorglichen Rechtswahl werden ganz unterschiedlich bewertet. Letztlich wird es darauf ankommen, wie viel Schutz der schwächere Ehepartner benötigt. Hierbei geht es tatsächlich nicht so sehr darum, das Risiko eines Rechtsmissbrauchs zu vermeiden. Basedow ist zuzustimmen, dass innerhalb Europas niemand mehr in ein anderes Land allein aus dem Grund umzieht, um eine Scheidung zu erwirken.258 Das ist aber nicht der entscheidende Punkt. Es geht nicht darum, ob ein Missbrauch von einer Partei intendiert wird, sondern es geht darum, ob eine vorsorgende Rechtswahl die Parteien überfordert und Folgen für sie mit sich bringt, die sie nicht vorausgesehen haben. Schwächerenschutz muss bei der individuellen Schwächesituation der Parteien ansetzen, nicht bei der Überlegenheit und der subjektiven Missbrauchsabsicht der stärkeren. Hier entsteht ein Konflikt mit Erwägungsgrund (18) Rom III-VO, der voraussetzt, dass die Parteien bei ihrer Wahl gut informiert sind und die Folgen der Wahl abschätzen können.259 Auch wenn die Verordnung diesen Grundsatz vielleicht nicht angemessen umsetzt, wäre es 255
Gruber, IPRax 2012, 381, 386; Gade, JuS 2013, 779, 781. NK-BGB/Hilbig-Lugani, Art. 5 Rom III-VO, Rn. 49b. 257 BeckOK-BGB/Heiderhoff, Art. 1 HUP, Rn. 2. 258 Basedow, LA Pintens, S. 135, 141. 259 Palandt/Thorn, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 5; Althammer/Mayer, Artikel 5 Rom IIIVO, Rn. 26; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, A, Rn. 383; Helms, FamRZ 2011, 1765, 1767 f.; Gruber, IPRax 2012, 381, 386; Mörsdorf-Schulte, RabelsZ 77 (2013), 786, 814; Rösler, RabelsZ 78 (2014), 155, 169. 256
§ 4 Begrenzte Rechtswahlmöglichkeiten
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aber doch falsch, ihn als folgenloses Lippenbekenntnis abzutun.260 Ehegatten gehen bei einer vorsorgenden Rechtswahl ein höheres Risiko ein als bei den anderen Möglichkeiten. Sie wissen nicht, welches Recht letztlich zur Anwendung gelangt, wissen also nicht, ob das Ergebnis internationalprivatrechtlich für sie befriedigend ist, noch welche Sachnormen herangezogen werden, so dass ihnen auch die Planungsmöglichkeiten fehlen. Sie wissen lediglich, dass das Gericht sich leichter tut in der Rechtsanwendung und sie somit Zeit und Geld sparen. Deutlich leichter wäre es für die Parteien, wenn sie nach der Brüssel IIa-VO eine Gerichtsstandsvereinbarung schließen könnten, was aber nicht möglich ist.261 Wieder spräche gegen eine vorsorgliche Rechtswahl nichts, wenn die Parteien sich dieser Risiken und Unsicherheiten vollständig bewusst wären. Es wäre ihre freie Entscheidung, die zu respektieren ist. Bei den derzeitig vorgesehenen Informationsmöglichkeiten ist jedoch nicht davon auszugehen, dass unbedarften und juristisch unerfahrenen Parteien diese Möglichkeiten vollständig bewusst sind.262 Es überzeugt weder, unter Hinweis auf das niedrige Schutzniveau bei den sonstigen Rechtswahlmöglichkeiten die vorsorgliche Verweisung zuzulassen, noch sie für Ehegatten generell zu verbieten, die Planungssicherheit im Ehevertrag frühzeitig herstellen wollen. Vom Standpunkt des Schwächerenschutzes betrachtet wäre ein Verbot der floating choice of law angemessen. Man kann hier jedoch wieder sehen, dass Schwächerenschutz nicht verabsolutiert werden darf und als Stichentscheid in sämtlichen Auslegungszweifeln herangezogen werden kann. Letztlich wird der EuGH die Frage entscheiden müssen. Für den Fall, dass er aber eine vorsorgliche Rechtswahl gestattet, kann wenigstens der Versuch unternommen werden, weitere Hilfestellung zu geben. Wieder kommt es schlicht darauf an, den Parteien die nötigen Informationen zu geben, um eine eigene Folgenabschätzung treffen zu können und das Risiko richtig einzuschätzen.263 Wie diese Informationen erteilt werden müssen, soll später erläutert werden.264 Rösler weist allerdings darauf hin, dass das Informationsprinzip hier an seine inhärenten Grenzen stößt: über sämtliche potentiell zuständigen Foren kann keine Unterrichtung erfolgen.265 Ohne die Möglichkeit, unter der Brüssel IIa-VO eine Gerichtsstandsvereinbarung abzuschließen, müssen bestimmte Aspekte notwendig weniger Beachtung finden. Die Informationen müssen sich notwendig darauf beschränken, die Vorteile einer vor-
260 So in der Tendenz NK-BGB/Hilbig-Lugani, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 49b; Hau, FS Stürner, S. 1237, 1241 f. 261 Althammer/Mayer, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 27; Hau, FS Stürner, S. 1237, 1242. 262 NK-BGB/Hilbig-Lugani, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 49b. 263 Althammer/Mayer, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 27; Rösler, RabelsZ 78 (2014), 155, 169 f. 264 Siehe unten § 8 A. II. 265 Rösler, RabelsZ 78 (2014), 155, 170.
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
sorglichen Rechtswahl zu erläutern und vor allem die möglichen negativen Folgen in aller Deutlichkeit zu schildern.266 Fraglich ist, ob die Parteien für diese Warnungen empfänglich sind. Sind sie es, dann liegt das Risiko bei ihnen. Sind sie es nicht, müssen sich die Gerichte die Frage stellen, ob ein solcher Wille eine hinreichende Grundlage für eine Anknüpfung an die lex fori sein kann. Bei der vorsorglichen Rechtswahl kann im Einzelfall ein Anlass bestehen, die Wirksamkeit des Rechtswahlvertrags in Hinblick darauf zu untersuchen, ob die Parteien über die nötigen Voraussetzungen verfügten, um in Eigenverantwortung entscheiden zu können.267 Gegen diese Möglichkeit kann nicht eingewandt werden, dass sie zu Rechtsunsicherheit führt.268 Vielmehr begründet sie nur die notwendig Aufgabe, ein einheitliches und beherrschbares Konzept einer Rechtswahlkontrolle zu entwickeln, um eine völlige gerichtliche Willkür zu vermeiden. Dass sich eine solche Kontrolle nie völlig formalisieren lässt, liegt in ihrer Einzelfallbezogenheit begründet. Diese Offenheit wird aber von einem reflexiven Recht erwartet. II. Bewertung Die Rom III-VO stellt den Parteien vier Anknüpfungspunkte für eine subjektive Anknüpfung des Scheidungsstatuts zur Verfügung. Hierbei versucht sie einen sonderbaren Spagat zwischen der Vorstellung des klassischen IPR, den „Sitz“ eines Rechtsverhältnisses durch seine engste Verbindung zu einem Land zu bestimmen und internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit zu verwirklichen, und den Grundlagen des „neuen“ Europäischen IPR, das auf eine Förderung des Binnenmarkts zielt und konkreten, materiellen Interessen, nämlich einer schnellen und günstigen Scheidung, dient. Es hat dabei als Gestalter der internationalprivatrechtlichen Beziehungen einen flexiblen, national ungebundenen und mobilen Bürger vor Augen. Der ersten Gedankenwelt sind die Buchstaben a)–c) von Artikel 5 Abs. 1 Rom-III VO zuzuordnen, dem zweiten System Buchstabe d). Unter dem Aspekt internationalprivatrechtlicher Gerechtigkeit und der Interessen schwächerer Parteien stellt sich die Wahlmöglichkeit des gewöhnlichen Aufenthalts als unproblematisch dar. Bei der Option des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts wächst allerdings ein Risiko, je länger eine Partei das Land verlassen hat. Es besteht die Gefahr, dass Änderungen im Recht nicht 266
Siehe unten § 8 A. II. 2. Röslers vermittelnder Vorschlag in RabelsZ 78 (2014), 155, 170 ist nichts anderes als eine Wirksamkeitskontrolle der Rechtswahl; es bleibt zu untersuchen, ob die Informationen auf wenige Länder beschränkt werden kann, oder ob ein anderes Konzept nötig ist; Rösler zustimmend, aber keine Möglichkeit für eine Rechtswahl de lege lata sehend Althammer/Mayer, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 27. Zur Wirksamkeitskontrolle unten § 8, B. 268 So NK-BGB/Hilbig-Lugani, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 49c gegen den Vorschlag von Rösler. 267
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wahrgenommen werden und die Partei somit von falschen Vorstellungen über das Recht ausgeht. Schwieriger ist die Wahl der Staatsangehörigkeit. Dabei ist es gar nicht abzulehnen, dass auch die Staatsangehörigkeit eines Ehegatten gewählt werden kann. Eine enge Verbindung lässt sich hier begründen. Die Ehegatten können jedoch nicht bloß das Recht der gemeinsamen Staatsangehörigkeit wählen, sondern das Recht jeder Staatsangehörigkeit. Ein einseitiger gewöhnlicher Aufenthalt steht nicht zur Wahl, weil dabei nicht sichergestellt ist, dass beide Seiten mit dem Recht vertraut sind. Nichts anderes gilt aber bei der einseitigen Staatsangehörigkeit. Es muss daher zumindest im Hinterkopf behalten werden, dass es hier stärker darauf ankommt, dass sich die Eheleute tatsächlich der Folgen der Wahl bewusst sind. Die Staatsangehörigkeit führt zu weiteren Problemen bei Mehrstaatern und Mehrrechtsstaaten. Diesen Problemen ist auf Ebene des Rechtswahlvertragsschlusses kaum beizukommen. Es deutet sich hier die Notwendigkeit einer Wirksamkeitskontrolle an, wenn die Ergebnisse unangemessen erscheinen. Bei der Wahl der lex fori geht es hingegen nicht um internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit oder die Angemessenheit eines bestimmten Sachrechts. Hier steht vor allem im Vordergrund, dass der Gleichlauf von Forum und Ius den Prozess vereinfacht, beschleunigt und günstiger macht. Diese Interessen sind legitim, so dass den Parteien diese Wahlmöglichkeit grundsätzlich zustehen sollte. Es besteht jedoch ein dauerhafter Konflikt, der sich nicht lösen wird: je weiter die internationalen Zuständigkeiten gestreut sind, desto stärker werden genuin internationalprivatrechtliche Gerechtigkeitsaspekte bedroht. Die Beschränkung der Rechtswahl in der Rom III-VO dient dazu, internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit zu sichern, die sich vor allem in der Achtung und Bewahrung von kultureller Identität und enger Verbundenheit ausdrückt, schränkt diese aber gleichzeitig zu Gunsten bestimmter materiellrechtlicher, in vielen Fällen auch schlicht monetärer Resultate ein. Dazu bedient es sich jedoch der Methoden des traditionellen IPR. Dies muss zu Brüchen auf der Ebene der einzelnen Normen führen. Der Widerspruch setzt sich auf unterer Ebene fort. Was den Schutz schwächerer Personen betrifft, so stellt sich das Prinzip der begrenzten Rechtswahlmöglichkeiten als überzeugend und effektiv dar (mit den genannten Einschränkungen). Mit ihrer Hilfe kann ein enger Bezug des Sachverhalts zum angewandten Recht hergestellt werden. Ein Missbrauch durch die Wahl eines vollkommen abgelegenen Rechts wird dadurch von Anfang an verhindert. Ein Interesse, ein weiteres als die in lit. a–d) aufgeführten Rechtsordnungen zu wählen, besteht auch gar nicht. Buchstabe d) kommt den Interessen der Parteien für den Ablauf eines konkreten einzelnen Verfahrens so weit wie nötig entgegen. Einem Ausnutzen der Unerfahrenheit eines Ehegatten wird so der Boden im ersten Schritt entzogen.
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
C. Zum Haager Unterhaltsprotokoll I. Vorbemerkungen Das Haager Unterhaltsprotokoll stellt die Rechtswahl ebenfalls in den Mittelpunkt seines Anknüpfungssystems. Eine kollisionsrechtliche Verweisung geht jeder objektiven Anknüpfung vor. Das HUP ist zwar ein richtiger Staatsvertrag und somit völkerrechtlichen Ursprungs. Es gehört aber zum Projekt des neuen Internationalen Familienrechts der EU. Die EU konnte Mitglied des HUP werden, weil die Haager Konferenz in Artikel 24 HUP Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration die Möglichkeit dazu gab. So konnte ein Wettlauf zwischen Haager Konferenz und Union um den Erlass eines neuen Internationalen Unterhaltsrechts entschärft werden.269 Gemäß Beschluss des Rates waren die Regeln sogar vorläufig für die Mitgliedstaaten ab dem 18.6.2011 anwendbar, bevor das HUP völkerrechtlich überhaupt in Kraft getreten ist.270 Gerade die Normen zur Rechtswahl zeigen auch eine genuin europäische Handschrift: während die Haager Konferenz sich skeptisch gegenüber der neuen Anknüpfungsmethode zeigte, war es die Kommission, die in ihrem Entwurf einer Unterhaltsverordnung Rechtswahlmöglichkeiten vorsah, die der hier zu besprechenden endgültigen Fassung des HUP weitgehend entsprachen.271 Auf Grund des Ausschlusses Minderjähriger von Möglichkeiten der Rechtswahl nach Artikel 8 HUP dürften die Planungsmöglichkeiten auch hier nur für Ehepaare von Interesse sein.272 Das Unterhaltsprotokoll lässt eine subjektive Anknüpfung an ausgewählte Rechtsordnungen zu. Dies geschieht in den Artikeln 7 und 8 HUP. Artikel 7 HUP erlaubt die Wahl der lex fori für ein bestimmtes Unterhaltsverfahren. Artikel 8 HUP gestattet die Rechtswahl in allen übrigen Fällen, unabhängig von einem bestimmten Verfahren. II. Die Rechtswahlmöglichkeiten im Einzelnen 1. Staatsangehörigkeit einer Partei Gemäß Artikel 8 Abs. 1 lit. a) kann das Recht eines Staates, dem eine der Parteien im Zeitpunkt der Rechtswahl angehört, gewählt werden. Die Interessenlage ist hier vergleichbar mit der Rom III-VO. Die Nationalität ist nach wie vor ein starkes Indiz für eine enge Verbundenheit mit und eine deutliche Prägung durch Grundwertungen des Heimatrechts. Dies gleicht den Nachteil aus, dass das Recht der Staatsangehörigkeit eines Beteiligten nicht so sachnah sein mag 269
Andrae, GPR 2010, 196, 197; Schulz, Die EU und die Haager Konferenz, S. 110, 134 ff. 270 Arnold, IPRax 2012, 311; der Beschluss ist in ABl. EU 2009 L 339, S. 17 veröffentlicht. 271 Wagner, FamRZ 2006, 979, 984. 272 Rauscher/Andrae, Art. 8 HUP, Rn. 2; Andrae, Internationales Familienrecht, § 8, Rn. 150; Gruber, FS Spellenberg, S. 177, 190.
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wie das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts. Das Unterhaltsrecht hat nämlich eine starke soziale (sozialrechtliche) Komponente und ist daher eng verzahnt mit den örtlich gebundenen sekundären öffentlichen Sozialhilfen. Durch das nähere Umfeld wird außerdem der wirtschaftliche Bedarf des Unterhaltsberechtigten erst bestimmt und hervorgerufen.273 Ohne die quälende Frage zu beantworten, ob der kulturelle Bezug höher zu werten ist als die Integration ins Umfeld des gewöhnlichen Aufenthalts,274 lässt sich zumindest sagen, dass die Verbindung zum Heimatstaat eines Beteiligten stark genug ist, um bei der Rechtswahl berücksichtigt werden zu können. Obgleich der Unterhaltsberechtigte im Zentrum des Unterhaltsrechts steht, wäre es benachteiligend, die Nationalität des Verpflichteten ganz außen vor zu lassen. Das Unterhaltsrecht soll schließlich auch einen Ausgleich mit dessen wirtschaftlichen Interessen herstellen.275 Die Wahlmöglichkeit des Buchstaben a) garantiert somit eine enge Verbundenheit und sichert die Interessen der Parteien an einer internationalprivatrechtlich engen Verbindung. Grundsätzlich bietet sie aber auch ganz einfach größere Wahlmöglichkeiten, um auch ein sachrechtlich gewünschtes Ergebnis herzustellen. Insgesamt ist es richtig, dass nicht nur das Recht einer gemeinsamen Staatsangehörigkeit gewählt werden kann, wie es die objektive Anknüpfungskaskade des HUÜ von 1973 noch bestimmte. Dies würde Unterhaltsberechtigte benachteiligen, die nicht dieselbe Nationalität haben wie der Verpflichtete.276 Dies bedeutet jedoch auch, dass für die Aufklärung der Parteien höhere Sorgfaltsmaßstäbe gelten müssen. Im HUP ergeben sich bei der Staatsangehörigkeit dieselben Problemfelder wie in der Rom III-VO. a) Mehrstaater Es stellt sich zunächst die Frage, welche Rechte den Parteien zur Wahl stehen, wenn eine Partei mehrere Staatsangehörigkeiten besitzt. Im Gegensatz zur Rom III-VO enthält das Protokoll selbst keinen Hinweis, ob auch das Recht der ineffektiven Staatsangehörigkeit wählbar ist. Laut dem Bericht von Bonomi soll eine solche ineffektive Staatsangehörigkeit ausreichen.277 Wieder besteht ein Konflikt zwischen der subjektiven Anknüpfung an eine enge Verbindung, was auch den internationalprivatrechlichen Interessen der Parteien entspricht,
273 Wagner, FamRZ 2006, 979, 982; Looschelders/Boos, FamRZ 2006, 374, 354; BoeleWoelki/Mom, FPR 2006, 232, 233; dies., FPR 2010, 485, 487. 274 Das HUP folgt im Weiteren bei der Wahl des objektiven Anknüpfungspunktes dem Prinzip des gewöhnlichen Aufenthalts, vgl. Art. 3 HUP und Arnold, IPRax 2012, 311, 312; vgl. auch Hohloch, FS Sonnenberger, S. 401, 410 f. 275 Wagner, FamRZ 2006, 979, 983. 276 Looschelders/Boos, FamRZ 2006, 374, 375. 277 Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 131.
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
und der Rechtssicherheit auf der anderen Seite, der auf Grund der Schwierigkeiten, eine effektive Staatsangehörigkeit festzustellen, zu Gunsten der Rechtssicherheit aufgelöst werden müsse. Dieser Ansicht hat sich die ganz herrschende Meinung angeschlossen.278 In der Tat wird man gegen diese Meinung kaum argumentieren können. Es kann hier auf die Argumentation zur Rom III-VO verwiesen werden.279 Die Möglichkeit, eine nicht effektive Staatsangehörigkeit zu wählen, kommt dem Interesse der Parteien an einer einfach zu handhabenden Rechtswahl zu Gute. Eine Effektivitätsprüfung ist den Parteien nicht zuzumuten. Beeinträchtigt wird jedoch das Prinzip der engsten Verbindung. Ein verhandlungsstarker Partner kann mitunter die Wahl eines Rechts durchsetzen, zu dem keine Verbindung besteht außer der Staatsangehörigkeit auf dem Papier. Doch beim Unterhaltsrecht erscheint es verkraftbar, rein internationalprivatrechtlich weniger überzeugende Ergebnisse hinzunehmen, solange das gewählte Recht eine sachrechtliche befriedigende Lösung findet. Die Verbundenheit und Vertrautheit mit dem gewählten Recht sind bei der Scheidung nach der Rom III-VO doch noch wesentlich wichtiger als beim Unterhaltsrecht, da es bei jener um eine Änderung des Personenstands und des Status geht, während es beim Unterhalt hauptsächlich um rein materielle Fragen und finanzielle Interessen geht. Internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit wird dadurch nicht obsolet. Insgesamt reichen die Argumente für ein Effizienzerfordernis jedoch nicht aus. Sie erfordern lediglich eine Abmilderung durch ausreichende Informationsmöglichkeiten sowie im Notfall flankierende Schutzmechanismen des Gerichts. b) Staatenlose, Asylsuchende und Flüchtlinge Ob bei Staatenlosen im Rahmen des HUP über Artikel 12 Abs. 1 des New Yorker UN-Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28. September 1954 das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts gewählt werden kann oder nicht, ist irrelevant, da das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts nach Artikel 8 Abs. 1 lit. b) HUP sowieso gewählt werden kann.280 Bei Asylsuchenden und Flüchtlingen sollte man es ebenfalls wie in der Rom III-VO den Parteien überlassen, ob sie auf das Recht des Herkunftsstaates des Asylsuchenden zurückgreifen wollen oder nicht. Nur durch die Flucht aus 278 Rauscher/Andrae, Art. 8 HUP, Rn. 8; Palandt/Thorn, HUP, Rn. 29; Andrae, Internationales Familienrecht, § 8, Rn. 157; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, C, Rn. 655; ders., FS Martiny, S. 345, 347; jurisPK-BGB/Ludwig, Art. 8 HUP, Rn. 13; NK-BGB/Bach, Artikel 8 HUP, Rn. 11; Staudinger/Mankowski, Artikel 8 HUP, Rn. 31; Eschenbruch/Schürmann/Menne/Dörner, Kapitel 6, Rn. 283; Martiny, IPRax 2011, 437, 449; Gruber, FS Spellenberg, S. 177, 190; Coester/Coester-Waltjen, LA Schurig, S. 33, 39. 279 Siehe oben § 4 B. I. 3. a), cc). 280 Staudinger/Mankowski, Artikel 8 HUP, Rn. 34; Hausmann, FS Martiny, S. 345, 352.
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dem Land wird nicht gleichzeitig die kulturelle Verbundenheit mit dessen Rechtsordnung beendet. Die Vertreibung kann ganz andere Gründe haben. Zwingende Gründe, die für eine Sperre der Wahlmöglichkeiten sprechen, ergeben sich hier nicht. Es wird daher auf die Ausführungen zur Rom III-VO verwiesen.281 c) Territoriale Rechtsspaltung Wählen die Parteien das Recht des Staates, dem einer von ihnen angehört und ist dieser Staat territorial in verschiedene Rechtssysteme gegliedert, so muss nach Artikel 16 Abs. 1 lit. e) HUP vorgegangen werden.282 Nach dieser Vorschrift muss zunächst das interlokale Privatrecht des betroffenen Mehrrechtsstaates befragt werden, auf den es selbst verweist. Fehlt ein solches, kann das Recht des Teilrechtsgebiets gewählt werden, zu welchem die jeweilige Partei die engste Verbindung hat. Die Literatur vertritt die Auffassung, dass diese Vorschrift nicht für die Rechtswahl gelte.283 Demnach können die Parteien die Gebietseinheit selbst wählen. Dem ist jedoch nicht zu folgen. Zum einen spricht der Wortlaut von Artikel 16 Abs. 1 lit. e) HUP dagegen. Die Vorschrift gilt für „jede Bezugnahme auf den Staat, dem eine Partei angehört“, also auch für die Rechtswahl nach Artikel 8 Abs. 1 lit. a) HUP. Zum anderen sprechen teleologische Argumente stark gegen eine derartige Freiheit. Es gilt das Gleiche, was bei der Rom III-VO gesagt wurde. Es öffnet sich den Parteien im Extremfall eine derartige Fülle von Rechtsordnungen, dass das Prinzip der engsten Verbindung vollkommen aufgelöst wäre. Unter diesen Rechtsgebieten können die Parteien nicht mehr informiert entscheiden. Es ist einfacher, die engste Verbindung zu einem Teilgebiet auszumachen, als zum Beispiel im Falle der USA 50 Unterhaltsrechte zu überblicken und eine fundierte Rechtswahl zu treffen. Der Sinn der beschränkten Rechtswahl, wie bei einem Filter alle Rechtsordnungen, zu denen die Parteien keinen Bezug haben, auszusortieren, soll insgesamt nicht dadurch unterlaufen werden, dass ein Staat in mehrere Rechtsordnungen aufgesplittert ist. Somit ist der Regel des Artikels 16 Abs. 1 lit. e) HUP auch bei der Rechtswahl nach Artikel 8 Abs. 1 lit. a) HUP zu folgen. 2. Gewöhnlicher Aufenthalt einer Partei Die Parteien können nach Artikel 8 Abs. 1 lit. b) HUP das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts einer Partei wählen. Der gewöhnliche Aufenthalt des Un-
281
Siehe oben § 4 B. I. 3. b). Staudinger/Mankowski, Artikel 16 HUP, Rn. 11; NK-BGB/Gruber, Artikel 16, Rn. 1. 283 Rauscher/Andrae, Art. 16 HUP, Rn. 6; Palandt/Thorn, HUP, Rn. 51; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, C, Rn. 769. 282
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
terhaltsberechtigten war schon nach dem HUÜ 1973 das primäre objektive Anknüpfungsmerkmal.284 Der Unterhaltsberechtigte steht im Zentrum der Unterhaltsanknüpfung, sein gewöhnlicher Aufenthalt ist die engste Verbindung, da in seiner unmittelbaren Umwelt seine Bedürftigkeit begründet wird.285 Hier geht es nicht nur um eine Bevorzugung des Aufenthaltsprinzips gegenüber der Staatsangehörigkeit, sondern es stellt eine bewusste Übertragung der Interessenwertungen im materiellen Recht auf die internationalprivatrechtliche Ebene dar.286 Aber auch die subjektive Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsverpflichteten ist interessengerecht.287 Zum einen müssen auch seine finanziellen Bedürfnisse bei der Bestimmung der Unterhaltshöhe mitberücksichtigt werden. Zum anderen können sich beide Parteien über das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt einer Partei leicht informieren, es liegt ihnen gerade noch nahe. Als bloße Rechtswahlmöglichkeit erfüllt dieser gewöhnliche Aufenthalt seinen Zweck. Durch eine Beschränkung auf den gewöhnlichen Aufenthalt zum Zeitpunkt der Rechtswahl wird richtigerweise verhindert, dass sich der Unterhaltsverpflichtete seiner Pflicht durch Verlegung seines gewöhnlichen Aufenthalts in ein anderes Land entzieht. Die Rechtswahl wird auf eine konkrete Rechtsordnung dauerhaft beschränkt. Bei der Auslegung des gewöhnlichen Aufenthalts gilt nichts anderes als in der Rom III-VO. Man hat immer zu bedenken, dass man den Begriff autonom auslegen muss.288 Jedoch ist der Begriffskern gleich. Es geht um die Feststellung des faktischen Lebensmittelpunkts, des Schwerpunkts der sozialen und familiären Bindungen.289 Dadurch werden auch gleichzeitig die Anforderungen einer funktionellen Auslegung erfüllt. Stellt man auf einen Lebensmittelpunkt ab, dann wird genau das Recht für den Unterhaltsberechtigten berufen, das seiner sozialen Lebenssituation und seinen finanziellen Bedürfnissen angepasst ist, an dem Ort, wo er seinen Lebensunterhalt bestreitet und sein Vermögen in Umlauf bringt.290 Funktionelle Auslegung darf keinesfalls bedeuten, dass man
284
Prinz, Das neue Internationale Unterhaltsrecht, S. 144; Looschelders/Boos, FamRZ 2006, 374, 375. 285 MK-BGB/Staudinger, Art. 3 HUP, Rn. 2; Kropholler, IPR, S. 379; Palandt/Thorn, HUP Rn. 12; Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 37; Boele-Woelki/Mom, FPR 2006, 232, 233; Arnold, IPRax 2012, 311, 312. 286 MK-BGB/Staudinger, Artikel 3 HUP, Rn. 2. 287 Wagner, FamRZ 2006, 979, 983. 288 Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 41. 289 Eschenbruch/Schürmann/Menne/Dörner, Kapitel 6, Rn. 293; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, C, Rn. 102; NK-BGB/Bach, Artikel 3 HUP, Rn. 12; es kann auch gut auf die Rechtsprechung zum HUÜ zurückgegriffen werden: vgl. BGH, NJW 1975, 1068; Urteil vom 13. Dezember 2000, Az. XII ZR 278/98, FamRZ 2001, 412; OLG Köln, Urteil vom 20. Juli 2004, Az. 25 UF 24/04, FamRZ 2005, 534. 290 Prinz, Das neue Internationale Unterhaltsrecht, S. 164; MK-BGB/Staudinger, Artikel 3 HUP, Rn. 2; NK-BGB/Bach, Artikel 3 HUP, Rn. 11.
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aus der rückblickenden Perspektive überlegt, welches Recht für den Unterhaltsberechtigten am vorteilhaftesten ist und dies als funktionelle Auslegung verkauft. Bei mehreren in Betracht kommenden Aufenthalten entscheidet im Zweifel die Bestimmung durch die Parteien. Im Übrigen kann auf die bereits erfolgten Ausführungen hingewiesen werden.291 Selbstverständlich ist es auch möglich, das Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts zu wählen, denn der gewöhnliche Aufenthalt beider Parteien ist logisch auch der gewöhnliche Aufenthalt jeder einzelnen Partei.292 3. Akzessorische subjektive Anknüpfungen im HUP a) Grundsätzliche Argumente für die akzessorische Anknüpfung In den Artikeln 8 Abs. 1 lit. c) und d) geht das HUP eigene Wege. Es erlaubt den Parteien, wenn sie Ehepartner sind, eine akzessorische Anknüpfung an das Recht, das die Parteien als das auf ihren Güterstand anzuwendende Recht bestimmt haben oder das tatsächlich darauf angewandte Recht (lit. c) oder das Recht, das die Parteien als das auf ihre Ehescheidung oder Trennung ohne Auflösung der Ehe anzuwendende Recht bestimmt haben, oder das tatsächlich auf diese Ehescheidung oder Trennung angewandte Recht (lit. d). Der Hauptgrund für diese Wahlmöglichkeit ist unmittelbar einleuchtend und offensichtlich. Es geht um Unterhaltsansprüche, die entweder aus der Ehe selbst resultieren oder aus dem Scheitern einer Ehe (oder aus Partnerschaften, die ein eigenes Güterrecht und Regeln zur Auflösung vorsehen wie die Lebenspartnerschaft nach dem LPartG oder der französische PACS).293 Das Recht, das auf diese Rechtsverhältnisse Anwendung findet, kann auch gut die Unterhaltsbeziehungen bestimmen. Da die Parteien mit diesem Recht bereits vertraut sind, wird eine möglichst enge Verbindung hergestellt.294 Unter diesem Aspekt der internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit lässt sich auch begründen, dass die Parteien akzessorisch an das Recht anknüpfen können, das für die Scheidung gilt. Unter sachrechtlichen Gesichtspunkten ist diese Wahl zunächst nicht überzeugend. Das Recht, das auf den Scheidungsvorgang Anwendung findet, garantiert noch keine angemessene Lösung der Unterhaltsfragen.295 Die akzessorische Wahl erleichtert zudem den Partnern den Weg auf dem Parkett des Internationalen Kollisionsrechts. Vor allem schwierige Qualifikationsprobleme, Anpassungsprobleme, Normenmängel und Normenhäufungen 291
Siehe oben § 4 B. I. 1. c). Das verkennt Rauscher/Kroll-Ludwigs, Einführung EU-EheGüterVO-E, Rn. 52. 293 Rauscher/Andrae, Artikel 8 HUP, Rn. 10; Staudinger/Mankowski, Artikel 8 HUP, Rn. 41 f. 294 Coester/Coester-Waltjen, LA Schurig, S. 33, 40. 295 Hohloch, FS Sonnenberger, S. 401, 413, allerdings auf die objektive Anknüpfung bezogen. 292
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
können vermieden werden. Die Frage, ob die englische Rechtsfigur des financial relief güterrechtlich oder unterhaltsrechtlich zu qualifizieren ist,296 stellt sich etwa nicht, wenn beide Statute einheitlich vom selben Recht bestimmt werden.297 Die akzessorische Anknüpfung kommt den Parteien also direkt zu Gute und erhöht die Wahrscheinlichkeit einer gut informierten Entscheidung, deren Folgen die Parteien besser abschätzen können. Eine derartige Rechtswahlmöglichkeit, die auf eine bessere Abstimmung unter den einzelnen Rechtsinstrumenten achtet, bietet sich daher ideal an in einem einheitlichen Europäischen Internationalen Familienrecht.298 Der Grundgedanke der Vorschrift ist also einfach und unmittelbar überzeugend. Es muss jedoch an dieser Stelle betont werden, was diese akzessorische Anknüpfung für die Systematisierung des Internationalen Familienrechts bedeutet. Durch Artikel 8 Abs. 1 lit. c) und d) HUP wird eine Verbindung zu den beiden weiteren Rechtsakten des Europäischen Familienrechts geschaffen, der Rom III-VO und dem Entwurf für eine Güterrechts-VO. Es sollte nicht der Gedanke aufkommen, dass dem Scheidungsstatut nur eine untergeordnete Bedeutung zukommt, da es nur um Statusfragen geht und man nach allen Rechten relativ einfach die Scheidung erreichen kann. Dies hat dann unter anderem Konsequenzen für die Frage, ob man eine Inhaltskontrolle der Rechtswahlvereinbarungen in der Rom III-VO befürwortet oder nicht.299 Dabei zeigt Artikel 8 HUP, dass die Wahl des Scheidungsstatuts auch für die Bestimmung des Unterhaltsstatuts maßgebend sein kann, wo letztlich die konkreten finanziellen Interessen der Beteiligten betroffen sind. Das HUP schlägt über lit. c) und d) eine Brücke zu den anderen Rechtsakten. Durch gesetzliche Anordnung gilt im deutschen Recht das Scheidungsstatut auch automatisch für den Versorgungsausgleich nach Artikel 17 Abs. 3 EGBGB.300 Sollte die Wahl des Scheidungsstatus aus irgendeinem Grund unwirksam sein, so dient es in der Regel keiner der Parteien, wenn die über eine akzessorische Anknüpfung damit verbundene weitere Rechtswahl als gültig angesehen werden soll. Die Parteien könnten dann gezwungen sein, sich neu zu informieren, um sich auf das neue Recht einzustellen. Es kommt zu Brüchen in der Rechtsanwendung. Die Möglichkeit einer einheitlichen Gestaltung, die durch die akzessorische Anknüpfung ermöglicht werden sollte, gerät aus dem Lot.
296 Zu den Problemen etwa BGH, Beschluss vom 12. August 2009, Az. XII ZB 12/05, IPRax 2011, 187. 297 Hausmann, FS Martiny, S. 345, 353; Staudinger/Mankowski, Artikel 8 HUP, Rn. 39; Schäuble, NZFam 2014, 1071, 1074 f. 298 So auch Coester-Waltjen, FamRZ 2013, 171, 175 f., die zu Recht darauf hinweist, dass allein die Möglichkeit der Wahl des gewöhnlichen Aufenthalts für eine Abstimmung nicht ausreicht, da unterschiedliche Zeitpunkte für die Wahl je nach Statut relevant sind. 299 Vgl. nur Rauscher/Helms, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 62. 300 BeckOK-BGB/Heiderhoff, Art. 5 Rom III-VO, Rn. 18 f.
§ 4 Begrenzte Rechtswahlmöglichkeiten
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Um diese Fernwirkungen zu vermeiden, wäre es wünschenswert, wenn für alle Rechtswahlmöglichkeiten das gleiche Schutzniveau gelten würde. b) Probleme der Anknüpfung Die Literatur weist darauf hin, dass die Regelung ihre Wirkung nur entfalten könne, wenn in den vom HUP angesprochenen Rechtsgebieten auch tatsächlich Parteiautonomie herrsche.301 Dies werde in Europa jedoch dadurch erschwert, dass die im Verfahren der Verstärkten Zusammenarbeit entstandene Rom IIIVO nicht in allen Mitgliedstaaten gelte, gerade weil es in den nicht teilnehmenden Staaten einen deutlichen Vorbehalt gegenüber der Rechtswahl im Familienrecht gebe. Dem ist zuzustimmen. In vielen Mitgliedstaaten des HUP, die sich nicht gleichzeitig an der Rom III-VO beteiligen, wird Artikel 8 Abs. 1 lit. d), Alt. 1 HUP für unbestimmte Zeit keine praktische Bedeutung entfalten. Wie bei der Rom III-VO stellen sich auch im HUP Probleme bezüglich der Bestimmtheitsanforderungen. Wie genau müssen die Parteien die Rechtswahl beschränken oder gar eine bestimmte Rechtsordnung konkret bezeichnen? Können die Parteien ihre Unterhaltsansprüche einfach generell etwa „dem Scheidungsstatut“ unterstellen, ohne genau zu wissen, welches dies sein wird? Hier kann an die Ausführungen zur Wahl der lex fori bei der Rom III-VO angeknüpft werden.302 Zum Schutze der Parteien ist es erforderlich, bestimmte Mindestanforderungen aufzustellen. Dies gilt nicht nur in dem Fall, dass eine Partei schwächer ist als die andere. Zum Wohle beider Partner ist es unerlässlich, dass beide eine gut informierte Entscheidung treffen, bei der sie die Folgen der Rechtswahl einschätzen können und einen groben Überblick über das anzuwendende materielle Recht haben. Dieser Standard muss im HUP genauso gelten. Es muss daher eine konkrete Rechtsordnung angegeben werden. Eine „Blankoanknüpfung“ an Güter- oder Scheidungsstatut ist daher nicht zulässig.303 Dies ergibt sich direkt aus dem Wortlaut des Protokolls, der nur die Wahl eines Rechts erlaubt, das die Parteien „bestimmt haben, oder das tatsächlich darauf angewandte Recht.“ Entweder ist das Recht also bereits genau bestimmt oder wurde bereits einmal angewandt, so dass die Parteien immer genau wissen, um welches Recht es sich eigentlich handelt. Besser wäre es daher auch für die Rom III-VO, wenn bei der Wahl der lex fori eine floating choice of law nicht möglich wäre. Nur dann haben die Parteien wirklich ein Recht zur Anwendung „bestimmt“. Lässt man hingegen eine ungenaue Wahl des Rechts des später zuständigen Gerichts zu, leidet darunter die akzessorische subjektive Anknüpfung im HUP und wird ungültig. Das sollte vermieden werden. 301
Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie, S. 112 f.; Gruber, FS Spellenberg, S. 177, 191. Siehe oben § 4 B. I. 4. b). 303 Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 137; BeckOK-BGB/Heiderhoff, Art. 8 HUP, Rn. 11; NK-BGB/Bach, Artikel 83 Rom III-VO, Rn. 18. 302
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
Zuletzt stellt sich die Frage, welches Recht auf die Unterhaltspflicht anzuwenden ist, wenn bei einer akzessorischen Rechtswahl die Wahl des Scheidungsstatuts etwa nach der Rom III-VO ungültig, nach dem Haager Unterhaltsprotokoll aber gültig ist. Dies kann leicht passieren, wenn etwa für die Wahl nach Rom III höhere Formerfordernisse gestellt werden als nach dem HUP oder das Scheidungsstatut wegen des speziellen ordre public-Vorbehalts nach Artikel 10 Rom III-VO nicht angewandt werden kann. Drei Möglichkeiten stehen zur Wahl. Entweder man erhält die Wahl aufrecht und wendet nach dem HUP das Recht an, das die Parteien ursprünglich auch nach der Rom III-VO gewählt haben. Stattdessen könnte man die Wahl des auf die Scheidung gewählten Rechts umdeuten in eine akzessorische Wahl des tatsächlich auf diese Fragen angewandten Rechts oder man erklärt schließlich die Wahl nach Artikel 8 HUP für ungültig und knüpft objektiv an. Der Wortlaut von Artikel 8 Abs. 1 HUP ist nicht eindeutig. Das englische „the law designated by the parties“ kann sowohl „bezeichnetes Recht“ als auch „bestimmtes Recht“ bedeuten. Die deutsche Version des HUP besagt freilich: „das Recht, das die Parteien […] bestimmt haben.“ Bestimmen ist mehr als bezeichnen und bedeutet mehr als die bloße Nennung des ausländischen Rechts. Der Wortlaut scheint also darauf hinzudeuten, dass die Berufung des Rechts nach der Rom III-VO oder der EheGüVO (oder nach einem nationalen Recht) tatsächlich wirksam sein muss. Dies spricht zunächst gegen die erstgenannte Lösungsmöglichkeit. Entscheidend sind Sinn und Zweck der Regelung. Auch hier kann die erste Lösung keine überzeugenden Argumente für sich beanspruchen: Das hauptsächliche Interesse der Parteien bei lit. c) und d) besteht darin, nur ein Recht für die verschiedenen Rechtsfragen zur Anwendung zu bringen. Dieses Ziel kann aber nicht mehr erreicht werden, wenn die Wahl des Güter- oder Scheidungsstatuts ungültig ist. Weitere kollisionsrechtliche Interessen an der Wahl bestehen daher nicht mehr. Im Gegenteil sprechen sogar Schutzgedanken gegen diese erste Lösung. Es soll verhindert werden, dass die Parteien ein Recht im ersten Schritt wählen, ohne sich Gedanken zu machen, ob diese Wahl überhaupt möglich ist, und trotzdem erkennt das HUP diese Wahl an. So könnte jedes beliebige Recht der Welt zur Anwendung kommen.304 Die Parteien sollen aber nur nach einem Recht beurteilt werden, zu dem sie eine hinreichend enge Verbindung haben. Die erste Lösung ist daher abzulehnen. Die vorangehende Rechtswahl muss gültig sein, um im Rahmen der akzessorischen Rechtswahl beachtet werden zu können.305 Es bleibt die Frage offen, ob man stattdessen ohne Berücksichtigung des Parteiwillens anknüpft oder die Rechtswahl umdeutet. Die Literatur hat sich 304
NK-BGB/Bach, Art. 8 HUP, Rn. 19. Bonomi, rapport explicatif, Rn. 140; Beck-OK BGB/Heiderhoff, Art. 8 HUP, Rn. 9; NK-BGB/Bach, Art. 8 HUP, Rn. 19; Gruber, FS Spellenberg, S. 177, 191. 305
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dabei, soweit ersichtlich, mit der letzten Möglichkeit auseinandergesetzt. Diese intuitive Entscheidung stellt sich als ganz richtig heraus: Zwar könnte durch eine solche Umdeutung dem Interesse der Ehegatten an einer einheitlichen Beurteilung ihrer Rechtsverhältnisse entsprochen werden. Jedoch birgt sie auch weitere Gefahren, da die Parteien dann ein Recht gewählt hätten, das sie vorher überhaupt noch nicht beurteilen konnten. Die Gefahr einer unliebsamen Überraschung wäre groß. Dies würde dem Anliegen widersprechen, eine Rechtswahl nur zuzulassen, wenn die Parteien auch wirklich gut informiert sind, um einen möglichst hohen Schutzstandard zu erhalten. Alles in allem ist die objektive Anknüpfung näher dran an den internationalprivatrechtlichen Interessen der Parteien, um eine gerechtere Entscheidung zu treffen. Den Parteien steht es jederzeit frei, ihre Wahl zu erneuern. Dieses Problem zeigt deutlich einmal mehr, welche Probleme für die Ehepartner daraus erwachsen können, dass die einzelnen Rechtsinstrumente nicht aufeinander abgestimmt sind. Das Ziel der Kommission in ihrem neuen Aktionsplan, für Kohärenz zwischen den Rechtsakten zu sorgen, sollte nicht nur als notwendige Pause begriffen werden, um den erlahmten Schöpfungseifer der letzten Jahre wieder zu erneuern, sondern, um Löcher und Risse in und zwischen den Verordnungen zu kitten. 4. Wahl der lex fori a) Die Lösung von Artikel 7 HUP Schließlich können die Parteien auch die lex fori wählen. Anders als bei der Rom III-VO wird diese Möglichkeit jedoch nicht als letzter Buchstabe in Artikel 8 HUP angehängt, sondern auf ein einzelnes Verfahren beschränkt und in einer Spezialvorschrift, Artikel 7 HUP, vorangestellt. Die Gründe für eine Wahl der lex fori sind hier genau wie in der Rom IIIVO: Der Richter ist im Umgang vertrauter mit der Anwendung des eigenen Rechts, das Verfahren wird schneller und für die Parteien günstiger.306 Interessanter sind jedoch die Gründe, warum die Wahl der lex fori nur für ein einzelnes Verfahren möglich ist. Erinnern wir uns an die Rom III-VO. Die Wahl des Rechts des Gerichts ist hier nach Artikel 5 Abs. 1 lit. d) zu jedem Zeitpunkt möglich. Dies hat unter anderem die Konsequenz, dass die mühsame Eingrenzung der Rechtswahlmöglichkeiten nach dem Prinzip der engsten Verbindung durch lit. a–c) gesprengt wird, da die potentiellen Scheidungsgerichtsstände weitaus zahlreicher sind und nicht diesem Prinzip folgen, sondern eine
306
Rauscher/Andrae, Art. 7 HUP, Rn. 1; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, C, Rn. 633; Henrich, Rechtswahl im Unterhaltsrecht, S. 53, 54.
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
hinreichende Verbindung ausreichen lassen. Dies führt zu einem Wertungswiderspruch, der nur mühsam überbrückt werden kann, insbesondere bei der floating choice of law.307 Das HUP geht das Problem differenzierter an. Es lässt die Wahl der lex fori eben nicht zu jedem Zeitpunkt zu. In Artikel 8 HUP ist sie nicht unmittelbar wählbar. Dadurch wird deutlich, dass das Unterhaltsprotokoll die Anknüpfung an die engste Verbindung ernster nimmt, als es die Rom III-VO tut. Für einzelne Verfahren soll sie jedoch zur Verfügung stehen. Dadurch kommt das HUP sowohl den internationalprivatrechtlichen als auch den materiell-rechtlichen Interessen der Parteien gleichermaßen entgegen und respektiert sie nicht nur nominell. Diese Lösung ist vorzugswürdig. Sie setzt nämlich die richtigen Schwerpunkte. Zuerst und grundsätzlich ist eine Optierung für ein Recht möglich, zu dem eine enge Verbindung besteht. Die Wahl der lex fori steht hier nicht zur Verfügung. Dies betont die Filterfunktion der beschränkten Rechtswahl. Auf einer zweiten Ebene können sich die Parteien im Rahmen eines einzelnen Verfahrens dazu entschließen, die lex fori anzuwenden, um Gerichtskosten zu sparen, das Verfahren abzukürzen, etc. Sie können sich dann zunächst das objektiv oder subjektiv nach dem Kriterium der engsten Verbindung bestimmte Recht genau vor Augen führen und immer noch entscheiden, dass ihnen dessen Anwendung nicht so wichtig erscheint, dass sie ein aufwendiges Verfahren auf sich nehmen wollen. Dem HUP gelingt es somit besser als der Rom III-VO, neue Akzente aufzunehmen, ohne einen Bruch des Systems zu riskieren. Aus dieser Regelung ergibt sich auch zwanglos, dass eine floating choice of law ausgeschlossen ist.308 Eine zeitliche Begrenzung lässt sich zwar dem Unterhaltsprotokoll für die Wahl nach Artikel 7 Abs. 2 HUP nicht entnehmen.309 Der Wortlaut bietet keinen Ansatz. Eine Grenze müsste willkürlich festgesetzt werden. Aber immerhin muss das einzelne Verfahren sich konkret abzeichnen und akut werden. Eine generelle Wahl „der lex fori“ würde nicht nur „für die Zwecke eines Verfahrens in einem bestimmten Staat“ erfolgen und ist daher unzulässig. Dadurch werden die Anlässe für eine Wahl der lex fori automatisch begrenzt.
307
Siehe oben § 4 B. I. 4. b). Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 120; Palandt/Thorn, HUP Rn. 26; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, C, Rn. 639 ff.; Rauscher/Andrae, Art. 7 HUP Rn. 8; andere Ansicht Gruber, FS Spellenberg, S. 177, 189. 309 Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 120; Eschenbruch/Schürmann/Menne/Dörner, Der Unterhaltsprozess, Kapitel 6, Rn. 279. 308
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b) Teleologische Einschränkung von Artikel 7 Abs. 2 HUP? Trotzdem ergibt sich hieraus ein Auslegungsproblem, das die Lösung des HUP in Frage stellt. Wann liegt ein Verfahren in einem bestimmten Staat vor? Muss es bereits anhängig sein oder sich bloß abzeichnen? Aus Absatz 2 der Vorschrift ergibt sich klar, dass eine Rechtswahl auch schon vor Einleitung eines Verfahrens gültig sein kann. Eine bestimmte Zeitspanne zwischen Abschluss des Rechtswahlvertrags und Verfahrenseinleitung wurde bewusst nicht vorgesehen.310 Begründet wird dies mit dem Argument, dass Absatz 2 zusätzliche Formerfordernisse enthält und die Parteien schließlich das gewählte Recht genau bezeichnen müssen. Beide Parteien könnten demnach genau wissen, wofür sie sich entscheiden und können sich daher ausreichend informieren. Gegen diese Argumentation hat sich Prinz gewandt. Sie erläutert, dass durch eine solche weite Auslegung der Zweck von Artikel 7 HUP verfehlt werde. Sie meint, dass ohne Begrenzung eine frühe Wahl der lex fori zu jedem Zeitpunkt keinen signifikanten Unterschied zu einer Wahl nach Artikel 8 HUP ergebe, das Schutzniveau bei Artikel 7 HUP jedoch noch niedriger sei.311 Letztlich werde damit der Wertungswiderspruch, der die Rom III-VO prägt, in neuer Form durch Artikel 7 Abs. 2 auch ins HUP eingeführt. Eine frühe Wahl des Rechts eines Gerichts sei nur möglich, wenn man sich die in Betracht kommenden international zuständigen Gerichte anschaue. Für die europäischen Gerichte sind diese in den Artikeln 3 und 4 EuUnthVO festgelegt. Die Rechtswahl gehe in der Regel einher mit einer Gerichtsstandsvereinbarung.312 Gerade für Ehepartner seien die Wahlmöglichkeiten äußerst vielfältig, so dass die Zahl der möglichen Rechtsordnungen, die in Betracht gezogen werden können, leicht an die Anzahl der in Artikel 8 HUP zur Wahl gestellten Rechte heranreiche. Dies stelle an die Ehepartner immense Anforderungen, die ein höheres Schutzniveau zur Folge haben müssten.313 Daher müsse Absatz 2 restriktiv ausgelegt werden, um einen ähnlich übersichtlichen Anwendungsbereich zu haben wie Absatz 1. Dies lege auch die Überschrift des Artikels nah, die ein bestimmtes Ereignis voraussetze.314 Prinzzieht eine Parallele zum Internationalen Deliktsrecht, nach dem die Parteien, die nicht einer kommerziellen Tätigkeit nachgehen, gemäß Artikel 14 Abs. 1 lit. a) Rom II-VO nach Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses eine Rechtswahl treffen können.315 Sie möchte diese Wertung auf das Internationale
310
Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 121; Gruber, FS Spellenberg, S. 177, 189; Rauscher/Andrae, Art. 7 HUP, Rn. 14. 311 Prinz, Das neue Internationale Unterhaltsrecht, S. 215 ff. 312 Rauscher/Andrae, EuZPR/EuIPR, Art. 7 HUP Rn. 8. 313 Prinz, Das neue Internationale Unterhaltsrecht, S. 216 f., 219. 314 Prinz, Das neue Internationale Unterhaltsrecht, S. 219. 315 Prinz, Das neue Internationale Unterhaltsrecht, S. 220 ff.
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
Unterhaltsrecht übertragen und verlangt für eine Wahl vor Einleitung des Verfahrens daher, dass zunächst ein bestimmtes Ereignis eintritt, das den Parteien „die Brisanz der Rechtswahl“316 verdeutlicht, etwa im Falle des Trennungsunterhalts nach der Trennung oder beim Scheidungsunterhalt nach der Scheidung.317 Diese Lösung sei überzeugender als eine starre Fristenlösung.318 Der Vorschlag von Prinz enthält viele starke Argumente. Die hauptsächliche Folge dieses Vorschlags ist der Ausschluss einer Wahl nach Artikel 7 HUP im Ehevertrag.319 Gerade für diese Fälle scheint Artikel 7 HUP aber auch gar nicht gemacht zu sein. Anders lässt sich nicht plausibel erklären, warum die Wahlmöglichkeit der lex fori aus Artikel 8 HUP ausgeklammert ist, im Gegensatz zur Rom III-VO, und auf ein bestimmtes Verfahren eingegrenzt ist. Wenn die Parteien diese Anforderungen umgehen könnten, indem sie gleichzeitig noch eine Gerichtsstandsvereinbarung eingehen, dann widerspricht dies dem telos, das die Verfasser des HUP für Artikel 7 und 8 festgelegt haben. Wie oben ausgeführt soll diese Unterscheidung die internationalprivatrechtlichen Interessen der Parteien schützen. Die Parteien sollen sich erst über das objektiv oder subjektiv nach dem Prinzip der engsten Verbindung zu bestimmenden Recht im Klaren sein, bevor sie sich aus Effizienzgründen für die Wahl der lex fori entscheiden. Möglicherweise können sich die Parteien zum Zeitpunkt der Rechtswahl noch gar nicht mit dem einmal zuständigen Gericht, dem dort nach dem IPR anwendbaren Recht und der lex fori auseinandersetzen. Ein Beispiel ist eine Gerichtsstandsvereinbarung unter Ehegatten nach Artikel 4 Abs. 1 S. 1 lit. c) Nr. i) EuUnthVO: die Parteien bestimmen das Gericht, „das für Streitigkeiten zwischen den Ehegatten […] in Ehesachen zuständig ist.“ Dieses Gericht muss zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht feststehen, es muss erst bei Anrufung des entsprechenden Gerichtes klar bestimmt sein (Artikel 4 Abs. 1 S. 2 EuUnthVO). Das für Ehesachen international zuständige Gericht bestimmt sich innerhalb der EU nach den Artikeln 3 ff. Brüssel IIa-VO. Diese wiederum lässt eine Gerichtsstandsvereinbarung nicht zu. Die Parteien können also für Unterhaltssachen ein Gericht wählen, das erst im Laufe der Zeit objektiv durch Einleitung eines Scheidungsverfahrens und dadurch eintretende Rechtshängigkeitssperre bestimmt wird.320 Wenn man zudem bedenkt, dass die Brüssel IIaVO ein breites Netz alternativer Zuständigkeiten bereithält, die der Unterhaltsverpflichtete durch Verlagerung seines gewöhnlichen Aufenthalts und nach Ablauf einer gewissen Mindestdauer in Anspruch nehmen kann, so ist ersichtlich, warum sich hierdurch Gefahren nicht nur für die internationalprivatrecht-
316
Prinz, Das neue Internationale Unterhaltsrecht, S. 222. Prinz, Das neue Internationale Unterhaltsrecht, S. 226. 318 Prinz, Das neue Internationale Unterhaltsrecht, S. 223. 319 Prinz, Das neue Internationale Unterhaltsrecht, S. 222. 320 Rauscher/Andrae, Art. 4 EuUnthVO, Rn. 44. 317
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lichen, sondern auch für die materiellrechtlichen Interessen des Unterhaltsberechtigten ergeben können. Wenn sich aus dem Zusammenspiel von Brüssel IIa-VO, Gerichtsstandsvereinbarung nach Artikel 4 EuUnthVO und Wahl der lex fori nach Artikel 7 Abs. 2 HUP im Ehevertrag ergibt, dass dem Unterhaltsberechtigten plötzlich kein Anspruch mehr zusteht, ist das Ergebnis kritikwürdig. Man steht vor demselben Dilemma wie in der Rom III-VO. Zuerst werden enge Verbindungen zu bestimmten Ländern säuberlich eingegrenzt und diese Grenzen anschließend durch die Wahl der lex fori gesprengt. Eine restriktive Auslegung von Artikel 7 Abs. 2 HUP scheint daher unerlässlich. Allerdings fällt auch hier wieder auf, dass die Missbrauchsmöglichkeiten äußerst gering sind und die Situation zugegebenermaßen stark konstruiert wird. Es erscheint wieder nicht angebracht, die Grenzen des Schwächerenschutzes zu überdehnen und allen Paaren die Gestaltungsmöglichkeit über den Ehevertrag zu nehmen. Der Missbrauch ist eher ein Fall für die Kontrolle nach Artikel 8 Abs. 5 HUP. Im Rapport explicatif zum HUP erläutert Bonomi, dass eine zeitliche Begrenzung der Wahl nach Artikel 7 HUP im Vorfeld intensiv diskutiert, jedoch letztlich abgelehnt wurde.321 In den meisten Fällen sollte es daher auch bei dieser Entscheidung bleiben. Für bestimmte Situationen ist eine Einschränkung zum Schutz der Parteien erforderlich.322 Es bietet sich daher folgende Eingrenzung an: Die Wahl kann zwar bereits vor Einleitung des Verfahrens stattfinden, die Parteien müssen das Recht aber genau bezeichnen und das Verfahren später auch dort einleiten oder einen Gerichtsstand vereinbaren und hieran die Rechtswahl anknüpfen.323 III. Bewertung, Zusammenfassung der Ergebnisse und Vergleich mit der Rom III-VO Insgesamt bestätigt auch die Analyse des Haager Unterhaltsprotokolls die Funktion der begrenzten Rechtswahlmöglichkeiten: Sie sollen eine enge Verbindung der Parteien zum gewählten Recht sicherstellen. Es geht um klassische internationalprivatrechtliche Gerechtigkeitsaspekte. Das HUP verwendet dabei auch die klassischen Anknüpfungspunkte der Rom III-VO: gewöhnlicher Aufenthalt der Parteien sowie Staatsangehörigkeit. Im Gegensatz zur Rom III-VO muss es sich dabei nicht um den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Parteien handeln, was interessengerecht ist und durch die Besonderheiten von Scheidungs- und Unterhaltsrecht zu erklären ist. Darüber hinaus ist das HUP 321
Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 120 f. Hier liegt der Akzent anders als bei Prinz, die von einer generellen Unterlegenheit des Unterhaltsberechtigten ausgeht, vgl. Das neue Internationale Unterhaltsrecht, S. 220. 323 Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 121; Staudinger/Mankowski, Artikel 7 HUP, Rn. 19; Lipp, LA Pintens, S. 847. 856. 322
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an zwei wichtigen Stellen besser gelungen als die Verordnung zum Scheidungsrecht: Zum einen folgt das HUP dem Trend, die lex fori des zuständigen Gerichts zur Wahl zu stellen, um einen schnelleren und günstigeren Prozess zu ermöglichen. Hier zeigt sich eine Einbruchstelle rein materieller Interessen, die insoweit die internationalprivatrechtlichen Wertungen verdrängen. Im HUP führt das jedoch nicht zu einem Widerspruch zwischen beiden Sphären. Artikel 7 HUP klammert die Wahl der lex fori aus der allgemeinen Rechtswahlvorschrift aus und stellt sie den Parteien nur für ein einzelnes bestimmtes Verfahren zur Option. Es schafft damit eine zeitliche Gliederung: Zunächst müssen sich die Parteien mit dem objektiv oder subjektiv bestimmten Recht, zu dem der Sachverhalt eine enge Verbindung aufweist, auseinandersetzen und anschließend für das jeweilige Verfahren entscheiden, ob sie es zu Gunsten eines dem Gericht vertrauten Rechts abwählen wollen. Diese sinnvolle Reihenfolge wird jedoch durch den weiten Zeitraum, in dem eine Rechtswahl nach Artikel 7 Abs. 2 HUP vorgenommen werden kann, durcheinandergebracht. Dies kann zu erheblicher Rechtsunsicherheit und Überforderung der Parteien führen. Artikel 7 Abs. 2 HUP ist daher restriktiv auszulegen. Zum anderen erlaubt das HUP subjektive akzessorische Anknüpfungen an das Recht, das rechtlich verwandte Statute bei Eheleuten wie das Scheidungsund das Güterrechtsstatut bestimmt. Diese Lösung ist ebenfalls einleuchtend, ermöglicht sie doch eine einheitliche Behandlung der Rechtsgebiete, erleichtert die Rechtsfindung und sichert eine enge Verbindung. Brüche, vor allem bei der Anwendung englischen Rechts, können so vermieden werden. Man kann sich daher nur Gedanken machen, warum eine akzessorische Anknüpfung in der Rom III-VO nicht vorgesehen ist.324 Hier bleiben jedoch nicht so viele Möglichkeiten. Eine Anknüpfung an das Unterhaltsstatut ist nicht sachgerecht, weil die Scheidung in den meisten Fällen dem Unterhalt vorangehen muss. Theoretisch möglich wäre eine akzessorische Anknüpfung an die allgemeinen Ehewirkungen.325 Gerade für frisch verheiratete Paare könnte es angenehmer sein, die allgemeinen Ehewirkungen zu bestimmen, so dass sie, derart motiviert, vorsorglich Scheidungs- und Unterhaltsstatut in Einem mitwählen würden.326 Dem könnte man entgegenhalten, dass es für die allgemeinen Ehewirkungen keine vereinheitlichte europäische Anknüpfungsnorm gibt und es bei den Ehepartnern zu noch größerer Verwirrung kommen könnte, wenn sie zusätzlich nationales Kollisionsrecht bemühen müssten. Es stellt sich dann zudem die Vorfrage, nach welchem Kollisionsrecht sich dieses Recht bestimmen lassen
324
Kritisch Coester-Waltjen, FamRZ 2013, 170, 175. So der generelle Vorschlag von Pirrung, FPR 2010, 516, 518. 326 Pirrung, FPR 2010, 516, 518. 325
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sollte, etwa das des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts oder eines Staates, dem die Ehepartner gemeinsam angehören, oder etwa gar des Landes, in dem die Trauung stattfand. Diese akzessorische Anknüpfung hängt, genau wie auch der Erfolg von Artikel 8 Abs. 1 lit. c) und d) davon ab, dass die Parteien die allgemeinen Ehewirkungen wählen können, wovon man nicht ausgehen kann. In nicht allen Ländern wird diese Qualifikationsunterteilung zudem vorgenommen, sondern alle Folgen der Ehe, auch die güterrechtlichen, unter eine Kollisionsnorm zusammengefasst.327 Selbst wo es eine spezielle Anknüpfungsnorm für die allgemeinen Ehewirkungen gibt, wird diese nach Inkrafttreten der Güterrechtsverordnungen keinen nennenswerten Anwendungsbereich mehr haben,328 so dass sich kaum erschließt, warum die Parteien gerade an dieses Statut anknüpfen sollten. D. Zu den EuGüVOen I. Vorbemerkung Auch die Güterrechtsverordnungen für Ehe und eingetragene Partnerschaften stellen wie die übrigen Rechtsakte die Parteiautonomie in den Mittelpunkt der Anknüpfung.329 Wieder sind die Rechtswahlmöglichkeiten beschränkt. Die Beschränkung hat aber in den neuen Verordnungen wieder ihre ganz eigene Gestalt gefunden. Die Rechtswahl ist geregelt in den jeweiligen Artikeln 22 der EuGüVOen. Zur Wahl stehen: a) das Recht des Staates, in dem ein oder beide (künftigen) Ehegatten oder Partner zum Zeitpunkt der Rechtswahl ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, b) das Recht des Staates, dem einer oder beide (künftigen) Ehegatten oder Partner zum Zeitpunkt der Rechtswahl angehören, c) nur für Partnerschaften das Recht, nach dem die Partnerschaft begründet wurde.
Zunächst fällt auf, dass die Wahlmöglichkeiten begrenzter wirken als bei der Rom III-Verordnung und dem HUP.330 Die Güterrechtsverordnungen sehen keine Wahl der lex fori vor. Auch eine akzessorische Anknüpfung ist nicht vorgesehen. Dabei könnte spontan an mehrere andere verwandte Statute gedacht werden: die allgemeinen Ehewirkungen zum Zeitpunkt der Heirat sowie für Immobilien eine Teilrechtswahl der lex rei sitae, wie sie Artikel 15 Abs. 2
327
Staudinger/Mankowski, Artikel 14 EGBGB, Rn. 86; mit diesem Vorschlag auch für das deutsche Recht Coester-Waltjen, FamRZ 2013, 170, 172 ff.; Heiderhoff, IPRax 2017, 231, 234 f. 328 Heiderhoff, IPRax 2017, 160, 161. 329 Vgl. Erwägungsgrund (45) EuEheGüVO und Erwägungsgrund (44) EuPartGüVO. 330 Anderer Ansicht zum Entwurf der EuEheGüVO Rauscher/Kroll-Ludwigs, Einführung EU-EheGüterVO-E, Rn. 53.
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Nr. 3 EGBGB vorsieht.331 Theoretisch könnte man auch an das Recht denken, das als Scheidungsrecht gewählt wurde oder darauf tatsächlich angewandt wurde. Die Gründe für diese Einschränkungen müssen später untersucht werden. II. Wahl des Rechts des gewöhnlichen Aufenthalts Nach Artikel 22 Abs. 1 lit. a) EuEheGüVO/EuPartGüVO ist die Wahl des Rechts des gewöhnlichen Aufenthalts zum Zeitpunkt der Rechtswahl eines oder beider Ehegatten möglich. Bei der Auslegung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts bestehen keine Besonderheiten. Es gilt das bereits Gesagte.332 Anders als die Rom III-VO wird kein gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt verlangt. Dadurch kann im Ergebnis so gut wie jedes Recht gewählt werden, zu dem die Parteien eine ernsthafte Beziehung haben. Eine ernsthafte Einschränkung im Vergleich zur Rom III-VO etwa besteht daher gar nicht, auch wenn der erste Eindruck etwas anderes vermuten lässt. Teilweise wird bei der Wahlmöglichkeit von Artikel 16 lit. b) EuEheGüVO kritisiert, dass sie auch das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des „künftigen Ehegatten“ zur Wahl stellt. Dieses müsse zur Ehe nicht notwendig einen engen Bezug haben, da der Ehepartner auch direkt nach der Eheschließung den gewöhnlichen Aufenthalt aufgeben kann, wenn er etwa mit dem anderen Partner zusammenziehen will.333 Jedoch stellt diese Kritik zu einseitig auf die Beziehung zum tatsächlichen Eheleben ab, die wirklich nicht sehr stark ist. Beide Ehegatten können bereits vor der Eheschließung und bevor sie einen gemeinsamen Aufenthalt begründen, das Interesse haben, einen Ehevertrag abzuschließen und güterrechtliche Fragen zu klären. Da ein gemeinsamer Anknüpfungspunkt aber fehlt, kann zumindest über die enge Beziehung eines der Partner zu seinem Aufenthaltsrecht eine ausreichend enge Verbindung beider Partner im Falle einer Rechtswahl hergestellt werden. Den Vorwurf der Willkürlichkeit kann man hier nicht ernsthaft machen, die Wahlmöglichkeit erscheint interessengerecht. III. Wahl des Heimatrechts einer Partei Die Parteien können im Übrigen das Recht „eines Staates, dessen Staatsangehörigkeit einer der Ehegatten oder künftigen Ehegatten zum Zeitpunkt der Rechtswahl besitzt“, wählen. Auch hier sind die Gründe dafür offensichtlich und brauchen nicht noch einmal erläutert werden. Nähere Betrachtung verdienen die bereits bekannten Probleme der Staaten mit mehreren Rechtssystemen und der mehrfachen Staatsangehörigkeit. Für Flüchtlinge, Asylberechtigte und 331
Zu letzterem Gesichtspunkt, Döbereiner, MittBayNot 2011, 463, 465. Siehe oben B I. 1. c). 333 Döbereiner, MittBayNot 2011, 463, 465. 332
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Staatenlose hingegen gilt auch das bei der Rom III-VO Ausgeführte.334 Es gibt keinen Grund, im in den Güterrechtsverordnungen hiervon abzuweichen. Das Problem der Mehrstaater lässt sich in den Güterrechtsverordnungen einfacher auflösen. Wählbar ist auch das Recht einer ineffektiven Staatsangehörigkeit.335 Einen minimalen Hinweis liefert zunächst der deutsche Wortlaut des Verordnungstextes. Dieser spricht nicht von der Wahl des Rechts „des Staates“, dessen Staatsangehörigkeit einer der Ehegatten/Partner besitzt, sondern von der Wahl des Rechts „eines Staates, dessen Staatsangehörigkeit“ usw. Zudem überlässt Erwägungsgrund (50) EuEheGüVO/(49) EuPartGüVO die Behandlung von Mehrstaatern zwar dem nationalen Recht, stellt aber ausdrücklich fest, dass diese Behandlung keine Auswirkungen auf die Gültigkeit einer Rechtswahl haben kann. Bei diesen deutlichen Hinweisen im Verordnungstext und den Erwägungsgründen kann nichts anderes gelten als in der Rom III-VO und beim Unterhaltsprotokoll. Artikel 33 Abs. 2 lit. b) der Verordnungen regelt die Anknüpfung über die Staatsangehörigkeit an Staaten mit mehreren Rechtssystemen wie im Haager Unterhaltsprotokoll. Sofern der Mehrrechtsstaat kein Interlokales Privatrecht hat, muss die engste Verbindung bestimmt werden. Die Gefahr, dass durch die Unteranknüpfung die Zahl der in Frage kommenden Rechte deutlich erhöht wird, besteht somit nicht. Warum die Lösung hier ganz anders ausfällt als in der Rom III-VO, ist nicht nachvollziehbar. Dafür wirft Artikel 33 Abs. 2 lit. b) der Güterrechtsverordnungen auch keine Probleme in der Anwendung auf. IV. Keine Wahl der lex fori und akzessorische Verweisungen 1. Wahl der lex fori Es ist zunächst positiv zu bewerten, dass die Texte nicht einfach unreflektiert Regelungen der Rom III-VO übernehmen. Diese haben, wie gezeigt, den Effekt, dass das Prinzip der engsten Verbindung, und damit die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit, zwar dem ersten Anschein nach betont wird, bei näherem Hinsehen aber durch die vielfältigen Zuständigkeitsnormen allein der Brüssel IIa-VO ausgehebelt wird. Die Güterrechts-VOen unterliegen dieser Gefahr nicht. Sie stellen die engste Verbindung in den Mittelpunkt.336 Warum sie allerdings nicht in Artikel 7 HUP ein Vorbild genommen haben, ist zunächst verwunderlich. Einmal wird dies damit begründet, dass das Güterrecht
334
Siehe oben B I. 3. b) Dutta, FamRZ 2016, 1973, 1980 f.; Weber, DNotZ 2016, 677, 678. 336 Vgl. wieder Erwägungsgrund (45) EuEheGüVO: „unter den Rechtsordnungen, zu denen die Ehegatten […] einen engen Bezug haben“. 335
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eine Dauerbeziehung regle und eine Wahl der lex fori für ein einzelnes Verfahren daher nicht passe.337 Befürchtet werden vor allem Rückwirkungsprobleme.338 Aus diesem Grund ist auch das objektiv angeknüpfte Güterrechtsstatut grundsätzlich unwandelbar.339 Darauf könnte man noch erwidern, dass die Rechtswahl des Güterstandes zu jedem Zeitpunkt während der Ehe oder Partnerschaft möglich ist mit einer grundsätzlichen Wirkung nur für die Zukunft, Artikel 22 Abs. 2 EuEheGüVO/EuPartGüVO.340 Die Partner können sogar ausdrücklich eine Rückwirkung der Rechtswahl vereinbaren. Rechte Dritter werden dabei nicht berührt, Artikel 22 Abs. 3 EuEheGüVO/EuPartGüVO. Dies verträgt sich ebenfalls nicht mit dem Gedanken der Beständigkeit.341 Dieser Grundsatz wird also bei einer subjektiven Anknüpfung bewusst ausgeklammert. Eine Wahl der lex fori für ein einzelnes Verfahren wäre daher zumindest kein Systembruch. Es besteht jedoch gar kein Bedürfnis, explizit das Recht des Gerichts wählen zu können. Die Ehegatten können jederzeit das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts einer Partei oder das Recht einer Staatsangehörigkeit einer Partei wählen. Weitere Zuständigkeitsvorschriften sehen die Güterrechts-Verordnungen und die Brüssel IIa-VO, an die Artikel 5 Abs. 1 EuEheGüVO anschließt, gar nicht vor. Ein Gleichlauf von forum und ius lässt sich also auch so erzielen, wenn die Parteien dies wünschen. Zudem müssten die Parteien auch gar nicht erst versuchen, das komplizierte Zuständigkeitssystem der Verordnung mit ihrer Grundregel in Artikel 6, Ausnahmen in Artikel 5, Rückausnahmen in Artikel 5 Abs. 2 und Gerichtsstandsvereinbarungsmöglichkeiten nach Artikel 7 EuGüVOen zu durchschauen. Die Verordnungen gehen zusätzlich noch einen umgekehrten Weg, um einen Gleichlauf von Forum und anwendbarem Recht zu sichern: Artikel 7 Abs. 2 EuGüVOen erlaubt den Parteien, die Gerichte des Mitgliedstaats, dessen Recht sie gemäß Artikel 22 gewählt haben, zum zuständigen Gericht für den Güterstand betreffende Fragen zu erklären. Normalerweise ist es üblich, zuerst eine Gerichtsstandsvereinbarung abzuschließen und sodann das anwendbare Recht zu bestimmen. 2. Akzessorische Anknüpfungen und Teilrechtswahl Es spricht nichts dagegen, akzessorische Anknüpfungspunkte zur Wahl zu stellen, damit die Parteien ihre Rechtsbeziehungen einheitlich unter ein einziges
337
Martiny, IPRax 2011, 437, 449. Coester/Coester-Waltjen, LA Schurig, S. 33, 39 f. 339 Martiny, IPRax 2011, 437, 450; vgl. auch Kühne, IPRax 2017, 243, 244 f. 340 Dutta, FamRZ 2016, 1973, 1981. 341 Es droht die nachträgliche Unwirksamkeit einzelner Verfügungen, Martiny, IPRax 2011, 437, 449. 338
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Sachrecht stellen können. Dies dient dem internationalen Entscheidungseinklang,342 vermeidet Anpassungs- und Qualifikationsprobleme und sonstige Brüche bei der parallelen Anwendung mehrerer ausländischer Rechte und garantiert, dass eine enge Verbindung zu diesem Recht besteht. Wieder bietet sich eine Orientierung an Artikel 8 Abs. 1 lit. c) und d) HUP an. Ungeeignet wäre eine Anknüpfung an das Recht, das die Parteien als Scheidungsstatut bestimmt haben. Güterrechtliche Fragen werden zwar oft erst im Falle einer Scheidung relevant. Das Güterrechtsstatut muss jedoch während der Ehe die vermögensrechtlichen Beziehungen der Partner regeln. Diese Wirkungen an dem Recht zu orientieren, das die Ehe vielmehr erst beenden soll, scheint genau der falsche Ansatz zu sein. Die Verbindung ist eher schwach. Sinnvoller ist eine Orientierung an den allgemeinen Ehewirkungen, wie es etwa Artikel 15 Abs. 1 EGBGB als objektiver Anknüpfungspunkt vorsieht. Nicht möglich ist die Teilrechtswahl der lex rei sitae bei unbeweglichem Vermögen.343 In den Artikeln 22 der EuGüVOen fehlt diese Wahlmöglichkeit, Artikel 21 EuGüVOen verbieten ausdrücklich eine Teilrechtswahl.344 Damit sollen die Parteien vor Überforderung durch das Zusammenwirken verschiedener Statute geschützt werden.345 Diese Gefahr scheint jedoch nicht sehr groß zu sein, da es immer nur um einzelne Immobilien geht. Vor allem die notarielle Praxis bedauert die fehlende Teilrechtswahlmöglichkeit und klagt über Probleme bei der Ermittlung ausländischen Güterrechts.346 Aus Sicht des Schutzes der schwächeren Partei gibt es keine gewichtigen Argumente gegen eine Zulassung der Teilrechtswahl. Auf der Ebene der internationalprivatrechtlichen Interessen wird es zu keiner Benachteiligung kommen. Die Belegenheit der Immobilie stellt einen engen Bezug da, der für eine Teilrechtswahl vollkommen ausreicht. Hierin erschöpft sich vor allem die Bedeutung der Einschränkung. Alle weiteren Risiken für die Parteien müssen über Formvorschriften ausgeglichen werden. Die zusätzliche Wahlmöglichkeit der lex rei sitae für Immobilien verhindert nicht das Ziel, Informationen für die Ehegatten zu gewährleisten. Im Einzelfall kann es daher sein, dass Grundstücksgeschäfte leichter abzuwickeln sind, wenn sich alle Rechtsfragen an der lex rei sitae ausrichten lassen. Eine Teilrechtswahl für Immobilien sollte daher ermöglicht werden.
342
Siehe oben § 4 C. II. 3. a). Weber, DNotZ 2016, 659, 678; zum Verordnungsentwurf Martiny, IPRax 2011, 437, 449 f.; Coester-Waltjen/Coester, LA Schurig, S. 33, 40; Döbereiner, MittBayNot 2011, 463, 465; Henrich, FS Brudermüller, S. 311, 314; Viarengo, YbPIL 13 (2011), 199, 211. 344 Coester/Coester-Waltjen, LA Schurig, S. 33, 40. 345 Viarengo, YbPIL 13 (2011), 199, 212. 346 Zum Beispiel Döbereiner, MittBayNot 2011, 463, 465; kritisch auch Martiny, IPRax 2011, 437, 450; zumindest für eine Rechtswahlmöglichkeit Viarengo, YbPIL 13 (2011), 199, 212. 343
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
3. Akzessorische Wahl des Partnerschaftsbegründungsstatuts Partner nach der EuPartGüVO haben die Möglichkeit, nach Artikel 22 Abs. 1 lit. c) EuPartGüVO das Recht des Staates zu wählen, nach dessen Recht die eingetragene Partnerschaft begründet wurde. Die Notwendigkeit für diese Wahl sah man wohl darin begründet, dass eine kollisionsrechtliche Verweisung für Partner nur möglich ist, sofern das gewählte Recht an die eingetragene Partnerschaft auch tatsächlich güterrechtliche Wirkungen knüpft.347 Erwägungsgrund (44) macht die Zielrichtung deutlich. Viele Staaten kennen überhaupt keine registrierten Partnerschaften. Sie sollen durch die Rechtswahl nicht in einen rechtsfreien Raum gelangen. Die Einschränkung muss daher so gelesen werden, dass das Recht eingetragene Partnerschaften kennen muss.348 Unerheblich ist es, ob das Recht an die Partnerschaft tatsächlich ein eigenes Güterrecht anschließt oder ob es bewusst vermögensrechtliche Folgen ausschließt wie der französische PACS. Auch dies muss man als (negative) güterrechtliche Wirkung begreifen. Die Anknüpfung an das Recht, nach dem die Partnerschaft begründet wurde, soll den Partnern also immer mindestens eine Rechtsordnung zur Wahl lassen. Allerdings ist diese Rechtsordnung gleichzeitig das ohnehin objektiv gemäß Artikel 26 Abs. 1 EuPartGüVO grundsätzlich unwandelbar bestimmte Recht, so dass den Parteien keine wirkliche Wahlmöglichkeit bleibt.349 E. Zusammenfassung der Ergebnisse Die Beschränkung der Rechtswahlmöglichkeiten lässt sich nur rechtfertigen, wenn man ihren spezifischen Gerechtigkeitsgehalt ins Auge fasst. Die Limitierung soll sicherstellen, dass trotz Rechtswahl weiterhin ein enger Bezug des angewandten Rechts zum Fall besteht. Dadurch reduziert sie zugleich Komplexität und ermöglicht den zumeist ahnungslosen Parteien eine Orientierung für ihre persönliche Wahl. Insofern setzen die Rechtsakte traditionelle Ziele des IPR um. Dies geschieht aber nur zu dem Zweck, die Parteien bei der Wahl zu unterstützen. Hätten sie die Möglichkeit, unter allen Rechtsordnungen zu wählen, könnten sie leicht überfordert werden und ein Recht wählen, von dem sie sich einen Vorteil versprechen, der tatsächlich nicht existiert. Daher ist auch die Einschränkung der Rechtswahl als erster Schritt des Schwächerenschutzes zu begreifen. Die These von der Gebundenheit der Einschränkung an Kriterien kollisionsrechtlicher Gerechtigkeit wurde durch die Analyse der Rechtswahlmöglichkeiten im Europäischen Internationalen Familienrecht grundsätzlich bestätigt. Eine Abweichung von dieser Tradition stellt die Möglichkeit dar, auch die lex 347
Dutta, FamRZ 2016, 1973, 1981. Dutta, FamRZ 2016, 1973, 1981. 349 Dutta, FamRZ 2016, 1973, 1981. 348
§ 4 Begrenzte Rechtswahlmöglichkeiten
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fori wählen zu können. Hier kommt es nicht ausschließlich auf einen engen Bezug an, sondern lediglich auf die Einräumung einer internationalen Zuständigkeit. Neben das Nähe-Element treten somit noch weitere Faktoren. Letztlich kommt eine solche Option den rein materiellen (materiellrechtlichen) Interessen der Parteien zu Gute: Das lex fori-Prinzip garantiert effizientere Verfahren. Durch die Erlaubnis, das Recht des Forums zu wählen, werden jedoch die internationalprivatrechtlichen Interessen der Parteien gefährdet. Folgt die Rechtswahl der Zuständigkeit, können die Begrenzungen der Rechtswahl unterlaufen werden. Dies zeigt sich besonders in der Rom III-VO: Das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts einer Partei kann grundsätzlich nicht gewählt werden. Durch die Wahl der lex fori und die weiten Zuständigkeiten der Brüssel IIa-VO kann es jedoch zur Berufung eines genau solchen Rechts kommen. Das HUP und die Güterrechts-VOen reagieren geschickter auf dieses Problem. Das Unterhaltsprotokoll versucht, die Wahl der lex fori auf ein einzelnes Verfahren zu beschränken, damit die Parteien in der Lage sind zu beurteilen, welches eng mit dem Fall verbundene Recht sie konkret abwählen. Die Güterrechts-Verordnungen gehen einen umgekehrten Weg und eröffnen in bestimmten Fällen Zuständigkeiten in dem Mitgliedstaat, dessen Recht gewählt wurde. Als Anknüpfungspunkte zur Sicherung einer engen Verbindung eignen sich diejenigen klassischen Begriffe, die bereits im mitgliedstaatlichen Kollisionsrecht Verwendung fanden: der gewöhnliche Aufenthalt und die Staatsangehörigkeit. Beide Begriffe haben zwar als alleiniges Anknüpfungsmoment an Überzeugungskraft eingebüßt, bestimmen aber regelmäßig allein die einzigen Länder, zu denen die Parteien überhaupt einen Bezug haben. Dass zwischen diesen Alternativen keine Entscheidung des Gesetzgebers stattfindet, ist keine Verlegenheitslösung. Es gibt schlicht kein durchschlagendes Interesse, eines der Merkmale zu bevorzugen. Beide sind gleichermaßen plausibel. Schwierigkeiten entstehen immer da, wo sowohl der gewöhnliche Aufenthalt als auch eine einseitige Staatsangehörigkeit gewählt werden können, da der andere Teil immer nur eine mittelbare Beziehung zu diesen Rechtsordnungen hat. Dies muss jedoch hingenommen werden, will man den Parteien überhaupt noch eine Auswahl unter den Rechtsordnungen belassen. Der Schwächerenschutz stößt hier an seine Grenzen. Dies gilt genauso bei den Auslegungsproblemen, die sich im Einzelfall bei den Anknüpfungsmomenten zeigen. Insbesondere die Staatsangehörigkeit kann auf vielfältige Weise zu Problemen führen, am deutlichsten wohl bei Personen mit mehrfacher Staatsangehörigkeit. Das traditionelle IPR kennt für diese Probleme keine Antwort und kann sie nicht kennen, weil es ein Recht zur Grundlage hat, das die Parteiautonomie grundsätzlich nicht als Eckpfeiler der Anknüpfung begreift. Im Einzelnen muss daher eine Anpassung an die Bedürfnisse der Rechtswahl stattfindet. Dies kann oft jedoch nicht durch die radikale Einschränkung der Rechtswahlmöglichkeiten geschehen. Der Schutz muss vielmehr auf einer weiteren, später ansetzenden Ebene vervollständigt werden.
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
In bestimmten Bereichen ist es sinnvoll, akzessorische Wahlmöglichkeiten zuzulassen. Diese garantieren eine einheitliche Behandlung eines gesamten, einheitlichen Themenkomplexes. Das entspricht einmal den kollisionsrechtlichen Interessen der Parteien, da eine einheitliche engste Verbindung bei verwandten Gebieten naheliegt. Zudem werden so typische IPR-Probleme wie Normenmangel oder Normenhäufung vermieden. Zum anderen sparen die Parteien Ressourcen, wenn im Prozess nur die Anwendung eines einzigen Rechts in Frage steht. Somit kommt dieser Aspekt auch den materiellen Interessen entgegen. Bei zukünftigen Gesetzesvorhaben sollte daher verstärkt auf die Möglichkeit akzessorischer Wahlalternativen geachtet werden. § 5 Formvorschriften
§ 5 Formvorschriften § 5 Formvorschriften
A. Funktion der Formerfordernisse I. Grundsätzliche Ziele In den europäischen Rechtsordnungen gilt für Verträge grundsätzlich Formfreiheit. Deutlich wird dies in Artikel 2: 101 (2) PECL, der einen allgemein anerkannten Grundsatz zusammenfasst: „Ein Vertrag braucht nicht schriftlich geschlossen oder nachgewiesen zu werden und unterliegt auch keinem anderen Formerfordernis“. Dies gebietet die Privatautonomie. Ohne einen besonderen Grund kann den Vertragspartnern nicht auferlegt werden, auf welche besondere Art und Weise sie das Geschäft abzuschließen haben.350 Durch Gesetz kann die Wirksamkeit des Vertrages jedoch von der Einhaltung einer bestimmten Form abhängig gemacht werden.351 Dafür lassen sich im Wesentlichen drei verschiedene Gründe352 anführen: Formvorschriften haben eine Warnfunktion,
350 Das ist, historisch betrachtet, keine Selbstverständlichkeit; vgl. Kötz, Europäisches Vertragsrecht; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 68 ff., 82 ff.; selbst die Verfasser des BGB nannten als Hauptgrund für die Formfreiheit nicht die Privatautonomie, sondern Erfordernisse des Rechtsverkehrs, Mot. I, S. 180. 351 Zum Beispiel in Deutschland § 125 BGB; in Österreich § 883 ABGB; in der Schweiz Art. 11 Abs. 2 OR; in Griechenland Art. 158 ZGB; in Italien Art. 1325 Nr. 4 CC; In den Niederlanden Art.3:39 NBW; in Polen Art. 73Abs. 1 ZGB; in Spanien Artikel 1278 CC. 352 Je nach Einteilung findet man mal mehr, mal weniger Gründe; zum Beispiel MKBGB/Einsele, § 125 Rn. 10, die die behördliche Kontrollfunktion als vierten Zweck nennt, der für diese Arbeit aber zu vernachlässigen ist; Mankowski, JZ 2010, 662, 663 ff. unterscheidet 14 Formzwecke, die jedoch mehr oder weniger sämtlich einem dieser Oberbegriffe als Teilaspekt zugeordnet werden können.
§ 5 Formvorschriften
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eine Belehrungs- und Beratungsfunktion, sowie eine Klarstellungs- und Beweisfunktion.353 Einige dieser Ziele dienen unmittelbar und unter anderem dem Schutz der Parteien. Das ist offensichtlich für die Warnfunktion, die Belehrungs- und die Beratungsfunktion. Die Parteien sollen gewarnt werden, dass sie eine Entscheidung treffen, die erhebliche rechtliche Konsequenzen haben kann. Sie bekommen dadurch ein Gespür für die Ernsthaftigkeit und Tragweite des Geschäfts. Dieser Zweck kommt natürlich beiden Parteien zugute. Selten steht bei Formerfordernissen die Belehrungs- und Beratungsfunktion im Vordergrund. Das liegt daran, dass sie auch nur bei bestimmten Formarten tatsächlich zum Tragen kommt.354 So erhalten die Parteien keine besonderen neuen Informationen, wenn sie den Vertrag nur schriftlich abschließen müssen. Ist aber eine notarielle Beurkundung verlangt, so ist dies in vielen Ländern mit einer gleichzeitigen Beratung und Aufklärung durch den Notar verbunden.355 Dabei sollen beide Parteien vor übereilten Entscheidungen geschützt werden. In einigen Rechtsordnungen muss der Notar jedoch bewusst darauf achten, dass schwächere, unerfahrene und überforderte Parteien nicht benachteiligt werden, so in Deutschland nach § 17 Abs. 1 S. 2 BeurkG. Dies ist traditioneller Schutz der schwächeren Partei.356 Die Parteien bekommen von einer neutralen Stelle die nötigen Informationen und gewinnen dadurch im besten Fall sogar zusätzliche Zeit, ihre Gedanken neu zu ordnen und die Daten zu verarbeiten.357 Das Hauptaugenmerk soll im Folgenden auf der Frage liegen, ob die Formerfordernisse der neuen Rechtsakte im Internationalen Familienrecht den Warnzweck sowie den Informationszweck – so gut es geht – erfüllen oder ob hier noch ein Optimierungsbedarf besteht. Vorher wird jedoch noch erläutert, welche Rolle die Form von Rechtsgeschäften bislang gespielt hat und wieso die Materialisierung des Europäischen Familienrechts durch die Rechtswahl ein Umdenken verlangt. II. Formerfordernisse im IPR 1. Das Formstatut von Rechtsgeschäften Exemplarisch für die Formanknüpfung im deutschen IPR sei die deutsche Regel des Artikels 11 EGBGB betrachtet. Die Vorschrift geht auf Artikel 9 des
353 Statt vieler: MK-BGB/Einsele, § 125 BGB Rn. 8 ff.; Staudinger/Hertel, § 125 BGB, Rn. 35 ff.; Kötz, Europäisches Vertragsrecht, S. 109 ff.; gerade zum Familienrecht Andrae, FS Martiny, S. 3. 354 MK-BGB/Einsele, § 125 BGB Rn. 8; Bork, BGB AT, Rn. 1049. 355 In Deutschland § 17 BeurkG; England und Nordirland kennen hingegen keine notarielle Beurkundung, vgl. Kötz, Europäisches Vertragsrecht, S. 113. 356 Mankowski, JZ 2010, 662, 664. 357 Mankowski, JZ 2010, 662, 666.
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
Rom-Übereinkommens 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht zurück.358 Die Norm ist ein Paradebeispiel für traditionelles IPR. Sie stellt selbst keinerlei Formvorschriften für Rechtsgeschäfte auf. Dies zeichnet sie als Kollisionsnorm aus. Die Anknüpfung des Statuts nimmt das Gesetz selbst vor und überlässt diese nicht den Parteien. Bei der Bestimmung des Anknüpfungspunktes lässt es sich von internationalprivatrechtlichen Interessen leiten. Die Kollisionsnorm bestimmt die engste Verbindung durch Gewichtung kollisionsrechtlicher Interessen. Artikel 11 EGBGB zeigt dabei exemplarisch, dass sich das IPR an materiellrechtlichen Wertungen orientieren kann, diese aber nicht übernehmen muss: Ordnet das materielle Recht eine formelle Hürde an, so sollen die Parteien diese nicht umgehen dürfen, sondern müssen die Anstrengung unternehmen, diese Form einzuhalten. Geschieht das nicht, so droht die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts. Das IPR geht einen umgekehrten Weg und bietet für die Anknüpfung des Formstatuts in Artikel 11 Abs. 1 EGBGB zwei Alternativen an: das Geschäftsrecht (lex causae) und das Ortsrecht (lex loci actus). Diese Lösung liegt nicht nur allein darin begründet, dass Rechtsgeschäfte, und damit zusammenhängend das Formstatut, generell nicht gut lokalisiert werden können.359 Die alternative Anknüpfung soll darüber hinaus auch der Formwirksamkeit des Vertrages zugutekommen. Dies dient dem sogenannten favor negotii.360 Damit sollen die Nachteile ausgeglichen werden, die durch die zusätzliche internationale Ebene entstehen. Das Rechtsgeschäft soll nicht daran scheitern, dass die Parteien sich bei allen in Betracht kommenden möglichen Formvorschriften verzetteln, weil sie die internationale Dimension gar nicht bedacht oder durchschaut haben. Durch die verschiedenen Anknüpfungsmöglichkeiten wird die Komplexität des internationalen Rechtsverkehrs reduziert. Bei der alternativen Anknüpfung setzt sich das stärkere Recht durch, also das Recht, das dem Rechtsgeschäft zur Wirksamkeit verhilft.361 Das heißt aber auch gleichzeitig, dass nur die minimalen Formanforderungen zum Tragen kommen, was zu einem geringeren Schutzniveau für schwächere Parteien führen kann.362 Das IPR entscheidet sich also hier, im Gegensatz zu den Wertungen des materiellen Rechts, dazu, die Schutzinteressen zu beschränken und den Rechtsverkehr zu stärken, dem eine möglichst hohe Zahl gültiger Verträge zu Gute kommt.363
358
Kegel/Schurig, IPR, S. 627. Kegel/Schurig, IPR, S. 647: „Schuldverhältnisse anknüpfen ist schwer“, dort auch mit weiteren Einzelheiten. 360 von Hoffmann/Thorn, IPR, §7, Rn. 40; MK-BGB/Spellenberg, Art. 11 EGBGB, Rn. 1; Staudinger/Winkler von Mohrenfels, Art. 11, Rn. 41. 361 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 206. 362 MK-BGB/Spellenberg, Art. 11 EGBGB, Rn. 2; Staudinger/Winkler von Mohrenfels, Art. 11 EGBGB Rn. 43. 363 Kegel/Schurig, IPR, S. 627. 359
§ 5 Formvorschriften
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Dies wird in der Regel zwar auch den Parteiinteressen entsprechen, denen an Formwirksamkeit gelegen ist und die sich oft an den Vorschriften orientieren wollen, über die sie am schnellsten Informationen erhalten können. Dieser Aspekt wird unter dem Schlagwort favor gerentis zusammengefasst und entweder als Ergänzung zum favor negotii begriffen364 oder sogar als eigentlicher Grund der alternativen Anknüpfung gesehen.365 2. Besonderheiten des Internationalen Familienrechts Einige wenige deutsche IPR-Normen enthalten besondere Regelungen zur formellen Wirksamkeit von bestimmten Rechtsgeschäften, besonders im Internationalen Familienrecht. Hier könnte man zunächst auf die Idee kommen, dass die Schutzbedürftigkeit und Unerfahrenheit der Beteiligten in familienrechtlichen Angelegenheiten zu einer strikteren Beachtung von Formvorschriften auch auf kollisionsrechtlicher Ebene führt und der favor divortii dahinter zurücktreten muss.366 Nach Artikel 13 Abs. 3 EGBGB kann eine Eheschließung im Inland nur nach der hier vorgeschriebenen Form vorgenommen werden. Es handelt sich dabei um eine einseitige Kollisionsnorm, der aber kein individualschützendes, sondern besonderes staatliches Interesse an der Verhinderung rein religiöser Eheschließungen in Deutschland zugrunde liegt.367 Für alle anderen Ehen gilt Artikel 11 EGBGB. Zudem muss eine nach Artikel 14 Abs. 2 oder 3 EGBGB vorgenommene Rechtswahl im Inland notariell beurkundet werden, Artikel 14 Abs. 4 S. 1 EGBGB. Entsprechendes gilt gemäß Artikel 15 Abs. 3 EGBGB für eine Wahl des Güterstandstatuts nach Artikel 15 Abs. 2 EGBGB. Diese Vorschrift ist selbst keine Kollisionsnorm, sondern eine Sachnorm des deutschen materiellen Rechts für eine in Deutschland vorgenommene Rechtswahl.368 Dass Artikel 15 Abs. 2 EGBGB eine Ausnahme ist, sieht man schon daran, dass die Norm nur für die Rechtswahl im Inland gilt. Für alle anderen Fälle gilt die alternative Anknüpfung des Artikels 14 Abs. 4 S. 2 EGBGB und damit wieder der favor negotii.369 Der Behauptung, im Internationalen Familienrecht gehe es daher nicht um eine Begünstigung der Formwirksamkeit wie im Internationalen Schuldvertragsrecht, kann daher so allgemein nicht zugestimmt werden.
364
Staudinger/Winkler von Mohrenfels, Art. 11 EGBGB, Rn. 41 m.w.N. BT-Drucks. 10/504 S. 48; Kropholler, IPR, S. 310; Zweigert, FS Rabel I, 631, 636 f. 366 In diese Richtung könnte etwa leicht Andrae, FS Martiny, S. 3, 4 missverstanden werden. 367 Vgl. Staudinger/Mankowski, Art. 13 EGBGB, Rn. 447. 368 Staudinger/Mankowski, Art. 14 EGBGB Rn. 119. 369 BeckOK-BGB/Mörsdorf-Schulte, Art. 14 EGBGB, Rn. 55; von Art. 14 Abs. 4 S. 1 EGBGB als Ausnahme spricht auch Staudinger/Mankowski, Art. 14 EGBGB, Rn. 119. 365
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
3. Zusammenfassung: Andere Interessenlage bei der Rechtswahl Für den klassischen Umgang lässt sich zusammenfassend sagen, dass im traditionellen deutschen IPR die Anknüpfung der formellen Wirksamkeit von Rechtsgeschäften geprägt ist vom Ziel des favor negotii. Das bevorzugte Mittel dazu ist die Alternativanknüpfung. Das IPR gelangt zu diesem Resultat durch eine Abwägung der internationalprivatrechtlichen Interessen, die anders ausfällt als im Sachrecht. Formerfordernisse werden als Hindernisse aufgefasst, die am besten umschifft werden sollen. Dies gilt auch im Internationalen Erbrecht, sowie teilweise auch im Internationalen Familienrecht. Ausnahmsweise schlägt der materiellrechtliche Zweck der Formvorschriften auf die kollisionsrechtliche Ebene durch, wie vor allem Artikel 13 Abs. 3 und Artikel 14 Abs. 4 S. 1 EGBGB zeigen. Am erstaunlichsten ist, wie der Gesetzgeber technisch diese Sonderfälle regelt. Artikel 13 Abs. 3 EGBGB ist eine einseitige Kollisionsnorm, Artikel 14 Abs. 4 S. 1 EGBGB eine Sachnorm im IPR. Damit beschränkt er den höheren Schutzstandard auf Fälle, bei denen das Rechtsgeschäft im Inland vollzogen wird. Neben den Parteiinteressen scheinen hier also auch ordnungspolitische Interessen eine starke Rolle gespielt zu haben. Wenn ihm der Schutz der Parteien am Herzen gelegen hätte, hätte der Gesetzgeber die Technik des Artikels 11 EGBGB ins Gegenteil verkehren müssen und statt einer alternativen Anknüpfung eine kumulative Anknüpfung der Formstatuten vorschreiben können. Ein grundsätzliches Umdenken ist aber für die Parteiautonomie im neuen Internationalen Familienrecht erforderlich. Der Grund ist, dass das IPR hier nicht bloß die Lokalisierung von Verträgen durch Anknüpfung nachvollziehen muss, sondern vielmehr selbst den Abschluss eines eigenen Vertrages gestattet, des Rechtswahlvertrags. Dieser gewährleistet die Richtigkeit der Anknüpfung, gewinnt seine Legitimität aber selbst wiederum nur aus dem tatsächlich freien Willen der Parteien. Der Hauptgrund, weshalb man oft an der materiellen Autonomie der Parteien zweifeln kann, besteht, wie gezeigt, in Fehlinformationen nicht juristisch ausgebildeter Personen über das Familienrecht und die Folgen einer Wahl. Um dieses Defizit zu beheben sind zwei Schritte vorzunehmen. Im ersten Schritt wurde im Interesse der Parteien die Zahl der wählbaren Rechtsordnungen eingeschränkt, damit die Parteien von den Möglichkeiten der Wahl und den zur Verfügung stehenden Informationen nicht überfordert werden. Im zweiten Schritt muss nun untersucht werden, wie Formvorschriften in den Rechtsordnungen eingesetzt zu werden, um die Parteien zu warnen und ihnen im besten Falle die möglichen Informationen zur Verfügung zu stellen, um die Rechtswahl vornehmen zu können. Hierbei muss eine grundsätzlich andere Gewichtung erfolgen: Der favor negotii muss hinter dem Erfordernis zurücktreten, ein ausreichendes Informationslevel für die Parteien sicherzustellen. Damit ist die Ausgangslage eine ganz andere.
§ 5 Formvorschriften
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B. Formerfordernisse in den drei Rechtsakten des Europäischen Internationalen Familienrechts I. Zur Rom III-VO 1. Die Formerfordernisse de lege lata a) Grundsatz Die Rom III-VO setzt für die Form einer Rechtswahl in ihrem Artikel 7 Abs. 1 Mindeststandards. Nach dieser Vorschrift bedarf die Rechtswahl „der Schriftform, der Datierung sowie der Unterzeichnung durch beide Ehegatten. Elektronische Übermittlungen, die eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung ermöglichen, erfüllen die Schriftform.“ In Erwägungsgrund (19) findet sich dazu minimal erläuternd: „Was die Formgültigkeit anbelangt, sollten bestimmte Schutzvorkehrungen getroffen werden, um sicherzustellen, dass sich die Ehegatten der Tragweite ihrer Rechtswahl bewusst sind. Die Vereinbarung über die Rechtswahl sollte zumindest der Schriftform bedürfen und von beiden Parteien mit Datum und Unterschrift versehen werden müssen.“ Bei der Norm handelt es sich, da sie selbst eine materielle Regelung trifft, nicht um eine Kollisionsnorm, sondern um eine Sachnorm in einem internationalprivatrechtlichen Gesetzestext. aa) Qualifizierte Schriftform Der Begriff der Schriftform ist verordnungsautonom auszulegen.370 Wie bereits an anderer Stelle erwähnt wurde, sollen die Bestimmungen nach Erwägungsgrund (10) mit der Brüssel IIa-VO in Einklang gebracht werden, soweit dies möglich ist. Die Schriftform taucht dort jedoch leider nicht auf. Trotzdem ist es legitim und sogar angebracht, im Zuge systematischer Auslegung auf die Verwendung des Begriffs im übrigen Europäischen IPR und IZVR zu achten.371 (1) Brüssel Ia-VO Die Brüssel Ia-VO (und mit ihr als Vorgänger das EuGVÜ) kann hier einen ersten Hinweis zur Auslegung liefern.372 Artikel 25 Abs. 1 S. 3 lit. a) Alt. 1 Brüssel Ia-VO sieht vor, dass Gerichtsstandvereinbarungen schriftlich abgeschlossen werden müssen. Hier dreht sich ein Schwerpunkt der Diskussion
370
BeckOGK-BGB/Gössl, Artikel 7 Rom III-VO, Rn. 11; NK-BGB/Hilbig-Lugani, Art. 7 Rom III-VO Rn. 5; Althammer/Mayer, Artikel 7 Rom III-VO, Rn. 3; Rösler, RabelsZ 78 (2014), 155, 177. 371 Rauscher/Helms, Artikel 7 Rom III-VO, Rn. 7. 372 NK-BGB/Hilbig-Lugani, Art. 7 Rom III-VO Rn. 5.
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
um die Frage, wann bei der Einbeziehung von AGB die Schriftlichkeit gewahrt ist.373 Dies kann für den Bereich des Familienrechts vernachlässigt werden. Der EuGH hat angemahnt, den Begriff eng auszulegen, da die Folgen einer Gerichtsstandsvereinbarung für die Parteien von enormer Wichtigkeit seien.374 Dies sollte grundsätzlich auch bei der Rom III-VO gelten. Der Wahl des Scheidungsstatuts kommt ebenfalls eine hohe Bedeutung zu. Bei der Auslegung ist daher darauf zu achten, dass die Ehegatten von der Aufklärungs- und Warnfunktion der jeweiligen Form auch wirklich erreicht werden. Es reicht nicht aus, dass überhaupt nur die Existenz einer Rechtswahl nachgewiesen werden kann, sondern soweit wie möglich sollte auch die Schutzfunktion eine Rolle spielen. Bei der Schriftform können die Ehegatten immerhin auf die besondere Bedeutung ihrer Vereinbarung aufmerksam gemacht und gewarnt werden. Die Anforderungen der Brüssel Ia-VO sind gewahrt, wenn die Erklärungen in Zeichenform dauerhaft so niedergelegt sind, dass ihre Urheber erkennbar sind.375 Es besteht Uneinigkeit darüber, ob diese Erkennbarkeit durch Unterschrift der Vertragspartner nachgewiesen werden muss.376 Dieser Streitpunkt ist für die Rom III-VO irrelevant, da der Gesetzgeber, um Missverständnissen vorzubeugen, ausdrücklich die Unterschrift der Ehegatten angeordnet hat. Zudem geht die ganz herrschende Meinung davon aus, dass die Erklärungen nicht in einer einzigen Urkunde enthalten sein müssen, sofern sich aus den verschiedenen Schriftstücken klar ergibt, dass sie sich aufeinander beziehen und eine Einigung über einen Gerichtsstand darstellen sollen.377 (2) EuUnthVO Eine Gerichtsstandsvereinbarung setzt nach Artikel 4 Abs. 2 EuUnthVO ebenfalls die Schriftform voraus. Dessen Auslegung läuft ebenfalls parallel zur
373
Vgl. nur Rauscher/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO, Rn. 91 ff. m.w.N. EuGH, Urteil vom 14. Dezember 1976, Rs. 24/76, Colzani, Slg. 1976, 1831, Rn. 7. 375 unalex-Kommentar/Hausmann, Art. 23 Brüssel I-Verordnung, Rn. 62; MKZPO/Gottwald, Art. 23 Brüssel I-VO, Rn. 31; Stein/Jonas/Wagner, Art. 23 EuGVVO, Rn. 57 f.; HK-ZPO/Dörner, Art. 25 EuGVVO, Rn. 25, Geimer/Schütze/Geimer, Art. 23 EuGVVO, Rn. 104. 376 Offenlassend BGH, Urteil vom 22. Februar 2001, Az. IX ZR 19/00, NJW 2001, 1731, 1731 f.; dafür: MK-ZPO/Gottwald, Art. 23 EuGVO, Rn. 32 (soweit es technisch möglich ist, Ausnahme Fax etc.); wohl auch HK-ZPO/Dörner, Art. 25 EuGVVO, Rn. 25; dagegen die h.M.: unalex-Kommentar/Hausmann, Art. 23 Brüssel I-VO, Rn. 62; Rauscher/Mankowski, Art 25 Brüssel Ia-VO, Rn. 88 m.w.N. 377 BGH, Urteil vom 9. März 1994, Az. VIII ZR 185/92, NJW 1994, 2699 f.; BGH NJW 2001, 1731; BGH, Urteil vom 6. Juli 2004, Az. X ZR 171/02, NJW-RR 2005, 150; OLG Köln, Urteil vom 16. März 1988, Az. 24 U 182/87, RIW 1988, 555, 556; MK-ZPO/Gottwald, Art. 23 EuGVO, Rn. 31; unalex-Kommentar/Hausmann, Art. 23, Rn. 63; Rauscher/Mankowski, Art 25 Brüssel Ia-VO, Rn. 90; Stein/Jonas/Wagner, Art. 23 EuGVO, Rn. 57. 374
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Brüssel Ia-VO.378 Zwar wird gelegentlich leichter Zweifel ausgedrückt, ob diese systematische Auslegung wirklich gerechtfertigt ist und ob der EuGH ihr folgen wird.379 Es wird im Gegenzug allerdings auch nicht klar, wo sich ein wirklicher Unterschied ergeben könnte. Zudem umfasste die Brüssel I-VO vor dem Inkrafttreten der EuUnthVO auch Unterhaltsverfahren,380 ohne dass es hier zu Spannungen gekommen wäre. Grundsätzlich setzt die EuUnthVO ebenfalls die dauerhafte Verkörperung der Parteierklärungen zur späteren Einsichtnahme voraus.381 Es wird nicht verlangt, dass die Erklärungen auf einer Urkunde stehen, sofern klar ist, worauf sie sich genau beziehen.382 (3) Rom III-VO Voraussetzung für die Rechtswahl in Scheidungssachen nach der Rom III-VO ist daher mindestens die Verkörperung383 der Einigung durch schriftliche Niederlegung.384 Wie sich aus Artikel 7 Abs. 1 S. 2 Rom III-VO ergibt, muss die Information dauerhaft abrufbar sein, da nur bei einer permanenten Speichermöglichkeit die elektronische Übertragung der Schriftform gleichsteht.385 Die Urkunde muss nicht handschriftlich verfasst sein.386 Ein solches Erfordernis lässt sich dem Text nicht entnehmen und bringt auch keinen besonderen gesteigerten Nutzen für die Parteien. Die Urkunde muss jedoch datiert und eigenhändig unterzeichnet werden. Man kann also von der Rechtswahlvereinbarung als einer qualifizierten Urkunde sprechen.387 bb) Elektronische Übermittlung Nach Artikel 7 Abs. 1 S. 2 Rom III-VO erfüllen elektronische Übermittlungen, die eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung ermöglichen, die Schriftform. Zur Begriffsbestimmung kann die Auslegung desselben Begriffs in Artikel 25 Abs. 2 Brüssel Ia-VO zu den Gerichtsstandsvereinbarungen zu Rate 378
BeckOGK-BGB/Wurmnest, Art. 1 EU-UnthVO, Rn. 39. Andrae, Internationales Familienrecht, § 8, Rn. 62. 380 BeckOGK-BGB/Wurmnest, Art. 1 EU-UnthVO, Rn. 9. 381 Rauscher/Andrae, EuZPR/EuIPR, Art. 4 EG-UntVO, Rn. 15. 382 Rauscher/Andrae, EuZPR/EuIPR, Art. 4 EG-UntVO, Rn. 15; allerdings im Widerspruch zu Rn. 13; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, C, Rn. 162; Rauscher, FamFR 2013, 25, 28. 383 Palandt/Thorn, Art. 7 Rom III-VO Rn. 2. 384 Althammer/Mayer, Artikel 7 Rom III-VO, Rn. 3; Erman/Hohloch, Artikel 7 Rom IIIVO, Rn. 2; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, A, Rn. 406. 385 NK-BGB/Hilbig-Lugani, Art. 7 Rom III-VO Rn. 5. 386 Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, A, Rn. 406; Rauscher/Helms, Artikel 7 Rom III-VO, Rn. 7. 387 Palandt/Thorn, Art. 7 Rom III-VO Rn. 2; Coester/Coester-Waltjen, LA Schurig, S. 33, 45. 379
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
gezogen werden.388 Unterschiede dürfte es in der Anwendung keine geben, da es hier um eher technische Details geht. Die Europäische Kommission hat bereits in der Begründung ihres Vorschlags zur Brüssel I-VO auf eine Parallele zu den Zielen der E-CommerceRichtlinie 2000/31/EG vom 17. Juli 2000 aufmerksam gemacht.389 Ziel des Artikels 25 Abs. 2 Brüssel Ia-VO ist daher die Förderung und Erleichterung des elektronischen Handels.390 So soll insbesondere die Kommunikation auf elektronischem Wege erleichtert werden. Dies kann zu Konflikten mit dem Schwächerenschutz führen, muss es aber nicht zwingend. So verfolgt Artikel 7 Abs. 1 S. 2 Rom III-VO zunächst einmal nur das Ziel, den Vertragsschluss mit neuen, modernen Kommunikationsformen zu ermöglichen. Das bedeutet nicht zwangsläufig einen Abbau der formellen Hürden. Elektronischer Handel muss hier nicht ermöglicht werden. Von den vielen verschiedenen Wegen, auf denen heute im digitalen Verkehr Verträge geschlossen werden können, kommen für Rechtswahlvereinbarungen nur die wenigsten in Betracht. In welchem denkbaren Fall einigen sich die Gatten etwa über eine Internetseite?391 Aufmerksamkeit verdienen wahrscheinlich nur Rechtswahlverträge per E-Mail oder – unwahrscheinlich, aber dennoch theoretisch denkbar – über SMS oder Chat-Programme wie WhatsApp. Der Gesetzgeber wird wohl hauptsächlich an die E-Mail gedacht haben.392 E-Mails werden auf dem Server des Mail-Postfachs gespeichert und können jederzeit ausgedruckt werden, sofern man sie nicht eigenhändig löscht. Die EMail erfüllt daher alle Voraussetzungen einer elektronischen Übermittlung nach Artikel 7 Abs. 1 S. 2 Rom III-VO.393 Das Gleiche muss auch für Vereinbarungen über SMS und andere Wege wie WhatsApp-Nachrichten gelten.394 Diese werden auf dem Handy ebenfalls dauerhaft gespeichert, können dem Handy, von dem sie gesendet wurden, eindeutig zugeordnet werden und jederzeit reproduziert werden. Der Gedanke einer Rechtswahl des Scheidungsstatuts in einer SMS mag zwar seltsam erscheinen, ist jedoch theoretisch denkbar. 388 NK-BGB/Hilbig-Lugani, Art. 7 Rom III-VO, Rn. 6; Helms, FamRZ 2011, 1765, 1769; Gruber, IPRax 2012, 381, 387. 389 KOM(1999) 348 endg., S. 20. 390 Stein/Jonas/Wagner, Artikel 23 Brüssel I-VO, Rn. 86. 391 Vgl. auch Rauscher, FPR 2013, 257, 260. 392 Vgl. auch Begründung der Kommission zur Brüssel I-Verordnung, BRDrucks. 534/99, 19; Rauscher/Mankowski, Artikel 25 Brüssel Ia-VO, Rn. 127; Rauscher/Andrae, Artikel 4 EuUnthVO, Rn. 19; Rauscher/Helms, Artikel 7 Rom III-VO, Rn. 11. 393 jurisPK-BGB/Ludwig, Art. 5 Rom III-VO Rn. 29; NK-BGB/Hilbig-Lugani, Art. 7 Rom III-VO, Rn. 6; MK-BGB/Winkler von Mohrenfels, Art. 7 Rom III-VO, Rn. 4; Kohler, FS von Hoffmann, 208, 214; auch Rauscher, FPR 2013, 257, 261. 394 Zur Brüssel Ia-VO ebenfalls Rauscher/Mankowski, Artikel 25 Brüssel Ia-VO, Rn. 132.
