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German Pages 211 Year 1990
D EU T S C H ES INS T I T UT F 0 R WIR T SC H A F T S F 0 R S C H U N G
BEITRÄGE ZUR STRUKTURFORSCHUNG
HEFT 118 . 1990
Dleter Schumacher und Herbert Wllkens
Marktabschottungspolitiken wichtiger Schwellenländer und wirtschaftliche Entwicklung Empirische Untersuchungen am Beispiel der Elektronikindustrie und des Kraftfahrzeugbaus In Brasilien, Indien und Korea
DUNCKER & HUMBLOT . BERLIN
Verzeichnis der Mitarbeiter
Verfasser Dieter Schumacher Herbert Wilkens
Datenverarbeitung Karin Hollmann Gerlinde Höpp-Hoffmann Joachim Vollrath
Textverarbeitung Heidrun Becker Sibylle Kremser
Technische Redaktion Willi Verkamp
Sonstige Mitarbeiter (studentische Praktikanten) Jürgen Klenk (literatursammlung und -auswertung) Christian Weise (Anhang I und Redaktionsassistenz)
Dieses Buch beruht auf einem Forschungsauftrag des Bundesministers für Wirtschaft mit dem Titel "Auswirkungen von Marktabschottungspolitiken wichtiger ,Schwellenlinder' auf die wirtschaftliche Entwicklung, Insbesondere auch auf die Handels- und Zahlungsbilanzen dieser LAnder, dargestellt am Beispiel der Elektronikindustrie und des Kraftfahrzeugbaus in Brasilien, Indien und Korea". Die vorliegende Veröffentlichung ist eine überarbeitete und aktualisierte Fassung des EndberIchts und wurde Ende 1989 abgeschlossen. Herausgeber: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Königin-Luise-Str. 5, 0-1000 Berlin 33 Telefon (0 30) 82 99 10 - Telefax (0 30) 82 99 12 00 BTX-Systemnummer • 2 99 11 11 Schriftleitung: Dr. Hans-Joachim Ziesing Verlag: Duncker & Humblot GmbH, Dietrich-Schäfer-Weg 9, 0-1000 Berlin 41. Alle Rechte vorbehalten Druck: 1990 bei ZIPPEL-Druck, Oranienburger Str. 170, 0-1000 Berlin 26 Printed in Germany ISBN 3-428-D6957-9
Inhaltsverzeichnis ~
9
1
Problemstellung, Ziel und Aufbau der Untersuchung
2
Grundzüge der Industriepolitik zum Aufbau junger Industrien in Entwicklungsländern
13
2.1
Markt versus Staat in der industriellen Entwicklung
13
2.2
Fallbeispiele für den Aufbau junger Industrien
17
3
Investitions- und Technologiepolitik in der Elektronikund Kraftfahrzeugindustrie
20
3.1
Investitions- und technologiepolitische . Maßnahmen beim Aufbau von Elektronikindustrien
20
3.1.1
Informatikpolitik in Brasilien
21
3.1.2
Elektronikindustrie in Indien
39
3.1.3
Elektronikindustrie in Korea
50
3.2
Investitions- und technologiepolitische Maßnahmen beim Aufbau von Autoindustrien
55
3.2.1
Automobilindustrie in Brasilien
60
3.2.2
Automobilindustrie in Indien
66
3.2.3
Automobilindustrie in Korea
72
3.3
Beteiligung ausländischer Investoren
81
3.4
Unterschiedliche industriepolitische Strategien in den ausgewählten Beispielländern
92
4
Einfuhrpolitik und Außenhandel
97
4.1
Ziele und Mittel der Außenhandelspolitik in Entwicklungsländern
97
4.2
Grundzüge der Außenhandelspolitik in Brasilien, Indien und Korea
99
3
~
4.3
Quantifizierung des Einfuhrschutzes
107
4.3.1
Methode und Einfuhrschutz in den Entwicklungsländern
107
4.3.2
Einfuhrschutz in
112
4.3.3
Einfuhrschutz bei Elektronikgütern und Kraftfahrzeugen
117
4.4
Struktur und Entwicklung des Außenhandels
121
4.4.1
Brasilien, Indien und Korea in der internationalen Arbeitsteilung .
