Kirche und Deutschtum in der Entwicklung der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien 9783666557057, 3525557051, 9783525557051


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German Pages [268] Year 1978

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Kirche und Deutschtum in der Entwicklung der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien
 9783666557057, 3525557051, 9783525557051

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ARBEITEN ZUR K I R C H L I C H E N

ZEITGESCHICHTE

R E I H E B: D A R S T E L L U N G E N

· BAND 6

ARBEITEN ZUR K I R C H L I C H E N

ZEITGESCHICHTE

Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Zeitgeschichte von Georg Kretschmar und Klaus Scholder

REIHE B:

DARSTELLUNGEN Band 6

Martin Norberto Dreher Kirche und Deutschtum in der Entwicklung der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien

G Ö T T I N G E N · V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T · 1978

Kirche und Deutschtum in der Entwicklung der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien

von Martin Norberto Dreher

G Ö T T I N G E N • V A N D E N H O E C K & RUPRECHT · 1978

Redaktionelle Betreuung dieses Bandes: Gertraud Grünzinger

CIP-Kurztitelaufnahme Dreher,

Martin

der Deutschen

Bibliothek

Norberto:

Kirche und Deutschtum in der Entwicklung der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien. - Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1978. (Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte: Reihe B, Darst.; Bd. 6) ISBN 3-525-55705-1

© Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1978. - Printed in G e r m a n y . - Alle Rechte des Nachdrucks, der Vervielfältigung u n d der Ü b e r s e t z u n g vorbehalten. O h n e ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, das Werk oder Teile daraus auf photomechanischem (Fotokopie, Mikrokopie) oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. Satz und D r u c k : G u i d e - D r u c k , Tübingen.

Meinen Eltern und meiner Frau

„Unsere Väter in der Synode haben vielleicht theologisch anders gedacht; sie haben vielleicht einen anderen Kirchenbegriff gehabt als wir; sie haben vielleicht ζ. T . geglaubt, Evangelium und Volkstum koordinieren zu können - obwohl sie diese Formulierung sicher abgelehnt hätten; es mag sein, daß wir von der uns geschenkten Erkenntnis her sagen müssen: wir hören Gottes Wort anders - darum dürfen wir aber doch nicht sagen: sie haben Gottes Wort nicht gehört." Ernst Schlieper

INHALTSVERZEICHNIS Vorwort Abkürzungen Einleitung Kapitel 1 Brasilien zur Zeit der deutschen Einwanderung Kapitel 2 Die deutsche Einwanderung 1. Die Anfänge der Einwanderung 2. Die Motive der Auswanderung 3. Die regionale Herkunft der Einwanderer

Kapitel 3 Assimilation und Marginalisierung der deutschen Einwanderer Kapitel 4 Gemeinden, Pastoren und ihre Einstellung zur Erhaltung des Deutschtums 1. Geschichtliche Entwicklung 2. Die Gemeinden 3. Die Pfarrer

Kapitel 5 Deutsche kirchliche Vereine und Gesellschaften und ihre Einstellung zur Erhaltung des Deutschtums 1. Die Anfänge 2. Die Evangelische Gesellschaft für die protestantischen Deutschen in Nord- und Südamerika

Kapitel 6 Die Riograndenser Synode von 1886 bis 1930 1. Die Ära Rotermund Wilhelm Rotermund Die Vorsynode Die Entwicklung bis zum Ersten Weltkrieg Der Erste Weltkrieg Die Frage des Deutschtums und die ökumenische Bewegung

8

Inhaltsverzeichnis

2. Hermann Gottlieb Dohms: Leben - Theologische Konzeption Handeln Jugend und Studium Programm und Ausführung Die Riograndeser Synode: Eine deutsche evangelische Volkskirche in Brasilien Dohms' Konzeption im Widerstreit der Meinungen

Kapitel 7 Die Krise der Riograndenser Synode

103 103 105 106 110

116

1. Erste Anzeichen 2. Die Auswirkungen des deutschen Kirchenkampfes in Brasilien Nationalsozialistische Pfarrerschaft und Deutsche Christen Brasiliens . Der »Fall Ilsenburg« und die »Arbeitsgemeinschaft der Bekennenden Kirche« Präses Dohms'Stellung zum Kirchenkampf 3. Die Synode und der brasilianische Staat 4. Die Gemeinden von 1919 bis 1945

116

136 145 148 157

Kapitel 8 Die Lutherische Synode

161

1. Die Anfänge 2. Die Entwicklung bis zum Ersten Weltkrieg 3. Die Lage nach dem Ersten Weltkrieg Geschichtliches Zwischen Bekenntnis und völkischer Ideologie Neue Strömungen in den Gemeinden 4. 1933 bis 1945 Die neue Lage Die Nationalisierung 5. Die Deutschtumstheologie der Synode

161 164 166 166 172 184 185 185 191 194

Kapitel 9 Berlin-Brasilien-Deutschtum

198

1. Die Entwicklung der Beziehungen zwischen den deutschen Kirchenbehörden und den brasilianischen Gemeinden und Synoden nach 1900 . . . Der Ev. Oberkirchenrat in Berlin Der Deutsche Evangelische Kirchenbund Das Kirchliche Außenamt 2. Die Frage des Volkstums Der Ev. Oberkirchenrat in Berlin Der Deutsche Evangelische Kirchenbund Das Kirchliche Außenamt 3. Der »Fall Schlieper«

198 198 200 201 204 204 207 210 215

119

Inhaltsverzeichnis

9

Kapitel 10 Ausblick

222

1. Die theologische Neubesinnung 2. Der Bund der Synoden 3. Die Öffnung zur Ökumene

223 227 229

Quellen-und Literaturverzeichnis

231

Index

249

VORWORT

Die vorliegende Untersuchung geht auf eine Anregung meines Lehrers Dr. Joachim Fischer, Dozent für Kirchen- und Dogmengeschichte an der Theologischen Fakultät der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Säo Leopoldo/Brasilien zurück und konnte unter der Betreuung von Prof. D. Georg Kretschmar, München, durchgeführt werden. Sie greift aber auch auf Erfahrungen zurück, die ich als Brasilianer und Glied der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien (EKLBB) seit meiner Jugend zu machen hatte. Diese Erfahrungen kommen darin zum Ausdruck, daß in einzelnen Ortschaften Brasiliens die EKLBB schlicht als „Igreja dos Alemäes", d.h. als „Kirche der Deutschen" bezeichnet wurde. - Während einer sechsmonatigen Mitarbeit als Student der Theologie in einem der Pfarrbezirke der EKLBB erlebte ich nach einem Gottesdienst, daß die in deutscher Sprache gehaltene Predigt von ca. 70 % der Gemeindemitglieder nicht verstanden worden war, obwohl die Gottesdienste hier immer in deutscher Sprache gehalten wurden. Auf meinen Vorschlag hin, in Zukunft auch Gottesdienste in der Landessprache zu halten, widerfuhr mir die für mich zunächst verblüffende Antwort, man könne nicht evangelisch sein ohne zugleich Deutscher zu sein. Diese Erfahrungen veranlaßten mich zu einer Untersuchung über das Verhältnis von Kirche und Deutschtum in der Geschichte meiner Kirche. Die Ergebnisse dieser Untersuchung liegen in den folgenden Seiten vor. Sie wollen grundsätzlich als ein erster Versuch der Darstellung der Problematik gelesen werden. Sie beschränken sich auch im wesentlichen auf zwei der vier Synoden, die später die Evangelische Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien gebildet haben. Zu dieser Begrenzung der Untersuchung seien folgende Bemerkungen gemacht. Die Erforschung der Geschichte der EKLBB, wie der Geschichte der Kirche in Lateinamerika und Brasilien überhaupt, steht erst in einem Anfangsstadium. Als Beispiel für die damit verbundenen Schwierigkeiten seien die Untersuchungen von Manfred Jacobs und Martin Begrich genannt1. Die bisher veröffentlichten Darstellungen der Geschichte der Gemeinden und Synoden der Evangelischenn Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien gehen hauptsächlich auf die Riograndenser Synode und auf die Lutherische Synode ein, ohne jedoch den Evangeli1

M. BEGRICH, Kirchengeschichte Brasiliens; M. JACOBS, Kirchengeschichte Südamerikas, S. 23-63.

Vorwort

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sehen Gemeindeverband von Santa Catarina und Parana und die Mittelbrasilianische Synode zu vernachlässigen2. Der Grund dafür liegt einerseits in der Tatsache, daß die meisten, wenn nicht alle Einzeluntersuchungen zu der Geschichte der E K L B B sich gerade mit den beiden erstgenannten Synoden beschäftigten 3 , und andererseits darin, daß diese beiden Synoden die größten Organisationen gewesen sind, die zur Gestaltung der E K L B B beigetragen haben. Eine ausführliche Behandlung der Problematik von Kirche und Deutschtum im Bereich der Mittelbrasilianischen Synode und des Evangelischen Gemeindeverbandes von Santa Catarina und Parana hätte eine Reihe von Einzeluntersuchungen gefordert, ohne die es für den Leser schwierig gewesen wäre, den Sachverhalt genau verfolgen zu können, sie hätten auch den begrenzten Rahmen dieser Untersuchung gesprengt. Aus diesem Grunde sah ich mich gezwungen, auf eine Darstellung der Problematik auf dem Gebiet dieser Synoden zu verzichten, sie soll aber zu einem späteren Zeitpunkt folgen. Die vorliegende hauptsächlich auf der Riograndenser Synode und der Lutherischen Synode basierende Darstellung erlaubt es aber, Einblick in die ähnlich gestaltete Situation der anderen Synoden zu gewinnen. Der Arbeit liegen im wesentlichen unveröffentlichte Akten des Ev. Oberkirchenrats in Berlin, des Deutschen Ev. Kirchenausschusses, der Kirchenkanzlei der D E K und des Kirchlichen Außenamtes zugrunde. Neben dem Archiv der Ev. Kirche in Deutschland, jetzt in Berlin, wurden auch das Landeskirchliche Archiv in Nürnberg und Akten des Ev.-Luth. Landeskirchenrats in München benutzt. Nur beschränkt brauchbar waren die Akten der Ev. Gesellschaft für die protestantischen Deutschen in Amerika, die sich jetzt im Archiv des Kirchlichen Außenamts befinden. Das Archiv der Ev. Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien konnte noch nicht benutzt werden, da es sich erst im Aufbau befindet. Dafür wurden aber stärker die Veröffentlichungen der vier Synoden, die später diese Kirche gebildet haben, berücksichtigt. Hierbei bot mir die Bibliothek des Instituts für Auslandsbeziehungen in Stuttgart eine wertvolle Hilfe. Ein Promotionsstipendium des Kirchlichen Außenamts der E K D ermöglichte mir einen dreieinhalbjährigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Ohne dieses Stipendium wäre die Anfertigung dieser Untersuchung unmöglich gewesen. Dem Kirchlichen Außenamt sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Für wertvolle Ratschläge bin ich zahlreichen Pastoren und Lehrern, die im Dienst der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien gestanden haben oder stehen, zu großem Dank verpflichtet. Für alle, stellvertretend, sei hier der Name Dr. Vgl. F . SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg; J . FISCHER, Geschichte, S. 85-200. Vgl. das Literaturverzeichnis unter E. FAUSEL; J . FISCHER; G . GROTTKE; U . HEES; F . SCHRÖDER. 2 3

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Vorwort

Erich Fülling genannt. Meinem Freund Birger Maiwald danke ich für seine Hilfeleistung bei der Bewältigung sprachlicher Probleme. Ein besonderer Dank gilt Herrn Prof. D . Dr. Georg Kretschmar, meinem verehrten Lehrer, der von Anfang an diese Arbeit begleitet und ihrem Verfasser beratend zur Seite gestanden hat. Im Jahre 1975 hat diese Untersuchung dem Fachbereich Evangelische Theologie der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation vorgelegen. Sie ist danach von Frau Gertraud Grünzinger noch einmal sprachlich überarbeitet und in den Formalien den „Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte" angepaßt worden. Dafür möchte ich Frau Grünzinger auch an dieser Stelle herzlich danken, ebenso wie der Ev. Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Zeitgeschichte, die diese Arbeit in ihre Reihe übernommen hat, und dem Lutherischen Kirchenamt in Hannover sowie dem Kirchlichen Außenamt in Frankfurt/Main für die Druckkostenzuschüsse, die von diesen Stellen beigesteuert wurden. Mein Dank gilt nicht zuletzt Frau Hannelore Braun in München, die die Korrekturen mitgelesen und das Register zusammengestellt hat. Die nach dem Abschluß der Dissertation erschienene Literatur konnte ich hier nicht mehr einarbeiten; die Gemeindearbeit in Taquara/Brasilien verlangt von dem Pfarrer vollen Einsatz seiner Kräfte und läßt ihm kaum Zeit für weitere Forschungen. Taquara, Reminiscere 1978

ABKÜRZUNGEN a.D. AEG AEKD AELKZ A.G. AGK AKA Ansiedler AuEK Aufl. Bearb. Bd. bzw. CEB CVJM D. D . , Dr. d.Ä. DC DEBB DEv DEK ebd. EK(i)D EKLBB EOK ev., evang., evangel. Ε. S. heil. Hg., hg. i. R. Jahrweiser JbLA

Jg· JK Jr-

Κ. Α.

außer Dienst Archiv der Ev. Gesellschaft für die protestantischen Deutschen in Amerika Archiv der E K D Allgemeine Ev.-Luth. Kirchenzeitung Arbeitsgemeinschaft Arbeiten zur Geschichte des Kirchenkampfes Archiv des Kirchlichen Außenamtes Der Ansiedler im Westen (Der Deutsche Ansiedler) Auslanddeutschtum und Evangelische Kirche. Jahrbuch Auflage Bearbeiter Band beziehungsweise Confederagäo Evangelica do Brasil Christlicher Verein Junger Männer Dom Doktor der Ältere Deutsche Christen, deutschchristlich Deutsche Evangelische Blätter für Brasilien Deutsch-Evangelisch (im Auslande) Deutsche Evangelische Kirche ebenda Evangelische Kirche (in) Deutschland Ev. Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien Ev. Oberkirchenrat Berlin evangelisch Espirito Santo heilig Herausgeber, herausgegeben im Ruhestand Kalender (Jahrweiser) für die Deutschen Evangelischen Gemeinden in Brasilien Jahrbuch für die Geschichte von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft Lateinamerikas Jahrgang Junge Kirche junior Kirchliches Außenamt

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kirchl. LGK LKA LKR luth. m.E. M.G. Möns. Nr. NS NSDAP NT o. O.J. OKR o.O. P., Pfr. P.G. Prof. prot. RE R . G . , R.Gr. RGG RM S. S. S.A. S.C. sog. Sp. Sr. SRS Sta. Sup. ThEh theol. u. u. a.m. usw. V.

vgl. VKL WA z.B. ZbKG z.Z.

Abkürzungen

kirchlich Der Lutherische Gotteskasten Landeskirchliches Archiv Landeskirchenrat lutherisch meines Erachtens Minas Gerais Monsignore Nummer Nationalsozialismus, nationalsozialistisch Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Neues Testament ohne ohne Jahrgang Oberkirchenrat, Oberkonsistorialrat ohne Ort Pastor, Pfarrer Parteigenosse Professor protestantisch Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche Rio Grande Die Religion in Geschichte und Gegenwart Reichsmark Seite Säo Sturmabteilung Santa Catarina sogenannt Spalte Senior Sonntagsblatt der Riograndenser Synode Santa Superintendent Theologische Existenz heute theologisch und und andere(s) mehr und so weiter von vergleiche Vorläufige Kirchenleitung Weimarer Ausgabe (der Werke Luthers) zum Beispiel Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte zur Zeit

EINLEITUNG

„Die Muse der Geschichte, von der einmal gesagt wurde, daß sie den weitesten Horizont habe, steht seit langem mit gesenktem Haupt im Kreise ihrer Schwestern. Die Menschen erwarten von ihr keine Auskünfte mehr, und wer nicht befragt wird, verstummt. Die Beschäftigung mit der Geschichte wird heute weithin für das nutzlose Vergnügen einer überlebten Bildungsschicht gehalten", meint Karl Kupisch in einer der neueren Darstellungen der Kirchengeschichte1. Wie kann aber die Kirche den ihr gegebenen Auftrag in Gegenwart und Zukunft recht begreifen, wenn sie sich nicht bemüht, danach zu fragen, woher sie kommt, und sich nicht dem unvoreingenommenen Dialog mit der Vergangenheit stellt? Dieser Dialog bedeutet nicht einfach eine unkritische Bejahung der Vergangenheit; dies wäre eine Uberbewertung der Vergangenheit und genauso verfehlt wie deren Verleugnung! Wir erstreben hier den Dialog mit einer Vergangenheit, die zwar sehr oft von einem Mantel des Schweigens umgeben wird, die aber dennoch bewältigt werden muß. Wir wollen weder beschönigen noch verteufeln, sondern Verständnis für unsere Väter wecken, die theologisch vielleicht anders gedacht haben als wir, die aber das in der Geschichte fleischgewordene Wort Gottes genauso gehört haben, wie wir es hören. Vielleicht hören wir es anders, aber wir dürfen nicht behaupten, sie hätten es nicht gehört 2 . Es geht hier um den Weg, den die Evangelische Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien zurücklegen mußte; ein Weg, der sie von der Struktur einer Einwandererkirche zu einer einheimischen, bodenständigen Kirche in Brasilien führte. Bei diesem Prozeß sah sie sich mit denselben Problemen konfrontiert, mit denen auch die übrigen Einwandererkirchen in der Welt konfrontiert waren. Das Festhalten an ihrem Glauben war sehr oft mit dem Festhalten an den Traditionen ihrer ethnischen Gruppen und an ihre Sprache gekoppelt, so daß diese Traditionen und die Sprache sehr oft quasi zu notae ecclesiae wurden. Außerdem erkennen wir im besonderen Fall der deutschen Einwanderer im 19. und 20. Jahrhundert, daß ihre geistige und geistliche Führung sehr stark vom Gedankengut des deutschen Idealismus und der Romantik geprägt war 3 . Deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn sich in den Auswandererkirchen, d.h. hauptsächlich in der Theologie der aus Deutschland stam1

Kirchengeschichte I, S. 7. Diese Aussage von E . SCHLIEPER soll gleichzeitig als Motto für diese Arbeit dienen (Unser Bekennen, S. 12). 3 Vgl. z.B. W. ELERT, Morphologie des Luthertums II, S. 250-278. 2

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Einleitung

menden Geistlichen, das widerspiegelt, was sich in der deutschen Theologie bereits einige Jahrzehnte früher abgespielt hatte: die Hinwendung zum Gedankengut des deutschen Idealismus und der deutschen Romantik 4 . Im folgenden soll der Frage nachgegangen werden, wie sich eine von Idealismus und Romantik beeinflußte Theologie im Leben und in der Gestalt brasilianischer Gemeinden und Synoden ausgewirkt hat. Dennoch wäre es verfehlt, das Leben der Gemeinden und Synoden allein aus der Perspektive der deutschen Theologie und Geistesgeschichte zu betrachten: es muß im Kontext der brasilianischen Geschichte gesehen werden. Deshalb seien einige Bemerkungen zum methodischen Vorgehen dieser Untersuchung erlaubt. Ein erster, allgemeiner Teil (Kapitel 1 bis 3) soll Einblick in die sozio-politisch-rechtliche Lage der deutschen ethnischen Gruppe in Brasilien verschaffen. Hier geht es um die Darstellung der Lage in Brasilien zur Zeit der deutschen Einwanderung, um die deutsche Auswanderung selbst und um die grundsätzliche Problematik der Assimilation und der Marginalisierung der deutschen ethnischen Gruppe von 1824 bis 1945, denn das unmittelbare Aufeinanderprallen der Interessen zweier Länder blieb keineswegs ohne Einfluß auf das Leben der evangelischen Gemeinden und Synoden. Einer besonderen Klärung bedarf in diesem Zusammenhang der Begriff „Marginalisierung", ein Neologismus in der deutschen Sprache, der in der Terminologie der deutschen Soziologie Randseiter, Randseitertum, Randpersönlichkeit, Peripher-Gruppe oder schlicht die Übernahme des englischen „marginal man" 5 bedeutet. Keine dieser Bedeutungen gibt jedoch genau das wieder, was hier mit dem Begriff der „Marginalisierung" ausgedrückt werden soll, denn es geht nicht nur um die Peripher-Gruppe selbst, sondern um den Prozeß ihrer Entstehung, der gekennzeichnet ist durch ihr Teilhaben am kulturellen Leben und den Traditionen zweier verschiedener Völker. In einem zweiten und dritten Teil wird dann der eigentliche Gegenstand der Untersuchung behandelt. Der zweite Teil (Kapitel 4 und 5) gibt zunächst einen Uberblick über das Verhältnis von Kirche und Deutschtum während der sogenannten vorsynodalen oder kongregationalen Periode im Leben der Gemeinden und ihrer Pastoren und untersucht zugleich den Anteil deutscher evangelischer Gesellschaften und Vereine an dieser Problematik. Im dritten Teil, während der sogenannten synodalen Periode, soll am Beispiel zweier Synoden dargestellt werden, wie sich das Problem von Kirche und Deutschtum auf deren Selbstverständnis auswirkte (Kapi4 Es würde zu weit führen, die Einflüsse des Idealismus und der Romantik auf die deutsche Theologie zu skizzieren; vgl. dazu A . ADAM, Nationalkirche und Volkskirche; W. TILGNER, Volksnomostheologie; H . ZILLESSEN, Volk - Nation - Vaterland. 5 Vgl. dazu G . HARTFIEL, Wörterbuch der Soziologie, S. 541 f . ; E . STONEQUIST, Artikel „Randseiter (marginal m a n ) " , S. 862ff.

Einleitung

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tel 6 bis 8). Da sich diese Synoden bzw. ihre Gemeinden an deutsche kirchliche Organisationen angeschlossen hatten, handelt Kapitel 9 von deren „Deutschtumspolitik". Ein abschließendes Kapitel soll dann einen kurzen Ausblick über den Wandel im Selbstverständnis der Synoden nach 1945 bringen. Die Einteilung des Stoffes ergibt sich schon aus der Geschichte der Gemeinden und Synoden der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien 6 . In das bis zu seiner Unabhängigkeit 1822 rein römisch-katholische Land wanderten ab 1823/24 mehrere Gruppen deutscher und schweizerischer Einwanderer ein, von denen etwas mehr als die Hälfte Protestanten waren. Diese Einwanderung beschränkte sich hauptsächlich auf die südlichen Provinzen Brasiliens: Rio Grande do Sul, Santa Catarina und Parana. Kleinere Gruppen kamen aber auch nach Mittelbrasilien, nach Espirito Santo, Minas Gerais, Säo Paulo und Rio de Janeiro. Die Einwanderer waren Bauern und Tagelöhner, meistens aus Pommern und dem Hunsrück. Ihr Wirtschaftssystem war das des Kleingrundbesitzers, das bis heute die Evangelische Kirche in Brasilien sehr stark prägt: die Mehrzahl ihrer Glieder sind Bauern mit kleinem eigenen Grundbesitz. Ihre kirchliche Versorgung organisierten sie in Selbsthilfe; sie versammelten sich in Gemeinden, bauten unter nicht geringen Opfern Schule, Kirche und Pfarrhaus und stellten Pfarrer und Lehrer an. N u r in den allerseltensten Fällen waren die Pfarrer ordiniert. Meistens waren es gescheiterte Existenzen, die dieses Amt übernahmen; daher auch die Bezeichnung „Pseudopfarrer". Die auf kirchlichem Gebiet herrschenden Mißstände unter den deutschstämmigen Protestanten wurden zunächst vom schweizerischen Gesandten J. J. von Tschudi aufgegriffen, der Anfang der sechziger Jahre die Basler Missionsgesellschaft zur Aussendung von Missionaren nach Brasilien veranlaßte. Weitere Vereinigungen sollten diesem Beispiel folgen: etwa die Evangelische Gesellschaft für die protestantischen Deutschen in Amerika, der Gustav-Adolf-Verein und der Ev. Oberkirchenrat in Berlin. Seit 1897 wurde auch der lutherisch-konfessionell ausgerichtete Lutherische Gotteskasten, später Martin-Luther-Bund, in Brasilien tätig. 1886 gründete eine Anzahl von Gemeinden in Rio Grande do Sul die „Riograndenser Synode". Ihr war 1868 eine „Deutsch-Evangelische Synode der Provinz Rio Grande do Sul" vorausgegangen, die jedoch nach dem Weggang ihres Gründers nur noch kurze Zeit bestand. Die Gründung der Riograndenser Synode war insofern von Bedeutung, als der Protestantismus in Rio Grande do Sul nun geschlossen den Behörden gegenüber auftreten und gemeinsame Aufgaben, wie die Reisepredigt oder die Einrichtung von Schulen und Anstalten der Inneren Mission übernehmen konnte. 1905 entstand in Santa Catarina, Parana und Espirito 6 Zu der nun folgenden Skizze der Geschichte der EKLBB wird pauschal verwiesen auf F. SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg; J. FISCHER, Geschichte.

2

Dreher, Brasilien

18

Einleitung

Santo eine von Abgesandten des Lutherischen Gotteskastens gegründete, betont lutherische Synode. Ihr folgte 1911 im Bereich Santa Catarina und Parana die Gründung des „Evangelischen Gemeindeverbandes von Santa Catarina und Parana". In ihm vereinigten sich die Gemeinden mit den Pastoren, die vom Evangelischen Oberkirchenrat in Berlin, der Evangelischen Gesellschaft in Barmen, dem Basler Missionshaus und der Deutschen Brüdersozietät entsandt und unterstützt wurden. Beide Organisationen arbeiteten nebeneinander, durch die Uberschneidung der Gebiete sollten jedoch manche Spannungen entstehen. Schließlich schlossen sich 1912 auch die nicht der Lutherischen Synode angeschlossenen Gemeinden Mittelbrasiliens in der Mittelbrasilianischen Synode zusammen. 1922 gab es in den vier Synoden 119 Gemeinden mit 187000 Seelen, wobei zahlenmäßig die Riograndenser Synode und die Lutherische Synode die stärksten waren. Seit 1900 bahnte sich eine engere Verbindung der einzelnen Gemeinden und ihrer Pastoren an Deutschland an. Hier hatte ein Kirchengesetz der Preußischen Landeskirche den Anschluß deutscher Auslandsgemeinden ermöglicht. Mit Ausnahme der Gemeinden der Lutherischen Synode machten eine Reihe von Gemeinden und Pastoren von dieser Anschlußmöglichkeit Gebrauch. Den Gemeinden wurde dadurch finanzielle Hilfe, den Pastoren ein geregeltes und gesichertes Einkommen und eine Altersversorgung zuteil. Um seine Arbeit in Brasilien besser koordinieren und auch den Gemeinden bei manchen auftauchenden Schwierigkeiten beistehen zu können, entsandte der Evangelische Oberkirchenrat in Berlin 1911 einen Ständigen Vertreter mit dem Titel Propst nach Brasilien. Dieser erhielt seinen Sitz in Porto Alegre. 1911 gründete der Ev. Oberkirchenrat außerdem noch ein Auslandsseminar zur Ausbildung einer bodenständigen Pfarrerschaft für die brasilianischen Gemeinden. Die Entwicklung der vier Synoden bis zum Ersten Weltkrieg ist sehr ähnlich. In allen vieren galt es, die Gemeinden, die lange Zeit ohne geregelte seelsorgerliche Betreuung waren, zu festigen und zu gemeinsamen Aufgaben zu erziehen, um somit den für die vorsynodale Periode charakteristischen Gemeindeindependentismus zu überwinden. Der Erste Weltkrieg bedeutete für alle Synoden einen entscheidenden Einschnitt. Die Verbindungen zu Deutschland wurden abgebrochen und damit jede finanzielle und personelle Unterstützung seitens der kirchlichen Instanzen in Deutschland unmöglich gemacht. In dieser Situation waren die Synoden zur Selbsthilfe gezwungen. Die Gemeinden, die bisher keinen finanziellen Beitrag zu den Gesamtaufgaben der Synoden geleistet hatten, wurden aufgefordert, dies jetzt zu tun; darüber hinaus brachten die Kriegs jähre die Erkenntnis, daß es in Zukunft nötig sein würde, die Geistlichen in Brasilien selber auszubilden. 1921 gründete die Riograndenser Synode zu diesem Zweck das „Evangelische Proseminar". Es war jedoch noch nicht möglich, die gesamte Ausbildung der Geistlichen nach

Einleitung

19

Brasilien zu verlegen. Die Absolventen des Proseminars mußten sich zunächst anschließend noch einem Theologiestudium in Deutschland unterziehen. Nach dem Ende des Krieges wurden die Verbindungen der Synoden zu Deutschland intensiviert. Die Möglichkeit dazu war durch die Gründung des Deutschen Ev. Kirchenbundes 1922 gegeben, der 1924 durch ein besonderes Kirchengesetz den Anschluß deutscher Kirchengemeinschaften des Auslandes ermöglichte. Von dieser Anschlußmöglichkeit machten 1929 die Riograndenser Synode und 1933 die Lutherische Synode Gebrauch. Die Gemeinden der übrigen Synoden blieben dem Ev. Oberkirchenrat in Berlin angeschlossen. Nach der Errichtung des Kirchlichen Außenamts der Deutschen Evangelischen Kirche 1934 wurden die beiden Synoden von dieser Stelle aus betreut; seit 1936 geschah das auch mit den Gemeinden der Mittelbrasilianischen Synode und des Evangelischen Gemeindeverbandes von Santa Catarina und Parana. In Brasilien selbst entstanden seit 1930 den Synoden besondere Schwierigkeiten, denn die brasilianische Regierung verfolgte eine Politik, die die Eingliederung aller ethnischen Gruppen in den brasilianischen Volkskörper zum Ziel hatte. Von dieser Nationalisierungspolitik wurden zunächst die Gemeindeschulen schwer betroffen. Ihnen wurde verboten, in deutscher Sprache zu unterrichten, außerdem wurden ihnen ihre Lehrkräfte, meist deutsche Pastoren, weggenommen; Ausländern wurde das Unterrichten generell untersagt. Seit 1939 wurde dann aber die Kirche in ihrem Wesen getroffen, als neue Gesetze allmählich alle fremden Sprachen aus dem Gottesdienst der Gemeinde verbannten. Die bisher fast ausschließlich in deutscher Sprache gehaltenen Gottesdienste mußten in der Landessprache gehalten werden, was zur Folge hatte, daß der größte Teil der Gemeindeglieder die in portugiesischer Sprache gehaltene Predigt nicht mehr verstehen konnten. Mit dem Eintritt Brasiliens in den Zweiten Weltkrieg verschärfte sich die Lage noch mehr; zahlreiche deutsche Pastoren wurden jetzt interniert. In dieser Situation waren die Synoden gezwungen, Laienprediger und die Absolventen des Proseminars als Vertreter in den kirchlichen Dienst zu entsenden. Aus diesen gemeinsamen Erfahrungen der vier Synoden erwuchs die Erkenntnis der Notwendigkeit zur Zusammenarbeit. Gleich nach dem Ende des Krieges versammelten sich ihre Präsiden und beschlossen nach eingehenden Beratungen die Bildung eines Bundes auf der Grundlage des lutherischen Bekenntnisses. Dieser Bund hielt 1950 in Säo Leopoldo seine erste Kirchenversammlung ab; 1954 ergänzte die zweite Kirchenversammlung den Namen des Bundes zu „Bund der Synoden, Evangelische Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien". 1962 beschloß schließlich die vierte Kirchenversammlung, die ursprüngliche Bezeichnung „Bund der Synoden" zu streichen. Seitdem heißt der Zusammenschluß „Evangelische Kirche Lutherischen

20

Einleitung

Bekenntnisses in Brasilien". Am 25. Oktober 1968 beschloß eine außerordentliche Kirchenversammlung, die bis dahin selbständigen Synoden in einem einheitlichen Kirchenkörper zusammenzuschließen. Dem war 1963 die Fusion der beiden in Santa Catarina und Parana tätigen Synoden vorausgegangen. Verwaltungsmäßig war damit die Kirche nicht mehr in Synoden, sondern in vier Regionen eingeteilt, an deren Spitze jeweils ein Regionalpfarrer stand. Grundlegend für den Zusammenschluß der Synoden war die Theologische Schule, die heutige Theologische Fakultät in Säo Leopoldo, deren Gründung im Jahr 1946 auf eine Initiative der Riograndenser Synode zurückgeht. Hier wurden die Voraussetzungen für die Ausbildung einer einheitlichen, bodenständigen Pfarrerschaft geschaffen. 1955 wurden in einem besonderen Vertrag zwischen der Evangelischen Kirche in Deutschland und dem Bund der Synoden die volle rechtliche Autonomie des Bundes festgestellt und die Synoden und Gemeinden, die bis dahin dem Kirchlichen Außenamt unterstanden hatten, als „selbständige Kirchengemeinschaften" anerkannt. Gegenüber der Ökumene trat der Bund der Synoden bzw. die Evangelische Kirche Lutherischen Bekenntnisses seit 1950 als selbständige Kirche auf. In diesem Jahr wurde sie in den ökumenischen Rat der Kirchen und in den Lutherischen Weltbund aufgenommen. Seit 1958 gehört sie auch dem Evangelischen Bund Brasiliens (Confederacäo Evangelica do Brasil) an, einer 1934 unter der Führung der Presbyterianischen Kirche gegründeten Vereinigung protestantischer Kirchengemeinschaften, deren Ziel es ist, in dem vorwiegend katholischen Land evangelische Anliegen vor der Öffentlichkeit und gegenüber den Behörden zu vertreten 7 . Die Eigenart der Gemeinden und Synoden als Kirche deutscher Einwanderer und ihre Beziehungen zu Deutschland ließen ein besonderes Problem auftauchen, dieVerbindung von Kirche und Deutschtum. Für die nach Brasilien ausgewanderten deutschstämmigen Protestanten blieb die deutsche Sprache lange Zeit Umgangssprache. Deshalb war es auch völlig legitim, daß man sich in der kirchlichen Arbeit zunächst der deutschen Sprache bediente. Für die Gemeindeglieder selbst gab es praktisch bis zur deutschen Reichsgründung keine bewußte Verbindung von Kirche und Deutschtum; für die portugiesisch sprechende Umwelt aber war es naheliegend, deutsch mit evangelisch gleichzusetzen, da es im Süden des Landes keine anderen Protestanten als eben deutsche gab. 7 Der Confederacäo Evangelica do Brasil sind heute u. a. folgende Kirchen und Organisationen angeschlossen: Igreja Presbiteriana do Brasil, Igreja Presbiteriana Independente, Igreja Metodista do Brasil, Igreja Episcopal Brasileira, Igreja Evangelica de Confissäo Luterana no Brasil, Igreja Evangelica Luterana do Brasil, Igreja do Evangelho Quadrangular, Igreja Pentecostal „Brasil para Cristo" (die beiden letzteren Pfingstkirchen), Sociedade Biblica do Brasil, usw. Mormonen, Zeugen Jehovas u.a. werden nicht zugelassen. Zum ganzen vgl. K. GOTTSCHALD, Bund Brasiliens, S. 58-63.

Einleitung

21

Diese Einschätzung der Umwelt wirkte auf die Gemeinden zurück und wurde durch die Gründung des Deutschen Reiches begünstigt, das nach Bismarcks Abschied eine aktive Deutschtumspolitik verfolgte. Schließlich wurde sie durch politische und geistesgeschichtliche Entwicklungen gefördert, die mit der Ausrufung der brasilianischen Republik 1889 und der durch sie inaugurierten sogenannten „Alten Republik" zusammenhängen. Sie verwehrte den Deutschstämmigen eine vollständige Integration in die brasilianische Gesellschaft oder erschwerte sie zumindest. Diese Haltung wirkte sich bei den Gemeinden in der Zeit des Ersten Weltkrieges und besonders 1924 bei den Feierlichkeiten zur Jahrhundertfeier der deutschen Einwanderung aus. Die Gemeinden wurden in ihrem „völkischen Empfinden" außerordentlich gestärkt, so daß in der Tat ein großer Teil der Gemeindeglieder bewußt deutsch sein wollte. In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen war so die Verbindung von Kirche und Deutschtum außerordentlich eng. Befördert wurde sie durch die aus Deutschland kommenden Pastoren, durch die Stellen, die sie aussandten und durch den politischen Umschwung in Deutschland, in dem man zunächst lediglich eine innere Erneuerung des deutschen Volkes sah. Die aus Deutschland kommenden Pastoren versuchten bis zur Reichsgründung nicht ausdrücklich, Deutschtum und Evangelium in einen engeren Zusammenhang zu bringen. Erst nach 1871 wurden Versuche unternommen, die zunächst als natürlich empfundene Tatsache, daß deutschstämmige Protestanten sich in ihrer kirchlichen Arbeit der deutschen Sprache bedienten, theologisch zu begründen, wobei es dann zu der äußerst fragwürdigen Formulierung kommen konnte, man müsse „ d e n Glaubensbrüdern und Volksgenossen das Evangelium in deutscher Sprache und A r t " bringen und „damit den ganzen reichen Schatz der deutschen Kultur" erhalten. Diese Anschauungen gipfelten in der These, Deutschtum und Evangelium seien auf Leben und Tod miteinander verbunden. Solche Äußerungen lassen sich zunächst nur bei den akademisch gebildeten Pastoren finden. Eine ganz andere Haltung vertraten die aus den Missionshäusern hervorgegangenen Pastoren. Einige von ihnen wandten sich äußerst scharf gegen solche Formulierungen. Auch bei den kirchlichen Organisationen ist erst nach 1871 in den Anweisungen für die nach Brasilien ausgewanderten Deutschen eine stärkere Betonung des Deutschtums zu bemerken, der jedoch noch kein planvoll ausgearbeitetes Konzept zugrunde lag. Die politische Wende des Jahres 1933 in Deutschland brachte manche Pastoren, aber auch Gemeindeglieder, die sich davon eine Belebung des deutschen Volkstums in Brasilien erhofften - in dieser Belebung des deutschen Volkstums lag für sie ja gerade die Bedeutung dieses Wandels - , in die Nähe d e r , , Glaubensbewegung Deutsche Christen", von der sie manches Gedankengut übernahmen und zum Teil auch organi-

22

Einleitung

satorisch und praktisch in den Gemeinden und Synoden durchzusetzen versuchten. Daß dies möglich war, geht auch auf eine seit 1933 stattfindende einheitlichere Versorgung der ausländischen Gemeinden durch die Deutsche Evangelische Kirche zurück, die eine engere Verbindung von Kirche und Deutschtum nicht nur ermöglichte, sondern auch förderte. Sehr bald zeigte es sich aber, daß die Position, die die Synoden bezüglich der Verbindung von Kirche und Deutschtum eingenommen hatten, unhaltbar war. Zu einer veränderten Haltung hatte hauptsächlich die in Brasilien entstandene, (Arbeitsgemeinschaft der Bekennenden Kirche" beigetragen. Deren Gründung war auch das Resultat der ständigen kirchenpolitischen Auseinandersetzungen, die schließlich zur Schließung des ilsenburger Seminars führten. Daneben spielte die von der brasilianischen Regierung in den dreißiger Jahren durchgeführte Nationalisierungspolitik eine wesentliche Rolle und, nicht zu vergessen, natürlich auch die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges. Uber diesen Ereignissen ging eine Epoche von rund 120 Jahren zu Ende, wie die weitere Entwicklung zeigen sollte.

Kapitel 1 BRASILIEN ZUR ZEIT DER DEUTSCHEN EINWANDERUNG Die Geschichte der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien beginnt mit der Einwanderung evangelischer Kolonisten aus Deutschland und aus der Schweiz in den Jahren 1823/24. Da aber diese Geschichte innigst mit der Geschichte und Entwicklung Brasiliens verbunden ist, sollen einige geschichtliche Betrachtungen zur politischen, religiösen, sozialen und wirtschaftlichen Lage des damaligen Brasilien vorangestellt werden. Als Napoleon im Oktober 18081 Portugal besetzen ließ, sah sich der spätere König D. Joäo VI. gezwungen, mit dem portugiesischen Hof nach Brasilien zu flüchten. Diese Tatsache war für die Entwicklung und die Entstehung des brasilianischen Staates von entscheidender Bedeutung. Bis zu diesem Zeitpunkt waren nämlich die Interessen der in Brasilien ansässigen portugiesischen Großgrundbesitzer ganz an Portugal-Lissabon orientiert. Es gab im Lande selbst keinen Mittelpunkt, der ihr Interesse auf sich hätte ziehen können 2 . Mit der Ubersiedlung des portugiesischen Hofes hörte Brasilien auf, eine Kolonie zu sein. Im Mittelpunkt der in Brasilien ansässigen Portugiesen stand von nun an nicht mehr PortugalLissabon, sondern Brasilien-Rio de Janeiro; die verschiedenen portugiesischen Besitzungen in Südamerika bildeten nun eine Einheit: Brasilien. Das Land, das bis zu diesem Zeitpunkt allein als Ausbeutungsobjekt Portugals angesehen wurde, war nun das Zentrum der portugiesischen Krone. Aus diesem Grunde sah sie sich auch genötigt, für eine möglichst rasche Entwicklung des Landes zu sorgen. D. Joäo VI. gründete mehrere Volks- und Mittelschulen, eine Künstlerakademie, Bibliotheken, Museen 1 Zum folgenden vgl. F. DE VARNHAGEN, Historia da Independencia, S. 17-131; H. VIANNA, Historia do Brasil II, S. 7-51; O. LIMA, Movimento da Independencia, S. 11-272. 2 Sie fühlten sich nicht an das Land gebunden. Dies spiegelten die in verschiedenen Gegenden des Landes stattgefundenen Unabhängigkeitsbestrebungen wider. Sie hatten immer lokalen Charakter und gingen nie darüber hinaus. So zeigten die Paulistaner wenig Interesse am Kampf gegen die Franzosen, die Rio de Janeiro 1710/11 plünderten. Die Großgrundbesitzer in Pernambuco mußten allein gegen die Holländer kämpfen. Die Verschwörung des Tiradentes in Minas Gerais hatte ebenso lokalen Charakter. Selbst das brasilianische Territorium bildete keine Einheit. Portugal besaß nicht nur eine, sondern mehrere Kolonien im heutigen Brasilien. Es gab den,,Estado do GräoParä", den „Estado do Maranhäo e Piaui", den „Estado do Brasil" und andere kleinere Einheiten.

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Brasilien zur Zeit der deutschen Einwanderung

und Druckerein und ließ die natürlichen Reichtümer des Landes erforschen. Sieben Jahre nach der Ankunft der Königsfamilie verkündete D . Joäo VI. im Dezember 1815 die Gründung des „Vereinigten Reiches von Portugal, Brasilien und Algarves". Dadurch war Brasilien fortan ein Königreich mit zentraler Verwaltung. Für das Werden des brasilianischen Staates war dies von entscheidender Bedeutung, denn es entstand unter den ansässigen Portugiesen und deren Nachkommen das Bewußtsein, eine Nation zu bilden. 1821 sahsichD. Joäo VI. gezwungen, nachPortugal zurückzukehren, ließ aber seinen Sohn Pedro als Regenten in Brasilien zurück. Die Rückkehr des Königs, die auf Forderung des portugiesischen Parlaments und auf wachsende Unruhen in Portugal zurückgeht, führte schließlich in Brasilien zu einem völligen Bruch mit Portugal und zur Akklamation des Kronprinzen Pedro zum brasilianischen Kaiser am 7. September 1822. Im Zusammenhang mit der Unabhängigkeitserklärung Brasiliens ergeben sich für die Untersuchung zunächst drei wichtige Aspekte: Mit der Ubersiedlung des portugiesischen Hofes hatte sich in Brasilien ein einheitlicher Staat gebildet. Der Regionalismus, der bis dahin vorherrschend gewesen war und den man besonders in den lokalen Revolutionen innerhalb des Landes beobachten kann, verschwand mehr und mehr. Hier sind wohl die Wurzeln dessen zu suchen, was man das Werden der brasilianischen Nation nennen könnte; ein Prozeß, der bis heute noch nicht völlig abgeschlossen zu sein scheint. Will man die Problematik der ersten Jahrzehnte der evangelischen Gemeinden, die sich 1969 in der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien zusammengeschlossen haben, verstehen, so muß man bedenken, daß sie von Anfang an am Werden der brasilianischen Nation teilnahmen und teilnehmen mußten. Hier sind die Anfänge einer Entwicklung zu finden, deren Ausbildung bei der Behandlung der Assimilation, der Eingliederung der deutschstämmigen Protestanten in die werdende brasilianische Gesellschaft also, aber auch in dem Phänomen ihrer Marginalisierung, ihrem Eigenleben am Rande dieser Gesellschaft, darzustellen ist. Ein Phänomen, das seit der Unabhängigkeit Brasiliens stärker hervortrat, ist eine Art von Nativismus, unter der die deutsche, aber auch andere ethnische Gruppen zu leiden hatten. Regional hatte dieser auch schon im 17. Jahrhundert zur Vertreibung der Holländer aus dem Nordosten Brasiliens geführt. Mit der Bildung des brasilianischen Staates aber bestand die Gefahr, daß der Nativismus zur Staatsideologie erhoben wurde, die es erlaubte, daß man sich scharf von dem fremden, eingewandertem Element im Land absetzte 3 . Schließlich behielt das sich nach 1822 konstituierende brasilianische Kaiserreich auf religiösem Gebiet die Traditionen des por3 H . VIANNA, Historia do Brasil I, S. 171, II, S. 81; O . LIMA, Movimento da Independencia, S. 285, 337f.

Brasilien z u r Zeit der deutschen E i n w a n d e r u n g

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tugiesischen Reiches bei. Selbst wenn die kaiserliche Verfassung vom 25. März 1824 in Artikel 179, Absatz 5 die religiöse Freiheit der Nichtkatholiken betonte: „Keiner kann um der Religion willen verfolgt werden, solange er die Staatsreligion respektiert und die öffentliche Moral nicht verletzt" 4 , so wurde doch in Artikel fünf festgehalten: „Die Römisch Katholische Apostolische Religion wird weiterhin die Religion des Kaiserreiches sein. Alle anderen Religionen sind mit ihrem häuslichen oder privaten Kultus in Häusern, die dazu bestimmt sind, ohne irgendwelche äußere Form des Tempels, erlaubt." 5 Die Nichtbeachtung dieser Bestimmungen hatte rechtliche Folgen, die in Artikel 276 des Codigo Criminal do Imperio festgehalten wurden: „Wenn solche, welche eine andere Religion als die Staatsreligion bekennen, ihren Gottesdienst in einem Gebäude feiern, welches irgend eine äußere Tempelform hat, so sollen dieselben durch den Friedensrichter zerstreut und mit 2 bis 12 Milreis bestraft werden." 6 Die Betonung des Katholizismus als Staatsreligion brachte für die Nichtkatholiken auch Benachteiligungen bei der Besetzung politischer Ämter mit sich. Diese Einschränkung wurde von der kaiserlichen Verfassung in Artikel 95 festgehalten: „Deputierte zur Bundesversammlung können diejenigen nicht werden, welche eine andere als die Staatsreligion bekennen." 7 Da die Verfassung allein die Unwählbarkeit der Nichtkatholiken für das Amt eines Deputierten festlegte, sollten im Laufe der Zeit unterschiedliche Ansichten über die Wählbarkeit der Nichtkatholiken in Provinzialund Munizipialkammern entstehen 8 . Diese Ungenauigkeit in der Gesetzgebung kam besonders in der Frage nach der Gültigkeit protestantischer Ehen zum Ausdruck. Man kannte in Brasilien keine Ziviltrauung; da die katholische Religion Staatsreligion war, hatten nur die vor einem katholischen Geistlichen geschlossenen Ehen Rechtsgültigkeit 9 . Längere Zeit 4

Zitiert nach E . FAUSEL, R o t e r m u n d , S. 8 2 .

5

T e x t im Original bei T H . DE CASTRO, H i s t o r i a D o c u m e n t a l do Brasil. S. 1 5 0 : „ A reli-

giäo catolica apostölica r o m a n a continuarä a ser a religiäo do I m p e r i o . T o d a s as outras religiöes seräo permitidas c o m ο seu culto d o m e s t i c o o u particular, em casas para isso destinadas, sem f o r m a alguma exterior de t e m p l o . " 6 7

Zitiert nach E . FAUSEL, R o t e r m u n d , S. 8 2 . Ebd.

8

Vgl. H . BORCHARD, D e u t s c h e und deutsch-evangelische K i r c h e , S. 3 2 .

9

H . BORCHARD berichtete 1 8 6 6 folgendes darüber: „ E i n großer U n f u g w u r d e mit den

protestantischen E h e n getrieben. Einige Geistliche m a c h t e n sich ein Geschäft daraus, L e u t e zu trauen, auf Verlangen wieder ohne weiteres zu scheiden, und die Geschiedenen wieder anderweitig zu verheirathen. A u c h katholischerseits ist es v o r g e k o m m e n , daß Protestanten, welche v o n protestantischen Geistlichen getraut waren, ohne daß sie v o r h e r geschieden w a ren, mit anderen katholischen P e r s o n e n getraut w o r d e n sind. N o c h i m m e r ist die Ansicht vielfach verbreitet, daß w i r Evangelischen in Beziehung auf die E h e hier im L a n d e außer d e m Gesetze ständen und thun könnten, w a s wir L u s t hätten. N o c h v o r K u r z e m schrieb ein evangelischer Kolonist aus St. Angelo an m i c h , den seine F r a u seit acht J a h r e n verlassen hatte, und der sich wieder verheirathen wollte. D i e dortige Gemeindeversammlung hatte sich für befugt gehalten, die E h e als aufgelöst zu erklären und ihm die Erlaubnis gegeben, sich

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Brasilien zur Zeit der deutschen Einwanderung

wurde diesem Mißstand keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt. Das hing zum Teil sehr eng mit der Passivität des brasilianischen Katholizismus zusammen 10 . Die Lage änderte sich aber um die Mitte des 19. Jahrhunderts, als eine Reihe deutscher Jesuiten nach Brasilien kam. Auf sie ist ein grundlegender Wandel im brasilianischen Katholizismus zurückzuführen 11 . Seit 1855 setzte sich der preußische Gesandte mit dem brasilianischen Minister des Innern in Verbindung, um die rechtliche Lage der Ehen der Protestanten zu klären 12 . Eine Ehescheidung in der kaiserlichen Kolonie Petropolis scheint die Sache ins Rollen gebracht zu haben 13 . Schon 1856 wurde ein Gesetzentwurf eingebracht, wonach evangelische und gemischte Ehen als Zivilehen geschlossen werden konnten. Die weiteren Verhandlungen zogen sich aber ergebnislos hin. 1857 wurden dem Pfarrer der Gemeinde Säo Leopoldo die Befugnisse zu Amtshandlungen entzogen, weil er eine gemischte Eheschließung vorgenommen hatte 14 . 1859 schaltete sich der römische Internuntius Falcini in die Diskussion ein 15 . Der gesamte römische Klerus und ein Teil der Abgeordneten wurde gegen den Gesetzentwurf zur Zivilehe mobilisiert. 1860 sah sich Kaiser D. Pedro II. in seiner Thronrede gezwungen, sich nochmals für die Regelung der Ehen der Nichtkatholiken einzusetzen 16 . Am 11. September 1860 konnte das Gesetz verabschiedet werden und erhielt im Dekret Nr. 3069 vom 17. April 1863 seine Ausführungsbestimmung. Die Zivilehe wurde zwar nicht eingeführt - sie kam erst mit der Republik 1889 - , das Gesetz gestattete aber, daß die „Geistlichen der geduldeten Religionen" Amtshandlungen mit „bürgerlichen Wirkungen" vornehmen durften, wenn ihre,, Wahl oder Ernennung" bei der Regierung registriert wurde. Um registriert zu werden, genügte es, daß der Pfarrer seine „Ernennungs- oder Wahlschrift" bei der Behörde einreichte 17 . Der Gesetzgeber untersagte den Evangelischen weiterhin, Mischehen einzugehen. Durch einen Erlaß vom 21. Oktober 1865 bestimmte die Regierung, daß alle Kinder aus ge-

wieder zu verheirathen. Ich sollte ihm nun mein Gutachten darüber mittheilen" (ebd.). Vgl. auch F . SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg, S. 4 6 ; J . ROCHE, R i o Grande do Sul I I , S. 699, A n m . 110. 1 0 Diese Passivität erlaubte es, daß evangelische Gemeinden die Bestimmungen des Artikels 5 der Verfassung umgehen konnten (vgl. H . BORCHARD, Deutsche und deutsch-evangelische Kirche, S. 31). 1 1 F . SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg, S. 4 6 ; J . FISCHER, Kampf gegen Pseudopfarrer, S. 96. 12 13 14 15

F . SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg, S. 46. Vgl. P . CALMON, Brasilia Catedral do Brasil, S. 137ff. F . SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg, S. 47. Vgl. seinen Brief vom 21. 7. 1858 (P. CALMON, Brasilia Catedral do Brasil, S. 138 f.).

Vgl. F . SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg, S. 47. Vgl. J . FISCHER, Kampf gegen Pseudopfarrer, S. 97. Text des Gesetzes und Ausführungsbestimmungen bei A . BILLROTH, Evangelist, S. 1 5 3 - 1 6 8 . 16 17

Brasilien zur Zeit der deutschen Einwanderung

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mischten Ehen katholisch erzogen werden müßten 18 . Erst die Ausrufung der Republik am 15. November 1889 brachte mit der völligen Trennung von Staat und Kirche auch für die Protestanten die Gleichberechtigung. Um aber die gesamte Entwicklung der deutschstämmigen Gemeinden und Synoden in Brasilien während der Gründungszeit des Kaiserreiches erfassen zu können, muß darüber hinaus die Frage nach den Ursachen der deutschen Auswanderung nach Brasilien gestellt werden. Aus der Perspektive des brasilianischen Kaiserreiches waren es im wesentlichen zwei sich ergänzende Faktoren, die die brasilianische Regierung zur Förderung der Einwanderung bewegten: die geforderte Aufhebung der Sklaverei und die Auseinandersetzung um die Besetzung umstrittener Gebiete. Zur Zeit seiner Unabhängigkeit zählte Brasilien ca. 3500000 Einwohner, von denen 68,5 % Sklaven waren 19 . Auf die Arbeit dieser Sklaven stützte sich die im wesentlichen agrarische Struktur der Wirtschaft des Landes. Die Landwirtschaft beruhte auf einer durch den Großgrundbesitz begünstigten Monokultur; man pflanzte fast ausschließlich Zuckerrohr und Kaffee. In der Provincia de Säo Pedro do Rio Grande do Sul, einem Gebiet, das uns besonders wegen der großen Anzahl deutscher Kolonisten, die sich hier niedergelassen hatten, interessiert, hing die Wirtschaft ausschließlich von der Viehzucht ab. Landwirtschaftliche Produktion, Ackerbau etwa, war hier kaum zu finden. Aus philanthropischen und vor allem aus wirtschaftlichen Gründen lehnte England den Sklavenhandel ab. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts setzte es auch Brasilien immer mehr unter Druck, den Import von Sklaven aus Afrika einzustellen. So enthielt die englische Anerkennung der brasilianischen Unabhängigkeit die Bedingung, daß Brasilien den Sklavenhandel unterbinde. Unter diesem Druck aus England wurde 1850 durch ein Gesetz des Justizministers Eusebio de Queiros Coutinho Matoso Cämara der Sklavenimport verboten und die brasilianische Regierung sah sich gezwungen, das Land der europäischen Einwanderung zu öffnen 20 . Von einigen Ausnahmen in der Provinz Säo Paulo abgesehen, nahmen die Einwanderer aber nicht einfach die Stelle der schwarzen Sklaven ein, in dem Sinn, daß man von einer weißen Sklaverei hätte sprechen können. Unter gesellschaftspolitischem Aspekt war die europäische Einwanderung von höchster Bedeutung für das Entstehen der brasilianischen Gesellschaft. Sie stellte die Grundlage für die Bildung des brasilianischen Mittelstandes dar und kann als das Element angesehen werden, das das strukturelle Vakuum zwischen Herrenschicht und Proletariat ausgefüllt 1 8 Vgl. F. SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg, S. 48; H. BORCHARD, Deutsche und deutsch-evangelische Kirche, S. 54 f. Zur weiteren Information über die rechtliche Lage der Gemeinden und später auch der Synoden vgl. H. FRIEDRICH, Recht. 1 9 Vgl. H. VIANNA, Historia do Brasil II, S. 147. 20

V g l . d a z u e b d . , S . 1 4 7 - 1 5 1 ; O . LIMA, M o v i m e n t o d a I n d e p e n d e n c i a , S . 4 0 4 - 4 2 3 .

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hat, denn nach der Befreiung der Sklaven bildeten diese die Masse des brasilianischen Proletariats, während die Großgrundbesitzer die Rolle der Industriellen wahrnahmen. Deswegen ist es von außergewöhnlicher Bedeutung, daß brasilianische Regierungskreise schon 1822 die Notwendigkeit eines kleinbäuerlichen und handwerklichen Mittelstandes erkannten. Sie begannen deshalb, um Einwanderer aus Europa zu werben, und förderten die Ausbildung des Mittelstandes durch eine entsprechende Gesetzgebung, die z.B. den Einwandernden den Besitz und die Benutzung von Sklaven in der Landwirtschaft untersagte 21 . Mit diesen wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Überlegungen verband sich der machtpolitische Anspruch der Besetzung, Konsolidierung und Besiedlung des riesigen brasilianischen Raumes. Nehmen wir hierzu als Beispiel den heutigen brasilianischen Bundesstaat Rio Grande do Sul. Nach den Bestimmungen des Traktats von Tordesilhas von 1494 wäre dieses Gebiet ganz unter spanischer Herrschaft geblieben. Für Portugal bot es auch zunächst keinen größeren Anreiz. Seit Beginn des 17. Jahrhunderts interessierten sich aber Abenteurer aus Säo Paulo immer mehr für dieses Gebiet. Es bot ihnen reiche Beute durch das Vorhandensein großer Viehherden und lockte sie besonders, weil es leicht war, die von spanischen Jesuiten in Dörfern seßhaft gemachten Indianer zu versklaven. Der Reichtum, den die Viehherden versprachen, ließ eine Reihe von Familien aus Laguna in Santa Catarina nach Rio Grande do Sul auswandern. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts begann Portugal mit Hilfe einer expansiven Politik, seine Domänen bis zum Rio de la Plata zu erweitern. Die Einfälle portugiesischer Truppen in rein spanisches Gebiet verwandelten dabei Rio Grande do Sul in ein Schlachtfeld. So begann die Besetzung des Gebietes einerseits mit Krieg, andererseits mit der Ausbeutung der Viehherden; Krieger und Viehzüchter bildeten seine Bevölkerung. 1747 ermöglichte die portugiesische Regierung die Einwanderung von Bewohnern der Insel Madeira und von den Azoren, denn die Bevölkerung reichte noch nicht aus, um den Besitz des Gebietes zu sichern 22 . Die kriegerischen Auseinandersetzungen um die Besetzung des Gebietes erstreckten sich über die ganze koloniale Periode und teilweise auch noch auf die kaiserliche Zeit; sie wurde erst 1851 und dann endgültig 1895 beendet. 1851 wurde die Grenze zwischen Rio Grande do Sul und Uruguay

21 Vgl. ζ. B. den Artikel 8 des Kolonialgesetzes in Rio Grande do Sul vom 1. 12. 1854: „Die Kolonisten können ihre Ländereien selbst oder durch Tagelöhner bebauen, doch darf es weder mit Hilfe eigener oder gemieteter Sklaven geschehen, noch dürfen sie solche auf den Kolonien, unter welchem Vorwande es auch sei, besitzen" (zitiert nach F. SCHRÖDER, Deutsche Einwanderung, S. 71). 22 Vgl. Verfügung vom 9. 8. 1747 (TH. DE CASTRO, Historia Documental do Brasil, S. 200-203).

Brasilien zur Zeit der deutschen Einwanderung

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festgelegt, 1895 erkannte Argentinien die brasilianische Oberherrschaft über das Gebiet der Missöes an 23 . Die seit 1824 in Rio Grande do Sul einsetzende deutsche Einwanderung, die der Besetzung und Konsolidierung des Gebietes dienen sollte 24 , fiel also in eine Zeit, in der die Grenzen Rio Grande do Suis noch umstritten waren. Diese Tatsache erleichterte aber in keiner Weise die Eingliederung der Einwanderer in ihre neue Umwelt, sondern führte viel eher zu Spannungen, denn Jahrhunderte hindurch hatten sich Brasilianer portugiesischer Abstammung unter großen Opfern für die Eroberung des Gebietes eingesetzt, das nun von der brasilianischen Regierung an fremde Einwanderer verschenkt wurde.

23 24

Vgl. zum ganzen A. FERREIRA FILHO, Historia Gera], Vgl. ebd., S. 67.

Kapitel 2 DIE DEUTSCHE EINWANDERUNG

1. Die Anfänge der

Einwanderung

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war eine spontane Auswanderung von Deutschland nach Brasilien vor allem wegen der hohen Fahrtkosten praktisch unmöglich. Wenn es aber trotzdem zu einer vermehrten Einwanderung kam, so muß man mit Jean Roche 1 sagen, daß diese Einwanderung von der brasilianischen Regierung, trotz zunächst mangelhafter Gesetze, gelenkt worden ist. Die meisten Forscher führen die Tatsache, daß man gerade deutsche Einwanderer hereinholte, auf eine Anregung der brasilianischen Kaiserin Leopoldine, einer Tochter des österreichischen Kaisers Franz I. zurück 2 . Die Einwanderung war aber auch generell ein besonderes Anliegen des Kaisers und der brasilianischen Regierungskreise. Wie sehr sie Kaiser D . Pedro I. am Herzen lag, zeigen uns zwei bei Ferdinand Schröder angeführte Worte des Kaisers: ,,Es ist nötig, der Entwicklung der Landwirtschaft hilfreich zur Seite zu stehen, es ist absolut nötig, die Überfahrt zu erleichtern und die Erwerbung guter Kolonisten zu fördern, welche die Zahl der Arme [brafos] mehren, die wir brauchen." An anderer Stelle betont er die „unabwendbare Notwendigkeit, die Heranziehung von ,Armen' zu erleichtern" 3 . Dasselbe gilt auch von den übrigen für die Regierung des Landes verantwortlichen Männern, wie ζ. B. dem Minister Pedro de Araujo Lima, der 1828 sagen konnte: „Die Bevölkerung des Kaiserreiches mehrt sich von Tag zu Tag; bei einem angenehmen Klima, bei fruchtbarem Boden, muß Brasilien die Zahl seiner Söhne wachsen sehen wenigstens in gleichem Maße wie die Vereinigten Staaten von Nordamerika . . . Der Sklavenhandel läßt nach und wir stehen vor der Notwendigkeit, diese Lücke ausfüllen zu müssen. Wir müssen Person und Eigentum sicherstellen. Freiheiten für Ackerbau und Gewerbe schaffen, die Kontrakte zwischen Besitzern und Pächtern garantieren, besonders bei Ausländern, die Beschaffung von Subsistenzmitteln erleichtern: das wird Arme [bra^os], Geld und Industrie herbeiziehen . . .! Brasilien braucht Arme, fleißig und arbeitsam." 4 Um deutsche Auswanderer anzuwerben, 1 2

Rio Grande do Sul I, S. 93 ff. F. SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg, S. 14; A. PORTO, Arbeit, S. 39; W . VON

SCHOEN, G e s c h i c h t e , S . 3 4 9 . 3 4

Brasilien und Wittenberg, S. 33. Ebd., S. 32f.

Anfänge der Einwanderung

31

schickte die brasilianische Regierung mehrere Agenten nach Deutschland. Der berühmte und berüchtigste dieser Agenten war wohl Georg Anton Aloys Schaeffer 5 . U m möglichst viele Auswanderungslustige zur Emigration nach Brasilien zu bewegen, machten er und andere Agenten Versprechungen, die teils von der brasilianischen Regierung nicht gebilligt wurden, teils mit der brasilianischen Verfassung im Widerspruch standen 6 . Diese Versprechungen sollten der brasilianischen Regierung noch manche Unannehmlichkeiten in Europa bereiten. Seit 1830 aber erfuhr die kaiserliche Einwanderungspolitik schwere Rückschläge. Konservative Kräfte des Parlaments im Bündnis mit den Großgrundbesitzern entzogen durch das Gesetz vom 15. Dezember 1830 der brasilianischen Regierung sämtliche finanziellen Mittel zur Kolonisation mit fremden Elementen. Die Gründe hierfür sind offensichtlich. Die Einwanderungspolitik des Kaisers wurde von den Großgrundbesitzern mit der für sie äußerst schädlichen, von England betriebenen Politik der Sklavenbefreiung in Zusammenhang gebracht 7 . Darüber hinaus sahen sie in ihr eine Gefahr für die politische Suprematie der schon länger im Lande ansässigen Nachkommen portugiesischer Einwanderer 8 . Jean Roche Vgl. dazu F . SCHRÖDER, Deutsche Einwanderang, S. 3 6 f f . ; C . OBERACKER, Schaeffer. Als Beispiel möge man den Bericht des Direktors der Kolonie Säo Leopoldo, Hillebrandt, nehmen: 5

6

„ 1 . Die Reise derjenigen Deutschen zu bezahlen, welche als Kolonisten nach Brasilien kamen, die Kosten ihnen nicht in Rechnung zu stellen, sondern der Staatskasse aufzuerlegen; 2. mit der Ankunft ihnen das brasilianische Bürgerrecht zu verleihen und sie sofort in den Genuß desselben eintreten zu lassen; 3. keinem Kultus, zu dem die Kolonisten sich bekennen, ein Hindernis in den Weg zu legen, eine Freiheit, die durch die Verfassung des Kaiserreiches garantiert ist; 4. jedem Kolonisten und jedem Familienvater ein abgabenfreies und zugängliches Stück Land zuzuweisen, vermessen und abgesteckt, mit einem Flächeninhalt von 160000 Quadratbrassen, teils Kamp (unbewaldetes Land), zum Ackerbau, teils Urwald; 5. jedem Kolonisten umsonst als freies Eigentum je nach der G r ö ß e der Familie zu geben: Pferde, Ochsen, Kühe, Schafe, Schweine usw.; 6. jedem Kolonisten täglich einen Franken (160 Reis) zu bezahlen und im zweiten Jahre die Hälfte, unterschiedslos pro K o p f der Familie; 7. die Kolonisten die ersten zehn Jahre von allen Steuern und Abgaben frei zu lassen, ebenfalls von allen Diensten dem Staat gegenüber; 8. den Kolonisten alles oben erwähnte umsonst und als freies Eigentum zu geben, allerdings unter der Bedingung, daß diese in den ersten zehn Jahren nichts veräußern dürfen. Erst nach Ablauf dieser Frist können sie nach Belieben mit ihrem Eigentum schalten, müssen dann allerdings auch Abgaben von ihren Produkten und ihrem Lande bezahlen" (zitiert nach F . SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg, S. 31). Man beachte aber, daß F . Schröder diese Versprechen als ein Versprechen des brasilianischen Kaiserreiches ansieht, während sie in Wirklichkeit nur Versprechen von Agenten sind! (vgl. J . ROCHE, R i o Grande do Sul I, S. 9 5 , 1 4 6 , Anm. 6). Weder die sofortige Verleihung des brasilianischen Bürgerrechts noch die vollkommene Religionsfreiheit noch die Steuerbefreiung für 10 Jahre konnten ohne weiteres gewährt werden (vgl. A. PORTO, Arbeit, S. 40 ff.). 7 8

F . SCHRÖDER, Deutsche Einwanderung, S. 100. Dieser Nativismus wird besonders deutlich in einer Äußerung H . VON IHERINGS : „ D i e

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Deutsche Einwanderung

meinte zur Empörung der deutschen Kolonisten in Säo Leopoldo über dieses Gesetz: „Dieses für sie retroaktive Gesetz machte sie noch mißtrauischer gegen den brasilianischen Staat und ließ ihnen nur eine einzige Möglichkeit des Uberlebens: die ethnische Solidarität." 9 Mit dieser Maßnahme des brasilianischen Parlaments konnte aber die Einwanderung nicht völlig gestoppt werden. Schon am 20. September 1834 gelang es der Regierung durch einen Zusatz (Ato Adicional), den einzelnen Provinzen die Möglichkeit zu geben, die Einwanderung selbst zu fördern 1 0 . So entstand 1836 die Kolonisationsgesetzgebung von Santa Catarina und 1845 die von R i o Grande do Sul, die 1854 vervollständigt werden sollte. Seit dieser Zeit gab es in Brasilien eine geregelte Kolonisationsgesetzgebung. Dennoch veranlaßten die Lücken in der brasilianischen Gesetzgebung besonders in bezug auf die rechtliche Stellung der Protestanten - und einige andere Mißstände den preußischen Staat, von 1853 an Gesetze zu erlassen, um einerseits seinen Auswanderern Schutz zu bieten, aber auch, um die Auswanderung nach Brasilien zu beschränken. Das berühmteste dieser Gesetze ist wohl das 1859 erschienene von der Heydtsche Reskript 1 1 , das entgegen zahlreichen Darstellungen keineswegs die Auswanderung nach Brasilien verbot, sondern die auswanderungswilligen preußischen Untertanen nur vor unlauteren Agenten schützen sollte. Karl Fouquet hat in seinem Aufsatz „ D e r von der Heydtsche Erlaß vom Jahre 1859" festgestellt, daß nach diesem Erlaß die Auswanderung nach Brasilien keineswegs nachgelassen hat, im Gegenteil, nach 1859 war die Auswanderung stärker als je zuvor. Die Gegner des Reskripts waren gerade diejenigen, die sich dadurch benachteiligt fühlten, wie ζ. B . Hermann Blumenau, der als Kolonisator Nutznießer der Auswanderung war. Auch die brasilianische Öffentlichkeit empörte sich, als das Reskript 1895 aufgehoben wurde, und sah darin imperialistische Bestrebungen des deutschen Kaisers 1 2 . Man könnte hier noch Wilhelm Rotermund nennen, der, in der Meinung, das Reskript könne das Deutschtum in Brasilien schwächen, sich für seine

zum Teil durch die Anlage der Kolonie Säo Leopoldo in ihrem Grundbesitz geschädigten Landeigentümer sahen mit unverhohlener Mißgunst die Ausbreitung derselben. Dabei wurde auch sehr bald der Gesichtspunkt betont, daß eine massenhafte Ansiedlung von Fremden zu einer Gefahr für die politische Suprematie der Einheimischen werden könnte. Rechnet man zu diesen ungünstigen Momenten noch die politischen Wirren, welche zumal durch die Agitation der republikanischen Partei die junge Monarchie von einem Ende bis zum anderen erschütterte, zieht man endlich auch die Bestrebungen der jeder Kolonisation abholden Pflanzeraristokratie in Betracht, so wird man leicht begreifen, daß D. Pedro gegen seine Uberzeugung für die deutsche Einwanderung dem Gesetz vom 15. Dezember 1830 die Sanktion nicht verweigern konnte" (Rio Grande do Sul, S. 214). Rio Grande do Sul, I, S. 99. Ebd., S. 100; F. SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg, S. 34. 1 1 Text bei K. FOUQUET, Erlaß, S. 73ff. " Ebd., S. 75ff.