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Umstritten ist, ob bei einer Einigung per elektronischer Übermittlung zusätzlich eine spezielle elektronische Signatur verwendet werden muss, wie es etwa im deutschen Recht § 126a BGB i.V.m. der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 vorsieht.395 Diese Frage kann nur nachdrücklich bejaht werden. Die elektronische Übermittlung ersetzt ausdrücklich ihres Wortlauts lediglich die Schriftform. Dem Gesetzgeber war die Diskussion, ob bei Schriftform im Rahmen der Brüssel Ia-VO eine Unterschrift (und bei elektronischer Übermittlung eine elektronischen Signatur) notwendig ist, bewusst.396 Aus diesem Grund hat er in Artikel 7 Abs. 1 S. 1 Rom III-VO das Erfordernis der Unterschrift verlangt. Wenn er hier der Schriftform die elektronische Übermittlung gleichstellt, dann muss die Unterschrift durch eine ähnliche Technik ersetzt werden, die eine eindeutige Identifikation erlaubt. Das kann nur die elektronische Signatur sein. Dafür sprechen auch teleologische Gründe: Im elektronischen Nachrichtenverkehr weitreichende familienrechtliche Entscheidungen zu treffen ist derart ungewöhnlich, dass viele Paare daran gar nicht denken werden. Viele Ehepartner werden gar kein Erklärungsbewusstsein haben. Es droht die Gefahr, dass dieses Unwissen von einer Partei ausgenutzt wird.397 Die elektronische Signatur kann hier Bewusstsein für die rechtliche Relevanz wecken. Ob allein mit der elektronischen Signatur allerdings bereits ein ausreichender Schutz für die Parteien erreicht wird und ob diese Minimalstandards für sich genommen eine gut informierte und selbstbestimmte Entscheidung garantieren, bleibt zunächst dahingestellt und wird unter 2. beantwortet. An dem Merkmal einer Unterschrift wird die Formwirksamkeit einer Rechtswahl durch SMS oder WhatsApp-Nachrichten scheitern. Diese erfüllen zwar die elektronische Form, aber sie erlauben keine Signatur. Es ist lediglich das Handy identifizierbar, von dem sie gesendet wurden. Dies lässt noch keine eindeutigen Rückschlüsse auf den tatsächlichen Verfasser der Erklärung zu, da das Handy leicht entwendet oder von einer weiteren Person genutzt werden kann. Ein Schutz vor Übereilung wäre zudem überhaupt nicht mehr vorhanden. Beim Versenden einer SMS macht sich ein nicht gut informierter Gatte sicherlich nicht so schnell Gedanken darüber, dass er einen Vertrag schließen könnte. 395 Dafür (noch teils zum inzwischen aufgehobenen Signaturgesetz): Althammer/Mayer, Artikel 7 Rom III-VO, Rn. 3; Jauernig/Budzikiewicz, Anmerkungen zu Artikel 5-16 Rom III-VO, Rn. 7; Palandt/Thorn, Art. 7 Rom III-VO, Rn. 2; Erman/Hohloch, Art. 7 Rom III-VO, Rn. 2; MK-BGB/Winkler von Mohrenfels, Art. 7 Rom III-VO Rn. 4; NKBGB/Hilbig-Lugani, Art. 7 Rom III-VO, Rn. 9; Hausmann, Internationales und Europäisches Scheidungsrecht, A, Rn. 408; Andrae, Internationales Familienrecht, § 4 Rn. 24; dies. FS Martiny, S. 3, 12; Helms, FamRZ 2011, 1765, 1769; dagegen offenlassend: Rauscher, IPR, Rn. 820. 396 Siehe nur MK-ZPO/Gottwald, Art. 25 Brüssel Ia-VO mit Nachweisen zu beiden Seiten. 397 Besonders deutlich Schurig, FS von Hoffmann, S. 405, 408: „Einladung, den uninformierten Partner über den Tisch zu ziehen“.
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
Hier zeigt sich, dass der Gesetzgeber gut daran getan hat, im Gegensatz zu Brüssel I-VO und EuUnthVO das Merkmal der Unterschrift eindeutig in den Wortlaut des Textes aufzunehmen. cc) Rechtswahl im Prozess Die Mindestvorschriften aus Artikel 7 Abs. 1 Rom III-VO gelten nur für im Voraus getroffene Rechtswahlverträge nach Artikel 5 Abs. 1 und 2 Rom IIIVO, nicht aber für eine Rechtswahl im Laufe des gerichtlichen Verfahrens nach Artikel 5 Abs. 3 Rom III-VO. Hier ist es ausreichend, wenn das Gericht die Rechtswahl zu Protokoll nimmt, „im Einklang mit dem Recht des Staates des angerufenen Gerichts“.398 Die Gefahr einer übereilten Entscheidung der Parteien ist gering, da sie sich vor Gericht der besonderen Bedeutung ihrer Handlungen bewusst sind und sich meistens auch anwaltlich beraten lassen. Nicht zuletzt übernimmt auch das Gericht eine aktive Rolle im Prozess und klärt die Parteien über etwaige Defizite in ihren Erklärungen auf und schützt sie so vor Überraschungsentscheidungen (in Deutschland vor allem § 139 Abs. 2 ZPO). Dass der Richter nicht nur still die Ausführungen der Parteien wahrnimmt, sondern aktiv im Prozess bei der Rechtswahl darauf zu achten hat, dass ein informierter Konsens zustande kommt, geht aus Erwägungsgrund (18) hervor, der zumindest dem Richter die Aufgabe einer verantwortungsvollen Prozessleitung zuweist.399 Erwägungsgrund (18) S. 4 Rom III-VO ist eindeutig an den Richter adressiert und daher nicht bloß einfach ein Appell an den mitgliedstaatlichen Gesetzgeber.400 Es bleibt hier also festzuhalten, dass der europäische Gesetzgeber den Mitgliedstaaten die Zulassung der Parteiautonomie während des Prozesses deshalb gestattet, weil er davon ausgeht, dass durch die Situation vor Gericht, aber vor allem durch die Beteiligung des Richters ein hinreichendes Schutzniveau für beide Ehegatten erreicht ist. (1) Problemstellung Probleme bereitet allein die Anpassung des deutschen Rechts an die Rom IIIVO. Umstritten ist hier zum einen, wie die Vorschrift Artikel 5 Abs. 3 Rom IIIVO dogmatisch einzuordnen ist. Hier wird zum einen vertreten, Artikel 5 Abs. 3 Rom III-VO enthalte eine sachrechtliche Formvorschrift, deren genauere Ausgestaltung der lex fori überlassen werde. Fest stehe, dass die Rechtswahl ins Protokoll aufgenommen werden müsse, Art und Weise bestimmten dabei die Mitgliedstaaten selbst.401 Die Art und Weise der Protokollierung werde durch § 111 Nr. 1, 113 Abs. 1 S. 2 FamFG i.V.m. § 160 Abs. 2, 398
Helms, FamRZ 2011, 1765, 1769; Andrae, FS Martiny, S. 3, 20. BT-Drucks. 17/11049, S. 8; NK-BGB/Hilbig-Lugani, Art. 5 Rom III-VO, Rn. 18. 400 So aber Gruber, IPRax 2012, 381, 387. 401 Palandt/Thorn, Art. 7 Rom III-VO Rn. 2; Andrae, FS Martiny, S. 3, 20. 399
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162 ZPO verwirklicht.402 Eine weitergehende Regelung sei unzulässig, da dem nationalen Gesetzgeber ein eigener, weitergehender Regelungsspielraum gar nicht zustehe.403 Nach anderer Ansicht wird das Formstatut der prozessualen Rechtswahl an die lex fori angeknüpft. Hier können weitergehende Formvorschriften erlassen werden. Die Protokollierung sei dabei lediglich ein Mindesterfordernis.404 Diese zweite Ansicht liegt der deutschen Anpassungsvorschrift zugrunde: Artikel 46d Abs. 2 S. 2 EGBGB ordnet für die Rechtswahlvereinbarung im Prozess eine entsprechende Anwendung von § 127a BGB an. Diese Vorschrift greift grundsätzlich in Fällen, in denen durch Gesetz eine notarielle Form vorgeschrieben ist. Sie ist eine Ausnahmeregelung, die der Beurkundung durch einen Notar die Aufnahme des gerichtlichen Vergleichs ins Protokoll gleichstellt.405 Daraus folgt, dass der deutsche Gesetzgeber offensichtlich davon ausgeht, er könne für die Rechtswahl nach Artikel 5 Abs. 3 Rom III-VO eine strengere Formvorschrift als die Protokollierung festsetzen. Die notarielle Beurkundung gilt nach dieser Ansicht auch für eine Wahl nach Artikel 5 Abs. 3 Rom III-VO, wird aber durch eine entsprechende Anwendung von § 127a BGB ersetzt.406 Begründet wird dies damit, dass das Schutzniveau bei der Rechtswahl im Prozess nicht geringer sein dürfe als in den Fällen des Verzichts auf den Versorgungsausgleich nach § 7 VersAusglG.407 Es stellt sich die Frage, ob das Verständnis, das Artikel 46d Abs. 2 EGBGB zu Grunde liegt, mit den europäischen Vorgaben zu vereinbaren ist. Dieser Frage soll allerdings nur nachgegangen werden, wenn sie praktisch zu einem spürbaren Unterschied in der Anwendung führt.
402
NK-BGB/Hilbig-Lugani, Art. 5 Rom III-VO, Rn. 58; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, A, Rn. 389 f.; Andrae, FS Martiny, S. 3, 20 (allerdings für eine analoge Anwendung von § 160 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). 403 Rauscher/Helms, Artikel 7 Rom III-VO, Rn. 26. 404 BT-Drucks. 17/11049, S. 11; Hausmann, Internationales und Europäisches Scheidungsrecht, A, Rn. 580; Gruber, IPRax 2012, 381, 387. 405 Vgl. nur MK-BGB/Einsele, § 127a BGB, Rn. 1; Staudinger/Hertel, § 127a BGB Rn. 1. 406 BT-Drucks. 17/11049, S. 11; OLG Nürnberg, Beschluss vom 31. Januar 2013, Az. 7 WF 1710/12, FamRZ 2013, 1321, 1322 f.; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, A, Rn. 580. 407 BT-Drucks. 17/11049, S. 11; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, A, Rn. 580.
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
(2) Lösung de lege lata (a) Praktische Relevanz der Fragestellung Es macht einen Unterschied, ob eine einfache Protokollierung nach den §§ 159 ff. ZPO verlangt wird oder eine entsprechende Anwendung von § 127a BGB. Der Unterschied wird in der Begründung des Gesetzesentwurfs selbst nahegelegt. Die Vorschrift soll auch Anwendung finden bei einer Rechtswahl, die zwar nicht zu Protokoll genommen wird, aber unter Beteiligung des Gerichts entstanden ist und in Schriftsätzen vereinbart wurde.408 Der Gesetzgeber stellt sich in diesen Andeutungen folgende Situation vor: Die Parteien wählen bereits in ihren Schriftsätzen, mit oder ohne Anregung des Gerichts, ein Recht nach der Rom III-VO. Das Gericht erlässt sodann einen Beschluss entsprechend § 278 Abs. 6 S. 2 ZPO. Nur hier ergibt sich durch die Umsetzung im deutschen Recht ein praktischer Unterschied zur strengen Ansicht, die weitergehende Formvorschriften ablehnt. Liest man Artikel 46d Abs. 2 EGBGB, kommt man kaum darauf, dass der Gesetzgeber gerade die Rechtswahl in Schriftsätzen ermöglichen wollte. Ob die gewagte Konstruktion über die entsprechende Anwendung von § 127a BGB und die damit nur implizierte entsprechende Heranziehung der Vergleichsregeln nach § 278 Abs. 6 ZPO eine dogmatisch überzeugende Konstruktion ist, kann bezweifelt werden.409 Dass die Rechtswahl ein Vergleich ist, mag nicht recht überzeugen, weil ein gegenseitiges Nachgeben hier kaum auszumachen ist. Der Gesetzgeber ordnet aber auch nur eine „entsprechende“ Anwendung der Vorschriften an. Wenn man den Gedankensprüngen in der Gesetzesbegründung folgen mag, gestattet der Gesetzgeber jedenfalls die Rechtswahl in einer Fallgestaltung, die für die Praxis relevanter und einfacher sein könnte als die ausschließliche Möglichkeit einer Rechtswahl in der Verhandlung zu Protokoll. Daher hat die Frage der Zulässigkeit einer solchen Regelung eine gewisse Relevanz. Die Frage kann aber auch generell in anderen Ländern relevant werden, wenn der dortige Gesetzgeber beschließt, eine Formanforderung zu stellen, die über die bloße Protokollierung bei Gericht hinausgeht. Andrae hat gegen die im Gesetzesentwurf eingeführte Lösung eingewandt, dass diese Erstreckung nicht recht ins Eherecht passe. § 36 Abs. 3 FamFG sehe den schriftlichen Vergleich zwar grundsätzlich vor, § 113 Abs. 1 FamFG schließe in Ehesachen einen Beschlussvergleich aber aus.410 Eine Rechtswahlvereinbarung auf diese Weise sei auch nicht recht angemessen. Es bleibe dabei, dass die Parteien zumindest mündlich in der Verhandlung den Antrag stellen
408
BT-Drucks. 17/11049, S. 11. Hau, FamRZ 2013, 249, 253, Fn. 52 hält die Andeutungen für „nicht recht nachvollziehbar“. 410 Andrae, FS Martiny, S. 3, 20. 409
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müssen, damit dieser zu Protokoll genommen wird.411 Dabei ist richtig, dass § 36 FamFG nach § 113 Abs. 1 S. 1 FamFG ausgeschlossen wird. Dieser wird jedoch nur ersetzt durch die allgemeinen Vorschriften der ZPO und die Regeln über die Verfahren vor dem Landgericht, also auch § 278 Abs. 6 ZPO.412 Ob ein Beschlussvergleich den Anforderungen des § 127a BGB entspricht, ist jedoch nicht so einfach zu sagen. Die Bundesregierung geht in ihrer Gesetzesbegründung ohne weiteres davon aus, dass der Vergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO einem ins Protokoll aufgenommenen Vergleich gleichsteht.413 Nach der wohl herrschenden Meinung ist § 127a BGB (analog) eingehalten, wenn der Richter am Vergleich zumindest mitgewirkt hat.414 Hierbei sind zwei Situationen zu unterscheiden: Im ersten Fall unterbreitet das Gericht schriftlich einen Vergleichsvorschlag, dem die Parteien anschließend schriftlich zustimmen. Im zweiten Fall legen die Parteien den Vergleichsvorschlag dem Gericht selbst vor. In beiden Fällen prüft das Gericht lediglich, ob die Einigung formell rechtmäßig ist. Inhaltlich nimmt es nur eine Mindestkontrolle vor und prüft einen Verstoß gegen die guten Sitten, gegen ein Gesetz und gegen die öffentliche Ordnung.415 Mit der Mitwirkung des Gerichts ist daher die erste Alternative gemeint, also der Fall, in dem das Gericht den Vorschlag unterbreitet.416 Der Wortlaut von § 127a BGB lässt eine direkte Subsumtion des Beschlussvergleichs nicht zu, da er eindeutig von der Aufnahme des Vergleichs ins Protokoll spricht.417 Es kann daher nur über eine analoge Anwendung der Norm nachgedacht werden. Ob ein schriftlicher Vergleich für eine Rechtswahl im Prozess ausreicht, hängt davon ab, ob er die Funktionen der notariellen Beurkundung einhält, vor allem deren Schutzfunktionen. Hier ist entscheidend, dass die Parteien durch die notarielle Beurkundung Informationen erhalten und beraten werden. Bei Unterbreitung des Vergleichsvorschlags durch die Parteien ist es dem Gericht jedoch nicht möglich, die Parteien aufzuklären. Eventuell
411
Andrae, FS Martiny, S. 3, 21. Keidel/Weber, § 113 FamFG, Rn. 5. 413 BT-Drucks. 17/11049, S. 11. 414 BAG, Urteil vom 23. November 2006, Az. 6 AZR 394/06, NJW 2007, 1831; OLG München, Beschluss vom 28. September 2010, Az. 12 UF 1153/10, FamRZ 2011, 812; Palandt/Ellenberger, § 127a BGB, Rn. 2; HK-BGB/Dörner, § 127a BGB, Rn. 2; Staudinger/Hertel, § 127a BGB, Rn. 49; Thomas/Putzo/Reichold, § 278 ZPO, Rn. 17; BeckOKZPO/Bacher, § 278 ZPO Rn. 41; HK-ZPO/Saenger, § 278 ZPO, Rn. 23a; BeckOK-FamFG/Burschel, § 36 FamFG, Rn. 41; Musielak/Borth/Grandel, § 36 FamFG, Rn. 9; Keidel/Meyer-Holz, § 36 FamFG, Rn. 13; Stein/Jonas/Leipold, § 278 ZPO, Rn. 89; Bergschneider, FamRZ 2013, 260, 263; dagegen aber: MK-ZPO/Prütting, § 278 Rn. 40; Musielak/Voit/Foerste, § 278 ZPO, Rn. 18a m.w.N.; HK-ZPO/Kemper, § 36 FamFG Rn. 7; Zöller/Greger, § 278 ZPO, Rn. 35; Knauer/Wolf, NJW 2004, 2857, 2858 f. 415 BT-Drucks. 15/3482, S. 17; Stein/Jonas/Leipold, § 278 ZPO, Rn. 82. 416 Deckenbrock/Dötsch, MDR 2006, 1325, 1328. 417 Deckenbrock/Dötsch, MDR 2006, 1325, 1327. 412
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
könnte dieses Manko dadurch kompensiert werden, dass die Ehegatten anwaltlich vertreten werden. Hier ist davon auszugehen, dass die Anwälte die Folgen einer Rechtswahl vollkommen durchschauen und ihre Mandanten darüber aufklären.418 Eine anwaltliche Vertretung ist im Ehescheidungsverfahren grundsätzlich nach § 114 Abs. 1 FamFG vorgesehen.419 Grundsätzlich ist somit davon auszugehen, dass das Schutzniveau, das die notarielle Beurkundung und der mündliche Vergleich zu Protokoll wahren, auch bei einem Beschlussvergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO in Ehesachen gewahrt ist, da eine anwaltliche Vertretung sichergestellt ist.420 Es ist nicht ersichtlich, weshalb die Prozessvertretung der Ehegatten nicht genau wie das Gericht die Parteien beraten könnte. Das Gericht wird schließlich den Beschluss nach § 278 Abs. 6 S. 2 ZPO nicht erlassen, wenn es ernsthafte Zweifel an der materiellen Wirksamkeit der Vereinbarung hat. Als Zwischenergebnis kann daher festgehalten werden, dass die Umsetzungsvorschrift des deutschen Rechts eine praktisch bedeutsame Abweichung von der reinen Protokollierung zulässt. Es stellt sich daher die Frage, ob die Regel des Artikels 46d Abs. 2 S. 2 EGBGB europarechtlich zulässig ist oder ob sie es bei einem einfachen (aber letztlich deklaratorischen) Verweis auf die § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG i.V.m. § 159ff. ZPO hätte belassen müssen. Die Rom III-VO spricht schließlich in Artikel 5 Abs. 3 S. 2 Rom III-VO von Protokollierung. (b) Zulässigkeit weitergehender Formvorschriften Die Mindestanforderungen des Artikels 7 Abs. 1 Rom III-VO beziehen sich nur auf eine Rechtswahl nach Artikel 5 Abs. 1, 2 Rom III-VO ausweislich seines Wortlauts.421 Daraus folgt, dass sich die Absätze 2–4 der gleichen Vorschrift, die den Mitgliedstaaten einen Umsetzungsspielraum zum Erlass weiterer Formvorschriften zubilligt, ebenfalls nur auf die Wahl nach Artikel 5 Abs. 1, 2 Rom III-VO beziehen.422 Aus Artikel 7 Rom III-VO lässt sich daher kein Argument für weitergehende Formvorschriften zur Prozessrechtswahl wie in Artikel 46d Abs. 2 S. 2 EGBGB herleiten. Die Lösung muss sich allein aus Artikel 5 Abs. 3 Rom III-VO selbst ergeben. Artikel 5 Abs. 3 S. 2 Rom III-VO besagt wörtlich: „[…] nimmt das Gericht die Rechtswahl im Einklang mit dem Recht des Staates des angerufenen Gerichts zu Protokoll.“ Eine ausdrückliche 418
Bergschneider, FamRZ 2013, 260, 261. BeckOK-FamFG/Nickel, § 114 FamFG, Rn. 1. 420 Bergschneider, FamRZ 2013, 260, 261 ff. 421 Rauscher/Helms, Artikel 7 Rom III-VO, Rn. 26. 422 Rauscher/Helms, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 56 ff; ders., FamRZ 2011, 1765, 1769; NK-BGB/Hilbig-Lugani, Artikel 7 Rom III-VO, Rn. 12; jurisPK-BGB/Ludwig, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 37; Andrae, FS Martiny, S. 3, 20. 419
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Ermächtigung zum Erlass strengerer Anforderungen enthält die Vorschrift nicht. Die Formulierung „im Einklang mit dem Recht“ der lex fori zeigt jedoch, dass es eine Umsetzung im nationalen Recht geben muss. Dies könnte man eng so interpretieren, dass die Staaten sich dabei lediglich auf die Modalitäten der Protokollierung zu beschränken haben, also auf die § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG i.V.m. § 159 ff. ZPO. Für eine großzügige Auslegung mit weiterem Umsetzungsspielraum spricht jedoch, dass die Parteien bei einer vorprozessualen Rechtswahl strengere Formvorschriften einhalten müssen, wie etwa in Deutschland die notarielle Beurkundung nach Artikel 46d Abs. 1 EGBGB, bei einer Rechtswahl im Verfahren jedoch nicht.423 Jedoch statuiert die Rom III-VO, wie bereits festgestellt, selbst bereits ein beträchtliches Schutzniveau für die Rechtswahl im Prozess. Dem Gericht ist im Rahmen seiner Prozessleitungsbefugnis die Aufgabe zugewiesen, darauf zu achten, dass die Parteien tatsächlich informiert und sich der Tragweite ihrer Einigung bewusst sind. Lässt die Formulierung „in Einklang mit den Vorschriften“ noch einen gewissen Spielraum zu, so ist es teleologisch nicht notwendig, strengere Formvorschriften vorzugeben. Ein geringeres Schutzniveau als bei der notariellen Beurkundung für den Zivilprozess ist daher nicht zu befürchten. Dies wird in der Norm des § 127a BGB deutlich, wo klargestellt wird, dass die Aufklärung im Prozess der notariellen Beurkundung in nichts nachsteht. Es besteht hier aus dem Effektivitätsgrundsatz lediglich ein Untermaßverbot: Die Mitgliedstaaten haben dafür Sorge zu tragen, dass das Gericht die Rechtswahl auch tatsächlich überwacht und den Parteien aufklärend zur Seite steht. Dazu sind im deutschen Recht die Vorschriften der § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG i.V.m. § 160 Abs. 2 ZPO und § 127 FamFG ausreichend. Daher steht den Mitgliedstaaten kein Umsetzungsspielraum für den Erlass strengerer Formvorschriften nach Artikel 5 Abs. 3 Rom III-VO offen. Eine Regel wie Artikel 46d Abs. 2 S. 2 EGBGB ist aber unschädlich. Die Erstreckung auf den schriftlichen Vergleich nach § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG i.V.m. § 278 Abs. 6 ZPO beabsichtigt lediglich aus prozessökonomischen Erwägungen eine Verkürzung des Verfahrens. Das Schutzniveau wird hierdurch nicht gesenkt, da die Parteien nach § 114 Abs. 1 FamFG grundsätzlich anwaltlich vertreten sein müssen. b) Kumulation mit anderen Formerfordernissen Artikel 7 Abs. 1 Rom III-VO enthält lediglich eine Mindestformvorschrift. Es bleibt den Mitgliedstaaten überlassen, für Rechtswahlvereinbarungen nach der Rom III-VO zusätzliche Formvorschriften zu erlassen. Erwägungsgrund (19) S. 5 Rom III-VO nennt dafür beispielhaft die Option, dass ein Staat dieselben
423
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
Anforderungen festsetzt wie für einen Ehevertrag. Die Mitgliedstaaten haben davon nur spärlich Gebrauch gemacht. In Deutschland bestimmt Artikel 46d Abs. 1 EGBGB, dass Rechtswahlvereinbarungen nach Artikel 5 Rom III-VO der notariellen Beurkundung (§ 127 BGB) bedürfen. Nach den Angaben, die die Union im Internet bereitstellt, hat lediglich noch Spanien eine zusätzliche Vorgabe gemacht: Die Rechtswahl muss öffentlich vor dem Notar beurkundet werden oder in der Form eines „documento auténtico“ vorliegen, also eines Dokuments, bei dem keine Zweifel an der Identität der Parteien bestehen.424 Alle anderen Mitgliedstaaten sehen hingegen keine weitere Formvorschrift vor.425 Wann diese Vorgaben zu beachten sind, bestimmt sich nach Artikel 7 Abs. 2–4 Rom III-VO, der ein kompliziertes426 Verweisungsnetz aufbaut. Nach Artikel 7 Abs. 2 Rom III-VO müssen die Formvorschriften des Mitgliedstaats, in dem beide Gatten zum Zeitpunkt der Rechtswahl ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, eingehalten werden. Es handelt sich hierbei um eine normale Kollisionsnorm, keine Sachnorm wie in Artikel 7 Abs. 1 Rom IIIVO.427 Absatz 3 greift ein, wenn zum Zeitpunkt der Rechtswahl beide Ehepartner ihren gewöhnlichen Aufenthalt in verschiedenen Mitgliedstaaten haben, die unterschiedliche Anforderungen an die Rechtswahl stellen. In diesem Fall ist es ausreichend, wenn die Einigung nach einem dieser Rechte formwirksam ist. Die Verordnung sieht hier eine alternative Anknüpfung vor. Diese kommt dem favor negotii zugute. Zu beachten ist allerdings, dass dadurch die Informationsinteressen der Eheleute auch unterlaufen werden können. Hat etwa ein Mitgliedstaat gar keine weiteren Formerfordernisse erlassen, während der andere Staat die notarielle Beratung und Beurkundung voraussetzt, so wird nach Artikel 7 Abs. 3 Rom III-VO der Schutzzweck der Formvorschriften nicht erreicht. Die Minimalform nach Artikel 7 Abs. 1 Rom III-VO ist dazu nicht ausreichend.428 Angemessener erscheint es, wenn Artikel 7 Abs. 3 Rom III-VO nur in den Fällen greift, in denen beide Staaten weitergehende Formvorschriften erlassen haben.429 Dann ist es in der Tat ausreichend, wenn sich das schwächere Recht durchsetzt. Absatz 3 wird in dieser Lesart nur als Ergänzung zu Absatz 2 angesehen und bezieht sich nicht auf Absatz 1, setzt also den Erlass stärkerer Formerfordernisse voraus. 424 . 425 Vgl. auch Helms/Rauscher, Artikel 7 Rom III-VO, Rn. 13. 426 Vgl. auch Andrae, Internationales Familienrecht, § 4, Rn. 24. 427 Andrae, Internationales Familienrecht, § 4, Rn. 24. 428 Coester/Coester-Waltjen, LA Schurig, S. 33, 46. 429 Corneloup/González Beilfuss, Artikel 7 Rom III-VO, Rn. 14; gleiche Begründung auch bei Althammer/Mayer, Artikel 7 Rom III-VO, Rn. 8.
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In der Literatur wird eine solche Auslegung abgelehnt mit dem Argument, dass für solche Fälle aber eine Anknüpfungsregel fehle, da Artikel 7 Abs. 2 Rom III-VO in diesem Fall nicht greife und es bei der Grundregel nach Artikel 7 Abs. 1 Rom III-VO bleiben müsste, die ebenfalls keinen Schutz verspreche.430 Diese Regelungslücke kann durch eine analoge Anwendung von Artikel 7 Abs. 4 Rom III-VO geschlossen werden. Diese Norm ordnet für den Fall, dass nur eine Partei ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat hat, den Vorrang der strengeren Formvorschrift des Mitgliedstaates an. Hier hätte es auch bei der qualifizierten Schriftform des Artikels 7 Abs. 1 Rom III-VO bleiben können. Ein erhöhtes Schutzbedürfnis wird jedenfalls nicht durch die bloße Berührung zu einem Drittstaat ausgelöst. Da die Schriftform das von der Verordnung selbst gesetzte Ziel einer informierten Rechtswahl nicht garantieren kann, ist hier eine Erweiterung von Absatz 4 auf die Fälle angebracht, bei denen bloß ein Staat strengere Vorschriften erlassen hat. An den Anknüpfungsregeln sind zwei Punkte bemerkenswert. Zum einen findet eine Verweisung auf den Staat des gewöhnlichen Aufenthalts der Eheleute statt. Damit gibt die Rom III-VO den Abschlussort als Hauptanknüpfungspunkt für das Formstatut auf und setzt an dessen Stelle den gewöhnlichen Aufenthalt. Der Abschlussort der Vereinbarung wird zwar in den allermeisten Fällen einer dieser Orte sein, spielt aber im Verordnungstext keine Rolle.431 Zum anderen wird nur auf das Recht von Mitgliedstaaten verwiesen, die eine strengere Form vorsehen, nicht auf das Recht eines jeden Staates, der für eine Rechtswahl eine besondere Form vorsieht.432 Die Kollisionsnorm ist also nicht allseitig, sondern lediglich mehrseitig (oder europäisch einseitig). Dies erstaunt. Zwar gibt es außerhalb der EU ohnehin kaum Staaten, die eine Rechtswahl des Scheidungsstatuts durch die Ehegatten zulassen. Jedoch könnte der Trend zu mehr Parteiautonomie im IPR früher oder später auch andere Staaten erreichen. In solchen Fällen ist es jedoch nicht ersichtlich, warum strengere Formvorschriften aus diesen Staaten unbeachtlich sein sollten. Ziel der Absätze 2–4 von Artikel 7 Rom III-VO ist es, ein möglichst hohes Schutzniveau für die Ehegatten zu bieten. Diese Personen sind aber nicht weniger schutzbedürftig, wenn sie nicht aus einem EU-Mitgliedstaat, sondern aus einem Drittstaat kommen. Anscheinend hat der Verordnungsgeber daran jedoch nicht gedacht. Es ging ihm zuerst darum, den Mitgliedstaaten überhaupt einen Umsetzungsspielraum mit Abweichungsmöglichkeit zuzugestehen. Bei der genauen Ausgestaltung der Kollisionsnormen ist er in diesem Schema geblieben, ohne auf eine allseitige Formulierung zu achten. Die Absätze 2–3 sollten daher analog auf 430
Rauscher/Helms, Artikel 7 Rom III-VO, Rn. 16; Palandt/Thorn, Artikel 7 Rom IIIVO, Rn. 4; Rauscher, FPR 2013, 257, 260; Hau, FamRZ 2013, 249, 252; Andrae, FS Martiny, S. 3, 13. 431 Andrae, FS Martiny, S. 3, 13. 432 Andrae, FS Martiny, S. 3, 13.
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
den Fall angewendet werden, dass das Recht eines Drittstaates strengere Formvorschriften für die Rechtswahl vorsieht. Dem steht auch m.E. nicht der Wortlaut von Artikel 7 Abs. 4 Rom III-VO entgegen, der den Fall regelt, dass nur einer der Ehegatten in einem Mitgliedstaat seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. In diesem Fall kommt es auf die Formanforderungen allein des teilnehmenden Mitgliedstaates an. Es findet eine Bevorzugung der Mitgliedstaaten statt und insofern eine Diskriminierung von Drittstaaten. Dies kann man bedauerlich finden, ist jedoch typisch für den Eurozentrismus und die Konzentration auf den gemeinsamen Binnenmarkt.433 Interessengerecht aus Sicht der Parteien ist das nicht. Wenn beide Partner zum Zeitpunkt der Rechtswahl in einem Drittstaat mit strengeren Formvorschriften leben (Artikel 7 Abs. 2 Rom III-VO analog) oder in zwei Drittstaaten mit unterschiedlichen Anforderungen (Artikel 7 Abs. 3 Rom III-VO analog), ist eine Analogie angebracht. 2. Kritik und die Formerfordernisse de lege ferenda Artikel 7 Rom III-VO hat in der Literatur teils starke Kritik erfahren. Diese betrifft nahezu jedes Detail der Norm. Sie beginnt mit der qualifizierten Schriftform als Mindestvorschrift. Es wird beklagt, dass das Schutzniveau hier viel zu niedrig sei, um einen effektiven Schutz des schwächeren Ehegatten zu gewährleisten und sicherzustellen, dass eine Rechtswahl nur bei gut informierten Ehepaaren erfolgt.434 Die gleiche Kritik trifft auch die Ersetzung der Schriftform durch die elektronische Form. Hier wird gesagt, eine solche Übernahme aus der Brüssel I-VO, die ihre Rolle vor allem im Wirtschaftsrecht spielt, passe nicht in das Internationale Familienrecht. Eine Einigung über E-Mail sei zudem der ideale Weg, um den schwächeren Ehegatten „über den Tisch zu ziehen“.435 Eine Unterrichtung der Ehegatten kann auf diese Weise tatsächlich nicht hergestellt werden. Es ist unwahrscheinlich, dass die Form auf diese Weise überhaupt einen Warnappell aussendet. Eine Rechtswahl per Mail dürfte auch
433
Schurig, Internationalität und Zivilrecht heute, S. 16. MK-BGB/Winkler von Mohrenfels, Artikel 7 Rom III-VO, Rn. 1; NK-BGB/HilbigLugani, Artikel 7 Rom III-VO, Rn. 1, 11; Althammer/Mayer, Artikel 7 Rom III-VO, Rn. 1; Rauscher, IPR, Rn. 819; Kohler, FS von Hoffmann, S. 208, 214; Schurig, FS von Hoffmann, S. 405, 408; Coester/Coester-Waltjen, LA Schurig, S. 33, 46; Mörsdorf-Schulte, RabelsZ 77 (2013), 786, 817 f.; Gruber, Der Schutz schwächerer Parteien im Familien- und Erbrecht, S. 336, 345; Boele-Woelki, YbPIL 12 (2010), 1, 16; Boiché, AJ Famille 2012, 370, 373; Hau, FamRZ 2013, 249, 252; anderer Ansicht Rauscher/Helms, Artikel 7 Rom III-VO, Rn. 4; wohl auch Franzina, CDT 3 (2011), 85, 108, der eher das Nebeneinander verschiedener Formstatute befürchtet. 435 Schurig, FS von Hoffmann, S. 405, 408; kritisch auch Basedow, Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht, S. 3, 13. 434
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mit elektronischer Signatur eher beiläufig als bewusst geschehen. Umso wichtiger sind daher weitergehende Formvorschriften, vorzüglich solche, die auch eine Rechtsberatung der Ehegatten vorsehen.436 Hier ist es jedoch ein Ärgernis, dass außer der Bundesrepublik und Spanien kein weiterer Mitgliedstaat eine eigene Regelung erlassen hat. Über die Gründe dafür soll nicht weiter spekuliert werden. Offenbart wird jedoch ein grundlegender Fehler in der Konstruktion der Rom III-VO. Die Verordnung stellt den informierten Konsens in den Mittelpunkt des Anknüpfungssystems, stellt es den Mitgliedstaaten aber frei, ob sie Bedingungen für eine solche Rechtswahl setzen wollen. Dem Verordnungsgeber war die Aufgabe klar, eine einheitliche Form festzulegen. Ein Konsens konnte jedoch nicht erzielt werden, da notarielle Beurkundungen in allen Staaten eine ganz unterschiedliche Form gefunden haben und die Mitgliedstaaten nicht gezwungen werden sollten, eine neue Form der Rechtsberatung einzurichten, die ihrem Recht nicht vertraut ist.437 Vielleicht ist es aber genau richtig, über neue Formen der Rechtsberatung nachzudenken und diese in der Verordnung zu verankern. Zumindest hätten die Ermutigungen an die Mitgliedstaaten stärker sein können, über Verschärfungen nachzudenken. Sinnvoll scheint es zudem, der Erlass weitergehende Formvorschriften, die eine Belehrung einschließen, verbindlich vorzuschreiben und den Mitgliedstaaten, wie bei einer Richtlinie, die Umsetzung zu überlassen. II. Zum HUP 1. Die Formerfordernisse de lege lata Das Haager Unterhaltsprotokoll von 2007 hält noch knappere Formregelungen als die Rom III-VO bereit. Zu unterscheiden ist die allgemeine Rechtswahl nach Artikel 8 Abs. 1 HUP und die Wahl der lex fori für die Zwecke eines einzelnen Verfahrens nach Artikel 7 HUP. a) Wahl nach Artikel 8 Abs. 1 HUP Die Formanforderungen nach Artikel 8 Abs. 1 HUP sind in Artikel 8 Abs. 2 HUP geregelt. Die Vereinbarung ist demnach „schriftlich zu erstellen oder auf einem Datenträger zu erfassen, dessen Inhalt für eine spätere Einsichtnahme zugänglich ist, und von beiden Parteien zu unterschreiben“. Diese Regelung enthält die gleichen Vorschriften wie die Rom III-VO, verzichtet aber auf das Erfordernis der Datierung.438 Die Speicherung auf einem Datenträger, der der späteren Einsichtnahme zugänglich ist, ist nichts anderes als eine elektronische Übermittlung, die eine dauerhafte Aufzeichnung der
436
Boele-Woelki, YbPIL 12 (2010), 1, 16 f.; Andrae, FS Martiny, S. 3, 25. BeckOGK-BGB/Gössl, Artikel 7 Rom III-VO, Rn. 5. 438 Andrae, FS Martiny, S. 3, 24. 437
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
Vereinbarung ermöglicht im Sinne des Artikels 7 Abs. 1 S. 2 Rom III-VO. Insofern kann hier auf die oben gemachten Ausführungen verwiesen werden. Insbesondere muss festgehalten werden, dass für eine Einigung in elektronischer Form oder auf einem Datenträger ebenfalls eine elektronische Signatur erforderlich ist.439 b) Wahl nach Artikel 7 HUP Bei der Wahl der lex fori für ein einzelnes Verfahren enthält lediglich Artikel 7 Abs. 2 HUP eine Formanforderung. Erfolgt die Wahl vor Einleitung des Verfahrens, so ist sie wie in Artikel 8 Abs. 2 HUP schriftlich oder auf einem Datenträger festzuhalten und von den Ehegatten zu unterzeichnen. Das Unterhaltsprotokoll setzt hier einheitliche Erwartungen an die Ehegatten. Bei der Wahl der lex fori nach Einleitung des Verfahrens schweigt die Vorschrift bezüglich etwaiger Formen. Dieses Schweigen wird unterschiedlich bewertet. Zum einen wird vertreten, dass die Erklärungen der Parteien in jeder Form abgegeben werden können, solange sie ausdrücklich erfolgen, was aber keine Formfrage ist.440 Nach anderer Ansicht sollen zumindest für eine im Prozess getroffene Rechtswahl die prozeduralen Regeln der lex fori gelten.441 Die zweite Ansicht kann sich immerhin auf den Bonomi-Bericht stützen.442 Dieser spricht davon, dass die „modalités“ der Wahl vom Recht des angerufenen Gerichts geregelt seien.443 Die ebenfalls authentische und gleichberechtigte englische Version spricht von den „manners of choice“.444 Man kann sich schwer vorstellen, was darunter anderes gemeint sein kann als eben die genaue Form der Wahl, da dies auch dem Charakter des Prozessrechts – als immer noch hauptsächlich formellen Rechts – entspricht. Es bestimmt zum größten Teil die Formen, in denen sich die Parteien im Prozess bewegen können und müssen. Das Prozessrecht kann etwa festlegen, ob eine mündliche, protokollierte Einigung ausreichend ist, ob Anträge schriftlich eingereicht werden müssen oder ähnliches. Der Unterschied dürfte in den meisten Fällen gering sein. Eng verwandt mit diesem Problem ist die grundsätzliche Frage, ob das Haager Unterhaltsprotokoll eine abschließende Regelung der Formfragen trifft oder ob es, wie teil439
Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 130; Rauscher/Andrae, Artikel 8 HUP, Rn. 16. Rauscher/Andrae, Art. 7 HUP, Rn. 12; dies., Internationales Familienrecht, § 8, Rn. 154; dies., FS Martiny, S. 3, 23; Henrich, Rechtswahl im Unterhaltsrecht, S. 53, 54; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, C, Rn. 644. 441 BeckOK-BGB/Heiderhoff, Art. 7 HUP, Rn. 4; MK-BGB/Staudinger, Art. 7 HUP, Rn. 7; NK-BGB/Bach, Artikel 7 HUP, Rn. 16; Eßer, IPRax 2013, 399; Gruber, FS Spellenberg, S. 177, 189. 442 Gruber, FS Spellenberg, S. 177, 189. 443 Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 122. 444 Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 122. 440
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weise die Rom III-VO, lediglich Mindestanforderungen setzt, die von den Mitgliedstaaten auf ein höheres Schutzniveau gehoben werden können. Diese Frage ist genauso relevant für die Rechtswahl nach Artikel 8 HUP. Darauf soll im Folgenden eingegangen werden. c) Weitergehende Formvorschriften der Mitgliedstaaten aa) Sinnhaftigkeit weitergehender Formvorschriften Eines sollte vorweggenommen werden: Die folgende Debatte scheint im Moment rein theoretisch zu sein. Kein Mitgliedstaat des Haager Unterhaltsprotokolls hat tatsächlich weitergehende Formanforderungen bei einer Rechtswahl nach Artikel 7 und 8 HUP gestellt. Der deutsche Gesetzgeber hielt sie für unzulässig.445 Am wünschenswertesten wäre natürlich ein hoher Schutzstandard direkt im Text des Protokolls selbst. Dass eine solche Regelung nicht zu Stande kam, lässt sich wohl mit den langwierigen und schwierigen Verhandlungen von internationalem Einheitsrecht erklären, bei denen immer wieder unbefriedigende Kompromisse geschlossen werden müssen, damit überhaupt ein Minimalkonsens gefunden werden kann. Schwierige Themen werden vermieden. Die Vermutung liegt nahe, dass gerade bei Formfragen ein solcher gemeinsamer Nenner nicht gefunden werden konnte, weil die naheliegende Lösung, eine notarielle Beratung und Beurkundung der Rechtswahl, nicht in allen Ländern bekannt ist und somit nicht umgesetzt werden kann.446 Es ist daher leichter, den teilnehmenden Staaten eine Rechtssetzungskompetenz für diesen Bereich zu geben. Es steht außer Frage, dass ein stärkeres Engagement der Mitgliedstaaten in diesem Punkt äußerst sinnvoll wäre. Das Haager Unterhaltsprotokoll fällt ansonsten im Schutzstandard hinter die Rom III-VO zurück. Durch die einfache Schriftform mit Unterschrift der Parteien wird ein Aspekt der verschiedenen Funktionen von Formvorschriften überhaupt nicht verwirklicht: die Beratungsfunktion. Selbst die Warnfunktion wird nur minimal erfüllt.447 Dem kann man entgegnen, dass eine Verschärfung der formalen Anforderungen im Haager Unterhaltsprotokoll gar nicht notwendig sei, da eine Rechtswahl immer noch einer Wirksamkeitskontrolle nach Artikel 8 Abs. 5 HUP unterzogen werden könne.448 Durch diese können zwar unbillige Ergebnisse vermieden werden, aber das hier vertretene Konzept des Schwächerenschutzes zielt eigentlich auf etwas anderes: eine rechtliche Flankierung der Rechtswahl, die am Vertragsschluss ansetzt und Defizite noch vorher beseitigt. Diese Schutzmethode ist 445
BT-Drucks. 17/4887, S. 57. Eßer, IPRax 2013, 399, 401. 447 Coester/Coester-Waltjen, LA Schurig, S. 33, 46. 448 BeckOK-BGB/Heiderhoff, Art. 8 HUP, Rn. 13; Andrae, FS Martiny, S. 3, 25. 446
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
einer nachträglich eingreifenden und Rechtsunsicherheit hervorrufenden ex post-Kontrolle immer vorzuziehen.449 Nach Artikel 8 Abs. 5 HUP wird eine solche Prüfung nicht vorgenommen, wenn die benachteiligte Partei im Zeitpunkt der Rechtswahl umfassend unterrichtet und sich der Folgen ihrer Wahl vollständig bewusst war. Man kann in diesem Fall nicht sagen, dass es für die schwächere Partei besser sei, wenn sie möglichst wenig wisse, da ja immer noch eine Billigkeitskontrolle stattfinde. Ein heimlicher Günstigkeitsvergleich ist nicht vom HUP intendiert. Zum einen gelten für die Wirksamkeitskontrolle immer noch relativ hohe Hürden,450 so dass auch mit einer Prüfung nach Artikel 8 Abs. 5 HUP nicht alle einseitigen Belastungen der schwächeren Partei ausgeglichen, sondern nur „offensichtlich unbillige und unangemessene Folgen“ abgewendet werden können. Zum anderen würde das den Schwächerenschutz ins Absurde treiben und zu einer wahren Bevormundung der Parteien führen und damit die Ziele des HUP unterminieren. Es liegt offensichtlich im Interesse der Parteien und evident auch im Sinne des HUP, wenn die Eheleute möglichst frühzeitig in die Lage versetzt werden, auf dem internationalen Feld eine für sie günstige Entscheidung zu treffen. Hier müssen die Formvorschriften ansetzen. Erforderlich sind klug eingesetzte Formerfordernisse in den teilnehmenden Staaten daher nicht trotz, sondern wegen der Wirksamkeitskontrolle, damit ein vernünftiges Ineinandergreifen der einzelnen Schutzinstrumente sichergestellt wird.451 bb) Zulässigkeit nach der herrschenden Meinung Was die Zulässigkeit einer solchen Rechtssetzung durch die Mitgliedstaaten angeht, so schweigt der Verordnungstext. Daraus wird teilweise der Schluss gezogen, dass eine Ermächtigung der teilnehmenden Staaten nicht vorgesehen ist.452 Dagegen lässt sich einwenden, dass die Verfasser des Protokolls wohl davon ausgingen, dass eine weitergehende Regelung zulässig ist.453 Schließlich ist eine strengere Formvorschrift nicht daran gescheitert, dass die Teilnehmer bei den Protokollverhandlungen davon ausgingen, die Urkundenform sei ausreichend als Schutz vor Übereilung und Warnung an die Parteien. Eine Einigung konnte nicht erzielt werden, weil das naheliegende Schutzinstrument, die Beglaubigung der Rechtswahl durch einen Notar, der die Ehegatten über die 449
Siehe oben § 2 B. II. 3. Dazu unten § 8 A. I. 451 Eßer, IPRax 2013, 399, 402. 452 Staudinger/Mankowski, Artikel 8 HUP, Rn. 20; BeckOK-BGB/Heiderhoff, Art. 8 HUP, Rn. 13; Rauscher/Andrae, Art. 8 HUP, Rn. 16; dies., FS Martiny, S. 3, 24 f.; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, C, Rn. 660; ders., FS Martiny, S. 345, 350; Palandt/Thorn, Art. 7 HUP, Rn. 27; NK-BGB/Bach, Artikel 8 HUP, Rn. 27; Rauscher, IPR, Rn. 933; Lipp, LA Pintens, S. 847, 857. 453 Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 119. 450
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Risiken aufklärt, nicht in allen Verhandlungsstaaten bekannt ist.454 Jeder Mitgliedstaat sollte selbst das passende Instrument auswählen. Wie bereits gesagt, entspricht es auch Sinn und Zweck der Verordnung, die Formvorschriften des HUP lediglich als Mindeststandards anzusehen. Es ist daher nicht angemessen, nur einseitig auf dem Gesetzestext zu beharren. Dass eine Öffnungsklausel unter den Normen fehlt, wird durch den Willen der Protokollverfasser aufgehoben, die mit keiner anderen Auslegung gerechnet haben. Die teilnehmenden Vertragsparteien des Protokolls sind daher berechtigt, höhere Schutzstandards, etwa durch rechtliche Beratung bei der Einigung, vorzuschreiben.455 Sie sollten von dieser Möglichkeit auch dringend Gebrauch machen. Der internationale Entscheidungseinklang wird dadurch nicht gefährdet. Zuzugeben ist, dass das Fehlen einer Öffnungsklausel noch kein starkes Argument ist, genauso wenig eine Rechtszersplitterung der Formerfordernisse in den Mitgliedstaaten per se. Allerdings muss überlegt werden, wie bei der Kollision unterschiedlicher Formerfordernisse anzuknüpfen ist. Hier stößt die Mindermeinung an ihre Grenzen. Eine Regel wie Artikel 7 Abs. 2–4 Rom IIIVO fehlt schlicht im HUP. Eine rechtsaktübergreifende analoge Anwendung der in der Rom III-VO enthaltenen Norm ist nicht möglich. Die Rom III-VO mag zwar für die Auslegung von Begriffen des HUP helfen, würde aber bei einer solchen Rechtsfortbildung überstrapaziert. Der völkerrechtliche, nicht europarechtliche Hintergrund der Norm würde dabei missachtet. So wünschenswert eine Erweiterung der Formanforderungen durch die Mitgliedstaaten vom Standpunkt des Schwächerenschutzes wäre, an dieser Stelle stößt die Idee an ihre Grenzen. Selbst wenn die Öffnung intendiert wäre, würde sie zu Folgefragen führen, die allein unter Rückgriff auf das HUP nicht zu beantworten wären. 2. Kritik Das Haager Unterhaltsprotokoll bleibt wie die Rom III-VO weit hinter dem selbst gestellten Ziel, einen informierten Konsens zu ermöglichen, zurück. Das Erfordernis für die generelle Rechtswahl aus Artikel 8 Abs. 2 HUP ist aus den gleichen Gründen ungenügend wie im Scheidungsrecht. Hinzu kommt, dass es für die Mitgliedstaaten keine Möglichkeit gibt, weitergehende Formvorschriften zu erlassen. Auch wenn dieses Mittel bei der Rom III-VO nicht zu großen Anstrengungen der Mitgliedstaaten geführt hat und die Eheleute bei der Wahl meistens immer noch alleingelassen werden ohne wichtige Informationen zu erhalten, steht ihnen der Weg potentiell offen. Im Haager Unterhaltsprotokoll ist dieser Weg ohne Not verbaut. Betrachtet man die Folgen der Rechtswahl, erscheint ein Nachbesserungsbedarf im Haager Unterhaltsprotokoll noch dringender. In der Rom III-VO geht es „nur“ um die Zulässigkeit einer Scheidung. 454 455
Eßer, IPRax 2013, 399, 401. Prinz, Das neue Internationale Unterhaltsrecht, S. 246.
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
Der Schwächerenschutz versucht, die freie Willensbetätigung der Eheleute bei der Rechtswahl zu garantieren, weil er einen materiellen Rechtswahlfreiheitsbegriff realisieren möchte. Dieser ist Zweck an sich.456 Diese Anstrengungen werden nicht so sehr deshalb unternommen, weil die Versagung einer Scheidung so dramatische und existenzielle Folgen für die Ehegatten hätte. Genau solche Folgen kommen aber bei einer uninformierten Rechtswahl auf die Ehegatten zu. Natürlich sieht das Unterhaltsprotokoll mit Artikel 8 Abs. 5 sowie Artikel 13 und 14 HUP Instrumente vor, um ein unangemessenes Ergebnis zu vermeiden. Hierbei kann es sich aber nur um eine Notlösung handeln. Eine Begleitung der Parteien bei der Rechtswahl sollte einer ex post-Kontrolle vorzuziehen sein. III. Zu den Güterrechtsverordnungen 1. Formvorschriften de lege lata Die Güterrechtsverordnungen treffen schließlich auch Regeln zu Formerfordernissen. Sie gehen dabei jedoch wiederum einen leicht anderen Weg, der am ehesten der Rom III-VO ähnelt.457 Nach Artikel 23 Abs. 1 EuEheGüVO/EuPartGüVO ist die Rechtswahl schriftlich abzufassen, zu datieren und von den Ehegatten zu unterzeichnen. Die elektronische Form ist der Schriftform gleichgestellt. Damit entsprechen diese Regelungen Artikel 7 Abs. 1 S. 1 Rom III-VO. Die Normen nennen auch lediglich Mindestvorschriften. Es können auch strengere Formvorschriften der Mitgliedstaaten berufen werden. Anders als in der Rom III-VO kommen diese höheren Formerfordernisse jedoch über eine besondere Anknüpfung zur Anwendung: Sieht das Recht eines Mitgliedstaats für Vereinbarungen über den Güterstand bei Ehen und eingetragenen Partnerschaften strengere Formvorschriften vor und haben beide Parteien zum Zeitpunkt der Rechtswahl ihren gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Staat, so sind diese Formvorschriften anwendbar, Artikel 23 Abs. 2 EuEheGüVO/EuPartGüVO. Haben die Parteien also ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, muss die Form von § 1410 BGB (ggf. i.V.m. § 7 S. 2 LPartG) eingehalten werden. Den Unterschied zwischen den Rechtsakten muss man sich deutlich machen: Während in der Rom III-VO der nationale Gesetzgeber aufgerufen wird, Sachnormen auf dem Gebiet des IPR speziell für Rechtswahlvereinbarungen zu erlassen, erfolgt bei den EuGüVOen eine Sachnormverweisung auf die mitgliedstaatlichen Formvorschriften für Eheverträge.458 Haben die Parteien ihren 456
Vgl. auch Pintens, FS Hahne, S. 99, 104. Dutta, FamRZ 2016, 1973, 1981. 458 Pintens, FS Hahne, S. 99, 108 f.; Dutta, FamRZ 2016, 1973, 1981; Weber, DNotZ 2016, 659, 679; ungenau: Martiny, IPRax 2011, 437, 449: Nicht im Ehevertrag wird eine 457
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gewöhnlichen Aufenthalt in mehreren Mitgliedstaaten mit unterschiedlichen Formvorschriften, setzt sich gemäß dem favor negotii das Recht mit den geringeren Formerfordernissen durch, Artikel 23 Abs. 3 EuEheGüVO/EuPartGüVO.459 Die akzessorische Anknüpfung ist geschickt: Nicht alle Staaten sehen eine Rechtswahl vor und nicht alle Mitgliedstaaten werden weitergehende Rechtswahlformvorschriften zulassen. Dies ist bei der Umsetzung der Rom IIIVO deutlich geworden. In fast allen Rechtsordnungen, die einen Ehevertrag zulassen, werden sich jedoch besondere Formvorschriften finden lassen,460 so dass diese automatisch zur Anwendung kommen, ohne dass es dafür eines besonderen neuen Umsetzungsaktes bedürfte. Die alternative Anknüpfung bei unterschiedlichen Formbestimmungen erscheint dann auch sinnvoll. Sie greift nach dem Wortlaut des Artikels 23 Abs. 3 EuEheGüVO/EuPartGüVO nur, wenn alle Staaten tatsächlich eine besondere Form für Eheverträge vorsehen. Haben die Parteien ihren gewöhnlichen Aufenthalt in unterschiedlichen Staaten, von denen nur einer ein an der Verordnung teilnehmender Staat ist, finden die Formvorschriften dieses Mitgliedstaates Anwendung, Artikel 23 Abs. 4 EuEheGüVO/EuPartGüVO. Hier ist es wiederum nicht recht nachvollziehbar, wodurch diese Bevorzugung mitgliedstaatlichen Rechts gerechtfertigt werden soll. Sie führt vielleicht öfter zu einer Anwendung der lex fori. Dafür wird den Parteien abverlangt, die Unterscheidung von Mitgliedstaat und Drittstaat zu beachten und sich an der Form des Mitgliedstaates zu orientieren. Das macht den Abschluss für die Partner und Ehegatten schwieriger, ohne dass sich der Schutz der Parteien verbessert. 2. Kritische Würdigung Die Güterrechts-Verordnungen unterscheiden sich von der Rom III-Verordnung durch einen besonderen Trick. Anstatt darauf zu setzen, dass die Mitgliedstaaten strenge Formvorschriften für die Rechtswahl zum Schutz der Parteien erlassen, berufen sie die Formvorschriften, die die Mitgliedstaaten im materiellen Recht für Eheverträge bereits erlassen haben. Dahinter dürfte weniger die Enttäuschung über die missglückte Umsetzung der Rom III-VO stehen als vielmehr der Gedanke, Kontinuitäten in den mitgliedstaatlichen Kollisionsrechten zu wahren. Bereits das Haager Güterrechtsübereinkommen vom
Form für die Rechtswahl festgelegt, sondern die Rechtswahl muss den Anforderungen an einen Ehevertragsschluss genügen. 459 Pintens, FS Hahne, S. 99, 108. 460 Vgl. Pintens, FS Hahne, S. 99, S. 103 ff.; Dethloff, Contracting in family law: A European Perspective, S. 65, 74 f.
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
14. März 1978 sah für die Rechtswahl in seinem Artikel 13 die analoge Anwendung der Formvorschriften für den Ehevertrag vor.461 Diese spezielle Anknüpfung wirkt nicht nur vertraut, sondern auch sinnvoll: Warum sollten für die Rechtswahl andere Regeln gelten als für den materiellrechtlichen Ehevertrag, wenn für diesen schon spezielle Regeln zum Schwächerenschutz vorgesehen sind?462 Die akzessorische Anknüpfung an das Formstatut für Eheverträge ist jedoch nicht gänzlich unumstritten. Sie wird teilweise abgelehnt mit dem Argument, die meisten Länder sähen einen Gleichlauf von Ehevertrag und Rechtswahlvereinbarung gar nicht vor.463 Dies ist jedoch kein besonders überzeugendes Argument. In der vermeintlichen Schwäche liegt eigentlich der wahre Vorteil dieser Regelung. Nicht nur sehen nämlich die meisten Mitgliedstaaten für Eheverträge und Rechtswahlvereinbarung keinen Gleichlauf vor, einige Staaten kennen nicht einmal für das Güterrechtsstatut eine Rechtswahl und können damit natürlich auch keine Formvorschriften für diese erlassen.464 Bis die Mitgliedstaaten geeignete Mittel ergriffen haben, um neue, strengere Anforderungen an eine Rechtswahl zu stellen, vergeht, wie etwa die verspätete Begleitgesetzgebung zur Rom III-VO durch den deutschen Gesetzgeber gezeigt hat,465 viel Zeit, sofern sie überhaupt je erfolgt. Bei der so erreichten Vielzahl von unterschiedlichen Formerfordernissen stört es auch nicht, wenn Artikel 23 Abs. 3 der Güterrechtsverordnungen zugunsten des favor negotii an das Recht mit den geringsten Hürden anknüpft. Wenn die Grundregel schon einen höheren Schutz verspricht, kann so verhindert werden, dass die Vereinbarung daran scheitert, dass die Parteien bei mehreren Formvorschriften sich an der falschen orientieren. Unschädlich ist hierbei, dass keine Alternativanknüpfung an die lex loci actus vorgesehen ist. Bei familienrechtlichen Fragen dürfte diese kaum einmal nicht mit dem gewöhnlichen Aufenthalt zusammenfallen. Der Gedanke, dass Eheleute, die in einem fremden Staat heiraten, hier auch einen Ehevertrag abschließen, ist fernliegend.466 Die Eheleute können sich leichter über das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt informieren als über die lex loci actus.
461
Pintens, FS Hahne, S. 99, 108. Pintens, FS Hahne, S. 99, 109; fast alle Mitgliedstaaten kennen auch strengere Formvorschriften, vgl. Döbereiner, Rechtswahlfreiheit im Ehegüterrecht, S. 63, 71 f. 463 Rauscher/Kroll-Ludwigs, Einführung EuEheGüterVO-E, Rn. 61. 464 Etwa Griechenland und einige osteuropäische Staaten, vgl. Burghaus, Die Vereinheitlichung des internationalen Ehegüterrechts, S. 157 f. 465 Kritisch bereits Mörsdorf-Schulte, RabelsZ 77 (2013), 786, 792. 466 Kritisch trotzdem Döbereiner, Rechtswahlfreiheit im Ehegüterrecht, S. 63, 74 f. 462
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Die Güterrechtsverordnungen gehen somit insgesamt den überzeugendsten Weg der europäischen Rechtsakte zum Internationalen Familienrecht. Die Anknüpfung an bereits existierende Regeln wäre auch im HUP und in der Rom III-VO möglich gewesen. IV. Zusammenfassung Das Fazit zu den Regeln über die formelle Wirksamkeit von Rechtswahlvereinbarungen fällt ernüchternd aus: In den meisten Fällen wird lediglich eine qualifizierte Schriftform verlangt. Bei dieser Voraussetzung ist es für Personen, denen die Bedeutung und Reichweite von Rechtswahlverträgen nicht bewusst ist, unmöglich, neue Informationen zu beziehen um zu entscheiden, welches das für sie beste Recht ist. Es ist sogar schon fraglich, ob die Warnfunktion der Formvorschrift richtig erfüllt wird. Daher sind strengere Formvorschriften der Mitgliedstaaten erforderlich. Für die Rom III-VO haben jedoch bloß Deutschland und Spanien entsprechende Umsetzungsnormen erlassen. Weitere Mitgliedstaaten sind nicht gesetzgeberisch tätig geworden. Das Haager Unterhaltsprotokoll ist an diesem Punkt so konzipiert, dass die Mitgliedstaaten gar nicht tätig werden können. Einzig die Güterrechtsverordnung wendet einen Trick an. Sie verlangt, dass die Mitgliedstaaten die Regeln ihres materiellen Rechts über die formelle Wirksamkeit von Eheverträgen analog auf die Rechtswahlvereinbarung anwenden. Wenn schon eine einheitliche autonome Bestimmung hoher Formanforderungen nicht möglich ist, ist dieser Weg optimal. Es ist unmittelbar einleuchtend, dass für eine Änderung der Rechtsordnung für den Güterstand die gleichen Regeln gelten wie für die autonome Gestaltung des Güterstands im Sachrecht. Hier sehen die meisten Mitgliedstaaten bereits strengere Formvorschriften vor, die automatisch zur Anwendung gelangen können. Auch im Rahmen des Unterhaltsprotokolls wäre das sinnvoll gewesen. Viele Staaten sehen für Unterhaltsvereinbarungen eine besondere Form vor, so etwa im deutschen Recht die notarielle Beurkundung für Eheleute nach § 1585c S. 2 BGB. Zugegeben werden muss hier allerdings, dass es Fälle gibt, in denen die Parteien gar keine materiellrechtliche Unterhaltsvereinbarung abschließen können, während eine kollisionsrechtliche Rechtswahl trotzdem möglich ist. Für Deutschland ist hier vor allem an die Unterhaltspflichten zwischen Erwachsenen zu denken, die nicht durch Eheschließung, sondern Verwandtschaft begründet werden. Für diese Fälle könnte man es den Mitgliedstaaten aber immer noch freistellen, spezielle formelle Regeln für die Rechtswahl zu erlassen. Es stellt sich die Frage, welche Konsequenzen aus der missglückten Regelung der formellen Wirksamkeit von Rechtswahlvereinbarungen zu ziehen ist. In einem idealen Kollisionsrecht gibt es ein zweistufiges System, um Informationsdefizite zu beheben: Im ersten Schritt müssen die Rechtswahlmöglichkeiten eingeschränkt werden, damit überhaupt eine wirksame Unterrichtung der
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
Parteien stattfinden kann. Im zweiten Schritt erfolgt eine Warnung und Unterrichtung der Parteien über die Formvorschriften. So werden bereits vor Vertragsschluss die Grundlagen für eine autonome Rechtswahl der Parteien geschaffen. Dann erübrigen sich auch weitgehend Wirksamkeitskontrollen und andere nach Vertragsschluss ansetzende Instrumente. Diese haben den Nachteil, dass sie das Verhandlungsungleichgewicht nicht mehr beseitigen können, sondern nur noch auf unbillige und unangemessene Folgen der Rechtswahl reagieren können. Es kann daher eine erste Vermutung aus dem Scheitern der Aufklärung über Formvorschriften gezogen werden: Je weniger Formvorgaben in der Lage sind, einen informierten Konsens der Parteien zu gewährleisten, desto engmaschiger muss das Netz der nachträglichen Kontrollmechanismen sein. Zwei einschränkende und ergänzende Gedanken sind jedoch angebracht. Um zu entscheiden, in welchen Fällen nun welche Kontrollmechanismen angebracht sind, darf man selbstverständlich nicht unterstellen, dass alle Paare uninformiert oder gar grundsätzlich unfähig sind, ihre Interessen vertraglich selbst zu bestimmen. Es bedarf daher noch einer Untersuchung, wie die Möglichkeiten der Parteien, sich noch vor Vertragsschluss mit seinen Formerfordernissen über die Rechtswahl und ihre Folgen zu informieren, bestellt sind. Dies muss in die Überlegungen zu den Kontrollmechanismen mit einbezogen werden, da nur auf dieser Grundlage entschieden werden kann, in welchen Fällen ein Eingreifen erforderlich ist und wie hoch der Grad der Generalisierung hierbei sein darf.467 Zudem muss noch untersucht werden, wie effektiv selbst die strengsten Formvorgaben sind und ob durch notarielle Beratungen immer und in jedem Fall sichergestellt ist, dass die Parteien die nötigen Informationen bekommen, die sie brauchen. Auch dies ist im Rahmen der Instrumente zur ex post-Kontrolle zu überlegen.468 Bevor wir uns diesen Instrumenten zuwenden, muss allerdings noch, um das Bild zu vervollständigen, betrachtet werden, welche Regeln die Rechtsakte zum materiellen Vertragsschluss bereithalten.
§ 6 Der materielle Vertragsschluss § 6 Der materielle Vertragsschluss
A. Vorgaben der Kollisionsrechtsakte Die Zulässigkeit der Rechtswahl bestimmt einzig und allein das Kollisionsrecht des Forums. Ob die Parteien das auf ihren Güterstand, ihre Scheidung/Trennung oder auf ihre Unterhaltsansprüche geltende Recht bestimmen können, lässt sich also nur den Güterrechts-Verordnungen, der Rom III-VO
467 468
Siehe dazu unten § 8 A. II. 3. Siehe dazu unten § 8 A. II. 3. d).
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und dem HUP entnehmen. Das Zustandekommen der Rechtswahl und ihre materielle Wirksamkeit können auf zwei verschiedene Arten bestimmt werden. Entweder bestimmt das Kollisionsrecht selbst die Voraussetzungen für die Bestimmung des anwendbaren Rechts durch die Parteien oder es wird ein Rechtswahlstatut festgelegt, das Regeln für diese Fragen enthält. Der erste Weg empfiehlt sich besonders bei Rechtstexten, die in mehreren Staaten zur Anwendung kommen sollen, also etwa bei den supranationalen Verordnungen des EU-Kollisionsrechts oder bei völkerrechtlichen Verträgen wie dem Haager Unterhaltsprotokoll. Eine einheitliche Handhabung der Rechtswahl in allen teilnehmenden Staaten wird am besten gewährleistet, wenn der Rechtstext selbst ihre Voraussetzungen regelt.469 Dies erhöht die Rechtssicherheit der Parteien. Die Rechtswahl ist für sie zudem einfacher durchzuführen, wenn sie die Regeln zu ihrer Wirksamkeit in dem Dokument, das ihnen die Wahl gestattet, direkt finden (vorausgesetzt, sie stoßen überhaupt auf den originalen Rechtstext). Es dürfte für sie um ein Vielfaches schwieriger sein, über eine Verweisung erst das Rechtswahlstatut bestimmen zu müssen und im zweiten Schritt dessen Regeln nachzuvollziehen. Nachteil einer solchen Vorgehensweise ist hingegen, dass das Kollisionsrecht einen sehr umfangreichen allgemeinen Teil aufnehmen muss, in dem alle Regelungen zur materiellen Wirksamkeit aufgenommen sind. Statt sich an den schwierigen Prozess der Erarbeitung eines Rechts des Zustandekommens der Rechtswahl zu wagen, beschlossen der EU-Gesetzgeber und die Haager Konferenz für die Verordnungen zum Internationalen Privatrecht und das HUP, von diesem Vorhaben Abstand zu nehmen und bestimmten jeweils ein Rechtswahlstatut. Dieses regelt die Wirksamkeit und das Zustandekommen der Rechtswahl. Es wird jedoch zu zeigen sein, dass dieser Weg in den Verordnungen nicht rein durchgehalten wurde, sondern jeweils sowohl bestimmte Vorgaben für die Rechtswahl gemacht wurden, als auch besondere kollisionsrechtliche Schutzvorschriften aufgenommen wurden, um einer situativ schwächeren Partei entgegenzukommen. Die schwierige Frage der Wirksamkeitskontrolle von Rechtswahlverträgen wird hier weiterhin vollständig ausgeklammert. Diesem Thema ist ein eigenes Kapitel gewidmet.470 I. Rom III-VO und die Güterrechts-VOen 1. Bestimmung des Rechtswahlstatuts Die europäischen Verordnungen haben zur Bestimmung des Rechtswahlstatuts einen identischen Weg eingeschlagen, so dass sie hier gemeinsam behandelt
469 470
Vgl. etwa Kohler, FS von Hoffmann, S. 208, 215. Siehe unten § 8.
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
werden können. Artikel 6 Abs. 1 Rom III-VO bestimmt: „Das Zustandekommen und die Wirksamkeit einer Rechtswahlvereinbarung oder einer ihrer Bestimmungen bestimmen sich nach dem Recht, das nach dieser Verordnung anzuwenden wäre, wenn die Vereinbarung oder die Bestimmung wirksam wäre“. Artikel 24 Abs. 1 EuEheGüVO und Artikel 24 Abs. 1 EuPartGüVO treffen eine im Wortlaut anders formulierte, aber vom Regelungsgehalt völlig gleiche Anknüpfung. Vorläufer der Regelungen ist Artikel 3 Abs. 5, 10 Abs. 1 Rom IVO.471 Das EVÜ enthielt ebenfalls schon diese Anknüpfungsnorm.472 Eine parallele Norm findet sich in Artikel 22 Abs. 2 EuErbVO.473 In der Rom II-VO fehlt eine solche Regelung. Diese Lücke wird nach der herrschenden Meinung über eine analoge Anwendung der Rom I-VO geschlossen.474 Gegen die Anknüpfung des Rechtswahlstatuts an das von den Parteien bezeichnete Recht wurde eingewandt, sie sei zirkelschlüssig, da das Recht, für das noch gar nicht feststehe, ob es wirksam gewählt wurde, über die Frage seiner wirksamen Wahl entscheiden solle und so das Ergebnis vorweggenommen werde.475 Dem kann jedoch erwidert werden, dass nicht an das wirksam gewählte Recht angeknüpft wird, sondern lediglich an das von den Parteien bezeichnete Recht, mithin an eine bloße Tatsache.476 Zudem wird die Lösung als nicht sachgerecht empfunden. Einmal sollten nicht die Parteien selbst das Recht bestimmen, das über die Wirksamkeit entscheidet. Sie könnten sich sonst „an den eigenen Schuhbändern in die Höhe ziehen“.477 Das ausländische Recht enthalte gewöhnlich überhaupt nicht die passenden Normen zur Regelung der strittigen Fragen des Rechtswahlstatuts, insbesondere wenn dessen Kollisionsrecht schon grundsätzlich keine Rechtswahl vorsehe.478 Dies störe vor allem im Internationalen Familienrecht, wenn dort plötzlich schuldvertragsrechtliche Bestimmungen herangezogen werden 471
Kohler, FS von Hoffmann, S. 208, 214; Basedow, LA Pintens, S. 135, 143. Nehne, Methodik und allgemeine Lehren des europäischen Internationalen Privatrechts, S. 255. 473 Rauscher/Helms, Artikel 6 Rom III-VO, Rn. 1; Mansel, Parteiautonomie, Rechtsgeschäftslehre der Rechtswahl, S. 241, 272. 474 Vgl. die Nachweise bei Rauscher/Picht, Artikel 14 Rom II-VO, Rn. 27; Mansel, Parteiautonomie, Rechtsgeschäftslehre der Rechtswahl, S. 241, 273 und Nehne, Methodik und allgemeine Lehren, S. 255 f. 475 Winkler von Mohrenfels, ZEuP 2013, 699, 710; Giuliano/Lagarde, BTDrucks. 10/503, S. 33, 62. 476 Rauscher/von Hein, Artikel 3 Rom I-VO, Rn. 40; MK-BGB/Martiny, Artikel 3 Rom IVO, Rn. 105; BeckOK-BGB/Spickhoff, Artikel 3, Rn. 13; von Bar, IPR II, Rn. 473 ff. 477 Daher nennt man die Regel auch „bootstrap-rule“, vgl. Fawcett/Carruthers, Cheshire, North & Fawcett: Private International Law, S. 744; Van Calster, European Private International Law, S. 140; Stoll, FS Heini, S. 429, 434; Spickhoff, Die Rechtswahl und ihre Grenzen unter der Rom I-VO, S. 117, 123. 478 Rauscher/Helms, Artikel 6 Rom III-VO, Rn. 3; Stoll, FS Heini, S. 429 ff.; Kohler, FS von Hoffmann, S. 208, 215. 472
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müssten.479 Diese Kritik trifft sicherlich einen richtigen Kern. Erwägungsgrund (19) Rom III-VO zum Beispiel geht zwar davon aus, dass die Mitgliedstaaten Regeln zur materiellen Wirksamkeit der Rechtswahl erlassen; die Mitgliedstaaten sind so aber nicht vorgegangen. In der Regel muss daher wirklich auf allgemeines Vertragsrecht zurückgegriffen werden, um die Wirksamkeit der familienrechtlichen Rechtswahl zu beurteilen. Es ist nicht klar, wie eine interessengerechte Alternative aussehen könnte. Es gibt hauptsächlich zwei Gegenvorschläge. Einerseits wird vorgeschlagen, anstelle des Vorgriffs auf das gewählte Recht die lex fori heranzuziehen.480 Dem kann jedoch nicht zugestimmt werden. Zum einen stellen sich hier in der Regel die gleichen Probleme wie beim Vorgriff, da auch die lex fori in den meisten Rechtsordnungen keine speziellen Normen für das Zustandekommen der Rechtswahl haben wird. Zudem würden der internationale Entscheidungseinklang und damit die Vorhersehbarkeit der Entscheidung für die Parteien verhindert.481 Wenn die Rechtswahl nicht mit einer Gerichtsstandsvereinbarung verbunden wird, steht das zuständige Gericht möglicherweise erst Jahre nach Abschluss des Vertrages fest. Eine sichere Möglichkeit, die eigenen Rechtsverhältnisse zu planen, hätten die Parteien daher nicht.482 Die Vorgriffslösung führt hingegen dazu, dass alle Mitgliedstaaten das gleiche Recht zur Beurteilung der Wirksamkeitsprobleme heranziehen.483 Andererseits wird gefordert, die Fragen des Zustandekommens autonom in den Rechtsakten selbst zu regeln bzw. den dort vorhandenen Ansätzen zu entnehmen und lediglich für Lückenfüllungen das mitgliedstaatliche Recht heranzuziehen.484 Gegen eine gesetzliche Regelung ist theoretisch überhaupt nichts einzuwenden. Zur Förderung des internationalen Entscheidungseinklangs und im Planungsinteresse der Parteien, das hier entscheidend sein muss, wäre es die optimale Lösung.485 Diese gewaltige Anstrengung, einen Allgemeinen Teil der Vornahme der Rechtswahl zu entwerfen, wurde jedoch wie gezeigt nicht unternommen. Vor dem Versuch, den Ansätzen in den Regelungen selbst eine 479
Börner, IPRax 1995, 309, 313 f. Rauscher/Helms, Artikel 6 Rom III-VO, Rn. 3; für Artikel 14 EGBGB a.F. schon Börner, IPRax 1995, 309, 313 f. 481 Die Wichtigkeit vorhersehbarer und einheitlicher Regelungen betont für die sehr ähnliche Diskussion zur materiellen Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen auch Magnus, IPRax 2016, 521, 523. 482 MK-BGB/Martiny, Artikel 3 Rom I-VO, Rn. 106. 483 Rösler, RabelsZ 78 (2014), 155, 178. 484 Kohler, FS von Hoffmann, S. 208, 215; Stoll, FS Heini, S. 429, 440 ff. will zwar die lex fori heranziehen, er meint aber die Rechtsordnung, die die Rechtswahl gestattet; dies wäre, auf das vereinheitlichte Kollisionsrecht übertragen, der autonomen Regelung gleichzusetzen. 485 Vgl. Maultzsch, Parteiautonomie im Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht, S. 153, 174 f. 480
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
tiefere Bedeutungsebene zu entnehmen und sie extensiv auszulegen, muss hingegen gewarnt werden.486 Die Vorgaben, welche die Verordnungstexte machen, sind sehr begrenzt.487 Wenn man den wenigen Begriffen, die sie vorgeben, nun eine eigene Lehre des Zustandekommens der Rechtswahl entnehmen wollte, würde man mit großer Wahrscheinlichkeit nur die eigenen Vorstellungen an den Rechtstext herantragen und so im Zweifel eine einheitliche Anwendung eher verhindern als fördern. Dies kann im benachbarten Gebiet des Internationalen Zivilprozessrechts festgestellt werden. Auch wenn es sich um eine gewisse materielle Vorgabe handelt, dass Gerichtsstandsvereinbarungen nach Artikel 23 Brüssel I-VO488 „vereinbart“ sein mussten,489 ließ sich allein diesem Begriff nicht das umfangreiche Konzept einer Inhaltskontrolle entnehmen.490 Dies würde die Bedeutungsebene, die der Wortlaut vermittelt, zugunsten einer fast freien teleologischen Auslegung sprengen. Eine dritte Alternative, die, soweit ersichtlich, noch nicht vorgeschlagen wurde, erscheint aus Gesichtspunkten des Schutzes am überzeugendsten: Das Rechtswahlstatut könnte, parallel zum Formstatut, nach dem Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Parteien bestimmt werden. Die Mitgliedstaaten sind nach den Erwägungsgründen der Verordnungen angehalten, Sorge zu tragen, dass die Parteien ihre Rechtswahl in voller Sachkenntnis treffen können. Zwar ist diese Regelung insofern missglückt, als der Verordnungsgeber selbst darauf achten sollte, dass bei der Anwendung keine Schutzlücken auftreten.491 Solange ein autonomes Konzept der Wirksamkeit der Rechtswahl nicht vorliegt, ist es jedoch umso wichtiger, dass die Mitgliedstaaten selbst gesetzgeberisch tätig werden können. Nationale Normen für den Abschluss der Rechtswahl sind jedoch bereits dann wirkungslos, wenn die Ehepartner ein nicht-mitgliedstaatliches Recht wählen. Knüpft man für das Rechtswahlstatut 486 Maultzsch, Parteiautonomie im Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht, S. 153, 174; vgl. auch Gebauer, FS von Hoffmann, S. 577. 487 Siehe sogleich. 488 In der Brüssel Ia-VO spielt dieses Problem keine Rolle mehr, da die materielle Nichtigkeit jetzt nach dem Recht (einschließlich des IPR) des forum prorogatum zu beurteilen ist, dazu: Magnus, IPRax 2016, 521 ff. 489 H.M.: EuGH, Urteil vom 10. März 1992, Rs. C-214/89, Powell Duffryn, Slg. 1992 I1745, Rn. 14 ff.; Fentiman, International Commercial Litigation, Rn. 2.33 ff.; Geimer/Schütze, Artikel 23 EUGVVO, Rn. 75; Spellenberg, IPRax 2010, 464, 466 ff.; Magnus, IPRax 2016, 521, 523; a.A.: Stöve, Gerichtsstandsvereinbarungen nach Handelsbrauch, Art. 17 EuGVÜ und § 38 ZPO, S. 20 ff. 490 LG Mainz, Urteil vom 13. September 2005, Az. 10 HK.O 112/04, WM 2005, 2319, 2323; Weigel/Blankenheim, WM 2006, 664, 666; Gottschalk/Breßler, ZEuP 2007, 56, 72; Magnus, IPRax 2016, 521, 523; a.A.: Reithmann/Martiny/Hausmann, Internationales Vertragsrecht, 8. Teil, Rn. 48; als ein Argument von mehreren auch bei Leible/Röder, RIW 2007, 481, 487. 491 NK-BGB/Hilbig-Lugani, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 16 f.
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hingegen, wie in Artikel 7 Abs. 2 Rom III-VO, an das Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Ehepartner an, wird eine reale Möglichkeit geschaffen, dass die mitgliedstaatlichen Vorschriften zum materiellen Abschluss der Rechtswahl zur Anwendung kommen, und somit auch die besonderen Schutzvorschriften. Hat nur einer der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem teilnehmenden Mitgliedstaat, so sind dessen Regelungen anzuwenden (vgl. Artikel 7 Abs. 4 Rom III-VO). Haben die Ehepartner ihren gewöhnlichen Aufenthalt in verschiedenen Mitgliedstaaten, schadet eine Alternativanknüpfung an das Recht, nach dem die Vereinbarung wirksam geschlossen wurde, nicht. Haben sie den Aufenthalt außerhalb des Anwendungsbereichs der Union, kann de lege ferenda auf letzter Stufe immer noch auf das in der Rechtswahl bezeichnete Recht zurückgegriffen werden. Diese Lösung ist zwar noch nicht ideal, da sie Paare nicht erreicht, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt zum Zeitpunkt der Rechtswahl weder in einem Mitgliedstaat hatten noch das Recht eines Mitgliedstaates gewählt haben. Der Einflusskreis des europäischen Rechts ist jedoch endlich und kann sich nicht auf alle Staaten erstrecken. Sofern also die Union nicht der dringenden Aufgabe nachkommt, eine Rechtsgeschäftslehre der Rechtswahl und ein besonderes materielles Schutzkonzept für die schwächere Partei zu entwickeln, und falls die Mitgliedstaaten dazu übergehen sollten, in Übereinstimmung mit den Erwägungsgründen ein solches Regime eigenständig zu erarbeiten, wäre es angemessener, für die Bestimmung des Rechtswahlstatuts an das Aufenthaltsrecht anzuknüpfen, damit die Partner das Schutzrecht nicht selbstständig umgehen können. Außerhalb der Union, wo eine Rechtswahl in Angelegenheiten des Familienrechts nicht so stark verbreitet ist, fehlen besondere Regeln zur Rechtswahl meistens ganz. Die Aussichten auf eine Verwirklichung dieser Ideen sind allerdings gering. Nationale Vorstöße zur Erarbeitung einer Rechtsgeschäftslehre der Rechtswahl sind genauso wenig ersichtlich wie ein europäischer. Da eine autonome Regelung nicht verwirklicht wurde, die Mitgliedstaaten aber auch keine besonderen materiellen Vorschriften erlassen haben, ist der Vorgriff auf das gewählte Recht somit eine angemessene Lösung492 und zumindest nicht schädlich. 2. Autonome Vorgaben an die Rechtswahl a) Rechtswahl als „Vereinbarung“ aa) Die Vorgaben der Rom III-VO Die Artikel 5 und 6 Rom III-VO sowie die jeweiligen Artikel 22, 24 der Güterrechtsverordnungen bestimmen, dass die Parteien das anwendbare Recht durch „Vereinbarung“ bestimmen können. Dies bedeutet: Die Erlaubnis der 492
Basedow, LA Pintens, S. 135, 143; vgl. auch den Vorschlag für eine Rom 0-VO von Mansel, Parteiautonomie, Rechtsgeschäftslehre der Rechtswahl, S. 241, 273.
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
Rechtswahl ergibt sich allein aus der Rom III-VO selbst, ohne dass ein nationales Recht diese noch zusätzlich erlauben müsste und die Erlaubnis gilt selbst dann, wenn das nationale Kollisionsrecht ausdrücklich keine Wahl vorsieht. Einzige materielle Voraussetzung ist eine Vereinbarung der Ehegatten. Der Begriff der Vereinbarung ist als Vorgabe des Europarechts selbst autonom auszulegen.493 Besondere Bedeutung kommt hier der rechtsaktübergreifenden systematischen Auslegung zu, da der Begriff der „Vereinbarung“ sowohl in den Verordnungen Rom I und II für die Rechtswahl, als auch in der Brüssel Ia-VO und deren früherer Fassung als Voraussetzung für die Gerichtsstandsvereinbarung verwendet wird. Ebenso kann an eine Parallele zum Begriff des Vertrags in Artikel 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO gezogen werden.494 Die Rechtswahl ist ein eigener Vertrag.495 Es wird also von den Parteien verlangt, dass sie sich tatsächlich über das anwendbare Recht einigen.496 Nur so ist es überhaupt möglich, dass beide Parteien ihre kollisionsrechtlichen Interessen zur Wirkung verhelfen können und auf eine gemeinsame Linie bringen können. Das Rechtswahlstatut enthält die Regeln zur Feststellung, ob eine Einigung vorliegt. Die Rom III-VO stellt damit an die Mitgliedstaaten den Auftrag, über das durch den „Vorausgriff“ bestimmte Statut rechtlich festzustellen, ob ein tatsächlicher Konsens zwischen den Parteien herrscht. bb) Dogmatische Konsequenzen und Bewertung Damit sind bestimmte Konstellationen bereits ausgenommen, die nicht für eine gültige Rechtswahlvereinbarung ausreichen. Die Einigung erfordert das Vorliegen zweier Willenserklärungen. Mithin ist ein bloßer Nichtwiderspruch auf das Angebot noch keine Zustimmung.497 Die Frage, ob ein Schweigen eine Zustimmung sein kann, unterliegt hingegen dem Rechtswahlstatut.498 Ebenfalls unzureichend ist eine Wissenserklärung, dass man das Angebot erhalten habe; 493 Ganz herrschende Meinung: Rauscher/Mankowski, Artikel 25 Brüssel Ia-VO, Rn. 135 m.w.N. 494 EuGH, Rs. C-214/89, Powell Duffryn, Slg. 1992 I, 1745, 1774; Rauscher/Mankowski, Artikel 25 Brüssel Ia-VO, Rn. 135; Karré-Abermann, ZEuP 1994, 138, 143 ff. 495 MK-BGB/Martiny, Artikel 3 Rom I-VO, Rn. 14; Rauscher/von Hein, Artikel 3 Rom IVO, Rn. 39; Staudinger/Magnus, Neubearbeitung 2016, Artikel 3 Rom I-VO, Rn. 166; Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 148 ff.; Nehne, Methodik und allgemeine Lehren des europäischen Internationalen Privatrechts, S. 257 f.: „Schuldvertrag“; Kropholler, IPR, S. 461; Mansel, Parteiautonomie, Rechtsgeschäftslehre der Rechtswahl, S. 241, 266: „ein Rechtsgeschäft“ (er umfasst damit auch die einseitige Rechtswahl der EuErbVO); Basedow, RabelsZ 75 (2011), 32, 52 f.: „Verfügungsvertrag“; Kohler, FS von Hoffmann, S. 208, 213; kritisch zur Konstruktion des Verweisungsvertrags Stoll, FS Heini, S. 429, 432 ff. 496 Rauscher/Mankowski, Artikel 25 Brüssel Ia-VO, Rn. 135. 497 Rauscher/Mankowski, Artikel 25 Brüssel Ia-VO, Rn. 138. 498 Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, A, Rn. 399.
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denn das wäre keine Willenserklärung und somit keine Zustimmung zum Angebot.499 Diese Vorgaben sind keineswegs so lapidar, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mögen. Genau durch dieses vertragliche Element unterscheidet sich das moderne IPR vom klassischen IPR. Der Schwerpunkt wird verlagert vom staatlichen Ordnungsinstrument, das dem Gericht einen Rechtsanwendungsbefehl erteilt, zum Instrument zur Verwirklichung individueller Freiheit und Gestaltung privater Lebensverhältnisse. Hinzu kommt: Das Konzept des Schwächerenschutzes des materiellen Privatrechts, das im allgemeinen Teil der Arbeit theoretisch entwickelt wurde, lässt sich nur auf das Kollisionsrecht übertragen, weil das Gesetz eine Einigung verlangt. Dieses erzwingt die Beachtung der Interessen beider Parteien, und zwar nicht generalisiert und heteronom, sondern so, wie die Parteien sie autonom äußern. Freilich lässt sich bei aller Notwendigkeit dieser Klarstellung nicht abstreiten, dass die autonomen Vorgaben für die Wirksamkeit der electio iuris sehr dürftig ausgefallen sind.500 Zieht man parallel die Rom II-VO heran, erstaunt es, dass in Artikel 14 Abs. 1 lit. b) Rom II-VO mit dem Kriterium, die Rechtswahl müsse „frei ausgehandelt“ sein, etwa (zumindest nach herrschender Meinung) ein Vertragsschluss durch AGB ausgeschlossen wird, während die Rom III-VO nicht mit einem Wort auf den Vertragsschluss eingeht.501 Im sensiblen Bereich des Europäischen Familienrechts wird die Aufgabe, materielle Regeln festzusetzen, hingegen auf die Mitgliedstaaten übertragen, Erwägungsgrund (19) Rom III-VO, (47) EuEheGüVO, (46) EuPartGüVO. Diese Regeln kommen dann unter Umständen nicht einmal zur Anwendung, weil das Rechtswahlstatut nicht nach der lex fori, sondern nach dem in der Rechtswahl bezeichneten Recht geregelt wird. b) Zulässigkeit der konkludenten Rechtswahl? Die Frage, ob eine Rechtswahl auch konkludent abgeschlossen werden kann, zählt zu den umstrittensten Problemen des Europäischen Internationalen Familienrechts. Sie ist unmittelbar bedeutsam für den Schutz schwächerer Parteien. Dabei ist nicht die Möglichkeit einer konkludenten Rechtswahl per se negativ. Es besteht aber die Gefahr, vorschnell den Handlungen oder Erklärungen von Personen einen Erklärungswert zu unterstellen, während die Personen selbst ohne diesbezügliches Erklärungsbewusstsein gehandelt haben. Zunächst soll untersucht werden, in welchen Fällen überhaupt eine konkludente Rechtswahl 499 BGH, NJW-RR 2005, 150, 151; Rauscher/Mankowski, Artikel 25 Brüssel Ia-VO, Rn. 138. 500 Kohler, FS von Hoffmann, S. 208, 215. 501 Arnold, Gründe und Grenzen der Parteiautonomie im Europäischen Kollisionsrecht, S. 23, 46; Mansel, Parteiautonomie, Rechtsgeschäftslehre der Rechtswahl, S. 241, 278 f.; jeweils m.w.N.
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
angenommen werden kann und warum dies eine Gefahr für schwächere Parteien bedeuten kann. Anschließend wird die Frage beantwortet, ob über die Zulässigkeit der konkludenten Rechtswahl autonom zu urteilen ist oder ob die mitgliedstaatlichen Rechte darüber zu befinden haben. Zuletzt wird über diese Zulässigkeit selbst entschieden. aa) Konkludente Rechtswahl im Internationalen Familienrecht (1) Möglichkeit einer konkludenten Erklärung in Schriftform Der Frage, ob eine konkludente Rechtswahl statthaft ist, wird ein wenig die Schärfe dadurch genommen, dass die Verordnungen Mindestanforderungen an die formelle Wirksamkeit stellen und es den Mitgliedstaaten überlassen bleibt, noch strengere Formvorschriften zu erlassen. Daher drängt sich zuerst die Frage auf, wie eine konkludente Rechtswahl im Familienrecht überhaupt aussehen könnte. Bei der Schriftform als Mindestform besteht schließlich nicht die typische Gefahr konkludenten Verhaltens, dass die Parteien also eine Handlung vornehmen, die nach objektivem Empfängerhorizont als Willenserklärung ausgelegt werden kann, obwohl die Parteien selbst überhaupt kein Erklärungsbewusstsein haben. Ausgeschlossen ist die konkludente Rechtswahl aber nicht.502 Schließlich kann aus dem Inhalt der schriftlichen Erklärung selbst die Folgerung gezogen werden, dass die Parteien eine konkludente Rechtswahl vornehmen wollten. Man muss sich hier an der Unterscheidung von Kollisionsund Sachrecht orientieren. Eine konkludente Rechtswahl bei vorgeschriebener Schriftform liegt dann vor, wenn aus dem Inhalt einer Erklärung über sachrechtliche Fragen unter Berücksichtigung besonderer Umstände der Erklärung auf das Vorliegen eines kollisionsrechtlichen Erklärungsbewusstseins geschlossen werden kann.503 Mit der ausdrücklichen Erklärung zu sachrechtlichen Fragen wird gleichzeitig konkludent eine internationalprivatrechtliche Erklärung mit abgegeben. Man schließt von einer Ebene auf die andere. Veranschaulichen lässt sich dies an einem Fall, den das OLG Hamm entschieden hat.504 Im Sachverhalt ging es um ein Scheidungsverfahren zwischen ursprünglich iranischen Staatsangehörigen. Die Eheleute heirateten am 14. April 2009 im Iran. Im Oktober 2011 trennten sie sich. In Deutschland hat die Ehefrau 2012 den Scheidungsantrag eingereicht, der einen Tag nach Geltungsbeginn der Rom III-VO anhängig wurde. Die Ehefrau hatte inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen, so dass das deutsch-iranische Niederlassungsabkommen vom 17. Februar 1929 nicht mehr anwendbar war. In
502
Rauscher/Helms, Artikel 5, Rn. 5 Rom III-VO, Rn. 66 mit Fn. 129. Mit einem Beispiel Döbereiner, Rechtswahlfreiheit im Ehegüterrecht, S. 63, 78. 504 OLG Hamm, Beschluss vom 7. Mai 2013, Az. II-3 UF 267/12, IPRax 2014, 349 m. Anm. Helms, 334. 503
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ihrer in Schriftform verfassten Heiratsurkunde hatten die Eheleute Bedingungen vereinbart, die fast wörtlich mehreren Bestimmungen des iranischen Zivilgesetzbuches und des iranischen Gesetzes zum Schutze der Familie entsprachen und nach denen die Ehefrau sich unter bestimmten engen Voraussetzungen von ihrem Mann scheiden lassen durfte.505 Betrachtet man zunächst die Erklärung der Eheleute, so enthält diese auf den ersten Blick lediglich Äußerungen zu sachrechtlichen Aspekten des Eherechts. Aus der Tatsache, dass es sich hierbei um fast wörtliche Kopien von iranischen Normen handelt, könnte man aber schließen, dass die Parteien durch diese Bezugnahme auf kollisionsrechtlicher Ebene konkludent iranisches Recht wählen wollten. Um diesen Eindruck zu verstärken, könnten besondere Umstände der Erklärung herangezogen werden, etwa die Sprache, in der das Schriftstück verfasst ist, der Ort, an dem die Erklärung abgegeben wurde, usw.506 Allgemein lässt sich sagen: Je strenger die formellen Bedingungen, desto geringer ist auch das Risiko einer konkludenten Rechtswahl.507 Je genauer die formellen Anforderungen an die vorzunehmende Handlung sind, desto seltener sind die Möglichkeiten, durch konkludentes Verhalten überhaupt eine Erklärung abzugeben. Je genauer Form und notwendiger Inhalt der Erklärung vorgegeben sind, desto unwahrscheinlicher ist es, dass durch die Umstände der falsche Eindruck einer weiteren konkludenten Erklärung entsteht. Noch seltener dürfte man von einer konkludenten Erklärung ausgehen, wenn eine weitere Person beratend eingeschaltet ist, die dafür sorgt, dass Unklarheiten im Erklärungsverhalten gar nicht erst entstehen können, wie zum Beispiel ein Notar. Wird die Rechtswahl erst während des Verfahrens vorgenommen, so ist sie zu protokollieren. Hier ist eine konkludente Rechtswahl wegen der Prozessleitung durch das Gericht ebenfalls kaum vorstellbar.508 (2) Gefahr einer Überstrapazierung der konkludenten Rechtswahl Es gilt jedoch auch das Umgekehrte: Je geringer die Formerfordernisse und je niedriger die Anforderungen an die Ausdrücklichkeit der Erklärung, desto mehr Handlungsspielraum entsteht, in dem konkludente Erklärungen angenommen werden könnten. So sieht kaum ein Mitgliedstaat eine höhere Form-
505
OLG Hamm, IPRax 2014, 349, 353, Rn. 51. Zur Lösung des OLG Hamm und zu den Gründen, warum hier eine konkludente Rechtswahl dennoch verneint werden musste, siehe sogleich. 507 NK-BGB/Hilbig-Lugani, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 11a; MK-BGB/Winkler von Mohrenfels, Artikel 6 Rom III-VO, Rn. 5; Rauscher/Helms, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 66; Palandt/Thorn, Artikel 6 Rom III-VO, Rn. 2; Mörsdorf-Schulte, RabelsZ 77 (2013), 786, 817. 508 MK-BGB/Winkler von Mohrenfels, Artikel 6 Rom III-VO, Rn. 4; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, A, Rn. 367. 506
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
vorschrift für die Wahl des Scheidungsstatuts vor, so dass es diesbezüglich gemäß Artikel 7 Abs. 1, 3 Rom III-VO oftmals bei der Schriftform bleibt.509 Auch wenn die Eheleute zum Zeitpunkt der Rechtswahl ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hatten, so greifen keine höheren Anforderungen (argumentum e Artikel 7 Abs. 4 Rom III-VO). Dies verleitet zu einer großzügigeren Annahme konkludenter Rechtswahlverträge. Es besteht die Gefahr, eine konkludente Rechtswahl anzunehmen, sobald die Parteien einen sachrechtlichen Ehevertrag abschließen. So lässt sich mit der bereits erwähnten Entscheidung des OLG Hamm vom 7. Mai 2013 ein Fall nennen, in dem das Gericht eine konkludente Rechtswahl zu Unrecht angenommen hat. Eine konkludente Rechtswahl konnte hier nicht vorliegen, da die Parteien zum Zeitpunkt der Rechtswahl gar nicht die Möglichkeit hatten, das Scheidungsrecht zu wählen. Weder das iranische IPR noch das deutsch-iranische Niederlassungsabkommen ließen dies zu. Die Eheleute konnten gar kein kollisionsrechtliches Erklärungsbewusstsein gebildet haben.510 Der Senat räumte in seiner Begründung zwar ein, dass die Ehegatten zum Zeitpunkt der Heirat überhaupt nicht die Möglichkeit der Rechtswahl hatten. Setze man dies aber voraus, würde das Recht der Eheleute, während der Ehe, nach der Trennung und bis zum Abschluss des Scheidungsverfahrens das anwendbare Recht frei zu wählen, beeinträchtigt.511 Der Senat nahm daher eine konkludente Rechtswahl nach Artikel 5 Abs. 1 lit. c) Rom III-VO an. Diese Argumentation geht an der Sache vorbei.512 Das OLG Hamm hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob zum Zeitpunkt des Abschlusses der Heiratsvereinbarung eine konkludente Rechtswahl getroffen wurde. Verneint man dies, streitet man keinesfalls das Recht der Eheleute ab, nachträglich eine solche Rechtswahl vorzunehmen. Das Gericht hätte sich eher mit der Frage auseinandersetzen können, ob die Parteien im Verlauf der Ehe auf eine andere Weise eine Rechtswahl vorgenommen haben. Davon ist indes nicht auszugehen, weil sich eine konkludente Änderung des anwendbaren Rechts irgendwie in einer schriftlichen Erklärung hätte niederschlagen müssen. Ebenso fehlerhaft ist die weitere Argumentation des Senats: Er erklärt ausführlich, dass zumindest eine Anwendung des deutschen Rechts nicht dem Willen der Eheleute zum Zeitpunkt der Heirat entsprochen hätte. Insbesondere sei der Antragsgegner sehr religiös und lege dementsprechend viel Wert auf die Anwendung des iranischen, schiitisch geprägten Rechts.513 Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Ehefrau bereits jahrelang in Deutschland gelebt habe, 509
Vorausgesetzt man folgt nicht der oben S. 254 f. vorgeschlagenen Auslegung. Helms, IPRax 2014, 334, 335. 511 OLG Hamm, IPRax 2014, 349, 353, Rn. 53. 512 elms, IPRax 2014, 334, 335; Winkler von Mohrenfels, ZVglRWiss 115 (2016), 650, 655. 513 OLG Hamm, IPRax 2014, 349, 353 f., Rn. 54. 510
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lediglich ihre Urlaube im Iran verbringe und nach den Heiratsbedingungen das Recht habe, den Wohnort der Ehegatten zu bestimmen. Das OLG Hamm ermittelt hier den hypothetischen Willen der Parteien und legt diesen der konkludenten Rechtswahl zugrunde. Damit verwechselt es jedoch die Kategorien. Konkludent bedeutet eben, dass die Parteien stillschweigend, aber doch erkennbar eine Wahl getroffen haben. Anhaltspunkte dafür, dass sie eine kollisionsrechtliche Rechtswahl treffen wollten, bestanden hingegen im Fall gerade nicht.514 Da sie überhaupt keine Wahl vornehmen konnten, ist der Gedanke, dass sie eine solche vornehmen wollten, abwegig.515 Davon könnte man nur ausgehen, wenn es irgendwelche Hinweise gegeben hätte, dass die Parteien eine Aufenthaltsverlegung nach Deutschland geplant hätten und sich mit den dort bestehenden Gestaltungsmöglichkeiten auseinandergesetzt hätten. Dem Urteil ist zudem vorzuwerfen, dass es sich zu einseitig auf die Interessen des Ehegatten konzentriert und den Willen der Ehefrau, der für die Einigung ebenfalls erforderlich ist, nicht ermittelt. Die Erwägungen, die das Gericht anstellt, passen eher zu einer Ausweichklausel im Rahmen der objektiven Anknüpfung. Die konkludente Rechtswahl ist hingegen der falsche Weg, um zu einem anderen Recht zu gelangen. Im Übrigen hätte sich das OLG Hamm mit der Anwendung des Artikels 10 Rom III-VO auseinandersetzen und darüber wieder zum deutschen Recht gelangen müssen.516 In einem späteren, ähnlich gelagerten Fall war das OLG Hamm schon vorsichtiger in der Annahme einer konkludenten Rechtswahl.517 Es nahm seine Rechtsprechung zur konkludenten Rechtswahl hier allerdings nicht zurück, sondern stellte fest, dass der unterschiedliche Sachverhalt eine Rechtswahl hier ausschließe. Dabei stellte es u.a. darauf ab, dass nicht beide Ehepartner ausschließlich die gleiche Staatsbürgerschaft gehabt hätten. Die gleiche Staatsangehörigkeit ist jedoch kein Indiz, das schon auf eine konkludente Rechtswahl hindeuten könnte. In der Rechtsprechung des OLG Hamm ist die Trennung zwischen dem hypothetischen Willen der Parteien, wenn sie ein kollisionsrechtliches Erklärungsbewusstsein gehabt hätten, und dem tatsächlichen Willen, eine Rechtswahl treffen zu wollen, viel zu unscharf. Die Urteile zeigen die Risiken, die mit einer konkludenten Rechtswahl einhergehen. Es gibt die Tendenz, zu schnell von einer konkludenten Rechtswahl auszugehen und dort einen stillschweigend geäußerten kollisionsrechtlichen Willen der Parteien anzunehmen, wo dieser gar nicht gebildet wurde. Besonders Personen, die nicht über hinreichende Informationen verfügen, die vielleicht von den Problemen der internationalen Dimension überfordert sind, wird 514
Rauscher/Helms, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 67. Winkler von Mohrenfels, ZVglRWisS. 115 (2016), 650, 655. 516 Helms, IPRax 2014, 334, 335; strittig, siehe unten § 7 B. II. 3. b). 517 OLG Hamm, Beschluss vom 22. April 2016, Az. II-3 UF 262/15, NZFam 2016, 1035, 1038, Rn. 28; vgl. auch zuletzt OLG Hamm, Beschluss vom 6. Januar 2017, Az. II-3 UF 106/16, NJW-RR 2017, 326. 515
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eine Willensäußerung zugeschrieben, die sie nicht treffen wollten und die ihren tatsächlichen internationalprivatrechtlichen Interessen zuwiderläuft. Wenn die Partei mit einem größeren Informationsvorsprung geschickt genug vorgeht, kann sie in dem Schriftstück, das Mindestbedingung für die Rechtswahl ist, genügend Hinweise hinterlassen, die als hinreichende Anhaltspunkte für eine Rechtswahl vom Gericht aufgefasst werden könnten. Ob die Ehefrau im vom OLG Hamm entschiedenen Fall tatsächlich eine Rechtswahl vornehmen wollte, ist für das Gericht letztlich nicht mehr entscheidend. Ausschlaggebend sind die hypothetischen Interessen des Ehemannes, denen die Ehefrau nicht widersprochen hat. Wegen dieser Gefahr der einseitigen Bestimmung des anwendbaren Rechts durch einen der Partner mit einem Informationsvorsprung vor dem anderen Partner, ist die Frage der Zulässigkeit der konkludenten Rechtswahl unmittelbar relevant für ein kohärentes Schutzkonzept im Europäischen Familienkollisionsrecht. bb) Autonome Vorgabe oder Frage des Rechtswahlstatuts Es ergibt sich nicht ohne weiteres aus den Verordnungstexten, ob die Zulässigkeit der konkludenten Rechtswahl unionsautonom zu entscheiden ist oder ob diese Frage dem Rechtswahlstatut überlassen wird. Die Frage wird daher auch unterschiedlich beantwortet. Hier scheint sich seltsamerweise eine Art LänderFront entwickelt zu haben. Während man in Deutschland davon ausgeht, dass diese Frage auf unionsrechtlicher Ebene zu entscheiden ist,518 nimmt man in Österreich an, dass sie dem Rechtswahlstatut überlassen bleibt.519 Ob das damit zusammenhängt, dass in Österreich mit Artikel 11 IPR-Gesetz in Verbindung mit § 863 ABGB bereits eine explizit internationalprivatrechtliche (und nicht bloß allgemein vertragsrechtliche) Regelung existiert, ist eine reine Vermutung. Diejenigen, die eine autonome Auslegung befürworten, geben leider keine Begründung für ihre Ansicht. Sicher ist, dass eine autonome Regelung sinnvoll wäre. Dies erleichtert den Ehegatten die Rechtsanwendung und ihre Planung. Sie müssen ansonsten noch erst das Rechtswahlstatut ausfindig machen und in diesem überprüfen, ob eine konkludente Rechtswahl zulässig ist. Das ist umständlich. Es muss daran erinnert werden, dass eine konkludente Rechtswahl in Österreich nur möglich ist, wenn die Partner auch tatsächlich österreichisches Recht wählen und nicht nur deshalb, weil sie ihre Wahl in Österreich
518
Hausmann, Internationales und Europäisches Scheidungsrecht, A, Rn. 366; NKBGB/Hilbig-Lugani, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 11; Rauscher/Helms, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 63. 519 Rudolf, EF-Z 2012, 101, 104; Traar, ÖJZ 2011, 805, 810; Nitsch, ZfRV 2012, 264, 266.
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machen. Was wünschenswert ist, muss allerdings damit noch nicht der Rechtslage entsprechen. Im Wortlaut der Verordnung selbst findet sich kein Anhaltspunkt zur Beantwortung der Frage. Dies könnte allerdings schon als erster Anhaltspunkt dafür gewertet werden, dass die Frage vom Rechtswahlstatut entschieden werden muss. Andererseits kann genau dieses Schweigen auch als Argument für die autonome Auslegung herangezogen werden. Zieht man nämlich die anderen Rechtsakte zum Kollisionsrecht heran, so kann man erkennen, dass sowohl die Rom I- als auch die Rom II-Verordnung und die EuErbVO Bestimmungen zum konkludenten Abschluss des Rechtswahlvertrags aufgenommen haben.520 Das Schweigen über die stillschweigende Rechtswahl könnte daher ebenso deren stillschweigende Zulassung bedeuten. Die Gesetzgebungsgeschichte ist ebenfalls nicht sehr aussagekräftig. Zu den Beratungen der Rom III-VO lässt sich nichts in Erfahrung bringen. Der erste Entwurf der EuEheGüVO sah immerhin in Artikel 19 Abs. 2 vor, dass die Rechtswahl zumindest „ausdrücklich“ zu erfolgen habe. In der finalen Fassung fehlt diese Aussage. Aber auch diese Streichung lässt sich in zwei Richtungen interpretieren: entweder man will damit die Frage den nationalen Rechten überlassen oder eine konkludente Rechtswahl gerade ermöglichen. Letztlich ist es jedoch überzeugender, die Zulässigkeit der konkludenten Rechtswahl auf der autonomen Ebene zu entscheiden. In Teil a) wurde festgestellt, dass die Verordnungen den Tatbestand der Vereinbarung vorgeben und die Rechtswahlstatute rechtlich zu bewerten haben, ob dieser Tatbestand erfüllt ist. Wenn der Tatbestand eine „Einigung“ vorgibt, kann daraus nicht gefolgert werden, was bei Irrtümern oder Willensmängeln gelten soll. Dies entscheidet das Rechtswahlstatut auf nationaler sachrechtlicher Ebene. Zum Tatbestand gehört aber noch die Frage, ob die Einigung ausdrücklich oder stillschweigend zu erfolgen hat. Hierzu haben sich auch die Verordnungen bislang immer geäußert und diese Frage nicht dem Rechtswahlstatut überlassen. Das Schweigen der Verordnungen sollte daher zumindest nicht als Überantwortung der Frage an das Rechtswahlstatut verstanden werden. Somit muss durch Auslegung der Verordnungen selbst entschieden werden, ob Rechtswahlvereinbarungen stillschweigend getroffen werden können. cc) Zulässigkeit der konkludenten Rechtswahl Eine Auslegung, die mit dem Wortlaut anfängt, stößt auf das Problem, dass die Verordnungstexte kein Wort darüber verlieren, ob eine stillschweigende Rechtswahl zulässig ist. Wie bereits gesagt, ist es schwierig, hieraus eine Schlussfolgerung zu ziehen. Einerseits könnte es sich um ein beredtes Schweigen handeln: Wenn die Texte eine konkludente Vereinbarung nicht explizit 520
Mansel, Parteiautonomie, Rechtsgeschäftslehre der Rechtswahl, S. 241, 274 ff.