122
4.4.2
Außenhandel mit Elektronikgütern und Kraftfahrzeugen
131
5
Wirkungen der Marktabschottungspolitik
141
5.1
Einfuhrschutz und Außenhandel
141
5.2
Effektive Protektion, Faktorallokation und makroökonomische Aggregate
147
5.3
Kosten und Nutzen in dynamischer Sicht
157
6
Schlußfolgerungen: Stufenweise Marktöft'nung
168
6.1
Schutz junger Industrien und Informatikpolitik
168
6.2
Graduierung von Schwellenländern
174
6.3
Schlußbemerkungen
176
Indien und Korea
Anhang I:
Das Konzept der effektiven Protektionsrate
179
Anhang 11:
Ergänzende Tabellen
189
Literaturverzeichnis
4
Brasilie~
203
Verzeichnis der Schaubilder ~
Schaubild
1
Informatikabsatz in Brasilien
25
2
Beschäftigte der Informatikindustrie in Brasilien
25
3
Elektronikproduktion in Indien
41
4
Elektronik-Exporte aus Indien
41
5
Elektronikproduktion in Korea
51
6
Elektronik-Exporte aus Korea
51
7
Automobilindustrie in Brasilien
62
8
Automobilexport aus Brasilien
62
9
Automobilindustrie in Indien
67
10
Automobilindustrie in Korea
73
11
Automobilexport aus Korea
73
12
Zustrom von Direktinvestitionen
83
13
Bestand an Direktinvestitionen
83
14
Deutsche Direktinvestitionen in Brasilien
85
15
Deutsche Direktinvestitionen in Indien
89
16
Zu- und Abfluß von Direktinvestitionen in Korea
91
17
Einfuhr und Ausfuhr von Brasilien, Indien und Korea im Handel mit den westlichen Industrieländern
123
18
Kosten und Nutzen der Protektion junger Industrien
159
5
Verzeichnis der Tabellen im Text ~
Tabelle 1
Struktur der indischen Elektronikausfuhr 1975-1985
42
2
Ausländische Kooperationen in der indischen Elektronikindustrie 1976-1985
47
3
Ausländische Kooperationen in der indischen Elektronikindustrie nach Bereichen und nach Ländern
48
4
Weltweite Automobilproduktion und -ausfuhr 1929-1980
57
5
Automobilproduktion und -montage in Entwicklungsländern 1960-1980
59
6
Projektvorhaben der indischen Automobilindustrie in Zusammenarbeit mit ausländischen Unternehmen
70
7
Internationaler Vergleich der Autoproduktionskosten
77
8
Kosten der Autoproduktion in Korea
77
9
Technologieimport in der koreanischen Autoindustrie
79
10
Protektion in Entwicklungsländern und Industrieländern Mitte der achtziger Jahre
110
11
Tarifäre und nicht-tarifäre Einfuhrhemmnisse in Brasilien, Indien und Korea 1986/87
114
12
Tarifäre und nicht-tarifäre Einfuhrhemmnisse bei Elektronikgütern und Erzeugnissen des Kraftfahrzeugbaus in Brasilien, Indien und Korea 1986/87
118
Indikatoren für die strukturelle Einbindung von Brasilien, Indien und Korea in die internationale Arbeitsteilung 1980 und 1987
126
14
Internationaler Handel mit Elektronikgütern und Erzeugnissen des Kraftfahrzeugbaus 1980, 1985 und 1987
132
15
Außenhandel von Brasilien, Indien und Korea mit Elektronikgütern und Erzeugnissen des Kraftfahrzeugbaus 1980, 1985 und 1987
135
13
6
~
16
Spezialisierung auf Elektronikgüter und Erzeugnisse des Kraftfahrzeugbaus im Außenhandel von Brasilien, Indien und Korea 1980, 1985 und 1987
139
17
Vergleich von Einfuhrschutz und Außenhandelsspezialisierung bei verarbeiteten Waren
142
18
Veränderung der Spezialisierung auf Elektronikgüter und Erzeugnisse des Kraftfahrzeugbaus .im Außenhandel von Brasilien, Indien und Korea 1980 bis 1987
146
19
Effektive Protektionsraten in Brasilien, Indien und Korea 1986/87
150
20
Direkter Faktorbedarf der Produktion für alternative Endnachfrage
153
Verzeichnis der Tabellen im Anhang Tabelle A.1
Tarifäre und nicht-tarifäre Einfuhrhemmnisse nach zweistelligen SITC-Warengruppen in Brasilien, Indien und Korea 1986/87
191
Tarifäre und nicht~tarifäre Einfuhrhemmnisse im Verarbeitungsbereich in Brasilien, Indien und Korea 1986/87
192
Tarifäre und nicht-tarifäre Einfuhrhemmnisse bei Büromaschinen, ADV-Geräten und Erzeugnissen des Straßenfahrzeugbaus nach Einzelkategorien in Brasilien, Indien und Korea 1986/87
193
A.4
Einfuhr von Brasilien, Indien und Korea aus den westlichen Industrieländern 1970, 1980 und 1987
194
A.5
Ausfuhr von Brasilien, Indien und Korea in die westlichen Industrieländer 1970, 1980 und 1987
195
A.6
Einfuhr und Ausfuhr von Büromaschinen, ADV-Geräten und Erzeugnissen des Straßenfahrzeugbaus nach Einzelkategorien im Handel mit den westlichen Industrieländern 1980 und 1987
196
A.2
A.3
7
~
A.7
Einfuhr von Brasilien, Indien und Korea aus den westlichen Industrieländern bei Büromaschinen, ADV-Geräten und Erzeugnissen des Straßenfahrzeugbaus nach Einzelkategorien 1980 und 1987
197
Ausfuhr von Brasilien, Indien und Korea in die westlichen Industrieländer bei Büromaschinen, ADV-Geräten und Erzeugnissen des Straßenfahrzeugbaus nach Einzelkategorien 1980 und 1987
198
Einfuhrspezialisierung von Brasilien, Indien und Korea auf Büromaschinen, ADV-Geräte und Erzeugnisse des Straßenfahrzeugbaus nach Einzelkategorien 1980, 1985 und 1987
199
Ausfuhrspezialisierung von Brasilien, Indien und Korea auf Büromaschinen, ADV-Geräte und Erzeugnisse des Straßenfahrzeugbaus nach Einzelkategorien 1980, 1985 und 1987
200
A.ll
Nominale und effektive Protektion in Brasilien nach unterschiedlichen Berechnungsarten
201
A.12
Wachstum der gesamten Faktorproduktivität nach Sektoren in Brasilien, Indien und Korea
202
A.8
A.9
A.lO
8
1
Problemstellung, Ziel und Aufbau der Untersuchung