9

10

Motive der Auswanderung

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Abschaffung stark machte 13 . Erst um 1900 hörte die Diskussion um das Reskript auf. Für die in Brasilien ansässigen Protestanten hatte es aber durchaus einen positiven Aspekt; es zwang die brasilianische Regierung, endlich die rechtliche Lage der Protestanten zu regeln 14 . Die am 15. November 1889 ausgerufene brasilianische Republik förderte die Einwanderung weiterhin, denn auch ihr lag daran, den wirtschaftlichen Aufschwung des Landes zu beleben.

2. Die Motive der Auswanderung Die Massenauswanderung aus Deutschland im 19. Jahrhundert war letzten Endes eine Folge der sozialen und wirtschaftlichen Mißstände im Lande, die ihren Ursprung in der im November 1806 von Napoleon in Berlin erlassenen Kontinentalsperre hatten. Diese ermöglichte zwar zunächst einen Aufschwung der ländlichen Hausindustrie in Deutschland, doch nach den Befreiungskriegen und der damit verbundenen Öffnung der deutschen Märkte kam es sehr bald zu einer fortschreitenden Verelendung der ländlichen Bevölkerung. Seit den vierziger Jahren wurden auch die Handwerker wegen der beginnenden Industrialisierung in Mitleidenschaft gezogen 15 . Parallel zur Industrialisierung gab es z . B . in Süd- und Südwestdeutschland ein rapides Anwachsen der Bevölkerung. Hier zwangen außerdem schlechte Ernten und Hungersnöte badische und pfälzische Bauern zur Massenauswanderung16. Zudem waren die dortigen Länderein oft so sehr zerstückelt, daß selbst eine gute Ernte nicht mehr alle Menschen auf dem Hof ernähren konnte. Wurden diese Ländereien aber nicht durch die Erbteilung aufgesplittert, so erhielt sie nach geltendem Erbrecht der älteste oder aber der jüngste Sohn, so daß die übrigen meist zahlreich vorhandenen Geschwister von dem erbenden Bruder abhängig wurden. Wer sich da nicht fügen wollte, dem blieb oft keine andere Wahl als die Auswanderung 17 , denn die wenigen bestehenden Industriebetriebe waren nicht in der Lage, die wachsende Bevölkerung aufzunehmen. Die Lage besserte sich zwar zu Beginn der sechziger Jahre, aber die Wirtschaftskrise der achtziger Jahre zwang dann nochmals viele Menschen zur Auswanderung 18 . Neben der Industrialisierung und dem Ansteigen der Bevölkerungszahl war die Umwälzung der agrarischen Ver13 14 15 16 17 18

3

Vgl. E . FAUSEL, Rotermund, S. 191. Vgl. dazu oben S. 27. H . VON FREEDEN/G. SMOLKA, Auswanderer, S. 36F. E. WILLEMS, Aculturafäo, S. 55. E b d . ; H . VON FREEDEN/G. SMOLKA, Auswanderer, S. 18. Ebd., S. 37. In dieser Situation entstand F . FABRI, Bedarf Deutschland der Colonien? Dreher, Brasilien

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Deutsche Einwanderung

hältnisse in Deutschland durch die Befreiung der Bauern von entscheidender Bedeutung. Sie wurde in Preußen 1807 durch Gesetz verkündet. Den größten Gewinn bei der Aufhebung der Leibeigenschaft aber trugen die Großgrundbesitzer davon; die Bauern selbst gerieten dadurch in eine immer schwierigere Lage und mußten schließlich oft ihr Land an den ehemaligen Herrn verkaufen. Nach Verlust von Grund und Boden konnten sie vielfach nur noch Tagelöhner werden oder aber auswandern. Als 1850 die Lage der Gutstagelöhner geklärt wurde, begann auch die Auswanderung der Bauern aus Ostelbien 19 . Die einsetzende Industrialisierung und die Strukturänderung der Agrarwirtschaft veränderten auch das geistige Klima unter den Auswanderern. Die Verbundenheit mit der Heimat und die Liebe zu ihr schwand in der Fremde in dem Maße, als man sich dort ungerecht behandelt und schließlich gar vertrieben gefühlt hatte. Ein Brief aus Säo Leopoldo verdeutlicht dies auf exemplarische Weise: „Wir wohnen in einer Gegend, die sich gar nicht schöner und besser denken läßt, so daß anjetzo Niemand von uns sowohl groß als auch klein mehr nach Deutschland gelüstet." 20 Viele wollten auch dem monarchisch-reaktionären Regime der Restauration den Rücken kehren oder der Steuerlast der kleinen Staaten entfliehen 21 . Dies waren aber nicht die einzigen Motive, die zur Auswanderung trieben, denn „dem widerspricht schon die Tatsache, daß häufig nicht gerade die Ärmsten der Armen auswanderten, und daß die Auswanderung auch dann anhielt, wenn die heimischen Verhältnisse durchaus günstig waren, günstiger manchmal als die des Einwanderungslandes" 22 . Man darf hier nicht die Werbung der verschiedenen Agenten und auch nicht die Briefe vergessen, die von vielen Auswanderern an Verwandte und Bekannte gesandt wurden und in denen sie von paradiesischen Verhältnissen schrieben 23 . Die Briefe erzählten davon, daß man in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten gekommen war. Man sang: H . VON FREEDEN/G. SMOLKA, Auswanderer, S. 38. Ebd., S. 84. 2 1 E. WILLEMS, Aculturafäo, S. 56. 2 2 H. VON FREEDEN/G. SMOLKA, Auswanderer, S. 13. 2 3 „Wir danken Gott, daß wir die Reise angetreten haben, denn so hätten wir es in Deutschland nie bekommen. Auch haben wir vom Kaiser drei Pferde, zwei Ochsen, eine Kuh, zwei Äxte, zwei Schippen, zwei Hauen, zwei Sattel und zwei Zäume, jeder bekam ein Bett und Kleidungsstücke usw. und auf jeden Kopf der über 3 Tag alt ist bis im Alter jeden Tag 8 Wentin nach unserm Gelde ein Frank und dies dauert zwei Jahre lang. Wir haben anjetzo schon 15 Stück Kühe, 6 Ochsen und 8 Pferde und denken in Zeit von 2 Jahre bei zweihundert zu haben; denn für Heu und Klee überhaupt für Futter braucht man nicht zu sorgen; denn es geht Winter und Sommer Tag für Tag auf der Weide. Bei Nachtzeit liegt es in Sorälen oder Pärchen (Pferchen), wo die Kühe des Abends und des Morgens gemolken werden und dann läßt man sie wieder auf die Weide und so spart man viel Mühe, die man in Deutschland hat wegen dem Futter. Wir leben hier alle Tage herrlich und in Freuden, wie die Fürsten und Grafen in Deutschland; denn wir leben hier in einem Lande, das gleich dem Paradiese ist, es 19

20

Motive der Auswanderung

35

„Leb' wohl, Du undankbares Vaterland, Wir ziehen in ein anderes Land Wir wandern nach Brasilia, Nur die Schulden lassen wir da. Wir suchen einen neuen Strand, Da finden wir das Gold wie Sand. Hurra, Hurra Bald sind wir in Brasilia!"24 Aber auch religiöse Motive scheinen bei der Auswanderung nach Brasilien mitgespielt zu haben: „Durch Gott sind wir berufen, Sonst kam's uns nie in Sinn. So glauben wir und wandern Auf sein Geheiß dahin." 25 So lautet das Lied, das in den Dörfern des Hunsrücks gesungen wurde. Man war also der Meinung, ins gelobte Land gezogen zu sein. Anders verhielt es sich bei den Intellektuellen, die um die Mitte des 19. Jahrhunderts nach Brasilien kamen. Die mißglückten Revolutionen der Jahre 1848/49 zwangen viele zur Flucht und zur Auswanderung. Sie wollten nicht weiter unter der Herrschaft eines Regimes stehen, das sie für reaktionär hielten. „Ubilibertas, ibi patria", lautete ihr Motto. Nachdem Ersten Weltkrieg kam auch ein Teil des von Inflation und Arbeitslosigkeit ruinierten Bürgertums nach Brasilien. Nachdem in der Weimarer Republik die Sozialdemokraten die Regierung übernommen hatten, wanderten auch Mitglieder rechtsorientierter Parteien nach Brasilien aus; aber auch militante Kommunisten, Mitglieder des „Spartakus", sahen sich zu dieläßt sich gar keine bessere und schönere Gegend denken als diese. Alles wächst hier, was man sich nur denken und wünschen mag. Man kann pflanzen, was man in Deutschland pflanzt nebst Klee und Zucker und überhaupt alle Südfrüchte. Wir haben auch schon gepflanzt: Korn, Gerste, türkisches Korn, Reis, Taback, Hanf, Flachs, Gurken, Melonen, Zwiebeln, Knoblauch, Rieben, Bohnen, Salat, Kappes, Kartoffeln und noch vieles andere. Hier ist so zu sagen kein Winter, denn hier ist alles stets grün, blos um und nach Johanni ist manchmal etwas Reif, und regnet bisweilen; dann ist es bei der Nacht etwas kalt, aber am Tag ist es gewöhnlich so warm wie bei uns im Sommer. Darin besteht der ganze Winter. Im Sommer ist es wärmer als bei uns; aber die Hitze ist doch zu ertragen. Es ist hier reine und gesunde Luft. Es giebt hier keine Pest oder sonst ansteckende Krankheiten, wie die Leute in Deutschland sprachen; denn hier braucht sich niemand zu Tod arbeiten, wie bei Ihnen und hat doch mehr wie Sie. Im Winter und Sommer gibts Gewitter, sonst regnet es selten. Es giebt hier keinen Schnee" (vgl. ebd., S. 84f.). 24 25

Ebd., S. 151. Ebd., S. 41.

36

Deutsche Einwanderung

sem Schritt genötigt 26 . Unter den Auswanderern sind noch einige kleinere Gruppen zu nennen, die, obwohl sie nicht aus Deutschland kamen, dennoch für das Gesamtbild der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien große Bedeutung bekommen sollten. In drei großen Schüben, 1877-79,1890/91 und in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg verließen viele Wolga- und Wolhyniendeutsche ihre Heimat 27 , nach dem Zweiten Weltkrieg waren es vor allem Donauschwaben, die sich in Brasilien eine neue Existenz aufbauten28. Hinter beiden Auswanderungswellen standen politische und religiöse Gründe.

3. Die regionale Herkunft der Einwanderer Eine Aufstellung über die regionale Herkunft der Einwanderer vermittelt ein sehr buntes Bild, denn es sind Einwanderer aus allen Gegenden Deutschlands zu finden. Aus dem Jahr der Einwanderung ist sehr genau auf den Grund zur Auswanderung für jede Gruppe zu schließen 29 .

Rio Grande do Sul Ort:

Gegründet:

2. Santa Cruz

1849

3. Santo Ängelo 4. Nova Petropolis

1857 1859

5. Teutonia 6. Säo Lourengo

1868 1857

1. Säo Leopoldo

1824

Herkunft:

Hunsrück, Sachsen, Württemberg, Sachsen-Coburg30. Rheinland, Pommern, Schlesien3 1 . Rheinland, Sachsen, Pommern 32 Pommern, Sachsen, später auch Böhmen 33 . Westfalen34. Pommern, Rheinland35.

E . WILLEMS, Acultura^äo, S. 60f. J. FISCHER, Geschichte, S. 92. 2 8 C . HELM/H. ZIMMERMANN, Suäbios, S. 229. 2 9 Wir können im Rahmen unseres speziellen Themas keine vollständige Aufzählung der Herkunft aller Gruppen geben; diejenigen, die angegeben werden, wollen als Beispiel verstanden sein. 3 0 E. WILLEMS, Aculturajao, S. 61 ff. 3 1 Ebd., S. 62. 32 Ebd. 33 Ebd. 34 Ebd. 3 5 Ebd.; HUNDERT JAHRE DEUTSCHTUM, S. 84ff. 26

27

Regionale Herkunft der Einwanderer Santa

37

Catarina

Ort:

Gegründet:

Herkunft:

1. Blumenau

1850

P o m m e r n , Holstein, H a n n o v e r ,

1860

Braunschweig, Sachsen 3 5 . Baden, Oldenburg, Rheinland, später P o m m e r n , Schleswig-

2. Brusque

3. Joinville

1851

Holstein, Braunschweig 3 7 . Preußen, Oldenburg, Schleswig-Holstein, H a n n o v e r , Schweiz 3 8 .

Parana Gegründet:

Ort:

Verschiedene kleinere Siedlungen ab 1 8 7 7 / 7 9

Espirito

Wolgadeutsche 3 9 .

Santo

Ort: 1. Santa Izabel

Gegründet: 1847

2. Santa Leopoldina

1857

Rio de

Herkunft:

Herkunft: Hunsrück, Hessen40. Pommern41.

Janeiro

Ort:

Gegründet:

Herkunft:

1. N o v a Friburgo

1819

Schweiz (Katholiken), ab 1824 Hessen42.

2. Petropolis

1845

Pfalz, Westfalen, Nassau, Mosel, Rheinland 4 3 .

E. WILLEMS, Aculturajäo, S. 62. Ebd. 3 8 Ebd., S. 63. 3 9 Ebd.; F. SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg, S. 297ff. 4 0 J . ROCHE, Espirito Santo, S. 25. 4 1 Ebd., S. 28. 4 2 F. SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg, S. 317ff. 4 3 Ebd., S. 324. Die Herkunft der Einwanderer zeigt sich in den Namen der einzelnen Bezirke: „Palatinado Inferior, Palatinado Superior, Suisso, Princeza, Imperial, Westphalia, Francez, Villa Thereza, Nassau, Brasileiro, Mosella, Ingelheim, Rhenania Superior, Rhenania Central, Rhenania Inferior, Castellania, Simmeria, Woerstadt, Inglez, Worms, Presidencia, Darmstadt, Bingen" (vgl. H. ZÖLLER, Deutsche, S. 101 f.). 36 37

38

Deutsche Einwanderung

Minus

Geräts

Ort: 1. Teofilo O t o n i 2. Juiz de Fora

Gegründet: 1847 1852

Herkunft: >44

Hessen, Tirol, Holstein, Baden, Schleswig, Bayern, Nassau, Braunschweig, H a m burg, Mecklenburg, Sachsen 4 5 .

B e i d e n E i n w a n d e r e r n h a n d e l t e es s i c h a l s o u m e i n e sehr h e t e r o g e n e G r u p p e . E m i l i o W i l l e m s k a n n s e h r i n t e r e s s a n t e B e i s p i e l e ü b e r das A u s m a ß dieser Heterogenität berichten46. D a die A u s w a n d e r e r z u m größten T e i l v o r 1871 n a c h B r a s i l i e n g e k o m m e n w a r e n , g e h ö r t e n sie a u c h v e r s c h i e d e n e n d e u t s c h e n Staaten an. E t w a s s c h w i e r i g ist es a u c h , d i e g e n a u e Zahl der Einwanderer a n z u g e b e n 4 7 . M a n kann jedenfalls bei der deutschen E i n w a n d e r u n g insgesamt nicht v o n einer

Masseneinwanderung

s p r e c h e n . I m g r o ß e n u n d g a n z e n w e r d e n es w o h l n i c h t m e h r als 3 0 0 0 0 0 g e w e s e n s e i n . D a v o n w a r e n m e h r als d i e H ä l f t e e v a n g e l i s c h .

44

F. SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg, S. 338. L. STEHLING, Alemäes, S. 263. 46 In Espirito Santo war ζ. B. der Preuße für den Einwanderer aus Baden ein Ausländer. In einer Ortschaft in Rio Grande do Sul wurde an Festtagen nicht die deutsche Fahne gehisst, sondern die oldenburgische. In einem Gottesdienst in Santa Catarina kritisierte der Pfarrer Napoleon; sofort erhoben sich einige Gemeindemitglieder und protestierten dagegen: Sie waren Napoleons Soldaten gewesen. In Espirito Santo wurde ein Bauer gefragt, ob er Deutscher sei. Die Antwort darauf lautete: „Naa, mir sein ka Deutsche, mir sein Hunsbuckler" (E. WILLEMS, Aculturajao, S. 63f.). 47 Zu dieser Problematik vgl. ebd., S. 64-67. 45

Kapitel 3 ASSIMILATION U N D M A R G I N A L I S I E R U N G D E R DEUTSCHEN EINWANDERER In der neuen brasilianischen Umwelt waren die deutschen Einwanderer von vornherein an den Rand gedrängt. Die deutschen Siedlungen entstanden meist in spärlich bewohnten Gegenden, und der Kontakt mit der bereits ansässigen Bevölkerung war schon aus diesem Grund äußerst gering. Elemente der brasilianischen Kultur nahm man nur dann an, wenn man deren Vorzüge einsah1. Es entstanden völkisch einheitliche Siedlungen, in denen sich Sprache und herkömmliche Sitten erhielten. Sie sollten sich aber im Laufe der Zeit so stark wandeln, daß eine „deutsche Kultur eigenen Schlages" entstand 2 . Die Tatsache, daß die weißen Einwanderer ihren Grund und Boden selbst bebauten, eine Arbeit, die bis dahin ausschließlich von Sklaven gemacht wurde, war mit der brasilianischen Mentalität nicht zu vereinbaren. Bis dahin war man in Brasilien der Ansicht gewesen, körperliche Arbeit sei eines weißen Menschen unwürdig. Nach Κ. H . Oberacker, der sich auf A. Souza beruft, verlor, ,nach den in Brasilien geltenden portugiesischen Gesetzen ein Adliger durch die Ausübung einer körperlichen Berufstätigkeit seine Vorrechte und Privilegien" 3 . Daher ist es auch leicht verständlich, daß die Einwanderer von den älteren Einwohnern des Landes als nicht gleichwertig angesehen wurden. Fremd war auch die Religion verschiedener Einwanderergruppen. Solange das Land portugiesische Kolonie gewesen war, hatte man Protestanten die Einwanderung verwehrt4 und sie bekämpft 5 . Nun aber kamen diese Häretiker ins Land, und darüber hinaus wurde ihnen vom brasilianischen katholischen Kaiser Ländereien geschenkt. Die Andersartigkeit des Glaubens konnte den evangelischen Einwanderern die Eingliederung in die Gesellschaft nicht erleichtern; gerade dies trug zur Marginalisierung bei. Trotz allem kann man aber im ganzen verfolgen, wie die Einwanderer versuchten, sich 1 Vgl. dazu E. WILLEMS, Aculturajäo, S. 228-243; als besonderes Beispiel die Wandlung der Sprache (ebd., S. 274-320). 2 E. SCHADEN, Deutschbrasilianer, S. 185. Vgl. auch die verschiedenen Beispiele bei E.

WILLEMS, Acultura^äo, u n d J . ROCHE. 3

O s A n d r a d a s I , S . 5 3 6 ; v g l . Κ . H . OBERACKER, B e d e u t u n g , S . 1 7 6 ; J . R O C H E , R i o

Grande do Sul I, S. 27-33; E. WILLEMS, Acultura^äo, S. llOff. 4

V g l . T H . D E CASTRO, H i s t o r i a , S. 2 0 0 .

5

S o g e g e n H o l l ä n d e r u n d F r a n z o s e n , V g l . K . B I H L M E Y E R / H . T Ü C H L E / P . F . CAMARGO,

H i s t o r i a I I I , S . 2 3 1 f . ; M . BEGRICH, V i l l e g a i g n o n , S . 1 8 5 f f . ; H . A N D R Ä , K a l v i n i s t , S . 1 0 3 f f .

40

Assimilation und Marginalisierung

der neuen Umwelt anzupassen. 1842 bemerkt der Marschall Luis Alves de Lima e Silva, die Bewohner von Säo Leopoldo verlangten sehnlichst danach, das brasilianische Bürgerrecht zu erhalten 6 . In Santa Catarina forderte Blumenau in seinem Kolonisationsprojekt, die Einwanderer sollten mit dem Besitz des Landes zugleich auch als „naturalisierte brasilianische Bürger" angesehen werden 7 . Besonders seit 1850 drängten die Nachkommen der ersten und die neuen Einwanderergenerationen zur Teilnahme am öffentlichen Leben. Bis dahin war das kulturelle Niveau der Einwanderer sehr niedrig gewesen, aber ab 1850 änderte sich dies, denn durch die politischen Wirren des Jahres 1848 waren viele Deutsche freiwillig oder gezwungen aus Deutschland ausgewandert. Sie gehörten in Deutschland zu den besseren Schichten, hatten sich politisch betätigt und kamen nun mit ihrem liberalen Gedankengut nach Brasilien. Besonders in der Provinz Santa Catarina machten sich diese Achtundvierziger in den neugegründeten Siedlungen bemerkbar. Das erste in Dona Francisca, heute Joinville, gebildete Stadtparlament war z . B . ausschließlich mit Deutschstämmigen besetzt. Ähnliches gilt auch von der deutschen Kolonie Blumenau, in der von Anfang an politische Aktivitäten der Einwanderer zu bemerken sind 8 . In Rio Grande do Sul war dieser neue Einwanderertyp seltener. Für diese Provinz waren die Angehörigen der deutschen Legion, die von Kaiser D . Pedro II. im Krieg gegen den argentinischen Diktator Rosas angeworben worden waren, von größter Bedeutung. Die Mehrzahl von ihnen hatte an den Aufständen in Deutschland und am Krieg gegen Dänemark teilgenommen. Nach dem Geräusch, das die Kupfermünzen ihres Soldes beim Aufwerfen machten, hießen sie die „Brummer" 9 . Unter ihnen ist wohl Karl von Koseritz die hervorragendste Gestalt 10 . Dieser neue Einwanderertyp versuchte, von seinen politischen und rechtlichen Möglichkeiten Gebrauch zu machen. Ein Versuch, der auch Erfolg hatte - 1881 gab es die ersten beiden deutschstämmigen Abgeordneten in der Provinzialkammer von Rio Grande do Sul und 1888 den ersten deutschstämmi6 Vgl. seinen Brief vom 12. 12. 1842 an Candido Jose de Araüjo Viana (J. F . CARNEIRO, Conferencia, S. 25). 7 „ O s colonos logo que entrarem na posse de qualquer por^äo de terra quelhes for destinada por distribuifäo ou por compra que fizerem a companhia, seräo ipso-facto considerados cidadäos brasileiros naturalizados" (ebd., S. 25).

Κ. H . OBERACKER, Koseritz, S. 71; F . SCHRÖDER, Deutsche Einwanderung, S. 102.

8 9

V g l . d a z u H U N D E R T JAHRE DEUTSCHTUM, S. 1 4 4 - 1 4 7 ; 8 7 - 9 0 ; B . R A M B O , I m i g r a j ä o , S.

111 f. Nach Koseritz sind diesen „ B r u m m e r n " fünf neue Impulse im Leben der Nachkommen der deutschen Einwanderer zu verdanken: 1. Größere Beteiligung am öffentlichen Leben, 2. Entwicklung des Gemeinwesens, 3. Entstehung einer deutschen Presse in Rio Grande do Sul, 4. Entwicklung des Vereinswesens und 5. Belebung der „intellektuellen Wechselbeziehungen zum alten Vaterland" (vgl. Κ. H . OBERACKER, Koseritz, S. 72; E . W I L L E M S , A c u l t u r a ^ ä o , S. 2 0 9 ) . 10

Z u K o s e r i t z v g l . Κ . H . OBERACKER; R . K Ö H N E ; E . FAUSEL.

Assimilation u n d Marginalisierung

41

gen Abgeordneten in der Provinzialkammer von Santa Catarina 11 . Diese Vorstöße einzelner vermochten aber nicht, die Marginalität der deutschen Einwanderer und ihrer Nachkommen insgesamt zu beheben. Daß es zu einer endgültigen Aufhebung ihres Randgruppendaseins nicht kam, lag zum Teil auch am Vorgehen der Achtundvierziger und der „Brummer" selbst. Sie plädierten für eine Zwitterstellung und schufen so den ,,Deutschbrasilianer", der im Grunde „ein Problem" war 12 Dieses gespaltene Bewußtsein entsprach genau der realen Situation der Deutschstämmigen in Brasilien. Ihnen wurde von brasilianischer Seite totale Treue und Integration in das brasilianische Leben abverlangt, auf der anderen Seite aber wurde von ihnen auch Treue dem „alten Vaterland" gegenüber erwartet. Insgesamt war man aber einen großen Schritt vorangekommen im Bemühen, die brasilianische Nation mitzuformen. U m die Jahrhundertwende änderte sich aber die Situation durch die gleichfalls veränderte politische und geistige Lage in Brasilien und durch die Deutschtumspolitik des Deutschen Reiches. 1889 wurde in Brasilien die Republik ausgerufen. Für die Nachkommen der deutschen Einwanderer ergaben sich daraus zumindest zwei bedeutende Vorteile: die „große Naturalisation", d.h. eine allgemeine Verleihung des Bürgerrechts und die Trennung von Staat und Kirche. Beide Neuerungen hatten die Einwanderer von Anfang an verlangt, denn sie erhofften sich davon gewisse Erleichterungen für ihre Eingliederung. In Wirklichkeit aber geschah das Gegenteil. In Brasilien waren die meisten Nachkommen der deutschen Einwanderer Anhänger der Liberalen Partei und zudem treue Verteidiger der Monarchie 13 . Bei der Ausrufung der Republik wechselten die meisten 11

Κ . H . OBERACKER, K o s e r i t z , S. 107.

Vgl. hierzu E . SCHADEN, Deutschbrasilianer, S. 181-194. Zwei Zitate von K o s e r i t z m ö g e n dies verdeutlichen: „ V o l l u n d ganz schließen wir uns dort (in Südbrasilien) dem brasilianischen L e b e n an und setzen alle K r a f t ein f ü r die E n t w i c k l u n g und den Fortschritt des L a n d e s , an welches uns die engsten B a n d e der Liebe wie des Interesses fesseln. N i c h t s d e s t o weniger aber bewahren wir im innersten H e r z e n dem alten Stammlande eine treue Liebe und haben sie stets betätigt, wenn bange Stunden an dasselbe herantraten . . ., wir halten alle geistigen Beziehungen zu Deutschland ebenso fest, wie wir uns in politischer Beziehung entschieden an Brasilien anschließen . . . Wir leben in Brasilien nicht unter deutscher Flagge, aber wir gehören der Sprache und Sitte nach zu D e u t s c h l a n d ; wir hängen mit allen Fibern unseres H e z e n s an dem alten Vaterland, staatlich aber sind wir brasilianische Staatsbürger voll und g a n z . . . " (Κ. H . OBERACKER, K o s e r i t z , S. 89). 12

1 3 Vgl. ebd. - D i e T r e u e zur Monarchie zeigt sich besonders bei den Protestanten! Bei der R e v o l ^ ä o Farroupilha (W. SPALDING, R e v o l u j ä o ) , die von 1835 bis 1845 währte, hielten sich die Protestanten zu den kaiserlichen T r u p p e n , während die meisten Katholiken und die beiden Geistlichen der Protestanten auf Seiten der Rebellen k ä m p f t e n (vgl. J . J . VON TSCHUDI, Reisen IV, S. 22; H . ZÖLLER, D e u t s c h e II, S. 182). Eine A u s w e r t u n g dieser Tatsache ist in der bisherigen Darstellung der Geschichte der E K L B B hauptsächlich in R i o G r a n d e d o Sul, w o die K ä m p f e geführt wurden, noch nicht erfolgt. D o c h scheint mir gerade diese Epis o d e von nicht geringer B e d e u t u n g zu sein. Bei einem großen Teil der B e v ö l k e r u n g und in politischen Kreisen R i o G r a n d e d o Suis muß dadurch die A b n e i g u n g gegen die Protestanten

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Assimilation und Marginalisierung

ehemaligen Anhänger der Konservativen Partei eigenartigerweise ins Lager der Republikaner. Dadurch entstand für die Nachkommen der deutschen Einwanderer eine doppelt mißliche Lage, die fast ein Kuriosum darstellte. Als Verteidiger der Monarchie hätten sie nun vielleicht auf die Unterstützung der Konservativen hoffen können. Da aber die Liberale Partei die letzten Minister des Kaiserreichs gestellt hatte und die Nachkommen der Deutschen zumeist ihre Anhänger gewesen waren, hatten sie sich nun auch die Feindschaft der konservativen Kräfte eingehandelt, d»e ja ihrerseits die Vertreter der Großgrundbesitzer waren. So kam es, daß gerade durch die Ausrufung der Republik die Deutschstämmigen wieder in die Marginalität zurückgeworfen wurden. Charakteristisch dafür ist die Lage in Rio Grande do Sul, wo dieser Prozeß durch zweierlei Faktoren begünstigt wurde. Hier kam es nach der Machtergreifung der Republikaner 1893 zur Föderalistischen Revolution. Die Deutschstämmigen waren in der Mehrheit Sympathisanten des Führers der ehemaligen Liberalen Partei, Gaspar Silveira Martins, der zugleich geistiger Führer der Föderalisten war 1 4 . Die Revolution endete also mit dem Sieg der Republikanischen Partei, und man kann indirekt damit von einer Niederlage der Deutschbrasilianer sprechen. Ihre politische Wirksamkeit, die mit Koseritz und anderen begonnen hatte, war zunichte gemacht, man zog sich völlig aus der Politik zurück. Letzten Endes war es zu einer stillschweigenden Ubereinkunft mit den Siegern gekommen: Man ließ die Deutschstämmigen Deutsche sein und bekam als Gegenleistung ihre Wahlstimmen. Unter der Führung der Republikanischen Partei gab sich Rio Grande do Sul dann auch eine positivistische Verfassung. Sie entsprach ganz den Ansichten des französischen Philosophen Auguste Comte und folgte dessen „Systeme de politique positive" 1 5 , wonach der Staat keineswegs in das geistige Leben des Volkes eingreifen dürfe. Wissenschaft, Kunst und Religion sollten vom Staat unabhängig sein 16 . Nach dem positivistischen Motto „Lerne, wer da will, lehre, wer es kann" 1 7 wurde ein ungeheurer Aufschwung des deutschen privaten Schulwesens ermöglicht. Diese Zeit wurde das „goldene Zeitalter" für das Deutschtum in Brasilien. Gerade in diesen Jahren konnten die verschiedenen evangeligewachsen sein. Deswegen scheint mir auch die von R. BECKER gezogene Folgerung, daß die Revolution der Farroupilhas ein Faktor der Integration gewesen sei, zumindest für die Protestanten nicht zuzutreffen (Siedler, S. 30). 1 4 Man kann nicht behaupten, daß die Nachkommen der deutschen Einwanderer intensiv an der Revolution teilnahmen. Man findet wohl einige deutsche Namen bei den Führern bestimmter Gruppen der Föderalisten, so Jungblut, Hüber, Altenhofen, kann aber dasselbe über das republikanische Lager sagen, so Lautert, Adam, Bier, Bormann (vgl. A. FERREIRA FILHO, Revolufäo I, S. 320, 324ff., 329). 15

V g l . A . FERREIRA F I L H O , R e v o l u j ä o I , S. 3 1 0 .

16

V g l . H . D O H M S , P a r t e i e n , S. 1 3 .

17

J . F . CARNEIRO, C o n f e r e n c i a , S. 2 8 .

Assimilation und Marginalisierung

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sehen Synoden die größten Fortschritte im Kampf um die Erhaltung des Deutschtums ihrer Gemeinden erzielen. Die veränderte geistige und politische Lage, die von den Deutschstämmigen begrüßt wurde, sollte aber zum Verhängnis für sie werden, denn sie führte gerade wegen ihrer Konzentration auf die deutsche Identität zu ihrer gänzlichen Marginalisierung. Diese Marginalität sollte aber später nach dem Ende der „Alten Republik", die zugleich das Ende der Vorherrschaft des Positivismus in Brasilien bedeutete, mit Gewalt behoben werden 18 . Bis zur Gründung des Zweiten Deutschen Reiches kann man kaum von einem größeren Interesse der verschiedenen deutschen Staaten an Brasilien sprechen. Emilio Willems hat festgestellt, daß die deutsche Öffentlichkeit praktisch bis 1850 kaum etwas über die „Deutschen" in Brasilien wußte 19 . Die Hansestädte hatten zwar einiges wirtschaftliche Interesse 20 , erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts aber kümmerten sich private kirchliche Vereinigungen um die Lebensbedingungen der Auswanderer 21 . Auch nach 1871 sind die Interessen des Reiches selbst an Brasilien zunächst minimal geblieben. Dies gilt insbesondere für die Nachkommen der deutschen Einwanderer. Bismarcks Wort: „Ein Deutscher, der sein Vaterland abstreift wie einen alten Rock, ist für mich kein Deutscher mehr, ich habe kein landsmannschaftliches Interesse mehr für ihn" 2 2 ist bekannt, ebenso sein entschiedenes Auftreten gegen die Auswanderung 23 . Aber nicht alle Kreise des politischen und öffentlichen Lebens teilten die Meinung des deutschen Kanzlers. Viele rechneten mit der Abspaltung eines deutschen Teilstaates in Brasilien und glaubten, die Ausrufung der brasilianischen Republik könne ihren Traum von einem Ersatz für die fehlenden deutschen Kolonien in Brasilien erfüllen. Die Revolutionen nach dem Beginn des republikanischen Zeitalters schienen ihnen Anlaß zu solchen Hoffnungen zu geben. Man hoffte z . B . , daß sich die DeutschZum Einfluß des Positivismus in Brasilien vgl. J. C. TORRES, Positivismo. Acultura?äo, S. 208. Die Wiederentdeckung der nach Brasilien eingewanderten Deutschen sei durch Arsene Isakelle eingeleitet worden. Seine Beschreibungen seien von G. Kühn in seinem Werk „Europa" aufgenommen worden und hätten dann den Besuch des preußischen Gesandten von Lewenhagen in Rio Grande do Sul zur Folge gehabt. Aus der Zeit nach 1850 stammen dann auch die Berichte der preußischen Gesandten über die ungünstige rechtliche Lage der Protestanten und über das Schicksal der deutschen Einwanderer, die zum von der Heydtschen Reskript geführt haben (vgl. dazu oben S. 26 und G. BRUNN, Deutschland und Brasilien, S. 8). 18

19

Vgl. P. E. SCHRAMM, Siedlungskolonie, S. 283-324. Vgl. dazu unten S. 73 f. 2 2 Zitiert nach G. BRUNN, Deutschland und Brasilien, S. 127. 2 3 Bismarck hatte es schon in früheren Jahren abgelehnt, daß der Ev. Oberkirchenrat in Berlin der von Hermann Borchard 1868 gegründeten Riograndenser Synode Anschluß gewährte (F. SCHRÖDER, Eigenart, S. 238). Hermann Borchard, geb. 28. 3. 1823, gest. 3. 8. 1891 in Ummendorf, 1864 vom Ev. Oberkirchenrat nach Brasilien ausgesandt. 20 21

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Assimilation u n d Marginalisierung

stämmigen aktiv an der Revolution beteiligen würden und daß nach der Loslösung der südlichen Provinzen Brasiliens dort eine deutsche Suprematie entstehen würde. In dieser Erwartung verkannten sie jedoch die politische Einstellung der Deutschstämmigen 2 4 . Nach Bismarcks Abschied bekundete das deutsche Auswärtige Amt ein größeres Interesse an den Nachkommen der deutschen Einwanderer. So erhielten die Reichsvertreter die Instruktion, die deutschen Siedlungen zu besuchen und sich aktiver am öffentlichen Leben zu beteiligen 25 . Solche Maßnahmen hatten aber hauptsächlich wirtschaftliche Interessen im Auge. Daneben ist auch der mißglückte Versuch zu beachten, die deutsche Auswanderung von den U S A nach Brasilien umzulenken 2 6 . Erst nach dem Scheitern dieses Versuches ging man dazu über, eine aktive Deutschtumspolitik zu betreiben. Mit ihrer Hilfe wollte man den Deutschstämmigen ihr Deutschtum bewahren und sie für die deutsche Wirtschaft erhalten. Die oben angedeutete stärkere Eingliederung der Nachkommen der deutschen Einwanderer am Ende des vorigen Jahrhunderts wurde von den Vertretern des Deutschen Reiches in Brasilien genau beobachtet 2 7 . Auf entsprechende Hinweise bemühte man sich im Reich, diesen Assimilierungsprozeß durch rege Deutschtumspolitik aufzuhalten. Auf vier Wegen hoffte man, zum Ziel zu kommen: durch die deutschsprachige Presse, die deutsche Schule, die deutschsprachigen kirchlichen Gemeinden und Kirchen und die deutsche Marine 2 8 . Die deutschsprachige Presse versuchte man durch einen eigenen Kabeldienst oder durch einen Telegrammdienst zu beeinflussen. Wegen der Geringfügigkeit der zur Verfügung stehenden Mittel mußten aber diese Pläne sehr schnell aufgegeben werden. Es erwies sich auch als unmöglich, alle Zeitungen zu beeinflussen. Man schreckte zurück, als man feststellte, daß viele Zeitungen wenig freundliche Artikel über das Reich brachten. Direkte Subventionen erhielt nur der in Blumenau erscheinende ,,Urwaldbote", weil er eine „streng nationale" Zeitung war. Jährlich wurde er mit 4000 R M unterstützt 2 9 . Wesentlich erfolgreicher waren die Versuche, durch Lehrer, Lehrmittel und finanzielle Beihilfen die deutschsprachigen Schulen zu beeinflussen. Die Organisationen, die sich daran beteiligten, waren folgende: der Allgemeine Deutsche Schulverein, der Alldeutsche Verband, der Flottenverein, der Deutsch-Brasilianische Verein, die BluG . BRUNN, Deutschland und Brasilien, S. 16-25. Vgl. e b d . , S. 6 6 f f . 2 6 Zur A u s w a n d e r u n g s p o l i t i k des Deutschen Reiches vgl. e b d . , S. 116-164. 2 7 Vgl. e b d . , S. 173ff. 2 8 Im folgenden wird nur die B e d e u t u n g von Presse, Schule u n d Marine behandelt, denn die Kirche als deutschtumserhaltende K r a f t ist G e g e n s t a n d der ganzen U n t e r s u c h u n g . Z u den kirchlichen B e m ü h u n g e n in Deutschland in dieser Zeit vgl. besonders unten S. 52 f. 24

25

2 9 Vgl. d a z u G . BRUNN, Deutschland und Brasilien, S. 177 f.; zur deutschen Presse in Brasilien vgl. H . GEHSE, Presse; K . J . R . ARNDT/E. OLSON, Press.

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menau-Stiftung und andere. Neben diesen kümmerten sich auch kirchliche Organisationen wie der Gustav-Adolf-Verein und die Evangelische Gesellschaft für die protestantischen Deutschen in Amerika darum 30 . Die Unterstützung der Schulen beschränkte sich aber nicht nur auf private Vereinigungen. Das Reich selbst stellte Mittel zur Verfügung. Aus dem Schulfonds des Auswärtigen Amtes flössen jedes Jahr beträchtliche Mittel nach Brasilien 31 . 1902 erhielten schon 56 Schulen zusammen 42 068 Mark. Bevorzugt waren dabei die Schulen in Santa Catarina. Außer dem Schulfonds des Auswärtigen Amtes hatten auch die Gesandten einen Dispositionsfonds mit dem die Schulen und Lehrer unterstützt werden sollten. Im Jahr 1905 betrug dieser Fonds 15 000 Mark und außerdem flössen in diesem Jahr 60 000 Mark aus dem Schulfonds des Auswärtigen Amtes nach Brasilien. Das Auswärtige Amt finanzierte darüber hinaus noch ein deutsches Lesebuch für Brasilien. Dieses erschien 1906 in erster Auflage mit 10 000 Exemplaren und erreichte bis 1914 noch vier weitere Auflagen. Das Lesebuch war mit Hinweisen auf das Leben in Deutschland, mit deutschen Märchen und Szenen aus dem Leben des deutschen Kaisers gestaltet. Die ganze Aktion hatte eindeutig das Ziel, daß die deutsche Schule ,,so lange wie möglich verhindern [sollte], daß die deutsche Einwanderung als Völkerdünger in dem brasilianischen Rassengemisch untergehe" 32 . Nicht unwesentlich war auch die Deutschtumspolitik der Marine. Besuche von Schiffen aus Deutschland wurden nach der Jahrhundertwende zur Regel in Brasilien. Man sah darin ein eindeutiges Mittel zur Erhaltung des Deutschtums. Die Mannschaften besuchten deutsche Siedlungen, um den Stolz der Deutschstämmigen für Deutschland zu erwecken 33 . Vgl. d a z u unten S. 7 3 f f . Vgl. G . BRUNN, Deutschland u n d Brasilien, S. 181. 3 2 G e s a n d t e r v. Treutier im J a h r e 1905 (ebd., S. 184). 3 3 In einem V o r t r a g aus d e m J a h r 1915 berichtete der Pfarrer der G e m e i n d e Joinville, F . BÜHLER, über die E i n d r ü c k e , die solche Besuche in seiner G e m e i n d e hinterlassen haben. „ N o c h k u r z vor dem Kriege hatten die K o l o n i e n B l u m e n a u u n d D o n a Francisca den B e s u c h des nach Südamerika ausgesandten G e s c h w a d e r s , das aus S. M . Schiffen . K a i s e r ' , , K ö n i g A l bert' u n d ,Straßburg' sich zusammensetzte, und von d e m B r u d e r unsers Kaisers, dem Prinzen Heinrich von Preußen, auf d e m H a m b u r g e r D a m p f e r , C a p Trafalgar' begleitet wurde. A m 5. Mai 1914 hatte die Stadt Joinville die E h r e und die F r e u d e dieses Besuches. D i e Schiffe blieben z w a r bei d e m L e u c h t t u r m vor S ä o Francisco liegen; aber mit B o o t e n u n d kleinen D a m p f e r n kamen 250 M a t r o s e n , 29 O f f i z i e r e u n d der Kapitän v o n , K ö n i g Albert' durch die Schöne Bai u n d den Cachoeirafluß hinauf u n d brachten der deutschen K o l o n i e die G r ü ß e des Kaisers u n d des Reiches. Selbstredend wurden allerlei Festlichkeiten eingerichtet. U n d die deutsche Schule hielt eine Feier ab, der sämtliche O f f i z i e r e beiwohnten. Zuerst fand eine P r ü f u n g statt; dann sangen die Kinder deutsche Lieder. Zuletzt zeichnete der Kapitän jedes klassenerste M ä d c h e n im N a m e n des Kaisers mit einem schwarz-seidenen M ü t z e n b a n d aus, das in Goldstickerei die Inschrift: ,S. M . Schiff K ö n i g Albert' trug. Solche Begebenheiten erwecken bei den Auslandsdeutschen herzliche Gegenliebe u n d großes freudiges Vertrauen f ü r die G r ö ß e u n d Z u k u n f t ihres V a t e r l a n d e s " ( D e u t s c h t u m , S. 9). Z u r Deutschtumspolitik der Marine vgl. noch G . BRUNN, Deutschland und Brasilien, S. 194 ff. 30

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Welche Wirkungen hatte aber nun die Deutschtumspolitik des Deutschen Reiches? Trug sie wirklich zur Erhaltung des Deutschtums bei? In bezug auf die Presse muß festgestellt werden, daß nur eine einzige Zeitung die erwünschte Wirkung brachte. Die anderen deutschsprachigen Zeitungen konnten sogar soweit gehen, das Deutsche Reich anzugreifen. Bei der Schule könnte man auf den ersten Blick den Eindruck bekommen, daß man Bedeutsameres habe erzielen können. Doch der Assimilierungsprozeß war dadurch nicht aufzuhalten. Dazu muß auch noch bemerkt werden, daß zur gleichen Zeit, als man damit begann, den deutschen Schulen Mittel zur Verfügung zu stellen, die brasilianischen Behörden ebenfalls damit begannen, in den südlichsten Staaten beträchtliche Summen aus den Staatseinnahmen für das Volksschulwesen einzusetzen 34 . Die Besuche der deutschen Marine erweckten zwar „patriotische Gefühle", zogen aber gleichzeitig die Aufmerksamkeit der brasilianischen Behörden auf sich. Diese Politik brachte den Deutschstämmigen keine Vorteile, in Brasilien aber wurde dadurch der Verdacht einer „deutschen Gefahr" genährt; die Konsequenzen dieses Mißtrauens hatten schließlich die Einwanderer selbst zu tragen, wie die Ereignisse während des Ersten Weltkrieges zeigten. Das Ergebnis der Deutschtumspolitik des Reiches ist so zusammenzufassen: ,,Die deutschen Kaufleute in Brasilien und die Kolonisten im Süden des Landes mußten - um ein Wort Bismarcks zu variieren - die Fenster bezahlen, welche die alldeutschen,Scheinpatrioten' mit ihren maßlosen Utopien eingeschlagen hatten." 3 5 Als das Deutsche Reich Frankreich zu Beginn des Ersten Weltkrieges den Krieg erklärte, herrschte unter den Deutschen in Brasilien große Begeisterung. Aber dies war mehr eine Folge der politischen Marginalisierung ihrer überwiegenden Mehrheit in den ersten Jahren der Republik, und nicht so sehr ein Erfolg der Deutschtumspolitik des Reiches 36 . Reservisten meldeten sich bei den Konsulaten und versuchten auf allen möglichen Wegen nach Deutschland zu gelangen. Darunter befanden sich auch einzelne Pfarrer. Man erhoffte und erwartete in deutschstämmigen Kreisen einen deutschen Sieg 37 . Die Entwicklung der Ereignisse in Europa führte jedoch in Brasilien zu Kundgebungen für Vgl. ebd., S. 184f. Ebd., S. 210. Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs unternahm das Reich noch etwas. U m das Deutschtum der Ausgewanderten zu erhalten, wurde die „ L e x Delbrück" das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. 7. 1913 erlassen (REICHSGESETZBLATT 1913, S. 583-593). Dieses Gesetz erlaubte unter Beachtung bestimmter Formalitäten die Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit bei Deutschen, die die Staatsangehörigkeit eines fremden Landes erwarben. 3 6 Zum folgenden vgl. G . KÖNIGK, Politik. 3 7 In mehreren Ortschaften wurden Kriegsfeiern veranstaltet (vgl. A. VOIGT, Heimat). In Espirito Santo veranstalteten Pastoren eine „Missions-Kriegsreise" und hielten „Missions-Kriegsfeste" (!) ab (vgl. H. FISCHER, Espirito Santo, S. 189ff.; TH. DIETSCHI, Riograndenser Synode, S. 33). 34

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die Entente, in deren Verlauf es zu Plünderungen und Ausschreitungen der Bevölkerung gegen Deutsche und Deutschstämmige kam und erst das Eingreifen der brasilianischen Behörden machte dem ein Ende 3 8 . Die Torpedierung des brasilianischen Schiffes „Parana" am 4. April 1917 führte zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Brasilien und Deutschland. Dem folgte nach der Torpedierung weiterer Schiffe am 25. Oktober die Erklärung des Kriegszustandes. Zwei Tage später erging eine Verordnung des brasilianischen Innenministeriums an die Staatspräsidenten, in deren Staaten deutsche Volksgruppen wohnten. Die Instruktionen gingen dahin, daß die deutschsprachige Presse verboten und die Schulen, in denen nicht auf portugiesisch unterrichtet wurde, geschlossen werden sollten. Schließlich wurden die Bundesstaaten Rio Grande do Sul, Santa Catarina, Parana, Säo Paulo, Rio de Janeiro und der Bundesdistrikt nach weiteren Torpedierungen brasilianischer Schiffe am 17. November unter Belagerungsrecht gestellt. Auf dem Kriegsschauplatz beteiligte sich Brasilien mit der Aussendung einiger Militärmissionen und einer ÄrzteMission. Nach dem Ende des Krieges und dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches im Jahre 1918 schien es, daß das Bild, das man sich in den deutschstämmigen Kreisen über Deutschland gemacht hatte, vernichtet war und daß sich die Deutschstämmigen nun endgültig von der „alten Heimat" abwenden würden 39 . Das Verbot der deutschen Presse, die Schließung der Schulen und die Auseinandersetzungen auf lokaler Ebene hatten tiefere und andere Wirkungen, als es zunächst scheinen mochte. Gleich nach dem Ende des Krieges war das Verbot, deutsch zu sprechen, aufgehoben worden. Damit war die Möglichkeit gegeben, auf diese Weise wieder das Deutschtum zu pflegen. Andererseits kamen in den Jahren nach dem Krieg die Folgen der bisherigen politischen Marginalisierung völlig zum Durchbruch. Verhindert am öffentlichen Leben des brasilianischen Volkes teilzunehmen, konzentrierte man sich erneut auf die Werte des eigenen Volkstums. Deutlich wurde dies in den Jahren 1922 und 1924. 1922 fand die Gedenkfeier des hundertjährigen Jubiläums der Unabhänigkeit Brasiliens statt und zwei Jahre später die Jahrhundertfeier der deutschen Einwanderung. Die Feierlichkeiten des Jahres 1922 gaben den deutschstämmigen Kreisen Anlaß, auf den Anteil der deutschen Einwanderer und i luxr^Nachkommen an der Entwicklung Brasiliens seit der Entdeckung 38

Vgl. J . ROCHE, R i o G r a n d e d o Sul II, S. 7 1 5 f .

„Hatte vorher große Begeisterung geherrscht, so ergriff jetzt tiefe Niedergeschlagenheit viele der Besten, und mancher sagte sich innerlich von dem Lande seiner Väter los. Entrüstet wandte man sich von dem neuen Deutschland ab, das sich anschickte, den unerfüllbaren Versailler Friedensvertrag zu erfüllen, und das die ruhmreiche schwarzweißrote Fahne durch die schwarz-rot-goldene ersetzt hatte" (R. BECKER, Siedler, S. 78). Vgl. auch den undatierten Bericht von Propst M. Braunschweig, Die Zukunft der deutschen evangelischen Kirche und der deutschen Schule in Brasilien (AKA, EO 1). 39

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des Landes hinzuweisen. Und die Jahrhundertfeier der deutschen Einwanderung sollte dazu beitragen, das „deutsch völkische Bewußtsein der Brasilianer deutscher Abstammung nachhaltig zu heben, die Liebe zur angestammten Art zu entfachen, dem Stolz auf die Herkunft neue Nahrung zu geben und das Gefühl der Pflicht zum Festhalten am Erbe der Väter zu wecken und zu schärfen" 40 . An diesen Patriotismus sollte die Propaganda des Nationalsozialismus später anknüpfen können. Dieses nachdrücklich bekundete Deutschtumsbewußtsein sollte aber sehr bald auch mit einer neuen Bewegung in Brasilien kollidieren. Seit 1917 bahnte sich der „Modernismus" 41 an, der zunächst die Kunst- Literatur, Malerei und M u s i k später aber auch Politik, Wirtschaft und soziale Praxis beeinflußte. Er war getragen von starken, nationalistischen Zügen, brach mit den Vorstellungen der Romantik, des Parnassianismus und des Realismus. Mit der Absage an europäische Ideen sollte die geistige Unabhängigkeit Brasiliens gefördert werden. Die Traditionen des eigenen Landes sollten gepflegt werden, man legte Wert auf eine Betonung des Portugiesischen als Landessprache und die Politik der Verteidigung des nationalen Geistes („espirito nacional"). Man wollte, mit einem Wort, Brasilien „verbrasilianern" („abrasileirar ο Brasil"). So hieß das Wort der Stunde „brasilidade". Man forderte eine Politik der Integration und der nationalen Expansion, welche die verwirrten und verworrenen Ideale mischen sollte, eine integrierende nationalistische Bewegung, in der alle nach Brasilien eingewanderten Rassen verschmelzen sollten, damit aus der Synthese der verschiedenen Nationalitäten eine neue Rasse entstehe. 1922 fand diese neue Bewegung in der „Woche der modernen Kunst" (Semana de Arte Moderna) in Säo Paulo ihren ersten bedeutenden Ausdruck 42 . Den Rahmen für die Erfüllung der Forderungen der vom Modernismus ausgehenden Bewegung gab die erste Regierung Getülio Vargas'. Vargas kam 1930 zur Macht und regierte bis 1945 43 . Seit dem Beginn der Regierung Vargas sind Maßnahmen festzustellen, die eine Integration der verschiedenen Einwanderergruppen zum Ziel hatten 44 . Durch eine fortschrittliche Gesetzgebung wurde zunächst ein Quotensystem eingeführt, 4 0 TH. DIETSCHI, Riograndenser Synode, S. 20. Die Zeugnisse für das Ausmaß und den Widerhall dieser Feierlichkeiten sind das Gedenkbuch HUNDERT JAHRE DEUTSCHTUM, die Denkmäler der deutschen Einwanderung in Säo Leopoldo und Hamburgo Velho sowie die Einführung des „Dia do Colono". In den darauf folgenden Jahren fanden in anderen Bundesstaaten Feierlichkeiten zur deutschen Einwanderung statt: 1929 in Santa Catarina und Parana (vgl. G. ENTRES, Staat; zur Betonung des Deutschtums und zum Festhalten daran vgl.

R . SÄNGER, Tag, S. 1 1 8 f f . ) . 41

V g l . d a z u W . MARTINS, M o d e r n i s m o ; A . COUTINHO/E. G O M E S / B . FILHO, L i t e r a t u r a

III/l, S. 431-482. 4 2 Vgl. ebd., S. 449-457. 4 3 Zu Vargas und seiner Regierungszeit vgl. H. SILVA, Vargas; A. HENRIQUES, Ascensäo; A . PEIXOTO, Vargas. 44

Zur Regierung Vargas vgl. ebd. und K. HARMS-BALTZER, Nationalisierung.

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wonach die Einwanderung auf ein jährliches Maximum von je 2 % der Gesamtzahl der in den letzten 50 Jahren eingewanderten Angehörigen einer Nation begrenzt wurde. Ferner wurden Maßnahmen für gemischte Ansiedlungen ergriffen, die die Entstehung von einheitlich-ethnischen Siedlungen verhindern sollten 45 . Ein weiteres Hauptanliegen der Regierung Vargas war die Entwicklung des gesamten brasilianischen Schulwesens. Parallel dazu liefen Maßnahmen, deren Ziel es war, die sogenannten Ausländischen Schulen (escolas estrangeiras) zu integrieren 46 . Die Regierung forderte zunächst den Unterricht aller Fächer in der Landessprache, mit Ausnahme des Unterrichts in den Fremdsprachen. Später wurde der Unterricht jeder fremden Sprache für Schüler bis zu 12 Jahren verboten. Diese Nationalisierungsmaßnahmen im Schulwesen hatten für die deutsche ethnische Gruppe wegen der vielen deutschsprachigen Schulen eine ganz besondere Bedeutung. Noch verschärft wurden sie aufgrund zweier Probleme mit denen sich die brasilianische Regierung auseinanderzusetzen hatte: die Integralistische Bewegung 47 und die Betätigung der Auslandsorganisation der NSDAP. Viele Deutsch-Brasilianer waren Anhänger dieser Bewegung geworden. Andererseits mischte sich die Auslandsorganisation in die inneren Angelegenheiten des brasilianischen Staates, wenn sie dessen Einwandererpolitik kritisierte. Die Leidtragenden waren wieder, wie schon bei der Deutschtumspolitik des Zweiten Deutschen Reiches, die in Brasilien ansässigen Deutschen und Deutschstämmigen. Besondere Aufmerksamkeit verdient die Tätigkeit der N S D A P in Brasilien 48 . Bis 1933 waren ihre Aktivitäten nur unbedeutend 49 . Die Situation änderte sich aber rapide nach 1933. In den Städten bildeten sich nationalsozialistische Organisationen, und Agenten wurden in deutschbrasilianische Vereine eingeschleust. Der Bundesstaat Rio Grande do Sul wurde z.B. als Kreis der N S D A P organisiert, an dessen Spitze ein Kreisleiter stand, der nicht dem deutschen Konsulat untergeordnet war 5 0 . Deutschstämmige Firmen, die mit der nationalsozialistischen Bewegung nicht sympathisierten, wurden boykottiert, Sammlungen für das Winterhilfswerk durchgeführt, Vorträge und öffentliche Veranstaltungen an den großen nationalsozialistischen Feiertagen abgehalten. Daneben wurde eine große Propagandamaschinerie in Bewegung gesetzt. Sie benutzte die 45

Vgl. J . ROCHE, R i o G r a n d e d o Sul I, S. 131.

Nach einem Gesetz vom 15. 9.1919, Artikel 24, § 1 wurden diejenigen Schulen als ausländische oder Fremdschulen bezeichnet, in denen ein Fach in einer fremden Sprache unterrichtet wurde. 4 7 Zur Agio Integralista Brasileira vgl. K. HUNSCHE, Integralismus; K. HARMS-BALTZER, Nationalisierung, S. 63ff.; H . SILVA, Terrorismo; H . TRINDADE, Integralismo. 4 8 Vgl. K . HARMS-BALTZER, Nationalisierung; A. PY, Coluna; J . P. SOUZA, Denuncia; 46

Β . E . SCHMITT, R e i c h . 49 50

4

1 9 3 2 g a b e s e i n e O r t s g r u p p e i n R i o d e J a n e i r o ( v g l . MITTEILUNGSBLATT 1, 1 9 3 2 ) . Vgl. J . ROCHE, R i o G r a n d e d o Sul II, S. 7 1 7 f .

Dreher, Brasilien

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deutschbrasilianische Presse, verbreitete in Deutschland gedrucktes Propagandamaterial und versuchte durch eine Reihe von Vereinigungen, Einfluß zu gewinnen: die Deutsche Arbeitsfront, Arbeitsgemeinschaft der deutschen Frau im Ausland, den Deutschbrasilianischen Jugendring, den Bund deutscher Mädchen im Ausland, den Deutschen Kriegsverein, usw. Besonderes Interesse aber zeigte die nationalsozialistische Bewegung an den deutschbrasilianischen Vereinigungen. Durch finanzielle Unterstützung versuchte die NSDAP dabei Einfluß zu gewinnen, indem sie den Parteigenossen die Mitgliedsbeiträge bezahlte. Sobald in dem Verein dann eine Mehrheit für die Nationalsozialisten vorhanden war, berief man eine Versammlung. In dieser wiederum wurde der Anschluß der Vereinigung an die Partei und an den Verband Deutscher Vereine beschlossen, der dem Verband Deutscher Vereine im Ausland unterstand. In deutschbrasilianischen Kreisen hatte dieses Vorgehen scharfe Auseinandersetzungen zur Folge 5 1 . Aber nur wenige Vereinigungen konnten sich dieser Taktik entziehen 52 . Die brasilianischen Behörden sahen sich aufgrund dieser nationalsozialistischen Aktivitäten zu einem Eingreifen genötigt. Die Boykott-Maßnahmen, die den Selbstmord eines nicht parteikonformen Geschäftsmannes provoziert hatten 53 , die Infiltration in deutschbrasilianischen Vereinen u. a. m. führten zu Nachforschungen der Polizei. Mit der Verfassung vom 10. November 1937 wurde jede politische Tätigkeit und Anfang 1938 die Betätigung jeder ausländischen Partei verboten. Da die Partei jetzt nicht mehr offen auftreten konnte, handelte sie durch die deutschen Konsulate. Die Tätigkeit der Polizei reduzierte jedoch alle Aktivitäten auf ein Minimum. Es folgte die Ausweisung einiger Deutscher und die Inhaftierung einiger Führer des Deutschbrasilianertums. Waren die Nationalisierungsmaßnahmen der brasilianischen Behörden bis 1939 noch gemäßigt gewesen, so häuften sich von 1939 bis 1945, also während des Zweiten Weltkrieges, die repressiven Maßnahmen, wobei einzelne Beamte durchaus ihre Befugnisse überschritten. Verboten wurde das Erscheinen deutschsprachiger Zeitungen, die Benutzung der deutschen Sprache in der Öffentlichkeit; es folgte die Beschlagnahmung von Schriften und Dokumenten in den Häusern deutschstämmiger Personen; die Zerstörung deutscher Bibliotheken, Beschlagnahmung von Waffen der Schützenvereine, Verhaftungen und Internierungen 54 . Die Torpedierung brasilianischer Schiffe und der Eintritt Brasiliens in den Krieg 55 führten zu Ausschreitungen der Bevölkerung, wobei es in den großen Städten wiederum zu Brand51 52 53 54 55

Vgl. J . P . SOUZA, Denüncia, S. 24 ff. Vgl. J . ROCHE, R i o Grande do Sul I I , S. 719. J . P. SOUZA, Denüncia, S. 46 f. J . ROCHE, R i o Grande do Sul I I , S. 723 f. Zur Rolle Brasiliens im Zweiten Weltkrieg vgl. W . HAUPT, Brasilien, S. 1 3 7 - 1 5 1 .

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Stiftungen und Plünderungen kam. Gewollt oder nicht waren somit, wie schon während des Ersten Weltkriegs, praktisch alle Deutschstämmigen von den Auseinandersetzungen betroffen. Ihre Erfahrungen während des Zweiten Weltkrieges, einer Zeit, die man als eine Epoche der Verfolgung empfand, wirkten zunächst in die Nachkriegs jähre hinein. Man fühlte sich als Bürger zweiter oder dritter Klasse 56 , obwohl das Verbot, deutsch zu sprechen, aufgehoben war und auch die deutschsprachige Presse ab 1946 wieder erscheinen konnte. Im Laufe der Zeit aber sollten diese Erfahrungen vergessen werden. Die Animositäten verflüchtigten sich, die Mobilität in der Gesellschaft, die Entstehung eines modernen Verkehrsnetzes und andere Faktoren trugen immer mehr dazu bei, daß die Nachkommen der Einwanderer, die ab 1924 nach Brasilien gekommen waren, zu einem untrennbaren Bestandteil der brasilianischen Bevölkerung wurden. Damit aber dies erreicht wurde, bedurfte es eines langwierigen, manchmal schmerzhaften Prozesses 57 .

5 6 Vgl. ζ. B . den Brief des Entomologen Fritz Plaumann vom 8. 6. 1955 (abgedruckt bei M . KONDER, Kolonisation, S. 7f.). 5 7 Wohl sind noch heute sehr vereinzelt Äußerungen zu hören, die von einer Wiederbelebung des Deutschtums sprechen. Sie sind aber nur traumhafte Vorstellungen von einer Wirklichkeit, die es nicht mehr gibt! Vgl. das Gedicht von R . HIRSCHFELD , Der 25. Juli 1824 (Brasil-Post, S. 1); Η . P. ZIMMERMANN, Zukunft (ebd.).

Kapitel 4 GEMEINDEN, PASTOREN UND IHRE EINSTELLUNG Z U R E R H A L T U N G DES D E U T S C H T U M S

1. Geschichtliche Entwicklung Die von Deutschland nach Brasilien ausgewanderten Evangelischen kamen in ein Land, in dem es lediglich die römisch-katholische Kirche gab. Da für sie nicht Glaubensgründe ausschlaggebend gewesen waren, wie dies bei anderen Einwanderern in den USA oder in Australien der Fall war, bestand die Gefahr, daß sie völlig im brasilianischen Katholizismus aufgingen. Eine solche Entwicklung ist aber nicht eingetreten. Sie blieben ihrem evangelischen Glauben treu 1 und das nicht nur aus traditionellen Gründen. Der Wunsch, die Kinder in der herkömmlichen Weise taufen zu lassen, kirchlich getraut, konfirmiert und beerdigt zu werden, spielte sicherlich eine gewisse Rolle, dies war aber nicht der einzige Grund; ein echtes Glaubensleben war durchaus vorhanden. Es trifft also nicht zu, wenn Erich Fausel von der vorsynodalen Periode als von langen kirchenlosen Jahren 2 spricht. In den Gebieten, in denen die Einwanderer angesiedelt wurden, entstanden so etliche evangelische Gemeinden. Aber nicht nur hier: bald schon begann eine Binnenwanderung, die zur Gründung neuer Gemeinden führte. So bestanden zur Zeit der Gründung der vier Synoden zahlreiche Gemeinden. In diesen Gemeinden arbeiteten in den ersten Jahren einige Geistliche, die freiwillig nach Brasilien ausgewandert waren und von der brasilianischen Regierung besoldet wurden. Andere Pfarrer wurden von privaten Kolonisationsgesellschaften berufen und besoldet. Seit 1857 sandte auch der Ev. Oberkirchenrat der preußischen Landeskirche Pfarrer nach Espirito Santo, nachdem bereits schon in früheren Jahren Pfarrer in 1 V o m Präsidenten der Provinz Espirito Santo gefragt, warum sie nicht katholisch werden wollten, antworteten Vertreter der Evangelischen aus der Kolonie Santa Izabel: „ E i n guter Protestant geht nicht nach Brasilien, um katholisch zu werden. W i r sind auch hier nicht hergekommen, um uns katholisch machen zu lassen" (vgl. M . URBAN, Geschichte, S. 215). 2 E . FAUSEL vertritt wiederholt die Auffassung, die vorsynodale Periode sei eine kirchenlose Zeit gewesen. E r geht dabei allein von einem institutionellen Kirchenbegriff aus. In diesem Sinne wird Hermann Borchard von ihm als der gesehen, der dazu berufen war, „die evangelische Kirchengeschichte des Riograndenser Deutschtums und einiger Nachbargebiete zu eröffnen" (Riograndenser Synoden, S. 2 9 4 f . ; vgl. auch Volksgeschehen, S. 2 - 1 6 . Ähnlich urteilt auch F. SCHRÖDER, Kirchentum, S. 6).

Geschichtliche Entwicklung

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die Gemeinde Rio de Janeiro ausgesandt worden waren. Diese Tätigkeit des Oberkirchenrats beschränkte sich aber zunächst nur auf Espirito Santo. In weit größerem Maße als der Ev. Oberkirchenrat bemühte sich aber seit 1861 die Basler Missionsgesellschaft, einzelne Gemeinden in Mittelbrasilien und in Santa Catarina zu pastorieren 3 . Während es in Mittelbrasilien und in Santa Catarina, im großen und ganzen gesehen, schon seit dem Beginn der deutschen Einwanderung eine mehr oder weniger geregelte Pastorierung gab, so trifft dies auf Rio Grande do Sul nicht zu 4 . Wenn auch die ersten Einwanderer Pfarrer gehabt haben 5 , so wurden doch in den ersten vierzig Jahren, also von 1824 bis 1864, von keiner deutschen Stelle Pfarrer in diese Gebiete, in denen sich die meisten deutschen Einwanderer und ihre Nachkommen angesiedelt hatten, geschickt. Dieser Mangel an theologisch ausgebildeten Geistlichen führte zu einer Erscheinung, die als Pseudopfarrertum bezeichnet wird 6 . Ohne Pfarrer, aber nicht gewillt zur katholischen Kirche überzutreten, gingen die Gemeinden in Rio Grande do Sul dazu über, aus ihrer Mitte Laien zum Pfarrer zu bestimmen. Diese gewählten Pfarrer, die ohne jegliche theologische Ausbildung und nicht ordiniert waren, nannte man später Pseudopfarrer. Indirekt wurde diese Entwicklung auch von der Regierung der Provinz begünstigt, die 1863 durch ein Dekret die Registrierung von evangelischen Geistlichen ermöglichte, ohne nach deren Ausbildung zu fragen; gefordert wurde lediglich eine „Ernennungs- oder Wahlschrift" 7 . Damit konnten ganz unterschiedliche Personen ein Pfarramt erlangen und viele Mißstände in den Gemeinden, die später nur mit großer Mühe wieder ausgerottet werden konnten, hatten hier ihren Ursprung. Sporadisch fand man einzelne Pseudopfarrer auch außerhalb von Rio Grande do Sul 8 . Insgesamt aber blieb diese Erscheinung auf diese Provinz beschränkt. Uber die Provinz Santa Catarina berichtet Hermann von Ihering 1885, daß „seit kurzem" die Geistlichen nur dann registriert werden, wenn sie theologi3 Die Basler Missionsgesellschaft war vom Gesandten der schweizerischen Eidgenossenschaft J . J . VON TSCHUDI, der 1860 und 1861 die Schweiz am H o f e des Kaisers D . Pedro II.vertrat und Brasilien in den Jahren 1857 und 1858 bereist hatte, auf die Lage vieler G e 1 meinden aufmerksam gemacht worden (vgl. Reisen). 4 Die Aussage von einer geregelten Pastorierung in Mittelbrasilien und Santa Catarina gilt nur cum grano salis. Zu den einzelnen Gemeinden in diesen Gebieten vgl. F . SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg, S. 2 5 1 - 3 2 4 . Die ersten Einwanderer in Espirito Santo blieben zunächst 10 Jahre ohne Pfarrer (ebd., S. 3 2 7 f . ) .

Zu diesen Pfarrern vgl. unten S. 63. Zu dem Phänomen des Pseudopfarrertums vgl. J . FISCHER, Kampf gegen Pseudopfarrer, S. 9 4 - 1 1 8 ; F . SCHRÖDER, Pfarrer, S. 116-121 ; B . STYSINSKI, Pseudopfarrer, S. 113-126. 5 6

Vgl. J . FISCHER, Kampf gegen Pseudopfarrer, S. 9 7 f . So ζ. B . in den Gemeinden R i o Claro (vgl. dazu TH. KÖLLE, Geschichte, S. 7 0 - 7 7 , besonders S. 71); zu Santa Izabel in Espirito Santo vgl. M . URBAN, Geschichte, S. 214; zu Joinville in Santa Catarina und Curitiba in Parana vgl. F . SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg, S. 295. 7 8

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Einstellung zur Erhaltung des Deutschtums

sehe Studien nachweisen können 9 . Erst ab 1864 begannen sich einzelne Kreise um Rio Grande do Sul zu kümmern: der Ev. Oberkirchenrat, die Basler Missionsgesellschaft und das Comite für die protestantischen Deutschen in Südbrasilien 10 . Ende des vorigen Jahrhunderts traten zu diesen Gesellschaften noch die deutschen Gotteskastenvereine hinzu, deren Arbeit streng konfessionell, also lutherisch ausgerichtet war; sie wurden in Rio Grande do Sul aber nicht tätig. Ein besonderes Kennzeichen der vorsynodalen Periode ist der Gemeinde-Independentismus, der auch für die späteren Synoden und für die evangelische Kirche lutherischen Bekenntnisses in Brasilien charakteristisch blieb. Sie ist bis heute eine Gemeindekirche, d. h. die Institutionen der Gesamtkirche sind aus den Gemeinden herausgewachsen und die evangelische Kirche in Brasilien existiert qua Institution nur, weil die Gemeinden einen Teil ihrer Befugnisse der Gesamtkirche übertragen haben. Die neue Lage in Brasilien, wo es keine evangelische Kirche gab und die römisch-katholische Kirche Staatskirche war, bedingte, daß es auch keine Behörde gab, der gegenüber die Gemeinden verantwortlich gewesen wären. Die neu entstehenden Gemeinden herausgewachsen, und die evangelische Kirche in Brasilien exieinzelnen Gemeinden war, wenn überhaupt vorhanden, minimal, da die großen Entfernungen eine engere Zusammenarbeit und einen möglichen Erfahrungsaustausch verhinderten. So kämpfte jede Gemeinde um eine eigenständige Existenz. Die zu einer Gemeinde gehörigen Gläubigen bauten ihre Kirche, ihr Pfarrhaus und zahlten ihren Beitrag, der der Besoldung ihres Pfarrers dienen sollte. Diese Form der Beteiligung am Gemeindeleben hatte sicherlich auch etwas Positives: man nahm engagiert am Leben seiner eigenen Gemeinde teil. Andererseits endete aber in diesen autonomen Gemeinden die Kirche an den Grenzen der eigenen Gemeinde. Diese Beschränkung der kirchlichen Arbeit brachte ein besonderes Verhältnis zum Pfarrer mit sich; er wurde von den jungen Gemeinden nicht als Respektsperson angesehen. Der Pfarrer stand der Gemeinde gegenüber vielmehr allein da, denn es gab keine Behörde, die ihm eventuell Rückhalt gewähren konnte. Die Gemeinde sah in ihm oft nur „den Neueinwandernden, der sein Brot suchen will und suchen muß" 1 1 . Er wurde auch nicht als der angesehen, der etwas Neues bringen will und darf, nein, die Gemeinde erwartete, daß er hier in diesem neuen Land erst etwas lerne, bevor er lehre- so wie es die Gemeindeglieder selbst hatten tun müssen. Für die Gemeinde, die sein Gehalt bezahlte, war er ihr Angestellter; d. h. es fehlte den Gemeinden jedes Empfinden dafür, das Pfarramt als eine Institution zu sehen, die unbeeinflußt von dem Wohlwollen der Gemeinde9 Rio Grande do Sul, S. 84. Für die anderen Gegenden scheint es keine entsprechende Gesetzgebung gegeben zu haben. 10 Vgl. dazu unten S. 73 ff. 11

F . SCHRÖDER, K i r c h e n t u m , S. 5 .