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verbieten, erlauben sie diese implizit.521 Allerdings war es in den übrigen europäischen Verordnungen zum Kollisionsrecht bislang explizit ausgewiesen worden, dass sich eine Rechtswahl auch aus den Umständen ergeben kann.522 Besonders mit den Zusätzen „eindeutig“ oder „mit hinreichender Sicherheit“ konnten noch Hürden gegen eine Überstrapazierung gesetzt werden. Es wäre verwunderlich, wenn die Union gerade im Familienrecht, wo es ausweislich der Erwägungsgründe darauf ankommen soll, dass die Partner gut informiert sind, überhaupt keine Mahnung an die Gerichte mehr geben soll. Vielleicht hat der Verordnungsgeber auch fälschlich angenommen, dass bei einer Schriftform eine konkludente Erklärung gar nicht mehr möglich ist. Letztlich ist es immer schwierig, aus einer fehlenden Regel eine positive Aussage zu machen. Nicht erst auf Tatsachenebene sollte man sich hüten, in uneindeutige Erklärungen vorschnell eine konkludente Rechtswahl hineinzulesen. Das gilt bei uneindeutigen Normen genauso für die Zulässigkeit der stillschweigenden Rechtswahl selbst. Zudem wird das systematische Argument vorgebracht, dass Artikel 6 Abs. 2 Rom III-VO und die Artikel 24 Abs. 2 der Güterrechtsverordnungen nur einen einigermaßen sinnvollen Anwendungsbereich hätten, wenn sich die Ausweichklausel auf konkludentes Verhalten beziehe.523 Helms hat jedoch zurecht darauf hingewiesen, dass man „das Pferd von hinten aufzäumen“ würde, wenn man die Verordnungen so auslegte, dass diese Regeln, die relativ unbedarft einfach aus der Rom I-VO übernommen wurden, einen Anwendungsbereich bekämen.524 Zudem setzen sich diejenigen, die die Einwände dieser Absätze als Argument heranziehen wollen, in einen dogmatischen Widerspruch. Sie wollen zwar autonom bestimmen, ob eine konkludente Rechtswahl zulässig ist, beantworten diese Frage aber durch den Verweis auf Artikel 6 Abs. 2 Rom IIIVO und Artikel 24 Abs. 2 Güterrechts-Verordnungen dem Rechtswahlstatut.525 Mit dem Einwand kann man jedoch nur von den Regelungen des durch Anknüpfung bestimmten Rechtswahlstatuts abweichen, nicht hingegen die autonomen Vorgabe der stillschweigenden Rechtswahl umgehen. So verschafft 521
NK-BGB/Hilbig-Lugani, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 11a; Andrae, FS Martiny, S. 3,
11. 522 Artikel 3 I Rom I-VO: „eindeutig aus den Umständen“; Artikel 14 Abs. 1 S. 2 Rom IIVO: „mit hinreichender Sicherheit“; Artikel 22 II EuErbVO: „muss sich aus den Bestimmungen einer […] Verfügung [von Todes wegen] ergeben“. Dies wird von der herrschenden Meinung als konkludente Rechtswahlmöglichkeit interpretiert, vgl. MK-BGB/Dutta, Artikel 22 EuErbVO, Rn. 13; Rauscher/Helms, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 63; a.A.: Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 142. 523 Gruber, IPRax 2012, 381, 387; NK-BGB/Hilbig-Lugani, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 11a; vgl. auch Winkler von Mohrenfels, ZEuP 2013, 699, 711. 524 Helms, IPRax 2014, 334 f. 525 Siehe Gruber, IPRax 2012, 381, 387; NK-BGB/Hilbig-Lugani, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 11a; vgl. auch Winkler von Mohrenfels, ZEuP 2013, 699, 711.
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man der Regel des Artikels 6 Abs. 2 Rom III-VO nicht wirklich einen Anwendungsbereich, sondern wendet sie analog an.526 Von der Sonderanknüpfung werden dann höchstens die Fälle erfasst, in denen das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts und das Rechtswahlstatut ein bestimmtes Verhalten als konkludente Zustimmung unterschiedlich bewerten. Dafür müsste aber eine gefestigte Judikatur vorliegen, was auf Grund der geringen Verbreitung der Rechtswahlmöglichkeiten im Internationalen Familienrecht unwahrscheinlich ist. Solche Bestimmungen werden nämlich gewöhnlich nicht detailliert im Gesetz festgelegt, sondern den Gerichten zur Entscheidung überlassen. Hinzu kommt, dass das Verhalten durch die Formanforderungen schon weitestgehend vorentschieden ist. Die Zahl dieser Fälle wäre wirklich grotesk gering.527 Für die EuEheGüVO ist auffallend, dass Artikel 19 des Entwurfs vorsah, die Rechtswahl müsse ausdrücklich erfolgen.528 Die Fassung, die die Verordnung letztlich erlangt hat, kam über einen Änderungsvorschlag des Parlaments zustande. Eine Erklärung dazu gibt es nicht, bloß den (unverständlichen) Hinweis, diese Formulierung würde Artikel 5 Abs. 2 EuErbVO ähneln.529 Sie ähnelt tatsächlich eher der Rom III-VO. Eine Stellungnahme zu der hier interessierenden Frage ist damit jedoch nicht verbunden. Die Gesetzgebungsgeschichte ist daher ebenso unergiebig. Letztlich scheint es sich einfach um eine unvorsichtige Arbeit des Verordnungsgebers zu handeln. Er scheint schlicht vergessen zu haben, die Frage zu regeln. Entscheidend ist daher die teleologische Auslegung.530 Hier muss es ebenfalls entscheidend auf Belange des Schwächerenschutzes ankommen, wie er in Erwägungsgrund (18) vorgegeben ist. Jeder Ehegatte muss sich demnach genau über die rechtlichen und sozialen Folgen der Rechtswahl im Klaren sein. Da dies nicht sichergestellt werden kann, besteht die Gefahr, dass der Ehegatte mit einem geringeren Informationsniveau ein Schriftstück unterschreibt, in dem Andeutungen enthalten sind, die von der anderen Partei vielleicht sogar als solche beabsichtigt sind oder die zumindest so ausgelegt werden können. Da das Formniveau in vielen Fällen eben nicht ausreicht, um ein Bewusstsein beider Ehegatten für die internationale Ebene zu gewährleisten, ist es hier besonders einfach, einen Ehegatten „über den Tisch zu ziehen.“531
526
Zu dieser Vorschrift siehe sogleich. Mansel, Parteiautonomie, Rechtsgeschäftslehre der Rechtswahl, S. 241, 272. 528 Martiny, IPRax 2011, 437, 449. 529 EU-Parlament, P7_TA(2013)0338, S. 36 530 Rauscher/Helms, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 64; Helms, FamRZ 2011, 1765, 1768. 531 Schurig, FS von Hoffmann, S. 405, 408; vgl. auch Rauscher/Helms, Artikel 5 Rom IIIVO, Rn. 64. 527
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Im Ergebnis ist eine konkludente Rechtswahl daher nicht zulässig.532 Auch wenn die Fälle, in denen eine konkludente Rechtswahl in Betracht kommt, selten sind, so hat die Praxis bereits gezeigt, dass sie vorkommen können. Den Missbrauchsgefahren muss hier wirksam entgegengetreten werden. Ein Bedürfnis der Praxis nach einer konkludenten Rechtswahl kann hier nicht ausschlaggebend sein. Die Rom III-VO sieht immerhin noch die Möglichkeit vor, dass die Paare ihre Rechtswahl noch im Prozess nachholen können, wenn sie dies möchten und auch nach den Güterrechtsverordnungen können die Parteien ihr Recht rückwirkend wählen, wenn sie beide von dessen Geltung ausgegangen sind. Vor allem darf nicht ihr hypothetischer Wille Maßstab für die Anknüpfung werden, sondern nur ein klar ausgedrückter und informierter Konsens. 3. Einwand der fehlenden Bindung a) Hintergrund der Vorschrift und Anwendung Die Verordnungen enthalten als Ergänzung zum Rechtswahlstatut jeweils eine Vorschrift, die offensichtlich als Schutz für die schwächere Partei gedacht sind. Artikel 6 Abs. 2 Rom III-VO erklärt: „Ergibt sich jedoch aus den Umständen, dass es nicht gerechtfertigt wäre, die Wirkung des Verhaltens eines Ehegatten nach dem in Absatz 1 bezeichneten Recht zu bestimmen, so kann sich dieser Ehegatte für die Behauptung, er habe der Vereinbarung nicht zugestimmt, auf das Recht des Staates berufen, in dem er zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.“ Die Güterrechtsverordnungen enthalten in ihrem Artikel 24 Abs. 2 eine anders formulierte Vorschrift, die aber den gleichen Regelungsgehalt aufweist. Im Haager Unterhaltsprotokoll fehlt eine solche Norm. Inspiriert wurden die Vorschriften durch Artikel 10 Abs. 2 Rom I-VO. Im Anwendungsbereich der Rom I-VO hat diese durchaus ihre Berechtigung.533 Im internationalen Wirtschaftsleben gibt es viele Situationen, in denen die nationalen Rechtsregeln zum Vertragsschluss abweichen, etwa auf welche Weise eine Zustimmung zu AGB zu erfolgen hat.534 Eine Person, die bislang nur an die Vertragsschlussregeln ihres nationalen Rechts gewöhnt ist, könnte hier arglos handeln, so dass ihr Verhalten nach dem berufenen Recht als wirksame Einwilligung in den Vertragsschluss gesehen wird, während sie tatsächlich aber (um es mit den deutschen Kategorien zu sagen) kein Erklärungsbewusst532 Corneloup/Joubert, Article 10 Rome III, Rn. 9, Fn. 12; Rauscher/Helms, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 64; Helms, FamRZ 2011, 1765, 1768; Pfütze, ZEuS 2011, 35, 52; Mörsdorf-Schulte, RabelsZ 77 (2013), 786, 817. 533 Dazu etwa Staudinger/Hausmann, Artikel 10 Rom I-VO, Rn. 43; MK-BGB/Spellenberg, Artikel 10 Rom I-VO, Rn. 190 ff. 534 Reithmann/Martiny/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rn. 3.18 ff.
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sein hatte oder ihre Erklärung zumindest nicht als Zustimmung aufgefasst wissen wollte. Die Verordnung gewährt ihr deshalb eine Einrede,535 dass sie sich ausnahmsweise auf das Recht des Staates ihres gewöhnlichen Aufenthalts berufen kann. Erforderlich ist jedoch eine Interessenabwägung zu ihren Gunsten.536 Dasselbe gilt nun auch für die Rechtswahl im Familienrecht. Kritisch angemerkt muss hier aber werden, dass die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts einer Partei unvorhergesehene und unverdiente Vorteile gewähren kann. Das Recht, das nach Artikel 6 Abs. 2 Rom III-VO und Artikel 24 Abs. 2 der Güterrechts-Verordnungen maßgeblich ist, kann auch ein anderes sein als dasjenige, auf das die Partei zum Zeitpunkt der Rechtswahl vertraut hat. Eine Partei kann also durch den späteren Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts die Unwirksamkeit der Rechtswahl selbst herbeiführen.537 Zwar wird, im zweiten Schritt, in diesem Fall die Gesamtabwägung zu Ungunsten der Person ausfallen, die sich auf die Vorschrift beruft, wenn ihr aktueller gewöhnlicher Aufenthalt nicht demjenigen zum Zeitpunkt der Rechtswahl entspricht. Insgesamt erscheint die Anknüpfung an das Recht zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts aber nicht überzeugend: Im umgekehrten Fall wird der Person nämlich der Schutz des Rechts ihres Aufenthalts zum Zeitpunkt der Rechtswahl entzogen, wenn sie diesen Aufenthalt später verlegt und ihr neues Aufenthaltsrecht hinter diesem Schutzniveau zurückbleibt. b) Anwendungsbereich im Familienrecht Stellt man sich die Frage, welchen Anwendungsbereich die Vorschrift im Internationalen Familienrecht haben soll, kann ein Vergleich zum Internationalen Wirtschaftsrecht helfen. In Verbindung mit Artikel 3 Abs. 5 Rom I-VO gilt die gleichlautende Vorschrift des Artikels 10 Abs. 2 Rom I-VO auch für die dortige Rechtswahlvereinbarung. Man könnte versuchen, den Anwendungsbereich zu übertragen. AGB wie im Wirtschaftsrecht kommen im Familienrecht nicht vor.538 Man müsste schon mit boshafter Fantasie einen Fall entwickeln, in dem ein Ehemann den mehreren Ehefrauen, die er nach seiner Rechtsordnung heiraten kann oder die er im Laufe seines Lebens heiraten möchte, formularvertragsmäßige
535 OLG München, Urteil vom 28. September 1989, Az. 24 U 391/87, IPRax 1991, 46, 49 f.; OLG Düsseldorf, Urteil vom 20. Juni 1997, Az. 7 U 196/95, RIW 1997, 780; MKBGB/Spellenberg, Artikel 10 Rom I-VO, Rn. 216. 536 MK-BGB/Spellenberg, Artikel 10 Rom I-VO, Rn. 224 ff; Mörsdorf-Schulte, RabelsZ 77 (2013), 786, 820. 537 Althammer/Mayer, Artikel 6 Rom III-VO, Rn. 6; Basedow, LA Pintens, S. 135, 143; Gruber, IPRax 2012, 381, 387; Mörsdorf-Schulte, IPRax 77 (2013), 786, 820. 538 MK-BGB/Winkler von Mohrenfels, Artikel 6 Rom III-VO, Rn. 5.
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Rechtswahlklauseln vorlegt. Rauscher schlägt vor, unter AGB auch Rechtswahlklauseln zu fassen, die ein Rechtsberater in einer Vielzahl von Fällen verwendet hat.539 Hierbei handelt es sich aber schon begrifflich nicht um allgemeine Geschäftsbedingungen. Diese werden einseitig von einer Vertragspartei gestellt. Der ‚Verwender‘, der die Klausel für mehrere Fälle heranzieht, ist im Beispielsfall jedoch der Rechtsberater, während der Vertragsinhalt individuell von den Parteien ausgehandelt wird. Die Situation ist daher nicht mit der AGBVerwendung vergleichbar. Die Ausweichklauseln helfen auch nicht bei einer konkludenten Rechtswahl, da diese bereits nach autonomen Vorgaben nicht zulässig ist.540 Durch die Mindestanforderung der Schriftform und vor allem durch die weitergehenden Formerfordernisse der Mitgliedstaaten ist es daher insgesamt wohl ausgeschlossen, dass sich ein Fall finden wird, nach dem das Verhalten der Person nach dem Recht ihres gewöhnlichen Aufenthaltes anders zu beurteilen wäre als nach dem Rechtswahlstatut. Mörsdorf-Schulte nennt den Anwendungsfall, dass eine Rechtswahlvereinbarung über E-Mail abgeschlossen wird. Diese Möglichkeit ist zwar rechtspolitisch verfehlt, aber geltendes Recht.541 Mörsdorf-Schulte meint nun, dass diese Form so ungewöhnlich sei, dass hier oftmals der Rechtsbindungswille (eher: das Erklärungsbewusstsein) fehlen wird. In diesen Fällen könne die Person sich auf die Sonderanknüpfung berufen.542 Dieser Ansatz geht in die gleiche Richtung wie derjenige von Hohloch, der Fragen des Irrtumsrechts in den Anwendungsbereich der Vorschrift einbeziehen möchte.543 Allerdings lassen sich beide Ansichten nicht mit dem Wortlaut vereinbaren. Dass die Rechtswahlvereinbarungen über E-Mail abgeschlossen werden können, wird durch die Rom III-VO vorgegeben, nicht durch die mitgliedstaatlichen Rechte. Die Ausweichklauseln sind hier nicht anwendbar. Allgemein zählen die Irrtümer zum inneren Tatbestand der Willenserklärung und werden nicht erfasst.544 Der Einwand der fehlenden Bindung hat daher im Familienrecht keinen großen Sinn.545 Durch die Vorgabe der unterschriebenen Urkunde, in Deutschland die Notwendigkeit der notariellen Beurkundung, dem Erfordernis der elektronischen Signatur im elektronischen Rechtsverkehr, das Verbot konkludenter 539
Rauscher, IPR, Rn. 819. Siehe oben § 6 A. I. 2. b). 541 Siehe oben § 5 B. I. 1. a) bb). 542 Mörsdorf-Schulte, RabelsZ 77 (2013), 786, 819 f. 543 Erman/Hohloch, Artikel 6 Rom III-VO, Rn. 2. 544 Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, A, Rn. 398. 545 Rauscher/Helms, Artikel 6 Rom III-VO, Rn. 14; Althammer/Mayer, Artikel 6 Rom III-VO, Rn. 6; Andrae, Internationales Familienrecht, § 4, Rn. 22; Lardeux, Recueil Dalloz 2011. 1835, 1841; Winkler von Mohrenfels, ZEuP 2013, 699, 711; Mörsdorf-Schulte, RabelsZ 77 (2013), 786, 820. 540
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Vertragszustimmungen, ist kein vernünftiger Anwendungsbereich der Vorschrift denkbar. Die Norm ist, wie Basedow angemerkt hat, „less reasonable (but harmless)“.546 4. Fazit Mit der Ausweichklausel für das Rechtswahlstatut fügt sich das letzte Stück in ein Gesamtbild: Die Regelungen für die materielle Wirksamkeit in den Verordnungen sind insgesamt missraten. Es ist nicht einzusehen, warum der Verordnungsgeber die Rechtsanwender bei so vielen wichtigen Fragen im Stich lässt. Die Zulässigkeit der konkludenten Rechtswahl wurde in den anderen Verordnungen extra geregelt. Im besonders sensiblen Bereich des Familienrechts, in dem eben keine professionellen Akteure unter den Parteien sind, fehlt eine solche Regelung und man muss sich mit extrem unsicheren Auslegungen begnügen. Eine nur halb so große Sorgfalt oder selbst nur die floskelhafte Wiederholung von bereits verwendeten Formulierungen würde die Auslegung deutlich vereinfachen und zumindest Rechtssicherheit herstellen. Stattdessen überantworten die Verordnungen den Mitgliedstaaten die Aufgabe, Regeln für die materielle Wirksamkeit zu erlassen. Diese haben sich jedoch – wenn überhaupt – ausschließlich mit der Schaffung von formellen Hürden beschäftigt. Für die materielle Wirksamkeit muss das materielle Schuldrecht herangezogen werden. Doch selbst wenn einige Länder spezielle Regeln verabschieden würden, kommen sie nur zur Anwendung, wenn die Parteien das Recht dieser Staaten wählen. Die Anknüpfung des Rechtswahlstatuts über den Vorgriff auf das von den Parteien gewählte Recht ist zwar allgemein praktikabel und angemessen. Wenn man aber tatsächlich eigene Normen für die materielle Wirksamkeit von Rechtswahlvereinbarungen erlassen möchte, die auch eine spezielle Schutzrichtung haben, dann bietet sich eher eine Anknüpfung an, die an die Regelungen zur formellen Wirksamkeit angelehnt ist und die die Parteien nicht so leicht umgehen können. II. Haager Unterhaltsprotokoll 1. Autonome Vorgaben Das Haager Unterhaltsprotokoll von 2007 enthält kaum Vorgaben für die materielle Wirksamkeit der Rechtswahl. Artikel 7 und 8 HUP geben lediglich vor, dass die Parteien das anzuwendende Recht nur gemeinsam wählen können. Die Rechtswahl ist also auch hier wieder ein Vertrag.547 Für die Wahl der lex fori im Rahmen eines einzelnen Verfahrens enthält Artikel 7 Abs. 1 HUP eine etwas genauere Festlegung. Die Wahl hat „aus546 547
Basedow, LA Pintens, S. 135, 143. Nur Erman/Hohloch, Artikel 8 HUP, Rn. 1; Rauscher/Andrae, Artikel 8 HUP, Rn. 5.
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drücklich“ zu erfolgen. Damit ist eine konkludente Rechtswahl der lex fori ausgeschlossen.548 Dies gilt auch im Prozess, so dass es nicht dem Prozessrecht des angerufenen Gerichts überlassen bleibt, ob eine bloße Einlassung auf einen Prozess nach der lex fori als Rechtswahl angesehen werden kann.549 Diese Frage ist im Vertragstext autonom vorentschieden. Der Ausschluss des konkludenten Vertragsschlusses für die Wahl der lex fori nach Artikel 7 HUP ist richtig. Artikel 7 HUP lässt Schutzvorschriften zu Gunsten schwächerer Parteien vermissen, wie sie für die allgemeine Rechtswahl nach Artikel 8 HUP gelten:550 Grundsätzlich ist die Wahl der lex fori formfrei,551 die allgemeinen Formvorschriften gelten lediglich, wenn die Wahl vor der Einleitung des Verfahrens erfolgt. Die Schutzvorschriften nach Artikel 8 Abs. 4, 5 HUP kommen ebenfalls nicht zur Anwendung.552 Um dieses Manko auszugleichen, ist die Wahl zunächst beschränkt auf das Recht des Gerichts. Für die Wahl eines anderen Rechts im Verfahren gelten die zusätzlichen Hürden weiterhin.553 Das hinter dieser Erleichterung der Rechtswahl stehende Bedürfnis, den Unterhaltsprozess zu vereinfachen und zu verkürzen, ist jedoch noch kein hinreichender Grund, um eine mit den Anforderungen der Rechtswahl überforderte Partei nicht zu schützen. Das Risiko, dass eine konkludente Rechtswahl angenommen wird, obwohl nicht alle Parteien einen entsprechenden Willen hatten oder ein Bewusstsein für die Gestaltungsmöglichkeiten auf kollisionsrechtlicher Ebene, sind hier sehr groß. Gerade nicht gut informierte Parteien könnten instinktiv davon ausgehen, dass ein Gericht generell nur sein nationales Recht anwendet. In einigen Rechtsordnungen ist das ja auch durchaus der Fall.554 Man muss zwar nicht notwendig eine IPR-Vorlesung besucht haben, um das Gegenteil zu wissen, aber die Idee, dass der lex fori-Grundsatz herrschende Regel ist, dürfte allgemein in nicht rechtskundigen Kreisen verbreitet sein. Da auch die Gerichte sich im eigenen Recht sicherer fühlen, ist die Versuchung groß, jede Äußerung einer Partei, die ohne kollisionsrechtliches
548
NK-BGB/Bach, Artikel 7, Rn. 9; Rauscher/Andrae, Artikel 7 HUP, Rn. 6; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, C, Rn. 638; Palandt/Thorn, HUP, Rn. 26; Lipp, LA Pintens, S. 847, 855; Henrich, Rechtswahl im Unterhaltsrecht nach dem Haager Protokoll, S. 53, 54. 549 So aber MK-BGB/Siehr, 6. Auflage, Artikel 7 HUP, Rn. 7. 550 Prinz, Das neue Internationale Unterhaltsrecht, S. 215; Bartl, Die neuen Rechtsinstrumente zum IPR des Unterhalts, S. 107. 551 Prinz, Das neue Internationale Unterhaltsrecht, S. 214; es gelten lediglich die prozessualen Regeln der lex fori: NK-BGB/Bach, Artikel 7 HUP, Artikel 14; Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 151; Henrich, Rechtswahl im Unterhaltsrecht nach dem Haager Protokoll, S. 53, 54. 552 Bartl, Die neuen Rechtsinstrumente zum IPR des Unterhalts, S. 107; Prinz, Das neue Internationale Unterhaltsrecht, S. 215; Andrae, FPR 2008, 196, 199. 553 Siehe nur NK-BGB/Bach, Artikel 7 HUP, Rn. 1. 554 Vgl. etwa Andrae, FPR 2008, 196, 199.
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Erklärungsbewusstsein ausgesprochen wurde, als stillschweigende Verweisung einzuordnen. Es könnte dann schon ausreichen, wenn sich eine Partei bloß auf einen Prozess nach der lex fori einlässt.555 Es ist daher überzeugend, dass die Rechtswahl ausdrücklich erklärt werden und das gewählte Recht als solches genau bezeichnet werden muss.556 Im Gegensatz zu Artikel 7 Abs. 1 HUP enthält Artikel 8 HUP keine Beschränkung auf eine „ausdrückliche“ Rechtswahl. Es stellt sich daher die Frage, ob eine stillschweigende Rechtswahl deshalb, als autonome Vorgabe, zulässig ist, oder ob diese Frage vom Rechtswahlstatut beantwortet werden muss. Wieder erscheint es jedoch fragwürdig, das Schweigen in Bezug auf diese Frage ohne weiteres als Aussage zu begreifen.557 Der erläuternde Bericht von Bonomi spricht eher dafür, dass die Haager Konferenz bewusst keine Aussage hierzu treffen wollte. Bonomi schreibt wörtlich: „Hormis certaines limitations à l’admissibilité du choix de la loi applicable et quelques indications quant au moment et à la forme de ce choix, le Protocole passe sous silence d’autres questions relatives à l’existence et à la validité de l’accord par lequel les parties désignent la loi applicable (il ne détermine par exemple pas l’effet d’un éventuel vice du consentement).“558 Dies könnte man so interpretieren, dass das Protokoll tatsächlich alle Fragen des Vertragsschluss, die es für einheitlich regelungsbedürftig erachtet hat, ausdrücklich geregelt hat, alle anderen Regelungen aber dem Rechtswahlstatut überlässt. Nimmt man diese Aussage ernst, so will das Haager Unterhaltsprotokoll lediglich für die Wahl der lex fori im bevorstehenden Prozess sicherstellen, dass diese ausdrücklich erfolgt, während sie die Frage bei Artikel 8 HUP ansonsten nicht für derart wichtig erachtet. Letztlich kann nicht entschieden werden, wie das Schweigen zu verstehen ist. Der Gegensatz zu Artikel 7 HUP ist nicht eindeutig genug. Die Situation ist eine andere als bei der Rom III-VO und den Güterrechtsverordnungen, wo sich an der Systematik erkennen lässt, dass die Verordnungen die Frage der stillschweigenden Rechtswahl grundsätzlich autonom regeln. Lediglich in den neuen Verordnungen wurde das Thema fahrlässig nicht geregelt, so dass aus teleologischen Erwägungen eine eigenständige Lückenschließung vorzunehmen ist. Auf das Haager Unterhaltsprotokoll lässt sich diese Argumentation aber nicht ohne weiteres übertragen, um zu dem Schluss zu gelangen, dass die Frage vom Protokoll geregelt werden muss. Es ist natürlich nur eine Unterstellung, aber wenn tatsächlich im Protokoll durch 555
Das Beispiel nennt MK-BGB/Siehr, 6. Auflage, Artikel 7 HUP, Rn. 7. Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 120. 557 Das Schweigen als konkludente Zulassung einer konkludenten Rechtswahl verstehen Rauscher/Andrae, Artikel 8 HUP, Rn. 6; Palandt/Thorn, HUP, Rn. 31; PWW/Martiny, Haager Unterhaltsprotokoll, Rn. 14; BeckOK-BGB/Heiderhoff, Artikel 8 HUP, Rn. 12; NKBGB/Bach, Artikel 8 HUP, Rn. 22; Staudinger/Mankowski, Artikel 8 HUP, Rn. 16; Andrae, FS Martiny, S. 3, 24; Hausmann, FS Martiny, S. 345, 348; Gruber, IPRax 2014, 53, 56. 558 Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 151. 556
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eine Auslassung die Zulässigkeit einer konkludenten Rechtswahl erklärt werden sollte, wäre dies in den Erläuterungen erwähnt worden. So bleiben nur der nicht eindeutige Gesetzestext und der Hinweis im Bericht, dass alle nicht explizit geregelten Fragen vom Rechtswahlstatut bestimmt werden. Daher sollte dieses Statut auch bestimmen, ob eine konkludente Rechtswahl im Haager Unterhaltsprotokoll zulässig ist.559 Darüber hinaus enthält das Protokoll keine weiteren Vorgaben für das Zustandekommen und die materielle Wirksamkeit der Vereinbarungen.560 Angesichts der klaren Aussagen von Bonomi im erläuternden Bericht besteht kein Zweifel, dass die Fragen des Vertragsschlusses tatsächlich nicht vom Protokoll geklärt werden sollen. In seine Vorschriften sollten daher keine weiteren autonomen Vorgaben hineingelesen werden, wo sie nach den Erwägungen der Haager Konferenz nicht existieren. Hier kommt vielmehr das Rechtswahlstatut zum Tragen. 2. Bestimmung des Rechtswahlstatuts a) Grundsätzliche Anknüpfung Das Protokoll äußert sich, im Gegensatz zu den Rom-Verordnungen nicht dazu, wie das Rechtswahlstatut bestimmt werden soll.561 Dies lässt einen gewissen Raum für flexible Lösungen, wobei auch bei der Lückenschließung der internationale Charakter des HUP und die Notwendigkeit einer einheitlichen Anwendung nicht vergessen werden dürfen (vgl. den Rechtsgedanken von Artikel 20 HUP). Bonomi schlägt im erläuternden Bericht vor, das von den Parteien bezeichnete Recht als Rechtswahlstatut zu bestimmen.562 Das ist die überzeugendste
559
In diese Richtung auch MK-BGB/Staudinger, Artikel 8 HUP, Rn. 18; Lipp, LA Pintens, S. 847, 857, die allerdings beide nicht explizit auf das Problem der konkludenten Rechtswahl eingehen. 560 Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 151. 561 Ganz herrschende Ansicht: vgl. nur Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 151; Rauscher/Andrae, Artikel 8 HUP, Rn. 5. 562 Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 151.
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Lösung.563 Zum einen ist sie in vielen Haager Übereinkommen sowie den Europäischen IPR-Verordnungen gewählt worden.564 Sie entspricht somit auch dem internationalen Charakter und ist auch für die Parteien gut vorhersehbar. Zudem gibt es hier, fast wie bei den EU-Verordnungen keine überzeugende Alternative. Autonome Konzepte lassen sich in die Begriffe des Protokolls nicht hineinlesen. Die lex fori scheidet aus, da zum Zeitpunkt der Rechtswahl das später zuständige Gericht nicht feststeht, so dass den Parteien jegliche Orientierung fehlt. Dass die Rechtswahl immer mit einer Gerichtsstandsvereinbarung nach Artikel 4 EuUnthVO einhergeht, ist nicht zwingend. Eine an den Vorgaben zur Formwirksamkeit in den europäischen Verordnungen orientierte Regel ist hier nicht notwendig, weil die Mitgliedstaaten keine zusätzlichen Schutzregeln zur materiellen Wirksamkeit erlassen müssen, denn die Verordnung nimmt mit Artikel 8 Abs. 5 HUP bereits eine Wirksamkeitskontrolle vor und verfügt auch sonst über weitere speziellen Schutzvorschriften. Ein Ausweichen auf die engste Verbindung, weil man dem rechtspolitischen Signal der bootstrap-rule misstraut,565 ist nicht erforderlich.566 Es würde auch die einheitliche Anwendung des Protokolls gefährden und böte den Parteien ebenfalls keine Hilfe bei der Planung ihrer Rechtswahl. b) Einwand der fehlenden Bindung? Fraglich ist schließlich noch, ob man die Parallele zum Europäischen Kollisionsrecht weitertreiben und einen Einwand analog Artikel 3 Abs. 5 i.V.m. Artikel 10 Abs. 2 Rom I-VO, Artikel 6 Abs. 2 Rom III-VO, Artikel 24 Abs. 2 Güterrechts-VOen zulassen sollte.567 Das ist nicht deshalb überflüssig, weil Artikel 8 Abs. 2 HUP mit den Formerfordernissen eine Überraschung der Parteien ausschließt.568 Die danach geforderte Schriftform ist kein besonders hohes Hindernis und kann die Parteien weder sonderlich warnen, noch sie aufklären. 563
Prinz, Das neue Internationale Unterhaltsrecht, S. 247; Wandt, Rechtswahlregelungen, S. 177 ff., 181 f.; MK-BGB/Staudinger, Artikel 8 HUP, Rn. 18; Erman/Hohloch, Artikel 8 HUP, Rn. 1; Staudinger/Mankowski, Artikel 8 HUP, Rn. 14; NK-BGB/Bach, Artikel 8 HUP, Rn. 23; Rauscher/Andrae, Artikel 8 HUP, Rn. 5; dies., Internationales Familienrecht, § 8, Rn. 159; dies., FPR 2008, 196, 200; Palandt/Thorn, HUP, Rn. 31; Lipp, LA Pintens, S. 847, 857; Maultzsch, Parteiautonomie im Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht, S. 153, 175; Hausmann, FS Martiny, S. 345, 349; Gruber, FS Spellenberg, S. 177, 190; Arnold, Gründe und Grenzen der Parteiautonomie im Europäischen Kollisionsrecht, S. 23, 45 f. 564 Überblick bei Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 151; Maultzsch, Parteiautonomie im Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht, S. 153, 175. 565 Fasching/Konecny/Fucik, Artikel 15 EuUnthVO, Rn. 43. 566 Staudinger/Mankowski, Artikel 8 HUP, Rn. 14. 567 Dafür Erman/Hohloch, Artikel 8 HUP, Rn. 1; Hausmann, FS Martiny, S. 345, 349. 568 So aber Rauscher/Andrae, Artikel 8 HUP, Rn. 5.
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
Da die Frage, ob eine konkludente Rechtswahl zulässig ist, dem Rechtswahlstatut überlassen ist, kommt dem Rechtswahlstatut ein gar nicht so geringer und unwichtiger Anwendungsbereich zu. Der Einwand wird auch nicht deshalb überflüssig, weil die Inhaltskontrolle nach Artikel 8 Abs. 5 HUP diese Fälle auch erfassen könnte.569 Der Einwand der fehlenden Bindung und die Wirksamkeitskontrolle nach Artikel 8 Abs. 5 HUP setzen an verschiedenen Punkten an und betreffen verschiedene Defizite der Rechtswahl. Der Überraschungseinwand greift dann, wenn die Parteien überhaupt kein Erklärungsbewusstsein haben und gar keine Rechtswahl vornehmen wollten. Die Wirksamkeitskontrolle hingegen greift die dialektische Entwicklung der Rechtswahlfreiheit an und will Fremdbestimmung und daraus resultierende unerträgliche Ergebnisse vermeiden. Fehlendes Erklärungsbewusstsein ist hier in der Regel nicht das Problem. Sicherlich können von der Inhaltskontrolle nach Artikel 8 Abs. 5 HUP auch Fälle fehlenden Erklärungsbewusstseins nach ihrem Wortlaut miterfasst werden. Voraussetzung ist aber das offensichtlich unbillige und unangemessene Ergebnis, so dass nicht alle dieser Fälle erfasst sind. Es ist jedoch Grundvoraussetzung, dass beide Parteien zumindest ein Bewusstsein haben, dass sie überhaupt eine Verweisung vornehmen, unabhängig von den Folgen der Rechtswahl. Nimmt man die Vereinbarung der Parteien als Anknüpfungspunkt ernst, ist dieses kollisionsrechtliche Erklärungsbewusstsein Mindestvoraussetzung. Der Einwand der überraschenden Bindung kann auf Wunsch der uninformierten Partei beim Haager Unterhaltsprotokoll die Folgen des Informationsdefizits insoweit rückgängig machen. Da eine solche Vorschrift im Europäischen Kollisionsrecht anerkannt und fast lückenlos verbreitet ist, wird das Ziel einer einheitlichen Anwendung des Protokolls auch nicht aus den Augen verloren. Lässt man den Einwand des fehlenden Bindungswillens zu, schadet dies nicht. Im Gegensatz zur Rom III-VO könnte sich ein praktischer Anwendungsbereich für den diesen entwickeln, da bei der Rom III-VO die Frage der konkludenten Rechtswahl bereits auf autonomer Ebene entschieden ist. B. Schutz durch das Rechtswahlstatut I. Umfang des Rechtswahlstatuts in den europäischen Verordnungen Es kann hier unmöglich auf die verschiedenen Rechtswahlstatute auch nur in den Mitgliedstaaten eingegangen werden. Daher konzentriert sich dieser Absatz auf das deutsche Recht und die Frage, ob dieses geeignete Regeln enthält, um den Vertragsschluss und die materielle Wirksamkeit von Rechtswahlvereinbarungen zu beurteilen. Hierbei ist auffallend, dass das deutsche Recht keine eigenen Regeln zur materiellen Wirksamkeit von Rechtswahlverträgen enthält. Es muss daher auf 569
So Staudinger/Mankowski, Artikel 8 HUP, Rn. 15.
§ 6 Der materielle Vertragsschluss
291
allgemeines Vertragsrecht zurückgegriffen werden.570 Das bedeutet keinen Nachteil oder ein Defizit bezüglich des Schutzes schwächerer Parteien. Das deutsche Privatrecht basiert auf dem Prinzip des „Vor-die-Klammer-Ziehens“ und erhebt dadurch auch den Anspruch, überzeugende Regeln für die Rechtswahl vorzugeben. Für den Schutz schwächerer Parteien wirklich bedeutsame Fragen regelt das Rechtswahlstatut zudem nicht. Es muss bedacht werden, dass einige der wichtigsten Fragen, die groben Modalitäten der Rechtswahl und die Fragen der konkludenten Rechtswahl, bereits autonom entschieden worden sind.571 Das Rechtswahlstatut regelt die Fragen, wann ein Konsens vorliegt. Es umfasst die Regelungen zu Abgabe und Zugang von Angebot und Annahme und Rechtsfolgen eines Dissenses.572 Das deutsche Recht bestimmt zwar auch, dass ein Schweigen auf einen Antrag grundsätzlich keine Zustimmung bedeutet.573 Durch die Formerfordernisse der Verordnungen ist eine Annahme durch Schweigen aber schon grundsätzlich nicht möglich. Darüber hinaus bestimmt das Rechtswahlstatut die Regeln über die Auslegung des Rechtswahlvertrags.574 Das Rechtswahlstatut umfasst nicht die Frage, wann eine Person geschäftsfähig ist und rechtlich eine Rechtswahl vornehmen kann (vgl. Artikel 1 Abs. 2 lit. a) Rom III-VO).575 Zum Personalstatut gehört auch die Frage, ob die Geschäftsfähigkeit durch Eheschließung erweitert wird, was im deutschen Recht Artikel 7 Abs. 1 S. 2 EGBGB ausdrücklich normiert.576 Vorfragen der Geschäftsfähigkeit werden selbstständig nach den Kollisionsnormen der lex fori, in Deutschland nach Artikel 7 EGBGB, angeknüpft.577 Umstritten ist, wie die rechtsgeschäftlichen Folgen der fehlenden Geschäftsfähigkeit zu qualifizieren sind. Sie könnten als so eng mit der Geschäftsfähigkeit verbunden eingestuft werden, dass sie ebenfalls diesem Statut unterliegen.578 Sie könnten aber auch
570 Rauscher/Helms, Artikel 6 Rom III-VO, Rn. 4; allgemein auch Staudinger/Mankowski, Artikel 14 EGBGB, Rn. 140. 571 Siehe oben § 6 A. I. 2. 572 NK-BGB/Hilbig-Lugani, Artikel 6 Rom III-VO, Rn. 3; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, A, Rn. 394. 573 Palandt/Ellenberger, § 147 BGB, Rn. 3. 574 Rauscher/Helms, Artikel 6 Rom III-VO, Rn. 5; NK-BGB/Hilbig-Lugani, Artikel 6, Rn. 2a. 575 Erman/Hohloch, Artikel 6 Rom III-VO, Rn. 1; NK-BGB/Hilbig-Lugani, Artikel 6 Rom III-VO, Rn. 4; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, A, Rn. 396; Rauscher/Helms, Artikel 1 Rom III-VO, Rn. 31. 576 BeckOK-BGB/Mäsch, Artikel 7 EGBGB, Rn. 26; Kropholler, IPR, S. 318. 577 Vgl. Erwägungsgrund (10) Rom III-VO, Erwägungsgrund (20) f. EuEheGü-VO; nur Rauscher/Helms, Artikel 1 Rom III-VO, Rn. 31. 578 Palandt/Thorn, Artikel 7 EGBGB, Rn. 5; BeckOK-BGB/Mäsch, Artikel 7 EGBGB, Rn. 28; Kropholler, IPR, S. 318; Kegel/Schurig, IPR, S. 559.
292
2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
als Teil des Rechtswahlstatuts aufgefasst werden.579 Die erste Ansicht ist indes überzeugender, da die Trennung von Bestimmung der Geschäftsunfähigkeit und deren Folgen künstlich wirkt.580 Die internationalprivatrechtlichen Interessen der nicht voll geschäftsfähigen Person sprechen auch für eine einheitliche Lösung: So kann das Recht, das das Defizit in der Geschäftsfähigkeit anordnet, auch etwa auf die verschiedenen Stufen der Geschäftsunfähigkeit angemessen reagieren, wenn es für beschränkt Geschäftsfähige etwa spezielle Regeln bereithält. Die andere Lösung hätte auch zur Folge, dass die Parteien die Schutzvorschriften selbst festlegen könnten. Das ist nicht wirklich überzeugend. Die Folgen eines Verstoßes gegen ein Gesetz fallen zwar theoretisch ebenfalls unter das Rechtswahlstatut,581 sind aber bedeutungslos, da mit einer Rechtswahl nicht gegen ein Verbotsgesetz verstoßen werden kann. Die Entscheidung über die Zulässigkeit der Rechtswahl wird zudem auf autonomer Ebene getroffen.582 Zwei Problemkreise sind in unserem Zusammenhang von besonderer Wichtigkeit.583 Zum einen enthält das Rechtswahlstatut mit den §§ 142, 119 ff. BGB Normen zum Umgang mit Irrtümern, arglistiger Täuschung und Drohungen. Hier kann kein grundsätzliches Defizit der gesetzlichen Regelungen festgestellt werden. Eine andere Frage betrifft die Teilnichtigkeit der Vereinbarungen. Teilnichtigkeit und Gesamtnichtigkeit werden bedeutsam, wenn die Parteien in ihrer Vereinbarung nicht nur ein Statut festlegen, sondern eine mehrfache Rechtswahl vornehmen. Dies kann in Eheverträgen vor allem vorkommen, wenn nicht bloß ein Scheidungsstatut gewählt wird, sondern zusätzlich das Unterhaltsstatut und das Güterrechtsstatut. Das HUP lädt die Ehegatten geradezu ein, eine umfassende und zusammenhängende Rechtswahl vorzunehmen, indem sie ihnen gestattet, akzessorisch an die übrigen beiden Statute anzuknüpfen (vgl. Artikel 8 Abs. 1 lit. c), d) HUP). Sollte sich eine dieser Bestimmungen als unwirksam herausstellen, ist unklar, wie sich das auf die anderen Fälle einer Rechtswahl auswirkt. Diese Frage könnte grundsätzlich ebenfalls vom Rechtswahlstatut umfasst sein. Diese Qualifikation ist unbedenklich, wenn die unterschiedlichen Vereinbarungen alle auf das gleiche Statut verweisen. Rein tatsächlich werden die Eheleute in den meisten Fällen diese Fragen auch demselben Recht unterstellen. Die leges causae sind dann identisch. Bezeichnen die Parteien aber für die drei Statute drei verschiedene Rechtsordnungen und stellt sich ein Wahl als 579
Althammer/Mayer, Artikel 6 Rom III-VO, Rn. 3; Erman/Hohloch, Artikel 6 Rom IIIVO, Rn. 1. 580 MK-BGB/Lipp, Artikel 7 EGBGB, Rn. 56. 581 NK-BGB/Hilbig-Lugani, Artikel 6 Rom III-VO, Rn. 4. 582 Althammer/Mayer, Artikel 6 Rom III-VO, Rn. 3; MK-BGB/Birk, 5. Auflage, Artikel 7 EGBGB, Rn. 36. 583 Die Wirksamkeitskontrolle bleibt hier weiter ausgeklammert.
§ 6 Der materielle Vertragsschluss
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unwirksam heraus, ist nicht klar, welches Statut über die Teil- und Gesamtnichtigkeit zu entscheiden hat.584 Man könnte dann für jede Rechtswahl über das jeweilige Rechtswahlstatut die dafür einschlägige Regelung heranziehen. Diese Lösung könnte jedoch zu internen Wertungswidersprüchen führen, wenn sich herausstellt, dass nach dem Statut A die Nichtigkeit einer Rechtswahl B keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Rechtswahl A hat, während die Rechtswahl C ebenfalls nichtig ist. Daher ist ein einheitliches Statut für die Teilnichtigkeit erforderlich, solange die Rechtsakte selbst keine autonome Vorgabe für die Teilnichtigkeit treffen.585 Für dieses Sonderstatut bietet sich nur eine Anknüpfung an die lex fori an. Konstruierte Anknüpfungspunkte wie ein gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt oder Staatsangehörigkeit sind für diese Teilfrage nicht besonders überzeugend. Es wird nicht klar, wie über sie die engste Verbindung hergestellt werden kann. Wählt man eine generalklauselartige Kollisionsnorm und stellt auf die engste Verbindung ab, fehlen Kriterien, nach denen diese bestimmt werden könnte. Vorhersehbarkeit der Rechtsfindung und einheitliche Anwendung der Rechtsakte kann so auch nicht hergestellt werden. Die lex fori ist da noch die einfachste Alternative. Sie ist zwar nicht vorhersehbar, da die Parteien aber nicht von der Nichtigkeit der Rechtswahl ausgehen, werden auch keine Erwartungen eines bestimmten Rechts erschüttert. Gilt deutsches Recht, so ist § 139 BGB heranzuziehen. Demnach ist grundsätzlich von Gesamtnichtigkeit aller Rechtswahlvereinbarungen auszugehen.586 Wenn die Rechtswahl in einem Bereich an einem Defizit der Willensbildung leidet, kann dieser Wille im Zweifel nicht die Rechtswahl der anderen Bereiche tragen. Es könnte zu Wertungswidersprüchen kommen, wenn es für einen aus der Sicht der Ehegatten einheitlichen Lebensvorgang zu einer dépeçage kommt. Etwas anderes mag vielleicht gelten, wenn die Parteien verschiedene Rechtsordnungen gewählt haben. Dann ist ihnen die Wertungseinheit von vorneherein nicht so wichtig. Voraussetzung wäre aber auch, dass die verschiedenen Wahlen nicht am selben Defizit leiden, also etwa an einem Willensdefizit. Akzeptabel wäre es noch, wenn die defizitäre Rechtswahl aus formellen Gründen unwirksam ist, die Formvoraussetzungen bei den anderen Vereinbarungen aber eingehalten wurden. Insgesamt dient das Rechtswahlstatut in den europäischen Verordnungen nur dazu, das Vorliegen einer Rechtswahlvereinbarung festzustellen. Einen besonders weiten Umfang hat das Statut nicht. Schutzaspekte sind dabei kaum zu beachten. Es ist daher kein Problem, dass das deutsche Recht keine speziellen Regelungen zur materiellen Wirksamkeit der Rechtswahl enthält, sondern die 584 Mansel, Parteiautonomie, Rechtsgeschäftslehre der Rechtswahl, S. 241, 274; vgl. auch Henrich, LA Pintens, S. 701, 710. 585 Mansel, Parteiautonomie, Rechtsgeschäftslehre der Rechtswahl, S. 241, 274. 586 Palandt/Ellenberger, § 139 BGB, Rn. 1; Henrich, LA Pintens, S. 701, 710.
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2. Kap.: Schwächerenschutz bei der Rechtswahl
allgemeinen Regeln des Vertragsschlusses zur Anwendung kommen müssen. Diese führen durchgängig zu einem vernünftigen Interessenausgleich. II. Umfang des Rechtswahlstatuts beim Haager Unterhaltsprotokoll Für das Haager Unterhaltsprotokoll gelten im Grunde die gleichen Ausführungen wie zu den europäischen Verordnungen.587 Insbesondere umfasst das Rechtswahlstatut auch die Frage, welche Auswirkungen Irrtümer auf den Vertragsschluss haben.588 Ein deutlicher Unterschied besteht nach der hier vertretenen Ansicht lediglich bei der konkludenten Rechtswahl. Hierüber entscheidet das Rechtswahlstatut. Nach deutschem Recht ist eine konkludente Rechtswahl zulässig, da das allgemeine Vertragsrecht eine solche zulässt und Sonderregelungen nicht existieren. An die Annahme einer konkludenten Rechtswahl sind jedoch hohe Anforderungen zu stellen, damit den Parteien nicht vorschnell ein kollisionsrechtlicher Wille unterstellt wird, den diese nicht haben.589 Es besteht besonders die Gefahr, den Parteien einen solchen Willen zu unterstellen, wenn sie eigentlich davon ausgingen, dass sie gar keine Wahlmöglichkeiten hatten.590 Insbesondere darf nicht auf den hypothetischen Willen der Parteien abgestellt werden, weil es gerade um die Ermittlung eines tatsächlichen Willens geht.
587
Vgl. NK-BGB/Bach, Artikel 8 HUP, Rn. 22. Klarstellend Lipp, LA Pintens, S. 847, 857. 589 NK-BGB/Bach, Artikel 8 HUP, Rn. 22; Staudinger/Mankowski, Artikel 8 HUP, Rn. 16; BeckOK-BGB/Heiderhoff, Artikel 8 HUP, Rn. 12; Andrae, Internationales Familienrecht, § 8, Rn. 159; dies., FS Martiny, S. 3, 24; Dethloff, FS Martiny, S. 41, 52 f. 590 BayObLG, Beschluss vom 13. Januar 1994, Az. 3Z BR 66/93 NJW-RR 1994, 771, 772; Rauscher/Andrae, Artikel 8 HUP, Rn. 6. 588
Kapitel 3
Schwächerenschutz nach Vertragsschluss § 7 Ordre public und ähnliche Instrumente § 7 Ordre public und ähnliche Instrumente
Wie die Untersuchung gezeigt hat, muss der Schwächerenschutz, um optimal zu wirken, am Vertragsschluss selbst ansetzen. Hier bestehen konkrete Schwächesituationen, die die Richtigkeitsgewähr des Vertrages ausschließen. Eine Korrektur dieser Defizite zu diesem frühen Zeitpunkt gewährleistet eine freie Willensausübung und ist der Parteiautonomie damit am angemessensten. Da die Schutzinstrumente aber, wie ebenfalls jetzt feststeht, keinen lückenlosen Schutz gewährleisten können, stellt sich die Frage, wie der ex post-Schutz der schwächeren Parteien beschaffen sein muss, um möglichst nur wirklich materiell freie Entscheidungen bestehen zu lassen. Dieses Feld ist mit der größten Unsicherheit versehen, da die Lösungsversuche sehr unterschiedlich sind und jeder Eingriff aus materiellen Schutzerwägungen immer in einem Spannungsverhältnis zur Rechtssicherheit steht. Im Folgenden werden die in Betracht kommenden Möglichkeiten untersucht. Dabei werden die Ausführungen mit dem ordre public begonnen, da man hier auf vermeintlich sicherem Terrain zu stehen meint, bevor sich die Untersuchung den relativ innovativen Normen zuwendet. Ein Rangverhältnis der Methoden wird damit nicht ausgedrückt. Dieses muss an späterer Stelle festgelegt werden.1 Beim ordre public bietet es sich an, zunächst allgemeinen Grundsätze seiner Handhabung vorzustellen. Im zweiten Schritt sollen diese auf das Europäische Internationale Familienrecht übertragen werden. Hierbei wird sich zeigen, wo eine Modifikation vorgenommen werden muss. A. Ordre public I. Allgemeine Grundsätze des ordre public 1. Voraussetzungen des ordre public Die Thematik ordre public ist breit. Wiethölter bemerkt, man könne eine Abhandlung über dieses Thema ebenso gut „das IPR in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im allgemeinen und in allen Besonderheiten“ nennen.2 Schurig
1 2
Siehe unter A. III. Wiethölter, BerDtGesVR 7 (1967), 133, 134.
296
3. Kap.: Schwächerenschutz nach Vertragsschluss
meint, das Thema stehe im Mittelpunkt des IPR bereits seit Aufgabe der Statutentheorie durch Savigny.3 Daher sollen nur knapp die Grundzüge erörtert werden, soweit sie als Grundlage für die spezifischen Ausführungen benötigt werden. Der ordre public zeichnet sich nicht nur durch seine lange Geschichte, sondern auch durch seine weltweite Verbreitung aus. Grundsätzlich wird er in jeder Rechtsordnung bekannt und damit einer der Bausteine des Kollisionsrechts sein, die weltweit anerkannt sind.4 In Deutschland wird er präzisiert in Artikel 6 EGBGB.5 Zudem ist er in allen EU-Verordnungen und internationalen Übereinkommen zum IPR enthalten.6 Der ordre public kann nach klassischer Sicht zwei Funktionen haben: eine positive und eine negative.7 Ob im geltenden Recht diese positive Funktion, die Durchsetzung der Werte des Forums, verwirklicht wird, ist umstritten, in unserem Zusammenhang aber unwesentlich.8 Im Fokus soll hier die negative Funktion stehen. Nach dieser dient der ordre public dazu, die Anwendung einer ausländischen Sachnorm im Einzelfall abzuwehren.9 Seine Anwendung erfordert mehrere Bedingungen:10 Erstens muss die Anwendung einer ausländischen Rechtsnorm zu einem Ergebnis führen, das zu der öffentlichen Ordnung der lex fori in einem unerträglichen Widerspruch steht und offensichtlich unvereinbar mit dieser ist.11 Zweitens wird ein hinreichender Inlandsbezug vorausgesetzt. Der Sachverhalt muss eine Berührung zum Land des angerufenen Gerichts haben. Ansonsten verkäme der ordre public-Vorbehalt tatsächlich zu einer abstrakten Bewertung der ausländischen Norm.12 Diese Berührung muss so stark sein, dass sie Anknüpfungsmoment einer eigenen Kollisionsnorm sein könnte.13 Nach tradierter Ansicht beeinflussen sich die Faktoren Inlandsberührung und Schwere
3
Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 248. BeckOK-BGB/Lorenz, Art. 6 EGBGB Rn. 1; von Bar/Mankowski, IPR I, § 7, Rn. 258. 5 HK-BGB/Dörner, Art. 6 EGBGB, Rn. 1. 6 Hess/Pfeiffer, Studie über die Auslegung des Ordre-public-Vorbehalts, S. 29 ff.; Wurmnest, Ordre public, S. 445, 446. 7 Nur MK-BGB/von Hein, Art. 6 EGBGB Rn. 2 m.w.N.; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 248; Kegel/Schurig, IPR, S. 516; vertieft Spickhoff, Der ordre public im internationalen Privatrecht, S. 112 ff.; Wiethölter, BerDtGesVR 7 (1967), 133, 134. 8 Siehe hierzu MK-BGB/von Hein, Art. 6 EGBGB Rn. 2 ff; Kropholler, IPR, S. 244 f. 9 MK-BGB/von Hein, Art. 6 EGBGB Rn. 1; BeckOK-BGB/Lorenz, Art. 6 EGBGB, Rn. 1; HK-BGB/Dörner, Art. 6 EGBGB Rn. 1; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 248; Spickhoff, Ordre public, S. 113; Kegel/Schurig, IPR, S. 516; Wurmnest, Ordre public, S. 445, 446. 10 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 249 f. 11 Statt aller Kropholler, IPR, S. 245 f. 12 Kropholler, IPR, S. 246. 13 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 250; Kropholler, IPR, S. 246. 4
§ 7 Ordre public und ähnliche Instrumente
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des Verstoßes gegenseitig. Je schwächer die Inlandsberührung ist, desto gravierender muss der Widerspruch zur öffentlichen Ordnung des Gerichtsstaates sein.14 Die Vorbehaltsklausel wirkt somit relativ. Dies soll sogar dann gelten, wenn durch die Entscheidung eine Person in ihren Grundrechten verletzt wird, der Bezug zum Inland aber nur schwach ausgeprägt ist.15 Dem hält eine Mindermeinung zu Recht entgegen, dass die internationale Zuständigkeit des inländischen Gerichts als Inlandsberührung bei Grundrechtsverstößen immer ausreichend ist. Die Rechtsprechung ist nach Artikel 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden und muss dieser Bindung immer folgen, nicht bloß bei einem stärkeren Inlandsbezug.16 Drittens muss neben dem räumlichen Bezug noch eine zeitliche Nähe gegeben sein. Durch Zeitablauf und Gewöhnung der Parteien an den störenden Zustand kann ihm die Härte genommen werden. Zudem kann so ein Wertewandel aufgefangen werden.17 Jedoch soll angemerkt werden, dass auch diese Bedingung nur Wirkung entfalten kann, wenn keine Grundrechtsverletzung im Raume steht. Ein großer zeitlicher Abstand des Sachverhalts zur Gegenwart befreit das Gericht genauso wenig von seiner Grundrechtsbindung wie ein schwacher Inlandsbezug. 2. Rechtsfolgen des ordre public Die Wirkungen des ordre public sind nicht festgelegt und daher umstritten. Artikel 6 S. 1 EGBGB formuliert nur, dass das ausländische Recht, das gegen die Grundwerte des Forums verstößt, nicht angewendet wird. Was an dessen Stelle treten sollte, hat der Gesetzgeber bewusst nicht entschieden, um „der Praxis flexible und differenzierte Lösungen offenzuhalten.“18 Dementsprechend unterschiedlich sind auch die Lösungsmöglichkeiten. Verschiedene Situationen müssen dabei differenziert werden. Zunächst gibt es Fälle, in denen die störende fremde Norm einfach hinweggedacht werden kann, ohne dass ein Normenmangel auftritt, so dass gar keine Lücke geschlossen werden muss. Dies kann etwa bei Verboten der Fall sein.19 Als Beispiel kann man sich eine Konstellation ähnlich dem Spanier-Beschluss20 vorstellen: 14
Siehe umfassende Nachweise bei BeckOK-BGB/Lorenz, Artikel 6 EGBGB, Rn. 16. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 1992, Az. XII ZB 18/92, BGHZ 120, 29, 34; Kropholler, IPR, S. 252; Coester-Waltjen, BerDtGesVR 38 (1998), 9, 32. 16 Looschelders, RabelsZ 65 (2001), 463, 478 ff., 491; für Verletzungen universeller Menschenrechte auch Kegel/Schurig, IPR, S. 527; Kropholler, IPR, S. 253; Voltz, Menschenrechte und ordre public im IPR, S. 292 ff. 17 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 250; Kegel/Schurig, IPR, S. 528 f. 18 BT-Drucks. 10/504, S. 44. 19 MK-BGB/von Hein, Artikel 6 EGBGB, Rn. 211; Kropholler, IPR, S. 34; Rauscher, IPR, Rn. 595; Spickhoff, Der ordre public im internationalen Privatrecht, S. 110; Schwung, RabelsZ 49 (1985), 407, 421. 20 BVerfGE 31, 58. 15
298
3. Kap.: Schwächerenschutz nach Vertragsschluss
Sieht ein ausländisches Recht ein Wiederverheiratungsverbot für Geschiedene vor und verstößt eine solche Norm gegen den ordre public des Staates des angerufenen Gerichts, so fällt das Verbot einfach weg. Dies geschieht, ohne dass eine andere Norm aufwendig ermittelt werden müsste. Dadurch entsteht jedoch kein rechtsfreier Raum. Vielmehr wird das ausländische Verbot durch die inländische Erlaubnis ersetzt. Es kommt also zur Anwendung der lex fori.21 Dass diese Erlaubnisnormen in vielen Fällen ungeschrieben sind, heißt nicht, dass sie nicht existieren. In anderen Fällen kann es dazu kommen, dass die einzig angemessene Lösung eine Norm der lex fori ist, weil jede andere Lösung den nationalen Grundvorstellungen widersprechen müsste. Dann wird auch diese berufen.22 Sollte die Anwendung der ausländischen Norm gegen die öffentliche Ordnung verstoßen, kann es aber auch sein, dass anstelle der nicht angewendeten Norm eine andere Regelung treten muss, da das Gericht sonst nicht zu einem Urteil kommen kann. Hier werden verschiedene Lösungsansätze vertreten. Eine Möglichkeit besteht darin, in diesem Fall immer die lex fori anzuwenden. Dieser Ansatz hat sich vor allem im romanischen Rechtskreis verbreitet. In Frankreich etwa wenden die Gerichte bei einem ordre public-Verstoß immer französisches anstelle des verpönten Rechts an.23 Auch in Österreich, das nicht zu diesem Rechtskreis zählt, ist dies in § 6 Abs. 1 IPRG vorgeschrieben. In Deutschland hat diese Lösung nur wenige Anhänger gefunden.24 Stattdessen hat sich hier die Ansicht durchgesetzt, dass eine modifizierte lex causae zur Anwendung kommen soll. Wie diese geändert werden kann, wird wiederum sehr unterschiedlich beurteilt. Diskutiert wird hier eine geltungserhaltende Reduktion der streitigen Norm,25 eine Ersetzung durch andere Normen des Forums (zum Beispiel statt der lex specialis durch die lex generalis).26
21
Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 252; Schwung, RabelsZ 49 (1985), 407,
421. 22
Kegel/Schurig, IPR, S. 538. Audit, Droit international privé, Rn. 318; Loussouarn/Bourel/Vareilles-Sommières, Droit international privé, Rn. 391; Staudinger/Voltz, Artikel 6 EGBGB, Rn. 222; Spickhoff, Der ordre public im internationalen Privatrecht, S. 103; Schwung, RabelsZ 49 (1985), 407, 409; Wurmnest, Ordre public, S. 445, 474. 24 NK-BGB/Schulze, Artikel 6 EGBGB, Rn. 56; BeckOK-BGB/Lorenz, Artikel 6 EGBGB, Rn. 18; von Bar/Mankowski, IPR I, § 7, Rn. 285 ff. 25 So schon RG, Urteil vom 19. Dezember 1922, Az. III 137/22, RGZ 106, 82, 85 f.; BGH, Urteil vom 28. Oktober 1965, Az. VII ZR 171/63, BGHZ 44, 183, 190 f.; MKBGB/von Hein, Artikel 6 EGBGB, Rn. 236. 26 KG, Beschluss vom 26. Februar 2008, Az. 1 W 59/07, IPRax 2009, 263, 265; Kropholler, IPR, S. 255, von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6, Rn. 154. 23
§ 7 Ordre public und ähnliche Instrumente
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Daneben wird grundsätzlich noch vorgeschlagen, statt auf die lex causae auf eine (durch Rechtsvergleichung) ad hoc zu bildende Ausweichsachnorm zuzugreifen.27 Diese Ansicht wird jedoch kaum vertreten. Wie öfter im IPR steht dieser akademisch anspruchsvollen Lösung der enorme praktische Aufwand entgegen.28 Für die generelle Anwendung der lex fori spricht das Argument, dass ausländisches Recht nur angewendet werden kann, wenn es einen ausdrücklichen Anwendungsbefehl gibt. Im Falle eines Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung wird dieser Befehl hingegen zurückgenommen, so dass anstatt der unanwendbaren ausländischen Norm nur die lex fori in Betracht kommen kann.29 Zudem findet bereits die ordre public-Kontrolle ausschließlich aus der Sicht der lex fori statt. Wenn deren Wertungen schon die Lücke hervorrufen, sollen sie diese auch füllen.30 Hierbei entsteht jedoch ein neues Problem. Grundsätzlich ist nicht das deutsche Recht für diesen Fall berufen, sondern ein anderes Recht. Wir halten die Anwendung des fremden Rechts für die grundsätzlich bessere und gerechtere Lösung. Beim Versuch, die Lücke zu schließen, sollte das ausländische Recht daher so weit wie möglich intakt gelassen werden.31 Dies schont den internationalen Entscheidungseinklang.32 Will man also nicht eine Ersatzanknüpfung vornehmen und ein anderes Recht berufen,33 könnte es daher angemessen sein, eine modifizierte lex causae zur Anwendung zu bringen. Dieses Recht entspricht schließlich der internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit am ehesten. Gegen diese Begründung der herrschenden Meinung sind jedoch einige theoretische Einwände erhoben worden: Der These von der modifizierten lex causae-Anwendung wird vorgeworfen, sie schaffe eigentlich „ein BastardRecht“, das mit der Anwendung des eigentlich berufenen Rechts nichts zu tun habe.34 Denn die Regeln, die schließlich angewendet werden, entsprechen weder der lex causae noch der lex fori. Sie gelten tatsächlich nirgendwo. Daher ist es zumindest aus theoretischer Sicht überaus schwierig, noch von einer Anwendung der lex causae zu sprechen. Diese wird nur so angewendet, wie es niemals ein ausländischer Richter der jeweiligen Rechtsordnung tun würde.
27
Kegel/Schurig, IPR, S. 539; vgl. Rauscher, IPR, Rn. 597. von Bar/Mankowski, IPR I, § 7, Rn. 285. 29 Spickhoff, Der ordre public im internationalen Privatrecht, S. 103; Schwung, RabelsZ 49 (1985), 407, 410. 30 von Bar/Mankowski, IPR I, § 7, Rn. 285. 31 Staudinger/Voltz, Artikel 6 EGBGB, Rn. 212; Kegel/Schurig, IPR, S. 539, Kropholler, IPR, S. 255; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6, Rn. 154. 32 NK-BGB/Schulze, Artikel 6 EGBGB, Rn. 53; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6, Rn. 154. 33 Schwung, RabelsZ 49 (1985), 407, 416 ff. 34 Battifol/Lagarde, Droit international privé, S. 421. 28
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3. Kap.: Schwächerenschutz nach Vertragsschluss
Es ist daher eine Klarstellung notwendig: Die vom Richter im konkreten Einzelfall gefundene Norm ist kein ausländisches Recht.35 Es handelt sich auch nicht um eine Rechtsfortbildung des ausländischen Rechts. Diese wäre lediglich eine Fortentwicklung des Rechts über das gesetzte Recht hinaus, praeter legem. Die Lückenfüllung beim ordre public ist hingegen eine Entscheidung gegen das insoweit eindeutige positive Recht, contra legem. Von der lex fori geht der Befehl aus, eine neue Norm zu schaffen, die sich an der lex causae orientiert. Da es aber der Richter der lex fori ist, der sie erst schafft, muss es sich auch um eine Norm der lex fori handeln.36 Demnach stellt sich der Streit um die Rechtsfolgen des ordre public in neuem Licht dar. Es kommt immer die lex fori zur Anwendung, da die Anwendung der lex causae, wie sie vom ausländischen Rechtssystem vorgegeben ist, untersagt ist. Noch nicht gelöst ist damit die Frage, wie die Richter die Lücke durch die lex fori zu schließen haben. Zwar wird in vielen Fällen die unveränderte Anwendung des Forumrechts die einzige Möglichkeit sein, den Wertungen dieser Rechtsordnung gerecht zu werden. In den anderen Situationen sprechen aber die internationalprivatrechtlichen Interessen der Parteien insbesondere dafür, durch Rechtsfortbildung für den Einzelfall eine neue Sachnorm zu schaffen, die sich an der lex causae oder ihrem Rechtskreis orientiert und so weit wie möglich dem fremden Recht entgegenkommt.37 Dies gilt nicht nur für die Fälle, bei denen der Inlandsbezug gering ist. Dadurch wird berücksichtigt, dass die Interessen der Parteien gerade von der lex fori weg und zu einem anderen Recht hinführen. Der Eingriff in dieses soll so gering ausfallen wie möglich.38 Eine positive Funktion des ordre public wird damit gerade nicht überbetont, sondern es bleibt bei der kollisionsrechtlichen Wertung, dass ein anderes Recht berufen ist, den Fall zu lösen. Dadurch vermeidet man auch die Gefahr, dass durch das Aufeinandertreffen zweier unterschiedlicher Rechtsordnungen neue Probleme, etwa der Anpassung oder der Substitution, entstehen. 3. Erste Schlussfolgerungen für die Untersuchung Aus den Grundzügen zur allgemeinen Vorbehaltsklausel werden bereits einige Schwerpunkte für die genauere Untersuchung klar. Wegen seiner Aufgabe, ein sachrechtlich unerträgliches Ergebnis zu vermeiden, ist einleuchtend, warum der ordre public sich als Instrument des Schwächerenschutzes eignet. Das alleine rechtfertigt eine genauere Betrachtung. Dabei muss auf mehrere Dinge 35
Bucher, Grundfragen der Anknüpfungsgerechtigkeit im internationalen Privatrecht, S. 128; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 255; von Bar/Mankowski, IPR, § 7, Rn. 286; Lorenz, IPRax 1999, 429, 431. 36 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 255. 37 Kegel/Schurig, S. 539. 38 Jayme, Methoden der Konkretisierung des ordre public im Internationalen Privatrecht, S. 35.
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geachtet werden. Die wichtigste Frage lautet, was genau Inhalt der öffentlichen Ordnung ist und wie sie zu bestimmen ist. Fraglich ist zudem, ob dieser Verweis auf die objektive öffentliche Ordnung geeignet ist, konkrete subjektive Schwächen der Parteien auszugleichen. Hierbei könnte sich besonders auswirken, dass der ordre public auf sachrechtliche Unbilligkeiten beschränkt ist, die Ungleichheit der Parteien aber auch ein kollisionsrechtliches Problem darstellt. Dass der Vorbehalt sich traditionell auf das konkrete Ergebnis beschränkt, ist im Auge zu behalten, wenn es um die Analyse von Artikel 10 Rom III-VO geht. Schließlich ist daran zu erinnern, dass der ordre public seine Anwendung bislang eher bei der objektiven Anknüpfung gefunden hat. Gerade wenn es um die Bestimmung der Folgen des ordre public-Verstoßes geht, ist zu untersuchen, ob für die Rechtswahl nicht eine Anpassung angemessen ist. II. Der ordre public im Europäischen Internationalen Familienrecht 1. Der Tatbestand der Vorbehaltsklauseln in den einzelnen Rechtstexten Nunmehr müssen die spezifisch familienrechtlichen Regelungen des ordre public in den einzelnen Regelwerken näher betrachtet werden. a) Die verschiedenen Formulierungen der Vorbehaltsklausel Jedes der drei Regelwerke enthält eine Vorbehaltsklausel zugunsten der öffentlichen Ordnung des angerufenen Gerichts. Erstaunlicherweise ist jede dieser Klauseln anders formuliert. Sie sollen trotzdem gemeinsam behandelt werden. aa) Rom III-VO und die Güterrechtsverordnungen Artikel 12 der Rom III-VO bestimmt: „Die Anwendung einer Vorschrift des nach dieser Verordnung bezeichneten Rechts kann nur versagt werden, wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung (Ordre public) des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich unvereinbar ist.“
Diese Form der Vorbehaltsklausel ist absolut identisch mit der Formulierung in den Verordnungen Rom I und II.39 Die deutschen Fassungen der EuEheGüVO und der EuPartGüVO weichen von diesem Text geringfügig ab. Anstatt dass die Anwendung des fremden Rechts versagt werden „kann“, sagen ihre Artikel 31, dass die Anwendung ausländischen Rechts – unter denselben Voraussetzungen – verweigert werden „darf“. Hierin kann jedoch kein Unterschied gesehen werden, weil die englische Fassung wiederum gleichlautend wie die übrigen Verordnungen ist: „the application […] may be refused.“ Die Identität der Texte ist wichtig für die Auslegung der Vorschriften. Da es keine familienrechtlichen Besonderheiten beim ordre public-Vorbehalt gibt 39
Wurmnest, Ordre public, S. 445, 460.
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und das Instrument vielmehr auf allen Rechtsgebieten gleich funktioniert, ist von einer einheitlichen, rechtsaktübergreifenden Auslegung auszugehen. Der Verordnungsgeber hat somit in Rom III und den Güterrechtsverordnungen das aus Rom I und Rom II bekannte Konzept übernommen, ohne etwas am Anwendungsbereich zu ändern. Auf die dogmatischen Erklärungen für diese Rechtsakte kann daher ohne weiteres zurückgegriffen werden. bb) HUP Artikel 13 des HUP bestimmt: „Von der Anwendung des nach diesem Protokoll bestimmten Rechts darf nur abgesehen werden, soweit seine Wirkungen der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich widersprechen.“
Die Norm knüpft dabei bewusst an die Tradition der ordre public-Vorschriften in früheren Verträgen wie in Artikel 11 des Haager Unterhaltsübereinkommens von 1973 und in zahlreicher anderen Konventionen an.40 b) Anwendung eines fremden Rechts Vorwegzunehmen ist, dass der ordre public immer nur greift, wenn ein fremdes Recht, also nicht das Recht der lex fori zur Anwendung gelangt, unabhängig davon, ob das Recht durch Rechtswahl zur Anwendung berufen wurde oder durch objektive Anknüpfung.41 Unerheblich ist es, ob das fremde Recht das eines Mitgliedstaates ist oder das eines Drittstaates.42 Eine solche Differenzierung lässt sich dem Wortlaut der Normen nicht entnehmen. Die Verordnungen sind vielmehr universell anwendbar. Vereinzelt wird zwar gefordert, bei Sachverhalten zwischen Mitgliedstaaten auf eine Berufung auf die öffentliche Ordnung zu verzichten,43 dies jedoch nur de lege ferenda. c) Anwendung und konkretes Ergebnis Nach der klassischen Vorstellung soll keine Bewertung der fremden Norm vorgenommen werden. Vielmehr muss das konkrete Ergebnis der Anwendung der öffentlichen Ordnung des Forums widersprechen.44 Dieser Gedanke wird im 40
Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 175. Ganz herrschende Meinung, nur Wurmnest, Ordre public, S. 445, 457 f.; zum deutschen Recht: MK-BGB/von Hein, Artikel 6 EGBGB, Rn. 122; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 249. 42 Renner, Ordre public und Eingriffsnormen, S. 359, 361 f. 43 Renner, Ordre public und Eingriffsnormen, S. 359, 373 ff. 44 BT-Drucks. 10/504, S. 43; BGH, Urteil vom 4. Juni 1992, Az. IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312, 331; Staudinger/Voltz, Artikel 6 EGBGB, Rn. 124; von Bar/Mankowski, IPR I, § 7, Rn. 265; Büchler, FS Brudermüller, S. 61, 62 f. 41
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Europäischen Familienkollisionsrecht am deutlichsten im Haager Unterhaltsprotokoll ausgesprochen. aa) HUP Das HUP spricht davon, dass die Wirkungen der öffentlichen Ordnung widersprechen müssen. Dies soll eine abstrakte Bewertung verhindern. Bonomi erwähnt im Rapport explicatif, dass der ordre public bemüht werden soll, weil das anwendbare Recht Unterhalt auf Grund einer Verwandtschaftsbeziehung vorsieht, die im Recht des Forums nicht vorgesehen ist und sogar anstößig wirkt. Hier ist etwa an Lebenspartnerschaften zu denken. Bonomi betont jedoch, dass das Ergebnis in concreto unerträglich sein muss. Dies ist unabdingbar, um eine zurückhaltende Anwendung der ordre public-Klausel zu garantieren.45 Es reiche nicht aus, dass das fremde Recht Verwandtschaftsbeziehungen anerkennt, die das Recht des Gerichts missbilligt, vielmehr müsse das Ergebnis anstößig sein. Etwa wenn eine Person zu Unterhaltszahlungen an eine andere Person – nur auf Grund einer Verwandtschaftsbeziehung – verurteilt wird, die das Forum nicht akzeptiert. Dieser feine Unterschied steht ganz in der Tradition der üblichen Vorbehaltsklauseln des deutschen IPR und der Haager Übereinkommen.46 bb) Rom III-VO und EuGüVOen Nicht ganz so eindeutig sind der Wortlaut von Rom III-VO und EuGüVOen. Die jeweiligen Vorschriften verlangen, dass die Anwendung der Norm der öffentlichen Ordnung widersprechen muss. Dies heißt nicht zwangsläufig, dass das Ergebnis der Anwendung anstößig sein müsste. Die Anwendung einer an sich anstößigen Norm, unabhängig vom Ergebnis selbst, könnte schon ausreichen, um das Eingreifen des ordre public zu rechtfertigen. Die Präzision von Artikel 6 EGBGB oder auch des HUP fehlt.47 Aus der Systematik des EIPR sowie seinem Sinn und Zweck ergibt sich jedoch auch für den ordre public Vorbehalt eindeutig, dass eine in concretoVerletzung des Ergebnisses der Anwendung verlangt werden muss:48 Zum einen ergibt ein Blick in die Verordnung selbst einen deutlichen Hinweis: Erwägungsgründe (25) Rom III-VO, (54) EuEheGüVO und (53) EuPartGüVO betonen, dass ein Verstoß vom konkreten Fall abhängt, mithin also vom Ergebnis der Anwendung. 45
Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 177. MK-BGB/Staudinger, Artikel 13 HUP, Rn. 1. 47 Den Wortlaut für eindeutig haltend: MK-BGB/Winkler von Mohrenfels, Art. 10 Rom III-VO, Rn. 3. 48 Staudinger/Hausmann, Artikel 21 Rom I-VO, Rn. 15; MK-BGB/Martiny, Artikel 21 Rom I-VO, Rn. 5; Wurmnest, Ordre public, S. 445, 465 ff. 46
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Wenn zudem für Artikel 10 Rom III-VO von der herrschenden Meinung erklärt wird, die Norm enthalte eine abstrakte Kontrolle fremden Rechts, da sie sonst im Vergleich zum ordre public-Vorbehalt überflüssig wäre,49 dann lässt sich natürlich auch der Umkehrschluss anbringen, dass die Vorbehaltsklausel eine konkrete Ergebniskontrolle verlangt. Es sprechen schließlich gute teleologische Gründe dafür: Der ordre public darf nur äußerst zurückhaltend angewendet werden. Sonst würde er dem Ziel der Vorhersehbarkeit der rechtlichen Entscheidung, das durch ein vereinheitlichtes Kollisionsrecht verwirklicht werden soll, und dem internationalen Entscheidungsklang zuwiderlaufen. Um seinen Anwendungsbereich möglichst eng zu halten, ist es erforderlich, nur im Notfall, also wenn das Ergebnis der Anwendung unerträglich ist, die Anknüpfung insoweit zurückzuweisen.50 Wäre jedes Gericht zur Bewertung des fremden Rechts berufen, käme es deutlich häufiger zur Anwendung der lex fori. Daher ist die insgesamt einhellige Meinung für Rom III und die EuGüVOen, dass das konkrete Ergebnis der Rechtsanwendung kontrolliert werden muss.51 d) Verstoß gegen die öffentliche Ordnung des Forums Das konkrete Ergebnis der Anwendung fremden Rechts muss im Widerspruch zur öffentlichen Ordnung stehen, wie es das HUP formuliert, oder mit ihr unvereinbar sein, wie es die Verordnungen ausdrücken. Was Inhalt der öffentlichen Ordnung des Forums ist, bestimmt grundsätzlich jedes nationale Recht selbst.52 Anerkannt ist dabei, dass die öffentliche Ordnung sowohl Normen, Prinzipien und Werte erfasst, die rein öffentlichen Interessen dienen können, als auch solche Normen, die zum Schutz lediglich einer Partei erlassen worden sind. Insbesondere können hiervon Grundrechte umfasst sein – egal ob diese unmittelbar unter Privatleuten gelten oder lediglich mittelbar über eine Bindung der Gerichte herangezogen werden.53 Je grundrechtssensibler die materiellrechtlichen Fragen schon sind, desto größer ist auch die Beachtlichkeit von
49
Siehe vorerst nur MK-BGB/Winkler von Mohrenfels, Art. 10 Rom III-VO, Rn. 3. Hess/Pfeiffer, Studie über die Auslegung des Ordre-public-Vorbehalts, S. 29. 51 NK-BGB/Budzikiewicz, Artikel 12 Rom III-VO, Rn. 9; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, A, Rn. 477; Franzina, CDT 3 (2011), 85, 123. 52 MK-BGB/von Hein, Artikel 6 EGBGB, Rn. 26; NK-BGB/Budzikiewicz, Artikel 12 Rom III-VO, Rn. 11; Staudinger/Mankowski, Artikel 13 HUP, Rn. 3; Hess/Pfeiffer, Studie über die Auslegung des Ordre-public-Vorbehalts, S. 29; Basedow, FS Sonnenberger, S. 291; Stürner, Der ordre public im Europäischen Kollisionsrecht, S. 87, 92. 53 Hess/Pfeiffer; Studie über die Auslegung des Ordre-public-Vorbehalts, S. 30 f.; für Deutschland ist dies in Artikel 6 Satz 2 EGBGB besonders hervorgehoben; vgl. Stürner, FS von Hoffmann, S. 463. 50
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Grundrechten im IPR. Im Familienrecht spielt der ordre public daher eine größere Rolle als im Schuld- und Deliktsrecht.54Nicht jede beliebige Wertung kann aber zum wesentlichen Teil der öffentlichen Ordnung ernannt werden. Dann wäre in fast allen Fällen, in denen die lex causae von der lex fori abweicht, der Vorbehalt einschlägig. Es muss sich um Kernwerte handeln, charakteristische Normen, die eine Rechtsordnung erst ausmachen und sie prägen.55 Es ist jedoch fraglich, inwieweit die Gerichte frei darin sind, ihre eigenen Schutzstandards für bestimmte Personen heranzuziehen, oder ob sie dadurch teilweise durch Europarecht eingeschränkt sind. Diese Frage soll ausführlich behandelt werden, weil die Verordnungen an vielen Stellen selbst eine europäische Determinierung des ordre public andeuten.56 aa) Europäischer ordre public? In der Literatur wird seit längerem kontrovers die Überwölbung des nationalen ordre public durch einen europäisch geprägten gemeinsamen ordre public diskutiert. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass die öffentliche Ordnung zwar durch das nationale Recht vorgegeben wird, Teil dieser Rechtsordnung aber auch das Europarecht ist. Dieses prägt selbst die öffentliche Ordnung, entzieht sich aber der nationalen Legislative. Der Europäische ordre public kann somit einerseits die nationale öffentliche Ordnung ergänzen und um europäische Vorgaben erweitern sowie bestätigen, kann sie andererseits aber auch beschneiden.57 Um die Diskussionen zu verstehen, muss man vor allem das Fallrecht des EuGH kennen, das daher zunächst vorgestellt werden soll. Anschließend werden die Diskussion, die in der Wissenschaft auf die EuGH-Rechtsprechung reagierte, sowie die Entwicklung in der gesetzgeberischen Aktivität nachgezeichnet. Urteile des EuGH zum kollisionsrechtlichen ordre public gibt es noch nicht.58 Jedoch hat der EuGH schon mehrfach über den anerkennungsrechtlichen ordre public geurteilt. Wie weit diese Grundsätze zu übertragen sind, bleibt genauer zu betrachten. Diese Urteile können entsprechend angepasst werden.59 54
Renner, Ordre public und Eingriffsnormen, S. 359, 373. Staudinger/Mankowski, Artikel 13 HUP, Rn. 3. 56 Siehe unten bb) (2) (a). 57 MK-BGB/Sonnenberger, 5. Auflage, Einleitung, Rn. 209 Basedow, FS Sonnenberger, S. 291 f., 306 f.; Martiny, FS Sonnenberger, S. 523, 531 ff.; Stürner, FS von Hoffmann, S. 463, 469. 58 Vgl. Corneloup, The Impact of EU Fundamental Rights, S. 61, 78. 59 Siehe etwa MK-BGB/Martiny, Art. 21 Rom I-VO, Rn. 3 zur Rom I-VO; MKBGB/Junker, Art. 26 Rom II-VO, Rn. 17; Grosser, Bucerius Law Journal 2008, 9, näher noch unten. 55
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Der EuGH hat stets betont, dass es allein Aufgabe des nationalen Gerichts ist, den Inhalt der öffentlichen Ordnung zu bestimmen. Er selbst kann nur den Rahmen der Auslegung abstimmen und darauf achten, dass dieses Instrument nicht dazu eingesetzt wird, um die Ziele der justiziellen Zusammenarbeit in IZVR und IPR zu unterlaufen.60 Jedoch hat er von Anfang an auch materielle Aussagen zum Inhalt des ordre public getätigt, wenn und soweit dieser Inhalt nämlich europaweit vereinheitlicht ist. (1) Krombach ./. Bamberski Ausgangspunkt dieser Entwicklung ist das Urteil Krombach ./. Bamberski.61 Anlass für das Urteil des EuGH war ein französischer Strafprozess im Jahr 1995 gegen den Deutschen Dieter Krombach.62 Dieser wurde beschuldigt, fahrlässig für den Tod seiner Stieftochter verantwortlich zu sein und in Frankreich angeklagt. Im Zuge eines Adhäsionsverfahrens klagte der leibliche Vater der Toten, André Bamberski, auf Schadensersatz. Krombach, der in Deutschland lebte, erschien selbst nicht zu der Verhandlung vor der Cour d’assises de Paris, obwohl das Gericht sein persönliches Erscheinen angeordnet hatte. Stattdessen ließ er sich von bevollmächtigten Verteidigern vertreten. Das Gericht wandte daraufhin das Abwesenheitsverfahren nach der französischen Strafprozessordnung an, wonach für einen abwesenden Angeklagten kein Verteidiger auftreten darf und verurteilte Krombach am 9. März 1995 zu 15 Jahren Zuchthaus und am 13. März 1995 zur Zahlung von 350.000 FRF Schadensersatz an Bamberski. Als das Urteil in Deutschland verstreckt werden sollte, legte Krombach Beschwerde bis zum Bundesgerichtshof ein. Dieser legte dem EuGH drei Vorlagefragen vor, die sich um die Auslegung des Begriffs der öffentlichen Ordnung nach Artikel 27 Nr. 1 des EuGVÜ drehten.63 Im Mittelpunkt stand die Frage, ob die Vollstreckung des Urteils wegen ordre public-Verstoßes abgelehnt werden konnte. Anstoß erregte die Zurückweisung der Verteidigung des in einem anderen Staat lebenden Angeklagten, der auf Grund einer Anklage wegen einer vorsätzlichen Straftat nicht persönlich in dem Verfahren erschienen ist. Bevor der EuGH in seinem Urteil auf die einzelnen Fragen eingeht, macht er einige Ausführungen zur ordre public-Kontrolle, die bis heute die offiziellen Richtlinien für seinen Umgang mit dieser Frage darstellen: Er betont zunächst,
60 61
Vgl. Hess/Pfeiffer, Studie über die Auslegung des Ordre-public-Vorbehalts, S. 32 ff. EuGH, Urteil vom 28. März 2000, Rs. C-7/98, Krombach/Bamberski, Slg. 2000, I-1935
ff. 62 Zusammenfassung des Sachverhalts in EuGH, Rs. C-7/98, Krombach/Bamberski, Slg. 2000, I-1935, Rn. 12 ff. 63 EuGH, Rs. C-7/98, Krombach/Bamberski, Slg. 2000, I-1935, Rn. 17.
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dass Artikel 27 EuGVÜ eng auszulegen sei, da ansonsten das Ziel des Übereinkommens, die Freizügigkeit von Urteilen zu erleichtern, gefährdet werde.64 Die Bestimmung der öffentlichen Ordnung einer nationalen Rechtsordnung sei Sache der nationalen Gerichte. Der EuGH könne demnach den Inhalt des ordre public nicht vorschreiben.65 Das bedeutet jedoch nicht, dass die Mitgliedstaaten völlig frei in der Auslegung sind. Der EuGH sei vielmehr dazu berufen, über die Grenzen der Auslegung zu wachen, um die Ziele des Übereinkommens sicher zu stellen.66 Der EuGH steckt somit einen formalen Rahmen ab, den die mitgliedstaatlichen Gerichte mit Inhalt füllen können.67 Der EuGH belässt es jedoch nicht allein bei diesem Rahmen, sondern geht dazu über, inhaltliche Vorgaben zu machen.68 Er sieht nämlich nicht nur die negative Aufgabe, Missbrauch des ordre public zu verhindern, sondern die positive Aufgabe, die Wahrung der allgemeinen Rechtsgrundsätze zu sichern, zu denen die Grund- und Menschenrechte gehören.69 Erfasst hiervon sei auch das Recht auf einen fairen Prozess, das das Gericht bereits als allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz anerkannt habe.70 Dieses Grundrecht kann der EuGH im konkreten Fall fruchtbar nutzen. Mit umfangreichen Verweisen auf die Judikatur des EGMR71 kommt er zu dem Schluss, dass eine Person in ihrem Recht verletzt wird, wenn sie sich in einer Hauptverhandlung, bei der sie selbst nicht anwesend ist, nicht von einem Verteidiger vertreten lassen kann.72 Dann sei das nationale Gericht eines Vertragsstaats „berechtigt“, die Anerkennung aus diesem Grund zu verweigern.73 Der EuGH wacht also nicht nur über die Grenzen der Vorbehaltsklausel, sondern zieht bestimmte Normen heran, um im Einzelfall ein bestimmtes Ergebnis positiv zu begründen. Dabei zieht er jedoch nicht einfach nationales Recht heran, womit er sich in Widerspruch zu seinen eigenen Aussagen begeben würde. Die Grundrechte wie die der EMRK sind zwar nationales Recht, 64
EuGH, Rs. C-7/98, Krombach/Bamberski, Slg. 2000, I-1935, Rn. 21. Hess/Pfeiffer, Studie über die Auslegung des Ordre-Public-Vorbehalts, S. 33. 66 EuGH, Rs. C-7/98, Krombach/Bamberski, Slg. 2000, I-1935, Rn. 22. 67 Rauscher/Leible, Artikel 45 Brüssel Ia-VO, Rn. 6; Heiderhoff, Die Selbstbeschränkung des Anwendungsbereichs der EU-Charta, S. 89, 98. 68 Basedow, FS Sonnenberger, S. 291, 316; Heiderhoff, Die Selbstbeschränkung des Anwendungsbereichs der EU-Charta, S. 89, 99. 69 EuGH, Rs. C-7/98, Krombach/Bamberski, Slg. 2000, I-1935, Rn. 25. 70 EuGH, Urteil vom 17. Dezember 1998, Rs. C-185/95 P, Baustahlgewerbe, Slg. 1998, I-8417, Rn. 20 f. 71 EuGH, Rs. C-7/98, Krombach/Bamberski, Slg. 2000, I-1935, Rn. 39. 72 EuGH, Rs. C-7/98, Krombach/Bamberski, Slg. 2000, I-1935, Rn. 40. 73 Ob es den Mitgliedstaaten nach dem Urteil Krombach noch offensteht, die Anerkennung zu verweigern, oder ob sie nicht vielmehr dazu verpflichtet sind, kann offenbleiben; Basedow, FS Sonneberger, S. 291, 316 und Thoma, Die Europäisierung und die Vergemeinschaftung des nationalen ordre public, S. 135, Fn. 12 meinen, dass hier auch schon eine Verpflichtung zur Verweigerung der Anerkennung gemeint ist. 65
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aber gleichzeitig sind es allgemeine Rechtsgrundsätze der Mitgliedstaaten, die sich aus deren gemeinsamen Verfassungstraditionen und den völkerrechtlichen Konventionen zum Menschenrechtsschutz ergeben. Diese sind eine Rechtsquelle des Unionsrechts und es ist Aufgabe des EuGH, deren Einhaltung sicherzustellen. Dabei zeigt sich die Sensibilität des EuGH für die gemeinsamen Traditionen an den umfangreichen Bezügen auf die Rechtsprechung des EGMR und seine eigenen Urteile. Es ist ihm wichtig, inhaltliche Vorgaben nur zu setzen, wenn und soweit es tatsächlich um die Verletzung allgemein anerkannter Rechtsgrundsätze geht. Ein Teil des nationalen Rechts, das eigentlich der Kontrolle durch den EuGH entzogen wird, wird dadurch zu Europäischem Recht, das mittels des ordre public wirksam zur Abwehr eines fremden Urteils (oder auch fremden Rechts) herangezogen werden kann. Dadurch bekommt der ordre public-Einwand eine weitere Funktion: Ob das mitgliedstaatliche Gericht die Anerkennung wegen eines Verstoßes gegen das Recht auf einen fairen Prozess als nationales Recht verweigern kann, beurteilt der EuGH nicht (formelle Grenze). Es kann dies aber wegen eines Verstoßes gegen das Recht auf einen fairen Prozess als Europäisches Recht. (2) Weiterentwicklung der Rechtsprechung Die Grundzüge des Urteils Krombach wurden vom EuGH in den folgenden Jahren bestätigt, verfeinert und ergänzt. Im Urteil Renault bestätigte der EuGH die Grundsätze von Krombach und betonte, dass alleine die Tatsache, dass eine mögliche Verletzung von Europarecht im Raume stehe, nichts daran ändere, dass ein offensichtlicher Verstoß gegen eine grundlegende Rechtsvorschrift erforderlich sein müsse, um eine Anerkennung zu verweigern.74 Dieses Urteil bewegt sich somit ganz auf der traditionellen Linie und beschränkt sich auf die Absteckung des formellen Rahmens. Im Fall Gambazzi aus dem Jahr 2009 beschäftigte der EuGH sich jedoch verstärkt mit den konkreten inhaltlichen Aspekten der öffentlichen (europäischen) Ordnung.75 Auch hier ging es wieder um die Anerkennung eines Urteils eines Mitgliedstaates. Ein englisches Gericht hatte gegen den Beklagten Gambazzi in einem Schadensersatzprozess einen Verfahrensausschluss (debarment) erlassen, weil dieser einer Vermögensauskunftspflicht (disclosure order) nicht nachgekommen war. Er wurde darauf wie ein säumiger Beklagter behandelt und zur Schadensersatzzahlung verurteilt. Unter Bezugnahme auf das Urteil Krombach bestätigte der Gerichtshof erneut, dass das Recht auf ein faires Verfahren zu den wesentlichen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts gehöre. Es wird sowohl durch Artikel 6 EMRK, als auch (inzwischen) durch 74 EuGH, Urteil vom 11. Mai 2000, Rs. C-38/98, Régie nationale des usines Renault SA, Slg. 2000, I-3009, Rn. 30, 32 ff. 75 EuGH, Urteil vom 2. April 2009, Rs. C-394/07, Gambazzi, Slg. 2009, I-2563.
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Artikel 47 Abs. 2 Grundrechte-Charta gewährleistet.76 Es werde jedoch nicht vorbehaltlos garantiert, sondern könne zum Zwecke von Allgemeininteressen eingeschränkt werden, etwa um die Effektivität der Rechtspflege zu sichern, wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eingehalten wird.77 Ob dies der Fall sei, müsse das mitgliedstaatliche Gericht selbst entscheiden. Der EuGH geht jedoch dazu über, dem Gericht eine ausführliche Liste von Erwägungen vorzulegen, die beachtet werden sollten, um die Frage der Verhältnismäßigkeit zu beantworten.78 Dem vorlegenden Gericht obliegt demnach zwar die Überprüfung im Einzelfall, es ist durch die Vorgaben des EuGH in seiner Entscheidungsfreiheit jedoch schon stark eingeengt.79 Noch einen Schritt weiter geht der EuGH in der Sache flyLAL-Lithuanian Airlines.80 Hier ging es (unter anderem) darum, ab wann ein Urteil wegen fehlender Begründung gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoße. Der EuGH hatte bereits in anderen Urteilen entschieden, dass es zum Grundsatz des fairen Prozesses gehört, dass Urteile begründet werden, damit die betroffenen Personen Rechtsmittel einlegen können.81 Dem fügt der EuGH nichts Neues hinzu und bestätigt seine Rechtsprechung.82 Dann führt er jedoch aus: „Im vorliegenden Fall geht aus der Gesamtheit der Informationen, über die der Gerichtshof verfügt, zum einen hervor, dass die Bestandteile der Begründung nicht fehlen, da es möglich ist, dem Gedankengang zu folgen, der zur Bestimmung der Höhe der in Rede stehenden Beträge führt. Zum anderen verfügen die betroffenen Parteien über die Möglichkeit, ein Rechtsmittel gegen eine solche Entscheidung einzulegen, und die Parteien haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. […] Die elementaren Grundsätze des fairen Verfahrens wurden daher gewahrt, und demzufolge kann nicht angenommen werden, dass ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung […] stattgefunden hat.“83 Dies ist mehr als eine bloße Vorgabe von Gesichtspunkten, die das vorlegende Gericht bei seiner Entscheidungsfindung zu beachten hat, sondern der Gerichtshof übernimmt die ordre public-Kontrolle vollständig selbst.84 Es lässt sich also
76
Heiderhoff, Die Selbstbeschränkung des Anwendungsbereichs der EU-Charta, S. 89,
99. 77
EuGH Rs. C-394/07, Gambazzi, Slg. 2009, I-2563, Rn. 29. EuGH Rs. C-394-07, Gambazzi, Slg. 2009, I-2563, Rn. 42 ff. 79 Stürner, FS von Hoffmann, S. 463, 471; Hess/Pfeiffer, Studie, S. 174, die dort anmerken, dass das vorlegende Gericht den Leitlinien des EuGH gefolgt sei. 80 EuGH, Urteil vom 23. Oktober 2014, Rs. C-302/13, flyLAL-Lithuanian Airlines, IPRax 2015, 543 m. Anm. Kohler IPRax 2015, 500. 81 EuGH Urteil vom 6. September 2012, Rs. C-619/10, Trade Agency, IPRax 2013, 427, Rn. 53; Kohler, IPRax 2015, 500, 503. 82 EuGH, Rs. C-302/13, flyLAL-Lithuanian Airlines, IPRax 2015, 543, 547 Rn. 51 f. 83 EuGH, Rs. C-302/13, flyLAL-Lithuanian Airlines, IPRax 2015, 543, 547 Rn. 53 f. 84 Kohler, IPRax 2015, 500, 503. 78
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anhand dieser Urteile ein mutiger werdender Umgang des EuGH mit der öffentlichen Ordnung feststellen. Dass der Gerichtshof bloß die formalen Grenzen absteckt wie im Fall Renault, kann nicht mehr so einfach behauptet werden. Er gibt inzwischen auch inhaltlich in vielen Fällen den Weg vor.85 Dies kann er, wie er in Krombach ausgeführt hat, soweit er allgemeine Rechtsgrundsätze der Mitgliedstaaten auslegt, für deren Einhaltung er zu sorgen hat. (3) Herausbildung eines autonomen Instruments? Diskussion und Gesetzgebung Die Urteile des EuGH haben ein großes Echo in der Wissenschaft ausgelöst. Durch die Hinwendung von den formalen Grenzen zur inhaltlichen Präzisierung der öffentlichen Ordnung durch den EuGH wurde eine Diskussion ausgelöst – ob der ordre public inzwischen kein nationales Instrument mehr ist, sondern ob es einen eigenen Europäischen ordre public gibt. Ungeklärt ist dessen Verhältnis zum nationalen ordre public. Es stellt sich die Frage, ob jener diesen überwölbt oder verdrängt, also ob die Berufung auf den nationalen ordre public ausgeschlossen ist, wenn ein Verstoß gegen den Europäischen ordre public nicht festgestellt werden kann. (a) Reaktionen Basedow sprach angesichts des Fallrechts des EuGH davon, dass dem Europäischen ordre public Eigenständigkeit zukomme.86 Dieser begrenze die Ausübung des nationalen ordre public und gebe an vielen Stellen dessen Inhalt vor. Hess und Pfeiffer haben zudem in ihrer Studie zur Auslegung des in EU-Instrumenten des internationalen Privatrechts und Verfahrensrechts enthaltenen ordre public-Vorbehalts aus dem Jahre 2011 untersucht, ob die mitgliedstaatlichen Gerichte in der Praxis von einem eigenständigen, nationalen Inhalt der öffentlichen Ordnung ausgehen oder ihr Ergebnis durch die Rechtsprechung des EuGH und das Europäische Recht vorgegeben sehen. Nach Ansicht von Hess/Pfeiffer verlagert sich hier zunehmend der Schwerpunkt von einer nationalen Prüfung unter Berücksichtigung des Europäischen Rechts zu einem alleinigen Abstellen auf europäische Standards unter Verweis auf das Urteil des EuGH in Krombach und Artikel 6 der EMRK. Auch wenn die Entwicklung nationenabhängig anders verlaufe, könne man von einer regelrechten Europäisierung der Vorbehaltsklausel und damit von einer Verdrängung des Nationalen sprechen.87 85
Martiny, FS Sonnenberger, S. 523, 532 merkt an, dass die Bestimmung der Grenzen auch immer mittelbar eine Bestimmung des Inhalts ist. 86 Basedow, FS Sonnenberger, S. 291 ff., 317 ff.; siehe auch NK-BGB/Schulze, Artikel 6 EGBGB, Rn. 13. 87 Hess/Pfeiffer, Studie zur Auslegung des Ordre-public-Vorbehalts, S. 174.
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Das Nebeneinander von europäischen und nationalen Elementen dürfte wohl heute unbestritten sein. Einige ziehen daraus sehr weitreichende Konsequenzen: Die Europäisierung der öffentlichen Ordnung und die Vorgaben des Rücksichtnahmegebots würden die nationalen Wertungen so stark verdrängen, dass gegenüber fremdem mitgliedstaatlichen Recht ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung nur abgeschwächt oder gar nicht mehr angewendet werden dürfe.88 Der europäische Verordnungsgeber versuchte ebenfalls, die Europäisierung der öffentlichen Ordnung voranzutreiben. Ursprünglich sollte die Rom II-VO eine Konkretisierung des Inhalts der europäischen öffentlichen Ordnung vorsehen, die Vorrang vor nationalen Regeln haben sollte.89 In der Unterhaltsverordnung sollte die ordre public-Kontrolle gegenüber Mitgliedstaaten nach Kommissionsplänen ausgeschlossen sein,90 der Entwurf zur Erbrechtsverordnung sah ein Eingreifen der Vorbehaltsklausel nur vor, wenn das mitgliedstaatliche Recht gegen die Grundrechtecharta verstößt.91 Letztlich finden sich diese Pläne jedoch nicht im Gesetz. Es bleibt bei der universellen Anwendung der Vorbehaltsklausel. Der EuGH hat im Gutachten zum Beitritt der EU zur EMRK klargestellt, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich von der Vereinbarkeit mitgliedstaatlicher Rechtsordnungen mit der europäischen Rechtsordnung ausgehen könnten. Für den Fall außergewöhnlicher Umstände solle aber die Anwendung fremder mitgliedstaatlicher Rechte verweigert werden können.92 Soweit die Vereinbarkeit mit der europäischen Rechtsordnung jedoch feststehe, könnten die Mitgliedstaaten die Anwendung nicht verweigern. Übertragen auf den ordre public bedeutet das: die Vorbehaltsklausel ist auch bei mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen anwendbar. Soweit dieses Recht aber europarechtlich determiniert ist, sollte grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass das mitgliedstaatliche Recht den europäischen Wertungen entspricht. In diesem Fall kann der nationale ordre public aber nicht über dieses Niveau hinausgehen.93
88
von Brunn, NJW 1962, 985, 988; Michaels/Kamann, JZ 1997, 601, 607; Michaels, FS Kropholler, S. 151, 167; Renner, Ordre public und Eingriffsnormen, S. 359, 373; dagegen MK-BGB/Sonnenberger, 5. Auflage, Einleitung IPR, Rn. 208; Martiny, FS Sonnenberger, S. 523, 541; Rühl, FS Kropholler, S. 187, 207 f.; Stürner, Der ordre public im Europäischen Kollisionsrecht, S. 87, 95 ff.; Wurmnest, Ordre public, S. 445, 452 f. 89 Rühl, FS Kropholler, S. 187, 208; Stürner, Der ordre public im Europäischen Kollisionsrecht, S. 87, 93. 90 Art. 20 S. 2 EuUnthVO-E, KOM(2005) 649 endg.; kritisch Rühl, FS Kropholler, S. 187, 207 f.; Stürner, FS von Hoffmann, S. 463, 478 f. 91 Stürner, Der ordre public im Europäischen Kollisionsrecht, S. 87, 93 f. 92 EuGH, Gutachtenverfahren 2/13, Rn. 191 f. 93 Kohler, IPRax 2015, 500, 504; Heiderhoff, Die Selbstbeschränkung des Anwendungsbereichs der EU-Charta, S. 89, 104 f.
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3. Kap.: Schwächerenschutz nach Vertragsschluss
(b) Mehrdeutigkeit der Antwort Letztlich braucht die Frage, ob sich bereits ein eigenständiger Europäischer ordre public gebildet hat, nicht entschieden zu werden. Nicht etwa, weil die Frage „bloß akademisch“ ist,94 sondern weil es eine eindeutige Antwort schlicht nicht geben kann. Dafür gibt es vor allem zwei Gründe. Zum einen hängt diese Antwort, wie so oft im Europäischen Recht, davon ab, welchen Standpunkt man einnimmt. Aus europäischer Sicht ist das Europarecht, so der EuGH bereits in Van Gend & Loos, eine eigenständige Rechtsordnung, die von den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen nicht eigens angenommen zu werden braucht, sondern neben diesen existiert.95 Diese Rechtsordnung ist inzwischen angereichert mit Werten, Grundfreiheiten und Grundrechten.96 Aus der Sicht der Mitgliedstaaten ist das Europäische Recht, bei all seiner Selbstständigkeit, jedoch Teil der eigenen Rechtsordnung. Der ordre public verteidigt damit zwar selbstverständlich Werte des Europäischen Rechts, aber dies sind immer auch zugleich nationale Werte. Es wäre für die Nationalstaaten beinahe schizophren, auf die eigene Rechtsordnung aus zwei verschiedenen Richtungen zu blicken. Der Gegensatz „nationale Rechtsordnung gegen europäische Rechtsordnung“ existiert aus der internen Perspektive der Mitgliedstaaten nicht. Aus dieser Perspektive gibt es nur eine Rechtsordnung, die verschiedene Quellen hat. Dem EuGH sowie der Wissenschaft steht die Möglichkeit allerdings offen, einseitige Positionen einzunehmen und die Eigenständigkeit des Europarechts zu betonen. Dies muss schon allein deshalb so sein, weil der EuGH nur Europäisches Recht auslegen kann. So bleiben die verschiedenen Anschauungen weiterhin nebeneinander bestehen, obwohl man inhaltlich gar nicht auseinanderliegt. Man sollte daher gar nicht über die Begrifflichkeiten streiten. Worauf es letztlich ankommt, ist die oben bereits formulierte Frage, das praktische Problem: Wenn ein Verstoß gegen den europäischen Teil der öffentlichen Ordnung ausgeschlossen ist, kann das Gericht dann noch auf einem Verstoß des nationalen ordre public beharren? Wo endet der Vorrang des Europarechts? Auch bei der Beantwortung dieser Fragen spiegelt sich im Kleinen der grundlegende Konflikt zwischen einer nationalstaatlichen und einer europäischen Perspektive, der Streit um den Fortschritt der europäischen Integration, wider. Es kann daher nur darum gehen, im Einzelfall die beiden gegenüberstehenden Positionen zu vereinen und die Grenzen abzustecken. Die grundlegenden Aussagen zum ordre public in den europäischen Rechtstexten ändern sich jedoch nicht: die öffentliche Ordnung wird weiter von den
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Dagegen zu Recht schon Basedow, FS Sonnenberger, S. 291 ff. EuGH, Urteil vom 5. Februar 1963, Rs. 26/62, Van Gend &Loos, NJW 1963, 1751. 96 Martiny, FS Sonnenberger, S. 523, 533 f.; Voßkuhle, JZ 2016, 161 ff. 95
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Mitgliedstaaten autonom bestimmt. Im Einzelfall kann der Inhalt dieser Ordnung europäisch beeinflusst oder sogar determiniert sein. Mehr kann generell nicht gesagt werden. bb) Grenzen des ordre public im Internationalen Familienrecht durch Europarecht, insb. Grundrechte (1) Grenzen durch sekundäres EU-Recht Fruchtbarer und letztlich allein weiterführend sind nun Überlegungen, wie weit die mitgliedstaatliche öffentliche Ordnung durch Europäisches Recht vorgeprägt ist. Hierbei kommt es auf die Besonderheiten des IPR an. In den vom EuGH entschiedenen Fällen wie Krombach, Gambazzi, flyLAL ging es um den verfahrensrechtlichen ordre public, der bei der Anerkennung von Urteilen eine Rolle spielt. Dieser ist einerseits weiter als sein internationalprivatrechtliches Pendant, die Schwerpunkte sind verschoben. Vor allem verfahrensrechtliche Probleme stehen im Mittelpunkt der Überlegungen.97 Andererseits steht das Sachrecht hierbei nur eingeschränkt auf dem Prüfstand, eine révision au fond ist verboten.98 Darüber hinaus muss die Prozessgeschichte betrachtet werden, die rechtsstaatlichen Grundsätzen genügen muss, so dass noch eine zusätzliche Bewertungsebene vorliegt. Hierzu passt etwa die Konkretisierung des Rechts auf ein faires Verfahren, um die sich der EuGH bemüht hat. Die Unterschiede sind also zumindest so groß, dass die Rechtsprechung nicht vorbehaltlos übernommen werden sollte. Das heißt nicht, dass eine Übertragung der Grundsätze abgelehnt werden muss. Sie muss allerdings aus den dogmatischen Eigenheiten des Kollisionsrechts selbstständig begründet werden: Bewertungsmaßstab des kollisionsrechtlichen ordre public ist allein das materielle Recht. Wenn sich der Anwendung eines nationalen Familienrechts ein Europäischer ordre public entgegenstellen oder ein Europäischer ordre public die nationale öffentliche Ordnung erweitern oder begrenzen soll, dann muss sich dieser im Europäischen Recht bereits gebildet haben. Dies ist auf zwei Ebenen möglich: auf primär- und sekundärrechtlicher Ebene. Dabei kann jedoch relativ deutlich ein Einfluss des Sekundärrechts auf den ordre public, erst recht eine Determinierung durch Sekundärrecht ausgeschlossen werden: Für das Sekundärrecht lässt sich die Bildung einer gemeinsamen Europäischen öffentlichen Ordnung des Familienrechts sehr klar und einfach verneinen. Es gibt schlicht kein vereinheitlichtes Europäisches Familienrecht. Während etwa im Bereich des Verbraucherschutzes umfangreiche Rechtsakte ein relativ klar strukturiertes Verbraucherrecht geschaffen haben, das für einen ordre public-
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Renner, Ordre public und Eingriffsnormen, S. 359, S. 370. Schack, IZVR, Rn. 958; Renner, Ordre public und Eingriffsnormen, S. 359, 368.