Ende 1984 wurde in Brasilien das "Informatikgesetz" verabschiedet, das einen erheblich verstärkten Schutz der inländischen Industrie vor ausländischer Konkurrenz vorsieht. Es erschwert nicht nur die Einfuhr von Elektronikgütern, sondern beschränkt auch die Beteiligung von ausländischen Unternehmen an der inländischen Produktion. Nach den Bestimmungen des Gesetzes soll die Einfuhr einzelner Produkte gänzlich unterbunden und eine Betätigung von ausländischen Unternehmen in bestimmten Produktionsbereichen völlig verhindert werden. Diese Politik der Reservierung ausgewählter Märkte ausschließlich für nationale Produzenten gab der grundsätzlichen Diskussion über die Vor- und Nachteile internationaler Arbeitsteilung neue Nahrung und rückte die Frage nach ihrer Bedeutung im Falle von Hochtechnologie-Industrien in den Vordergrund.· Junge Industrien sind in vielen Fällen besonders geschützt worden. Das gilt für die frühen Phasen der Industrialisierung der heute fortgeschrittensten Länder, aber auch für deren gegenwärtige Industriepolitik ebenso wie für Entwicklungsländer. Betroffen sind - wenn man die Gesamtheit der Entwicklungsländer betrachtet - alle Zweige der Industrie, ange(angen bei den verbrauchsnahen Branchen über Hochtechnologie-Sektoren bis hin zu den schwerindustrielIen Basisindustrien. Im geschichtlichen Rückblick wird deutlich, daß eine "Infant-Industry"-Protektion· in vielen Fällen erfolgreich gewesen ist. Daneben gab es aber auch viele mißglückte Versuche, eine neue Industrie im schon best"henden weltwirtschaftlichen Wettbewerb zu installieren. Besonders teuer ist es, schon vorhandenes technisches Wissen noch einmal neu zu entwickeln. Die zu,n Teil außerordentlich hohen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung und die Ansprüche an gut ausgebildetes Fachpersonal sowie an eine breite industrielle und infrastrukturelle Basis trüben die Aussicht auf ökonomischen Erfolg. Wie die Erfahrungen im Bereich der, Hochtechnologie in einigen südostasiatischen Schwellenländern gezeigt haben, kann es fortgeschrittenen Entwicklungsländern unter bestimmten Voraussetzungen durchaus gelingen, hier Fuß zu fassen, und zwar auch in einer Weise, die nicht nur betriebswirtschaftlich, sondern auch volkswirtschaftlich als Erfolg bezeichnet werden kann. Allerdings sind diese Erfolge - wie 9
beispielsweise in der Republik Korea - bisher nicht durch rigorose Protektion, sondern mit einer Strategie erzielt worden, die sich als "selektive Protektion" kennzeichnen läßt. Dadurch ist es in diesen Fällen gelungen, das sehr rasche Entwicklungstempo in den Industrieländern sofort in die eigene Technologieentwicklung zu übertragen. In anderen Fällen ist dies - bei stärkerer Abgrenzung vom Ausland - nicht gelungen. Für die Chancen eines vom Ausland abgeschotteten Entwicklungsweges ist ferner die Zielbestimmung der neuen Industrien von Bedeutung: Ist die Industrieentwicklung hauptsächlich auf den Binnenmarkt gerichtet, so sind die Inhaber fortschrittlichen Know-hows eher bereit, ihre Technologien zur Verfügung zu stellen. Soll die neue Produktion jedoch auf den Weltmärkten abgesetzt werden, so werden die Unternehmen der Industrieländer in der Regel zum Schutz vor Konkurrenz auf den Drittmärkten auf einer direkten Beteiligung an der Verwendung ihrer Technologien via Direktinvestitionen bestehen. Nur wenige Schwellenländer erfüllen die Voraussetzung für einen stark binnenorientierten Weg: vor allem muß der Inlandsmarkt groß genug sein, damit wenigstens die Skalenerträge von den neuen Industrien genutzt werden können. Andernfalls fehlt ihnen von vornherein die Grundlage für die Erlangung der Wettbewerbsfähigkeit. Auch für solche Schwellenländer sind jedoch die Alternativen abzuwägen. Es könnte sehr viel mehr zur Entwicklung eines Landes beitragen, wenn sich dieses in die internationale Arbeitsteilung eingliedert, statt sich selbst zu isolieren. Eine Abschottung der Informatikindustrie in Entwicklungsländern stellt die Industrieländer vor das Problem, daß damit Märkte geschützt werden, in denen sie angesichts ihrer hochentwickelten technologischen Kapazitäten ihre eigenen komparativen Vorteile sehen. Bei den Entwicklungsländern spielen für die Politik in diesem Sektor eine Reihe von ökonomischen und politischen Überlegungen eine Rolle, insbesondere die Furcht, ohne Aufbau einer eigenen unabhängigen Computerindustrie für unabsehbare Zeit hinter dem modernen technischen Standard zurückzubleiben. Ziel der hier vorgelegten Arbeit ist es, Kosten und Nutzen der Protektion von jungen Industrien zu untersuchen. Im Vordergrund steht dabei die brasilianische 10
Informatikpolitik. Damit dafür eine breite Grundlage gegeben ist, wird die Evaluierung anhand der spezifischen Entwicklung in diesem Sektor in Brasilien und vor dem Hintergrund der Erfahrungen in anderen Sektoren und in anderen Ländern durchgeführt. Es werden sowohl modelltheoretische Ansätze als auch vertiefte Analysen von relevanten Beispielen herangezogen. Diese beziehen sich auf die Elektronik- und die Kraftfahrzeugindustrie in Brasilien, Indien und der Republik Korea (im folgenden der Einfachheit halber "Korea" genannt). Damit wird ein breites Spektrum unterschiedlicher Politikansätze abgedeckt. Brasilien hat nach anfänglicher Importsubstitutionspolitik und einer langjährigen Tradition liberalen Marktzutritts für ausländische Investoren eine sehr rigorose Regulierung in sensitiven Branchen eingeführt, vor allem in der Computerindustrie. Indien war schon immer für eine Politik allseitiger Kontrollen und strikter Reglementierung auf allen Gebieten der Wirtschaft bekannt. Nach einer relativ kurzen Phase, in der eine Liberalisierung angestrebt wurde, sind neuerdings offenbar wieder die Kräfte stärker geworden, die in der traditionellen Wirtschaftssteuerung größere Vorteile sehen. Indien hat ein besonders hohes politisches Gewicht in der Dritten Welt und könnte zudem in der Uruguay-Runde eine "Interessenachse" mit Brasilien bilden. Mit Korea wird ein besonders erfolgreiches Land einbezogen, das zu einem der größten Exporteure unter den Entwicklungsländern geworden ist. Korea hat - nach Jahrzehnten der staatlichen Reglementierung des technologischen Aufbaus seiner Industrien - Mitte der siebziger Jahre eine Liberalisierung eingeleitet, und zwar sowohl in bezug auf die Binnenwirtschaft als auch auf Außenhandel und Direktinvestitionen. Zunächst werden die Grundzüge der Industriepolitik für einen Aufbau neuer Industrien skizziert und anschließend die Unterschiede zwischen den drei ausgewählten Ländern herausgearbeitet. In Kapitel 3 werden die investitions- und technologiepolitischen Maßnahmen in den ausgewählten Sektoren und Ländern ausführlich dargestellt und erste Schlußfolgerungen über ihre Wirk.-ungen auf die Entwicklung in diesen Bereichen gezogen. Ein gesonderter Abschnitt befaßt sich dabei mit den ausländischen Direktinvestitionen. In Kapitel 4 werden die Einfuhrpolitik und die Stellung der drei Länder in der internationalen Arbeitsteilung untersucht; ein wichtiger Punkt ist die Quantifizierung des tarifären und nicht11