Geschichtliche Entwicklung

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glieder eine Aufgabe zu erfüllen hatte. Als Angestellter der Gemeinde konnte der Pfarrer jederzeit gekündigt werden 1 2 , er war auch nicht Mitglied des Vorstands der Gemeinde 13 . So war es für den Pfarrer praktisch bis 1900 sehr schwierig, Einfluß auf die Gemeinde auszuüben. Das führte auch dazu, wie später noch ausgeführt wird, daß der Pfarrer als der Mann, der an der Erhaltung des deutschen Charakters seiner Gemeinde interessiert war, dabei kaum Resonanz fand. Seit 1864 wuchs das Interesse für die evangelischen Gemeinden in Brasilien, besonders in Rio Grande do Sul; nun kamen eine Reihe seminaristisch oder akademisch ausgebildeter Geistlicher ins Land. Unter Führung von Hermann Borchard, den der Ev. Oberkirchenrat 1864 nach Säo Leopoldo gesandt hatte, versuchten diese Pfarrer eine Synode zu begründen, die 1868 auch zusammentrat 14 . Nach dem Weggang von Borchard 1870 bestand die Synode dann nur noch formell, bis sie im Jahre 1875 völlig aufgelöst wurde. Es bestand jetzt zwar noch eine Pastoralkonferenz, sie bot aber den Gemeinden keine gemeinsame Basis. Erst 1886 kam es nach den Erfahrungen der gescheiterten ersten Synode zur Gründung der Riograndenser Synode. Ihr sollten in den darauf folgenden Jahren weitere drei Synoden folgen. Neben dem Problem des Gemeinde-Independentismus und des Pfarrermangels hatten die evangelischen Einwanderer in der Zeit von 1824 bis 1886 auch noch gegen die Benachteiligung zu kämpfen, daß sie in Brasilien de facto Bürger zweiter Klasse waren. Darüber hinaus hatten sie sich auch gegen die geistigen Strömungen ihrer Zeit, in der eine positivistische und materialistische Philosophie verkündet wurde, zu behaupten. Diese neuen Ideen wurden häufig von den Männern verbreitet, die nach den Revolutionen von 1848 nach Brasilien ausgewandert waren 15 . Weiterer Schaden wurde den Gemeinden durch die in Rio Grande do Sul entstandene messianische Bewegung der Mucker zugefügt, die 1874 blutig nie12

Ebd., S. 6. Die Abhängigkeit des Pfarrers von der Gemeinde findet ihren Ausdruck noch darin, daß der Pfarrer als „Knecht" der Gemeinde bezeichnet werden kann (vgl. ebd.). In der mündlichen Uberlieferung, die sich bis heute in Rio Grande do Sul erhalten hat, wird berichtet, daß in einzelnen Gemeinden, die hauptsächlich aus Pommern bestanden, der Pfarrer sogar verprügelt wurde. Dieses Verhalten kann damit erklärt werden, daß die nach Brasilien ausgewanderten Pommern erst kurz vorher von der Leibeigenschaft befreit worden waren. In Brasilien waren sie nun die „Gutsbesitzer" und behandelten den Pfarrer so, wie der Gutsbesitzer sie selbst in der alten Heimat behandelt hatte. 14 Vgl. U. HEES, Kirchenbildung, S. 51-70; E. FAUSEL, Riograndenser Synoden, 13

S. 2 8 7 - 3 0 9 ; J . FISCHER, G e s c h i c h t e , S. 1 0 9 - 1 1 2 ; F . SCHRÖDER, Brasilien u n d W i t t e n b e r g ,

S. 199-209. In der Geschichtsschreibung der EKLBB wird die Synode von 1868 im allgemeinen zur synodalen Periode gerechnet. Sie ist in Wirklichkeit aber nur eine Episode innerhalb der vorsynodalen Periode. Aus diesem Grunde wird sie hier behandelt. 15 Vgl. R. KÖHNE, Koseritz; Auswirkungen der Kulturkampfzeit; Κ. H . OBERACKER, Koseritz; E. FAUSEL, Koseritz und Rotermund.

Einstellung zur Erhaltung des Deutschtums

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dergeschlagen wurde 16 . Diese radikale Bewegung führte dazu, daß in der brasilianischen Öffentlichkeit die Evangelischen mit den Fanatikern des Ferrabraz gleichgesetzt wurden. Eine in Santa Isabel in der Provinz Santa Catarina und am Forromeco in Rio Grande do Sul entstandene Erwekkungsbewegung wurde sofort als „Muckertum" verdächtigt, und die Jesuiten versäumten nicht zu betonen, daß das Wesen des Protestantismus sich in der Muckerbewegung offenbart habe. Auch die kirchenfeindliche Partei der „aufgeklärten" Achtundvierziger benutzte die Gelegenheit, um gegen den Protestantismus loszuwettern 17 . Im Zusammenhang mit der Muckerbewegung ist auf einen anderen Punkt hinzuweisen, der für das Leben der Gemeinden in dieser Zeit charakteristisch war und der außerdem wertvolle Einzelheiten für die Probleme der Gemeinden in der sozialen Wirklichkeit Brasiliens liefert. Wie schon gesagt, wurden die einwandernden Deutschen in der brasilianischen Gesellschaft als Außenseiter angesehen und aus diesem Grunde auch von der im Lande ansässigen Gesellschaft marginalisiert. Es ist auch bereits darauf hingewiesen, mit welchen Schwierigkeiten die Protestanten um ihre rechtliche Stellung zu kämpfen hatten. Wurden die Deutschen insgesamt schon an den Rand gedrängt, so galt dies noch in viel größerem Maße von den Protestanten. Die Katholiken hatten durch ihren Glauben noch eher eine Verbindung zur brasilianischen Bevölkerung, die den Protestanten eben fehlte. Daher waren sie zumindest in der vorsynodalen Periode sozial, politisch und kirchlich isoliert. In dieser Situation, auf die sie keinen Einfluß nehmen konnten, kreiste ihr ganzes Denken nur um sich selbst. Für sie als Deutsche oder Deutschstämmige bestand die Gefahr, daß sie an ihrem Deutschtum festhielten, ihre Blicke von Brasilien abwandten und nach Europa, nach Deutschland richteten. Wie aber stand es um den deutschen Charakter dieser Gemeinden in der vorsynodalen Periode und was taten die Pfarrer, um dieses Erbe zu erhalten?

2. Die Gemeinden Die evangelischen Einwanderer mußten am Anfang um das bloße Uberleben kämpfen. Ihre abgeschiedene Situation inmitten des Urwalds bot ihnen kaum Gelegenheit, Kontakt mit den Einheimischen aufzunehmen und deren Sprache zu erlernen. Vereinzelte Kontakte, die dennoch zustande kommen, dienten kaum der Integration, sie führten höchstens dazu, daß man gewisse sprachliche Eigenarten der Umwelt übernahm 18 . Vgl. dazu L . PETRY, Mucker; M . DOMINGUES, Nova Face; A. SCHUPP, Mucker. Vgl. W . ROTERMUND, Arbeit, S. 137, 1 5 1 - 1 5 5 . 1 8 E . WILLEMS, Aculturafäo. Es gab auch kaum einen Ansporn, die portugiesische Sprache zu erlernen. Wer waren die portugiesisch sprechenden Menschen, mit denen man in 16

17

Gemeinden

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So war es ganz selbstverständlich, daß beim Gottesdienst weiterhin in deutscher Sprache gepredigt wurde. Man sah darin auch gar kein Problem. Die evangelischen Einwanderer waren auch im Vergleich zu den katholischen besser mit Pfarrern versorgt: Die Einwanderer in Nova Friburgo hatten Friedrich Sauerbronn mitgebracht, die Einwanderer von Säo Leopoldo Johann Ehlers, Carl Voges und später noch Friedrich Klingelhöfer zugewiesen bekommen. Man konnte deshalb von der Sprache her voll am Gottesdienst teilnehmen19. Die Schulen wurden fast ausschließlich von den evangelischen Einwanderern gegründet und unterhalten. Das junge unabhängige Kaiserreich Brasilien war nicht in der Lage, den neuen Siedlungen Schulen zu bieten. Man darf nicht vergessen, daß sich erst mit der Ubersiedlung der portugiesischen Königsfamilie nach Brasilien ein Schulwesen zu entwickeln begonnen hatte. Damit steckte zu Beginn der deutschen Einwanderung das brasilianische Schulwesen noch in den Anfängen 20 . Für die Einwanderer war es aber eine ganz natürliche Sache, daß die Schule zum Leben eines jeden jungen Menschen gehörte; dies war ein Stück ihrer Tradition 21 ; außerdem wollte man die Kinder natürlich auch nicht auf eine katholische Schule schicken, wo sie katholisch erzogen worden wären. Ausgebildete Lehrkräfte waren nicht vorhanden, so übernahm meistens einer der Einwanderer die Aufgaben des Schullehrers, öfters war dies auch der Pfarrer oder Pseudopfarrer. Damit war die Unterrichtssprache natürlich gleichfalls deutsch. Durch die häufige Personalunion von Lehrer und Pfarrer kam es zu einer engen Verknüpfung von Gemeinde und Schule, die praktisch in allen Gemeinden bis zum Zweiten Weltkrieg bestand. Es gibt kaum Quellen, aus denen die Haltung der Gemeinden in den ersten Jahren, etwa bis 1848 und in den Jahren kurz danach, als die „Politiker des Deutschtums" die Achtundvierziger einwanderten, abzulesen ist. Die meisten Quellen stammen erst aus der Zeit nach 1864, als eine größere Anzahl von Geistlichen nach Brasilien kam; diese behandeln dann meiKontakt kam? Gewöhnlich war es das arme, ungebildete Volk der Serra, dem man nicht gleichgestellt sein wollte, oder es waren Regierungsbeamte, mit denen man wegen der schlechten Erfahrungen, die man mit ihnen gemacht hatte, möglichst wenig Kontakt haben wollte. Vgl. dazu A. FUNKE, Besiedlung, S. 44. 1 9 Anders stand es da mit den Katholiken. Es gab wohl eine katholische Kirche im Land wie auch katholische Priester, aber diese Priester verstand man nicht oder wies sie wegen ihrer Sittenlosigkeit zurück. Aus diesem Grunde gingen auch einzelne Katholiken dazu über, sich ohne Priester zur Abhaltung von Andachten zu versammeln (vgl. R. BECKER, Siedler, S. 51 f.). Erst später sollten sich deutsche Jesuiten der Katholiken deutscher Abstammung annehmen. 2 0 Diese Tatsache wird m. E. immer übersehen, wenn man davon spricht, daß der brasilianische Staat den Einwanderern keine Schulen bot! 2 1 Hier mag vielleicht noch ein Einfluß der lutherischen Reformation zu finden sein; vgl. Luthers Schrift von 1524 „ A n die Ratsherren aller Städte deutschen Lands, daß sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen" (WA 15, S. 27-53).

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stens auch die ihnen gegenwärtige Situation. Betrachten wir aber Aussagen, die einen Rückblick auf die vergangenen Jahre erlauben, so ist festzustellen, daß den Gemeinden ihr Deutschtum völlig unbewußt war oder daß sie zumindest keinen Anlaß hatten, dieses Deutschtum zu betonen. Bis 1848 ζ. B. wäre aus der Sicht der deutschen Gemeinden die Auffassung unmöglich gewesen, evangelisch sei gleich deutsch 22 . Diese Gleichsetzung wurde aus naheliegenden Gründen viel eher von der Umwelt vorgenommen: sie assoziierte evangelisch oder protestantisch mit deutsch, denn es gab ja keine anderen Protestanten als eben die deutschen. Sieht man sich die ersten beiden Gruppen von Evangelischen an, die eingewandert waren, nämlich die Kolonisten von Nova Friburgo und Säo Leopoldo, so fallen bei ihnen zwei weitere Merkmale auf. Die Stärke der Gruppe und die Reaktion der Umwelt sind wichtige Elemente für die Erhaltung der sogenannten völkischen Eigenart. Die kleinere Gruppe, die sich in Nova Friburgo niedergelassen hatte, war auch gleichzeitig stärker dem Einfluß ihrer Umwelt ausgesetzt. In Säo Leopoldo, dagegen, wo sich eine größere Gruppe angesiedelt hatte, die auch zahlenmäßig der näheren Umgebung überlegen war und mit ihr kaum Kontakt hatte, konnten sich die Sprache und die hergebrachten Sitten länger erhalten. Diese Gesetzmäßigkeit bestätigt sich auch im Bereich des kirchlichen Lebens: Schon 1876 ging man in Nova Friburgo dazu über, Gottesdienste in portugiesischer Sprache zu halten 23 . Ähnliches gilt für Petropolis; schon 1866 hatte Johann Jakob von Tschudi darüber geklagt, daß die Deutschen zum größten Teil die Sprache des Landes angenommen hätten. Petropolis war immerhin erst 1845 gegründet worden 24 ; 1901 war die Assimilation auch in Tres Forquilhas, Rio Grande do Sul, schon sehr weit fortgeschritten; dort war die portugiesische Sprache bereits Umgangssprache 25 ; bald ging man auch hier dazu über, Gottesdienste in portugiesischer Sprache zu halten. 2 2 Von den genannten Rückblicken vgl. u. a. A . FUNKE, der meint: „Es wäre verkehrt, die Anhänglichkeit des Deutschen an seine Muttersprache aus rein ethischen Gründen herleiten zu wollen. O f t habe ich aus dem Munde deutscher Bauern gerade das Gegenteil von Sehnsucht oder übermäßiger Wertschätzung der Heimat vernommen. Der Ansiedler, welcher nach den ersten Jahren gemeinsamer N o t zu einem verhältnismäßig großen Wohlstande gekommen ist, denkt nicht daran, Heimweh nach den pommerschen Gutsbezirken oder den Höhen des Hunsrücks und Idars zu empfinden, sondern findet seine neue Lage trotz der ununterbrochenen harten Arbeit in der Pflanzung ungleich erträglicher, da sie ihn niemals zu direkten Nahrungssorgen kommen läßt" (Besiedlung, S. 44). 2 3 Vgl. ST. KAUL, Gemeinde, S. 165: „Bis zum Jahre 1876 wurden die Predigten in deutscher Sprache gehalten. V o n da an mußte zu Portugiesisch übergegangen werden, da ein Teil der Gemeinde der deutschen Sprache nicht oder gar unvollkommen mächtig war. . . . So sprachen z . B . auch die Kinder von Pastor Meyer, der mit der Tochter eines Deutschen verheiratet war, kaum mehr Deutsch." Vgl. auch J . SCHLUPP, Nova Friburgo, S. 20. 2 4 Vgl. J. J. VON TSCHUDI, Reisen I, S. 2 1 4 . 1 8 8 3 sagte H. ZÖLLER, die Deutschen gingen „ins Brasiliertum auf" (Deutsche I, S. 101). 25

V g l . ANSIEDLER 3 9 , 1 9 0 1 , S . 4 3 .

Gemeinden

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Wir werden bei der Behandlung der synodalen Periode innerhalb der Riograndenser Synode noch auf die These stoßen, daß evangelische Kirche und Deutschtum auf Leben und T o d miteinander verbunden seien. Doch schon bei der Betrachtung der Gemeinden in der vorsynodalen Periode zeigt sich, wie labil diese These ist. Für die Erhaltung des deutschen Charakters einer Gemeinde war die Kirche mit ihren deutschen Gottesdiensten relativ unbedeutend, entscheidend war die Geschlossenheit, in der die Einwanderer angesiedelt wurden und darüber hinaus das Verhältnis zu ihrer Umwelt. Der Schluß liegt also nahe, daß man bis 1848 nicht von einer bewußten Verknüpfung von Kirche und Deutschtum sprechen kann. Wie steht es mit der Epoche von 1848 bis 1864, d.h. bis zur Ankunft von Hermann Borchard und dem Beginn einer stärkeren Pastorierung der Gemeinden mit ausgebildeten Geistlichen? In diesem Zeitabschnitt wurden eine ganze Reihe von neuen Siedlungen gegründet: in Rio Grande do Sul: Santa Cruz 1848, Santo Ängelo 1857, N o v a Petropolis 1859; in Santa Catarina: Blumenau 1859, Brusque 1860, Joinville 1851; in Espirito Santo: Santa Isabel 1847, Santa Leopoldina 1857; in Minas Gerais: Teofilo Otoni 1847, Juiz de Fora 1852 2 6 . Zwar gab es unter diesen Einwanderern, wie wir schon sahen, eine intellektuell gehobenere Schicht 2 7 , aber auch hier kann man nicht feststellen, daß es den Gemeindegliedern um eine bewußte Verbindung von Deutschtum und Kirche gegangen wäre; auch sie lebten in ihren Gebieten als Protestanten ganz isoliert und ihre Siedlungen hatten in dieser Zeit mit denselben Schwierigkeiten zu kämpfen wie die Siedlungen um Säo Leopoldo und in N o v a Friburgo. A b 1848 kam mit den Achtundvierzigern und den Brummern ein neues Element in die deutschen Siedlungen; sie machten sich zwar zu den politischen Führern der Deutschstämmigen, gerieten aber bald mit den evangelischen Gemeinden in heftige Auseinandersetzungen und schlossen sich ihnen deshalb auch nicht an. Ihre Propagierung der Idee des theoretischen Materialismus erschwerte ihre Zusammenarbeit mit den evangelischen Gemeinden. Innerhalb des schon gespaltenen Deutschtums schufen sie eine neue Gruppe 2 8 . In Santa Catarina nahm man sie in den Gemeinden nicht ernst und sagte von ihnen, sie hätten einen „altmodischen" Glauben 2 9 . Ähnliches gilt auch für Espirito Santo 3 0 . Von den Gemeinden, die 26 27 28

Vgl. d a z u o b e n S. 36 f. Vgl. ebd. F . SCHRÖDER, Eigenart, S. 2 3 4 - 2 3 7 .

Vgl. H . RAD LACH, Z u s t ä n d e unserer G e m e i n d e n , S. 93. Vgl. M . URBAN, F ü r s o r g e , S. 124: „ D i e anfangs der fünfziger J a h r e in Espirito Santo eingewanderten sächsischen Fabrikarbeiter dagegen haben mit ihrer politischen freien G e sinnung auch den Geist der O p p o s i t i o n gegen Kirche und Pfarrer in das A d o p t i w a t e r l a n d herübergebracht u n d auf ihre N a c h k o m m e n ü b e r t r a g e n " . Vgl. a u c h M . URBAN, Geschichte, S. 218 f. 29 30

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Einstellung zur Erhaltung des Deutschtums

in dieser Zeit gegründet wurden gilt dasselbe, was schon in bezug auf Nova Friburgo und Säo Leopoldo gesagt wurde. Die Größe der Gemeinde und ihre Umwelt sind ausschlaggebend für den Erhalt des deutschen Charakters der Gemeinden. Aus diesem Grunde sind auch die in Teofilo Otoni und Juiz de Fora gegründeten Gemeinden diejenigen, in denen sich die portugiesische Sprache am schnellsten durchsetzte. Während zu dieser Zeit die in Rio Grande do Sul und Santa Catarina gegründeten Siedlungen weiterhin Zuzug durch Neueinwandernde erhielten, geschah dies in Espirito Santo nicht. Deshalb „verbrasilianerten" die Gemeinden in Espirito Santo nicht - wie man später sagen würde - denn ihre Bewohner hatten wenig Kontakt mit portugiesischsprechenden Menschen. Sie machten also keine Fortschritte in der Landessprache, verloren allmählich aber auch ihre Kenntnisse des Hochdeutschen, zumindest in der zweiten Generation sprach man dann etwa nur noch Plattdeutsch und konnte einen hochdeutschsprechenden Pfarrer nicht mehr verstehen 31 . In den ersten vierzig Jahren der deutschen Einwanderung wurde die Verbindung von Kirche und Deutschtum als etwas gegebenes empfunden. Es war gar nicht nötig zu betonen: deutsch ist gleich evangelisch - wie das später der Fall war. Deshalb trifft die folgende von Gottfried Schlegtendal 1902 gemachte Aussage auch nicht zu: Fehlte „auch den meist vor 1870 eingewanderten Deutschen der bewußte Nationalstolz der jüngeren Generation, so hielten sie doch zäh an der Weise der Väter fest und wehrten sich energisch gegen jeden Versuch der Verbrasilianierung" 32 . Die Gemeinden hatten es nicht nötig, ihre Umgangssprache und Sitten zu verteidigen: Dort wo die Umwelt ihnen überlegen war, paßten sie sich ihr auch an. Änderte sich die Lage in den Gemeinden, nachdem ab 1864 eine intensive Pastorierung von Deutschland begonnen hatte? Erich Fausel sieht in Borchard denjenigen, der dazu berufen war, „die evangelische Kirchengeschichte des Riograndenser Deutschtums und einiger Nachbargebiete zu eröffnen" 3 3 . Den Pastoren war es aber zunächst gar nicht möglich, bei den Gemeinden auf die Erhaltung des Deutschtums hinzuwirken. Es gab wichtigere Aufgaben zu erledigen: die Sammlung der Gemeinden und die Uberwindung der Probleme, die während der langen Zeit entstanden waren, in der ein großer Teil der Gemeinden nicht regelmäßig pastoriert worden war. Zu bedenken ist auch, daß die Pastoren, die ab 1864 nach Brasilien kamen, zunächst Angehörige einzelner unabhängiger Staaten gewesen sind 34 . Vermutlich sind sie aber auch schon mit der Idee eines Deutschen Reiches in Berührung gekommen und haben auch in dieser 31

V g l . A . P A U L Y , D i e n s t e , S. 1 7 4 .

32

Zitiert in: ANSIEDLER 4 0 , 1 9 0 2 , S . 2 8 .

33

Riograndenser Synoden, S. 295. Vgl. unten S. 60f.

34

Gemeinden

61

Weise ihre Gemeinden zu beeinflussen versucht. Eine Reihe von Berichten bezeugt aber, daß erst das Jahr 1871 einen Gesinnungswandel in den Gemeinden hervorrief. Der deutsch-französische Krieg weckte einen bestimmten Enthusiasmus unter den Deutschstämmigen, der wohl auch von den Pastoren mitgetragen wurde 35 . Siegesfeste wurden abgehalten, und jede evangelische Familie spendete im Durchschnitt zwei Milreis für die Invaliden-Stiftung 36 . In den Siedlungen von Santa Cruz in Rio Grande do Sul sammelte man für die Verwundeten und veranstaltete Feiern nach den Siegen von Wörth und Sedan 37 . In Säo Paulo führte die deutsche Reichseinigung zur Gründung einer evangelischen Gemeinde 38 . In der Gesandtschaftsstadt Petröpolis wurde am Tage des Geburtstags des ersten deutschen Kaisers, am 22. März 1871, ein Sieges- und Friedensfest gefeiert 39 . Und doch ergriff die Begeisterung über die deutsche Einheit nicht alle Gemeindeglieder. Man muß bedenken, daß ein großer Teil der Einwanderer z . T . jetzt schon in der dritten Generation, lange vor der Reichsgründung ausgewandert war. Sie kamen aus verschiedenen deutschen Staaten, und waren in erster Linie Bayern, Hessen, Preussen usw. Sie konnten sich von daher nicht als Angehörige einer einheitlichen Nation verstehen, weil sie diese Einheit nicht miterlebt hatten 40 . Daher fehlte ihnen auch „der bewußte Nationalstolz" 4 1 , und auch noch zwanzig Jahre später wurde darüber geklagt, daß die Deutschstämmigen „mehr aus Gewöhnung als nach eigenem Willen, deutsch gewesen" seien 42 . Deutschland lebte in ihrer Erinnerung zwar weiter; dieses Bild der alten Heimat verklärte sich mit der Zeit immer mehr; wie Deutschland in Wirklichkeit aussah, das wußten sie nicht mehr 43 . Bevor wir zu einer Analyse der Pfarrer der einzelnen Gemeinden übergehen, ist es nötig, kurz auf die Gemeindeschulen einzugehen. Es gibt bis heute noch keine umfassende Untersuchung über das Gemeindeschulwesen. Liest man Berichte über das deutsch-brasilianische Schulwesen, die in Deutschland verfaßt wurden und die meistens einem propagandistischen Zweck dienten 44 , so könnte man glauben, diese von den Gemeinden ge35

Vgl. dazu unten S. 72 und F . BÜHLER, D e u t s c h t u m , S. 7.

36

Vgl. ANSIEDLER 1 2 , 1 8 7 4 , S. 172. H i e r wurde bemerkt, daß die deutschstämmigen K a -

tholiken durch ihre jesuitischen Geistlichen meistens v o m Spenden abgehalten wurden und teilweise gehofft hätten, der „ p r e u ß i s c h e K e t z e r k ö n i g " w e r d e den Krieg verlieren (ebd.). 37

Vgl. ANSIEDLER 10, 1 8 7 2 , S. 6 7 .

38

Vgl. W . TESCHENDORF, G e m e i n d e , S. 2 1 3 .

39

Vgl. ANSIEDLER 1 0 , 1 8 7 2 , S. 6 7 . E b d . auch die Schilderung dieser Feier in einem Brief

von Frau P. D r . Borchard. 40

Vgl. T H . BOETTNER, Auslandsgemeinden, S. 150.

41

G . SCHLEGTENDAL, Volksbrüder, S. 4.

42

Vgl. M . DEDEKIND, D e u t s c h t u m und Evangelium, S. 3 7 .

43

W . HEEREN, L e b e n in Brasilien, S. 126.

44

Vgl. z . B . B . GEISSLER, Schule und K i r c h e bei den D e u t s c h e n .

62

Einstellung z u r Erhaltung des D e u t s c h t u m s

gründeten Schulen hätten Erstaunliches zur Erhaltung des Deutschtums geleistet; darüber hinaus gewinnt man den Eindruck, die Gemeinden hätten diese Schulen nur zu diesem Zweck aufgebaut. Sehen wir uns aber Äußerungen aus der vorsynodalen Periode an, so ergibt sich ein völlig anderes Bild. Es ist wohl ein großes Verdienst der Einwanderer, daß sie dafür sorgten, daß ihre Kinder Schulen bekamen. Mit Ausnahme der größeren Städte aber, in denen Schulen entstanden, die im Niveau etwa den deutschen Schulen vergleichbar waren, konnten die Schulen in den ländlichen Gegenden gerade soviel leisten, daß die Kinder nicht Analphabeten blieben. Arthur Pauly, der von 1893 bis 1898 in Espirito Santo tätig gewesen ist, stellte fest, daß die zweite Generation der Einwanderer nur noch mit Mühe das Hochdeutsche verstand 45 . Auch wenn ein Kind zwei oder drei Jahre zur Schule ging, so bedeutete das nicht, daß es regelmäßig unterrichtet wurde 46 . Häufig wurden die Kinder dringend in der nun beginnenden Landwirtschaft benötigt. In der Erntezeit werden die Kinder überhaupt nicht zur Schule gegangen sein, und auch an Regentagen wird der Unterricht ganz ausgefallen sein, denn bei dem langen Schulweg, den die Kinderzurückzulegen hatten, und bei den bestehenden Verkehrsverhältnissen war es bei schlechtem Wetter für sie unmöglich, die Schule zu erreichen 47 . Außerdem waren die Lehrer selbst nur unzureichend ausgebildet, und so kam es oft vor, daß die Kinder kaum lesen und schreiben lernten 48 . Sehr oft kam noch hinzu, daß die Eltern wenig Interesse hatten, die schulischen Verhältnisse zu bessern, denn dann hätten sie mehr Geld dafür ausgeben müssen 49 . Die Berichte aus den ersten Jahren der Riograndenser Synode belegen, daß die schulischen Verhältnisse sehr schlecht waren 50 . So kann man zumindest in der vorsynodalen Periode in den Schulgründungen der Gemeinden keinen Beitrag zur Erhaltung des Deutschtums sehen.

45

Dienste, S. 174.

46

N a c h seiner A n k u n f t in Säo L e o p o l d o im J a h r e 1 8 6 5 stellte H . BORCHARD fest, daß die

meisten Kinder höchstens zwei J a h r e z u r Schule gingen ( D e u t s c h e und deutsch-evangelische Kirche, S. 9 ) . A u c h bis 1903 wird sich die L a g e nicht geändert haben, denn F . PECHMANN, der 1882 nach R i o G r a n d e d o Sul kam, konstatierte n o c h dasselbe (Schulen, S. 5 5 ) . E r bem e r k t e weiterhin, daß die Unterrichtsstunden n o c h durch die Zeit, in denen die Kinder am Konfirmandenunterricht teilnahmen, verringert w u r d e n . 47

Vgl. die Darstellung v o n W . KLEINGÜNTHER, der k u r z nach B o r c h a r d nach R i o G r a n d e

d o Sul g e k o m m e n w a r (Ein Pfarrer berichtet, S. 6 7 ) . 48

Vgl. ebd.

49

Vgl. ANSIEDLER 2 2 , 1 8 8 4 , S. 9 4 .

50

A u f der Synodalversammlung in B o m J a r d i m 1 8 9 6 w u r d e z . B . festgestellt, daß das

D e u t s c h t u m aufgrund der schlechten schulischen Verhältnisse v o n Generation zu G e n e r a tion mehr v e r k o m m e (ANSIEDLER 3 4 , 1 8 9 6 , S. 7 9 ; vgl. auch F . PECHMANN, Schulen, S. 5 2 ) .

Pfarrer

3. Die

63

Pfarrer

Es ist schwierig, Genaueres über die Stellung der Pfarrer zum Deutschtum, zum deutschen Charakter und über ihre Gemeinden in den ersten 40 Jahren der Geschichte der evangelischen Kirche in Brasilien zu sagen. Es gibt dafür keine Belege. Sieht man sich aber die Gemeinden und die Nachrichten, die über deren Pfarrer erhalten sind, an, so könnte man daraus schließen, daß ihr Verhältnis zum Deutschtum durch keinerlei Ideologie belastet war. Die ersten Geistlichen wurden vom brasilianischen Kaiserreich angestellt und besoldet. Dies trifft auf Friedrich Oswald Sauerbronn, der die ersten evangelischen Einwanderer nach Nova Friburgo begleitete, auf Johann Georg Ehlers und auf Carl Leopold Voges zu, die 1824 bzw. 1825 nach Säo Leopoldo gekommen waren. 1825 kam noch Friedrich Christian Klingelhöfer hinzu, der zunächst aber kein Pfarramt übernahm. Später wurde auch er von der brasilianischen Regierung angestellt und bezahlt. Die Ausbildung dieser vier ersten Geistlichen war sehr unterschiedlich 51 . Sauerbronn wurde am 29. Februar 1772 in Hilsbach/Baden geboren, hatte von 1799 bis 1802 in Heidelberg Theologie studiert und war seit dem 4. April 1803 Pfarrer in Kirnbecherbach, Oberamt Meissenheim in Hessen-Homburg gewesen. 1823 ließ er sich vom Agenten des brasilianischen Kaiserreichs, Major Schaeffer, überreden, mit seinen Gemeindemitgliedern nach Brasilien auszuwandern. Da die Sauerbronn gemachten Versprechungen nicht eingehalten wurden, war er gezwungen, in großer Armut und Not seinen Dienst unter den Evangelischen in Nova Friburgo zu versehen 52 . Bis zu seinem Tode, 1864, übte er sein Amt in Nova Friburgo aus. Zwölf Jahre nach Sauerbronns Tod, 1876, war die Assimilierung der Gemeinden so weit fortgeschritten, daß Gottesdienste in portugiesischer Sprache eingeführt werden mußten. Die Kinder von Sauerbronns Nachfolger sprachen schon kaum mehr deutsch 53 . Es gibt keinen Anhaltspunkt, daß Sauerbronn während seiner Amtszeit diesem Prozeß entgegengewirkt hätte 54 . 51

D i e Vorbildung dieser ersten Geistlichen soll ausführlich behandelt werden, denn sie

ist in diesem Z u s a m m e n h a n g v o n besonderer Wichtigkeit. W i e n o c h zu zeigen ist, leitete sich aus der Vorbildung des Pfarrers zumeist auch seine Stellung zur Problematik v o n K i r c h e und D e u t s c h t u m ab. D i e sog. „ A k a d e m i k e r " traten viel stärker für die E r h a l t u n g des D e u t s c h tums ein als die „ S e m i n a r i s t e n " . E i n W a n d e l vollzog sich erst in den dreißiger J a h r e n des 2 0 . J a h r h u n d e r t s bei den Absolventen des Ilsenburger Seminars. 52

E r s c h ü t t e r n d ist der Bericht v o n T H . KADLETZ ü b e r Sauerbronn (Besoldung). Z u Sau-

erbronn vgl. auch ST. KAUL, G e m e i n d e , S. 1 6 2 - 1 6 9 . 53

Vgl. o b e n S. 6 2 .

54

O b w o h l er sich früher viel v o n der deutschen R e i c h s g r ü n d u n g erhofft hatte! In einer

Predigt, gehalten in Kirnbecherbach am 15. 8. 1 8 1 1 , am N a p o l e o n s t a g , wünschte er, daß „ G e r m a n i e n s hundert S t ä m m e endlich einmal z u s a m m e n w a c h s e n zu einem organischen, lebendig gegliederten K ö r p e r . N i c h t mehr wird alsdann die R e d e sein v o n Sachsen und B a y -

64

Einstellung zur Erhaltung des Deutschtums

Eine ganz andere Ausbildung hatten Ehlers und Voges. Ehlers wurde in Lüdersen in der Provinz Hannover am 22. August 1779 geboren. Nach einer Nachricht aus dem Jahre 1925 ss war er später Lehrer von Johann Hinrich Wichern; an St. Jacobi in Hamburg war Ehlers Oberküster 56 . Ferdinand Schröder 57 vermutet, daß Ehlers in Hamburg ordiniert worden sei, um anschließend als Pfarrer nach Säo Leopoldo zu gehen. Borchard, der 1864 nach Säo Leopoldo kam, berichtete über ihn: „Der erste Geistliche war ein Mann, von dem die Leute sagen, er konnte tüchtig reden, war aber zu Allem fähig; er konnte sich zuletzt nicht mehr halten und ließ sich .umtaufen', d.h. er wurde katholisch'." 58 In Säo Leopoldo blieb er bis 1842, 1845 war er in Rio de Janeiro und nannte sich dort Doktor phil. 59 . Welche Haltung er in der Frage des Verhältnisses von Kirche und Deutschtum einnahm, ist nicht bekannt. Da die Bewohner der Kolonie Säo Leopoldo überwiegend Deutsche waren, wird dieses Problem für ihn auch keine besondere Bedeutung gehabt haben. Auch Voges konnte keine vollständige theologische Ausbildung vorweisen. Er ist vermutlich 1797 in Friedberg bei Hildesheim geboren. Einer späteren Quelle zufolge 60 soll er sich vor seiner Auswanderung nach Brasilien in Deutschland kurze Zeit in einem katholischen Priesterseminar aufgehalten haben. Nach seiner Ankunft in Säo Leopoldo ging er mit einer Gruppe von Kolonisten nach Tres Forquilhas, wo er bis 1892 tätig war. Im Trauregister seiner Gemeinde unterzeichnete er sich als „sacristäo", d.h. als „Küster" 6 1 . Den Aufgaben in seiner Gemeinde war er nicht gewachsen. Während seiner bis 1890 dauernden Amtszeit - er starb 1892 widmete er sich hauptsächlich geschäftlichen Unternehmungen. Seine Tätigkeit als Pfarrer bestand darin, daß er bei Amtshandlungen Formulare vorlas; bei den Gottesdiensten wurden Predigten der „alten Rationalisten" vorgetragen, wenn die Gemeinde dabei etwas unruhig wurde, überschlug er einzelne Seiten, um abzukürzen 62 . Das geistige Leben der Gemeinde verkümmerte dabei natürlich. Bei Voges' Amtsführung war es ern, Schwaben und Franken, sondern ein jeder wird sich zu ehren streben mit dem Namen des Deutschen. Nicht länger werden wir dann uns nennen nach dem Luther, dem Zwingli oder dem römischen Bischof, sondern sämtlich werden wir Katholiken sein in des Wortes ältestem und echtem Sinne. Nein, du wirst nicht untergehen deutsche Nation, du wirst nicht untergehen, Heimat des Hermann und des Wittekind, Vaterland eines Luther und Dürer, Leibniz und Kant! Nein, es ist nicht im Plane des Weltgeistes, daß die deutsche Nation ausgetilgt werde aus der Reihe der Menschheitsfamilien" (Rede am Napoleonstage, S. 59). 55

DEUTSCHE EVANGELISCHE BLÄTTER FÜR BRASILIEN 1 9 2 5 , S .

56

F. SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg, S. 55. Ebd. Ebd., S. 30. Ebd., S. 55f.

57 58 59 60

G . SCHLEGTENDAL, V o l k s b r ü d e r , S. 9.

61

V g l . H U N D E R T JAHRE D E U T S C H T U M , S . 4 6 7 .

62

G . SCHLEGTENDAL, V o l k s b r ü d e r , S. 9.

115.

Pfarrer

65

nicht zu erwarten, daß er sich für die Erhaltung des Deutschtums in seiner Gemeinde besonders eingesetzt hätte. Seine Nachfolger hielten auch bald Gottesdienste in portugiesischer Sprache 63 . Friedrich Christian Klingelhöfer war der erste akademisch gebildete Geistliche in Rio Grande do Sul. Bemerkenswert ist aber, daß er 1825 nicht als Pfarrer, sondern als Kolonist nach Säo Leopoldo kam. Er wurde 1784 in Battenberg/Hessen geboren, war von 1808 bis 1819 Pfarrer in Buchenau und von 1819 bis 1825 in Bobenhausen. In der Kolonie Säo Leopoldo wurde er bald Pfarrer in Campo Bom, wo er die erste evangelische Kirche errichtete. Klingelhöfer starb in den Wirren der Revolufäo Farroupilha im Jahre 1838, als er gegen die kaiserlichen Truppen kämpfte 64 . Diese Tatsache scheint für seine Beurteilung bedeutsam, denn sicherlich hatte er sich mit diesem Engagement in Gegensatz zu seinen Gemeindegliedern gebracht, die sich ja treu zum Kaiserreich hielten 65 . Auch von Klingelhöfer ist nichts darüber bekannt, daß er sich für die Erhaltung des Deutschtums eingesetzt hätte. In seiner Gemeinde, die im Bereich der Kolonie Säo Leopoldo lag, war dies auch nicht nötig. Bis 1848 traten auch die anderen vier eingewanderten und theologisch ausgebildeten Geistlichen nicht als Vorkämpfer eines radikalen Deutschtums auf. Diese vier eingewanderten Geistlichen waren zunächst Klenze, der von 1843 bis 1861 in Säo Leopoldo amtierte 66 . Als erster trug er auch den von der Provinzialregierung verliehenen Titel „Pastor primarius" 67 . Tschudi nennt ihn „Superintendenten" 68 . 1845 kam Johann Peter Christian Haesbert in die Kolonie Säo Leopoldo und übernahm das Pfarramt in Hamburger Berg, heute Hamburgo Velho. Geboren wurde er in Cleve am 6. September 1807; er ging als junger Mann nach USA, studierte dort im lutherischen Seminar in Gettysburg Theologie und wurde Pfarrer des lutherischen Ministeriums von Pennsylvania in Baltimore 69 . Drei Jahre später kam Otto Heinrich Theodor Recke, geboren 1804 in Pritzwalk, und übernahm Campo Bom. Er scheint Theologie studiert zu haben und auch ordiniert worden zu sein 70 . Er selbst bezeichnete sich als „Pfarrer, Doktor und Magister, Docenten, Mitglied mehrerer gelehrter Gesellschaften

Vgl. oben S. 63. L . TELLES, Klingelhöffer, S. 16. 6 5 J. J . VON TSCHUDI, Reisen IV, S. 22. 6 6 Das Urteil über seine Person fällt sehr verschieden aus: negativ beurteilt ihn F . SCHRÖDER (Brasilien und Wittenberg, S. 61), positiv J. J. VON TSCHUDI (Reisen IV, S. 18). 63 54

6 7 Zur Entstehung des Titels vgl. J. ROCHE, L ' Administration, S. 71; F . SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg, S. 195f.

Reisen IV, S. 18. Zu Haesbert vgl. J. FISCHER, Geschichte, S. 9 7 ; F . SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg, S. 75ff.; Ε . TH. BACHMANN, Lutherans, S. 39, 4 2 ; M. SCHMIDT, W o r t Gottes, S. 58. 7 0 Vgl. F . SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg, S. 74. 68

69

5

Dreher, Brasilien

66

Einstellung zur Erhaltung des Deutschtums

Deutschlands" 71 . Er blieb bis 1867. In die 1845 gegründete Kolonie Petropolis kam noch Lippold als weiterer ordinierter Geistlicher72. Haesbert gehörte zu denen, die 1886, als Borchard die von ihm gegründete Synode an die Preußische Landeskirche anschließen wollte, sich mit der Begründung, Preußen habe den „Bruderkrieg" geführt, dagegen wenden sollte73. In den ersten 24 Jahren der evangelischen Gemeinden in Brasilien war auch für die Pfarrer die Verbindung von Kirche und Deutschtum nur eine historisch gegebene. Eine bestimmte Akzentverschiebung entstand erst in der zweiten bedeutenderen Phase des kirchlichen Lebens von 1848 bis 1864. Diese Veränderung betraf aber nur die außerhalb von Rio Grande do Sul neu entstehenden Kolonien. Denn nach Rio Grande do Sul kam in dieser Zeit kein einziger theologisch ausgebildeter Pfarrer hinzu; ihre Zahl ging insgesamt sogar zurück 74 .1861 gab es in Rio Grande do Sul einen einzigen Geistlichen, von dem man weiß, daß er Theologie studiert hatte, nämlich Haesbert. So entwickelte sich in Rio Grande do Sul das sogenannte Pseudopfarrertum 75 . Zwei Jahre nachdem er nach Säo Leopoldo gekommen war, beschrieb Borchard diese Pfarrer: „Die übrigen Geistlichen sind ohne Ubertreibung: der eine ein fortgejagter Schulmeister aus Deutschland, der als Trinker und Spieler berüchtigt ist; der Andere ein durchgegangener Unteroffizier aus Preußen; dem im Trinken kein Anderer gleichkommt! Der dritte ein Bierwirth aus Porto Alegre, der dort mehrfach banquerott machte, und, da er seinen Lebensunterhalt nicht anders finden konnte, Pastor wurde; der vierte ein übel berüchtigtes Subjekt, das weder lesen noch schreiben kann. Ein anderer, der nicht gerade zu den schlechtesten gehörte, war Bedienter bei einem Grafen, ein anderer Gehilfe bei einem Feldmesser, und wieder ein Anderer, nicht weit von hier entfernt, war bisher seiner Profession nach ein Schneider; derartige Pastoren mögen zwölf bis vierzehn in unserer Provinz herumlaufen." 76 Auch hier wird klar, daß in Rio Grande do Sul trotz des Zuzuges der sogenannten Brummer 77 die Verbindung von Kirche und Deutschtum nur zufällig war. Wie sah es aber mit den Pfarrern in den neu entstandenen Kolonien aus? Ihre Zahl war unbedeutend; wir finden zunächst vier Pfarrer in Santa Catarina. Einer davon ging nach einigen Monaten nach Petropolis in der Provinz Rio de Janeiro. Somit mußten alle Kolonisten in diesem Gebiet von drei Pfarrern versorgt werden. Der erste Geistliche, cand. theol. Hofmann, kam 1851 mit den Einwanderern, die in Joinville angesiedelt 71 72 73 74 75 76

Ebd. Zu Lippold vgl. ebd., S. 324. Vgl. E. FAUSEL, Riograndenser Synoden, S. 299. Klingelhöfer starb 1838, Klenze 1861. Vgl. o b e n S . 53. Deutsche und deutsch-evangelische Kirche, S. 30. Vgl. auch B. STYSINSKI, Pseudopfar-

rer. 77

Vgl. o b e n S . 40f.

Pfarrer

67

werden sollten. Hofmann ging schon 1853 nach Petropolis, wo er bis 1859 Pfarrer war. Sein Nachfolger Holzel arbeitete zunächst von 1845 bis 1858 in Joinville, kehrte 1863 nach Petropolis zurück und blieb bis 1866 dort. Er war vom Hanseatischen Kolonisationsverein dorthin gesandt worden 78 . Die nach den Wirren des Jahres 1848 ausgewanderten Intellektuellen wollten in der neuen Heimat gerne „Deutschland en miniature spielen" 7 9 . Ob sich Holzel diesen Bestrebungen angeschlossen hat, das bleibt fraglich 80 . Tatsache ist, daß sich das Deutschtum der Einwanderer im Gebiet in und um Joinville aus denselben Gründen wie in Säo Leopoldo erhielt. Hier wie dort geschah dies, wie es scheint, ohne Zutun der Pfarrer. Die geschlossene Ansiedlung ist ebenfalls ein entscheidender Faktor für die Erhaltung des Deutschtums in der 1850 gegründeten Kolonie Blumenau. Als sechs Jahre nach Gründung der Kolonie Pfarrer Oswald Hesse dorthin kam, deutete nichts darauf hin, daß das Deutschtum seiner Gemeinde bedroht gewesen wäre 81 . Hesse scheint sich darüber auch keine Sorgen gemacht zu haben. Seine Predigten kennzeichnen ihn „als einen typischen Vertreter der konservativen Aufklärungstheologie" 82 . Auch Pfarrer Karl Wagner, der von 1861 bis 1864 in Santa Catarina tätig war, kümmerte sich nicht besonders um die Erhaltung des Deutschtums seiner Gemeinde. Er betreute die Evangelischen in den Kolonien Santa Isabel und Teresopolis, die 1847 bzw. 1860 gegründet worden waren 83 . Wagner war vom Basler Missionskomite ausgesandt worden, er gründete mit Hilfe des Stuttgarter Gustav-Adolf-Vereins eine Konfirmandenanstalt für Santa Isabel und Teresopolis 84 . Nachdem die Evangelischen der Kolonie Santa Isabel seit ihrer Gründung ohne Seelsorger gewesen waren, bestand seine vorrangige Aufgabe zunächst darin, seine Gemeinde zu sammeln und zu rüsten. Die Geistlichen, die in dieser Zeit nach Mittelbrasilien gekommen waren, sahen sich mit großen Schwierigkeiten konfrontiert. In der Regel waren die Gemeinden weit zerstreut, große Entfernungen waren also zu bewältigen. Erschwerend kam hinzu, daß diese Pfarrer die ersten Geistlichen in den Gemeinden waren, die seit der Entstehung der Kolonie keine oder nur eine sehr sporadische Betreuung genossen hatten. In Minas Gerais waren 1847 bzw. 1852 die Kolonien Teofilo Otoni und Juiz de Fora gegründet worden. Erst 1862 kam Johann Leonhard Hollerbach nach Teofilo Otoni und im selben Jahr begann der Pfarrer von Pe78

Vgl. F. SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg, S. 284.

79

V g l . e b d . , S. 2 8 0 ; Κ . H . OBERACKER, K o s e r i t z , S . 71.

Vgl. Hölzeis Briefe aus den Jahren 1863/64 in: A. BILLROTH, Evangelist, S. 290-301. 8 1 Oswald Hesse, geb. 1. 8. 1820 in Reinswalde/Sorau, stud, theol. in Breslau, 1850-56 Pfr. in Wreschen/Posen, 1856 Pfr. an der Kolonie Blumenau. - Vgl. M. FLOS, Väter, S. 36. 8 2 Ebd., S. 50. Hesses Predigten wurden von M. FLOS in Auszügen veröffentlicht (ebd., 80

S. 4 2 - 5 9 ) . 83 84

Vgl. F. SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg, S. 254 f. Vgl. ebd.; vgl. auch seinen Brief bei A. BILLROTH, Evangelist, S. 305-308.

Einstellung zur Erhaltung des Deutschtums

68

tropolis, Juiz de Fora manchmal aufzusuchen 85 . In Espirito Santo waren 1847 bzw. 1857 die Kolonien Santa Izabel und Santa Leopoldina gegründet worden, aber erst 1857 kam der erste Pfarrer nach Santa Izabel. Er starb nach kurzer Zeit, wie auch sein 1858 angekommener Nachfolger. Erst von 1860 bis 1867 wurden die Gemeinden regelmäßig von Pfarrer Eger betreut, der vom Evangelischen Oberkirchenrat in Berlin ausgesandt worden war. In der Provinz Rio de Janeiro war es nach der Gründung von Nova Friburgo 1845 zur Gründung der Kolonie Petropolis gekommen. 1846 konnte der Pfarrer der Hauptstadt Rio de Janeiro in Petropolis den ersten Gottesdienst halten. Im gleichen Jahre erhielt die Gemeinde ihren ersten Geistlichen, Lippold, der 1851 starb. Erst 1853 bekam sie in Hofmann, der uns in Joinville begegnete, ihren zweiten Geistlichen, er blieb bis 1859; 1862 kam dann Ströle aus Basel. In Petropolis war also die Versorgung der Gemeinden mit Pfarrern besser als in den anderen Kolonien, aber auch hier entstanden längere Vakanzen 86 . Mit Ausnahme von Rio de Janeiro wurden also in der Zeit von 1848 bis 1864 sechs Geistliche nach Mittelbrasilien ausgesandt. Nachdem zwei davon bereits wenige Monate nach ihrer Ankunft starben, blieben nur noch vier Geistliche übrig, von denen zwei in der gleichen Gemeinde, Petropolis, tätig gewesen sind. In den Gemeinden in Minas Gerais und in Petropolis ist eine schnell fortschreitende Assimilierung zu beobachten. Sie kam in Espirito Santo dagegen aus verschiedenen Gründen nicht zustande. Hier hatten die eingewanderten Deutschen kaum Kontakt mit ihrer portugiesisch sprechenden Umwelt; da sie zahlenmäßig ein Ubergewicht hatten, suchten sie vermutlich diesen Kontakt auch gar nicht. Besondere Aufmerksamkeit verdient die Tätigkeit von Johann Leonhard Hollerbach. Neben der Betreuung seiner Gemeinde unternahm er längere Diasporareisen, die ihn bis in den Nordosten Brasiliens führten 87 . Bei diesen Reisen predigte Hollerbach in deutsch, französisch und portugiesisch. Von den 35 Predigten, die er 1887 hielt, waren zehn in deutscher, vier in französischer und 21 in portugiesischer Sprache. Schon früher, 1884, berichtete er von Predigten in portugiesischer Sprache 88 . Dies ist insofern bedeutsam, als in späteren Jahren einzelne Pfarrer auftreten sollten, die sich weigerten, Gottesdienst und Amtshandlungen in einer anderen als der deutschen Sprache zu vollziehen. Dabei machte sich Hollerbach Vgl. F. SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg, S. 338-341. Johann Leonhard Hollerbach, geb. 9. 10. 1835 in Wertheim, gest. 1902. 8 6 In dieser Zeit war Sauerbronn noch Geistlicher von Nova Friburgo (vgl. oben S. 63); zu der Gemeinde Rio de Janeiro vgl. unten S. 74. Gottlieb Ströle, geb. 19. 2. 1834 in Oberlenningen/Württ., gest. 1899, 1862 von Basel nach Brasilien ausgesandt, 1862-1866 Pfr. in Petropolis. 8 7 Vgl. Predigtreise; Briefe. 85

88

B r i e f in ANSIEDLER 2 2 , 1 8 8 4 , S. 9 2 .

Pfarrer

69

durchaus Sorgen um das Fortbestehen der deutschen Sprache unter seinen Gemeindegliedern 89 . Seine Tätigkeit ist aber ein Beweis dafür, wie wenig ihm an einer Verknüpfung von Kirche und Deutschtum um jeden Preis lag 90 . Nicht behandelt wurde bisher die Tätigkeit der Pfarrer in Rio de Janeiro, der Hauptstadt des Kaiserreiches. Diese Gemeinde und ihre Pfarrer nahmen innerhalb der deutschstämmigen Gemeinden in Brasilien eine Sonderstellung ein; ihre Gemeindeglieder waren zumeist Kaufleute und Vertreter, die nur für eine begrenzte Zeit nach Brasilien gekommen waren 91 . Erst im Lauf der Zeit bildete sich eine bodenständige Gemeinde. Diese wenig repräsentative Gemeindestruktur brachte eine Bindung der Gemeinde an den Hilfsverein und die Gesellschaft Germania mit sich. In dieser Beziehung war Rio de Janeiro die einzige Gemeinde, in der von Anfang an eine bewußt engere Verbindung von Kirche und Deutschtum festzustellen ist 92 . Noch im vorigen Jahrzehnt kam ihre Sonderstellung auch in ihrem Namen, Deutsche Evangelische Gemeinde, und in der Tatsache, daß sie im Gegensatz zu den übrigen Gemeinden keine eingetragene brasilianische religiöse Vereinigung war, zum Ausdruck 93 . Die Stellung der Pfarrer in dieser Gemeinde war so auch besonders problematisch 94 . Trotz der in Santa Catarina beobachteten regeren Tätigkeit unter den Deutschstämmigen läßt sich also für die Pastoren in der Zeit von 1848 bis 1864 kein Nachweis erbringen, daß sie sich besonders für eine Verknüpfung von Kirche und Deutschtum eingesetzt hätten. Das Jahr 1864 bedeutete in dieser Hinsicht eine Zäsur: waren in den ersten 40 Jahren nur 18 theologisch gebildete Geistliche in den Gemeinden tätig gewesen, so erhöhte sich die Zahl in den Jahren von 1864 bis 1886 bereits auf 59 95 . Dieser sprunghafte Anstieg hängt eng mit der Tätigkeit des schweizerischen Gesandten von Tschudi 96 und der Aussendung von Bor8 9 Vgl. F. SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg, S. 340. Einen Beleg dafür gibt es aus dem Jahre 1899. 9 0 Weitere Briefe von Hollerbach bei A . BILLROTH, Evangelist, S. 264-282. 9 1 Zur Geschichte der Gemeinde vgl. F . SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg, S. 320-324. E b d . auch weitere Literatur. 9 2 Die Gemeinde nannte sich zunächst eine deutsch-französische (vgl. ebd., S. 321). Die von P. Schmidt zwischen 1855 und 1861 formulierten Statuten der Gemeinde besagen aber in Kapitel II, § 3: „ D i e der deutschen Sprache nicht mächtigen Mitglieder der Kirchengemeinde verzichten auf alle Verwaltungsrechte" und in § 4: „ A l l e volljährigen, männlichen, der deutschen Sprache mächtigen Gemeindemitglieder haben das Recht, in den Gemeindeversammlungen mitzubeschließen . . . " (vgl. A . BILLROTH, Evangelist, S. 95).

Vgl. M. BEGRICH, Kirchengeschichte Brasiliens, S. 34. Vgl. dazu A . BILLROTH, Evangelist. 9 5 Auf die einzelnen Jahrgänge verteilt haben wir folgende Zahlen: 1864:6; 1865:2; 1866: 3;1867:5;1868:2;1869:0;1870:3;1871:5;1872:4;1873:4;1874:6;1875:2;1876:1;1877: 1; 1878: 0; 1879:1; 1880:1; 1881: 0; 1882: 3; 1883: 4; 1884: 0; 1885:1; 1886: 5 (vgl. M. DEDEKIND, Verzeichnis der Pfarrer). 96 Angaben vgl. ebd. Von 1865-1886 wurden von Basel mindestens sieben Missionare nach Brasilien ausgesandt. 93 94

70

Einstellung zur Erhaltung des Deutschtums

chard zusammen. Noch vor seiner Reise nach Brasilien nahm Borchard mit dem Inspektor der Rheinischen Missionsgesellschaft, Friedrich Fabri, Kontakt auf und veranlaßte ihn, ein Comite zur Unterstützung seiner Arbeit zu gründen 97 . Durch die Arbeit des Comites wurde es möglich, in den Jahren von 1865 bis 1886 19 in Barmen ausgebildete Missionare nach Brasilien zu schicken, darüber hinaus sollte noch eine Reihe anderer, akademisch ausgebildeter Theologen durch das Comite ausgesandt werden. Das größte Problem, mit dem sich nun die Geistlichen auseinanderzusetzen hatten, war die Aktivierung des kirchlichen Lebens innerhalb der deutschstämmigen Siedlungen. In der langen Zeit, in der die Gemeinden ohne geistliche Betreuung gewesen waren, war das kirchliche Leben verarmt 98 . So mußten die Pfarrer zunächst versuchen, das Vertrauen ihrer Gemeinden zu gewinnen, um überhaupt einflußreich sein zu können 99 . Erschwerend kam hinzu, daß die akademisch gebildeten Geistlichen zumeist nur sechs Jahre im Lande blieben; da sie in dieser Zeit auch noch einoder zweimal die Gemeinde wechselten 100 , konnte von kontinuierlicher Arbeit natürlich nicht die Rede sein 101 . Kontinuierlicher war dagegen die Arbeit der seminaristisch ausgebildeten Geistlichen, die aus Barmen oder Basel kamen. Sie mußten für immer im Auslandsdienst bleiben und hatten keinerlei Aussicht auf eine Anstellung in Deutschland. Aber auch bei ihnen ist eine starke Mobilität festzustellen 102 . Der häufige Pfarrerwechsel verhinderte nicht nur eine beständige Seelsorge in den Gemeinden, er erschwerte auch eine lückenlose Arbeit, die das Deutschtum in diesen Gemeinden gefördert hätte. Interesse an dessen Erhaltung war aber in dieser dritten Phase der vorsynodalen Periode zum ersten Mal zu merken. Deutlich wird dies an Persönlichkeiten wie Her9 7 Friedrich Fabri, geb. 12. 6. 1824 in Schweinfurt, gest. 18. 7. 1891 in Würzburg, 1848 Stadtvikar in Würzburg, 1851 Pfr. in Bonnland bei Würzburg, 1857-1884 im Dienst der Rheinischen Mission. Zu Fabri vgl. E . SACHSSE, Fabri; G . BESIER, Kirchenpolitisches Denken; W . SCHMIDT, Mission; K . BADE, Fabri. 9 8 1866 schrieb Pfarrer Kleingünther über seine Gemeinde in Porto Alegre: „Vom Christentum ist hier kaum die Rede. Ich mag predigen, was ich will, sagen die Leute, wir glauben es doch nicht, denn fast die halbe Gemeinde bekennt es offen: wir glauben an keinen G o t t und an keinen Teufel, dazu sind sie, wie sie meinen, viel zu gebildet: wir kommen auch ohne das durch die Welt und nachher ist alles aus", oder: „ N a , es ist ganz schön, wenn Sie als Pfarrer das alles glauben, aber bilden Sie sich doch nicht ein, diesen Glauben auch uns aufdrängen zu können (zitiert nach R . BECKER, Siedler, S. 59). 9 9 Vgl. ζ. Β . Borchards Brief vom 26. 7. 1864 an den Preußischen Gesandten von Eichmann in R i o de Janeiro (SRS 51, N r . 6 vom 7. 2. 1937, S. 2 - 3 ) . 1 0 0 So gab es ζ. B . in einer Gemeinde in Espirito Santo in 14 Jahren nur 8 Jahre ohne Pfarrerwechsel! (Vgl. H . GRIMM, Pommerngemeinde, S. 3 ; vgl. auch A. KRIEG, Altpreußische U n i o n , S. 131). 1 0 1 Vgl. R . WELLMANN, Auslandspfarrer, S. 5 6 f . 102

Vgl. dazu M . DEDEKIND, Verzeichnis der Pfarrer.

Pfarrer

71

mann Borchard und besonders an Wilhelm Rotermund, aber auch an einzelnen Zöglingen des Barmer Missionshauses, die Schüler Friedrich Fabris gewesen waren 103 . Borchard ist anscheinend der erste unter den Pastoren, der von der Zukunft der „deutschen Nationalität" in Brasilien träumt 104 . Von der Gründung einer deutschen Gesellschaft in Rio Grande do Sul erhoffte er sich eine Stärkung der deutschen Nationalität. Dadurch sollte die Einwanderung gefördert und der Strom der Auswanderer nach Rio Grande gelenkt werden. Für Borchard war Brasilien, speziell Rio Grande do Sul, das Land, das die besten Voraussetzungen bot, die „deutsche Nationalität" zu erhalten: „Denn während die Deutschen in Nordamerika sich schnell mit der anglo-sächsischen Rasse amalgamieren, hat sich die deutsche Nationalität hier seit vierzig Jahren unvermischt erhalten, und wird sich bei der Verschiedenheit des deutschen und portugiesischen Charakters auch fernerhin unvermischt erhalten." 105 Borchards größtes Verdienst liegt darin, daß er 1868 den ersten Versuch zur Gründung einer Synode unternahm 106 . Diese erste Synode, die nur wenige Wochen währte, gab sich den Namen „Deutsche Evangelische Synode der Provinz Rio Grande do Sul". Erich Fausel meint, Borchards Synode hätte „bewußt auf dem Boden von Volkstum und Kirche [gestanden], wenn wohl auch mehr die natürliche Lage der deutschen evangelischen Gemeinden und nicht eine tiefgreifende Überlegung zu diesem Titel geführt hatte" 1 0 7 . Fausels Nachsatz zeigt aber schon, wie wenig begründet seine These ist. Tatsächlich gibt es keinen Anhaltspunkt für eine solche Behauptung. Im Gegenteil, daß Borchards Versuch, die Synode an die Preußische Landeskirche anzuschließen, scheiterte, ist weniger auf völkische Gründe zurückzuführen, sondern viel mehr auf mangelnde moralische und vielleicht auch finanzielle Unterstützung durch seine Synode 1 0 8 . Schließlich waren sowohl bei den Gemeinden als auch bei den Pastoren, die nicht aus Preußen stammten, noch immer starke politische Ressentiments vorhanden gewesen 109 . Auch der Ev. Oberkirchenrat zeigte sich bei den Verhandlungen nicht gerade von völkischen Idealen beseelt. Z u R o t e r m u n d vgl. unten S. 84 ff. und E . FAUSEL, R o t e r m u n d . Vgl. A n m . 99. 1 0 5 E b d . vgl. auch Borchards Bericht an F a b r i , abgedruckt im Flugblatt „ D i e Mission unter den evangelischen D e u t s c h e n in Südbrasilien, B a r m e n J a n u a r 1 8 6 5 " ( A E G FRANKFURT, Flugblätter). B o r c h a r d macht diese A u s s a g e n aus eigener E r f a h r u n g , denn vor seiner A u s sendung nach Brasilien war er von 1854 bis 1861 Pfarrer in U S A gewesen. Vgl. Pastor D r . ph. H e r m a n n B o r c h a r d , L e b e n s s k i z z e eines Pioniers der süd- und nordamerikanischen D i a s p o r a (ANSIEDLER 29, 1891, S. 89-92). 103 104

106 107 108 109

Vgl. d a z u U . HEES, Kirchenbildung. Riograndenser S y n o d e n , S. 300. Vgl. U . HEES, Kirchenbildung, S. 58; ANSIEDLER 10, 1872, S. 86. Vgl. U . HEES, Kirchenbildung, S. 67.

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Einstellung zur Erhaltung des Deutschtums

Mit der Reichsgründung 1871 tauchte bei den Pastoren das auf, was schon unbewußt vorhanden gewesen war: der Nationalstolz. Der Sieg im deutsch-französischen Krieg wurde jetzt sogar in Gottesdiensten gefeiert 110 . Wie bei den Gemeinden, so wurde auch bei den Pastoren mit dem Jahr 1871 die Pflege des Deutschtums bewußt aufgenommen. Von nun an wurde der Geburtstag des deutschen Kaisers mit Festgottesdiensten begangen 111 . Die gewandelte Haltung der Pfarrer kam erst in der synodalen Periode vollends zum Durchbruch. Vorher hatte ihnen auch eine gemeinsame Organisation gefehlt, in der sie für die Erhaltung des Deutschtums hätten wirken können. Zusammenfassend läßt sich über die vorsynodale Phase sagen, daß in dieser Zeit die Verbindung von Kirche und Deutschtum nur zufällig gewesen ist, sowohl für die Gemeinden als auch für die Pastoren. Erst die Reichsgründung initiierte ein deutsches Nationalbewußtsein bei den Gemeinden und Pastoren; die Ideen der Achtundvierziger hinterließen dagegen bei ihnen keinen Eindruck. Erst in der dritten Phase der vorsynodalen Periode traten eine Reihe von Organisationen und Gesellschaften auf, die sich um die evangelischen Gemeinden deutschen Ursprungs in Brasilien zu kümmern begannen. Ihre Haltung zu dem Problem von Kirche und Deutschtum war aber unterschiedlich.

110 1,1

Z . B . in Joinville (vgl. F. WÜSTNER, Kirchengemeinde Joinville, S. 21 f.). Vgl. R. BECKER, Siedler, S. 67.

Kapitel 5 DEUTSCHE KIRCHLICHE VEREINE U N D GESELLSCHAFTEN U N D IHRE EINSTELLUNG ZUR E R H A L T U N G DES DEUTSCHTUMS

U m die kirchliche Arbeit unter den Deutschstämmigen in Brasilien weiter auszubauen, war es nötig, den Pastoren, die nach Brasilien kamen, sowohl in geistlicher als auch in finanzieller Hinsicht größere Unterstützung zu gewähren. Dies konnte nur dann erreicht werden, wenn sich Gesellschaften und Vereinigungen der auswandernden Pastoren annahmen, oder wenn sich Vereine und Gesellschaften bildeten, die eine wirksame Pastorierung in Brasilien ermöglichten. Es soll hier keine vollständige Untersuchung über die Tätigkeit dieser Gesellschaften, die zum Aufbau der brasilianischen Gemeinden und Synoden beigetragen haben, vorgelegt werden, sondern lediglich eine skizzenhafte Darstellung gegeben werden, wobei eine Gesellschaft, der besondere Bedeutung zukommt, ausführlicher behandelt wird. Es ist dies die in Wuppertal gegründete „Evangelische Gesellschaft für die protestantischen Deutschen in Amerika"; eine andere Vereinigung, der „Lutherische Gotteskasten", der sich der Lutherischen Synode annahm, wird in einem späteren Kapitel behandelt werden, denn die Tätigkeit dieser Vereinigung muß ständig im Zusammenhang mit der Entwicklung dieser Synode gesehen werden.

1. Die

Anfänge

Bis zum Jahre 1864/65 wurden die ausgewanderten Deutschen in Brasilien nur in geringem Maße betreut; die geleisteten Hilfestellungen zielten nicht darauf ab, das Deutschtum der Auswanderer zu betonen oder zu erhalten. Die erste, in größerem Umfang geleistete Hilfe kam auch nicht aus Deutschland, sondern aus der Schweiz. Während einer Reise durch Brasilien wurde der schweizerische Gesandte von Tschudi auf die N o t der nach Brasilien ausgewanderten Schweizer und Deutschen aufmerksam und veranlaßte die Basler Mission, Missionare dorthin zu senden 1 . Neben der 1 1861 wurden zwei Missionare nach Santa Catarina ausgesandt, 1864 folgten fünf weitere (vgl. M. HENNIG, Hilfeleistungen, S. 21). Auf Tschudis Bericht und Bitte hin sandte Basel auch Pfarrer nach Espirito Santo. Ab 1882 wurde kein Pfarrer mehr direkt aus Basel nach Brasilien gesandt; Basler Missionare, die später nach Brasilien kamen, wurden von der Evangelischen Gesellschaft gesandt (vgl. ebd., S. 22).

Einstellung zur Erhaltung des Deutschtums

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Basler Mission begann seit 1857 der Ev. Oberkirchenrat in Berlin, Pastoren nach Brasilien auszusenden, zunächst aber nur nach Espirito Santo 2 . Aus der Sicht des Ev. Oberkirchenrats nahm nur die Gemeinde von Rio de Janeiro eine besondere Stellung ein, denn der Initiator dieser Gemeindegründung war der preußische Generalkonsul von Theremin 3 , der während einer Deutschlandreise in Hamburg, Mecklenburg und beim preußischen König Mittel für den Ausbau dieser Gemeinde zu erlangen versuchte 4 . „In der Kabinettsorder vom 24. Januar 1828 bewilligte der König nicht nur einen jährlichen Zuschuß von 1000 Talern, sondern bestimmte zugleich die Ausschreibung einer allgemeinen Kollekte, die 9000 Taler ergab." 5 Wie wenig sich dahinter die Absicht verbarg, damit das Deutschtum zu fördern, wird deutlich, wenn man bedenkt, daß Rio de Janeiro bei seiner Gründung 1827 eine deutsch-französische Gemeinde war 6 . 1845 wurde die Gemeinde der Preußischen Landeskirche angeschlossen, und 1852 kam sie unter die Fürsorge des Ev. Oberkirchenrates in Berlin 7 . Vom preußischen König erhielt noch 1831 die Gemeinde Säo Leopoldo 300 Taler zur Anschaffung von Bibeln und Gesangsbüchern 8 . Da die Anerkennung der evangelischen Ehen nach wie vor strittig war, beschloß der Ev. Oberkirchenrat 1862, vorerst keine Geistlichen mehr nach Brasilien zu senden 9 . 1853 gab der Gustav-Adolf-Verein seine erste Gabe für Säo Leopoldo 1 0 .1863 folgt die zweite Gabe, diesmal für die Gemeinde Santa Isabel in Santa Catarina 11 . Bis zum Jahre 1864/65 sorgten in Santa Catarina Hermann Blumenau und die Hanseatische Kolonisationsgesellschaft für die Pastorierung der von ihnen gegründeten Kolonien. Mit der Aussendung von Borchard änderte sich die Lage der evangelischen Gemeinden in Brasilien. Borchard verstand es, den Inspektor der Rheinischen Missionsgesellschaft, Friedrich Fabri, die preußische Kirche und den Gustav-Adolf-Verein in unüberhörbarer Weise auf die Verpflichtung zur geistlichen Versorgung der nach Brasilien ausgewanderten Deutschen aufmerksam zu machen. Der Ev. Oberkirchenrat entsandte weitere Pfarrer und unterstützte einzelne Gemeinden in finanzieller Hinsicht 1 2 . Seine Unterstützung mußte aber beschränkt bleiben, denn die einzigen 2

Vgl. ebd., S. 21; M. URBAN, Geschichte, S. 216-221. Nach M. HENNIG mußte von Theremin eine Tochter bei den Anglikanern taufen lassen, weil es keine evangelische Gemeinde gab (Hilfeleistungen, S. 22). 4 Ebd. 3

5

E . SCHUBERT, F ü r s o r g e , S . 1 4 0 .