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Verstoß fruchtbar gemacht werden könnte,99 fehlen legislative Projekte für die in Frage stehenden Rechtsgebiete des Familienrechts vollständig. Das Europäische Familienkollisionsrecht, das gerade die Berufung auf die mitgliedstaatliche öffentliche Ordnung erlaubt, kann hierzu keinen Aufschluss geben.100 Das wäre fast zirkelschlüssig. Auch kann kein europäisches „soft law“ herangezogen werden, um Konturen eines solchen gemeinsamen Rechts ausfindig zu machen. Es erscheint zwar möglich, die umfangreichen Prinzipien-Werke auf dem Gebiet des Europäischen Rechts zu verwenden, jedoch eignet sich der maßgebliche Beitrag zum Familienrecht, die Principles of European Family Law, nicht dazu.101 Diese erheben nicht den autoritativen Anspruch, Rechtserkenntnisquelle sein zu können. Sie sind zwar rechtsvergleichend erarbeitet worden, haben aber einen starken rechtspolitischen Einschlag, indem sie Optimal-Lösungen für ein zukünftiges und modernes Familienrecht zur Diskussion stellen.102 Die Principles können etwa nationalen Gesetzgebern als Modellgesetz dienen.103 Damit sind sie mehr als bloß eine Abbildung der gemeinsamen Strukturen des bereits geltenden Familienrechts im europäischen Rechtsraum. (2) Einfluss des EU-Primärrechts, insbesondere der Grundrechtecharta Der Grundrechtsschutz in der Europäischen Union beruht gemäß Artikel 6 EUV auf drei Säulen.104 Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh), die rechtlich gleichrangig neben den Verträgen steht (Artikel 6 Abs. 1 EUV), sowie die über Artikel 6 Abs. 3 EUV in das Primärrecht integrierten, allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts bieten mehrere Ansatzpunkte, um materielle Gerechtigkeitserwartungen in das Recht zu importieren. Dabei hat in den letzten Jahren eine Bedeutungsverlagerung zugunsten der Charta stattgefunden.105 Während der Europäische Gerichtshof etwa in seinen Urteilen
99 MK-BGB/von Hein, Artikel 6 EGBGB, Rn. 162; NK-BGB/Schulze, Artikel 6 EGBGB, Rn. 15; Erman/Hohloch, Artikel 6 EGBGB, Rn. 23; Kropholler, IPR, S. 250; Martiny, FS Sonnenberger, S. 523, 538. 100 Vgl. Althammer, Das Konzept der Familie im Europäischen Internationalen Familienrecht, S. 1, 28. 101 Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 577 f. 102 Vgl. nur Boele-Woelki/Martiny, ZEuP 2006, 6, 11 ff.; Boele-Woelki, RabelsZ 82 (2018), 1, 4, 13 ff. 103 Dethloff, AcP 204 (2004), 544, 568; Boele-Woelki/Martiny, ZEuP 2006, 6, 8 f.; BoeleWoelki, FS Martiny, S. 27, 37. 104 Streinz, Europarecht, Rn. 766; Lohsse/Schulze, EU-Grundrechte im Privatrecht, S. 11, 12 f.; Corneloup, The Impact of EU Fundamental Rights, S. 61. 105 Heiderhoff, Die Selbstbeschränkung des Anwendungsbereichs der EU-Charta, S. 89, 99.
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zum ordre public mangels Alternativen zunächst häufig auf die EMRK zurückgreifen musste,106 zog er in den letzten Urteilen lieber die Grundrechtecharta heran.107 Die Grundrechte der EMRK sind selbstverständlich Teil der deutschen öffentlichen Ordnung, was sie auch ohne die Vermittlung über das Unionsrecht wären.108 Ungeklärt ist, in welchen Fällen die Grundrechte der GRCh zur Anwendung gelangen (und natürlich auch die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts). Von der Frage, wie die Grundrechte die nationalstaatliche öffentliche Ordnung im Kollisionsrecht bestimmen, hängt die Frage ab, ob die Rechtsprechung des EuGH zum verfahrensrechtlichen ordre public auf das Kollisionsrecht übertragen werden kann. Also ob es bei der Kontrolle der Grenzen der Vorbehaltsklausel bleibt und ob die öffentliche Ordnung weitgehend frei von den Mitgliedstaaten bestimmt werden kann. (a) Ansatzpunkte in den Verordnungen EU-Grundrechte könnten bei der ordre public-Kontrolle theoretisch in zwei Konstellationen relevant werden. Einmal ist es möglich, dass die EU-Grundrechte ein Eingreifen des ordre public auslösen, weil sie die Anwendung eines Rechts im konkreten Fall verbieten. Zum anderen können sie aber auch einem mitgliedstaatlichem Gericht verbieten, sich auf den ordre public zu berufen, weil dessen eigene öffentliche Ordnung EU-Grundrechte verletzt.109 Letztlich können diese beiden Fälle weitgehend zusammen behandelt werden, da es um die Frage geht, ob sich Sachrecht, sei es das fremde, zur Anwendung berufene Recht oder die lex fori, an den Europäischen Grundrechten messen lassen muss. Die Europäischen Verordnungen scheinen auf den ersten Blick diese Frage zu bejahen. Erwägungsgrund (16) Rom III-VO sagt ausdrücklich: „Das von den Ehegatten gewählte Recht muss mit den Grundrechten vereinbar sein, wie sie durch die Verträge und durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt werden.“ Erwägungsgrund (25) deutet an, dass die Ausübung des ordre public-Vorbehalts durch die materiellen Forderungen der Grundrechte eingeschränkt werden kann: „Die Gerichte sollen jedoch den ordre public-Vorbehalt nicht mit dem Ziel anwenden dürfen, eine Bestimmung des Rechts eines anderen Staates auszuschließen, wenn dies gegen die Charta der 106 Die Anwendung allgemeiner Grundsätze ist immer schwieriger als bei einem Grundrechtskatalog, da diese nicht nur behauptet werden dürfen, sondern umfassend nachgewiesen werden müssen. 107 Siehe oben unter aa) (2). 108 MK-BGB/von Hein, Artikel 6 EGBGB, Rn. 144; Thoma, Die Europäisierung und die Vergemeinschaftung des nationalen ordre public, S. 22 ff.; Wurmnest, Ordre public, S. 445, 461. 109 MK-BGB/Sonnenberger, 5. Aufl., Einleitung IPR Rn. 209; Basedow, FS Sonnenberger, S. 291, 305 f.; Stürner, FS von Hoffmann, S. 463.
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Grundrechte der Europäischen Union und insbesondere gegen deren Artikel 21 verstoßen würde, der jede Form der Diskriminierung untersagt.“ In ähnlichen Worten wiederholen Erwägungsgrund (54) EuEheGüVO und (53) EuPartGüVO diese Aussage. Alle drei Texte enthalten zum Schluss ihrer Erwägungsgründe zudem den Hinweis, dass die Gerichte die Grundrechte bei der Rechtsanwendung zu beachten hätten.110 Damit ist weder gesagt, dass die EU-Grundrechte in jedem Fall Teil der öffentlichen Ordnung sind, noch, dass sich über die Berufung auf die Grundrechte ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung begründen oder verneinen ließe. Den Anwendungsbereich der EU-Grundrechte kann nur die Grundrechtecharta selbst festlegen, nicht das Sekundärrecht.111 Hier ist daher auch nach einer Antwort auf das Problem zu suchen. (b) Weite und enge Auslegung des Begriffs der „Durchführung“ Nach ihrem Artikel 51 Abs. 1 gilt die EU-Grundrechtecharta für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Was unter „Durchführung“ des Rechts der Union zu verstehen ist, ist unklar und umstritten. Bei unbefangener und weiter Betrachtung könnte man folgendes annehmen: Wendet ein Gericht ein ausländisches Recht an, so tut es das auf Grund eines Rechtsanwendungsbefehls des IPR. Dieses IPR ist Europäisches Recht, der Rechtsanwendungsbefehl ist europäischen Ursprungs. Dies gilt auch bei der Rechtswahl. Die Anwendung eines fremden Rechts wäre dann „Durchführung des Rechts der Union“. Versteht man den Begriff hingegen eng, so könnte man annehmen, die EUGrundrechte-Charta sei nur anwendbar, wenn die EU-Staaten unter eine Norm europäischen Ursprungs subsumieren. Dann wäre lediglich die Ermittlung des anwendbaren Rechts im Internationalen Familienrecht nach den europäischen Verordnungen im Wirkungsbereich der Grundrechte, nicht aber mehr die Anwendung des Sachrechts selbst. (c) Rechtsprechung des EuGH und des Bundesverfassungsgerichts (aa) Åkerberg Fransson und Pfleger In dem Urteil Åkerberg Fransson ging der EuGH jedoch weiter in seiner Auslegung.112 In diesem Vorabentscheidungsverfahren des schwedischen Hapara-
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Erwägungsgründe (30) Rom III-VO, (73) EuEheGüVO und (71) EuPartGüVO. Heiderhoff, Die Selbstbeschränkung des Anwendungsbereichs der EU-Charta, S. 89, 90; Helms, IPRax 2017, 153, 154 mit Fn. 14. 112 EuGH, Urteil vom 26. Februar 2013, Rs. C-617/10, Åkerberg Fransson, NJW 2013, 1415. 111
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nda tingsrätt ging es um ein Strafverfahren gegen Herrn Åkerberg Fransson. Dieser hatte Mehrwertsteuern in Höhe von rund 320.000 schwedischen Kronen hinterzogen. Das Skatteverk (die schwedische Finanzbehörde) hatte ihm daher einen Steuerzuschlag von rund 100.000 Kronen auferlegt. Zudem wurde gegen ihn von der Åklagaren, der Staatsanwaltschaft, wegen Steuerhinterziehung ermittelt. Das vorlegende Gericht wollte wissen, ob die Einleitung eines Strafverfahrens und eine strafrechtliche Verurteilung gegen das ne bis in idem-Prinzip des Artikels 50 GRCh verstießen. Die schwedische, die tschechische sowie die dänische Regierung, Irland, die Niederlande und auch die Europäische Kommission hielten die Vorlagefrage für unzulässig. Weder die steuerrechtlichen Vorschriften noch die Strafvorschrift der Steuerhinterziehung würden Europäisches Recht durchführen oder umsetzen, sondern seien schlicht nationalen Ursprungs.113 Der EuGH sah dies aber anders. Er führte aus, die Grundrechte würden „in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen, aber nicht außerhalb derselben Anwendung finden.“ Entscheidend sei, ob der Fall in den Geltungsbereich des Unionsrechts falle.114 „Die Anwendbarkeit des Unionsrechts umfasst die Anwendbarkeit der durch die Charta garantierten Grundrechte.“115 Der EuGH setzte damit seine frühere Rechtsprechung fort, die er vor dem Inkrafttreten der GRCh zur Bindung der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte entwickelt hatte. Dieser zufolge galten die allgemeinen Unionsgrundrechte auch damals schon, wenn eine Regelung in den „Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts“ fällt oder wenn die Mitgliedstaaten Unionsrecht „durchführen“, ohne diesen Formeln verschiedene Bedeutungen beilegen zu wollen.116 Das Kriterium der Geltung geht jedoch weit über das Verständnis von einer bloßen „Anwendung von Unionsrecht“ hinaus, da bei der einzigen Voraussetzung, dass Unionsrecht gelten solle, schon jeder Bezug zum Unionsrecht ausreicht, um in den Anwendungsbereich der Grundrechte-Charta zu gelangen – unabhängig davon, ob tatsächlich unionsrechtliche Regeln umgesetzt werden. Dementsprechend weit ist auch die Verbindung, die der EuGH in Åkerberg Fransson zum Unionsrecht knüpft. Herrn Fransson wurde vorgeworfen, Mehrwertsteuern hinterzogen zu haben. Das Mehrwertsteuersystem sei in der Richtlinie 2006/12/EG vereinheitlicht. Diese verpflichte die Mitgliedstaaten dazu, geeignete Vorschriften zur Vorbeugung gegen Betrug zu erlassen. Zudem finanziere sich die Union zu einem guten Teil über dieses einheitliche Mehrwert-
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EuGH, Rs. C-617/10, Åkerberg Fransson, NJW 2013, 1415 Rn. 16. EuGH, Rs. C-617/10, Åkerberg Fransson, NJW 2013, 1415, Rn. 19. 115 EuGH, Rs. C-617/10, Åkerberg Fransson, ebd. Rn. 21. 116 EuGH, Urteil vom 11. Juli 1985, Rs. 60/84, Cinéthèque, NJW 1986, 1421, 1423, Rn. 26; Urteil vom 29. Mai 1997, Rs. C-299/95, Kremzov, Slg. 1997, I-2637, 2645, Rn. 15; Urteil vom 27. Juni 2006, Rs. C-540/03, Parlament/Rat, Slg. 2006, I-5809, 5841 Rn. 105; Ehlers/Ehlers, § 14, Rn. 65; Jarass, Artikel 51 GRCh, Rn. 16. 114
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steuersystem. Die Mitgliedstaaten seien daher über Artikel 325 AEUV verpflichtet, Vorsorgen zu treffen, damit die finanziellen Interessen der Union nicht beschädigt werden.117 Irrelevant sei es, dass die Vorschriften ursprünglich nicht zur Umsetzung dieser Regelungen erlassen wurden, da sie inzwischen auch die Funktionen wahrnähmen, die ihnen in den europäischen Regelungen zukommen und somit immerhin inzwischen Unionsrecht durchführen.118 Diesen weiten Anwendungsbereich bestätigte der EuGH ein Jahr später im Urteil Pfleger.119 Der EuGH entwirft die Idee eines europäischen Grundrechtsschutzes, der selbst in Bereiche hineinragt, die vom Unionsrecht nicht determiniert sind, sondern von diesem bloß gestreift werden.120 Es geht aus vom in Abschnitt 4 der Präambel der Charta selbst verkündeten Ziel, das Niveau des Grundrechtsschutzes zu stärken. Dahinter steht die Vorstellung, dass die Grundrechte der Charta auch im Nicht-Determinierten Bereich ein Mindestmaß des Schutzes garantieren können, über das die mitgliedstaatlichen Verfassungen hinausgehen können, solange sie nicht den Anwendungsvorrang des Unionsrechts gefährden.121 Bildlich gesprochen bildet die Grundrechtecharta den Boden, auf den im nicht-determiniertem Bereich die nationalen Grundrechte aufbauen können, während im unionsrechtlich determinierten Bereich aus Gründen der einheitlichen Anwendung allein das Schutzniveau der Charta abhelfen muss. Dieses Bild ist jedoch zu einseitig und macht es sich, wie zu zeigen ist, zu einfach. (bb) Kontroverse um das Urteil Die Reaktionen auf das Urteil Åkerberg Fransson waren teils außergewöhnlich kritisch. Man war verwundert, dass der EuGH eine Kontinuität in der Grundrechtsanwendung vor und nach Inkrafttreten der Charta angenommen hatte. Bis dahin ging man davon aus, dass der Anwendungsbereich der EU-
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EuGH, Rs. C-617/10, Åkerberg Fransson, NJW 2013, 1415, Rn. 25 ff. EuGH, Rs. C-617/10, Åkerberg Fransson, NJW 2013, 1415, Rn. 28. 119 EuGH, Urteil vom 30. April 2014, Rs. C-390/12, Pfleger, EuZW 2014, 596. 120 Kingreen, JZ 2013, 801, 803; Calliess/Ruffert/Kingreen, Artikel 51 GRCh, Rn. 10. 121 Deutlich: EuGH, Rs. C-617/10, Åkerberg Fransson, NJW 2013, 1415, Rn. 29; in diese Tendenz besonders deutlich der Schlussantrag von Generalanwältin Sharpston Generalanwältin, Rs. C-34/09, Zambrano, Slg. 2011, I-1177, Rn. 83 f., die die Anwendbarkeit der Charta nach Artikel 51 schon aus dem Unionsbürgerstatus der Beteiligten herleiten möchte; zustimmend aus der Literatur Brummund, Kohärenter Grundrechtsschutz im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, S. 67 f.; Ehlers/Ehlers, § 14, Rn. 67 f.; Franzius, ZaöRV 2015, 383, 389 ff.; Jarass, Art. 51 GRCh, Rn. 23; Ohler, NVwZ 2013, 1433, 1436 f.; dass ein solch weites Grundrechtsprogramm nicht intendiert war, erläutert sehr treffend etwa EuGH-Richter von Danwitz, EuGRZ 2013, 253, 259. 118
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Grundrechte durch Artikel 51 Abs. 1 GRCh eine bewusste Einschränkung erfahren sollte, weil gerade die Rechtsprechung des EuGH für die Mitgliedstaaten zu weit ging.122 Während der Erarbeitung des Textes der Grundrechtecharta hatte das Präsidium des Europäischen Grundrechtekonvents einen Vorschlag präsentiert, demzufolge die Mitgliedstaaten „im Geltungsbereich des Unionsrechts“ durch die Charta gebunden seien.123 Daraufhin äußerten die Regierungsvertreter aus Dänemark, Großbritannien, Deutschland und Frankreich, dass sie mit diesem sehr weiten Anwendungsbereich nicht einverstanden seien.124 Dass der Anwendungsbereich in der endgültigen Fassung „ausschließlich“125 auf die mitgliedstaatliche „Durchführung des Unionsrechts“ festgelegt wurde, konnte daher als Einschränkung verstanden werden. Jedoch ist die Entstehungsgeschichte nicht so eindeutig, wie es diesen Äußerungen zu entnehmen ist: Der EuGH und auch das Präsidium der Grundrechtekommission in den Erläuterungen zur Charta hatten nie einen Unterschied zwischen Durchführung und Anwendung gemacht.126 Diese Erläuterungen sind nach Artikel 6 Abs. 1 UAbs. 3 EUV und Artikel 52 Abs. 3 GRCh angemessen zu berücksichtigen.127 Es lässt sich somit kein klares Bild aus der Gesetzgebungsgeschichte entnehmen. Zudem deuten andere Sprachfassungen nicht so klar auf eine Begrenzung wie die deutsche Fassung: „implementing“, „mettent en l’oeuvre“, „apliquem“.128 Schließlich sind auch Systematik und Telos nicht eindeutig. Die einen betonen, dass die Grundrechtecharta ihrem ganzen Kontext nach „eine einzige, geradezu beschwörende Bemühung, den Grundrechtsschutz auf die bereits begründeten Kompetenzen zu stützen und […] nicht zur Kompetenzerweiterung werden zu lassen“, darstellt.129 Andere betonen, dass die Charta das Schutzniveau der Grundrechte stärken und nicht schwächen sollte.130 Insgesamt konnte es bei dieser unklaren Ausgangslage und mehrdeutigen Argumentationsmöglichkeit bei der Auslegung daher nicht verwundern, dass sich der
122 Meyer/Borowsky, Artikel 51 GRCh, Rn. 24a; Calliess/Ruffert/Kingreen, Artikel 51 Rn. 8; Huber, NJW 2011, 2385, 2387; Cremer, EuGRZ 2011, 545, 551 f.; Masing, JZ 2015, 477, 481. 123 CHARTE 4316/00 Convent 34, S. 9. 124 Meyer/Borowsky, Artikel 51 GRCh, Rn. 6; Huber, NJW 2011, 2385, 2387; Paraschas, LA Kohler, S. 357, 362. 125 Siehe die eben in Fn. 122 genannten. 126 EuGH, Rs. C-617/10, Åkerberg Fransson, NJW 2013, 1415, Rn. 20; Ehlers/Ehlers, § 14, Rn. 68; Huber, NJW 2011, 2385, 2387 nennt die Äußerungen „unklar“. 127 EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010, Rs. C-279/09, DEB, Slg. 2010, I-13849, Rn. 32. 128 Jarass, Artikel 51 GRCh, Rn. 16. 129 Masing, JZ 2015, 477, 481. 130 Ehlers/Ehlers, § 14, Rn. 68.
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EuGH für den Weg entschieden hat, der die geringste Abweichung von seinem bisherigen Kurs bedeutet hat. (cc) Die Position des Bundesverfassungsgerichts Für Gerichte in manchen Mitgliedstaaten, in denen der Grundrechtsschutz nicht so stark ausgebildet ist oder ein eigener Grundrechtsschutz fehlt, ist es oft eine enorme Hilfestellung, auf internationale oder supranationale Grundrechtskataloge zurückgreifen zu können, um zu flexibleren Entscheidungen zu gelangen, als es das starre einfache Gesetzesrecht oft zulässt.131 Die weite Auslegung des Begriffs der Durchführung und die damit einhergehende Möglichkeit der Gerichte, sich auf die Charta zu berufen, kann in solchen Ländern ein Motor der Rechtsfortbildung werden.132 In Mitgliedstaaten mit einer selbstbewussten Grundrechtstradition kann sie hingegen als ein Angriff auf die eigene Souveränität aufgefasst werden. Exemplarisch kann dies an der deutschen Position zur europäischen Konstitutionalisierung festgestellt werden. Bundesverfassungsrichter Huber hat die Entstehungsgeschichte der Charta als Begrenzung des weiten Anwendungsbereichs der Unionsgrundrechte gelesen. Abweichende Lesarten nannte er „Versuche von interessierter Seite, diese Korrektur zu relativieren und zu verschleiern.“133 Das Bundesverfassungsgericht hat in Solange II beschlossen, seinen Grundrechtsschutz auf Unionsrechtsebene auszusetzen, solange und weil die Union, vor allem durch den EuGH, einen dem nationalen Niveau weitestgehend gleichen Grundrechtsschutz garantiert.134 Damit beteiligt es sich aktiv an der europäischen Integration und achtet den Vorrang des Unionsrechts.135 Gleichwohl hat es sich vorbehalten, Ultra-vires-Akte am Grundgesetz zu messen und für nichtig zu erklären, wenn die Union sich außerhalb ihrer Kompetenz bewegt.136 Das Bundesverfassungsgericht stellte somit sicher, dass alle Handlungen der Mitgliedstaaten lückenlos einer Grundrechtskontrolle unterliegen und auch die Gerichtsbarkeit des Gerichts nicht aufgehoben wird.137 Für einen bestimmten Bereich, nämlich das Unionsrecht, nimmt es aber die Kontrolle zurück, um die einheitliche Anwendung des Unionsrechts nicht zu unterlaufen. Diese wäre 131 Vgl. etwa für die Niederlande Colombi Ciacchi, European Fundamental Rights and Private Law S. 203; siehe auch Siehr, FS von Hoffmann, S. 424, 425 f. 132 von Danwitz, EuGRZ 2013, 253, 259 f.; vgl. auch Lohsse/Schulze, EU-Grundrechte im Privatrecht, S. 11, 20 f. 133 Huber, NJW 2011, 2385, 2387. 134 BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 1986, Az. 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339, 387. 135 Dreier/Dreier, GG, Artikel 1 III, Rn. 21; Britz, EuGRZ 2015, 275, 276. 136 BVerfG, Urteil vom 12. Oktober 1993, Az. 2 BvR 2134/92, BVerfGE 89, 155, 188; Urteil vom 30. Juni 2009, Az. 2 BvE 2/08, BVerfGE 123, 267, 353 f.; Dederer, JZ 2014, 313, 314. 137 Dreier/Dreier, GG, Artikel 1 III, Rn. 21; Walter, AöR 129 (2004), 39, 53.
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praktisch unmöglich, wenn jeder Mitgliedstaat unterschiedliche Schutzstandards anlegen könnte.138 Diese Sichtweise läuft auf ein Modell der Alternativität hinaus, in dem sich Unionsgrundrechte und Grundgesetzgrundrechte (beinahe) blockhaft gegenüberstehen:139 Entweder es kommen Unionsrechte oder nationale Grundrechte zur Anwendung. Die Unionsgrundrechte können nur Vorrang für sich beanspruchen, wo es für die einheitliche Anwendung des Unionsrechts notwendig ist.140 Das Gericht stellt damit einerseits klar, dass das Grundgesetz integrationsfreundlich ist. Es betont aber auch die Endlichkeit dieser Integrationsbereitschaft.141 Während das Grundrechtsbild des EuGH von der Kumulation ausgeht, geht das mitgliedstaatliche Bild von der Alternativität aus. Dieses Modell vermeidet durch die Aufgabenverteilung jedoch ein Problem, dem sich die Kumulationsthese gegenübersieht: Bei bipolaren Fallgestaltungen, in denen sich Privatperson und Staat gegenüberstehen, ist eine Kumulation von Grundrechtsstandards möglich. Doch bereits in Dreieckskonstellationen ist das erhöhte Schutzniveau einer Partei nur dadurch zu erhalten, dass der anderen Partei Schutz genommen wird.142 Eine solche Konstellation liegt im Privatrecht vor. Zwei private Personen beantragen die Streitlösung vor einer staatlichen Stelle, dem Gericht. Beide könnten sich auf Grundrechte berufen, so dass die Aufgabe des Gerichtshofs darin bestehen müsste, diese beiden Grundrechtssphären abzuwägen und auszubalancieren.143 Erhöht das nationale Gericht das von der Grundrechtecharta vorgegebene Schutzniveau zugunsten einer Partei noch zusätzlich, schränkt es die Freiheit der anderen Partei ein und unterläuft damit das von der Charta garantierte Mindestniveau. Die Balance gerät zu Lasten einer Partei durcheinander. Die mitgliedstaatlichen Gerichte wären dann de facto auch im nicht-determinierten Bereich an die europäischen Vorgaben gebunden.144 Das vom EuGH abweichende Grundrechtsmodell des Verfassungsgerichts sowie dessen Drohung mit einer theoretisch möglichen Ultra-vires-Kontrolle standen im Hintergrund, als das Gericht nur wenige Wochen nach der Åkerberg Fransson-Entscheidung in seinem Urteil zur Antiterrordatei auf jene einging 138
Britz, EuGRZ 2015, 275, 276. Calliess, JZ 2009, 113, 120 f.; Augsberg, DÖV 2010, 153, 158; Ziegenhorn, NVwZ 2010, 803, 807 f.; Huber, NJW 2011, 2385, 2387; Kingreen, JZ 2013, 801, 802 f.; Thym, NVwZ 2013, 889, 892; Britz, EuGRZ 2015, 275 f. 140 Kingreen, JZ 2013, 801, 803. 141 Dreier/Dreier, GG, Artikel 1 III, Rn. 22. 142 Jarass, Artikel 53 GRCh, Rn. 31; Calliess/Ruffert/Kingreen, Artikel 51 GRCh, Rn. 14; ders., JZ 2013, 801, 808; Grabenwarter, DVBl 2001, 1, 11; Weber; DVBl 2003, 220, 224. 143 BVerfG, BVerfGE 7, 198, 206; Beschluss vom 24. Februar 1971, Az. 1 BvR 435/68 BVerfGE 30, 173, 197. 144 Jarass, Artikel 53 GRCh, Rn. 32; Kingreen, JZ 2013, 801, 808. 139
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3. Kap.: Schwächerenschutz nach Vertragsschluss
und seine Position im Kompetenzkampf formulierte.145 In dieser Verfassungsbeschwerde ging es um ein Gesetz, das die Errichtung einer gemeinsamen Verbunddatei von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten vorsah.146 Das Gesetz enthielt auch Regelungen betreffend den Datenaustausch mit internationalen Behörden und bewegte sich somit in einem Gebiet, das einen Zusammenhang zum Unionsrecht aufwies. Darüber hinaus verfügt die Union auf dem Gebiet der Terrorabwehr über Kompetenzen.147 Wendet man die weiten Maßstäbe des EuGH in Åkerberg Fransson hierauf an, wird man zu einer Geltung des Unionsrechts im Rahmen des ATDG und somit zu einer Anwendbarkeit der Grundrechtecharta gelangen.148 Das Bundesverfassungsgericht stellte jedoch klar, dass es keinen Anlass zu einer Vorlagefrage an den EuGH sieht.149 Es sei im Sinne eines acte claire150 eindeutig, dass in diesem Fall keine „Durchführung“ von Europarecht vorliege und die Europäischen Grundrechte daher keine Bedeutung in diesem Fall hätten. Es interpretierte den Begriff enger und führte aus, eine Anwendbarkeit der Unionsgrundrechte komme hier offensichtlich nicht in Betracht. „Es ergibt sich unmittelbar aus dem Wortlaut des Art. 51 Abs. 2 EuGRCh wie auch aus Art. 6 Abs. 1 des Vertrags über die Europäische Union, dass die Charta den Geltungsbereich des Unionsrechts nicht über die Zuständigkeiten der Union hinaus ausdehnt und weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben für die Union begründet noch die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten und Aufgaben ändert […].“151
Eine Vorlagepflicht bestehe nicht, da der EuGH in diesem Fall nicht gesetzlicher Richter im Sinne des Artikels 101 GG sei. Eine Zuständigkeit lasse sich auch nicht mit der Entscheidung in der Sache Åkerberg Fransson begründen. „Im Sinne eines kooperativen Miteinanders zwischen dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof […] darf dieser Entscheidung keine Lesart unterlegt werden, nach der diese offensichtlich als Ultra-vires-Akt zu beurteilen wäre […]. Insofern darf die Entscheidung nicht in einer Weise verstanden und angewendet werden, nach der für eine Bindung der Mitgliedstaaten durch die in der Grundrechtecharta niedergelegten Grundrechte der Europäischen Union jeder sachliche Bezug einer Regelung zum bloß abstrakten Anwendungsbereich des Unionsrecht oder rein tatsächliche Auswirkungen auf dieses ausreiche.“152
145
BVerfG, Urteil vom 24. April 2013, Az. 1 BvR 1215/07, BVerfGE 133, 277, 313 ff. Sachverhalt bei BVerfGE 133, 277, 279 ff. 147 Einzelheiten bei BVerfGE 133, 277, 314 f. 148 Gärditz, JZ 2013, 633, 635 f. 149 BVerfGE 133, 277, 313 ff., insbesondere 315 f. 150 Vgl. EuGH, Rs. C-283/81, C.I.L.F.I.T., Slg. 1982, 3415, Rn. 16 ff. 151 BVerfGE 133, 277, 315. 152 BVerfGE 133, 277, 315. 146
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Auch wenn man völlig zu Recht bezweifeln kann, dass hier ein acte claire vorlag, sodass das Verfassungsgericht vielleicht zur Vorlage an den EuGH verpflichtet war,153 war es wohl eine taktisch kluge Idee, dass das BVerfG sich die Antwort des EuGH selbst gab und dem Gerichtshof mit der Drohung der Ultravires-Kontrolle die eigene Toleranzgrenze aufzeigte.154 (dd) Folgerechtsprechung des EuGH Dass der EuGH vom Widerspruch des Bundesverfassungsgerichts unbeeindruckt geblieben wäre, ist nahezu ausgeschlossen. Zwar ist das Pfleger-Urteil, das sich auf der Linie mit Åkerberg Fransson befindet, zeitlich deutlich nach dem Urteil zur Antiterrordatei erlassen worden. Doch zeigt sich in anderen Folgeurteilen des Gerichtshofs ein Entgegenkommen gegenüber den mitgliedstaatlichen Positionen.155 Thym sieht in dieser Annäherung eine geradezu typische Vorgehensweise des EuGH, die er „inkrementelle Konkretisierung“ nennt.156 Damit meint er, dass der EuGH häufig zunächst in einem Grundsatzurteil eine noch ziemlich unfertige These in den Raum stellt, diese quasi wie einen Versuchsballon steigen lässt. Diese These konkretisiert, verfeinert und ändert er dann stufenweise in seinen Folgeentscheidungen ab. Dabei setzt es auf einen Dialog mit anderen höchsten Gerichten, lässt sich von Argumenten aus den Mitgliedstaaten beeindrucken. Freilich wird es so nicht einfach, eine durchgehende Linie in der Rechtsprechung des EuGH auszumachen, was noch dadurch kompliziert wird, dass sich das Gericht in seinen Urteilen trotzdem weiter auf seine überarbeitete oder zumindest fortentwickelte Rechtsprechung beruft.157 In Siragusa erläuterte der EuGH, dass zumindest nicht jede mittelbare Beziehung zum Unionsrecht ausreicht, um von einer „Durchführung“ zu sprechen.158 Im Fall ging es um den Landschaftsschutz. Das vorlegende Gericht fragte, ob wegen dieser Verbindung zum Umweltschutz, welcher Regelungsgegenstand der Union sein kann (vgl. Artikel 11 AEUV), der Anwendungsbereich der Grundrechte eröffnet sei. Dieser nur mittelbare Bezug sei nach Ansicht des Gerichtshofs jedoch nicht ausreichend, vielmehr sei ein „hinreichender Zusammenhang von einem gewissen Grad“ zu verlangen.159 Die mitgliedstaatlichen Gerichte trügen die Verantwortung, genau festzustellen, ob die 153
Gärditz, JZ 2013, 633, 635. Gärditz, JZ 2013, 633, 636; vgl. auch Voßkuhle, EuGRZ 2014, 165, 167. 155 Britz, EuGRZ 2015, 275 f.; unsicher Calliess/Ruffert/Kingreen, Artikel 51 GRCH, Rn. 10; Thym, DÖV 2014, 941, 943 ff. 156 Thym, DÖV 2014, 941, 942. 157 Snell, EPL 21 (2015), 285, 296 ff. 158 EuGH, Urteil vom 6. März 2014, Rs. C-206/13, Siragusa, NVwZ 2014, 575, 576 f., Rn. 20 ff. 159 EuGH, Rs. C-206/13, Siragusa, NVwZ 2014, 575, 576, Rn. 24. 154
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staatliche Maßnahme die Umsetzung einer unionsrechtlichen Regelung bezwecke, welchen Charakter diese Regelung habe oder ob sie noch weitere, nicht unionsrechtliche Ziele verfolge.160 Insbesondere weist das Gericht darauf hin, dass von einer Durchführung gesprochen werden müsse, wenn den Mitgliedstaaten durch die EU eine Verpflichtung auferlegt werde.161 Zudem gestattet es sich eine allgemeine Bemerkung und erläutert, dass das Ziel des unionsrechtlichen Grundrechtsschutzes darin bestehe, Grundrechte bei jedem Tätigwerden der Unionsorgane zu schützen. Das Urteil sendet ambivalente Signale. Zum einen scheint der EuGH wieder nur an seine bereits ergangene Rechtsprechung anknüpfen zu wollen, wobei er nur den Begriff der Geltung präzisiert. Sein Kriterium des hinreichenden Zusammenhangs ist freilich sehr vage.162 Zum anderen kommt der Gerichtshof jedoch auch der Kritik des Bundesverfassungsgerichts entgegen. Wenn es seiner Ansicht nach vor allem auf eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten ankommen soll, dann scheint sich der Anwendungsbereich der Charta auf das vom Unionsrecht determinierte Gebiet zu beschränken. Wo die Mitgliedstaaten zwar eine Umsetzungspflicht trifft, sie aber einen eigenen Spielraum nutzen können, kann somit wieder Raum für nationale Grundrechte entstehen. In dieselbe zurückhaltende Richtung weist auch die Aussage, dass die Unionsgrundrechte vor allem die Schutzlücken schließen soll, die durch den Anwendungsvorrang des Unionsrechts entstehen. Dies spricht für eine Annäherung an die Alternativitätsthese.163 In späteren Urteilen164 hat der EuGH bestätigt, dass es in dem Bereich, in dem europarechtliche Vorgaben bestehen, auf eine Indiziensammlung ankommt. Er hat diese Indizien, deren Liste in Siragusa nicht abschließend war, aber nicht mehr weiter präzisiert.165 (ee) Fazit Die in der Åkerberg-Fransson-Entscheidung getroffene Bestimmung des Anwendungsbereichs der Charta dürfte überholt sein. Die Kumulationsthese versagt offensichtlich in mehrpoligen Rechtsverhältnissen, bei denen sich nicht Bürger und Staat gegenüberstehen, sondern zwei Bürger, die ein staatliches Gericht zur Entscheidung heranziehen. „Mehr Schutz“ für die eine Seite bedeutet, wie bereits erläutert, „weniger Schutz“ für die andere Seite. Wenn die
160
EuGH, Rs. C-206/13, Siragusa, NVwZ 2014, 575, 576, Rn. 25. EuGH, Rs. C-206/13, Siragusa, NVwZ 2014, 575, 576, Rn. 26. 162 Epiney, NVwZ 2015, 704, 708; Thym, DÖV 2014, 941, 945. 163 Britz, EuGRZ 2015, 275; Thym, DÖV 2014, 941, 944. 164 EuGH, Urteil vom 27. März 2014, Rs. C-265/13, Marcos, EU:C:2014:187, juris, Rn. 28 ff.; Urteil vom 10. Juli 2014, Rs. C-198/13, Hernández, EuZW 2014, 795. 165 Thym, DÖV 2014, 941, 944. 161
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Charta nach dieser Theorie aber ein Mindestniveau setzen will, dürfen die mitgliedstaatlichen Gerichte von der vom EuGH hergestellten Konkordanz gar nicht abweichen, selbst wenn sie die Gewichtung nach den nationalen Grundrechten anders vornehmen würden. Das Bundesverfassungsgericht hat daher berechtigterweise auf die Ultra-vires-Grenze hingewiesen. Der EuGH hat den Begriff der Durchführung in seinen folgenden Urteilen daher auch eingeschränkt. Hierbei hat er zwar nominell daran festgehalten, dass die Grundrechtecharta überall dort gelten soll, wo EU-Recht gilt. Er hat aber mit dem Kriterium des hinreichenden Zusammenhangs eine Möglichkeit eröffnet, im Einzelfall von der Anwendung der Grundrechtecharta abzusehen und somit den Mitgliedstaaten Spielraum für die Anwendung ihres eigenen Verfassungsrechts gelassen. Die neue Zurückhaltung des Gerichtshofs ist angemessen, weil die Charta niemals darauf ausgerichtet war, der EMRK als international verbürgtem Grundrechtsminimum in allen Rechtsbereichen Konkurrenz zu machen. Sie sollte nur die Lücken füllen, die durch den Anwendungsvorrang des Unionsrechts entstehen.166 Nach dieser Grenzziehung ist die Problematik jedoch keinesfalls gelöst, da die Abgrenzung im Einzelfall zu Schwierigkeiten führen wird. Es ist also nicht so, als hätte die Alternativitätsthese des Bundesverfassungsgerichts sich umfassend durchgesetzt. Vielmehr werden sich die Gerichte und die Wissenschaft mit der Idee auseinanderzusetzen haben, dass es in Zukunft drei Bereiche geben wird: einen Bereich, in dem nur die EU-Grundrechte gelten, einen Bereich, in dem nur nationale Grundrechte gelten, und einen Bereich, in dem beide Grundrechtsregimes gelten.167 Der Bereich, in dem nur nationale Grundrechte gelten, ist verhältnismäßig einfach zu identifizieren: Es ist der Bereich, in dem die Union keine legislative Kompetenz hat.168 Ebenfalls ohne Schwierigkeiten kann der Bereich bestimmt werden, in dem ausschließlich EU-Grundrechte gelten. Neben einem Tätigwerden der EU-Organe kann dies der Fall sein, wenn die Mitgliedstaaten in einem Bereich tätig werden, der vollständig vom EU-Recht determiniert ist und den Gliedstaaten keinen Handlungsspielraum offenlässt. Zum Schwur kommt es in der Handlungssphäre, die einen Bezug zum EU-Recht aufweist, durch dieses aber nicht determiniert ist, in dem den Mitgliedstaaten also Handlungsspielräume zustehen. Begreift man jetzt, dass das Handeln der Mitgliedstaaten in diesen Bereichen aus unterschiedlichen Teilakten bestehen kann, so wird man zu dem konfusen und unpraktischen, aber sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebenden Ergebnis kommen, dass für einige dieser Handlungen die Charta gilt, für andere nicht. Entscheidend ist, ob die Beziehung zum Recht 166 167
von Danwitz, EuGRZ 2013, 253, 259. Kingreen, JZ 2013, 801, 806; Britz, EuGRZ 2015, 275, 280; Masing, JZ 2015, 477,
483. 168
Paraschas, LA Kohler, S. 357, 361.
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der EU bei jeder einzelnen Teilhandlung hinreichend eng ist oder nicht. Es bleibt folglich nur die Aufgabe, in die vom EuGH vorgegebenen und nicht abschließend aufgezählten Kriterien eine eigene Ordnung zu bringen, sie also wieder an einem vorgesetzten Kriterium auszurichten. Dieses Kriterium ergibt sich aus dem Aspekt, den EuGH und Bundesverfassungsgericht gemeinsam als essentiell erkannt haben: Es geht um die Notwendigkeit der einheitlichen Anwendung des Europarechts.169 Dass der EuGH bereit ist, diesen Punkt selbst hervorzuheben, wenn es um die Abgrenzung seiner Rechtsordnung von einer anderen konkurrierenden Ordnung geht, hat er im Gutachten zum Beitritt der EU zur EMRK gezeigt.170 Hier ging es dem EuGH nicht darum, seinen Einflussbereich auszuweiten, sondern den fremden Einfluss der EMRK (und somit des EGMR) auf das Unionsrecht abzuwehren. Eines der zentralen Argumente des Gerichtshofs lautete dabei, dass der Anwendungsvorrang des Unionsrechts einen Ausschluss jeglicher anderen Rechtsordnung erfordere. Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung könne nicht mehr gewährleistet werden, wenn Mitgliedstaaten auf die zusätzliche Grundrechtsebene der EMRK zugreifen könnten oder sogar müssten.171 Was der EuGH für sich zu Abwehr der Konkurrenz durch den EGMR in Anspruch nimmt, muss er den Mitgliedstaaten wenigstens auch gestatten. Richtet man an diesem Kriterium die einzelnen in Siragusa genannten Kriterien aus, so können einige direkt als mehr oder weniger irrelevant zurückgewiesen werden. Es kann letztlich nicht auf die Intention des handelnden Mitgliedstaats oder das Telos der Regelung ankommen, Unionsrecht durchzuführen oder nicht. Dann hätten die Mitgliedstaaten es in der Hand, wann Unionsgrundrechte gelten. Die Frage muss aus dem europäischen Recht selbst gewonnen werden. Die Grundrechtecharta muss allerdings eingreifen, wenn das Gebot der effektiven Anwendung des Europarechts ein einheitliches Handeln aller Mitgliedstaaten erforderlich macht. Hier müssen sich auch die nationalen Grundrechte zurückziehen, um den Anwendungsvorrang des EU-Rechts zu gewährleisten. Sie werden dann durch die Charta ersetzt. Es geht also nicht so sehr darum, Schutz zu verstärken, sondern Lücken zu schließen. Entscheidend muss es demzufolge darauf ankommen, wie präzise die Verpflichtung ist, die das Europäische Recht gesetzt hat.172 Britz argumentiert, dass die Union in Richtlinien oftmals bloß Mindestanforderungen setze, abweichende Regelungen gestatte oder ganze Regelungsbereiche ausspare. In diesen Bereichen komme es der Union also nicht auf die konkrete Gestaltung 169
Britz, EuGRZ 2015, 275, 278. EuGH, Gutachten 2/13 vom 18.12.2014, juris. 171 EuGH, Gutachten 2/13, Rn. 191 ff.; Kohler, IPRax 2017, 333, 334. 172 Vgl. EuGH Rs. C-198/13, Hernández, EuZW 2014, 795, Rn. 35, 37; Britz, EuGRZ 2015, 275, 278. 170
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durch die Mitgliedstaaten an, so dass sie auch nicht stören könnte, wenn mitgliedstaatliche Grundrechte zur Anwendung kommen.173 Konsequenz ist dann, dass die Unionsgrundrechte in diesem Fall nicht greifen würden. Allerdings wacht das Europäische Recht gleichzeitig über die Grenzen dieses Umsetzungsspielraums, die sich am Prinzip der einheitlichen, effektiven Anwendung des Unionsrechts auszurichten haben. Dies entspricht etwa der Tendenz, die der Gerichtshof seit Krombach beim anerkennungsrechtlichen ordre public vertritt, oder bei der Wirksamkeitskontrolle von AGB, die der Gerichtshof den Mitgliedstaaten überlässt.174 In dieser Situation gelten sowohl mitgliedstaatliche Grundrechte als auch die Chartarechte. Aber gerade nicht in dem Sinne der Kumulationsthese; sie verstärken sich nicht gegenseitig. Das eine Grundrechtsregime ist nicht der Boden, auf dem sich das andere erhebt. Sondern die mitgliedstaatlichen Grundrechte regieren innerhalb der Grenze, die EU-Grundrechte gelten, soweit aus Gründen der einheitlichen Anwendung die Grenzen des Umsetzungsspielraums erreicht sind. Dabei greifen diese unterschiedlichen Ebenen dicht ineinander, aber überlappen sich nicht. Beide Ebenen haben unterschiedliche Ansatzpunkte. Verfassungsrichterin Britz fasst es prägnant zusammen: „Eine Kumulativanwendung im engeren Sinne ist konstruktiv nicht sinnvoll herzuleiten […]. Zur Sicherung der einheitlichen und effektiven Anwendung unionsrechtlicher Vorgaben ist die Charta dann heranzuziehen, wenn für den jeweils zu beurteilenden Aspekt einer nationalen Regelung zwingende Vorgaben des Unionsrechts bestehen. Dies ist – wenn man den Betrachtungsgegenstand präzise herausarbeitet – entweder zu bejahen oder zu verneinen, nicht aber zu ‚verjeinen‘.“175
Das Gleiche wird auch gelten müssen für unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln: sofern diese dazu dienen, den Mitgliedstaaten Handlungsspielräume zu eröffnen, können nicht die Unionsrechte herangezogen werden; sofern jene Begriffe allerdings dem mitgliedstaatlichen Handeln Grenzen setzen sollen, müssen sie durch diese ausgefüllt werden.176 Erst auf einer zweiten Stufe, nachdem die wichtigsten Fälle bereits durch die Analyse der europarechtlichen Vorgaben entschieden worden sind, kann in den hard cases die nationale Umsetzungsvorschrift betrachtet werden. Hier stellt sich dann etwa die Frage, ob neben den unionsrechtlichen Zielen noch weitere Ziele verfolgt werden und welchen Rechtscharakter die Regelung selbst trägt.177 Der Charakter der Vorschrift bleibt allerdings ein sehr vages Kriterium.
173
Britz, EuGRZ 2015, 275, 278. Britz, EuGRZ 2015, 275, 279. 175 Britz, EuGRZ 2015, 275, 280. 176 Britz, EuGRZ 2015, 275, 279. 177 Thym, DÖV 2014, 941, 944. 174
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Eine genauere Orientierung kann nicht vorgenommen werden, da der EuGH keine weiteren Indizien genannt hat. Letztlich ist es auch nicht mehr entscheidend, wie weitere peripher in Betracht kommende Argumente zu sortieren sind. Entscheidend ist es, den Anwendungsbereich der Grundrechte auf das Kriterium der effektiven und einheitlichen Anwendung des Unionsrechts auszurichten. Dies kann nur sinnvoll gelingen, wenn der Schwerpunkt dabei auf der Analyse der Vorgaben des Unionsrechts selbst liegt. (d) Durchführung des EU-Rechts im Internationalen Familienrecht (aa) GRCh-Bindung auf den verschiedenen Stufen der Kollisionsrechtsanwendung Untersucht man nun, wo eine einheitliche Anwendung im Internationalen Familienrecht die Anwendung nationaler Grundrechte ausschließt, scheinen damit die beiden Bereiche wieder schärfer getrennt werden zu müssen, die sich in der geschichtlichen Entwicklung immer stärker angenähert haben: Es geht um die Unterscheidung von Kollisions- und Sachrecht. Der internationale Sachverhalt stellt sich demnach nicht als einheitliches, unentschiedenes Ganzes dar. Seine umfassende Behandlung kann nicht vollständig als Durchführung der Verordnung begriffen werden. Nur weil ein bestimmtes Recht auf Grund eines Anwendungsbefehls des Internationalen Privatrechts zur Anwendung gelangt, ist die konkrete Heranziehung der nationalen, sachrechtlichen Vorschriften nicht auch Anwendung der Verordnung. Dies ist das erste wichtige Zwischenergebnis für die Frage, wie weit der ordre public durch die Grundrechte bestimmt wird. Man kann also unterscheiden zwischen der Ermittlung des anwendbaren Rechts und der Anwendung dieses Sachrechts. Während der ersten Phase, der Ermittlung des Sachrechts, gelten die Unionsgrundrechte ohne Zweifel und vollständig.178 Nicht nur der europäische Gesetzgeber hatte beim Erlass der Rechtsakte zum Internationalen Privatrechte die Grundrechte selbstverständlich zu beachten. Ebenso müssen auch die mitgliedstaatlichen Stellen, sobald sie die Rechtsakte anwenden und auslegen, die Grundrechte der Charta berücksichtigen. Bei der Anwendung der Kollisionsregeln sind die Mitgliedstaaten also vollständig in ihrem Verhalten determiniert; sie können keine abweichenden Regelungen treffen. Die Grundrechte gelten bei der Anwendung objektiver Anknüpfungsregeln, aber auch bei der Frage, ob eine Rechtswahl zustande gekommen ist.179 Sie gelten jedoch ausnahmsweise da nicht, wo die Mitgliedstaaten die Verordnung umsetzen und über die Regelungen hinausgehen können. Dies gilt insbesondere bei der Frage, ob sie zusätzliche Formvorschriften 178
Saastamoinen, Mélanges van Loon, S. 503, 504 ff. Dies ist für die Frage der Wirksamkeitskontrolle ein möglicher Ansatzpunkt. Siehe dazu unten § 8 B. II. 1. b). 179
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erlassen oder die zeitlichen Möglichkeiten der Rechtswahl, etwa im Gerichtsverfahren, noch ausweiten können.180 Hier setzen die Rechtstexte nämlich bereits selbst ausreichende Mindeststandards. Die Grenzen einer effektiven Anwendung müssen dann nicht noch eigens festgelegt werden. Die Mitgliedstaaten bewegen sich in einem vollkommen ihnen überlassenen Bereich. Der Anwendungsbefehl endet in dem Moment, in dem in das nationale Recht geschaut wird. Es geht hier primär darum, ob bei der Anwendung des fremden Rechts Grundrechte der Charta eine generelle Bedeutung haben, etwa bei der Ausfüllung von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen im fremden Recht oder der grundrechtskonformen Auslegung anderer Tatbestandsmerkmale. In diesem Moment, in dem der Rechtsanwender auf die sachrechtliche Ebene wechselt, ist der Befehl des Kollisionsrechts erfüllt, das anwendbare Recht wurde bestimmt. Der Geltungsbereich des EU-Rechts endet nicht erst in dem Moment, in dem das konkrete materiellrechtliche Ergebnis feststeht und der Fall gelöst ist. Der Grund, warum diese strikte Trennung notwendig wird, ist ein kompetenzrechtlicher. An dieser Trennlinie würde die EU nämlich ihre eigene Zuständigkeit überschreiten und das Subsidiaritätsprinzip verletzen. Wie bereits betont, verfügt die EU zwar über die Kompetenz zur Vereinheitlichung des Kollisionsrechts, aber nicht zum Erlass eines Europäischen Familiensachrechts.181 Hier endet also notwendig die Geltung der Grundrechte, weil auch die Geltung des Unionsrechts hier endet. Wenn man behaupten würde, die Anwendung des Sachrechts sei ebenso Durchführung des Unionsrechts, da hier der Anwendungsbefehl der europäischen Rechtsakte umgesetzt wird, wäre dies ein Verstoß gegen das in Artikel 4 Abs. 1 EUV niedergelegte und in Artikel 51 Abs. 2 und 52 Abs. 2 GRCh deklaratorisch wiederholte Subsidiaritätsprinzip. Mitgliedstaatliches Familienrecht würde sonst an den EU-Grundrechten gemessen werden. Genau an solchen Befürchtungen ist letztlich die Einstimmigkeit der Mitgliedstaaten gescheitert, die die europäische Integration blockierte und die Union zwang, auf das Verfahren der Verstärkten Zusammenarbeit auszuweichen. Die Gliedstaaten, die ihre Zustimmung verweigerten, befürchteten, dass die Union über das Kollisionsrecht mittelbar auch Kontrolle über den Inhalt des materiellen Familienrechts hätten gewinnen können. Dies ist definitiv vom Primärrecht so nicht vorgesehen und auch politisch nicht erwünscht. Es ist daher sinnvoll, hier klarzustellen, dass diese Befürchtungen weder den Unterschied von Kollisions- und Sachrecht genau erkennen, noch Folge des Primärrechts der EU sind. Keinesfalls kann eine 180
Vgl. Artikel 5 Abs. 3, 7 Rom III-VO, Artikel 23 Abs. 2 EuEheGüVO. Europäische Kommission, Mitteilung zur Klärung der Vermögensverhältnisse bei internationalen Paaren, KOM(2011), 125/3, S. 5 f.; Boele-Woelki, FS Martiny, S. 27, 36; Jänterä-Jareborg, Unification of International Family Law in Europe, S. 194, 195; Isensee, DVBl 2009, 801, 802 f.; vgl. auch EuGH, Urteil vom 1. April 2008, Rs. C-267/06, Maruko, Slg. 2008, I-1757, Rn. 77. 181
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mitgliedstaatliche Norm des Familienrechts an den EU-Grundrechten gemessen werden.182 Dies wäre einem hinreichend qualifizierten Ultra-vires-Akt gleichzusetzen. (bb) EU-Grundrechte und ordre public Die schwierigste Frage lautet letztlich, wann bei der Anwendung der allgemeinen Vorbehaltsklausel Grundrechte der Charta Beachtung finden und nationale Wertungen zurückstehen müssen. Vielfach wird pauschal behauptet, die Grundrechte seien anwendbar, weil die Mitgliedstaaten mit der Rom III-VO Unionsrecht durchführen.183 Diese Frage hängt, wie gezeigt, jedoch davon ab, wie weit das EU-Recht die Mitgliedstaaten determiniert, welche Art von Freiraum den Mitgliedstaaten zugestanden wird und welche Grenzen dem ordre public durch das Effektivitätsprinzip und das Erfordernis einheitlicher Anwendung gesetzt werden. Hinzu kommt die aus dem Subsidiaritätsprinzip und der eingeschränkten Unionskompetenz folgende Notwendigkeit, die Grenzen von Kollisionsrecht und Sachrecht nicht zu verwischen und ein Übergreifen der Grundrechte auf das nationale Familienrecht zu verhindern. Dies ist beim ordre public jedoch außerordentlich schwierig zu sagen, denn hinzu kommt das Dilemma, dass beim ordre public die Grenzen von Kollisionsrecht und Sachrecht zu verschwimmen scheinen. Es handelt sich bei der Vorbehaltsklausel zwar um eine Kollisionsnorm, ob diese Kollisionsnorm jedoch eingreift, hängt – neben dem Inlandsbezug – nur von einer sachrechtlichen Bewertung ab. Hierzu müssen diejenigen Teile von zwei Rechtsordnungen verglichen werden, für die die Union gerade keine Kompetenz hat. Daher ist nur eine differenzierte Lösung angebracht. Die Anwendung des ordre public lässt sich hierbei in zwei verschiedene Momente aufzuteilen. Zunächst wird die ausländische Norm mit der öffentlichen Ordnung der lex fori verglichen und an ihren Maßstäben gemessen. Im zweiten Schritt wird bei einem hinreichend schweren Verstoß gegen die wesentlichen Wertungen der lex fori diese anstelle des eigentlich anwendbaren Rechts berufen. Was den ersten Moment betrifft, die Kontrolle des fremden Rechts, so scheidet hier eine Kontrolle am Maßstab der Europäischen Grundrechte aus.184 Die Anwendung einer ausländischen Norm kann keinesfalls mit der Begründung
182 Im Zusammenhang des Europäischen Internationalen Prozessrechts auch Heiderhoff, Die Selbstbeschränkung des Anwendungsbereichs der EU-Charta in Art. 51, S. 89, 112. 183 Rauscher/Helms, Artikel 12 Rom III-VO, Rn. 2; NK-BGB/Budzikiewicz, Artikel 12 Rom III-VO, Rn. 13 f.; Corneloup/Joubert, Article 12 Rome III, Rn. 12; Stürner, FS von Hoffmann, S. 463, 475; Corneloup, The Impact of EU Fundamental Rights, S. 61, 80. 184 Andere Ansicht Corneloup, The Impact of EU Fundamental Rights, S. 61, 80; Grosser, Bucerius Law Journal 2008, 9, 12 für die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts.
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abgelehnt werden, sie verstoße gegen die Charta, zum Beispiel gegen das Diskriminierungsverbot. Im Bereich des Sachrechts sind die Mitgliedstaaten nicht durch das Unionsrecht determiniert. Nichts anderes kann daher gelten, wenn lediglich ein fremdes Recht kontrolliert werden soll. Daraus folgt, dass der Begriff der öffentlichen Ordnung von den Mitgliedstaaten selbst zu füllen ist.185 Die Charta gilt insofern nicht. Die Grundsätze des EuGH seit der KrombachEntscheidung sind insoweit auf das Europäische Kollisionsrecht zu übertragen.186 Es ist einleuchtend, dass die öffentliche Ordnung nur von den Mitgliedstaaten selbst bestimmt werden kann. Sowohl Artikel 31 EuEheGüVO/EuPartGüVO, Artikel 12 Rom III-VO und Artikel 13 HUP sprechen von der „öffentlichen Ordnung des angerufenen Gerichts.“ [Hervorhebung durch den Autor]. Es ist wichtig, diese Vorgabe als Sinn und Zweck der Norm ernst zu nehmen. Der ordre public ist kein Instrument, das die Integration stört, sondern sie gerade erst ermöglicht.187 Integration wird nicht dadurch verwirklicht, dass die Inhalte der mitgliedstaatlichen öffentlichen Ordnungen durch supranationalen Rechtsbefehl angeglichen werden. Eine solche Angleichung muss von den Mitgliedstaaten ausgehen und natürlich wachsen. Der ordre public ermöglicht, so paradox das auf den ersten Blick klingen mag, Integration dadurch, dass er den Mitgliedstaaten immer noch eine Notbremse lässt. Die Unionsgrundrechte finden daher keine Anwendung bei der Bewertung ausländischen Rechts. Die Mitgliedstaaten sind nicht determiniert. Der Bezug zur Durchführung des Rechts der Union ist nicht hinreichend. Somit wird vermieden, was die größte Sorge vieler Mitgliedstaaten ist: Nationales Familienrecht darf nicht an den Europäischen Grundrechten gemessen werden. Eine Vorlagefrage an den EuGH, ob eine Vorschrift der Grundrechtecharta es gebiete, ein bestimmtes Recht unangewendet zu lassen, wird der EuGH mangels Anwendbarkeit der Charta verneinen müssen. Die Gerichte brauchen sie nicht stellen. Die Grenze des Artikels 51 Abs. 2 GRCh, des Subsidiaritätsprinzips, bleibt gewahrt. Es besteht kein Bedürfnis einheitlicher Anwendung, sondern gerade im Gegenteil das Bedürfnis, den Mitgliedstaaten einen Autonomiebereich zu lassen. Die europäischen Institutionen müssen selbst lernen, Vertrauen in die Mitgliedstaaten zu entwickeln. 185
Rauscher/Helms, Artikel 12 Rom III-VO, Rn. 2; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, A, Rn. 480; Sonnenberger, FS Kropholler, 227, 244; Franzina, CDT 3 (2011), 85, 124; Martiny, FS Sonnenberger, S. 523, 531 f.; Stürner, Der ordre public im europäischen Kollisionsrecht, S. 87, 92; Andrae, Internationales Familienrecht, § 4, Rn. 50; Helms, FamRZ 2011, 1765, 1771. 186 Althammer/Arnold, Artikel 12 Rom III-VO, Rn. 3; NK-BGB/Budzikiewicz, Artikel 12 Rom III-VO, Rn. 13; Stürner, FS von Hoffmann, S. 463, 472; Franzina, CDT 3 (2011), 85, 124; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, A, Rn. 478; Grosser, Bucerius Law Journal 2008, 9, 10. 187 von Bar/Mankowski, IPR I, § 3, Rn. 74; Wurmnest, Ordre public, S. 445, 450.
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3. Kap.: Schwächerenschutz nach Vertragsschluss
Anders sieht es jedoch beim zweiten Moment aus. Hier geht es darum, dass das nationale Gericht ein Ersatzrecht für einen bestimmten Aspekt beruft und somit die Entscheidung, die durch das Europäische Kollisionsrecht determiniert war, unterläuft. Dabei besteht direkt ein viel engerer Bezug zum Unionsrecht, denn das Gericht setzt sich an die Stelle des EU-Gesetzgebers. Hier könnte es tatsächlich dazu kommen, dass die Mitgliedstaaten den ordre public missbrauchen und eine grundsätzliche Offenheit gegenüber dem fremden Recht, die durch den ordre public garantiert wird, ins Gegenteil verkehren. Dieser Gefahr muss entgegengewirkt werden, schon aus der grundlegenden Zielrichtung des IPR, für internationalen Entscheidungseinklang zu sorgen. Ein vereinheitlichtes Kollisionsrecht ist nur sinnvoll, wenn es auch zu gleichen Ergebnissen führt. Ansonsten liefert es für den Rechtsverkehr keine Sicherheit und zerstört das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten untereinander. Das Europäische Recht muss den Mitgliedstaaten hier also notwendig Grenzen setzen. Insofern lässt sich auch die zweite Kernaussage des EuGH zum anerkennungsrechtlichen ordre public auf das Kollisionsrecht übertragen. Wenn die Mitgliedstaaten das grundsätzlich anwendbare Recht ersetzen wollen und stattdessen die lex fori berufen möchten, dann befinden sie sich nicht nur im Geltungsbereich des Unionsrecht. Es gibt zudem aus Gründen der effektiven, einheitlichen Anwendung des Unionsrechts ein Bedürfnis, dass der EuGH die Grenzen dieser Ersatzanknüpfung festlegt.188 Daher sind die Mitgliedstaaten in diesem Bereich an die Grundrechte der Grundrechtecharta gebunden. Die Plausibilität dieses zweistufigen Vorgehens wird im Übrigen auch bestätigt durch die Rechtsprechung des EuGH zum Namensrecht.189 Hier geht es um Beschränkungen der Personenfreizügigkeit durch die Berufung auf den mitgliedstaatlichen ordre public. Der EuGH erkennt hier die nationale öffentliche Ordnung eines Mitgliedstaats als Rechtfertigungsgrund an für die Beschränkung der Freizügigkeit durch das Verbot, einen in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Namen weiterzuführen, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.190 Durch die insoweit vorzunehmende Verhältnismäßigkeit der Beschränkung zieht der EuGH ebenfalls die Grenze der Berufung auf den ordre public.191 So kommt es auch nicht zu einer Bewertung eines mitgliedstaatlichen Sachrechts. Die Grenze von Artikel 51 Abs. 2 GRCh wird gewahrt. Wenn die 188
Grosser, Bucerius Law Journal 2008, 9, 11. BeckOGK-BGB/Gössl, Artikel 12 Rom III-VO, Rn. 10. 190 EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010, Rs. C-208/09, Sayn-Wittgenstein, Slg. 2010 I13693, Rn. 90, 94; Urteil vom 2. Juni 2016, Rs. C-438/14, Bogendorff von Wolffersdorff, FamRZ 2016, 1239, Rn. 66. 191 Dutta, FamRZ 2016, 1213, 1219. 189
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Grundrechte einer Berufung der lex fori über den ordre public-Vorbehalt entgegengestellt werden, wird nicht das Sachrecht der lex fori an der Charta gemessen. Lediglich die Entscheidung des Gerichts, von der unionsrechtlich determinierten Anknüpfung abzuweichen, steht dann zur Diskussion. Es bleibt dogmatisch bei dem wichtigen Unterschied, dass nicht das materielle Familienrecht selbst an dieser Grundrechtssphäre gemessen wird. Selbstverständlich gibt es zwar mittelbare Auswirkungen auf das Familienrecht.192 Es wird die Frage aufgeworfen, ob die Sachnorm, die zum entscheidenden Inhalt der öffentlichen Ordnung des Forums in diesem Fall gemacht wurde, nicht vielleicht unterhalb der materiellen Gerechtigkeitswertungen der jeweiligen Grundrechtsnorm liegt und geändert werden sollte. Rechtsdogmatisch gilt diese Grundrechtsnorm aber nicht für diese Sachnorm. Eine Pflicht zur Änderung besteht nicht. Solche mittelbaren Effekte auf das Sachrecht lassen sich im Übrigen nicht vermeiden. Dies liegt in der Janusköpfigkeit der Vorbehaltsklausel begründet, die zwar ihrer Konstruktion nach in das Kollisionsrecht gehört, ihre Interessenbewertung aber (fast) ausschließlich am Sachrecht ausrichtet. Will die Union nicht die Kontrolle über die ordre public-Klausel aufgeben, sind solche Fernwirkungen und Irritationen hinzunehmen. Ein mitgliedstaatliches Gericht könnte daher dem EuGH die Frage vorlegen, ob der Berufung auf die nationale öffentliche Ordnung eine Norm der Grundrechtecharta entgegenstünde. (e) Fazit Zu Beginn dieses Unterabschnitts wurde in den Verordnungen nach expliziten Hinweisen auf die Anwendbarkeit der Charta gesucht.193 Dies förderte zwei unterschiedliche Aussagen zutage. Die erste findet sich in Erwägungsgrund (16) der Rom III-VO. Demnach muss das von den Parteien gewählte Recht mit der EU-Grundrechtecharta vereinbar sein. Die zweite Aussage lautete, dass die Gerichte ein fremdes Recht nicht über den ordre public ausschließen können, wenn sie dadurch gegen die Charta verstoßen. Erwägungsgrund (25) der Rom III-VO, sowie Erwägungsgrund (54) EuEheGüVO und (53) EuPartGüVO treffen diese Aussage. Wie sich gezeigt hat, ist die letzte Vorgabe haltbar, die erste jedoch nicht. Es ist daher bezeichnend, dass sie in den Verordnungen zum Güterrecht nicht mehr auftaucht. Sie widerspricht primärrechtlichen Vorgaben. Stattdessen können die EU-Grundrechte zur Anwendung kommen und einer Anknüpfung an die lex fori im Wege stehen. Erwägungsgrund (25) Rom IIIVO/(54) EuEheGüVO/(53) EuPartGüVO nennt insbesondere den Fall, dass die
192 BeckOGK-BGB/Gössl, Artikel 12 Rom III-VO, Rn. 9; Hess/Pfeiffer, Studie zur Auslegung des Ordre-public-Vorbehalts, S. 43, 68 ff. 193 Siehe oben unter (a).
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Ersatzanknüpfung gegen Artikel 21 GRCh verstößt, der jegliche Form der Diskriminierung untersagt. Bedeutsam wird diese Vorschrift bei der Rom III-VO nicht so sehr für die Geschlechterdiskriminierung. Die meisten Fälle der Geschlechterdiskriminierung auf sachrechtlicher Ebene werden nämlich über Artikel 10 Rom III-VO bereits vorher ausgefiltert.194 Fälle, in denen die internationalprivatrechtlichen Interessen einer Partei in diskriminierender Weise übergangen werden, unterfallen generell nicht dem ordre public-Vorbehalt.195 Es bleibt noch die Diskriminierung aus anderen Gründen übrig.196 Dass Mitgliedstaaten jedoch in ihren Kern der öffentlichen Ordnung eine Norm aufnehmen, die aus rassischen, ethnischen oder religiösen Gründen diskriminiert, ist sehr unwahrscheinlich. Am wahrscheinlichsten ist vielleicht noch eine Diskriminierung aus religiösen Gründen. Relevant könnte auch das Verbot der Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung sein. Das Problem, das sich dabei aufdrängt, ist die kollisionsrechtliche Behandlung gleichgeschlechtlicher Ehen. Unabhängig davon, ob eine solche Ehe auch als Ehe im Sinne der Rom III-VO zu qualifizieren ist,197 ist einem möglichen Konflikt natürlich der Anlass dadurch genommen worden, dass die nationalen Gerichte nicht verpflichtet sind, eine Ehe zu scheiden, wenn die betreffende Ehe nicht im nationalen Eherecht vorgesehen ist, Artikel 13 Rom III-VO.198 Auch ist in den Güterstandsverordnungen einem Konflikt durch die Möglichkeiten der Unzuständigkeitserklärung nach Artikel 9 EuEheGüVO/EuPartGüVO vorgebeugt.199 In den Güterrechtsverordnungen kommt dem Verbot der Geschlechterdiskriminierung eine größere Wichtigkeit zu, da eine spezielle Vorbehaltsklausel wie Artikel 10 Rom III-VO hier fehlt. Die Grundrechte der Charta verhindern, dass über die Vorbehaltsklausel ein geschlechterdiskriminierendes Recht zur Anwendung berufen werden kann.200
194
Rauscher/Helms, Artikel 12 Rom III-VO, Rn. 8; NK-BGB/Budzikiewicz, Artikel 12 Rom III-VO, Rn. 34. 195 Vgl. allgemein nur Lorenz, Mélanges Sturm, S. 1559, 1564 ff.; insb. 1571 f. 196 Rauscher/Helms, Artikel 12 Rom III-VO, Rn. 8; NK-BGB/Budzikiewicz, Artikel 12 Rom III-VO, Rn. 34; Hammje, RCDIP 2011, 291, 336; Franzina, CDT 3 (2011), 85, 124. 197 Vgl. dazu BeckOK-BGB/Heiderhoff, Artikel 1 Rom III-VO, Rn. 17 ff.; NKBGB/Gruber, Artikel 1 Rom III-VO, Rn. 21 ff. 198 BeckOGK-BGB/Gössl, Artikel 13 Rom III-VO, Rn. 7; NK-BGB/Gruber, Artikel 13 Rom III-VO, Rn. 7; Franzina, CDT 3 (2011), 85, 126; Hammje, RCDIP 2011, 291, 337; Makowsky, GPR 2012, 266, 271. 199 Dutta, FamRZ 2016, 1973, 1985; zur Qualifikation der gleichgeschlechtlichen Ehe in diesen Verordnungen siehe dort S. 1976. 200 Rauscher/Kroll-Ludwigs, Einführung EuEheGüVO, Rn. 78.
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Weil die Verordnungen zum Güterrecht und auch das Haager Unterhaltsprotokoll nicht über spezielle Vorbehaltsklauseln verfügen oder besondere Ausnahmen für die Mitgliedstaaten vorsehen, kommt den EU-Grundrechten insgesamt, aber auch dem ordre public allgemein eine größere Bedeutung zu. Das Ergebnis der Analyse zeigt, dass die Grundzüge, die der EuGH für den anerkennungsrechtlichen ordre public seit Krombach entwickelt und verfeinert hat, grosso modo auch auf die kollisionsrechtliche Vorbehaltsklausel übertragen werden kann. Weder Sinn und Zweck der Verordnungen, noch das Primärrecht verlangen hier eine andere rechtliche Behandlung. Einen deutlichen Unterschied gibt es im Ergebnis jedoch. Die Differenzierung zwischen der inhaltlichen Ausfüllung der Generalklausel und der Begrenzung ihrer Anwendung erscheint im case law des Gerichtshofs nicht immer überzeugend – beide gehen fließend ineinander über.201 Eine Grenze für die Anwendung ziehen, hat für den Gerichtshof schließlich auch von Anfang an bedeutet, inhaltliche Mindestinhalte der öffentlichen Ordnung zu formulieren. Eine solche Flexibilität für den Gerichtshof korrespondiert jedoch mit Unsicherheit bei der Rechtsanwendung der übrigen gerichtlichen Akteure. Aus kompetenzrechtlichen Erwägungen sollten die beiden grundrechtlichen Sphären im Kollisionsrecht strenger getrennt werden als im Internationalen Zivilverfahrensrecht. Die Notwendigkeit der Anscheinsvermeidung, der EuGH würde nationales Familienrecht an der Charta messen, nötigt daher zu einer gröberen Trennung der Bereiche Inhaltsdeterminierung und Grenzsetzung. Ähnlich inhaltlich konkrete Urteile wie etwa in Gambazzi sollte der EuGH im hochempfindlichen Bereich des Familienrechts eher unterlassen. Ob der Gerichtshof die nötige Sensibilität dafür aufbringen wird, kann hier nicht prognostiziert werden. Es obliegt daher auch in besonderem Maße den mitgliedstaatlichen Gerichten genau zu unterscheiden, um welche Situation es in ihrem konkreten Fall geht, um festzustellen, ob sie dem EuGH vorlegen müssen. Eine zusätzliche Grundrechtsquelle, an der nationales Sachrecht zu messen ist, ist auch nicht nötig. Es bleibt noch ein anderer Weg, einen einheitlichen inhaltlichen Standard zu setzen: Die EMRK bietet einen vereinheitlichten Kanon von Grundrechten, an den die Mitgliedstaaten umfassend gebunden sind und an dem auch das Familienrecht selbstverständlich gemessen werden kann.202 Daher war es auch unbedenklich, als der EuGH in seinen frühen Urteilen zur anerkennungsrechtlichen Vorbehaltsklausel die inhaltlichen Mindestanforderungen über einen Rückgriff auf die EMRK und die Rechtsprechung des EGMR begründet hat. Diese Standards galten schon vorher in den Mitgliedstaaten. Der EuGH hat hier also keine Kompetenz erweitert, sondern nur die Normen herangezogen, die schon gemeinsamer Standard waren. Ein 201 202
Martiny, FS Sonnenberger, S. 523, 532. Näher Helms, IPRax 2017, 153, 156 f.
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ähnlicher Weg über Bezug auf die EMRK wäre also auch für die inhaltliche Ausfüllung des ordre public im Kollisionsrecht denkbar. Dies bedeutet natürlich keineswegs, dass eine Vorlage an den EuGH für die Mitgliedstaaten nach Artikel 267 AEUV erforderlich wäre. e) Intensität des Widerspruchs Nicht jeder Unterschied zwischen der Rechtsordnung des Forums und dem anwendbaren Recht rechtfertigt ein Eingreifen des ordre public-Vorbehaltes.203 Der Widerspruch muss einiges Gewicht haben. Die Texte der Rom III-VO, des Haager Unterhaltsprotokolls und des Entwurfs zu den EuGüVOen sprechen davon, dass der Verstoß „offensichtlich“ sein muss. Ins Auge fallen kann er aber nur bei einem krassen Widerspruch, also einem deutlichen und allgemein ersichtlichen Auseinanderfallen von lex fori und lex causae.204 Im Bereich der Ehescheidung stellt Artikel 25 Brüssel IIa-VO dies für die Anerkennung von Scheidungsurteilen klar. Demnach kann diese nicht allein deshalb unter Berufung auf die öffentliche Ordnung versagt werden, weil die Scheidung unter Zugrundelegung desselben Sachverhalts nach der lex fori unzulässig wäre. Nach der herrschenden Ansicht sperrt diese Vorschrift nicht das Eingreifen des ordre public in Bezug auf unterschiedliche Scheidungsvoraussetzungen, sondern möchte einen Missbrauch des Vorbehalts bei minimalen Abweichungen, etwa bei der für die Scheidung erforderlichen Dauer der Trennung, ausschließen.205 Solche Abweichungen können einen Verstoß gegen den ordre public begründen, es müssen jedoch weitere Aspekte hinzukommen, die das Ergebnis als untragbar erscheinen lassen.206 Diese Regel stellt einen vernünftigen Interessenausgleich zwischen internationalem Entscheidungseinklang und Einzelfallgerechtigkeit dar. Ihr Inhalt sollte jedoch durch rechtsaktsübergreifende systematische Auslegung auch für die Rom III-VO übernommen werden.207 Für das Haager Unterhaltsprotokoll stellt Bonomi im erläuternden Bericht klar, dass der ordre public nicht dafür eingesetzt werden dürfe, Unterhaltsansprüche für bestimmte Verwandtschaftsverhältnisse nur abzulehnen, weil das Recht des Gerichts in diesen Fällen Unterhaltsansprüche nicht vorsieht.208 Nur bei einem krassen, anstößig wirkenden Auseinanderfallen der Ergebnisse kann 203
Allgemeine Meinung: nur Hausmann, Internationales Ehescheidungsrecht, A, Rn. 479 ff.; NK-BGB/Gruber, Art. 13 HUP, Rn. 2; jeweils m.W.n. 204 BeckOGK-BGB/Gössl, Artikel 12 Rom III-VO, Rn. 23. 205 Borrás, Erläuternder Bericht, Rn. 70, 77; Rauscher/Rauscher, Artikel 25 Brüssel IIaVO, Rn. 4 f.; Staudinger/Spellenberg, Artikel 25 Brüssel IIa-VO, Rn. 7; Thomas/Putzo/Hüßtege, Artikel 25 Brüssel IIa-VO, Rn. 1; Hau, FamRZ 2001, 257, 263. 206 Staudinger/Spellenberg, Artikel 25 Brüssel IIa-VO, Rn. 9. 207 Für Erweiterung auf Entscheidungen über die elterliche Verantwortung in der Brüssel IIa-VO MK-BGB/Siehr, 6. Auflage, Brüssel IIa-VO II, Rn. 201. 208 Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 177; NK-BGB/Gruber, Art. 13 HUP, Rn. 2.
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der Anspruch verweigert werden.209 In diesem ähnlichen Fall gilt also grundsätzlich um das Gleiche wie bei der Rom III-VO. Für die EuGüVOen kann auch nichts anderes gelten. f) Inlandsbezug Auch nach dem Europäischen Kollisionsrecht ist ein Inlandsbezug erforderlich für das Eingreifen des ordre public-Vorbehalts.210 Dabei wird ein abgestuftes Konzept des Eingreifens der öffentlichen Ordnung vertreten.211 Die Abwehr des ausländischen Rechts solle davon abhängen, wie eng die Inlandsbeziehung ist. Dies gebiete der internationale Entscheidungseinklang. Ein bestimmtes Ergebnis ist demnach umso eher als anstößig zu betrachten, je enger der Bezug zum Inland ist. Dieser Ansicht ist im Grunde zuzustimmen. Sie ist vernünftig, denn sie respektiert die internationalprivatrechtliche Entscheidung und ihren eigenen Gerechtigkeitsgehalt. Diese Ansicht ist jedoch um den Hinweis der Mindermeinung in Deutschland zu ergänzen, dass auf einen starken Inlandsbezug verzichtet werden kann, wenn eine Grundrechtsverletzung im Raume steht.212 Die Tatsache, dass ein inländisches Gericht entscheidet, ist ausreichend als Nähebezug. Die Grundrechtsbindung wird nicht durch die Anwendung eines fremden Rechts ausgehebelt. Man muss jedoch bedenken, dass die Feststellung, ob eine Grundrechtsverletzung vorliegt, also der gedanklich vorhergehende Schritt, meistens eine Frage der Abwägung von Grundrechtspositionen und der Verhältnismäßigkeit ist. Hierbei kann Rücksicht genommen werden auf den internationalen Charakter des Falls und darauf, ob eine enge Verbindung zum Inland besteht. Eine Ungleichbehandlung von In- und Ausländern kann damit, je nach Fall und in gewissen Grenzen, gerechtfertigt werden. Steht ein nicht zu rechtfertigender Grundrechtseingriff fest, kommt es jedoch nicht mehr auf die Frage an, ob der Fall eine enge Beziehung zum Inland aufweist. Das Gericht ist vielmehr verpflichtet, das ausländische Recht unangewendet zu lassen. Rein praktisch kommt der Frage eines Inlandbezugs zudem keine große Bedeutung zu, weil über die internationale Zuständigkeit, die nicht voraussetzungslos eingeräumt wird, bereits in der Regel ein enger Bezug hergestellt wird.213
209
Staudinger/Mankowski, Artikel 13 HUP, Rn. 3. Hess/Pfeiffer, Studie über die Auslegung des Ordre-public-Vorbehalts, S. 31; Staudinger/Mankowski, Artikel 13 HUP, Rn. 4; BeckOGK-BGB/Gössl, Artikel 12 Rom III-VO, Rn. 21; Wurmnest, Ordre public, S. 445, 469. 211 Hess/Pfeiffer, Studie über die Auslegung des Ordre-public-Vorbehalts, S. 31. 212 Looschelders, RabelsZ 65(2001), 463, 478 ff., 491; siehe auch Helms, IPRax 2017, 159. 213 NK-BGB/Budzikiewicz, Artikel 12 HUP, Rn. 19 ff.; Rauscher, IPR, Rn. 824. 210
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g) Folgen des Verstoßes aa) Allgemein Wenn die Anwendung eines ausländischen Rechts wegen Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung abgelehnt wird, stellt sich die Frage, welches Recht stattdessen berufen wird. Die Verordnungen und das Haager Unterhaltsprotokoll enthalten keinen eindeutigen Hinweis. Auch der Bonomi-Bericht schweigt zu diesem Punkt. Dementsprechend unterschiedlich fallen auch hier die Lösungsvorschläge aus. Dies ist jedoch problematischer als bei Artikel 6 EGBGB, da das Ziel, Vorhersehbarkeit der Entscheidungen durch internationalen Entscheidungseinklang zu garantieren, gefährdet wird, wenn jeder Mitgliedstaat eine andere Methode zur Lückenfüllung benutzt. Zunächst muss geklärt werden, ob die teilnehmenden Staaten einen einheitlichen Weg der Lückenfüllung gehen müssen oder ob jeder Staat darin frei ist. Dabei ist der Hinweis allein darauf, dass es sich bei der Abwehrklausel der öffentlichen Ordnung um ein Instrument der Mitgliedstaaten handelt, noch nicht ausreichend. Entscheidend für die Mitgliedstaaten ist in der Situation vor allem die negative Funktion des ordre public: die Abwehr des ausländischen Rechts.214 Die früher dem ordre public zugeschriebene positive Funktion wird heute den Eingriffsnormen zugeschrieben.215 Daher beschränken sich die staatlichen Interessen hinter dem ordre public auf die Abwehr des ausländischen Rechts. Ein zusätzliches Interesse der Mitgliedstaaten, die Folgen eines Verstoßes selbst bestimmen zu können, besteht hingegen nicht. Vielmehr sprechen Interessen an einer soweit wie möglich einheitlichen Anwendungspraxis und Vorhersehbarkeit der Entscheidung dem entgegen. Die Mitgliedstaaten bestimmen bereits den Begriff der öffentlichen Ordnung. Die Unsicherheit würde noch verstärkt, wenn die Staaten auch die Folgen eines Verstoßes unterschiedlich bestimmten.216 Eine europaweit einheitliche Lösung ist diesem Partikularismus vorzuziehen.217 Es bleibt dann die Frage, wie die Lücke gefüllt werden soll. Die Lösung ist immer eine Lösung der lex fori.218 Diese kann aber in einer unmodifizierten Anwendung der lex fori bestehen oder in einer Rechtsfortbildung, die sich an dem ansonsten berufenen Recht orientiert. Hier sprechen die gleichen Argumente wie bei der Diskussion in den nationalen Kollisionsrechten dem ersten Anschein nach für eine Schließung durch unmodifizierte Anwendung der lex
214
Wurmnest, Ordre public, S. 445, 457 f. m.w.N. Kropholler, IPR, S. 245; Jayme, Methoden der Konkretisierung des ordre public, S. 29; Basedow, FS Sonnenberger, S. 291, 298; Wurmnest, Ordre public, S. 445, 458. 216 So Sonnenberger, FS Kropholler, S. 227, 244; von Hein, ZEuP 2009, 6, 24. 217 Wurmnest, Ordre public, S. 445, 474. 218 Siehe oben § 7 A. I. 2. 215
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fori. Die Parteien könnten dann wenigstens abschätzen, welche Folgen ein Verstoß für sie hat.219 Die rechtsfortbildende Lösung, die eine neue Norm konstruiert, ist hingegen viel zu vage, das Ergebnis recht unsicher. Dass die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit durch diese Methode am wenigsten beschränkt wird und sich so noch der Respekt vor der grundsätzlichen Anwendbarkeit des fremden Rechts ausdrückt, ist ebenfalls nicht restlos überzeugend. Eine auf diese methodisch doch sehr freie Weise konstruierte Norm ist keine Norm des fremden Rechts. Die ersatzweise geschaffene Norm existiert nicht im zur Erscheinung berufenen Recht.220 Ehrlicher und einfacher wäre die Lückenfüllung durch Anwendung der lex fori.221 Andererseits wäre es zu kurz gedacht, dass Kriterien der Anknüpfungsgerechtigkeit auf der Stufe der Sachrechtsanwendung gar nicht mehr berücksichtigt werden könnten. Es besteht die Möglichkeit, bei der nationalen die Besonderheiten des internationalen Sachverhalts zu berücksichtigen. Es ist daher angebracht, bei der Heranziehung der lex fori gegebenenfalls eine Modifizierung vorzunehmen und sie im Einzelfall anzupassen.222 Wird etwa –fiktiv– eine Norm eines fremden Scheidungsrechts abgelehnt, weil sie eine unzumutbar lange Trennungsfrist voraussetzt, so tritt an die Stelle der ausländischen Regelung nicht etwa die womöglich sehr kurze Trennungsfrist der lex fori, sondern man muss sich überlegen, welche Trennungsfrist für die heimische Rechtsordnung noch akzeptabel wäre. Somit wird ein Mittelweg zwischen den Extrempositionen angestrebt. Die Schöpfung einer neuen Norm mit Hilfe von Rechtsvergleichung sollte vermieden werden, weil sie sehr unsicher ist und Respekt vor fremden Rechten vortäuscht, den es an dieser Stelle nicht gibt. Ehrlicherweise sollte die lex fori herangezogen werden, jedoch nicht unmodifiziert, sondern im Einzelfall angepasst. Ist eine solche Änderung nicht möglich, muss die lex fori unverändert angewendet werden.223 Damit ist immer noch ein gewisser Grad an Unsicherheit verbunden, der sich wohl nicht vermeiden lässt, da das Zusammenspiel mit den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen immer unterschiedlich ausfallen wird. Letztlich ist daher Sonnenberger zuzustimmen, der darauf hinweist, dass die Lückenschließung nur gelingen kann, wenn sich Wissenschaft und Rechtsprechung nicht nur an den heimischen Gesetzen orientieren, sondern grenzüberschreitend andere Lösungswege wahr- und aufnehmen.224 Die Unsicherheiten lassen sich zudem auch noch begrenzen, wenn die Gerichte darauf achten, welcher Teil der ausländischen Norm genau anstößig ist und sich wirklich
219
Staudinger/Mankowski, Artikel 13 HUP, Rn. 2. Battifol/Lagarde, Droit international privé, S. 421. 221 Grosser, Bucerius Law Journal 2008, 9, 13. 222 Kropholler, IPR, S. 255. 223 BeckOK-BGB/Heiderhoff, Artikel 12Rom III-VO, Rn. 8. 224 Sonnenberger, FS Kropholler, S. 227, 244. 220
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nur darauf beschränken, diesen zu entfernen und das Recht ansonsten intakt zu lassen.225 bb) Besondere Möglichkeiten bei der Rechtswahl Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen die Mittel zum Schutz schwächerer Parteien bei Rechtswahlvereinbarungen. Wenn das durch Rechtswahl berufene Recht wegen eines ordre public-Verstoßes für unanwendbar erklärt wird, so lässt sich ein einfacher Weg für die Lückenfüllung beschreiten, der bislang noch nicht betrachtet wurde. Dies liegt daran, dass die Ausführungen zur ordre public-Klausel oft sehr grundsätzlicher Natur sind, so dass man instinktiv vom Normalfall einer objektiven Anknüpfung ausgeht. Doch auch hier ist eine Anpassung der allgemeinen Instrumente an die spezielle Situation bei der Rechtswahlklausel möglich. Man muss sich einfach vorstellen, wie ein Fall zu behandeln wäre, bei dem die gesamte Rechtswahl unwirksam wäre, nicht bloß die Berufung einer einzelnen Norm. Das Gesetz sieht in diesem Fall eine ganz einfache Lückenfüllung vor: Das Recht wird durch die Regeln der objektiven Anknüpfung bestimmt. Diese Lösung kann genauso herangezogen werden, wenn bloß eine oder wenige Normen des Kollisionsnormbündels nicht anwendbar sind.226 Dadurch werden die Nachteile der lex fori-Lösung ausgeglichen: Während die Anwendung des Ortsrechts des angerufenen Gerichts oft keine kollisionsrechtlich überzeugende Lösung ist, wird bei der Lückenfüllung durch die objektive Anknüpfung dasjenige Recht berufen, das nach Willen des Gesetzgebers die engste Verbindung und das kollisionsrechtlich beste Recht darstellt. Es muss kein fiktives Recht geschaffen werden und die Normen müssen auch nicht angeglichen werden. In vielen Fällen wird das objektiv anwendbare Recht zwar die lex fori sein (wie im Übrigen die Bedeutung der allgemeinen Vorbehaltsklausel durch den grundsätzlich angestrebten Gleichlauf von Forum und ius gemindert wird).227 Dies ist aber nicht zwingend und außerdem unerheblich, da dem durch objektive Anknüpfung berufenen Recht ein weiterer Gerechtigkeitsaspekt anhängt, den die „einfache“ lex fori nicht hat. Die vorgeschlagene Lösung ist zudem für alle Mitgliedstaaten leicht durchzuführen und leichter am Gesetz zu begründen, als die sehr kunstvollen, aber doch komplizierten Wege, die Praxis und Rechtsprechung teilweise entwickelt haben und denen auch immer zumindest ein Beigeschmack der nationalstaatlichen Voreingenommenheit anhaftet. Dogmatisch lässt sich diese Lösung auch in das kollisionsrechtliche System einfügen. Wie gezeigt, handelt es sich beim ordre public-Vorbehalt um eine 225
Staudinger/Mankowski, Artikel 13 HUP, Rn. 2. Gruber, IPRax 2012, 381, 391, Fn. 129, schlägt diese Lösung für Artikel 10 Rom IIIVO vor. 227 Stürner, Der ordre public im Europäischen Kollisionsrecht, S. 87, 100 f. 226
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Kollisionsnorm auf die lex fori. Der Zugriff auf das objektiv anwendbare Recht ist davon nur scheinbar eine Ausnahme. Es findet weiterhin eine Verweisung auf die lex fori statt, allerdings handelt es sich dabei um eine Gesamtverweisung, so dass die Kollisionsnormen des Forums mitberufen werden. Die objektiven Regeln greifen dann ganz selbstverständlich ein, wenn die subjektive Anknüpfung nicht zum Ziel, einem anwendbaren Recht führt. III. Bewertung des ordre public als Instrument zum Schwächerenschutz Der ordre public ist grundsätzlich ein geeignetes Instrument, um schwächere Parteien vor den Folgen einer Rechtswahl zu schützen. Dies ist eine ganz allgemeine und recht offensichtliche Feststellung: die öffentliche Ordnung verteidigt nicht mehr, wie früher vielleicht vielfach angenommen wurde, allgemeine, öffentliche oder gar staatliche Werte vor dem Zugriff der Individuen, sondern modernes Recht sichert vor allem die Interessen der Bürgerinnen und Bürger und ihre rechtlichen Fähigkeiten, diese wahrzunehmen.228 Daher ist der ordre public längst ein Schutzinstrument mit individualer Schutzrichtung. Da er unabhängig davon gilt, ob das Recht objektiv oder subjektiv bestimmt wurde, erfasst er auch grundsätzlich die Fälle der Rechtswahl. Die Vorzüge des ordre public sind also in den allermeisten Fällen, die sich überhaupt bei der Rechtswahl stellen werden, unbestreitbar. Daher könnte man meinen, die Vorbehaltsklausel allein sei schon ausreichend, um den Schutz schwächerer Partei vor einer Überforderung oder einer Ausnutzung durch die andere Partei zu gewährleisten.229 Diese Überzeugung begegnet jedoch zwei Bedenken. Zum einen hilft der ordre public nur bei der Abwehr eines fremden Rechts.230 Die lex fori kann nicht abgelehnt werden, weil sie gegen ihre eigene öffentliche Ordnung verstößt. Wo sie es dennoch tut, also im Falle der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes, ist es Aufgabe des nationalen Rechts des Gerichts selbst, darauf zu reagieren. Das deutsche Recht etwa reagiert auf dieses Problem mit der konkreten Normkontrolle gemäß Artikel 100 Abs. 1 GG. Dieser Mechanismus kann nicht über den ordre public ausgehebelt werden. Nun kann es aber sein, dass gerade die Anwendung der lex fori ein Ergebnis hervorbringt, das für eine der beiden Parteien einen gravierenden Nachteil bedeutet, etwa weil sie zu großen Unterhaltszahlungen verurteilt wird, oder weil sie einen Unterhaltsanspruch verliert. Die Gründe sind vielfältig und hier nicht entscheidend. Es handelt sich um eine Art spiegelbildlichen ordre public-Verstoß. Nicht die öffentliche Ordnung wird verletzt, wohl aber wird eine Partei durch die Anwendung eines bestimmten Rechts deutlich schlechter gestellt als
228
Vgl. Staudinger/Voltz, Artikel 6 EGBGB, Rn. 137. Helms, LA Pintens, S. 681, 692 f.; Henrich, LA Pintens, S. 701, 707 ff. 230 Siehe oben § 7 A. I. 1. 229
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3. Kap.: Schwächerenschutz nach Vertragsschluss
durch ein anderes. In der Regel ist dies hinzunehmen. Diese Folge wird vom IPR einkalkuliert. Problematisch wird es erst, wenn die lex fori nur deshalb zur Anwendung kommt, weil sie das von den Parteien gewählte Recht ist. Ein Auseinanderfallen von objektiv anwendbarem Recht und lex fori ist zwar nicht so häufig, weil die internationale Zuständigkeit in der Regel am gewöhnlichen Aufenthalt ansetzt und hier auch Klagen typischerweise eingereicht werden, aber auch nicht ausgeschlossen. Grundsätzlich müssen auch diese Konstellationen hingenommen werden und es besteht kein Grund, diese Ergebnisse als ungerecht zu empfinden. Schließlich ist die Rechtswahl Ausdruck des übereinstimmenden Willens der Parteien und wenn das IPR wie das übrige Recht die Aufgabe hat, die Interessen der Parteien zu sichern, dann ist die gerechteste Lösung diejenige, die die Parteien selbst festlegen.231 Nicht jede Rechtswahl ist jedoch Ausdruck von Autonomie, sondern kann auch unter Situationen des Drucks oder der intellektuellen Überforderung entstehen. Nun hat die Diskussion um die Materialisierung des Vertragsrechts aber bereits gezeigt, dass die Entscheidungsfreiheit der Parteien in vielen Fällen ein ideologisches Dogma ist, das der Realität nicht entspricht. Das Bürgerliche Recht hat darauf reagiert, indem es einen Vertrag, dem die realen Voraussetzungen für eine freie Entscheidung fehlten, für unwirksam erklärt. Exemplarisch dazu sind die Fälle der Unwirksamkeit eines Ehevertrages.232 Wie gezeigt muss auch das IPR auf solche Fälle potentiell reagieren können. Indem es die Rechtswahlfreiheit eingeführt hat, hat es einen eigenen Beitrag zu seiner Materialisierung geleistet, um die Sicherung der Parteiinteressen zu gewährleisten. Dieser Akt der Selbstreflexion darf an dieser Stelle jedoch nicht abgebrochen werden, sondern muss sich wiederholen. Ansonsten wird Parteiautonomie zu der Ideologie, die lange Zeit im Privatrechtsliberalismus vorherrschte. Als Antwort auf diese Probleme ist jedoch der ordre public nicht ausreichend, weil er auf die Fälle, in denen die unfreie Rechtswahl zu einer Anwendung der lex fori führt, schlicht nicht reagieren kann. Eng verbunden damit ist das zweite Argument gegen ein alleiniges Abstellen auf den ordre public. Das erste Argument zielte auf die Fälle ab, in denen die lex fori deutlich zum Nachteil einer überforderten Partei vom objektiv anwendbaren Recht abweicht. Es kann aber auch Fälle geben, in denen das materielle Ergebnis über die lex fori sich nicht so stark vom Ergebnis über das objektiv anwendbare Recht unterscheidet. Ein Fall des gespiegelten ordre public-Verstoßes liegt dann nicht vor. Die Gerechtigkeitsdefizite sind eher auf Seiten der internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit zu verorten. Der Fall wird letztlich von einem Recht entschieden, das einer der Parteien gänzlich
231 232
Weller/Benz/Thomale, ZEuP 2017, 250, 264 f. Siehe oben § 2 B. II. 2. b).
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fremd ist, was wiederum auf eine Überforderung bei der Rechtswahl zurückzuführen sein könnte. Nimmt man die Idee der kollisionsrechtlichen Gerechtigkeit ernst, dann kann man dieses Problem nicht einfach mit dem Argument abtun, dass das hinzunehmen sei, solange das materielle Ergebnis akzeptabel sei. Dadurch wird letztlich das Ziel eines gesamten Rechtsgebiets des IPR, als nebensächlich erklärt. Dabei kann die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit durchaus dazu beitragen, Rechtsfrieden herbeizuführen. Hier versagt der ordre public. Die allgemeine Vorbehaltsklausel stellt sich somit bei näherer Betrachtung nicht als das ideale Instrument für den Schwächerenschutz dar. Während der Schwächerenschutz sich darauf konzentriert, die Materialisierung der Parteiautonomie zu sichern, wehrt die Vorbehaltsklausel nur bestimmte, sachrechtlich ungerechte Folgen ab. Das Problem, dass ein materiell unfreier Wille und eine darauf beruhende Rechtswahlvereinbarung nicht ausreichen sollten, um ein bestimmtes Recht zur Anwendung zu bringen, wird dadurch nicht berührt. Diese Defizite lassen es zumindest nicht unplausibel oder überflüssig erscheinen über weitere vorrangige Schutzinstrumente nachzudenken, die sich mit dem Ergebnis der kollisionsrechtlichen oder materiellrechtlichen Rechtsanwendung beschäftigen. Mit anderen Worten: es muss über die Möglichkeiten einer spezifisch kollisionsrechtlichen Wirksamkeitskontrolle nachgedacht werden. B. Artikel 10 Rom III-VO als neue Art der Vorbehaltsklausel Der ordre public-Vorbehalt erlaubt es, einzelne ausländische Vorschriften nicht anzuwenden, wenn das konkrete Ergebnis der Rechtsanwendung zur öffentlichen Ordnung des Forums in einem offensichtlichen und unvereinbaren Widerspruch steht. Diese Norm wird, da es bestimmte öffentliche Ordnungsinteressen auch im Familienrecht nur noch selten gibt, hauptsächlich dafür eingesetzt werden können, die Individualinteressen der Parteien zu schützen. Hauptanwendungsfelder sind dabei der Schutz vor Diskriminierung wegen des Geschlechts sowie der Schutz der Eheschließungsfreiheit, was auch das Recht zur Scheidung beinhaltet. Dieser Vorbehalt war lange als ausreichend betrachtet worden, um unbillige Ergebnisse bei der Anwendung ausländischen Rechts zu vermeiden. Einen neuen Weg geht die Rom III-VO. Diese lagert dem Einwand des Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung von Artikel 12 Rom III-VO in ihrem Artikel 10 eine andere Norm vor, die, zumindest für an das deutsche Kollisionsrecht gewöhnte Auge, zunächst sehr überraschend wirkt.233 Artikel 10 Rom IIIVO lautet:
233
Siehe hier nur Schurig, FS von Hoffmann, S. 405, 410; Helms, IPRax 2017, 153, 154.
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3. Kap.: Schwächerenschutz nach Vertragsschluss
„Sieht das nach Artikel 5 oder Artikel 8 anzuwendende Recht eine Ehescheidung nicht vor oder gewährt es einem der Ehegatten auf Grund seiner Geschlechtszugehörigkeit keinen gleichberechtigten Zugang zur Ehescheidung oder Trennung ohne Auflösung des Ehebandes, so ist das Recht des Staates des angerufenen Gerichts anzuwenden.“
Mehr als jede andere Vorschrift der Rom III-VO hat diese Norm die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Sie ordnet auf den ersten Blick eine abstrakte Überprüfung des anwendbaren ausländischen Rechts auf bestimmte materielle Kriterien an und erlaubt bei einem abstrakten Verstoß die Ersetzung durch die lex fori. Damit steht sie im Widerspruch zur Tradition des ordre public, der eben eine konkrete Verletzung der öffentlichen Ordnung voraussetzt. Das Verhältnis von Artikel 10 und Artikel 12 Rom III-VO steht daher im Vordergrund der Diskussion. Um die Tauglichkeit für den Schwächerenschutz zu diskutieren, muss zunächst, wie beim ordre public, geklärt werden, in welchen Situationen die Norm überhaupt Anwendung findet. Dies ist alles andere als klar. Ohne genaue Kenntnis, wann die Norm eingreift, kann nicht gesagt werden, ob sie sinnvoll wirkt. Stellt sich bei der dogmatischen Analyse jedoch bereits heraus, dass die Norm schon im allgemeinen System des IPR wie ein Fremdkörper wirkt, ist es unwahrscheinlich, dass sie bei der Rechtswahl eine Hilfestellung ist. I. Entstehungsgeschichte von Artikel 10 Rom III-VO Der Rom III-VO geht der Entwurf für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates im Hinblick auf die Zuständigkeit in Ehesachen und zur Einführung von Vorschriften betreffend das anwendbare Recht in diesem Bereich voraus.234 Hierbei handelte es sich hauptsächlich um eine Ergänzung des Zuständigkeitssystems der Brüssel IIa-VO, um Regeln für Gerichtsstandvereinbarungen, sowie Kollisionsnormen für das auf Ehesachen anwendbare Recht, die in ihren Grundzügen den Anknüpfungsregeln der Rom III-VO entsprechen.235 Dieser Vorschlag scheiterte, wie der Europäische Rat auf seiner Tagung vom 5./6. Juni 2008 in Luxemburg feststellte.236 Der rechtliche Grund dafür lag im besonderen Gesetzgebungsverfahren nach Artikel 81 Abs. 3 AEUV, das nach UAbs. 1 S. 2 die Einstimmigkeit aller Mitgliedstaaten voraussetzt.237 Diese konnte allerdings nicht erzielt werden. Vielmehr wurden „unüberwindliche Schwierigkeiten […], die damals und in absehbarer Zukunft eine einmütige Zustimmung unmöglich machen“ festgestellt.238 Worin bestanden diese? 234
COM(2006) 399 final. NK-BGB/Gruber, Vor Artikel 1 Rom III-VO, Rn. 17 f. 236 Erwägungsgrund (5) Rom III-VO, NK-BGB/Gruber, Vor Artikel 1 Rom III-VO, Rn. 20 f. 237 Winkler von Mohrenfels, ZEuP 2013, 699, 701. 238 Beschluss des Rates vom 12.7.2010 (2010/405/EU), ABl. EU L 189/12. 235
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Der Rat hatte noch auf seiner Konferenz am 19./20. April 2007 versucht, dem Projekt einer Brüssel IIa-Reform positive Impulse zu geben.239 Die Staaten einigten sich darauf, dass durch die Verordnung das materielle Familienund Scheidungsrecht der Mitgliedstaaten unberührt bleiben solle, was unter anderem Malta beruhigen sollte, das zum damaligen Zeitpunkt noch gar keine Scheidung vorsah.240 Trotzdem wurden kritische Stimmen hörbar, die einmal darauf hinwiesen, dass einige Länder im Kollisionsrecht nicht unnötig von ihrer lex fori-Tradition würden abweichen wollen.241 Zum anderen müsse die Verordnung noch stärker Rücksicht nehmen auf die kulturelle Tradition der Mitgliedstaaten im Familienrecht.242 Diese Bedenken wurden hauptsächlich vorgetragen von den Staaten des common law – also dem Vereinigten Königreich und Irland, die grundsätzlich kein ausländisches Recht im Scheidungsverfahren anwendeten – und Schweden.243 Das schwedische Recht zeichnet sich, wie etwa auch das finnische Recht, durch seine Scheidungsfreundlichkeit aus, indem es schnelle und einfache Scheidungen ermöglicht.244 Im schwedischen Recht kann, wenn sich beide Ehepartner einig sind, die Ehe jederzeit und ohne Wartezeit geschieden werden, ohne dass dies zu begründen wäre. Stellt nur ein Partner den Antrag, beginnt lediglich eine sechsmonatige Bedenkzeit zu laufen.245 Diese Liberalität sah die schwedische Delegation bedroht, wenn das Gericht nicht mehr sein eigenes Recht anwenden dürfte. Im extremsten Falle müsse das Gericht nach maltesischem Recht die Scheidung verweigern oder islamisches Recht anwenden, das konsequent die Frau unterdrücke und eine Scheidung vom Willen des Mannes abhängig mache.246 Vor allem das zweite Szenario, die Anwendung islamischen Rechts, wurde dabei als besonders bedrohlich empfunden.247
239 Rat der Europäischen Union, Tagung vom 19./20.4. 2007, 8364/07 (Presse 77), S. 7 ff.; Kohler, FamRZ 2008, 1673. 240 Rat der Europäischen Union 8364/07 (Presse 77), S. 10. 241 Rat der Europäischen Union 8364/07 (Presse 77), S. 7, 9 f. 242 Rat der Europäischen Union 8364/07 (Presse 77), S. 10 f. 243 Winkler von Mohrenfels, ZEuP 2013, 699, 701. 244 MK-BGB/Winkler von Mohrenfels, Vor Art. 1 Rom III-VO, Rn. 5; Winkler von Mohrenfels, ZEuP 2013, 699, 701. 245 Bergmann/Ferid/Henrich/Giesen, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Länderbericht Schweden (Stand: 1. Mai 2017), S. 30. 246 NK-BGB/Gruber, Vor Artikel 1 Rom III-VO, Rn. 21; Jänterä-Jareborg, Jurisdiction and Applicable Law in Cross-Border Divorce Cases in Europe, S. 317, 338; Kohler, FamRZ 2008, 1673, 1678; ders., FPR 2008, 193, 196; Helms, FamRZ 2011, 1765, 1772; Möller, JPIL 10 (2014), 461, 467; Weller/Hauber/Schulz, IPRax 2016, 123, 127. 247 NK-BGB/Budzikiewicz, Art. 10 Rn. 4; Kohler, FamRZ 2008, 1763, 1680; Gruber, IPRax 2012, 381, 391; Möller, JPIL 10 (2014), 461, 467.
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Daher wurde schließlich Artikel 10 Rom III-VO geschaffen, der den Bedenken der kritischen Mitgliedstaaten Rechnung tragen sollte.248 Dabei kommen als Vorbilder der Regelung mehrere Quellen in Betracht: Die erste Variante, bei der das ausländische Recht keine Scheidung vorsieht, – wieder war vor allem an Malta gedacht – ähnelt Artikel 17 Abs. 1 S. 2 EGBGB a.F., der unter bestimmten Voraussetzungen die Anwendung des deutschen Rechts vorsah, wenn die Ehe nach fremden Recht nicht geschieden werden konnte. Diese Variante zielt auf die Sicherung der Ehescheidungsfreiheit.249 Als Vorbild für die zweite Variante diente Artikel 107 Abs. 2 S. 2 lit. c) des spanischen Código civil.250 Dieser lautet:251 „Spanisches Recht ist in jedem Fall anwendbar, […] [s]ofern die […] Rechtsordnungen keine Trennung oder Scheidung anerkennen oder dies nur in diskriminierender oder gegen die öffentliche Ordnung verstoßender Form tun.“ Trotz dieses Entgegenkommens konnte ein Einverständnis der nordischen Staaten nicht erzielt werden.252 Der historische Überblick über die Entstehung der Norm zeigt jedoch mehrere Aspekte, die festzuhalten sind: Zum einen sind beide Varianten nicht „völlig neuartig“253, wie teilweise behauptet wird. Es finden sich jeweils Vorgängerregelungen im mitgliedstaatlichen Kollisionsrecht, nur nicht unbedingt im deutschen. Zum anderen wird die Schutzrichtung der Normen deutlich: Die erste Variante soll die Scheidungsfreiheit schützen, die zweite Variante schützt vor Diskriminierung. Letztlich hat die Norm somit eine Verankerung in den Menschenrechten.254 Hierbei darf jedoch nicht aus den Augen gelassen werden, dass die zweite Variante auf Grund ihrer Geschichte in der Diskussion vor allem als „Antiislam-Klausel“ wahrgenommen wird.255
248 NK-BGB/Budzikiewicz, Art. 10 Rom III-VO, Rn. 4; MK-BGB/Winkler von Mohrenfels, Art. 10 Rom III-VO, Rn. 1; Palandt/Thorn, Art. 10 Rom III-VO, Rn. 3; Helms, FamRZ 2011, 1765, 1772; Winkler von Mohrenfels, FS Martiny, S. 595; Weller/Hauber/Schulz, IPRax 2016, 123, 127. 249 NK-BGB/Budzikiewicz, Art. 10 Rom III-VO, Rn. 2; rechtsvergleichend zu ähnlichen Vorschriften in Italien und Rumänien BeckOGK-BGB/Gössl, Artikel 10 Rom III-VO, Rn. 6.1. 250 NK-BGB/Budzikiewicz, Art. 10 Rom III-VO, Rn. 4; Winkler von Mohrenfels, FS Martiny, S. 595; Möller, JPIL 10 (2014), 461, 467; Weller/Hauber/Schulz, IPRax 2016, 123, 127. 251 Zitiert nach Sohst, Das spanische Bürgerliche Gesetzbuch und spanisches Notargesetz, S. 51. 252 Weller/Hauber/Schulz, IPRax 2016, 123, 127. 253 Winkler von Mohrenfels, ZEuP 2014, 699, 713. 254 Palandt/Thorn, Art. 10 Rom III-VO, Rn. 1; Rauscher/Helms, Artikel 10 Rom III-VO, Rn. 3. 255 Palandt/Thorn, Art. 10 Rom III-VO, Rn. 3; Gruber, IPRax 2012, 381, 391; Schurig, FS von Hoffmann, S. 405, 410; Helms, IPRax 2017, 153, 154.
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II. Dogmatische Analyse von Artikel 10 Rom III-VO Für eine genaue analytische Untersuchung der Normstruktur bietet sich eine besondere Vorgehensweise: Ausnahmsweise wird nicht zuerst der Tatbestand der Norm beschrieben, sondern die Rechtsfolge wird vorgezogen. Dies liegt daran, dass die Regel zwei unterschiedliche Varianten enthält, die aber dieselbe Rechtsfolge haben. In der Literatur hat sich eine Kontroverse um die Behandlung des Tatbestands entwickelt, die inzwischen auch die Gerichte beschäftigt.256 Dieser Streit beschränkt sich jedoch nur auf eine der beiden Varianten. Da er auch nicht ohne eine dogmatische Einordnung der Norm(-varianten) gelöst werden kann, für die wiederum ein vollständiger Überblick über die Norm notwendig ist, soll der Blick auf die Rechtsfolgen zum besseren Verständnis vorgezogen werden. Dies hat zudem den Vorteil, dass mit dem weitgehend klarsten und einfachsten Teil der Norm begonnen werden kann. 1. Die Rechtsfolgen von Artikel 10 Rom III-VO Unter bestimmten Voraussetzungen, die im Anschluss beschrieben werden, greift die Rechtsfolge des Artikels 10 Rom III-VO ein: „[…] so ist das Recht des angerufenen Gerichts anzuwenden.“ Gruber schlägt für den Fall, dass durch Artikel 10 Rom III-VO ein nach Artikel 5 Rom III-VO gewähltes Recht verdrängt wird, vor, auf das objektiv zu bestimmende Recht nach Artikel 8 Rom III-VO zurückzugreifen, anstelle der lex fori.257 Dieser Vorschlag, der oben bereits für die Lückenfüllung beim ordre public empfohlen wird, ist vollkommen überzeugend, berücksichtigt er neben den materiellen Gerechtigkeitsvorstellungen doch noch die internationalprivatrechtlichen Interessen der Parteien. Zweifelhaft ist jedoch, ob dieser Vorschlag mit dem Wortlaut der Vorschrift in Einklang gebracht werden kann.258 Dieser spricht ausdrücklich vom Recht des angerufenen Gerichts. Dem könnte man eventuell noch begegnen mit dem Einwand, dass die objektive Anknüpfungsnorm des Artikels 8 Rom III-VO, der dann zur Anwendung gelangt, auch Recht des Forums ist. Der Verordnungsgeber dürfte damit jedoch das materielle Recht des Forums gemeint haben. Ob der Gedanke im legislativen Prozess aufgekommen ist, dass für die Rechtswahl nach den kollisionsrechtlichen Interessen eine andere Lösung angemessener sein könnte, ist nicht ersichtlich. Mit dem objektiven Sinn und Zweck der Norm, Diskriminierung zu verhindern und Scheidungsfreiheit zu 256
Siehe in dieser Reihenfolge OLG München, EuGH-Vorlage vom 2. Juni 2015, Az. 34 Wx 146/14, IPRax 2016, 158; EuGH, Beschluss vom 12. Mai 2016, Rs. C-281/15, Sahyouni, IPRax 2017, 90; OLG München, EuGH-Vorlage vom 29. Juni 2016, Az. 34 Wx 146/14, IPRax 2017, 92; EuGH, Urteil vom 20. Dezember 2017, Rs. C-372/16, Sahyouni II, IPRax 2018, 261. 257 Gruber, IPRax 2012, 381, 391. 258 Verneinend BeckOGK-BGB/Gössl, Artikel 10 Rom III-VO, Rn. 30.