tarifären Einfuhrschutzes. Im fünften Kapitel wird nach den Wirkungen der Marktabschottung gefragt. Hier stützen sich die Analysen auf internationale Vergleiche und auf den Vergleich mit einer hypothetischen Alternativsituation ohne Protektion in statischer und in dynamischer Sicht. Im Schlußkapitel werden aus den Untersuchungsergebnissen Empfehlungen im Hinblick auf die Informatikpolitik in Brasilien und für die allgemeine handelspolitische Behandlung von Schwellenländern abgeleitet. Dabei wird für eine stufenweise Marktöffnung plädiert.
12
2
Grundzüge der Industriepolitik zum Autbau junger Industrien in Entwicklungsländern
2.1
Markt versus Staat in der industriellen Entwicklung
Mit zunehmender Bedeutung des Faktors Humankapital im internationalen Wettbewerb (anstelle der klassischen Faktoren Boden, Kapital und Arbeit) ist eine alte Erkenntnis wieder ins Bewußtsein gerückt: Richtung und Umfang der Handelsströme ergeben sich zwar letztlich aus den komparativen Kostenvorteilen der Marktteilnehmer, so wie es die klassische· Theorie postuliert. Doch sind diese Kostenvorteile nicht unwandelbar vorgegeben, so daß sich die Wettbewerber nur daran anpassen können und müssen. Vielmehr lassen sie sich innerhalb eines relativ weiten Rahmens von Möglichkeiten durch nationale Maßnahmen beeinflussen; im Extremfall sind sie durch eine geeignete Politik nach eigener Wahl herstellbar1. Die Beispiele einer Reihe von Schwellenländern (NICs) legten in jüngster Zeit Zeugnis dafür ab, wie durch gezielten Einsatz von Fördermaßnahmen neue Industrien erfolgreich und wettbewerbsfähig gemacht worden sind. Doch sind derartige Erfahrungen keineswegs nur auf die Gegenwart oder auch nur auf das zwanzigste Jahrhundert beschränkt: Auch die "zweite Welle" der Industrialisierung kam im Europa des 19. Jahrhunderts in vieler Hinsicht auf ähnliche Weise zustande, und im Grunde handelten die Merkantilisten zur Zeit Ludwigs des XIV. nach denselben Erkenntnissen. Oft wird bei der Suche nach geeigneten Strategien für die industrielle Entwicklung allerdings übersehen, daß nicht alle derartigen Absichten zum Erfolg geführt haben. Waren es vielleicht nur glückliche Umstände, die in den NIes zum Erfolg geführt haben? Oder gibt es generelle Regeln, welche die Risiken im industriepolitischen "Picking the winners" minimieren? Generell geht es bei der Entwicklung aussichtsreicher junger Industrien darum, die erforderlichen Produktionsfaktoren in möglichst wirksamer und effizienter Weise .zusammenzuführen. Dabei können die Entwicklungsländer meist nur zum geringsten Teil auf die heimische Wirtschaft zurückgreifen, denn ihre Unter-
1
Nau 1986, S. 11. 13
entwicklung soll ja gerade erst übelWUnden werden. Die Notwendigkeit, ausländische Produktionsfaktoren anzuwerben und zu nutzen, steht im Gegensatz zu dem Ziel größtmöglicher Unabhängigkeit. Besonders bei den neuen Technologien "geht es darum, die Balance zu halten zwischen der Notwendigkeit, Technologien zu importieren, um den Abstand zu den führenden Industrieländern zu verringern; und dem Ziel, die eigenen technologischen Kapazitäten in einem gesellschaftlichen Lernprozeß zu entwickeln, der imme:r eine gewisse Abschirmung gegenüber dem Technologieangebot von außen vora.lssetzt,,2. Soll Technologietransfer erfolgreich ~ein, so muß der Staat zumindest dafür sorgen, daß die ökonornischen Rahmenbedingungen stimmen3: Es müssen Anreize für das Engagement in technologisch anspruchsvollen Bereichen bestehen. Ferner sollten die Informationen über den international und national erreichten Stand möglichst gut zugänglich gemacht werden. Technische Bildung und Ausbildung für möglichst breite Schichten der Bevölkerung sind anzustreben. Die optimale Auswahl der Technologien ist nur möglich, wenn Preisrelationen, die zur Evaluierung der verschiedenen Möglichkeiten benutzt werden, die Knappheiten der Güter und anderen Inputs richtig widerspiegeln; staatliche Eingriffe wieMinimumlöhne, Zinssetzungen, Zölle, aber auch selektiver Importprotektionismus können zu Verzerrungen und Fehlentscheidungen führen. Weiterhin muß der Staat dafür sorgen, daß ausländische Lieferanten von Technologien, aber auch die inländischen Nutznießer gezielter Fördermaßnahmen ihre Marktrnacht nicht mißbrauchen. Hierzu kann es notwendig sein, die Preise und die übrigen Bedingungen des Technologietransfers zu kontrollieren und zu regeln. Über die Setzung geeigneter Rahmenbedingungen hinaus muß der Staat in Entwicklungsländern in der Regel direkt in den Wirtschaftsprozeß eingreifen, damit solche Technologieentwicklungen in Gang kommen, die nur auf der Basis von hohen Investitionen in Anlagen bzw. in Forschung und Entwicklung (FuE) verwirklicht werden können. Obwohl in vielen Ländern eine lange Tradition bei der Produktion von Investitionsgütern - insbesondere in der Elektrotechnik und im Fahrzeugbau - besteht, 2
Wiemann 1988, S. 55.