6

Vgl. ebd. und F. SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg, S. 325.

7

M . H E N N I G , H i l f e l e i s t u n g e n , S. 2 2 ; E . SCHUBERT, F ü r s o r g e , S. 1 5 0 .

8

Ebd., S. 140. F. SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg, S. 62 f.

9 10

M . H E N N I G , H i l f e l e i s t u n g e n , S. 2 3 ; D I E EVANGELISCHE DIASPORA 8 , 1 9 2 6 . S. 1 1 6 .

11

Ebd. 28, 1957, S. 154. Vgl. M. HENNIG, Hilfeleistungen, S. 31.

12

Anfänge >

75

Mittel zur Unterstützung der brasilianischen Gemeinden erhielt er aus einer alle zwei Jahre erhobenen Kollekte. Im Jahre 1900 ergab diese Kollekte zwar 25000 Mark, war aber nicht nur für Brasilien bestimmt. Um seine Arbeit in der Auslandsdiaspora durchführen zu können, war der Ev. Oberkirchenrat auf die Unterstützung des Gustav-Adolf-Vereins angewiesen: Allein im Jahre 1898/99 erhielt er 100000 Mark 1 3 . Diese Schwierigkeiten führten dazu, daß die Akten des Ev. Oberkirchenrats von 1871 bis 1900 über Brasilien praktisch schweigen 14 . Von einem tatkräftigen Einsatz zur Erhaltung des Deutschtums kann beim Ev. Oberkirchenrat in der vorsynodalen Periode nicht gesprochen werden. Als ein Departement der preußischen Staatsverwaltung war er an die auswärtige Politik des preußischen Staates gebunden. Ein Wandel in dessen Haltung entstand wohl erst ab 1896, als Wilhelm II. seinen Blick auf das „größere Deutschland" richtete und das Deutsche Reich seine Deutschtumspolitik begann 15 . Die Folge davon war das am 7. Mai 1900 verkündete Preußische Kirchengesetz „betr. die mit der evangelischen Landeskirche der älteren Provinzen in Verbindung stehenden deutschen Kirchengemeinden außerhalb Deutschlands" 16 , das eine in jeder Hinsicht neue Phase in den Beziehungen des deutschen Protestantismus zu den evangelischen Gemeinden und Synoden deutschen Ursprungs in Brasilien mit sich brachte 17 . Um so bedeutender war die Unterstützung des Gustav-Adolf-Vereins für die brasilianischen Gemeinden, die sie teils auf direktem, teils auf indirektem Wege erreichte. Indirekt, indem der Gustav-Adolf-Verein Zuschüsse zur Aussendung von Geistlichen seitens des Oberkirchenrats oder der Evangelischen Gesellschaft für die protestantischen Deutschen in Südbrasilien gewährte; direkt, indem einzelne Gemeinden 18 und ihre Pfarrer Zuschüsse zum Gehalt oder zur Anschaffung von Abendmahlsgeräten und anderen Dingen erhielten. Auch die Reisepredigt in Rio Grande do Sul wurde mit Hilfe des Vereins ermöglicht 19 . Bis 1908 hatte der Gustav-Adolf-Verein 315466,03 Mark für Brasilien bestimmt 20 . Der Ge13

Ebd., S. 38.

14

V g l . F . SCHRÖDER, E i g e n a r t , S. 2 3 8 .

Vgl. dazu G. BRUNN, Deutschland, S. 165. Vgl. dazu oben S. 18; Text des Gesetzes bei E. W. BUSSMANN, Evangelische Diasporakunde, S. 426 f. 15

16

17

V g l . M . HENNIG, Hilfeleistungen, S . 4 1 .

Bis 1900 waren es 26 Gemeinden (ebd., S. 35). Vgl. ebd., S. 26, 32. 2 0 DIE EVANGELISCHE DIASPORA 2 8 , 1 9 5 7 , S. 154. In dieser Summe sind aber wohl nicht die Gelder Inbegriffen, die vom Gustav-Adolf-Verein an den Ev. Oberkirchenrat und an die Ev. Gesellschaft weitergeleitet wurden und die ζ. T. auch den brasilianischen Gemeinden zugute kamen. H . W. BEYER bemerkt zur Unterstützung der südamerikanischen Gemeinden: „ D i e südamerikanischen Gemeinden haben bis 1881 zusammen nicht so viel erhalten wie Lissabon, nicht halb so viel wie Bingen. Aber die Vereinsarbeit besteht ja nicht nur im Geldgeben (Geschichte des Gustav-Adolf-Vereins, S. 156). 18

19

76

Einstellung zur Erhaltung des Deutschtums

danke einer Erhaltung des Deutschtums in den deutschstämmigen Gemeinden Brasiliens spielte auch bei der Unterstützung des Gustav-Adolf-Vereins in der vorsynodalen Periode nur eine untergeordnete Rolle. Brennend wurde die Frage der Erhaltung des Deutschtums erst durch die Ereignisse während und nach dem Ersten Weltkrieg, erst dann kam ihr auch in der Arbeit dieser Vereinigung mehr Bedeutung zu 2 1 . Der Vollständigkeit halber müssen hier aber noch einige andere Vereinigungen genannt werden, die sich, wenn auch nicht in solchem Umfang wie der Ev. Oberkirchenrat, der Gustav-Adolf-Verein, der Lutherische Gotteskasten und die Evangelische Gesellschaft, auch mit der Fürsorge der nach Brasilien ausgewanderten Deutschen beschäftigten. Am 14. September 1882 gründete Hermann Borchard eine „Diaspora-Konferenz" 2 2 , „ u m mit den ausländischen deutschen evangelischen Gemeinden und den in ihnen arbeitenden Geistlichen ein Band des Verkehrs anzuknüpfen und ihnen so dasjenige zu gewähren, was viele von ihnen schmerzlich vermissen: eine Verbindung mit den kirchlichen Kreisen der deutschen Heimat" 2 3 . 1896 gründete Direktor Fabarius in Witzenhausen a. d. Werra den „Evangelischen Hauptverein für deutsche Ansiedler und Auswanderer". Damit wollte er „eine Organisation schaffen, welche zielbewußt durch Auskunftserteilung und durch dauernde Fürsorge unsere Auswanderer in solchen Ländern ansiedeln sollte, wo nicht nur vom wirtschaftlichen und sozialen, sondern vornehmlich auch vom deutsch-nationalen und evangelischen Interesse beurteilt, die Aussichten die günstigsten seien" 24 . 1898 sandte der Verein vier Kisten Bücher für die Gemeinden in Brasilien 25 , und 1900 ging der Mitarbeiter von Fabarius, Pfarrer Paul Aldinger, nach Brasilien. In Santa Catarina versuchte er eine „deutsch-brasilianische Kolonialschule" zu gründen. Der „Evangelische Hauptverein" stand ganz unter dem Einfluß der Kolonialbewegung und dem Gedanken des „größeren Deutschlands", also des alldeutschen Gedankens 26 . 1894 scheint

21

H . W. BEYER unternimmt zwar den Versuch, die Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Volkstum schon in den Jahren nach 1870 für den Gustav-Adolf-Verein als wesentlich erscheinen zu lassen (ebd., S. 182 ff.), seine Ausführungen sind aber nicht überzeugend. Schließlich muß er zugeben, daß der Verein seine „grundsätzlich übervölkische Haltung" (S. 225) nicht aufgegeben habe. Erst mit Franz Rendtorff, den „das Auslandsdeutschtum ganz besonders beschäftigt" habe (ebd.), und unter den Nachwirkungen des Ersten Weltkriegs tritt im Gustav-Adolf-Verein eine Wende ein. Ihren Niederschlag findet sie in den Monatsheften „ D i e evangelische Diaspora insbesondere des Auslandsdeutschtums", die seit 1919 unter Mitwirkung von Bruno Geißler und MaxBrunau von Franz Rendtorff herausgegeben wurden. 22

V g l . PROTOKOLL D I A S P O R A - K O N F E R E N Z 1 8 8 5 , S . 7 7 .

23

Ebd., S. 7f. G. SCHLEGTENDAL, Volksbrüder, S. 12f. M. HENNIG, Hilfeleistungen, S. 33. Vgl. G. SCHLEGTENDAL, Volksbrüder, S. 12-20.

24 25 26

Εν. Gesellschaft für die protestantischen Deutschen

77

unter dem Landmarschall von Bülow auf Gudow in Lauenburg der Versuch gemacht worden zu sein, eine weitere Vereinigung zu gründen, die sich der deutschen Lutheraner in Südamerika annehmen sollte. Anscheinend stand sie in Opposition zum Lutherischen Gotteskasten 27 .

2. Die Evangelische Gesellschaft für die protestantischen Deutschen in Nord- und Südamerika „ Der Plan für eine regelmäßige Betreuung der ausgewanderten Deutschen entstand erstmals im Jahre 1837 in Langenberg 28 . Dort liätte Pfarrer Emil Wilhelm Krummacher 1826 ein „Kränzchen" gebildet. Auf Anregung eines Herrn Wilhelm Colsmann, einem Mitglied des „Kränzchens", wurde der Vorschlag gemacht, eine „Evangelische Gesellschaft für die protestantischen Deutschen in Nordamerika" zu gründen. Sie wurde am 27. Juli 1837 auf Beschluß der Generalversammlung der Rheinischen Mission vom 7. Juni ins Leben gerufen. Sie trug zunächst den Namen „Christlicher Verein für die evangelischen Deutschen in Nordamerika". Am 20. August 1841 erhielt die Vereinigung, dann schon unter dem Namen „Evangelische Gesellschaft für die protestantischen Deutschen in Nordamerika", vom preußischen König die Rechte einer privilegierten Corporation. Aufgabe der Gesellschaft war es, „die fernen Brüder und Schwestern vor dem Abfall zu schützen, die Irrenden auf dem Weg der Wahrheit zu leiten, mit dem Wort des Lebens zu unterweisen und sie zu Kirchengemeinden zu sammeln, damit ihnen und ihren Nachkommen der Besitz des Kleinodes der evangelischen Lehre gesichert werde" 2 9 . Die Gesellschaft sandte später insgesamt 115 Pfarrer in die Vereinigten Staaten. Da sie konfessionell nicht gebunden war, konnten die Pastoren auch an so unterschiedliche Synoden wie die lutherische Wisconsin-Synode, die reformierte Sheboygan-Synode in Wisconsin und an die unierte Synode des Westens, die spätere „Deutsche Evangelische Synode in Nordamerika" vermittelt werden. Da die Gemeinden in den USA bald selbst für ihre Ausgaben aufkommen konnten, beschränkte sich die Hilfe der Gesellschaft zuletzt auf die Aussendung von Pastoren. Ab 1864 nahm sich die Gesellschaft neuer Gebiete an, diesmal der Gemeinden in Südbrasilien und Chile; die Übernahme geschah auf Initiative von Pfarrer Hermann Borchard, der den Inspektor der Rheinischen MisPaul Aldinger, geb. 23. 8. 1868, 1900 ausgesandt nach Brasilien, 1901-1927 in HansaHammonia, S. C. 27

28

V g l . H . BESTMANN, N o t , b e s . S. 2 1 .

Vgl. M. DEDEKIND, Jahrhundertfeier, S. 255. Dieser Aufsatz dient als Grundlage für die folgende Darstellung. Zum ganzen vgl. auch M. DEDEKIND, Diasporaarbeit. 29 Zitiert bei M. DEDEKIND, Jahrhundertfeier, S. 257.

78

Einstellung z u r Erhaltung des D e u t s c h t u m s

sionsgesellschaft, Friedrich Fabri, um Unterstützung für seine neuen Aufgaben in Brasilien gebeten hatte 30 . Als Borchard seinen ersten Bericht über die Lage der Gemeinde Säo Leopoldo und deren Umgebung veröffentlichte, gründete Fabri kurz darauf das „Comite für die protestantischen Deutschen in Südbrasilien" und erließ bereits 1865 einen Aufruf zur „Mission unter den evangelischen Deutschen in Südbrasilien" 31 . Fabris „Comite" sandte bereits im Oktober die beiden ersten Missionare Hermann Bergfried aus Wesel und Christian Smidt aus Emden aus, dabei beteiligte sich auch die „Evangelische Gesellschaft für die protestantischen Deutschen in Nordamerika" finanziell. 1881 vereinigten sich dann die „Evangelische Gesellschaft" und Fabris „Comite" zur „Evangelischen Gesellschaft für die protestantischen Deutschen in Amerika" unter Fabris Leitung. Sitz der Gesellschaft war bis in die Jahre des Zweiten Weltkrieges hinein Langenberg. 1882 erhielt die Evangelische Gesellschaft in dem „Deutschen Ansiedler"sogar ein eigenes Organ. In ihm gibt es eine Menge wertvoller Berichte über die Entwicklung der Gemeinden und Synoden in Brasilien 32 . Seit 1865 entsandte die Evangelische Gesellschaft über 200 Pfarrer und über 40 Lehrer und Lehrerinnen nach Brasilien 33 . Leider ist es heute nicht mehr möglich festzustellen, welche Summen allein für die Aussendung der Geistlichen, Lehrer und ihrer Familien ausgegeben wurden, sie müssen aber ganz beträchtlich gewesen sein. Dazu kamen noch die Reisekosten für Bräute und Familien der einzelnen Personen. Die Gesellschaft trug aber nicht nur diese Kosten, sondern unterstützte auch Gemeindeschulen, einzelne bedürftige Gemeinden und finanzierte teilweise die Reisepredigt 34 . Sie schenkte den Gemeinden Glokken, Gesangbücher, Abendmahlsgeräte usw.; außerdem sicherte sie jedem Pfarrer ein Mindesteinkommen, d. h. sie steuerte jeweils den Betrag bei, 30

W a r u m B o r c h a r d gerade an Fabri herangetreten ist, ist nicht m e h r festzustellen. B o r -

chard war einige Zeit Pfarrer in Wuppertal gewesen, und vielleicht ist in dieser Zeit ein engerer K o n t a k t zu Fabri entstanden. A u c h verfügte der E v . O b e r k i r c h e n r a t nicht über die nötigen Mittel, u m B o r c h a r d s A r b e i t zu unterstützen (vgl. o b e n S. 7 1 ) . B o r c h a r d hat vermutlich erwogen, d u r c h eine private Vereinigung unterstützt zu werden, und ist deshalb an Fabri herangetreten. 31

Fabris A u f r u f erschien in einem acht Seiten starken Flugblatt mit d e m T i t e l , , , D i e Mis-

sion unter den evangelischen D e u t s c h e n in Südbrasilien" ( A E G FRANKFURT, Flugblätter). 32

Diese Zeitschrift war v o n der

1852 entstandenen Berliner Gesellschaft für

die

deutsch-evangelische Mission in A m e r i k a 1862 unter d e m N a m e n „ D e r Ansiedler im W e s t e n " gegründet w o r d e n ; sie änderte jedoch ihren N a m e n , als sie v o n der E v . Gesellschaft ü b e r n o m m e n w u r d e . 1 9 1 0 hatte der „ A n s i e d l e r " eine Auflage v o n 2 4 0 0 E x e m p l a r e n . 1941 stellte die Zeitschrift ihr Erscheinen ein. H e r m a n n Bergfried, geb. 2 0 . 4 . 1834 in M ü l h e i m / R u h r , gest. 6. 12. 1 9 0 6 in Straßburg, 1 8 6 5 ausgesandt nach Brasilien, 1 8 6 6 - 1 8 7 1 in S. C r u z , R . G . 33

Vgl. dazu M . DEDEKIND, Verzeichnis der Pfarrer, L e h r e r und L e h r e r i n n e n ; M . DEDE-

KIND, Verzeichnis der Pfarrer. 34

Vgl. J . FISCHER, Reisepredigt.

Εν. Gesellschaft für die protestantischen Deutschen

79

der nicht von der Gemeinde aufgebracht werden konnte, und trug auch zur Schaffung eines Fonds zur Unterstützung von Witwen, Waisen und Ruheständlern bei. In den Jahren 1906 bis 1915 wurden von der Evangelischen Gesellschaft 380560 Mark für die Arbeit in Brasilien ausgegeben, obwohl 1914 und 1915 wegen der Kriegssituation kaum jemand ausgesandt worden ist. Die genannte Summe wurde für folgende Zwecke ausgegeben: Reisekosten-Aussendungen 87315 Mark; Pensionen-Unterstützungen 99535 Mark; Beihilfe-Gemeinden und Schulen 102 760 Mark; Evangelisches Stift in Hamburgo Velho 24000 Mark; Synodalschule in Santa Cruz do Sul 24000 Mark; Gehälter des Direktors der Schule 43 950 Mark 3 5 . Die Höhe der Beiträge ist um so erstaunlicher, wenn man bedenkt, daß nur im westlichen Deutschland gesammelt wurde und hier wiederum hauptsächlich in Wuppertal. Mit der kirchlichen Betreuung der evangelischen Gemeinden deutscher Herkunft in Brasilien ist aber in der Arbeit der Evangelischen Gesellschaft die Frage nach der Erhaltung des Deutschtums sehr eng verbunden. Die Ansätze dazu sind bei dem Gründer des „Comites für die protestantischen Deutschen in Südbrasilien", bei Friedrich Fabri 36 selbst zu suchen. Mit seinem 1879 in Gotha erschienenen Werk „Bedarf Deutschland der Colonien? Eine politisch-ökonomische Betrachtung" ist Fabri zum Begründer der deutschen Kolonialbewegung geworden 37 . Zwar ist Fabris Schrift erst 1879 entstanden, also 15 Jahre nach der Gründung seines Comites, aber bereits fünf Jahre früher, nämlich 1874, hatte er sich sehr deutlich über die Erhaltung des Deutschtums in Brasilien geäußert, und schon um 1869 spielte er mit dem Gedanken, in einem Aufsatz zu diesem Thema Stellung zu nehmen 38 . Es wäre jedoch völlig verfehlt, Fabri, dem Comite oder der Evangelischen Gesellschaft rein kolonialistische Ziele zu unterstellen, denn damit würde man gerade das Hauptanliegen dieser rein privaten Vereinigungen völlig in den Hintergrund drängen: die kirchliche Versorgung der nach Brasilien ausgewanderten Deutschen und ihrer Nachkommen! Fabri ging bei seinen Überlegungen zur Kolonialpolitik und zur Erhaltung des Deutschtums immer von der seelsorgerlichen Verpflichtung aus. Ihm als Theologen ging es jedoch in seiner Schrift von 1879 gerade auch um das irdische Wohl seines Volkes. Seine Betrachtung entstand ja in einer Zeit, in der die deutsche Auswanderung ihren Höhepunkt erreicht hatte und der wirtschaftliche Aufstieg ins Stocken geraten war 39 . Eine Lösung dieser Probleme schien für ihn in der Gründung von Kolo35

Nach M. DEDEKIND, Gemeinden, S. 59. Zu Fabri vgl. oben S. 70, Anm. 97. 37 G. BRUNN, Deutschland, S. 116; vgl. auch H . BEYER, Fabri, S. 70. 38 Bedarf Deutschland der Colonien?, S. IV. 39 Fabris Schrift berührt ja ständig diese beiden Punkte. Vgl. auch G. BRUNN, Deutschland, S. 116 f. 36

Einstellung zur Erhaltung des Deutschtums

80

nien zu liegen. Er ging dabei von drei verschiedenen Arten aus: der „ A k kerbau-Colonie", der „Handels-Colonie" und der „Straf-Colonie". In Brasilien hielt Fabri die drei südlichen Provinzen für die geeignetsten zur Errichtung einer deutschen Ackerbaukolonie, sie könne leicht „ z u einem Emporium deutschen Handelns" gestaltet werden und darüber hinaus könnte dort die „Nationalität und Sprache" ohne weiteres bewahrt werden. Entschieden wehrte sich Fabri aber gegen die Auffassung, man könne sich in Süd-Brasilien Kolonien durch „gewaltsame Besitznahme" erwerben (S. 75). Seiner Ansicht nach sollte die deutsche Reichsregierung mit dem brasilianischen Kaiserreich verhandeln, um „ d i e Sicherung einer größeren deutschen Einwanderung" zu erlangen (S. 75) und die deutsche Auswanderung nach Brasilien dirigieren zu können. „Wir wünschen, daß Deutschland dabei so rücksichtsvoll zu Werke gehe, wie es noch nie ein Staat, der auf colonialen Erwerb ausging, gethan h a t " (S. 86). Im Gegensatz zu den Kräften, die später ein Ende der brasilianischen Einheit und somit die Entstehung eines neuen Staates unter deutscher Suprematie erhofften, betonte Fabri, daß in den Verhandlungen mit dem brasilianischen Kaiserreich die bestehenden politischen Verhältnisse respektiert werden müßten (S. 75 f.) 4 0 . Seine Vorschläge scheiterten vorerst an Bismarcks ablehnender Haltung, sollten aber nach dessen Abschied in veränderter Form in Angriff genommen werden. Die Evangelische Gesellschaft machte sich Fabris programmatische Äußerungen zu eigen, und bereits seit 1874 tauchten seine Gedanken in den Berichten des „ C o m i t e s " und im „Ansiedler" auf. Man wies darauf hin, daß es ein „patriotisches Unternehmen" sei, wenn man „einen Theil der Auswanderer, welche jährlich nach Amerika und für Deutschland verloren gehen, für unser Vaterland zu erhalten" versuche. „ W i e wichtig es [sei], jenseits des Oceans einen deutschen Bruderstamm zu haben, der deutsch denkt und handelt, in Handel und Politik mit uns sympathisiert und in allen Stücken unsere Interessen vertritt" könne jedem einleuchten 41 . Die Hilfe für die evangelischen Christen wird als eine Hilfe gegen die „Feinde deutschen Glaubens" gesehen 4 2 ; diese sind „Ungebundenheit, die freigeistreiche Aufklärung und der Jesuitismus" 4 3 . Immer wieder wird darauf hingewiesen, daß die Gesellschaft ihre Arbeit unter kirchlichen und nationalen Gesichtspunkten betreibe 4 4 . U m die Verbindung mit Deutschland, von der man 4 0 Fabris Sohn Carl gehörte zu denen, die die Bildung einer deutsch-südamerikanischen Republik erwarteten. Er bemühte sich auch, die Pläne seines Vaters, die deutsche Auswanderung nach Brasilien zu lenken, zu verwirklichen (vgl. ebd., S. 17, 155ff.). 4 1 F. FABRI, Arbeit. Fünfter Bericht des Comite, S. 45; vgl. auch ANSIEDLER 12, 1874, S. 170 f. 4 2 F. FABRI, Arbeit. Fünfter Bericht des Comite, S. 47. 43

A N S I E D L E R 12, 1 8 7 4 , S . 1 6 9 .

44

Flugblatt aus dem Jahre 1881 (AEG FRANKFURT, Flugblätter); vgl. auch M. DEDE-

KIND, G e m e i n d e n , S . 5 7 f .

H E R M A N N BORCHARD

WILHELM

ROTERMUND

Εν. Gesellschaft für die protestantischen Deutschen

81

sich wirtschaftliche Vorteile erhoffte, aufrecht zu erhalten, wies man immer wieder darauf hin, daß ,,in Kirche und Schule deutsche Sprache und deutscher Geist unter unseren Ausgewanderten erhalten" werden müsse 45 ; deshalb wurden auch viele Lehrer ausgesandt 46 . 1884 trat Fabri zwar aus der Rheinischen Missionsgesellschaft aus, behielt aber bis zu seinem Tod 1891 deren Leitung. Zwei Jahre vor seinem Tod stellte sich die Gesellschaft nochmals ausdrücklich hinter Fabris Äußerung aus dem Jahre 1879, wonach man sich bei der Lenkung der deutschen Auswanderung nach Brasilien nicht von der Hoffnung auf eine Trennung der drei südlichen Provinzen leiten lassen dürfe, um danach eine deutsch-südamerikanische Republik ausrufen zu lassen. Die Gesellschaft wehrte sich auch gegen das Ansinnen mancher Kreise, die ausgesandten Pastoren dazu zu benutzen, um in Brasilien „hohe Politik zu machen, eventuell für den nahen Zeitpunkt des Auseinanderfallens des brasilianischen Staatskolosses den Anheimfall Süd-Brasiliens, insonderheit der Provinzen Rio Grande und S. Katharina an das deutsche Reich vorzubereiten" 47 . Auch nach Fabris Tod hielt die Gesellschaft an ihrem ursprünglichen Ziel einer umfassenden kirchlichen Versorgung der evangelischen Gemeinden fest, obwohl sie dabei auch zunehmend auf den Erhalt deutscher Sprache, deutscher Sitte und deutschen Wesens Wert legte. Der Grund dafür liegt in der Assimilierung der Deutschstämmigen, die nun verstärkt zu beobachten ist. Wie notwendig es sei, die Arbeit der deutschen Geistlichen in Brasilien zu unterstützen, wurde damit begründet, daß man aus ,, verbrasilianerten Kolonisten wieder deutsche Kolonisten" machen müsse 48 . Jedoch hatte die Deutschtumsarbeit der Gesellschaft lange nicht die Bedeutung, die sie bei anderen kirchlichen Vereinigungen hatte: „Mögen andere Vereine andere Ziele verfolgen, wir bleiben unserem Grundsatz getreu, unsern Brüdern in erster Linie das Evangelium zu bringen. Daß wir ihnen damit auch zur Erhaltung und Stärkung des Deutschtums die besten Dienste leisten und unsere Arbeit nicht nur kirchlich sondern auch national ist, kann ja gar nicht ausbleiben, denn beides steht und fällt in den Ländern Südamerikas miteinander. Ohne Evangelium gibt es dort auf die Dauer auch kein Deutschtum." 4 9 1908 übernahm Max Dedekind die Geschäftsführung der Evangelischen Gesellschaft. Dedekind war von 1899 bis 1904 in Brasilien gewesen, von 1899 bis 1903 als Pfarrer in Venancio Aires und 1903 als Reiseprediger der Riograndenser Synode. Als Geschäftsführer war er der erste in der 45

ANSIEDLER 2 0 , 1 8 8 2 , S. 1, 3.

46

V g l . ANSIEDLER 2 4 , 1 8 8 6 , S. 3 6 ; e b d . 2 7 , 1 8 8 9 , S. 7 3 .

47

Ebd., S. 17. Ebd. 34, 1896, S. 45.

48 49

6

M . D E D E K I N D , J a h r e s b e r i c h t 1 9 0 7 , S. 1.

Dreher, Brasilien

82

Einstellung zur Erhaltung des Deutschtums

Leitung der Gesellschaft, der Brasilien aus eigener Erfahrung kannte. In rühriger Weise versuchte er von 1908 bis in die Wirren des Zweiten Weltkrieges hinein deutsche Kreise für die Arbeit in Brasilien zu gewinnen 50 . Unter Dedekind, der offensichtlich stark von Paul de Lagarde beeinflußt war 51 , öffnete sich die Evangelische Gesellschaft dem deutschnationalen Gedankengut und geriet damit in den Jahren von 1938 bis 1941 völlig unter den Einfluß der nationalsozialistischen Propaganda 52 . Die Arbeit der Gesellschaft wird als ein „nicht unbedeutender nationaler Dienst" für das deutsche Volk angesehen, indem man „den Deutschen in Südbrasilien" gegenüber die „schöne, gottgegebene Aufgabe" erfüllt, ihnen „deutsche Sitte und Kultur zu bewahren und sie in lebendigem Zusammenhang mit dem deutschen Volk und der evangelischen Kirche Deutschlands zu erhalten" 53 . Die Betonung des Kulturellen und Nationalen trat manchmal so stark hervor, daß sie das Primäre, die Verkündigung des Evangeliums zu ersticken drohte 54 . Von den Geistlichen in Brasilien forderte die Gesellschaft, „daß sie charaktervolle Deutsche sind, die bewußt in Kirche und Schule das Deutschtum zu pflegen Freudigkeit haben. Wenn sie sehen, daß ihre Gemeindeglieder, alt und jung, durch die Anziehungskraft der fremden Umgebung, besonders in den Städten, durch den Einfluß der Straße und der brasilianischen Dienstboten in den Familien oder durch sonstige Einflüsse in ihrer deutschen Eigenart gefährdet sind, so ist es ihre Pflicht, dem mit allen rechten Mitteln entgegenzuarbeiten" 55 . Nach Hitlers Machtergreifung ging Dedekind völlig in den nationalsozialistischen Vorstellungen auf; seine Ausführungen behandelten jetzt fast ausschließlich - wohl auch infolge der in Brasilien immer stärker werdenden Nationalisierung - deutschtumspolitische Themen 56 . 5 0 Dedekind entfaltete eine rege Vortragstätigkeit, die ihn durch Westdeutschland führte. Im „Ansiedler" und in anderen Zeitschriften veröffentlichte er Berichte, die für die Arbeit in Brasilien werben sollten. Das Archiv der Ev. Gesellschaft enthält eine ganze Reihe Briefe von Zeitungs- und Zeitschriftenherausgebern, die Dedekind um Beiträge baten (vgl. auch

M . DEDEKIND, Jahrhunderfeier S. 265). 51

Vgl. z . B . seinen Aufsatz „Deutsch-evangelische Kirche", S. 87f.

52

V g l . d a z u ANSIEDLER, J a h r g ä n g e 1 9 3 8 - 1 9 4 1 .

53

M . DEDEKIND, Jahresbericht 1908, S. l f .

Vgl. das Flugblatt „Bitte für die deutschen evangelischen Gemeinden in Südamerika" (Beilage zu ANSIEDLER 48,1910); M. DEDEKIND, Aussichten, S. 2: „Bei dem heutigen Ringen der Nationen untereinander gilt es für jedes Volk, keinen Mann verloren gehen zu lassen. Jede deutsche Familie im Ausland ist ein wertvolles Glied unseres Volkes. Mit jedem neuen deutschen Ansiedler im fernen Urwald tut das deutsche Volk einen Schritt vorwärts auf dem Erdboden. Jede solche Familie ist ein Träger deutscher Kultur und Art. Und jede deutsche Familie im Ausland gewährt dem deutschen Handel neue Absatzgebiete, solange diese Familie deutsch bleibt." 5 5 M. DEDEKIND, Deutschtum und Evangelium, S. 37. 5 6 1937 begrüßte M. DEDEKIND die Auslandsorganisation der N S D A P ausdrücklich als „willkommenen Frontkameraden" (Jahrhundertfeier, S. 267). 54

Εν. Gesellschaft für die protestantischen Deutschen

83

Bei den von Dedekind im „Ansiedler" angeschlagenen Tönen ist es nicht verwunderlich, daß die brasilianischen Sicherheitsorgane in den 30er Jahren ihre Aufmerksamkeit auf die Arbeit der Gesellschaft richteten, insbesondere aber auf die Arbeit der Pastoren, die mit ihr in Verbindung standen. Der Polizeichef von Rio Grande do Sul stellte fest, daß der „Deutsche Ansiedler" mehr Veröffentlichungen politischer als religiöser Art bringe 57 und stellte zugleich die Frage, was eigentlich die Aufgabe der deutschen Kirche sei: Politik oder Religion 58 ? Dedekinds Äußerungen erregten auch in kirchlichen Kreisen Aufsehen und veranlaßten Propst Marczynski dazu, das Kirchliche Außenamt auf dessen nationalsozialistische Neigungen aufmerksam zu machen: „Ich wäre dem Kirchlichen Außenamt sehr dankbar, wenn es Herrn P. Dedekind darauf aufmerksam machen wollte, daß sich seit dem November 1937 Ereignisse abgespielt haben, die es nicht opportun erscheinen lassen, Veröffentlichungen in dem Stile vorzunehmen, wie es Herr P. Dedekind . . .tut. Es gibt Dinge, für die südamerikanische und besonders brasilianische Ohren sehr empfindlich sind. . . . Sein Blatt wird von den brasilianischen Behörden sehr aufmerksam gelesen." Marczynski wies noch daraufhin, dem Rendanten der Riograndenser Synode, Herrn Genner, sei auf der Polizei in Porto Alegre bedeutet worden, „er möchte doch wenn er nach Deutschland komme, dem Verfasser des ,Deutschen Ansiedlers' nahelegen, in seinen Nachrichten über Brasilien zurückhaltender zu sein" 59 . Somit wird auch deutlich, daß die Verbindung von kirchlicher und,,nationaler" Arbeit bei der Evangelischen Gesellschaft letzten Endes dazu führte, daß die Gemeinden und Pastoren in Brasilien in eine schwierige Lage gebracht wurden. Die Evangelische Gesellschaft war mit ihrer radikalen Deutschtumspropaganda zwar ein extremer Fall unter den kirchlichen Vereinigungen, die die Gemeinden und Synoden in Brasilien betreuten; dieses Beispiel zeigt aber die Gefahren, in denen sich die kirchlichen Kreise befanden, wenn sie sich der Auswanderer und ihrer Nachkommen annahmen. Denn nur zu schnell verquickten sich hier Deutschtümelei und Evangeliumsverkündigung zu einer verwässerten nationalsozialistischen Ideologie.

57

Vgl. A. PY, Coluna, S. 210. Ebd., S. 212. A. PY sieht irrtümlicherweise im „Ansiedler" das Organ der DEK. Die für die brasilianische Polizei anstößigen Veröffentlichungen des „Ansiedler" werden bei A. PY (ebd., S. 212-216) in portugiesischer Übersetzung wiedergegeben; sie stammen hauptsächlich aus den Jahren 1938/39. 59 Schreiben vom 6. 5. 1941 (AKA, C. VII 1). Martin Marczynski, geb. 30. 9. 1884 in Westpreußen, 1933 ausgesandt vom Ev. Oberkirchenrat Berlin nach Buenos Aires. 58

Kapitel 6 DIE RIOGRANDENSER SYNODE V O N 1886 BIS 1930

Nach dem gescheiterten Versuch Hermann Borchards, 1868 eine Synode zu gründen, kam es 1886 zur Gründung der Riograndenser Synode 1 ; sie ist das Werk von Wilhelm Rotermund 2 .

1. Die Ära

Rotermund

Wilhelm Rotermund Wilhelm Rotermund wurde am 21. November 1843 in Stemmen bei Hannover geboren. Er studierte Theologie in Erlangen und Göttingen bei den Professoren Hofmann, Ebrard, Ehrenfeuchter, Peip und Schöberlein. Nach einer Anstellung als Hauslehrer in Kurland, dem darauffolgenden zweiten theologischen Examen und kurzer Tätigkeit als Vikar und Schulinspektor in der Provinz Hannover, folgte er im Herbst 1873 der Aufforderung Friedrich Fabris und wurde Sekretär des Comites für die protestantischen Deutschen in Südbrasilien. Dabei wurde ihm die Gelegenheit geboten, sich mit den Verhältnissen der nach Südbrasilien ausgewanderten Deutschen vertraut zu machen. Einer Bitte Fabris folgend erklärte sich Rotermund jedoch schon 1874 bereit, nach Brasilien auszuwandern, um Pfarrer der Gemeinde Säo Leopoldo in der Provinz Rio Grande do Sul zu werden. Zuvor promovierte er aber noch an der Universität Jena über „Die Ethik Laotses mit besonderer Bezugnahme auf die buddhistische Moral". In Säo Leopoldo fand Rotermund, der zunächst nur für einige Jahre nach Brasilien gehen wollte, eine Lebensaufgabe. Von 1874 bis 1918 hatte er die Pfarrstelle Säo Leopoldo inne. Seine Tätigkeit in Brasilien beschränkte sich aber nicht allein auf den Pfarrdienst. Die Not der evangeli1 Zur Geschichte der Synode vgl. R. BECKER, Igrejas evangelicas; Sinodo Rio Grandense no seculo X X ; J. FISCHER, Geschichte, S. 112-116; F. SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg, S. 209-251; TH. DIETSCHI, Riograndenser Synode; Kirchwerdung; E. FAUSEL, Riograndenser Synoden; U . HEES, Wandlungen. 2 Zu Rotermund vgl. die Werke von E. FAUSEL, Rotermund; W. Rotermund. Ein deutscher Rufer in Brasilien; Koseritz und Rotermund.

Ära Rotermund

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sehen Gemeinden und Schulen ließ ihn seit 1877 zum Buchhändler und Verleger werden 3 . Um der Verbreitung der Gedanken der „FeuerbachHaeckelschen Aufklärung", die durch Karl von Koseritz und seine Anhänger verbreitet wurden, entgegentreten zu können, veröffentlichte er seit 1880 einen Kalender für die Deutschen in Brasilien. Dabei ging es ihm um die Erziehung des Volkes in christlichem Sinn4. Mit dieser Veröffentlichung bewies er sich auch als Schriftsteller5 und Journalist, der für die Rechte der evangelischen Christen kämpfte 6 . Um den Kindern aus evangelischen Ehen eine bessere Ausbildung zu sichern, gründete er eine höhere Schule in Säo Leopoldo, die jedoch nur kurze Zeit bestand. Sein größtes und bleibendes Werk aber war die Gründung der Riograndenser Synode im Jahre 1886, als deren Präses er von 1886 bis 1894 und von 1909 bis 1919 wirkte. Schon dieser kurze Uberblick läßt erkennen, wie vielseitig dieser Mann war, der am 6. April 1925 in Säo Leopoldo verstarb. So sehr es Rotermund bei all seiner Tätigkeit in erster Linie um die Erbauung, Stärkung, Aufrichtung und Verteidigung der evangelischen Christen in Brasilien, besonders in Rio Grande do Sul, ging, so darf man bei ihm doch nie einen zweiten, für ihn sehr wesentlichen Aspekt übersehen: die Stärkung und Erhaltung des Deutschtums. Beide Aspekte sind in seinem Denken und Wirken untrennbar verbunden. Deshalb kam es nicht von ungefähr, daß er während des Ersten Weltkriegs jenen Kernsatz formulierte, der in den dreißiger Jahren in den Veröffentlichungen der Riograndenser Synode immer wieder auftauchte: „Kirche und Deutschtum sind auf Leben und Tod miteinander verbunden." 7 Wenn der Schriftsteller Rotermund durch seine Erzählungen, deren Stoff unmittelbar aus dem Leben der Kolonisten und ihrer Umwelt in Rio Grande do Sul genommen war, für ein christliches Leben in den Familien und in der Gesellschaft warb und für eine christliche Erziehung der Jugend eintrat, so versäumte er es niemals, gleichzeitig auch an seine Leser zu appellieren, ihr Deutschtum und ihre Sprache zu pflegen und zu erhalten8. Das gleiche Ziel ver3 Zahlreiche Bücher, vom Religionsbuch bis hin zur portugiesischen Grammatik, wurden von ihm verfaßt und verlegt (vgl. das Verzeichnis seiner Veröffentlichungen bei E. FAUSEL, Rotermund, S. 244-246). 4 Die Auflage des Kalenders betrug 1906: 6000; 1923: 30 000 Exemplare. 5 Vgl. W. ROTERMUND, Gesammelte Schriften, Bd. 1-3; sie enthalten die im Kalender für die Deutschen in Brasilien erschienenen Erzählungen. 6 1875 übernahm er vorübergehend die Redaktion einer Zeitung, um dann im Dezember 1880 die eigene Zeitung „Deutsche Post" zu gründen. 7

8

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Rotermund ist ein großer Bewunderer des liberalen Politikers Gaspar Silveira Martins gewesen, der sich tatkräftig für die Rechte der Nichtkatholiken eingesetzt hatte. Er war von einem Ministerposten zurückgetreten, weil man den Protestanten keine politische Gleichberechtigung zugestehen wollte. Andererseits war er nicht der Mann, der aus innerer Überzeugung die Deutschstämmigen ermahnt hätte, an ihrem Deutschtum festzuhalten. Trotzdem legt ihm Rotermund in seiner Erzählung „ D i e beiden Nachbarn. Bilder aus der Kolonie"

Riograndenser Synode von 1886 bis 1930

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folgte Rotermund auch mit seiner „Deutschen Post", die sich als Sprachrohr für deutsches Wesen, deutsche Kraft und deutsche Art verstand9. Aber auch der Verleger und Schulmann Rotermund, der eine portugiesische Grammatik und Sprachlehrbücher herausgab, vergaß nie, darauf hinzuweisen, wie wichtig es für die Auswanderer sei, sich immer wieder ihrer Herkunft bewußt zu werden: „Wohl sollen unsere Kinder in den Schulen mit der Sprache und der Geschichte des Landes bekannt gemacht werden, aber vor allem sollen sie die Sprache und die Geschichte des eigenen Stammes lernen; und was ihnen von Geschichte, Lehren und Glaubenssätzen mitgeteilt werden muß, kann in deutscher Sprache geschehen." 1 0 Diese Äußerungen Rotermunds sind in seinem theologischen Denken und seelsorgerlichen Wirken begründet. Beides ist sowohl von der Lage der Evangelischen in Rio Grande do Sul als auch von der theologischen und geistigen Situation Deutschlands, aus der er kam, beeinflußt gewesen. Wenn auch die Evangelischen im brasilianischen Kaiserreich geduldet waren, so bestand für sie in der Frage der Mischehe doch eine mißliche Lage. Die Heirat mit einem römisch-katholischen Partner bedeutete für sie automatisch den Übertritt zur katholischen Kirche und die Erziehung der Kinder in diesem Glauben. Aus diesem Grunde gingen der evangelischen Kirche unzählige Glieder verloren; die Pfarrer hatten daher großes Interesse, solche Mischehen zu verhindern 11 . Sie argumentierten dabei auf zweierlei Ebenen: daß solche Handlungen Verrat an ihrem Glauben sei, daß die Mischehe darüber hinaus auch einen Verrat am eigenen Volkstum impliziere. Zwar gab es auch deutschstämmige Katholiken; aber, so wandte man von evangelischer Seite ein, die katholische Kirche mit ihrem Internationalismus habe kein Interesse an der Erhaltung des Deutschtums 12 . Andererseits bot aber auch der brasilianische Katholizismus im vorigen Jahrhundert ein trauriges Bild 1 3 . Selbst die vor der Jahrhundertwende aus Deutschland und Italien nach Brasilien ausgesandten katholischen Geistlichen versuchten, die deutschen und italienischen Katholiken solche Worte in den Mund (vgl. KALENDER FÜR DIE DEUTSCHEN IN BRASILIEN 1884, bes. S. 49 f.). Die gleiche Absicht steckt hinter der Erzählung, ,Brilhantine" (Gesammelte Schriften, Bd. 2, S. 103-112, S. 112). 9 Vgl. das Zitat aus der,, Deutschen P o s t " v o m l 8 . 1 2 . 1 8 8 0 bei E.FAUSEL, Rotermund, S. 58. 1 0 Aus dem „Lesebuch für Schule und Haus" 1922 (zitiert bei C . BRANDENBURGER, Rotermund, S. 29). Im selben Sinne ergeht sein Anruf, .Eltern, aufgewacht!" (KALENDER FÜR DIE DEUTSCHEN IN BRASILIEN 1923, S. 49). Vgl. Rotermunds Äußerungen in: ANSIEDLER 24, 1886, S. 67. Dieses Argument entstammt dem geistigen Zwiespalt in Deutschland, w o sich in der Auseinandersetzung zwischen dem politischen Katholizismus und dem Evangelischen Bund der deutsche Nationalprotestantismus herausgebildet hatte vgl. W . TILGNER, Volk, Nation, Vaterland, S. 140-146). 1 3 Vgl. F . LAUFER, Igreja Catölica, S. 16ff. 11

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Ära Rotermund

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an ihr Volkstum zu binden, um eine Verflachung ihres Glaubens zu verhindern. Sie glaubten, das Aufgeben der deutschen bzw. italienischen Sprache und die Annahme der portugiesischen, bedeute auch die Annahme der Bräuche und Sitten des brasilianischen Katholizismus, und damit befürchteten sie den Verlust des eigenen Glaubens 14 . Ähnliches galt auch von den evangelischen Pfarrern 1 5 . Um den evangelischen Glauben zu erhalten, betonte man die Andersartigkeit der Evangelischen, die gleichzeitig Deutsche oder Deutschstämmige waren, gegenüber der Umwelt. Viel wichtiger aber ist demgegenüber die theologische Begründung. Es ist interessant, daß Rotermund nicht die später gängige These vertrat, die Aufgabe der Kirche, das Deutschtum zu erhalten, entspräche der Schöpfungsordnung. Rotermunds Biograph, Erich Fausel, weist daraufhin, daß für ihn „die Verschmelzung von deutsch und evangelisch . . .geschichtlich, psychologisch und wesenhaft begründet" sei 16 . Rotermund selbst stellt für sich fest: ,,Der evangelischen Kirche, welche mit Recht als eine Frucht der Vermählung des Evangeliums mit germanischem Geist bezeichnet worden ist, liegt die Pflege des Deutschtums im Blute." 1 7 Mit seiner Auffassung von der inneren Verbundenheit von Deutschtum und Evangelium oder Protestantismus erweist er sich als ein Erbe der Romantik, deren Gedanken sich nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 innerhalb der evangelischen Kirche Deutschlands wieder im Nationalprotestantismus herauskristallisierten 18 . Das von ihm angetretene Erbe erfuhr aber auf brasilianischem Boden eine gewisse Abwandlung. Deutlich wird dies in seinen Äußerungen auf der Synodalversammlung in Santa Maria da Bocca do Monte 1916. In seinem Synodalbericht stellte er fest, daß das geistliche Leben der Gemeinden verarmt sei. So sei auch die Teilnahme am Abendmahl zurückgegangen. Nach seiner Meinung besteht zwischen der Verkündigung des Evangeliums und dem Erstarken des Deutschtums in den Gemeinden eine enge Wechselwirkung. So führte er auch den Niedergang des Deutschtums in Rio Grande do Sul - sym14 Vgl. das Interview von Evelyn Berg mit Jean Roche in: „Correio do Povo" vom 28. 7. 1974. Roche wies darauf hin, daß diese Haltung der deutschen und italienischen Priester der Haltung der katholischen Geistlichen im französischen Teil Kanadas entspreche, wo man den Gebrauch des Englischen zurückwies, um so zu verhindern, daß die katholischen Gläubigen sich dem Protestantismus öffnen könnten. 15 W. ROTERMUND meinte ζ. B.: „Geben sie ihr Deutschtum preis, fangen sie an, sich im Familienverkehr der portugiesischen Sprache zu bedienen, so gehen sie auch für die evangelische Kirche verloren; hören sie auf, evangelisch zu sein, vernachlässigen sie ihre Kirche, so bricht auch ihr Deutschtum zusammen" (Rio Grande do Sul, S. 36). 16 E. FAUSEL, Rotermund, S. 239. 17 Vgl. ebd. - An anderer Stelle kann er sagen, Evangelium und Deutschtum seien, ,zu einer unlösbaren Einheit verschmolzen" (Rio Grande do Sul, S. 35). 18 Vgl. dazu W. TILGNER, Volk Nation, Vaterland, bes. S. 136-146.

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ptomatisch ist dafür der vermehrte Gebrauch der portugiesischen Sprache in den Familien - auf die Gleichgültigkeit gegenüber dem Evangelium zurück. Seine Darstellung ist insofern bedeutsam, als er im Anschluß an sie jene provozierenden Sätze formulierte, die erst zehn Jahre nach seinem Tod, dann aus dem Kontext gerissen, immer wieder zitiert werden sollten: „Wer aufhört, evangelisch zu fühlen und zu denken, hört auch auf deutsch zu sein; und umgekehrt: wer deutsche Sprache und deutsches Wesen verleugnet, wird auch unserer Kirche verloren gehen. Deutschtum und Evangelium sind auf Leben und Tod miteinander verbunden. Darum ist die Arbeit unserer Synode so wichtig und jedes Hindernis, das ihr bereitet wird, so folgenschwer." 19 Rotermunds Gleichsetzung wirkt für uns heute so unglücklich, weil man bei der häufigen Zitierung dieses Satzes gerade die darauffolgende Aussage weggelassen hat: „ U m die Kirche Jesu Christi bangt uns nicht; sie hat die Verheißung, bis ans Ende der Tage zu bleiben. Kirchenformen aber hängen ab von der Weisheit, Lauterkeit und Kraft ihrer Glieder." 2 0 Rotermund geht es nicht um eine vom Evangelium getrennte Deutschtumsarbeit, sie ist für ihn unmöglich, denn ohne Evangelium hört für ihn jedes Deutschtum auf 2 1 . Daß Wilhelm Rotermunds Gedanken und Vorstellungen nicht Allgemeingut der gesamten Synode waren, zeigt sich schon in der sogenannten „Vorsynode". Die Vorsynode Zwölf Jahre nach seiner Ankunft in Säo Leopoldo beschloß Rotermund nach eingehenden Beratungen mit einigen Kollegen, Pastoren und Gemeindegliedern, nach Säo Leopoldo zur Gründung einer Synode einzuladen 22 . Auf dieser Versammlung, Vorsynode genannt, sollten die Statuten der zu gründenden Synode beraten werden. Wichtig waren dabei zwei Punkte: der Name der Synode und ihr Bekenntnisstand. In dem Entwurf für die Statuten der Synode hatte Rotermund den Namen,,Riograndenser Synode" vorgeschlagen. Als dieser Name zur Diskussion gestellt wurde, beantragte Heinrich Hunsche 23 den Zusatz „deutsche" mit der Begrün19

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Hervorhebung vom Verfasser. 2 1 Es ist interessant, daß er nicht sagte: „ . . . und umgekehrt: wer deutsche Sprache und deutsches Wesen verleugnet, hört auf, evangelisch zu sein", s o n d e r n : , , . . . wird auch unserer Kirche verloren gehen". Somit wird deutlich, daß es für ihn die Gleichung deutsch = evangelisch nicht gab. Vgl. dazu auch seine Redewendung „ K i r c h e n f o r m e n " ! E r könnte sich also eine evangelische Kirche portugiesischer Zunge vorstellen. Zum „verloren gehen" vgl. oben S. 86. 20

22

V g l . d a z u D I E VORSYNODE S. LEOPOLDO.

Heinrich Hunsche, geb. 6. 4. 1839 in Lienen/Westfalen, gest. 20. 5. 1934, Ausbildung in Barmen, 1868 vom Comite ausgesandt, 1868-1908 in Neuschneis, R . G . Vgl. Κ . H . HUNSCHE, Hunsche. 23

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dung, „die Synode solle auch zur Stärkung des deutschen Elements in Sitte und Sprache dienen". Gegen diesen Antrag wandten sich ein Pfarrer und ein Gemeindevertreter. Pfarrer Pechmann 24 begründete seine Ablehnung, indem er darauf hinwies, daß „es ja möglich [sei], daß sich uns später auch die evangelischen Gemeinden portugiesischer Zunge anschlössen". Der Gemeindevertreter F. A. Engel aus Säo Sebastiäo do Cahy machte geltend, daß die Mitglieder der Synode, „wenn auch der Nationalität nach Deutsche, doch zum größten Teil Angehörige des brasilianischen Staats" seien. Die Bezeichnung „deutsch" könne Mißtrauen erregen 25 . In der folgenden Abstimmung wurde der Antrag auf den Zusatz „deutsch" abgelehnt 26 . In seiner Rotermund-Biographie 27 meint Erich Fausel über die Äußerungen Pechmanns und Engels: „Daß bei manchen diese Unsicherheit in Volkstumsdingen herrschte und daß sie die wesensmäßige Verbindung ihres evangelischen Glaubens und ihrer deutschen Herkunft nicht klar erkannten, ist ganz verständlich in einer Zeit, wo die deutsche Regierung die Auslandsdeutschen immer noch abseits liegen ließ und wo das deutsche Volk von den Millionen außerhalb der Reichsgrenzen keine Ahnung hatte." Pechmanns Äußerungen waren aber auch Ausdruck seiner Vorbildung, die sich von der des Akademikers Rotermund, der bereits auf der Universität mit dem nationalen Gedanken in Berührung gekommen war, grundsätzlich unterschied. Seine Ausbildung in einem der Missionshäuser war von einem anderen Geist geprägt; dort wurde die Bedeutung des sogenannten Nationalen, des deutschen Elements im Ausland immer gering eingeschätzt 28 , dort empfand man zunächst die Heidenmission als dringlichste Aufgabe. Aus diesem Grunde empfahl Martin Braunschweig 1907 dem Ev. Oberkirchenrat, keine Missionszöglinge mehr nach Brasilien auszusenden, denn sie hätten kein Verständnis dafür, „daß sie neben ihrer in erster Linie evangelisch-kirchlichen Mission doch auch eine nationale Aufgabe zu erfüllen haben" 2 9 . An dieser Feststellung änderte auch der Antrag von Heinrich Hunsche nichts, denn ihm ging es um „Sitte und Sprache". Die Aussage des Gemeindevertreters Engel ist im Kontext des in dieser Zeit stärker hervortretenden Be2 4 Friedrich Pechmann, geb. 26. 7. 1851 in Mönchengladbach, gest. 8. 3. 1925 in Hamburgerberg, Ausbildung in Barmen, 1882 vom Comite ausgesandt, 1882-1892 in S. Maria, 1892-1894 in S. Leopoldo, 1894-1920 in Hamburgerberg. Vgl. R. BECKER, Pechmann. 2 5 Zum Gebrauch des Ausdrucks „Nationalität" vgl. H . ZILLESSEN, Volk-Nation-Vaterland, S. 13-47, bes. S. 30-41. 26

Alle Zitate aus D I E VORSYNODE S. LEOPOLDO, S . 23.

S. 93. 2 8 Der Bericht Pastor Braunschweigs (Leipzig) über seine Reise durch die deutschen evangelischen Gemeinden in Brasilien im Jahre 1907 findet sich A K A , E O 2a. Martin Braunschweig, geb. 29. 1. 1869 in Marienwerder, gest. 21. 11. 1930 in Oliva, 1907 vom Ev. Oberkirchenrat nach Brasilien ausgesandt, 1911-1919 Propst in Porto Alegre. 2 9 Ebd. 27

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mühens der Deutschstämmigen zu sehen, sich in die brasilianische Gesellschaft einzugliedern. Den Gründern der Synode war es also kein Anliegen, den deutschen Charakter dieser Synode besonders zu betonen 30 . Rotermunds Statutenentwurf lautete in Kapitel I, Artikel 2: „ D i e Synode bekennt sich auf Grund der Heiligen Schrift zu den Symbolen der deutschen Reformation, insonderheit zur Augsburgischen Konfession, und schließt sich in Kultus, Lehre und Disziplin an die Kirchen der Reformation an." Rotermund wollte also eine lutherische Synode. Jedoch wurde der Passus „insonderheit zur Augsburgischen Konfession" gestrichen, weil nicht alle Gemeinden die Confessio Augustana anerkannten 31 . Da auch der Antrag auf den Bekenntnisstand „evangelisch-uniert" abgelehnt wurde, hatte die Synode keinen eindeutigen Bekenntnisstand. Diese zunächst gutgemeinte Absicht, mit der man keiner Gemeinde den Anschluß verwehren wollte, um somit die Interessen möglichst aller Gemeinden vor der Öffentlichkeit vertreten zu können, sollte sich aber in späteren Jahren rächen. Damit war die Möglichkeit gegeben, die nationale Bestimmung „deutsch" als status confessionis anzunehmen! Auf der Synodalversammlung in Paraiso 1901 änderte die Synode ihren Namen in „Deutsche Evangelische Kirche von Rio Grande do Sul (Riograndenser Synode)". Der Name wurde zunächst gewählt, um irrigen Vorstellungen,, die sich mit dem Namen „Synode" verbanden, entgegenzutreten 32 ; er sollte aber auch den deutschen Charakter der Synode betonen und außerdem ,, wird dadurch doch auch die Arbeit unserer Kirche in nationaler Beziehung mit Recht hervorgehoben. Deutsch wollen wir sein und bleiben bis ins Mark" 3 3 . Erst ab 1922 hatte die Synode dann ein klares Bekenntnis. Unter dem Einfluß von Hermann Dohms wurde der Artikel 2 folgendermaßen geändert: „ D i e Synode bekennt sich auf Grund der Heiligen Schrift zu den Symbolen der Reformation Martin Luthers, vor allem der Augsburgischen Konfession und Luthers Kleinem Katechismus. Sie schließt sich in Gottesdienstordnung, Lehre und Kirchenzucht an die evangelische Kirche Deutschlands an." 3 4 Aber noch 1929 herrschte Unklarheit; damals erhob die Missouri-Synode den Vorwurf, die Riograndenser Synode habe kein Bekenntnis. In einer Antwort im „Sonntagsblatt der Riograndenser 30

Vgl. dazu E. FAUSEL, Riograndenser Synoden, S. 307.

31

V g l . D I E VORSYNODE S. LEOPOLDO, S. 2 4 .

Vgl. M. DEDEKIND, Deutsch-evangelische Kirche. Ebd., S. 87. Ebd., S. 85f. heißt es: „ D a s alte Banner, unter dem wir Jahre lang gearbeitet und gekämpft, ist niedergeholt; eine stolzere Flagge weht über den deutsch-evangelischen Gemeinden unseres Landes, welche sich zu einer fest organisierten Landeskirche zusammengeschlossen haben: Das Wappen der Kirche der Reformation auf schwarz-weiß-rotem Grunde, klar und deutlich soll es Freund und Feind zeigen, was wir sind und was wir wollen". 3 4 Text bei F. SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg, S. 225. 32 33

Ära Rotermund

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Synode" 3 5 versuchte man, den Vorwurf mit dem Argument zu entkräften, unter Bekenntnis verstehe man da ein Unterscheidungsmerkmal 36 , dort ein Arbeitsprogramm 37 . Von diesem Verständis her ist die Riograndenser Synode 1. eine christliche Kirche, 2. eine evangelische Kirche, 3. eine deutsche Kirche 38 . Christliche Kirche in ihrem Bekenntnis zu Jesus Christus „als dem endgültigen Offenbarer Gottes" 39 , evangelische Kirche, weil sie „nur die Bibel als Quelle für alle christliche Glaubenserkenntnis ansieht" 40 , eine deutsche Kirche endlich „nicht nur in dem Sinne, daß sie die deutsche Sprache gebraucht, sondern auch in dem Sinne, daß sie sich bewußt auf die deutschstämmige Bevölkerung unseres Staates beschränkt, bewußt eine organisatorische und geistige Verbindung mit den evangelischen Landeskirchen Deutschlands aufrecht erhält und bewußt die deutsche Art des Protestantismus pflegt. Es darf aber nicht übersehen werden, daß auch unsere Synode den Gebrauch der Landessprache gestattet, wo es nötig ist, aber das ändert nichts an dem grundsätzlichen Bekenntnis zum deutschen Volkstum." 4 1 Die Entwicklung bis zum Ersten Weltkrieg Man darf sich unter der Riograndenser Synode kurz nach ihrer Gründung noch keine fest organisierte Kirche vorstellen; ihre gesamten Möglichkeiten waren äußerst beschränkt. Sie war nicht mehr als ein Gemeindeverband, der versuchen mußte, das Vertrauen der Gemeinden zu gewinnen. Um große Aufgaben wahrnehmen zu können, fehlten ihr die Gelder. Es gab keine Beiträge der Gemeinden für die Aufgaben der Synoden. Die einzigen Mittel, die ihr zur Verfügung standen, waren die Erträge der bei den Synodalversammlungen erhobenen Kollekten. Erst während des Ersten Weltkrieges gab es Beiträge der Gemeinden für die synodale Arbeit. Trotzdem wurden von der Synode einzelne Aufgaben übernommen: sie befaßte sich mit den Problemen der Einwandererfürsorge, der Gründung eines Lehrer- und Predigerseminars, der Einrichtung einer Reisepredigerstelle und der Schaffung eines eigenen Gesangbuches. Außerdem übernahm die Synode drei höhere Schulen: das von Rotermund gegründete „Collegio Independencia", das Evangelische Stift in Hamburgo Velho und die Synodalschule in Santa Cruz 4 2 . 3 5 Hat die Riograndenser Synode ein Bekenntnis? SRS 4 3 , 1 9 2 9 , Nr. 3, S. 5; Nr. 4, S. 4 f.; Nr. 5, S. 4 f . ; Nr. 6, S. 4 f . 3 6 Ebd., Nr. 6, S. 5. 3 7 Ebd., Nr. 3, S. 5. 3 8 Ebd. 3 9 Ebd. 4 0 Ebd. 4 1 Ebd., Nr. 5, S. 5. 4 2 Vgl. zum Ganzen F. SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg, S. 209-223; J. FISCHER, Geschichte, S. 1 1 2 - 1 1 6 .

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Einen gewissen Einschnitt bedeutete das Jahr 1900, denn in diesem Jahr wurde das Kirchengesetz veröffentlicht, das den Kirchengemeinden außerhalb Deutschlands den Anschluß an die Preußische Landeskirche ermöglichte 43 . Eine wachsende Zahl von Gemeinden schloß sich der Preußischen Landeskirche an, um ihren Pastoren ein gesichertes Dasein zu ermöglichen. Die Synode selbst durchlebte eine Krise, die beinahe zu ihrer Auflösung geführt hätte, bedingt durch das räumliche Wachstum der Synode, das eine Dezentralisierung erforderte. 1901 einigte man sich auf eine Teilung der Synode in zwei Bezirke, zu denen 1906 noch ein dritter hinzukam. An der Spitze jeder der Bezirkssynoden stand ein Präses, der von den anderen Präsiden völlig unabhängig war. Es gab nun faktisch drei Synoden. Während die Gemeinden sich an die Preußische Landeskirche anschließen konnten, war dies für die Synode nicht möglich. Um eine völlige Auflösung der Synode zu verhindern, beantragte die Synode des Ostbezirks 1907 bei der Evangelischen Gesellschaft, die Stelle eines hauptamtlichen Präses einzurichten. Im selben Jahr wandte sich die Synode des Westbezirks an den Ev. Oberkirchenrat in Berlin mit der Bitte, einen Ständigen Vertreter für Brasilien zu ernennen, der später Generalpräses der Gesamtsynode werden könnte. 1907 entsandte der Oberkirchenrat Martin Braunschweig, Generalsekretär des Gustav-Adolf-Vereins, als Kommissar nach Brasilien, damit er sich einen Uberblick über die Lage verschaffe 44 . Braunschweigs Besuch brachte aber keine Lösung der Krise. 1909 beschloß zwar die Generalsynode in Porto Alegre, zur alten Ordnung wieder zurückzukehren, und wählte Wilhelm Rotermund, der sich seit 1893 von der synodalen Arbeit zurückgezogen hatte, zum Präses. Der Westbezirk, der sich durch diesen Beschluß übergangen fühlte, erklärte Rotermunds Wahl wegen eines Formfehlers für ungültig. Daraus entwikkelte sich der sogenannte „Annullierungsstreit" 45 , in den der Berliner Oberkirchenrat eingriff, als er 1910 den Generalsuperintendenten von Westfalen, Wilhelm Zoellner, als Vermittler nach Brasilien entsandte 46 . Zoellner schlug vor, die Synode in nicht selbständige Bezirke, die als Zwischeninstanzen zwischen dem Synodalvorstand und den Gemeinden fungieren sollten, einzuteilen. Seine Reise brachte aber neben der Klärung dieses Problems noch ein weiteres Ergebnis: 1911 ernannte der Ev. Oberkirchenrat einen Ständigen Vertreter für Brasilien, der den Titel „Propst" erhielt. Er fungierte als Zwischeninstanz zwischen dem Oberkirchenrat 47

43 44 45

Text bei E. W. BUSSMANN, Evangelische Diasporakunde, S. 426 f. Vgl. Reisebericht Braunschweig (vgl. Anm. 28). Vgl. dazu E . FAUSEL, R o t e r m u n d , S. 1 3 9 - 1 4 2 .

Vgl. den Bericht über seine Reise durch die deutschen Gemeinden in Brasilien im Jahre 1910 (AKA, EO 2b). 4 7 Später auch zwischen dem Kirchenausschuß und dem Kirchlichen Außenamt. 46

Ära Rotermund

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und den Gemeinden in Brasilien. Dadurch wurde auch die Beziehung zur Preußischen Landeskirche viel enger 48 . Bis zum Ersten Weltkrieg ging es also in der Synode hauptsächlich um organisatorische Überlegungen und um Fragen der Uberwindung des Gemeindeindependentismus, um die einzelnen Gemeinden aus dem engen Horizont ihrer eigenen Arbeit herauszuführen und sie in den größeren Kontext einer gesamtkirchlichen Arbeit zu stellen. Somit ist es auch nicht verwunderlich, daß bis zum Jahre 1914 kaum Äußerungen der Gesamtsynode zu der Frage der Erhaltung des Deutschtums vorliegen; auch dies rührt daher, daß sich die Synode ursprünglich als Gemeindeverband konstituierte. Daher sind im folgenden für die Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Deutschtum innerhalb der Riograndenser Synode bis zum Ersten Weltkrieg immer nur einzelne Aspekte herauszuarbeiten, die die Situation der Gemeinden und ihrer Pastoren widerspiegeln. 1892 konstatierte der deutsche Konsul in Porto Alegre: „Die hier geborenen Deutschen haben keinen deutschen Patriotismus mehr." 4 9 Seine Feststellung war zutreffend, denn in der vorsynodalen Periode wurde die portugiesische Sprache gerade in den Gemeinden benutzt, die dem Einfluß ihrer portugiesisch sprechenden Umwelt stärker ausgesetzt waren. Zur Zeit der Gründung der Riograndenser Synode fand sie aber auch schon zusehends Eingang in den mit Deutschstämmigen dichter besiedelten Kolonien Rio Grande do Suis 50 . Die immer wiederkehrende Klage, die portugiesische Sprache werde mehr und mehr zur Umgangssprache, zeugt von einer zunehmenden Anpassung der Gemeinden an ihre Umwelt 5 1 ; manche Gemeindeglieder mußten sich deshalb das Schimpfwort „Renegaten" gefallen lassen 52 . Der häufigere Gebrauch des Portugiesischen bedeutete aber zunächst nicht, daß sich die einzelnen Gemeindeglieder bewußt in die brasilianische Gesellschaft integrierten und ihr Deutschtum verleugnen wollten. Es ist vielmehr so, daß sie „mit einer gewissen Naivität" an ihrem Deutschtum festhielten. Dies wird in der bis 1914 gängigen Redewendung „wir und die Brasilianer" deutlich 53 ; man war sich also seiner Andersartigkeit gegenüber den Brasilianern portugiesischer Herkunft bewußt, verzichtete aber darauf, den eigenen, deutschen 4 8 Zum ganzen wie auch zu weiteren Auswirkungen von Zoellners Besuch vgl. J. FISCHER, Geschichte, S. 143-149.

Zitiert bei F . SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg, S. 214. H . ZÖLLER, Deutsche im Urwald II, S. 167F.; F . PECHMANN, Schulen, S. 53. 5 1 Vgl. W . ROTERMUND, Rio Grande do Sul, S. 3 6 : „ D i e heranwachsende Jugend glaubt nun ihren Patriotismus dadurch beweisen zu können, daß sie portugiesisch spricht. So dringt diese Sprache mehr und mehr in die Familien hinein." Rotermunds Äußerungen stammen von Anfang 1914 (vgl. B. GEISSLER, Kulturbedeutung, Vorwort). 49

50

52 53

Vgl. SRS 3, 1891, N r . 26, S. 8. M. BRAUNSCHWEIG, Brasilianische Diaspora, S. 207.

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Charakter 54 besonders herauszustellen. Seinen brasilianischen Charakter jedoch betonte man gegenüber den sogenannten Reichsdeutschen, die erst nach der Reichsgründung nach Brasilien ausgewandert waren und die sehr oft „alldeutsche Ideen in extremer Fassung" vertraten und über alles Brasilianische schimpften, was natürlich den Unmut der teilweise schon in dritter Generation in Brasilien ansässigen Deutschstämmigen hervorrief 55 . Diese für die Gemeinden charakteristische Spannung zwischen Reichsdeutschen und Deutschbrasilianern wirkte sich naturgemäß auch sehr oft auf das Verhältnis der Gemeinden zu ihrem Pfarrer aus. Für die Gemeinden war dieser auch ein Reichsdeutscher, der nach Brasilien gekommen war, um Geld zu machen und als reicher Mann nach Deutschland zurückzukehren 56 . Nach der Jahrhundertwende ist auch bei den Gemeinden ein stärkeres brasilianisches Bewußtsein festzustellen. Dies ist dadurch gekennzeichnet, daß die städtischen Gemeinden Pfarrer vorzogen, die mit der Landesart und Landessprache vertraut waren S7 und mit der Haltung der Gemeinden in der Frage des Anschlusses an die Preußische Landeskirche übereinstimmten. Ferdinand Schröder meint, der Anschluß an die Preußische Landeskirche habe in den Gemeinden „die Empfindung eines Zusammenhanges mit der Heimat" 5 8 hervorgerufen. Tatsache ist aber, daß gerade die Frage des Anschlusses immer wieder antideutsche Töne innerhalb der Gemeinden laut werden ließ. Einzelne Gemeindeglieder gingen sogar so weit, ihre Mißstimmung in den Zeitungen bekannt zu geben 59 ; sie wollten nicht unter die preußische „Pickelhaube" kommen 60 . Die Gemeinden fürchteten einerseits um ihre Autonomie 61 , andererseits wollten sie aber auch ihre Verbundenheit mit der neuen Heimat bekunden 62 . Bei der Riograndenser Synode ist nicht von einem einheitlichen Pfarrerstand auszugehen. Die verschiedensten theologischen, landsmannschaftlichen und nationalen Eigentümlichkeiten mischten sich hier. Neben Akademikern aus allen deutschen Landeskirchen finden wir Missionare aus Basel, Barmen, Chrischona und Kropp. Junge Missionare, die unmitTH. DIETSCHI, Riograndenser Synode, S. 33. Vgl. Reisebericht Zoellner (vgl. Anm. 46), S. 45f. 5 6 Schreiben Ed. Hirschböcks aus Arroio Grande/Pelotas vom 15. 4. 1914 an die Ev. Gesellschaft (AEG FRANKFURT, Südbezirk I). 5 7 Vgl. Reisebericht Braunschweig (vgl. Anm. 28), Rio Grande do Sul, Allgemeiner Teil, S. 5 0 . s e Eigenart, S. 238. 54

55

59

Vgl. SYNODALBERICHT 1 9 1 4 , S . 1 6 .