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3. Kap.: Schwächerenschutz nach Vertragsschluss
ermöglich, ist der Vorschlag von Gruber in jedem Fall vereinbar. Dies würde nur dann nicht gelten, wenn Artikel 10 Rom III-VO so stark von einer „gleichheitsimperialistische[n] Stoßrichtung“259 getragen wäre, dass es dem Verordnungsgeber unbedingt auf die Anwendung genau der lex fori ankäme. Eine derartig starke Abkehr vom Prinzip der Gleichwertigkeit sollte den europäischen Institutionen jedoch nicht unterstellt werden. Auch Artikel 10 Rom III-VO erschöpft sich in seiner negativen Funktion. Im Falle des Aufeinandertreffens von Parteiautonomie und Artikel 10 Rom III-VO kann das Recht nach Artikel 8 Rom III-VO bestimmt werden. Im Folgenden soll daher immer, wenn von der lex fori die Rede ist, gedanklich hinzugefügt werden: „oder das durch Artikel 8 objektiv bestimmte Recht im Falle einer Rechtswahl“. Es ergeben sich zwei Unterschiede zwischen Artikel 10 Rom III-VO und der allgemeinen Vorbehaltsklausel Artikel 12 Rom III-VO. a) Ersatz des gesamten Statuts Zum Ersten wird nach der Konzeption des ordre public nur die Anwendung einer ganz bestimmten Norm des ausländischen Rechts abgelehnt und durch eine andere Norm ersetzt. Das eigentliche Statut bleibt davon unberührt.260 Um es in der Terminologie der Bündelungstheorie auszudrücken: Durch die Anwendung der Kollisionsnormen wird eine Verbindung hergestellt zwischen vielen einzelnen Normen eines Landes, die auf Grund ihrer Funktion unter einen einheitlichen Oberbegriff gefasst, also vertikal gebündelt werden,261 und dem in Rede stehenden Sachverhalt. Durch die Anwendung des ordre public wird aus diesem vertikalen Bündel eine einzige Norm aus diesem Bündel herausgenommen. Als Ersatz für diese Norm stellt der ordre public über den Inlandsbezug eine Verbindung zwischen Sachverhalt und der Norm des Forums her. Artikel 10 Rom III-VO funktioniert anders. Das gesamte Statut wird ersetzt durch die lex fori.262 Es wird nicht bloß eine einzelne Norm aus dem vertikalen Bündel entfernt, sondern direkt das ganze vertikale Bündel. Stattdessen wird das vertikale Bündel eines anderen Staates, dem des angerufenen Gerichts, mit dem Sachverhalt verbunden. Dies hängt maßgeblich damit zusammen, dass in der Norm eine Rechtsordnung abstrakt betrachtet wird.
259
Weller/Hauber/Schulz, IPRax 2016, 123. MK-BGB/von Hein, Artikel 6 EGBGB, Rn. 211; BeckOK-BGB/Lorenz, Artikel 6 EGBGB, Rn. 211; Staudinger/Voltz, Artikel 6 EGBGB, Rn. 206; Palandt/Thorn, Artikel 6 EGBGB, Rn. 13; Kropholler, IPR, S. 254. 261 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 102 ff. 262 BeckOGK-BGB/Gössl, Artikel 10 Rom III-VO, Rn. 30; Althammer, NZFam 2015, 9, 14. 260
§ 7 Ordre public und ähnliche Instrumente
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b) Zwang Zweitens ordnet die Rom III-Verordnung die Anwendung der lex fori in den Fällen des Artikels 10 im Gegensatz zum ordre public-Vorbehalt zwingend an.263 Die allgemeine Vorbehaltsklausel besagt lediglich: „Die Anwendung einer Vorschrift […] kann nur versagt werden, wenn […].“ Teilweise wird dies als Argument verwendet, um Artikel 12 von Artikel 10 Rom III-VO klar abzugrenzen.264 Der Unterschied ist jedoch weniger in der dogmatischen Struktur der Norm, als vielmehr in einer Kompetenzfrage angelegt und daher wenig aussagekräftig: Artikel 12 Rom III-VO ordnet eine zwingende Ausschaltung der ausländischen Norm deshalb nicht an, weil er die Konkretisierung der öffentlichen Ordnung weiterhin den Mitgliedstaaten überlässt. Der europäische Verordnungsgeber hätte auch festschreiben können, dass eine Norm nicht angewendet werden darf, wenn sie gegen die öffentliche Ordnung des Rechts des angerufenen Gerichts verstößt. Er tat dies aber vermutlich nicht, weil er das Eingreifen der Vorbehaltsklausel in die Hand desjenigen Mitgliedstaates legen wollte, gegen dessen grundlegende Werte verstoßen wurde. Es ist lediglich ein Zeichen von Respekt und der Achtung der mitgliedstaatlichen Rechtskulturen. In den meisten Fällen wird sich aber aus eben dieser mitgliedstaatlichen Rechtsordnung ein Zwang zur Nichtanwendung der anstößigen ausländischen Rechtsnorm ergeben. Anders verhält es sich bei Artikel 10 Rom III-VO. Hier werden die materiellen Standards, gegen die nicht verstoßen werden darf, nicht von den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen vorgegeben, sondern vom europäischen Verordnungsgeber selbst aufgestellt.265 Es liegt daher an ihm, festzuschreiben, welche Folgen ein Verstoß hat und ob diese Folgen zwingend eingehalten werden. c) Ersatzrecht Gelegentlich wird ein konzeptioneller Unterschied darin gesehen, dass der Verordnungsgeber in Artikel 10 Rom III-VO gerade die Anwendung der lex fori anordnet, während er die Frage, wie im Falle eines Verstoßes gegen die mitgliedschaftliche öffentliche Ordnung offenlasse. Gerade weil man bei der Anwendung des ordre public auch zu anderen Ergebnissen kommen könne, lasse sich dieses Instrument dogmatisch eindeutig von Artikel 10 Rom III-VO unterscheiden.266 Diese Aussage ist nach der hier vertretenen Argumentation nicht ganz überzeugend. Wie gezeigt wurde, muss die Lücke immer über eine 263
Rauscher/Helms, Artikel 10 Rom III-VO, Rn. 4; Franzina, CDT 3 (2011), 85, 122. Franzina, CDT 3 (2011), 85, 122. 265 BeckOGK-BGB/Gössl, Artikel 10 Rom III-VO, Rn. 3; Siehr, FS von Hoffmann, S. 424, 427. 266 Franzina, CDT 2011, 85, 122; in diese Richtung auch NK-BGB/Budzikiewicz, Art. 10 Rom III-VO, Rn. 6. 264
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3. Kap.: Schwächerenschutz nach Vertragsschluss
Norm der lex fori geschlossen werden. Die Versuche, über eine der ausgeschalteten Norm ähnliche Regelung die Lücke zu schließen, sind keine Anwendung eines fremden Rechts, sondern Rechtsfortbildung. Die Regel, die geschaffen wird durch Rechtsvergleichung, teleologische Reduktion etc., „gilt“ in keinem Land der Welt. Wenn überhaupt, dann einem Land, dessen Rechtsordnung überhaupt nicht berufen ist. Es gibt keinen kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl, der zu dieser Regel führt, sie wird in der lex fori durch Rechtsfortbildung nachgebildet. In dieser Hinsicht laufen Artikel 10 und 12 Rom III-VO gleich. Eine Rechtsfortbildung, die auf die Besonderheiten des internationalen Sachverhalts eingeht, erscheint trotzdem möglich. Außer seiner Abwehrfunktion hat Artikel 10 Rom III-VO keine positive Funktion. Allerdings dürfte eine Rechtsfortbildung hier deutlich schwieriger sein, da nicht bloß die Lücke für eine einzige Norm geschlossen werden muss, sondern für ein komplettes Statut. Daher dürfte die Anwendung der unmodifizierten lex fori in der Regel die praktischste und beste Lösung sein, sieht man von der Möglichkeit ab, für die Rechtswahl ersatzweise das objektiv zu bestimmende Recht heranzuziehen. 2. Artikel 10 Var. 1 Rom III-VO a) Unscheidbarkeit der Ehe In seiner ersten Variante ordnet Artikel 10 Rom III-VO die Anwendung der lex fori an, wenn das nach Artikel 5 oder Artikel 8 anzuwendende Recht eine Ehescheidung nicht vorsieht. Damit soll die Möglichkeit der Scheidung sichergestellt werden, ein Recht auf Scheidung wird garantiert.267 Zunächst wird damit klargestellt, dass Artikel 10 Rom III-VO auch im Falle einer Rechtswahl einschlägig ist.268 Damit ist die grundsätzliche Eignung der Vorschrift für die Ziele des Schutzes schwächerer Parteien zu bejahen. Von der Norm werden unzweifelhaft die Fälle erfasst, in denen das anwendbare Recht überhaupt keine Scheidung vorsieht.269 In der Praxis sind diese nur noch ausgesprochen selten. In Europa hatten in den letzten Jahrzehnten stark katholisch geprägte Länder wie Andorra und Irland letztlich die Scheidung eingeführt.270 Zwar wurde bei der Schaffung der Norm noch genau an den praktischen europäischen Hauptanwendungsfall gedacht: Das katholisch geprägte
267
Rauscher/Helms, Artikel 10 Rom III-VO, Rn. 2; Gruber, IPRax 2012, 381, 391. Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, A, Rn. 447. 269 Ganz h.M.: nur MK-BGB/Winkler von Mohrenfels, Artikel 10 Rom III-VO, Rn. 8; Palandt/Thorn, Art. 10 Rom III-VO, Rn. 2; NK-BGB/Budzikiewicz, Artikel 10 Rom III-VO, Rn. 7; Hausmann, Int. und Europäisches Ehescheidungsrecht, A, Rn. 449, jeweils mit weiteren Nachweisen. 270 Überblick bei Staudinger/Mankowski, BGB, Art. 17 EGBGB, Rn. 20 ff. 268
§ 7 Ordre public und ähnliche Instrumente
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Malta erlaubte während des Vorgangs der Verordnungsgebung keine Scheidung.271 Inzwischen kennt jedoch auch Malta die gerichtliche Ehescheidung. Diese ist zwar nur unter strengen Bedingungen möglich, nämlich wenn die Ehegatten in den letzten 5 Jahren vor der Antragstellung mindestens 4 Jahre getrennt gelebt haben oder seit 4 Jahren formell getrennt leben, eine Versöhnung ausgeschlossen erscheint und die Unterhaltsbeziehungen zwischen den Ehegatten und eventuellen Kindern geregelt sind.272 Aber damit ist Malta das letzte europäische Land, das aus dem Anwendungsbereich von Artikel 10 Rom III-VO ausscheidet. Weltweit gibt es nur noch wenige Länder, die eine ähnlich strikte Familienpolitik verfolgen. Zu nennen sind als großes Land die Philippinen.273 Relevant kann auch das Recht des Vatikans werden, sowie das religiöse kanonische Eherecht, das mittelbar über Artikel 15 Rom III-VO berufen werden kann.274 Diese Rechte sehen eine Scheidung ebenfalls nicht vor. Damit sind die Hauptanwendungsfälle abgedeckt, die schon im deutschen Internationalen Privatrecht das Eingreifen des ordre public bei einer totalen Verweigerung der Scheidung gerechtfertigt haben.275 Die erste Variante von Artikel 10 Rom III-VO beschränkt sich allerdings auf das abstrakte Scheidungsverbot. Dies stellt Erwägungsgrund (26) der Verordnung sehr klar.276 Dieser bezieht sich eigentlich auf Artikel 13 der Verordnung, der es einem „Mitgliedstaat, nach dessen Recht die Scheidung nicht vorgesehen ist“ (gemeint war Malta), freistellt, eine Scheidung auszusprechen. Dass das anzuwendende Recht eine Scheidung nicht vorsieht, sollte „so ausgelegt werden, dass im Recht dieses teilnehmenden Mitgliedstaats das Rechtsinstitut der Ehescheidung nicht vorhanden ist.“277 Da die Formulierung in Artikel 10 Var. 1 Rom III-VO gleich lautet, kann diese Auslegungsvorgabe hierauf übertragen werden.278 Es bleibt somit also bei einer abstrakten, beschränkten Kontrolle, ob das anzuwendende ausländische Recht generell das Institut der Ehescheidung kennt
271
Jänterä-Jareborg, Jurisdiction and Applicable Law in Cross-Border Divorce Cases in Europe, S. 317, 338; Helms, FamRZ 2011, 1765, 1771. 272 Bergmann/Ferid/Henrich/Pietsch, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Länderteil Malta (Stand: 1. Januar 2018), S. 36. 273 Staudinger/Mankowski, Artikel 17 EGBGB, Rn. 23; MK-BGB/Winkler von Mohrenfels, Artikel 10 Rom III-VO, Rn. 9. 274 MK-BGB/Winkler von Mohrenfels, Artikel 10 Rom III-VO, Rn. 9; Staudinger/Mankowski, Artikel 17 EGBGB, Rn. 25; Gruber, IPRrax 2012, 381, 390 mit Fn. 127. 275 BGH, Urteil vom 11. Oktober 2006, Az. XII ZR 79/04, BGHZ 169, 240; Staudinger/Mankowski, Artikel 17 EGBGB, Rn. 106. 276 Hausmann, Internationales und Europäisches Scheidungsrecht, A, Rn. 450 f. 277 Erwägungsgrund (26) Rom III-VO. 278 Hausmann, Internationales und Europäisches Scheidungsrecht, A, Rn. 45.1
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oder nicht.279 Damit ergibt sich ein wesentlicher Unterschied zu Artikel 17 Abs. 1 S. 2 EGBGB a.F. Wenn hier von einer abstrakten Kontrolle im Gegensatz zu einer konkreten Kontrolle gesprochen wird, muss jedoch betont werden, dass diese abstrakte Kontrolle hier etwas anderes meint als bei der später zu diskutierenden Frage, ob Artikel 10 Var. 2 Rom III-VO eine konkrete oder abstrakte Kontrolle vornimmt. Die beiden Normen funktionieren auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Dies wird in der Bewertung der Norm oft übersehen. Analyseergebnisse zur ersten Variante können für die zweite Variante nur in sehr eingeschränktem Maße herangezogen werden. Dies liegt im Fall der ersten Variante daran, dass die abstrakte Verweigerung auch zu einem konkret untragbaren Ergebnis führt, da sie zumindest die Ehescheidungsfreiheit des antragstellenden Ehegatten verletzt. Das Begriffspaar abstrakt/konkret meint hier also einfach nur, dass im konkreten Fall außer einer Nichtkenntnis der Ehe noch andere Versagungsgründe der Ehescheidung betrachtet werden. b) Dogmatische Einordnung von Artikel 10 Var. 1 Rom III-VO Artikel 10 Var. 1 Rom III-VO ist keine Alternativanknüpfung. Es geht nicht einfach nur um die Berufung des günstigsten Rechts. Die erste ‚Alternative‘ ist schließlich keine. Auch handelt es sich nicht bloß um eine subsidiäre Anknüpfung. Die Verweisung auf das ausländische Recht führt nicht lediglich ins Leere, sondern zu einem ausländischen Recht, das ein Ergebnis verlangt, das aus Sicht des Verordnungsgebers unerwünscht ist. Artikel 10 Rom III-VO ist daher eine spezielle Vorbehaltsklausel, die ein materiellrechtliches Ergebnis durch eine andere Anknüpfung ersetzt. Die Norm ist nichts anderes als die Ausformulierung eines bestimmten, vereinheitlichten Aspekts der allgemeinen Vorbehaltsklausel des ordre public. Dieser erschöpft sich freilich nicht in dieser Fallgruppe, was Erwägungsgrund (24) S. 2 der Rom III-Verordnung klarstellt. Der europäische Gesetzgeber stellt hier jedoch den Mitgliedstaaten aus grundrechtlichen Erwägungen nicht frei, ob sie die Verweigerung der Scheidung als Verstoß gegen ihre nationale öffentliche Ordnung verstehen wollen und gibt diese Grundwertung somit vor.280 Die erste Variante ist somit ein Beispiel dafür, dass der Inhalt der öffentlichen Ordnung durch EU-Recht autonom vorgegeben werden kann. 279
BeckOGK-BGB/Gössl, Artikel 10 Rom III-VO, Rn. 8 ff.; Hausmann, Internationales und Europäisches Scheidungsrecht, A, Rn. 451; Schurig, FS von Hoffmann, S. 405, 409. 280 Hier zeigt sich allerdings eine gewisse Janusköpfigkeit des Textes: die Staaten, die eine Scheidung kennen, werden ein generelles Scheidungsverbot wohl auch so als Verstoß gegen ihre öffentliche Ordnung auffassen. Ein Mitgliedstaat, der die Scheidung aber nicht vorsieht, bleibt jedoch wegen Artikel 13 Rom III-VO von dieser Vorgabe ausgeschlossen. Zwar kennen alle Mitgliedstaaten im Moment die Scheidung. Bei Verabschiedung der Rom III-VO war das jedoch noch anders. Die somit postulierte europäische öffentliche Ordnung wirkt somit nur nach außen, hat intern aber keine Konsequenzen, vgl. dazu Sahner, Europeanization and new doctrines, S. 159, 216 f.
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Letztlich zeigt sich somit aber auch die Überflüssigkeit dieser ersten Variante: Der europäische Gesetzgeber stellt einen einzigen Aspekt des ordre public klar, der bereits im Recht der Mitgliedstaaten verankert gewesen sein dürfte. Wo er dies nicht sein sollte, kann er wegen Artikel 13 Rom III-VO aber auch nicht durchgesetzt werden. Praktisch wird kein Fall über Artikel 10 Var. 1 Rom III-VO anders entschieden, als er es über Artikel 12 Rom III-VO worden wäre. 3. Artikel 10 Var. 2 Rom III-VO Deutlich anders ist Artikel 10 Var. 2 Rom III-VO konzipiert. Dieser ordnet die Anwendung der lex fori an, wenn das anzuwendende Recht „einem der Ehegatten auf Grund seiner Geschlechtszugehörigkeit keinen gleichberechtigten Zugang zur Ehescheidung oder Trennung ohne Auflösung des Ehebandes gewährt“. Gleichsam als Erläuterung hierzu dient Erwägungsgrund (24), der ein wenig anders formuliert. Er spricht von gleichberechtigtem Zugang zum Scheidungs- oder Trennungsverfahren. Satz 2 ergänzt: „Der Ordre-public-Vorbehalt sollte hiervon jedoch unberührt bleiben.“ Als etwas allgemeinere Erklärung ist Erwägungsgrund (16) Satz 2 zu nennen, der sich zwar nur auf die Rechtswahl bezieht, aber wohl einen verallgemeinerungsfähigen Gedanken enthält:281 „Das von den Ehegatten gewählte Recht muss mit den Grundrechten vereinbar sein, wie sie durch die Verträge und durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt werden.“ Diese Erläuterungen sind bei der Auslegung zu berücksichtigen. a) Gewährung gleichberechtigten Zugangs aa) Ungleichbehandlung im islamischen und jüdischen Recht Artikel 10 Var. 2 Rom III-VO richtet sich gegen ein Recht, das den Ehegatten auf Grund ihres Geschlechts keinen gleichen Zugang zur Scheidung gewährleistet. Erwägungsgrund (24) präzisiert, dass darunter ein gleichberechtigter Zugang zum Scheidungsverfahren gemeint ist. Man mag bezweifeln, ob diese Formulierung erhellender ist oder, im Gegenteil, eher in die Irre führt. Der Begriffskern des Ausdrucks mag zwar klar sein, aber die Grenzfälle sind es nicht. Insbesondere könnte „Zugang zum Verfahren“ ganz wörtlich so verstanden werden, dass nur die Fälle unter Artikel 10 Var. 2 Rom III-VO zu fassen, in denen Frauen (Diskriminierung ist selbstverständlich in beide Richtungen denkbar; faktisch geht es jedoch nur um die Benachteiligung von Frauen) allein der Zugang zum Verfahren und der Ablauf des Verfahrens erschwert wer281
Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, A, Rn. 455; Gruber, IPRax 2012, 381, 391.
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den. Die Benachteiligungen würden dann allein im Verfahrensrecht stattfinden. Dies könnte etwa der Fall sein, wenn sie nicht ohne Zustimmung einer weiteren Person überhaupt einen Antrag auf Ehescheidung stellen kann. Damit würde man jedoch auf eine falsche Fährte geführt. Es geht bei Artikel 10 Rom III-VO nicht um verfahrensrechtliche Hindernisse. Erwägungsgrund (24) ist in dieser Beziehung irreführend, weil er die wichtigsten Fälle von Artikel 10 Var. 2 Rom III-VO gerade nicht erfasst. Es geht bei der Rom III-VO nicht um das Verfahrensrecht, das die Mitgliedstaaten weiter autonom bestimmen, sondern um das materielle Scheidungsrecht selbst, wo daher auch die Ungleichbehandlungen stattfinden müssen. Nach der herrschenden Ansicht in der Literatur fallen vor allem religiös geprägte Rechtsordnungen unter die Vorschrift.282 Religiöses Recht kann auf zwei Weisen vor nationalen Gerichten eine Rolle spielen. Viele staatliche Rechtsordnungen beruhen noch stark auf religiösen Fundamenten, die daher auch die Ausgestaltung der Rechtsordnungen prägen. Auch wenn diese Rechtsordnungen dann ihrerseits auf traditionelle, religiöse Bräuche verweisen oder mit religiösen Texten als Rechtserkenntnisquelle arbeiten, handelt es sich dabei doch um geltendes staatliches Recht.283 Religiöses Recht kann aber auch über eine personale Unteranknüpfung an die Religionszugehörigkeit der Eheleute nach Artikel 15 Rom III-VO zur Anwendung gelangen.284 Bei den islamischen und islamisch geprägten Familienrechten ist die häufigste Scheidungsart der talaq, die einseitige Verstoßung der Ehefrau durch den Ehemann.285 Dieser talaq bedarf keiner Begründung.286 Wohl gibt es aber, je nach islamischer Rechtsschule und genauer Ausgestaltung der staatlichen Rechtsordnung, unterschiedliche formelle und materielle Regeln für die Verstoßungserklärung.287 Frauen können nach den traditionellen Normen nur unter sehr engen Voraussetzungen, vor allem bei starken Verfehlungen des Mannes, überhaupt eine Scheidung durchsetzen. Letztlich bleibt das islamische Recht also mit der Idee der Gleichberechtigung und Gleichbehandlung von Mann und 282
Palandt/Thorn, Artikel 10 Rom III-VO, Rn. 3; Jänterä-Jareborg, Jurisdiction and Applicable Law in Cross-Border Divorce Cases in Europe, S. 317, 338 mit Fn. 70, 340; Kohler, FamRZ 2008, 1673, 1677 f.; ders., FS von Hoffmann, S. 208, 212 mit Fn. 18; Helms, FamRZ 2011, 1765, 1772; Winkler von Mohrenfels, FS Martiny, S. 595. 283 Siehr, FS Schlosser, S. 877, 881; Rohe, Europäisches Kollisionsrecht und religiöses Recht, S. 67, 68. 284 Zum Beispiel BGH, Beschluss vom 12. Dezember 1979, Az. IV ZB 65/79, NJW 1980, 1221; Urteil vom 25. Oktober 2006, Az. XII ZR 5/04, BGHZ 169, 328; Schröder, Die Verweisung auf Mehrrechtsstaaten, S. 398; Siehr, FS Schlosser, S. 877, 881; Andrae, NJW 2007, 1730; Michaels, FS Basedow, S. 247, 254 ff. 285 Rohe, Das islamische Recht, S. 91; Unberath, IPRax 2004, 515, 516; Büchler, FS Brudermüller, S. 61, 68. 286 Büchler, FS Brudermüller, S. 61, 68. 287 Vgl. für einen genaueren Überblick bei Büchler, Das islamische Familienrecht, S. 50 ff.; Rohe, Das islamische Recht, S. 91 ff.
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Frau unvereinbar. Während das Gleichbehandlungsgebot davon ausgeht, dass Männer und Frauen gleich sind, so dass jede Anknüpfung an das biologische Geschlecht eine zu rechtfertigende Diskriminierung darstellt, geht das islamische Recht vom Gedanken aus, dass Männer und Frauen ihrem Wesen nach so unterschiedlich sind, dass eine Gleichbehandlung nicht möglich ist. Zwar sind sie in ihrem Würdeanspruch gleich. Da an die Geschlechter aber unterschiedliche Rollenerwartungen gesetzt werden, können für sie nicht die gleichen Rechte und Pflichten gelten.288 Die Idee der Gleichbehandlung wäre nach dieser Betrachtungsweise selbst eine Diskriminierung, weil sie Ungleiches gleich behandle.289 Mit dem Entstehen muslimischer Nationalstaaten im 20. Jahrhundert begann man verstärkt, das bis dato religiöse Recht in Gesetzesform zu bringen und nutzte die Gelegenheit mehrfach, um die Regeln zu überarbeiten.290 Viele Reformbestrebungen zielen darauf ab, die Position der Frau konkret zu verbessern. Dies lässt sich etwa am marokkanischen Recht zeigen, wo Frauenrechtlerinnen an der Erarbeitung des Gesetzesentwurfs beteiligt wurden.291 Der talaq steht zwar nach wie vor nur dem Ehemann offen, jedoch wurden die Anforderungen an die Verstoßung erhöht. Formelle Hürden sollen offiziell nur dem Beweis der Verstoßung dienen, da das Recht zum talaq weiter als gottgegeben angesehen wird.292 Marokko sieht aber auch die Anordnung eines Versöhnungsverfahrens vor.293 Gleichzeitig erweiterte man die materiellen Voraussetzungen: Ein Scheidungsgrund ist weiterhin nicht erforderlich, allerdings wird erwartet, dass der Ehemann seinen Willen explizit ausdrückt und nicht unter Alkoholeinfluss steht. Einer Verstoßung im Affekt wird dadurch entgegengewirkt, dass eine mehrfache Verstoßung zu einem einzigen Zeitpunkt als unwirksam betrachtet wird (traditionell wird verlangt, dass der Ehemann die Verstoßungsformel dreimal wiederholt).294 Zudem wird die finanzielle Absiche-
288 Rohe, Das islamische Recht, S. 208 f.; Yassari, Die Brautgabe im Familienvermögensrecht, S. 68 f.; dies., Das iranische Familienrecht, S. 59, 62 ff.; Möller, Die Golfstaaten auf dem Weg zu einem modernen Recht für die Familie?, S. 24. 289 Yassari, Die Brautgabe im Familienvermögensrecht, S. 69. 290 Andrae, NJW 2007, 1730; Möller, JPIL 10 (2014), 461, 473. 291 Rohe, Europäisches Kollisionsrecht und religiöses Recht, S. 67, 70; Andrae, NJW 2007, 1730, Möller, JPIL 10 (2014), 461, 465 ff. 292 Für Bahrain, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate Möller, Die Golfstaaten auf dem Weg zu einem modernen Recht für die Familie?, S. 137. 293 Andrae, NJW 2007, 1730. 294 Möller, Die Golfstaaten auf dem Weg zu einem modernen Recht für die Familie?, S. 138.
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rung der Ehefrau im Falle des talaq verstärkt, so dass diese nicht mittellos dasteht.295 Ehefrauen können sich auch im Ehevertrag eine Vollmacht zur Vornahme des talaq übertragen lassen. Dadurch erhalten sie zwar formell nicht das Recht zur Verstoßung, das Männern vorbehalten ist, können aber tatsächlich eine plötzliche Scheidung erwirken.296 Alle diese Reformen lassen die grundsätzliche formelle Ungleichheit der Geschlechter unberührt. Das zumeist vertretene islamische Geschlechterverständnis unterscheidet sich vom modernen westlichen Konzept grundlegend. Während dieses jegliche Ungleichbehandlung für rechtfertigungsbedürftig hält, geht jenes davon aus, dass die Geschlechter unterschiedlich seien und eine Gleichbehandlung der Geschlechter daher ungerecht wäre.297 Materiell zielen die Reformen in den islamischen Ländern jedoch genau darauf ab, die Geschlechter gleichzustellen und gleichen Zugang zur Scheidung zu gewähren.298 Auch im israelisch-jüdischen Scheidungsrecht gibt es Geschlechterbenachteiligungen. Ist die Scheidungsklage schlüssig, erlässt das Scheidungsgericht ein Scheidungsurteil. Anschließend wird ein besonderer Scheidebrief, der Get vom Gericht erstellt. Die Ehe wird in dem Zeitpunkt aufgelöst, in dem der Ehemann der Ehefrau diesen Scheidebrief übergibt.299 Diese Übergabe ist konstitutiv, nur durch den darin ausgedrückten freien Willen der Eheleute wird die Ehe privatautonom geschieden.300 Wichtig ist also, dass der Scheidungsbrief freiwillig übergeben und entgegengenommen wird, wobei dieser Vorgang immer noch „freiwillig“ ist, wenn sich ein Ehegatte auf Grund des Urteils dazu verpflichtet fühlt.301 Nimmt die Ehefrau den Get nicht entgegen, so kann der
295
Möller, JPIL 10 (2014), 461, 474 ff. Andrae, NJW 2007, 1730 f. 297 Weller/Hauber/Schulz, IPRax 2016, 123, 124 f. 298 Möller, JPIL 10 (2014), 461, 470 ff. 299 Dies geht zurück auf 5. Mose Kap. 24: „1Wenn jemand ein Weib nimmt und ehelicht sie, und sie nicht Gnade findet vor seinen Augen, weil er etwas Schändliches an ihr gefunden hat, so soll er einen Scheidebrief schreiben und ihr in die Hand geben und sie aus seinem Haus entlassen.“ BGH, Urteil vom 2. Februar 1994, Az. XII ZR 148/92, NJW-RR 1994, 642, 643; Urteil vom 28. Mai 2008, Az. XII ZR 61/06, NJW-RR 2008, 1169, 1171; Bergmann/Ferid/Henrich/Margalith/Assan, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Länderbericht Israel (Stand: 30. November 2012), S. 51 f.; Jayme, Religiöses Recht vor staatlichen Gerichten, S. 1; Herfarth, Die Scheidung nach jüdischem Recht im Internationalen Zivilverfahrensrecht, S. 3, 19; Siehr, FS Schlosser, S. 877, 885; ders., IPRax 2009, 332, 335; Weller/Hauber/Schulz, IPRax 2016, 123, 124. 300 BGH NJW-RR 2008, 1169, 1171, Siehr, FS Schlosser, S. 877, 885. 301 Bergmann/Ferid/Henrich/Margalith/Assan, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Länderbericht Israel (Stand: 30. November 2012), S. 52; MK-BGB/Winkler von Mohrenfels, Artikel 10 Rom III-VO, Rn. 12; Herfarth, Die Scheidung nach jüdischem Recht, S. 31 ff.; Weller/Hauber/Schulz, IPRax 2016, 123, 125. 296
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Ehemann bei Gericht einen Antrag stellen. Ihm wird dann entweder eine Ausnahme vom Verbot der Polygamie erteilt302 oder das Gericht scheidet die Ehe gegen den ausdrücklichen Willen der Frau.303 Verweigert der Ehemann die Übergabe des Get, so kann diese nicht auf anderem Weg ersetzt werden. Der Ehefrau bleibt die Wiederheirat verschlossen.304 Seit 1995 gibt es zwar ein Gesetz über die Rabbinatsgerichte, das Zwangsmittel gegen den Mann, der den Scheidebrief nicht überreicht, vorsieht. Es bleibt jedoch, dass rein abstrakt das Einverständnis des Ehemannes nicht ersetzt werden kann. Daher kann auch beim jüdischen Scheidungsrecht nicht davon ausgegangen werden, dass es den Ehegatten eine gleichberechtigte Rolle zuweist. bb) Bedeutung des Zugangs zur Scheidung Misst man die Rechtslage in islamischen Rechtsordnungen und dem jüdischen Recht am formellen Gleichbehandlungsgebot, das den Europäischen Grundrechten zugrunde liegt, so lässt sich feststellen, dass sich die religiös geprägten Normen nicht mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbaren lassen.305 Die Konzepte unterscheiden sich grundsätzlich. Fraglich ist allerdings, ob die Formulierung in Artikel 10 Var. 2 Rom III-VO mit dem „gleichberechtigten Zugang“ zu Scheidung und Trennung einen streng formellen Gleichbehandlungsgrundsatz durchsetzen möchte oder eine materielle Gleichberechtigung bei formeller Ungleichheit genügen lässt. Einige Stimmen in der Literatur wenden sich gegen ein strikt formelles Verständnis.306 Dies führe zu einem kompletten Ausschluss weiter Teile der weltweiten Rechtsordnungen vor europäischen Gerichten. Zudem würden die Reformbemühungen in vielen Ländern nicht gewürdigt: Auch wenn islamisch geprägte Länder am Grundsatz der Geschlechterungleichheit festhielten, fänden gleichzeitig Versuche statt, die gesellschaftliche Position der Frauen so weit zu verbessern, dass ihr aus der Ungleichheit zumindest keine manifesten Nachteile erwachsen. Für Männer und Frauen gelte danach zwar immer noch unterschiedliches Familienrecht. De facto sei ein Scheidungsverfahren aber für die Frau nicht manifest beschwerlicher als für den Mann. Der Grundsatz des Respekts vor fremden Rechtsordnungen gebiete es, in diesen Fällen von einem Eingreifen des Artikels 10 Var. 2 Rom III-VO abzusehen.
302 Bergmann/Ferid/Henrich/Margalith/Assan, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Länderbericht Israel (Stand: 30. November 2012), S. 52. 303 Herfarth, Die Scheidung nach jüdischem Recht, S. 30; Weller/Hauber/Schulz, IPRax 2016, 123, 125. 304 Weller/Hauber/Schulz, IPRax 2016, 123, 125. 305 Weller/Hauber/Schulz, IPRax 2016, 123, 124 f. 306 Möller, JPIL 10 (2014), 461, 465 f.; vgl. auch BeckOGK-BGB/Gössl, Artikel 10 Rom III-VO, Rn. 26 f.
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Ohne Frage geht es um wichtige und dringende Reformen in religiös geprägten Rechtsordnungen. Es stellt sich allerdings die Frage, ob sie ausreichen, um ein Eingreifen von Artikel 10 Var. 2 Rom III-VO zu vermeiden. Daran bestehen Zweifel. Einmal muss man sich fragen, ob diese Reformen geeignet sind, einen rein tatsächlich gleichberechtigten Zugang zum Scheidungsverfahren trotz fortbestehender Prämisse von der Ungleichheit der Geschlechter zu gewähren. Zum anderen kann man sich fragen, ob die Rom III-VO nicht einen sehr strengen, formalen Begriff des Zugangs zum Scheidungsverfahren vertritt, dem diese Rechtsordnungen nicht gerecht werden können. Trotz aller Verbesserungen scheint es schwierig, allein aus den genannten Gründen einen gleichberechtigten Zugang der Geschlechter zur Ehescheidung anzunehmen. Es bestehen doch weiterhin erhebliche Differenzen, die dagegensprechen, dass ein Scheidungsverfahren in den religiösen Rechtsordnungen für beide Geschlechter annähernd gleich beschwerlich ist.307 Für Frauen ist es in der Regel nur möglich, entweder bei Nachweis einer Verletzung der ehelichen Pflichten durch den Ehemann oder bei Verzicht auf die Scheidungsfolgen durch Loskauf die Ehe zu beenden. Kollisionsrechtlich könnte man noch überlegen, dass bei der Loskaufscheidung die Scheidungsfolgen gar keine Rolle spielten. Diese sind nicht Wirksamkeitsbedingung der Scheidung, sondern Scheidungsfolge308 und unterfallen daher auch nicht dem Scheidungsstatut. Gerade der Anspruch auf Rückzahlung der Brautgabe dürfte in Zukunft der EuEheGüVO unterfallen.309 Es erscheint daher zumindest möglich, Rechtsordnungen, die eine Loskaufscheidung zulassen, einen gleichberechtigten Zugang zur Scheidung zu bejahen, sofern die Rückzahlung der Brautgabe nicht Wirksamkeitsvoraussetzung ist. Allerdings wirkt diese Lösung sehr gekünstelt. Sie beruht hauptsächlich auf der Qualifikation des EIPR und nicht auf den Regelungen des fremden Rechts, um das es geht. Zudem ist eine solche Lösung auch nicht im Sinne des Verordnungsgebers. Die Entstehungsgeschichte macht deutlich, dass mit dem gleichberechtigten Zugang zur Scheidung das Konzept absoluter formaler Gleichheit von Männern und Frauen gemeint ist.310 Die Gleichheit der Geschlechter wird als grundlegender Wert in Artikel 2 EUV genannt. Ein formales Verständnis liegt auch der Rechtsprechung des EGMR zugrunde.311 Viele Mitgliedstaaten haben genau dieses Verständnis zum Bestand ihrer öffentlichen Ordnung gemacht, an
307
Weller/Hauber/Schulz, IPRax 2016, 123, 124. Rohe, Das islamische Recht, S. 95. 309 Heiderhoff, IPRax 2017, 231, 232. 310 BeckOGK-BGB/Gössl, Art. 10 Rom III-VO, Rn. 20; Helms, FamRZ 2011, 1765, 1772; Gössl, ELF 2017 68, 73. 311 Vgl. EGMR, Urteil vom 18. Juli 1994, Az. 13580/88, NVwZ 1995, 365, 365 f., Rn. 24 ff.: Rechtfertigung nur durch „schwergewichtige Gründe“. 308
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der sie ausländisches Recht auch abstrakt messen. Beispiele hierfür sind Frankreich, Belgien oder Spanien.312 Bei den Beratungen zur Rom III-VO führte das Beispiel der islamischen Rechtsordnungen zu der Sorge vor der Anwendung ausländischen Rechts. Artikel 10 Var. 2 Rom III-VO ist genau als Zugeständnis an jene Staaten zu verstehen, die grundsätzlich kein islamisches Recht anwenden wollen.313 In diesem Sinne streitet auch der Verweis in Erwägungsgrund (16), der betont, dass das anwendbare Recht mit den Europäischen Grundrechten vereinbar sein muss. Der Erwägungsgrund bezieht sich zwar nur auf die Rechtswahl, lässt sich aber verallgemeinern.314 Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Europäischen Recht ist streng formal gemeint. Der Gedanke von der grundsätzlichen Unterschiedlichkeit der Geschlechter ist damit unvereinbar.315 Was ist damit nun entschieden? Die Ansicht, nach der auch Rechtsordnungen, die zwar nicht auf dem formalen Gleichbehandlungsgedanken beruhen, aber wenigstens materiell ein ausgewogenes Verhältnis der Rechte und Pflichten im Scheidungsverfahren etabliert haben, einen gleichberechtigten Zugang zur Scheidung gewähren, ist nicht haltbar. Islamische Rechtsordnungen, aber auch das israelisch-jüdische Scheidungsrecht fallen demnach unter Artikel 10 Var. 2 Rom III-VO.316 Die Norm erfasst zudem auch andere Rechtsordnungen, deren Scheidungsrecht eine Geschlechterunterscheidung vornimmt.317 Unterschieden werden muss davon die Frage, ob eine teleologische Reduktion der Norm möglich ist, wenn im Einzelfall keine Diskriminierung feststellbar ist. Eine rechtspolitische Bewertung soll hier ebenfalls noch unterbleiben.318 Es deutet sich hier lediglich an, dass durch die Norm ein Dilemma provoziert wird. Das von Artikel 10 Rom III-VO verfolgte Ziel, die menschenrechtlich verbürgte Gleichbehandlung durchzusetzen, ist wichtig und vollkommen richtig. Menschenrechte haben notwendig einen universellen Geltungsanspruch.319 Das Mittel zur Erreichung dieses Zwecks weckt hingegen Bedenken. Eine pauschale Abwehr jeglichen Rechts, das diesen Ansprüchen nicht 312 Büchler, FS Brudermüller, S. 60, 68 f.; siehe auch Gössl, ELF 2016, 85, 91; Rohe, Europäisches Kollisionsrecht und religiöses Recht, S. 67, 71; für Belgien Rauscher/Helms, Artikel 10 Rom III-VO, Rn. 1. 313 Rat der Europäischen Union, Tagung v. 19./20.4.2007, 8364/07 (Presse 77), S. 10; NK-BGB/Budzikiewicz, Art. 10 Rom III-VO, Rn. 4. 314 Gruber, IPRax 2012, 381, 391. 315 Grünberger, Personale Gleichheit, S. 569; Rohe, Europäisches Kollisionsrecht und religiöses Recht, S. 67, 75; Weller/Hauber/Schulz, IPRax 2016, 123, 130. 316 Althammer/Tolani, Artikel 10 Rom III-VO, Rn. 3; Rauscher/Helms, Artikel 10 Rom III-VO, Rn. 8; Palandt/Thorn, Artikel 10 Rom III-VO, Rn. 3. 317 Rauscher/Helms, Artikel 10 Rom III-VO, Rn. 8 und Stürner, Jura 2012, 708, 713 mit dem Beispiel Haiti. 318 Dazu unter 4. 319 Kischel, Rechtsvergleichung, § 1, Rn. 84.
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genügt, bricht nicht nur mit wichtigen Grundsätzen des IPR,320 es ist auch nicht geeignet, die weltweite Durchsetzung der Gleichberechtigung zu verwirklichen, da es Reformbemühungen in anderen Ländern nicht wertschätzt321 und den Vorwurf kultureller Diskriminierung provoziert.322 Dabei sollte klar sein, dass wirkliche Reformen nur durch Unterstützung progressiver Kräfte innerhalb der jeweiligen Rechtsordnungen stattfinden sollte und nicht durch eine rigorose Zurückweisung des fremden Rechts, bis es genau den europäischen Grundrechtestandard erreicht. Es ist daher nicht verwunderlich, dass in der Literatur Vorschläge zu einer teleologischen Reduktion gemacht wurden, die den Anwendungsbereich der Vorschrift auf ein Maß beschränken soll, den man bereits aus dem Umgang mit dem allgemeinen ordre public-Vorbehalt kennt. Die Begründung dieser Einschränkung soll im Folgenden genauer untersucht werden. b) Teleologische Reduktion? aa) Gründe für eine teleologische Reduktion Grund für die Versuche einer teleologischen Reduktion ist die niedrige Schwelle des Eingreifens von Artikel 10 Var. 2 Rom III-VO. Nach seinem Wortlaut muss lediglich eine abstrakte Kontrolle des fremden Rechts vorgenommen werden.323 Es kommt nicht so sehr auf das konkrete Ergebnis der Rechtsanwendung an. Nicht das Resultat der Rechtsanwendung muss anstößig sein. Nicht einmal der Weg zum Ergebnis, die konkret angewendeten Normen, muss gegen die Gleichbehandlung der Geschlechter verstoßen. Es reicht, wenn „das anzuwendende Recht“ allgemein keinen gleichen Zugang zur Scheidung gewährleistet, nicht erst die Anwendung des Rechts oder das konkrete Ergebnis. Dies hat zu scharfen Protesten geführt.324 Keine Vorschrift der Rom III-Verordnung wurde in der deutschen Literatur derart heftig kritisiert. Dies liegt daran, dass eine abstrakte Bewertung eines ausländischen Rechts gegen Grundsätze verstößt, die immer als das Kollisionsrecht besonders prägende Axiome angesehen wurden.
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Vgl. Sahner, Europeanization and doctrines of Private International Law, S. 159, 215 ff. 321 Kritisch zur Bedeutung solcher Argumente generell Rohe, Europäisches Kollisionsrecht und religiöses Recht, S. 67, 75. 322 Palandt/Thorn, Artikel 10 Rom III-VO, Rn. 4; Schurig, FS von Hoffmann, S. 405, 410; Hau, FamRZ 2013, 249, 254. 323 Schurig, FS von Hoffmann, S. 405, 410; Siehr, FS von Hoffmann, S. 424, 427; Weller, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, S. 133, 134; Helms, IPRax 2017, 153, 154. 324 Nur Schurig, FS von Hoffmann, S. 405, 410; vgl. auch die Autoren im Folgenden.
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Dies betrifft zum Ersten die Gleichwertigkeit aller Rechtsordnungen. Das klassische nationale Kollisionsrecht fragt nicht danach, welches das sachlich beste Recht ist, sondern danach, zu welchem Land der Sachverhalt die engste Verbindung hat, wo der Schwerpunkt liegt.325 Dies impliziert bereits eine Offenheit und die Bereitschaft, sich mit einer anderen Rechtskultur auseinanderzusetzen.326 Kegel hat dies prägnant in der Idee von den zwei Seiten der Gerechtigkeit zusammengefasst.327 Die Berücksichtigung materiellrechtlicher Interessen geschieht nur ausnahmsweise über den ordre public. Die allgemeine Vorbehaltsklausel wird dabei auf mehrfache Weise beschränkt: Sie greift nur ein, wenn das konkrete Ergebnis gegen die öffentliche Ordnung verstößt, und sie greift nur ein, wenn ein ausreichender Inlandsbezug des Sachverhalts besteht. Von diesen Grundregeln, die das Verständnis des klassischen Kollisionsrechts prägen, macht Artikel 10 Var. 2 Rom III-VO nach seinem Wortlaut mehrere Ausnahmen.328 Nun sind diese Prinzipien freilich nicht in Stein gemeißelt und können Veränderungen unterliegen. Doch bedarf es dafür einer Begründung mit den Interessen der Parteien. Während Artikel 10 Var. 2 Rom III-VO jedoch den Schutz des diskriminierten Ehegatten beabsichtigt, geht die Vorschrift in ihren Wirkungen über diese Interessen hinweg: Die Norm greift sogar, wenn die entsprechenden diskriminierenden Regeln gar nicht zur Anwendung gekommen wären, weil es selbstverständlich bei einem Scheidungsfall nicht auf jede einzelne Norm ankommt, die das fremde Scheidungsstatut enthält. Sieht das gewählte Recht die Möglichkeit einer einvernehmlichen Scheidung vor und wollen die Eheleute diese, sollte es unerheblich sein, dass das Recht ansonsten noch eine Verstoßungsscheidung durch den Ehegatten erlaubt. Und selbst wenn zwar eine diskriminierende Regel angewendet wird, die diskriminierte Partei aber einverstanden ist mit der Anwendung dieser Regel, greift Artikel 10 Rom III-VO. In diesen Situationen fand nach der herrschenden Meinung in der Rechtswissenschaft eine Abwehr über den ordre public nicht statt.329 Die Parteien benötigen hier keinen Diskriminierungsschutz. Viel-
325
MK-BGB/Sonnenberger, 5. Auflage, Einleitung IPR, Rn. 23; Kegel/Schurig, IPR, S. 131, 516 ff.; Schurig, FS von Hoffmann, S. 405, 410; Büchler, FS Brudermüller, S. 63, 64 f.; Sahner, Europeanization and doctrines of Private International Law, S. 159, 170, 217. 326 Jayme, Festgabe Zivilrechtslehrer 1934/1934, S. 237 ff; Gebauer, LA Kohler, S. 103, 104. 327 Kegel, FS Lewald, S. 259, 270. 328 Schurig, FS von Hoffmann, S. 405, 410; Hau, FamRZ 2013, 249, 254. 329 BGH, Urteil vom 6. Oktober 2004, Az. XII ZR 225/01, NJW-RR 2005, 81, 84; OLG München, Urteil vom 19. September 1988, Az. 2 UF 1696/86, IPRax 1989, 238, 241; OLG Köln, Beschluss vom 9. Mai 1996, Az. 21 WF 151/95, FamRZ 1996, 1147; Unberath, IPRax
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3. Kap.: Schwächerenschutz nach Vertragsschluss
mehr haben sie die Rechtsfolgen der anwendbaren Normen genau in ihre Erwägungen eingezogen. Bei einer Rechtswahl geht die Norm über die Ziele des klassischen Schwächerenschutzes hinaus. Es geht hier nicht um Hilfe bei einer Ungleichgewichtslage bei den Parteien. Hier werden die Parteien gegen ihren eigenen Willen vor ihrem eigenen Willen geschützt. Aus diesem Grund möchte die deutsche Rechtswissenschaft die Vorschrift teleologisch reduzieren und auf eine konkrete Grundrechtsverletzung beschränken.330 Dadurch wird die Wirkung von Artikel 10 Var. 2 Rom III-VO auf den normalen ordre public beschränkt. Die 2. Variante von Artikel 10 Rom III-VO wäre demnach ein besonders ausformulierter Fall der öffentlichen Ordnung, eine explizite Festlegung des Inhalts von Artikel 12 Rom III-VO für alle Mitgliedstaaten, damit in diesem Bereich keine Abweichungen der Mitgliedstaaten bei der Gleichberechtigung der Geschlechter möglich ist.331 bb) Argumente gegen die teleologische Reduktion Voraussetzung einer teleologischen Reduktion ist ein zu weiter Wortlaut, der Fälle umfasst, die nach Sinn und Zweck der Norm gar nicht mitgeregelt werden sollten. Diese Fälle wurden soeben erläutert. Es ist jedoch zweifelhaft, ob der Verordnungsgeber diese Situationen nicht doch im Auge hatte.332
2004, 515, 517; Siehr, FS Schlosser, S. 877, 883; Andrae, NJW 2007, 1730, 1731; Gössl, ELF 2016, 85, 91. 330 BT-Drucks. 17/11049, S. 8; Althammer/Tolani, Artikel 10 Rom III-VO, Rn. 3; BeckOK-BGB/Heiderhoff, Artikel 10 Rom III-VO, Rn. 11; Erman/Hohloch, Artikel 10 Rom III-VO, Rn. 6; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, A, Rn. 458; NK-BGB/Budzikiewicz, Artikel 10 Rom III-VO, Rn. 27; Rauscher/Helms, Artikel 10 Rom III-VO, Rn. 11; ders., FamRZ 2011, 1765, 1772; Andrae, Internationales Familienrecht, § 4, Rn. 49; Kohler/Pintens, FamRZ 2011, 1433, 1434; Coester/Coester-Waltjen, LA Schurig, S. 33, 44; Schurig, FS von Hoffmann, S. 405, 410; Basedow, LA Pintens, S. 135, 149; Henrich, LA Pintens, S. 701, 707 f.; Wurmnest, Ordre public, S. 445, 468; Hau, FS Stürner, S. 1237, 1246; Rohe, Europäisches Kollisionsrecht und religiöses Recht, S. 67, 75 f.; Stürner, Der ordre public im Europäischen Kollisionsrecht, S. 87, 99. OLG Hamm, IPRax 2014, 349, 354 erwähnt Artikel 10 Rom III-VO nicht. 331 Mörsdorf-Schulte, RabelsZ 77 (2013), 786, 825. 332 Eine teleologische Reduktion ablehnend BeckOGK-BGB/Gössl, Artikel 10 Rom IIIVO, Rn. 20 ff.; Corneloup/Joubert, Article 10 Rome III, Rn. 12 f.; MK-BGB/Winkler von Mohrenfels, Artikel 10 Rom III-VO, Rn. 5; ders., ZEuP 2013, 699, 714 f.; ders., FS Martiny, S. 595, 599 ff.; Raupach, Ehescheidung mit Auslandsbezug, S. 211 ff.; Traar, ÖJZ 2011, 805, 812; Boiché, AJ Famille 2012, 370, 374; Weller/Hauber/Schulz, IPRax 2016, 123, 129 ff.; Weller, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, S. 133, 134; Weller/Pika, IPRax 2017, 65, 72.
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Hierfür sprechen mehrere Punkte: Der Wortlaut ist zunächst relativ eindeutig und lässt ein Versehen unwahrscheinlich erscheinen.333 Dem Verordnungsgeber muss der Unterschied zu Artikel 12 Rom III-VO aufgefallen sein. Aus Versehen dürfte der weite Anwendungsbereich der Vorschrift also kaum entstanden sein. Vielleicht steht die Norm daher auch nicht direkt neben dem ordre public, sondern durch Artikel 11 Rom III-VO getrennt.334 Diese Ansicht wird auch durch die Entstehungsgeschichte belegt, nach der Artikel 10 Rom III-VO ein Kompromissvorschlag für diejenigen Länder war, die einem konsequenten lex fori-Ansatz folgten und für die eine Anwendung eines ausländischen Rechts schon eine echte Neuerung bedeutet hätte. Kommission und Parlament erklärten, sicherstellen zu wollen, dass die Ehegatten keinem diskriminierenden Recht unterworfen werden.335 Eindeutig ist zudem die Zielrichtung, „islamisches Recht“ abzuwehren. Betrachtet man die grundsätzliche rechtspolitische Diskussion der letzten Jahre gerade in Auseinandersetzung mit „dem Islam“, die von vorsichtiger Annäherung bis zu vollständiger Ablehnung (gerade in eher populären Textbeiträgen)336 gegenüber der Religion reicht, verwundert es nicht so sehr, dass hier ein eher simples, aber deutliches Exempel statuiert wird. Systematisch spricht Erwägungsgrund (24) S. 2 Rom III-VO, der die Anwendung des ordre public unberührt lässt, dafür, dass Artikel 10 Rom III-VO nicht einfach spezieller als Artikel 12 Rom III-VO sein soll, sondern anders.337 Zwar ist S. 1 dieses Erwägungsgrundes so formuliert, dass man meinen könnte, Artikel 10 Rom III-VO greife ebenfalls nur in konkreten, bestimmten Situationen.338 In der englischen und der französischen Sprachfassung wird jedoch deutlich, dass die „bestimmten Situationen“ nur der Oberbegriff für die beiden Varianten von Artikel 10 Rom III-VO sein sollen.339 Bei verschiedenen Sprachfassungen kann methodisch nicht allein auf eine isolierte Übersetzung abgestellt werden.340
333
Das geben auch die Befürworter einer teleologischen Reduktion zu: Rauscher/Helms, Artikel 10 Rom III-VO, Rn. 10 f.; BeckOK-BGB/Heiderhoff, Artikel 10 Rom III-VO, Rn. 11; Andrae, Internationales Familienrecht, § 4, Rn. 49; dies., FPR 2010, 505, 507; Gruber, IPrax 2012, 381, 391. 334 Beck-OGK/Gössl, Artikel 10 Rom III-VO, Rn. 21. 335 KOM(2010) 105 endg., S. 8. 336 Vgl. Rohe, JZ 2007, 801 ff.; ders,. Europäisches Kollisionsrecht, S. 67, 70, mit Beispielen für das teilweise niedrige Niveau der Debatte. 337 Andrae, Internationales Familienrecht, § 4, Rn. 49; Gruber, IPRax 2012, 381, 391. 338 BT-Drucks. 17/11049, S. 8; BeckOGK-BGB/Gössl, Artikel 10 Rom III-VO, Rn. 19. 339 Helms, Artikel 10 Rom III-VO, Rn. 10; Winkler von Mohrenfels, ZEuP 2013, 699, 715. 340 EuGH, Urteil vom 15. März 2017, Rs. C-528/15, Al Chodor, NVwZ 2017, 777, 778, Rn. 30 bis 32, darauf weist der GA in seinem Schlussantrag in der Sache C-372/16 hin, NZFam 2017, 997, 1006, Rn. 78.
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3. Kap.: Schwächerenschutz nach Vertragsschluss
Somit stellt sich die Frage, ob eine Norm teleologisch gegen den eindeutigen Willen der Legislative reduziert werden kann, weil die Norm sich nicht in das allgemeine Rechtssystem einfügen lässt. Dies muss verneint werden.341 Scheint dies generell schon sehr zweifelhaft,342 so besteht im besonderen Fall des Artikels 10 Var. 2 Rom III-VO die Gefahr, dass vorschnell ein Bruch mit dem System des Kollisionsrechts behauptet wird. Diejenigen, die dies behaupten, unterstellen ein unveränderliches System des Internationalen Privatrechts, eine allgemeingültige Idee des Rechtsgebiets. Theorien des IPR sind jedoch meistens nur vor ihrem historischen Hintergrund, durch ihr Entstehen und Werden verständlich, durch besondere Urteile, spezifische Gesetze, den Einfluss einzelner akademischer Schulen, so dass es eine universelle Theorie des Kollisionsrechts gar nicht geben kann.343 Es wird oft übersehen, dass das Europäische Internationale Privatrecht nicht einfach die Fortsetzung des deutschen IPR ist, für das die klassischen Sichtweisen entwickelt worden sind, sondern dass sich mit dem Wechsel des Gesetzgebers auch die Sichtweise auf das Kollisionsrecht ändern kann. Betrachtet man vor diesem erweiterten internationalen Hintergrund Artikel 10 Rom III-VO, erscheint die abstrakte Rechtskontrolle nicht mehr so eindeutig als Systembruch. Zudem ist auf den Ursprung der Norm im spanischen Recht hinzuweisen. Bei Artikel 107 Abs. 2 S. 2 lit. c) des spanischen Código civil steht fest, dass die Norm sich explizit gegen fremde Rechte wendet und von ihnen einen bestimmten Mindestinhalt erwartet, egal, ob die angegriffenen Normen tatsächlich einen negativen Effekt im konkreten Verfahren haben oder nicht. Im spanischen Recht gilt daher der Grundsatz der Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen im selben Maße wie im deutschen Recht. Wird diese Norm dann in einen Rechtsakt der EU aufgenommen, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die deutschen Prinzipien weiter gelten. Man muss die Gründe hinter Artikel 10 Rom III-VO nicht gutheißen, aber es lässt sich zumindest ein eindeutiger Wille des Verordnungsgebers identifizieren, der nicht durch richterliche Selbstermächtigung umgangen werden kann. Dadurch wird eine neue Qualität des Europäischen IPR deutlich. Dieses ist nicht mehr nur eine neutrale Wertordnung, die das anwendbare Recht nach Kriterien der engsten Verbindung und von der qualitativen Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen ausgeht.344 Dies ist für die Bewertung der Norm zu einem späteren Zeitpunkt relevant. Ein Urteil des EuGH zur Auslegung von Artikel 10 Rom III-VO liegt noch nicht vor. Die Vorlage des OLG München345 zu der Frage, ob im Fall einer 341
Winkler von Mohrenfels, FS Martiny, S. 595, 599. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 950 ff. 343 Sahner, Europeanization and doctrines of International Private Law, S. 159 ff. 344 Nur Weller, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, S. 133, 155 ff. 345 OLG München, IPRax 2016, 158. 342
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Privatscheidung Artikel 10 Rom III-VO anzuwenden sei, hat das Gericht zunächst als offensichtlich unzulässig zurückgewiesen.346 Dabei unterlag der Gerichtshof wohl einem Missverständnis.347 Er ließ sich von dem Begriff „Anerkennung einer Privatscheidung“ verwirren und urteilte nur knapp, dass Anerkennungsfragen in der Brüssel IIa-VO geregelt werden, nicht in der Rom IIIVO. Das OLG München hat den Fall darauf erneut vorgelegt und seine Fragen leicht präzisiert.348 Der EuGH hat seinen Fehler allerdings nicht zugegeben, sondern erklärt, die Rom III-VO sei für Privatscheidungen nicht einschlägig.349 Darauf deuteten bereits die Schlussanträge des Generalanwalts hin. Dieser hat erklärt, die Rom III-VO gelte nicht bei Privatscheidungen.350 Vorsorglich hat er aber ausgeführt, dass seiner Meinung nach Artikel 10 Rom III-VO nicht teleologisch reduziert werden könne. Dagegen sprächen vor allem der Wortlaut von Artikel 10 und seine systematische Stellung. Die Vorschrift dürfe nicht bloß als Sonderfall des ordre public begriffen werden, weil sie sonst überflüssig wäre.351 Vor allem spreche Sinn und Zweck gegen eine teleologische Reduktion.352 Die Gleichbehandlung der Geschlechter sei so wichtig, dass sie nicht eingeschränkt werden könne. Dies bestätigt die hier vertretene Ansicht zusätzlich.
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EuGH Rs. C-281/15, Sahyouni, FamRZ 2016, 1137. Helms, FamRZ 2016, 1134; Gössl, StAZ 2016, 232, 235; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2017, 1, 37; Heiderhoff, IPRax 2017, 160, 163; a.A. Weller/Pika, IPRax 2017, 65, 68. 348 OLG München, IPRax 2017, 92 ff. 349 EuGH, Rs. C-372/16, Sahyouni II, IPRax 2018, 261; vgl. dazu Borrás, LA Kohler, S. 23, 29; bereits prognostiziert von Heiderhoff, IPRax 2017, 160, 163. 350 Schlussantrag vom 14.9.2017 des Generalanwalts, Rs. C-372/16, Sahyouni, NZFam 2017, 997; in der Literatur ging man bislang überwiegend davon aus, dass die Rom III-VO, hier auch Anwendung findet, vgl. BT-Drucks. 17/11049, S. 8; Palandt/Thorn, Artikel 1 Rom III-VO, Rn. 3; BeckOGK-BGB/Gössl, Artikel 1 Rom III-VO, Rn. 39 ff.; BeckOKBGB/Heiderhoff, Artikel 1 Rom III-VO, Rn. 13; Rauscher/Helms, Artikel 1 Rom III-VO, Rn. 21; Corneloup/Courneloup, Article 1 Rome III, Rn. 9; Althammer/Althammer, Vorbemerkung Rom III-VO, Rn. 12; ders., NZFam 2015, 9, 11; Sonnenberger, IPRax 2011, 325, 328; Helms, FamRZ 2011, 1765, 1766 f.; ders., FS Coester-Waltjen, S. 431, 437 f.; Hammje, RCDIP 2011, 291, 299; Traar, ÖJZ 2011, 807; Gärtner, StAZ 2012, 357, 358 f.; Makowsky, GPR 2012, 266, 268; Mörsdorf-Schulte, RabelsZ 77 (2013), 786, 804; Hau, FamRZ 2013, 249, 250; Spickhoff, Internationales Scheidungsrecht und Rechtswahl, S. 93, 98; a.A. NKBGB/Gruber, Artikel 1, Rn. 65 ff.; ders., IPRax 2012, 381, 383; Andrae, Internationales Familienrecht, § 4, Rn. 178, die die Verordnung allerdings analog anwenden wollen; gegen eine Eröffnung des Anwendungsbereichs auch Schurig, FS von Hoffmann, S. 405, 411 f. 351 Schlussantrag vom 14.9.2017 des Generalanwalts, Rs. C-372/16, Sahyouni, NZFam 2017, 997, 1005 ff. 352 Schlussantrag vom 14.9.2017 des Generalanwalts, Rs. C-372/16, Sahyouni, NZFam 2017, 997, 1006, Rn. 84 ff. 347
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3. Kap.: Schwächerenschutz nach Vertragsschluss
Wenn die Rom III-VO bei Privatscheidungen allerdings keine Anwendung findet, sind deutsche Gerichte immerhin frei, eine teleologische Reduktion vorzunehmen und Artikel 10 Rom III-VO ins System des deutschen Kollisionsrechts zu integrieren.353 Dies ist praktisch durchaus akzeptabel. 4. Kritik Es ist leicht, Artikel 10 Rom III-VO zu kritisieren und abzulehnen. Dies ist oft genug geschehen. Daher soll hier versucht werden, die Norm in die Dogmatik des Europäischen IPR einzuordnen. Das neue IPR unterzieht das anwendbare Recht einer Kontrolle, ob es bestimmten Mindestanforderungen entspricht. Darin zeigt sich die Reflexivität des Rechts. Es ist sich der Auswirkungen seiner Operationen auf seine Umwelt bewusst und versucht, diese dadurch abzufedern, dass es nicht nur das anwendbare Recht bestimmt, sondern auch auf dessen Inhalt Einfluss nimmt, um den Klagen gegen die „Blindheit“ des IPR und den „Sprung ins Dunkle“ zuvorzukommen. Dies ist ein weiteres Anzeichen von der Materialisierung des IPR, dem Bewusstsein von der Umwelt und den Versuchen, systemintern die Lücke zur Umwelt zu schließen. Es fragt sich nur, ob dieser Versuch gelungen ist. Die Abkehr von der Neutralität des Kollisionsrechts wird begründet mit der Bindung an die Menschenund Grundrechte, die für alle Mitgliedstaaten verbindlich sind. Das ist ein vernünftiges Ziel. Die Toleranz vor anderen Rechtskulturen muss da enden, wo elementare Werte der eigenen Kultur bedroht werden. Diese sind in einem demokratischen Rechtsstaat die Grundrechte. Wenn das Gleichberechtigungskonzept, das den europäischen Rechtsordnungen zu Grunde liegt, in bestimmten Bereichen für bestimmte Personen durch ein Konzept ersetzt wird, das dem europäischen diametral entgegengesetzt wird, wird der Universalitätsanspruch der Menschenrechte aufgegeben. Die Idee der Menschenrechte lebt aber davon, dass diese keine Privilegien bestimmter Bevölkerungsgruppen sind, sondern jedem Menschen qua seiner eigenen Würde zukommen. Menschenrechte haben daher immer einen universellen und absoluten Geltungsanspruch.354 Die Analyse hat jedoch gezeigt, dass die Vorschrift über ihr selbstgesetztes Ziel hinausgeschossen ist. Ihr geht es vornehmlich darum, die am Scheidungsverfahren beteiligten Ehefrauen zu schützen, verliert dieses Ziel aber aus den Augen, weil sie nur auf abstrakte Diskriminierungen achtet, unabhängig von der konkreten Betroffenheit der Frau. Damit stärkt Artikel 10 Var. 2 Rom IIIVO aber nicht Gleichberechtigung und Selbstbestimmung, sondern geht über die Interessen derjenigen hinweg, deren Schutz er sich angenommen hat. Für den Schutz der Parteien wäre die allgemeine Vorbehaltsklausel von Artikel 12 353 Heiderhoff, IPRax 2017, 160, 163; Majer, NZFam 2017, 1010, 1011; Antomo, NJW 2018, 1835 ff.; anders aber OLG München FamRZ 2018, 817, das Art. 17 EGBGB a.F. anwendet, mit zurecht kritischen Anmerkungen von Mankowski, FamRZ 2018, 821 f. 354 Kischel, Rechtsvergleichung, § 1, Rn. 84.
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Rom III-VO völlig ausreichend gewesen. Im schlimmsten Fall übergeht Artikel 10 Var. 2 Rom III-VO dabei nicht nur die Interessen derjenigen, die zu schützen wären, sondern verletzt sie sogar. Dies sind zum Beispiel die Situationen, in denen die Parteien auf die Wirksamkeit einer im Ausland vorgenommenen Privatscheidung vertraut haben. Hier besteht ein dringendes Bedürfnis für eine teleologische Reduktion der Norm, die allerdings methodisch meistens versperrt ist. Der Generalanwalt und die Kommission haben sich im Fall Sahyouni zwar darauf berufen, eine abstrakte Prüfung in Artikel 10 Rom III-VO sei zum Schutze der schwächeren Partei wichtig, da ansonsten die Gefahr bestünde, dass der stärkere Ehemann die Frau unter Druck zur Zustimmung setzen könne. Eventuell wisse sie die schwächere Partei auch nicht, dass das nach Artikel 10 Rom III-VO anwendbare Recht für sie günstiger sei.355 Dieses Argument überzeugt nicht. Es geht nicht um die Fälle, in denen eine bloß formelle Zustimmung vorliegt. Diese Fälle würden auch nicht ausreichen, um vom Eingreifen des ordre public abzusehen. Es kommen nur solche Fälle für eine teleologische Reduktion in Frage, wo kein Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Scheidungswillens besteht. Dann stellt sich auch die Frage der Günstigkeit nicht. Günstig ist dann die Anwendung des Rechts, das zu einer Wirksamkeit der Privatscheidung führt. Erklärt man etwa einer Frau, die sich seit Jahren von ihrem Mann geschieden glaubt, die die Scheidung wollte, eventuell in einer neuen Beziehung lebt, womöglich sogar schon wiederverheiratet ist, dass ihre Scheidung unwirksam sei, kann kein Zweifel daran bestehen, dass dadurch ihre Interessen stark beeinträchtigt werden. Sie wollte eigentlich eine von Anfang an wirksame Scheidung, keine neue Scheidung ex tunc nach einem neuen Recht. Der Generalanwalt mag Recht haben, wenn er mit der französischen Regierung darauf hinweist, dass es einen Unterschied mache, ob man der Scheidung zustimmt oder lediglich der Akzeptanz bestimmter Scheidungsfolgen.356 Diese Unterschiede kann man jedoch nur angemessen würdigen, wenn man die Scheidung konkret würdigt und nicht bloß abstrakt. Wegen dieses zu weit geratenen Anwendungsbereichs drängt sich jedoch ein anderer Eindruck auf: Womöglich ist Ziel der Norm gar nicht Schutz der im Einzelfall diskriminierten Ehefrau, sondern es geht um einen formellen Vergleich der Rechtsordnungen und die Abwehr fremder Konzepte. Dann steht die Norm symbolisch für einen Kampf der Werteordnungen, der politischer Natur und im IPR deplaziert ist. Es ist ein Streit um das Konzept der Gleichberechtigung. Erreicht werden sollen damit einmal diejenigen Mitgliedstaaten, die vor einer Relativierung des Gleichberechtigungssatzes Angst haben. Gleichzeitig wird ein ablehnendes Signal an diejenigen Rechtsordnungen gesendet, die ein anderes Konzept verfolgen. 355 356
Schlussanträge des Generalanwalts, Rs. C-372/16, NZFam 2017, 997, 1009, Rn. 102. Schlussanträge des Generalanwalts, Rs. C-372/16, NZFam 2017, 997, 1008, Rn. 95.
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3. Kap.: Schwächerenschutz nach Vertragsschluss
Hierin kann freilich auch eine Form der Materialisierung gesehen werden. Das europäische Rechtssystem wird sich der Lücke zu seiner Umwelt, den anderen Rechtssystemen bewusst. Es reagiert aber auf diese Lücke nicht versöhnlich, indem es versucht, die Brüche so gering wie möglich zu halten, sondern sucht den Konflikt. Störende Elemente werden ausgeschlossen. Gleichsam wird der Umwelt vorgegeben, wie sie sich anzupassen habe, um in den Kommunikationskreislauf des europäischen Rechts als Recht aufgenommen zu werden. Es muss bezweifelt werden, dass dieser Weg viel Erfolg verspricht. Anstatt im Dialog offen auf Veränderungen zu reagieren und so auch die Entwicklungen und Verbesserungen in den Ländern zu fördern, die den als richtig empfundenen Standard des Gleichberechtigungsgrundsatz noch nicht erreicht haben, wird die Kommunikation abgebrochen. Das Teilsystem des Europäischen Rechts versucht, die anderen Teilsysteme mitzulenken. Zur Frage, ob Artikel 10 Rom III-VO eine sinnvolle Ergänzung des Schwächerenschutzes für die Rechtswahl darstellt, kann man sich kurzfassen. Sie ist zu verneinen. Die kritikwürdigen Wirkungen, die die Norm schon im allgemeinen Kollisionsrecht hervorruft, treten genauso bei der Rechtswahl auf. Ihre erste Variante ist überflüssig, da sie nur bereits geltende Standards des Europäischen ordre public wiederholt. Die zweite Variante schafft mehr Probleme, als sie beseitigt. Sie geht über die Interessen der Parteien hinweg und ist eigentlich nur ein Vorwand für das Austragen rechtspolitischer Konflikte, die ihren berechtigten Kern haben mögen, im IPR aber nichts zu suchen haben. Letztlich weist die Norm auch das gleiche Defizit auf wie der ordre public. Am eigentlichen Problem des Schutzes schwächerer Parteien im Familienrecht geht sie vorbei. Sie beseitigt für eine Partei unerträgliche Folgen im Sachrecht. Ob die Parteien eine freie Rechtswahl getroffen haben, die in der Lage ist, das bezeichnete Recht zur Anwendung zu berufen, stellt sich hier schlicht nicht. Ordre public und Artikel 10 Rom III-VO können das kollisionsrechtliche Problem des Rechtswahlvertragsschlusses nicht angreifen, weil sie nur die materiellrechtlichen Folgen beseitigen können. Ihr Blick ist damit zu eng, um das Problem in seiner ganzen Breite zu verstehen. Möchte man somit ein adäquates System des Schwächerenschutzes entwickeln, ist auf der Betrachtungsebene nach Vertragsschluss auf diese Instrumente nur im Notfall als ultima ratio zurückzugreifen. Sie ändern schließlich nichts daran, dass als Hauptstatut ein Recht berufen wird, dem die Legitimation fehlt, weil es nicht vom freien Willen gewählt wurde. Vorrangige Aufgabe muss es sein, den Vertragsschluss und dessen Wirksamkeit selbst zu betrachten. Dies kann nur mit Hilfe einer Wirksamkeitskontrolle geschehen, die im letzten Abschnitt untersucht werden soll.
§ 8 Wirksamkeitskontrolle der Rechtswahl
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§ 8 Wirksamkeitskontrolle der Rechtswahl im Europäischen Internationalen Familienrecht § 8 Wirksamkeitskontrolle der Rechtswahl
Im Bürgerlichen Recht hat die Materialisierung eigentlich erst ihr gesamtes Potential entfaltet, als das Bundesverfassungsgericht und der Bundesgerichtshof dazu übergingen, Generalklauseln und Grundrechte zu aktivieren, um im Einzelfall krass einseitig belastende Verträge für unwirksam zu erklären.357 Diese Verträge waren unter dem Aspekt materieller Vertragsfreiheit, also der tatsächlichen Möglichkeit, den eigenen Willen wahrzunehmen, durchgefallen. Die Verhandlungsmacht der Kontrahierenden war so ungleich groß, dass die schwächere Partei keine Gelegenheit hatte, auf die Vertragsbedingungen Einfluss zu nehmen, sich aber auch nicht dem Vertragsschluss verweigern konnte. Indem die Rechtsprechung eine Wirksamkeitskontrolle als Notmittel für all diejenigen Fälle durchsetzte, in denen Mechanismen zum Ausgleich der Imparitäten zwischen den Parteien versagt hatten, schwächte sie nicht die Privatautonomie, sondern machte im Gegenteil tatsächliche Freiheit zur Bedingung für die Wahrnehmung rechtlicher Freiheit. Dadurch wies sie die Wahl zwischen rechtlicher Freiheit und materieller Gerechtigkeit, vor der sie der Liberalismus gestellt hatte, als falsch gestellte Frage zurück und dachte beide Momente zusammen. Die Freiheit der Parteien steht nun auch im Mittelpunkt des Europäischen Internationalen Familienrechts. Will das IPR nicht hinter dem Niveau des Sachrechts zurückbleiben, muss auch der Parteiautonomie ein materielles Konzept zu Grunde gelegt werden. Dann stellt sich jedoch die Frage, ob es auch eine Wirksamkeitskontrolle der Rechtswahl geben muss. Vieles spricht auf den ersten Blick dafür. Da die Legitimität und Akzeptanz der Parteiautonomie vor allem daran zu messen sein muss, ob auch die Schwächeren sie gewinnbringend nutzen können, bietet sich die Einführung eines Instruments, das als letzter Mosaikstein eines umfassenden Schwächerenschutzes verstanden wird, an. Aus der Tatsache, dass ein kohärentes System zum Schutz der schwächeren Rechtswahlpartei notwendig ist, folgt aber noch keineswegs, dass auch eine Wirksamkeitskontrolle von Rechtswahlverträgen notwendig ist. Eine breit angelegte nachträgliche Kontrolle bereits geschlossener Vereinbarungen läuft nämlich auch Gefahr, das Prinzip der Rechtswahlfreiheit auszuhöhlen. Daher besteht der angemessene Weg zunächst darin, die Defizite und Ungleichheiten beim Abschluss der Rechtswahlvereinbarung selbst zu beheben, der schwachen Partei unterstützend zur Seite zu treten und ihr mit generalisierten Hürden für den Abschluss der Rechtswahl zu helfen. Die bisher betrachteten Wege, um auf diese Defizite einzugehen, waren einmal die Einschränkung der Rechtswahl, zunächst für ganze Bereiche und ganze 357
Vergleiche oben § 2 B. II. 2. b).
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3. Kap.: Schwächerenschutz nach Vertragsschluss
Personengruppen, wo dies als ultima ratio notwendig war, dann die Beschränkung auf wenige Rechtsordnungen, zu denen die Parteien bereits eine enge Verbindung hatten.358 Diese Begrenzungen erleichtern den Parteien die Orientierung, sorgen dafür, dass das Prinzip der engsten Verbindung auch im Europäischen IPR gewahrt bleibt und sortieren die möglichen Anknüpfungsmomente nach den Parteiinteressen. Dabei beschränkt man sich auf solche Rechtsordnungen, die die Parteien in der Regel auch selbst wählen würden, und verhindert, dass sie ihren Blick doch einmal auf Rechtsordnungen richten, zu denen sie keine Beziehung haben und deren Inhalte sie demgemäß besonders wenig überblicken können. Anschließend wurden als Schutzinstrumente die formellen und materiellen Vorgaben zur Wirksamkeit der Rechtswahl betrachtet. Hier ist offensichtlich, dass mit den formellen Bedingungen auch Schutzintentionen verbunden sind, da Formerfordernisse in der Regel eine Warn- und Informationsfunktion erfüllen.359 Aber auch durch materielle Regelungen zum Vertragsschluss kann Schutz verwirklicht werden, indem besonders riskante Arten des Vertragsschlusses, vor allem die konkludente Rechtswahl, ausgeschlossen werden.360 Zuletzt wurden der ordre public und die eng mit ihm verwandte Norm Artikel 10 Rom III-VO untersucht, die sich ganz darauf konzentrieren, dass das sachrechtliche Ergebnis der Rechtsanwendung nicht in einem derartigen Widerspruch zu den Wertungen der lex fori stehen, dass die Abwehr des fremden Rechts geboten erscheint.361 Auch diese Normen sind selbstverständlich ein wichtiger Teil des Schutzes der schwächeren Partei, der sich allerdings nur auf die Defizite ausländischen Rechts und die sachrechtlichen Interessen einer Partei bezieht und der zudem das eigentliche Problem der Parteiautonomie, die Vertragsimparität, gar nicht angreift. Eine Wirksamkeitskontrolle von Rechtswahlvereinbarungen ist nur sinnvoll, soweit dieses bereits gespannte Netz Schutzlücken offenbart. Sollte dies der Fall sein, kann auf diese Defizite nur durch eine nachträgliche Kontrolle reagiert werden. Da das bis zu diesem Punkt realisierte Schutzkonzept nicht offensichtlich ungeeignet ist, sondern nur bei Randfragen und Einzelproblemen Schwächen aufweist, kann und muss diese Wirksamkeitskontrolle auf Ausnahmefälle beschränkt werden. Unklar ist allerdings noch, welche Situationen die Wirksamkeitskontrolle auslösen sollen. Hierbei und insgesamt bei den einzelnen Prüfungsschritten gilt es, ein Konzept zu entwickeln, dass eine einheitliche Anwendung gewährleistet und nicht nur aus nationaler, sondern europäischer Perspektive überzeugt. Dass die Lehre von der Richtigkeitschance des Vertragsschlusses nicht nur im Bürgerlichen Recht, sondern auch 358
Siehe oben § 3 und 4. Siehe oben § 5 A. 360 Siehe oben § 6. 361 Siehe oben § 7. 359
§ 8 Wirksamkeitskontrolle der Rechtswahl
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in Bezug auf die Parteiautonomie, auf nationaler und europäischer Ebene, ein überzeugendes Konzept bietet, sollte klar sein. Wo ein nachträglicher Schutz schwächerer Parteien nötig ist, ist eine Wirksamkeitskontrolle der Anwendung des ordre public und ähnlicher Normen vorzuziehen. Diese beseitigen nur bestimmte sachrechtliche Folgen der Rechtswahl, sind aber blind gegenüber kollisionsrechtlich nicht zufriedenstellenden Ergebnissen und können vor allem die speziellen Defizite der Parteiautonomie bei Vertragsschluss nicht angemessen auffangen. Dies ist aber gerade die Aufgabe der Wirksamkeitskontrolle. Die Wirksamkeitskontrolle hat daher immer Anwendungsvorrang vor einer Heranziehung der allgemeinen und speziellen Vorbehaltsklauseln. Dies vorangestellt soll das Thema Wirksamkeitskontrolle nun in den neuen Rechtsakten zum Europäischen Internationalen Familienrecht einschließlich des Haager Unterhaltsprotokolls untersucht werden, ihre Notwendigkeit, ihre Zulässigkeit, ihr Umfang, ihre Voraussetzungen und Grenzen. Wichtig ist es, dabei das Spannungsfeld zwischen materieller Vertragsfreiheit und Rechtssicherheit durch den formalisierten Vertragsschluss nicht aus den Augen zu verlieren oder einseitig aufzulösen. Dabei wird mit der Wirksamkeitskontrolle nach Artikel 8 Abs. 5 HUP begonnen, da hier im Gegensatz zu den anderen Rechtsakten eine autonome Kontrolle ausdrücklich kodifiziert ist. A. Rechtswahlkontrolle nach Artikel 8 Abs. 5 HUP Artikel 8 Abs. 5 HUP bestimmt: „Das von den Parteien bestimmte Recht ist nicht anzuwenden, wenn seine Anwendung für eine der Parteien offensichtlich unbillige oder unangemessene Folgen hätte, es sei denn, dass die Parteien im Zeitpunkt der Rechtswahl umfassend unterrichtet und sich der Folgen ihrer Wahl vollständig bewusst waren.“
Nicht so sehr nach ihrem Wortlaut, aber nach ihrer systematischen Stellung bezieht sich die Vorschrift auf die Parteirechtswahl nach Artikel 8 Abs. 1 HUP, nicht aber auf die Wahl der lex fori anlässlich eines einzelnen Verfahrens nach Artikel 7 Abs. 1 HUP.362 I. Unbilligkeit und Unangemessenheit der Rechtswahl Die erste Frage der Wirksamkeitskontrolle lautet, ob die Anwendung des gewählten Rechts offensichtlich unbillige oder unangemessene Folgen für eine der Parteien hat. Hier fällt zunächst auf, dass Gegenstand der Kontrolle lediglich die Anwendung des berufenen Rechts ist. Es kommt also, wie beim ordre public, auf das 362
Bartl, Die neuen Rechtsinstrumente zum IPR des Unterhalts, S. 107; Prinz, Das neue Internationale Unterhaltsrecht, S. 215; Andrae, FPR 2008, 196, 199.
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sachrechtliche Ergebnis an.363 Das macht die Norm jedoch nicht zu einer speziellen Vorbehaltsklausel.364 Es bestehen in fast allen Details der Norm Unterschiede zum allgemeinen ordre public. Vergleichbar ist zwar, dass es auf kollisionsrechtliche Aspekte nicht ankommt. Die Rechtswahl wird also nicht am Prinzip der engsten Verbindung gemessen, also daran, ob die berufene Rechtsordnung den kollisionsrechtlichen Interessen der Parteien entspricht. Die Folgen der Rechtsanwendung für die Parteien müssen also in Betracht gezogen werden. Im Übrigen unterscheiden sich beide Instrumente aber in den Details ihrer Anwendung und in ihren grundsätzlichen Zielen. Dies wird im Folgenden zu zeigen sein. 1. Autonomer oder nationaler Bewertungsmaßstab? Um die Folgen der Rechtswahl bewerten zu können, bedarf es eines Bewertungsmaßstabs. Beim ordre public ist dies die öffentliche Ordnung des Forums. Was bei Artikel 8 Abs. 5 HUP Bewertungsmaßstab ist, ist unklar. Ist die Unangemessenheit objektiv zu bestimmen oder subjektiv durch die Parteien und ihre Interessen? Wie werden die sachrechtlichen Interessen der Parteien bestimmt? a) Unterschiedliche Ansätze in der Literatur Abzulehnen ist der Versuch, allein auf die Wertungen der lex fori abzustellen und etwa nationale Rechtsprechung zu Begriffen wie „unangemessen“ und „unbillig“ zu übernehmen.365 Damit würde das Ziel einer einheitlichen Anwendung des Protokolls und der autonomen Auslegung seiner Begriffe ignoriert (vgl. Artikel 20 HUP). Zudem bricht eine Auslegung nach der lex fori der Wirksamkeitskontrolle ihre Spitze ab: die Besonderheit, die sie auch vom ordre public unterscheidet, ist, dass sie sich potentiell gegen jede Rechtswahl richten kann, also auch gegen die Wahl der lex fori.366 Zieht man als Maßstab aber genau diese heran, kann Artikel 8 Abs. 5 HUP nur noch bei der Berufung ausländischen Rechts greifen. Die Wirksamkeitskontrolle ist dann nichts mehr als eine wirklich überflüssige spezielle Ausprägung des ordre public, da über
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Palandt/Thorn, HUP, Rn. 33. So aber Palandt/Thorn, HUP, Rn. 33; richtig zum Beispiel Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 150, NK-BGB/Bach, Artikel 8 HUP, Rn. 39; Staudinger/Mankowski, Artikel 8 HUP, Rn. 84. 365 So wohl Henrich, LA Pintens, S. 701, 709. 366 Staudinger/Mankowski, Artikel 8 HUP, Rn. 88; Rauscher/Andrae, Artikel 8 HUP, Rn. 27. 364
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Artikel 14 HUP bereits einheitlich festgelegt ist, dass die teilnehmenden Staaten für die Bestimmung ihrer öffentlichen Ordnung gerade auf die Interessen der Parteien zu achten haben.367 Nach einer anderen Ansicht soll Maßstab das nach objektiver Anknüpfung anzuwendende Recht sein.368 Dieses muss zunächst gemäß den Artikeln 3 bis 6 HUP bestimmt werden. Stellt sich aus dessen Sicht die Heranziehung des gewählten Rechts als unbillig und unangemessen heraus, ist eine wirksame Rechtswahl abzulehnen. Man nimmt quasi eine gespiegelte ordre public-Kontrolle vor. Ist das ohne Rechtswahl anzuwendende Recht etwa deutsches Recht, so könnten die durch die Rechtsprechung zur Wirksamkeitskontrolle von Eheverträgen entwickelten Grundsätze herangezogen werden. Manche sprechen auch von einem Günstigkeitsvergleich.369 Schließlich schlägt eine dritte Ansicht einen autonomen Auslegungsmaßstab vor, der sich nicht aus dem objektiv anwendbaren Recht ergibt, sondern aus dem Unterhaltsprotokoll selbst.370 Dieses soll selbst festlegen, was als unangemessen und unbillig anzusehen ist. Der Blick geht also nicht vom objektiv anwendbaren Recht, sondern vom Blickwinkel des Haager Unterhaltsprotokolls aus. b) Stellungnahme Der herrschenden Ansicht ist zuzugestehen, dass die Bewertung ohne eine Betrachtung des objektiv anwendbaren Rechts nicht vorgenommen werden kann. Folge der Rechtswahl ist es eben auch, dass das ansonsten anwendbare Recht nicht zur Anwendung kommt. Nur wenn das objektiv bestimmte Recht günstiger für die Partei ist als das subjektiv bestimmte, kann eine Unwirksamkeitserklärung der Rechtswahl überhaupt greifen. Der herrschenden Ansicht kommt es genau darauf an, dass dieser Vergleich vorgenommen wird, damit
367 Eschenbruch/Schürmann/Menne/Dörner, Der Unterhaltsprozess, Kapitel 6, Rn. 338; Erman/Hohloch, Artikel 14 HUP, Rn. 1; Palandt/Thorn, HUP, Rn. 48: „verordnungsimmanenter ordre public“; a.A.: Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 179; Rauscher/Andrae, Artikel 14 HUP, Rn. 3. 368 H. M.: NK-BGB/Bach, Artikel 8 HUP, Rn. 39; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, C, Rn. 690; PWW/Martiny, Artikel 18 EGBGB Anhang II, Rn. 18; Staudinger/Mankowski, Artikel 8 HUP, Rn. 85; Andrae, Internationales Familienrecht, § 8, Rn. 161; dies., GPR 2010, 196, 201; Borrás, R.E.D.I 2007, 434, 437; Dethloff, FS Martiny, S. 41, 48 f; Hausmann, FS Martiny, S. 345, 361; Dimmler/Bißmaier, FPR 2013, 11, 15. 369 Staudinger/Mankowski, Artikel 8 HUP, Rn. 85; Rauscher/Andrae, Artikel 8 HUP, Rn. 25. 370 Prinz, Das neue Internationale Unterhaltsrecht, S. 243 f.; Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 479 f.
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die Parteien durch eine ungünstige, aber korrigierte Rechtswahl nicht bessergestellt werden, als wenn sie von Anfang an gar keine vorgenommen hätten.371 Viel ist mit diesem Vergleich aber nicht erreicht. Er schließt lediglich für die Fälle, in denen beide Rechte zum gleichen Ergebnis kommen, aus, dass die Rechtswahl für ungültig erklärt wird. Da die Vorschrift die Folgen für beide Parteien nach ihrem eindeutigen Wortlaut in Augenschein nimmt,372 ist bei jedem abweichenden Ergebnis also eine Partei in ihren Interessen berührt, so dass es zu einer Kontrolle nach Artikel 8 Abs. 5 HUP kommen kann. Trotzdem sind die Bewertungsmaßstäbe autonom festzulegen.373 Der entscheidende Unterschied zur herrschenden Meinung besteht darin, dass nicht das objektiv bestimmte Recht beurteilen sollte, was als unangemessen und unbillig anzusehen ist. Artikel 8 Abs. 5 HUP installiert keinen gespiegelten ordre public aus der Sicht eines fremden Rechts. Die Entscheidung sollte nach autonomen Kriterien getroffen werden. Die Wertung nach dem objektiv bestimmten Recht führt zu mehreren Problemen. Zunächst sei gesagt, dass ein einfacher Vergleich mit dem objektiv bestimmten Recht die Gefahr in sich trägt, zu einem Günstigkeitsvergleich zu werden. Ein solcher wird aber gerade bei Artikel 8 Abs. 5 HUP nicht vorgenommen.374 Prinz und Kroll-Ludwigs nennen dafür unterschiedliche Gründe: Zum einen führe eine solche Vorgehensweise zu praktischen Schwierigkeiten, da ein Gericht nach zwei Rechten den Fall zu lösen habe. Die Vereinfachung und Verkürzung des Prozesses, die die Rechtswahl eigentlich mit sich bringen sollte, würden dadurch aufgehoben, das Ergebnis wäre für die Parteien nicht mehr vorhersehbar.375 Zudem könne im Unterhaltsrecht nicht generell gesagt werden, dass der Unterhaltsgläubiger die schwächere Partei sei, so dass eine Abweichung des Ergebnisses noch keine Rückschlüsse auf Schutzbedürftigkeit einer Partei zulasse.376 Diese Argumente überzeugen. Im Verbraucherrecht kann ein Günstigkeitsvergleich vorgenommen werden, weil hier eine typischerweise unterlegene Vertragspartei identifiziert werden kann, aus deren Blickwinkel die Anwendung der divergierenden Rechtsordnungen bewertet werden kann.377 Das Unterhaltsprotokoll verbietet hingegen einen einseitigen Blick auf die Interessen
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Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, C, Rn. 690. Vgl. Erman/Hohloch, Artikel 8 HUP, Rn. 3; Rauscher/Andrae, Artikel 8 HUP, Rn. 25; Hausmann, FS Martiny, S. 345, 361. 373 Diese Differenzierung nimmt auch vor Rauscher/Andrae, Artikel 8 HUP, Rn. 24 f. 374 Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 479 f.; Prinz, Das neue Internationale Unterhaltsrecht, S. 243. 375 Prinz, Das neue Internationale Unterhaltsrecht, S. 243. 376 Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 480. 377 Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, S. 22. 372
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einer Partei.378 Denn während im Verbraucherrecht eine typischerweise unterlegene Partei festgestellt werden kann, ist dies im Unterhaltsrecht nicht möglich. Zwar gibt es eine Tendenz im Internationalen Unterhaltsrecht, dem Gläubiger die Geltendmachung seines Anspruchs zu erleichtern.379 Der Unterhaltsschuldner hat aber auch ein berechtigtes Interesse, nicht unangemessenen Unterhaltspflichten ausgesetzt zu werden. Er kann nicht auf dieselbe Stufe gestellt werden wie ein Unternehmer im Verbrauchervertrag. Wenn daher die Interessen beider Seiten berücksichtigt werden müssen, ist ein Günstigkeitsvergleich nicht mehr möglich. Die Interessen von Unterhaltsberechtigtem und Unterhaltsverpflichtetem stehen diametral gegenüber. Was günstiger für eine Seite ist, ist für die andere Seite schlechter. Aus mehreren Gründen muss betont werden, dass die Wirksamkeitskontrolle autonom vorzunehmen ist.380 Zum Einen besteht ein beinahe motivationspsychologisches Argument für den Fall, dass das gewählte Recht die lex fori ist. In diesem Fall muss das Gericht zu der Überzeugung gebracht werden, dass die Anwendung seines eigenen Rechts unangemessen und unbillig ist. Dies scheint einfacher zu sein, wenn es autonome Maßstäbe zur Orientierung hat, als wenn das Gericht sich bloß von einem fremden Recht sagen lassen müsste, dass das eigene Recht unbillig sei. Wird die Entscheidung autonom getroffen, ist sie für das Gericht verbindlich, es könnte sogar dem EuGH eine Vorlagefrage gestellt werden, in der er die Unangemessenheit des gewählten Rechts feststellen könnte.381 Zumindest könnte er Vorgaben machen, anhand derer die Gerichte die Prüfung vornehmen könnten. Entscheidend ist jedoch ein weiterer Aspekt: Wenn als Maßstab das objektiv anwendbare Recht herangezogen wird, kann es zu einem Teufelskreis kommen, wenn das gewählte Recht die lex fori ist. Im Hintergrund muss dabei daran gedacht werden, dass sich zwei Parteien mit entgegengesetzten Interessen gegenüberstehen. Wird nach der Ansicht des objektiv bestimmten Rechts das gewählte Recht als unangemessen und unbillig für eine Partei betrachtet, kann es passieren, dass das gewählte Recht, im Beispiel die lex fori, die Anwendung des objektiv bestimmten Rechts ebenfalls als unangemessen und unbillig für die andere Partei betrachtet. Gegen die Anwendung des objektiv zu bestimmenden Rechts könnte man dann den Einwand des ordre public erheben. Dann schließen sich beide Rechte gegenseitig aus. Es bedarf daher einer autonomen Instanz, die in diesem Fall entscheidet, ob die Anwendung des gewählten
378 Erman/Hohloch, Artikel 8 HUP, Rn. 3; Rauscher/Andrae, Artikel 8 HUP, Rn. 25; Hausmann, FS Martiny, S. 345, 361. 379 Diese enthielt schon Artikel 18 EGBGB mit der Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsgläubigers. 380 Vgl. Sahner, Europeanization and doctrines of Private International Law, S. 159, 214. 381 Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 480.
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Rechts unbillig und unangemessen ist, auch wenn diese Fälle selten sein mögen. Auf die Entscheidung der beiden anderen Rechte kommt es dann nicht mehr an. Die Bewertung der Folgen der Anwendung des gewählten Rechts richtet sich demnach nicht nach dem objektiv anwendbaren Recht. Erst recht wird kein Günstigkeitsvergleich vorgenommen. Stattdessen gilt es, einen autonomen Maßstab der Wirksamkeitskontrolle zu entwickeln. 2. Der autonome Bewertungsmaßstab Die Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe führt schnell zu Verunsicherungen. Es fehlen Maßstäbe, anhand derer sich die Auslegung orientieren kann. Dies gilt für die „unbilligen und unangemessenen Folgen“ genauso. Bevor sich nicht ein gefestigtes Fallrecht entwickelt hat – und das wird bei der praktischen Verbreitung der Rechtswahl noch sehr lange dauern –, bietet sich den Parteien der Rechtswahl keinerlei Rechtssicherheit, um das Ergebnis der Wirksamkeitskontrolle vorauszusehen. Es wäre daher hilfreich, wenn sich im Unterhaltsprotokoll selbst Regelungsziele finden ließen. Die Verordnungen sehen dafür Erwägungsgründe vor. Diese fehlen leider im HUP. Man kann daher nur in anderen Vorschriften nach Anhaltspunkten zulassen, die eine Bewertung der Folgen der Rechtswahl ermöglichen. Bei klassischem IPR wäre das eine unmögliche Aufgabe. Konzentriert sich Kollisionsrecht doch darauf, die internationalprivatrechtlichen Interessen der Parteien durch die Anknüpfung in Ausgleich zu bringen, um so die räumlich engste Verbindung zu erhalten. Das Problem bei Artikel 8 Abs. 5 HUP besteht jedoch darin, dass die materiellrechtlichen Folgen einer Rechtswahl bewertet werden müssen. Eine Bewertung des Sachrechts wird grundsätzlich im IPR nicht vorgenommen. Zwar orientiert sich die Wertung der Interessen und die Bestimmung des Anknüpfungsmoments an den Wertungen des Sachrechts, dessen Funktionen und Zielen,382 aber umgekehrt scheint es schwierig, aus dem Kollisionsrecht Rückschlüsse zu ziehen, wann das Ergebnis einer Rechtswahl unangemessen und unbillig ist. Dass es nicht völlig unmöglich ist, liegt daran, dass das neue Internationale Privatrecht ein engeres Verhältnis zum anwendbaren Sachrecht hat als das traditionelle Kollisionsrecht. Es geht hier um die „Materialisierung“ des IPR im engeren Sinne einer verstärkten Konzentration auf das sachrechtliche Ergebnis.383
382 Grundlegend Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 214 ff.; auch Mankowski, LA Schurig, S. 159, 167 f.; Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 558 ff. 383 Siehe oben S. 84 ff.; zuletzt Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 558 ff.; Weller, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, S. 133, 142.
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Besonders ausgeprägt ist diese Tendenz im HUP nicht. Es gibt keine allen Vertragsstaaten gemeinsame öffentliche Ordnung, die man hier bemühen könnte. Jedoch lässt sich wenigstens eine Vorschrift ausmachen, die die Anwendung eines Rechts an bestimmte sachrechtliche Kriterien knüpft: Artikel 14 HUP. Womöglich lassen sich diese Kriterien über den Anwendungsbereich der Vorschrift hinaus verallgemeinern, um so die Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe in Artikel 8 Abs. 5 HUP etwas zu erleichtern. Es handelt sich um den einzigen Ansatz im Protokoll selbst mit materiellrechtlichem Ansatzpunkt. a) Funktion und Bedeutung von Artikel 14 HUP Artikel 14 HUP war bereits im Vorläufertext des Protokolls, dem Haager Unterhaltsübereinkommen vom 2. Oktober 1973, in Artikel 11 Abs. 2 HUÜ enthalten. Das EGBGB hatte die Norm in Artikel 18 Abs. 7 EGBGB inkorporiert.384 Die Norm besagt: „Bei der Bemessung des Unterhalts sind die Bedürfnisse der berechtigten Person und die wirtschaftlichen Verhältnisse der verpflichteten Person sowie etwaige der berechtigten Person anstelle einer regelmäßigen Unterhaltszahlung geleistete Entschädigungen zu berücksichtigen, selbst wenn das anzuwendende Recht etwas anderes bestimmt.“ Im HUÜ stellte die Norm eine bemerkenswerte Neuerung dar,385 hatte aber einen nur recht eingeschränkten Anwendungsbereich. Sie gilt nur für die Bemessung des Unterhalts.386 Die Norm greift nicht bei der Frage, ob ein Unterhaltsanspruch besteht, sondern nur bei der Frage, wie hoch dieser ist.387 Ursprünglich intendiert war besonders, den Unterhaltsverpflichteten zu schützen und ihn vor unverhältnismäßig hohen Ansprüchen zu bewahren.388 Auf Grund ihrer systematischen Stellung als zweiter Absatz der allgemeinen Vorbehaltsklausel wurde die Norm als Konkretisierung des ordre public verstanden, die die öffentliche Ordnung inhaltlich bestimmt und begrenzt, wenn sie von der Fokussierung auf diese Parteiinteressen abweicht.389 Berücksichtigt das anwendbare Recht, auch unter Zuhilfenahme aller Generalklauseln etc., die wirtschaftlichen Interessen 384
Schulze, Bedürfnis und Leistungsfähigkeit, S. 23. Verwilghen, Erläuternder Bericht, Rn. 177; Schulze, Bedürfnis und Leistungsfähigkeit, S. 320 ff. 386 Schulze, Bedürfnis und Leistungsfähigkeit, S. 195. 387 Schulze, Bedürfnis und Leistungsfähigkeit, S. 198 f. 388 Verwilghen, Erläuternder Bericht, Rn. 177; Jayme, IPRax 1989, 330, 331. 389 Staudinger/Mankowski, Neubearbeitung 2003, Anhang I zu Artikel 18 EGBGB, Rn. 393; Eschenbruch/Schürmann/Menne/Dörner, Rn. 338; von Bar, IPR II, Rn. 281, Fn. 882; Jayme, IPRax 1989, 330, 331; anders OLG Düsseldorf, Urteil vom 26. Februar 2002, Az. 1 UF 231/01, FamRZ 2002, 1118, 1120, das die Norm nicht bloß als Konkretisierung des ordre public begreift, sondern als eigenständige Abwehrklausel; auch OLG Nürnberg, Urteil vom 19. März 2008, Az. 7 UF 1406/07, FamRZ 2008, 1755, 1756; kritisch dagegen Kegel/Schurig, IPR, S. 896. 385
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einer der beiden Parteien nicht ausreichend, so wurde es insoweit von der Norm verdrängt.390 An seine Stelle trat aber kein anderes Recht, sondern Artikel 11 Abs. 2 HUÜ wurde direkt herangezogen, um den Unterhaltsbetrag neu zu bemessen.391 Die Norm stellt somit eine Sachnorm im IPR dar.392 In der Literatur gab es Streit, ob die Norm somit kollisionsrechtlicher oder materiellrechtlicher Natur sei. Richtig ist beides: Es handelt sich bei der Norm um eine Art loi d’application immédiate.393 Das sind Sachnormen im IPR, die in sich zusätzlich eine eigene, einseitige Kollisionsnorm tragen, die ihren internationalen Anwendungsbereich bestimmt.394 Die Besonderheit von Artikel 11 Abs. 2 HUÜ ist nun, dass die Vorschrift keinen unbedingten Anwendungswillen in sich trägt, sondern ihre Anwendung davon abhängig macht, dass das berufene Recht zu unerwünschten Ergebnissen kommt. Sie betont damit ihre besondere Nähe zum weiten Feld des ordre public.395 Artikel 14 HUP unterscheidet sich von der Vorschrift im Übereinkommen nun insofern, als er nicht mehr als zweiter Absatz unter der allgemeinen Vorbehaltsklausel in Artikel 13 HUP steht, sondern als eigenständige Norm zwar eine Nähe zum ordre public wahrt, aber doch eine Distanz erlangt.396 Inhaltlich wird die Norm ergänzt um die Erwähnung der anstelle einer Unterhaltszahlung geleisteten Entschädigung, die im HUÜ nicht erwähnt war.397 Die Norm wirkt korrigierend auf ein fremdes Recht, indem sie dessen Anwendung blockiert. Ihre Begriffe sind daher zwingend autonom auszulegen.398 In diesem Sinne bestimmt sie die öffentliche Ordnung der lex fori inhaltlich mit, und modifiziert sie sogar einschränkend, wenn sie selbst Elemente enthält, die dem Telos der Norm zuwiderlaufen. Wird hingegen die lex fori berufen und ist der ordre public aus diesem Grund nicht anwendbar, setzt die Norm sich 390 Staudinger/Mankowski, Neubearbeitung 2003, Anhang I zu Artikel 18 EGBGB, Rn. 385. 391 Verwilghen, Erläuternder Bericht, Rn. 180; ausführlich zum Anwendungsbereich Schulze, Bedürfnis und Leistungsfähigkeit, S. 189 ff. 392 Verwilghen, Erläuternder Bericht, Rn. 177; Palsson, Receuil des Cours 199 (1986IV), 313, 373; von Overbeck, Receuil des Cours 233 (1992-II), 9, 69; Göppinger/Wax/Linke, Rn. 3090. 393 Kropholler, IPR, S. 385; von Bar, IPR II, Rn. 281, Fn. 882; Staudinger/Mankowski, Neubearbeitung 2003, Anhang I zu Artikel 18 EGBGB, Rn. 395; Martiny, Receuil des Cours 247 (1994-III), 131, 208. 394 Kropholler, IPR, S. 109; Kegel/Schurig, IPR, S. 308 f; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 317 ff. 395 Staudinger/Mankowski, Neubearbeitung 2003, Anhang I zu Artikel 18 EGBGB, Rn. 395. 396 Rauscher/Andrae, Artikel 14 HUP, Rn. 1. 397 Rauscher/Andrae, Artikel 14 HUP, Rn. 1. 398 Rauscher/Andrae, Artikel 14 HUP, Rn. 659; Staudinger/Mankowski, Artikel 14 HUP, Rn. 6; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, C, Rn. 759; Schulze, Bedürfnis und Leistungsfähigkeit, S. 189.
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gegenüber nationalen sachrechtlichen Regelungen durch, die zu einer unangemessenen Unterhaltsbemessung führen.399 Festzuhalten sind somit zwei Dinge. Zum einen hat die Norm ohne Zweifel einen sachrechtlichen Charakter und zum anderen will die Norm nicht unbedingt unmittelbar zur Anwendung gelangen. Sie hat zwar zwingenden Charakter, überlässt es aber zunächst dem berufenen Recht, eine die Interessen ausbalancierende Lösung zu finden. Nur wenn dieses Recht unzureichend ist, kommt ihre Regelung zur Geltung. Artikel 14 HUP ist somit geradezu ein Musterbeispiel für eine Regelung, also eine, die sich statt auf die genuin internationalprivatrechtlichen Interessen stärker auf das Ergebnis der Rechtsanwendung konzentriert. b) Unangemessenheit und Unbilligkeit des Ergebnisses Artikel 14 HUP gibt den Gerichten den Auftrag, bei der Unterhaltsbemessung die Bedürftigkeit der berechtigten Person sowie die wirtschaftlichen Verhältnisse der verpflichteten Person zu berücksichtigen. Vieles ist damit für die Rechtswahl allerdings nicht gewonnen. Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist sehr eng, er gilt nur für spezifische Detailfragen. Es kann hier also auch nicht um eine rechtstechnische Erweiterung des Anwendungsbereichs von Artikel 14 HUP durch extensive Auslegung oder Analogie gehen. Das gibt die Norm nicht her.400 Aber es lassen sich doch wenigstens Spuren von materiellrechtlichen Erwägungen in der Norm finden. Die Norm nennt die Bedürftigkeit des Unterhaltsgläubigers und die Leistungsfähigkeit des Schuldners und fordert dazu auf, einen angemessenen Ausgleich zwischen diesen beiden Polen zu finden. Nun handelt es sich dabei aber nicht bloß um Aspekte, die nur bei der Bemessung der Höhe des Unterhalts eine Rolle spielen. Die Norm beschreibt vielmehr allgemeine Grundziele des Unterhaltsrechts. In einem modernen Unterhaltsrecht geht es immer genau um die Frage, wie Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit zu vereinbaren sind. Diese beiden Gedanken lassen sich auch bei Artikel 8 Abs. 5 HUP heranziehen. Eine Rechtswahl hat demnach unangemessene Folgen, wenn sie grob gegen die Bedürfnisse des Unterhaltsgläubigers verstößt oder den Unterhaltsschuldner unverhältnismäßig belastet. Damit ist freilich nur eine ebenso unbestimmte Formel gewonnen wie sie Artikel 8 Abs. 5 HUP ohnehin schon bereithält. Aber mit dieser Näherung kann die Subsumtionsarbeit und genaue Auswertung des Einzelfalls begonnen werden. Die Erfahrungen aus dem materiellen Privatrecht zeigen, dass Gerichte auch mit vagen Definitionen arbeiten können. So hat die ebenfalls nicht son-
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Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 181; NK-BGB/Gruber, Artikel 14 HUP, Rn. 3; Staudinger/Mankowski, Artikel 14 HUP, Rn. 9 gegen BGH, Urteil vom 27. März 1991, Az. XII ZR 113/90, FamRZ 1991, 925, 927. 400
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derlich präzise Definition der Sittenwidrigkeit als Verstoß gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden401 immerhin zu einzelfallgerechten Entscheidungen geführt. Mehr kann bei einer Generalklausel auch nicht erwartet werden. Immerhin wird so ein betont autonomer Ansatz bestimmt, der zwar die Wertungen des objektiv anwendbaren Rechts berücksichtigen kann, aber eben nicht von diesem ausgeht. aa) Die Extremfälle (1) Verlust des Anspruchs durch die Rechtswahl Für den Unterhaltsgläubiger ist keine gravierendere Folge denkbar, als dass er nach dem gewählten Recht keinen Unterhaltsanspruch hat, ihm nach dem objektiv anwendbaren Recht jedoch ein Anspruch zustünde.402 Hierzu ist ein Vergleich der beiden Rechtsordnungen erforderlich. Dies entspricht, wie gezeigt, dem Vorgehen der herrschenden Meinung. Die hier vertretene Ansicht unterscheidet sich davon im praktischen Vorgehen gar nicht, nur in der theoretischen Begründung, indem sie diese Folge autonom bewertet. Steht der Person nach dem objektiv anwendbaren Recht auch kein Unterhaltsanspruch zu, ist sie durch die Rechtswahl nicht zusätzlich beschwert. Das spezifische Unrecht, das sich in der Rechtswahl zeigen muss, um einen Hinweis auf eine defizitäre Verhandlungssituation zu geben, fehlt dann. Es zeigt sich aber deutlich, wenn die berechtigte Person ihren Unterhaltsanspruch verliert. Eine für sie unbilligere Folge als ein Verlust des Unterhaltsanspruchs ist kaum denkbar. Denn wenn das objektiv anzuwendende Recht zu dem Ergebnis kommt, dass ihr ein Unterhaltsanspruch zusteht, steht von einem autonomen Standpunkt auch fest, dass sie auch tatsächlich bedürftig ist. Dies gilt, weil bei der hypothetischen Anwendung des objektiv berufenen Rechts Artikel 14 HUP mitbeachtet werden muss, bei der Bemessung des Anspruchsumfangs also ihre Bedürfnisse mitberücksichtigt und in ein angemessenes Verhältnis zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Verpflichteten gesetzt werden. Die Rechtswahl mag allenfalls ausnahmsweise nicht offensichtlich unbillig sein, wenn der Unterhaltsanspruch so niedrig ist, dass man fast von einem Bagatellbereich ausgehen kann. (2) Entstehung des Anspruchs nur durch die Rechtswahl Die umgekehrte Konstellation erscheint hingegen problematischer: Kann von einem unangemessenen und unbilligen Ergebnis gesprochen werden, wenn der Anspruchsgegner nach dem objektiv bestimmten Recht nicht unterhaltsverpflichtet ist, er jedoch durch das subjektiv bestimmte Recht dazu bestimmt wird? Zieht man hier wieder Artikel 14 HUP mit in die Betrachtung ein, muss 401
RG, Urteil vom 15. Oktober 1912, Az. VII 231/12, RGZ 80, 219, 221. Der Verlust des Unterhaltsanspruchs durch Rechtswahl ist nicht von Artikel 8 Abs. 4 HUP umfasst. Siehe dazu oben § 3 A. II. 402
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das nicht zwangsläufig gelten. Die Rechtswahl hat keine unangemessenen Folgen, da bei der Anwendung des durch sie bestimmten Rechts Artikels 14 HUP beachtet werden muss, der in jedem Fall zwingend den Anspruchsumfang auf das für den Verpflichteten wirtschaftlich Leistungsmögliche beschränkt. Dies führt zu einem Gegensatz: Verliert der Unterhaltsberechtigte durch die Rechtswahl einen Anspruch, so muss ihm durch die Wirksamkeitskontrolle geholfen werden, da Artikel 14 HUP nicht die Tatsache überwinden kann, dass kein Anspruch besteht, obwohl die Person bedürftig ist.403 Wird der Anspruchsgegner durch die Rechtswahl jedoch erstmals mit einem Anspruch belastet, sind die Folgen grundsätzlich nicht unangemessen, weil Artikel 14 HUP den Anspruch nun begrenzen kann. Jedoch scheint es überzeugender, Artikel 14 HUP in der zweiten Konstellation nicht zu berücksichtigen, obwohl die Norm eigentlich ausreichend Schutz bietet. Hier wirkt es sich aus, dass Artikel 14 HUP enger konzipiert ist als Artikel 8 Abs. 5 HUP. Artikel 14 garantiert nur, dass bei der konkreten Bemessung des Unterhalts die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten berücksichtigt wird. Die Regel greift nicht bei der Frage, ob es überhaupt angemessen ist, dass der Unterhaltsverpflichtete überhaupt dem Grunde nach verpflichtet ist. Die Wirksamkeitskontrolle nach Artikel 8 Abs. 5 HUP will aber bewusst auch diese Interessen der verpflichteten Person einbezogen wissen. Artikel 8 Abs. 5 HUP erfasst somit beide Extremfälle. Wenn durch die Rechtswahl ein Anspruch erstmalig entsteht oder vernichtet wird, ist dies für eine der beiden Parteien offensichtlich unbillig. Zu berücksichtigen ist jedoch dabei immer noch die in Artikel 14 HUP erwähnte einmalige Entschädigung anstelle der einmaligen Zahlung. Diese muss, entgegen dem deutschen Wortlaut aber gemäß der authentischen englischen Formulierung, noch nicht geleistet sein, sondern lediglich zugesprochen.404 Es kann zu berücksichtigen sein, ob die berechtigte Person statt eines regelmäßigen Unterhaltsanspruchs eine große Einmalzahlung zusteht. bb) Die übrigen Fälle: Abweichungen im Umfang des Anspruchs und Modalitäten der Gewährung (1) Unbilligkeit und Unangemessenheit der Abweichung Neben den Fällen, in denen gewähltes und objektiv anzuwendendes Recht in Hinblick auf die Existenz bzw. Nichtexistenz eines Unterhaltsanspruchs auseinanderfallen, bleiben noch die Fälle, in denen nach beiden Rechten grundsätzlich ein Anspruch besteht, der Umfang des Anspruchs allerdings differiert. Wieder ist es nicht entscheidend, was aus der Sicht des abgewählten Rechts als unangemessen und unbillig empfunden wird. Artikel 14 HUP legt 403 404
Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, C, Rn. 761. Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, C, Rn. 762.