3 Dahlmann et al. 1987, S. 773. 14
ist das starke Wachstum dieser Wirtschaftszweige erst durch ge zielte staatliche Politik möglich geworden. In Brasilien gab es insbesondere seit 1974 eine große Zahl von Maßnahmen zur Förderung dieser Industrien, in Indien gab der 2. FünfJahr-Plan (1956-61) den entscheidenden Anstoß, in Korea war es das Heavy and Chemical Industries Development Programme von 1973. Eines der Ziele ist regelmäßig ein hoher und steigender Anteil heimischer Produktion an der Marktversorgung, d.h. die Zurückdrängung der Importe moderner Technologiegüter. Selten wird dabei reflektiert, daß hohe Eigenfertigung kein Ziel an sich sein kann. Im Gegenteil, die Erfahrungen der am weitesten entwickelten Länder mit dem intra-industriellen Handel zeigen, daß gerade im internationalen Austausch anspruchsvoller Produkte derselben Sparte Möglichkeiten zur Wohlstandssteigerung für alle Beteiligten liegen. Durch den Einsatz von ausländischen Spitzenprodukten der Investitionsgüterindustrie steigt ja auch die eigene internationale Wettbewerbsfähigkeit. In Entwicklungsländern sind es vor allem Devisenengpässe und der Wunsch nach schneller Ausbreitung technologischen Fortschritts in der heimischen Industrie, die eine hohe Eigenbeteiligung an der Binnenmarktversorgung erstrebenswert scheinen lassen. Die Förderung der Technologieentwicklung muß umfassend ansetzen: Neben der direkten Protektion der jungen Industrien gegenüber dem Wettbewerb der starken ausländischen Konkurrenten kommen insbesondere folgende Maßnahmen in Frage4: Stärkung des Ausbildungssystems Förderung von Forschungsinstituten Unterstützung von FuE-Ausgaben durch finanzielle oder steuerliche Anreize Unterstützung und Regulierung des Technologietransfers.
4
Chudnovsky 1986, S. 72 ff. 15
In den untersuchten drei Ländern wurden gleichermaßen erhebliche Anstrengungen auf dem Gebiet der Ausbildung und der Einrichtung von Forschungsinstituten unternommen. In den beiden letzten Punkten hat es jedoch unterschiedliche Ansätze gegeben. Indien hat - entsprechend dem Gewicht der staatlichen Betriebe weniger global wirkende Anreize zur FuE der privaten Unternehmen geschaffen. Hier wurde versucht, durch Regulierung des Technologietransfers die Entwicklung der heimischen technologischen Kapazitäten herbeizuführen. Das Schwergewicht lag auf dem Technologieimport über Lizenzabkommen5. Die Lizenznahme wird strikt überwacht. Für Laufzeiten und Lizenzgebühren gibt es Obergrenzen, die heimische Beteiligung soll durch Local-Content-Auflagen gesichert werden. Daß solche Regulierungen das Technologieangebot ausländischer Unternehmen begrenzen, kann nicht überraschen. Eine derart restriktive Technologiepolitik ist nur möglich, wenn sie - wie in Indien - durch eine rigorose Importprotektion flankiert wird. Eine eigenständige Wettbewerbsfähigkeit kann dadurch allerdings nur in glücklichen Ausnahmefällen erreicht werden. In den drei untersuchten Ländern sind generelle Unterschiede im Lenkungssystem unübersehbar: Es ist der Gegensatz zwischen einem Konzept der Regulierung mit Verboten bzw. Geboten auf der einen Seite und einer Grundhaltung, die auf Anreize für dezentrale Entscheidungsträger setzt, auf der anderen6• Bei einem Anreizsystem wird davon ausgegangen, daß
~er
Staat seine Ziele in einer Weise zu
erreichen sucht, die den Unternehmen einen mehr oder weniger weiten Spielraum zur Verwirklichung ihrer eigenen Ziele einräumt. Dabei kann der Wettbewerb zwischen den einzelnen Unternehmen voll zur Effizienzsteigerung genutzt werden. Dagegen schließt ein Regulierungssystem den Wettbewerb zumindest teilweise geradezu aus, und das System von Dekretierung und Sanktionen muß perfektioniert werden, damit es volkswirtschaftlich günstige Ergebnisse hervorbringt. Die beiden Positionen können am Beispiel Indiens auf der einen, Koreas auf der anderen Seite studiert werden. Es zeigt sich dabei, daß selbst in einer Volkswirtschaft mit umfangreichem und erfahrenem administrativen Apparat die sinnvolle Ausrichtung und Abstimmung der Lenkungsmechanismen oft nicht gelingt. 5 Vgl. Wiemann 1988, S. 56. 6 16
World Bank 1987a, TZ 25.