Vgl. Reisebericht Zoellner (vgl. Anm. 46), Unterabschnitt Porto Alegre, S. 1-4. So mit Recht U. HEES, Wandlungen, S. 125. 6 2 Einen interessanten und informativen Bericht über das Leben evangelischer Gemeinden in Rio Grande do Sul bietet der 1913 ausgesandte Pfarrer F. KOLASS (Erlebnisse). 60 61

Ära Rotermund

95

telbar nach ihrer Ausbildung ausgesandt wurden, standen neben älteren, die schon in der Mission tätig gewesen waren. Nach dem Ersten Weltkrieg kamen noch die Absolventen des Auslandsseminars hinzu. Viele Nationalitäten waren vertreten: Deutsche, Österreicher, Schweizer, Nordamerikaner, Tschechen, Balten, Polen und natürlich später auch Brasilianer. Pfarrer, die in Brasilien ihre Lebensaufgabe sahen, und andere, die nur vorübergehend ins Land kamen. Bei dieser unterschiedlichen Ausgangssituation ist es nicht verwunderlich, daß die Pfarrer auch in der Frage der Beziehung von Kirche und Deutschtum keine einheitliche Stellung einnahmen. Während der Akademiker seine Aufgabe viel mehr in der Verkündigung und der Vermittlung und Erhaltung kultureller Werte, sprich Deutschtum, sah, ging es dem Missionar ausschließlich um die Verkündigung des Evangeliums 63 . Unter den Akademikern 64 waren deshalb auch die ausgeprägteren Sympathien für die Deutschtums- und Expansionspolitik des zweiten Deutschen Reiches 65 zu finden. Sie sahen in den „auswärtigen Ansiedlungen" „Stützpunkte für unsers Volkes Handels- und Machtausdehnungen" 66 und waren deshalb auch von der Sendungsideologie des deutschen Volkes beseelt 67 . Bei ihnen ist auch schon die nach dem Ersten Weltkrieg immer wiederkehrende Ableitung der Verbindung von Deutschtum und Evangelium aus den Schöpfungsordnungen zu finden 68 . Die Sorge um die Erhaltung des Deutschtums fand aber bei den Akademikern nicht nur in ihren Veröffentlichungen ihren Niederschlag, sondern auch in der Predigt 69 . Zu derartigen Predigten boten hauptsächlich die „Kaiser-Gottesdienste" Anlaß, diese wurden am Geburtstag, Regierungsjubiläum, oder auch am Todestag des Kaisers gehalten 70 . Hier spiegelte sich jene Hoftheologie 6 3 D e s h a l b ist es auch völlig falsch, wenn in den Darstellungen der Geschichte der R i o grandenser S y n o d e , die zumeist in der 30er Jahren entstanden sind, betont wird, die F r a g e der Erhaltung des D e u t s c h t u m s sei ein Anliegen aller Pfarrer gewesen (vgl. die Darstellungen

E . FAUSELS). 64

Z u R o t e r m u n d als E x p o n e n t vgl. oben S. 89.

A . FUNKE meint: „ R i o G r a n d e d o Sul m u ß eine D o m ä n e deutschen Kapitals, deutscher E i n w a n d e r u n g werden. D a z u haben wir das historische Recht und auch die Macht, und niemand wird uns dabei im Staate drüben hinderlich s e i n " (Besiedlung, S. 64). 65

Vgl. G . SCHLEGTENDAL, V o l k s b r ü d e r , S. 4. Vgl. e b d . , S. 3 f . 6 8 Vgl. M . DEDEKIND, Deutsch-evangelische Kirche, S. 88, oder G . SCHLEGTENDAL, V o l k s b r ü d e r , S. 3 f . : „ W a s G o t t z u s a m m e n g e f ü g t , das soll der M e n s c h nicht scheiden. D i e s g i l t a u c h von dem innig verbundenen Paar v o n Wörtlein u n d B e g r i f f e n . . .: deutsch-evangelisch . . . Wir sind stolz darauf, daß das C h r i s t e n t u m u n d das D e u t s c h t u m , daß das Evangelium u n d germanisches Wesen eine so innige Vermählung geschlossen h a b e n . " 66

67

Vgl. P . KOPP, M o m e n t b i l d e r , bes. S. 402. Vgl. S R S 1, 1888, N r . 6, S. 4 (über den T o d Kaiser Friedrich I I I . ) ; ebd. 2 7 , 1 9 1 3 ; N r . 27, S. 106-107 ( A p h o r i s m e n aus der R e d e Pfarrer K o p p s , gehalten zur Feier des 25jährigen Regierungsjubiläums Kaiser Wilhelms II. in der deutschen evangelischen Kirche zu Santa 69

70

Riograndenser Synode von 1886 bis 1930

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wieder, die in Deutschland nach 1871 Deutschtum, Monarchie und reformatorisches Christentum zum Idealbild der deutschen Einheit werden ließ 71 . Daß diese Feierlichkeiten in Brasilien aber völlig fehl am Platze waren, scheint den Beteiligten nicht aufgegangen zu sein. Man würde aber den Akademikern Unrecht tun, wollte man sie alle dieser engstirnigen Einstellung bezichtigen. Es gab auch andere Stimmen und Haltungen. 1896 äußert sich Ernst Schlieper zu den Aufgaben der evangelischen Kirche in Brasilien: „Mit welchem Segen könnte die evangelische Kirche unter den Brasilianern arbeiten. Die Synode hat hier nicht nur den Beruf, unter den Deutschen zu arbeiten, sondern auch unter den Romanen zu missionieren." 72 1901 begann Ernst Lechler unter Nicht-Deutschen in Tres Forquilhas zu evangelisieren 73 , wurde aber wegen dieser Eigenmächtigkeit von der Evangelischen Gesellschaft stark kritisiert 74 . Unter den Pfarrern fand die Meinung Schliepers allerdings keine uneingeschränkte Zustimmung. So meinte 1896 ein namentlich nicht genannter Pfarrer: „Denn es ist kaum Hoffnung vorhanden, daß eine Pflege des evangelischen Werkes hierselbst fortgeführt würde, wenn es weiterhin in portugiesischer Sprache betrieben werden müßte." 7 5 Anders sahen die Missionare ihre Aufgabe bei den Auswanderern; sicherlich fanden sich auch unter ihnen einzelne, die für die Erhaltung des Deutschtums eingetreten sind 76 , im allgemeinen aber trifft für sie die Ansicht des Pfarrers Ernst August Kunert, eines Barmer Missionars, zu 7 7 , der eindringlich davor warnte, „der kirchlichen Arbeit den Anstrich zu geben, als ob sie im Dienste der alldeutschen Idee, im Dienste des Nationalismus stände. Denn auf diese Weise würde eine Schranke aufgerichtet, die das Evangelium der Deutschen von den Brasilianern trennt, es würde ein ,deutsches' Evangelium entstehen" 78 . Hier ist eine ökumenische Weite zu spüren, die selten anzutreffen ist, die aber den Geist der Missionshäuser widerspiegelt. In einem Brief an Fabri bedauerte Kunert, daß er die französischen Protestanten nicht betreuen könne, da er deren SpraMaria da Bocca do Monte); ANSIEDLER 53,1915, S. 187 (über den Gottesdienst am Geburtstag Wilhelm II. in Montenegro). 71 Vgl. W. TILGNER, Volk, Nation und Vaterland, S. 137ff. 72 Bericht über die 10. ordentliche Synodalversammlung in Bom Jardim am 24. und 25. 6. 1 8 9 6 (ANSIEDLER 3 4 , 1 8 9 6 , S . 7 9 ) . 73

ANSIEDLER 3 9 , 1 9 0 1 , S . 5 3 - 5 4 .

74

G . SCHLEGTENDAL, E v a n g e l i s a t i o n s a r b e i t , S. 4 2 .

75

ANSIEDLER 3 4 , 1 8 9 6 , S . 4 4 F .

76

Vgl. R. BECKER, Pechmann, bes. S. 123. Kunert kann als Beispiel dienen, da seine im AEG FRANKFURT verwahrten Briefe und seine Äußerungen im „Deutschen Ansiedler" eine geschlossene Darstellung ermöglichen. Ernst August Kunert, geb. 1. 12. 1860 in Erfurt, 1886 nach Brasilien ausgesandt, 1886-1909 in Forromecco, R. G. 78 Aus der deutschen Kolonie in Rio Grande do Sul (ANSIEDLER 37, 1899, S. 12). 77

HERMANN

DOHMS

FERDINAND SCHLÜNZEN

Ära Rotermund

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che nicht spreche und auch keine Möglichkeit habe, sie zu erlernen; auch der italienischen Glaubensbrüder, der sogenannten Waldenser, würde er sich gerne annehmen, leider wohnten sie zu weit entfernt 7 9 . Schon 1891 äußerte er die Uberzeugung, der Protestantismus müsse sich der portugiesischen Sprache bedienen, um von den Brasilianern akzeptiert zu werden 8 0 ; deshalb sollte nach seiner Ansicht die Betonung des Deutschtums und dessen Verbindung mit dem Evangelium ganz zurückgestellt werden, denn es könne nicht erwartet werden, ,,daß der Brasilianer, der sich etwa dem evangelischen Glauben zuwenden würde, nun auch Deutscher nach seiner Denkungsart und Lebensweise werden m ü s s e " 8 1 . Diese Einstellung hinderte ihn allerdings nicht daran, kein Unglück darin zu sehen, „wenn mit dem Evangelium ein gewisses Maß germanischer Zivilisation gebracht w i r d " 8 2 . Zutiefst bedauerte er es, daß der Deutsche in Brasilien öfters etwas zu nachhaltig auf seine Nationalität poche 8 3 ; es sei falsch, von „germanischen Tugenden" zu reden, oder zu sagen, das deutsche Volk verdanke „seinen höheren sittlichen Standpunkt" seinen „Rasse-Eigentümlichkeiten", dieses höhere sittliche Niveau sei vielmehr der Kirche zu verdanken 8 4 . Deshalb griff er jene politischen und philantropischen Gesellschaften Deutschlands an, die Deutschtum durch allerlei Vereine erhalten wollten, dabei aber nur „germanische Untugenden" erhalten würden 8 5 . Nationale „Treibereien" seien nicht nötig und dürften keine U n dankbarkeit gegenüber Brasilien zur Folge haben 8 6 . Im Juli 1887 schrieb er an Fabri: ,,Im Laufe dieses Jahres will ich mich naturalisieren und als Bürger des Staats qualifizieren lassen um dann auch politisch tätig zu sein. Mit mir werden eine Anzahl Gemeindeglieder dasselbe thun." 8 7 Eine den deutschen Missionaren ähnliche Einstellung vertrat auch der ehemalige Jesuit und Mitarbeiter Adolf Stöckers, Bruno Stysinski. Von Dezember 1898 bis Januar 1899 unternahm er eine Missionsreise durch das Hochland von Rio Grande do Sul. In Cruz Alta predigte er in portugiesischer Sprache und bekehrte mehrere Gemeindeglieder zum christlichen Glauben 8 8 . 1905 stellte er auf der Synodalversammlung in Cahy die 7 9 Brief vom 16.7.1891 (AEG FRANKFURT, Estado Rio Grande do Sul). Er leitete deshalb die Bitten dieser Gemeinden an einen Methodistenprediger weiter. 8 0 Ebd. 8 1 Vgl. Anm. 78. 8 2 Ebd. 8 3 Vgl. Anm. 79. 84

ANSIEDLER 37, 1899, S . 11.

Ebd. „Gegen Brasilien undankbar und ungerecht zu sein, verpflichtet den Deutschen sein Deutschtum durchaus nicht, nur möge er sich, wenn er sich mit stolzem Behagen daran erinnert, wie viel er durch seine Arbeit dem Lande genützt hat, auch daran erinnern, wie viel er vom Lande selber empfangen hat" (ANSIEDLER 37, 1899, S. 13). 8 7 A E G FRANKFURT, Estado Rio Grande do Sul. 8 8 Vgl. Indianer-Mission. 85

86

7

D r e h e r , Brasilien

Riograndenser Synode von 1886 bis 1930

98

Frage nach der Verantwortung von Kirche und Schule gegenüber dem brasilianischen Volk zu Diskussion - gemeint sind hier die nicht-deutschstämmigen Brasilianer. Dabei erreichte er, daß den Gemeinden empfohlen wurde, den Kindern in den Schulen die Bedeutung der nationalen brasilianischen Feiertage nahezulegen, und daß die Geistlichen nun begannen, sich „bei Gottesdiensten und Amtshandlungen gegebenenfalls [?], mehr als bisher geschehen, auch der portugiesischen Sprache" zu bedienen 89 . Daß Stysinski sich nicht scheute, die portugiesische Sprache zu benutzen, beweist das Taufbuch der Gemeinde Montenegro 90 . Auch auf der Synodalversammlung in Montenegro 1913 hielt er eine Ansprache in portugiesischer Sprache 91 . Der Erste Weltkrieg Nach dem Ausbruch des Krieges konnte zunächst die Arbeit innerhalb der Synode in gewohnter Weise fortgeführt werden. Die Sympathie der Gemeinden war auf seiten Deutschlands. Die in Deutschland hochgehenden Wogen der Begeisterung schlugen auch auf die Deutschstämmigen in Brasilien über, viele Bitt-Gottesdienste wurden in den Gemeinden abgehalten. In einem Rundschreiben an die Gemeinden bat Präses Rotermund, man möge in das Kirchengebet „eine Fürbitte um den für Deutschland, das Deutschtum und die deutsche evangelische Kirche ehrenvollen und segensreichen Ausgang des Völkerringens" einfügen 92 . In jedem Gottesdienst stiegen die Gebete „ z u dem Lenker der Schlachten empor" 9 3 . Man sammelte Gaben für Deutschland, und die Synode versäumte keine Gelegenheit, die Gemeinden zur Zeichnung von Kriegsanleihen zu ermuntern 94 . Man freute sich über die deutschen Siege und sprach von „unserem tapferen Kriegsheere", „unseren Feinden" 9 5 und „unseren Unterseebooten" 9 6 . Frankreich wurde nach dem Zusammenbruch als ein Volk dargestellt, das „von der Hand Gottes zerbrochen" worden sei, und man sah Bruno Stysinski, geb. 7. 8. 1856 in Sieradz/Polen, gest. 24. 6. 1930, 1896 nach Brasilien ausgesandt, 1897-1901 in S. Sebastiäo do Cai, R. G . , 1901-1906 in Rio Grande, 1906 in Jjuhy, 1906-1910 in S. Sebastiäo do Cai, 1910-1927 in Montenegro. 89

ANSIEDLER 43, 1905, S. 96.

Stysinski hat zahlreiche Eintragungen gemacht über Taufen, die an lusobrasilianischen Kindern vollzogen wurden. 90

91

V g l . SYNODALBERICHT 1 9 1 3 .

„ A n die Gemeinden der Riograndenser Synode und ihre Geistlichen" (SRS 28, 1914, S. 1 6 9 ) . 9 3 W. Rotermund (SYNODALBERICHT 1916, S. 16). 9 4 So war zu lesen: „ N u n helft mit, liebe Landsleute, auch hier diese Last Deutschlands mit tragen, so viel ihr könnt. Das geliehene Geld ist sicher und gut angelegt und wird reichlich Früchte tragen" (SRS 30, 1916, Nr. 13, S. 49). 9 5 Ebd. 9 6 Ebd. 2 9 , 1 9 1 5 , Nr. 4 , S. 1 4 . 92

Nr.

43,

Ära Rotermund

99

darin ein , ,Mene Tekel": „Gott liebt die Franzosen nicht weniger als uns. Gott ist kein Deutscher. Aber er liebt, die ihn lieben, und segnet, die ihn ehren." 9 7 Einer der Pastoren machte sich auf nach Deutschland, um am Krieg teilzunehmen 98 ; andere bedauerten, nicht zu den Waffen eilen zu können 9 9 . Nicht nur im Reich, auch in den brasilianischen Gemeinden wurde Deutschlands Verpflichtung zum Kriegführen mit Vergleichen aus der Bibel legitimiert. Deutschland, das „um die heiligsten Güter der Menschheit kämpft", ist der leidende Gottesknecht aus Jes. 53: „Es gab einmal einen edlen Menschen, der nahm die Schuld auf sich, um sie zu erlösen; den haben sie gekreuzigt. Leide wie er, mein liebes Deutschland, und trage den Haß der Welt. Es wird die Zeit kommen, da du in neuer Schönheit und Herrlichkeit strahlen wirst und die Völker dir danken werden. Du wirst siegen und stark sein, du wirst aber auch der Hort der Wahrheit, der Gerechtigkeit und des Friedens sein. Gott ist mit dir." 1 0 0 Präses Rotermund begrüßte im Oktober 1914, daß „das Bewußtsein der Stammeszugehörigkeit erstarkt" sei 1 0 1 , und Pfarrer Kolfhaus sprach in einem Brief an Max Dedekind von der großen Begeisterung und den vielen Opfern, die von den Gemeindegliedern dargebracht wurden 102 . Die anfängliche Begeisterung schwand aber bald. Auf der Synodalversammlung in Santa Maria 1916 bedauerte Präses Rotermund diesen Stimmungsumschwung zutiefst 103 ; er sah darin ein Anzeichen, daß sich das Deutschtum im Niedergang befinde, und führte das auf die Gleichgültigkeit gegenüber dem Evangelium zurück 1 0 4 . Mit patriotischen Gedichten versuchte das

97

E b d . , N r . 2 3 , S. 9 1 .

98

ANSIEDLER 5 2 , 1 9 1 4 , S. 1 4 6 .

99

E b d . 5 3 , 1 9 1 5 , S. 1 6 7 .

100

J . MERZ, W o f ü r Deutschland kämpft, S. 3.

101

Vgl. A n m . 9 2 .

102

„ B e i jeder Siegesdepesche, die hier a n k o m m t , schieße ich mit Kraft und Begeisterung

Salut. Sobald das über den Stadtplatz k r a c h t , k o m m e n v o n allen Seiten die L e u t e hergelaufen und dann werden die N a c h r i c h t e n verlesen. T o s e n d e r Jubel. U n d echt ist dieses plötzlich aufquellende deutsche Bewußtsein, das zeigt sich in der Gebefreudigkeit. E i n a r m e r K o l o nist verkauft seine K u h , u m Milreis für das R o t e K r e u z geben zu können. U n s e r e Kinder leeren die Sparbüchsen. E t w a 189 Milreis haben unsere Mittel und Oberklasse aufgebracht, 2 5 0 Milreis meine K o n f i r m a n d e n . Mein kleiner deutscher Pferdejunge arbeitet einen M o n a t u m sonst, u m auch etwas geben zu k ö n n e n . I m ganzen sind bis heute in der K o l o n i e v o n 3 0 0 L e u t e n 6 5 0 0 M k . eingegangen. D a s will u m so mehr sagen, da v o n den 3 0 0 n u r etwa 5 0 U r deutsche sind, alles andere sind Germano-Brasilianer . . . A n jedem Posttagabend versammeln wir uns zu etwa 1 2 - 1 5 M a n n bei unserem K o l o n i e d i r e k t o r z u m K r i e g s r a t " (ANSIEDLER 5 2 , 1 9 1 4 , S. 152). A d o l f Kolfhaus, geb. 1 3 . 8. 1883 in Krefeld, 1911 ausgesandt nach Brasilien, 1 9 1 1 - 1 9 1 3 in E r e c h i m , R . G . , 1 9 1 3 - 1 9 1 5 in N e u - W ü r t t e m b e r g , 1 9 1 5 - 1 9 2 1 in P o r t o Allegre. 103

SYNODALBERICHT 1 9 1 6 , S. 17.

104

E b d . , S. 18.

100

Riograndenser Synode von 1886 bis 1930

Riograndenser „Sonntagsblatt", die nationale Begeisterung der Gemeinden aufs neue zu entfachen 105 . Als Brasilien im Oktober 1917 auf der Seite der Alliierten in den Krieg eintrat, änderte sich die Lage der Synode schlagartig. Die Verbindungen mit Deutschland wurden abgebrochen, es waren keine Gelder und auch keine Pfarrer mehr zu erwarten. Andererseits führte die gespannte Lage in Brasilien selbst die Synode in besondere Schwierigkeiten. Der Oktober 1917 hatte aber auch positive Auswirkungen: Von Deutschland abgeschnitten, war die Synode erstmals gezwungen, sich auf ihre eigene Kraft zu verlassen. Schon 1915 hatte Präses Rotermund die Gemeinden aufgerufen, durch den vor einigen Jahren gegründeten Riograndenser Gustav-Adolf-Verein Spenden für die Arbeit der Gesamtsynode zu geben 1 0 6 ; auf der Synodalversammlung in Santa Maria wurde nach einer Initiative von Pfarrer Hermann Dohms, der 1914 in den Dienst der Synode eingetreten war, der Beschluß gefaßt, von den Gemeinden einen festen Jahresbeitrag zur Bestreitung der nötigen Ausgaben der Synode zu fordern. Darin sind erste Anzeichen zu sehen, die bisherige Struktur eines Gemeindeverbandes und den damit verbundenen Gemeinde-Independentismus zu überwinden und eine eigenständige Kirche, in der alle Gemeinden zusammenwirken, aufzubauen. Nach der Torpedierung des Dampfers „Parana" durch deutsche U-Boote, woran niemand so recht glauben wollte 107 , in einer zunehmend gespannten Lage in Brasilien, wandte sich Präses Rotermund an die Gemeinden und Pfarrer mit der Bitte, sich an die Anordnung der brasilianischen Obrigkeit zu halten 108 . Bereits Neujahr 1918 war, abgesehen von einzelnen weit abgelegenen Kolonien, jede Amtshandlung in deutscher Sprache verboten worden. In zahlreichen Fällen durfte aber noch Gottesdienst mit deutschem Choral und deutscher Liturgie gehalten werden 1 0 9 , allerdings ohne freie Rede oder freies Gebet. Durch einen Runderlaß des Polizeichefs in Porto Alegre wurden am 11. April 1918 alle Polizeibehörden des Staates angewiesen, evangelische Gottesdienste in deutscher Sprache zu gestatten. Die Predigt in deutscher Sprache blieb aber weiterhin verboten, stattdessen wurde eine „sonntägliche Lesung" erlaubt. Der Geistliche durfte zwar nicht die Kanzel betreten, konnte aber seine Predigt vom Altar aus verlesen. Somit lagen auch einem Konfirmandenunterricht in deutscher Sprache keine Hindernisse mehr im Wege 110 . Diese Anordnung ist nicht zuletzt ein Er105 So ζ. B. „ A n die Vaterlandsverneiner" (SRS29,1915, N r . 47, S. 188); „Sei fromm und deutsch" (ebd. 31, 1917, N r . 1, S. 3). 106

S c h r e i b e n v o m 2 5 . 2 . 1 9 1 5 (ANSIEDLER 5 3 , 1 9 1 5 , S . 1 8 4 F . ) .

107

SRS 31, 1917, Nr. 16, S. 18. Schreiben vom 21. 4. 1917 (ebd., N r . 17, S. 25). Vgl. Brief Braunschweigs vom 31. 1. 1918 an den E O K (AKA, E O 1). Vgl. Brief Braunschweigs vom 31. 5. 1918 an den E O K (ebd.).

108 109 110

Ära Rotermund

101

gebnis der ständigen Bemühungen von Präses Rotermund, das Recht auf Kultusfreiheit zu erlangen; er setzte sich immer wieder mit den Regierungsstellen in Verbindung und kämpfte unter Berufung auf § 72 der brasilianischen Verfassung für die Durchsetzung dieses Rechtes 1 1 1 . Unter diesem Druck bemühte sich die Regierung, den Wünschen der Deutschstämmigen entgegenzukommen; das aber war verschiedenen Kreisen der brasilianischen Bevölkerung bereits zuviel; einzelne Ausschreitungen kamen vor, und besonders die „Liga de defesa nacional" ergriff Maßnahmen, die sich keineswegs mit den Verlautbarungen der Regierung deckten 1 1 2 . Trotz der angespannten Lage sind nur wenige Fälle bekannt geworden, in denen Pastoren angegriffen wurden. Am 17. April 1917 wurde das Pfarrhaus in Santa Maria gestürmt, dabei gelang aber dem Pfarrer mit seiner Familie die Flucht 1 1 3 , im Jahre 1918 wurden zwei Pfarrer verhaftet, einer von ihnen mußte den Landkreis verlassen, in dem er seinen Wohnsitz hatte 1 1 4 , während der andere bald wieder freigelassen wurde. Gründe für diese Verhaftungen wurden nicht angegeben. Die Frage des Deutschtums und die ökumenischen Beziehungen Bis zum Ersten Weltkrieg gestalteten sich die Beziehungen zur engeren brasilianischen Ökumene, sieht man von der römisch-katholischen Kirche und der Missouri-Synode ab, sehr freundlich; die anderen evangelischen Denominationen vermittelten wertvolle Anregungen. Des öfteren finden sich in den Synodalberichten Vermerke über die Teilnahme von Vertretern der Methodisten und Anglikaner an den Synodalversammlungen. Die Haltung dieser beiden in Brasilien missionierenden Kirchen veranlaßte die Synodalen zu Überlegungen über ihre Verantwortung gegenüber dem brasilianischen Volk. Auf der Synodalversammlung zu Cahy, 1891, predigte z . B . der Methodistenprediger Correa in portugiesischer Sprache und fand damit viel Anklang. Unter den Anwesenden waren auch viele Katholiken. Unter dem Eindruck dieses Ereignisses fragte das Riograndenser „Sonntagsblatt", ob man nicht wenigstens kirchliche Blätter in portugiesischer Sprache unter den Nicht-Deutschen verteilen könnte 1 1 5 ; diese Anregung blieb aber ohne Erfolg. Dagegen predigte der anglikanische Bischof Kinsolving auf der Synodalversammlung in Lomba 1 1 1 Vgl. Brief Braunschweigs vom 31. 3. 1918 an den E O K (ebd.). - Ähnliche Bemühungen wurden auch von Propst Braunschweig unternommen, der sich zu diesem Zweck mit dem holländischen Gesandten in Rio de Janeiro in Verbindung setzte. 1 1 2 Vgl. Schreiben des Tenente Coronel Nero Alvim Borges an Rotermund vom 24. 11. 1917 (AKA, E O 1; ebd. auch weitere Briefe zum Sachverhalt). 113

ANSIEDLER 5 8 , 1 9 2 0 , S.

114

Vgl. Brief Braunscheigs vom 31. 10. 1918 an den E O K (AKA, E O 1). SRS 3, 1891, Nr. 47, S. 4.

115

15.

102

Riograndenser S y n o d e von 1886 bis 1930

Grande im Jahre 1900 in portugiesischer Sprache und ermahnte die Synode, ihre Aufmerksamkeit besonders auf zwei Gebiete zu richten: auf die Indianermission und die Mission unter den Brasilianern und Schwarzen. Gleich nach seiner Rückkehr aus Lomba Grande begann Ernst Lechler Gottesdienste für die in seiner Gemeinde lebenden Schwarzen zu halten; seine Arbeit wurde dankbar angenommen 116 . Seine Initiative blieb allerdings nicht ohne Widerspruch. Besonders sein Vorgänger Schlegtendal äußerte die Befürchtung, daß es passieren könne, daß die deutschstämmigen Gemeindeglieder lieber zu den portugiesischen Gottesdiensten gehen würden; dadurch sei die Möglichkeit gegeben, daß „das brasilianische Wesen endgültig das Deutsche" überflute 117 . Als weiterer Erfolg der Ermahnungen des anglikanischen Bischofs ist der Beginn der Indianermission zu sehen, die in Bruno Stysinski ihren größten Förderer fand 1 1 8 . Der Erste Weltkrieg machte aber diesen Begegnungen mit der Ökumene ein Ende. Besonders stark beeinträchtigt wurden die Beziehungen zur Igreja Episcopal Brasileira, der anglikanischen Kirche. In öffentlichen Ansprachen wandte sich der Bischof dieser Kirche gegen die Synode, und einer ihrer Pfarrer machte durch Vorträge in den Ortsgruppen der Liga de defesa nacional auf sich aufmerksam, als er die Geistlichen der Synode angriff und sie als Lügner hinstellte. Die Methodisten dagegen verhielten sich neutral 119 . Die heftigsten Auseinandersetzungen aber fanden mit der Missouri-Synode statt. Die Beziehungen zwischen den beiden Synoden waren aus dogmatischen Gründen schon immer äußerst gespannt gewesen. Während des Ersten Weltkriegs verschärfte sich diese Situation noch mehr. Anlaß dazu gaben erstmals die Ausführungen von Professor Kunstmann im „Evangelisch-Lutherischen Kirchenblatt" 1193 , als er meinte, die Riograndenser Synode solle 1917 keine Reformationsjubelfeier abhalten, da sie wegen ihrer Beziehung zur unierten preußischen Landeskirche dazu nicht berechtigt sei. Er warf der Synode vor, sie wolle statt der Reformation das Deutschtum feiern. Seine Ausführungen gipfelten darin, die Beziehungen der Synode zur Landeskirche vor der Öffentlichkeit bloßzustellen und Propst Braunschweig als einen „nicht akkreditierten preußischen Beamten" inmitten der Synode darzustellen, der trotz des Kriegszustands im Lande geblieben sei. Diese Vorwürfe und Beleidigungen waren der Anfang eines langen Streites über die Frage von Kirche und Deutschtum 120 . Vgl. Bericht aus T r e s Forquilhas. Vgl. G . SCHLEGTENDAL, Evangelisationsarbeit. 1 1 8 Zur Indianermission vgl. F . SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg, S. 2 5 0 f . ; B . STYSINSKI, Indianer-Mission, S. 85-88. 116

117

Vgl. A n m . 109. N r . 12, 1917. 1 2 0 Vgl. H . DOHMS, V o m D e u t s c h t u m der M i s s o u r i e r ; Missouri und das D e u t s c h t u m in R i o G r a n d e d o Sul. 119

U 9 a

H e r m a n n Gottlieb D o h m s

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2. Hermann Gottlieb Dohms: Leben - Theologische Konzeption - Handeln Der Ausgang des Ersten Weltkriegs sowie der Eindruck der Jahrhundertfeier der brasilianischen Unabhängigkeit und der deutschen Einwanderung stärkten das „völkische Empfinden" innerhalb der Synode außerordentlich. Das Besinnen auf die eigenen Traditionen, wozu diese Gedenktage Anlaß gaben, führte dazu, daß sich auch die Frage nach dem theologischen Standort des Begriffs Volkstum neu stellte; sie erhielt jetzt innerhalb der Synode zentrale Bedeutung. Die hier führende Gestalt wurde Hermann Dohms. Er bestimmte nach dem Ersten Weltkrieg die weitere Entwicklung der Riograndenser Synode und der anderen Synoden. Sein Name bedeutete zugleich ein Programm. Er war eine Persönlichkeit, von der nur in Extremen zu reden ist: eine faszinierende und tragische Gestalt. An der Spitze der jüngeren Generation versuchte er sein Kirchenprogramm zu verwirklichen, das bereits in der Bezeichnung der angestrebten „Deutschen Evangelischen Kirche von Rio Grande do Sul" sinnfällig wurde; er wollte also eine deutsche Kirche. Dies besagte zweierlei: sie sollte bei deutschem Ritus 121 auch deutsche Volkskirche sein, sie sollte aber auch evangelische Kirche sein, und dies bedeutete lutherische Kirche. Diese Deutsche Evangelische Kirche sollte aber kein Winkeldasein führen, und deshalb solle sie Deutsche Evangelische Kirche in Rio Grande do Sul, d. h. in Brasilien sein. Aus diesem Programm muß Dohms' Handeln und Denken, ja seine ganze Persönlichkeit gesehen werden. Er war leidenschaftlich Deutscher - d. h. bei ihm Volksdeutscher - und leidenschaftlich Brasilianer. Er war aber ebenso leidenschaftlich Lutheraner, ein Mann, bei dem bis in die letzten Konsequenzen hinein Luthers Zwei-Reiche-Lehre und die neulutherische Theologie der Ordnungen zu verfolgen ist, ein Mann, der mit seiner Confessio Augustana lebte und sie gegen jeden Mißbrauch leidenschaftlich verteidigte und es nicht gestattete, daß irgend etwas in sie hineingelesen wurde122. Jugend und Studium Geboren am 3. November 1887 in Sapiranga/Rio Grande do Sul, einer Ortschaft, die wegen der messianischen Bewegung der Mucker berühmt wurde, als Sohn von Pfarrer Paul Dohms, wurde Dohms mit elf Jahren nach Deutschland geschickt, um dort zu studieren. Von 1898 bis 1907 besuchte er das Johanneum in Gütersloh, eine Anstalt der Rheinische^ Mis121

D o h m s übersetzte D e u t s c h e Evangelische K i r c h e : „ I g r e j a evangelica de rito a l e m ä o "

(vgl. die Statuten bei F . SCHRÖDER, K i r c h e n t u m , S. 2 6 ) . 122

Dies wird deutlich in seiner Auseinandersetzung mit der Missouri-Synode, aber auch

mit H a n s Asmussen (vgl. unten S. 113 f.).

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sionsgesellschaft, die für die Ausbildung von Missionarskindern bestimmt war. Der Einfluß des Elternhauses, aber auch sein eigener Wunsch führten ihn zum Studium der Theologie. Von nicht geringer Bedeutung für diesen Entschluß war seine Hinwendung zu pietistischen Kreisen, die seine starken Vorbehalte gegenüber der akademischen Theologie zunächst noch verstärkte. Aus diesem Grund führte ihn auch sein Weg vorerst nicht zur Universität, sondern nach Basel, zur dortigen Predigerschule. In Basel aber kam er dennoch mit der akademischen Theologie in Berührung, als er Vorlesungen von Orelli, Mezger und Wernle hörte. Die größte Entdekkung dieser Zeit aber blieb für ihn die Theologie Schleiermachers. Sein Interesse für diesen und die Einflüsse seiner Lehrer führten ihn 1908 nach Leipzig; dort hörte er bei Lamprecht Kulturgeschichte und bei Hauck Dogmengeschichte. 1909 war er in Halle, wo er sich für drei Semester dem Studium der systematischen Theologie und der Philosophie widmete. Entscheidend waren in dieser Zeit die Begegnungen mit Kähler, Kattenbusch, Loofs und Menzer. Hier beschäftigte er sich hauptsächlich mit Kähler, Ritsehl und Troeltsch. Später sagte er deshalb, man müsse so radikal fragen wie Troeltsch und so antworten wie Kähler 1 2 3 . Von August 1910 bis Ende 1911 lehrte Dohms im Johanneum in Gütersloh. Ostern 1911 folgte das erste theologische Examen. Die Zeit in Gütersloh wurde zu weiteren philosophischen Studien benutzt. Ende 1911 kam er auf das Predigerseminar in Soest, dort vertiefte er sich weiter in das Studium der systematischen Theologie, besuchte das Lehrerseminar und erweiterte seine musikalischen Kenntnisse. Dieser Zeit in Soest kam eine besondere Bedeutung zu. Hier entstand sein Arbeitsprogramm für Brasilien, und hier erkannte er, daß die Arbeit der Synode nicht in der bisherigen Weise weitergeführt werden konnte 1 2 4 . Nach seinem Plan sollte in Brasilien eine Deutsche Evangelische Kirche entstehen. Nach dem zweiten Examen 1913 kehrte Dohms 1914 nach Brasilien zurück. Im März wurde er in seiner Heimat von Präses Rotermund ordiniert und übernahm die Gemeinde Cachoeira do Sul 1 2 5 . Die 15 Jahre in Deutschland hatten ihn geprägt, er wußte sich an die evangelische Kirche in Deutschland gebunden; in einem Punkt aber war er über diese Kirche enttäuscht: „Nichts habe ich in dem Deutschland vor 1914 schmerzlicher empfunden in seiner evangelischen Kirche als die außerordentliche Losgelöstheit ihrer Existenz von dem Ganzen des Volkes und das Schweigen ihrer Dogmatik und Ethik von der Gegebenheit 123

Mitteilung von seinem früheren Mitarbeiter D r . Erich Fülling.

Auf die Frage eines Kameraden, wie denn die Arbeit in Brasilien geführt werde, soll D o h m s geantwortet haben: „Sie machen alles falsch" (Mitteilung von O K R J . Bartelt). 124

1 2 5 Zum ganzen vgl. die Lebensläufe D o h m s ' v o m 3. 12. 1910 und 1. 8. 1912 ( A K A , Personal-Akten). E . FAUSEL führt noch Bonn als weiteren Studienort an (Dohms, S. 6), wovon Dohms selbst nichts sagt.

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Volkstum, für die zu arbeiten ich mich vorbereitete, und mit niemand habe ich mich mehr verbunden gefühlt als mit den wenigen, die wußten, was Volkstum ist. Da mußte man freilich bis zu Herder und der Romantik zurückgehen und ihre Auswirkung in der Gegenwart suchen." 1 2 6 Enttäuscht war er aber auch über das deutsche Volk: „Aber noch vielmehr habe ich als Auslanddeutscher im Deutschen Reich vor 1914 schmerzlich empfunden, daß das deutsche Volk nicht mehr lebte im Bewußtsein seiner unvergänglichen Werte, sondern in einer kalten Staatlichkeit, von der die Masse nichts mehr erwartet als sattes Behagen und den Schutz der materiellen Interessen." 1 2 7 Diese Erfahrungen brachten ihn dazu, sich intensiv mit der Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Volkstum zu beschäftigen. Programm und Ausführung Von seiner Gemeinde Cachoeira aus begann Dohms, das gesamte Leben der Synode entscheidend zu beeinflussen. Hier gründete er 1919 die „Deutschen Evangelischen Blätter für Brasilien" 1 2 8 , die sich zum Ziel setzten, „alle Fragen des inneren Aufbaus, der Organisation und der Geschichte des deutschen Protestantismus in Brasilien [zu behandeln] und . . . die Teilnahme an den Lebensäußerungen des Protestantismus im Deutschen Reiche zu erleichtern und für unsere Volksgemeinde fruchtbar zu machen." 1 2 9 In dieser Zeitschrift entwickelte Dohms seine Vorstellungen von einer Deutschen Evangelischen Kirche in Brasilien. Um dieses Ziel erreichen zu können, stellte er drei Forderungen an die Synode: 1. Die Synode muß für die Ausbildung von Pfarrern und Lehrern aus dem brasilianischen Deutschtum sorgen. Dies geschieht durch Gründung und Unterhalt eines Lehrerseminars und einer Theologischen Schule. 2. Die Synode muß sich als Volkskirche in Brasilien konstituieren, „in völliger äußerer Unabhängigkeit". 3. Die Synode muß „als Kirche einen den inneren Zusammenhang mit der evangelischen Kirche Deutschlands bezeugenden und sichernden Anschluß an den Kirchenbund der deutschen Landeskirchen (Kirchentag) nachsuchen" 1 3 0 . Diese Forderungen waren schon gelegentlich in früheren Jahren erhoben, aber nicht in die Tat umgesetzt worden; Dohms verwirklichte sie nun. Am 1. Juli 1921 begann er mit der Arbeit des Proseminars in seinem eigenen Hause und führte sie fort bis 1927. In diesem Jahr wurde die Anstalt nach Säo Leopoldo verlegt. 126 127 128

S. 16. 129 130

Neues Deutschland, S. 98. Völkisches Fühlen, S. 52. Nicht „deutsch-evangelische" wie bei H.-J. PRIEN, Kirche - Volkstum - Politik, DEBB 2, 1920, S. 172. Lage des Deutschtums, S. 19.

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Dohms vermittelte seinen Schülern humanistische und theologische Ausbildung; nach dem Besuch des Gymnasiums sollten sie nach Deutschland gehen, um dort Theologie zu studieren. Auf der Synodalversammlung in Santa Maria 1916 teilte er mit, seine Gemeinde und weitere vier hätten sich bereiterklärt, vier Prozent ihrer Einnahmen der Synode zur Verfügung zu stellen, andere folgten diesem Beispiel. 1919 stellte Dohms den Antrag, in· der Synode eine neue Kirchenordnung einzuführen. Sein Projekt trat mit einigen Änderungen in Kraft. Die Synode erhielt den Namen „Deutsche evangelische Kirche von Rio Grande do Sul", wobei bei Dohms „deutsche" der portugiesischen Ubersetzung „ d e rito alemäo" entsprach. Entscheidend ist aber, daß er den bis dahin sehr dehnbaren Bekenntnisstand auf die Confessio Augustana und auf Luthers Kleinen Katechismus festlegte. 1929 erreichte er schließlich die dritte Forderung seines Programms, den Anschluß an den Kirchenbund 131 . Die Riograndenser Synode: eine deutsche evangelische Volkskirche in Brasilien Dohms' gesamtes Programm aber wurde von einer Theologie getragen, die all seinen Handlungen erst ihren Sinn gab. Sein theologisches Denken wird von der Frage nach dem rechten Verhältnis von Kirche und Deutschtum bzw. Volkstum beherrscht. Für ihn ist das Volkstum eine Ordnung Gottes. Er weiß aber sehr genau, daß das Völkertum keine Schöpfungsordnung „im Sinne eines ursprünglichen und endgültigen Gotteswillens" ist 1 3 2 . Es ist danach Gottesordnung, „als Ordnung der Welt, die eine Welt zugleich der Sünde und der Gnade ist" 1 3 3 . Es ist wie die anderen Ordnungen Gottes ein Ort, in dem der Mensch Sünde und Gnade erfahren kann. Denn hier, in seinem Volkstum, wird sich der Mensch seiner Beschränkung bewußt. Er kann sich natürlich bemühen, diese Beschränkung aufzuheben oder sie als Gottes Ordnung anzuerkennen. Bei dem Unterfangen, diese Ordnung Gottes aufzuheben, kann der Mensch versuchen, „ein endgültiges Reich der Menschheit", was dem Humanismus entspräche, zu bauen, oder sein Volkstum absolut zu setzen und, befangen in diesem Nationalismus, leugnen, daß es noch andere Völker gibt, die Bedeutung für die Menschheit haben. Hebt der Mensch diese Beschränkung auf, löst er sich von Gott, behält seine Sünde und mehrt sie. Erkennt er sie aber als Ordnung Gottes an, gewinnt er echte Existenz, „indem er sich selbst zugleich aufgibt und als Gnade wieder empfängt" 1 3 4 , denn „ G o t t selbst Zum gesamten Programm vgl. E. FAUSEL, Dohms. Vgl. Volk und Kirche, S. 125. Dieser Aufsatz, dem wir im folgenden nachgehen, ist eine Zusammenfassung von Gedanken, die Dohms seit 1919 vertritt. 1 3 3 Ebd., S. 125f. 1 3 4 Ebd., S. 126. 131

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hat die Menschheit in seiner Gnade um der Sünde willen aufgelöst in Völker, um in dieser Welt, die Sünde ist und bleibt, darin nie eine Menschheit sein kann, zu seinem Ziele zu führen, zu dem Reiche Gottes, das im Himmel ist." 1 3 5 Von dieser seiner Sicht von Volk und Volkstum als Ordnung Gottes kommt er zu der Auffassung, daß Christentum eine .„völkische' Weltanschauung [ist], das heißt eine Sicht, die Völker als eine Ordnung Gottes sieht, ohne die auch Gott für uns nicht offenbar geworden ist noch wird" 1 3 6 . Für die Gestaltung der Kirche bedeutet diese Erkenntnis, daß er Kirche nur als Volkskirche begreifen konnte. Kirche kann es nicht als „Welt- und Menschheitskirche" geben, es sei denn, daß Volkskirchen sich in der Einheit eines Bekenntnisses zusammenfinden. Eine Kirche, welche nicht die von Gott gesetzte „heilsame Beschränkung" der Volksordnung anerkennt, wird „das Endgültige und Entschränkte wollen und identifiziert sich mit dem Reiche Gottes" 1 3 7 . Sinn der Kirchengeschichte könnte für ihn deshalb nur sein: „Individuation des Christentums, d.h. Eingang des Evangeliums in die von Gott gesetzten Individualitäten, insbesondere in dieses und jenes Volkstum" 1 3 8 . Diese Auffassung führte ihn zu der Frage nach Volk und Kirche in der Geschichte. Für Dohms war klar, daß da, wo kein Volk ist, auch keine Kirche werden kann, und umgekehrt, wo keine Kirche ist, da kann auch kein Volk werden. Darum schafft die Kirche Volk, wenn dieses nicht vorhanden ist, und deswegen muß ein Volk Kirche sein. Denn nur wo Volk und Kirche sind, kann sich der Einzelne und das Volk „in seiner Beschränkung selbst wollen . . . als Träger göttlicher Gnade". Wann ist aber ein Volk „Volk"? Dohms antwortete darauf: „ . . . wenn es nicht nur erfaßt, daß nach Gottes Weltordnung Völker sein sollen, sondern wenn es dazu selbst als Volk in seiner Geschichte diese Ordnung als eine solche erfahren hat, in der sich ihm Gott offenbart hat und noch offenbart". Ein Volk ist dann Volk, im vollen Sinn des Wortes, wenn es weiß, „daß seine Grenze ihm von Gott gesetzt ist, damit es Gefäß sei seiner Gnade, die ihm seine Grenze nicht nur vergibt, sondern sie zu seinem Werkzeug macht" 1 3 9 . Wie aber kann Dohms' Konzeption auf brasilianischem Boden verwirklicht werden, wo nach seinem Verständnis von Volk, Volk und NaEbd. Ebd. 1 3 7 Ebd., S. 127. Dohms kann, wenn er von der Notwendigkeit der Volkskirche spricht, auch von Jesus her argumentieren. Jesus hätte sich an sein Volk gesandt gewußt, von daher gelte auch nach der Auferstehung die Sendung an die Völker: „Gehet hin und lehret alle Völker". Kirche hat also, im Gehorsam gegen den Herrn „immer Kirche der Völkerz» sein und ist jeweils an dieses und jenes bestimmte Volk gewiesen". „Jede echte Kirche ist Volkskirche" (Wir wollen Volkskirche, in: JAHRWEISER 1937, S. 40). 1 3 8 DEBB 16, 1934, S. 128. 1 3 9 Ebd. 135 136

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tion nicht identisch sind, wo man aber von werdendem Volk reden kann, und wo die geistigen Strömungen das Aufgehen der verschiedenen Volksgruppen fordern? 1 4 0 . Dohms sah durchaus die Möglichkeit einer Assimilierung. Er fragte sich aber, was die Riograndenser Synode als Kirche verlieren würde, wenn es zur Auflösung der völkischen Grundlagen käme: „Wir würden damit auf unabsehbare Zeit die Möglichkeit eines vollen und reinen Verständnisses des Evangeliums verlieren, und zwar deshalb, weil die volle Entfaltung der Kraft und des Verständnisses des Evangeliums für den Einzelnen ausgeschlossen und nur erst in der Familie und in seinem Volke möglich i s t . " 1 4 1 Mit der Auflösung der völkischen Zuordnung der Kirche würde es auf lange Zeit keinen echten Volkszusammenhang geben, denn es gebe keine neue völkische Grundlage. Diese sollte sich erst nach einem langen biologisch-soziologischen Prozeß herausbilden. Dieser Gedanke der Auflösung der völkischen Grundlagen erscheint ihm aus zwei Gründen unerträglich: 1. weil die deutsche ethnische Gruppe in Brasilien einem Volk angehört, ,,in welches das Evangelium in unvergleichlicher Weise eingegangen" und dem „ d a s reine Verständnis des Evangeliums" eröffnet worden ist; 2. weil, falls die Einschmelzung der deutschen ethnischen Gruppe in Brasilien vollzogen würde, diese sie in ein noch werdendes und katholisches Volk hineinführen würde. Hier wäre dann eine evangelische Kirche keine Volkskirche mehr und würde nur noch als Sekte dastehen, denn ihr fehlte das Volk. Deswegen gab es für ihn nur einen Weg: Volkskirche sein und immer mehr werden. In diesem Zusammenhang gewann die Frage der Verkündigung entscheidende Bedeutung. Sie konnte im Hinblick auf die Volkskirche in doppelter Weise verfälscht werden und so die Bedeutung der „Volksordnung" für die Existenz der Kirche entstellen. Die Kirche konnte sich in ihrer Verkündigung eines „pietistischen" MißVerständnisses des Evangeliums bedienen und so die „völkischen Grundlagen leichtsinnig oder unbewußt" aufgeben; sie konnte sich aber auch angesichts der Gefahren, die dem Volkstum drohten, „auf eine Verkündigung, die Evangelium und Volkstum sehr voreilig miteinander verbindet oder das Volkstum und seine Kultur zum Inhalt nimmt", stützen 1 4 2 . Diese Irrtümer bauten aber weder die Kirche, noch könnten sie Volkstum erhalten. N u r mit einer klaren Verkündigung könnte man als Kirche seine Aufgabe an seinem Volke erfüllen. „ D i e Volksdeutsche Sendung' der Kirche ist ihre kirchliche Sendung." U n d dies bedeutete: „ J e entschiedener wir als Deutsche Christen, und das heißt Menschen sind, die Volksordnung als Weltordnung Gottes zu unserem Heile erkennen, je reiner wir das Evangelium von Sünde und Gnade

140 141 142

Vgl. die Ausführungen über den „ M o d e r n i s m u s " (oben S. 48). D E B B 16, 1934, S. 129. Ebd., S. 131.

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fassen, desto tiefer begründen wir auch die völkischen Grundlagen unserer Kirche, die . . . nur vom Evangelium her als Gottesordnung recht verstanden und ergriffen werden können." 1 4 3 Was meint Dohms mit diesem Satz? Er will sagen, daß die Kirche „nichts anderes zu tun habe als zu .predigen' und zu,lehren' und sich ,mit himmlischen Dingen' zu beschäftigen" 1 4 4 . Und deshalb ist jede andere Art von Volkstumspflege, die nicht darin besteht, daß die völkische Sendung der Kirche ihre kirchliche Sendung ist, nicht Aufgabe der Kirche, sondern Amt des Staates. Aber, und hier begegnen wir dem Lutheraner Dohms - „wo der Staat nicht tut, was seines Amtes ist", nämlich Volkstum zu pflegen, da kann dies zur Aufgabe der Kirche werden 145 . Für die Kirche gilt nach Dohms das, was Christus über den Sabbat gesagt hat: „Der Mensch ist nicht um ihretwillen da, sondern sie ist da um des Menschen willen, und sie kann nicht um einer ganz und gar nicht,christlich' verstandenen Sabbat- oder Kirchenordnung willen in der Not der Zeit die Hände in den Schoß legen, und ihr Volk zu Grunde gehen lassen weil es ,Sabbat' oder weil sie ,Kirche' sei." 1 4 6 Dieses theologische Denken ist für Dohms der Hintergrund seines Programms. Von hier aus sind seine Forderungen nach Schaffung eines eigenen Bildungswesens in der Synode 1 4 7 durch die Stärkung der vorhandenen Gemeindeschulen, Gründung des Proseminars und des Deutschbrasilianischen Gymnasiums 148 und der Errichtung einer Theologischen Schule zu verstehen, um einen Pfarrerstand heranzubilden, „der mit den Landesverhältnissen vertraut und verwachsen ist und Kirche mehr und mehr den Charakter einer im Volke wurzelnden Institution gibt" 1 4 9 . Diese Gedanken kamen erst 1946 zur Ausführung, begleiteten ihn aber ständig. Aus seiner volkskirchlichen Konzeption erwuchs auch die Forderung nach einer „selbständigen Gemeindekirche" 1 5 0 , die in ihrer Art als selbständige Kirche auch eine „ein eigentümliches kulturelles Leben entfaltende und pflegende Gemeinschaft sein soll". Selbständigkeit bedeutete für Dohms volkskirchliche Konzeption, aber nicht die Aufrichtung von „geistigen Grenzen" gegen die evangelische Kirche in Deutschland, auch nicht finanzielle Selbständigkeit, sondern daß er „ein eigentümliches deutsches evangelisches geistiges Leben wachsen sehen [möchte], in dem Ebd. Ebd. 1 4 5 Ebd., S. 132. 1 4 6 Ebd. 1 4 7 Ev. Kirche in Rio Grande do Sul, S. 113. 1 4 8 Vgl. Dohms' Aufruf zur Gründung des Gymnasiums (DIE EVANGELISCHE DIASPORA 18, 1936, S. 95f.). 1 4 9 Theologische Schule, S. 93. 1 5 0 Rotermund und die neuere kirchliche Entwicklung, S. 153. 143

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eine kleine Provinz des deutschen Protestantismus sich darstellt.. . . Eine eigentümliche deutsche Bildung, ein eigenwüchsiger deutscher Charakter muß sich entfalten, sonst ist schließlich der Untergang gewiß. Selbständigkeit heißt eigenes Leben und da es fremdes Leben nicht gibt - Leben überhaupt." 1 5 1 Dieser Anspruch wurde zum Leitmotiv innerhalb der Synode 1 5 2 , führte aber auch zum Gegensatz gegenüber dem Deutschen Konsulat in Porto Alegre 153 . Die Gegenposition des Deutschen Konsulats ergab sich aus der Ansicht Dohms', die wiederum aus der Forderung nach Selbständigkeit erwuchs: die deutsche Volkskirche in Brasilien muß sich völlig auf den Boden dieses Staates stellen und zugleich an ihren kulturellen Eigentümlichkeiten festhalten. Von daher ist auch Dohms' Parole zu verstehen: „ J e brasilianischer in politischen, desto deutscher in völkischen Dingen!" 1 5 4 Dohms' Konzeption im Widerstreit der Meinungen Dohms' theologische Konzeption war immer heftig umstritten, es entsprach aber seinem kämpferischen Naturell, sich den Angriffen seiner Gegner auszusetzen und seine Position bis zuletzt zu verteidigen. Seine Selbstüberschätzung brachte es mit sich, daß er anderen gegenüber mißtrauisch war, daß er fürchtete, falls er eines seiner vielen Ämter einem Nachfolger übertragen würde, bedeutete dies das Ende seines Lebenswerkes. So ist es auch nicht verwunderlich, daß er eine beträchtliche Anzahl von Funktionen in seiner Person vereinigte, als er am 4. Dezember 1956 starb. Er war zu diesem Zeitpunkt Direktor des Proseminars und der Theologischen Schule, Präses der Riograndenser Synode und des Bundes der Synoden; beiden Schulen diente er daneben als Lehrer. Seine Unfähigkeit, Aufgaben zu delegieren und Verantwortung zu teilen, trug ihm den wenig schmeichelhaften Titel eines, ,caudilho" ein. Der Streit um seine theologische Konzeption zeigt sehr deutlich, was Dohms eigentlich gewollt hat: eine Kirche, die einerseits das geistige Erbe der deutschen Reformation bewahrt und andernseits fest auf dem Boden des brasilianischen Vaterlandes steht. 1936 griff die Integralisitische Bewegung in Rio Grande do Sul eine Äußerung des ersten Schülers des Proseminars auf und beschuldigt die Riograndenser Synode der Germanisierung. Gegen diesen 151

E b d . , S. 154.

152

Vgl. die Ä u ß e r u n g v o n Präses Dietschi (SYNODALBERICHT 1 9 3 3 , S. 5).

153

In einem Brief v o m 8. 7. 1921 an das Auswärtige A m t bekämpfte der deutsche K o n s u l

Reinhardt den G e d a n k e n , daß die „ w e r d e n d e deutsch-evangelische Kirche in Brasilien in politischen Dingen ganz und gar brasilianisch werden m ü s s e " . M a n k ö n n e , .weder v o m politischen n o c h v o m kulturellen Standpunkt der kirchlichen Interessen" dem beipflichten ( A K A , E O l c ) ; vgl. auch unten S. 2 0 6 . 154

Gegenwärtige L a g e des D e u t s c h t u m s , S. 18.

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Vorwurf verteidigte sich Dohms leidenschaftlich mit dem Hinweis, daß es gegen Gottes Gebot sei, „jemanden eine Art aufzuzwingen, die er nicht von seinen Vätern ererbt hat und die er nicht als eine Gabe des Schöpfers ehren kann, weil er dann auch seine Väter nicht zu ehren vermag" 1 5 5 . Dieser Vorwurf der Germanisierung hatte aber eine bestimmte Berechtigung, wenn man sich die Gegenposition zu Dohms' Standpunkt ansieht. Innerhalb der Pfarrerschaft der Synode begegnet verschiedentlich die Auffassung, man solle die Mitglieder, die nicht mehr deutsch sprechen, den portugiesischsprechenden Protestanten zuführen. Dohms meinte, dieser Vorschlag sei eher von der Absicht bestimmt, das Volkstum zu schützen, als von dem Willen, vorhandenem religiösem Bedürfnis zu entsprechen. „Ihr scheint gelegentlich ein Gedanke zugrunde zu liegen, bei dem vergessen ist, daß unsere Kirche nicht nur eine deutsche, sondern eben eine deutsche evangelische Kirche ist". Christentum sei eben nicht durch Deutschtum oder durch den Gebrauch der deutschen Sprache bedingt 156 . Einen solchen Vorschlag hielt Dohms für „absurd". In sein Konzept paßte durchaus eine portugiesischsprechende Gemeinde deutscher Herkunft, denn diese war nach seiner Meinung dem deutschen Kulturkreis nicht verloren. Hier wird wiederum deutlich, was Dohms meint, wenn er von „deutscher" Kirche redet. „Eine sonst deutsche Kirche verträgt die Zugehörigkeit einiger nicht mehr deutsch sprechender Gemeinden-wenn solche da sind - nicht nur, sondern kann an ihnen ihre besondere Aufgabe . . . erfüllen. Der ostpreußischen Provinzialkirche ist es kein Schaden, wenn sie masurisch oder litauisch sprechende Gemeinden hat." 1 5 7 Wenn in einer Gemeinde z . B . portugiesischer Konfirmandenunterricht eingeführt werden mußte, so müsse auch portugiesischer Gottesdienst folgen. Unmöglich fand er, daß in Buenos Aires nach einer spanischen Konfirmation nur einmal im Jahr ein spanischer Gottesdienst angeboten wurde 158 . Die evangelische Kirche sei nicht vom Fortbestand des Deutschtums abhängig: „ G a r nicht teile ich persönlich die Meinung, der unter uns immer noch Ausdruck verliehen wird, als sei die evangelische Kirche als solche abhängig von dem Fortbestand des Deutschtums, also z.B. von dem Fortbestand des deutschen Schulwesens, eine Absicht, die Unverstand vor einiger Zeit sogar in der Form ausgesprochen hat, daß die deutsche evangelische Kirche das Deutschtum auch pflege und pflegen müsse, weil sonst - die evangelischen Pfarrer ihr Brot verlieren. Die evangelische Kirche kann als evangelische Kirche sehr wohl leben, auch wenn sie sich um die deutsche kulturelle Arbeit nicht im geringsten kümmert." 1 5 9 155 156 157 158 159

Politische Berichterstattung, S. 5. Deutsches Volkstum, S. 115. Ebd., S. 117. Ebd. Kurze Mitteilungen ( D E B B 5, 1925, S. 145). Ähnlich argumentiert auch R. BECKER:

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Mit derselben Konsequenz widerstand Dohms auch dem Versuch einer Ideologisierung des Deutschtums. Mit Verachtung wandte er sich gegen diejenigen, die ihm gegenüber betonten, daß sie „ r e i n " deutsch und „nichts als deutsch" seien und keinen höheren Zweck kennten als das „ D e u t s c h t u m " . In dieser Art zu reden hielt er für die deutsche ethnische Gruppe in Brasilien nicht nur für gefährlich, sondern auch für abstrakt. „Deutsch kann man nicht sein ,rein' und,nichts als', sondern nur sehr bestimmt . . . Jedenfalls gibt es gerade das nicht, dessen sich einige rühmen, nämlich ein ,reines' Deutschtum, es sei denn, daß das reine Deutschtum ein allgemeines und unbestimmtes ist, das keinerlei Lebenswert hat und in den Kämpfen, die wir zu bestehen haben, versagt, weil es weder positiv noch negativ, weil es weder Fisch noch Fleisch, weil es gar nichts ist. Mögen wir bewahrt bleiben von diesem allgemeinen ,Deutschtum', das ein inhaltleeres Schemen ist, und immer bestimmter hervortreten und wirken lassen unsere Bestimmtheit durch die deutsche Reformation und ihre Schöpfungen! Dann allein erfüllen wir die Aufgaben in unserem V o l k . " 1 6 0 Vielfach wurde Dohms vorgeworfen, er betreibe eine Ghettoisierung der Kirche. Nichts lag ihm jedoch ferner als dies: „ U n s e r e Kirche wird im brasilianischen Staat stehen, oder sie wird ein Winkeldasein führen, das ihr als Volkskirche den Untergang bereitet." 1 6 1 Als „vollendeter Widersinn" erschien ihm jeder Versuch, das Aufgehen der deutschen ethnischen Gruppe in das Staats- und Wirtschaftsleben der brasilianischen Nation aufhalten zu wollen. A m wenigsten dürfe sich die Kirche gegen die natürliche Entwicklung auf diesem Gebiete wehren 1 6 2 . Mit dieser Haltung rechtfertigte Dohms sich auch gegenüber dem Vorwurf, sein Eintreten für die Erhaltung des Deutschtums bedeute zwangsläufig die Politisierung der Kirche. Kirche darf für ihn nichts anderes als Kirche sein, und aus dieser Beschränkung muß sie jeder Versuchung widerstehen, die Politik zu kirchlichen oder umgekehrt die Kirche zu politischen Zwecken zu mißbrauchen 1 6 3 . Für absurd und gefährlich hielt er es, nationalistische Bestrebungen in den Dienst der Kirche zu stellen 1 6 4 . Anfang 1935 begann Dohms' Auseinandersetzung mit Hans Asmussen, „Wollte man die Nicht-mehr-deutsch-sprechenden rigoros ausscheiden würde manche Gemeinde bald auf dem Aussterbeetat stehen. Kann man das verantworten? Wenn wir überzeugt sind, daß der deutsche Protestantismus einen wertvollen Beitrag in der Eroberung der Welt für Christus zu liefern habe, warum die deutsche Grammatik hindernd in den Weg treten lassen? . . . Mit anderen Worten, unsere Aufgabe als deutsche Pfarrer, deutsche Gemeinde, deutsche Kirche erstreckt sich auch über den Bannkreis der deutschen Sprache hinaus" (Diasporapfarrer, S. 843). 1 6 0 Deutschtum, S. 73f. 1 6 1 Kirchliche Lage, S. 64. 1 6 2 Gegenwärtige Lage des Deutschtums, S. 18. 1 6 3 Vgl. Anm. 155. 1 6 4 Rundschau (DEBB 3, 1921, S. 115).

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dessen Schrift „Kirche Augsburgischer Konfession" Ende 1934 in der von Karl Barth herausgegebenen Schriftenreihe „Theologische Existenz heute" erschienerl war 1 6 5 . Asmussen spricht in dieser Schrift von „volkskirchlicher Ideologie"; dem hält Dohms entgegen: „In dem berechtigten und höchst notwendigen Kampf gegen den Säkularismus verliert Asmussen leider die andere Kampffront so sehr aus den Augen, daß er unfähig wird, von der Bekenntniskirche als Volkskirche zu reden, und selbst dem Sektarismus zum Opfer zu fallen droht." 1 6 6 Was Dohms mit „Sektarismus" meint, wird klar, wenn er Asmussen in die Nähe des Donatismus rückt 167 . In seiner Auseinandersetzung mit Asmussen greift Dohms zur Confessio Augustana und fragt, wie es da um die „Volkskirche" stehe. Er stellt fest, daß die Volkskirche für die Confessio Augustana kein Problem gewesen sei, daß sie aber dennoch ein klares Wort zu ihr sage. Asmussen unterscheide nicht zwischen Kirche in der Geschichte und verfaßter Kirche und identifiziere die verfaßte Kirche mit der „übergeschichtlichen-geschichtlichen Kirche". Für Asmussen seien alle Merkmale der einen Merkmale der anderen und umgekehrt. Das lehre die Confessio Augustana aber nicht! „ I n Artikel VIII unterscheidet sie deutlich die ,eigentliche* Kirche, die ,nichts anders ist als die Versammlung der Gläubigen', von der Kirche ,in diesem Leben', in der ,viel falscher Christen und Heuchler, auch öffentliche Sünder unter den Frommen bleiben'". Die Confessio Augustana sage nicht, Kirche „in diesem Leben" sei nicht mehr Kirche; „sie sagt vielmehr, daß auch diese Kirche in ihrer ganzen Verwobenheit in Natur und Geschichte Kirche sei, in der Gottes Gnade in Wort und Sakrament wirkt. Zu dieser Kirche müssen wir den Mut haben. Auch von ihr spricht das Bekenntnis und verurteilt ausdrücklich diejenigen, welche sie ablehnen, weil sie als ,in diesem Leben' stehend noch etwas anderes ist als die Versammlung aller Gläubigen" 1 6 8 . Dagegen erkennt Dohms in Eduard Thurneysens Schrift „Lebendige Gemeinde und Bekenntnis" 1 6 9 viele Gemeinsamkeiten mit seinem Denken; besonders Thurneysens Ausführungen über die Volkskirche entsprechen seinen eigenen Ansichten 170 . Dohms' von den Schöpfungsordnungen hergeleitetes Verständnis der Kirche als Volkskirche führte seit Beginn seiner Tätigkeit in Brasilien zu ständigen Auseinandersetzungen mit der Missouri-Synode. 1 6 5 N r . 16, 1934. H a n s A s m u s s e n (1898-1968), 1932 Pastor in A l t o n a , 1933 suspendiert, Mitglied des Reichsbruderrats der Bekennenden Kirche, 1945-48 Präsident der Kirchenkanzlei der E K D , 1948-55 P r o p s t von Kiel. 166 167 168 169 170

8

A s m u s s e n , S. 9. E b d . , S. 16. E b d . , S. 19. T h E h 21, 1935. Vgl. H . DOHMS, A s m u s s e n , S. 19; E . THURNEYSEN, Lebendige G e m e i n d e , S. 2 7 f f .

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Riograndenser Synode von 1886 bis 1930

Die Ursache liegt letzten Endes darin, daß Missouri eine andere Auslegung der Zwei-Reiche-Lehre vertritt und die neulutherische Lehre der Schöpfungsordnungen nicht anerkennt. Deutlich wird dies in einer Erklärung der Missouri-Synode aus dem Jahre 1937: ,,1. unsere Kirche erkennt an, daß es Volkstum und Volkstumspflege (Erhaltung der Sprache und Sitte) gibt. Volkstum und Volkstumspflege sind Angelegenheiten des bürgerlichen Lebens. Die Volkstumspflege ist daher eine Aufgabe der Einrichtungen des bürgerlichen Lebens (Regierung, Partei, Verein usw.). 2. Die Kirche als solche hat weder Recht noch Auftrag, Volkstumspflege zu treiben. Deshalb lehnt unsere Kirche jede Volkstumspflege als kirchliche Aufgabe ab und überläßt diese den Einrichtungen, die im bürgerlichen Leben dafür geschaffen werden . . . Unsere Kirche läßt ihren Gemeindegliedern, Lehrern und Pastoren für ihr bürgerliches Leben in den Fragen des Volkstums und dessen Pflege Freiheit, wenn sie sich von dem so oft damit verbundenen sündhaften Weltwesen und schrift- und bekenntniswidriger Religionsmengerei fernhalten. Von ihren Pastoren und Lehrern erwartet freilich unsere Kirche, daß sie sich einer politischen Betätigung enthalten." 1 7 1 Von diesem Standpunkt aus wurden die Aussagen der Riograndenser Synode zur Volkstumspflege und die Konzeption der von Dohms herausgegebenen „Deutschen Evangelischen Blätter für Brasilien" als Ausdruck einer Politik angesehen, die den Interessen des Deutschen Reiches zu dienen beabsichtigten, letztlich aber die Vermengung von Kirche und Staat bedeuteten. Entsprechend hieß es: Die Blätter „vermögen zwischen Volkstum, Staat und Christentum nicht zu unterscheiden. Das ist auch nicht verwunderlich, da man in ihnen ja zumeist überhaupt nicht mehr weiß, was eigentlich Christentum ist und das ganze Kirchengetriebe nur noch rein äußerlich als etwas geschichtlich begründetes ansieht." 172 Dohms hat für diese Anklage kein anderes "Wort als „Infamierung". Zu dieser angeblichen Vermengung von Christentum und Politik, die von Bismarck und Hitler verboten worden sei, meinte das „Evangelisch Lutherische Kirchenblatt", es sei angebracht, „wenn auch die ,D. Ev. Blätter' eine Lektion von Adolf Hitler bekämen" 1 7 3 , denn „Adolf Hitler verbietet den Priestern und Pastoren, Politik zu treiben. Die evangelische Kirche will Volkstum pflegen. Pflege des Volkstums ist Politik. Also verdient die evangelische Kirche eine Zurechtweisung durch Adolf Hitler, die Missouri-Synode aber, die das Volkstum nicht pflegen will, den Ehrentitel einer alten Vorkämpferin des dritten Reiches" 174 . 171

S.

Z i t i e r t n a c h : R U N D B R I E F DES DEUTSCH-BRASILIANISCHEN ARBEITSKREISES 3 , N r . 1 3 ,

9. 172

Ev. Luth. Kirchenblatt 1934, Nr. 8, S. 61 (zitiert nach: DEBB 16, 1934, S. 60). Ev. Luth. Kirchenblatt 1934, N r . 4 (zitiert nach: DEBB 16, 1934, S. 59). 174 Vgl. ebd., S. 60. - Zu Dohms' Auseinandersetzungen mit Missouri vgl. H . DOHMS, Deutschtum der Missourier; Bursche in Brasilien; Missouri und die Pflege des Volkstums; Missouri, Luthertum und Kirchenbund; Deutsche Sprache und Missouri-Synode. 173

Hermann Gottlieb Dohms

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Seit Anfang der dreißiger Jahre sah sich Dohms verstärktem Druck seiner Gegner ausgesetzt. Diese Konflikte führten beinahe zum Zusammenbruch der synodalen Organisation. Daß es nicht dazu kam, ist Dohms' bleibendes Verdienst. Am Ende der Auseinandersetzungen gab Dohms seine volkskirchliche Konzeption und die damit verbundene Verbindung von Kirche und Deutschtum auf und erkannte die Bedeutung von Karl Barth für die evangelische Kirche. Dieses Eingeständnis steht am Ende einer Krise, die Dohms und mit ihm die Riograndenser Synode durchmachen mußten. Mit der Machtergreifung in Deutschland am 30. Januar 1933 bekannte sich auch in Brasilien eine Gruppe von Pfarrern offen zum Nationalsozialismus und zum Gedankengut der Glaubensbewegung „Deutsche Christen". Als Reaktion darauf bildete sich eine kleinere Gruppe, die „ A r beitsgemeinschaft der Bekennenden Kirche", die von der Synode eine Stellungnahme zu den kirchenpolitischen Ereignissen in Deutschland verlangte. Darin sollte die Unterstützung des Barmer Bekenntnisses und der Vorläufigen Leitung, die sich zunehmend vom nationalsozialistischen Regime distanzierte, zum Ausdruck kommen. Während es hier um eine Auseinandersetzung ging, die die Synode zu spalten drohte, stellte der Konflikt mit dem brasilianischen Staat die Existenz einer evangelischen Kirche überhaupt in Frage. Denn im Zuge der Nationalisierungspolitik wollte der Staat die Handlungsfähigkeit der Kirche insofern einschränken, als er den ausschließlichen Gebrauch der Landessprache verlangte und damit die im Mittelpunkt des kirchlichen Lebens stehende Verkündigung stark beeinträchtigte.