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einen autonomen Maßstab zur Bestimmung der Bedürftigkeit und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Parteien fest. Im objektiv zu bestimmenden Recht müssen daher nur die Tatbestandsvoraussetzungen des Anspruchs geprüft werden, um, wie soeben gezeigt, festzustellen, ob eine Unterhaltspflicht grundsätzlich besteht. Der Umfang dieser Pflicht ist unerheblich, denn hierfür ist Maßstab Artikel 14 HUP. Dieser Maßstab lässt sich hier genau auf Artikel 8 Abs. 5 HUP übertragen, da es um die Bemessung des Anspruchs geht. Artikel 14 HUP macht weniger konkrete Vorgaben, als dass er bestimmten gemeinsamen Prinzipien des Unterhaltsrechts zur Durchsetzung verhelfen möchte. Die Norm stellt drei Prinzipien des Unterhaltsrechts für die Bemessung der Höhe in den Mittelpunkt: Es sollen sichergestellt werden die Ausrichtung des Unterhalts an einem konkreten Bedarf des Unterhaltsgläubigers, die prinzipielle Anrechnung eigenen Vermögens und die prinzipielle verhältnismäßige Rücksichtnahme auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unterhaltverpflichteten.405 Die Norm ist offen für die Berücksichtigung materieller Erwägungen des Einzelfalls.406 Wie das Bedürfnis der Person autonom festgestellt werden kann, lässt sich daher nicht abstrakt sagen. Ein einheitlicher, pauschalisierter Betrag oder wenigstens allgemeine Kriterien zur Bestimmung lassen sich wegen der regionalen Unterschiede der Lebensverhältnisse nicht festlegen. Oft sind die Vorgaben für den Unterhaltsumfang nicht einmal innerhalb einer Rechtsordnung einheitlich.407 Die Sorge, dass diese Wertung letztlich einzig im Einschätzungsspielraum des Gerichts liegt,408 ist nicht anlasslos, aber doch wohl etwas zu pessimistisch. Eine einheitliche Rechtsprechung wird immerhin durch den EuGH für die europäischen Mitgliedstaaten des Protokolls gewährleistet.409 Die Wissenschaft kann Kriterien sammeln und Fallgruppen vorbilden, in denen den Bedürfnissen der berechtigten Personen nicht entsprochen wird. Dies kann dann sein, wenn das gewählte Recht eine Orientierung an diesen Interessen überhaupt nicht vorsieht, sondern lediglich einen pauschalisierten Unterhaltsbetrag gewährt.410 Das Problem besteht nicht so sehr darin, dass auf pauschalisierte Beträge zurückgegriffen wird. Eine Pauschalierung ist im Unterhaltsrecht auch unter dem HUP durchaus zulässig. Hat die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt aber nicht im Land der gewählten Rechtsordnung, kann es vorkommen, dass unbesehen die inländischen Standards auf
405
Schulze, Bedürfnis und Leistungsfähigkeit, S. 240 f. Schulze, Bedürfnis und Leistungsfähigkeit, S. 318 ff. ordnet die Regel als narrative Norm ein. 407 Ausführlich Schulze, Bedürfnis und Leistungsfähigkeit, S. 217 ff. 408 Eschenbruch/Schürmann/Menne/Dörner, Kapitel 6, Rn. 340. 409 Das betont Rauscher/Andrae, Artikel 14 HUP, Rn. 6. 410 Rauscher/Andrae, Artikel 14 HUP, Rn. 9, 11; Staudinger/Mankowski, Artikel 14 HUP, Rn. 19. 406
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diesen Auslandsfall angewandt werden. Dies führt zu unbilligen Ergebnissen.411 Ohne Berücksichtigung der konkreten Lebensverhältnisse am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts der berechtigten Partei kann eine Wertung letztlich daher nicht vorgenommen werden (ohne dass man aber gezwungen wäre, die Wertungen dieses Ortsrechts zu übernehmen).412 (2) Modalitäten der Unterhaltsgewährung Auch weitere Beschränkungen oder Modalitäten des Unterhaltsanspruchs können für die Parteien belastend sein. Die Unterschiede in den einzelnen Rechtsordnungen sind so mannigfaltig, dass hier nur Beispiele genannt werden können. Problematisch sind Rechtsordnungen, die eine Unterhaltspflicht nach Scheidung nur für eine sehr kurze Zeit gewähren, etwa beim nachehelichen Unterhalt. Umgekehrt kann es zu einer Überforderung des Schuldners führen, wenn eine Rechtsordnung unbegrenzt die rückwirkende Geltendmachung von Unterhalt zulässt. Relevant ist auch, ob Rechtsordnungen, die zwar eine grundsätzliche Orientierung an der Bedürftigkeit kennen, diese aber für bestimmte Fälle ausschließen, etwa wenn eine Scheidung wegen Verschuldens der Unterhalt verlangenden Person ausgesprochen wird. Ebenfalls können Kürzungen wegen Verletzung einer Erwerbsobliegenheit unangemessen sein.413 Letztlich sind alle diese Modalitäten der Unterhaltsgewährung mitentscheidend für die Bewertung. Es muss genau geschaut werden, ob sie zu einer unbilligen Mehrbelastung des Schuldners oder einer unangemessenen Einschränkung der Bedürfnisse des Gläubigers führen. c) Offensichtlichkeit Nicht jede negative Abweichung des gewählten Rechts rechtfertigt den Nichtigkeitseinwand des Artikels 8 Abs. 5 HUP. Der Unterschied muss „offensichtlich“ sein. Dies bleibt eine Ermessensentscheidung im Einzelfall.414 Eine prozentuale Grenze, um welchen Grad die Höhe des Unterhaltsstatuts abweichen darf, sollte nicht genannt werden. Je größer die Abweichung, desto rechtfertigungsbedürftiger ist sie. Es wird unter anderem darauf ankommen, um was für eine Unterhaltsverpflichtung es sich handelt. Eine Abweichung bei einer Unterhaltsverpflichtung wegen Erwerbslosigkeit dürfte eher zu akzeptieren sein als bei Unterhalt wegen des Alters oder einer Krankheit. Auch andere Faktoren
411
OLG Koblenz, Beschluss vom 8. März 2007, Az. 7 WF 216/07, FamRZ 2007, 1592 f.; besonders deutlich Staudinger/Mankowski, Artikel 14 HUP, Rn. 19; a.A.: Eschenbruch/Schürmann/Menne/Dörner, 6. Kapitel, Rn. 339; Palandt/Thorn, HUP, Rn. 49. 412 BGH, Urteil vom 1. April 1987, Az. IVb ZR 41/86, FamRZ 1987, 682; Palandt/Thorn, HUP, Rn. 49; sehr weit Erman/Hohloch, Artikel 14 HUP, Rn. 1. 413 Erman/Hohloch, Artikel 14 HUP, Rn. 1. 414 Rauscher/Andrae, Artikel 8 HUP, Rn. 25.
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können zu berücksichtigen sein, wie die Erwerbsmöglichkeiten der berechtigten Person, ihren bisherigen Lebensstandard oder Dauer und Verlauf der Ehe. Weichen die Unterhaltsansprüche in ihren Modalitäten voneinander ab, sollte genau verglichen werden, ob damit eine manifeste Belastung einer Partei einhergeht. Oftmals lassen sich die Unterschiede in den Modalitäten durch das entsprechende System des Unterhaltsrechts rechtfertigen. Die Regelungen können eine ganz unterschiedliche Ratio verfolgen, die im jeweiligen Rechtsrahmen Sinn ergeben. Die verschiedenen Rechtsordnungen sind eben anders bei der Gewährung von Unterhaltsansprüchen, aber deswegen nicht besser oder schlechter. Wenn die unterschiedliche Behandlung objektiv gerechtfertigt werden kann und nachvollziehbar ist, dann scheitert eine Wirksamkeitskontrolle zumindest an der Offensichtlichkeit der unangemessenen Belastung. Nicht berücksichtigt werden sollte allerdings, wie eng die Beziehung der Parteien zum gewählten Recht ist.415 Das Unterhaltsprotokoll hat in Artikel 8 Abs. 5 HUP festgelegt, dass diese Überlegungen für die Wirksamkeitskontrolle keine Rolle spielen sollen. Für das Unterhaltsstatut ist das eine überzeugende Lösung. Hier stehen materiellrechtliche Interessen im Vordergrund. Einer Partei ist nicht viel geholfen, wenn sie über die Verbindung der Staatsangehörigkeit zwar einen Bezug zum gewählten Recht hat, sie aber über den Unterhaltsanspruch nicht ihren Lebensbedarf am Aufenthaltsort befriedigen kann. Die Verhältnisse am Aufenthaltsort werden zwar zwingend berücksichtigt, hierin erschöpft sich allerdings die enge Beziehung der Parteien zum gewählten Recht. Ebenso kann es nicht auf die Umstände des Vertragsschlusses ankommen.416 Zwar sind die Umstände des Vertragsschlusses ausschlaggebend für die Annahme eines Verhandlungsungleichgewichts und damit eines heteronomen Willens. Eine Einbeziehung solcher Faktoren passt jedoch nicht zur Struktur von Artikel 8 Abs. 5 HUP.417 Ausweislich des Nachsatzes ist das unangemessene und unbillige Recht dennoch anzuwenden, wenn die Parteien umfassend über die Folgen der Wahl unterrichtet waren. Das heißt, Artikel 8 Abs. 5 HUP geht davon aus, dass die Verhandlungen unter dem Informationsmangel einer Partei litten und dass genau hierin die Ursache für das unangemessene Ergebnis 415 So Rauscher/Andrae, Artikel 14 HUP, Rn. 25; BeckOK-BGB/Heiderhoff, Artikel 8 HUP, Rn.19; Dethloff, FS Martiny, S. 41, 49; kritisch zu diesem Argument Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 478, die allerdings auch nicht auf ein Schutzbedürfnis eingeht. 416 So aber BeckOK/Heiderhoff, Artikel 8 HUP, Rn. 19; Staudinger/Mankowski, Artikel 8 HUP, Rn. 90; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, C, Rn. 692; das Beispiel, das Johannsen/Henrich/Henrich, Artikel 18 EGBGB, Rn. 23 in den Blick nimmt, ist ohnehin von Artikel 8 Abs. 5 HUP umfasst, so dass die Umstände des Vertragsschlusses nicht in die Wertung mit einbezogen werden müssen. Sie verhindern lediglich einen Ausschluss der Wirksamkeitskontrolle nach Art. 8 Abs. 5 HUP a.E. 417 Siehe zum Verhandlungsdefizit sogleich.
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liegt. Die Umstände des Vertragsschlusses können demnach an dieser Stelle keine Rolle spielen.418 Besteht zwar ein Unterschied von gewähltem Recht und protokollautonomen Mindestumfang, ist dieser aber nicht so gravierend, dass von einer offensichtlichen Unangemessenheit auszugehen ist, so greift Artikel 8 Abs. 5 HUP nicht. Trotzdem kann eine Korrektur über Artikel 14 HUP erfolgen. Die Norm ist insoweit Auffangnorm gegenüber Artikel 8 Abs. 5 HUP als lex specialis.419 Dessen Spezialität besteht darin, dass er nicht nur zu einem materiellrechtlich befriedigenden Ergebnis führen möchte, sondern er soll eine insgesamt nicht überzeugende Anknüpfung korrigieren. Umgekehrt können die hier dargelegten Maßstäbe auch für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der verpflichteten Person herangezogen werden. Diese ist ebenso autonom zu bestimmen. Die zu Gunsten der berechtigten Partei genannten Argumente können dabei genauso gut auch für eine Begrenzung des Unterhalts und somit zu Gunsten der verpflichteten Partei herangezogen werden. Der Wertungsvorgang ist ergebnisoffen. Es gibt keine Tendenz zugunsten einer Seite. II. Spezifisches Verhandlungsdefizit: Mangelnde Informationen 1. Funktionsweise und Bedeutung der Informationen Nach der Theorie der Richtigkeitsgewähr muss das unbillige Ergebnis auf eine situative, strukturelle Unterlegenheit der Parteien zurückzuführen sein. Das HUP führt das unbillige Ergebnis auf einen Mangel an Informationen zurück. Bonomi schreibt im erläuternden Bericht, dass die Kontrollklausel eine Einschränkung erfahren habe, um zu verhindern, dass die Gerichte willkürlich Rechtswahlvereinbarungen außer Kraft setzen.420 Der letzte Halbsatz von Artikel 8 Abs. 5 HUP sieht die Anwendung des gewählten Rechts trotz eines unbilligen Ergebnisses zwingend vor, wenn „die Parteien im Zeitpunkt der Rechtswahl umfassend unterrichtet und sich der Folgen ihrer Wahl vollständig bewusst waren“. Das bedeutet: grundsätzlich deutet das unbillige Ergebnis darauf hin, dass die Parteien nicht ausreichend informiert waren und daraus ein Ungleichgewicht entstanden ist.421 Will die Partei, zu deren Gunsten das gewählte Recht entscheidet, die Rechtswahl retten, muss sie nachweisen, dass die andere Partei alle nötigen Informationen besaß und sich der Folgen bewusst war.422 Es findet also eine Beweislastumkehr statt.423 418
Sie müssen vielmehr im Rahmen einer teleologischen Reduktion der Norm berücksichtigt werden. Dazu unten unter IV, 3. 419 Vgl. Staudinger/Mankowski, Artikel 8 HUP, Rn. 97 und Art. 14 HUP, Rn. 8. 420 Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 151. 421 Lehmann, GPR 2014, 342, 349. 422 Henrich, FamRZ 2015, 1761, 1765. 423 NK-BGB/Bach, Artikel 8 HUP, Rn. 43.
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Dies ist zu begrüßen, weil es die Partei, die von dem Vorgang der Rechtswahl intellektuell überfordert war, davon entlastet, dieses Defizit nachzuweisen. Es scheint in diesem Fall tatsächlich wichtiger zu sein, sie vor einem unbilligen Ergebnis zu schützen, als die Rechtswahlvereinbarung unter allen Umständen zu retten. Immerhin gibt die Vorschrift den Parteien die Möglichkeit, eine Unwirksamkeitserklärung der Rechtswahl zu vermeiden, indem sie einfach nur dafür Sorge tragen müssen, dass die andere Partei über die Folgen der Rechtswahl aufgeklärt wird, etwa wenn sie eine Rechtsberatung zu diesem Zweck einfordern.424 Das Haager Unterhaltsprotokoll steht ganz in der Tradition des Europäischen Privatrechts, das als einen wichtigen Schritt zum Schutz der Privatautonomie die Beseitigung von Informationsdefiziten betrachtet.425 Dieser Fokus überzeugt auch, da das Informationsniveau von Privatpersonen im Internationalen Familienrecht, wie sogleich zu zeigen ist, sehr niedrig ist.426 Zudem stellt ein Fokus auf die Unterrichtung der Parteien das schonendste Mittel dar, um Autonomie herzustellen. Es wird nun untersucht werden müssen, wo die Grenzen dieses Ansatzes liegen. 2. Umfang der Informationen Es stellt sich bei genauerer Betrachtung die Frage, über welche Informationen die Parteien eigentlich verfügen müssen. Reicht es aus, wenn sie wissen, was eine Rechtswahl ist? Das muss zumindest der erste Schritt sein. Den Partnern des Rechtswahlvertrags muss zunächst in der Laiensphäre deutlich gemacht werden, dass es unterschiedliche nationale Rechtsordnungen gibt und sie die Wahl haben, zu bestimmen, welche dieser Rechtsordnungen in ihrem speziellen Fall über Fragen des Unterhalts entscheiden soll.427 Es muss also zunächst ein sehr grobes und einfaches Erklärungsbewusstsein für die internationalprivatrechtliche Dimension des Falls geweckt werden. Dabei muss (zweitens) klarwerden, dass diese Wahl mit gewissen Risiken verbunden ist, da das Ergebnis des Subsumtionsvorgangs nach den verschiedenen Sachrechten eben differieren kann. Mit dieser Minimalbelehrung darf es jedoch noch kein Bewenden haben. Artikel 8 Abs. 5 HUP spricht davon, dass die Parteien sich der „Folgen ihrer Wahl vollständig bewusst“ sein müssen. Dies bedeutet, genau wie im ersten Teil von Artikel 8 Abs. 5 HUP: Über die sachrechtlichen Folgen
424
Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 150. Heiderhoff, Grundstrukturen, S. 266 ff.; dies., Europäisches Privatrecht, Rn. 248; Martinek, Systembildung und Systemlücken, S. 511, 518; Riesenhuber/Grundmann, Europäische Methodenlehre, § 10, Rn. 39; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht, S. 142 ff.; Rösler, ERPL 2010, 729, 736; Fleischer, ZEuP 2000, 772 ff. 426 Siehe auch bereits oben § 2 C. II. 1. a). 427 Palandt/Thorn, HUP, Rn. 33. 425
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müssen die Parteien ebenfalls informiert sein.428 Dies wird durch das „vollständig“ unterstrichen. Freilich dürfen keine vollkommen überzogenen Erwartungen an die Parteien gestellt werden. Eine „vollständige“ Belehrung kann nicht so weit gehen, dass die Parteien bereits bei Abschluss der Rechtswahl den Unterhaltsbetrag genauestens ermitteln müssen. Dies wäre eine fast unüberwindbare Herausforderung. Prognosen über einen zukünftigen Unterhalt sind außerdem nicht sonderlich zu trauen, da der genaue Unterhaltsumfang von Umständen abhängt, die nicht schon im Zeitpunkt der Rechtswahl bedacht werden können. Es muss aber schon verlangt werden können, dass die Parteien eine ungefähre Vorstellung bekommen, welche Rechte und Pflichten aus dem wählbaren Recht für sie erwachsen.429 Hierzu ist auch ein grober Vergleich zum objektiv anwendbaren Recht erforderlich, wie er auch für die Feststellung des grob unangemessenen Ergebnisses erforderlich ist. Dies entspricht auch dem Schutzzweck der Norm, die hohe Hürden errichten muss, um dem grundlegenden und in weiten Teilen der Bevölkerung verbreiteten Unverständnis für internationalprivatrechtliche Probleme entgegenzuwirken und den Risiken, vor allem für die unterhaltsverpflichtete Partei, im existenzrelevanten Bereich des Unterhaltsrechts entgegenzuwirken. Die Partei, die sich auf die Rechtswahl berufen möchte, muss also nachweisen, dass die andere Partei über die konkreten sachrechtlichen Folgen der Rechtswahl aufgeklärt sein muss, also über das nationale materielle Unterhaltsrecht Bescheid weiß. 3. Wie wird sichergestellt, dass die Parteien alle Informationen erhalten? Das Haager Unterhaltsprotokoll erwartet damit, dass die Parteien über ein hohes Maß an wichtigen Informationen verfügen, damit auch unbillige Resultate als Ausdruck eines freien Willens anerkannt werden können. Der Protokolltext macht dies durch eine nur auf den ersten Blick redundante Formulierung deutlich. Die Parteien müssen „unterrichtet und der Folgen bewusst sein“. Damit wird betont, dass sie die Details nicht nur vernommen, sondern auch wirklich verstanden haben müssen.430 Im Folgenden wird überlegt, welche präventiven Maßnahmen vernünftigerweise ergriffen werden können und wie man im Rahmen von Artikel 8 Abs. 5 HUP feststellt, über welches Wissen die Parteien tatsächlich verfügen.
428
Staudinger/Mankowski, Artikel 8 HUP, Rn. 92; Hausmann, FS Martiny, S. 345, 362 f.; Kühn, Internationales Unterhaltsrecht und Rechtswahl, S. 113, 122. 429 Palandt/Thorn, HUP, Rn. 33; Dethloff, FS Martiny, S. 41, 49; sehr weit Rieck, NJW 2014, 257, 261: konkrete Berechnung des Unterhalts für jeden Ehegatten. 430 Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 151.
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a) Information, über die die Parteien selbst verfügen Im ersten Schritt stellt sich die Frage, ob die Parteien sich auch ohne fremde Hilfe die notwendigen Informationen besorgen und sich die Risiken einer Rechtswahl selbst erarbeiten können. Es gibt keine gesicherten empirischen Befunde, die belegen, wie gut die Parteien über internationalprivatrechtliche Fragen unterrichtet sind, wieweit sie mit den Grundzügen von Rechtswahl und ausländischem Sachrecht vertraut sind. Es erscheint aber problematisch, deswegen eine verfrühte optimistische Grundhaltung einzunehmen und die Risiken des Informationsgefälles gering zu bewerten.431 Die Unkenntnis kommt nicht allein daher, dass Rechtswahl im Internationalen Privatrecht bislang keine übergeordnete Rolle gespielt hat und eher ein Schattendasein fristete. Mit der Promotion der Parteiautonomie zum „Eckstein“ des Anknüpfungssystems werden nicht gleichermaßen die internationalen Paare für die Möglichkeiten der Wahl eines bestimmten Rechts sensibilisiert.432 Änderungen im System des Kollisionsrechts können überhaupt nur wahrgenommen werden, wenn in der Bevölkerung ein grundsätzliches Bewusstsein von Existenz, Aufgabe und Regelungsweise des Internationalen Privatrechts herrscht. Dies scheint jedoch nicht der Fall zu sein. Es gibt zumindest Studien, die auf eine profunde Unkenntnis über Familienrechtsfragen im Allgemeinen hinweisen und die es zumindest nicht nahelegen, dass die Situation im noch deutlich komplexeren Internationalen Familienrecht positiver wäre: Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend untersucht seit mehreren Jahren schon die Einstellung von Partnern bei der Eingehung einer Ehe und die Hintergründe für diese Entscheidung sowie die Einstellung in der Gesamtbevölkerung zur Ehe.433 Dabei beleuchtet die Studie „Partnerschaft und Familie – Entscheidungen im Lebenslauf“ auch die Kenntnisse der Ehegatten über die rechtlichen Rahmenbedingungen.434 Das Ergebnis ist eher ernüchternd. Die Partner haben durchschnittlich eine diffuse Erwartung, dass sie durch die Heirat bessergestellt werden, können aber nicht erklären, wie diese Verbesserung genau geschehen soll. Je jünger die Paare sind, desto geringer ist das Wissen über Regeln, und schon die bloße Kenntnis, dass es ein Ehegüterrecht gibt, fehlt vielfach.435 Bereits verheiratete Paare, die im gesetzlichen Güterstand le-
431
Hier zu optimistisch Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 573 ff. So aber Kroll-Ludwig, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 574. 433 BMFSJ, Partnerschaft und Familie – Entscheidungen im Lebensverlauf; siehe zur Vorauflage der Studie auch Dethloff, LA Pintens, S. 473, 477 ff. 434 BMFSJ, Partnerschaft und Familie, S. 39 ff. 435 BMFSJ, Partnerschaft und Familie, S. 39. 432
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ben, denken überwiegend, dieser gesetzliche Güterstand sei die Gütergemeinschaft.436 Selbst bei einem in Politik und Medien relativ häufig diskutiertem Thema wie dem Ehegattensplitting herrscht überwiegend Unwissen vor.437 Bei dem in diesem Kapitel besonders wichtigen Thema des nachehelichen Unterhalts glauben ungefähr die Hälfte der Befragten (42% der Männer und 52 % der Frauen), dass es eine nacheheliche Solidaritätspflicht grundsätzlich nicht gebe.438 Dieses Informationsdefizit zieht sich durch alle Bevölkerungsschichten, ist also kein alleiniges Problem von Gruppen mit einem niedrigen Bildungsniveau.439 Angesichts dieses Befunds kam Dethloff schon für das deutsche Familienrecht zu der Erkenntnis, dass die Ehepartner in der Regel nicht in der Lage sind, mit dem nötigen Wissen die Grundzüge ihres ehelichen wirtschaftlichen Zusammenlebens zu gestalten und dass es daher verstärkter Anstrengungen des Staates bedarf, dieses Defizit zu beheben.440 Angesichts dieser sehr eindeutigen Datenlage ist es sehr unwahrscheinlich, dass das Wissen im kollisionsrechtlichen Bereich größer sein sollte.441 Hierbei ist auch entscheidend, dass die Parteien nach den Vorgaben von Artikel 8 Abs. 5 HUP nicht nur Grundkenntnisse über die Rechtswahl haben sollen, sondern auch mehr oder weniger konkrete Vorstellungen über das Sachrecht benötigen. Für die Annahme, internationale Paare würden sich eher mit den rechtlichen Problemen auseinandersetzen als rein nationale Paare,442 fehlen Anhaltspunkte. Es ist daher davon auszugehen, dass die Parteien grundsätzlich nicht die nötigen Informationen als Teil ihrer Allgemeinbildung haben, um die Folgen ihrer Rechtswahl abschätzen zu können. Ohne weitere Unterstützung wird man daher nur in den seltensten Situationen davon ausgehen können, dass die Parteien ausreichend informiert waren. b) Informationen durch spezielle Formvorschriften Die vom Haager Unterhaltsprotokoll vorgegebene Schriftform (oder ihr digitales Pendant) ist, wie bereits festgestellt wurde, offensichtlich ungeeignet, die Parteien über die Folgen der Rechtswahl aufzuklären.443 Sie ist lediglich in der Lage, auf die Parteien warnend einzuwirken und die Wichtigkeit des Rechtsgeschäfts zu betonen. Diese Warnwirkung ist aber ineffektiv, wenn die Parteien für die kollisionsrechtliche Ebene kein Bewusstsein haben und nicht wissen, was genau sie durch den Vertrag eigentlich anordnen. Selbst wenn sie von 436
BMFSJ, Partnerschaft und Familie, S. 50. BMFSJ, Partnerschaft und Familie, S. 41. 438 BMFSJ, Partnerschaft und Familie, S. 54 f. 439 BMFSJ, Partnerschaft und Familie, S. 40. 440 Dethloff, LA Pintens, S. 473, 484 ff. 441 Dethloff, FS Martiny, S. 41, 57 f. 442 So Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 574. 443 Rauscher/Andrae, Artikel 8 HUP, Rn. 26; siehe oben S. 245 ff. 437
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der Schriftform abgeschreckt und gewarnt werden, aber nicht die Informationen haben, um diese Warnung verarbeiten zu können, nehmen sie höchstens die Rechtswahl nicht vor. c) Staatliche Informationen Bevor die Parteien sich an eine professionelle Rechtsberatung wenden müssen, bleibt zu überlegen, ob sie sich noch aus anderen Quellen ausreichend informieren können. Hier trifft vor allem den Staat oder andere, supranationale Institutionen eine Verantwortung, den Parteien Hilfestellung zu geben.444 Für die Parteien wäre es auch leichter und vor allem günstiger, wenn sie nicht einen teuren Termin bei einem Rechtsanwalt oder Notar vereinbaren müssten, sondern sich die Informationen selbst leicht besorgen könnten. Für die Verbreitung der Rechtswahl wäre dies auch hilfreich. Im Folgenden sollen die staatlichen Informationsmöglichkeiten in den Blick genommen werden, zunächst durch staatliche Behörden. Im Anschluss folgt eine Darstellung der Informationen über Internetseiten. Der Digitalisierung der Rechtsaufklärung kann gerade im Familienrecht eine hohe Wichtigkeit zukommen. Dabei sollen sowohl Internetseiten, die sich eher an ein fachkundiges Publikum richten, wie die Seite des EJN in den Blick vorgestellt werden, als auch Seiten, die sich explizit an juristische Laien wenden, wie etwa . aa) Behörden Eine Informationspflicht der Mitgliedstaaten de lege lata besteht nach dem Haager Unterhaltsprotokoll nicht. Eine solche Pflicht auf mitgliedstaatlicher Ebene einzuführen, erscheint auch nicht besonders zweckdienlich.445 Die staatliche Stelle, bei der sich die Ehegatten am ehesten informieren würden, ist das Standesamt.446 Diese müssen die zukünftigen Ehegatten lediglich auf Problemkreise hinweisen, die eng mit den Aufgaben des Standesamtes verbunden sind, also auf die Rechtswahl für die Namensführung, denkbare Konflikte bei der Vornamensänderung nach dem Transsexuellengesetz, sowie die Gefahr, dass eine Ehe im Herkunftsstaat der Ehegatten eventuell nicht anerkannt wird.447 Es würde die Standesämter aber überlasten, wenn sie den Ehegatten die vom Un-
444
Dethloff, FS Martiny, S. 41, 65. Etwas anders ist die Situation im nationalen Eherecht: Hier kann eine Aufklärungspflicht durchaus sinnvoll sein, um das Unwissen der Parteien bezüglich rechtlicher Grundzüge des Eherechts zu beenden; so bereits Müller-Freienfels, Ehe und Recht, S. 98; Dethloff, LA Pintens, S. 471, 487 ff. 446 BMFSJ, Partnerschaft und Familie, S. 44; Dethloff, LA Pintens, S. 471, 481; statistisch gesehen häufiger genannt wird das Finanzamt als Informationsquelle, was jedoch im Unterhaltsrecht nicht weiterführt. 447 Dethloff, FS Martiny, S. 41, 58 f. 445
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terhaltsprotokoll geforderten Informationen liefern müssten. Die Ämter könnten vor allem keine kompetente Auskunft über die Grundzüge des ausländischen Rechts liefern. Immerhin könnte man sich überlegen, die Standesämter zu verpflichten, auf die Probleme internationaler Ehen und auf die Möglichkeiten einer Rechtswahl hinzuweisen, die sich bei der Eheschließung öfter ergeben. Sie müssten dabei jedoch auch betonen, dass die Ehegatten vor einer Rechtswahl notwendig noch weitere Informationen einholen müssten, und vor den Risiken einer Nichtbefolgung dieses Ratschlags warnen. bb) Internet Eine der wichtigsten Informationsquellen für junge Paare ist heute selbstverständlich das Internet. Viel besser als gedruckte Broschüren ist es in der Lage, den Partnern größere Mengen an Informationen zur Verfügung zu stellen. Es ist daher von großer Wichtigkeit, im Internet Informationen gesammelt bereitzustellen und die Ehegatten auf diese Möglichkeiten hinzuweisen. Die bisherige Nutzung des Internets durch staatliche und andere Stellen zur Information der Partner ist jedoch enttäuschend. (1) Website des EJN Am erfolgversprechendsten ist der Ansatz, die Informationen auf internationaler Ebene zu sammeln, damit die Parteien sich nur auf einer für sie leicht zugänglichen Seite informieren müssen und nicht die Details mühsam zusammensuchen brauchen. Eine Internetseite, die einen solchen Versuch wagt, ist die Webseite des Europäischen Justiziellen Netzes (EJN). Sie ist unter zu erreichen und enthält eine spezielle Rubrik für ein Europäisches Justizielles Netz für Zivil- und Handelssachen. Die Seite wird von der Europäischen Kommission verwaltet und bietet eine „breite Palette an Informationen zum europäischen, nationalen und internationalen Zivil- und Handelsrecht“.448 Erwägungsgrund (17) der Rom III-VO erwähnt diese Internetseite ausdrücklich als bevorzugtes Informationsmittel, um einen Konsens der Ehegatten zu erzielen. Zweifellos reicht dieser Hinweis noch nicht dafür, dass die Eheleute auch tatsächlich auf die Seite aufmerksam werden. Hier könnte wieder ein Hinweis in den Standesämtern angebracht sein. Die Seite enthält auch tatsächlich Informationen, einmal zur Frage, welches Recht in den verschiedenen Mitgliedstaaten zur Anwendung berufen wird, aber auch zum Scheidungsrecht und zum Unterhaltsrecht. Details zum Güterrecht fehlen bislang.449 Inzwischen haben fast alle Mitgliedstaaten Länderberichte eingereicht. Die Länderberichte sind für das Scheidungsrecht allesamt auch ins Deutsche 448
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übersetzt.450 Die Informationen geben nur eine Einführung in die jeweiligen Rechtsgebiete, können also keinen genauen Überblick liefern.451 Die Berichte sind zudem tendentiell unvollständig.452 So nennt der deutsche Bericht zum Unterhaltsrecht zwar die potentiell berechtigten und verpflichteten Personen, geht aber nicht weiter auf die Voraussetzungen des Anspruchs und die vielfältigen Einschränkungen und Ausschlusstatbestände ein. Es ist daher anhand dieser Informationen unmöglich, auch nur annähernd vorherzusagen, wann ein Anspruch besteht und wann nicht. Zudem ist die Sprache auch nicht inklusiv und für Laien schwer zu verstehen.453 Wer etwa erfahren möchte, welches Recht ein deutsches Gericht anwendet und schon in der Inhaltsübersicht mit dem renvoi454 konfrontiert wird, dürfte sein Vorhaben schnell aufgeben. Zudem sind einige Informationen veraltet, da die Berichte nicht ständig aktualisiert werden. Auch wenn sich das Angebot der Website des EJN ständig verbessert und ein vernünftiger Ansatz ist, sollte die Kommission sich bewusstwerden, wer ihre Zielgruppe ist. Die Informationen müssten zum einen verständlicher werden, gleichzeitig aber noch genauer ins Detail gehen. Aus dem ersten Grund scheidet auch die Webseite der CEFL als Informationsquelle für die meisten Ehepaare aus.455 Eine verständliche Internetseite müsste sich auch die Hilfsmittel, die das Internet inzwischen bietet, zunutze machen. So könnte man in den Ländern, in denen Unterhaltsbeträge über Tabellen festgestellt werden oder sich auf irgendeine andere Art berechnen lassen, einen Unterhaltsrechner einführen. Die Bundesagentur für Arbeit benutzt so einen Rechner etwa, um eine grobe Einschätzung über die Höhe des Arbeitslosengeldes zu geben.456 Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bietet Rechner für das Elterngeld und den Kinderzuschlag an.457 Es hängt von der Rechtsordnung ab, ob sich so eine Methode auch für das Unterhaltsrecht eignet oder ob sich dieses Rechtsgebiet der Überschlagsrechnung verschließt, weil es von zu vielen Faktoren des Einzelfalls abhängt. Es hängt auch davon ab, wie viel Entscheidungsspielraum das Gericht bei der Bemessung des Unterhaltsanspruchs hat. Selbst wenn für einige Länder eine ungefähre Summe kalkuliert werden kann, sollte stets deutlich gemacht werden, dass diese Berechnung dennoch nur unter Vor-
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Insofern eine Verbesserung zum Zustand, den Dethloff, FS Martiny, S. 41, 58 vorgefunden hat. 451 Boele-Woelki, YPIL 12 (2010), 1, 17; Dethloff, FS Martiny, S. 41, 58. 452 NK-BGB/Hilbig-Lugani, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 17. 453 Auch NK-BGB/Hilbig-Lugani, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 17. 454 Etwa zum deutschen Recht . 455 In diese Richtung etwa Boele-Woelki, YPIL 12 (2010), 1, 17, Fn. 67. 456 . 457 .
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behalt zu gebrauchen ist. In Deutschland, wo sich der Bedarf über die Düsseldorfer Tabelle ermitteln lässt, könnte auf einen Unterhaltsrechner unter diesen Bedingungen zurückgegriffen werden. (2) Andere internationale Websites Deutlich gelungener als die EJN-Seite ist die ebenfalls von der Union eingerichtete Seite .458 Diese Seite ist in allen mitgliedstaatlichen Amtssprachen abrufbar und enthält sehr übersichtliche Informationen in Länderberichten zu vermögensrechtlichen Aspekten von europäischen Paarbeziehungen. Dabei gehen die Berichte mehr in die Tiefe als die Berichte der EJN-Seite, nennen genaue Fundstellen im jeweiligen Recht, ohne jedoch zu kompliziert zu werden und für Laien nicht mehr verständlich zu sein. Sie bieten damit genau den Informationsstandard, den Eheleute (oder andere Paare) brauchen, um die Auswirkungen eines Rechts (einschließlich des IPR) auf ihre Lebenssituation einschätzen zu können.459 Leider enthält die Seite nur Informationen zum Güterrecht, hingegen nicht zum Unterhaltsrecht oder, was für die Rom III-VO von Bedeutung sein kann, zum materiellen Scheidungsrecht selbst. Selbst bei allen möglichen Verbesserungen gegenüber der EJN-Internetseite kann man über einen Umstand nicht hinwegsehen: Die Seite ist nur für europäische Paare geeignet, also Paare, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt innerhalb der Union haben und bei denen beide Partner eine europäische Staatsbürgerschaft innehaben. Die Verordnungen zum IPR und das Haager Unterhaltsprotokoll sind aber universell anwendbar und gelten auch, wenn die Partner die Staatsangehörigkeit eines Drittstaates haben. In diesen Fällen hilft die EJN-Seite nicht weiter.460 Es ist vielmehr eine Internetseite erforderlich, die auch über Drittstaaten Informationen in einfacher Sprache und möglichst detailliert bereithält. Eine solche Aufgabe erfordert sicherlich einen enormen wissenschaftlichen Aufwand. Da es Kompendien mit diesen Informationen aber ja durchaus bereits für die professionelle juristische Arbeit gibt,461 ist ihre Bewältigung nicht unmöglich. Es bedarf nur eines großen, professionellen Zusammenschlusses und die nötige finanzielle Unterstützung, die idealerweise von staatlicher Seite kommen sollte.
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Remien, ZVglRWiss 115 (2016), 570, 575. Zur Detailfrage, über die eine solche Internetseite freilich niemals Auskunft erteilen kann, wird jedoch weiter eine Rechtsberatung erforderlich sein, vgl. Remien, ZVglRWiss 115 (2016), 570, 575. 460 Boele-Woelki, YPIL 12 (2010), 1, 17. 461 Etwa Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht. 459
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(3) Nationale Webseiten Nationalstaatliche betriebene Informationsportale für Paare, die eine Ehe oder Partnerschaft planen, gibt es (fast) nicht.462 Gefragt wären hier zunächst die Bundesministerien. Hierbei mag man zunächst an das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend denken, das auf seiner Internetseite463 zum Thema Ehe jedoch keinen Service anbietet. Hingegen findet man auf der Homepage des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz grundlegende Informationen zum Eherecht, Scheidungsrecht und Unterhaltsrecht.464 Es stellt sich jedoch die Frage, ob Internetuser überhaupt bis auf die Seite des Justizministeriums gelangen. Um sie zu finden, muss man vorher schon wissen, wo man suchen muss. Das Informationsangebot wäre beim Familienministerium besser aufgehoben. Immerhin bieten die Informationen beim BMJV einen guten Überblick über das deutsche Recht in barrierearmer bis barrierefreier Sprache. Die Schwierigkeit, diese in den internationalen Kontext einzubauen und zu vergleichen, wird einem juristisch ungebildeten Leser trotzdem nicht leichtfallen, da gerade die Infos zur Rechtswahl fehlen und man sich auch nur über deutsches Recht informieren kann. Gelegentlich findet man Informationen auf Botschaftsseiten zum Scheidungsrecht, jedoch nicht zum Unterhaltsrecht.465 Ein Blick in das Vereinigte Königreich zeigt, wie es gehen könnte. In England sieht es das Justizministerium als eigene Aufgabe an, die Wissensdefizite der Bevölkerung zu beheben und hat daher zwei gemeinnützige Organisationen gegründet, die auf ihren Internetseiten über grundsätzliche Fragen des Eherechts ausführlich aufklärt, und zwar leicht verständlich und schnell zugänglich auch für rechtsunerfahrene Paare.466 d) Rechtsberatung Da die Alternativen somit derzeit noch unzureichend sind, ist wohl der einzige Weg, um die Parteien aufzuklären und auch, um eine Wirksamkeitskontrolle zu vermeiden, eine professionelle Rechtsberatung.467 Wenn die Parteien nicht zufällig sehr genaue Vorkenntnisse über das zu wählende Recht haben (was 462
Etwas streng Dethloff, LA Pintens, S. 471, 487. . 464 . 465 Dethloff, FS Martiny, S. 41, 59. 466 Darauf hinweisend Dethloff, LA Pintens, S. 471, 486; die Seiten sind abrufbar unter und . 467 Rauscher/Andrae, Artikel 8 HUP, Rn. 26; Palandt/Thorn, HUP, Rn. 33; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, C, Rn. 693; Eschenbruch/Schürmann/Menne/Dörner, Der Unterhaltsprozess, 6. Kapitel, Rn. 288; Dethloff, FS Martiny, S. 41, 49; Henrich, FamRZ 2015, 1761, 1765. 463
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außer Juristen kaum jemand hat), können nur Rechtsanwälte und Notare die Aufgabe übernehmen, den Parteien die nötigen Details zu erklären und darauf zu achten, dass sie sie auch verstanden haben. Jedoch bleibt hier auch Vorsicht geboten. Es kann nicht einzig formell darauf ankommen, dass die Parteien eine professionelle Rechtsberatung erhalten. Das schließt allein noch nicht eine Kontrolle nach Artikel 8 Abs. 5 HUP zwingend aus.468 Eine Beratung ist vielmehr zwar eine wohl regelmäßig notwendige, aber nicht ausreichende Bedingung. Es bleibt aber zu untersuchen, wie die Rechtsberatung ausgestaltet wird, wo de lege lata (nach deutschem Recht) ihre Grenzen sind und ob dies den Ansprüchen des Haager Unterhaltsprotokolls gerecht wird. Das Ergebnis sei hier bereits vorweggenommen: Auch die notarielle oder anwaltliche Beratung wird nicht alle Probleme beseitigen. Es kommt entscheidend darauf an, wie sie durchgeführt wird, um ein hohes Wissen der Eheleute zu erreichen. aa) Notarielle Beratung nach deutschem Recht Die Parteien können zunächst einen Notar wählen, der sie bei der Abfassung der Rechtswahlklausel unterstützt und berät. Diese Möglichkeit bietet sich vor allem an, wenn die Rechtswahl des Unterhaltsstatuts im Rahmen eines Ehevertrags vorgenommen wird, für den die Form des § 1410 BGB gilt, aber auch, wenn die Parteien eine Rechtswahlvereinbarung nach der Rom III-VO vornehmen, für die die notarielle Beurkundung nach Artikel 46d Abs. 1 EGBGB vorgeschrieben ist. Aber auch unabhängig davon können die Parteien sich notariell beraten lassen, wenn sie eine isolierte Rechtswahl nach dem HUP vornehmen wollen. Bei der Belehrung und Aufklärung sind Notare an § 17 BeurkG gebunden. Die Vorschrift enthält die notariellen Kardinalspflichten, die „magna charta“ der notariellen Tätigkeit.469 Dabei haben Notare nach § 17 Abs. 1 BeurkG den wahren Willen der Parteien zu erforschen, sie zu beraten und Irrtümer zu beseitigen.470 Notare sind zur Neutralität verpflichtet, selbst wenn sie nur von einer Partei beauftragt werden.471 Soweit bei der Betrachtung einzelner Fälle gelegentliche Zweifel an der unparteiischen Rolle des Notars entstehen können, kann nur betont werden, dass ein solches Verhalten rechtswidrig wäre, mit berufsrechtlichen Konsequenzen verbunden wäre und nicht passieren darf. Dass es mitunter trotzdem vorkommen kann, lässt sich durch normative Sollens-Anordnung aber nicht hundertprozentig vermeiden. Um jedoch eine sei es nur emotionale Druckausübung durch eine Partei zu verhindern, bietet
468
Henrich, FamRZ 2015, 1761, 1765. BeckOGK-BGB/Regler, § 17 BeurkG, Rn. 2; Formulierung von Schmitz-Valckenberg, DNotZ 1994, 495, 496. 470 BeckOK-BGB/Litzenburger, § 17 BeurkG, Rn. 1. 471 BeckOK-BGB/Litzenburger, § 17 BeurkG, Rn. 1. 469
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es sich gelegentlich an, die Parteien getrennt voneinander zu beraten.472 Dies muss nicht durch zwei verschiedene Notare geschehen. Von besonderer Bedeutung für die Rechtswahl ist die in § 17 Abs. 3 BeurkG enthaltene Grenze für die Aufklärungspflicht über ausländisches Recht. Nach § 17 Abs. 3 S. 2 BeurkG sind Notare nicht verpflichtet, über ausländisches Recht zu belehren. Damit wird den praktischen Grenzen ihrer Arbeit Rechnung getragen. Kein Notar kann ernsthaft über alle Sachrechte der Welt Auskunft geben. Wenn sich ein Notar also nicht in der Lage sieht, der Aufgabe nachzukommen, muss er dies auch nicht, um sich nicht Haftungsrisiken auszusetzen. Dies hat einen Nachteil für das Haager Unterhaltsprotokoll: auch wenn man, bei den derzeitigen Informationsmöglichkeiten, davon ausgehen muss, dass eine Partei nur in den seltensten Fällen ohne professionelle Beratung über alle Informationen verfügen wird, um die Folgen der Rechtswahl überschauen zu können, so kann diese eine hinreichende Kenntnis der Parteien auch nicht per se sicherstellen. Es ist vielmehr darauf zu achten, ob der Notar sich auf die Grenze des § 17 Abs. 3 S. 2 BeurkG berufen hat und es ausdrücklich vermerkt ist, dass über das ausländische Recht nicht informiert wurde. Dies ist dann ein starkes Indiz dafür, dass der Ausschlussgrund des Artikels 8 Abs. 5 HUP a.E. nicht eingreift. Wirklich wirkungsvoll und effektiv ist die Rechtsberatung also nur, wenn die Ehegatten deutsches Recht wählen, weil der Notar hierüber ohne Schwierigkeiten Auskunft geben kann und muss. Dies gilt aber auch nur in den Fällen, in denen auch das objektiv anwendbare Recht deutsches Recht wäre und die Partner diesen Rechtszustand vorsorglich für die Zukunft absichern wollen.473 Sonst wäre auch eine Beratung über das fremde Recht notwendig, um über alle Folgen aufzuklären. Um eine Informiertheit der Parteien bei der Wahl ausländischen Rechts anzunehmen, muss Voraussetzung in der Regel sein, dass Notare sich auf die Belehrung über ausländisches Recht einlassen und diese vornehmen.474 Nur weil sie nicht dazu verpflichtet sind, heißt das nicht, dass sie sich der Aufgabe nicht trotzdem annehmen können.475 Sie werden es jedoch in der Regel nicht tun, um sich nicht einem Haftungsrisiko auszusetzen.476 In jedem Fall sollten Notare vermerken, dass auf die verschiedenen Wahlmöglichkeiten hingewiesen wurde.477 Es bestehen in der Praxis mehrere Wege, die nötigen Informationen
472
Rieck, NJW 2014, 257, 262. Coester/Coester-Waltjen, LA Schurig, S. 33, 45 weisen auf die Notwendigkeit hin, auch über das abgewählte Recht zu informieren. 474 DNotI, DNotI-Report 2011, 57, 60; Kühn, Internationales Unterhaltsrecht und Rechtswahl, S. 113, 122; Coester/Coester-Waltjen, LA Schurig, S. 33, 45. 475 Staudinger/Mankowski, Artikel 14 HUP, Rn. 93 plädiert ebenfalls dafür, sich nicht auf den „bequemen § 17 BeurkG zurück[zu]ziehen“. 476 Kühn, Internationales Unterhaltsrecht und Rechtswahl, S. 113, 121. 477 Kühn, Internationales Unterhaltsrecht und Rechtswahl, S. 113, 121. 473
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über das ausländische Recht in Erfahrung zu bringen.478 Notare können ein Gutachten beim Deutschen Notarinstitut in Auftrag geben, das auf ausländisches Recht spezialisiert ist und gerade die für die Praxis wichtigen Fragen beantworten kann. Das macht die Beratung wegen der zusätzlichen Kosten für das Gutachten jedoch umständlicher und führt zu zusätzlichen Verzögerungen, die womöglich nicht alle Partner einhalten wollen. De lege lata ist die notarielle Beratung somit ein denkbarer, wenn auch nicht völlig sicherer Weg, um eine kontrollfeste Rechtswahlbeteiligung abzuschließen. An den praktischen Grenzen bei der Beratung über ausländisches Recht wird sich auch in naher Zukunft nichts ändern. Das Haager Unterhaltsprotokoll und auch die europäischen Verordnungen sehen keine Pflicht vor, dass über das ausländische Recht unterrichtet wird. Sie stellen diese Möglichkeit vielmehr in das Umsetzungsermessen der Mitgliedstaaten. Rein praktisch ist es den Notariaten auch kaum möglich, diese Aufgaben wahrzunehmen. Hier ist eine staatliche und zentrale Informationspolitik nötig, die aber bislang immer noch in ihren Anfängen steckt. Diese erscheint immer dringlicher, je genauer man sich andere Alternativen ansieht. Je kontrollfester die Parteien eine Rechtswahlvereinbarung gestalten wollen, desto teurer ist sie für sie. Ob bei der geltenden Rechtslage den Parteien überhaupt geraten werden kann, eine Rechtswahl einzugehen, erscheint fraglich, solange es keine flankierenden Maßnahmen zur Aufklärung gibt.479 Zumindest dürfte es sehr unwahrscheinlich sein, dass eine Rechtswahl über die Ausnahme nach Artikel 8 Abs. 5 a.E. HUP gerettet werden könnte, sofern nicht das Heimatrecht des beratenden Notars gewählt wird. Eine Rechtswahl ist daher am sichersten für diejenigen Paare, die die gleiche Staatsangehörigkeit besitzen und vor einem Umzug ins Ausland darauf Acht geben wollen, dass ihre Rechtsverhältnisse nicht einem Statutenwechsel unterliegen. Auch wenn ihn soweit keine Pflicht trifft, so könnte sich der deutsche Gesetzgeber überlegen, den § 17 Abs. 3 S. 2 BeurkG zu reformieren. Zumindest soweit es um eine Rechtswahl im Familienrecht geht, ist er nicht mehr zeitgemäß für die vielfältigen Aufgaben, die die Rechtsberatung heute stellen und bei den Möglichkeiten, sich verhältnismäßig leicht auch über ausländisches Recht informieren zu können. Notare könnten verpflichtet werden, auch über ausländisches Recht zu informieren, soweit sie die Beratung bei der Rechtswahl anbieten. Die nötigen Möglichkeiten, sich selbst in dieser Richtung fortzubilden oder sich wenigstens die Informationen von Dritten zu beschaffen, bestehen. bb) Anwaltliche Beratung Für die anwaltliche Beratung gilt grundsätzlich das gleiche wie für die notarielle Beratung. Bei anwaltlicher Beratung ist ebenfalls darauf zu achten, dass 478 479
Dethloff, FS Martiny, S. 41, 62 ff. Rieck, NJW 2014, 257, 261.
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beide Ehepartner über die Folgen der Wahl informiert werden und beide die Informationen auch tatsächlich verstehen. Dies sind schon für sich genommen hohe Anforderungen.480 Um die Gefahr der Interessenkollision zu vermeiden, empfiehlt es sich, wie es in anderen Ländern üblich ist, dass beide Parteien getrennte Rechtsberatung in Anspruch nehmen, auch wenn dies die Kosten steigen lässt.481 Bei anwaltlicher Beratung muss der Anwalt auch nicht über ausländisches Recht informieren. Dies ist aber Voraussetzung für eine sichere Wahl fremden Rechts. Solange dieser Schritt nicht stattfindet, ist auch die anwaltliche Beratung kein sicherer Weg, um eine Wirksamkeitskontrolle nach Artikel 8 Abs. 5 HUP auszuschließen. e) Fazit Informationen sind die Basis der Parteiautonomie. Man kann viel und lange über Bedingungen diskutieren, unter denen Machtgefälle zwischen Parteien zum Verschwinden gebracht werden können und durch die eine Selbstbestimmung der Parteien ermöglicht werden soll. Wenn die Parteien aber die Bedeutung ihres Handelns nicht überblicken können, wenn sie nicht genau wissen, was sie gerade tun, worauf sie sich verständigen und welche Folgen ihre Vereinbarung hat, ist jegliche Anstrengung in diesem Bereich vergebens. Es muss daher erstes Anliegen sein, dafür zu sorgen, dass die Parteien mit dem Instrument der Rechtswahl vertraut gemacht werden. Die Möglichkeiten dafür sind allerdings unzureichend. Aus eigenem Antrieb werden die Partner in der Regel nicht wissen, dass sie das auf ihre familiären Rechtsverhältnisse anwendbare Recht wählen können. Eheleute haben schon kaum Kenntnisse von den ganz rudimentären Rechtsfolgen der Eheschließung einer Rechtsordnung, mit der sie eigentlich gut vertraut sein sollten. Sollten die Eheleute doch eine Rechtswahl beabsichtigen, so verlangt dies ein umfassendes Wissen, auch über das gewählte Recht. Als juristische Laien können die Eheleute sich jedoch kaum ein entsprechendes Wissen aneignen. Die eigens zu solchen Zwecken eingerichtete Internetseite des EJN ist eher verwirrend als wirklich informativ. Die gut gestaltete Seite enthält keine Informationen zum Unterhaltsrecht. Die staatlichen Behörden bleiben weit hinter den Möglichkeiten zurück, die das Internet hier bietet. Sollten die Mitgliedstaaten realisieren, welche Potentiale in der Rechtswahl für Paare stecken, aber welche Risiken sie noch birgt, müssten sie hier überzeugende Konzepte vorlegen zur Vermittlung des Stoffes an Menschen, die wenig über Recht wissen. Dass dies möglich ist, zeigen etwa Projekte zum englischen Familienrecht. Ein wichtiges Projekt wäre es zunächst, die Seite des EJN auf einen akzeptablen Stand zu bringen. Will man 480 481
Dethloff, FS Martiny, S. 41, 49. Rieck, NJW 2014, 257, 262.
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aber die eine informierte Rechtswahl für alle Parteien ermöglichen, muss eine Internetseite mit sämtlichen Rechtsordnungen der Welt zur Verfügung gestellt werden. Gleichzeitig müssen Ehepaare in Behörden, vor allem beim Standesamt, gezielt auf die Möglichkeiten für die Rechtswahl und die Informationsmöglichkeiten im Internet hingewiesen werden. Hier könnten schon Broschüren mit weiterführenden Adressen, zumindest mit einem Hinweis auf die Internetpräsenz des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz, helfen. Die Rechtsberatung ist de lege lata nur effektiv, wenn es um die Wahl des Rechts am gewöhnlichen Aufenthalt geht, etwa weil die Eheleute ein einmal anwendbares Recht, an das sie sich gewöhnt haben, für die Zukunft bewahren möchten, weil sie umziehen wollen. Sobald es aber um die Wahl ausländischen Rechts geht, treten kaum zu überwindende Schwierigkeiten auf. Notare sind nach § 17 Abs. 3 S. 2 BeurkG nicht verpflichtet, über ausländisches Recht zu unterrichten. Dann ist das Ziel, die Parteien aufzuklären, in diesen Fällen aber nicht zu erreichen. Es gibt aber für Notare auch die Möglichkeiten, Auskünfte über fremdes Recht zu erhalten. Eventuell ist über eine Neuregelung nachzudenken, nach der Notare eine Wahl eines ausländischen Rechts nur beurkunden können, wenn sie sich auch über dieses Recht informiert haben. Insgesamt muss daher konstatiert werden, dass der Ausschlussgrund in Artikel 8 Abs. 5 HUP nur dazu dienen kann, richterliche Willkür im Umgang mit Rechtswahlvereinbarungen zu begrenzen.482 In den allerseltensten Fällen dürfte ein Nachweis, dass sich beide Seiten der Folgen der Rechtswahl bewusst waren, überhaupt möglich sein. Gelingen kann er, wenn eine professionelle Beratung über die Wahl eines Rechts stattgefunden hat, mit dem die Rechtsberatung vertraut ist, also in der Regel nur bei ihrem eigenen Recht. Umso wichtiger erscheint es daher rückblickend, dass der Bewertungsmaßstab für die Unbilligkeit der Rechtswahl einheitlich und autonom an Artikel 14 HUP ausgerichtet wird, wenn sonst keine Begrenzung der gerichtlichen Willkür möglich ist. III. Rechtsfolgen Scheitert eine Rechtswahl an Artikel 8 Abs. 5 HUP, stellt sich die Frage, welches Recht stattdessen berufen wird. Nach der herrschenden Meinung kommt dann das objektiv anwendbare Recht nach den Artikel 3-6 HUP zur Anwendung.483
482
Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 150. Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 150; Staudinger/Mankowski, Artikel 8 HUP, Rn. 88; Rauscher/Andrae, Artikel 8 HUP, Rn. 27; NK-BGB/Bach, Artikel 8 HUP, Rn. 44; Hausmann, Internationales und Europäisches Scheidungsrecht, C, Rn. 694; Eschenbruch/Schürmann/Menne/Dörner, Kapitel 6, Rn. 288; Andrae, Internationales Familienrecht, § 8, Rn. 161. 483
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Vereinzelt wird argumentiert, dass nicht zwingend das gesamte Statut wegfallen muss, sondern dass nur soweit die Unkenntnis der einseitig belasteten Partei reicht, das objektiv berufene Recht zur Anwendung gelangen könnte, während es ansonsten beim gewählten Recht bleiben kann.484 Sind sich beide Parteien etwa genau der Höhe des Unterhalts bewusst, weiß eine der beiden aber nicht, dass der Unterhalt nur auf kurze Zeit begrenzt ist, dann könnte für die Höhe des Unterhalts das gewählte Recht angewendet werden, für die Dauer der Unterhaltsgewährung aber ein objektiv anwendbares Recht. Damit könnte der Wille der Parteien als Anknüpfungspunkt soweit er trägt respektiert werden. Letztlich läuft dies auf die Frage hinaus, ob der Parteiwille aufgeteilt werden kann in einen „gesunden“ und einen „kranken“ Teil. Viele Anwendungsfälle dürfte es kaum geben für so eine Aufspaltung. Die Unwissenheit der Partner wird sich in der Regel nicht nur auf wenige Details beziehen, sondern auf den ganzen Vorgang der Rechtswahl. Während es aber sicherlich theoretisch möglich ist, anhand der fehlenden Informationen zu bewerten, welche Regelung bewusst in den Anwendungswillen der Parteien aufgenommen wurden und welche nicht, scheint es nicht überzeugend, das Unterhaltsstatut aufzuspalten und zwei Rechtsordnungen zu berufen. Damit respektiert man nicht so sehr den Parteiwillen, sondern stützt sich vielmehr auf einen hypothetischen Willen, nämlich auf die Annahme, dass die Parteien trotz einer teilweisen Unwirksamkeit der Rechtswahl trotzdem auf der Anwendung des gewählten Rechts so weit wie möglich bestehen würden. Diese Annahme ist jedoch vorschnell und schwierig. In diesem Fall spricht jedoch nichts für einen solchen Willen. Im Gegenteil kann davon ausgegangen werden, dass die Parteien eine dépeçage nicht möchten, da sie zu Anpassungsproblemen führt und das Ergebnis der Rechtsanwendung letztlich für keine Partei vorhersehbar ist.485 Diese Lösung ist daher abzulehnen. Bei einem Eingreifen von Artikel 8 Abs. 5 HUP ist die Rechtswahl als gescheitert zu betrachten. Der Wille der Parteien hat in diesem Fall nicht die Qualität eines hinreichenden Anknüpfungspunktes. Das anwendbare Recht ist in daher objektiv zu bestimmen.
484 Die Idee wird vorgestellt, aber letztlich abgelehnt von Prinz, Das neue Internationale Unterhaltsrecht, S. 244 ff. 485 Prinz, Das neue Internationale Unterhaltsrecht, S. 245 f.
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IV. Bewertung der Wirksamkeitskontrolle im HUP 1. Grundsätzliche Bedeutung Die Wirksamkeitskontrolle nach Artikel 8 Abs. 5 HUP stellt eine der innovativsten Regelungen des Haager Unterhaltsprotokolls dar und war dementsprechend während der Verhandlungen auch stark umstritten.486 Das wird am deutlichsten beim Vergleich zum ordre public. Dieser hat zwar die Form einer Kollisionsnorm, beschränkt sich aber ausschließlich darauf, materiellrechtlichen Wertungen der lex fori zur Durchsetzung zu verhelfen, und zwar dann, wenn diese durch die Anwendung des ausländischen Rechts so stark bedroht werden, dass das Ergebnis inakzeptabel erscheint aus der Perspektive eben dieses eigenen Rechts. Der Ansatz der Wirksamkeitskontrolle ist ein anderer. Hier geht es nicht darum, ein bestimmtes materiellrechtliches Ergebnis zu erzielen. Dafür sind Artikel 14 HUP und der ordre public völlig ausreichend. Stattdessen geht es darum, die Freiheit des Parteiwillens sicherzustellen. Der übereinstimmend geäußerte Wille der Parteien ist Anknüpfungspunkt. Als solcher taugt der Parteiwille aber nur, wenn er tatsächlich frei geäußert und selbstbestimmt ist, also auf der tatsächlichen Autonomie der ihn äußernden Partei beruht. Allein die Feststellung dieser tatsächlichen Autonomie ist das Ziel der Wirksamkeitskontrolle. Es ist nicht das primäre Ziel, die Parteien vor Unbilligkeiten zu schützen, sondern ihrem freien Willen zur Durchsetzung zu verhelfen. Aus diesem Grund gibt es auch die Einschränkung der Wirksamkeitskontrolle nach Artikel 8 Abs. 5 HUP a.E. Unbillige Ergebnisse werden also akzeptiert, soweit sie vom Willen der Parteien getragen sind und nicht gegen die öffentliche Ordnung des Forums verstoßen. Das unangemessene Ergebnis ist lediglich ein Indiz dafür, dass der Wille nicht wirklich frei war. Diese Unfreiheit wird auf einen konkreten Grund zurückgeführt, nämlich das defizitäre Informationsniveau einer Partei über die Folgen der Rechtswahl. Ein solcher Grund kann für die Rechtswahl typisiert und generalisiert werden, da mit hoher Sicherheit davon auszugehen ist, dass die Mehrheit der Paare nicht über das nötige Wissen verfügt, um zwischen mehreren nationalen Rechten eine geeignete Auswahl für ihre familienrechtlichen Beziehungen zu treffen. Damit ist klar, dass die Wirksamkeitskontrolle ein Instrument internationalprivatrechtlicher Gerechtigkeit ist, das die Wirksamkeit des Anknüpfungspunktes überprüfen und nicht, wie der ordre public, ein bestimmtes sachrechtliches Mindestniveau garantieren soll. Dies verrät viel über die Materialisierung der Parteiautonomie im Vergleich zur Privatautonomie des Zivilrechts. Beide befinden sich auf dem etwa gleichen Stand. Das Europäische Kollisionsrecht akzeptiert und respektiert die Au-
486
437.
Prinz, Das neue Internationale Unterhaltsrecht, S. 242; Borrás, R.E.D.I. 2007, 434,
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tonomie der Parteien. Ein auf gleicher Augenhöhe und mit dem gleichen Informationsniveau ausgehandeltes Ergebnis wird nicht in Frage gestellt. Der Wille der Parteien ist dann ein regelrechter Anknüpfungspunkt, der genau so wirkt wie eine objektive Bestimmung des anwendbaren Rechts. Dies ist ein Ausdruck der Reflexivität des Rechts, dass es nämlich den Parteien erlaubt wird, ihre Wünsche und Vorstellungen im System Recht wirken zu lassen und ihre Pläne umzusetzen. Voraussetzung für die Akzeptanz des Willens ist aber, dass tatsächlich Bedingungen zur freien Willensbildung gegeben sind und nicht eine Partei so schwach und von den Anforderungen der Rechtswahl so überfordert ist, dass sie gar nicht weiß, was sie tut. Dadurch vermeidet das Kollisionsrecht ein Abgleiten in Freiheitsideologie und das dialektische Umschlagen von Auto- in Heteronomie. Ähnlich wie beim Schwächerenschutz des Bürgerlichen Rechts hat es dafür zwei Ansätze. Der vorzugswürdige Weg besteht darin, die Hindernisse, die der tatsächlichen Autonomie im Wege stehen, schon während des Vertragsschlusses einzuebnen. Das erfordert, neben der Begrenzung der Rechtswahl, formelle sowie materielle Bedingungen des Abschlusses des Rechtswahlvertrags. Diese Hürden lassen aber immer noch Lücken offen. Daher ist es ein wichtiger Schritt, eine zweite, zeitlich nachgelagerte Schutzebene zu schalten. Extrem unangemessene Ergebnisse können mit Hilfe des ordre public vermieden werden. Dieser hat jedoch den Nachteil, dass er keine Hilfe bietet, wenn das gewählte Recht die lex fori ist und der schwächeren Partei gerade durch die Wahl dieses Rechts die Vorzüge einer anderen Rechtsordnung genommen werden. Der Einwand der öffentlichen Ordnung ist auch nicht so gut darauf zugeschnitten, die kollisionsrechtlichen Defizite auszugleichen, die, vereinfacht gesagt, schlicht in der Wahl eines unangemessenen Anknüpfungspunktes liegen, nämlich die Parteiautonomie. Hier ist die Wirksamkeitskontrolle nach Artikel 8 Abs. 5 HUP das bessere Instrument. Das grundsätzliche Konzept der Wirksamkeitskontrolle ist somit durchaus überzeugend. Es bleibt jetzt im Einzelnen zu überlegen, ob die konkrete Ausgestaltung von Artikel 8 Abs. 5 HUP auch im Detail überzeugt. Einige Punkte bieten Anlass zu Kritik. 2. Anwendungsbereich der Wirksamkeitskontrolle Vergleicht man die beiden Normen zur Rechtswahl im Unterhaltsprotokoll, Artikel 7 und 8 HUP, fällt die unterschiedliche Länge beider Vorschriften auf. Während die allgemeine Rechtswahlnorm viele verschiedene Maßnahmen vorsieht, um die Risiken einer ungeschützten Parteiautonomie zu vermeiden, enthält die Wahl der lex fori für ein einzelnes Verfahren kaum Bedingungen. Das wurde oft kritisiert.487 In diesem Zusammenhang soll daher noch die Frage aufgegriffen werden, ob die Wirksamkeitskontrolle nach Artikel 8 487
Prinz, Das neue Internationale Unterhaltsrecht, S. 216 ff.; Bartl, Die neuen Rechtsinstrumente zum IPR des Unterhaltsrecht, S. 107; Andrae, FPR 2008, 196, 199.
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Abs. 5 HUP auch auf die Rechtswahl nach Artikel 7 HUP Anwendung finden sollte. Das lässt sich angesichts der Systematik der Norm jedoch nicht vertreten. Die Vorschrift ist allgemein formuliert und spricht nur von dem „von den Parteien bestimmte[n] Recht“. Dies könnte theoretisch auch die Wahl des Rechts des angerufenen Gerichts umfassen. Aber gerade aus der Position als letzter Absatz von Artikel 8 statt als ein eigenständiger Artikel 9 lässt sich schließen, dass sich die Kontrolle nur auf die Rechtswahl nach Artikel 8 Abs. 1 HUP bezieht. Diese somit eindeutig gewollte Beschränkung ist allerdings problematisch. Sie wäre nur unter zwei alternativen Bedingungen gerechtfertigt. Entweder sind die Schutzvorkehrungen bei Artikel 7 HUP so gut, dass eine Wirksamkeitskontrolle keine Rolle mehr spielt, oder die Wahl der lex fori ist so ungefährlich, dass sie zu keinem unangemessenen und unbilligen Ergebnis führen kann. a) Unbilligkeit des Ergebnisses Ein unbilliges Ergebnis kann bei Artikel 7 HUP nicht so einfach identifiziert werden wie bei der allgemeinen Rechtswahl nach Artikel 8 HUP, aber es kann auch nicht vollständig ausgeschlossen werden. Hierbei muss das Ziel von Artikel 7 HUP im Ganzen in den Blick genommen werden. Man sollte beachten, dass das materiellrechtliche Ergebnis nicht der eigentliche Schwerpunkt oder die Zielrichtung von Artikel 8 Abs. 5 HUP ist, sondern lediglich ein Indiz dafür, dass der Parteiwille nicht autonom gebildet worden ist und die Rechtswahl daher nicht als Anknüpfungspunkt dienen sollte. Es geht hier um internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit, nicht so sehr um sachrechtliche. Speziell Artikel 7 HUP bietet den Parteien zusätzliche internationalprivatrechtliche Vorteile, die bei einer alleinigen Betrachtung des sachrechtlichen Ergebnisses übersehen werden würden, obwohl sie eventuelle sachrechtliche Nachteile ein Stück weit ausgleichen können. Die Wahl der lex fori, der Gleichlauf von Forum und Recht, vereinfacht nämlich das Verfahren für das Gericht und damit auch für die Parteien. Das Ergebnis ist daher zum Zeitpunkt der Wahl bereits leichter zu prognostizieren. Es müssen keine Recherchen über ausländisches Recht angestellt werden. Das Gericht ist sicherer im Umgang mit dem eigenen Recht und der Prozess kann effizienter durchgeführt werden.488 Allerdings sollten diese Vorzüge auch nicht überschätzt werden. Die Parteien wollen im Zweifel kein schnelles Verfahren, sondern im Rechtsstreit obsiegen.489 Es kann also durchaus auch bei Artikel 7 HUP zu einem unangemessenen und unbilligen Ergebnis für eine der Parteien kommen. Rechtssicherheit und
488 489
Prinz, Das neue Internationale Unterhaltsrecht, S. 216; Andrae, FPR 2008, 196, 199. Schurig, RabelsZ 59 (1995), 229, 240.
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Prozessökonomie sind in diesem Licht keine besonders wertvollen Argumente. b) Schutz bei der Rechtswahl Wenn es um die Frage geht, ob bei Artikel 7 HUP Schutzlücken bestehen, muss zwischen zwei möglichen Zeitpunkten unterschieden werden, zu denen jeweils unterschiedliche Voraussetzungen greifen. Es kann differenziert werden zwischen der Wahl der lex fori vor Einleitung des Verfahrens (Artikel 7 Abs. 2 HUP) und nach Einleitung des Verfahrens (Artikel 7 Abs. 1 HUP). aa) Artikel 7 Abs. 1 HUP Für die Rechtswahl nach Einleitung des Verfahrens sieht Artikel 7 Abs. 1 HUP fast keine Einschränkung mehr vor. Das gewählt Recht muss ausdrücklich bezeichnet werden, eine bloße Bezugnahme auf nationale Vorschriften reicht nicht.490 Die Parteien müssen sich bewusst sein, dass sie eine Rechtswahl vornehmen. Der Anspruch, dass die Parteien eine informierte Rechtswahl vornehmen, liegt auch dieser Regelung zu Grunde.491 Hinter Artikel 7 Abs. 1 HUP steht die Überlegung, dass die Parteien im Prozess die Möglichkeit haben, die notwendigen Informationen zu erhalten und Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Parteien werden oft anwaltlich vertreten sein. Zudem darf nicht vergessen werden, dass das Gericht den Prozess begleiten kann, darauf zu achten hat, dass die Parteien wirklich verstehen, was sie tun, und dass es sie über die Risiken aufklären muss, wenn sie von der Wahl überfordert scheinen. Den richterlichen Pflichten bei der Prozessleitung dürfte dieses Minimum der Beratung entsprechen.492 Es scheint daher vertretbar, für die Wahl der lex fori nach Einleitung des Verfahrens keine Wirksamkeitskontrolle vorzusehen. Eine ungefähr gleichwertige Verhandlungsposition kann hier hergestellt werden. bb) Artikel 7 Abs. 2 HUP Schwieriger zu beurteilen ist jedoch die Wahl nach Artikel 7 Abs. 2 HUP vor Einleitung des Verfahrens. Hier ist nicht sichergestellt, dass beide Parteien wirklich über die Risiken der Rechtswahl informiert sind.493 Die Schriftform ist dafür auf keinen Fall ausreichend. Eine zeitliche Begrenzung der Rechtswahl ist auch nicht möglich.494 Sie lässt sich mit keinem Wort dem Gesetzestext entnehmen. Eine Begrenzung erfährt die Wahl immerhin dadurch, dass sie 490
Andrae, Internationales Familienrecht, § 8, Rn. 152. Vgl. Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 119. 492 Vgl. BT-Drucks. 17/11049, S. 8 für die Rom III-VO. 493 Siehe oben § 4 C. II. 4. 494 Siehe oben § 5 B. II. 1. b) und Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 120; Eschenbruch/Schürmann/Menne/Dörner, Der Unterhaltsprozess, Kapitel 6, Rn. 279. 491
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sich auf ein konkretes Verfahren beziehen muss. Das Gericht und das anwendbare Recht müssen also bereits feststehen. Eine Blanko-Rechtswahl für die lex fori ist nicht möglich.495 Sichergestellt ist dadurch aber nicht, dass jede Partei sich über die Folgen der Wahl vollends bewusst ist. Der ordre public greift in diesem Fall grundsätzlich nicht, Artikel 14 HUP jedenfalls nicht immer. Es liegt eine Schutzlücke vor, die es zu schließen gilt. Wenn Schutzlücken existieren, stellt sich zunächst die Frage, ob sie sich durch Rechtsfortbildung schließen lassen. Daher ist zu überlegen, ob Gerichte bei einer Rechtswahl der lex fori Artikel 8 Abs. 5 HUP in analoger Anwendung heranziehen können. Zwar müssten sie dafür die Hemmung überwinden, ihr eigenes Recht als unangemessen und unbillig für diesen Fall zurückzuweisen. Schließlich müssen sie eine Wertung aus der Perspektive der unzureichend informierten Partei vornehmen. Voraussetzung für eine analoge Anwendung ist aber, dass die Schutzlücke gleichzeitig auch eine Lücke im Protokoll selbst darstellt. Hier drängen sich Zweifel auf. Es ist davon auszugehen, dass bei den Verhandlungen die Differenz im Schutzniveau zwischen Artikel 7 und 8 HUP bewusst gewählt worden war, weil gerade der Schutz schwächerer Parteien als Hauptargument gegen die Rechtswahl vorgebracht wurde.496 Trotzdem hat man es bei dieser Fassung belassen, in der die Wirksamkeitskontrolle nur Ergänzung zu Artikel 8 Abs. 1 HUP ist. Andere Erwägungen als die Parteiinteressen spielten ebenfalls eine Rolle und führten zu der uneingeschränkten Geltung des Artikels 7 HUP: Insbesondere wollte man auch den Staaten entgegenkommen, die grundsätzlich in Unterhaltsverfahren nur ihr eigenes Recht anwenden.497 Von einer versehentlichen Lücke kann daher kaum ausgegangen werden.498 Eine analoge Anwendung kommt daher nicht in Frage. Eine Rechtsfortbildung kann nicht gegen den expliziten Willen der Vertragsstaaten vorgenommen werden. 3. Weitere Defizite der Parteiautonomie a) Schutzlücken durch die Verengung Es soll im Folgenden noch gefragt werden, ob ein Ausschluss von Artikel 8 Abs. 5 HUP in allen Fällen, in denen die durch die Wahl beschwerte Partei sich der Folgen ihrer Zustimmung bewusst war, tatsächlich gerechtfertigt ist. Das Problem liegt darin, dass es noch mehr Gründe und Strukturen gibt als bloßes Nichtwissen, die ein Verhandlungsungleichgewicht zwischen den Parteien herbeiführen können. Insbesondere kann das Verhältnis der Parteien so geartet 495
Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 120; Rauscher/Andrae, Artikel 7 HUP, Rn. 8; Lipp, LA Pintens, S. 847, 856. 496 Bartl, Die neuen Rechtsinstrumente zum IPR des Unterhalts, S. 107. 497 Rauscher/Andrae, Artikel 7 HUP, Rn. 1; NK-BGB/Bach, Artikel 7 HUP, Rn. 2. 498 Vgl. Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 111.
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sein, dass die eine Partei sich nicht in der Lage sieht, dem Vorschlag der anderen zu widersprechen. Eine Situation muss dabei nicht stets bereits den Tatbestand der § 123 BGB oder § 134 BGB erfüllen. Es reicht schon, ein Beispiel aus dem nationalen Familienrecht heranzuziehen, die Wirksamkeitskontrolle von Eheverträgen.499 Als das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, dass die Gerichte bei der Beurteilung von Eheverträgen beachten müssen, ob die Ehegatten auch tatsächlich und nicht bloß formell frei gewesen sind, um ihre Zustimmung zu erteilen, ging es nicht darum, dass eine Partei die Ehevertragsregeln nicht gekannt hat. Im konkreten Fall war die Frau schwanger, der Ehemann drohte, sie mit dem Kind alleine zu lassen. Schwangere stehen unter dem besonderen Schutz der Rechtsordnung, Artikel 6 Abs. 4 GG.500 Das BVerfG erklärte es für unzulässig, dass ein Ehemann die Schwangerschaft der Frau ausnutzt, um eine Einigung zu erzielen, die er ohne die Schwangerschaftssituation nicht erreichen würde. Solche Situationen struktureller Unterlegenheit treten nach wie vor auf.501 Eine solche Schwächesituation führt dazu, dass die Richtigkeitsgewähr der materiellen Einigung nicht mehr greift. Soll es aber in diesen Fällen bei der Wahl des Unterhaltsstatuts tatsächlich keine Kontrolle der Wahl geben, weil die belastete Person wusste, was sie tut, aber keine andere Möglichkeit sah, als ihre Zustimmung zu geben? Ein Ausschluss der Inhaltskontrolle wäre hier nicht überzeugend und entspricht auch nicht dem Telos der Norm, die ein Ausnutzen der unterlegenen Partei gerade vorsieht. b) Schwierigkeiten der Generalisierung und Orientierung an allgemeinen Rechtsprinzipien In diesen Fällen ist es angezeigt, den Ausschluss nach Artikel 8 Abs. 5 HUP a. E. nicht zuzulassen. Es bedarf jedoch bestimmter Kriterien dafür bei welchen Defiziten nicht auf das positive Wissen der schwächeren Partei von der für sie ungünstigen Rechtswahl abgestellt werden darf. Die Aufgabe der Einschränkung von Artikel 8 Abs. 5 HUP a.E. (die in der Praxis selten greift) ist es, gerichtliche Willkür zu verhindern und Rechtssicherheit im Umgang mit Rechtswahlverträgen zu fördern. Doch wie sich im nationalen Familienrecht gezeigt hat, ist es in diesem Bereich äußert schwierig, geeignete Strukturmerkmale für ein Verhandlungsungleichgewicht zu finden.502 Immerhin gibt es eine Möglichkeit, nur solche Kriterien heranzuziehen, die auf einer gemeineuropäischen Überzeugung beruhen, die also nicht nur einem 499
BVerfG, FamRZ 2001, 343; vgl. auch Röthel, JbItalR 25 (2012), 3, 12 f. Der Artikel spricht von Müttern, umfasst aber auch schon Schwangere, BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 1972, BVerfGE 32, 273, 277. 501 Vgl. zuletzt OLG Oldenburg, Beschluss vom 10. Mai 2017, Az. 3 W 21/17, NZFam 2017, 1112. 502 Siehe oben § 2 C. II. 2. b). 500
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mitgliedstaatlichen Recht entnommen sind, sondern bei denen man rechtsvergleichend von einem internationalen Konsens sprechen kann. Orientierung bietet vor allem das Europäische Privatrecht. Bereits in den Principles of European Contract Law (PECL) lässt sich eine Vorschrift finden, die für den hier interessierenden Kontext herangezogen werden kann. Es geht um einen besonderen Anfechtungsgrund wegen übermäßigem Vorteil oder unangemessener Ausnutzung gemäß Artikel 4:109: PECL. Zwar ist der dogmatische Kontext eigentlich ein anderer: Geht es in den PECL an dieser Stelle um Anfechtungsgründe, so handelt es sich bei Artikel 8 Abs. 5 HUP um eine von Amts wegen vorzunehmende Rechtswahlkontrolle. Dieser Unterschied spricht aber nicht dagegen, die inhaltlichen Kriterien für das Unterhaltsprotokoll heranzuziehen.503 Die genaue dogmatische Ausgestaltung ist Sache des Gesetzgebers. Es bleibt ihm überlassen, ob er ein Anfechtungsrecht gestatten will oder eine gerichtliche Kontrolle. Die Rechtswirkungen sind letztlich gleich. Die ipso iure-Unwirksamkeit der Rechtswahl kommt dem Schutz der schwächeren Partei stärker entgegen, vor allem, wenn die Ungleichgewichtssituation noch fortwirkt, und hängt nicht von der Einhaltung bestimmter Fristen ab. Die Lösung von Artikel 8 Abs. 5 HUP ist einem Anfechtungsrecht daher sogar noch vorzuziehen504. Vor allem ist der Inhalt, sind die Tatbestandsvoraussetzungen gleich, weil es auch beim HUP darum geht, wann eine Übervorteilung oder eine unangemessene Ausnutzung individueller Schwächesituationen angenommen werden kann. Nach Artikel 4:109: Abs. 1 PECL kann eine Partei anfechten, wenn sie „von der anderen Partei abhängig war oder zu ihr einem Vertrauensverhältnis stand, sich in einer wirtschaftlichen Notlage befand oder dringende Bedürfnisse hatte, unvorsichtig, unwissend, unerfahren war oder ihr Verhandlungsgeschick fehlte“ und „die andere Partei davon Kenntnis hatte oder haben musste“.505 Ähnliche Vorschriften finden sich auch in anderen Rechtstexten des Europäischen Privatrechts, in Artikel II. – 7:207: DCFR, Artikel 48 Feasibility Study und Artikel 51 GEK.506 Man kann daher von einer grundsätzlichen Akzeptanz und Verbreitung des Regelungsinhalts ausgehen.507 Natürlich lassen sich die unterschiedlichen Kriterien nicht ohne weiteres an die Situation im Internationalen Familienrecht anpassen. Das „Vertrauensverhältnis“ kann nicht etwa automatisch zu einer teleologischen Reduktion füh-
503
Vgl. auch Martens, Einigungsmängel im EU-Kaufrecht, S. 179, 190. So für die Lösung im GEK Looschelders, AcP 212 (2012), 581, 628. 505 Die weiteren Voraussetzungen sind hier nicht entscheidend, weil sie von Artikel 8 Abs. 5 HUP durch die Voraussetzung eines offensichtlich unangemessenen und unbilligen Ergebnisses bereits aufgefangen wurden. 506 Martens, Einigungsmängel im EU-Kaufrecht, S. 179, 188 f. 507 Grundsätzlich zum Modellcharakter der PECL für die Entwicklung des Europäischen Privatrechts etwa Jansen/Zimmermann, AcP 210 (2010), 196, 198, zum Irrtumsrecht S. 235. 504
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ren. Hier kommt es zu einer Zwickmühle. Zwar entstehen Machtgefälle oft genau aus dem einseitigen Vertrauen und der emotionalen Verbundenheit mit dem Partner.508 Gemeint sind viele Fälle, in denen eine Partei einer für sie unbilligen Regelung aus rein emotionalen Gründen zustimmt, etwa aus starker Verliebtheit und einem übermäßigen Vertrauen, wenn vielleicht sogar der Partner versichert, niemals gegen die Interessen der Partei zu handeln und sie nicht übermäßig zu belasten.509 Andererseits sind diese Vertrauensverhältnisse gerade typisch für Familien, so dass es schwierig ist, die Grenze der Schutzbedürftigkeit zu ziehen, will man nicht den Grundsatz der Autonomie im Familienrecht aufgeben.510 Soweit muss der Schwächerenschutz aber nicht gehen. Es mag uns in vielen Situationen ein persönlicher, familiärer Vertrauensbruch anstößig erscheinen. Trotzdem kann daraus nicht immer ein strukturelles Ungleichgewicht gefolgert werden, das einen fairen Abgleich der Interessen verhindert. Oft handelt es sich um persönliche Unvorsichtigkeit, Naivität, für die die Parteien selbst Verantwortung tragen. Der Schwächerenschutz kann nicht dazu dienen, jede Unbilligkeit des Vertragsrechts zu vermeiden. Hilfreicher könnte da schon das Kriterium der Abhängigkeit von der anderen Partei sein. Ob eine Abhängigkeit vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls. Vor einer zu schnellen Annahme ist zu warnen. Es müssen die Lebensverhältnisse der Parteien und ihre persönliche Beziehung dabei in Augenschein genommen werden. Unter die Abhängigkeit könnte etwa die Schwangerschaft im genannten Beispielsfall subsumiert werden. Überhaupt dürfte ein entscheidender Faktor die Existenz von gemeinsamen Kindern und die Verteilung der Erziehungsaufgaben unter Ehegatten sein. Es bietet sich an, diese Abhängigkeit – um diesen Begriff eine deutlichere Kontur zu geben511 – auf die weiteren in der Norm genannten Aspekte der Biografie der beiden Partner zurückzuführen, nämlich wirtschaftliche Notlage oder besondere Bedürfnisse. Es kann auch berücksichtigt werden, ob ein Partner sich einen Druck zu Nutze macht, den Dritte auf die unbedarfte Person ausüben, sei es aus dem familiären oder sozialen Umfeld, wenn etwa eine Person zu einer Heirat und dem Abschluss eines Ehevertrages durch ihre Verwandtschaft gedrängt wird. Ein alleiniges Abstellen auf das Geschlecht und die Annahme, Frauen wären ihren Ehemännern typisierbar strukturell unterlegen, verbietet sich auch hier. Zwar ist das Geschlechterverhältnis weiter ein wunder Punkt der Gesellschaft, die eine tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter nicht erreicht hat und Frauen vor allem bei der Verteilung der Erziehungsarbeit mit der Verantwortung oft allein lässt. Doch ist dieses Geschlechterproblem zu allgemein und damit zu grob und zu 508
Röthel, NJW 2012, 337, 338; Dauner-Lieb, FS Brudermüller, S. 99, 107 f. Vgl. Dethloff, Contracting in family law: A European perspective, S. 65, 86. 510 In diese Richtung Dauner-Lieb, FS Brudermüller, S. 99, 105 ff. 511 Für zu unbestimmt hält den Begriff etwa Maugeri, European Review of Contract Law 7 (2011), 219, 221. 509
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pauschal, um in der Einzelfallanwendung wirklich weiterzuführen. Andererseits ist es wahrscheinlich auch zu kurz gegriffen, die Schutzbedürftigkeit für die Wirksamkeitskontrolle nur auf die Schwangerschaft, wo unstreitig eine besondere Verletzlichkeit besteht, zu beschränken. Mehr als generalklauselartige Kriterien, die jeweils eine genaue und akribische Prüfung des Einzelfalls verlangen, werden kaum genannt werden können. Die Willkür der Rechtsanwendung wird dabei reduziert durch das Erfordernis des kumulativen Vorliegens mehrerer Kriterien und einer Ableitung des einen aus den anderen sowie durch das Gebot der zurückhaltenden Anwendung und gewissenhaften Einzelfallprüfung. Möchte man für die Ausnutzung der Unterlegenheit des anderen Vertragspartners bei der Rechtswahl eine teleologische Reduktion des Ausschlussgrundes von Artikel 8 Abs. 5 HUP vornehmen, muss die andere Partei jedoch von der Schwächesituation positive Kenntnis haben. Dadurch kommt erst zum Ausdruck, dass die stärkere Partei sich der strukturellen Schwäche bemächtigt und sie ausnutzt. Besteht die stärkere Partei auf Abschluss der Rechtswahl, obwohl sie die Unterlegenheit der anderen Partei sieht, kann davon ausgegangen werden, dass sie sich genau diese Schwäche zunutze machen möchte. c) Fazit Somit ist es in einigen Situationen nicht möglich, die Rechtswahl aufrechtzuhalten, obwohl bei der benachteiligten Partei positive Kenntnis über die Folgen der Rechtswahl bestand. Das ist dann der Fall, wenn sich eine Partei zurzeit der Rechtswahl in einer strukturellen Schwächesituation befand und diese von der anderen Partei ausgenutzt wurde. Zur Konkretisierung dieser Ausbeutungssituation kann auf die im Europäischen Vertragsrecht gesammelten Kriterien zurückgegriffen werden, die freilich der Anpassung an die spezifische Situation des Familienrechts bedürfen. Das Merkmal des persönlichen Näheverhältnisses führt hier daher nicht viel weiter. Eher wird es um eine persönliche Abhängigkeit gehen, die aus einer eigenen wirtschaftlichen Notsituation oder anderen besonderen Bedürfnissen resultieren kann. Hierbei ist vor allem darauf zu achten, ob eine der Parteien hauptsächlich mit der Kindererziehung belastet war oder ob eine Schwangerschaft im Zeitpunkt der Rechtswahl vorlag. Zudem muss die von der Wahl profitierende Partei die strukturelle Unterlegenheit gekannt und ausgenutzt haben. Es wäre ungerecht, in solchen Situationen die schwächere Partei an ihre formelle Zustimmung zu binden, und zynisch, sie darauf hinzuweisen, dass sie sich doch der Folgen bewusst war. Dies entspricht nicht dem Sinn und Zweck von Artikel 8 Abs. 5 HUP. B. Rechtswahlkontrolle im Anwendungsbereich der Rom III-VO Häufig angesprochen, aber noch völlig ungeklärt ist die Frage, ob im Rahmen der Rom III-VO eine Wirksamkeitskontrolle notwendig oder sinnvoll bzw.
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3. Kap.: Schwächerenschutz nach Vertragsschluss
überhaupt zulässig ist. Es erscheint sinnvoll, dieses Problem in mehrere Teilaspekte zu zerlegen, die nacheinander beantwortet werden sollen, wobei die Komplexität des Problems es bedingt, dass sich diese Teilprobleme gegenseitig durchdringen und voraussetzen, was eine streng lineare Darstellung verhindert und an einzelnen Stellen zu Vor- und Rückgriffen nötigt. Letztlich muss das Gesamtbild stimmig sein. Zuerst stellt sich die Frage, ob eine Kontrolle der Rechtswahl sinnvoll ist und überhaupt einen eigenen Wert hat, oder ob sie nicht eher überflüssig ist. Diese Frage lässt sich noch verhältnismäßig leicht beantworten, da hierbei auf vieles zurückgegriffen werden kann, was bereits gesagt wurde (I.). Schwieriger ist die Frage, auf welcher Ebene die Kontrolle der Rechtswahl stattfinden soll: auf einer autonom-europäischen Ebene oder auf Ebene der nationalen Rechte im Rahmen des Rechtswahlstatuts. Dieses Problem ist letztlich kaum zu trennen von der Frage der Notwendigkeit einer Wirksamkeitskontrolle, also der Frage, ob eine solche Kontrolle nicht nur sinnvoll, sondern auch zwingend geboten ist. Dies muss sich aus der Verordnung selbst oder höherrangigem Recht ergeben (II.). Offen ist zuletzt der genaue dogmatische Zuschnitt dieser Kontrolle. Soll diese genau wie im Unterhaltsprotokoll vorgenommen werden und sich nach denselben Billigkeitskriterien richten oder erfordert die Rom III-VO Modifikationen, die sich an den spezifischen Gerechtigkeitskriterien der Verordnung orientieren? I. Sinn und Zweck einer Richtigkeitskontrolle der Rechtswahl im Rahmen der Rom III-VO 1. Meinungsbild in der Literatur Das Meinungsbild im Schrifttum über die Sinnhaftigkeit einer Wirksamkeitskontrolle bei der Rechtswahl nach Artikel 5 Rom III-VO ist in zwei Lager gespalten. Viele Kommentare beschränken sich auf die Frage, ob eine solche Kontrolle de regulatione lata überhaupt zulässig ist, kommen zu einem negativen Ergebnis und belassen es dabei.512 Prominent äußert sich die Bundesregierung zum Entwurf des Gesetzes zur Anpassung des deutschen Rechts an die Rom III-VO, dass eine Wirksamkeitskontrolle vom Verordnungstext nicht gefordert und auch gar nicht notwendig sei. Vielmehr ermöglichten der beschränkte Amtsermittlungsgrundsatz des „§ 27 FamFG“513 sowie die Prozessführungsfunktion des Gerichts eine Einflussnahme auf den Vorgang der Rechtswahl, durch die sichergestellt werden könne, dass sich die Ehegatten der Bedeutung der Wahl bewusst würden und 512
Vgl. etwa Gruber, IPRax 2012, 381, 386 f.; Hau, FamRZ 2013, 249, 252. Gemeint ist wohl § 127 FamFG; auch NK-BGB/Hilbig-Lugani, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 18a, Fn. 121. 513
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ihre Konsequenzen einschätzen könnten, weshalb keine Schutzlücke ersichtlich sei.514 Andere Stimmen sind der Auffassung, dass zumindest die Schutzinstrumente, die die Rom III-VO selbst enthält, ausreichend seien, um strukturelle Ungleichheiten der Partner zu vermindern, so dass freie Entscheidung garantiert sei und die Ergebnisse daher hingenommen werden sollten. Insbesondere wird dabei an das Problem von Informationsdefiziten und intellektueller Überforderung durch die Rechtswahl gedacht. Diese Hürden könnten aber überwunden werden durch die Eingrenzung der Wahlmöglichkeiten und die Formvorschriften, zumindest die gehobenen Formerwartungen der mitgliedstaatlichen Rechte.515 Selbst wo eingestanden wird, dass ein informierter Konsens kaum realistisch in allen Fällen gewährleistet werden kann, verspricht man sich ausreichenden Schutz über den ordre public und nah mit ihm verwandte Normen wie Artikel 10 Rom III-VO.516 Darüber hinaus wird sogar argumentiert, dass es, außer in wenigen Ausnahmefällen, überhaupt nicht zu einem für die Parteien unangenehmen, interessenwidrigen oder sogar unbilligen Ergebnis kommen könne: Eine schnelle Scheidung sei grundsätzlich in allen (europäischen) Staaten ohne Schwierigkeiten zu erzielen, so dass sich die Ergebnisse der Rechtsordnung in der Regel nicht unterschieden.517 Dem Scheidungsstatut komme auch nicht mehr die Bedeutung für die Scheidungsfolgen zu, die ihm nach dem alten deutschen Recht (vor allem Artikel 18 EGBGB a.F.) zustand, da das Haager Unterhaltsprotokoll anders anknüpfe und ein Schutz beim Versorgungsausgleich durch das Antragsrecht nach Artikel 17 Abs. 3 S. 2 EGBGB sichergestellt werden könne.518 Schließlich gibt es Stimmen, die einer Wirksamkeitskontrolle grundsätzlich ablehnend gegenüberstehen, da sie richterlicher Willkür die Tore öffne und so das eigentliche Ziel der Verordnung, den Parteien Planungsmöglichkeiten und Rechtssicherheit über das anzuwendende Recht zu geben, gefährde.519 Gegen die (wohl) herrschende, ablehnende Meinung wurden jedoch verschiedene Argumente vorgebracht. Der Bundesregierung kann einmal entgegengehalten werden, dass die Prozessführungsfunktion des Gerichts nur dann weiterhilft, wenn die Parteien erst während des Scheidungsverfahrens eine Rechtswahl nach Artikel 5 Abs. 3 Rom III-VO vornehmen.520 Rechtswahlverträge vor Einleitung des Scheidungsverfahrens können auch durch die Prozess-
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BT-Drucks. 17/11049, S. 8. Für zu streng hält Artikel 46d Abs. 1 EGBGB Andrae, FS Martiny, S. 3, 16 ff. 516 Helms, LA Pintens, S. 681, 692 f.; Henrich, LA Pintens, S. 701, 707 ff. 517 Rauscher/Helms, Artikel 6 Rom III-VO, Rn. 6; ders., FS Coester-Waltjen, S. 431, 435, 441. 518 Helms, FamRZ 2011, 1765, 1768. 519 Jayme/Kohler, IPRax 2006, 537, 539; Gruber, Rechtswahl in der Rom III-VO, S. 33, 39; Arnold, Gründe und Grenzen der Parteiautonomie, S. 23, 49. 520 NK-BGB/Hilbig-Lugani, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 18a. 515
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leitung des Gerichts nicht mehr beeinflusst werden, wenn eine Wirksamkeitskontrolle nicht zulässig ist. Gerade diese Rechtswahlvereinbarungen, die wohl anlässlich der Heirat im Rahmen eines Ehevertrages geschlossen worden sind, also zu einem Zeitpunkt, als sich die Eheleute noch keine ernsten Gedanken über eine Scheidung gemacht haben, die Wahrscheinlichkeit eines Scheidungsfalls womöglich gedanklich zurückgewiesen haben, sind aber die Fälle, für die eine Wirksamkeitskontrolle sinnvoll ist. Für diese Rechtswahlverträge wird das Schutzsystem der Rom III-VO jedoch oft als nicht ausreichend angesehen.521 Das Schriftformerfordernis der Rom III-VO sei geradezu eine Einladung, „den anderen Partner über den Tisch zu ziehen“.522 Auch bei der notariellen Beurkundung hänge es davon ab, wie weit die Partner überhaupt informiert werden müssten, damit die Rechtsberatung sinnvoll eingesetzt werden könne. Müsste auch über ausländisches Scheidungsrecht beraten werden, sei ein ausreichendes Informationsniveau der Partner kaum gewährleistet. Da es durch die Rechtswahl zu unbilligen Belastungen der Partner kommen könne, die nicht durch den ordre public aufgefangen werden könnten, sei eine Wirksamkeitskontrolle grundsätzlich zu fordern.523 2. Eigene Stellungnahme a) Zum Schutzniveau der Rom III-VO Eine Wirksamkeitskontrolle wäre tatsächlich überflüssig, wenn das Schutzniveau der Rom III-VO lückenlos wäre – wenn also eine Unterrichtung aller Partner möglich wäre, diese genau über die Wirkungen und Folgen der Rechtswahl Bescheid wüssten und auch sonst keine strukturellen Ungleichheiten entstehen könnten, die eine Ausnutzung der Parteiautonomie förderten. Wie die vorangegangenen Analysen gezeigt haben, ist das Sicherheitsnetz aber gerade nicht lückenlos. Es besteht in allen untersuchten Bereichen ein mehr oder weniger großes Defizit. Zum einen ist die Begrenzung der Rechtswahl nicht gelungen.524 Bei der Wahl der Staatsangehörigkeit kann auch das Recht gewählt werden, das nicht als das effektive Recht betrachtet werden kann. Der Bezug des Staatsangehörigen zu seinem Land kann dabei so gering sein, dass es schwerlich plausibel zu machen ist, warum gerade diese Rechtsordnung gewählt werden sollte. Eine Begrenzung auf die Wahl der effektiven Rechtsordnung ist jedoch wie gezeigt nicht möglich, weil es für die Parteien umständlich wäre, diese Rechtsordnung 521
Stürner, Jura 2012, 708, 709; Rösler, RabelsZ 78 (2014), 155, 179 f. Schurig, FS von Hoffmann, S. 405, 408. 523 Für eine Wirksamkeitskontrolle Rauscher, IPR, Rn. 819; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, A, Rn. 360; Finger, FuR 2011, 61, 64; Becker, NJW 2011, 543, 545; Pfütze, ZEuS 2011, 35, 66 ff.; Röthel, JbItalR 25 (2012), 3, 11 f. 524 Siehe dazu oben § 4 B. II. 522
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zu bestimmen. Das Ziel der Rechts- und Planungssicherheit würde dadurch unterlaufen werden. Eine Anpassung der Anknüpfung bei Mehrstaatern an die veränderten Ausgangsbedingungen der Rechtswahl wurde noch nicht vorgenommen. Zudem wird über die misslungene Regel zur Unteranknüpfung nach Artikel 14 lit. c) Rom III-VO eine deutliche quantitative Erhöhung der wählbaren Rechtsordnungen bewirkt und die Wahl einer Rechtsordnung, zu der die Parteien keinen Bezug haben, begünstigt. Ferner ist die Wahl der lex fori eine Herausforderung, weil durch das Zuständigkeitssystem der Brüssel IIa-VO eine größere Zahl möglicher Foren entsteht und so die Begrenzungen der Rom III-VO unterlaufen werden. Eine zeitliche Begrenzung der vorsorgenden Rechtswahl gibt es nicht. Eine Blanko-Rechtswahl der lex fori erscheint denkbar. Aus Gründen des Schwächerenschutzes wäre es angemessen, eine solche vorausschauende Rechtswahl zu verbieten. Allerdings nimmt ein totales Verbot denjenigen Paaren, bei denen kein Verhandlungsungleichgewicht feststellbar ist, Planungsmöglichkeiten und erscheint damit als starker Eingriff in die Parteiautonomie. Das Gesamtbild ist daher unbefriedigend und bedürfte einer flexibleren Lösung als strikter Ja/Nein-Aussagen. Auf der nächsten Stufe des Schutzkonzeptes, wo es um den Abschluss der Rechtswahl geht, sind die formalen Anforderungen des Artikels 7 Rom III-VO ebenfalls nicht ausreichend.525 Dies gilt offensichtlich für die Schriftform nach Artikel 7 Abs. 1 Rom III-VO. Es ist bedauerlich, dass es die Verordnung den Mitgliedstaaten bloß freistellt, strengere Formerfordernisse zu erlassen, anstatt dies zwingend festzuschreiben. Hinzu kommt, dass die Alternativanknüpfung nach Artikel 7 Abs. 3 Rom III-VO das schwächere Recht fördert. Formvorschriften aus Nicht-Mitgliedstaaten werden überhaupt nicht in Betracht gezogen, obwohl es Rechtswahlmöglichkeiten für das Scheidungsrecht auch außerhalb der Union gibt. Dieser Eurozentrismus ist unverständlich. Zuletzt muss auch die grundsätzliche Pflicht zur Rechtsberatung an ihre Grenzen stoßen, wenn es um die Unterrichtung über ausländisches Recht geht.526 Die Regeln zur materiellen Wirksamkeit und die Anknüpfung des Rechtswahlstatuts bieten ebenfalls keine Gewähr, dass materielle Ungleichgewichtslagen ausgeräumt werden können, zumal in den meisten Fällen nur ein allgemeines Vertragsrecht berufen wird, das für die speziellen Konstellationen der Rechtswahl gar keine Regeln enthält. Schließlich bleiben noch der ordre public nach Artikel 12 und die eng verwandte Norm des Artikels 10 Rom III-VO. Diese Regeln sind sicherlich in der Lage, sachrechtlich unerträgliche Ergebnisse zu vermeiden.527 Artikel 10 Rom III-VO schießt dabei jedoch über das Ziel hinaus und ist wegen des kla-
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Dazu oben § 5 B. I, 2. Siehe dazu auch § 8 A. II. 3. d). 527 Siehe dazu oben § 7 A. III. 526
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ren, aber verfehlten Willens des Verordnungsgebers nach hier vertretener Ansicht auch durch Rechtsfortbildung nicht in den Griff zu bekommen. Der ordre public kann seinerseits grundsätzlich nur eine Notbremse sein, die die öffentliche Ordnung des Forums schützen soll. Er ist nicht auf die Fragen des Schwächerenschutzes zugeschnitten. Neben sachrechtlichen Folgen der Rechtswahl können bei der Rom III-VO aber auch Fragen der Verbundenheit der Eheleute mit dem gewählten Recht eine größere Rolle spielen. Es wird in der Tat weniger auf das grundsätzliche Ergebnis des Rechtsstreits ankommen (eine Scheidung wird fast immer möglich sein) als vielmehr – weil es um die persönlichsten Lebensverhältnisse der Ehegatten geht – auf die Art und Weise, wie man zu diesem Ergebnis gelangt und wie sich dieser Rechtsanwendungsprozess für die Beteiligten darstellt. Ist der Scheidungsprozess bloß etwas, was die Ehegatten über sich ergehen lassen müssen, oder ist es ein Prozess, der nach den Regeln abläuft, die sie frei gewählt haben, von deren Richtigkeit sie überzeugt sind und deren Inhalt sie als Ausdruck ihrer eigenen Vorstellung von Ehe und Scheidung erkennen, so dass sie das Ergebnis auch leichter akzeptieren können? Es wird zu zeigen sein, dass die klassischen Elemente der internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit im weniger materiell als emotionell und ideell aufgeladenen Scheidungsrecht eine größere Berücksichtigung finden müssen. Die Materialisierung der Parteiautonomie erfordert eine Einhegung und flexible Überprüfbarkeit des aus formeller Rechtswahlfreiheit resultierenden Ergebnisses, um der widersprüchlichen Entfaltung der Selbstbestimmung und ihres Umschlagens in Fremdbestimmung entgegenzuwirken. Hier müsste eine Wirksamkeitskontrolle der Rechtswahl ansetzen. b) Abwägung mit anderen Prinzipien der Rom III-VO Damit sind Funktion und Nutzen einer ex post-Kontrolle der Rechtswahlvereinbarung in der Rom III-VO geklärt, es muss aber noch eine Abwägung mit den anderen Zielen der Rechtswahl vorgenommen werden. Der Schutz schwächerer Parteien ist ein Rechtsprinzip. Rechtsprinzipien zeichnen sich dadurch aus, dass sie niemals vollständig verwirklicht werden können, sondern immer in Ausgleich mit anderen Rechtsprinzipien gebracht werden müssen.528 Daher könnte es letztlich sein, dass es zwar Defizite in der Autonomie der Parteien gibt, diese aber aus anderen Gründen hingenommen werden müssen. Es wird argumentiert, dass eine Wirksamkeitskontrolle zu Rechtsunsicherheit führen könne, da die Parteien ihre Handlungen im Vertrauen auf die Gültigkeit der Wahl auf die Vorgaben der gewählten Rechtsordnung ausgerichtet hätten und fest mit der Anwendung des formell bezeichneten Rechts rechneten.529 Diese Abwägung wird allerdings nur dann zu Gunsten der Rechtssicherheit ausfallen, wenn die Vorteile, die eine vollständige Materialisierung der 528 529
Siehe oben § 1 A. II. 4. d). Arnold, Gründe und Grenzen der Parteiautonomie, S. 23, 49
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Parteiautonomie mit sich bringen, nur minimal und für die Parteien kaum spürbar sind. Der Weg, den die Rom III-VO gewählt hat, um in internationalen Fällen diese Legitimität zu erzeugen, ist der gleiche Weg, den das Zivilrecht schon deutlich früher gegangen ist: die Aufwertung des Parteiwillens zum primären Anknüpfungspunkt. Der von den Parteien geäußerte Wille wird nicht mehr hinterfragt, sondern umgesetzt. Die Anknüpfung an die Rechtswahl ist aber nur dann wirklich gerechtfertigt, wenn der Wille materiell frei ist.530 Auf eine selbstbestimmt getroffene Vereinbarung müssen sich die Ehegatten verweisen lassen, auch wenn sie letztlich kein Interesse mehr an der Anwendung des gewählten Rechts haben. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Aufgabe, eine angemessene Anknüpfung zu finden, unter allen Umständen ernst zu nehmen ist, selbst wenn es im Scheidungsrecht um vergleichsweise wenig gehen sollte und sich eine Scheidung eventuell nur aufschieben, aber nicht vermeiden lässt.531 Auch das Scheidungsrecht und das Scheidungsverfahren müssen von den Parteien als gerecht empfunden werden. Das geht nicht, wenn es bereits auf Ebene des Kollisionsrechts eine Schutzlücke gibt, und zwar genau an der Stelle, wo den Parteien selbst die Verantwortung übertragen werden soll. Hinter dem einmal materialisierten Willensbegriff kann das Kollisionsrecht nicht zurückbleiben.532 Die Parteiautonomie wurde allseits zum wesentlichen, fortschrittlichen Merkmal der europäischen Kollisionsrechtsvereinheitlichung erklärt.533 Der Vergleich zum Privatrecht hat gezeigt, dass es nicht reicht, die Autonomie des Individuums zu proklamieren, diese dann aber dem Spiel freier Kräfte und ihrer negativen, dialektischen Bewegung auszusetzen. So wie die Privatautonomie eine Materialisierung benötigte, bedarf auch die Parteiautonomie der Materialisierung; und diese ist eben nicht abgeschlossen, solange nicht neben die lückenhaften Schutznormen zum Ausgleich von Ungleichgewichtslagen der Verhandlungsmacht vor Vertragsschluss ein Instrument tritt, das auch diejenigen Vereinbarungen ausschaltet, die durch dieses Schutznetz fallen, aber deren Anwendung im Ergebnis unbillig und unangemessen für die schwächere Partei ist. Der freie Wille der Parteien ist Selbstzweck. Nur er garantiert die Richtigkeit der Anwendung des gewählten Rechts. Somit gibt es keine anderen Prinzipien, wegen derer eine Wirksamkeitskontrolle nicht durchgeführt werden sollte.