Ein System, das in weiten Bereichen auf die dezentralen Abstimmungsprozesse in funktionierenden Märkten setzt, scheint in bezug auf Produktivität und Wirtschaftlichkeit auch in Entwicklungsländern überlegen zu sein. Je mehr die Steuerung marktwirtschaftlichen Prozessen überlassen wird, desto stärker ist allerdings darauf zu achten, daß ihre Voraussetzungen erfüllt werden. Dazu zählen angemessene Charlcen des Zugangs zu den produktiven Ressourcen des Landes (Boden, Kapital, Arbeit), eine Grundausbildung für alle und die Beseitigung von Wettbewerbsbeschränkungen. Dezentrale Lenkung einer Volkswirtschaft verlangt somit eine starke, von Einzelinteressen unabhängige Position des Staates. 2.2
Fallbeispiele f'tir den Aufbau junger Industrien
Im folgenden werden einige wichtige Beispielfälle der Technologieentwicklung in fortgeschrittenen Entwicklungsländern untersucht, bei denen mehr oder weniger scharfe Maßnahmen der Marktabschottung angewendet wurden. Ziel war stets die Erlangung nationaler Unabhängigkeit und eines wettbewerbsfähigen und im jeweiligen Land weit verbreiteten technischen Wissens auf dem betreffenden Gebiet der Hochtechnologie. Die Erfolge waren unterschiedlich; die aus den Einzelbeispielen zu ziehenden Schlußfolgerungen können zwar nicht immer, aber doch in einigen Fällen generalisiert werden. Ziel der Überlegungen ist es, aus den technologischen und industriepolitischen Interessen der Entwicklungsländer die Möglichkeiten der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik und diesen Ländern abzuleiten. Insbesondere ist die Frage zu klären, welche Maßnahmen, die die Partnerländer zum Schutz ihrer jungen Industrien treffen, von deutscher Seite zu tolerieren wären, weil ohne sie die Chancen für erfolgreiche eigenständige Industrialisierung geringer wären. Es geht um eine Abwägung zwischen den Interessen der Partnerländer auf der einen, denen der deutschen Wirtschaft auf der anderen Seite. Auftragsgemäß werden die industrie- und handelspolitischen Maßnahmen analysiert, die in der jüngeren Vergangenheit in zwei Industriezweigen in drei Ländern zu beobachten waren. Die Auswahl der Fallbeispiele folgte mehreren Überlegungen: In den letzten Jahren sind in den Schwellenländern recht unterschiedliche
17
Wege beschritten worden, um eine eigenständige moderne Industrie zu entwickeln. Als Beispiele können Brasilien, Indien und Korea angesehen werden. Brasilien hat traditionell eine Politik der außenwirtschaftlichen Integration mit relativ liberalem Marktzutritt verfolgt. Im Rahmen seiner Importsubstitutionspolitik seit Beginn der siebziger Jahre ist die Haltung jedoch zunehmend protektionistischer geworden. Dazu haben seit Beginn der achtziger Jahre besonders die Zwänge der Auslandsverschuldung und der Leistungsbilanzdefizite beigetragen. Auch vorher schon waren aber die protektionistischen TendenZen stärker geworden, als es darum ging, neue Industrien aufzubauen; in sensitiven Bereichen, vor allem in Teilen der Computerindustrie, ist eine rigorose Marktabschottung eingeführt worden. Indien war schon immer für eine Politik allseitiger Kontrollen und strikter Reglementierung auf allen Gebieten der Wirtschaft bekannt. Seit der Erlangung der Unabhängigkeit sollte die Auslandsabhängigkeit der Wirtschaft auf allen Gebieten vermieden werden. Nach einer Phase der liberalisierung in den Anfangsjahren der Regierung Rajiv Gandhi sind neuerdings offenbar wieder die Kräfte stärker geworden, die in der traditionellen Wirtschaftssteuerung mit ihren starken Elementen der Marktabschottung größere Vorteile sehen. Korea hat -·nach Jahrzehnten einer ·äußerst wirksamen Protektion der heimischen Wirtschaft - seit Mitte der siebziger Jahre eine Politik zunehmender liberalisierung im politischen und wirtschaftlichen Bereich verfolgt. Die Öffnung nach außen betraf den Warenhandel, den Technologieimport und mehr und mehr auch die Direktinvestitionen. Die Erfolge Koreas im letzten Jahrzehnt sind offenkundig. Es ist zu fragen, ob aus den Erfahrungen dieses Landes Lehren für eine empfehlenswerte Politik anderer Länder gezogen werden können. Bei der hier anzustellenden Betrachtung der Industriepolitik ist ein besonders wichtiger Aspekt die Verteilung der Aufgaben zwischen Staat und Privaten,. und zwar vor allem die Kompetenzabgrenzung bei Investitionsentscheidungen. Die hier untersuchten Länder stehen für drei sehr unterschiedliche Ansätze. Während in Brasilien die Privatwirtschaft einen für Entwicklungsländer ungewöhnlich großen 18
Entscheidungsspielraum hat, steht Indien als Beispiel für das entgegengesetzte Extrem. Korea hat zwar ebenfalls eine sehr gezielte Industriepolitik durchgesetzt, doch geschah dies im Wege einer außerordentlich engen Zusammenarbeit zwischen Staat und privaten Großunternehmen. Bei der Verschiedenartigkeit der Länder und ihrer individuellen Industriepolitik kam es darauf an, möglichst gleichartige Branchen zu wählen, um letztlich doch Vergleichbarkeit zu erzielen. Hier wurde die Informatik- b zw. Elektronikindustrie herangezogen, weil die brasilianische Politik in diesem Bereich der unmittelbare Anlaß für das vorliegende Gutachten war. Aus dem Blickwinkel der Entwicklungsländer ist dieser Bereich aus zwei Gründen besonders interessant: Einmal handelt es sich um die Industrie mit dem weltweit größten Wachstumstempo, zum anderen hat die technologische Entwicklung in diesem Bereich eine kaum zu überschätzende Ausstrahlung auf andere Wirtschaftsbereiche mit weitreichenden Folgen für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit. Der andere ausgewählte Industriezweig ist die KraftfahrzeuKindustrie, die ebenfalls - und besonders in den Entwicklungsländern eine ausgesprochene Wachstumsindustrie ist. Bei der Analyse steht die Pkw-Industrie im Vordergrund. Hier waren in jüngster Zeit die interessantesten Entwicklungen - im Hinblick auf die Erfolge der Industrien wie auf die industrie- und handelspolitischen Maßnahmen, die ihnen zugrunde lagen - zu beobachten.