Kapitel 7 D I E KRISE D E R R I O G R A N D E N S E R S Y N O D E

1. Erste Anzeichen Die Begeisterung, mit der 1933 der nationale Aufbruch innerhalb der Synode begrüßt wurde, muß im Zusammenhang mit den zurückliegenden Ereignissen gesehen werden. Mit innerer Anteilnahme hatten der größte Teil der Pfarrerschaft und viele Gemeindeglieder den Verlauf des Ersten Weltkrieges verfolgt und die Revolution als den ,,dunkle[n] Tag der deutschen Geschichte" 1 und die nach der Revolution an die Macht Gekommenen als „die Minderwertigen" 2 charakterisiert. Etwas abgewandelt wurde so die Dolchstoßlegende tradiert. Der Weltkrieg und das ganze Jahrzehnt von 1914 bis 1924 galt als „Krieg gegen das deutsche Kaisertum, gegen das deutsche Reich und gegen das deutsche V o l k " 3 ; die Friedensverträge wurden ausschließlich als „Friedensdiktate" 4 empfunden. Nach der Besetzung des Ruhrgebietes beteiligte sich die Riograndenser Synode, zusammen mit dem Verband Deutscher Vereine, dem Katholischen Volksverein und dem Hilfsverein an einer Ruhrspende 5 . Obwohl das Kaiserreich nicht mehr existierte, gab man sich weiterhin kaisertreu. Mit tiefer Trauer nahm man vom Tode der Kaiserin Auguste Viktoria Kenntnis 6 , und im April 1921 sandte die Synodalversammlung in Cai ein Beileidstelegramm an den Kaiser 7 . Jedes Zeichen für das Entstehen eines neuen Selbstbewußtseins in Deutschland wurde begierig aufgenommen. Am 8. Mai 1920 warf der Schoner „Lisa" als erstes Schiff unter deutscher Flagge nach dem Kriege im Hafen von Porto Alegre Anker. Dieses an sich unbedeutende Ereignis wurde vom „Sonntagsblatt" der Synode stürmisch gefeiert 8 . I. Augustin begrüßte das Ereignis mit einem Gedicht, das in das Bekenntnis mündete: „Und nimmer soll die Hoffnung in mir wanken, daß Deutschland seine Größe wieder wird erreichen" 9 . 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Das deutsche Nationallied (SRS Vgl. SYNODALBERICHT 1934, S. Aus Welt und Zeit: Zehn Jahre Ebd., S. 4. R. BECKER, Siedler, S. 79f. SRS 35, 1921, Nr. 16, S. 1. Ebd., Nr. 25, S. 4f. Unsere Lisa (SRS 34, 1920, Nr. Lisa (ebd., Nr. 23, S. 5).

35, 1921, N R . 22, S. 3f.). 19. Krieg (SRS 38, 1924, NR. 34, S. 3).

21, S. 3f.).

Erste Anzeichen

117

Die Besorgnis über die Krise des Deutschen Reiches schlug 1933 jäh in Begeisterung um. Wie freudig man innerhalb der Pfarrerschaft die politischen Veränderungen im Reich begrüßte, zeigte sich auch in der Wiederentdeckung eines Liedes von Ernst Leibi aus dem Jahre 1919: „Wir heben unsre Hände aus tiefster, bittrer Not, Herr Gott, den Führer sende, der unsern Kummer wende mit mächtigem Gebot!", das man mit dem Kommentar abdruckte: „Zwingt sich hier nicht bei dieser flehentlichen Bitte der Gedanke an unser Mutter- und Vaterland auf, wie es heute dasteht? Glaubt nicht das neue Deutschland aus tiefstem dankbaren Herzen, glauben wir es nicht alle, daß Gott solche Bitten erhört und dem deutschen Volke den Führer gesandt hat?" 1 0 Wie wenig man aber tatsächlich von dem verstand, was in Deutschland vor sich ging, beweisen die Äußerungen von Pfarrer Dohms. Dohms sah in Hitlers Machtergreifung „eine Umwälzung von außerordentlichen Ausmaßen", „den ,Aufbruch' eines Volkes", das sich „auf die einfache und ursprüngliche Gegebenheit besinnt: daß es ein Volk ist, daß es aus seiner furchtbaren Not heraus, in die es die Welt und seine eigene Schuld gepreßt haben, überhaupt keinen anderen Ausweg gibt, als daß es vor allem und zuerst ehrlich deutsches Volk sein will." 1 1 Die Umwälzung, die in Deutschland stattfand, war für ihn eine „Revolution", die „nicht ein bloß staatspolitisches Ereignis ist" 1 2 . Er verkannte aber Hitlers Intentionen, wenn er meinte: „Von dem Volksgedanken aber ist die Bewegung in Deutschland ausgegangen, nicht von einem politischen Ideal, etwa dem Ideal des totalen Staates oder vom Führerprinzip in der Politik." 1 3 Aufgrund dieses Irrtums sah er auch die geistesgeschichtliche Begründung für diesen neuen Staat in der Philosophie von Männern wie Fichte, Jahn, Schleiermacher und Stein. Dohms schien bei allem, was sich in Deutschland nach dem 30. Januar 1933 ereignete, nur den „Volksgedanken" zu sehen. Er glaubte, diesem Volksgedanken sei der Staatsgedanke untergeordnet und nicht umgekehrt 14 . Dohms glaubte allerdings, daß eine einfache Übertragung der nationalen Revolution Deutschlands auf die deut10

„Das Wesen des Volksliedes", Ansprache von Pfarrer Hilbk (SYNODALBERICHT 1934,

S. 19).

Neues Deutschland, S. 93. Neuer Zusammenklang, S. 141. 13 Ebd., S. 142. 1 4 „Das, wofür das ,Auslanddeutschtum', nämlich die deutschen Volksgruppen nichtdeutscher Staatsangehörigkeit, seit langem kämpfen und führende Deutschbrasilianer seit Jahren grundsätzlich vertreten, ist heute in Deutschland durch den Grenzdeutschen Adolf Hitler, zu dessen Mitarbeitern eine auffallend große Zahl von Auslanddeutschen gehört, zur Anerkennung gebracht worden" (ebd., S. 144). „Versteht, daß aus dem mächtigen Gefühl der Verwurzelung im eigenen Volk heraus heute ein deutsches Reich gebaut wird, das der wahrhafte und wehrhafte Ausdruck des Volkes sein soll, dem auch ihr angehört" (Völkisches Fühlen, S. 53). 11

12

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Riograndenser Synode

sehe ethnische Gruppe in Brasilien schreckliche Folgen haben müsse, da die soziologischen Voraussetzungen hier gänzlich anderer Natur seien als im Mutterland. Man sei in Brasilien konservativ, gar nicht liberal, man sei christlich, nicht marxistisch; es handle sich um ein nicht in Klassen zerspaltenes Bauernvolk. Auf politischem Gebiet werde in Deutschland die Weimarer Verfassung außer Kraft gesetzt, während in Brasilien ihre Artikel über Staat und Kirche und Schule in den amtlichen Verfassungsentwurf aufgenommen würden. Außerdem seien die Deutschbrasilianer sehr unpolitisch und folgten der autoritären Führung. Sie müßten zuerst die politische Bewegung in Brasilien verstehen lernen, um dann die ganz andersartige in Deutschland begreifen zu können. Ihre nationale Existenz sei dadurch gekennzeichnet, daß für sie Volks- und Staatszugehörigkeit auseinanderfalle. Deswegen wandte Dohms sich gegen die Tendenzen zur Gleichschaltung in Deutschland, die diese Unterschiede nicht sehen wollten, er warnte und bat: „Zerstört nicht durch den Unverstand, was geschaffen ist und die lebendige Zukunft in sich trägt." 1 5 Für das evangelische Kirchenvolk in Brasilien gewann die neue Ideologie nur in der „Gegebenheit Volk" 1 6 Bedeutung; der Nationalsozialismus habe erkannt, daß der Staat dem Volkstum untergeordnet sei, daß also der Staat nicht Volkstum schaffen könne und daß schließlich Staatszugehörigkeit und Volkszugehörigkeit nicht dasselbe seien 17 . „Es wird in Zukunft kein Deutschbrasilianer mehr im Kampf um seine kulturellen und kirchlichen Einrichtungen, wie es früher geschehen ist, klagen können: Wohin gehören wir? Hier werden wir nicht als Brasilianer anerkannt, solange wir uns nicht aufgegeben haben, und der Reichsdeutsche erkennt uns zuletzt doch auch nicht als Deutsche an. Es wird in Zukunft auch nicht, wie es ebenfalls im Kampf um die Schule geschehen ist, der Versuch, die deutsche Schule zu nehmen, sich auf die deutsche Polenpolitik berufen können. Es wird klarer werden, als es bisher war, was die Parole bedeutet, die ich vor mehr als einem Jahrzehnt so ausdrückte: je brasilianischer in politischen Dingen, desto völkischer in deutschen Dingen und umgekehrt. Es gibt für unsere Volksgruppe zuletzt keine andere Existenz in unserem Staat, und es kann, umgekehrt, keine sinnvolle politische Einordnung in den Staat geben, es sei denn mit den Kräften und Gaben, die uns eigentümlich sind." 1 8

15 16 17 18

Neues Deutschland, S. 94 f. Ebd., S. 94. Ebd., S. 96. Neuer Zusammenklang, S. 145.

Auswirkung des deutschen Kirchenkampfes

2. Die Auswirkungen

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des deutschen Kirchenkampfes in Brasilien

In seinem 1957 geschriebenen Artikel ,,Auslandsgemeinden", meinte Gerhard Stratenwerth: „Der in Deutschland ausbrechende Kampf um die Substanz des Evangeliums und der Kirche berührte die Auslandsgemeinden in ihrer Gesamtheit leider nicht." 1 9 Doch schon 1959 wies Gerhard Niemöller auf die Auswirkungen des Kirchenkampfes in den deutschen evangelischen Gemeinden in London hin und führte in diesem Zusammenhang Briefe von Pfarrer Gustav Reusch aus Cachoeira do Sul an, in denen Reusch den Londoner Pfarrer Dr. Julius Rieger um „laufende Lageberichte" über die Entwicklung des Kirchenkampfes bat 20 . In Brasilien gab es keinen Kirchenkampf, so wie wir ihn aus Deutschland kennen. Die inneren Auseinandersetzungen der deutschen Christenheit sollten sich aber sehr schnell auch auf Brasilien auswirken. Die Gemeinden erfuhren einiges aus Zeitschriften und durch Informationen aus einzelnen Landeskirchen. Sie wurden aber auch durch ganz konkrete Ereignisse mit den Auseinandersetzungen in Deutschland konfrontiert. Daß man allerdings keine genaue Information aus Deutschland bekam, lag letzten Endes an der Haltung des Leiters des Kirchlichen Außenamtes, Bischof Theodor Heckel, der versuchte, eine Übertragung des Kirchenkampfes auf die Auslandsgemeinden zu verhindern, indem er keine oder nur einseitige Informationen an die Gemeinden und Synoden zuließ 21 . Die Auseinandersetzungen des deutschen Kirchenkampfes führten aber auch zu einem Wandel im Selbstverständnis der Gemeinden und Synoden in Brasilien. Dies läßt sich im Grunde aber nur an der Entwicklung der Riograndenser Synode beweisen, die anderen Synoden treten deshalb bei der Untersuchung etwas in den Hintergrund. Nationalsozialistische Pfarrerschaft und Deutsche Christen Brasiliens Im „Sonntagsblatt der Riograndenser Synode" 22 schrieb der Pressereferent der Synode, Rudolf Becker, im Juli 1933 einen kleinen Aufsatz über die kirchenpolitischen Vorgänge in Deutschland. Er referierte dabei die Haltung verschiedener Zeitungen zur Wahl Friedrich von Bodelschwinghs (1877-1946) zum Reichsbischof: so die Meinung der Berliner 19

R G G 3 I, Sp. 766. Zu fragen wäre, was „leider" hier bedeuten soll. Sollte der Kirchenkampf in ganz andersgeartete Verhältnisse übertragen werden? 20 G. NIEMÖLLER, Gemeinden, S. 135, vgl. auch S. 144f. 21 Vgl. ebd., S. 134f. Theodor Heckel, geb. 15. 4. 1894 in Kammerstein, gest. 24. 6. 1967 in München, 1922 Reiseprediger in Solln, 1925 Religionslehrer in Erlangen, 1928 O K R im Kirchenbundesamt, 1934-1945 Leiter des Kirchl. Außenamtes mit dem Titel „Bischof", 1939 Gründer und Leiter des Ev. Hilfswerks f ü r Internierte und Kriegsgefangene, 1950 Dekan in München. 22 N r . 28 vom 9. 7. 1933.

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Riograndenser Synode

„Täglichen Rundschau", wonach die Wahl in politischen Kreisen „als eine bewußte Kampfansage der Kirche" aufgenommen worden sei; von den Deutschen Christen wurde berichtet, daß sie weiterhin auf der Wahl Ludwig Müllers (1883-1945) bestünden. Becker erwähnte, daß sich unter anderem auch der mecklenburgische Landesbischof Heinrich Rendtorff (1888-1960), der deutsch-christliche spätere sächsische Landesbischof Friedrich Coch (1887-1945) und Ludwig Müller selbst gegen die Wahl Bodelschwinghs ausgesprochen hätten und kommentierte dies mit den Worten: „Die evangelische Kirche soll unbedingt der Staatsführung untergeordnet werden." U m Ausgewogenheit bemüht, wurden andererseits auch die Stimmen für von Bodelschwingh wiedergegeben. Zu den Auseinandersetzungen bemerkte Becker: „Es ist auf jeden Fall außerordentlich zu bedauern, daß durch die Kampfansage der,deutschen Christen' ein bedenklicher Riß in das evangelische Kirchenvolk zu kommen droht. Dieser Streit um den Reichsbischof, dem nicht einmal sachliche Differenzen theologischer, religiöser oder kirchlicher Art, sondern nur solche politischer Art zugrunde liegen, ist dem Ansehen des deutschen Protestantismus vor aller Welt gewiß nicht förderlich und es droht gerade das einzutreten, was auch die,deutschen Christen' vermieden wissen wollten, nämlich ein Abgleiten der kirchlichen Neuordnung ins Politische." 23 Beckers Aufsatz wurde von einer kurzen Meldung über „Kirche und Staat in Deutschland" ergänzt. Darin hieß es zu Bodelschwinghs Rücktritt: „ D e r scharfe Widerstand der Nationalsozialisten gegen seine Person wird ihn dazu veranlaßt haben", und über die Ernennung August Jägers zum Staatskommissar: „ D r . Jäger ließ als erste Maßnahme durch S.A.-Mannschaften die Büros des evangelischen Presseverbandes besetzen und ernannte anstelle der bisherigen Leiter zwei Herren, die den .Deutschen Christen' angehören." Weiter wurde berichtet, daß der Präsident des Ev. Oberkirchenrates, Hermann Kapler, und die beiden Vizepräsidenten durch Nationalsozialisten ersetzt und Unterkommissare für die 14 Kirchenprovinzen ernannt worden seien. Diese Meldung Schloß mit der Bemerkung: „Zweifellos wird man auch die übrigen Landeskirchen Deutschlands gleichschalten und auch den Kirchenbund umorganisieren. Entgegen den früheren Zusagen des Reichskanzlers hat die Regierung nun doch in die inneren Angelegenheiten der Kirche eingegriffen. Die Frage ist, ob sie auch bei der katholischen Kirche so vorgehen wird, wie die Parität es verlangt, oder ob man sich doch scheut, das zu tun und nur die evangelischen Kirchenbehörden absetzt" 2 4 . Aufgrund'seines Aufsatzes und 23

U m den Reichsbischof (SRS 37, 1933, N r . 28, S. 3f.). Rudolf Becker, geb. 20. 8. 1890 in Kolberg, gest. 1960 in Canoes, 1921 ausgesandt nach Brasilien, 1921-1929 in Sta. Maria, R. G., 1929-1931 in Candeläria, 1931-1935 in Novo Hamburgo, seit 1935 in Santa Cruz. 24 Diese Meldung stammt wahrscheinlich auch von Becker.

Auswirkung des deutschen Kirchenkampfes

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der Veröffentlichung dieser Meldung wurde Becker seines Amtes als Schriftleiter des „Sonntagsblattes" enthoben. Durch diesen Vorfall wurde zum ersten Mal die Existenz einer Gruppe nationalsozialistischer Pfarrer innerhalb der Synode aktenkundig; sie stand im Juli 1933 unter der Leitung von Erich Knäpper, damals Pfarrer in Villa Thereza, und umfaßte 34 Pfarrer. Diese forderten die sofortige Abberufung Beckers von seinem Amt als Leiter des „Volksdienstes" - des Pressedienstes der Synode und der Vorstand der Synode gab auf seiner Sitzung am 27. Juli 1933 auf Antrag von Propst Funcke dieser Forderung statt 25 . Mit dem Aufkommen der nationalsozialistischen Pfarrerschaft tauchte bald der Gedanke auf, das Führerprinzip auch auf die Verwaltung der Synoden in Brasilien zu übertragen. Dieser Plan schien besonders den persönlichen Machtgelüsten des Ständigen Vertreters der Deutschen Evangelischen Kirche in Brasilien zu entspringen. Propst Funcke erläuterte seine Konzeption dazu in einem Schreiben an den Kirchenausschuß. In dieser Phase der politischen Umwälzungen in Deutschland schien ihm die Gelegenheit für eine Neugestaltung der Beziehungen der evangelischen Kirche in Brasilien und der Mutterkirche besonders günstig. Von den Gedanken der Glaubensbewegung „Deutsche Christen" ausgehend, forderte er eine „Deutsche Evangelische Kirche", die „das protestantische Deutschtum auf Erden" umfasse und den Primat des „Führergedankens", der den „demokratischen Parlamentarismus endlich" ablösen sollte. Auf Südamerika bzw. Brasilien übertragen, könnten diese Bestrebungen nur durch eine verstärkte „Angliederung der Auslandssynoden an die Heimatkirche" verwirklicht werden. Dies sei gerade jetzt unter der unmittelbaren Wirkung der Ereignisse in Deutschland besonders gut möglich. Der Führergedanke sei zwar in der Person des Ständigen Vertreters und in der Person der Präsiden bislang schon angelegt gewesen, doch hätten die Präsiden ihren Einfluß auf Kosten des Ständigen Vertreters gestärkt, der sich wegen des herrschenden Parlamentarismus nicht habe durchsetzen können. Funcke schlug nun vor, den Präsiden in Zukunft die „praktische" Seite des Amtes zu überlassen, während der Ständige Vertreter „in Zukunft ausdrücklich . . .alsder mit einer ,Vorgesetzten'-Stellung betraute geistliche Führer der Pfarrerschaft und der Kirche" anerkannt werden solle. „In allen ,geistlichen' Fragen hat der Ständige Vertreter Recht und Pflicht der Kirchenführung; in allen rein administrativen der jeweilige Synodalpräses". Mit dieser Vgl. Schreiben Funckes an den Kirchenausschuß vom 28. 7. 1933 (AKA, C. VII 4). Gottlieb Funcke, geb. 28. 8. 1881 in Bremen, 1929 durch den Ev. Oberkirchenrat ausgesandt nach Brasilien, 1929-1936 in Porto Alegre. Erich Knäpper, geb. 24. 3. 1907 in Mark bei Hamm, gest. 1958 in Porto Alegre, 1929 ausgesandt vom Deutschen Ev. Kirchenausschuß nach Brasilien, 1930inNeu-Hamburg, R. G., 1930-1932 in Friedrichstal, 1932-1934 in Villa Thereza, seit 1934 in S. Leopoldo. 25

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Riograndenser Synode

strengen Zentralisierung würde auch das Übel beseitigt, daß der Präses oder Ständige Vertreter nur „als primus inter pares" gesehen würden, „deren Wünschen und Anregungen man Folge gibt, wenn diese den eigenen Interessen zu entsprechen scheinen" 26 . Die Durchsetzung der Wünsche des Propstes scheiterten aber an der Leitung der Synode. Von der nationalsozialistischen Pfarrerschaft unterstützt, versuchte der Ständige Vertreter, dieser Gruppe mehr Einfluß beim Synodalvorstand zu verschaffen. So sollte ihr Führer die Interessen der Pfarrer direkt vor dem Präses vertreten können, also ohne, wie normalerweise üblich, den Kreisvorsteher einschalten zu müssen. Außerdem sollte er als beratendes Mitglied an den Synodalvorstandssitzungen teilnehmen können. Diesem Anliegen wurde zwar von Präses Dietschi stattgegeben, aber trotz dieses Zugeständnisses sollten sowohl der Propst als auch Knäpper umgangen werden. Bei der nächsten Vorstandssitzung wurden zwar beide Vertreter eingeladen, aber nur die engsten Mitarbeiter des Präses waren in die Tagesordnung eingeweiht. Und dabei ging es um eine äußerst wichtige Angelegenheit: die Änderung der Verfassung der Synode und ihren möglichen Anschluß an die Deutsche Evangelische Kirche. Verblüfft mußte der Ständige Vertreter hören, daß nach dem Plan des Vorstandes sein Amt abgeschafft werden und nur alle zwei Jahre ein Besuch aus der Heimatkirche innerhalb der Riograndenser Synode stattfinden sollte. Funcke konnte nur noch erreichen, daß eine Kommission gebildet wurde, die diese strittige Frage behandeln sollte; ihr sollten der Präses, der Propst und die Pfarrer Dohms, Gottschald und Knäpper angehören. Dohms zog sich allerdings „aus Zeitmangel" zurück. Nachdem ihm der Synodalvorstand, mit dem er zusammenarbeiten wollte, die Unterstützung versagt hatte, versuchte Funcke, den Führer der nationalsozialistischen Pfarrerschaft für seinen Plan zu gewinnen. Dies gelang ihm auch, ohne daß er Knäpper hätte versprechen müssen, daß seine Gruppe eine amtliche Vertretung in den Körperschaften der Synode erhielte. Sie sollte sich weiterhin auf eine Vertretung der Interessen der Pfarrerschaft vor dem Synodalvorstand beschränken 27 . Die Ubertragung des Führerprinzips auf die Synode scheiterte schließlich gänzlich. Die Hauptursache ist wohl darin zu sehen, daß sich allmählich die Geister zu regen begannen, die auf eine größere Selbständigkeit der Synode hinar26

Schreiben Funckes an den Kirchenausschuß vom 20. 7. 1933 (AKA, C. VII 4). Schreiben Funckes vom 4. 8. 1933 (ebd.). Theophil Dietschi, geb. 6. 6. 1878 in Santa Maria do Mundo Novo, gest. 1971 in Porto Alegre, 1904-1912 in Picada 48, 1914-1921 in Näo Me Toque, 1921-1926 in Sapiranga, 1926-1947 in Novo Hamburgo. 1922-1935 Präses der Riograndenser Synode. Karl Gottschald, geb. 6. 5. 1882 in Oberstein, gest. 1964 in Porto Alegre, 1907 ausgesandt nach Brasilien, 1908-1912 in Mühlenpikade, R. G., 1913-1915 in Jjuhy, seit 1915 in Porto Alegre. 27

Auswirkung des deutschen Kirchenkampfes

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beiteten. Dafür sollte aber die Bewegung der „Deutschen Christen Brasiliens" stärker in den Vordergrund rücken. Am 31. Dezember 1933 wurde Knäpper zum „Landesleiter der ,Deutschen Christen' für Brasilien" ernannt. Seine Mitteilung vom 24. April 1934 an Ferdinand Schlünzen, den Präses der Lutherischen Synode, wird wohl auch an die anderen Präsiden ergangen sein: „Der Evg. Luth. Synode von Santa Catarina, Parana und anderen Staaten teile ich ergebenst mit, daß ich unter dem 3 1 . 1 2 . 3 3 zum Landesleiter der,Deutschen Christen' für Brasilien ernannt worden bin. Unser Hauptanliegen soll sein, in Auswirkung der Reichskirche auch hier aus den 4 Synoden, die in allzu lockerem Zusammenhange stehen, eine Einheit zu schaffen, die dem Staate als eine Kirche gegenübertreten kann. In Rio Grande do Sul besteht seit längerer Zeit die Nationalsozialistische Pfarrerschaft, die 2/3 aller Pfarrer als Pg. umfaßt, eine Fachschaft im Rahmen der Partei. Alle Pg. sind wiederum Deutsche Christen. Der Aufgabenkreis der NS-Pf[arrerschaft] ist ein großer, da er z.B. sich auch um die Lebensinteressen der Synode wie der Auslandspfarrer bemüht. Es ist möglich, daß die NS-Pf[arrerschaft] ebenfalls auf ganz Brasilien ausgedehnt wird. Für den Bereich ihrer Synode würde ein Landesvertrauensmann ernannt werden. Ich warte aber Ihre Zeilen auf meinen heutigen Brief ab. Heil Hitler Knapper." 28

1934 drohten die Auseinandersetzungen nun auch auf Santa Catarina überzugreifen. Propst Hübbe, der nach dem Anschluß der Lutherischen Synode an den Kirchenbund zum Propst für diese Synode ernannt werden sollte, teilte am 29. März 1934 dem Kirchlichen Außenamt seine Befürchtung mit, Urlauber aus Brasilien könnten „durch die Neuendettelsauer Herren, die wohl alle zur Lutherischen Bekenntnisfront gehören", beeinflußt werden. Er meinte deshalb, die Urlauber sollten kurz vor ihrer Wiederausreise nach ihren Eindrücken befragt und vom Kirchlichen Außenamt belehrt werden 29 . Schon am 1. Mai 1934 meldete er die Gefahr der „scharf einsetzenden kirchenpolitischen Tätigkeit der Deutschen Christen". Er glaubte, in Santa Catarina verkenne man ihre „große Bedeutung" und fürchtete, man würde „sich in unerwünschten Gegensatz zu ihnen setzen", wenn sie dort ihre Ziele mit Gewalt durchsetzen wollten; schließlich könne es sogar so weit kommen, daß sich ein Teil der Pfarrerschaft von der Lutherischen Synode abspalte 30 . Tatsächlich aber scheint es innerhalb der Lutherischen Synode zu keiner Gruppenbildung gekommen zu sein. In einem Brief an das deutsche Konsulat in Curitiba/Paranä teilte der Pfarrer dieser Gemeinde mit, „daß von Seiten der Pastoren unserer Kirche im Staate Parana eine Beteiligung A K A , C VII 8 a. A K A , C VII 8. Erwin Hübbe, geb. 1 7 . 6 . 1 8 7 6 in Hamburg, gest. 4. 7. 1934 in Rio de Janeiro, 1906-1914 in Rio Grande, 1925 Propst in Porto Alegre, 1929-1932 in Hamburg. 3 0 Vgl. A K A , C VII 8 a. 28

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Riograndenser Synode

am deutschen Kirchenkampf in keiner Weise beabsichtigt ist und auch nicht geduldet würde. Es ist auch meine Uberzeugung, daß eine solche Beteiligung hier draußen nicht nur zwecklos, sondern auch verwirrend und die deutsche Volkstumsarbeit schädigend sein würde" 3 1 . Ähnlich argumentierte der Vorsitzende der Pastoralkonferenz, Pfarrer Heinz Soboll vom Evangelischen Gemeindeverband von Santa Catarina, in einem Schreiben an das deutsche Konsulat in Curitiba: „Würden wir die in Deutschland erwachsenen Spannungen grundlos hierher übertragen, würden wir dadurch nicht aufbauen, sondern nur zerstören, da unseren hiesigen Menschen Inhalt und Motive des Kirchenkampfes völlig unverständlich sind, so daß wir höchstenfalls eine oberflächliche Parteilichkeit in unsere Kirche hineinbringen könnten." 3 2 Dagegen war die Lage in Rio Grande do Sul etwas angespannter. Die nationalsozialistische Pfarrerschaft umfaßte nun schon zwei Drittel aller Pfarrer. Es war unvermeidbar geworden, ihren Führer hauptamtlich in den Zentralvorstand der Synode zu berufen. Als Leiter des Volksdienstes der Synode, Mitarbeiter der Schriftenzentrale und der synodalen Presse wurde er auch Mitglied des Synodalvorstandes. Dadurch konnte vorläufig noch ein offener Gegensatz zwischen nationalsozialistischer Pfarrerschaft und Synodalvorstand vermieden werden 33 . Nach außen hin wirkten die Deutschen Christen Brasiliens als eine selbständige Körperschaft. Anläßlich ihrer zweiten Tagung sandten sie am 31. Mai 1934 ein Begrüßungsschreiben an Reichsbischof Müller: „ D i e 2 / 3 aller Pfarrer der R i o Grandenser S y n o d e ( D e u t s c h e evangelische K i r c h e v o n R i o G r a n d e do Sul) umfassende NS-Pf[arrerschaft] und D e u t s c h e Christen begrüßen H e r r n Reichsbischof anläßlich ihrer 2 . T a g u n g zu A l t H a m b u r g auf das w ä r m s t e , sie w ü n s c h e n ihm weiter unerschütterlichen Willen zur Vollendung des Baues der Kirche. W i r Auslandspfarrer stehen zu H e r r n Reichsbischof voll und ganz. W i r grüßen H e r r n Reichsbischof Heil Hitler. K n ä p p e r " 3 4 .

Während des Jahres 1934 gewann die kleine Gruppe der Bekennenden Kirche zusehends an Bedeutung. Als sich in diesem Jahr Pfarrer Gustav Reusch, der in Brasilien zur nationalsozialistischen Pfarrerschaft gehörte, in Deutschland auf Urlaub befand, wurde er vom Kirchlichen Außenamt eingeladen, als Vertreter der Riograndenser Synode an der Feier zur Ein31

Schreiben Karl Franks v o m 2 4 . 8. 1 9 3 7 ( A K A , C V I l e ) .

32

V o m 2 1 . 8 . 1 9 3 7 ( e b d . ) . U b e r die Bildung v o n G r u p p e n im Bereich der Mittelbrasiliani-

schen Synode k o n n t e nichts festgestellt werden. 33

Vgl. Brief Funckes mit Bericht v o m 5. 6. 1934 über die Riograndenser Synodalver-

sammlung in A l t - H a m b u r g v o m 2 5 . bis 2 8 . 5. 1 9 3 4 ( A K A , C V I I I 4 ) . 34

A K A C V I I 1 . A u c h gegenüber der N S D A P scheint die nationalsozialistische Pfarrer-

schaft als eine selbständige K ö r p e r s c h a f t aufgetreten zu sein. Anscheinend beabsichtigte sie 1 9 3 4 Richtlinien zu erlassen, die die B e n u t z u n g des Parteiabzeichens und des B r a u n h e m d s für die Pastoren regeln sollten (vgl. VIDA POLICIAL, julho de 1 9 4 3 , S. 76).

A u s w i r k u n g des deutschen Kirchenkampfes

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führung des Reichsbischofs teilzunehmen 35 . Während dieses Urlaubs kam Reusch aber mit Kreisen der Bekennenden Kirche in Verbindung und hat sich ihr daraufhin offen angeschlossen 36 . Nach seiner Rückkehr nach Brasilien bestanden nun in Rio Grande do Sul praktisch drei Gruppen. Die eine, die stärkste unter ihnen, umfaßte zwei Drittel der Pfarrer, nannte sich nationalsozialistische Pfarrerschaft und gab sich zugleich den Namen,,Deutsche Christen Brasiliens"; die beiden anderen Gruppen waren nun die Bekennende Kirche unter der Leitung von Pfarrer Reusch - sie erweiterte sich erst im Laufe der folgenden Jahre - und die Gruppe um Pfarrer Hermann Dohms, Leiter des evangelischen Proseminars, die sich im Kirchenkampf möglichst neutral verhalten wollte. Diese drei Gruppierungen traten 1935 auf der Synodalversammlung in Cachoeira do Sul auf, als der neue Synodalvorstand gewählt werden sollte. Auch auf dieser Synodalversammlung wurde deutlich, wie wenig die leitenden Kreise der Synode und die Pfarrerschaft in Brasilien davon wußte, was sich in Deutschland wirklich abspielte. Erkennbar wird dies z . B . an der Begrüßungsansprache von Synodalpräses Dietschi, der davon sprach, daß es selbstverständlich sei, daß die Kirche sich auch mit der Pflege des Volkstums und mit der Hebung des deutschen evangelischen Schulwesens befasse. Aus diesem Grunde begrüßte er unter den Anwesenden neben dem Vorsitzenden des Lehrervereins auch den Kreisleiter des NSDAP, Walter Hornig 3 7 . Fast naiv klangen auch die Worte von Propst Funcke, der in seiner Schlußansprache von der Notwendigkeit des Bekennens in der Kirche sprach: „Wir haben aus der Ferne tieferschüttert es mit erlebt, wie in unserer deutschen Stammesheimat ein einziger, vorher fast unbekannter Mann eines Tages die Macht in seine Hände nahm. Vom Augenblick dieser Machtergreifung an ist, wie ihr wißt, in Deutschland alles, alles anders geworden, als es vorher war. So wird in einem Menschenleben, in einer Familie, in einer Gemeinde, in einer Kirche langsam, aber mit Urgewalt alles, alles anders wo Christi Machtergreifung stattfindet, wo - mit anderen Worten gesagt- Bekenner wachsen." 3 8 Gleichzeitig wurden aber auch schon andere Töne laut. Dekan i . R . Hahn betonte in 35

Schreiben Dietschis v o m 2 2 . 1 0 . 1 9 3 4 ( A E K D , D 1 / 1 0 ) . D i e Synodalversammlung 1 9 3 4

sandte an Reichsbischof Müller ein T e l e g r a m m : „ S y n o d a l v e r s a m m l u n g grüßt Reichsbischof in treuer Gefolgschaft und vertraut, daß unter seiner F ü h r u n g die Kirche in einmütiger G e schlossenheit wachse und sich z u m Segen der Volksgemeinschaft entfalte" (SYNODALBERICHT 1 9 3 4 , S. 70). D i e s e m T e l e g r a m m darf aber kein übergroßer W e r t beigemessen werden, denn bei der W a h l Bodelschwinghs war ein ähnliches T e l e g r a m m gesandt w o r d e n (vgl. E . SCHLIEPER, U n s e r Bekennen, S. 4 ) . Gustav R e u s c h , geb. 2 5 . 4 . 1900 in Eiserfeld, 1 9 2 5 v o m E v . Oberkirchenrat ausgesandt nach Brasilien, 1 9 2 5 - 1 9 3 1 in S. Miguel, R . G . , seit 1931 in C a c h o e i r a do Sul. 36

Schreiben Schlingensiepens an P r o p s t M a r c z y n s k i v o m 7. 5. 1 9 3 5 ( A K A , C V I l e ) .

37

SYNODALBERICHT 1 9 3 5 , S. 3.

38

E b d . , S. 1 5 f .

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Riograndenser Synode

seinem Referat „Unsere Predigt im Blick auf die Verbundenheit von Glaube und Volkstum" ausdrücklich, daß die Predigt „niemals völkische oder historisierende ,Rede' werden" dürfe, „auch nicht an deutsch-völkischen Festtagen" 39 . Viel stärker noch kam die Problematik des Verhältnisses von Kirche und Volkstum in den Ausführungen Gustav Reuschs zu dem Thema „ D e r Gedanke der Volkskirche in der theologischen Debatte der Heimatkirche" zum Ausdruck. Reusch versuchte aufzuzeigen, daß das kirchenpolitische Ringen und die äußere Neugestaltung der Volkskirche in Deutschland zur grundsätzlichen Frage, was Kirche sei, geführt habe. Die deutsche Theologie sei zu einer Revision gezwungen worden, da einige Theologen andere Offenbarungsquellen neben dem Worte Gottes anerkannt hätten. Reusch schilderte die Auseinandersetzungen zwischen Karl Barth und Emanuel Hirsch und leitete aus ihrem Offenbarungsbegriff deren gegensätzliche Vorstellung von „Volkskirche" 4 0 ab. Bei der anschließenden Diskussion sollen die anwesenden Pfarrer einmütig der Auffassung gewesen sein, daß dieser Meinungsstreit „keinesfalls in die ganz andersgearteten hiesigen Gemeinden künstlich hineingetragen werden dürfe; daß indes jeder einzelne Geistliche in sich selbst diesen Geisteskampf nach Kräften durchkämpfen müsse" 4 1 . In den neuen Synodalvorstand wurden dann alle drei Gruppierungen hineingewählt. Die nationalsozialistische Pfarrerschaft hatte sich nach längeren Verhandlungen auf die Person Dohms' geeinigt. Dohms wurde zum Präses, Reusch zum Vize-Präses und Knäpper zum Schatzmeister gewählt. Knäppers Berufung zum Schatzmeister der Synode entsprach dem Interesse von Hermann Dohms, denn gerade Knäpper hätte durch seine große Anhängerschaft der einflußreichste Mann im Synodalvorstand werden können. Dies verhinderte Dohms, indem er Knäpper den Posten zuspielte, den er vorher innegehabt hatte und von dem Knäpper nachweislich nichts verstand. Damit hatte Dohms erreicht, den Führer der nationalsozialistischen Pfarrerschaft völlig in seine Abhängigkeit zu bringen. Mit der Wahl Reuschs zu seinem Stellvertreter war es ihm obendrein gelungen, auch die Gruppe der Pfarrer, die auf Seiten der „Bekennenden Kirche" stand, seiner Kontrolle zu unterstellen. Daß Dohms trotz seines Taktierens keine Schwierigkeiten bekam und auch seine „Koalition" nicht ins Wanken geriet, lag wohl hauptsächlich an seinen Führungsqualitäten und an der Tatsache, daß er von Anfang an wußte, was er wollte. Dohms' Absicht läßt sich deutlich aus einem Brief von Propst Marczynski ablesen: „ I n unseren Gesprächen trat immer wieder bei den Rio Grandenser Amtsbrüdern der starke Wille zu einer eigenständigen deutschen evangelischen Volkskirche 39 Vgl. Funckes Bericht über die 42. Synodalversammlung vom 3. 6. 1935 (AKA, C VII 4). 40 SYNODALBERICHT 1935, S. 59-62 (ebd.). 41 Vgl. Anm. 39.

Auswirkung des deutschen Kirchenkampfes

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in Brasilien hervor. Man ist hier dankbar für alle Fürsorge und Hilfe der Heimatkirche, die sich in geistlicher und materieller Beziehung auswirkt, will aber als durchaus selbständige Kirche gelten und lehnt jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Synode ab. Auch die Verwendung der von der Heimatkirche entsandten Geistlichen soll vom Synodalvorstand geregelt werden." 4 2 Ebenso entschieden, wie er auf die Selbständigkeit der Kirche hinarbeitete und keine Einmischung von Deutschland her duldete, lehnte er es auch ab, in seiner Eigenschaft als Präses für die Bekennende Kirche oder für die Deutschen Christen Stellung zu nehmen: „ D i e Synode als Kirche" kann „nicht die eine oder andere Richtung gutheißen, so wenig wie sie früher sich als Kirche auf die Seite der Positiven oder Liberalen gestellt" hat; „theologische Stellungnahme" ist „Sache des einzelnen" 4 3 . Anfang Mai 1936 trat die nationalsozialistische Pfarrerschaft als Gruppe nicht mehr in Erscheinung, ebensowenig wie die Deutschen Christen, die sich wohl auch mehr aus dem Grunde zusammengeschlossen hatten, um von Rio Grande do Sul aus eine Solidaritätserklärung für das „Dritte Reich" abzugeben 4 4 . Ihr Auftreten war eine Episode innerhalb der Riograndenser Synode geblieben. Im Jahre 1937 bat Dohms dennoch das Kirchliche Außenamt, drei Pfarrer, die sich selbst als Anhänger der Thüringer „Deutschen Christen" verstünden, aus dem Dienst in Brasilien abzuberufen, da diese „kirchenpolitische G r u p p e " , wie er sie bezeichnete, „erhebliche Unruhe verursache". In demselben Schreiben ersuchte er, daß „ d i e deutschgläubigen und verwandten Vorstöße hier und in Deutschland von den zuständigen Stellen zurückgewiesen werden. Sie finden in unsern Gemeinden kein Echo und würden nur die Kluft, die sich hier im Lande zwischen Reichsdeutschen und Deutschbrasilianern leider auftut, vergrößern." 4 5 Der Einfluß der Deutschen Christen Brasiliens unter der Leitung von Pfarrer Erich Knäpper hinterließ aber deutliche Spuren innerhalb der Synode, die in ihren Veröffentlichungen, in der Konzeption der Volksmission und in der Jugendarbeit nachweisbar sind. Auffällig ist zunächst die Veränderung des Charakters des „Evangelischen Volksblattes für Brasilien", das seit 1914 erschien und missionarischen Aufgaben diente. 1936 betrug die Auflage 6320 Exemplare. Als der Leiter der nationalsozialistischen Pfarrerschaft Mitarbeiter bei der Synodalen Presse wurde, bekam das bis dahin erbauliche Blatt, das hauptsächlich Meditationen gebracht hatte, eine stark nationalsozialistische Aus42 43 44 45

Schreiben an das Kirchl. Außenamt vom 3. 10. 1935 ( A K A , C VII 4). Ebd. Mitteilung von Pfarrer Werner Wahlhäuser. Schreiben vom 9. 6. 1937 ( A K A , C VII 4).

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Riograndenser Synode

richtung 4 6 ; ähnliches gilt auch von anderen Publikationen 47 . So wurden zum Beispiel die Reichsdeutschen kritisiert, die nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun haben wollten 4 8 , und dazu aufgerufen, „mit Achtung und Liebe zu den Nationalsozialisten" 49 zu blicken. Nationalsozialismus und Christentum schlössen sich nicht aus 5 0 , auch wenn im nationalsozialistischen Staat Christen verfolgt würden. Auch stark antisemitische Töne fehlten nicht; die Bereitschaft Deutschlands, „den Kampf mit dem jüdischen Verbrechertum", d.h. mit den Kommunisten aufzunehmen, fand begeisterte Zustimmung 5 1 : „ D e r Satz ,Die Juden sind auch Menschen', wird wohl nicht als eine Formulierung der Kirche angesprochen werden können. Sicher sind die Juden auch Menschen, das ist schon richtig, aber sie sind eine besondere Art von Menschen. Gegen diese Art von Menschen, die mit Eigenschaften behaftet ist, die an dem Lebensmark anderer Völker zehren, nehmen nach und nach immer mehr Völker Stellung. Das nationalsozialistische Deutschland hat sich frei gemacht von der zerstörenden Wirkung des Judentums und setzt seine Kraft auf Gott und auf sich selbst." 5 2 In den „Deutschen Evangelischen Blättern für Brasilien" 4 6 Zum 20. April - Hitlers Geburtstag (21, 1936, Nr. 4, S. 2); Im Neuen Deutschland (ebd., Nr. 1/2, S. 3); Das Braunhemd (20, 1935, Nr. 1/2, S. 3); Hitler-Zitate finden sich in: SRS 19, 1934, Nr. 9, S. 3; Nr. 11, S. 1; Nr. 12, S. 3. 4 7 Vgl. z . B . JAHRWEISER 1937 (Mit Adolf Hitler im Kriege, S. 121 f.; Volk vor Gott! Der Führer Adolf Hitler ruft, ebd.,S. 122); JAHRWEISER 1938 (Der Führer, S. 119); SRS 5 0 , 1 9 3 6 (Zu Hitlers Geburtstag, Nr. 16, S. 8). 4 8 „Sie können sich mit den Reden der hiesigen Nazis, oder mit deren Arbeitsweise, oder mit deren Privatleben nicht einverstanden erklären, sonst aber sagen sie zu Hitler das berühmte „ J a " . Durch diese unhaltbare Einstellung erschweren sie die Wirkung des Neuen Zusammenklangs, ziehen durch mancherlei Gründe Deutschbrasilianer von einem innerlichen Erfaßt- und Bereichertwerden zurück" (E. KNAPPER, Fruchtbare Zusammenarbeit, S. 173). 4 9 ,,Vertiefen wir uns in die Geistesrevolution des Nationalsozialismus, beobachten seine Weltwirkung, verstehen wir die Lage des hier im Lande bereits länger lebenden Blutsbruders, blicken wir mit Achtung und Liebe zu den Nationalsozialisten, immer wissend, daß sie im Kampfe stehen, um des Nationalsozialismus, um des neuen Deutschlands willen, dann wird der ,Neue Zusammenklang' ein echter, voller werden, dann wird es sich allmählich auf alle Gebiete hiesigen Lebens auswirken, denn allen Gebieten hat der Nationalsozialismus wertvolles zu sagen" (ebd., S. 174). 5 0 „Immer klarer stellt sich heraus, daß Nationalsozialismus und Christentum sich nicht ausschließen, sondern daß sie zusammen den deutschen Menschen bilden und formen, daß wirklich der deutsche Mensch im Dritten Reich entstehe. Nationalsozialismus und Christentum schließen sich nicht gegenseitig aus, bekämpfen sich nicht; immer wieder weist Adolf Hitler, weisen die Führer des deutschen Reiches darauf hin. Ein letzter .handgreiflicher' Beweis ist die Verurteilung eines katholischen Geistlichen, der von der Kanzel aus hatte beweisen wollen, daß Christentum und Nationalsozialismus sich ausschlössen. Eine solche Darstellung wurde als gefährlich und als eine solche Unwahrheit angesehen, daß den Pater eine empfindliche Strafe traf" (E. KNAPPER, Ringen um Christus, S. 2 f.). 51 52

E. KNAPPER, Deutschland ist bereit, S. 2. E. KNAPPER, Menschenantlitz, S. 2.

Auswirkung des deutschen Kirchenkampfes

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machte Knapper 1935 Vorschläge zur Anschaffung von Büchern für Volksbüchereien. Bemerkenswert sind folgende Titel, die zum Grundstock jeder Bibliothek gehören sollten: Czech-Jochberg, Hitler, eine deutsche Bewegung; Dietrich, Mit Hitler an die Macht; Feder, Programm der NSDAP; Grimm, Volk ohne Raum; Goebbels, Reden, Kampf um Berlin und Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei; Hitler, Mein Kampf; Hitler spricht, Reden; Heiss, Deutsche Revolution; Joerns und Schwab, Rassenhygienische Fibel; Leers, Hitler; Müffling, Wegbereiter und Vorkämpfer für das neue Deutschland; Rosenberg, Wesen, Grundsätze und Ziele der NSDAP; Schott, Das Volksbuch von Hitler; Schmidt-Pauli, Hitlers Kampf um die Macht und Die Männer um Hitler; Stapel, Sechs Kapitel über Christentum und Nationalsozialismus; Wieneke, Christentum und Nationalsozialismus; Zöberlein, Glaube an Deutschland 53 . Auch der Begriff Volksmission erfuhr unter dem Einfluß der Deutschen Christen Brasiliens einen Bedeutungs- und Funktionswandel. Innerhalb der Riograndenser Synode bedeutete er zunächst nur das, was Wichern seinerzeit mit „Innerer Mission" gemeint hatte 54 ; unter dem Einfluß der nationalsozialistischen Weltanschauung wurde der Begriff dann aber in veränderter Weise gebraucht: „Die Mission der Kirche wendet sich . . . an die Seele des Volkes" 55 . Begründet wurde dies damit, daß „unser V o l k . . . unter Führung Adolf Hitlers und des Nationalsozialismus" begonnen habe, „sich auf seine Urkräfte zu besinnen, auf die physischen und seelischen Kräfte, die allein unser Volk vor innerem Zerfall und äußerem Untergang bewahren können" 5 6 . Deshalb glaubte man, „unter unseren Volksgenossen für die nationalsozialistische Weltanschauung kämpfen zu müssen, und vertrat die Auffassung, „jeder deutsche Volksgenosse, dem noch etwas an der Erhaltung und Rettung seines Volkstums hier in Brasilien liegt, jeder der noch einen Funken Liebe zum angestammten Volkstum in sich trägt, [müsse] sich zu dieser neuen Weltanschauung des Nationalsozialismus bekennen und in ihrem Sinne Kämpfer um die Wiederbelebung der Seele unseres Volkstums werden" 5 7 . Die Kirche vertritt einen „deutschen Glauben", denn „Luthers Christentum" ist „echtes deutsches Christentum . . . bei dem sich deutsche Seele mit dem Geist des Evangeliums vereinte. Mit der Verkündigung des Evangeliums im Geiste Luthers tut also die Kirche besten Dienst zur Erhaltung des Volkstums und seiner Seele. Das ist also auch die Aufgabe unserer Deutschen Evangelischen Kirche in Brasilien, die ja allein begründet ist durch ihre Mission 53

E. KNAPPER, Volksbüchereien, S. 24-27. Vgl. H . DOHMS, Innere Mission. 55 E. Eyssel, Die volksmissionarische Aufgabe der Kirche (SYNODALBERICHT 1934, 63). 56 Ebd., S. 62. 57 Ebd., S. 63.

54

S.

9

Dreher, Brasilien

Riograndenser Synode

130

am deutschen Volkstum. Unsere Kirche ist bewußt deutsche Volkskirche, deren Gemeinden aus dem deutschen evangelischen Volkstum Brasiliens erwachsen sind. Unsere Kirche ist aber auch Missionskirche am Deutschtum in Brasilien als Botin und Künderin deutschen Christentums im Geiste Luthers. Unsere Kirche muß diesen Dienst tun um des Volkstums und seiner Seele willen, dessen gottgewollte Verbundenheit und Einheit sie mit erhalten und festigen soll." 58 Der Weg der Kirche ist „der Kampf um die Erhaltung des deutschen Volkstums und seiner Seele" 59 . Weitaus gefährlicher war aber die Verquickung der nationalsozialistischen Weltanschauung mit der Jugendarbeit. Die Anfänge der Jugendarbeit innerhalb der Synode lagen in der Verantwortung einzelner Pastoren, die damit bereits Erfahrung hatten. Die erste Jugendgruppe wurde 1896 von Pastor Rotermund in Säo Leopoldo gegründet 60 ; 1910/11 bildeten sich mehrere Jungmädchengruppen und 1914/15 gleiche Gruppen für die männliche Jugend 61 . Ein besonderes Anliegen der gesamten Synode wurde die Jugendarbeit aber erst nach dem Ersten Weltkrieg. 1927 erschien das erste Jugendblatt innerhalb der Synode; dieses Blatt mußte jedoch nach der zweiten Nummer sein Erscheinen einstellen 62 . Erst mit Egon Koch wurde 1932 ein Sachbearbeiter für die Jugendarbeit gewählt. Zahlreiche Veröffentlichungen von ihm im Riograndenser „Sonntagsblatt" in den Jahren 1933 und 1934 zeigen ihn als einen Mann, dem das Vorbild des Christlichen Vereins Junger Männer für die Jugendarbeit in Brasilien vorschwebte 63 . Unter anderem wollte Koch eine Mustergruppe aus den Schülern der beiden in Säo Leopoldo bestehenden Seminaren bilden. Sein Wunsch ging auch am 8. Juni 1934 mit der Gründung des „Rings" auf dem Spiegelberg in Säo Leopoldo in Erfüllung, allerdings nicht in der Weise, wie er sich das vorgestellt hatte. Denn hier kam es zu Erscheinungen, die seiner CVJM-Vorstellung nicht entsprachen 64 , wie z.B. die Uniformierung der Jugendgruppe. Auf der Synodalversammlung in Cachoeira do Sul legte er sein Amt nieder, da er eine von nationalsozialistischen Ideen getragene Jugendarbeit nicht mittragen und verantworten wollte. Während der genannten Synodalversammlung wurde auf einer Pastoralkonferenz über die praktische Gestaltung des Jugendwerkes, über die unter den Pastoren keine Einigkeit herrschte, verhandelt. Einige beantragten, sich mit der „Pflege des christlichen Glaubensgutes" zu begnü58 59

Ebd., S. 64. Ebd., S. 65.

60

V g l . J . FISCHER, G e s c h i c h t e , S. 1 2 8 .

61

R. BECKER, Sinodo Rio-Grandense no seculo XX, S. 163.

62

E s h i e ß : FÜR UNSERE J U G E N D .

63

Einen Einblick in seine Auffassung über die Jugendarbeit gibt sein „Bericht über die synodale Jugendarbeit" (SYNODALBERICHT 1935, S. 25-28). 64 Ebd., S. 26f.

A u s w i r k u n g des deutschen Kirchenkampfes

131

gen, um nicht mit den Vertretern der NSDAP und dem Deutschbrasilianischen Jugendring - einer Zweigorganisation der Hitler-Jugend in Brasilien - in Konflikt zu geraten; andere waren der Ansicht, man solle dort, wo bereits Gruppen des Jugendrings vorhanden seien, sich von der Jugendarbeit völlig zurückziehen 65 . Nach dem Rücktritt von Egon Koch übernahm Erich Knäpper die Leitung des Jugendwerkes. Im Mai 1936 ließ er zum ersten Mal die Zeitschrift „Evangelische Jugend" erscheinen. Unter seiner Leitung erlebte die Jugendarbeit insgesamt einen großen Aufschwung. Bestanden 1932 nur etwa 12 Jugendgruppen im Bereich der Synode 66 , so gab es 1937 bereits 79 mit rund 3000 Mitgliedern. Die „Evangelische Jugend" erschien in einer Auflage von 1300 Exemplaren, und vom Liederbuch „Auf, bleibt treu" wurden 3000 Exemplare verkauft 6 7 .193 6 wurde der Anschluß der Jugend des Evangelischen Gemeindeverbandes von Santa Catarina und Parana sowie der Mittelbrasilianischen Synode gemeldet 68 . Organisatorisch war die Evangelische Jugend selbständig. Sie erhielt ein eigenes Banner: die brasilianische Fahne mit einem blauen Ritterschild und einem weißen Kreuz in der Mitte. Am 19. September 1936 wurde festgelegt, daß die Jugend mit „Heil" und erhobener Hand grüßen sollte 69 , die Jugendgruppen sollten fortan „Jungvolk" heißen 70 , ihr mit erhobener Hand auf die Jugendfahne zu leistendes Gelöbnis lautete: „ W i r geloben:

W i r geloben:

W i r geloben:

D i r , G o t t der Väter

Dir, V o l k der Väter,

D i r , L a n d der Väter

dient die junge Schar,

sind wir ganz geweiht.

gilt der schwere Schwur

Dein W o r t bleibt heilig,

Dein Blut vergeht nicht,

die H e i m a t e r d e

wie es i m m e r war.

denn wir sind bereit.

sei uns heil'ge F l u r .

W i r sind bereit.

Keiner zerbricht.

W i r sind die W e h r !

Dein ist die Zeit!

Steige z u m L i c h t !

D e i n ist die E h r ! " 7 1

Dem Gelöbnis lagen meist triadische Formeln zugrunde, die zu Parolen der Jugendarbeit wurden: „Treue dem Blut, Treue dem Glauben, Treue der Heimat", „Für Gott, Volk, Vaterland" 7 2 , „Glauben, Volkstum, Vaterland" 7 3 . Um die Jugendarbeit weltanschaulich zu vereinheitlichen, wurden Jugendlager organisiert, in denen Themen wie Schule, Gemeinde, Rasse und Volk oder Christentum in der Gegenwart behandelt wurden. 65

Schreiben Funckes an das Kirchl. A u ß e n a m t v o m 3 . 6 . 1 9 3 5 ( A K A , C V I I 4).

66

Vgl. SYNODALBERICHT 1 9 3 5 , S. 2 7 .

67

Vgl. ebd. 1 9 3 7 , S. 2 4 .

68

E . KNAPPER, Evangelische J u g e n d , S. 8.

69

EVANGELISCHE JUGEND, N o v e m b e r 1 9 3 6 , S. 19.

70

E b d . , Januar 1 9 3 7 , S. 3.

71

E b d . , S. 4 .

72

E b d . , S. 3 ; ebd., September 1 9 3 6 , S. 8.

73

Bilder aus dem Jugendlager in R i o P a r d i n h o (SRS 5 1 , 1 9 3 7 , N r . 8, S. 2 ) .

132

Riograndenser Synode

Hier versammelte sich die Jugend vor Sonnenaufgang am Fahnenplatz; auf fünf Masten wurden in der Mitte die Bundesflagge Brasiliens, an der einen Seite die Flagge Rio Grande do Suis, an der anderen Seite das Hakenkreuzbanner gehißt. Diese drei Flaggen wurden eingerahmt von zwei Fahnen der evangelischen Jugend 7 4 . 1937 entwickelte Pfarrer Knapper den Plan, zwei bis drei unverheiratete Gemeindelehrer nach Deutschland zu schicken; dort sollten sie das evangelische Deutschland und die evangelische Kirche kennenlernen und sich mit Hitler-Jugend und Volksdeutscher Arbeit vertraut machen. Dieser Plan scheiterte aber aus zweierlei Gründen: zum einen äußerte Bischof Heckel Bedenken, zum andern verfügte das Kirchliche Außenamt nicht über die nötigen Mittel, um die Reise zu finanzieren 75 . Knäppers Ziel in der Jugendarbeit kann mit folgenden Worten umrissen werden: „Wir wollen eine deutsche Jugend, welche die großen Güter des neuen Deutschlands in sich aufnimmt, mit diesen Gütern zur weiteren Erkenntnis der besonderen Lage des Deutschbrasilianertums geführt wird und ihre Aufgabe so erkennt. Wir wollen eine evangelische Jugend, die das Erbe der Reformation ebenfalls in sich aufnimmt und die nun zu einer Haltung als deutsche Menschen heranwächst, die vom Glauben aus bestimmt wird." 7 6 Um den Jugendlichen „die großen Güter des neuen Deutschlands" bekannt zu machen, wurden in der „Evangelischen Jugend" unter der Uberschrift „Aus dem Lande der Väter" Themen aufgenommen wie: Hitlerjugend sammelt fürs Winterhilfswerk, Eine Begegnung mit dem Führer, Der Bauer im neuen Deutschland, usw. Neben Knäppers Vorstellung von Jugendarbeit gab es innerhalb der Synode durchaus noch andere Auffassungen, vorherrschend aber war die Uberzeugung, daß bei den Jugendlichen das Gefühl der Verbundenheit mit der alten Heimat geweckt werden müßte. In einem Aufsatz nannte Pastor Willi Schiemann drei wesentliche Punkte der Jugendarbeit: Sie müsse kirchlich, volkstümlich und national sein. „Kirchlich" bedeutete, den Jugendlichen das Evangelium zu bringen, um sie zu christlichen, verantwortungsbewußten Persönlichkeiten zu erziehen und sie zu tätiger Mitarbeit in und an der Gemeinde heranzuführen. „Volkstümlich" besagte, daß zwar das Gefühl der Verbundenheit mit der Stammesheimat geweckt werden sollte, „doch nicht so, daß das zu verkündende Evangelium sich mit Volkstum deckt". „National" hieß für ihn: „Die zu betreu-

Ebd. Vermerk Schröders vom 29. 5. 1937 mit Marginalie Heckeis (AKA, C VII la). Ferdinand Schröder, geb. 10. 9. 1892 in Nortorf/Holstein, 1921-1923 Pfr. in Barao do Triumpho (heute Sertao de Santana), R . G . , 1923-1925 in Säo Leopoldo, R.G., 1925 in Neuenbrook/Holstein, 1934 Brasilienreferent im Kirchl. Außenamt, nach 1945 Tätigkeit beim Ev. Hilfswerk in Stuttgart. 7 6 Was wir erreicht haben - was wir erreichen wollen (JAHRWEISER 1937, S. 55). 7 7 W. SCHIEMANN, Aufbau einer volkskirchlichen Jugendpflege, S. 44 f. 74

75

Auswirkung des deutschen Kirchenkampfes

133

enden Jungen und Mädchen sind Angehörige der brasilianischen Nation. Die mitwirkende Bereitschaft, ihr mit dem Besten zu dienen, ist zu wekken. Der Nation wird man nur dienen können, wenn man Natur und Leute kennen und lieben lernt." 7 7 Interessant aber ist zu sehen, wie die Jugendlichen selbst die Arbeit innerhalb ihrer Gruppen verstanden. In der ersten Nummer der „Evangelischen Jugend" wurden von Hans Dohms, dem Sohn von Präses Dohms, die Ziele der Evangelischen Jugend folgendermaßen beschrieben: „Evangelisch-Deutsche Jugend" hat zum Ziel, „Christus und sein Evangelium weiterzugeben an unsere Kameraden im Lande". Durch diese Arbeit ist die Volkstumsarbeit begründet. Die erste Aufgabe der Jugend ist aber, Evangelische Jugend zu sein. Die Jugend ist bereit, beim Aufbau des brasilianischen Staates mitzuhelfen. Sie will Kameradschaft verwirklichen, und Kameradschaft bedeutet soviel wie Nächstenliebe, sie will Volksgemeinschaft und dies bedeutet soviel wie Gemeinde. Dienen will die Evangelische Jugend: „1. Dem Staate, weil wir ihm ganze, charaktervolle, entschlußfähige Männer hinstellen. 2. Der Kirche, da wir ihr Kämpfer für die Verbreitung des Wortes Gottes erziehen. 3. Dem Volkstum, da wir ihm feste Volksgenossen heranbilden" 78 . Hier wird die Verantwortung gegenüber dem brasilianischen Staat deutlich herausgestellt. Um den Eindruck zu vermeiden, als sei die Evangelische Jugend ein Ableger der Hitler-Jugend gewesen, soll auf eine Auseinandersetzung zwischen der Evangelischen Jugend und dem Deutschbrasilianischen Jugendring näher eingegangen werden 79 . Allem Anschein nach unternahm dieser im Laufe des Jahres 1937 einige Versuche, sich alle anderen Jugendgruppen zu unterstellen 80 . In der Zeitung „Für's Dritte Reich" und in verschiedenen Flugblättern wurde die Evangelische Jugend der Riograndenser Synode scharf angegriffen, deren Leitung verzichtete aber zunächst auf eine Replik, in der Hoffnung „damit dem Deutschbrasilianertum einen größeren Dienst erwiesen zu haben, als wenn sie in der Öffentlichkeit entgegnet hätte" 8 1 . Trotz dieser Angriffe nahmen zwei Pastoren, die sich zu den Thüringer Deutschen Christen bekannten, an einem Lager des Jugendrings teil 82 . Während Otto Kreutzer zu den Jugendlichen über „Volkstum und Vaterland" sprach, hielt Rudolf Grabs Vorträge über „Deutsches Wesen" und Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts". Grabs stellte in seinem Vortrag folgenden Vergleich auf: „Wie ehedem 7 8 H . DOHMS, Jugend schafft mit, S. 3 f. - H . - J . PRIEN schreibt diese Aussagen Hermann Dohms zu (Kirche - Volkstum - Politik, S. 24). Diese Ungenauigkeit beim Zitieren findet sich an anderer Stelle wieder, wenn er aus dem Gemeindevertreter Rudolf Müller einen Pfarrer macht (vgl. ebd., Anm. 53 und 68). 79

Zum Deutschbrasilianischen Jugendring vgl. A. PY, Coluna, S. 2 3 9 - 2 4 5 , 2 6 0 - 2 8 3 .

80

Vgl. EVANGELISCHE JUGEND, September 1937, S. 6. Ebd. Vgl. oben S. 127.

81 82

134

Riograndenser Synode

Kopernikus eine neue Anschauung des Himmels lehrte und damit Jahrtausende alte Meinungen abgetan waren, so stellt Rosenberg eine neue Lehre vom deutschen Menschen auf, nämlich die, daß stets der nordische Mensch Träger großer Geschichte gewesen ist und sein wird, sofern er auf allen Lebensgebieten seiner Art treu bleibt. Der Begriff der Rasse ist uns nordischen Menschen kein Anlaß zum Dünkel, wohl aber zur verpflichtenden Leistung." 8 3 Weitere Vorwürfe des Jugendrings veranlaßten die Leitung der Evangelischen Jugend schließlich doch zu einer Reaktion. Im Oktober 1937 veröffentlichte „ D i e Kameradschaft" einen Aufsatz unter dem Titel „ D e r Deutschbrasilianische Jugendring ist nicht ,gegen die Kirche, Christentum oder Religion'!"; in dieser Veröffentlichung wurde der Glaubensstand eines Menschen als etwas Nebensächliches dargestellt; wo man sich zu einer völkischen Gemeinschaft zusammenfinden wolle, müsse das Bekenntnis des einzelnen schweigen. Es sei gleichgültig, ob einer Protestant, Katholik, Adventist oder Ludendorff-Anhänger sei. Darüber hinaus, so argumentierte der Jugendring, müsse er der Kirche die Deutschtumsarbeit abnehmen, damit diese sich ganz den religiösen Dingen widmen könne. Der Jugendring werde schon auf seine Art den jungen Menschen darauf verpflichten, sich einen Weg zu Gott zu suchen 8 4 . Zu diesen Äußerungen konnte die Jugendleitung der Riograndenser Synode nicht schweigen. Die Antwort erschien in der „Evangelischen J u g e n d " im Januar 1938. Entschieden wurde darin unterstrichen, daß der Glaubensstand eines Menschen keine unbedeutende Sache sei: „ W i r lehnen eine solche Herabminderung des christlichen Glaubens ab und betrachten es z . B . als eine Aufgabe - falls es notwendig würde - gegen die Irrlehren einer Frau Mathilde Ludendorff anzugehen. Uns ist es nicht gleichgültig, ob unser Kamerad oder unsere Kameradin Gott oder Götzen anhängt. Weg mit der Gleichgültigkeit in Glaubensfragen!" Christliche Verkündigung und christliche Jugendbewegung seien notwendig, denn Christentum sei nicht ein Weg zu Gott, sondern der Weg. Trotz dieser Differenz wisse man sich aber in der Bestrebung zur Einigung des Deutschtums in Brasilien einig 8 5 . Im Jahre 1934 trat bei einigen Pfarrern, die vorher durchaus mit dem Nationalsozialismus sympathisiert hatten, Mitglieder der Partei gewesen waren und in Hitler den Mann gesehen hatten, der Deutschland in eine 8 3 DIE KAMERADSCHAFT, Februar/März 1937, Lagernummer, Doppelheft 4/5, ohne Seitenangabe. Rudolf Grabs, 1934 vom Kirchl. Außenamt ausgesandt nach Brasilien, seit 1935 in Boa Vista do Erechim, R. G . O t t o Kreutzer, geb. 5 . 3 . 1907 in Mönchengladbach, 1931 ausgesandt nach Brasilien vom Deutschen Ev. Kirchenausschuß, seit 1931 in Erechim, R . G . 8 4 Vgl. DIE KAMERADSCHAFT, Oktober 1937, S. 14ff. 8 5 „ D e r Deutschbrasilianische Jugendring ist nicht gegen Kirche, Christentum oder Relig i o n " (EVANGELISCHE JUGEND, Januar 1938, S. 15ff.).

Auswirkung des deutschen Kirchenkampfes

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bessere Zukunft führen könne, ein Gesinnungswandel ein. Ihre Entscheidung begründeten sie damit, daß mit dem Erscheinen von Rosenbergs Büchern „Mythus des 20. Jahrhunderts" und „Protestantische Rompilger" der Boden des „positiven Christentums" verlassen worden sei. Außerdem waren Reuschs Kontakte zur Bekennenden Kirche in Deutschland, von denen er seinen Amtskollegen Mitteilung machte, für ihn selbst, aber auch für andere Pfarrer der Anstoß, aus der NSDAP auszutreten 86 . Besonderes Aufsehen erregte aus diesem Kreis Gustav Hahn, der sich als einziger entschieden gegen die Unterstellung der Synode unter das von Bischof Heckel geleitete Kirchliche Außenamt und somit unter die von Reichsbischof Müller geleitete Deutsche Evangelische Kirche wandte 87 . Hahns Ansichten wurden besonders deutlich in seinem auf der Synodalversammlung 1937 gehaltenen Vortrag „ D e r Atheismus und christlicher und außerchristlicher Gottesglaube im Geisteskampf der Gegenwart" 8 8 . „Wir sind" - so meinte er - „genötigt uns wieder einmal auf die allereinfachsten, grundlegendsten Fragen unseres Glaubens zu besinnen und die Festigkeit unseres Stehens zu prüfen. Wenn man in unseren Kreisen noch vor wenigen Jahren über bestimmte Dinge deshalb nicht sprach, weil sie einem selbstverständlich waren, so müssen wir uns heute sagen lassen: Selbstverständlich ist überhaupt nichts. Alles steht in Frage." 8 9 Empört wandte er sich, ohne Namen zu nennen, gegen die Ideen Alfred Rosenbergs 90 , gegen Ernst Bergmanns Forderung nach einem Nationalgott und einer Nationalreligion 91 , gegen Äußerungen der Deutschen Glaubensbewegung und gegen Aussagen, die in Schulungsbriefen für die deutsche Jugend im Reich zu finden waren und die nichts weiter als eine Vergötterung der Rasse bedeuteten. Den Vorwurf der Rassenvergötterung bezog er auf alle genannten Bereiche gleichermaßen 92 . Damit distanzierte er sich - wenn auch nicht direkt ausgesprochen - deutlich von der im Dritten Reich herrschenden Ideologie. Neben Reuschs Kontakten zur Bekennenden Kirche aus dem Jahre 1934 kommt dem „Fall Ilsenburg" eine besondere Bedeutung bei der Entstehung der Arbeitsgemeinschaft der Bekennenden Kirche zu; letzten Endes führte gerade diese Auseinandersetzung zu ihrer Entstehung.

86

Mitteilungen von P. Heinrich Brakemeier und P. Horst Bergmann vom 2. 7. resp. 28. 6. 1971. 87 Mitteilung von P. Rudolf Wulfhorst vom 21. 7. 1971. 88

V g l . SYNODALBERICHT 1 9 3 7 , S . 5 0 - 5 6 .

89

Ebd., S. 51.

90

A . ROSENBERG, M y t h u s .

91

V g l . E . BERGMANN, N a t i o n a l k i r c h e .

92

Ebd., S. 5Iff.

Riograndenser Synode

136

Der „Fall Ilsenburg" und die „Arbeitsgemeinschaft der Bekennenden Kirche" Im Jahre 1911 beschloß der Ev. Oberkirchenrat in Berlin, ein Diasporaseminar zu gründen. Dieser Entschluß ging auf eine Anregung des westfälischen Generalsuperintendenten Wilhelm Zoellner zurück, der 1909 die evangelischen Gemeinden in Brasilien bereist hatte. Das Diasporaseminar entstand zunächst in Soest mit der Bezeichnung „Auslandspredigerseminar", 1920 kam es dann als „Landeskirchliches Diasporaseminar" nach Witten/Ruhr, um schon 1924, wegen der Besetzung des Ruhrgebiets, nach Stettin-Grünhof umzusiedeln. Zuletzt befand sich das Diasporaseminar in Ilsenburg am Harz 9 3 . Die Aufgabe des Seminars bestand darin, Kandidaten für das Pfarramt in der Auslandsdiaspora vorzubereiten. Deswegen wurde auch die Ordination grundsätzlich im Hinblick auf die Auslandsgemeinden vollzogen 94 . Man bildete einen besonderen Typ von Pfarrer aus: den Diasporapfarrer, den bodenständigen Pfarrer. Die Ausbildung war deshalb auch ganz auf den Dienst in der Diaspora ausgerichtet. In den ersten Jahren seines Bestehens wurden in das Seminar auch Kandidaten aufgenommen, die die Obersekundareife besaßen; später ging man dazu über, nur noch Kandidaten zu berücksichtigen, die das Abitur gemacht hatten. Eine Ausnahme bildeten die Kandidaten, die aus der Diaspora selbst, z.B. aus Brasilien, kamen; ihnen wurde ein Sonderunterricht erteilt. 1932 umfaßte die Ausbildung normalerweise eine dreijährige Studienzeit, dieser folgte dann ein einjähriges Vikariat in Deutschland. Daran Schloß sich eine Vikariatszeit im Ausland an dort, wo der Kandidat sein Pfarramt übernehmen sollte. Während der dreijährigen Studienzeit wurden alle Disziplinen der Theologie gelehrt, Hebräisch blieb Wahlfach. Besonderes Gewicht wurde aber auf Pädagogik - die Pfarrer sollten später auch die Gemeindeschulen leiten können - , Landesund Kirchenkunde sowie die jeweilige Landessprache gelegt 95 . Bis 1932 waren bereits 74 Pfarrer und Vikare im Seminar ausgebildet worden, davon waren allein 66 später in Brasilien tätig 96 . Bereits um 1925 hatte man in Brasilien festgestellt, daß die Absolventen des Auslandsseminars in dem guten Glauben nach Brasilien gekommen waren, daß sie nach zwölf Jahren Dienstzeit berechtigt wären, in Deutschland ein Pfarramt zu übernehmen. Als sich herausstellte, daß sich ihre Hoffnung nicht erfüllen würde, entstand unter den jungen Pastoren und Vikaren große Unsicherheit, die sie nicht ohne weiteres hinnehmen 93

Vgl. A. KRIEG, Diasporaseminar; F. SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg, S. 378;

K . D I C K , A u f g a b e , S. 1 1 2 . 94 95 96

Ebd., S. 118. Ebd., S. 115. Ebd., S. 118.