530
Röthel, JbItalR 25 (2012), 3, 11 ff. Siehe oben § 2 C. I. 2. 532 Für ausdrücklich wünschenswert hält eine Wirksamkeitskontrolle daher auch NKBGB/Hilbig-Lugani, Art. 5 Rom III-VO, Rn. 25. 533 Siehe oben § 2 A. 531
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II. Zulässigkeit einer Rechtswahlkontrolle in der Rom III-VO Es ist nun zwar die Frage beantwortet, ob eine Wirksamkeitskontrolle in der Rom III-VO sinnvoll wäre. Damit ist allerdings noch nicht geklärt, ob sie auch zulässig ist. Der Verordnungstext schweigt dazu.534 Bevor darauf eingegangen wird, auf welchem dogmatischen Weg eine Wirksamkeitskontrolle vorzunehmen ist, lohnt es sich, festzustellen, ob es einen Weg gibt, die Sinnhaftigkeit der Wirksamkeitskontrolle normativ abzusichern und eine Pflicht zur ex postKontrolle herzuleiten. Da der Verordnungstext diesbezüglich keine Antworten gibt, muss höherrangiges Recht aktiviert werden. 1. Gebotenheit der Wirksamkeitskontrolle a) Nationale oder supranationale Ebene Wenn es um grundrechtliche Konflikte geht, stellt sich im Bereich der gerichtlichen Anwendung von Europäischem Recht wie gezeigt immer die Frage, aus welcher übergeordneten Rechtsquelle überhaupt eine Grundrechtsbindung angenommen werden sollte. In Bezugnahme auf die bereits zur Europäisierung des ordre public entwickelten Grundsätze535 kann kein Zweifel bestehen, dass sich die Gebotenheit des Schwächerenschutzes bei der Rechtswahl nach Europäischem Recht richten muss. Die nationalen Grundrechte sind hier gesperrt. Man befindet sich im Anwendungsbereich der Grundrechtecharta. Im Bereich der Rechtswahl führen die nationalen mitgliedstaatlichen Gerichte Unionsrecht durch, wenn sie unter die Regeln der Rom III-VO subsumieren. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts muss einheitlich vorgenommen werden. Die Abgrenzung von Unionsgrundrechten und nationalen Grundrechten muss sich zudem am Kriterium des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts und der Einheitlichkeit der Auslegung orientieren. Nur wo den Mitgliedstaaten ein Handlungsspielraum gegeben ist, können nationale Grundrechte greifen. Für die Ausfüllung des ordre public besteht nun aber solch ein Handlungsspielraum, da es genau hier darum geht, den Mitgliedstaaten eine Notbremse zu geben, um wesentliche Grundsätze ihres eigenen Rechts zu sichern. Für den restlichen Bereich der Rom III-VO gilt dies jedoch nicht. Hier findet eine Kollisionsrechtsvereinheitlichung statt, um gerade zu vermeiden, dass das anwendbare Recht in den Mitgliedstaaten unterschiedlich bestimmt wird, und zwar um Rechtssicherheit und internationalen Entscheidungseinklang zu fördern und so ein forum shopping zu verhindern. Wenn nun Grundrechte aktiviert werden sollen, um das Prinzip des Schwächerenschutzes zur Kontrolle der Rechtswahl und damit letztlich auch zur Bestimmung des anwendbaren Rechts zu verankern, muss das notwendig allge534 535
Nur NK-BGB/Hilbig-Lugani, Artikel 5, Rn. 20. Siehe oben § 7 A. II. 1. d) bb).
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mein und mitgliedstaatsübergreifend geschehen. Unterschiedliche Grundrechtsstandards, von denen einige solch ein Schutzniveau womöglich gar nicht bieten, können hier nur schaden. b) Begründung der Rechtswahlfreiheit durch Europäische Grundrechte Aus den Europäischen Grundrechten wird in der neueren Literatur die Zulässigkeit der Rechtswahlfreiheit hergeleitet. Falls es im Europäischen Recht tatsächlich eine Verbürgung der Parteiautonomie gibt, kann in einem nächsten Schritt überlegt werden, wie weit diese Gewähr der Materialisierung von einer formellen Rechtswahlfreiheit einem Schutz tatsächlicher Bedingungen von Rechtswahlfreiheit offensteht. aa) Keine Verbürgung in Artikel 15, 16 GRCh Die wichtigste Quelle für den Grundrechtsschutz ist zunächst die Grundrechtecharta. Eine explizite Norm, die eine umfassende Vertragsfreiheit und damit auch die Freiheit zum Abschluss von Rechtswahlverträgen gewähren könnte, fehlt in der Grundrechtecharta.536 Teilweise wird versucht, die Vertragsfreiheit unter die speziellen Grundrechte der Berufs- (Artikel 15 GRCh) und Unternehmerfreiheit (Artikel 16 GRCh) zu subsumieren.537 Auch wenn Artikel 15 GRCh im Wortlaut weiter gefasst ist, betrifft die Norm praktisch nur die unselbstständige Arbeit, während die selbstständige Arbeit von der Unternehmerfreiheit des Artikels 16 GRCh erfasst ist.538 Nach der Rechtsprechung des EuGH wird die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit in all ihren Ausprägungen gewährleistet, sowohl für unselbstständige als auch selbstständige berufliche Tätigkeiten.539 Diese Freiheit umfasst sowohl das Recht, sich einen Vertragspartner auszusuchen,540 als auch das Recht der inhaltlichen Vertragsgestaltung.541 Dieser Rechtsrahmen garantiert damit jedoch nicht die Vertragsfreiheit in allen Lebensbereichen: Vielmehr ist immer ein Bezug auf die Wirtschaftsverfassung der EU erforderlich.542 Wegen des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung hat die Union Vertragsfreiheit nur auf den Gebieten ermöglicht, für die sie eine Kompetenz besitzt – und das ist die wirtschaftliche 536 Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 243; Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, Rn. 234; Magiera, DÖV 2000, 1017, 1025. 537 Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 243 ff. 538 Calliess/Ruffert/Ruffert, Artikel 15 GRCh, Rn. 4; Jarass, Artikel 15 GRCh, Rn. 4. 539 EuGH, Urteil vom 29. März 2012, Rs. C-1/11, Interseroh Scrap and Metals Trading, NVwZ 2012, 615, 616 f., Rn. 43; Calliess/Ruffert/Ruffert, Artikel 16 Rn. 1. 540 EuGH, Urteil vom 18. Juli 2013, Rs. C-426/11, Alemo-Herron, NZA 2013, 835, 836, Rn. 32. 541 EuGH, Urteil vom 5. Oktober 1999, Rs. C-240/97, Spanien/K, Slg. 1999, I-6609, 6634, Rn. 99. 542 Calliess/Ruffert/Ruffert, EUV/AEUV, Artikel 15 GRCh, Rn. 1.
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Betätigung im Binnenmarkt und nicht das Familienrecht. Für die Gestaltungsfreiheit der persönlichen Verhältnisse kann sich mangels ausreichenden Wirtschaftsbezugs aus den Wirtschaftsgrundrechten nichts herleiten lassen.543 bb) Artikel 7 und 9 GRCh Als alternativer Ansatzpunkt bieten sich daher spezielle Grundrechte an, die sich genau auf das Privat- und Familienleben beziehen. Somit ist Artikel 7 GRCh näher zu betrachten. Das Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen nach Artikel 9 GRCh passt hier hingegen nicht, da es sich tatsächlich nur auf diesen engen Schutzbereich beschränkt und die Scheidung daher nicht erfasst.544 Aus der Verwandtschaft der GRCh zur EMRK wird vereinzelt hergeleitet, es müsse auch die Ehescheidung in Artikel 9 GRCh hineingelesen werden, da Artikel 5 des Protokolls Nr. 7 zur EMRK die Scheidung ebenfalls als Schutzgut anerkenne.545 Dies hat sich jedoch im Wortlaut der Vorschrift nicht niedergeschlagen und wurde auch im Konvent zur Charta nicht deutlich.546 Für eine solche Rechtsfortbildung ist auch kein wirklicher Anlass erkennbar, da wegen Artikel 7 GRCh Lücken nicht entstehen. Hingegen ist der Schutzbereich von Artikel 7 GRCh, der Artikel 8 Abs. 1 EMRK nachgebildet ist,547 umfassender und sichert dem Individuum einen weiten Freiraum.548 Der Begriff der Familie umfasst die Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse, um die es hier geht.549 Zum geschützten Verhalten gehört auch das Recht, diese Eheverhältnisse nach eigenem Gutdünken auszugestalten.550 Es bestehen allerdings Zweifel, ob darunter auch die rechtsgeschäftliche Vertragsfreiheit zu subsumieren ist. Systematisch stellt die Norm den Schutz des Familienlebens in den Zusammenhang des Schutzes von Privatleben, Wohnung und Kommunikation. Daraus kann man schließen, dass die Norm nicht als Auffangnorm für jegliches geschäftliche Handeln im Familien-
543
Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 245. Jarass, Artikel 9 GRCh, Rn. 6; Meyer/Bernsdorff, Artikel 9 GRCh, Rn. 15; Ehlers/Schorkopf, § 16, Rn. 55. 545 Pfütze, ZEuS 2011, 35, 77 f. 546 Meyer/Bernsdorff, Artikel 9 GRCh, Rn. 15. 547 Ehlers/Schorkopf, § 16, Rn. 14. 548 Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 251; Jarass, FamRZ 2012, 1181, 1182. 549 Nur Jarass, Artikel 7 GRCh, Rn. 19; ders., FamRZ 2012, 1181, 1183; Calliess/Ruffert/Kingreen ordnet das Leben in der Ehe dem Schutzgut Privatleben zu. Auf diese Unterscheidung kommt es aber in diesem Zusammenhang nicht an. 550 Jarass, Artikel 7 GRCh, Rn. 20; Calliess/Ruffert/Kingreen, Artikel 7 GRCh, Rn. 8. 544
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leben verstanden werden sollte. Vielmehr ist die Norm als Teil des Persönlichkeitsrechtsschutzes konzipiert worden, die als klassisches liberales Abwehrrecht vor Eingriffen in das Privat- und Familienleben schützen soll.551 Noch deutlicher wird diese Schutzrichtung, wenn man die Norm mit Artikel 8 EMRK vergleicht. Hier fällt der in der GRCh nicht enthaltene Schrankenvorbehalt von Absatz 2 auf, der einer Behörde einen Eingriff in den Schutzbereich nur gestattet, wenn er gesetzlich vorgesehen und notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Diese hohen Hürden machen deutlich, dass wohl in erster Linie nicht an rechtsgeschäftliche Betätigung gedacht ist. In der Rechtsprechung des EGMR spiegelt sich diese Auffassung insoweit wider, als er vornehmlich zu Kerngehalten des Persönlichkeitsschutzes Stellung genommen hat und auch die Gestaltung von persönlichen Beziehungen zu anderen eher als Ausdruck der Persönlichkeitsentwicklung begreift.552 Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass die Grundrechtecharta über das von der EMRK garantierte Schutzniveau hinausgeht, wie es Artikel 52 Abs. 3 S. 2 GRCH erlaubt. Die Rechtsprechung könnte den Anwendungsbereich des Familiengrundrechts erweitern, da ein Bedürfnis nicht von der Hand zu weisen ist. Die Verankerung der Vertragsfreiheit in Artikel 15, 16 GRCh liegt genauso nah bzw. fern wie die Subsumtion der Parteiautonomie unter das Familiengrundrecht. Mit einer extensiven Auslegung könnte das Defizit des fehlenden Auffanggrundrechts553 ausgeglichen werden. Im deutschen Verfassungsrecht wird Artikel 6 Abs. 1 GG auch herangezogen, um die Vertragsfreiheit der Ehegatten zu schützen. Die Gestaltungsfreiheit der Ehe muss auch die rechtsgeschäftliche Vermögensverwaltung umfassen.554 Der EuGH könnte hier ähnlichen Mut beweisen. Wollte man Artikel 7 GRCh aber für die Rechtswahlfreiheit aktivieren, müsste man ihn aus seinem systematischen Kontext lösen und weiterentwickeln.555 Mag dies für die ehevertragliche Gestaltungsfreiheit vertretbar sein, drängen sich jedoch Bedenken auf, ob das auch für die Parteiautonomie gilt, die im Rahmen der mitgliedstaatlichen Rechte keine große Verbreitung gefunden hat. Eine Ausweitung auf die Rechtswahlfreiheit wäre jedoch 551
Ehlers/Schorkopf, § 16, Rn. 14; von der Groeben/Schwarze/Hatje/Augsberg, Europäisches Unionsrecht, Artikel 7 GRCh, Rn. 5. 552 Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 251 f.; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 22, Rn. 13, jeweils mit genaueren Nachweisen; Jarass, FamRZ 2011, 1181, 1184 f. 553 Ehlers, Art. 6 GRCh, Rn. 6; Meyer/Bernsdorff, Art. 6 GRCh Rn. 11; a.A.: Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 6 GRCh, Rn. 6. 554 BVerfGE 103, 89, 101. 555 Vor Überdehnung des Anwendungsbereichs einzelner Grundrechte warnen etwa Schmitz, JZ 2001, 833, 837 f.; Pfütze, ZEuS 2011, 35, 74.
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folgerichtig. Da es insgesamt unsicher ist, ob der EuGH den Weg der extensiven Auslegung gehen würde, sollten noch weitere Ansatzpunkte untersucht werden. cc) Parteiautonomie als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts Da ein Auffanggrundrecht in der Charta fehlt, kann man in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Unionsrechts ein solches suchen. Diese sind neben der EMRK und der Grundrechtecharta die dritte Säule des Grundrechteschutzes nach Artikel 6 Abs. 3 EUV. Ob es im Unionsrecht einen Grundsatz der allgemeinen Handlungsfreiheit gibt, der wie ein Auffanggrundrecht ausgelegt werden kann, ist umstritten. Im Zentrum der Diskussion stehen zwei von der Wissenschaft unterschiedlich ausgelegte Urteile des EuGH. In der Rechtssache Rau556aus dem Jahr 1987 nannte der EuGH die allgemeine Handlungsfreiheit neben der freien Berufsausübung und der Wettbewerbsfreiheit als allgemeinen Rechtsgrundsatz, musste dessen Voraussetzungen aber nicht prüfen, so dass zweifelhaft blieb, ob der EuGH hier tatsächlich einen allgemeinen Rechtsgrundsatz anerkannt hat.557 Konkreter wurde der EuGH in der Rechtssache Hoechst.558 Hier erkannte er einen Grundsatz der allgemeinen Handlungsfreiheit in dem Sinne, dass jeder hoheitliche Eingriff in die „Sphäre der privaten Betätigung jeder […] Person“ einer Rechtsgrundlage bedürfe und verhältnismäßig sein müsse.559 Ein Teil der Literatur zweifelt die Anerkennung durch den EuGH mit der Begründung an, dass der EuGH diese Rechtsprechung nicht weiter aufgegriffen und nicht gefestigt habe, so dass die Idee eines Auffanggrundrechts eher im Sand verlaufen sei.560 Zudem wird angeführt, dass ein europäischer Verfassungsvergleich die These einer allgemeinen Verbreitung des lückenlosen Freiheitsschutzes nicht bestätige, sondern die Idee eines Auffanggrundrechtes eher die Ausnahme als die Regel sei.561 Der Behauptung, aus dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung folge schon, dass die EU keinen umfassenden Freiheitsschutz gewährleisten könne, ist allerdings nicht überzeugend.562 Hier werden zwei unterschiedliche Bereiche vermischt. Obwohl die Union nur auf Grund von Einzelermächtigungen tätig werden darf, bedeutet das nicht, 556 EuGH, Urteil vom 21. Mai 1987, verb. Rs. 133–136/85, Berlin-Butter, NJW 1987, 2148, Rn. 15, 19. 557 Dafür Ehlers/Ehlers, § 14, Rn. 41; Schilling, EuGRZ 2000, 3, 14; Schmitz, JZ 2001, 833, 837. 558 EuGH, Urteil vom 21. September 1989, verb. Rs. 46/87 und 227/88, Hoechst AG, NJW 1989, 3080. 559 EuGH verb. Rs. 46/87 und 227/88, Hoechst AG, NJW 1989, 3080, 3081, Rn. 19. 560 Jarass, EU-Grundrechte, § 2, Rn. 16; Dreier/Dreier, GG, Artikel 2, Rn. 12; Kahl, AöR 131 (2006), 579, 615; Pfütze, ZEuS 2011, 35, 74. 561 Dreier/Dreier, Artikel 2 GG, Rn. 12. 562 In diese Richtung kann Dreier/Dreier, Artikel 2 GG, Rn. 12 interpretiert werden.
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dass sie in diesen Bereichen nicht trotzdem einen lückenlosen Grundrechtsschutz gewährleisten kann. Die herrschende Meinung nimmt die Rechtsprechung des EuGH hin und akzeptiert einen europäischen Rechtsgrundsatz der allgemeinen Handlungsfreiheit.563 Wenn dieses Auffanggrundrecht jegliche private Betätigung von Personen einschließt, dann erfasst es auch die Parteiautonomie der Eheleute, die darin besteht, das Recht selbst zu bestimmen, das auf ihre eigene Scheidung Anwendung finden soll.564 Letztlich kann über die Existenz eines solchen Rechts in diesem Rahmen nicht entschieden werden und das ist auch nicht erforderlich. Die Ausgangsfrage lautete, ob man eine eventuelle Verbürgung der Parteiautonomie in den Grundrechten weiterentwickeln kann, um mit ihr eine Wirksamkeitskontrolle zu begründen. Selbst wenn man die Existenz eines allgemeinen europäischen Grundsatzes der allgemeinen Handlungsfreiheit annehmen würde, könnte er nicht in diesem progressiven Sinne weiterentwickelt werden. Der EuGH stellt als allgemeinen Grundsatz lediglich fest, dass ein Eingriff in Freiheitssphären verhältnismäßig sein muss. Das ist etwas anderes als die von der Materialisierung des Schwächerenschutzes berührte Schutzdimension der Grundrechte. Hier wird verlangt, dass die Union und die Mitgliedstaaten durch legislative Rechtssetzung und judikative Begleitung Voraussetzungen für eine freie Ausübung der Rechtswahlfreiheit setzen. Soweit geht die Rechtsprechung des EuGH jedoch auf keinen Fall.565 c) Andere allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts Um Aussagen über die Erforderlichkeit der Wirksamkeitskontrolle von Rechtswahlverträgen in der Rom III-VO treffen zu können, müssten die Normen herangezogen werden, in denen die Parteiautonomie allgemein verankert ist. Während sich eine solche Norm für den allgemeinen Wirtschaftsverkehr finden lässt, fehlt aber für das Familienrecht jeder Anhaltspunkt. Es kann daher nur unter Rückgriff auf weitere, in der Literatur diskutierte Grundsätze des Unionsrechts eine Begründung versucht werden. Dabei ist bei einigen dieser Prinzipien unklar, welchen normativen Rang sie überhaupt haben. Rechtsprinzipien dienen dazu, die Anwendung des Rechts zu systematisieren und zu erleichtern,
563 Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 107 f; Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 253 ff.; Ehlers/Ehlers, § 14, Rn. 41; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 662; Herdegen, Europarecht, § 9, Rn. 19; Streinz, Europarecht, Rn. 775; Schilling, EuGRZ 2000, 3, 14; Schmitz, JZ 2001, 833, 837. 564 Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 254 f., 262. 565 Im Ergebnis auch Pfütze, ZEuS 2011, 35, 74.
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Rechtsfortbildung zu ermöglichen und das Ergebnis des Rechtsanwendungsvorgangs vorhersehbar zu machen.566 Ob sie allerdings als allgemeine Rechtsgrundsätze des Artikels 6 Abs. 3 EUV den Rang des Primärrechts genießen oder ob sie vielleicht nur Auslegungstopoi sind, muss für jedes Prinzip separat entschieden werden. aa) Der Schutz des Schwächeren als allgemeiner Rechtsgrundsatz Zunächst bietet sich das Naheliegende an: Lässt sich der Schutz des Schwächeren selbst als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Primärrechts begreifen, den man heranziehen kann, um die Notwendigkeit einer Wirksamkeitskontrolle zu begründen? Der Sinn dieses Prinzips wurde zur Genüge erläutert. Es prägt das Europäische Privatrecht vor allem im Verbraucherrecht, aber auch in anderen Rechtsbereichen.567 Doch macht diese Verbreitung den Schutz schwächerer Parteien damit zu einem allgemeinen Rechtsgrundsatz des Unionsrechts im Sinne von Artikel 6 Abs. 3 EUV, der den mitgliedstaatlichen Gerichten bei der Durchführung der Rom III-VO Pflichten auferlegen kann? Diese Frage scheint man verneinen zu müssen. Zunächst hat sich im acquis communautaire noch kein solches Prinzip abgezeichnet. Die Schutzfunktion des Rechts beschränkt sich hierbei maßgeblich auf zwei Personengruppen: Verbraucher und Arbeitnehmer.568 Doch ist allein aus dem Befund, dass es im Arbeitsrecht und im Vertragsrecht Regeln gibt, die auch einen Schutz von Verbrauchern bewirken, nicht darauf zu schließen, dass sich hier ein allgemeiner Rechtsgrundsatz entwickelt hätte, den man beliebig instrumentalisieren könnte für weitere Schwächesituationen. Zum einen spielen bei vielen Normen noch andere Ziele und Regeln hinein. Nicht einmal das Verbraucherrecht selbst ist reiner Ausdruck des Schutzes schwächerer Personen. Das Verbraucherrecht hat auch noch weitere Ziele, die oftmals über den Schutz des Verbrauchers hinausgehen und ihn ggf. sogar übermäßig bevorzugen, damit er zum Konsum angeregt wird und damit den Binnenmarkt stärkt.569 Zudem steht einem freieren Gebrauch dieses Rechtsgrundsatzes entgegen, dass er sich bislang auf typisierte Gruppen beschränkt hat und in formalen, die Rechtssicherheit wahrenden Regeln Niederschlag gefunden hat.570 Hier zeigt sich wieder das grundlegende Defizit des Europarechts, dass es sich wegen des Grundsatzes der begrenzten Einzelermächtigung bislang auf wenige Gebiete beschränken musste und im 566 Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, Rn. 230; umfassend und allgemein Metzger, Extra legem, intra ius, S. 13 ff.; auch Reich, General Principles, S. 2 ff. 567 Siehe oben und Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, Rn. 267; Reich, General Principles, S. 41 ff. 568 Reich, General Principles, S. 41 ff., 57. 569 Heiderhoff, Europäisches Vertragsrecht, Rn. 191 ff.; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht, S. 140 ff. 570 Reich, General Principles, S. 57.
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Familienrecht mit seinen situativen Schwächesituationen keine Auswirkungen hinterlassen hat. Es bleibt dann noch die Möglichkeit, den Grundsatz aus der Rechtstradition aller Mitgliedstaaten zu gewinnen. Hier ist aber ebenfalls kein Schwächerenschutz für alle Individualsituationen auszumachen. Ein so fortgeschrittenes Konzept wie die Wirksamkeitskontrolle von Eheverträgen bekämpft zwar strukturelle Schwächesituationen, ist aber nicht typisierbar. Selbst in der deutschen Dogmatik ist es erst seit ein paar Jahren verankert. Der Schwächerenschutz ist damit eher ein Konzept, eine „Daueraufgabe“571 des Rechts als ein primärrechtliches, geltendes und anwendbares Rechtsprinzip.572 Dafür ist es noch zu unsystematisch und konturlos. Es kann, wenn überhaupt, nur bei typisierbaren Personengruppen herangezogen werden. Damit ist es aber für die Frage der Wirksamkeitskontrolle im Familienrecht, wo die Grenze der Typisierbarkeit erreicht ist, wenig hilfreich. Um eine Pflicht zur Wirksamkeitskontrolle zu begründen, bedarf es daher noch weiterer Rechtsgrundsätze. bb) Solidaritätsgrundsatz In der Literatur wird versucht, vor allem aus dem acquis communautaire einen europäischen Grundsatz der vertraglichen Solidarität herzuleiten. Im EU-Privatrecht soll sich dieser Grundsatz vor allem im Verbraucherprivatrecht niedergeschlagen haben, er wird aber auch im neuen Recht internationaler Handelsverträge entdeckt573 und findet schließlich Anerkennung in der Grundrechtecharta, deren 4. Kapitel, das auch den Artikel 38 zum Verbraucherschutz enthält, unter der Überschrift „Solidarität“ steht.574 Das Prinzip der Solidarität soll das Prinzip der liberalen Privatautonomie ersetzen, das die egoistische Verfolgung eigener Interessen in den Mittelpunkt stellt. Solidarität verhindere hingegen ein Ausnutzen von Machtungleichgewichtslagen durch Selbstkontrolle der Parteien. Ihre wichtigsten Eckpunkte sind die Gleichheit der Vertragspartner, die Ausgewogenheit des Vertragsinhalts und die Solidarität im engeren Sinne, also das Prinzip von Fairness, Treu und Glauben, aber darüber hinaus noch Pflichten zur Hilfestellung für die andere Partei, also Informations-, Beratungs-, Loyalitäts- und Kooperationspflichten.575 In der Solidarität 571
Rösler, ERPL 2010, 729, 730. Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, Rn. 249; Reich, General Principles, S. 56 benennt ihn zwar als Grundsatz des Europäischen Privatrechts. Er verwendet aber einen weiteren Prinzipienbegriff, der weiter ist als Artikel 6 Abs. 3 EUV, vgl. S. 2 ff.; zudem beschränkt er das Prinzip auch auf Fragen des Verbraucher- und des Arbeitsrechts, S. 57. 573 Lurger, Vertragliche Solidarität, S. 128. 574 Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, Rn. 288. 575 Lurger, Vertragliche Solidarität, S. 130 ff. und passim; vgl. auch Reich, General Principles, S. 131 ff.; dagegen Heiderhoff, ZEuP 2015, 225 f. 572
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gegenüber dem Vertragspartner verwirklicht sich Hegels Idee einer intersubjektiven Freiheit der „wechselseitigen Anerkennung“. Damit ist die Erkenntnis gemeint, dass sich zwei Subjekte die Ergänzungsbedürftigkeit ihrer jeweiligen Ziele bewusstwerden und durch gemeinsame Verhaltenspraktiken, also etwa durch Vertragsschluss, sicherstellen, dass die Verwirklichung des Wunsches des einen Bedingung für die Verwirklichung des Wunsches des anderen ist.576 So überzeugend die Idee von gegenseitiger Rücksichtnahme und Solidarität auch ist, als Rechtsgrundsatz des Europäischen Rechts, der vom positiven Recht ausgehen muss, überzeugt sie nicht. Kurz könnte man sagen, dass erzwungene Solidarität keine richtige Solidarität ist. Auch wenn es richtig ist, dass in einer arbeitsteiligen Gesellschaft Vertragspartner auf die Zustimmung und die Leistung der anderen Person angewiesen sind, wächst daraus keine Solidaritätsbeziehung. Vertragspartner haben gegenläufige Interessen. Ihre Einstellungen können auch nicht durch Hilfestellungspflichten überdeckt werden.577 Staatliches Recht kann nur versuchen, diese widerstreitenden Interessen voneinander abzugrenzen, kann aber keine Solidarität erzwingen. Der Begriff Solidarität ist im Recht de lege lata fehl am Platz, was nicht bedeutet, dass er nicht seine Berechtigung in einem rechtsphilosophischen Diskurs hat und als utopische Vision einer Sittlichkeit der Anerkennung578 seinen Reiz behält. Möglicherweise hat der Begriff aber, wenn er schon kein eigenständiges Rechtsprinzip des EU-Privatrechts darstellt, seine Berechtigung im kleineren Rahmen der Rom III-VO. Es soll dabei nicht aus dem Wesen der Ehe ein Solidaritätsgrundsatz abgeleitet werden, doch dürfte aus fast allen mitgliedstaatlichen Rechten irgendeine (wenn auch nicht notwendigerweise durchsetzbare) Verpflichtung zu gegenseitigem Beistand und Unterstützung als gemeinsamer Befund festgestellt werden können.579 Zwar darf von den Eheleuten im Scheidungsverfahren auch nicht mehr allzu viel Solidarität und Kooperationsbereitschaft verlangt werden. Aber die Gefahren des Missbrauchs und der Ausnutzung von Ungleichgewichtslagen ist in der Zeit vor der Trennung, wenn der schwächere Partner nicht mit einem Vertrauensbruch des anderen Partners rechnet, größer, so dass der Solidaritätsgedanke und der Missbrauch des Vertrauens durchaus eine argumentative Bedeutung bekommen. Hieraus erwächst aber noch immer kein Rechtsprinzip. Der Solidaritätsgedanke kann höchstens als Auslegungstopos im Wege teleologischer Auslegung herangezogen werden. Eine Pflicht zur Wirksamkeitskontrolle lässt sich damit nicht begründen.
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Honneth, Das Recht der Freiheit, S. 85 f. Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, Rn. 289; Fleischer, ZEuP 2000, 772, 798; Pfütze, ZEuS 2011, 35, 80. 578 Vgl. Honneth, Das Recht der Freiheit, passim. 579 Vgl. (hauptsächlich zu vermögensrechtlichen Pflichten, aber damit implizit) BoeleWoelki et. al., Principles of European Family Law Regarding Porperty Relations Between Spouses, S. 49 f. 577
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cc) Verbot des Rechtsmissbrauchs/Sittenwidrigkeit Der EuGH hat in mehreren Entscheidungen das Verbot des Rechtsmissbrauchs als allgemeinen Rechtsgrundsatz anerkannt.580 Er geht zwar nicht so sehr aus den Regeln des Gemeinschaftsprivatrechts hervor, das nur selten Fälle des Rechtsmissbrauchs klar formuliert, ist aber in den Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten verankert.581 Die genaueren Konturen dieses Rechtsprinzips, das einen Sonderfall des Grundsatzes von Treu und Glauben darstellt,582 sind allerdings unklar. Voraussetzung ist in jedem Fall, dass eine Person Inhaber einer Rechtsposition ist, die sie rechtsmissbräuchlich einsetzt, das heißt objektiv zweckwidrig.583 Hierunter kann man auch den Fall fassen, dass eine Person ihre vom Gesetz eingeräumte Vertragsfreiheit einsetzt, um eine Person mit einer deutlich geringeren Verhandlungsstärke zu einem Vertragsschluss zu bewegen, der ihren Interessen widerspricht. Die stärkere Person missbraucht ihre Rechtswahlfreiheit zur Fremdbestimmung einer anderen Person. Unklar ist, ob daneben auch eine subjektive Schädigungsabsicht vorliegen muss.584 Während der EuGH hier in der Sache Kefalas585 vage blieb, ob der von der missbrauchenden Person verfolgte Zweck auch von einer entsprechenden Absicht getragen wird, hat er in anderen Entscheidungen deutlicher auf die subjektiven Absichten abgestellt und die Ausübung eines subjektiven Rechts nur untersagt, wenn eine Missbrauchsabsicht nachgewiesen werden konnte.586 Grundsätzlich sollte muss der allgemeine Grundsatz des Rechtsmissbrauchs zumindest in den Konstellationen des Missbrauchs subjektiver Rechte daher auch ein subjektives Element umfassen.587
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EuGH, Urteil vom 12. Mai 1998, Rs. C-367/96, Kefalas, Slg. I-1998, 2843, 2869, Rn. 20; EuGH, Urteil vom 23. März 2000, Rs. C-373/97, Diamantis, Slg. I-2000, 1723, 1734, Rn. 33; EuGH, Urteil vom 30. September 2003, Rs. C-167/01, Inspire Art, Slg. 2003, I-10195, 10234, Rn. 136; Zimmermann, Das Rechtsmißbrauchsverbot, S. 182 ff.; Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, Rn. 295; Fleischer, JZ 2003, 865; Pfütze, ZEuS 2011, 35, 80; zögerlich zur Existenz eines solchen Prinzips Reich, General Principles, S. 189 ff.; dagegen Heiderhoff, ZEuP 2015, 225 f. 581 Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, Rn. 295; genauer Überblick bei Zimmermann, Das Rechtsmißbrauchsverbot im Recht der Europäischen Gemeinschaften, passim; Fleischer, JZ 2003, 865 ff., insb. 871. 582 Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, Rn. 296. 583 Zimmermann, Das Rechtsmißbrauchsverbot, S. 230 f.; Fleischer, JZ 2003, 865, 872, 584 Vgl. Zimmermann, Das Rechtsmißbrauchsverbot, S. 224 ff. 585 EuGH, Rs. C-367/96, Kefalas, Slg. I-1998, 2843, 2871, Rn. 28. 586 EuGH, Urteil vom 2. Mai 1996, Rs. C-206/94, Paletta II, Slg. 1996, I-2357, 2391, Rn. 27; Urteil vom 30. September 1997, Rs. C-36/96, Günaydin, Slg. 1997, I-5143, 5175, Rn. 60. 587 Zimmermann, Das Rechtsmißbrauchsverbot, S. 228; Fleischer, JZ 2003, 865, 872.
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Dogmatisch betrachtet ist das Verbot des Rechtsmissbrauchs ein Grundsatz des Unionsrechts nach Artikel 6 Abs. 3 EUV und damit unmittelbar anwendbares Primärrecht.588 Somit kann und muss es von den Mitgliedstaaten zur Begründung einer Wirksamkeitskontrolle in der Rom III-VO herangezogen werden.589 Der Rechtsmissbrauch erfasst jedoch nur einen Teil der Fälle, in denen ein Schutz schwächerer Parteien erforderlich ist, nämlich die, in welchen der überlegene Teil die Schwächesituation der anderen Partei bewusst ausnutzt. Das ist jedoch nicht ausreichend. Es wird wie gezeigt ein Instrument benötigt, welches auch Fälle erfassen kann, in denen ein Ungleichgewicht in der Verhandlungsstärke besteht, ohne dass der stärkere Teil die schwache Partei bewusst ausnutzen möchte. Diese Fälle fallen nicht unter den Rechtsmissbrauch, können aber trotzdem nicht die Richtigkeitsgewähr des Vertrags für sich beanspruchen. Ein allgemeiner Grundsatz der Sittenwidrigkeit, den man hierfür eventuell sinnvoll heranziehen könnte, lässt sich, trotz einer Andeutung des EuGH in der Sache Deka590, dem Primärrecht hingegen nicht entnehmen, da es unwahrscheinlich ist, dass sich ein gemeinsamer Maßstab für die guten Sitten finden lässt.591 dd) Effektivitätsgrundsatz Letztlich lassen sich somit kaum Rechtsgrundsätze finden, die einer direkten Anwendung offenstehen und die Gebotenheit einer Wirksamkeitskontrolle von Rechtswahlkontrollen ermöglich. Allenfalls das Prinzip des Verbots des Rechtsmissbrauchs deckt einen Teil der Fälle ab, nämlich diejenigen, in denen das Verhandlungsmachtsgefälle zwischen den Parteien bewusst ausgenutzt wird. Nicht ausgeschlossen ist, dass der EuGH auch ein Gebot von Treu und Glauben heranzieht. Bisweilen ist es für die Handhabung allerdings zu konturlos. Von der tatsächlichen Möglichkeit, Parteiautonomie nutzen zu können, hängen die Legitimität und das Gelingen der europäischen Kollisionsrechtsvereinheitlichung ab. Das ist dem Verordnungsgeber durchaus bewusst gewesen, wie es vor allem die Erwägungsgründe (17) bis (19) zeigen. Leider ist dieser Grundsatz im Verordnungstext selbst nur unzureichend umgesetzt worden. Es ergibt sich damit eine merkwürdige Situation: Die Erwägungsgründe machen das Ziel der Verordnung, das Konzept, das hinter dieser Konkretisierung der
588
Fleischer, JZ 2003, 865, 871. Pfütze, ZEuS 2011, 35, 80 f. 590 EuGH, Urteil vom 01.03.1983, Rs. 250/78, Deka, Slg. 1983, 422, 430 f., Rn. 15 bis 589
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Parteiautonomie steht, deutlich. Sie sind sogar sehr präzise, was die Erforderlichkeit einer Rechtswahlkontrolle angeht.592 Der Verordnungstext bleibt hinter diesen selbst gesetzten Erwartungen zurück und lässt vieles im Dunkeln. Das kann aber nicht dazu führen, dass dieser letzte Schritt der Wirksamkeitskontrolle den Mitgliedstaaten versperrt bleibt. Vielmehr greift an dieser Stelle der Effektivitätsgrundsatz des Unionsrechts. Dieser Grundsatz erwächst aus der Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur loyalen Zusammenarbeit nach Artikel 4 Abs. 3 EUV.593 Der Effektivitätsgrundsatz verpflichtet die Mitgliedstaaten, bei der Umsetzung von Unionsrecht darauf zu achten, dass die Verwirklichung von dessen Zielen gesichert wird, Rechtspositionen also tatsächlich wahrgenommen werden können, nicht übermäßig erschwert oder unmöglich werden.594 Den Zielen des Unionsrechts entgegenstehende Regeln werden zwar nicht verdrängt, dürfen aber nicht angewendet werden und müssen gegebenenfalls ersetzt werden durch unionsrechtsförderliche Regelungen.595 Diese Pflicht tragen auch die mitgliedstaatlichen Gerichte als „ordentliche Unionsgerichte“,596 wenn sie Europarecht anwenden, und nicht bloß die Verwaltungsbehörden.597 Der effet utile erfordert ein Tätigwerden, wenn der Standard des nationalen Rechts nicht ausreicht, um eine Verwirklichung der Ziele zu gewährleisten.598 Wie wichtig die Aufgabe einer effektiven Verwirklichung der Unionsrechtsziele ist, belegt Artikel 197 AEUV, der von einem „gemeinsamen Interesse“ spricht.599 Im Lichte des Effektivitätsprinzips, das primärrechtlichen Rang hat und unmittelbare Geltung beansprucht, scheint eine Pflicht zur Wirksamkeitskontrolle in der Rom III-VO doch begründbar. Es mag dann zwar richtig sein, dass
592
Becker, NJW 2011, 543, 545. EuGH, Urteil vom 22. November 2012, Rs. C-116/11, Bank Handlowy, IPRax 2014, 530, 533, Rn. 62; Streinz, Europarecht, Rn. 603; Roth, FS Dauses, S. 315, 332. 594 Aus der Rechtsprechung: EuGH, Urteil vom 21. September 1983, verb. Rs. 205 bis 215/82, Deutsche Milchkontor, NJW 1984, 2024 f.; Urteil vom 20. März 1997, Rs. C-24/95, Alcan, Slg. 1997, I-1591 ff.; EuGH, Urteil vom 16. März 2006, Rs. C-234/04, Kapferer, Slg. 2006, I-2605, 2617, Rn. 22; EuGH, Rs. C-295/04, Manfredi, Slg. 2006, I-6619, Rn. 64; Herdegen, Europarecht, § 10, Rn. 35; Streinz, Rn. 604; Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 12, Rn. 36. 595 EuGH, Urteil vom 9. März 1978, Rs. 106/77, Simmenthal, Slg. 1978, 629, 644 f., Rn. 21 f., 24; Calliess/Ruffert/Calliess/Kahl/Puttler, Artikel 4 EUV, Rn. 79; Streinz, Europarecht, Rn. 605. 596 EuGH, Gutachten 1/09, Europäisches Patentgericht, Slg. 2011, I-1137, Rn. 80; Calliess/Ruffert/Calliess/Kahl/Puttler, EUV/AEUV, Artikel 4 EUV, Rn. 80. 597 EuGH, Rs. 106/77, Simmenthal, Slg. 1978, 629, 644 f., Rn. 21/23; Grabitz/Hilfs/Nettesheim/Classen, Artikel 197 AEUV, Rn. 17; Calliess/Ruffert/Calliess/Kahl/Puttler, Artikel 4 EUV, Rn. 79; Roth, FS Dauses, S. 315, 332; Epiney, NVwZ 2015, 704, 712 f. 598 Grabitz/Hilfs/Nettesheim/Classen, Artikel 197 AEUV, Rn. 25. 599 Herdegen, Europarecht, § 10, Rn. 35. 593
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3. Kap.: Schwächerenschutz nach Vertragsschluss
die Erwägungsgründe für sich genommen nicht ausreichen, um eine Ermächtigungsgrundlage für eine solche Wirksamkeitskontrolle zu liefern.600 In ihnen wird jedoch deutlich, dass der Verordnungsgeber bei den ordentlichen Gerichten einen Auftrag sieht, flankierende Maßnahmen vorzunehmen, um tatsächliche Parteiautonomie zu gewährleisten. Dies macht nicht nur Erwägungsgrund (18) am Ende sehr deutlich, sondern auch Erwägungsgrund (19), der von den Mitgliedstaaten verlangt, materielle Regeln zur Wirksamkeit festzulegen. In Verbindung mit dem Effektivitätsgrundsatz erwächst hieraus eine Pflicht der Mitgliedstaaten, Rechtswahlvereinbarungen auf ihre materielle Gültigkeit zu kontrollieren. Das Ziel, Rechtswahlfreiheit der Eheleute zu garantieren, kann sonst nicht verwirklicht werden. Die Mitgliedstaaten sind hier zu einem Tätigwerden gezwungen und haben ein Konzept für die Wirksamkeitskontrolle zu erarbeiten. Dagegen spricht auch nicht, dass der Verordnungstext dazu schweigt. Es ist nicht zwingend, in dieses Schweigen ein Verbot der Wirksamkeitskontrolle zu interpretieren. Darauf deutet nichts hin. Die Schlussfolgerung, die man daraus ziehen kann, ist einmal, dass der Verordnungsgeber die Möglichkeit hat verstreichen lassen, materielle Bedingungen der Rechtswahl selbst zu bestimmen. Dies ist vielleicht auf die schwierige Verhandlungssituation bei so vielen Mitgliedstaaten zurückzuführen. Bedeutsamer ist die dogmatische Konsequenz: Anscheinend ist der Weg, die Voraussetzungen einer Rechtswahlkontrolle autonom aus der Verordnung selbst herzuleiten, versperrt.601 Dieses Konzept müsste daher in den mitgliedstaatlichen Rechten individuell entwickelt werden, ob als Teil des Rechtswahlstatuts oder auf anderem Weg. Trotz dieser für die Umsetzung schwierigen Ausgangssituation bleibt festzuhalten, dass es wegen des Gebots effektiver Durchführung des Unionsrechts aber für alle mitgliedstaatlichen Gerichte verbindlich ist. 2. Durchführung der Wirksamkeitskontrolle Somit muss nun entschieden werden, wie eine Rechtswahlkontrolle dogmatisch eingebunden und konkret vorgenommen werden kann. Obwohl der Verordnungstext keine konkrete Aussage dazu enthält, wäre es sicherlich die beste Lösung, es könnte eine eigene autonome Kontrolle nach verordnungsimmanenten Kriterien genau wie bei Artikel 8 Abs. 5 HUP vorgenommen werden.602 Eine solche Methode würde Rechtsunsicherheit vermeiden und in allen Mitgliedstaaten eine einheitliche Rechtsanwendung garantieren. Ohne einen Ansatzpunkt im Verordnungstext ist dieses Unterfangen jedoch schwierig, soll die Kontrolle nicht vollkommen in der Luft schweben.
600
BeckOGK-BGB/Gössl, Artikel 6 Rom III-VO, Rn. 22 ff. Dazu sogleich. 602 Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 588. 601
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Zunächst könnte man sich noch überlegen, trotz Schweigens des Textes, an den Begriff der „Vereinbarung“ von Artikel 5 Rom III-VO anzuknüpfen und ihn mit materiellen Voraussetzungen aufzuladen. Ähnlich wird auch mit dem Begriff der Vereinbarung bei der Gerichtsstandsvereinbarung verfahren.603 Tatsächlich hat der EuGH auch eine autonome Auslegung des Begriffs Vereinbarung vorgenommen und Kriterien hauptsächlich zum Erfordernis einer formellen Einigung aufgestellt.604 Will man darüber hinaus in den Begriff der Vereinbarung die Kontrolle „hineinlesen“, betreibt man unter dem Mantel der Auslegung verdeckte Rechtsfortbildung. Der europäische Verordnungsgeber hat bei der Überarbeitung der Brüssel I-VO in der Brüssel Ia-VO klargestellt, dass er eine solches Vorgehen skeptisch sieht und in Artikel 25 Abs. 1 S. 1 a.E. die materielle Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung vollständig dem Recht des prorogierten Gerichts überantwortet.605 Dem Begriff „Vereinbarung“ selbst lässt sich nicht entnehmen, wie Bedingungen geschaffen werden müssten um die freie Willensbildung der Parteien zu gewährleisten. Das Gebot der Methodenehrlichkeit erfordert daher eine offene Rechtsfortbildung. Das Konzept des Schwächerenschutzes verlangt zwar eine Kontrollmöglichkeit, in den Begriff der Vereinbarung lässt sich diese aber nicht hineinlesen. Den einzig möglichen Ansatzpunkt bietet Erwägungsgrund (18) der Verordnung. Dieser besagt: „Diese Verordnung sieht als wesentlichen Grundsatz vor, dass beide Ehegatten ihre Rechtswahl in voller Sachkenntnis treffen. Jeder Ehegatte sollte sich genau über die rechtlichen und sozialen Folgen der Rechtswahl im Klaren sein. Die Rechte und die Chancengleichheit der beiden Ehegatten dürfen durch die Möglichkeit einer einvernehmlichen Rechtswahl nicht beeinträchtigt werden. Die Richter in den teilnehmenden Mitgliedstaaten sollten daher wissen, dass es darauf ankommt, dass die Ehegatten ihre Rechtswahlvereinbarung in voller Kenntnis der Rechtsfolgen schließen.“ Der letzte Satz wird teilweise als Aufforderung und Ermächtigung an die nationalen Gerichte verstanden, eine autonome Wirksamkeitskontrolle vorzunehmen.606 Doch scheint es dogmatisch nicht überzeugend, einen Erwägungsgrund als Eingriffsgrundlage heranzuziehen.607 Dies übersteigt die Wirkungen, die diese haben können. Erwägungsgründe haben selbst keine Rechtswirkungen. Es sind lediglich vom Verordnungsgeber vorausgeschickte Erläuterungen, 603
Siehe Stöve, Gerichtsstandsvereinbarungen nach Handelsbrauch, Art. 17 EuGVÜ und § 38 ZPO, S. 20 ff.; Reithmann/Martiny/Hausmann, Internationales Vertragsrecht, 8. Teil, Rn. 48; Leible/Röder, RIW 2007, 481, 487. 604 Siehe oben § 6 A. I. 2. a). 605 HK-ZPO/Dörner, Artikel 25 EUGVVO, Rn. 15 f. 606 Kohler, FS von Hoffmann, S. 208, 216 f.; Becker, NJW 2011, 543, 545; Röthel, JbItalR 25 (2012), 3, 13 f. 607 BT-Drucks. 17/11049, S. 8, 11; Althammer/Mayer, Artikel 6 Rom III-VO, Rn. 4; Rauscher/Helms, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 61; Corneloup/González Beilfuss, Article 5 Rome III, Rn. 6; Rauscher, IPR, Rn. 819; Gruber, IPRax 2012, 381, 386 f.
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3. Kap.: Schwächerenschutz nach Vertragsschluss
die nicht unmittelbare Geltung haben, sondern die Ziele, Regeln und Systematik des Verordnungstextes konkretisieren.608 Sie können daher als Argumente im Rahmen systematischer oder teleologischer Auslegung herangezogen werden, aber nicht mehr.609 Insbesondere ist es nicht möglich, Rechte, Pflichten und andere Maßnahmen auf die Erwägungsgründe zu stützen, wenn diese im Text nicht erwähnt werden.610 Auch eine Verbindung von Erwägungsgrund (18) und dem Begriff der Vereinbarung würde nicht ausreichen, um eine Wirksamkeitskontrolle zu rechtfertigen. Somit bleibt als dogmatisch überzeugende Lösung nur, die Wirksamkeitskontrolle dem Rechtswahlstatut nach Artikel 6 Abs. 1 Rom III-VO zu überlassen. Die Wirksamkeitskontrolle lässt sich dabei begrifflich noch leicht als Frage der „materielle[n] Wirksamkeit einer Rechtswahlvereinbarung“ qualifizieren.611 Als weiteres Argument lässt sich auch Erwägungsgrund (19) Rom III-VO begreifen, der die Mitgliedstaaten auffordert, nicht nur formelle, sondern auch materielle Bedingungen der Rechtswahl zu erlassen. Darunter ließe sich auch eine Wirksamkeitskontrolle fassen. Da sich in der Verordnung kein Anhaltspunkt für eine solche Kontrolle finden lässt, bleibt nur der Weg über das Rechtswahlstatut, das auch die materielle Wirksamkeit bestimmt.612 Die abschließende Aufgabe besteht nun also darin, das nationale Recht darauf zu untersuchen, wie eine solche Kontrolle durchgeführt werden kann. Der genaue Weg wird in den verschiedenen Rechten unterschiedlich sein. Sogleich soll anhand des deutschen Rechts exemplarisch gezeigt werden, wie vorgegangen werden kann. Danach sollen die genauen Anforderungen an die materielle Wirksamkeit der Rechtswahl bestimmt werden. Der Effektivitätsgrundsatz, aber auch das Interesse an der Vorhersehbarkeit des Kontrollergebnisses und die Rechtssicherheit machen es erforderlich, dass hier autonome Kriterien festgelegt werden, unter welchen Bedingungen eine Rechtswahl als ungültig erklärt werden sollte. Zumindest sollte man sich hier von nationalen Vorstellungen von der Angemessenheit der Scheidungsregelungen lösen. Für die mitgliedstaatlichen Gerichte stellt sich somit eine doppelte, nicht eben leichte Aufgabe. Sie müssen im Rechtswahlstatut nach Artikel 6 Abs. 1 Rom III-VO eine Rechtswahl dogmatisch begründen und diese dann nach autonomen Wirksamkeitskriterien durchführen. Das Problem besteht dabei, dass, 608 EuGH, Urteil vom 19. November 1998, Rs. C-162/97, Nilsson u.a., Slg. 1998, I-7498, 7515, Rn. 54; Urteil vom 25. November 1998, Rs. C-308/97, Manfredi, Slg. 1998, I-7697, 7707, Rn. 27 ff.; siehe aber kritisch Requejo Isidro, LA Kohler, S. 425, 436 f. 609 Martens, Methodenlehre des Unionsrechts, S. 278 f. 610 NK-BGB/Hilbig-Lugani, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 14; BeckOGK-BGB/Gössl, Artikel 6 Rom III-VO, Rn. 12. 611 Althammer/Mayer, Artikel 6 Rom III-VO, Rn. 4; Rauscher, IPR, Rn. 819. 612 Im Ergebnis auch für eine zwingende Kontrollpflicht im Rechtswahlstatut Rösler, RabelsZ 78 (2014), 155, 181.
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je nach gewähltem Recht, eine Rechtsfortbildung im ausländischen Recht erforderlich ist, die ein mit diesem Recht nicht vertrautes Gericht zwar vornehmen kann, aber eben nur mit Unsicherheiten und umfangreicher Einarbeitung in dieses Recht. Dieses Dilemma bestärkt die Zweifel an der in Artikel 6 Rom III-VO gesetzten Lösung.613 Die Gerichte müssen den Auftrag, den ihnen der Verordnungsgeber in den Erwägungsgründen (16) bis (19) mit auf den Weg gegeben hat, ernst nehmen, aber in einem fremden Recht umsetzen. 3. Dogmatische Begründung der Wirksamkeitskontrolle im Rechtswahlstatut Die Möglichkeit einer Wirksamkeitskontrolle kann nur dem Rechtswahlstatut nach Artikel 6 Abs. 1 Rom III-VO entnommen werden. Wie dies geschehen kann, soll allgemein erörtert werden, unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Rechtslage. Diejenigen, die einer Rechtswahlkontrolle in der deutschen Literatur offen gegenüberstehen, haben vor allem zwei Vorschläge, wie diese dogmatisch zu begründen ist. Einmal wird vorgeschlagen, die Rechtsprechung des BGH zur Sittenwidrigkeit von Eheverträgen zu übernehmen und die Abschlusskontrolle von Rechtswahlverträgen auf § 138 BGB zu stützen.614 Ein anderer Weg bestünde darin, die einzige kodifizierte Wirksamkeitskontrolle, nämlich Artikel 8 Abs. 5 HUP, als Modellvorschrift analog auf die Rom III-VO anzuwenden.615 Beide Wege sind im Grunde möglich und generalisierbar. Man kann auf allgemeine Generalklauseln, wie etwa im deutschen Recht § 138 BGB, zurückgreifen, oder eben die bereits kodifizierte Form der Wirksamkeitskontrolle im HUP analog heranziehen. Das liegt daran, dass sie sich in ihren Anwendungsvoraussetzungen kaum unterscheiden. Die Tatbestandsmerkmale, die die deutsche Rechtsprechung etwa zu § 138 BGB entwickelt hat, entsprechen in ihren Grundzügen genau denjenigen von Artikel 8 Abs. 5 HUP. Ein auffällig einseitig belastendes und unangemessenes Ergebnis ist Anzeichen dafür, dass ein strukturelles Hindernis eine freie und rationale Willensbildung einer Partei verhindert hat, so dass die formelle Einigung eine de facto einseitige Festlegung der Rechtsfolgen ist. Im Ergebnis können über beide Normen die gleichen Ergebnisse erzielt werden. Beide Wege haben dabei ihre eigenen Vor- und Nachteile. Artikel 8 Abs. 5 HUP müsste im Rahmen einer Analogie herangezogen werden. Dieser Weg scheint zunächst passender als ein direktes Zurückgreifen auf die Generalklausel der Sittenwidrigkeit. Es gibt jedoch keinen methodischen
613
Siehe oben § 6 A. I. 4. und B. Röthel, JbItalR 25 (2012), 3, 14 f. zumindest für den Fall, dass man aus Erwägungsgrund (18) der Verordnung nicht die Aufforderung zur Wirksamkeitskontrolle liest; NKBGB/Hilbig-Lugani, Artikel 6 Rom III-VO, Rn. 5. 615 Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 588. 614
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3. Kap.: Schwächerenschutz nach Vertragsschluss
Grundsatz, dass eine Analogiebildung einer Generalklausel vorzuziehen sei. Eher gilt das umgekehrte. Die Analogie setzt eine planwidrige Regelungslücke voraus, während die Generalklausel eine planmäßige Regelungslücke enthält und die Konkretisierungskompetenz an die Rechtsanwendung delegiert, um so außerrechtliche materielle Wertmaßstäbe zu berücksichtigen.616 Bei Artikel 8 Abs. 5 HUP könnte es sich jedoch schlicht um die speziellere Norm als § 138 BGB handeln. Ein analoger Rückgriff ist jedoch nur möglich, wenn das HUP auch tatsächlich Teil der Rechtsordnung ist, die gemäß Artikel 6 Abs. 1 Rom III-VO für die Wirksamkeit der Rechtswahl berufen ist. Nur wenn also das Recht eines EU-Staates (mit Ausnahme Dänemarks und des Vereinigten Königreichs) oder das Recht Serbiens als einzigen weiteren Mitgliedstaats des Protokolls gewählt wird, kann eine Analogie zu Artikels 8 Abs. 5 HUP vorgenommen werden. Fraglich scheint zudem, ob die inhaltlichen Konkretisierungen von Artikel 8 Abs. 5 HUP auch für die Rom III-VO angemessen sind. Insbesondere die alleinige Beschränkung auf die Unangemessenheit des materiellrechtlichen Ergebnisses617 könnte hier bedenklich sein. Die Lösung mag im Haager Unterhaltsprotokoll gerechtfertigt sein, da sich keine wirklichen internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeitsdefizite feststellen lassen. Zudem steht im Unterhaltsrecht das konkrete, sachrechtliche Ergebnis im Vordergrund, da es schließlich darum geht, finanzielle Bedürfnisse der unterhaltsberechtigten Person abzudecken. Für das Scheidungsrecht könnten jedoch andere, ideellere Aspekte mit in die Betrachtung einbezogen werden.618 Bei der analogen Anwendung von Artikel 8 Abs. 5 HUP müsste also darauf geachtet werden, dass die Tatbestandsmerkmale eventuell modifiziert werden müssen, um den besonderen Anforderungen der Rom III-VO gerecht zu werden. Ein einheitlicher Bewertungsmaßstab für alle Rechtswahlgegenstände ist wegen der unterschiedlichen Interessenlage nicht möglich.619 Angesichts dieser Schwierigkeiten erscheint es wohl doch einfacher, direkt auf die allgemeiner gefassten Generalklauseln des Privatrechts zurückzugreifen. In den Fällen, in denen das HUP nicht Teil des Rechtswahlstatuts ist, muss in der Regel sowieso direkt auf Generalklauseln zurückgegriffen werden. Im deutschen Sachrecht könnte die Wirksamkeitskontrolle über § 138 Abs. 1 BGB begründet werden. In den allermeisten Rechtsordnungen wird eine ähnliche Norm vorhanden sein, die den Gerichten die Möglichkeit gibt, die Wirksamkeit eines Vertrages nach materiellen Wertungsgesichtspunkten zu beurteilen, sei es unter dem Tatbestandsmerkmal der guten Sitten oder dem der öffentlichen 616
Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, S. 127 f. Siehe dazu oben § 8 A. I. 2. b). 618 Siehe sogleich unter 4. 619 Mit einem einheitlichen Vorschlag für eine allgemeine Wirksamkeitskontrolle von Rechtswahlverträgen Pfütze, ZEuS 2011, 35, 85. Die von ihm benutzten Tatbestandsmerkmale sind jedoch so unbestimmt, dass sie gar nicht ohne weiteres auf alle Rom-Verordnungen angewendet werden können. 617
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Ordnung.620 Sollte es diese ausnahmsweise nicht geben, ist das Rechtswahlstatut nicht anzuwenden. Insoweit liegt ein Verstoß des Rechtswahlstatuts gegen die öffentliche Ordnung nach Artikel 12 Rom III-VO vor. Der ordre public bezieht sich insoweit nicht allein auf das Scheidungsstatut. Die Norm spricht nur vom „nach dieser Verordnung bezeichneten“ Recht. Auch das über Artikel 6 Abs. 1 Rom III-VO bestimmte Recht ist hierunter zu subsumieren. Der effet utile und die Zielsetzung der Rom III-VO verlangen, dass eine Wirksamkeitskontrolle vorgenommen werden muss. Lässt sich diese nicht im Rechtswahlstatut begründen, gilt die lex fori. Deutsche Gerichte könnten sich also im äußersten Notfall immer auf die Wirksamkeitskontrolle nach § 138 Abs. 1 BGB berufen. 4. Autonome Kriterien der Rechtswahl Eine Wirksamkeitskontrolle von Rechtswahlverträgen dient dem Ziel, ein materiell gerechtes Ergebnis zu sichern. Dabei läuft sie aber Gefahr, wichtige Ziele der Rom III-VO zu unterlaufen, wenn sie zu einer reinen Einzelfallprüfung wird. Die Eheleute sollen das anwendbare Recht genau bestimmen können. Sie müssen aber auch vorhersehen können, wann ihre Rechtswahl für unwirksam erklärt wird, um darauf gegebenenfalls reagieren zu können. Daher ist eine Wirksamkeitskontrolle problematisch, wenn es keine vorhersehbaren Tatbestandsmerkmale gibt, an denen sie sich orientiert.621 Bei der Wirksamkeitskontrolle können nur relativ unbestimmte Rechtsbegriffe benutzt werden. Da eine Gruppe von schwächeren Personen nicht typisierbar ist, muss man sich stärker auf die individuellen Vorstellungen und die Situation der Parteien konzentrieren. Schließlich geht es nicht darum, irgendein Scheidungsrecht zu bewerten, sondern die für die Parteien nach ihren Vorstellungen passende Anknüpfung zu finden, was konkret bedeutet, diejenige Anknüpfung zu korrigieren, die auf einer Vereinbarung beruht, die nicht auf einem informierten Konsens beider Parteien beruht. Um die Gefahr einer uneinheitlichen Anwendung in den Mitgliedstaaten zu vermeiden, müssen die Tatbestandsmerkmale der Rechtswahlkontrolle aus der Rom III-VO selbst gewonnen werden. Den Erwägungsgründen und dem Rechtstext lassen sich Ziele entnehmen, die die Verordnung in Bezug auf die Interessen der Parteien gesetzt hat. An diesen selbst gesetzten Zielen lässt sich die Verordnung messen. Die in den vorangegangenen Teilen ermittelten Resultate lassen sich dabei als Anhaltspunkte verwenden, wie es zu unbefriedigenden und einseitig nachteiligen Ergebnissen kommen kann. So lassen sich autonome Kriterien für die Rechtswahl gewinnen, die von den mitgliedstaatlichen Gerichten nicht nur beachtet werden können, sondern müssen. Wenn sich 620 621
Vgl. Kötz, Europäisches Vertragsrecht, S. 158 f. Arnold, Gründe und Grenzen der Parteiautonomie, S. 23, 49.
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3. Kap.: Schwächerenschutz nach Vertragsschluss
die Erforderlichkeit einer Wirksamkeitskontrolle schon dem Effektivitätsgrundsatz entnehmen lässt, dann gebietet dieser ebenso, dass dessen Tatbestandsmerkmale so weit als möglich autonom zu gewinnen sind um internationale Entscheidungsdissonanzen zu vermeiden. a) Ausgangspunkt: einseitig belastendes, unangemessenes Ergebnis Das Haager Unterhaltsprotokoll bestimmt, dass allein das Ergebnis der Rechtsanwendung, ähnlich wie beim ordre public, in Betracht gezogen werden muss.622 Dies ist auch sinnvoll.623 Nicht ausgemacht ist hingegen, ob dies für das Scheidungsrecht und die Rom III-VO genauso sein muss. Mehrfach wurde bereits betont, dass sich Scheidungsrecht und Unterhaltsrecht in ihrer Bedeutung unterscheiden. Während es im Unterhaltsrecht um finanzielle Interessen und materielle Bedürftigkeit geht, geht es im Scheidungsrecht darum, eine Ehe zu beenden, mithin um einen sehr persönlichen, emotional stark besetzten Teil der eigenen Biografie. Es ist daher davon auszugehen, dass die Gerechtigkeit, um die es hier geht, ‚ideeller‘ ist als im Unterhaltsrecht und sich weniger in ‚materiellen‘ Ergebnissen niederschlägt. Dies führt zu einer Aufwertung der internationalprivatrechtlichen Interessen der Ehegatten. Die ‚enge Verbindung‘ der Partner zum gewählten Recht spielt eine größere Rolle, wenn das Scheidungsverfahren als legitim empfunden werden soll. Besonders der kulturellen Identität der Individuen kommt hier eine große Bedeutung zu. Je nach persönlicher Auffassung von der Institution Ehe und ihrer Auflösung ist dabei auf verschiedene Positionen Rücksicht zu nehmen. Zwar wird es viele Personen geben, die keinen großen Wert auf diesen Aspekt der Scheidung legen, weil es ihnen tatsächlich nur um das materielle Ergebnis der Rechtsanwendung geht: eine schnelle Scheidung. Doch lässt sich dieser Befund ebenso wenig verallgemeinern und verabsolutieren wie das Gegenteil, dass alle Partner im Scheidungsverfahren ihre kulturelle Identität verteidigen. Für die Wirksamkeitskontrolle bedeutet das jedoch, dass zur Feststellung der Unangemessenheit des Ergebnisses auf mehrere Aspekte Rücksicht zu nehmen ist. Es kommt nicht nur auf die sachrechtlichen Implikationen der Rechtswahl an, sondern auch auf die kollisionsrechtliche Gerechtigkeit der Rechtswahl. Die Wahl muss tatsächlich Ausdruck der engen Verbundenheit beider Parteien mit dem gewählten Recht sein. Wenn nicht, kann dies als Anzeichen für ein einseitig unangemessen belastendes Ergebnis gewertet werden. Das läuft letztlich wieder auf eine Gesamtbetrachtung mit Wertung nur für den Einzelfall hinaus. Das Gericht kann jedoch weitere Überlegungen anstellen, als es ihm nach dem Haager Unterhaltsprotokoll möglich ist, um seine Entscheidung zu begründen. 622 623
Palandt/Thorn, HUP, Rn. 33. Siehe oben A. IV. 2. a).
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aa) Defizite der internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit Die Aufgabe, eine enge Verbundenheit der Parteien mit dem anwendbaren Recht sicherzustellen, wird durch die Begrenzung der Rechtswahlmöglichkeiten auf wenige wählbare Rechtsordnungen sichergestellt.624 Die Rechtswahlmöglichkeiten wurden bereits untersucht. Hier hat sich an mehreren Stellen jedoch gezeigt, dass die in der Verordnung gefundene Lösung nicht restlos überzeugend ist, sondern Defizite internationalprivatrechtlicher Gerechtigkeit auftreten können. Oftmals hat es sich jedoch auch erwiesen, dass es kaum möglich ist, diese Defizite einzudämmen. Oft ist es auch nicht sinnvoll, bestimmte Rechtswahlmöglichkeiten einzuschränken, da sie für Paare mit ausreichendem Informationsniveau und gleicher Verhandlungsstärke durchaus eine Alternative darstellen. Statt unflexibler Ja/Nein-Lösungen bietet es sich somit an, die Überlegungen zur Einschränkung der Rechtswahlmöglichkeiten mit den Mitteln der Wirksamkeitskontrolle abzuschließen. (1) Probleme der Staatsangehörigkeitsanknüpfung (a) Mehrfache Staatsangehörigkeit Grundsätzlich ist die Staatsangehörigkeitsanknüpfung immer problematisch, wenn nicht an eine gemeinsame Nationalität angeknüpft wird, da eine Partei dann keine Beziehung zum gewählten Recht hat. Besondere Probleme ergeben sich im Rahmen der Wahl eines Heimatrechts der Ehegatten zunächst, wenn eine nicht-effektive Staatsangehörigkeit gewählt werden soll. Der Verordnung ist nicht eindeutig zu entnehmen, ob eine solche subjektive Anknüpfung möglich ist. Vieles deutet indessen darauf hin.625 Vollständig überzeugt aber weder eine uneingeschränkte Erlaubnis, jedes Recht, dem man über eine formelle Staatsangehörigkeit zugeordnet wird, zu wählen, noch eine Beschränkung auf die effektive Staatsangehörigkeit. Gegen diese Beschränkung spricht vor allem, dass von den Ehegatten nicht verlangt werden kann, eine Effektivitätsprüfung vorzunehmen, die vom Gericht später anders beurteilt werden könnte. Die Begriffe der effektiven und nicht-effektiven Staatsangehörigkeit sind letztlich Begriffe, die zur objektiven Anknüpfung passen, für die Interessenlage bei der Rechtswahl aber zu starr sind.626 Letztlich ist es überzeugender, auch eine Wahl des Rechts der nicht-effektiven Staatsangehörigkeit prinzipiell zuzulassen.627 Damit ergibt sich für Ehegatten eine weitere Möglichkeit, um ihre Scheidung vorhersehbar zu planen. Es
624
Siehe oben § 4 A. Siehe oben § 4 B. I. 3. a) aa). 626 Siehe oben § 4 B. I. 3. a) cc). 627 So auch MK-BGB/Winkler von Mohrenfels, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 8; Palandt/Thorn, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 4; Erman/Hohloch, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 7; 625
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3. Kap.: Schwächerenschutz nach Vertragsschluss
bleibt aber dabei, dass ein weiteres wählbares Recht für eine schwächere Partei immer eine Gefahrenquelle der Überforderung darstellt. Eine weitere Rechtsordnung verlangt nicht nur zusätzliche Kenntnisse über die sachrechtlichen Voraussetzungen der Scheidung. Das Ergebnis der Rechtsanwendung kann schließlich ein ganz anderes sein als bei den anderen zur Wahl stehenden Rechtsordnungen. Je loser die Verbindung der Ehegatten zu diesem Staat ist, desto weniger überzeugend ist zudem das Ergebnis. Die Wahl des Rechts der ineffektiven Staatsangehörigkeit kann somit vom Standpunkt der internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit aus ungerecht erscheinen. Dies ist dann der Fall, wenn eine wirkliche Beziehung zu diesem Staat nicht festgestellt werden kann. Vor allem kann sich so eine Wahl für die Partei als ungerecht darstellen, die selbst diese Staatsangehörigkeit nicht hat. Als Indiz zur Feststellung der groben Unbilligkeit des Ergebnisses kann eine solche Rechtswahl also durchaus herangezogen werden. Dabei ist jedoch darauf zu achten, dass nicht allein auf Grund der Feststellung, es handele sich um eine nicht-effektive Staatsangehörigkeit, von der Unbilligkeit des Ergebnisses ausgegangen wird. Die Begriffe „effektive und ineffektive Staatsangehörigkeit“ sind selbst keine Begriffe des Europäischen Kollisionsrechts, sondern nationale Konzepte, die herkömmlich nur zur Bestimmung des Verweisungsziels bei der objektiven Anknüpfung eingesetzt wurden.628 Man sollte das Konzept, das sich in Deutschland in Artikel 5 Abs. 1 S. 1 EGBGB wiederfindet, daher nicht ohne weiteres auf die Rechtswahl übertragen. Selbst im deutschen autonomen IPR mit seinen begrenzten Rechtswahlmöglichkeiten wird die Norm bei der Rechtswahl nicht angewandt (vgl. z.B. Artikel 14 Abs. 2 EGBGB: „ungeachtet des Artikels 5 Abs. 1“).629 Für das Europäische IPR ist eine Effektivitätsprüfung nicht angebracht. Es ist daher notwendig, das Konzept der Effektivität für die subjektive Anknüpfung neu zu denken: Die Wahl eines ineffektiven Rechts ist ein Zeichen für ein unbilliges Ergebnis, für eine unrichtige Anknüpfung. Die Frage, ob eine Staatsangehörigkeit effektiv ist, kann bei der Rechtswahl aber nicht nach denselben Kriterien wie bei der objektiven Anknüpfung bestimmt werden. Deren grobes Motto „es kann nur eine geben“ ist hier nicht sinnvoll. Ein Beispiel mag das illustrieren. Angenommen, eine Person mit doppelter Staatsangehörigkeit A und B hat zu Staat A eine Verbindung von 51%, zu dem anderen Staat B eine Beziehung von 49%.630 Nach Artikel 5 Abs. 1 S. 1 EGBGB ließe sich eine ef-
Helms, FamRZ 2011, 1765, 1770; Traar, ÖJZ 2011, 805, 809; Bariatti, YPIL 2011, 1, 14; Hau, FamRZ 2013, 249, 253; Fuchs, FS Martiny, S. 303, 318. 628 Vgl. MK-BGB/von Hein, Artikel 5 EGBGB, Rn. 73; Bariatti, YPIL 2011, 1, 3 ff. 629 Vgl. Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, S. 343 ff. 630 Der Grad der Verbundenheit mit einer Rechtsordnung lässt sich natürlich nicht berechnen und in Prozenten angeben. Für die Verdeutlichung ist eine Quantifizierung jedoch zweckdienlich.
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fektive Staatsangehörigkeit A eindeutig identifizieren. Doch ist der Unterschied in der Beziehung tatsächlich so groß, dass es nun kollisionsrechtlich unbefriedigend und problematisch erschiene, wenn die Ehepartner nun das Recht des Staates B wählen würden? Dafür ist die Beziehung doch noch zu groß. Die Bestimmung einer effektiven Staatsangehörigkeit stellt sich oftmals als schwierig dar, die Kriterien werden dabei oft ziemlich aussageschwach.631 Eine mögliche Rangordnung ist dabei nicht aussagekräftig genug, um sich gegen den Parteiwillen durchsetzen zu können. Gefragt werden muss daher also gar nicht, ob eine Staatsangehörigkeit effektiv ausgeübt wird. Es ist lediglich zu beobachten, wann eine Verbindung zu einem Staat so gering ist, dass sie nicht mehr als ernsthafter Ausdruck einer engen Verbindung angesehen werden kann. Die Anforderungen hier sind eher hoch. Die Beziehungslosigkeit sollte als offensichtlich eingestuft werden können. Dazu kann man Kriterien heranziehen, die für die Bestimmung der effektiven Staatsangehörigkeit sonst ausschlaggebend sind. Mehrere Kriterien sollten kumulativ zusammengenommen werden: Relevant kann sein, ob einer der Gatten jemals einen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Land hatte und wie lange dieser dauerte.632 Ein starkes Indiz wäre es, wenn die Person im Verlauf ihres Lebens niemals einen gewöhnlichen Aufenthalt in dem Staat hatte, dessen Staatsangehörigkeit sie formal innehat. Weiterhin in Betracht kommt die persönliche kulturelle Verbundenheit mit dem Staat, etwa über die gelernte Sprache, Religion oder sonstige Prägungen, z.B. durch die Schulausbildung. Hierbei können die persönlichen Lebensverhältnisse einbezogen werden, etwa Familie und Freunde in dem jeweiligen Land.633 Subjektive Faktoren wie die Zukunftsplanung können nur berücksichtigt werden, wenn sie sich irgendwie objektiv ausgedrückt haben.634 Sollte so festgestellt werden, dass eine Staatsangehörigkeit eigentlich nur formal besteht, aber keine wirkliche Beziehung zu dem Land ausdrückt, so ist diese für die Belange der Rechtswahl ineffektiv. Das heißt nicht, dass sie niemals ge-
631 So wird gelegentlich auf Zufälligkeiten ohne Aussagekraft wie den Geburtsort abgestellt, teilweise auf staatsbürgerliche Rechte und Pflichten, die allenfalls Aussagekraft haben können, wenn ihre Ausübung in der Hand des Staatsangehörigen liegt, was zum Beispiel beim Wehrdienst nicht immer der Fall sein wird; kritisch zu diesen Kriterien etwa Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, S. 290, 297. 632 Der gewöhnliche Aufenthalt ist das wichtigste Kritierium zur Effektivitätsbestimmung, vgl. Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, S. 266 mit vielen Nachweisen; Staudinger/Bausback, Artikel 5 EGBGB, Rn. 15; MK-BGB/von Hein, Artikel 5 EGBGB, Rn. 65; BeckOK-BGB/Lorenz, Rn. 6; Kegel/Schurig, IPR, S. 454. 633 MK-BGB/von Hein, Artikel 5 EGBGB, Rn. 57. 634 MK-BGB/von Hein, Artikel 5 EGBGB, Rn. 57; BeckOK-BGB/Lorenz, Artikel 5 EGBGB, Rn. 6.
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3. Kap.: Schwächerenschutz nach Vertragsschluss
wählt werden könnte. Das Ergebnis ist aber vom Standpunkt kollisionsrechtlicher Gerechtigkeit unangemessen und kann als ein Indiz für eine Störung der Parteiautonomie betrachtet werden. (b) Staatsangehörigkeit und territoriale Rechtsspaltung Bei territorialen Rechtsspaltungen empfiehlt sich ein ähnliches Vorgehen wie bei Personen mit mehrfachen Staatsangehörigkeiten. Wählen die Parteien ein Recht über Artikel 5 Abs. 1 lit. c) Rom III-VO und umfasst der Staat mehrere Gebietseinheiten, von denen jede ihr eigenes Rechtssystem zur Ehescheidung hat, so bestimmt nach Artikel 14 lit. c) Rom III-VO zunächst das interlokale Kollisionsrecht dieses Staates, welche Rechtsordnung die Parteien wählen können. Hat der betroffene Staat aber kein solches territoriales Anknüpfungsrecht, können die Parteien das lokale Recht selbst bestimmen. Dies kann zu internationalprivatrechtlich unbefriedigenden Ergebnissen führen.635 Als Extrembeispiel sind hierbei die Vereinigten Staaten zu nennen. Wieder erscheint es aber nicht sinnvoll, lediglich die Wahl derjenigen Rechtsordnung zu erlauben, zu der die Parteien die engste Verbindung haben. Dies kann im Zweifelsfall schwierig sein. Die Wahl würde unter dem Vorbehalt stehen, dass ein Gericht anders entscheidet. Es fehlt also die Rechtssicherheit für die Ehegatten. De lege lata lässt sich der insoweit eindeutige Artikel 14 lit. c) Rom III-VO auch gar nicht umgehen. In dieser Situation muss die Rechtswahl der Eheleute grundsätzlich hingenommen werden. Wieder kann nur eine Wirksamkeitskontrolle Abhilfe verschaffen. Die Wahl eines Teilrechtssystems, zu der offensichtlich keine enge Verbindung besteht, spricht für ein unangemessenes und unbilliges Ergebnis. (2) Die Wahl der lex fori Nach Artikel 5 Abs. 1 lit. d) Rom III-VO können die Eheleute das Recht des Staates des angerufenen Gerichts wählen. Hierbei handelt es sich grundsätzlich um eine sinnvolle Regelung, die es den Parteien erlaubt, Verfahrenskosten zu sparen, indem ein Gleichlauf von Forum und anwendbarem Recht erreicht wird.636 Probleme können, noch stärker als bei Artikel 7 HUP, dadurch entstehen, dass die Rom III-VO keine zeitliche Begrenzung vorsieht und die Wahl des angerufenen Gerichts bereits vorausschauend beschlossen werden kann, Artikel 5 Abs. 2 Rom III-VO. Die deutsche Sprachfassung, die vom Recht des Staates des angerufenen Gerichts spricht, ist insoweit fehlerhaft. In der Gesamtschau, im Vergleich mit anderen Sprachfassungen ist davon auszugehen,
635 636
Siehe oben § 4 B. I. 3. c). Siehe oben § 4 B. I. 4. a) bb).
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dass das Gericht nicht angerufen sein muss.637 Umstritten ist jedoch, ob in die Vorschrift ein zusätzlicher Bestimmtheitsgrundsatz gelesen werden muss, nach dem das Gericht wenigstens genau bezeichnet werden muss.638 Die Meinungen im Schrifttum gehen auseinander. Ein Teil der Literatur hält eine floating choice of law für möglich.639 Ein anderer Teil lehnt sie ab.640 Eine sinnvolle Eingrenzung auf wenige Rechtsordnungen, zu denen eine enge Beziehung besteht und über die dann aufgeklärt werden kann,641 ist kaum praktikabel, da nicht wirklich eingrenzbar, bis auf die Rechtsordnungen, über die nach Artikel 5 Abs. 1 lit. a-c) Rom III-VO eh Aufklärung notwendig ist.642 Mit dem Erwägungsgrund (18), der eine umfassende Kenntnis vom anwendbaren Recht verlangt, ist dies nicht zu vereinbaren.643 Das Prinzip internationalprivatrechtlicher Gerechtigkeit wird ebenfalls nicht verwirklicht. Auf eine enge Beziehung kommt es gar nicht mehr an: Das Zuständigkeitssystem der Brüssel IIa-VO eröffnet auch reine Gerichtsstände des Antragstellers.644 Vielleicht ist in Artikel 5 Abs. 1 lit. d) Rom III-VO aber auch eine bewusste Ausnahme zu diesem Prinzip gesetzt worden. Hier geht es nicht mehr um typisch kollisionsrechtliche Interessen, sondern nur noch um ganz konkrete materielle: die Parteien möchten in bestimmten Situationen lediglich, dass die Rechtsanwendung möglichst leicht wird um Kosten zu sparen und das Verfahren kurz zu halten.645 Auch wenn dies nicht verallgemeinert werden kann, so gibt es sicherlich Personen, die auch auf die Ehescheidung einen eher nüchternen Blick haben. Für sie stellt die floating choice of law eine Alternative dar, um Planungen vornehmen zu können. Dieser Gedanke rechtfertigt eine Modifikation des Informationsgrundsatzes. Um das Verfahren so weit wie möglich zu vereinfach, scheint es ausnahmsweise angebracht, in Kauf zu nehmen, dass die Parteien nicht über die sachrechtlichen Implikationen des gewählten Rechts aufgeklärt werden können. Stattdessen muss ihnen klar sein, welche Vorteile mit einer floating choice of law verbunden sind, aber auch welche Risiken damit einhergehen und dass 637
Rauscher/Helms, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 40; Palandt/Thorn, Artikel 5 Rom IIIVO, Rn. 5; Gruber, IPRax 2012, 381, 386. 638 Zu den einzelnen Argumenten siehe oben § 4 B. I. 4. b). 639 NK-BGB/Hilbig-Lugani, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 49 ff.; Raupach, Ehescheidung mit Auslandsbezug in der EU, S. 168 f.; Basedow; LA Pintens, S. 135, 142; Hau, FS Stürner, S. 1237, 1241 f. 640 Rauscher/Helms, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 41; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, A, Rn. 383; Andrae, Internationales Familienrecht, § 4 Rn. 16; Gruber, IPRax 2012, 381, 386; Schall/Weber, IPRax 2014, 381, 384. 641 Dafür Rösler, RabelsZ 78 (2014), 155, 170. 642 NK-BGB/Hilbig-Lugani, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 49c. 643 Rauscher/Helms, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 41. 644 Rauscher/Helms, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 39; Coester/Coester-Waltjen, LA Schurig, S. 33, 39. 645 Siehe oben § 4 B. I. 4. bb).
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sie diese auf eigene Verantwortung tragen. Bei den anderen Rechtswahlmöglichkeiten ist ein solch eingeschränktes Informationsniveau nicht angezeigt. Hier ist auch der Vorteil des Gleichlaufs von forum und ius nicht zwingend gegeben. Wenn die Eheleute also nicht einmal garantiert von diesem Vorteil profitieren, dann müssen sie wenigstens über die Grundzüge des gewählten Sachrechts Bescheid wissen.646 Auch wenn die Risiken die Vorteile immer noch überwiegen, lässt sich auf diese Weise eine Blanko-Rechtswahl noch rechtfertigen. Über deren Zulässigkeit entscheidet aber letztlich der EuGH. Nur für den Fall, dass er eine floating choice of law im Grundsatz billigt, kann eine Wirksamkeitskontrolle helfen, kollisionsrechtlich unangemessene und unbillige Folgen zu kompensieren.647 Dass die Blankorechtswahl zu solchen Konsequenzen führt, muss nicht zwangsläufig der Fall sein. Enge Verbundenheit beider Parteien mit dem Forum ist zwar nur eines von mehreren, aber immer noch ein sehr wichtiges Ziel der internationalen Zuständigkeit im IZVR.648 Und so können die meisten internationalen Zuständigkeiten bei Gleichlauf von ius und forum auch zu einem kollisionsrechtlich überzeugenden Ergebnis führen. Es müssen daher die Zuständigkeiten bestimmt werden, bei denen dies nicht mehr gesagt werden kann. Im Fall der Brüssel IIa-VO sind diejenigen Zuständigkeiten unproblematisch, die auch als wählbare Rechtsordnungen in der Rom III-VO zur Verfügung stehen. Dies sind Artikel 3 Abs. 1 lit. a) Spiegelstrich 1, 2, und lit. b) Brüssel IIa-VO. Artikel 3 Abs. 1 lit. a) Spiegelstrich 3 Brüssel IIa-VO ist ebenfalls harmlos. Wenn der Antragsteller die Initiative ergreift und sich auf das Forum des Antragsgegners einlässt, ist es nicht unangemessen, dass dessen Recht zur Anwendung gelangt. Problematisch scheint hingegen zu sein, dass der Antragsteller durch Verlagerung seines gewöhnlichen Aufenthalts nach Artikel 3 Abs. 1 lit. a) Spiegelstrich 5 Brüssel IIa-VO einen Gerichtsstand begründen kann, der keinerlei Beziehung zur Ehe hat, weshalb es nach dem Grundsatz der engsten Verbindung nicht überzeugend ist, diesen Staat das Scheidungsrecht stellen zu lassen. Aus diesem Grund hat der Verordnungsgeber den gewöhnlichen Aufenthalt nur eines Ehegatten auch nicht in die Rom III-VO aufgenommen und auch bei der objektiven Anknüpfung darauf geachtet, dass der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Ehegatten nicht zu lange aufgegeben sein darf, Artikel 8 lit. d) Rom III-VO. Kommt über eine floating choice of law in Verbindung mit dieser Zuständigkeit ein Recht zur Anwendung, zu dem der andere Teil objektiv keinerlei Beziehung hat, so ist dies ein Indiz für ein unangemessenes und unbilliges Ergebnis. Die gleiche Gefahr besteht auch nach Spiegelstrich 6, wenn der Antragssteller nicht nur seinen 646 Auf die Unterschiede beim Informationsniveau ist noch einmal zurückzukommen, siehe unten b) aa). 647 Im Ergebnis auch mit dem Vorschlag einer solchen Kontrolle Rösler, FS Basedow, S. 277, 294 f., 299. 648 Schack, IZVR, Rn. 246 f.
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gewöhnlichen Aufenthalt im Staat des angerufenen Gerichts hat, sondern auch dessen Staatsangehöriger ist. In diesem Fall hat der Antragsgegner auch keine Verbindung zu dem Recht und im Zweifel auch keine Informationen über die Bestimmungen dieses Rechts. Das gleiche gilt für die internationale Zuständigkeit nach dem autonomen deutschen Recht in § 98 Abs. 1 Nr. 4 FamFG, die auch lediglich auf dem einseitigen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland basiert. Auf diese Zuständigkeitsvorschriften kann noch zugegriffen werden, wenn der Antragsgegner seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat hat oder Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist.649 Die Einschränkung, dass die Anerkennung der Scheidung im Ausland nicht offensichtlich ausgeschlossen sein darf, garantiert noch keine enge Verbindung zu dem Recht. Die Wahl einer Rechtsordnung, zu der nicht jeder Ehegatte einen Bezug hat, sei es durch einen gemeinsamen Aufenthalt im Verlauf der Ehe oder durch die Staatsangehörigkeit eines Ehepartners, wie es Artikel 5 Abs. 1 lit. d) Rom IIIVO i.V.m. Artikel 3 Abs. 1 lit. a) Spiegelstrich 5, 6 Brüssel IIa-VO erlaubt, ist auch in anderen Fällen, in denen es zu keiner Blanko-Rechtswahl kommt, ein Argument, das eine Unbilligkeit des Ergebnisses begründen kann. Freilich müssen für ein offensichtlich unbilliges und unangemessenes Ergebnis noch weitere Voraussetzungen hinzukommen. Allein solche schwachen Verstöße gegen die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit dürften kaum ausreichen. bb) Gerechtigkeitsdefizite auf materiellrechtlicher Ebene Das besondere Konzept der Rom III-VO ermöglicht es, neben Defiziten bei der kollisionsrechtlichen Gerechtigkeit auch sachrechtliche Ergebnisse zum Anlass einer Wirksamkeitskontrolle zu nehmen. Dieses Vorgehen ist aus dem Haager Unterhaltsprotokoll und dessen Artikel 8 Abs. 5 HUP bekannt, der auf das Ergebnis der Rechtsanwendung abstellt. Auch hier kommt es auf autonome Kriterien an. Es ist aber wieder gar nicht selbstverständlich, dass sich dem Kollisionsrecht das Bild eines autonomen gerechten Familienrechts entnehmen lässt. Es stellt sich daher die Frage, ob sich der Rom III-VO ein Leitbild der Ehescheidung entnehmen lässt, an dem sich die Wirksamkeitskontrolle ausrichten kann.
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Saenger/Dörner, Artikel 6 EuEheVO, Rn. 1; Schack, IZVR, Rn. 422.
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3. Kap.: Schwächerenschutz nach Vertragsschluss
(1) Das „Leitbild“ vom favor divortii Es gibt eine Tendenz, im Europäischen Recht vor allem die Neuerungen in der Dogmatik zu betonen und ihnen eine prägende Wirkung zuzusprechen.650 Dies ist verständlich, da das Neue immer besonderes Interesse auf sich zieht. Im Falle der Rom III-VO wurde aus den Neuerungen auf ein materielles Leitbild geschlossen, das der Verordnung zugrunde liegen soll. Dieses Leitbild wird oft zusammengefasst als favor divortii.651 Dieser geht einher mit einer angeblichen „Entmaterialisierung“ des Scheidungsrechts.652 Demnach soll die Scheidung vor allem möglichst schnell und einfach gewährt werden. Dieses Leitbild scheint so deutlich in der Verordnung angelegt, dass gelegentlich sogar die Frage aufgeworfen wurde, ob die Union mit Artikel 81 Abs. 2 lit. c) AEUV überhaupt über eine Ermächtigungsgrundlage zum Erlass der Rom III-VO verfüge oder nicht eher eine versteckte Sachnormangleichung betreibe.653 Ein Kompetenzverstoß dürfte hierin jedoch nicht liegen. Gewisse Rückwirkungen auf die sachrechtliche Ebene hat das Kollisionsrecht immer, vor allem wenn es Parteiautonomie vorsieht und den Parteien damit einen größeren Einfluss auf die Gestaltung der Rechtsverhältnisse und das anwendbare Recht gibt.654 Diese Wirkungen sind aber allenfalls mittelbar und legen den Mitgliedstaaten keine Verpflichtungen auf, so dass die Rom III-VO noch im Rahmen der Kompetenz liegt.655 Worauf stützt sich nun die Annahme eines sachrechtlichen Leitbildes genau? Der favor divortii enthält zwei Aspekte. Einmal soll die Scheidung leicht sein, das heißt ohne hohe tatsächliche und inhaltliche Hürden ausgesprochen werden können. Zum anderen soll sie schnell geschehen. Was die Vereinfachung der Scheidung betrifft, so lässt sich diese im Text wiederfinden. Bereits die Brüssel IIa-VO war mit ihren vielen Zuständigkeitsmöglichkeiten und der erleichterten Anerkennung von Scheidungsurteilen von diesem Grundsatz geprägt.656 In der Rom III-VO ermöglicht vor allem die Parteiautonomie die einfache Scheidung.657 Die Parteien haben es in der Hand, ein Recht zu bestimmen, mit dem sie eine Scheidung erreichen können, die ihren
650 Schurig, Das Fundament trägt noch, S. 5, 16 f.; vgl. Michaels, FS Kropholler, S. 151 ff.; Lehmann, FS Spellenberg, S. 245 ff. 651 BeckOGK-BGB/Gössl, Artikel 5 Rom III-VO, Rn. 20; NK-BGB/Gruber, Vor Artikel 1 Rom III-VO, Rn. 50; Mörsdorf-Schulte, RabelsZ 77 (2013), 786, 805. 652 Siehe oben § 2 C. I. 2. 653 Kohler, FamRZ 2008, 1673, 1680; Lardeux, Recueil Dalloz 2008, 795, 798. 654 Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie, S. 30 f. 655 Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiatuonomie, S. 30 f.; NK-BGB/Gruber, Vor Artikel 1 Rom III-VO, Rn. 60; für einen Kompetenzverstoß mit anderer Begründung, aber letztlich auch wegen des Zuschnitts der Regelungen weiterhin Thomale, ZEuP 2015, 517, 526 ff. 656 Schack, IZVR, Rn. 424; ders. RabelsZ 65 (2001), 615, 616 ff. 657 Mörsdorf-Schulte, RabelsZ 77 (2013), 786, 805.
§ 8 Wirksamkeitskontrolle der Rechtswahl
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Erwartungen entspricht. Sie können auch die lex fori zur Anwendung bestimmen und sich damit die Ermittlung ausländischen Rechts ersparen. Die objektive Anknüpfung wird ebenfalls oft zum Gleichlauf von Forum und Recht führen und dieselben Vorteile mit sich bringen.658 Schließlich sorgt Artikel 10 Rom III-VO dafür, dass durch die mitgliedstaatlichen Gerichte selbst dann eine Scheidung vorgenommen werden kann, selbst wenn das anwendbare Recht diese nicht kennt. Zudem schafft es im Falle eines geschlechterdiskriminierenden Rechts die Hindernisse für die benachteiligte Partei aus dem Weg. Jedoch gibt es auch widersprüchliche Signale in der Verordnung.659 Artikel 13 Rom III-VO weist in eine andere Richtung und stellt es den Mitgliedstaaten letztlich frei, eine Scheidung zu verweigern, wenn ihr eigenes Recht keine Scheidung kennt oder die betreffende Ehe nicht als gültig anerkennt. Hier wird das Bild vom favor divortii zumindest getrübt. Auch wird nicht recht ersichtlich, wo sich genau der zweite Aspekt des favor divortii wiederfinden lässt. Eine schnelle Scheidung wird gar nicht so auffällig propagiert, wie es zum Teil angenommen wird. Dass Artikel 8 lit. b) Rom III-VO mit seiner zeitlichen Begrenzung der Anknüpfung an den letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten zur Einreichung des Scheidungsantrags reizen könnte, ist kaum anzunehmen und dürfte allenfalls nachrangig intendiert gewesen sein.660 Soweit Parteiautonomie als Argument aufgeführt wird,661 ist festzustellen, dass es sich hierbei um ein zweischneidiges Schwert handelt. Sie kann sicherlich eingesetzt werden, um eine schnelle Scheidung zu erhalten, wenn also entweder die lex fori gewählt wird oder ein Recht, das keine oder sehr geringe Scheidungsfristen vorsieht. Es ist wahrscheinlicher, dass die Parteiautonomie eher zur Vereinfachung des Verfahrens eingesetzt wird als zu seiner Verkomplizierung.662 Die Rechtswahl ermöglicht es aber genauso, ein strengeres Recht zu wählen, das höhere Anforderungen setzt als das objektiv berufene Recht. Eine solche Rechtswahl wird wohl nicht erst vorgenommen, wenn eine Scheidung sich abzeichnet, sondern zu Beginn der Ehe, wenn die Partner noch nicht mit einer Scheidung rechnen oder vielleicht nicht wissen, wofür sie sich entscheiden. Die Gründe können ganz vielfältig sein und werden vom Recht zunächst nicht hinterfragt. Insgesamt liegt der Rom III-VO sicher ein liberales Scheidungsbild zugrunde. Das bedeutet aber nicht, dass der favor divortii das Telos der Regelungen wäre. Liberalisierung bedeutet hier erstmal nur, dass man den Ehegatten mehr Autonomie zuspricht, sie zu den Herren des Scheidungsverfahrens 658
NK-BGB/Hilbig-Lugani, Artikel 8 Rom III-VO, Rn. 4. Dazu bereits Sahner, Europeanization and doctrines of Private International Law, S. 159, 215 ff. 660 So aber NK-BGB/Gruber, Vor Artikel 1 Rom III-VO, Rn. 55. 661 NK-BGB/Gruber, Vor Artikel 1 Rom III-VO, Rn. 54. 662 NK-BGB/Gruber, Vor Artikel 1 Rom III-VO, Rn. 54. 659
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3. Kap.: Schwächerenschutz nach Vertragsschluss
macht. Dadurch wird die Scheidung losgelöst von einem konservativen Verständnis, nach dem Scheidung letztlich nur durch staatliche oder religiöse Autorität gewährt wird. Die Ehegatten können vielmehr selbst bestimmen, wie ihre Scheidung ablaufen soll. Wenn sie es möchten, können sie Rücksicht auf religiöse oder andere kulturelle Wertvorstellungen nehmen, sie müssen es aber nicht. Die Rechtswahlfreiheit und die übrigen Regelungen sollen den Eheleuten die Scheidung bloß erleichtern. Darüber hinaus lässt sich ein sachrechtliches Ideal der Scheidung in der Rom III-VO aber nicht nachweisen. Der These vom favor divortii ist daher insoweit zu widersprechen, als sie eine Schnelligkeit des Scheidungsverfahrens überbetont. Dies kann das Resultat der Regelungen sein, muss es aber nicht. (2) Kriterium für die Unbilligkeit: radikale Anerkennung des Parteiwillens Wenn insoweit ein sachrechtliches Leitbild des Scheidungsverfahrens fehlt, wie kann dann eine autonome Bestimmung eines sachrechtlich unangemessenen Ergebnisses gelingen? Die Rom III-VO bestimmt zwar nicht, wie ein gerechtes Scheidungsverfahren auszusehen hat, sie bestimmt aber, wer darüber zu entscheiden hat. Es kommt auf den Willen der Parteien an. Dieser muss daher auch Ausgangspunkt zur Bestimmung der sachrechtlichen Unbilligkeit der Rechtswahl sein. Es geht um eine subjektive Unbilligkeit, keine objektive. Hierüber lohnt es sich, einen Moment länger nachzudenken. Dieser Gedanke scheint bei der Wirksamkeitskontrolle neu zu sein. Dies ist er jedoch nicht völlig. Die objektive Unbilligkeit, die sonst im Rahmen der Wirksamkeitskontrolle festgestellt wird, folgt in Wirklichkeit nur aus der Verletzung typisierter und unterstellter subjektiver Interessen. Im Haager Unterhaltsprotokoll wird zum Beispiel vermutet, dass eine Person keine Rechtswahlvereinbarung freiwillig abschließen würde, wenn sie dadurch keinen Unterhalt bekommen könnte. Aber auch diese Entscheidung muss hingenommen, wenn sie frei getroffen und nicht durch ein Verhandlungsungleichgewicht fremdbestimmt wurde. Es geht also niemals tatsächlich um eine objektive Vertragsgerechtigkeit, weshalb es nicht angeraten ist, nach objektiven und allgemeingültig unangemessenen Folgen zu suchen. Es muss festgehalten werden: Die Gerechtigkeit des Vertrags kann gar nicht objektiv bestimmt werden. Diese Wertung obliegt den Parteien. Daher bleibt nichts anderes übrig, als auf den Willen der Parteien als entscheidendes Kriterium. Ideale der Scheidung hingegen gibt es nicht. Die behauptete Entmaterialisierung des Scheidungsrechts663 erweist sich somit eher als Entinstitutionalisierung,664 als Selbstbeschränkung des Staates und seiner Wertungen.
663
Helms, FS Coester-Waltjen, S. 431, 433; siehe oben § 2 C. I. 2. Der Begriff der Entinstitutionalisierung wird übernommen von Staudinger/Mankowski, Artikel 17 EGBGB, Rn. 25. 664
§ 8 Wirksamkeitskontrolle der Rechtswahl
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Wenn man also eine Wirksamkeitskontrolle im Rahmen der Rom III-VO vornehmen möchte, ist es notwendig, sich im Ansatz sehr stark auf den feststellbaren Willen der unterlegenen Partei zu konzentrieren. Hier liegt wohl doch ein qualitativer Unterschied zu den Wirksamkeitskontrollen im Familienrecht und zum Haager Unterhaltsprotokoll: Die radikale Anerkennung des Parteiwillens, auf die es beim Scheidungsstatut ankommt, ist in diesem extremen Maße nicht bei den anderen Fällen erforderlich, weil hier ein Kanon typisierbarer und konsensfähiger vermuteter Interessen festgestellt werden kann. Weist man auf die grundsätzliche Übertragbarkeit der Rechtsprechung zur Wirksamkeitskontrolle bei der Rom III-VO hin, verdeckt man das eigentliche Problem mehr, als dass man es erleuchtet. Ein unbilliges Ergebnis als Ansatzpunkt für eine Wirksamkeitsprüfung ist beim Scheidungsstatut deutlich schwieriger festzustellen. Ausgangspunkt ist wieder ein Vergleich zwischen objektiv anwendbarem und gewähltem Recht. Eine Wirksamkeitskontrolle ergibt keinen Sinn, wenn das nach Artikel 8 Rom III-VO objektiv bestimmte Recht dem gewählten Recht entspricht. Des Weiteren ist festzustellen, ob das Resultat der Anwendung von beiden Rechtsordnungen offensichtlich anders ausfallen würde. Hier stellt sich die Frage, wie weit die Gerichte in die Prüfung einsteigen müssen. Es kann zumindest nicht bedeuten, dass die Gerichte selbst von Amts wegen ermitteln müssen, ob das Ergebnis unter dem objektiv anwendbaren Recht anders ausfallen würde. Die Darlegungslast liegt jedoch bei der Partei, die sich auf die Unwirksamkeit der Rechtswahl berufen möchte. Die Vorteile der Rechtswahl für die Prozessökonomie würden sonst entfallen. Die Parteien müssen also nicht nur zum Tatbestand vortragen, sondern auch konkret zum objektiv anwendbaren Recht. Legt eine Partei substantiiert tatsächliche und rechtliche Gründe dar, warum sie durch die Anwendung des gewählten Rechts belastet wird, muss das Gericht erst in die Prüfung des objektiv anwendbaren Rechts einsteigen. Auch wenn für die Kontrolle der tatsächliche Wille der Parteien noch stärker berücksichtigt werden muss als sonst, reicht nicht jede Abweichung der tatsächlichen Rechtslage von den Vorstellungen der Parteien. Die Eigenverantwortlichkeit der Parteien für ihre Entscheidungen muss auch weiterhin Bewertungsmaßstab sein. Nur ein deutliches und offensichtliches Abweichen der Rechtsordnungen zu Lasten einer Partei gibt Anlass für eine Wirksamkeitskontrolle. Dies spricht gegen eine kleinteilige Prüfung des ohne Rechtswahl anwendbaren Rechts. Wichtig ist es auch zu betonen, dass die Scheidungsfolgen nicht in die Wertung mit einfließen dürfen. Diese sind vom Scheidungsstatut nach Artikel 1 Abs. Abs. 2 lit. d-h) Rom III-VO ausgenommen. Für sie gilt ein anderes Statut, das erst einmal abstrakt von der Rechtswahl des Scheidungsstatuts zu betrachten ist. Dies erschwert die Möglichkeit der Verallgemeinerung der Parteiinteressen bei der Scheidung noch mehr.
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3. Kap.: Schwächerenschutz nach Vertragsschluss
Die Parteien müssen auf tatsächlicher Ebene auch die Vorstellungen erläutern, die sie vom gekorenen Recht bei der Rechtswahl hatten. Das Willensdefizit muss im Zeitpunkt der Rechtswahl bestanden haben. Sonst könnte es dazu kommen, dass die Parteien noch zum Zeitpunkt des Scheidungsverfahrens die Unwirksamkeit der Rechtswahl nachträglich herbeiführen könnten. Die Konkretisierungsanforderungen dürfen aber keinesfalls überspannt werden. Sonst würde eine schwächere Partei nur geschützt werden, wenn sie sich konkrete, aber falsche Gedanken über das gewählte Recht gemacht hat, hingegen nicht, wenn sie nur diffuse und unspezifische Vorstellungen über das Recht hatte und eigentlich noch schutzbedürftiger war. Es dürfte daher genügen, wenn die Person darlegt, dass sie grobe Kenntnisse von den Vorgaben des objektiv anwendbaren Rechts hatte, dass also etwa eine Trennungsfrist einzuhalten ist (oder nicht) und bestimmte Scheidungsgründe anzugeben sind (oder nicht). Die Abweichungen müssen schon deutlich sein und von einigem Gewicht. Durch das etwas komplizierte Abstellen auf die Vorstellungen der Parteien wird jedoch vermieden, dass nationale Gerichte ihre eigenen Vorstellungen von der Angemessenheit eines Scheidungsrechts heranziehen, die von der lex fori vorgegeben sind, wo es eigentlich darum geht, die Autonomie der Ehepartner zu respektieren, unabhängig davon, ob einem die frei getroffene Entscheidung zusagt oder nicht. (a) Unterschiede in zeitlicher Hinsicht, insb. Trennungsfristen Besonders wichtig dürften große Unterschiede bei der Trennungsfrist sein. Hier muss ein augenfälliger Unterschied zwischen beiden Rechten liegen. Sieht das gewählte Recht gar keine Scheidung vor, greift zusätzlich Artikel 10 Rom III-VO. Auch schon bei langen Fristen können sich Überschneidungen mit dem ordre public ergeben. Das deutsche Recht erkennt überlange Fristen etwa dann als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung an, wenn sie sich faktisch wie eine Scheidungssperre auswirken.665 Die Wirksamkeitskontrolle geht der ordre public-Kontrolle vor, da diese nur greifen kann, wenn die Rechtswahl wirksam zustande gekommen ist. Viele Fälle, die für die öffentliche Ordnung nicht tolerierbar sind, überschreiten daher auch die Eingriffsschwelle einer Wirksamkeitskontrolle, soweit sie auch gegen den Willen einer einzelnen Partei verstoßen. Dabei wäre es falsch, nur ein unbilliges Ergebnis anzunehmen, wenn ein Recht extrem lange Scheidungsfristen vorschreibt. Wenn man konsequent auf den Willen der Parteien abstellt, können auch besonders kurze Fristen, die nicht gegen die öffentliche Ordnung verstoßen, problematisch erscheinen. Nur aus Sicht der Parteien muss das Resultat der Rechtsanwendung überraschend und unangemessen sein. Dies kann dann der Fall sein, wenn der Antragsgegner der 665
Staudinger/Mankowski, Artikel 17 EGBGB, Rn. 227 mit weiteren Nachweisen.
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Scheidung widerspricht und die Ehe nach dem gewählten Recht sofort geschieden werden kann, während nach dem objektiv anwendbaren Recht die Voraussetzungen offensichtlich noch nicht vorliegen. Wenn Erwartungen der Parteien an das gewählte Recht stark enttäuscht werden, die mit der Rechtswahl verbunden waren und sie motiviert haben, ist es angemessen, zu erforschen, ob die Einigung aus einem freien Willen entstanden ist oder unter Bedingungen der Fremdbestimmung. Als Beispiel: Es kann nicht nur unangemessen und unbillig für eine Ehefrau sein, eine Trennungsfrist von vier Jahren abwarten zu müssen, wie es das irische Recht vorsieht,666 sondern ebenso unbillig, wenn eine stark gläubige Katholikin sich urplötzlich mit einem Scheidungsantrag konfrontiert sieht und die Ehe nach spanischem Recht ohne Einhaltung einer Trennungsfrist und Angabe von Gründen geschieden werden kann,667 während das objektiv anwendbare Recht eine mehrjährige Trennungsfrist vorsieht. (b) Unterschiede in den Scheidungsgründen Auch wenn sich in Europa ein Trend zur Zerrüttungsscheidung und zu mehr Privatautonomie bei der Beendigung der Ehe durchsetzt,668 gibt es europaweit und weltweit die unterschiedlichsten Scheidungsgründe. In vielen Rechtsordnungen hält sich dabei das Konzept der Verschuldensscheidung. Demnach kann die Scheidung durch einen Ehepartner nur beantragt werden, wenn dem anderen Partner eine Verfehlung mit Verschulden gegen die eheliche Lebensgemeinschaft und ihre Pflichten nachgewiesen werden kann.669 Das deutsche Recht, das bis 1976 am Verschuldensprinzip festhielt, nannte in § 1568 BGB a.F. als absolute Scheidungsgründe den Ehebruch, die Lebensnachstellung und das bösliche Verlassen.670 In den meisten Rechtsordnungen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass das Konzept des Verschuldens nicht in der Lage ist, das Scheitern von komplexen zwischenmenschlichen Beziehungen zu erklären, im gerichtlichen Verfahren auch kaum nachgeprüft werden kann und nicht zum Rechtsfrieden zwischen den Parteien führt, sondern den Streit nur noch eskalieren lässt.671 Darüber hinaus hat das Verschuldensprinzip Auswir-
666 S. 5 (1) (a) Irish Family Law (Divorce) Act; Bergmann/Ferid/Henrich/CoesterWaltjen/Jakob, Länderbericht Irland (Stand: 30. November 1999), S. 34. 667 Artikel 81 Abs. 2, 86 CC; Bergmann/Ferid/Henrich/Daum, Länderbericht Spanien (Stand: 12. Oktober 2016), S. 33 f. 668 Staudinger/Mankowski, Artikel 17 EGBGB, Rn. 26; Dethloff, Familienrecht, § 6, Rn. 164; Pintens, FamRZ 2003, 329, 334 f.; siehe auch Weller/Pika, IPRax 2017, 65, 68 ff.; zur Diskussion in Deutschland über rechtsgeschäftliche Scheidungen Rauscher, Familienrecht, Rn. 495a ff. 669 Schwab, Familienrecht, Rn. 330. 670 Dethloff, Familienrecht, § 6, Rn. 3. 671 Dethloff, Familienrecht, § 6, Rn. 5; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 24, Rn. 19.
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kungen auf die Scheidungsfolgen. Ehepartner, denen ein Verschulden vorgeworfen wird, haben in der Regel nur einen geminderten oder gar keinen Anspruch auf Unterhalt oder sonstige vermögensrechtliche Ansprüche. Auch das Sorgerecht für gemeinsame Kinder kann von einem Verschulden beeinflusst werden.672 Mittelbar wirkt sich das Scheidungsrecht über Vorfragen also auch auf andere Statute aus. Eine Verschuldensscheidung kann im emotional sensiblen und kulturell stark geprägten Ehescheidungsrecht eine eigene Unbilligkeit sein. Unter bestimmten Umständen, aber nicht per se, verstoßen solche Rechtsregeln, sofern sie den Geboten der Fairness vollkommen widersprechen und dem schuldhaften Ehegatten keine Möglichkeit geben, von dem Vorwurf des Alleinverschuldens wegzukommen, auch der deutschen öffentlichen Ordnung.673 In diesen Fällen kann die Anwendung eines Rechts, das auf Verschuldensscheidung basiert aber auch individuell unangemessen sein, da zwar vielleicht staatliche Leitbilder der Scheidung fehlen, persönlich aber auch der Vorwurf eines Verschuldens verletzend sein kann (damit kann sich die Wirksamkeitskontrolle auch gegen die lex fori richten, die eventuell selbst auf dem Verschuldensgrundsatz beruht).674 Aber auch in den Fällen, in denen ein Einschreiten des ordre public noch nicht geboten ist, kann eine grobe Unbilligkeit vorliegen. Hierbei kommt es darauf an, ob dem Antragsgegner ein Alleinverschulden vorgeworfen wird oder nicht. Hinzu kommen aber auch Überlegungen der internationalprivatrechtlichen Sphäre. Es muss durch einen Vergleich mit dem nach objektiver Anknüpfung anwendbaren Recht überprüft werden, wie fremd dieses Prinzip dem objektiv anwendbaren Recht ist. Wenn dieses selbst zumindest teilweise auf dem Verschuldensgrundsatz basiert oder noch gar nicht vor so langer Zeit zum Zerrüttungsgrundsatz übergegangen ist, dann ist die Folge der Rechtswahl zumindest nicht grob unangemessen. Im umgekehrten Fall, wenn ein Recht zur Anwendung kommt, das auf dem Zerrüttungsprinzip beruht oder auf der Privatautonomie der Ehegatten, und der Antragssteller mit der Anwendung des Verschuldensprinzips gerechnet hat, findet hingegen keine Wirksamkeitskontrolle statt. Dass die Eheverfehlungen außer Betracht bleiben, ist für die antragstellende Person nicht belastend, wenn sie trotzdem die Scheidung erreichen kann. cc) Fazit Insgesamt erweist es sich als schwierig, genaue Kriterien für das Vorliegen eines unangemessenen und unbilligen Ergebnisses bei der Anwendung der 672
Andrae, Internationales Familienrecht, § 4, Rn. 60. BGH, Urteil vom 26. Mai 1982, Az. IVb ZR 675/80, NJW 1982, 1940, 1942; Staudinger/Mankowski, Artikel 17 EGBGB, Rn. 240 f.; MK-BGB/Winkler von Mohrenfels, 5. Auflage, Artikel 17 EGBGB, Rn. 128. 674 Zur Konkurrenz von ordre public und Wirksamkeitskontrolle siehe oben S. 341. 673
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Rom III-VO zu sammeln. Relativ einfach lassen sich Fälle nennen, in denen Defizite auf internationalprivatrechtlicher Ebene vorliegen. Hier muss sich die Rom III-VO an ihren eigenen Zielen messen lassen. Die so gefundenen Beispiele für eine unangemessene Rechtswahl dürften jedoch kaum jemals so stark sein, dass sie allein eine Wirksamkeitskontrolle auslösen könnten. Es müssen in der Regel deutliche Unbilligkeiten auch auf materiellrechtlicher Ebene dazukommen. Da die Rom III-VO, anders als das HUP, aber kein verbindliches Leitbild der Ehescheidung entwirft (vor allem nicht das einer schnellen Ehescheidung), muss darauf geachtet werden, dass die Gerichte nicht die Wertungen der lex fori heranziehen. Deshalb sind in einem ersten Schritt die Ergebnisse der Rechtsanwendung bei gewähltem Recht und bei objektiv anwendbarem Recht zu vergleichen. Nur bei deutlichen Unterschieden bei den Scheidungsvoraussetzungen kann ein unangemessenes Ergebnis angenommen werden. Zusätzlich ist aber (und dies legt die Rom III-VO in ihrer Gesamtkonzeption immerhin nahe) auf die Vorstellungen der Ehegatten über den Verlauf einer Scheidung zum Zeitpunkt der Rechtswahl abzustellen. Der offensichtlich enttäuschte Wille, die falschen Vorstellungen rechtfertigen dann letztlich die Annahme eines unbilligen und offensichtlich unangemessenen Ergebnisses. Durch diese radikale Anerkennung des Parteiwillens als Leitschnur unterscheidet sich die Wirksamkeitskontrolle von derjenigen im Unterhaltsprotokoll und den einzelnen Leitlinien im materiellen deutschen Recht. Dies ist jedoch notwendig, um die Wirksamkeitskontrolle als Instrument materieller Gerechtigkeitserwägungen zu erhalten. Diese Funktion droht verloren zu gehen, wenn zu sehr darauf geachtet wird, formelle Kriterien einer objektiven Unbilligkeit festzulegen. Wo diese ursprünglich als Erleichterung gedacht waren, um Defizite in der Willensbildung zu identifizieren, bergen sie nunmehr das Risiko, als objektiver Maßstab den Blick auf den tatsächlichen Parteiwillen zu verstellen. b) Defizit der Willensbildung: das Informationsprinzip und weitergehende Konzepte Steht ein unangemessenes und unbilliges Ergebnis fest, so ist dies Anlass zur Überprüfung, ob dieses Ergebnis tatsächlich Ausdruck eines freien und verantwortungsbewussten Willens ist oder ob sich hier ein Verhandlungsungleichgewicht zwischen den Partnern ausdrückt, durch das der eine Teil seine Interessen gegenüber dem anderen Teil durchsetzen kann, ohne dass diesem die Möglichkeit gegeben ist, mit seinen Interessen durchzudringen und diese zur Verhandlung zu stellen. Es gilt, das Defizit der Verhandlungsstärke, von dem die Rom III-VO ausgeht, zu bestimmen und zu überlegen, ob die Vorkehrungen hier ausreichend sind oder ergänzt werden müssen.