19
3
Investitions- und Technologiepolitik in der Elektronik- und Kraftfahrzeugindustrie
3.1
Investitions- und teehnologiepolitische Maßnahmen beim Aufbau von Elektronikindustrien
Wenn mit hohem volkswirtschaftlichem Aufwand neue Industrien errichtet werden, muß gewährleistet sein, daß die Erträge dieser Anstrengungen auch
letztlich~
der eigenen Wirtschaft zugute kommen. Gerade in forschungsintensiven Industrien ist die Gefahr groß,. daß erfolgreiche Technologien von anderen Ländern genutzt werden, ohne daß sie an den Entwicklungskosten beteiligt werden können. Das gilt um so mehr, wenn die Produktionsanlagen vergleichsweise wenig kosten und leicht und schnell erstellt werden können. Ein typisches Beispiel ist die "Garagenproduktion" von Computern. In diesem Zusammenhang hat die "Brain-drain"-Diskussion neue und erheblich verstärkte Bedeutung erlangt. Denn oft genügt es, einen kleinen Stab qualifizierter Techniker abzuwerben, um rasch eine wettbewerbsfähige Industrie aufzubauen. Kennzeichnend ist die Erfahrung, die manche EntWicklungsländer machen mußten, als sie Produktionsstätten von Computerherstellern in ihrem Land als "verlängerte Werkbank" etablieren ließen. Als sich die Kostensituation änderte, wurden die Produktionsanlagen von heute auf morgen demontiert und anderswo wieder aufgebaut. Die meist unqualifizierten Arbeitskräfte - zu einem großen Teil Frauen blieben zurück. Es ist offensichtlich, daß derartige Gefahren im Bereich der Elektronik größer sind als im eher schwerindustriell geprägten Automobilbau. Hier sind die notwendigen Anlageinvestitionen so aufwendig, auch die zu bewegenden Materialmengen so groß, daß eine Eingrenzung der Aktivitäten und der Resultate der neuen Industrie auf das Land, das sie entwickelt hat, eher möglich ist. Allerdings lassen sich die Gefahren auch in diesem Bereich nicht ganz ausschalten, wenn nicht eine vollständig staatlich kontrollierte Industrie die heimische Entwicklung trägt. Transnationale Konzerne haben meist in sehr vielen Ländern Produktionsstätten, die in bezug auf ihre Erzeugnisse recht flexibel sind. Ändern sich in einem Land die ökonomischen Bedingungen im Vergleich zu den anderen Produktionsstandor20
ten, so ist es für die Unternehmung relativ leicht, bestimmte Produktionen entsprechend zu verlagern. Es kann somit im Interesse eines Landes liegen, die Entwicklung neuer Technologien nur dann zu fördern, wenn die Kontrolle der Produktion und des Absatzes gewährleistet ist. Dies ist bei einer Beschränkung der Förderung auf heimische Firmen am ehesten möglich. Eine andere Erfahrung; die in den letzten Jahren gemacht wurde, zeigt, daß der Einfluß der Automation sich darin niederschlägt, daß Lohnkostenvorteile, die aus extrem billigen Arbeitskräften resultieren, immer weniger den Ausschlag bei der Standortwahl geben. In letzter Zeit spielt - neben dem stets dominierenden Gesichtspunkt der Sicherung des Absatzmarktes - immer mehr die Fähigkeit eine Rolle, schnell auf Nachfrageänderungen oder Änderungen in der Produkt- oder Prozeßtechnologie reagieren zu können. Es scheint, als ob diese Tendenz in der Elektronikindustrie noch stärker wirksam ist als in der Automobilindustrie. Hier kann immer noch ein großer Anteil der Produktionsprozesse auch von Hand ausgeführt werden, ohne daß Qualitätseinbußen auftreten oder die Produktion zwangsläufig unrentabel wird. 3.1.1
Infonnatikpolitik in Brasilien
Brasilien hat beim Aufbau seiner Elektronikindustrie eine selektive und differenzierte Strategie verfolgt7. Dabei wurden diejenigen großen und rasch wachsenden Marktsegmente, die ausgereifte Technologien einsetzen konnten (z.B. Peripheriegeräte der Datenverarbeitung und Kleincomputer), den inländischen Unternehmen vorbehalten. Ausländische Firmen hatten ihre Beteiligung in diesen Segmenten des Marktes zu verringern. Dies war eine restriktivere Politik als in den meisten anderen Ländern, auch restriktiver als in Indien. Ausländische Firmen dominieren aber weiterhin in Bereichen, die besonders komplizierte und hochentwickelte Technologien erfordern (z.B. Superminicomputer und Großrech-
7
Vgl. World Bank 1987b, Vol. 11, S. 40. 21
ner). In der Konsumgüterelektronik ist der Wettbewerb in Brasilien kaum eingeschränkt, anders als z.B. in Indien. Innerhalb des Aufbaus der brasilianischen Elektronikindustrie stellt der Informatikbereich bisher einen Sonderfall dar. Hier wurde in einer bis dahin weltweit kaum jemals beobachteten Rigorosität versucht, die technologische und geschäftliche Vormachtstellung ausländischer Unternehmen innerhalb weniger Jahre zu brechen. Nationale Unternehmen wurden in vielfältiger Weise unterstützt, ausländische Anbieter durch Investitions-, Produktions- und Außenhandelsauflagen von ihren starken Positionen auf dem Binnenmarkt verdrängt. Der Informatiksektor umfaßt den gesamten Bereich der Computerindustrie, einschließlich der Software und der Peripheriegeräte; aber auch die Steuerungsmittel im Bereich der Automation gehören dazu. Das "Gesetz zur Informatik" vom Oktober 1984 definiert seinen Zuständigkeitsbereich als "alle Aktivitäten, die mit der rationellen und automatischen Verarbeitung jeglicher Information verbunden sind,,8. Als "Aktivitäten" werden Ausbildung, Forschung, Entwicklung, Produktion, Import, Export und Binnenhandel verstanden; sowohl die materiellen Produkte als auch alle Arten von diesbezüglichen Dienstleistungen (z.B. Softwareentwicklung, Unterhaltung von Datenbanken und Hardware-Service) sind im Informatikbereich erfaßt. Diese außerordentlich weite Definition führt dazu, daß die Bestimmungen des Gesetzes sich auf praktisch alle Bereiche der Volkswirtschaft auswirken. Das Gesetz definiert das ·Ziel der Informatikpolitik9: "Das Ziel aller Förderungsmaßnahmen und des Schutzes der Regierung ist zum einen die stärkere Entwicklung nationaler Technologie und zum anderen die wirtschaftliche, finanzielle und kommerzielle Stärkung der nationalen Unternehmen, denen dadurch eine größere internationale Konkurrenzfähigkeit verschafft werden soll."