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wollten. Erst 1932 entschied dann der Vorstand der Riograndenser Synode auf Drängen von Pfarrer Dohms, über die deutschen Behörden eine Klärung herbeizuführen. Gleichzeitig forderte Pfarrer Dohms, daß neben der Klärung der rechtlichen Frage auch die Möglichkeit diskutiert werden solle, ob die Ausbildung der Seminaristen auf die Universität verlegt werden könne. Seine zweite Forderung begründete er damit, daß durch eine Ausbildung an einer einzigen Ausbildungsstätte die Unterscheidung zwischen missionarischen, akademischen und seminaristischen Pfarrern verschwinden würde und daß dadurch auch diejenigen, die wegen ihres Alters nicht mehr in der Lage seien, ihr Abitur zu machen, ihr Studium an einer Universität absolvieren könnten. Dohms meinte zu jener Zeit, daß auch in Brasilien ein Seminar denkbar wäre; in erster Linie aber ging es ihm um den Besuch der Universität, denn nur dadurch sei die Möglichkeit gegeben, mit anderen Disziplinen in Kontakt zu kommen. Für besonders wichtig erachtete er das Studium der Philosophie. Darüber hinaus sei es gerade für einen Auslandsdeutschen wichtig, die Stätten der Reformation kennenzulernen und in Deutschland zu studieren, um damit einer Ghettoisierung der Kirche entgegenzuwirken 97 . Am 5. Januar 1933 richtete nun der Synodalvorstand einen Antrag an den Deutschen Evangelischen Kirchenausschuß mit der Bitte, die Kandidaten, die im Auslandsseminar ausgebildet worden waren und die die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen, nach etwa 15jähriger Tätigkeit im Ausland in den Dienst der deutschen Kirche zu übernehmen und die Ausbildung der zukünftigen Auslandspfarrer an eine Universität zu verlegen 98 . Die Entwicklung der politischen Ereignisse in Deutschland erlaubte aber keine veränderte Regelung mehr. Auf der Synodalversammlung in Cachoeira do Sul im Mai 1935 kam die Problematik bei einer Pastoralkonferenz nochmals zur Sprache. Dabei wurde der Antrag gestellt, die angeordnete Ordination der drei Vikare, die soeben aus Ilsenburg gekommen waren, solange zu verschieben, bis die rechtliche Lage der Ilsenburger endgültig geklärt worden sei 99 . Unter diesem Druck handelte der Synodalvorstand sofort und bat Bischof Hekkel, eine Lösung in dieser Angelegenheit herbeizuführen 1 0 0 . Heckel begann nun, die gesamte Ausbildung der Vikare und Pastoren für Brasilien neu zu regeln. Gleichzeitig aber führte die Bitte des Synodalvorstandes zur Schließung des Ilsenburger Seminars.

97

Vgl. Schreiben Dohms' an H. Schlingensiepen vom 7. 6. 1936 (AKA, C VI le). Vgl. Schreiben Dohms' an Schlingensiepen (vgl. Anm. 97) und Schreiben Heckeis ,,Αη die obersten Behörden der deutschen Landeskirchen" vom 3. 6. 1936 ( AEKD, D 1/15). 99 Vgl. Th. Heckel, „Reform der theologischen Ausbildung der Auslandsgeistlichen" (AKA, C VI le) und Schreiben Dohms' (vgl. Anm. 97). 100 Vgl. ebd. 98

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Ende 1934 unterstellte sich das Auslandsseminar der Bekennenden Kirche. Begründet wurde dieser Schritt damit, daß sich das Kirchliche Außenamt, vertreten durch Bischof Heckel, in Fanö in unverantwortlicher Weise gegen die Bekennende Kirche ausgesprochen und den Reichsbischof „ a u f dem Höhepunkt seiner kirchenzerstörenden Wirksamkeit" feierlich gestützt habe. Somit sei das Auslandsseminar gezwungen worden, „eine klare Scheidung zu vollziehen" 1 0 1 . Kurz vor Weihnachten 1934 wurde dann von Ilsenburg aus Bischof Heckel mitgeteilt, daß das IIsenburger Auslandsseminar den Beschlüssen der Dahlemer Bekenntnissynode zugestimmt habe. Auf diese Mitteilung reagierte Heckel zunächst nicht. Wie es scheint, hatte er zu diesem Zeitpunkt kein Interesse an einem offenen Konflikt 1 0 2 . Im Frühjahr 1935 billigte Heckel noch immer die Arbeit in Ilsenburg 1 0 3 . Dies zeigte sich auch in der Ostern 1935 erschienenen Veröffentlichung des Kirchlichen Außenamts „Jenseits der Grenzen": „ D a s Kirchliche Auslandsseminar muß sich für die Volkstumsarbeit in Südamerika zu einer wahren Hochschule eigener Prägung entfalten . . . Dieses Ziel ist nicht durch Übernahme der akademischen Lehrform zu erreichen", denn „ j e klarer dieses Ziel die Eigenart der Tradition bestimmt, umso überflüssiger wird das Vergleichen mit anderen Formen geistlicher Ausbild u n g . " 1 0 4 Zu Beginn des Sommers 1935 war das Verhältnis zwischen Heckel und dem Ilsenburger Seminar aber anscheinend schon gespannter, denn Heckel wünschte jetzt, daß die Prüfungen, die normalerweise erst im Herbst vollzogen wurden, vorgezogen würden und forderte für sich die Leitung der Prüfung, die ihm nach Lage der Dinge auch zustand. In Ilsenburg verwies man ihn an die Bekennende Kirche, der man sich nunmehr allein unterstellt sah 1 0 5 . Diese Zurückweisung scheint der Grund dafür gewesen zu sein, daß Heckel im Herbst die Finanzabteilung beim Ev. Oberkirchenrat veranlaßte, die Neuaufnahme von Studenten für Ilsenburg zu sperren 1 0 6 . Kurz zuvor wurden die Stipendien für die aus1 0 1 Vgl. Schreiben der V K L vom 16. 4. 1936 ( A K A , C VI Beiheft I); K. KUPISCH, Landeskirchen, S. 162 f. 1 0 2 Vgl. hierzu das anonyme Flugblatt „Bericht über die Angriffe gegen das Kirchliche Auslandsseminar in Ilsenburg" ( A K A , C VI le). 1 0 3 Vgl. Schreiben H . Schlingensiepens an den Dekan der Ev.-theol. Fakultät der Universität Greifswald vom 20. 5. 1936 (ebd.). 1 0 4 S. 26. In einem Brief vom 16. 7. 1934 an den Landeskirchenrat in München schrieb Heckel: „ I c h möchte sehr gern das ganze Kirchenwesen von Südamerika auf die luth. Linie herumbiegen. D a z u sind bereits in der Vorbildung in Ilsenburg die notwendigen Bedingungen in aller Stille geschaffen worden, indem die luth. Bekenntnisschriften zur Grundlage der dogmatischen und lehrmäßigen Ausbildung erhoben wurden" ( L K A NÜRNBERG, L K R X I I I 1560 b - 2451). Diese Aussage zeigt, daß Heckel 1934 mit der Art der Ausbildung in Ilsenburg einverstanden war. 1 0 5 Vgl. A n m . 102, dort S. 4. 1 0 6 Vgl. A n m . 103.

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landsdeutschen Stipendiaten von der Reichskirche gestrichen 1 0 7 . So erfolgten nun die Neuaufnahmen im Herbst 1935 unter der Verantwortung der Bekennenden Kirche 1 0 8 ; die neu eingetretenen Studenten erfuhren daraufhin vom Kirchlichen Außenamt, daß sie kein Stipendium zu erwarten hätten und keineswegs mit einer Aussendung nach Brasilien rechnen könnten 1 0 9 . D e m Vater eines der Stipendiaten wurde vom Kirchlichen Außenamt mitgeteilt: „ D a s Seminar in Ilsenburg steht in unserer Verwaltung; wir haben der Anstalt die Berechtigung zur Ausbildung von Geistlichen für das Ausland entzogen." 1 1 0 Auch der Zentralvorstand der G u stav· Adolf-Stiftung in Leipzig sperrte die Unterstützungen für die auslandsdeutschen Studenten 1 1 1 . Den Studenten gegenüber aber versuchte das Kirchliche Außenamt großzügig zu sein und versprach ihnen Stipendien, falls sie Ilsenburg verlassen würden 1 1 2 . Bei einem Besuch Heckeis in Ilsenburg kam es dabei in Abwesenheit des Direktors, Hermann Schlingensiepen, der sich auf der Reichsbekenntnissynode in Augsburg befand, zu Zusammenstößen mit den Studenten, die Heckeis Ansinnen zurückwiesen 1 1 3 . Das Außenamt übertrug die Befugnisse des Direktors dem Verwaltungssekretär. Die für den Direktor bestimmte Korrespondenz wurde von diesem geöffnet und wahlweise weitergegeben oder zurückbehalten; ein Brief aus Südamerika ζ. B . wurde sofort ans Kirchliche Außenamt weitergeleitet 1 1 4 . Das Jahr 1936 sollte nun die Entscheidung im Falle Ilsenburg bringen. In den Monaten Februar und März erschienen im Gesetzblatt der D E K zwei Aufrufe, die von Bischof Heckel unterzeichnet waren. Im ersten rief er Pfarrer und Vikare auf, in den Dienst als Auslandspfarrer in R i o Grande do Sul zu treten, der zweite handelte von der „Vorbildung von Geistlichen für den Auslandspfarrdienst". Dieser zweite Aufruf warb mit Stipendien um junge Menschen, die Interesse am Auslandsdienst hatten; von Ilsenburg war dabei nicht mehr die R e d e 1 1 5 . Ende März wurde Präses 107

Vgl. Anm. 102, dort S. 5.

108

Vgl. A n m . 103.

109

Ebd.

110

Vgl. Anm. 102, dort S. 5. Vgl. ebd.

111

Vgl. ebd, S. 6. Vgl. ebd., S. 5. HermannSchlingensiepen, geb. 13. 8. 1896 in Barmen, 1923 Pfr. in Bad Saarow/Mark, 1928 Privatdozent in Bonn, 1933 Direktor des Kirchl. Auslandsseminars in Ilsenburg, 1938 Pfr. in Siegen, 1945 Prof. für Praktische Theologie in Bonn, 1 9 5 2 - 1 9 5 8 Ephorus der Kirchl. Hochschule Wuppertal. 112

113

1 1 4 Ebd. Der Verwaltungssekretär Hofmann stand bei Heckel in hohem Ansehen und war für ihn „ein außerordentlich bewährter M a n n " (vgl. A n m . 99). 1 1 5 1936, N r . 3 und 11. Der Text des zweiten Aufrufs lautet: „ E s wird erwogen, zur Gewinnung eines geistlichen Nachwuchses für den Pfarrdienst in den deutschen evangelischen Gemeinden in Südamerika einige Stipendien zu errichten. Die Stipendiaten würden sich zu

140

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Dohms benachrichtigt, daß keine Brasilianer mehr nach Ilsenburg geschickt werden sollten 116 . Bereits im April kam Heckeis völlig gewandelte Einstellung gegenüber Ilsenburg in einem Aufsatz in der „Zeitwende" zum Ausdruck: Hatte er 1934 und Anfang 1935 noch die Vorzüge der durch Ilsenburg vermittelten Ausbildung gerühmt, so betonte er jetzt: „Von der theologischen Vorbildung an der Universität kann keine Sonderbildung für Auslandsgeistliche abgetrennt werden . . . Ebenso berechtigt erscheint die Forderung der Auslandsgeistlichen, das, was am Kirchlichen Auslandsseminar richtig ist, zu erhalten, aber mit dem Studium an einer Universität zu verbinden. Wenn ich oben die Vorzüge des Kirchlichen Auslandsseminars andeutete, so weiß doch jeder, was Seminarismus heißt. Wollen wir jene bewahren, so diesen entschieden abweisen." 1 1 7 Die Spitze gegen Ilsenburg wird noch deutlicher, wenn man sie mit den Aussagen über die Missionsanstalt in Neuendettelsau vergleicht, von der Heckel sagte: „Diese Tradition ist alt und gesund." 1 1 8 Am 20. Juni wandte sich Heckel an den Reichskirchenausschuß und forderte eine sofortige Klärung der Angelegenheit Ilsenburg 119 . Durch eine Verfügung der Finanzabteilung des Ev. Oberkirchenrats wurde dann schließlich das Auslandsseminar am 30. September 1936 geschlossen 120 ; im Oktober folgte die gewaltsame Räumung des Seminars 121 . Offiziell bestand das Seminar jetzt nicht mehr, es ging nun in den Untergrund 122 . Heckeis Vorstellungen einer Neuordnung des Studiums für die Auslandspfarrer und die von ihm angeordnete Schließung des Ilsenburger Auslandsseminars stießen auf den Widerstand der Bekennenden Kirche. Im Mai 1935, also nicht lange, nachdem sich das Seminar der Bekennenden Kirche unterstellt hatte, lobte Schlingensiepen in einem Schreiben an Propst Marczynski in Buenos Aires an der La Plata Synode besonders, daß sie Müller kein „Gefolgschaftsgelöbnis" gegeben habe wie die Rioverpflichten haben, nach Durchführung ihres ordnungsmäßigen Studiums und der kirchlichen Ausbildung 10 Jahre kirchlichen Auslandsdienst in Südamerika zu leisten. Die Stipendien würden den Lebensunterhalt und die Ausbildung bis zum Abschluß des theologischen Studiums sichern. Studenten - vom 4. Semester an - , die Lust und Liebe zum Pionierdienst bei den evangelischen Auslandsdeutschen haben, wollen sich wegen Aushändigung eines Fragebogens baldmöglichst an das Kirchliche Außenamt der Deutschen Evangelischen Kirche in Berlin-Charlottenburg 2, Jebensstr. 3, wenden. Berlin, den 14. März 1936." 1 1 6 Schreiben des Kirchl. Außenamtes vom 31. 3. 1936 (AKA, C VI le). Dadurch kamen die ersten brasilianischen Kandidaten nach Göttingen. 117

T H . HECKEL, Verantwortung, S. 12, 15.

Ebd., S. 14. Schreiben des Kirchl. Außenamtes vom 20. 6. 1936 (AEKD, A 4/491). 1 2 0 Vgl. J K 4, 1936, S. 963. 1 2 1 Vgl. Anm. 102, dort S. 6f. 1 2 2 Vgl. ebd., S. 7f. Die altpreußische Bekenntnissynode erklärte sich noch im Dezember in Breslau bereit, Ilsenburg zu unterstützen; vgl. G. Reusch:,,Vorschläge zu befriedigender Lösung des Problems ,Ilsenburg'" (AKA, C VI 1 e). 118

119

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grandenser Synode und fügte hinzu: „Es wäre für uns eine große Befreiung, wenn es darüber hinaus zu einem ausgesprochenen Abrücken von ihm käme". Erbittert war Schlingensiepen darüber, ,,daß man - wie ich aus dem Privatbriefe eines der führenden Männer drüben erfuhr - nicht wagt, in eines der verbreitesten Blätter einen Aufsatz über das Alte Testament als Heilige Schrift aufzunehmen, aus Furcht vor dem Geist der Zeit, während deutsch-christliche Äußerungen fragwürdigster Art ganze Spalten füllen dürfen." Schlingensiepens Erbitterung wandte sich gegen die Riograndenser Synode 123 . Wie aus diesem Brief hervorgeht, stand Reusch noch weiterhin in Verbindung mit der Bekennenden Kirche. Die Vorläufige Leitung der DEK wandte sich sofort gegen die Aufrufe Heckeis im Gesetzblatt. In einem Rundschreiben an die angeschlossenen Kirchenregierungen und Landesbruderräte vom 16. April 1936 nannte sie Heckeis Haltung „eine Versündigung an dem Auftrag der Heimatkirche für die südamerikanischen Tochterkirchen" und forderte dazu auf, weiterhin Studierende nach Ilsenburg zu senden 124 . Sieht man von einem Briefwechsel zwischen Karl Barth und einem brasilianischen Pfarrer ab 125 , so ist ein von Martin Albertz unterzeichnetes Schreiben der Vorläufigen Leitung an den Präses der Riograndenser Synode vom 18. April 1936 das erste Zeugnis dafür, daß von Deutschland aus direkt auf die Gefahr der Verquickung von Evangelium und Deutschtum hingewiesen wird: „So fern es uns liegt, das hiesige Geschehen mechanisch nach drüben zu tragen, so sehr sind wir uns bewußt, daß dieselben Versuchungen und Gefahren und dieselben Sünden der Vergangenheit wie hier das kirchliche Leben auch drüben bedrohen und lähmen. Das gilt doppelt angesichts der engen Verbindung von Volkstumsarbeit und christlicher Verkündigung, die Ihnen natürlich sein muß und die eine falsche Verquickung von Geistlichen und Politischem besonders nahe legt." Nach der Darstellung von Heckeis Vorgehen gegen das Ilsenburger Seminar betonte Albertz, Hekkels Behörde könne nicht als „bekenntnisgemäß anerkannt werden, . . . da sein Leiter es nicht über sich gewinnt, die unvermeidliche Trennung von der Leitung und Arbeit der .offiziellen' vom Bekenntnis abgeirrten Deutschen Evangelischen Kirche öffentlich zu vollziehen, sondern seinen Protest nur dort zum Ausdruck bringt, wo es ihm ungefährlich erscheint", und er bat Dohms, weiterhin Absolventen des Proseminars nach 123

Vgl. Schreiben vom 7. 5. 1935 (ebd.). AKA, C VI Beiheft I. 125 ThEh 5, 1933, S. 20ff. Längere Zeit hielt man Gustav Reusch für den Verfasser jenes Briefes an Karl Barth. Nach einer Mitteilung von Pfr. Hinrich Stoevesandt (Karl-Barth-Archiv, Basel) handelte es sich um Pfr. Heinz Giessel. Heinz Giessel, geb. 4. 8. 1900, 1924 vom Ev. Oberkirchenrat ausgesandt nach Brasilien, 1925-1926 in S. Leopoldina, E. S., 1926-1929 in Serro Branco, R. G., 1929 in S. Maria, 124

B.M.

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Riograndenser Synode

Ilsenburg zu schicken 126 . Die Auseinandersetzungen um Ilsenburg veranlaßten die Bekennende Kirche also, in Südamerika einzugreifen. Dieser Vorstoß führte wiederum Heckel dazu, sich beim Auswärtigen A m t über die Bekennende Kirche zu beschweren und darauf aufmerksam zu machen, daß er „bei weiterer Agitation dieser Kreise genötigt [sei], mit schärferen Mitteln vorzugehen" 1 2 7 . Im Juli 1936 berichtete Präses Dohms von einem weiteren Schritt der Bekennenden Kirche: die Vorläufige Leitung hatte Hans Böhm zum Referenten für die Auslandskirchen ernannt, gleichzeitig wurde Reusch geraten, in Brasilien eine Arbeitsgemeinschaft der Bekennenden Kirche und einen Bruderrat ins Leben zu rufen 1 2 8 . Heckel erstattete dem Reichskirchenausschuß sofort Mitteilung von diesen Aktivitäten der Bekennenden Kirche in Brasilien, besonders in Rio Grande do Sul, woraufhin Zoellner an Dohms telegraphierte: „Weist Bestrebungen Böhm-Albertz entschieden zurück. Brief folgt". 1 2 9 Heckel selbst wirkte auf Dohms ein, die Entstehung eines Bruderrats mit allen Mitteln zu verhindern, denn die Bildung eines Bruderrats würde letztlich eine Nebenregierung in der Synode bedeuten. Falls er aber keinen Erfolg habe, solle er das Kirchliche Außenamt unverzüglich benachrichtigen 130 . Dohms gelang es trotz dieses Zuspruchs nicht, die Bildung einer Arbeitsgemeinschaft der Bekennenden Kirche zu verhindern. Pfarrer Reusch legte ihm die Richtlinien für eine „Arbeitsgemeinschaft der Bekennenden Kirche in der Riograndenser Synode" zur Begutachtung vor, die Dohms am 15. August entschieden 1 2 6 A K A , C VI 1 e. Martin Albertz, geb. 7. 5.1883 in Halle, gest. 2 9 . 1 2 . 1 9 5 6 in Berlin, 1931 Sup. in Spandau, 1933 suspendiert, 1936-1945 Mitglied der Vorläufigen Leitung der DEK. 1 2 7 Schreiben des Kirchl. Außenamtes vom 19. 5. 1936 (ebd.). Darauf folgte ein Bericht der Deutschen Botschaft in Rio de Janeiro, in dem sie mitteilte, daß „die Haltung einzelner evangelischer Geistlicher im Verhältnis zur Heimat zu wünschen übrig" lasse. Die Botschaft schlug vor, die Bewilligung von Geldern des Kirchl. Außenamtes davon abhängig zu machen, daß die Präsiden angewiesen würden auf die Pfarrer einzuwirken, daß „ 1 . jede Verbindung mit der Bekenntniskirche unterlassen wird, 2. die Erörterung kirchenpolitischer Fragen seitens der evangelischen Kirche Brasiliens unterbleibt, 3. von den Geistlichen verlangt wird, daß sie, in Einordnung in die allgemeine Deutschtumsarbeit mit der Partei und den übrigen Deutschtumsorganisationen loyal zusammenarbeiten und Sondergründungen zu sozialen oder Erziehungszwecken unterlassen, sofern nicht dafür die Ubereinstimmung mit dem zuständigen Reichsvertreter und Hoheitsträger der Partei vorliegt" (vgl. Schreiben des Auswärtigen Amtes vom 8. 9. 1937; A K A , C VII1). Heckel hat es unterlassen, die Anregungen der Botschaft an die Präsiden weiterzuleiten. Er teilte dem Auswärtigen A m t am 2. 10. 1937 nur mit, die Präsiden würden in diesem Sinne handeln (ebd.). 1 2 8 Schreiben vom 1. 7. 1936 ( A K A , C VII l e ) . Hans Böhm, geb. 5. 5. 1899 in H a m m , gest. 3. 4. 1962 in Berlin, 1930 Referent im Ev. Oberkirchenrat in Berlin, 1933 beurlaubt, 1936-1945 Mitglied der Vorläufigen Leitung der DEK, 1945-1959 Propst von Berlin. 1 2 9 Schreiben Heckeis vom 14. 7. 1937 ( A K A , C VII le). 1 3 0 Ebd.

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ablehnte. In seiner Mitteilung an das Kirchliche Außenamt meinte Dohms zur Zielsetzung dieser Arbeitsgemeinschaft: ,,Als Aufgabe der A. G. bezeichnen die Richtlinien die Teilnahme an der Erneuerung der Theologie als Voraussetzung kirchlichen Handelns. Die theologische Arbeit soll ausgehen von folgender Grundlage: Der Heiligen Schrift, den Bekenntnissen der deutschen Reformation und der Barmer theologischen Erklärung. Leiter der A.G. soll sein der von der ,Vorläufigen Kirchenleitung' ernannte Vertrauensmann der V.K.L., dessen Leitung auch der die A.G. führende Bruderrat untersteht, in welchen die A.G. zwei Pfarrer auf Vorschlag des Leiters wählt. Die A.G. will in ständiger Fühlungnahme mit der V.K.L. stehen und sich von ihr beraten lassen". Dohms entschiedene Ablehnung hatte vier Gründe: 1. Die Barmer Erklärung bezog sich „auf staatlich-politische Probleme", die in Deutschland entstanden und keineswegs die Probleme Brasiliens waren. Besonders die Verwerfungssätze entsprachen nicht der brasilianischen Situation. Man müßte in Brasilien zu einer eigenen Formulierung kommen, wenn dies gefordert wäre. 2. Das Vorgehen der Vorläufigen Kirchenleitung bei der Ernennung von Reusch als Vertrauensmann, sei eine „Übergehung" des Synodalvorstandes gewesen, da sie niemals erklärt habe, den Synodalvorstand als solchen nicht anzuerkennen. 3. Theologische Arbeit als Voraussetzung kirchlichen Handelns schließe „kirchenpolitische Arbeit" ein, und diese wäre dann an die Beratung seitens der Vorläufigen Leitung gebunden. 4. Die Gründung der Arbeitsgemeinschaft würde eine weitere Gruppenbildung unter den Pfarrern fördern 1 3 1 . In einem weiteren Telegramm teilten Heckel und Zoellner Dohms mit, daß sich das Kirchliche Außenamt mit weiteren Störungen nicht abfinden werde 132 . Dohms' Brief an das Kirchliche Außenamt wurde an das Auswärtige Amt weitergeleitet. Das Vorgehen der Vorläufigen Leitung wurde als eine Sache hingestellt, die weder mit „Bekenntnis noch Recht" zu tun habe, es bedeute „einen schweren Eingriff in eine nach Bekenntnis und Recht geordnete und geleitete deutsche Volkskirche im Ausland"; auch das Reichskirchenministerium wurde davon unterrichtet 133 . Am 15. Januar 1937 wurde die Gründung der Arbeitsgemeinschaft dennoch vollzogen 134 . Im März 1938 zählte sie 38 Mitglieder, d. h. etwas mehr als ein Drittel der Pfarrerschaft der Synode, die im August 1937 103 aktive Pfarrer zählte 135 . Die Mehrzahl von ihnen lehnte jedes Engagement, das über ihre theologische Arbeit hinausging, ab. Die wenigen, die 131

Schreiben vom 19. 8. 1936 (ebd.). Vermerk Heckeis vom 10. 9. 1936. Das Telegramm wurde am 2. 9. 1936 abgesandt (ebd.). 133 Schreiben Heckeis vom 21. 9. 1936 (ebd.). 134 Schreiben Pfr. Schützes an das Kirchl. Außenamt vom 13. 5. 1937 (AKA, C VI le). 135 Vgl. SYNODALBERICHT 1937, S. 76-79. 132

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sich dennoch um andere Probleme kümmerten, beschränkten sich darin meist auf die Auseinandersetzung um Ilsenburg und erwarteten vom Synodalvorstand, daß er sich für die Kameraden einsetze, die in Ilsenburg ausgebildet worden waren und auf ihre Aussendung warteten. Nach Meinung des Leiters der Arbeitsgemeinschaft sollte diese auch aufgelöst werden, sobald das Problem Ilsenburg gelöst sei 136 . In regelmäßigen Abständen verteilte die Arbeitsgemeinschaft hektographierte Rundbriefe, die an die Angehörigen des Kreises gingen, oder aber auch an solche Pastoren, von denen man hoffte, daß sie sich für die Arbeit des Kreises interessieren könnten 1 3 7 . Der Einsatz der Arbeitsgemeinschaft für das Ilsenburger Seminar drückt sich in zwei längeren Schreiben Reuschs an das Kirchliche Außenamt aus, die folgende Titel trugen: „Grundsätzliches zu einem Versuch der Neuordnung des Studiums der Außenpfarrer der Deutschen Evangelischen Kirche, vorgeschlagen vom Kirchlichen Außenamt, Berlin-Charlottenburg" und „Vorschläge zu befriedigender Lösung des Problems ,Ilsenburg'." 1 3 8 Beide Entwürfe gingen davon aus, daß das Studium der Kandidaten für das Pfarramt in Brasilien neu gestaltet werden müßte, dabei sollte das Ilsenburger Seminar miteinbezogen werden. Da sich das Seminar aber der Bekennenden Kirche unterstellt habe, sollte eine mögliche Entscheidung nur im Einvernehmen mit der Bekennenden Kirche getroffen werden. In dem zweiten Schreiben vom Juni 1937 wurde dem Kirchlichen Außenamt gegenüber gefordert, daß die „Freiheits- und Raumbeschränkungen der Ilsenburger Arbeit" aufgehoben werden und daß das Kirchliche Außenamt die Kandidaten aus Ilsenburg nach Brasilien aussende, ohne von ihnen zu verlangen, ihre Bindung an die Bekennende Kirche aufzugeben. Die Arbeitsgemeinschaft bestand darauf, mit der Bekennenden Kirche weiter in Verbindung zu bleiben. Begründet wurde dieser Entschluß damit, daß , ,in ihr der fast allen Kirchen mehr oder weniger fühlbar aufgenötigte Kampf um die Substanzerhaltung der Kirche am klarsten geführt" würde. Weil in der Theologischen Erklärung von Barmen das Evangelium von Jesus Christus „am zeugniskräftigsten und klarsten unter allen kirchlichen Kundgebungen für unsere Zeit neu bezeugt" sei und weil in ihr „die kirchenfremden Lehren und Tendenzen unserer Zeit, wie sie in den letzten zwei Jahrhunderten der Kirchengeschichte auf den Irrwegen des Säkularismus und des Synkretismus in allen Kirchen einzudringen drohen, am eindeutigsten erkannt und zurückgewiesen sind", deswegen entspräche die Gemeinschaft mit der Bekennenden Kirche dem Willen der Arbeitsgemeinschaft 139 . 136 137 138 139

Schreiben Dohms' vom 11. 8. 1938 ( AEKD, D 1/11). Diesen Hinweis verdanke ich Pfr. H. Brakemeier und P. Georg Lecke. AKA, C VI le. G. Reusch (vgl. Anm. 122).

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Die Arbeitsgemeinschaft bekannte sich theologisch streng zur Theologischen Erklärung von Barmen. In Reuschs schriftlichen Äußerungen über eine Lösung des Problems Ilsenburg wird immer wieder zitiert: „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, dem wir im Leben und Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben." Die Arbeitsgemeinschaft trat zum letztenmal im Mai 1937 anläßlich der Synode zu Santa Cruz do Sul zusammen 140 . Für den August 1938 beschloß Reusch, die Aktivitäten der Arbeitsgemeinschaft ruhen zu lassen; damit entsprach er einer Bitte von Präses Dohms, der vermeiden wollte, daß während seiner Reise nach Deutschland irgendwelche kirchenpolitischen Auseinandersetzungen der Arbeit der Synode schaden könnten 1 4 1 . Präses Dohms' Stellung zum Kirchenkampf In den Akten zeigt sich immer wieder, mit welcher Kraft Präses Dohms versucht hat, die Riograndenser Synode aus dem Kirchenkampf herauszuhalten. Seine Position kann mit dem Wort „Zurückhaltung" gekennzeichnet werden. Diese Neutralität war für ihn als Kirchenführer vielleicht auch am klügsten, denn hätte er ein Urteil gefällt, so hätte dies zu einer Zersplitterung innerhalb der Pfarrerschaft geführt. Jedes deutliche Wort gegen die deutsch-christliche Bewegung hätte zur Folge gehabt, daß er zumindest anfänglich drei Viertel der Pfarrerschaft gegen sich gehabt hätte. Ähnliche Konsequenzen hätte eine Parteinahme für die Bekennende Kirche nach sich gezogen. Theologisch gesehen, paßte überdies keine der beiden Gruppen in sein Denken. Um die Neutralität unter Beweis zu stellen, wurden die Berichte über die Entwicklung der kirchlichen Lage in Deutschland in den „Deutschen Evangelischen Blättern für Brasilien" ohne jeglichen Kommentar wiedergegeben. Informationen über aktuelle kirchenpolitische Ereignisse in Deutschland wurden nicht in Form eigener Artikel weitergegeben, sondern nur anhand bestimmter Zitate. In den wenigen Kommentaren, die auftauchten, betonte Dohms immer wieder, daß die Lage in Deutschland vom Standpunkt des Deutschbrasilianers aus nicht ausreichend beurteilt werden könne; deswegen verbiete sich jede Parteinahme 142 . Daß aller140

Mitteilung von Pfr. Werner Wahlhäuser. Vgl. Anm. 136. 142 „Wie dem aber auch sei: bei dieser Frage, die sich zugespitzt hat in der Frage, ob Wehrkreispfarrer Müller oder D . Friedrich von Bodelschwingh Reichsbischof sein solle, handelt es sich ganz offenbar um eine Frage, bei der wir als Kirche der Deutschbrasilianer durch die soziologische und durch die politische Grenze sowohl an einem vollen Verständnis als auch an der Äußerung zur Sache gehindert werden" (Neues Deutschland, S. 98); ähnlich auch Zur kirchlichen Lage, S. 61 und DEBB 19, 1937, S. 56. 141

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dings in Deutschland die Kirche verfolgt wurde, konnte er nicht glauben, auch wenn diese Verfolgungen in der brasilianischen Presse dargestellt wurden 1 4 3 . N o c h 1937 meinte er: „ E s handelt sich . . . auch heute noch nicht darum, daß die innerkirchliche Auseinandersetzung gegen Volk oder Staat gerichtet wäre, noch darum, daß der Staat die Kirche ablehnt, sondern um ein Ringen, in welchem Staat, Volk und Kirche in das rechte Verhältnis zueinander gebracht werden sollen. Das muß heute noch einmal gesagt werden, weil insbesondere - aber nicht nur - die ausländische Presse - auch brasilianische Zeitungen brachten in den letzten Tagen eine ständige Rubrik: Die Verfolgung der Kirche in Deutschland - vielfach die Auseinandersetzung auf die einfache Formel bringt, daß der neue deutsche Staat und Kirche sich ausschließende Welten seien." 1 4 4 . Im Juni 1938 wurde der Kirchenkampf in den „Blättern" zum letztenmal erwähnt. Dohms hatte endgültig resigniert. Erich Fausel, der Dohms in diesen Jahren begleitete, meinte dazu: „ N u n war der Zeitpunkt erreicht, wo er immer deutlicher gespürt haben muß, daß sein ganzes Ideengebäude der Volkskirche durch niemand schlimmer zerstört wurde als durch die damaligen deutschen Machthaber selber, die das ganze Volk und eben gerade auch die Kirche nur als Rohstoff ihrer Herrschaft und Machtplanung betrachteten . . . Daß er sich in der Auffassung des Volksgedankens durch die leitenden Männer des deutschen Staates tragisch täuschte, ist für D . Dohms sicher eine der furchtbarsten Erfahrungen seines Lebens und Denkens geworden." 1 4 5 Als beispielhaft kann Dohms' Haltung in den Auseinandersetzungen um Ilsenburg angesehen werden. Als Anfang 1936 drei Absolventen des Proseminars zum Studium der Theologie nach Deutschland gesandt werden sollten, um im Rahmen der Neuordnung des Studiums für die Auslandspfarrer in Göttingen zu studieren, die Frage Ilsenburg aber noch nicht geklärt war, beschloß Dohms, die Absolventen erst zu einem späteren Zeitpunkt nach Deutschland zu schicken. Er schrieb dazu an das Kirchliche Außenamt: „ E s ist mir nicht zweifelhaft, daß die Absichten des Kirchlichen Außenamtes in derselben Richtung gehen wie diese Erwägungen des Synodalvorstandes. Die kirchliche Lage hier erfordert jedoch, daß hierüber begründete Erklärungen vom Synodalvorstand abgegeben werden können." 1 4 6 In einer Vereinbarung mit dem Kirchenbund aus dem Jahr 1929 war festgelegt worden, daß die Aussendung der Kandidaten für das Pfarramt in Brasilien allein durch das Kirchenbundesamt, später durchs Kirchliche Außenamt, erfolgen sollte. Nachdem sich das II1 4 3 Vgl. Politische Berichterstattung über die Kirche in Deutschland (SRS 50, 1936, Nr. 37, S. 3). 1 4 4 DEBB 19, 1937, S. 56. 1 4 5 E. FAUSEL, Dohms, S. 42. 1 4 6 Schreiben vom 27. 4. 1936 (AKA, C VI le).

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senburger Seminar der Bekennenden Kirche unterstellt hatte, gab es Fälle, daß einige Absolventen des Seminars, die das Kirchliche Außenamt nicht als rechtmäßige Behörde anerkannten, auf einem anderen Weg nach Brasilien ausgesandt wurden. Für Dohms entstand dadurch eine schwierige Situation. Seine Zustimmung hätte bedeutet, daß er die Vereinbarung nicht mehr akzeptierte. Das hätte zu Schwierigkeiten mit dem Kirchlichen Außenamt geführt; Dohms wäre als Sympathisant der Bekennenden Kirche angesehen worden. Anderseits brauchte er die Pastoren, unter denen sich viele ehemalige Schüler befanden, um die er sich Sorgen machte. So schrieb er 1936 in einem Brief an Hermann Schlingensiepen, sein Schüler Wilm wisse anscheinend nicht, daß die Kandidaten aus Brasilien unter der Oberaufsicht der Deutschen Evangelischen Kirche stünden. Er bat ihn deshalb, dies dem Kandidaten klarzumachen, und fügte hinzu: „Wir haben keinen Grund, den Weg rechtlicher Ordnung zu verlassen, auf dem uns bisher soviel Gutes zugeflossen ist. Wir fühlen uns auf diesem Wege nach wie vor mit der ganzen Kirche Deutschlands verbunden. Wir müssen ebenso treulich am Recht wie am Bekenntnis halten, da sich für uns gegen früher weder das Bekenntnis noch das Recht geändert hat." 1 4 7 Im März 1937 wurde allen Pastoren der Synode der „Bericht über die Angriffe gegen das Kirchliche Auslandsseminar in Ilsenburg" zugesandt. Unter den Pastoren herrschte Empörung; Dohms gegenüber äußerten sie, dies entspräche nicht ihren Vorstellungen über eine Neuordnung, die vielmehr „im Rahmen des Befriedungswerkes" hätte geschehen sollen. Dohms bat daraufhin um eine Stellungnahme des Kirchlichen Außenamtes. Uber den kirchenpolitischen Inhalt des „Berichts" wolle er sich in der Synode nicht äußern, im übrigen stehe er nach wie vor zu der Notwendigkeit einer Neuordnung 1 4 8 . Da er nicht unmittelbar Antwort vom Kirchlichen Außenamt erhielt, schrieb er nochmals, er befürchte einige Unruhe wegen des, .Berichts" und bitte dringend um eine Stellungnahme des Kirchlichen Außenamtes, insbesondere „warum es bisher nicht möglich gewesen ist, den Direktor und die Studierenden des Auslandsseminars für die von dem Synodalvorstand gewünschte Neuordnung des Studiums der zukünftigen Auslandsgeistlichen und den vom Kirchlichen Außenamt in Göttingen versuchsweise beschrittenen Weg zu gewinnen" 1 4 9 . Bei der Synodalversammlung 1937 brachte Dohms es fertig, der Versammlung das Einverständnis abzuringen, sich jeder „reichsdeutschen Kirchenpolitik" zu enthalten. Er teilte diesen Erfolg dem Kirchlichen Außenamt unter dem Hinweis mit, daß der neutrale Kurs der Synode in Zukunft nur dann eingehalten 147 148 149

Schreiben vom 11.6. 1936 (ebd.). Schreiben vom 24. 3. 1937 (ebd.). Vom 5. 5. 1937 (ebd.).

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werden könne, wenn sich die zuständigen Stellen sowohl in Brasilien als auch in Deutschland jeglicher deutsch-christlichen Propaganda enthiel-

3. Die Synode und der brasilianische Staat Das Selbstverständnis der Synode als deutsche Volkskirche mußte notwendigerweise mit dem brasilianischen Nationalismus kollidieren. Daß dies so kommen würde, hatte D o h m s schon 1925 gesehen, er hatte auch erkannt, daß der brasilianische Nationalismus vom europäischen grundverschieden sei. Während sich in Europa der Nationalismus auf die Werte der Vergangenheit stützte, bezog er in Südamerika seine Substanz aus der H o f f n u n g auf die Zukunft. Bei dieser Art von zukunftsorientiertem N a tionalismus kommt der Sprache eine ganz besondere Bedeutung zu. Sie ist das verbindende Element innerhalb einer werdenden Nation, deren verschiedene ethnische Gruppen nicht auf eine gemeinsame Vergangenheit zurückschauen können. Wer an der eigenen Sprache festhielt, der konnte dabei leicht als Landesverräter gelten 151 . Die Entwicklung, die sich in Brasilien nach dem Ersten Weltkrieg anbahnte, kam also für D o h m s nicht überraschend. Nach der Revolution von 1930 erkannte er, daß es nun mit den von der positivistisch orientierten republikanischen Partei Rio Grande do Suis gegebenen Freiheiten im Bereich von Wissenschaft und Kultur vorbei sei. Er wußte, daß mit der Gruppe um Getülio Vargas nationalistische Kräfte ans Ruder kämen, die dem isolierten Leben der deutschen Volksgruppe ein Ende machen würden 1 5 2 . U n d bereits 1934 befürchtete er das, was 1937 Wirklichkeit werden sollte: „ E s ist . . . i n Z u k u n f t mit einer Politik zu rechnen, die sich in der Richtung auf den totalen Staat bewegt und vom Staate her die nationale und die soziale Frage durch eine kräftige autoritäre Politik zu lösen versuchen wird." 1 5 3 Unter den Vorzeichen einer sich anbahnenden Krise wurde D o h m s 1935 zum Synodalpräses gewählt. Ihm ist es zu verdanken, daß diese Krise nicht zum Untergang der Riograndenser Synode geführt hat. 150

Schreiben vom 9. 6. 1937 (AKA, C VII 4); vgl. auch oben S. 127. Vgl. H . DOHMS, Völkische Minderheiten. 152 Vgl. Parteien, bes. S. 22 f. 153 Integralistische Bewegung, S. 34. Ähnlich äußerte sich Dohms auch 1935: „Die alte Zeit ist vorbei. Auch bei uns wächst ein Staat auf mit der Tendenz zur totalen Erfassung aller Lebensgebiete. Unsere Schule wird aus der Isolierung, in welche sie sich nicht begeben hatte, sondern ausdrücklich versetzt war, herausgehoben und irgendwie staatlich erfaßt werden. Zum Teil geschieht das schon heute, und wir haben darauf zu achten, daß wir die Existenzmöglichkeit nicht durch Untätigkeit verlieren" (SYNODALBERICHT 1935, S. 67). 151

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Nach dem 10. November 1937 setzte die von der Bundesregierung dirigierte Nationalisierung ein. Innerhalb der Riograndenser Synode war zunächst das synodale Schulwesen besonders hart davon betroffen. Hier gab es 1934 513 Schulen mit 589 Lehrern und 17177 Schülern. Das staatliche Schulgesetz vom 6. April 1938 verfügte, daß der Unterricht in Portugiesisch, in brasilianischer Geschichte und in Heimat- und Bürgerkunde durch einen Staatslehrer erteilt werden müßte, der, falls die Gemeindeschule sich in der Nähe einer staatlichen Schule befinde, von der Gemeinde nach der staatlichen Gehaltsordnung zu besolden sei. Hieraus ergaben sich zunächst für die Gemeindeschulen erhebliche finanzielle Belastungen 154 . Schon im Mai 1938 verschärften einzelne lokale Behörden diese Bestimmungen. In ihnen wurde festgelegt, daß in den Gemeindeschulen der gesamte Unterricht in portugiesischer Sprache zu erteilen sei. Die Synode enthielt sich jeder Kritik an diesen Anordnungen, war aber der Ansicht, daß der Religionsunterricht davon nicht betroffen sei und deshalb weiterhin in der Muttersprache der Kinder erteilt werden könnte. Der Religionsunterricht war von jeglicher staatlicher Unterstützung unabhängig, die sogar von der brasilianischen Verfassung, die die Trennung von Kirche und Staat vorsah, verboten war 155 . Schon am 12. Dezember 1938 wurde ein neues Gesetz erlassen, das Ausländern verbot, eine Schule zu leiten. Weiterhin wurde bestimmt, daß in der Grundschule nur in portugiesischer Sprache unterrichtet und auch außerhalb des Unterrichts in den Schulräumen nur portugiesisch gesprochen werden durfte 156 . Zahlreiche Schulen mußten aufgrund dieser Verordnung schließen, denn zumeist war der Lehrer der deutsche Pfarrer. Trotz aller Schwierigkeiten ordnete Dohms an, daß die Gemeinden weiterhin am kirchlichen Unterricht festhalten sollten, damit „die Jugend weiter im Glauben und in der Art der Väter erzogen werden kann" 157 . Dohms und mit ihm auch die Synode fügten sich zwar diesen Anordnungen und gaben sie sogar an die Gemeinden mit der Auflage weiter, sie strengstens zu befolgen. Gegenüber weiteren Nationalisierungsmaßnahmen der Regierung aber konnte Dohms nicht schweigen, denn diese trafen die Kirche, die sich als eine Kirche der lutherischen Reformation verstand, in ihrem Kern, in der Verkündigung. In dem Erlaß Nr. 1545 vom 25. August 1939 wurde in Artikel 16 bestimmt, daß die Predigten in portugiesischer Sprache gehalten werden müßten. Daraufhin ordnete Dohms am 10. September 1939 an, die Gottesdienste sollten ohne Predigt gehalten werden: „Die in der Synode geltende Ordnung des Gottesdienstes wird nach den in Gebrauch befindli154 155 156 157

Vgl. SRS 52, 1938, Nr. 17, S. 2-4. Vgl. ebd., Nr. 23, S. 7. SRS 53, 1939, Nr. 1, S. 6. Ebd.

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chen Agenden weiter beachtet. Dabei wird die in den Agenden vorgesehene Lesung von,Zeugnissen der Väter' im Laufe des Gottesdienstes hervorgehoben." 1 5 8 Nun wandte sich der Synodalvorstand an den Staatssekretär des Innern mit der Bitte um Klärung der Lage. Dieser teilte mit, daß er sich zur gegebenen Zeit mit dem Synodalvorstand in Verbindung setzen werde und daß bis dahin die Gottesdienste wie früher gefeiert werden könnten 159 . Trotz dieser Zusage des Staatssekretärs wurden verschiedentlich am letzten Sonntag im September und am 1. Oktober teils die Predigt, teils der gesamte Gottesdienst mit Ausnahme des „ritual de missa", der Agende also, teils die gesamte pfarramtliche Tätigkeit in deutscher Sprache von der Polizei verboten. Um eine weitere Zuspitzung zu vermeiden, veröffentlichte Dohms in einer Zeitung Porto Alegres am 29. September eine Empfehlung an die Gemeinden, am 1. Oktober keinen Gottesdienst zu halten. Schon am darauffolgenden Tag teilte der Polizeichef Vertretern der Synode mit, er habe die Maßnahmen der Polizei suspendiert und werde den Synodalvorstand benachrichtigen, sobald er nähere Bestimmungen über den Artikel 16 des genannten Erlasses erhalten habe 1 6 0 . Am 7. November veröffentlichte der Polizeichef in den Zeitungen dann folgenden Erlaß: „ I . - Angesichts der Bestimmung des Gesetzes-Dekret N r . 1545 vom 25. August 1939 müssen unbeschadet der Freiheit und Öffentlichkeit der Kultusübung die religiösen Predigten in nationaler Sprache gehalten werden. II. - Nach der Predigt in der Landessprache ist es den Priestern oder Kultusdienern erlaubt, die Predigt in der Sprache, der der religiösen Zeremonie beiwohnenden ausländischen Personen zu wiederholen, wenn deren Zahl genügend groß ist und wenn sie es für angebracht halten. III. - Die Erlaubnis in der Fassung des vorigen Abschnitts gilt nur für die Distriktalsitze (Villas) und für abliegende Kolonialplätze, wo ausländische Gläubige leben, die noch nicht gut Portugiesisch verstehen. IV. - Jeder Priester oder Kultusdiener, der in seinen Predigten oder Ansprachen gegen irgendein Gesetz oder die vorliegenden Instruktionen verstößt, kann, abgesehen davon, daß er den für den Fall vorgesehenen gesetzlichen Strafen unterliegt, die gegenwärtig gebotene Möglichkeit nicht benutzen, sondern hat zu den Gläubigen ausschließlich in der nationalen Sprache zu sprechen." 1 6 1

Diese kompromißlose Haltung zwang Dohms, erneut Maßnahmen zum Schutze der Pastoren zu ergreifen. Er ordnete an, daß sie bis auf weiteres keine Predigten und Ansprachen halten sollten; dies geschah offensichtlich, um die Pfarrer vor Verstößen gegen Abschnitt IV des Erlasses, E b d . , N r . 37, S. 4. E b d . , N r . 39, S. 4. 1 6 0 E b d . , N r . 47, S. 7. 1 6 1 Ebd. (Übersetzung; Original bei A. PY, Coluna, S. 198 f.). Py gibt den Erlaß mit der Bemerkung wieder, er habe die Verordnung erlassen, um die evangelischen Pastoren besser überwachen zu können, was deutlich im Widerspruch zum G a n g der Ereignisse steht. 158

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der ihnen noch unbekannt sein mußte, zu bewahren 162 . Nachdem eine falsche Anzeige erstattet worden war, wandte sich Dohms mit zwei Schreiben an den Polizeichef in Porto Alegre. Im ersten Brief erläuterte er Auftrag und Wesen der Riograndenser Synode, im zweiten ging er auf die Bedeutung der Predigt für die evangelische Kirche ein und ersuchte den Polizeichef, die Wiederholung der Predigt in deutscher Sprache nicht nur auf den Dörfern, sondern auch in den Städten zuzulassen. Die Riograndenser Synode ist, so betonte Dohms, derjenige Teil der evangelisch-lutherischen Kirche, dem die seelsorgerliche Betreuung der deutschen Einwanderer und ihrer Nachkommen in Rio Grande do Sul und in einem Teil Santa Catarinas anvertraut ist. Sie folgt der Lehre, Zucht und Kirchenordnung der Mutterkirche, mit der sie als selbständige verfaßte Kirche geistige und brüderliche Beziehungen pflegt, die „jedem Teil der wittenbergischen Kirche fast so unentbehrlich sind wie, andererseits, die verschiedenen katholischen Bistümer der Verbindung mit der römischen Kirche bedürfen". Die Einheit der evangelisch-lutherischen Kirche findet ihren Ausdruck in der Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers, im lutherischen Katechismus, in den Liedern und im reformatorischen Werk Martin Luthers und der lutherischen Theologen. Die Einheit der Kirche hat feste Gestalt angenommen in der Ordnung des kirchlichen Lebens, in der Gottesdienstordnung, der Liturgie und in der Agende, nach der getauft, konfirmiert, getraut und beerdigt wird. Weil die Riograndenser Synode derjenige Teil der evangelisch-lutherischen Kirche ist, dem die Seelsorge an den deutschen Einwanderern und ihrer Nachkommen anvertraut ist, hat sie sich unter dem Schutz der Bundesverfassung, welche die öffentliche und freie Ausübung des Kultus zusichert, die Urtexte in deutscher Sprache bewahrt, die seit der Reformation Gottesdienstordnung und Lehrbücher der evangelischen Kirche sind 163 . Dohms betonte in seinem zweiten Schreiben, daß es keine Kirche und keine evangelisch-lutherische Gemeinde ohne Predigt geben könne. „ D e r Glaube kommt durch die Predigt" 1 6 4 . „Die Predigt kann nur Glauben wirken, wenn sie verstanden wird. Es ist, deshalb, Pflicht des christlichen Predigers, jeglichen christlichen Bekenntnisses, in der Sprache zu predigen, welche die Hörer verstehen und in der sie erbaut werden." Durch die Verordnung des Polizeichefs seien aber die ausländischen Hörer, die in der Mehrzahl gerade in den Städten wohnten, daran gehindert, eine Predigt zu hören, und damit von der Möglichkeit ausgeschlossen, dem Gebot Gottes zu folgen, das ihnen das Hören von Gottes Wort zur Pflicht mache. Die Riograndenser Synode sei ihrerseits dadurch nicht in der Lage, in 162 163 164

SRS 53, 1939, Nr. 47, S. 7; Text bei A. PY, Coluna, S. 199 f. Vom 13. 11. 1939 an Py (Original zitiert ebd., S. 200ff.). Rom. 10, 17.

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den Städten den deutschen Einwanderern lutherischen Bekenntnisses Gottes Wort zu verkündigen. Leider sei es auch der Fall, daß viele Brasilianer nicht die portugiesische Sprache verstünden. Die Kirche könne aber den „Kindern des Landes" die Predigt nicht in einer Sprache bieten, die sie nicht verstünden. Auch diejenigen Gemeindeglieder, welche die portugiesische Sprache perfekt sprechen und verstehen, bedürften zur Erbauung ihres Glaubens der Predigt in der Sprache des Kirchenrituals. Die Glieder der Kirche hätten die Elemente des Rituals, Bibel, Lieder und Katechismus in deutscher Sprache gelernt. Jeder Mensch, der religiös erzogen worden und mit der Verkündigung des Evangelismus vertraut sei, sei sich der grundlegenden Bedeutung der in den ersten zwanzig Jahren des Lebens auf religiösem Gebiet angeeigneten Erkenntnisse bewußt. Eine Predigt, in der nicht die Gebete und Lieder zitiert werden könnten, die von den Gläubigen in ihrem Herzen seit ihrer Jugend gebetet und gesungen worden seien, sei wirkungslos. Deswegen bat Dohms den Polizeichef inständig, er möge es erlauben, daß die Pfarrer die Predigt, nachdem sie diese in portugiesischer Sprache gehalten hätten, in der Sprache wiederholen dürften, die die Hörer am besten verstünden 165 . Am 17. November 1939 gab Dohms den Pfarrern Anweisungen, die vorher vom Polizeichef genehmigt worden waren. Die Pfarrer sollten bei Gottesdiensten und Amtshandlungen die Bestimmungen des Erlasses vom 25. August 1939 genauestens einhalten; nicht berührt davon seien lediglich die kurzen Ansprachen bei Beerdigungen im Hause des Verstorbenen, die Liturgie mit Gesängen, Lesungen des Evangeliums und der Epistel, Lektüre klassischer Texte der Kirchenväter, sowie Gebete. Dasselbe gelte auch in bezug auf die Formulierung der Agende über Taufe, Konfirmation, Trauung, Feier des Abendmahls, Beerdigung, Einweihung von Kirchen, Ordination und Einführung von Pfarrern. Mit Ausnahme der Städte sei die Wiederholung der Predigt in deutscher Sprache gestattet 166 . Die Gemeinden aber wurden aufgerufen, in dieser schweren Zeit standhaft an ihrem Glauben festzuhalten 167 . Nach diesen Verhandlungen mit den Regierungsstellen trat für die rein kirchliche Arbeit eine kurze Beruhigung ein. Aber schon im Laufe des Jahres 1941 wurde der Konfirmandenunterricht in deutscher Sprache verboten 168 . Nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Brasilien am 27. Januar 1942 und der am 31. August folgenden Kriegserklärung verschlechterte sich die Lage der deutschen Gemeinden in Brasilien zusehends. 165 166 167 168

Vgl. Anm. 163. Zitiert ebd. Vgl. Dohms' Wort an die Gemeinden (SRS 53, 1939, N r . 50, S. 2f.). Vgl. K. WARNKE, Südamerikanische Diasporanöte, S. 42.

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Unmittelbar nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen erging ein Erlaß des Polizeichefs in Porto Alegre, der die Arbeit der deutschen Pastoren innerhalb der Synode besonders stark einschränkte. Danach wurden u.a. verboten: Reisen von Ausländern von einer Ortschaft zur anderen ohne vorherige Genehmigung der Polizei, Versammlungen von Ausländern in Privathäusern, Verteilung von Schriften in deutscher Sprache, das Singen deutscher Lieder, der Gebrauch der deutschen Sprache an öffentlichen Plätzen. Weiterhin sollte jeder verhaftet werden, der seine Sympathie für die Achsenmächte öffentlich kundtat. Bücher und anderes Propagandamaterial, das in Buchhandlungen und Privathäusern gefunden würde, sollte beschlagnahmt werden 169 . Mit dem absoluten Verbot, die deutsche Sprache mündlich oder schriftlich zu gebrauchen, war diese auch aus den Gottesdiensten verbannt. Der Kriegseintritt Brasiliens führte zu besonderen Ausschreitungen: Kirchen wurden verwüstet und geschändet 170 . Besonders problematisch wurde die Lage der Gemeinden, die in der Grenzzone lagen, weil die aus Deutschland stammenden Geistlichen zu diesem Gebiet keinen Zutritt hatten. Aber auch andere wurden in Mitleidenschaft gezogen, denn durch die Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit waren zahlreiche Pfarrer an der Ausübung ihres Amtes gehindert. Dazu kam, daß während der Jahre 1942/43 mehrere Pfarrer inhaftiert und interniert wurden. Schließlich kam die Synode als solche in das Kreuzfeuer der Kritik. Der Synode lag eigentlich nichts an einer Auseinandersetzung mit der diktatorischen Gewalt. Sie hätte auch kaum Aussicht auf Erfolg gehabt angesichts der gespannten Lage, in der sich Brasilien befand. Darum forderte Präses Dohms in einem Schreiben an die Gemeinden und Pastoren auch strikte Befolgung der Anordnungen der zivilen Obrigkeit; seinem Schreiben war ein „Regulamento de emergencia" beigelegt. In dieser Notstandsverordnung wurde festgelegt, daß trotz des Verbots, die Agende zu gebrauchen und die kirchlichen Lieder in deutscher Sprache zu singen, sich die Gemeinden dennoch an den Sonntagen versammeln sollten. Der Pfarrer sollte bei diesen Gottesdiensten die vorgeschriebene Evangelien- oder Epistellesung vortragen. Dohms kündigte auch ein „Livro Eclesiästico para as Comunidades" an; aus diesem sollten im Gottesdienst die übersetzten Andachten verlesen werden. Nach der Andacht sollten dann die Taufen vollzogen und das Heilige Abendmahl gefeiert werden, damit wurden die Gottesdienste grundsätzlich zu Sakramentsfeiern. Den Pfarrern wurde verboten, eigene Andachten zu verlesen, um nicht gegen bestehende Gesetze zu Verstoßen. Nach den Gottesdiensten sollte die Gemeinde in keinem Fall deutsch sprechen, besondere Auf169 170

Vgl. CORREIO DE SÄo LEOPOLDO vom 31. 1. 1942. Vgl. E. FAUSEL, Dohms, S. 48.

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merksamkeit der Seelsorge gewidmet werden 171 . Diese Anordnung des Präses der Synode läßt erkennen, daß es hier um den Fortbestand der Gemeinden und des kirchlichen Lebens ging, wenn auch in reduzierter Form. Um der Not der zwangsweise entstandenen Vakanzen begegnen zu können, holte Dohms die Schüler der Oberklassen des Proseminars, die sich in den Ferien befanden, nach Säo Leopoldo zurück. Diese wurden nach kurzer Vorbereitung als „Substitutos" in die verwaisten Gemeinden gesandt 172 . In kurzer Zeit wurden Agende, Gesangbuch und Predigten in portugiesischer Sprache an die Pastoren, Laien und „Substitutos" geschickt 173 . Mit diesen Notlösungen konnten das Gemeindeleben und die synodale Arbeit während der Zeit des Krieges aufrechterhalten werden. Eine ganz besondere Last bedeuteten aber für die Gemeinden, Pastoren und für die Synode die von Regierungskreisen erhobenen Vorwürfe, Beschuldigungen und Anklagen. Diese sahen oft in den kirchlichen Gremien nichts weiter als einen „intellektuellen Stapelplatz des Nazismus" 1 7 4 . Man sah in der Synode,, eine der vielen Organisationen der N S D A P " und konnte daher behaupten, die Pastoren der Synode stünden „unter der ständigen Leitung der Reichskanzlei, der sie streng gehorchten" 175 . „Diese Synode sui generis kontrollierte nicht die religiöse Aktivität der Priester, sondern ihre politische Aktivität, und war, hauptsächlich, eine Art Befehlsstelle, die unmittelbar den Entscheidungen und Plänen des Reiches unterstand; von dort kommen für alle ,Priester' die Befehle der Partei" 1 7 6 schrieb die „Vida Policial" im September 1942. Es ist heute besonders schwierig, den Anschuldigungen der Polizei nachzugehen und nach den genauen Ursachen zu fragen, die die Verhaftung vieler Pastoren zur Folge hatten. Das Archiv der Reparti^äo Central de Policia in Porto Alegre ist Anfang der fünfziger Jahre durch einen Brand vernichtet worden. Das wenige noch vorhandene Material findet sich in der Veröffentlichung von Aurelio da Silva Py „ A 5a. Coluna no Brasil", in dem Buch von Coelho de Souza „Denuncia. Ο Nazismo nas Escolas do Rio Grande" und in dem Organ der Repartifäo Central de Po1 7 1 Vom 2. 2. 1942 und „Regulamento de Emergencia" (AKA). Diese Briefe sind nicht katalogisiert und auch im Findbuch des A K A nicht vermerkt! 172

V g l . E . FAUSEL, D o h m s , S . 12.

Ebd., S. 49. Entreposto intelectual do nazismo (VIDA POLITICAL, janeiro de 1943, S. 46). 1 7 5 „Subordinados ao Sinodo Rio Grandense - que nadamais era, na realidade, senäo uma das muitas organiza^öes do N S D A P - eles se achavam sob a orientajäo constante da propria chancelaria do Reich, ä qual prestavam estrita obediencia" (ebd., setembro 1943, S. 53). 1 7 6 „Este Sinodo sui-generis näo controla a atividade religiosa dos sacerdotes, mas a sua atividade politica, sendo, principalmente, uma especie de posto de comando subordinado as decisöes e aos pianos elaborados pelo Reich; dali säo emanadas para todos os .sacerdotes' as ordens do partido" (ebd., setembro 1942, S. 37). 173

174

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licia „Vida Policial". Alle diese Veröffentlichungen entstanden aber unter dem Eindruck der Kriegsereignisse und haben nicht genügend Distanz zu den Ereignissen. Andere Tatsachen tragen dazu bei, die Wahrhaftigkeit der geschilderten Ereignisse in Frage zu stellen, die oft ohne weitere Begründung behauptet werden, wie z . B . die summarische Verurteilung der Riograndenser Synode als eine nazistische Institution, die der Reichskanzlei unterstand, oder die Zitierung von Veröffentlichungen derjenigen Kreise der evangelischen Kirche Deutschlands, die strikt den Anweisungen der NSDAP folgten und die von Py herangezogen werden, um die Riograndenser Synode als eine mit den Zielen und Absichten des Dritten Reiches völlig konforme Organisation zu charakterisieren 177 . Noch größere Zweifel in bezug auf den Wahrheitsgehalt der genannten Veröffentlichungen entstehen aber, wenn man das Protokoll einer Sitzung des Riograndenser Landtags aus dem Jahr 1950 liest, in welchem festgestellt wurde, daß die Verantwortlichen für die polizeilichen Aktionen der Jahre 1938 bis 1943 ihrer Ämter im September 1943 enthoben wurden, wegen einer Reihe willkürlicher Maßnahmen, die von der Bildung von Konzentrationslagern bis zum Einbruch in Privathäuser reichten 178 . Damit wurde das öffentliche Leben im Bundesstaat Rio Grande do Sul nach Meinung von Arthur Ferreira Filho vollständig von der Polizei bestimmt und kontrolliert 179 . Die Feststellung dieser Tatsachen spricht jedoch einzelne Pastoren nicht von jeder Schuld frei, denn trotz der Bestimmungen der Synodalleitung, die die strikte Befolgung aller Anordnungen der Regierungskreise forderte, haben einzelne Pastoren Lehrer ermutigt, sich den Bestimmungen der Regierung in bezug auf die Nationalisierung des Schulwesens zu widersetzen und ihre Schularbeit in deutscher Sprache fortzuführen 1 8 0 . Einige führten aber auch trotz des Verbotes den Konfirman1 7 7 Vgl. A. PY, Coluna, S. 209-231. - Hierzu gehört noch die völlig aus der Luft gegriffene Behauptung, die Pastoren hätten in die Lektüre biblischer Texte Teile aus „Mein Kampf" eingestreut. , , E m seu trabalho de penetrajäo, os agentes da Gestapo utilizaram ainda os pastores da Igreja Evangelica Alemä, os quais se prestaram admiravelmente ä nova missäo, intercalando os sagrados trechos da Biblica com a doutrina nacional-socialista alem ä " (ebd., S. 59, 209). Desgleichen auch J . P. SOUZA: „ O .Mein Kampf' era lido nas Igrej a s " . , ,Para completar ο circulo de penetrajäo, ο Nazismo utilizou-se dos Pastores da,Igreja Evangelica Alemä', que se prestaram admiravelmente, intercalando os sagrados trechos da Biblia com a doutrina nacionalsocialista" (Denuncia, S. 27). Fragen möchte man auch woher Py die Behauptung hat: „ H o u v e uma reuniäo do Sinodo em Santa Cruz, em que os nazistas propuseram fösse renovado, inicialmente, ο juramento de todos os pastores, mas feito entäo apenas sobre ο Novo Testamento. Ο Velho Testamente - disseram eles - tinha Origens semiticas e deveria ser abandonado em definitivo, de conformidade com a teoria de Novo Estado Alemäo" (Coluna, S. 191). 178

Vgl. Diärio da Assembleia Legislativa N r . 44 v o m 2 6 . 6 . 1 9 5 0 (Text bei L. PETRY, An-

n i v e r s ä r i o , S. 5 7 - 7 2 ) . 179

Historia Geral, S. 177. Ferreira Filho spricht hier von „policialismo crasso".

180

V g l . J . Ρ . SOUZA, D e n ü n c i a , S. 7 8 .

156

Riograndenser Synode

den- und den Religionsunterricht sowie die Jugendarbeit auch nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen in deutscher Sprache weiter 181 . Die Gottesdienste, in denen die Pastoren weiterhin in Deutsch zu predigen versuchten, wurden von der Polizei unterbrochen 182 . Solange es noch keine tiefgreifende Untersuchung über die allgemeinen Verhältnisse jener Zeit gibt, muß man davon ausgehen, daß die Anschuldigungen der Riograndenser Polizei nur eine kleine Minderheit der Pastoren der Riograndenser Synode betrifft und daß die Verhaftungen der großen Mehrheit der Pastoren in den Jahren 1942 und 1943 ohne jede Begründung vorgenommen wurden 183 . Um dies zu beweisen, genügt es, wenn man sich einzelne Anschuldigungen ansieht, die von der Polizei gegenüber den Pastoren erhoben wurden und die ihre Verhaftung und Internierung zur Folge hatten. Einer der Pastoren weigerte sich, sich an einer Sammlungsaktion zu beteiligen, deren Erlös der Anschaffung von Kampfflugzeugen für die brasilianische Luftwaffe dienen sollte. Wegen dieser Weigerung wurde er als Nazi angezeigt und verhaftet. Daran änderte auch die Tatsache nichts, daß er einige Jahre zuvor aus der NSDAP ausgetreten war und seitdem Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der Bekennenden Kirche war 1 8 4 . Bei einem anderen Pastor wurde der Besitz eines Filmprojektors, eines Fotoapparates und eines Transformators als belastend angesehen. Aus dem Besitz dieser Gegenstände wurde geschlossen, daß er Propaganda für das Dritte Reich getrieben hätte 185 . Als belastend galten auch Auszeichnungen, die während des Ersten Weltkrieges erworben worden waren, so z . B . das den ehemaligen Kriegsteilnehmern verliehene Ehrenkreuz 186 . Das wohl krasseste Beispiel für eine dieser unhaltbaren Verhaftungen bietet eine Darstellung der Zeitschrift ,,Vida Policial" aus dem Jahr 1943. Hier wird einem Pfarrer angelastet, das von Aurelio Py veröffentlichte Buch,, A 5a. Coluna no Brasil" mit Anmerkungen versehen zu haben, die der Entlastung eines Kollegen dienen sollten 187 . In dieser Zeit der Bedrängnis, in der die Arbeit nur notdürftig weitergeführt wurde, mußte sich auch die Synode erneut auf ihre Grundlagen besinnen. Die getroffenen Maßnahmen zur Weiterführung der kirchlichen Arbeit waren Ubergangslösungen, mit denen allein der Sache der Kirche 181

Vgl. ebd., S. 93, 91.

182

V g l . V I D A POLICIAL, a g o s t o d e 1 9 4 3 , S. 3 3 - 3 9 .

1 8 3 Der größte Teil der Verhaftungen schien auf falschen Anzeigen zu beruhen. Einen nicht unwesentlichen Anteil an diesen Anzeigen hatten Pastoren der lutherischen Schwesterkirche, der Missouri Synode; vgl. z. B. J. P. SOUZA, Denüncia, S. 93: „Informaram-me os pastores luteranos que ο Sinodo Riograndense se chama luterano, afim de jogar söbre a Igreja Luterana a responsabilidade dos seus atos praticados contra as leis do Pais". 184

V g l . V I D A POLICIAL, j a n e i r o d e 1 9 4 3 , S. 4 5 - 4 7 .

185

Vgl. ebd., agosto de 1943, S. 33-39. Vgl. ebd., S. 34-35.

186 187

E b d . , n o v e m b r o d e 1 9 4 3 , S. 3 5 - 3 6 .