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aa) Informationsprinzip (1) Begründung des Ansatzes Die Rom III-VO gibt in ihrem Erwägungsgrund (18) vor, worauf in der Wirksamkeitskontrolle vor allem zu achten ist: „Diese Verordnung sieht als wesentlichen Grundsatz vor, dass beide Ehegatten ihre Rechtswahl in voller Sachkenntnis treffen. Jeder Ehegatte sollte sich genau über die rechtlichen und sozialen Folgen der Rechtswahl im Klaren sein. […] Die Richter in den teilnehmenden Mitgliedstaaten sollten daher wissen, dass es darauf ankommt, dass die Ehegatten ihre Rechtswahlvereinbarung in voller Kenntnis der Rechtsfolgen schließen.“ Die Rom III-VO setzt auch auf das Informationsprinzip.675 Sie stimmt darin überein mit dem Haager Unterhaltsprotokoll676 und auch mit dem Europäischen Privatrecht.677 Dieser Grundsatz hat sich auch schon in den anderen Schutzinstrumenten gezeigt, vor allem in der Beschränkung der wählbaren Rechtsordnungen und bei den Formerfordernissen der Rechtswahl, die idealerweise so angesetzt sein sollten, dass die Parteien in den Vorteil einer Rechtsberatung geraten. Das ist auch überzeugend. Wenn der Verordnungsgeber im Europäischen Privatrecht auf Parteiautonomie setzt, muss man schon im Grunde davon ausgehen können, dass die Parteien bei einem ausreichenden Informationsniveau in der Lage sind, die Rechtswahl selbstbestimmt vorzunehmen. Wenn tatsächliche Strukturen auszumachen wären, die es einer ganzen Gruppe von Personen unmöglich macht, ihre Interessen bei der Rechtswahl durchzusetzen, müssten ganz andere, strengere Maßnahmen getroffen werden. Die größte Herausforderung liegt also im Internationalen Familienrecht nicht so sehr darin, einen bestimmten Ehepartner vor der bewussten Ausnutzung durch den anderen Partner zu bewahren, sondern den Eheleuten die nötigen Informationen zu geben, damit sie selbstständig in die Lage gebracht werden, in diesem für rechtliche Laien schwierigen und oft sehr fremden Bereich eine zufriedenstellende Wahl zu treffen.678 In diesem Sinne fängt die Wirksamkeitskontrolle erst einmal diejenigen Fälle eines Informationsdefizits ab, die durch die Lücken der Formvorschriften gefallen sind. Es ist die Abrundung des Informationsprinzips. Ob es daneben Konstellationen gibt, in denen auch der Grundsatz der ausreichenden Information versagt und die einen weiterreichenden Schutz in der Wirksamkeitskontrolle verlangen, soll hier noch ausgeklammert werden.679 675
NK-BGB/Hilbig-Lugani, Rn. 13; Rühl, FS von Hoffmann, S. 364, 367. Bonomi, Rapport explicatif, Rn. 150. 677 Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, Rn. 248 m.w.N. 678 Was oben § 8, A, II. zum HUP gesagt wurde, gilt genauso für die Rom III-VO und die Güterrechtsverordnungen. 679 Dazu gleich unter bb). 676
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Für die Konkretisierung des Informationsprinzips sollte man sich, um Wertungswidersprüche zu vermeiden, an den Grundsätzen orientieren, die Artikel 8 Abs. 5 HUP vorgibt. Das bedeutet: Wenn ein unangemessenes und unbilliges, einseitig belastendes Ergebnis der Rechtswahl vorliegt, wird zu Gunsten der Partei, die negativ von dem gewählten Recht betroffen ist, angenommen, dass diese nicht über die ausreichenden Informationen verfügt, die ihr erst eine verantwortungsbewusste Ausübung der Parteiautonomie ermöglicht. Diese schwache Partei muss im Rahmen der Rom III-VO immerhin schon darlegen, dass die Rechtswahl für sie unangemessene und unbillige Folgen hat und nicht ihrem Willen entsprach. Das bedeutet, dass die andere Partei nachweisen muss, dass beide Ehepartner vollständig informiert waren und sich der Auswirkungen der Rechtswahl bewusst waren. (2) Dogmatik (a) Umfang der Informationen Die Rom III-VO gibt den Umfang der Informationen vor. Erwägungsgrund (18) Rom III-VO spricht davon, dass die Parteien volle Kenntnis über die rechtlichen und sozialen Folgen der Rechtswahl haben müssen. Das bedeutet, dass sie sowohl die grundsätzliche kollisionsrechtliche Bedeutung der Rechtswahl verstanden haben müssen: Sie müssen wissen, was eine Rechtswahl ist, dass ihnen verschiedene Rechte zur Auswahl stehen, dass ohne Rechtswahl ein bestimmtes Recht objektiv bestimmt wird und wie die Wahl durchzuführen ist. Darüber hinaus müssen sie aber auch die sachrechtlichen Grundzüge des jeweiligen Ehescheidungsrechts kennen. Die Reichweite der Informationen stimmt somit mit dem Haager Unterhaltsprotokoll überein.680 Etwas Anderes sollte für die Rechtswahl nach Artikel 5 lit. d) Rom III-VO nur dann gelten, wenn man eine floating choice of law mit einer unbestimmten Wahl der lex fori zulässt.681 Eine solche Rechtswahl rechtfertigt sich allein durch die materiellen Interessen der Parteien an einem schnellen und kostengünstigen Verfahren. Dementsprechend kann auch der Grad der Informationen abgeschwächt werden. Die Parteien müssen sich bewusst sein, welche Vorteile eine solche Rechtswahl bringt. Gleichzeitig müssen sie aber wissen, dass die rechtlichen Folgen einer solchen Rechtswahl nicht abzusehen sind, weil die sachrechtlichen Voraussetzungen nicht in die Überlegungen der Parteien aufgenommen werden können. Wenn ihnen klar ist, dass sie dies auf eigenes Risiko machen, ist dies hinzunehmen. Die Beweisanforderungen hierfür sind aber hoch. Ohne eine kompetente Rechtsberatung, die genau festhält, dass den Parteien diese Gefahren bewusstgemacht wurden, lässt sich eine solche floa-
680 681
Siehe oben § 8 A. II. 2. Dazu oben § 4 B. I. 4. b) cc).
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ting choice of law bei einem unangemessenen Ergebnis kaum retten. Diese Einschränkung gilt aber, wie gesagt, nur, wenn man eine Blanko-Rechtswahl überhaupt zulässt. (b) Informationsmöglichkeiten zum Scheidungsrecht Was die Möglichkeiten der Ehegatten betrifft, sich über das ausländische Recht zu informieren, so stehen ihnen grundsätzlich die gleichen Wege wie beim Haager Unterhaltsprotokoll offen, so dass auf die bereits gefundenen Ergebnisse verwiesen wird.682 Es sind lediglich einige ergänzende und klarstellende Bemerkungen angebracht. Die Möglichkeiten, sich über die rechtlichen Folgen einer Rechtswahl und die Tatbestandsvoraussetzungen der Scheidung zu informieren, sind deutlich besser als im Unterhaltsrecht. Dies liegt zum ersten daran, dass das Scheidungsrecht in der Regel nicht so komplex ist wie das Unterhaltsrecht. Oftmals sind nur bestimmte Trennungsfristen einzuhalten oder eine Bedenkzeit. Selbst bei der Verschuldensscheidung ist das Konzept zumindest auch Laien leicht verständlich zu machen. Wo die Dogmatik im Detail komplizierter ist, als sie auf den ersten Blick erscheint, lässt sich die wesentliche Struktur verhältnismäßig leicht an juristische Laien vermitteln. Dies kann exemplarisch am Verhältnis von § 1565 Abs. 1 S. 2 BGB zu § 1566 Abs. 1 BGB gezeigt werden, das dogmatisch ungeklärt ist.683 Diese Feinheiten sind jedoch für die Planungssicherheit von Ehegatten in der Regel nicht von Belang. Es reicht, das Scheidungsrecht auf wichtige Grundregeln „herunterzubrechen“: Ohne einen besonders wichtigen Grund ist eine Trennungszeit von mindestens einem, maximal drei Jahren einzuhalten. Hieran können sich die Ehegatten in der Regel orientieren. Im Scheidungsfall müssen sie sich bei Zweifeln einen Rechtsbeistand besorgen. Eine solche vereinfachte Zusammenfassung der Grundregeln für die Ehebeendigung ist für alle Scheidungsrechte möglich. Es ist auch leichter für die Ehegatten, an die notwendigen Informationen für die Ehescheidung zu kommen. Hierfür ist die Seite des Europäischen Justizportals grundsätzlich geeignet.684 Die Länderberichte zum Scheidungsrecht sind nahezu vollständig in allen mitgliedstaatlichen Sprachen erhältlich. Sie 682
Siehe oben § 8 A. II. 3. OLG Köln, Urteil vom 20. September 1977, Az. 21 U 16/77, FamRZ 1978, 25; OLG Hamm, Urteil vom 22. November 1977, Az. 1 UF 124/77, FamRZ 1978, 190; Staudinger/Rauscher, § 1566 BGB, Rn. 18; MK-BGB/Weber, § 1566 BGB, Rn. 40: § 1566 Abs. 1 BGB ist lediglich eine (unwiderlegbare) Vermutung für § 1565 Abs. 1 S. 2 BGB; a.A. Dethloff, Die einverständliche Scheidung, S. 99 f.; BeckOGK-BGB/Unger/Hartmann/Franzius, § 1566 BGB, Rn. 35; Palandt/Brudermüller, § 1566 BGB, Rn. 1; Schwab, Familienrecht, Rn. 344: § 1566 BGB als Vermutungsregel mit Sperrwirkung für Prüfung des Scheiterns der Ehe. 684 Siehe hierzu § 8 A. II. 3. c) bb) (1). 683
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sind auch für Laien verständlich. Hier kommt zugute, dass diese Berichte genau für die Rechtswahl bei der Rom III-VO veranlasst wurden (Erwägungsgrund (17) Rom III-VO). Mit der notwendigen Sorgfalt bei der Aktualisierung und Instandhaltung ist es durchaus möglich, unter Verweis auf diese Internetseite einen Beweis zu führen, dass die Ehegatten sich auch über die sachrechtlichen Aspekte der Rechtswahl informiert haben. Wo die Seite für die Anforderungen, die das Haager Unterhaltsprotokoll stellt, versagt, ist sie beim Scheidungsrecht auf dem richtigen Weg. Es bleibt jedoch noch einmal zu betonen, dass die Seite trotzdem noch Verbesserungspotential besitzt. Sie ist schwer zu finden, auf der Seite selbst muss man erst eine Weile suchen, bis man zu den Länderberichten gelangt. Eine noch einfachere und übersichtlichere Seite wie für das Scheidungsrecht wäre hier ratsam. Die Mitgliedstaaten müssen zudem Wege finden, die Seite bekannter zu machen. Hierzu empfehlen sich Broschüren oder Belehrungspflichten des Standesamtes bei der Eheschließung. Es reicht nicht, lediglich in Erwägungsgründen einer Verordnung, dem „Kleingedruckten“, einen Hinweis auf die Internetseite zu verstecken. Grundsätzlich besteht wieder das Problem, dass Eheleute zwar verhältnismäßig einfach Informationen über europäisches Scheidungsrecht erhalten können, aber keine Hilfestellung erhalten, wenn sie das Recht eines Nicht-Mitgliedstaates wählen wollen. Hier muss auf andere Weise und mit größeren Mühen recherchiert werden. Bezüglich einer Rechtsberatung durch Notare und Anwälte gilt ebenfalls das zum Haager Unterhaltsprotokoll Gesagte entsprechend.685 Zu beachten ist, dass weder Notare noch Anwälte verpflichtet sind, über ausländisches Recht aufzuklären, § 17 Abs. 3 S. 2 BeurkG. Die Rechtsberatung hat auf ihre Grenzen hinzuweisen und festzuhalten, dass sie nicht über ausländisches Recht aufgeklärt hat. Auf diese Weise lässt sich auch eine unangemessene Rechtswahl nicht retten. Immerhin ist es leichter, über ein Scheidungsrecht Auskunft zu erhalten und die Ehegatten aufzuklären. Schon ein Zugriff auf die Datenbank von Bergmann/Ferid/Henrich zum Internationalen Ehe- und Kindschaftsrecht dürfte hier ausreichen, um den Eheleuten kompakt die Informationen zu vermitteln, die sie benötigen.686 Insgesamt dürfte es im Internationalen Scheidungsrecht leichter sein, beide Parteien zu informieren, als im Internationalen Unterhaltsrecht. Nur die allerwenigsten Rechtswahlverträge werden daher an einer Wirksamkeitskontrolle scheitern. Zu einer inflationären Verwendung der Kontrolle wird es nicht kommen. Diese kann wirklich auf die allerseltensten Fälle beschränkt werden. Bei der nach wie vor geringen Popularität der Rechtswahl kann kaum abgeschätzt 685
Siehe oben § 8 A. II. 3. d). Remien, ZVglRWiss 115 (2016), 570, 575 bewertet die Möglichkeiten für die Ermittlung ausländischen Rechts auch grundsätzlich positiv. 686
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3. Kap.: Schwächerenschutz nach Vertragsschluss
werden, wann sich überhaupt ein Anlass für eine Rechtswahlkontrolle ergeben wird. bb) Weitere Defizite der Entscheidungsfreiheit Wie aus dem nationalen Familienrecht und dem nationalen Fallrecht bekannt ist, gibt es auch Ungleichgewichtslagen bei der Verhandlungsfreiheit, die nicht auf mangelnde Informationen zurückzuführen sind. Gerade im Familienrecht gibt es immer noch strukturelle Umstände, die einen Druck auf eine Partei ausüben können, der so weit geht, dass die Person nicht in der Lage ist, ihre Interessen frei auszuhandeln, sondern sich zu einer Zustimmung zu den Vorschlägen der anderen Partei gedrängt sieht: „[e]motionale Verbundenheit, situations- und rollentypisch unterschiedliche Verhandlungsmacht und gegenstandstypische Rationalitätsdefizite.“687 Das Informationsprinzip, auf das die Rom III-VO hauptsächlich setzt, ist nicht in der Lage, diesen Defiziten entgegenzuwirken. Dass im Europäischen Recht bislang hauptsächlich der Schwerpunkt auf der Durchsetzung des Informationsprinzips lag, ist mit den besonderen Aktivitäten der EU im Verbraucherrecht zu erklären. Es geht in diesem Bereich nicht so sehr um Schwächerenschutz und soziale Gerechtigkeit. Es fehlen strukturelle Abhängigkeiten. Stattdessen geht es, in der Form, die das Verbraucherrecht im Europäischen Recht gefunden hat, um Martktteilnahme und „Zugangsgerechtigkeit“.688 Jedoch kennt auch das EU-Recht Felder, in denen es ein solches strukturell verankertes Ungleichgewicht durchaus gibt. Man denke an die Abhängigkeit des Arbeitsnehmers von der durch den Arbeitgeber bereitgestellten Arbeitsstelle. Dieser Gedanke prägt auch das EU-Arbeitsrecht.689 Hier liegt das Verhandlungsungleichgewicht auf der Hand, weshalb sich im Europäischen Arbeitsrecht gut mit Typisierungen und Formalisierungen arbeiten lässt. Aber auch im Verhältnis von Großunternehmen zu kleineren Unternehmen setzt die europäische Normgebung immer mehr Schutzvorschriften um.690 Dass sich ein allgemeines Schutzkonzept im Europäischen Recht noch nicht durchgesetzt hat, liegt am fragmentarischen Charakter des EU-Privatrechts, das vor allem im Familienrecht bislang keine Rolle gespielt hat. Trotzdem ist, und auf mehr kommt es hier nicht an, das EU-Privatrecht trotz Fokussierung auf das Informationsprinzip offen für eine Weiterentwicklung mit Schutzinstrumenten für nur situativ erfahrene Schwächesituationen. Dies zeigt einmal in der Rom III-VO selbst, wenn auch nur schwach, Erwägungsgrund (18), der nicht nur den Grundsatz ausreichender Informationen an-
687
Röthel, JbItalR 25 (2012), 3, 14. Micklitz, Gutachten DJT 2012, A 110. 689 Reich, General Principles, S. 38 f., m.w.N. 690 Vgl. Roppo, ERCL 2009, 304 ff. 688
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spricht, sondern auch darauf hinweist, dass „die Rechte und die Chancengleichheit der beiden Ehegatten […] durch die Möglichkeit einer einvernehmlichen Rechtswahl nicht beeinträchtigt werden“ dürfen, wodurch sich die Rom III-VO zumindest offen für eine Weiterentwicklung des Schutzgedankens zeigt.691 Hinsichtlich der Frage, welche Schwächesituationen nun konkrete Berücksichtigung finden müssen, ist wieder auf die Ausführungen zum Haager Unterhaltsprotokoll zu verweisen.692 Es ist wieder nur nach genauer Prüfung des Einzelfalls zu entscheiden, ob ein strukturelles Ungleichgewicht vorlag. Damit diese Prüfung jedoch nicht in richterliche Willkür abgleitet, bedarf es einer Richtschnur zur Orientierung. Hier bietet sich die Regel an, die in Prinzip 4:109: der PECL zusammengefasst ist und die sich auch wie ein Leitmotiv durch das Europäische Privatrecht zieht.693 Dabei ist natürlich darauf zu achten, dass die Vorschrift, die für das allgemeine Privatrecht konzipiert ist, an die Besonderheiten des Familienrechts angepasst wird. Das Informationsprinzip hilft in den meisten Fällen der Wirksamkeitskontrolle weiter. In bestimmten Fällen stößt es jedoch an seine Grenzen durch die strukturelle Übermacht eines Ehegatten über den anderen. Dies hat dann nichts mehr mit mangelndem Wissen zu tun. Die schwächere Partei muss sich nicht darauf verweisen lassen, dass sie die Folgen genau kannte, wenn sie sich in einer nicht mehr hinnehmbaren Situation genötigt fühlte, der Rechtswahl zuzustimmen. Die Berücksichtigung solcher Ungleichgewichtslagen, die sich nicht, wie die Gefahren eines Informationsdefizits, vorhersehen lassen, würde das Prinzip des Schwächerenschutzes in der Rom III-VO abrunden und die Materialisierung des IPR weiterführen. C. Rechtswahlkontrolle im Anwendungsbereich der Güterrechts-VOen I. Notwendigkeit und Zulässigkeit einer Wirksamkeitskontrolle Für die Güterrechts-VOen muss zuletzt ebenfalls entschieden werden, ob eine Wirksamkeitskontrolle von Rechtswahlvereinbarungen möglich ist. Was die Sinnhaftigkeit einer solchen Kontrolle betrifft, kann nicht in Frage stehen, dass diese auch im Bereich des Güterrechts angebracht ist. Es kann insoweit auf das zum Haager Unterhaltsprotokoll und Rom III-VO Gesagte verwiesen werden. Die Rechtswahl birgt auch im Güterrecht Risiken. Diese bestehen gar nicht so sehr darin, dass ein Recht zur Anwendung kommt, mit dem die Parteien keine enge Beziehung haben. Die Eingrenzung der Rechtswahl ist in den Güterrechts-VOen gelungen. Es stehen nur wenige Rechte zur Auswahl, das
691
Röthel, JbItalR 25 (2012), 3, 14. Siehe oben § 8 A. IV. 3 b). 693 Siehe oben § 8 A. IV. 3.b). 692
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Recht der Staatsangehörigkeit eines Ehegatten und der gewöhnliche Aufenthalt.694 Kollisionsrechtlich unbillige Ergebnisse sind hier kaum denkbar. Was die sachrechtlichen Auswirkungen der Rechtswahl betrifft, stellt das Güterrecht jedoch ein größeres Risiko dar als das Scheidungsrecht. Hier geht es nicht so sehr um soziokulturelle Prägungen oder vertraute Regelungen. Im Güterrecht geht es um materielle Interessen, um die Aufteilung des gemeinsamen oder gemeinsam erarbeiteten Vermögens. In dem Sinne ist es stark mit dem Unterhaltsrecht vergleichbar. In den Güterrechts-VOen gebietet der Effektivitätsgrundsatz ebenso wie bei der Rom III-VO eine Rechtswahlkontrolle. In der Verordnung selbst ist die Kontrolle jedoch ebenfalls nicht erwähnt. Die Erwägungsgründe sind zurückhaltender als bei der Rom III-VO. Ein mutiger und zur materiellen Kontrolle ermunternder Satz wie in Erwägungsgrund (19) Rom III-VO fehlt. Das bedeutet jedoch nicht, dass hier nicht zumindest Anzeichen gefunden werden, die darauf hindeuten, dass auch in den Güterrechts-VOen ein Konzept „voraussetzungsvoller Autonomie“695 der Rechtswahl zugrunde liegt. Nach Erwägungsgrund (47) der EuEheGüVO696 sollten „Regeln zur materiellen Wirksamkeit und zur Formgültigkeit der Vereinbarung über die Rechtswahl festgelegt werden, die es den Ehegatten erleichtern, ihre Rechtswahl in voller Sachkenntnis zu treffen, und die gewährleisten, dass die einvernehmliche Rechtswahl der Ehegatten im Interesse der Rechtssicherheit sowie eines besseren Rechtsschutzes respektiert wird. Was die Formgültigkeit anbelangt, sollten bestimmte Schutzvorkehrungen getroffen werden, um sicherzustellen, dass sich die Ehegatten der Tragweite ihrer Rechtswahl bewusst sind.“ Wie die Rom III-VO ermöglichen die Güterrechts-VOen den Erlass von bestimmten Regeln zur materiellen Wirksamkeit, um zu gewährleisten, dass eine Rechtswahl nur wirksam ist, wenn auch ein ausreichendes Informationsniveau der Parteien gewährleistet ist. Beachtung verdient die Rechtswahl nach den Worten des Verordnungsgebers nur, wenn sie der Rechtssicherheit dient und auf einem informierten Konsens beruht. Dies spricht ebenfalls für das voraussetzungsvolle Konzept der Parteiautonomie. Der zweite Satz von Erwägungsgrund (47) EuEheGüVO spricht jedoch eher gegen die Zulässigkeit einer Wirksamkeitskontrolle, da er die Aufgabe, ein hohes Informationsniveau sicherzustellen, ausschließlich den formellen Regeln zuspricht. Das ist jedoch kein entscheidendes Argument gegen eine Wirksamkeitskontrolle. Diese kann grundsätzlich nicht dazu beitragen, dass die Parteien bei der Wahl sich der Folgen vollständig bewusstwerden, weil sie ausschließlich ex post herangezogen werden kann. Letztlich ist es aber auch unerheblich, ob sich der Verordnungsgeber Gedanken zur Wirksamkeitskontrolle gemacht 694
Siehe oben § 4 D. Röthel, JbItalR 25 (2012), 3, 11. 696 Vgl. auch Erwägungsgrund (46) der EuPartGüVO. 695
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hat, solange er sie nur nicht bewusst ausgeschlossen hat. Da die Möglichkeiten, die Ehegatten über formelle Anforderungen ausreichend zu unterrichten, bei den Güterrechts-VOen wie bei den anderen IP-Rechtsakten begrenzt sind, sind die Risiken für die Ehegatten immer noch sehr hoch. Der ordre public ist allein nicht ausreichend, weil er nicht gegen die lex fori wirkt und das Problem ungleicher Verhandlungsstärken nach seiner Funktion schon nicht erfassen kann. Im Konkurrenzverhältnis von ordre public und Wirksamkeitskontrolle ist die Wirksamkeitskontrolle auch der bevorzugte Weg, weil sie nicht nur einzelne störende Regeln außer Kraft setzt, sondern auch für kollisionsrechtliche Gerechtigkeit sorgt, da die Rechtswahl bei starkem Verhandlungsgleichgewicht keine Anknüpfung begründen sollte. Andere Prinzipien, auf denen das neue Internationale Güterrecht basiert, stehen einer Wirksamkeitskontrolle nicht im Wege. Im Rahmen des Güterrechtsstatuts könnte man etwa an den Drittschutz denken, auf den die Verordnungen sich an vielen Stellen besonders konzentriert haben.697 Ansprüche, die Dritte gegen die Eheleute oder Partner auf das gewählte Güterrechtsstatut stützen, könnten verloren gehen, wenn Gerichte nachträglich die Rechtswahl für ungültig erklären und ein anderes Recht berufen. Dem kann man mit einer Analogie zu Artikel 23 Abs. 3 der Güterrechts-VOen begegnen, der den Dritten bei einer plötzlichen Änderung des anwendbaren Rechts schützen soll. II. Dogmatische Grundzüge der Wirksamkeitskontrolle Wie auch in der Rom III-VO lassen sich in den Güterrechts-VOen keine Normen finden, an denen eine Wirksamkeitskontrolle angeschlossen werden könnte. Daher muss diese im Rechtswahlstatut nach Artikel 24 Abs. 1 der Güterrechts-VOen stattfinden.698 1. Offensichtlich unangemessenes und unbilliges Ergebnis Indiz für eine Störung der Fähigkeit zur freien Entscheidung und autonomen Gestaltung der eigenen Rechtsbeziehungen muss ein offensichtlich unbilliges und unangemessenes Ergebnis sein. Im Gegensatz zur Rom III-VO bietet sich hier wieder eine Orientierung an Artikel 8 Abs. 5 HUP an. Bei beiden Statuten stehen materiellrechtliche Interessen im Vordergrund, da es um konkrete finanzielle Ansprüche geht, sodass es angemessen erscheint, Überlegungen zur Verbindung der Parteien zum gewählten Recht hier außen vor zu lassen und sich auf das Ergebnis der Rechtsanwendung zu konzentrieren. Egal, ob man nun Artikel 8 Abs. 5 HUP analog heranzieht, oder sich auf Generalklauseln wie § 138 BGB stützt, die materiellrechtlichen Folgen stehen im Mittelpunkt
697 698
Heiderhoff, IPRax 2017, 231, 235. Döbereiner, Rechtswahlfreiheit im Ehegüterrecht, S. 63, 79.
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der Überlegungen. Es ist im Übrigen auch unwahrscheinlich, dass rein internationalprivatrechtliche Ungerechtigkeiten auftreten. Die Rechtswahlmöglichkeiten der Artikel 22 Güterrechts-VOen sind nicht offensichtlich zu weit geraten.699 Die missglückte Regelung für die lokale Rechtsspaltung aus der Rom III-VO ist nicht in das Internationale Güterrecht übernommen worden. Sicherlich kann es problematisch werden, dass die Parteien auch das Recht der nicht-effektiven Staatsangehörigkeit wählen können. Grundsätzlich ist es schwierig, dass Rechtsordnungen gewählt werden können, zu denen nicht zwingend beide Parteien eine Verbindung haben müssen. Damit stellt sich wieder die Frage nach einem autonomen Bewertungsmaßstab des Sachrechts, um eine Flucht der Gerichte in die Wertungen der lex fori zu verhindern. Dieser fehlt aber ähnlich wie in der Rom III-VO. Eine Regelung wie Artikel 14 HUP, der als Kriterium immerhin die tatsächliche Bedürftigkeit der unterhaltsberechtigten Person und die Leistungsfähigkeit der unterhaltsverpflichteten Person entnommen werden kann, gibt es nicht. Die GüterrechtsVOen halten sich hier zurück mit eigenen Wertungen, sondern überlassen die Gestaltung des Güterrechtsstatuts und des Güterrechts den Eheleuten. Sie setzen verstärkt auf die Autonomie der Parteien.700 Diese Entscheidung ist als Grundlage für eine möglichst einheitliche Bewertung des Ergebnisses heranzuziehen. Es kann kaum darum gehen, ein bestimmtes konkretes Ergebnis, eine bestimmte Aufteilung des Vermögens, eine bestimmte Verpflichtung oder einen Anspruch als objektiv ungerecht zu beurteilen. Die ehelichen Vermögensrechte unterscheiden sich von Land zu Land doch zu sehr.701 Wie im Kollisionsrecht, so haben die Parteien auch im materiellen Güterrecht, international betrachtet, den größten Spielraum, über ihr Vermögen zu verfügen und es in einer bestimmten Weise aufzuteilen.702 Daher ist die Unangemessenheit des Ergebnisses an den Erwartungen der Eheleute oder Partner zum Zeitpunkt der Rechtswahl auszurichten. Wieder muss zunächst das Ergebnis des Falls nach dem gewählten Recht mit dem Ergebnis nach dem objektiv anwendbaren Recht verglichen werden. Hier muss ein sehr deutlicher und offensichtlicher, erheblicher Unterschied bestehen. Ansonsten besteht kein Anlass zu einer Wirksamkeitskontrolle. Es obliegt dann den Parteien, die sich gegen die Rechtswahl wenden wollen, darzulegen, warum das Ergebnis für sie unangemessen und unbillig ist, vor allem aber, warum dies ihren Erwartungen bezüglich der Partizipation an den gemeinsamen Vermögenswerten oder dem Vermögen des Partners zuwiderläuft. 699
Siehe oben § 4 D. und E. Heiderhoff, IPRax 2017, 160, 162. 701 Es besteht schon keine Einigkeit über den gesetzlichen Güterstand, geschweige denn zu Details, vgl. prägnant die Übersicht der Mitgliedstaaten und der wichtigsten Staaten außerhalb Europas bei BeckOK-GBO/Zeiser, Internationale Bezüge Rn. 84.1 ff. 702 Dethloff, Contracting in family law: A European perspective, S. 65, 70 ff.; BoeleWoelki et al., Principles of European Family Law Regarding Property Relations, S. 92 ff. 700
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Mit der Annahme eines unangemessenen und unbilligen Ergebnisses sollten die Gerichte sehr zurückhaltend sein. Sie müssen sich auf offensichtliche und deutliche Unbilligkeiten beschränken, wenn das Ziel der Rechtssicherheit nicht aufgegeben werden soll. Hierzu ist es jedoch notwendig, ein weiteres objektives Kriterium in die Wertung mit einzubeziehen. Der Wunsch einer Partei, am Vermögen des anderen zu partizipieren, kann letztlich nicht ausreichend sein, um eine Unangemessenheit zu begründen. Es gibt Situationen, in denen der Ausschluss eines Partners vom Vermögen des anderen gerechtfertigt ist. Die Wirksamkeitskontrolle kann nicht dazu führen, dass alle anderen Lösungen als der Halbteilungsgrundsatz des Vermögens in den Verdacht der Unangemessenheit geraten. Der BGH hat bei der Kontrolle von Eheverträgen daher als Bedingung für ein unangemessenes Ergebnis formuliert, dass der Ausschluss des Ehegatten vom Vermögen des anderen nicht eine Rechtfertigung in der individuellen Lebensgestaltung der Parteien findet.703 Sind etwa beide Ehegatten/Partner berufstätig, kann eine stärkere Vermögenstrennung leichter gerechtfertigt werden, als wenn ein Teil arbeitet und der andere sich um die Kindesversorgung kümmert. Es ist immer schwierig, Details einer nationalen Rechtsprechung auf die internationale Ebene zu übertragen, weil man sich dem Vorwurf aussetzt, Grundsätze der autonomen Auslegung zu übersehen. In diesem Fall erscheint es jedoch unschädlich, das Kriterium des BGH zu verallgemeinern. Um die Offensichtlichkeit der Unbilligkeit zu belegen, ist es sinnvoll, die Folgen der Rechtswahl daran zu messen, ob sie sich mit den Plänen und der Biografie der Ehegatten zum Zeitpunkt der Heirat und dem Verlauf der Ehe rechtfertigen lassen. Dies hat nicht den Zweck, ein objektives Kriterium für die Inhaltskontrolle aufzustellen. Die objektive Unvereinbarkeit mit der gelebten Rollenverteilung in der Ehe soll einen Aufschluss liefern, was die Parteien tatsächlich gewollt haben. Die Umstände des Vertragsschlusses lassen Rückschlüsse zu, ob die Parteien die Folgen der Rechtswahl abwägen konnten. Insgesamt muss wieder eine genaue Prüfung aller Umstände des Einzelfalls und eine Abwägung vorgenommen werden, so dass es sich verbietet, genaue Kriterien zu nennen. Man muss dabei von den Vorstellungen und dem Interesse der Parteien an einer für sie interessengerechten Vermögensaufteilung ausgehen. Zusätzlich muss die getroffene Regelung in Widerspruch stehen zur gelebten Aufgabenverteilung in der Ehe und Partnerschaft. Dies dient dazu, festzustellen, was beide Parteien tatsächlich gewollt haben. Ein weiteres Kriterium, an dem sich die Kontrolle ausrichten könnte, gibt es auf internationaler, autonomer Ebene nicht.
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Siehe nur BGH, NJW 2013, 380, 381 und oben § 2 B. II. 2. c) bb).
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2. Spezifisches Defizit der Parteiautonomie Hinsichtlich des spezifischen Verhandlungsdefizits der Parteiautonomie im Europäischen Internationalen Güterrecht kann vollumfänglich auf die Ausführungen zum HUP und der Rom III-VO verwiesen werden.704 Als größte Gefahr für die freie, verantwortungsbewusste Rechtswahl kann die Unwissenheit der Parteien identifiziert werden. Bei einem offensichtlichen und unangemessenen Ergebnis der Rechtswahl kann daher ebenfalls vermutet werden, dass eine Partei nicht die nötigen Informationen hatte. Die andere Partei kann versuchen, diese Vermutung zu widerlegen und darzutun, dass die andere Partei ausreichend informiert war und sehenden Auges die Folgen eingegangen ist. Dies dürfte ebenso schwierig sein wie bei den anderen Statuten. Lediglich im Falle einer Beratung über das Recht, das der Notar kennt, kann man davon ausgehen, dass die Parteien alle nötigen Informationen haben. Ansonsten ist noch ein weiteres Mal die Aufgabe der Mitgliedstaaten und der EU zu betonen, im Internet die für die Parteien wichtigsten Informationen über gesetzliche Güterstände, rechtsgeschäftliche Gestaltungsmöglichkeiten, Haftung für Schulden des anderen und die Folgen bei Beendigung von Ehe und Partnerschaft zur Verfügung zu stellen. Hier liegt ein großes Potenzial, um das Gelingen der Parteiautonomie zu sichern. Die nationalen Staaten und auch die EU haben die nötigen Ressourcen, um die wichtigen Informationen zu sammeln und leicht verständlich zu bündeln. Auch die Praxis könnte davon profitieren. Je leichter zugänglich und je umfangreicher die Sammlung ist, desto eher könnte in der Rechtsberatung auf sie zurückgegriffen werden. Vor allem die Notare, auf deren Mitwirkung es wegen der Formerfordernisse nach deutschem Recht bei der Rechtswahl besonders ankommen wird, müssten sich dann nicht hinter § 17 Abs. 3 S. 2 BeurkG verstecken, sondern könnten sich besser dem internationalen Sachverhalt stellen. D. Fazit Die Wirksamkeitskontrolle ist das wichtigste Instrument zum Schwächerenschutz nach Vertragsschluss. Anders als ordre public und verwandte Vorbehaltsnormen ist sie in der Lage, nicht nur die sachrechtlichen Folgen der Rechtswahl für die Parteien abzumildern, sondern kann das Grundproblem des Schwächerenschutzes angreifen. Hier stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen von einer freien Rechtswahl gesprochen werden kann und wann Parteiautonomie so eingeschränkt ist, dass sie nicht zur Anknüpfung eines Statuts taugt. Für diese Fragen sind die allgemeinen und speziellen Vorbehaltsklauseln blind. Sie bestimmen nur aus sachrechtlichen Gründen Ersatzanknüpfungen, berühren aber die Hauptanknüpfung nicht. Dies geschieht aber bei der
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Siehe oben § 8 A. IV. 3.
§ 8 Wirksamkeitskontrolle der Rechtswahl
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Wirksamkeitskontrolle, weshalb sie den Vorbehaltsklauseln nicht nur vorzuziehen ist. Sie muss auch vorrangig geprüft werden. Dadurch wird der Anwendungsbereich des ordre public freilich deutlich eingeschränkt. Dies liegt daran, dass bei der Wirksamkeitskontrolle ebenfalls eine Unangemessenheitskontrolle vorgenommen wird. Öffentliche Ordnung und die Interessen der Parteien überschneiden sich zum größten Teil. Der ordre public hat bei der Rechtswahl daher einen gar nicht so großen Anwendungsbereich. Er kommt nur zur Anwendung, wenn die Rechtswahl nicht im Ganzen gesehen unangemessen ist, sondern nur einzelne Aspekte der Rechtswahl, so dass eine Unwirksamkeit der gesamten Rechtswahl nicht billig und im Interesse der schwächeren Partei wäre. Schließlich kann der ordre public zur Anwendung kommen, wenn öffentliche Ordnung und Interesse der schwächeren Parteien nicht übereinstimmen. In allen Rechtsakten des Europäischen IPR, die hier untersucht wurden, kann eine Wirksamkeitskontrolle vorgenommen werden. Art und Weise, aber auch Umfang der Kontrolle unterscheiden sich jedoch massiv. Artikel 8 Abs. 5 HUP als einzige ausdrücklich normierte Wirksamkeitskontrolle lässt sich dabei am einfachsten handhaben. Voraussetzung für das Eingreifen ist ein unangemessenes und unbilliges Ergebnis. Ein solches ist ein Signal dafür, dass die Parteien eine Einigung getroffen haben, die die unbillig beschwerte Partei wahrscheinlich nicht aus freien Stücken getroffen hat. Diese Unangemessenheit bezieht sich allein auf die materiellrechtlichen Folgen der Rechtswahl. Zur Bestimmung dieser Unangemessenheit kann auf die Wertungen von Artikel 14 HUP zurückgegriffen werden. Es muss untersucht werden, ob ein angemessener Ausgleich zwischen der wirtschaftlichen Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten und der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners vorliegt. In den Verordnungen ist ein Ansatzpunkt für eine Wirksamkeitskontrolle schwieriger zu finden. Eine Vorschrift wie Artikel 8 Abs. 5 HUP fehlt hier. Allein auf die Erwägungsgründe lässt sich eine solche Kontrolle nicht stützen. Stattdessen muss ein Ansatz im Rechtswahlstatut selbst gesucht werden. Dieses umfasst auch die Regeln für die materielle Wirksamkeit der Rechtswahl. Es bleibt den Mitgliedstaaten allerdings nicht überlassen, ob sie eine Wirksamkeitskontrolle vornehmen wollen oder nicht. Die Notwendigkeit ergibt sich aus den Erwägungsgründen in Verbindung mit dem Effektivitätsgrundsatz und dem europarechtlichen Verbot des Rechtsmissbrauchs. Die Kriterien für eine Wirksamkeitskontrolle sollten sich vor allem durch eine Analyse der Defizite der Verordnungen selbst ergeben, aus dem Prinzip der immanenten Kritik, so dass sie weitgehend autonom und in allen Mitgliedstaaten gleich sind. Bei der Rom III-VO stellt sich das Problem, dass sich die Interessen bei der Scheidung nicht verallgemeinern lassen, so dass hier ebenfalls stärker darauf abzustellen ist, dass die Parteien ihren eigentlichen Willen darlegen und die Unterschiede zum gewählten Recht deutlich machen. Neben den materiellrechtlichen Interessen kann bei der Rom III-VO auch auf kollisionsrechtliche
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3. Kap.: Schwächerenschutz nach Vertragsschluss
Unbilligkeiten abgestellt werden. Das Gericht hat in einer Gesamtschau die Umstände zusammenzutragen und abzuwägen. Dies mag sehr radikal wirken, weil ein objektives Kriterium zur Bewertung dabei vollständig fehlt. Jedoch wurde gezeigt, dass auch in den anderen Fällen das objektive Kriterium nicht aus objektiven Gerechtigkeitserwägungen formuliert wird, sondern weil man davon ausgeht, dass sich die Parteiinteressen insoweit verallgemeinern lassen. Bei den Güterrechtsverordnungen ist es ebenfalls angebracht, nur an die sachrechtlichen Folgen der Rechtswahl zu denken. Da es auch hier nur um vermögensrechtliche Fragen geht, überwiegen die materiellen Interessen der Parteien. Das Haager Unterhaltsprotokoll vermutet, dass diese Partei nicht über die Bedeutung der Rechtswahl und ihre Folgen informiert war. Die tatsächliche Kenntnis wird damit zum Wirksamkeitskriterium der Rechtswahl. Der Willensbegriff wird materiell aufgeladen. Dieses Vorgehen ist überzeugend und lässt sich auf die übrigen Verordnungen übertragen. Das Informationsgefälle zwischen den Parteien ist das größte Hindernis bei der Rechtswahl. Die Staaten trifft daher einmal eine Pflicht, der Unwissenheit der Parteien durch Aufklärung über die rechtlichen Implikationen einer Rechtswahl entgegenzuwirken. Eine Rechtsberatung wird in den meisten Fällen nicht über ausländisches Recht aufklären können. In Deutschland bewahrt § 17 Abs. 3 S. 2 BeurkG die Notare vor einer solchen Pflicht. Allein können die Parteien die Informationen nicht zusammentragen. Standesämter könnten die Aufgabe übernehmen, die Parteien auf den groben internationalprivatrechtlichen Rahmen hinzuweisen. Für die genauere Unterrichtung der Parteien sind neue Medien erforderlich: Im Internet könnten Informationen zu den einzelnen Sachrechten gesammelt werden und sowohl der Rechtsberatung zur Verfügung gestellt, als auch laienverständlich für die Parteien selbst aufbereitet werden. Dies bedeutet zwar einen etwas größeren Aufwand für die Mitgliedstaaten. Allerdings ist dies der einzige Weg, um einen Erfolg der Rechtswahl im Internationalen Familienrecht sicherzustellen. Das Informationsproblem ist jedoch nicht das einzige Hindernis für eine gelungene Rechtswahl. Es gibt nach wie vor vereinzelt Situationen, in denen die eine Partei in struktureller Abhängigkeit von der anderen Partei steht. Hier kann es keine Rolle spielen, ob die belastete Partei sich der Folgen der Rechtswahl bewusst war oder nicht.
Gesamtergebnis: Zusammenfassung und Ausblick 1. Ausgangspunkt dieser Arbeit war die Frage, was Materialisierung bedeutet und ob sie im Internationalen Privatrecht eine Rolle spielt. Im Bürgerlichen Recht werden, im Anschluss an eine Kritik von Max Weber, mit diesem Begriff bestimmte gesetzliche Regelungen und gerichtliche Entscheidungen verbunden, die deshalb zu vehementer Kritik geführt haben, weil sie die Formalität des Privatrechts zu Gunsten außerrechtlicher Werte angreifen würden und daher systemwidrig seien. Dagegen wird die These vertreten, dass nicht lediglich einzelne Phänomene, sondern die gesamte Entwicklung des modernen Privatrechts als stetige Auseinandersetzung mit Materialisierung zu begreifen sind. 2. Dieser Prozess kann dabei im Rahmen einer allgemeinen Ausdifferenzierung der Gesellschaft im Sinne Niklas Luhmanns begriffen werden. Das Recht ist nicht ein alles umspannender Ordnungsrahmen, sondern eines von verschiedenen gesellschaftlichen Teilsystemen, eine bestimmte Art der Kommunikation, ein autopoietischer Kommunikationskreislauf. Es benutzt eine bestimmte Form der Kommunikation, die Rechtsform, also die Differenzierung zwischen Recht/Unrecht, und unterscheidet sich dadurch von seiner Umwelt. Gleichzeitig erhebt das Recht aber den Anspruch, dass seinen Entscheidungen in seiner Umwelt Folge geleistet wird. Wegen der Geschlossenheit der Systeme kann das Recht diesen Gehorsam aber nicht selbst erreichen. Zwischen System und Umwelt klafft eine Lücke. Um befolgt zu werden, muss es entweder auf Zwang und Gewalt (Polizei, Zwangsvollstreckung) zurückgreifen, oder darauf hinarbeiten, freiwillig befolgt zu werden. Das ist eine Frage der Legitimität des Rechtssystems. Hier setzt Materialisierung an. Materialisierung wird dabei verstanden als der Versuch, die Lücke des Rechts zu schließen, indem Bedürfnisse der Umwelt in das System Recht integriert werden, also Bedürfnisse der Materie in die Form des Rechts. Dies erfolgt in mehreren Schritten. Der Prozess der erstmaligen Bewusstwerdung der eigenen Abhängigkeit des Rechtssystems von seiner Umwelt und der Unfähigkeit, diese wegen der Lücke steuern zu können, wurde Reflexivität genannt.
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3. Die Formalisierung des Rechts war die reflexive Antwort auf die Erfordernisse einer noch jungen Bürgerlichen Gesellschaft. Durch den Prozess der Säkularisierung, das Ende absolutistischer Herrschaft und den Übergang zu einer demokratischen Gesellschaft freier Bürger bedurfte das Recht einer neuen Begründung seiner Legitimität. Dies geschah durch eine Formalisierung des Privatrechts, bei der mit Hilfe von abstrakten Normen und allgemeinen Tatbestandsmerkmalen Fälle entschieden werden konnten. Diese Technik ist rational, weil sie das Ergebnis der Rechtsanwendung vorhersehbar macht und eine reibungslose Gleichbehandlung aller Fälle ermöglicht. Gleichzeitig beschränkte sich das Recht darauf, einen Ordnungsrahmen vorzugeben, den es den Rechtssubjekten, also den natürlichen Personen, zur inhaltlichen Ausgestaltung mittels subjektiver Rechte überließ. Dies sind die wesentlichen Kennzeichen des liberalen Bürgerlichen Rechts. Das wichtigste subjektive Recht, das es gewährte, ist die Privatautonomie. 4. Mit der Formalisierung des Rechts wird also bereits versucht, auf die Erwartungen der Umwelt des Rechts einzugehen. Die Rechtsform kommt der Materie, die sie zu regeln versucht, entgegen. Die Reflexivität des Rechts ist bereits Ausdruck eines im Grunde materiellen Denkens. Die Formalisierung des Rechts ist daher dialektisch auch schon als Ansatz einer Materialisierung zu begreifen, während das, was gemeinhin als Materialisierung verstanden wird, ein Versuch ist, die immanenten Defizite jeder Formalisierung des Rechts auszugleichen. Belässt man es nämlich bei einem strikt formellen Recht, tritt man in die „dialektische Falle“. 5. Das formelle Recht unterliegt einer dialektischen, das heißt widersprüchlichen Entwicklung. Dies kann am Beispiel der Vertragsfreiheit gezeigt werden. Durch die Gewährung von formeller Vertragsfreiheit will das Recht den Parteien die freie Gestaltung ihrer Rechtsverhältnisse überlassen. Indem es aber eine Gleichheit der Personen und gleiche Möglichkeiten zur Freiheitsausübung voraussetzt, übersieht es die tatsächliche materielle Ungleichheit der Menschen, die in vielen Fällen die freie Willensbetätigung einer Partei in Verhandlungen mit der anderen Partei ausschließt. Anstatt also Bedingungen zu schaffen, damit beide Parteien sich auf Augenhöhe in den Vertragsverhandlungen begegnen können, überlässt das Recht die schwächere Person dem Spiel des Marktes. Anstatt Freiheit provoziert es zwangsläufig Unfreiheit. Das Recht wird auf diese Weise ideologisch. 6. Das Recht kann theoretisch auf seinem formellen Charakter beharren. Dies beeinträchtigt die Möglichkeiten fortgesetzter selbstreferentieller Kommunikation nicht, verstärkt aber die Entfremdung zur Umwelt. In anderen Systemen der Gesellschaft stoßen gerichtliche Entscheidungen auf Unverständnis und
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Ablehnung, weil das Recht hermetisch abgeriegelt erscheint und blind gegenüber nichtrechtlichen Forderungen. Auf lange Dauer kann das Recht diese Kritik nicht ignorieren und muss die außerrechtlichen Forderungen erneut in das Recht integrieren. Dabei müssen formelle Rechtsentscheidungen überdacht und revidiert werden. Dies ist der zweite Schritt der Materialisierung: die Responsivität. Dieser Aspekt ist es, der in der Rechtswissenschaft die meisten Irritationen hervorruft, weil er die formelle Rationalität in Frage stellt. Diese Kritik verliert jedoch an Überzeugungskraft, wenn man bedenkt, dass es sich dabei eigentlich nur um einen Ausschnitt im langen Prozess der Materialisierung handelt. Zudem konnte gezeigt werden, dass es nicht bei einer Auflösung formeller Strukturen bleibt, sondern dass die materiellen Wertungen wieder Ansatzpunkte für neue Fallgruppenbildungen darstellen. Weil durch responsive Korrektur auf widersprüchliche Entwicklungen des positiven Rechts reagiert wird, kann zugleich verhindert werden, dass die Rechtskorrektur abgleitet in reine Willkür. 7. Materialisierung ist damit der Prozess der Versöhnung des Rechtssystems mit seiner Umwelt durch Reflexivität und Responsivität. Sowohl die Reflexivität der rechtlichen Formalisierung als auch die spontane Durchbrechung des formellen Rechts in der Responsivität sind der Versuch, außerrechtliche Wertungen und Sollenserwartungen in das Recht hereinzutragen. Die Kategorien Formalisierung und Materialisierung sind daher keine Gegensätze, sondern dialektisch vermittelt. Der Wechsel von Phasen relativer Stabilität des juristischen Systems und Umbrüchen im formellen Denken ist notwendig, um die Legitimität des Rechtssystems zu bewahren. Recht ist damit nicht etwas statisches, ein geschlossenes System, sondern ein offener Prozess, der sich wegen seiner dialektischen Entwicklung ständig selbst korrigieren muss. 8. In einem zweiten Schritt wurde untersucht, ob diese Beschreibung des Rechtssystems nur für das Bürgerliche Recht angemessen ist oder ob sie auch für das Kollisionsrecht gilt. Hier konnte gezeigt werden, dass das IPR sich – parallel zum Bürgerlichen Recht – ständig reflexiv entwickelte. Dabei war es meistens auf die Wirkung in seiner Umwelt bedacht. Ein erster materieller Ansatz lässt sich bereits in Savignys Figur vom Sitz des Rechtsverhältnisses erkennen. Hierbei handelte es sich um ein ernsthaftes Bemühen um eine Anknüpfung, die vor allem praktischen Bedürfnissen gerecht werden sollte. Wissenschaft und Gesetzgebung versuchten daher auch in den folgenden Jahrzehnten, Savignys Idee zu konkretisieren. Am deutlichsten wird die reflexive Zielrichtung dieses Unterfangens dabei in der von Kegel begründeten Interessentheorie des IPR. Kegel wollte die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit der Anknüpfung durch Integration und Abwägung der involvierten Interessen bestimmen. In der weiteren Folge wurde versucht, diese Interessen genauer zu bestimmen und methodisch zu dynamisieren. Hierbei stellte sich heraus, dass oft
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nur konkrete Interessen der Parteien auszumachen sind, während öffentliche Interessen oder Ordnungsinteressen selten eine Rolle spielen. Einen anderen Weg der Materialisierung stellt die Konstitutionalisierung des IPR dar. Das BVerfG betonte in mehreren Entscheidungen die Bedeutung der Grundrechte für das IPR und eröffnete somit einen Weg, auf negative Auswirkungen der streng formellen Kollisionsnormen responsiv zu reagieren. 9. Im Zuge der Europäisierung des Kollisionsrechts hat sich gezeigt, dass die klassischen Anknüpfungskriterien keine völlig überzeugende Lösung darstellen, weil sie die Interessen nur generalisieren. Der Gesetzgeber hat im Europäischen Kollisionsrecht daher sein Anknüpfungssystem revolutioniert und den Parteiwillen in den Mittelpunkt gestellt. Parteiautonomie ist damit das primäre Anknüpfungsmerkmal geworden. Dieser Schritt ist vergleichbar mit der (natürlich viel früher erfolgten) Zulassung der Privatautonomie im Bürgerlichen Recht. Der außerrechtliche konkrete Wille der Parteien kann so im Recht selbst direkt zur Geltung kommen. Hierin beweisen Kollisions- und Privatrecht ihre Reflexivität. Parteiautonomie stellt so den stärksten Ausdruck der Materialisierung des Kollisionsrechts dar. 10. Die Entwicklung des Bürgerlichen Rechts hat gezeigt, dass das Recht sich nicht darauf zurückziehen kann, Autonomie zu gewähren, sondern dass es auch Bedingungen schaffen muss, damit beide Seiten im annähernd gleichen Maße von ihrer Verhandlungsmacht Gebrauch machen können. Es bedarf also eines Systems des Schutzes schwächerer Parteien. Dieses basiert auf der Theorie der Richtigkeitschance nach Schmidt-Rimpler. 11. Die Sicherung der Selbstbestimmung des schwächeren Teils ist elementarer Bestandteil eines materialisierten Vertragsrechts. Schwächerenschutz kann zu zwei verschiedenen Zeitpunkten ansetzen. Seine größte Wirkung entfaltet er, wenn er noch vor Vertragsschluss ansetzt und Hindernisse für die Willensbildung direkt beseitigt. Dies kann etwa durch Formerfordernisse geschehen oder durch zwingende Regeln, die die Verhandlungsposition der schwächeren Partei stärken und den Ergebnisdruck von ihr nehmen. Diese Form des Schwächerenschutzes hat den Vorteil, dass sie mit formellen allgemeinen Normen verwirklicht werden kann. Dies setzt allerdings voraus, dass sich das Defizit der Willensbildung und die schützenswerte Partei ex ante identifizieren lassen. Wo dies nicht möglich ist, bleibt als zweiter Weg nur Schwächerenschutz im Einzelfall ex post, nach Vertragsschluss. 12. Dieses Konzept muss in das IPR übernommen werden. Die Rechtswahl ist in der Regel auch ein Vertrag, bei dem sich Parteien mit unterschiedlicher Verhandlungsstärke gegenüberstehen. Die dialektische Falle, das Umschlagen von Rechtswahlfreiheit in Fremdbestimmung, ist daher genauso möglich. Sieht das
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Kollisionsrecht keine Regelungen für den Schutz der schwächeren Partei vor, hat es zwar reflexiv den Bedürfnissen der Umwelt entsprochen, kann aber nicht responsiv auf weitere widersprüchliche Entwicklungen dieser Regelung reagieren. Dadurch sind nicht nur die kollisionsrechtlichen Interessen der einzelnen Parteien bedroht, sondern die Legitimität der Anknüpfung an den Parteiwillen wird insgesamt in Frage gestellt. Grundbedingung der Rechtswahl kann nur ein materieller Willensbegriff sein. 13. Die Untersuchung des Systems des Schwächerenschutzes im Europäischen Internationalen Familienrecht war Gegenstand des zweiten und dritten Kapitels. Jede Überlegung dazu muss mit der Frage beginnen, welche Partei die schwächere ist. Eine einfache Typisierung ist im Familienrecht jedoch nur in sehr engen Grenzen möglich. Mit Sicherheit kann man nur von einer Schutzbedürftigkeit Minderjähriger ausgehen. Darüber verbietet sich jede Pauschalisierung. Dies betrifft vor allem eine Betrachtungsweise, die am Geschlecht ansetzt. Eine generelle Ungleichheit und unterschiedliche Verhandlungsstärken von Männern und Frauen existieren nicht. Dies bedeutet aber nicht im Gegenteil, dass es nicht situationsbedingte Nachteile und strukturelle Abhängigkeiten zwischen den Partnern auf Grund ihrer Geschlechterrollen geben kann. Man muss sich also von Anfang an darauf einstellen, dass es im Einzelfall eine Möglichkeit geben muss, nachträglich anhand der Umstände des Einzelfalls die Wirksamkeit der Rechtswahl zu untersuchen. 14. Jedoch lässt sich ein typisches Defizit der Entscheidungsfreiheit der Parteien ausmachen: der Informationsmangel. Die Rechtswahl ist eine weitreichende Entscheidung, die nicht mehr einseitig geändert werden kann. Dies setzt eine verantwortungsbewusste Wahl voraus. Dafür benötigen die Parteien von Anfang Informationen über die Möglichkeiten der Wahl. Es ist jedoch so, dass die meisten Menschen über rechtliche Fragen im Bereich des Familienrechts nicht aufgeklärt sind. Die wichtigste Aufgabe des Schwächerenschutzes besteht daher darin, das Informationsdefizit der Parteien zu beheben. Hierbei geht es nicht in erster Linie darum, die andere Partei vor einem Wissensvorsprung der anderen Partei zu schützen. Unwissenheit über die Folgen der Rechtswahl ist ein Problem, unter dem beide Partner leiden können. Beide können also „schwach“ sein, ohne dass es eine stärkere Partei geben muss. 15. Der erste Schritt des Schwächerenschutzes bei der Rechtswahl ist die Beantwortung der Frage, ob die Rechtswahlmöglichkeiten eingeschränkt werden sollen. Die Beschränkung der Rechtswahl dient der Wahrung der kollisionsrechtlichen Interessen der Parteien. Dadurch wird die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit verwirklicht. An der Anwendung eines Rechts, zu dem sie keine Beziehung haben, haben die Parteien kein schützenswertes Interesse. Gleichzeitig entlastet die Beschränkung die Parteien, da sie die Komplexität
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der Entscheidung reduziert. Für die Parteien dürfte es zudem leichter sein, sich über ein Recht zu informieren, zu dem sie bereits einen Bezug haben. 16. Im Detail weisen die Rechtswahlregelungen jedoch mehrere Probleme auf. In der Rom III-VO wurden wichtige Fragen offengelassen, etwa zur Definition des gewöhnlichen Aufenthalts, zum Umgang mit Mehrstaatern, Geflüchteten oder Staatenlosen. Missglückt ist die Unteranknüpfung bei Staaten mit mehreren Teilrechtssystemen im Falle der Wahl des Rechts der Staatsangehörigkeit eines Ehepartners. Ergänzt werden die sinnvoll limitierten Rechtswahlmöglichkeiten durch die Wahl der lex fori. Das Zusammenspiel mit der Brüssel IIaVO verläuft jedoch nicht ohne Brüche. So können auch Rechtsordnungen über den Umweg der lex fori gewählt werden, die in der Rom III-VO bewusst ausgeschlossen worden sind. Dieser Wertungswiderspruch lässt sich nicht sinnvoll lösen. Offen ist auch die Frage, ob eine floating choice of law des Rechts des angerufenen Gerichts möglich ist. 17. Um festzustellen, welche Rechtsordnungen die Parteien im Einzelfall wählen können, müssen die einzelnen Begriffe ausgelegt werden. Das Prinzip des Schwächerenschutzes hilft als Leitprinzip einer teleologischen Auslegung dabei nicht weiter. Eine zu komplizierte Auslegung würde den Parteien die Wahl erschweren. Die Parteien brauchen vielmehr möglichst einfach zu identifizierende Wahlmöglichkeiten. Insgesamt erscheint es angemessen, die Rechtswahlmöglichkeiten bei der Auslegung so wenig wie möglich einzuschränken. Im Einzelfall können unangemessene Ergebnisse im Rahmen einer Wirksamkeitskontrolle berücksichtigt werden. 18. Die Wahlbegrenzungen des Haager Unterhaltsprotokolls sind besser gelungen, vor allem die Beschränkung der Wahl der lex fori auf ein konkretes Verfahren. Sinnvoll ist die Ergänzung um akzessorische Anknüpfungen an bestimmte Statute. Zusammenhängende Sachverhalte können so einheitlich entschieden werden. 19. Ebenfalls keine Wertungswidersprüche zeigen sich in den Verordnungen zum Güterrecht für Ehen und Partnerschaften. Es ist eine gute Entscheidung des Verordnungsgebers, auch den Partnern einer eingetragenen Partnerschaft die Rechtswahl zu eröffnen. Ein Ausschluss der Rechtswahl ist nicht zu rechtfertigen. Die Rechtswahl beschränkt sich freilich auf die Rechtsordnungen, die eine registrierte Partnerschaft vorsehen. 20. Während die Eingrenzung der Rechtswahlmöglichkeiten die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit der subjektiven Anknüpfung sichern soll, gibt es Regeln, die sich dem Rechtswahlvertragsschluss selbst widmen. Sie knüpfen
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direkt an das Problem des Informationsmangels der Parteien an und konzentrieren sich darauf, die Parteien mit Hilfe von Formvorschriften zu warnen und sie auf die Gefahren der Rechtswahl aufmerksam zu machen. Die vorgesehenen Formvorschriften sind jedoch insgesamt nicht zufriedenstellend. Die Rechtstexte setzen selbst nur Minimalvorschriften. Von der Schriftform geht kaum eine Warnung aus, Informationen erhalten die Parteien so erst recht nicht. Zwar können die Mitgliedstaaten höhere Formerfordernisse verlangen (außer im Haager Unterhaltsprotokoll). Jedoch hat kaum ein Mitgliedstaat hiervon Gebrauch gemacht. In den Güterrechtsverordnungen hat man die bestehenden Regeln für Eheverträge entsprechend herangezogen. Diese Alternative ist überzeugend. Daneben zeigt das Verweisungssystem dieser Verordnungen im Fall der Kollision verschiedener Formerfordernisse jedoch einen unangebrachten Eurozentrismus. 21. Auch die Regelungen zur materiellen Wirksamkeit der Rechtswahl enttäuschen. Die Verordnungen und das Haager Unterhaltsprotokoll haben selbst nur wenige Regeln für die materielle Wirksamkeit. Sie geben lediglich vor, dass die Rechtswahl ein Vertrag ist, also auf einer Einigung der Parteien beruht. Mit Mühe lässt sich bestimmen, ob diese Rechtswahl auch konkludent vorgenommen werden kann. Weitere Wirksamkeitskriterien sollte man in den Begriff der Einigung jedoch nicht hineinlesen. Die materielle Wirksamkeit der Rechtswahl richtet sich nach dem Recht, das gelten würde, wenn die Rechtswahl wirksam wäre. Diese bootsstrap-rule überzeugt wertungsmäßig nicht, weil die Parteien Wirksamkeitsvoraussetzungen umgehen könnten. Die Europäische Union weicht hier der schwierigen, aber wichtigen Aufgabe aus, eine Allgemeine Rechtsgeschäftslehre der Rechtswahl zu entwickeln. 22. Da der Schutz vor Vertragsschluss also insgesamt schwach ausgebildet ist, müssen besondere Instrumente der nachträglichen Kontrolle diese Defizite im Einzelfall ex post ausgleichen. Hierfür scheint sich zunächst der ordre public aufzudrängen. Im Mittelpunkt steht hier die Frage nach der Reichweite der öffentlichen Ordnung. Der EuGH überlässt die Auslegung des Begriffs den Mitgliedstaaten zur selbstständigen Ausfüllung und wacht hingegen über die Grenzen der Anwendung, um den Anwendungsvorrang des Europarechts nicht zu unterlaufen. Grenzziehung und Inhaltsbestimmung lassen sich jedoch nicht leicht trennen. Wer die Grenzen eines Gebiets festlegt, legt auch dessen Inhalt fest. In mehreren Urteilen lässt sich daher deutlich erkennen, dass der EuGH eindeutige inhaltliche Vorgaben an die mitgliedstaatliche öffentliche Ordnung macht. 23. Es kann nur im Einzelfall festgestellt werden, wie sehr die Wertungen der öffentlichen Ordnung durch das Europäische Recht determiniert werden. Im Internationalen Familienrecht ist der Einfluss des Europäischen Rechts noch
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sehr gering, da es kein Europäisches Familienrecht gibt, das hier seinen Einfluss ausüben könnte. Offen ist bislang der Einfluss der Grundrechtecharta auf die kollisionsrechtliche Ordnung. Nach Artikel 51 der Charta ist diese nur anwendbar, soweit die Mitgliedstaaten das Recht der Union durchführen. Wann dies der Fall ist, ist unklar. Als maßgebliches Kriterium zur Durchführung des Europarechts dient die Frage, ob der Anwendungsvorrang des Unionsrechts die Verdrängung des nationalen Rechts erforderlich macht. In diesem Fall kann direkt auf die Grundrechtecharta zurückgegriffen werden, um Schutzlücken zu vermeiden. Überträgt man dies auf das Kollisionsrecht, so kann man wie folgt differenzieren: Mit dem Instrument des ordre public möchte der europäische Gesetzgeber den Mitgliedstaaten ein Mittel geben, um ganz besonders wichtige eigene Wertungen zu schützen und zu bewahren. Dies ist kein Hindernis für die europäische Integration, sondern deren Voraussetzung. Der ordre public als „Notbremse“ ermöglicht es den Mitgliedstaaten, Vertrauen in die gemeinsamen Kollisionsregeln zu setzen. Einheitliche Anwendung kann daher nicht das Ziel des ordre public sein. Die Grundrechtecharta kann daher nicht herangezogen werden, um die öffentliche Ordnung positiv zu bestimmen. Kein Gericht kann daher die Anwendung des berufenen Rechts unter Verweis auf einen Verstoß gegen die Charta ablehnen. Hingegen ist die Berufung eines Ersatzrechtes eine Frage, bei der es auf eine einheitliche Anwendung ankommt, da ansonsten wichtige Ziele der Kollisionsrechtsvereinheitlichung wie Vorhersehbarkeit des Ergebnisses unterlaufen werden. Die Staaten müssen daher den Inhalt der öffentlichen Ordnung grundsätzlich selbst bestimmen, dürfen dieses Recht aber nicht missbrauchen. Die Grundrechtecharta kann daher herangezogen werden, um eine missbräuchliche Berufung des eigenen Rechts über den ordre public zu verhindern. Besonders relevant ist hier das Verbot der Geschlechterdiskriminierung nach Artikel 21 GRCh. 24. Der ordre public hat jedoch zwei grundsätzliche Nachteile. Zum einen richtet sich der ordre public nur gegen ausländisches Recht zum Schutze der lex fori. Maßstab muss aber der Wille der Parteien sein. Der ordre public ist daher wirkungslos in den Fällen, in denen die lex fori unangemessen und unbillig ist. Zum anderen kann die Vorbehaltsklausel nur auf sachrechtlich unangemessene Folgen der Rechtswahl reagieren. Der Schwächerenschutz muss aber weitere Aspekte im Auge behalten: die internationalprivatrechtliche Angemessenheit der Rechtswahl sowie die konkrete Situation des Vertragsschlusses. Daher bedarf es der Ergänzung um ein vorrangig anzuwendendes Schutzinstrument, das einheitlich alle Aspekte des Einzelfalls berücksichtigt: eine Wirksamkeitskontrolle. 25. Die Wirksamkeitskontrolle macht sich die Theorie der Richtigkeitsgewähr zu Nutze. Ein Vertrag ist danach unwirksam, wenn die Verhandlungsfähigkeit
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der Parteien so eingeschränkt war, dass sie keine selbstbestimmte Entscheidung treffen konnten. Wegen der grundsätzlichen gesetzlichen Entscheidung für Parteiautonomie ist davon ausgehen, dass die Parteien auch frei entscheiden konnten. Anlass für eine Wirksamkeitskontrolle besteht erst bei einem für eine Partei offensichtlich grob unangemessenen Ergebnis. 26. Die einzige kodifizierte Wirksamkeitskontrolle sieht das Haager Unterhaltsprotokoll vor. Zur Bestimmung des unangemessenen Ergebnisses kann auf die autonomen Vorgaben von Artikel 14 HUP zurückgegriffen werden. Kritik verdient der Umstand, dass Artikel 8 Abs. 5 HUP auf eine Rechtswahl nach Artikel 7 HUP keine Anwendung findet. 27. Schwieriger ist die Lage bei den Verordnungen zum Internationalen Familienrecht. Auch wenn in den Erwägungsgründen jeweils deutlich gemacht wird, dass nur eine tatsächliche materielle Entscheidungsfreiheit der Parteien die Anwendung des gewählten Rechts rechtfertigt und die Mitgliedstaaten und deren Gerichte zur Kontrolle aufgefordert werden, findet sich in den Verordnungen selbst kein Ansatz, um eine Wirksamkeitskontrolle nach einheitlichen Kriterien vorzunehmen. Hierfür ist auf das Rechtswahlstatut zurückzugreifen. Es bleibt den Mitgliedstaaten allerdings nicht frei überlassen, ob sie eine Wirksamkeitskontrolle vornehmen wollen. Bei Vorliegen eines offensichtlich unangemessenen Ergebnisses sind sie dazu verpflichtet, die Wirksamkeit der Rechtswahl genauer zu untersuchen. Dies gebieten der Effektivitätsgrundsatz sowie das allgemeine Verbot des Rechtsmissbrauchs. 28. Eine Schwierigkeit besteht darin, autonome Kriterien zu entwickeln, um ein unangemessenes Ergebnis zu erkennen. Ein autonomes Leitbild der Scheidung oder des Güterrechts gibt es nicht. Hier muss man den Mut haben, mangels anderer Alternativen direkt auf den von den Parteien im Prozess dargelegten wirklichen Willen abzustellen. Im Güterrecht kann immerhin die Biografie der Partner herangezogen werden als Indiz für den tatsächlichen Willen der Parteien und ihre Vorstellungen. Im zweiten Schritt ist dann festzustellen, ob dieses unbillige Ergebnis auf einer situativen, strukturellen Unterlegenheit beruht. 28. Diese Arbeit sollte nicht nur eine Empfehlung für die Lösung dogmatischer Probleme geben. Ziel war es, einen Befund über einen Aspekt des Europäischen Kollisionsrechts zu liefern, nämlich den Schutz schwächerer Parteien bei der Rechtswahl, und damit die Frage zu beantworten, ob das Stocken des Integrationsprozesses im Internationalen Familienrecht auch auf die Qualität der Gesetzgebung zurückzuführen sein könnte.
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Die Entscheidung, Parteiautonomie zur Grundlage der Anknüpfung zu machen, war ein richtiger und notwendiger Schritt. Sollte es hiergegen schon Bedenken einzelner Mitgliedstaaten gegeben haben, ist es gut, dass sich diese nicht durchgesetzt haben. Kollisionsrechtsvereinheitlichung ist kein Ziel um jeden Preis. Es kommt auch auf die Qualität der Normen an. Gegebenenfalls ist ein Europa der zwei Geschwindigkeiten hinzunehmen und auf das Verfahren der verstärkten Zusammenarbeit zurückzugreifen.1 Der Durchbruch der Parteiautonomie zeigt, dass das Europäische IPR materialisiertes Recht ist. Wichtiger als die Ordnungsfunktion und interne Stimmigkeit des Rechts ist ihm, dass die Parteien ihren Eigenwillen unmittelbar im Kollisionsrecht zur Geltung bringen können. Deutlicher können sich reflexive Erwägungen nicht ausdrücken. Will das Europäische IPR aber konsequent auf die tatsächlichen Interessen der Parteien Rücksicht nehmen, muss es den dialektischen Entwicklungen der Rechtswahlfreiheit entgegenwirken und einen nicht bloß formellen, sondern materiellen Willensbegriff zugrunde legen. Dabei muss noch einmal betont werden, dass es nicht darum geht, besonders schlimme und ungerechte Folgen von den Parteien fernzuhalten. Es geht darum, ihrem tatsächlichen Willen zur Geltung zu verhelfen. Hiervon hängen die Legitimität und das Gelingen der Anknüpfung ab. Hier zeigt das Europäische Kollisionsrecht noch einige Defizite. Das Konzept des Schwächerenschutzes ist in den Rechtstexten zum Internationalen Familienrecht angelegt, bleibt aber noch oft Fragment. Was dabei vor allem fehlt, ist eine ausformulierte Rechtsgeschäftslehre der Rechtswahl. Der europäische Rechtsvereinheitlichungsprozess ist ins Stocken geraten. Dieser Stillstand bietet sich als Gelegenheit, den bislang geschaffenen Acquis zu überarbeiten und eine Rechtsgeschäftslehre der Parteiautonomie zu entwickeln. Qualität könnte über Quantität gestellt werden. Die EU hat sich vorgenommen, das Internationale Privatrecht und das Internationale Zivilverfahrensrecht auf ihre Konsistenz zu überprüfen und hier Defizite zu beheben.2 Sie sollte diese Möglichkeit insbesondere dazu nutzen, die Vereinbarkeit der Rechtswahl mit den Interessen schutzbedürftiger Parteien sicherzustellen. Hiervon könnte ein wichtigeres Signal ausgehen als von einem weiteren neuen Projekt. In welcher Form dies geschehen muss, ist zweitrangig. Allein ein Kollisionsrecht, das sich der Dialektik der Autonomie stellt, hat die Möglichkeit, die Rechtsentwicklung voranzutreiben, statt Stillstand zu produzieren.
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Andere Einschätzung wohl Thomale, ZEuP 2015, 517, 526 ff., der den Vorstoß zur Rom III-VO für primärrechtswidrig hält, weil sie eine Kollisionsrechtsvereinheitlichung erschwere. 2 KOM(2014) 144 final, S. 9; Basedow, Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht, S. 3, 4 f.
Entscheidungsregister Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EGMR, Urteil vom 18. Juli 1994, Az. 13580/88, NVwZ 1995, 365–366 ........................ 358
Europäischer Gerichtshof EuGH, Urteil vom 5. Februar 1963, Rs. 26/62, Van Gend &Loos, NJW 1963, 1751. ...... 312 EuGH, Urteil vom 14. Dezember 1976, Rs. 24/76, Colzani, Slg. 1976, 1831–1849 ........ 244 EuGH, Urteil vom 9. März.1978, Rs. C-106/77, Simmenthal, Slg. 1978, 629–658 .......... 427 EuGH, Urteil vom 29. Oktober 1980, Rs. C-139/79, Maizena, Slg. 1980, 3393–3426 ...... 74 EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982, Rs. C-283/81, C.I.L.F.I.T., Slg. 1982, 3415–3442 ....................................................................................... 211, 322 EuGH, Urteil vom 1. März.1983, Rs. 250/78, Deka, Slg. 1983, 422–431 ....................... 426 EuGH, Urteil vom 21. September 1983, verb. Rs. 205 bis 215/82, Deutsche Milchkontor, NJW 1984, 2024–2026 ......................................................... 427 EuGH, Urteil vom 11. Juli 1985, Rs. 60/84, Cinéthèque, NJW 1986, 1421–1423 ........... 327 EuGH, Urteil vom 21. Mai 1987, verb. Rs. 133 bis 136/85, Berlin-Butter, NJW 1987, 2148–2149. ............................................................................................ 420 EuGH, Urteil vom 21. September 1989, verb. Rs. 46/87 und 227/88, Hoechst AG, NJW 1989, 3080–3084. ............................................................................................ 420 EuGH, Urteil vom 10. März 1992, Rs. C-214/89, Powell Duffryn, Slg. 1992, I-1745–1780..................................................................................... 270, 272 EuGH, Urteil vom 2. Mai 1996, Rs. C-206/94, Paletta II, Slg. 1996, I-2357–2393. ....... 425 EuGH, Urteil vom 20. März 1997, Rs. C-24/95, Alcan, Slg. 1997, I-1591–1625 ............ 427 EuGH, Urteil vom 29. Mai 1997, Rs. C-299/95, Kremzov, Slg. 1997, I-2637–2647 ........ 317 EuGH, Urteil vom 30. September 1997, Rs. C-36/96, Günaydin, Slg. 1997, I-5143–5177............................................................................................. 425 EuGH, Urteil vom 12. Mai 1998, Rs. C-367/96, Kefalas, Slg. 1998, I-2843–2872 .......... 425 EuGH, Urteil vom 19. November 1998, Rs. C-162/97, Nilsson u.a., Slg. 1998, I-7498–7517............................................................................................. 430 EuGH, Urteil vom 25. November 1998, Rs. C-308/97, Manfredi, Slg. 1998, I-7697–7710............................................................................................. 430 EuGH, Urteil vom 17. Dezember 1998, Rs. C-185/95 P, Baustahlgewerbe, Slg 1998, I-8417–8527 ............................................................................................................ 407 EuGH, Urteil vom 25. Februar 1999, Rs. C-90/97, Swaddling, EuroAS 1999, 42–44 ..... 172 EuGH, Urteil vom 10. Juni 1999, Rs. C-430/97, Johannes, Slg. 1999, I-3486–3497 ....... 103 6637 ......................................................................................................................... 417 EuGH, Urteil vom 23. März 2000, Rs. C-373/97, Diamantis, Slg. I-2000, 1723–1739 ................................................................................................................ 425 EuGH, Urteil vom 28. März 2000, Rs. C-7/98, Krombach, Slg. 2000, I-1935–1973 ................................................................................................. 306 ff., 310
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Entscheidungsregister
EuGH, Urteil vom 11. Mai 2000, Rs. C-38/98, Régie nationale des usines Renault SA, NJW 2000, 2185–2186 ............................................................................................. 308 EuGH, Urteil vom 5. Oktober 2000, Rs. C-376/98, Tabakerzeugnisse, Slg. I-2000, 8498–8534 .................................................................................................................. 69 EuGH, Urteil vom 30. September 2003, Rs. C-167/01, Inspire Art, Slg. 2003, I-10195–10238 ......................................................................................................... 425 EuGH, Urteil vom 16. März 2006, Rs. C-234/04, Kapferer, Slg 2006, I-2605–2618 ....... 427 EuGH, Urteil vom 27. Juni 2006, Rs. C-540/03, Parlament/Rat, Slg. 2006, I-5809–5842 ............................................................................................................. 317 EuGH, Urteil vom 13. Juli 2006, Rs. C-295-298/04, Manfredi, Slg. 2006, I-6619–6674…427 EuGH, Urteil vom 1. April 2008, Rs. C-267/06, Maruko, Slg. 2008, I-1757–1816 ......... 329 EuGH, Urteil vom 14. Oktober 2008. Rs. C-353/06, Grunkin und Paul, Slg. 2008, 7639–7680 ................................................................................................................ 103 EuGH, Urteil vom 2. April 2009, Rs. C-394/07, Gambazzi, Slg. 2009, I-2563–2597 ....................................................................................... 308,309, 313, 335 EuGH, Urteil vom 2. April 2009, Rs. C-523/07, A, FamRZ 2009, 843–847 ............................................................................. 171, 172, 173, 174, 176, 179 EuGH, Urteil vom 16. Juli 2009, Rs. C-168/08, Hadadi, IPRax 2010, 66–71 .. 186, 187, 189 EuGH, Urteil vom 2. März 2010, Rs. C-135/08, Rottmann, Slg. 2010, I-1449–1492....... 182 EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010, Rs. C-208/09, Sayn-Wittgenstein, Slg. 2010, I-13693–13748 ......................................................................................... 332 EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010, Rs. C-279/09, DEB, Slg. 2010, I-13849–13902... 319 EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010, Rs. C-497/10, Mercredi, FamRZ 2011, 617–620 ............................................................................................ 171–141, 177, 179 EuGH, Gutachten vom 8. März 2011, 1/09, Europäisches Patentgericht, Slg. 2011, I-1137–1175 ............................................................................................ 427 EuGH, Urteil vom 25. Oktober 2011, verb. Rs. C-509/09 und C-161/10, eDate Advertising und Olivier Martinez, JZ 2012, 199–202 ................................................ 172 EuGH, Urteil vom 29. März 2012, Rs. C-1/11, Interseroh Scrap and Metals Trading, NVwZ 2012, 615–617 ................................................................................ 417 EuGH, Urteil vom 6. September 2012, Rs. C-619/10, Trade Agency, IPRax 2013, 427–431 ................................................................................................................... 309 EuGH, Urteil vom 22. November 2012, Rs. C-116/11, Bank Handlowy, IPRax 2014, 530–534 ............................................................................................... 427 EuGH, Urteil vom 26. Februar 2013, Rs. C-617/10, Åkerberg Fransson, NJW 2013, 1415–1418 ..................................................................................... 316–325 EuGH, Urteil vom 18. Juli 2013, Rs. C-426/11, Alemo-Herron, NZA 2013, 835–837 .... 417 EuGH, Urteil vom 6. März 2014, Rs. C-206/13, Siragusa, NVwZ 2014, 575–577 ............................................................................. 323, 3244, 326 EuGH, Urteil vom 27. März 2014, Rs. C-265/13, Marcos, EU:C:2014:187, juris ........... 324 EuGH, Urteil vom 30. April 2014, Rs. C-390/12, Pfleger, EuZW 2014, 596–600 .................................................................................................... 316, 318, 323 EuGH, Urteil vom 10. Juli 2014, Rs. C-198/13, Hernández, EuZW 2014, 795–798 ....................................................................................... 324, 326 EuGH, Urteil vom 23. Oktober 2014, Rs. C-302/13, flyLAL-Lithuanian Airlines, IPRax 2015, 543–547 ....................................................................................... 309, 313 EuGH, Gutachten vom 18.12.2014, 2/13, EMRK-Beitritt, Celex-Nr. 62013CV0002, juris ......................................................................... 311, 326 EuGH, Beschluss vom 12. Mai 2016, Rs. C-281/15, Sahyouni,
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IPRax 2017, 90–92 .................................................................................... 347, 365, 367 EuGH, Urteil vom 2. Juni 2016, Rs. C-438/14, Bogendorff von Wolffersdorff, FamRZ 2016, 1239–1245 ......................................................................................... 332 EuGH, Urteil vom 15. März 2017, Rs. C-528/15, Al Chodor, NVwZ 2017, 777–779 ..... 363 EuGH, Urteil vom 20. Dezember 2017, Rs. C-372/16, Sahyouni II, IPRax 2018, 261–263 ........................................................................................................... 347, 365
Bundesverfassungsgericht BVerfG, Beschluss vom 28. Mai 1952, Az. 1 BvR 213/51, BVerfGE 1, 322–332........... 182 BVerfG, Urteil vom 16. Januar 1957, Az. 1 BvR 253/56, BVerfGE 6, 32–45 ......... 106, 107 BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958, Az. 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198–230 .......................................................................................... 36, 53, 55, 129, 321 BVerfG, Beschluss vom 12. November 1958, Az. 2 BvL 4/56, BVerfGE 8, 274–332 ..... 142 BVerfG, Beschluss vom 16. Mai 1961, Az. 2 BvF 1/60, BVerfGE 12, 341–354 ............. 142 BVerfG, Beschluss vom 24. Februar 1971, Az. 1 BvR 435/68, BVerfGE 30, 173–227. .. 321 BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 1971, Az. 1 BvR 636/68, BVerfGE 31, 58–87. 54, 55, 100, 297 ............................................................................. BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 1972, Az. 1 BvL 3/70, BVerfGE 32, 273–279 ......... 406 BVerfG, Beschluss vom 22. Februar 1983, Az. 1 BvL 17/81, BVerfGE 63, 181–196 . 55, 56 BVerfG, Beschluss vom 8. Januar 1985, Az. 1 BvR 830/83, BVerfGE 68, 384–391 ......... 56 BVerfG, Beschluss vom 4. Juni 1985, Az. 1 BvL 12/84, BVerfGE 70, 115–125 ............ 142 BVerfG, Beschluss vom 13. Mai 1986, Az. 1 BvR 1542/84, BVerfGE 72, 155–175 ....... 110 BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 1986, Az. 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339–388. . 320 BVerfG, Beschluss vom 6. Juni 1989, Az. 1 BvR 921/85, BVerfGE 80, 137–170 .......... 106 BVerfG, Beschluss vom 7. Februar 1990, Az. 1 BvR 26/84, NJW 1990, 1469–1472 ........................................................................................ 93,128 BVerfG, Urteil vom 12. Oktober 1993, Az. 2 BvR 2134/92, BVerfGE 89, 155–213 ....... 320 BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 1993, Az. 1 BvR 567/89, BVerfGE 89, 214–236 ......................................................................... 35, 128, 133, 142 BVerfG, Urteil vom 6. Februar 2001, Az. 1 BvR 12/92, BVerfGE 103, 89–111 = FamRZ 2001, 343–350 ...................................................................... 129, 132, 133, 419 BVerfG, Urteil vom 3. April 2001, Az. 1 BvR 2014/95, BVerfGE 103, 197–225 ........... 142 BVerfG, Urteil vom 26. Juli 2005, 1 BvR 782/94, BVerfGE 114, 1–72 .......................... 142 BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005, Az. 1 BvR 1905/02, BVerfGE 115, 51–81 . 142 BVerfG, Beschluss vom 11. Juli 2006, Az. 1 BvL 4/00, NZA 2007, 42–47 .................... 106 BVerfG, Urteil vom 30. Juni 2009, Az. 2 BvE 2/08, BVerfGE 123, 267-437.................. 320 BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2011, Az. 1 BvR 918/10, NJW 2011, 836–841 ........ 107 BVerfG, Urteil vom 24. April 2013, Az. 1 BvR 1215/07, BVerfGE 133, 277–377 ......... 322
Reichsgericht RG, Urteil vom 21. März 1905, Az. II 387/04, RGZ 60, 296–300 .................................... 47 RG, Urteil vom 15. Oktober 1912, Az. VII 231/12, RGZ 80, 219–226 ........................... 380 RG, Urteil vom 19. Dezember 1922, Az. III 137/22, RGZ 106, 82–86 ........................... 289
Bundesgerichtshof BGH, Beschluss vom 12. Februar 1964, Az. IV AR (VZ) 39/63, BGHZ 41, 136–151 ...... 54
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BGH, Urteil vom 28. Oktober 1965, Az. VII ZR 171/63, BGHZ 44, 183–191 ................ 298 BGH, Beschluss vom 12. Mai 1971, Az. IV ZB 52/70, BGHZ 56, 193–204 ..................... 52 BGH, Urteil vom 5. Februar 1975, Az. IV ZR 103/73, NJW 1975, 1068–1069....... 172, 222 BGH, Beschluss vom 12. Dezember 1979, Az. IV ZB 65/79, NJW 1980, 1221 .............. 354 BGH, Beschluss vom 9. Juli 1980, Az. IV b ZR 507/80, NJW 1980, 2643–2645 .............. 56 BGH, Urteil vom 26. Mai 1982, Az. IVb ZR 675/80, NJW 1982, 1940–1943 ................ 448 BGH, Urteil vom 8. Dezember 1982, Az. IVb ZR 333/81, BGHZ 86, 82–90 .................. 130 BGH, Urteil vom 24. April 1985, Az. IVb ZR 17/84, FamRZ 1985, 787 ........................ 130 BGH, Urteil vom 1. April 1987, Az. IVb ZR 41/86, FamRZ 1987, 682–684 .................. 383 BGH, Urteil vom 29. Juni 1987, Az. II ZR 6/87, NJW 1988, 647–648 ........................... 207 BGH, Urteil vom 28. November 1990, Az. XII ZR 16/90, FamRZ 1991, 306–307 ......... 130 BGH, Urteil vom 25. Januar 1991, Az. V ZR 258/89, NJW 1991, 2214–2215 ................ 207 BGH, Urteil vom 27. März 1991, Az. XII ZR 113/90, FamRZ 1991, 925–927 ............... 379 BGH, Urteil vom 4. Juni 1992, Az. IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312–351 ....................... 302 BGH, Beschluss vom 14. Oktober 1992, Az. XII ZB 18/92, BGHZ 120, 29–38 ............. 297 BGH, Urteil vom 7. April 1993, Az. XII ZR 266/91, NJW 1993, 2305–2307 ................... 62 BGH, Urteil vom 2. Februar 1994, Az. XII ZR 148/92, NJW-RR 1994, 642–644 ........... 356 BGH, Urteil vom 9. März 1994, Az. VIII ZR 185/92, NJW 1994, 2699–2700 ................ 244 BGH, Urteil vom 21. September 1995, Az. VII ZR 248/94, NJW 1996, 54–55................. 62 BGH, Urteil vom 23. Januar 1996, Az. VI ZR 291/94, NJW-RR 1996, 732–734 ............ 208 BGH, Beschluss vom 18. September 1996, Az. XII ZB 206/94, JZ 1997, 411–412 ..... 130 f. BGH, Urteil vom 16. April 1997, Az. XII ZR 293/95, FamRZ 1997, 873–875 ............... 130 BGH, Beschluss vom 18. Juni 1997, Az. XII ZB 156/95, NJW 1997, 3024–3026........... 172 BGH, Urteil vom 13. Dezember 2000, Az. XII ZR 278/98, FamRZ 2001, 412–413 ........ 220 BGH, Urteil vom 22. Februar 2001, Az. IX ZR 19/00, NJW 2001, 1731–1732............... 244 BGH, Urteil vom 28. Oktober 2003, Az. X ZR 178/02, NJW 2004, 363 ......................... 127 BGH, Urteil vom 11. Februar 2004, Az. XII ZR 265/02, NJW 2004, 930–937 .................................................................................. 136, 137, 138 BGH, Urteil vom 6. Juli 2004, Az. X ZR 171/02, NJW-RR 2005, 150–152 ............ 244, 273 BGH, Urteil vom 6. Oktober 2004, Az. XII ZR 225/01, NJW-RR 2005, 81–87 .............. 361 BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2004, Az. XII ZB 110/99, FamRZ 2005, 26–27 .......... 137 BGH, Urteil vom 25. Mai 2005, Az. XII ZR 221/02, FamRZ 2005, 1449–1452 ............. 136 BGH, Urteil vom 11. Oktober 2006, Az. XII ZR 79/04, BGHZ 169, 240–255 ................ 351 BGH, Urteil vom 25. Oktober 2006, Az. XII ZR 5/04, BGHZ 169, 328–339 .................. 354 BGH, Urteil vom 17. Oktober 2007, Az. XII ZR 96/05, FamRZ 2008, 386–390 ............. 137 BGH, Urteil vom 28. Mai 2008, Az. XII ZR 61/06, NJW-RR 2008, 1169–1173. ........... 356 BGH, Urteil vom 15. Juli 2008, Az. VI ZR 105/07, BGHZ 177, 237–248 ........................ 63 BGH, Urteil vom 5. November 2008, Az. XII ZR 157/06, FamRZ 2009, 198–202 ......... 136 BGH, Beschluss vom 12. August 2009, Az. XII ZB 12/05, IPRax 2011, 187–190 .......... 222 BGH, Urteil vom 31. Oktober 2012, Az. XII ZR 129/10, NJW 2013, 380–385 .................................................................................. 137, 139, 460 BGH, Beschluss vom 4. Juli 2013, Az. V ZB 197/12, NJW 2013, 3656–3659 ................ 208 BGH, Beschluss vom 15. März 2017, Az. XII ZB 109/16, NJW 2017, 1883–1886. 139, 140
Oberlandesgerichte OLG Köln, Urteil vom 20. September 1977, Az. 21 U 16/77, FamRZ 1978, 25–26 ........ 452 OLG Hamm, Urteil vom 22. November 1977, Az. 1 UF 124/77, FamRZ 1978, 190–191.452 OLG Köln, Urteil vom 16. März 1988, Az. 24 U 182/87, RIW 1988, 555–558. .............. 244
Entscheidungsregister
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Amtsgerichte AG Rheine, Teilurteil vom 20. Februar 2004, Az. 18 F 47/03, FamRZ 2005, 451–453 ... 138
Bundesverwaltungsgericht BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1954, Az. II C 38.54, BVerwGE 1, 206–213 ............. 182
Bundesarbeitsgericht BAG, Urteil vom 23. November 2006, Az. 6 AZR 394/06, NJW 2007, 1831–1836 ........ 251
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Sachregister Sachregister Abschlusskontrolle, siehe Wirksamkeitskontrolle Adorno, Theodor W. 27, 32 AEUV 71 ff., 79, 103, 183, 323, 336, 334, 427, 442 AGB 6, 128, 244 f., 273, 282 ff., 327 allgemeine Ehewirkungen 230 f., 235 allgemeine Handlungsfreiheit, siehe auch Vertragsfreiheit 106 f., 116, 143, 420 f. allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts 39, 107, 189, 307 f., 310, 420–426 Amsterdamer Vertrag 67 ff. Amtsermittlungsgrundsatz 410 f. Anerkennung – Anerkennungsprinzip, Anerkennung von Rechtslagen 70, 72, 75 – Anerkennung von Urteilen 305, 307, 308, 313, 326 f., 332, 335, 365, 442 animus manendi 175, 197 Anknüpfung – akzessorische 221 ff., 230 f., 233 f., 236, 238, 263 f., 292, 470 – allseitige 56, 58, 65, 75, 95, 255 – alternative 162, 240 f., 254, 263 – einseitige 56, 95, 241 f., 255 – hilfsweise 195 – objektive 97, 104, 159, 162, 164, 168, 178, 185, 191, 192, 195, 198, 204, 217, 220, 225, 302, 340, 347, 443 – subjektive 95 ff., 145, 162, 168, 188 f., 192, 214, 216, 218, 220, 221, 234, 373, 435 f. – subsidiäre 58, 160, 352 Anknüpfungsleiter 58, 199
Anknüpfungspunkt 64, 84, 91, 95 ff., 102, 104, 135, 168, 170 f., 183, 185, 188 f., 198, 204, 214, 229, 232, 234 f., 237, 240, 255, 290, 293, 400 ff., 415 Anknüpfungsverlegenheit/-patt 61, 91, 98 ff., 104, 183, 191 f., 201, 237 Anwendungsvorrang des Unionsrechts 318, 324 ff., 416, 471 f. Arbeitsvertrag 143 Asylsuchende 196, 218 f. Aufenthalt, gewöhnlicher 11, 65, 88, 96, 99 ff., 102 ff., 161–182, 186, 195 ff., 201, 206, 210, 214 f., 217 f., 220 f., 228 f., 232, 234, 237, 254 ff., 262 ff., 270 f., 283 f., 293, 342, 382 ff., 393, 399, 437, 441 ff., 456, 468 – autonome Auslegung 169, 171, 174 – Begriff für die Rechtswahl 178 ff. – Begriff in der Brüssel IIa-VO 176 f. – Bestimmung 171–179 – Daseinsmittelpunkt 172 – Dauer 173, 179 – funktionale Auslegung 173 f., 176 ff. – gemeinsamer 180 ff. – Integrationswille 103, 175 – Regelanknüpfung, siehe Aufenthaltsprinzip – Wechsel 181 Aufenthaltsprinzip 72, 103 ff., 178, 220 Autopoiesis 18 f., 21, 36, 123, 156, 463 Bartolus de Saxoferrato 38 ff. Beratung, notarielle und anwaltliche 254, 259, 266, 395 ff.
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Sachregister
Beschränkung der Rechtswahlfreiheit 81, 154 ff., 166 ff., 178, 182, 184, 206, 213, 215, 219 f., 226, 231, 236 ff., 370, 459, 467 f. Beurkundung 134, 239, 249, 251 ff., 259, 265, 284, 395, 412 Billigkeitskontrolle, siehe Wirksamkeitskontolle Binnenmarkt 65, 67 ff., 85, 89, 101, 106, 127, 170, 179, 214, 256, 418, 422 Binnenmarktbezug 68 ff., 89 Brüssel I/Ia-VO 245 f., 248, 256, 270, 429 Brüssel IIa-VO 2, 174, 176 f., 186, 205 f., 210, 213, 228 f., 233, 234, 237, 243, 336, 344 f., 365, 413, 429, 439 ff., 468 Bündelungsmodell 95 ff. Bürgerliches Recht 4, 6, 8 f., 12, 15, 24, 26, 28, 30 f., 36, 61, 94, 104, 106, 109, 110, 113, 115, 117 ff., 125, 129, 145 f., 151, 156, 342, 369 f., 402, 463 ff. BVerfG 6, 52, 54 ff., 128, 132 ff., 320 ff., 406, 466 – Angehörigenbürgschaften 128, 133, 130 f., 138, 140 – Antiterrordatei 323 ff. – Eheverträge 132 ff. – Handelsvertreter-Beschluss 128, 133 – Spanier-Beschluss 53 ff. Canaris, Claus-Wilhelm 6 Code 17 ff., 21 Commission on European Family Law (CEFL), siehe auch Principles of European Family Law 392 common law 208 f, 345 Deliktsrecht, Internationales 85, 227, 305 dépeçage, siehe auch Teilrechtswahl 293, 400 Deutsches Notarinstitut 397 Dialektik 26 ff., 32, 472
Diskriminierung 72, 103, 164, 183, 190, 256, 316, 331, 334, 343, 346 f., 353, 355, 359 f., 366, 470 Doppelstaater, siehe Mehrstaater Drittstaatensachverhalte 68, 73, 89, 190, 256, 393 Dumoulin, Charles 91 Effektivitätsprinzip 253, 330, 426 ff., 463, 473 Effektivitätsprüfung 186, 188, 190 ff., 218, 435 Effizienz 76, 78 ff., 83, 106, 218, 228 EGMR 307 f., 326, 335, 358, 419 EGV 67 ff. Ehegüterrecht 56, 134, 152, 165, 221, 233, 236, 265, 388, 391, 455 ff., 471 eheliche Lebensverhältnisse 418, 437 Ehesachen 228, 250, 252, 344 Ehescheidungsrecht, siehe Scheidung Eheschließung 54 ff., 110, 130 f., 133, 137 ff., 209, 232, 241, 265, 291, 343, 391 Ehevertrag 129–140, 152, 228 f., 232, 254, 263 f., 276, 342, 355, 395, 406 ff., 412, 419 eingetragene (Lebens-)partnerschaft 2, 164, 231, 236, 262, 470 Eingriffsnormen 84, 109, 338 EIPR, siehe Europäisches Kollisionsrecht EMRK 57, 307, 309 ff., 315, 325 f., 335 f. 418 ff. Entfremdung 20 ff., 194, 464 Entmaterialisierung 146 ff., 442 ff. Entscheidungseinklang – innerer 50 – internationaler 50, 71, 103, 235, 261, 269, 299, 332, 336 ff., 416 Erbrecht, Internationales 1, 3, 42 f., 95, 202, 242, 311 Ersatzanknüpfung 177, 299, 332, 334, 462 EuEheGüVO 1 ff., 231–236, 262–285, 290–294, 301 f., 303 f., 455–460 EuEheVO, siehe Brüssel IIa-VO EuGH 63, 69, 103, 172, 174 ff., 179, 186 ff., 213, 244 f., 305–328, 331 ff.,
Sachregister 364 f., 375, 382, 417, 419 ff., 425 ff., 440, 469 EuGVVO, siehe Brüssel I-VO EuPartGüVO 1 ff., 164 f., 231–236, 262–285, 290–294, 301 f., 303 f., 455–460 Europäische Union 1 ff., 66 ff., 71, 79, 89, 127, 169, 170, 212, 216, 228, 255, 311, 324, 326, 329, 364, 391, 418, 420, 455, 460, 472 Europäischer ordre public, siehe ordre public Europäisches Justizielles Netz 391 ff. Europäisches Kollisionsrecht 1 ff., 66– 90 Europäisierung 59, 66 ff., 101, 190, 310 f., 416, 466 fakultatives Kollisionsrecht 62 ff., 78, 206 f. favor divortii 146 ff., 209 ff., 241, 442 ff. Flessner, Axel 62 ff. flexibler Schutz 90, 128 f., 151, 155 ff. floating choice of law 209 ff., 439 f., 452, 468 Flüchtlinge 193–198, 218 f., 232 f. Flume, Werner 121 Form 130, 134, 152 f., 227, 235, 238– 266, 274 ff., 284, 286, 293, 328, 389, 395, 411 ff., 469 – Eheschließung 241 – Ehevertrag 262 ff. – in den EuGüVOen 262–266 – in der Rom III-VO 243–257, 265 – im HUP 257–262, 265 – in der Systemtheorie 7, 14, 18 f., 22, 24, 30 f. – Zwecke 238 f., 241 f. Formalisierung 10 ff., 14, 17, 24, 30 ff., 37, 44, 140, 143, 156, 455, 464 f. forum shopping 416 französisches Recht 221, 236, 298, 306 Fremdbestimmung 115 f., 118, 123, 134, 138, 140 f., 290, 414, 425, 447, 466
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Generalklauseln 14 ff., 33 ff., 52, 128 f., 133, 142 ff., 293, 327, 329, 335, 369, 377, 380, 409, 431 f., 458 Gerechtigkeit – internationalprivatrechtliche 47 ff., 84, 86 ff., 99, 105, 108, 146, 153, 155, 157 f., 167, 178, 192, 205 ff., 214 f., 218, 221, 229, 233, 299, 339, 342 f., 401, 403, 414, 432, 435 f., 462, 465, 468 – materiellrechtliche 156, 441 ff. Gerichtsstandsvereinbarung 78, 213, 227 ff., 234, 244 f., 269 f., 272, 289, 429 Gesetzgebungsverfahren 1 f., 186, 188, 344 Gleichbehandlungsgrundsatz 8 ff., 87, 357 ff. GRCh 89, 165, 183, 309, 311 f., 314–334, 353, 357, 359 ff., 366, 417 ff., 470 Grundfreiheiten 69 f., 107, 312 Grundrechte, nationale 33 ff., 52 ff., 58 f., 106 ff., 128 f.., 143, 297, 304 f., 318 ff., 369, 416, 466, 470 Günstigkeitsvergleich 85, 154 ff., 161 f., 196, 260, 373 ff. Güterrecht, siehe Ehegüterrecht Güterstand 129, 221, 234, 241, 262, 265 f., 334, 388 f. Gütertrennung 130 Haager Konferenz für Internationales Privatrecht 2 f., 171, 216, 267, 287 f. Handelsvertreter-Beschluss, siehe BVerfG Haustürgeschäfte 127 Hegel, Georg Friedrich Wilhelm 26 ff., 113, 424 Heimatrecht 53 ff., 85, 99 ff., 195 f., 203, 217, 232, 397, 435 Heimwärtsstreben 50, 78 hinkende Rechtsverhältnisse 50, 55 homo oeconomicus 65 f., 83, 117, 167 HUP 1 ff., 158–164, 216–231, 257– 262, 285–290, 302 f., 369–409 hypothetischer Wille 277 f., 282, 294, 400
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Sachregister
Idealismus 113 ff. Idealtypen 12 f. Identität 64 ff., 83, 100 f., 149, 167, 215, 434 Individualschutz 162 f., 196, 241 Informationen 61, 85, 127, 143, 153 ff., 170 f., 213, 235, 239, 241 f., 251, 265 f., 277, 309, 385–399, 405– 409, 450–455, 459, 460, 462, 467, 469 Informationsmöglichkeiten 387–399 Inhaltskontrolle, siehe Wirksamkeitskontrolle Integration – europäische 1, 3, 216, 312, 320, 321, 329, 331, 472 f. – migrantische 61, 101, 103, 170, 176, 179, 193 ff., 217 Interessen 15 f., 29, 35, 48–64, 74, 76, 80 f., 84 ff., 91–109, 112, 116, 118 ff., 133, 145, 163, 165 ff., 176, 180 ff., 191 ff., 198–201, 205–209, 212, 220, 240–242, 272, 277 f., 283, 343, 347, 361, 372 ff., 434, 439, 444 ff., 462, 465 ff. Interessenjurisprudenz 35, 47 f., 51, 59, 62, 80, 108 interlokales Privatrecht 184, 198 ff., 219, 233, 438 Internet 246, 254, 390 ff., 398 f., 453, 460, 462 IPR-Reform 46, 57 ff., 183 Irrtumsrecht 279, 284, 292, 294, 395 islamisches Recht 345 f., 353 ff. Jayme, Erik 64 f., 73, 107 jüdisches Recht 353, 356, 359 Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen 71, 306
Kompetenz der EU 67 ff., 79, 89, 259, 319 f., 322, 325, 329 f., 335, 349, 418, 442 kopernikanische Wende 37 ff. Krise des Rechts 22 f. Kulturelle Identität, siehe Identität law shopping 164 lex causae 240, 292, 298 ff., 305, 336 lex fori 41 ff., 46, 48, 50, 62, 78, 81 f., 87, 105 f., 160–162, 189, 194, 204– 216, 223–237, 248 f., 253, 257 f., 263, 269, 273, 285 ff., 291, 293, 296, 298 ff., 330 ff., 336, 338–353, 363, 370 ff., 378, 401 ff., 413, 433, 438, 443, 447, 449, 452, 458, 468, 470 Lissabon-Vertrag 67, 71 Lücke des Rechts 22 ff., 31, 43, 61, 108, 366, 368, 465 Lüderitz, Alexander 61 f. Luhmann, Niklas 17 f., 22, 24 f., 465 Mancini, Pasquale Stanislao 46, 98 Materialisierung 5–37, 42, 49, 52, 59, 67, 75, 84 ff., 90 ff., 109 f., 119, 124 f., 140 ff., 156 f., 239, 342 f., 366, 368 f., 376, 401, 414 ff., 421, 456, 463 ff. Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht 207 Mehrstaater 184, 187 ff., 202, 215, 217, 233, 413, 468 Menke, Christoph 17, 22, 26, 30, 32 Menschenrechte 57, 64, 107, 307, 346, 359, 366 Menschenwürde 16 Methodik 33, 79 f. Mietrecht 29, 114, 116, 126, 154 Migration 98, 101, 193 ff. Minderjährigenschutz 109, 162 Namensrecht, Internationales 332
Kant, Immanuel 110 ff. Kegel, Gerhard 47 ff., 56, 58 ff., 87, 91, 95, 361, 465 Kernbereichslehre 136 ff. Kindeswohl 165, 174, 176 f. Kodifizierung 46 f. Kollisionsrechtsvereinheitlichung 1, 68 ff., 415 f., 426, 470, 472
öffentliche Ordnung, siehe ordre public ökonomische Analyse 76 ff. Ordnungsinteresse 50 ff., 60, 80, 105, 129, 205, 343, 466 ordre public 295–341, 369 f., – europäischer 305–336 – Funktion 295, 341 f.
Sachregister – – – –
negativer 296 positiver 296 Rechtsfolgen 297, 338–341 Voraussetzungen 295 ff., 301–338
Parteiautonomie – Begründung 91–109 – dogmatische Analyse 95–97 – und Schwächerenschutz 145–156 – Verankerung in Grundrechten 106 ff. PECL 238, 407, 456 Personalstatut 42 f., 46, 50, 85, 98, 170, 174, 176, 194 ff., 291 Principles of European Family Law 314 Prinzip der engsten Verbindung 43 ff., 190, 206, 218 f., 226, 228, 233, 370, 372 Privatautonomie 5, 24 f., 28, 61, 78, 90, 92 f., 105 f., 108 f., 110–124, 129, 131, 141 ff., 145 f., 156, 238, 369, 401, 415, 423, 448 f., 464, 466 Rationalität 12 ff., 34, 44, 51, 53, 57, 116, 125 f., 143, 465 Rechtsmissbrauch 212, 425 f., 461, 471 Rechtsverhältnis 44, 110, 112 f., 125, 156, 180, 214, 465 Rechtswahl 90–108, 145–471 Rechtswahlfreiheit, siehe Parteiautonomie Rechtswahlstatut 266–295, 410, 413, 428, 430 ff., 458, 461, 471 Rechtswahlverbot 158–165 Rechtswahlvertrag 146, 159, 181 f., 214 f., 227, 242, 271 ff., 291, 368, 386, 402, 468 Reflexivität 24, 28, 30, 31, 144 f., 156, 366, 402, 463 ff. religiöses Recht 351 ff., 444 Responsivität 28 ff., 33 f., 38, 49, 144, 156, 465 ff. Richtigkeitsvermutung 120 ff., 142 Rom I-VO 11, 67, 80, 84 f., 162, 165, 203, 211 f., 268, 280, 282 f., 289 Rom II-VO 67, 69, 80, 227, 268, 273, 311
521
Rom III-VO 1 ff., 165–215, 229–231, 236–238, 243–256, 265–285, 295 ff., 343–369, 409–454 Sachrecht, Verhältnis zum Kollisionsrecht 11 ff., 84 ff. Sahyouni-Fall , 347, 365 ff. von Savigny, Friedrich Carl 37 f., 43 ff., 59, 64, 70, 75 f., 95, 112, 296, 465 Scheidung – Entmaterialisierung 146 ff., 442 ff. – Verbot 148, 345 f., 351 Schmidt-Rimpler, Walter 120 ff. Schurig, Klaus 75 f., 95 f., 296 Schwächerenschutz – als allgemeiner Rechtsgrundsatz 422 f. – im IPR 145–156 – im Privatrecht 125–141 – Verankerung im Unionsrecht 416– 428 Selbstbegrenzung 24 ff., 37 ff. Sittenwidrigkeit 130, 134 ff., 380, 425 f., 431 Solidaritätsgrundsatz 423 ff. Sonderprivatrecht 126 spanisches Recht 54 ff., 81, 167, 181, 199, 346, 364, 447 Staatenlose 193, 197 f., 218, 233, 468 staatliche Interessen, siehe Ordnungsinteressen Staatsangehörigkeitsprinzip 46, 61, 98 ff., 176 Statutentheorie 38 ff., 95, 296 Statutenwechsel 68, 103, 105, 170, 397 Subsidiaritätsprinzip 67, 329 ff. Systemtheorie 17 ff. Teilrechtswahl 231, 234 Teubner, Gunther 17, 23, 33 Umwelt, siehe Systemtheorie Unionsgrundrechte, siehe GRCh Unkenntnis der Parteien 338 ff., 400 Unterhaltsrecht – Bedürftigkeit 136 ff., 379 ff., 383, 458, 461
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Sachregister
– Unterhaltsbemessung 379 – Unterhaltsverzicht 130, 162 ff. Unterhaltssachen 228 Unwandelbarkeit 234, 236
Vorbehaltsklausel, siehe ordre public vorformulierte Vertragsbedingungen, siehe AGB Vorfrage 160, 230, 291, 448
Verbraucherschutzrecht 6, 11, 78, 84 f., 126 f., 143, 154, 162, 313, 374 f., 394, 399, 422 f., 454 Verlegenheitslösung, siehe Anknüpfungsverlegenheit Verschuldensscheidung 149, 448 f., 452 verstärkte Zusammenarbeit 1, 223, 329, 472 Vertrag, siehe Privatautonomie und Rechtswahlvertrag Vertragsfreiheit, siehe Privatautonomie Verweisungsvertrag, siehe Rechtswahlvertrag Völkerrecht 2 f., 41, 44, 64, 212, 216, 261, 267, 308
von Wächter, Carl Georg 41 ff. Weber, Max 12, 44, 49, 57, 119, 463 Widerrufsrecht 6, 127 Wieacker, Franz 8 ff. Wirksamkeitskontrolle – im Ehevertragsrecht 132 ff. – im HUP 369–409 – in den Güterrechtsverordnungen 456–462 – in der Rom III-VO 409–455 Wohnsitz 40, 46, 169, 197 Zugang zur Scheidung 344, 353 ff., 454 zwingendes Recht 92, 98, 104 f., 125 ff., 143, 154, 162, 466