8 Berkemeier 1985, S. 231. 9
22
Art. 2, Abs. XI, zitiert nach Berkemeier 1985, S. 232.
Die wichtigsten Bestimmungen des Gesetzes sehen folgendes vor10: Verlängerung der Marktreservierung für Kleinrechner (Computer mit Systempreis bis zu 90.000 US-$) bis 1992. Erweiterung der Marktreservierung u.a. auf Bauelemente und Fernmeldegeräte. Priorität für privatwirtschaftliche Unternehmen. Beschränkung der Fördermaßnahmen und des Marktzutritts überhaupt auf "nationale Unternehmen". Diese müssen zu 70 vH in nationalem Besitz und unter der Kontrolle eines nationalen Managements sein. Die bis dahin bestehenden Joint-Venture-Vorschriften, die lediglich mehrheitliche nationale Beteiligung vorsahen, wurden somit wesentlich verschärft. Einführung von finanziellen und steuerlichen Anreizen für nationale Unternehmen, insbesondere für die inländische FuE und für Anlageinvestitionen. Kontrolle des Technologieerwerbs im Ausland. Generell restriktive Bestimmungen mit Ausnahmeregelungen für den Fall, daß bestimmtes Know-how von nationaler Bedeutung ist und daß Vergleichbares im Inland nicht zur Verfügung steht. Möglichkeiten zum Eingreifen der Regierung, um De-facto-Monopole zu verhindern. Festlegung des Vorrangs nationaler Unternehmen bei öffentlichen Ausschreibungen. Die wichtigsten wirtschaftlichen Trends in der Entwicklung der brasilian!schen Informatikindustrie können hier nur kurz dargestellt werden. Im Gegensatz zu Ländern, in denen der staatliche Anteil an der Elektronikindustrie dominiert oder in denen eine strikte Planung Grundlage für die Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft ist, gibt es für die brasilianische Elektronikindustrie nur wenig international vergleichbare und einen generellen Überblick gewährende Statistiken. Das Gesamtbild muß sich aus Einzelinformationen zusammensetzen und bleibt
10 Vgl. Gesetzestext in deutscher Fassung von A Berkemeier in Berkemeier 1985, S. 244 ff. - Meyer-Stamer 1988, S. 16. .
23
zwangsläufig unvollständig. Dabei mag eine Rolle spielen, daß die Statistiken der staatlichen Organe zur Steuerung des Informatiksektors weniger öffentlich zugänglich gemacht werden als in anderen Ländern, weil offenbar befürchtet wird, dadurch die Verhandlungsposition gegenüber den großen Auslandsunternehmen zu schwäcben. 1974, als die Importe von Informatikprodukten erstmals eingeschränkt wurden, hatte der brasilianische Informatikmarkt einen Gesamtumfang von etwa 700 Mill. $; 1987 war diese Kennziffer auf 3,3 Mrd.$ gestiegen (vgl. Schaubild 1)11. Das entspricht einem durchschnittlichen jährlichen Zuwachs vOn knapp 13 vH eine im internationalen Vergleich eher geringe Dynamik. In den achtziger Jahren war das Wachstumstempo schneller, seit 1980 lag es bei gut 20 vH im Jahresdurchschnitt, 1987 betrug der Zuwachs 10 vH. Dieses letzte Jahr, für das Informationen vorliegen, war trotz des nochmals merklichen Produktionszuwachses durch eine ungünstige geschäftliche Entwicklung bei fast allen nationalen Unternehmen gekennzeichnet. Es gab fast überall Verluste, und die Verschuldung stieg weiter. Die Durchschnittsrentabilität der 20 umsatzstärksten Unternehmen lag bei -1,5 vH 12. Von der Gesamtproduktion 1987 entfielen 1,9 Mrd.$ auf die Herstellung von Prozessoren, Kleincomputern, pe, Datenübertragungsanlagen und Digitalinstrumenten - auf Bereiche, die nationalen Produzenten vorbehalten sind. Dagegen dominieren ausländische Firmen nach wie vor auf den technisch anspruchsvolleren Bereichen, vor allem bei den Großrechnern. Die größten Unternehmen im Informatikbereich sind im folgenden genannt (Stand 1987, Umsatz in Mill. $)13:
11
Quellen: Frischtak 1986, S. 45; NfA 03.11.88; Meyer-Stamer, S. 18.
12
NfA 03.11.88.
13 NfA 03.11.88. 24
Schaubild 1
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192
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