Die Gemeinden von 1919 bis 1945

157

nicht gedient war. Nun mußte das neu entstandene Problem gelöst werden, wie die kirchliche Arbeit nach dem Wegfall der deutschen Sprache gestaltet werden konnte. Dohms regte zu diesem Zwecke die Bildung einer theologischen Arbeitsgemeinschaft an, die dafür ein Konzept entwikkeln sollte. Von der Öffentlichkeit unbemerkt, kamen in gewissen Abständen Pfarrer und Lehrer des Proseminars zusammen, um die neue Situation zu überdenken. In diesen Gesprächen wurde deutlich, daß die Kirche nicht auf innerweltlichem Grund stehe, sondern vom Neuen Testament und ihrer Geschichte den Auftrag habe, das Wort Gottes in diese Welt hinein zu verkündigen, auch wenn die Umstände noch so schwer seien. Die rechte Methode müsse dann eben gefunden werden 188 . Jetzt wurden die Richtlinien erstellt, mit denen nach dem Kriege weitergearbeitet werden sollte und die sich mit den Worten von Präses Dohms aus dem Jahr 1949 so zusammenfassen lassen:,, Wenn heute eine Schuld der Kirche bekannt wird, so ist wesentlich die Schuld gemeint, welche die Kirche auf sich geladen hat dadurch, daß sie kritiklos auf vergänglichen Positionen beharrt, die Bedeutung der Tradition auch in der Kirche überschätzt und sich von den weltlichen Mächten, die über der Uberlieferung wachen wollten oder zu wachen vorgaben, stärker hat bestimmen lassen, als die Bindung an das Wort Gottes, den Wächter und Richter über der Menschen Geschichte, es erlaubt. Die Kirchen, insbesondere die Kirchen der Reformation in aller Welt bekennen diese Schuld, und wir sind eingeschlossen in das Bekenntnis des ökumenischen Rates der Kirchen, wenn es in der Botschaft von Amsterdam heißt: ,Wir selber haben unseren Anteil an der Schuld dieser Welt. Deshalb haben wir Gottes Gericht über uns anzuerkennen und zu ertragen'." 1 8 9 4. Die Gemeinden von 1919 bis 1945 Bei der Untersuchung der Haltung der Gemeinden zum Deutschtum in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg muß zwischen ländlich-bäuerlichen und städtischen Gemeinden unterschieden werden; für beide aber gilt, daß der theologisch motivierte Kampf der Pfarrer um die Erhaltung des Deutschtums von ihnen nicht unterstützt wurde. Deutschland war für die meisten Gemeindeglieder nichts weiter als ein geographischer Begriff, von dem man allenfalls etwas in der Schule oder aus den Zeitungen erfuhr 1 9 0 . Dabei blieb Deutsch in den ländlichen Gebieten weiterhin Umgangssprache, ein Phänomen, das auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg beobachtet werden konnte 191 . Aufzeichnung eines Gesprächs mit Dr. Erich Füllkrug am 18. 2. 1973. Zitiert bei F. SCHRÖDER, Nachruf für Dohms, S. 73. 1 9 0 Vgl. R. BECKER, Diasporapfarrer, S. 842; G. FUNCKE, Kulturpolitische Lage, S. 265. 1 9 1 Vgl. dazu wie auch zur Situation der ländlich-bäuerlichen Gemeinden H . DRESSEL, Kolonist. 188

189

158

Riograndenser Synode

Ganz anders verlief die Entwicklung in den städtischen Gemeinden. Bereits 1925 benutzten in Säo Leopoldo 90 % der Familien Portugiesisch als Umgangssprache. Auch in Santa Maria konnte im selben Jahr der Pfarrer die Jugendarbeit nur noch in portugiesischer Sprache weiterführen, denn Deutsch verstand die Mehrheit der Jugendlichen kaum noch. Dohms meinte zu diesem Prozeß: „Wir haben uns lange Jahre etwas vorgemacht mit dem blühenden Deutschtum in Rio Grande do Sul. Das Wort ist längst nicht mehr wahr. Wir haben ein Deutschtum, das schnell aufgesogen sein wird, wenn wir nicht, statt es nur zu pflegen, es zur Aktivität bringen." 1 9 2 In den Städten haben wir es also mit einer fortschreitenden Auflösung des deutschbrasilianischen Volkstums zu tun. Einige Stellen aus Präses Dietschis Bericht auf der Synodalversammlung 1933 in NeuWürttemberg mögen dies noch mehr veranschaulichen: „Hier geht das Deutschtum langsam aber ständig zurück . . . Schon kommen die ersten Konfirmanden, die nur portugiesisch sprechen und auch kein Wort Deutsch mehr verstehen. In unserer Stadt tritt die deutsche Sprache als Umgangssprache immer mehr zurück, ganz besonders unter der konfirmierten Jugend. Die kleine entfernte Gemeinde ist eine aussterbende Gemeinde; die meisten Mitglieder sprechen nicht mehr deutsch . . . Bei den Amtshandlungen, besonders bei Beerdigungen wird neben der deutschen die Landessprache benutzt, wenn Anderssprachige zahlreich vertreten sind" 1 9 3 . Einzelne Gemeinden gingen 1929 so weit, vom Synodalvorstand einen Pfarrer zu erbitten, der bestimmt Portugiesisch verstand und auch Portugiesisch unterrichten konnte 1 9 4 . Die politischen Ereignisse in Deutschland nach 1933 hatten keinerlei Einfluß auf die ländlichen Gemeinden, und auch in den Städten veränderten sie das rein kirchliche Leben der Gemeinden kaum. Aufsehenerregend war es für manche Gemeindeglieder, wenn wie z.B. in Montenegro bei der Hochzeitsfeier eines Reichsdeutschen der Bräutigam und die geladenen Parteigenossen der NSDAP in Parteiuniform erschienen und die Brautleute nach der Trauung von den uniformierten Gästen mit erhobenem Arm begrüßt wurden 1 9 5 . Bei der Jubiläumsfeier der Gemeinde in Säo Pedro do Sul wurden auch nationalsozialistische Embleme verwendet. In einem Bericht des Riograndenser „Sonntagsblattes" hieß es: „Großen Anklang fand auch das zu Anfang der Feier gestellte lebende Bild. In der Mitte der mit Scheinwerferlicht erleuchteten Bühne stand, in den Farben Brasiliens gekleidet, Frl. . . . als Freiheitsgöttin, das brasilianische Banner in der Hand, rechts von dieser, etwas niedriger stehend, Frl. . . . als 192

Schreiben an Dedekind vom 2. 7. 1925 (AEG FRANKFURT, April 1922 - Dez. 1925).

193

SYNODALBERICHT 1 9 3 3 , S. 1 0 .

194

G . HAHN, D i a s p o r a p f a r r e r , S. 629.

195

Mitteilung von Herrn Walter C. Dreher. Ähnliches gab es vermutlich in anderen städtischen Gemeinden, wo sich die Mehrzahl der sog. Reichsdeutschen konzentrierte.

Die Gemeinden von 1919 bis 1945

159

Germania mit der schwarz-weiß-roten Flagge und links . . . als Hitlerjunge gekleidet mit dem Hakenkreuzbanner. Umrahmt wurde dieses Bild von den in geschmackvolle Sportuniform gekleideten Kindern der Gemeindeschule." 1 9 6 D o c h blieben diese Ereignisse Episoden, die keinerlei weitere Auswirkungen auf die Gemeinden hatten. In den städtischen Gemeinden gab es durchaus einzelne Gemeindeglieder, die sich die Gedanken der Pastoren aneigneten und deren volkskirchliche Konzeption vertraten; sie waren darüber hinaus aber auch sehr stark von nationalsozialistischem Gedankengut geprägt 1 9 7 . Andererseits wandten sich, gerade in den Städten, viele Gemeindeglieder entschieden gegen die in Brasilien betriebene nationalsozialistische Propaganda 1 9 8 . Besondere Beachtung verdienen die Gedanken und Äußerungen des Gemeindevertreters Rudolf Müller. E r stammte aus der Gemeinde Cachoeira do Sul und sah in der Riograndenser Synode einen „unermüdlichen Förderer und Prediger unseres V o l k s t u m s " 1 9 9 . Die Arbeit der Kirche in ihrer „Festigkeit in der Erhaltung der deutschen Kulturgüter hatte den größten Einfluß auf die Reinerhaltung unserer Rasse und der ihr eigenen Kultur und bewahrte diesen Kern vor dem Eindringen fremdrassiger Erscheinungen", meint er. Unumwunden forderte er die Gemeindevertreter auf der Synodalversammlung in Cachoeira do Sul auf: „ W i r müssen den Mut fassen, für die Erhaltung der Reinheit unseres deutschen Blutes und Geistes offen und ehrlich einzustehen und diesen Kernpunkt unserm deutsch-brasilianischen Volke eindringlich vor Augen führen, damit das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit zum deutschen Volke über alle persönlichen Vorteile, über die staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten, über jegliche politische und staatliche Ausdrucksform gestellt wird und damit die Wahrheit über unsern Volksteil sich stärker Bahn breche. In solchem Volksbewußtsein wurzelt unser Sein oder Nichtsein. Stellen wir das nicht über das Staatsbewußtsein, so gehen wir den Weg der Assimilierung, denn das Schicksal rächt sich, wo der Stimme des Blutes nicht gefolgt w u r d e . " 2 0 0 Seine Auffassung, die Stammeszugehörigkeit über die staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten und über das Staatsbewußtsein zu stellen, wurde in der Riograndenser Synode von keinem Pfarrer vertreten. Dagegen fand seine Aufforderung, mit den Organen der N S D A P zusammenzuarbeiten, um die deutsche ethnische Gruppe in Brasilien aufzuklären 2 0 1 , unter den Pfarrern rege Zustimmung. Müller schränkte dies aller196

SRS 47, 1933, N r . 53, S. 3.

Vgl. die Aufsätze des Gemeindevertreters R . MÜLLER, Männer in der Kirche; Männerwerk; Aufgaben unserer Gemeinden. 197

198

Vgl. A . PY, Coluna, S. 52.

199

Aufgaben unserer Gemeinden, S. 44.

200

Ebd., S. 45.

201

Vgl. oben S. 154.

160

Riograndenser Synode

dings insoweit ein, „daß wir nicht die Absicht haben, politische Methoden des neuen Deutschlands hierher zu verpflanzen. Dieser durch die Verschiedenheit der politischen Struktur Deutschlands und Brasiliens bedingten Unmöglichkeit sind wir uns sehr wohl bewußt" 202 .

202

Aufgaben unserer Gemeinden, S. 46 f.

Kapitel 8 DIE LUTHERISCHE SYNODE

1. Die Anfänge Von allen vier Synoden, die später die Evangelische Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien gebildet haben, wäre es für die Lutherische Synode 1 am naheliegendsten gewesen, sich dafür einzusetzen, daß der deutsche Charakter ihrer Gemeinden erhalten blieb. Zwar gab es einige Pastoren und Gemeindeglieder, die dafür kämpften, grundsätzlich aber spielte die Deutschtumspflege nicht die Rolle wie in anderen Synoden. Ja, es gab sogar vereinzelte Gruppen, die es bewußt ablehnten, die kirchliche Arbeit an die Ideologie des Volkstums zu binden. Daß man auf diese Betonung des eigenen Volkscharakters verzichtete, hängt eng damit zusammen, daß man in erster Linie lutherische Kirche sein wollte. Die Grundlage dieses stark bekenntnisgebundenen Kirchenverständnisses bildete die einheitliche Pfarrerschaft; von einigen Ausnahmen abgesehen, hatten alle Pastoren ihre Ausbildung im Missions- und Diasporaseminar Neuendettelsau absolviert 2 . Dieser gemeinsame theologische Hintergrund und das Bewußtsein der Diasporapfarrer, auf Lebenszeit ausgesandt zu sein, ermöglichten die rasche Bildung einer Synode und trugen dazu bei, daß diese ausschließlich lutherisch geprägt war. Diese Kontinuität, die eine bodenständige Pfarrerschaft hervorbrachte, fehlte den anderen Synoden weitgehend 3 . Den Pastoren aus Neuendettelsau ging es in erster Linie um die Sammlung lutherischer Christen in lutherischen Gemeinden. Diese lutherischen Christen waren zwar Deutsche oder zumindest deutscher Abstammung, aber das Schloß nicht aus, daß sie von Anfang an nicht auch bereit waren, Lutheraner anderer Nationalität zu betreuen 4 . Sie zögerten auch nicht, 1 Zur Geschichte der Synode vgl. J . FISCHER, Geschichte, S. 116-118; F. WÜSTNER, Lutherische Kirche; 50 Jahre; 25 Jahre; F . SCHLÜNZEN, Luthertum. 2 Die Ausnahme bilden die Pastoren, die in Hermannsburg und Kropp studiert haben. Zu den Hermannsburger Pastoren vgl. E. SEEBASS, Missionspastoren. 3 Im Bereich der Riograndenser Synode wurde ζ. B. ständig über Pfarrerwechsel geklagt, da die meisten Pastoren nach 6 Jahren nach Deutschland zurückkehrten (vgl. F . SCHRÖDER, Pfarrer, S. 121). 4 Vgl. G . VOLKERT, Luthertum, S. 11.

11 Dreher, Brasilien

162

Die Lutherische Synode

Deutschstämmige, die der deutschen Sprache nicht mehr mächtig waren, in die Seelsorge mit einzubeziehen 5 . Die konfessionelle Ausrichtung der Synode entsprach der Organisation, die dahinter stand: dem Lutherischen Gotteskasten; er sah sich als Hüter und Förderer eines weltweiten Luthertums 6 . Im Jahre 1891 hatte der Verband der Lutherischen Gotteskastenvereine beschlossen, „sich der nach Brasilien ausgewanderten Lutheraner" anzunehmen 7 . Ausschlaggebend war damals die Auswanderung vieler lutherischer Deutschrussen nach Brasilien 8 . Auf der „Delegierten-Conferenz" von 1892 berichtete der mit den Erkundigungen beauftragte Württembergische Gotteskastenverein über die Lage der Lutheraner in Brasilien. Der ergreifende Bericht war getragen von der Einsicht:,,Wer seine lutherische Kirche liebt und in ihr die Gemeinschaft des reinen Gotteswortes und des rechten Gebrauchs des gnadenreichen Sakraments verehrt, kann nicht im Zweifel sein, daß wir sie aller Welt, Brasilien so gut wie Südamerika schulden." 9 Kein einziges Mal berief man sich hier auf das Wort von der Erhaltung des Deutschtums. Man sprach nicht nur von deutschen Lutheranern, sondern auch von den Lutheranern Schwedens, Böhmens, Ungarns und Hollands, die nach Brasilien ausgewandert waren und versorgt werden mußten 10 . Man wußte, daß man aus sprachlichen Gründen „erst in letzter Linie" an lutherische „Letten und Esten" denken konnte; aber sie wurden nicht grundsätzlich ausgeschlossen11. Bei den Überlegungen für eine sinnvolle geistliche Versorgung ging es ganz besonders um den „lutherischen Bekenntnisstand" der nach Brasilien Ausgewanderten 12 und um die „Fürsorge für die Lutheraner Brasiliens" 13 . 1896 wurde auf dem Vertretertag in Fürth die Geschäftsführung des Brasilienwerkes dem Bayerischen Gotteskasten übertragen, in dessen Händen sie auch bleiben sollte 14 . Am 22. November 1897 konnte nach langen Verhandlungen der erste Abgesandte des Lutherischen Gotteskastens, Pastor Otto Kühr (1864—1938), mit seiner Arbeit in Santa Catarina beginnen 15 . Von Bedeutung waren im Rahmen dieser Untersuchung die „Amtsinstruktionen", die Otto Kühr mitVgl. ebd., S. 12f. Vgl. hierzu E. STEINWAND, Martin-Luther-Bund. 7 So in: L G K 19, 1898, S. 3. 8 Allein in den Jahren 1890/91 waren rund 24 000 Deutschrussen nach Brasilien ausgewandert (vgl. W . GUSSMANN, Versorgung, S. 6). 9 Ebd., S. 15f. 1 0 Ebd., S. 14. 1 1 Ebd., S. 6 f. Die Letten wurden tatsächlich später betreut (vgl. F. WÜSTNER, Lutherische Kirche, S. 90 f.). 1 2 Ebd., S. 16. 1 3 L G K 15, 1894, S. 36. 5

6

14

W . SCHMIDT, G e s c h i c h t e , S. 1 8 f .

15

Vgl. hierzu „Der Anfang unserer Arbeit in Brasilien" (LGK 19, 1898, S. 3ff.).

Anfänge

163

gegeben wurden; sie sollen im folgenden vollständig wiedergegeben werden: ,, 1. Sie gehen nach Brasilien, um dort unsere Glaubensgenossen in evangelisch-lutherischen Gemeinden zu sammeln. Ihre Aufgabe ist also zunächst die eines Reisepredigers. 2. Sie werden hiezu ausgesandt von dem Verband der luth. Gotteskasten-Vereine in Deutschland. 3. Mit ihrer kirchlichen Arbeit stehen Sie vorläufig bis zu anderweitiger Regelung der Sache unter der Aufsicht und Leitung des Gotteskastenverbandes, bzw. desjenigen Vereins, dem von demselben die brasilianische Geschäftsführung übertragen ist, ζ. Z. des bayerischen Vereins. 4. In erster Linie haben Sie als Ihre Aufgabe anzusehen, deutsch-lutherische Ansiedlungen aufzusuchen und ausfindig zu machen, wo mit der Arbeit der Sammlung ev.-luth. Gemeinden angefangen werden kann. Sie haben dabei von vornherein ins Auge zu fassen, daß es bei dieser Wirksamkeit auf die Begründung einer evang.-lutherischen Körperschaft abgesehen ist. 5. An allen den Plätzen, wo bereits andere evang. Synoden festen Fuß gefaßt haben, haben Sie sich von jeder den Frieden gefährdenden Oppositionsarbeit freizuhalten. 6. Es versteht sich von selbst, daß Sie bei einer etwaigen Gemeindegründung vor allem dafür zu sorgen haben, daß der evang.-luth. Bekenntnisstand der Gemeinde über allem Zweifel erhaben ist. 7. Wo es thunlich ist, empfiehlt es sich, die entscheidenden Paragraphen der „Gemeindekonstitution" der Iowa-Synode der gemeindlichen Organisation zugrunde zu legen. 8. Sie haben darauf hinzuwirken, daß die Leute, die Sie mit Wort und Sakrament versorgen, sobald als möglich zur Aufrechterhaltung ihres Gemeindewesens selbst nach Kräften beitragen. 9. Wir müssen in Sie das Vertrauen setzen, daß Sie unter der Leitung des heil. Geistes bei Ihrer Arbeit selbst den rechten Weg in aller Weisheit, Treue und Nüchternheit zu finden und zu gehen suchen, und daß Sie namentlich kostspielige Unternehmungen unterlassen, ohne hiezu die besondere Genehmigung des Geschäftsführenden Vereins zu haben. In schwierigen Angelegenheiten werden Sie sich überhaupt, wo immer es die Umstände gestatten, das Gutachten der Leitung einholen. 10. Sie sind verpflichtet, vierteljährlich an den leitenden Verein über Ihre Wirksamkeit Bericht zu erstatten. Rothenburg o . T . , den 31. Okt. 1897 Im Auftrag und Namen des Verbandes der evang.-lutherischen Gotteskasten-Vereine in Deutschland: Der luth. Gotteskasten in Bayern als geschäftsführender Verein: Stirner, Pfr., Vorsitzender. Zur Anerkennung: Otto Kühr, ev.-luth. Pastor." 1 6

Diese Anweisungen zeigten deutlich die Position, die der Gotteskasten in der Frage des Deutschtums einnahm; sie änderte sich auch nach der Jahrhundertwende nicht. Als der Deutsche Evangelische Kirchenausschuß 1905 seine „Denkschrift über die kirchliche Versorgung der Diaspora im Auslande" herausgab, lehnte der Gotteskasten diese ab und begründete seine Ablehnung damit, „daß die Denkschrift den Begriff der ausländischen Diaspora auf 16

L G K 19, 1898, S. 21 f.

164

Die Lutherische Synode

die evang. Reichsdeutschen bzw. Landsleute beschränkt, also mehr den nationalen, als den religiösen Gesichtspunkt betont" 1 7 .

2. Die Entwicklung

bis zum Ersten

Weltkrieg

Die lutherischen Pastoren, die Kührs Nachfolge antraten, fanden teilweise bereits organisierte Gemeinden vor, in denen sich das Deutschtum auch weitgehend erhalten hatte. Es gab zwar auch schon Schulen, da es sich aber dabei zumeist um Konfirmandenschulen handelte, konnten sie das Deutschtum nicht in der Weise fördern, wie es häufig dargestellt wird. Ein klassisches Beispiel dafür boten die Gemeindeschulen in Espirito Santo. In diesen Schulen wurde nur drei Tage in der Woche unterrichtet, an Regentagen fiel der Unterricht aus, und während der Erntezeit gab es überhaupt keinen Schulbesuch 18 . Auch in Santa Catarina wurde 1915 festgestellt, daß „das Deutschtum sich nur noch durch die lebende Sprache fortpflanzen kann" 1 9 , denn wegen des mangelhaften Schulunterrichts könnten die meisten Bewohner der Landgemeinden kaum lesen und schreiben. Etwas besser sehe es in den Städten aus, da die Schulen dort vom Deutschen Reich unterstützt würden 20 . Daß es den Pastoren selbst in erster Linie um die Bestärkung des konfessionellen Charakters der Gemeinden ging, zeigt auch eine Analyse des Organs der Synode, des „Evangelisch-Lutherischen Gemeindeblattes". Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges gibt es kaum Anzeichen dafür, daß die Synode ihr Deutschtum besonders herausgestellt hätte. Dies geschah nur dann, wenn andere Synoden den Vorwurf erhoben, die Lutheraner würden das Deutschtum der Gemeinden untergraben. Schon im ersten Jahrgang des „Gemeindeblattes" wurde die Missouri-Synode, die seit der Jahrhundertwende in Rio Grande do Sul tätig war, in Schutz genommen, als sie von der Riograndenser Synode mit der Behauptung, sie würde „die Deutschen in Brasilien ihrem Volkstum entfremden," angegriffen worden war. Das „Gemeindeblatt" verteidigte die Missouri-Synode mit dem Hinweis, daß diese sich „um die Erhaltung des Deutschtums sehr hohe Verdienste erworben hat" 2 1 . Man hoffte damals wohl noch, man könnte gemeinsam die Erhaltung des Luthertums fördern. Erst nach dem Ersten Weltkrieg sollte sich die Lage etwas ändern. Noch zu Beginn des Krieges betonte der Herausgeber des „Gemeindeblattes": 17

DEUTSCH-EVANGELISCH 5 , 1 9 0 6 , S . 1 0 3 .

18

Vgl. F. WÜSTNER, Lutherische Kirche, S. 234 f. F. BÜHLER, Deutschtum, S. 6. Zur Unterstützung durch das Deutsche Reich vgl. G. BRUNN, Deutschland,

19 20

S. 1 8 1 - 1 8 5 . 21

E V . - L U T H . GEMEINDEBLATT 1, 1 9 0 6 , S. 6 9 .

Entwicklung bis z u m Ersten Weltkrieg

165

„Keinem anderen Zweck will dies Blatt dienen als der Auferbauung des lutherischen Zion in diesem Lande und der Stärkung unserer Gemeinden in dem guten Bekenntnis unserer Väter." Der Krieg selbst wurde als eine Strafe für das deutsche Volk angesehen, da es sich von Gott entfernt hatte; man erhoffte sich davon aber auch eine Wiedergeburt des deutschen Wesens, das einst rein in Luther verkörpert war: „Unsere Herzen, Gebete und Opfer stehen auf der Seite unseres geliebten alten deutschen Vaterlandes. Es wäre undankbar, wenn's bei uns anders wäre. Wir hegen auch die gegründete Uberzeugung, daß am deutschen Wesen die Welt genesen muß. Freilich nicht an jenem ausgearteten deutschen Wesen, daß man sich zwar mit deutschen Farben schmückt, aber die deutsche Frömmigkeit zum alten Eisen geworfen hat und die deutsche Treue für leeren Wahn hält. Echtes deutsches Wesen steht in engstem Zusammenhang mit der deutschen Reformation . . . Die deutsche Kultur ist eine Frucht der Reformation. Das Werk Luthers, das wiedergeschenkte Evangelium von der Gnade Gottes, hat unser Volk erneuert und Deutschland groß gemacht. Das Weichen von diesem Lebensgrund hat unserm Volk die Gottesgeißel des Krieges gebracht." 22 Die Kriegserklärung Brasiliens an Deutschland traf die Lutherische Synode genauso hart wie die übrigen Synoden, obwohl die Maßnahmen der brasilianischen Behörden sehr unterschiedlich waren. Während in Santa Catarina und Parana alle Gemeindeschulen geschlossen wurden und die kirchliche Arbeit stark beeinträchtigt war, blieben die Gemeinden in Espirito Santo von diesen Einschränkungen ganz verschont, denn der Kriegszustand galt nur für die Südstaaten. Die Pastoren in Santa Catarina und Parana bekamen Predigtverbot, weil sie „als politische Agenten des Kaisers verschrieen waren" 2 3 . In mehreren Gemeinden wurden die Kirchen geplündert; am schlimmsten war davon die Gemeinde Rio Negro betroffen 24 . Trotz des Predigtverbotes durften aber liturgische Gottesdienste gehalten werden 25 . Die Gemeinden standen den Ereignissen in Europa keineswegs gleichgültig gegenüber. Die Stimmung glich der der Jahre 1870/71, und die Vehemenz, mit der das deutsche Nationalbewußtsein wiedererwachte, war in den Gemeinden der Lutherischen Synode kaum geringer als in anderen Synoden. In Joinville 26 abgehaltene „Kriegsbetstunden" erbrachten Ebd. 11, 1915, S. 2. L G K 41, 1920, S. 18. 2 4 E b d . , S. 19. 2 5 Ebd. - Diese Mitteilung von Präses Kühr stimmt aber nicht ganz, denn in Imbituva (Parana) wurden im November 1917 Kirche und Schule geschlossen, und 1 1/2 Jahre lang war jeder öffentliche Gottesdienst verboten. D e m Pfarrer war es nur erlaubt, auf dem Friedhof zu sprechen (vgl. G . VOLKERT, Luthertum, S. 10). 2 6 Die Gemeinde Joinville hatte sich erst 1940 der Lutherischen Synode angeschlossen, sie wurde aber von einem synodalen Pfarrer betreut. Zur Geschichte der Gemeinde vgl. 22 23

F . WÜSTNER, Joinville.

166

Die Lutherische Synode

„Kriegsbetstundenopfer" in H ö h e von 150 Mark; hier wurden allein im ersten Kriegsmonat 2000 Mark für das deutsche Rote Kreuz gesammelt. „Damit bewiesen sie, daß sie an der Seite ihres in den Krieg verwickelten Volkes mitringen, mitleiden, mitbluten, mitbeten und mitsiegen wollten", schrieb der Pfarrer der Gemeinde, Fritz Bühler 2 7 . Derartige Veranstaltungen wurden vermutlich auch in anderen der Synode angehörenden Gemeinden durchgeführt. 3. Die Lage nach dem Ersten

Weltkrieg

Geschichtliches Die Synode war in ihrer Arbeit zum größten Teil vom Lutherischen Gotteskasten unterstützt und getragen worden. War es während des Weltkrieges schon unmöglich gewesen, der Synode weiterhin Hilfe zukommen zu lassen, so sollte sich die Lage nach dem Ende des Krieges noch weiter verschärfen. Nach der Niederlage des Deutschen Reiches und der darauf folgenden Inflation war überhaupt keine Hilfe aus Deutschland mehr zu erwarten. Die Synode selbst war aber weiterhin auf finanzielle Unterstützung angewiesen, denn größtenteils war es den Gemeinden noch immer unmöglich, ihre Pastoren selbst zu unterhalten. Von Anfang an bestanden Beziehungen zu lutherischen Synoden in den Vereinigten Staaten. Der erste vom Bayerischen Gotteskasten nach Brasilien ausgesandte Pfarrer, O t t o Kühr, war dort im Dienste der Iowa-Synode tätig gewesen. U n d noch später kamen weitere Pastoren aus dem Bereich der Iowa- und Ohio-Synoden nach Brasilien oder kehrten dorthin zurück. Die Beziehungen zu den nordamerikanischen Schwestersynoden sollten sich aber noch weiter entwickeln. Der Bayerische Gotteskasten hatte Pfarrer Kühr empfohlen, „die entscheidenden Paragraphen der .Gemeindekonstitution' der Iowa-Synode der gemeindlichen Organisation zugrunde zu legen" 2 8 ; ebenfalls hatte sich die Synode eine „Visitationsordnung nach dem Vorbild der Missouri- und Iowa-Synode" gegeben 2 9 . Deshalb lag es auch nahe, sich an diese Synoden mit der Bitte um Hilfe zu wenden 3 0 . Die Iowa-Synode, die bei der Aussendung von N e u endettelsauer Kandidaten nach Brasilien geholfen hatte 3 1 , unterstützte weiterhin finanziell zusammen mit der Ohio-Synode die Arbeit der Lutherischen Synode 3 2 . 27 28

Deutschtum, S. 8. Vgl. oben S. 163.

29

V g l . G . GROTTKE, D i e n s t , S. 5 9 .

30

Ebd., S. 52f. Ebd., S. 53. Ebd., S. 55.

31 32

Lage nach dem Ersten Weltkrieg

167

Auf der Synodalversammlung in Joinville vom 1. bis 5. August 1923 wurde beschlossen, an beide Synoden ein Gesuch zu richten, aus den drei Synoden eine Synodalkonferenz zu bilden 33 . Es ist nicht klar, wie dieses Gesuch in den USA aufgenommen wurde. Tatsache aber ist, daß die nordamerikanischen Synoden weiterhin finanzielle Hilfe leisteten, auf lange Sicht waren sie dazu allerdings nicht in der Lage 34 . Für die Lutherische Synode war es dringend erforderlich, sich an einen Kirchenkörper anzuschließen. Die finanziellen Schwierigkeiten spielten dabei eine maßgebliche Rolle, aber auch die ungenügende rechtliche Absicherung der Pastoren machte einen solchen Schritt nötig. Da sie nur eine seminaristische Ausbildung genossen hatten, gab es für sie, falls sie nach Deutschland zurückkehren mußten, keinerlei Möglichkeit, ein Pfarramt zu überneh35

men . Im Jahre 1922 war der Deutsche Evangelische Kirchenbund entstanden. Ein Anschluß an ihn schien manchen Pastoren als die einfachste Lösung aller Fragen. Deshalb kam es, trotz mancher Abneigung gegen den Kirchenbund, im Jahre 1925 zu einer Anfrage an den Lutherischen Gotteskasten, ob sich die Synode an den Kirchenbund anschließen sollte. Dies Ansinnen wurde entschieden abgelehnt mit der Begründung, der Kirchenbund würde das Luthertum der Synode gefährden 36 . Bei den Pastoren selbst bestanden aber auch Bedenken gegen den Kirchenbund 37 . So tauchte schließlich der Gedanke auf, sich an eine lutherische Landeskirche in Deutschland - man dachte dabei an „die Hamburgische, Bayerische oder Sächsische" - anzuschließen 38 . Da die große Mehrheit der Pastoren aus dem Raum der bayerischen Landeskirche kam, lag ein Anschluß an Ebd., S. 53. Vgl. ebd., S. 55 und S. 72. 3 5 Vgl. ebd., S. 68-70. 3 6 Resolution des lutherischen Gotteskastens in Nürnberg; vgl. Propst Hübbes Brief vom 21. 4. 1926 an Pastor Dr. Ahner ( A K A , EO 2). Gleichzeitig riet der Gotteskasten aber vor einer allzu engen Verbindung mit Iowa und Ohio ab, da sie das Deutschtum der Synode gefährden könne. 3 7 Vgl. Schreiben Hübbes an die Deutsche Gesandtschaft in Rio de Janeiro vom 29. 11. 1926: „Es besteht nun bei einem großen Teil der lutherischen Pastoren in der Tat die Neigung, zum Kirchenbund überzugehen, aber das Mißtrauen auf der anderen Seite läßt sie nicht durchdringen". Propst Hübbe meinte selbst noch aus einem anderen Grund, es sei nicht der rechte Augenblick, an einen Anschluß an den Kirchenbund zu denken: „Auch glaube ich, daß die Lutherische Synode im Augenblick besser außerhalb des Kirchenbundes bleibt, weil sie durch den Nicht-Anschluß der amerikanischen Missouri-Synode den Vorwand nimmt, in ihr Gebiet einzubrechen. Noch nimmt Missouri auf die lutherischen Brüder Rücksicht; dies würde sofort aufhören, wenn sich die Lutheraner dem Kirchenbund anschlössen und damit vermeintlich dem lutherischen Prinzip untreu würden" ( A K A , EO 2). 33 34

3 8 Vgl. Schreiben Pfr. Karl Franks an den Gesandten Hubert Knipping vom 19. 9. 1925 (ebd.), Knippings Schreiben vom 24. 3. 1926 an das Auswärtige Amt, das an die bayerische Landeskirche weitergeleitet wurde (LKA NÜRNBERG, O K M 1088 Rep. Nr. 53 d), und Propst Hübbes Schreiben (vgl. Anm. 37).

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Die Lutherische Synode

diese Kirche näher; dies wurde auf der Synodalversammlung in Ponta Grossa im August 1927 auf Anregung des Lutherischen Gotteskastens dann auch beschlossen 39 . Mit Leben erfüllt wurde dieser Beschluß aber erst, als der bayerische Dekan Gottlieb Volkert im Auftrag des Bayerischen Gotteskastens die Gemeinden in Brasilien im Jahre 1928 besuchte 40 . Von dem Anschluß erwartete man „eine finanzielle und eine innerliche Anlehnung an die Kirchen des Heimatlandes". Diese Anlehnung an die lutherischen Landeskirchen Deutschlands sollte so aussehen, daß sie unter bayerischem „Vorsitz uns patronisieren . . . Den maßgebenden Einfluß der Bayerischen Landeskirche wünschen wir, damit die Bayerische Agende, das Bayerische Gesangbuch und der Bayerische Katechismus, welche wir heute gebrauchen, in Zukunft garantiert sind" 4 1 . Wie stark das Bedürfnis nach einem Anschluß an die bayerische Landeskirche war, zeigen einige Äußerungen aus der Pfarrerschaft. In einem Brief aus dem Jahre 1929 schrieb Präses Karl Bergold, es sei der Wunsch der Synode, sich nicht dem Kirchenbund, sondern der bayerischen Landeskirche anzuschließen42. Etwas später wurde die ablehnende Haltung gegenüber dem Kirchenbund damit begründet, daß man eine Verbindung „mit einem Organismus und nicht mit einer Organisation" wolle 43 . Im Hintergrund stand das Bedenken, daß im Kirchenbund „der Einfluß der norddeutschen unierten Kreise zu stark sei" 4 4 . Auf ihren Tagungen in den Jahren 1927 und 1930 beschäftigte sich die bayerische Landessynode mit dem Wunsch der Lutherischen Synode. Wurde 1927 durchaus die Möglichkeit gesehen, den Anschluß zu ermöglichen, so wurde die Bitte 1930 dennoch abgelehnt. Die bayerische Landeskirche, die ja selbst dem Kirchenbund angehörte, konnte wohl auch nicht dem Antrag der Lutherischen Synode entsprechen; dies wäre einer Absage an den Kirchenbund gleichgekommen. Deshalb wurde der Lutherischen Synode der Rat erteilt, sich doch dem Kirchenbund anzuschließen45. Da die Lutherische Synode eine Aufweichung ihres Bekenntnisstandes befürchtete, nahm sie den Vorschlag der bayerischen Landeskirche nicht 3 9 Vgl. Schreiben des Landeskirchenrats in München vom 30. 1. 1931 an Präses Bergold (AKA, C VII 8). 4 0 Uber die Auswirkungen von Volkerts Besuch vgl. G. GROTTKE, Dienst, S. 59-66; G. VOLKERT, Luthertum. 4 1 Vgl. Vormerkung betr. Anschluß der ev.-luth. Synode von Santa Catharina, Parana und anderen Staaten Brasiliens (LKA NÜRNBERG, LKR XIII1560 A - 2455). Diese Vormerkung resultiert aus einer Besprechung mit Pfr. Frank aus Curitiba am 4. 7. 1930 im Landeskirchenrat in München. 4 2 Schreiben vom 8. 8. 1929 an die bayerische Landeskirche (ebd.). 4 3 Schreiben Konsul Pamperriens an das Auswärtige Amt vom 22. 8. 1931 (AKA, C VII 8). 4 4 Vgl. Anm. 41. 4 5 Schreiben Kirchenpräsident Veits vom 30. 1. 1931 an Präses Bergold (AKA, C VII 8).

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an, sondern versuchte, nochmals Hilfe von einer lutherischen Kirche in den Vereinigten Staaten zu erhalten. Prof. Friedrich Ulmer, der Vorsitzende des Lutherischen Gotteskastens in Deutschland, machte John Morehead, den Präsidenten des Lutherischen Weltkonvents, auf die Synode aufmerksam, und dieser vermittelte ihr eine Spende von 1000 Dollar. Diese Gabe veranlaßte wiederum die Synode bei Morehead anzufragen, ob es möglich sei, sich der United Lutheran Church in Amerika anzuschließen, zu der Morehead selbst auch gehörte. Morehead versuchte nun durch Vermittlung von Landesbischof Ludwig Ihmels, die Synode an eine lutherische Landeskirche Deutschlands anzuschließen. Da es aber keine gesetzlichen Grundlagen gab, wurde dieses Ansinnen abgewiesen. Darauf entschloß sich endlich die United Lutheran Church, die Synode aufzunehmen 4 6 . Auf der Synodalversammlung von Ouro Verde, heute Canoinhas, vom 30. Juli bis 2. August 1931 wurde den Synodalen ein Schreiben von Präses Knubel von der United Lutheran Church in Amerika vorgelegt, das der Synode die Möglichkeit eröffnete, sich dieser Kirche anzuschließen. Die Synode beschloß damals, dieses Angebot anzunehmen 47 . Daraufhin sandte die United Lutheran Church Dr. Tappert als ihren Repräsentanten nach Brasilien, der mit den führenden Männern der Synode auf zwei Konferenzen in Ponta Grossa am 12. November 1931 und in Joinville am 19. November 1931 verhandelte. Nach diesen Konferenzen wurde vom Vorstand der Synode ein Rundbrief an alle Gemeinden und Pastoren versandt, in dem sie aufgefordert wurden, sich wegen des bevorstehenden Anschlusses zu beraten: „Auf unserer Synodaltagung in Ouro Verde wurde der Synodalausschuß durch Beschluß beauftragt, bei der Vereinigten Luth. Kirche in Amerika anzufragen, unter welchen Bedingungen sich unsere Synode dieser Kirche anschließen könne. Die Anschlußbedingungen sollten dann allen synodalen Gemeinden zur Besprechung und Beschlußfassung vorgelegt werden. - Da eine mündliche Besprechung schneller dem gewünschten Ziele näher kommt, sandte uns die Ver. Luth. Kirche in Amerika freundlicherweise in Herrn Dr. Tappert einen F. WÜSTNER, Lutherische Kirche, S. 14. Ludwig Ihmels (1858-1933), 1898 Prof. für Syst. Theologie in Erlangen, 1902 in Leipzig, 1922 Landesbischof von Sachsen; Vorsitzender der Allgemeinen ev.-luth. Konferenz. John Alfred Morehead (1867-1936), seit 1919 Vorsitzender der Europäischen Kommission und 1923 Direktor des National Luth. Council, führend im Luth. Weltkonvent. Friedrich Ulmer (1877-1946), 1924 Prof. für Prakt. Theologie in Erlangen, 1928 Präsident des Martin-Luther-Bundes. 4 7 Schreiben Präses Bergolds an Propst Funcke vom 21. 8. 1931 (AKA, C VII 8) und Schreiben Präses Bergolds an den Landeskirchenrat in München vom 10. 12. 1931 ( L K A NÜRNBERG, L K R X I I I 1 5 6 0 a - 2 4 5 5 ) . Es ist unklar, wer die Verbindung mit der United Lutheran Church aufnahm, große Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß es Wilhelm Fugmann, Vizepräses der Synode, gewesen ist. Dafür spricht jedenfalls die Aussage Propst Funckes in seinem Schreiben an den Kirchenausschuß vom 17. 12. 1931: „ D o c h war die durch P. Fugmann so heimlich vorbereitete unheilvolle Wendung der Dinge ja nicht vorauszusehen und offensichtlich selbst dem Präses der lutherischen Synode damals nur sehr bedingt bekannt" (AKA, E O 2). 46

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Die Lutherische Synode

Repräsentanten, mit dem gemeinsam auf Konferenzen in Ponta Grossa, am 12. November, und in Joinville, am 19. November, beiliegende Punkte festgelegt wurden. - Der erste Teil handelt von den Bedingungen, die wir für eine bodenständige und autonome luth. Kirche in Brasilien für notwendig erachten, der zweite Teil enthält die Bedingungen, welche von Seiten der Vereinigten Luth. Kirche in Amerika nach ihren Satzungen von uns gefordert werden. Die einzelnen Punkte sollen nun unsern synodalen Gemeinden zur Besprechung und Beschlußfassung vorgelegt werden. - Da sie kurz sind, bedürfen sie keiner weiteren Erläuterung, auch zeigen sie uns, daß sie in beiden Teilen darauf eingestellt sind, daß unsere Synode eine bodenständige und selbständige luth. Kirche in Brasilien werden kann und daß die Vereinigte Luth. Kirche in Amerika das ernsthafte Bestreben zeigt, uns zu diesem Ziele zu verhelfen. Wir bitten nun alle Gemeinden, sie möchten sich unter Gebet und Anrufung des Segens Gottes mit den vorliegenden Punkten befassen und dann die Beschlüsse umgehend an das Präsidium der Synode einsenden. Weiterhin möchten die Gemeinden das Präsidium beauftragen, daß es zu einem recht baldigen Anschluß die notwendigen Schritte unternehme. Der Herr der Kirche, zu dessen Ehre wir diesen Schritt tun, lege seinen Segen auf unsere lutherische Kirche, hier und in aller Welt. Besprechungsgrundlagen. Nachdem wir, die Evangelisch-lutherische Synode von Santa Catharina, Parana und andern Staaten vergeblich Anschluß an eine Evangelisch-lutherische Landeskirche Deutschlands gesucht, sehen wir uns genötigt, uns um Aufnahme an die Vereinigte Lutherische Kirche in Amerika zu wenden. Wir werden eine bodenständige, autonome Kirche in Brasilien, die sobald wie möglich auf eigenen Füßen stehen soll. Dazu brauchen wir fachkundige, tatkräftige Führung zum Aufbau und Ausbau der lutherischen Kirche hierzulande. Weil die Vereinigte Lutherische Kirche einen ähnlichen Werdegang gehabt und reiche Erfahrungen gesammelt hat, hoffen wir, bei ihr Verständnis für unsere Probleme zu finden und ihre Erfahrungen uns zu nutze zu machen. Nach gründlicher Besprechung der ganzen Sachlage und Prüfung der Konstitution der Vereinigten Lutherischen Kirche kommen wir zu folgenden Uberzeugungen: I. Teil 1. Daß unsere Synode die Freiheit für alle inneren Angelegenheiten behält; 2. daß die alten Verbindungen mit dem Gotteskasten nicht gelöst zu werden brauchen; 3. daß wir unsere Pastoren wie bisher aus unsern deutschen Seminaren berufen können und zwar durch Vermittlung des Gotteskastens, falls dieser zustimmt, 4. daß wir bezüglich unserer theologischen Richtung uns nicht anders zu orientieren brauchen, weil wir uns dadurch selber untreu würden; 5. daß wir, falls wir selbst einmal ein Proseminar haben sollten, die Vollausbildung der Pastoren in deutschen Seminaren oder andern Hochschulen geschehen lassen können, um die Einheitlichkeit unserer Synode, die bisher unsere stärkste Stütze war, zu erhalten und nach hiesigen Notwendigkeiten die zukünftigen Pastoren mit dem deutschen Leben und der Kirche in innige Verbindung zu bringen; 6. daß wir, um die Zukunft der lutherischen Kirche zu sichern und den Bedürfnissen unserer Jugend gerecht zu werden, bezüglich der landessprachlichen Arbeiten, uns nach gegebenen Notwendigkeiten richten dürfen, 7. daß die Vereinigte Lutherische Kirche in Amerika die Verbindung und Mithilfe von dem idealen Standpunkt aus als glaubensbrüderliche Pflicht ansieht, einer kämpfenden und werdenden Schwesterkirche zur Selbständigkeit zu verhelfen und sie in Brasilien zu einer Kraft werden zu lassen, die Gottes Reich will und baut in lutherischer Treue, 8. daß wir die Errichtung einer theologischen Schule zur Bildung eines bodenständigen Pfarrerstandes für notwendig halten;

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9. daß wir die Errichtung eines Internates zur Schulung lutherischer Kinder wegen mangelnder Schulgelegenheiten für äußerst wünschenswert erachten; 10. daß wir in gewissen Fällen von dem Artikel XIV, Sekt. 4 der Konstitution der Vereinigten Lutherischen Kirche Gebrauch machen dürfen. (Art. 14, Sektion 4 lautet: „Sollte irgend eine mit der Verein. Luth. Kirche verbundenen Synoden es vorziehen, ihr Werk in der bisher betriebenen Weise fortzuführen aus Gründen, die den allgemeinen Körper befriedigen, so kann ihnen dieses Vorrecht gewährt werden). II. Teil Die Evangelisch-Lutherische Synode von Santa Catharina, Parana und andern Staaten verpflichtet sich: 1. Die in der Konstitution der Vereinigten Lutherischen Kirche in Amerika niedergelegten Grundsätze sich anzueignen und in loyaler Weise sich mit ihren Zwecken und Zielen zu identifizieren. 2. Die Missionsarbeit der gesamten Kirche (einheimische-, Heiden- und innere Mission) nach besten Kräften zu unterstützen und die Gemeinden zu aktiver Teilnahme am Werk der Kirche zu erziehen. 3. Mit allen Kräften danach zu streben, daß die bisher unterstützten Gemeinden sobald als möglich selbständig werden, damit die dadurch freiwerdenden Gelder für andere Missionen verwendet werden können. 4. Die Möglichkeit und Notwendigkeit der Ausbreitung der lutherischen Kirche in Brasilien durch das Medium der Landessprache in der Arbeit unter der evangelischen Jugend aller hier vertretenen Nationen, sowie sonst kirchlich Unversorgter nach Kräften auszunützen und zu befriedigen. Ponta Grossa, den 12. November 1931. Joinville, den 19. November 1931. P. Karl Bergold, Präses P. Wilhelm Fugmann, Vice-Präses P. Ferdinand Schlünzen, Kassierer P. Hans Müller, Sekretär." 4 8

Die Bedingungen, die gestellt wurden, waren für die Synode äußerst günstig. Im ganzen gesehen wäre sie mit den neuen Aufgaben sogar einen Schritt vorangekommen. Die Verhandlungen ziogen sich indessen in die Länge, und die Anfrage der Synodalleitung bei den Pastoren und Gemeinden brachte kein eindeutiges Ergebnis; sie entschieden sich teils für, teils gegen den Anschluß an die United Lutheran Church 4 9 . Durch den ungeheuren Druck, der von Deutschland aus durch das Auswärtige Amt, den Kirchenausschuß, die Leitung des Missionsseminars in Neuendettelsau und den Bayerischen Gotteskasten ausgeübt wurde, drohte schließlich die Spaltung der Synode. Im Gegenzug machten sich aber auch unter den Pastoren und Gemeinden neue Kräfte bemerkbar, die gegen einen Anschluß an die United Lutheran Church kämpften. Auch dabei wurde von Deutschland aus versucht, einige der Pastoren umzustimmen; dabei bediente man sich durch48 49

L K A NÜRNBERG, L K R XIII 1560a - 2455. Vgl. Anm. 46.

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D i e Lutherische S y n o d e

aus auch der Lüge 5 0 . Die Zahl derjenigen, die den Anschluß an die nordamerikanische Kirche befürworteten, verringerte sich zusehends; schließlich wurde am 8. Juli 1932 der Antrag auf Anschluß an den Kirchenbund gestellt, der dann auch am 1. Januar 1933 in Kraft trat 5 1 . Damit ging eine Epoche dieser Synode zu Ende. Eine bodenständige Synode, mit bodenständigen Gemeinden wurde zu einer „Auslandssyno d e " mit „Auslandsgemeinden". Aus der Evangelisch-Lutherischen Synode von Santa Catarina, Parana und anderen Staaten in Brasilien wurde die „Deutsche Lutherische Kirche in Brasilien". Zwischen Bekenntnis und völkischer Ideologie Die gesamte Auseinandersetzung um den Anschluß der Lutherischen Synode an eine kirchliche Körperschaft spielte sich von Anfang an vor dem Hintergrund eines grundsätzlichen Konfliktes ab, der Bewahrung des Bekenntnisstandes einerseits und der Vereinnahmung durch die völkische Ideologie andererseits. Die Pastoren bedienten sich bei ihrer Arbeit in Gemeinde und Schule, da die Mehrzahl der Gemeindeglieder deutschstämmig war, ohne besondere Skrupel natürlich der deutschen Sprache. Ebenso selbstverständlich unterwiesen sie die Gemeindeglieder anderer Nationalitäten, im Bereich dieser Synode etwa Skandinavier, Letten oder Esten, in deren Sprache 5 2 . So hielt Konrad Rösel schon um die Jahrhundertwende Gottesdienste in lettischer Sprache, und 1931 gab es in einigen Orten Gottesdienste und Konfirmandenunterricht auf Portugiesisch 5 3 , so etwa in Joinville am 7. Juni dieses Jahres 5 4 . Durch die verstreute Siedlungsform der lutherischen Einwanderer war es nicht ungewöhnlich, daß bereits die erste in Brasilien geborene Generation die Muttersprache nicht mehr beherrschte 55 . 5 0 Vgl. die Versprechungen von Missionsdirektor Friedrich Eppelein ( G . GROTTKE, D i e n s t , S. 82 u n d S. 2 0 7 f . ) . 5 1 Vgl. Schreiben Präses B e r g o l d s an den Kirchenausschuß v o m 20. 1. 1933 (AKA, C V I I 8). 5 2 Vgl. Schreiben U l m e r s an den Landeskirchenrat in M ü n c h e n v o m 5. 6. 1930 ( L K A NÜRNBERG, L K R X I I I 1560a - 2455). 5 3 Vgl. A n m . 43. 5 4 Vgl. F . WÜSTNER, Joinville, S. 64. s s Vgl. O . KÜHR, C a m p , S. 22. F u g m a n n , der dies im N a c h w o r t der Schrift feststellt, bemerkt d a z u : „ D a die heranwachsende J u g e n d im Innern des Staates bald die deutsche Sprache nicht mehr genügend beherrscht, wir aber verpflichtet sind, sie der lutherischen Kirche zu erhalten, tritt immer mehr die N o t w e n d i g k e i t in Erscheinung, daß der Reiseprediger auch in der portugiesischen L a n d e s s p r a c h e predigt, u m so die N a c h k o m m e n der deutschen L u theraner f ü r die lutherische Kirche zu erhalten. Kirchliche Amtshandlungen, wie T a u f e n , K o n f i r m a t i o n e n u n d T r a u u n g e n mußte der bisherige Reiseprediger schon häufig in der L a n dessprache abhalten. S o sehr wir diese Vernachlässigung der deutschen Sprache bei vielen Stammes- u n d G l a u b e n s g e n o s s e n im Innern des Staates Parana bedauern, soviel wir daran

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Die Hinwendung der Lutherischen Synode nach Nordamerika ließen die Vertreter des Deutschen Reiches, die anderen Synoden, aber auch bestimmte Gruppierungen innerhalb der Lutheraner aufhorchen. Von den anderen Synoden wurde sofort der Vorwurf erhoben, die Lutherische Synode sei „der deutschen Sache untreu geworden." Der Pfarrer der Gemeinde Joinville, Fritz Bühler 56 , wies diese Verdächtigung in einem Aufsatz „Lutherisches Kirchentum und Deutschtum" zurück. Er meinte, in Brasilien sei „die Marke,Deutsch' wirksam". Die Riograndenser Synode habe auch Hilfe aus den Vereinigten Staaten erhalten und sogar einen Lehrer für das Proseminar zugewiesen bekommen; da dieser aber aus der Deutsch-evangelischen Synode von Nordamerika komme, bedeute dies anscheinend keine Gefahr für die Riograndenser Synode. Sie trage ja auch den Namen „Deutsch", und dieser „gestattet sogar, den ,Evangel.-Lutherischen' ein: ,Undeutsch' anzudichten". Bühler verteidigte dann den deutschen Charakter der nordamerikanischen Schwestersynoden: „Wir aber haben es nicht nötig, den uns helfenden Lutherischen Synoden einen Schutzvorhang zu geben, weil,Evangel. Lutherisch' kerndeutsch ist, worin rein gar nichts ,deutschfremdes' gefunden werden kann. Es steht ja unwiderleglich fest, daß ohne Dr. Martin Luther alles Deutschtum auf dem Erdenrund mindestens nach dem letzten Krieg in ein Nichts zerfallen wäre! Und soweit diejenigen, die sich nicht nach Luther nennen wollen, Deutschtum erhaltende Kräfte besitzen, verdanken sie dieselben nur diesem einzig großen deutschen Mann, zu dessen reinlich evangelischen Lehre wir uns rückhaltlos bekennen." 57 Seine Ausführungen schließen mit dem Bekenntnis zu Martin Luther, in dessen Geist die Nationen zueinander finden sollten: „ I m übrigen sind jene ebenso gute Nordamerikaner, wie wir gute Brasilianer sind. Eins aber haben sie und wir gemein: Wir sind Deutsche und sind Lutheraner! Daß doch niemand dieses Deutschtum, es mag sich finden, wo es sei, anfechten oder gar verdächtigen möchte! Das hieße ja: sich ins eigene Fleisch schneiden! Freuen, nur freuen sollte [man?] sich männiglich, daß unseres Glaubensvaters, Dr. Martin Luthers, helle und klare Lehre die Kraft zeigt: aus Totengefilden Geist und Leben zu wecken." 5 8 Bühlers Beschwichtigungen hatten auf seine Gegner kaum Wirkung. Als Lutheraner, der immer dem konfessionellen Moment den Vorzug vor dem ideologischen gab, konnte er für sie kein bedingungsloser Befürworter des Deutschtums sein. Die Angriffe beschränkten sich aber nicht nur auf theoretische Wortfechtereien. In Espirito Santo verhinderte ein Pfararbeiten, sie zu erhalten, dürfen wir doch nicht die Augen für die Tatsache selbst verschließen, sondern müssen uns darauf einrichten" (ebd.). 5 6 Zu Bühler vgl. E . SEEBASS, Missionspastoren, S. 16f., 27-32. 5 7 EV-LUTH. GEMEINDEBLATT 10, 1923, S. 76. 5 8 E b d . , S. 77.

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Die Lutherische Synode

rer der Mittelbrasilianischen Synode den Besuch des deutschen Gesandten Plehn bei einer lutherischen Gemeinde, damit der Gemeinde bewußt würde, daß sie durch einen Anschluß an eine nordamerikanische Synode „die Verbindung mit der deutschen Heimat abgebrochen h a t " 5 9 . Der Kampagne der unierten Synoden schlossen sich die Vertreter des Reiches bald an; ausgelöst wurde ihr Eingreifen durch das Schreiben eines Pastors der Lutherischen Synode. Der damalige Sekretär der Synode, Karl Frank, wandte sich an den deutschen Gesandten in Rio de Janeiro, Hubert Knipping, und teilte ihm u. a. mit, daß der einzige Ausweg, den die lutherischen Pastoren sähen, um weiterhin mit der „ H e i m a t " verbunden zu bleiben, der Anschluß an eine lutherische Landeskirche sei: „ I m anderen Fall ist große Gefahr vorhanden, daß wir als Distrikt der vereinigten Ohio und Iowasynode in Nordamerika uns anschließen müssen, weil wir um des Bestandes und der Weiterentwicklung unserer Synode halber unbedingt der Unterstützung bedürfen." 6 0 In einem Schreiben an das Auswärtige Amt wies Knipping auf diese Schwierigkeiten hin: „ I m Interesse der Erhaltung des rein deutschen Charakters dieser lutherischen Gemeinde in Brasilien, deren Pfarrer gerade auf dem Gebiet des deutschen Schulwesens in den deutschen Siedelungen Bedeutendes leisten, wird anheimgestellt, die genannten lutherischen Synoden in Deutschland auf diese im deutschen Interesse liegende Anschlußbereitschaft aufmerksam zu machen." 6 1 Mit viel größerem Nachdruck sollten sich aber die Vertreter des Deutschen Reiches für die Erhaltung des „gefährdeten" Deutschtums der

5 9 Vgl. Pfr. Molkentins „Bericht über die Reise des deutschen Gesandten durch das Hochland von E. Santo" vom 10. 1. 1924 an den Ev. Oberkirchenrat: „Der Gesandte hatte zuerst die Absicht, auch das frühere Leopoldina I zu besuchen, doch gelang es, ihn davon abzubringen. Es sollte der Gemeinde dadurch zum Bewußtsein gebracht werden, daß sie durch ihren Anschluß an Nordamerika die Verbindung mit der deutschen Heimat abgebrochen hat, eine Tatsache, die den Mitgliedern durchaus nicht genügend bekannt ist" (AKA, EO 1). Die Gemeinde Leopoldina I gehörte früher zum Bereich der vom Ev. Oberkirchenrat betreuten Gemeinden, war aber später zur Lutherischen Synode übergewechselt. Derselbe Pfr. Molkentin hielt auf dem dritten deutsch-brasilianischen Schultag in Rio de Janeiro einen Vortrag über „Das deutsche Schulwesen in Espirito Santo" und kritisierte bei dieser Gelegenheit mit heftigen Worten die Unterstützung, welche die lutherischen Gemeinden aus USA bekamen. Er ging davon aus, daß es unbedingt nötig sei, die Pfarrstellen in Espirito Santo zu vermehren, denn dadurch sei es auch leichter für den Pfarrer, den Schulunterricht zu versehen. Leider erlaube aber die finanzielle Lage Deutschlands einen solchen Plan nicht: „Schon hat Nordamerika Schritte getan, um in den Gotteskastengemeinden ein solches Programm durchzuführen, allerdings nicht in deutschem, sondern in nordamerikanischem Interesse. Doch scheint augenblicklich ein Stillstand dort eingetreten zu sein und Nordamerika Bedenken zu tragen, weiter Hilfe für eine Sache auszugeben, in der es dank unserer auf Erhaltung des deutschen Charakters gerichteten Gegenarbeit bisher keine nennenswerten Erfolge erzielt hat!" (abgedruckt in: LGK 47, 1926, S. 324f.). 60

Vom 19. 9. 1925 (AKA, E O 2).

61

V o m 2 4 . 3 . 1 9 2 6 ( L K A NÜRNBERG, O K M 2 0 8 8 R e p . 5 3 d ) .

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Synode einsetzen, als es um den Anschluß an die United Lutheran Church ging. Zu der Synodalversammlung in Ouro Verde hatte die Synode auch den stellvertretenden Deutschen Konsul in Santa Catarina, Pamperrien, eingeladen, der über die wichtigen Verhandlungspunkte, die auf der Tagesordnung standen, dem Auswärtigen Amt Bericht erstattete62. Die Synode hatte bis zu diesem Zeitpunkt sehr wenig Beziehungen zum Konsulat gehabt, und Pamperrien meinte, daß durch seinen Besuch bei den Deutschstämmigen in Ouro Verde und bei den Synodalen „der Wille zum Festhalten am Deutschtum" gestärkt worden sei. Uber die Synode selbst berichtet er, sie vertrete „einen gewissen christlichen Internationalismus". Damit hob er darauf ab, daß die Synode Gottesdienste und Konfirmandenunterricht in portugiesischer Sprache hielt und dies auch forzusetzen gedachte 63 . Über den Beginn der Verhandlungen mit der United Lutheran Church schrieb er: „ E s bedarf keiner Ausführung, wie außerordentlich bedauerlich dieser Ausgang vom deutschen Standpunkt aus ist. Ist doch die Kirche an den meisten kleineren Orten der einzige kulturelle Rückhalt der Bevölkerung. Durch die deutsche evangelische Kirche und die mit ihr meist organisch verbundene Schule wird an den meisten Orten fast einzig und allein noch ein gewisses Festhalten an der deutschen Kultur verbürgt. Selbst bei Gewährung gewisser Garantien würde daher der Anschluß an die United Lutheran Church notwendig allmählich eine Entfremdung von Deutschland bedeuten und die Bildung einer großen deutsch-evangelischen Kirche in Brasilien, der vom deutschen Standpunkt aus eine kaum zu überschätzende Bedeutung zukommen würde, außerordentlich erschweren, wenn nicht unmöglich machen." 64 Neben seiner Mitteilung an das Auswärtige Amt, die auch an den Kirchenausschuß weitergeleitet wurde, setzte sich Pamperrien auch mit Probst Funcke in Verbindung 65 . Ihm gegenüber äußerte er, daß die deutschen Kirchen alles daran setzen sollten, um den Anschluß der Lutherischen Synode an die United Lutheran Church zu verhindern: „Die Wichtigkeit dieser Angelegenheit für die deutsche Sache in Brasilien kann m.E. gar nicht hoch genug eingeschätzt werden." Pamperrien wies ausdrücklich darauf hin, daß noch ein halbes Jahr Zeit sei für Gegenmaßnahmen. Diese wurden dann auch vom Deutschen Ev. Kirchenausschuß und von Missionsdirektor Friedrich Eppelein65'1 für den bayerischen Martin-Luther-Verein ergriffen. Vgl. Anm. 43. Vgl. oben S. 172. 6 4 Vgl. Anm. 43. 6 5 Vgl. Schreiben Funckes an den Kirchenausschuß vom 14. 9. 1931 (AKA, C VII 8). In diesem Schreiben zitiert Funcke aus dem Brief Pamperriens. 65a Friedrich Eppelein, geb. 4. 6. 1887 in Nürnberg, gest. 25. 12. 1969,1922 Pfr. in Bayreuth, 1926 Inspektor und 1928 Direktor der Ev.-Luth. Missionsanstalt in Neuendettelsau, 1946 Pfr. in Zirndorf bei Nürnberg. 62 63

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Der Martin-Luther-Bund hatte sich ganz eindeutig für die Anbindung an die bayerische Landeskirche ausgesprochen; federführend waren dabei der Vorsitzende Friedrich Ulmer und Pfarrer Wilhelm Schmidt, der Vorsitzende des brasilianischen Hilfswerkes des Martin-Luther-Bundes. Beide wandten sich entschieden dagegen, daß sich die Lutherische Synode an den Kirchenbund anschlösse. Pfarrer Schmidt ging soweit zu sagen: „Wenn wir das Luthertum in Brasilien erhalten wollen, ist ein Anschluß an den Kirchenbund unmöglich." 6 6 Als die bayerische Landeskirche den Antrag der brasilianischen Synode ablehnte, trat er zurück 6 7 . Ulmer selbst wandte sich wegen der materiellen Erhaltung der Synode, die er für eine „ökumenisch-lutherische" Aufgabe hielt, an alle deutschen lutherischen Kirchenleitungen, an die lutherischen Kirchen Skandinaviens, Lettlands, Australiens und selbst an einige amerikanische Kirchen 68 . Nach Schmidts Rücktritt trat Eppelein im Bayerischen Gotteskasten, dem Träger des Brasilienwerkes, immer stärker in den Vordergrund 6 9 . Mit Eppelein änderte sich überhaupt der Schwerpunkt der Arbeit; war unter Schmidt der lutherische Charakter der Synode und die Distanz gegenüber dem Kirchenbund betont worden, so drängte Eppelein nun auf die Bewahrung des deutschen Charakters. Parallel dazu setzte sich der Gotteskasten nun verstärkt für den Kirchenbund ein. Am 10. September 1931, also einen Monat nach der Synodalversammlung von Ouro Verde, wandte sich Eppelein in einem acht Seiten langen Brief an alle Pastoren der Synode 70 - dieses Schreiben wurde auch an die Pastoren, die nicht aus Neuendettelsau stammten, gesandt; ihnen wurde es allerdings nicht über den Präses der Synode zugestellt 71 . Eppeleins Aufruf sollte dazu dienen, den „Gedankenaustausch" zwischen der Missionsanstalt und den ehemaligen Neuendettelsauern in Brasilien zu beleben. In Wirklichkeit aber wollte er mit dem Brief noch mehr erreichen, nämlich unmittelbar in die inneren Angelegenheiten der Synode eingreifen. Eppelein sprach von den „Sorgen der Neuendettelsauer Mutteranstalt" um Brasilien wegen der Resolution von Ouro Verde, die von ihm deshalb als fragwürdig angese66 Vgl. Niederschrift über die gemeinsame Sitzung des Landeskirchenrats und des Landessynodalausschusses vom 26. 3. 1930 (LKA NÜRNBERG, LKR XIII 1560a-2455). Wilhelm Schmidt, geb. 19. 7. 1865 in Schwebheim, gest. 7. 7. 1938 in Weißenburg, 1895 Pfr. in Kirchrimbach, 1899-1935 in Hüssingen. 67

G . GROTTKE, D i e n s t , S. 8 1 .

68

Schreiben vom 5. 6. 1930 an den Landeskirchenrat in München (LKA NÜRNBERG, LKR XIII 156a-2455). 69

70

G . GROTTKE, D i e n s t , S. 8 1 .

LKA NÜRNBERG, LKR XIII 1560a-2455. Dieser Brief soll ausführlich behandelt werden, denn durch ihn wurde die Synode letzten Endes bewogen, sich dem Kirchenbund anzuschließen. 71 Freilich argumentierte Eppelein damit, daß er dem Präses „nicht die Arbeit der Verschickung zumuten" wolle. Sehr wahrscheinlich wäre aber der Rundbrief zurückbehalten worden!

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hen wurde, weil die Vertreter aus Espirito Santo nicht anwesend gewesen waren. Für Eppelein war klar, daß sich die Synode „zwischen zwei Stühle gesetzt" hatte, als sie sich für den Anschluß an die United Lutheran Church entschlossen hatte. Die Pastoren sollten nun nicht glauben, weiterhin Hilfe aus Deutschland zu bekommen, falls sie sich tatsächlich der United Lutheran Church unterstellten. Eppelein stellte deren finanzielle Lage als so schlecht dar, daß diese nicht in der Lage sei, die Synode zu unterstützen. Auch Lügen wurden bei dieser Schwarzmalerei, die die Pastoren schrecken sollte, nicht gescheut. Eppelein drohte weiterhin, daß aufgrund seiner Informationen „wohl keine deutsche Landeskirche und darum auch nicht die Bayer. Landeskirche noch irgendwelche finanzielle Unterstütztung leistet mit dem Augenblick, wo sich die brasilianischen Synoden einem amerikanischen Kirchenkörper anschließen"; auch das brasilianische Hilfswerk des Gotteskastens würde alle Hilfeleistungen einstellen 72 . Eppeleins Brief muß im Zusammenhang mit dem stärker werdenden Nationalismus im Nachkriegsdeutschland gesehen werden, von daher sind auch seine stark antiamerikanischen Töne zu verstehen: „ W o Amerika einmal mit seinem Geld ist, da will es auch unbedingt sein mit seinem Geist. Amerika begnügt sich nirgends mit dem bloßen Dienen oder wenigstens Mitdienen, sondern, wo Nordamerika ist, da will es herrschen." 7 3 Unter dem Einfluß der Vereinigten Staaten würden „unsere Neuendettelsauer Pastoren nun einfach die geistlichen Hausknechte der Amerikaner werden . . . Wenn es zu einem wirklichen Anschluß an Amerika kommt, dann werden auch Sie die Erfahrung machen, daß nach und nach, ganz allmählich, die guten und bequemen Stationen mit Amerikanern besetzt werden, die schlecht bezahlten und sehr arbeitsreichen und unbequemen dagegen überläßt man den Deutschen". Ihm täte „das Herz weh, wenn ich mir sage, daß unsere alten und jungen Neuendettelsauer . . . einmal solchen Schicksal entgegengehen sollen". Er hielt es für seine „heilige Pflicht", die Pastoren zu ermahnen: „Halten Sie dem deutschen Luthertum, der Heimat der Reformation die Treue! Glauben Sie ja nicht ungestraft, zwei Herren dienen zu können. Das amerikanische Luthertum ist einfach etwas anderes als das deutsche Luthertum." Eppelein Schloß seinen Brief: „ N u n möge Sie der treue Gott leiten und möge Ihnen helfen das zu tun, was wirklich Sein Wille ist." Auf dem Vertretertag des Lutherischen Gotteskastens in Greiz wurde dann Anfang Oktober 1931 beschlossen:

72 Weder von der bayerischen Landeskirche noch von anderen Landeskirchen ist eine Äußerung bekannt, daß sie die Synode nicht mehr unterstützen würden! Der Martin Luther-Verein faßte erst in Greiz eine betreffende Resolution! 73 Dieses Urteil beruht auf der Erfahrung, die er selbst in Neuguinea gemacht hatte.

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Dreher, Brasilien

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D i e Lutherische Synode

„1. Der Vertretertag erklärt, daß eine Verbindung der lutherischen Synode Brasiliens mit der United Lutheran Church of America eine Mitarbeit des Gotteskastens für die Zukunft ausschließt. 2. D e m Hilfswerk ist es unmöglich aus eigenen Mitteln alle finanziellen Bedürfnisse der brasilianischen Synode zu befriedigen. 3. Der Vertretertag empfiehlt der brasilianischen Synode den Anschluß an den Deutschen Evangelischen Kirchenbund unter den von ihm selber vorgeschlagenen und von uns weiter auszubauenden Sicherungen des lutherischen Bekenntnisstandpunktes. 4. Das gegenseitige Vertrauensverhältnis zwischen Hilfswerk und brasilianischer Synode soll dadurch zum Ausdruck kommen, daß die brasilianische Synode das Hilfswerk bevollmächtigt, mit dem Kirchenbund bzw. dem bayerischen Landeskirchenrat die Anschlußverhandlungen zu führen. 5. Das Hilfswerk will auch nach einem Anschluß der brasilianischen Synode an den Kirchenbund mit der brasilianischen Synode in opferbereiter Brüderlichkeit verbunden bleiben." 7 4

Vergleicht man diesen Beschluß mit früheren Äußerungen von führenden Männern des Gotteskastens, wird deutlich, wie sehr sich die Richtung geändert hatte. Sowohl Eppeleins programmatisches Schreiben als auch der Beschluß von Greiz zeigen, daß der Synode das aufoktroyiert werden sollte, worauf sie bis dahin verzichtet hatte: die Erhaltung des deutschen Charakters für wichtiger anzusehen als das Bekenntnis. So blieben auch die Äußerungen Eppeleins und die Greizer Beschlüsse nicht ohne Widerspruch. Belegt wird dies in zwei Dokumenten: einem Schreiben Eppeleins und Ulmers an die Pfarrer der Synode vom 2. März 1932 und einem Schreiben von Pfarrer Langholf vom 14. März 1932. In dem ersten Brief wurde behauptet: „Das Hilfswerk der verbündeten Gotteskastenvereine kann von niemandem, der die Verhältnisse im heutigen Deutschland und vor allem auch in der gegenwärtigen ev. luth. Christenheit Deutschlands auf Grund eigener, reicher, Erfahrungen nicht kennt, auch nur im geringsten die luth. Charakterfestigkeit anzweifeln lassen, die das Hilfswerk der verbündeten Gotteskastenvereine bestimmt" 7 5 ; Pfarrer Langholf schrieb: „ D a ß der Gotteskasten mit der Vereinigten lutherischen Kirche nicht zusammenarbeiten will, ist seine Angelegenheit und muß auch ihm die Entscheidung darin voll und ganz überlassen werden. Allerdings klingt die Begründung der Weigerung sonderbar: der Gotteskasten könne nur Gemeinden unterstützen, die als Auslandsdeutsche anzusehen seien. Glaubt man denn in den Kreisen des Gotteskastens wirklich, daß unsere Gemeinden durch einen eventuellen Anschluß an die Vereinigte lutherische Kirche zauberartig in ihrem Wesen umgewandelt und plötzlich weniger deutsch würden!? Außerdem hilft der Gotteskasten Polen, Tschechen, Ungarn, Slowaken, Ukrainern, und Gott sei Dank, daß er es tut, daß er noch nicht vergessen hat, daß das Luthertum ökumenische Bedeutung hat und nicht an den deutschen Volksstamm gebunden ist. 74 75

Abschrift in LKA NÜRNBERG, LKR XIII 1560a-2455. Ebd.

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Den lutherischen Gemeinden Brasiliens kann er aber plötzlich aus nationalen Gründen nicht mehr helfen." 7 6 Diese Reaktionen ließen den Gotteskasten etwas zurückschrecken. Denn trotz Eppeleins Brief und trotz des Beschlusses des Vertretertages in Greiz hatte der Synodalvorstand den Rundbrief an die Gemeinden verschickt. Am 1. März 1932 kam der Lutherische Gotteskasten in Bayern in Nürnberg zu einer Ausschußsitzung zusammen. Zur Diskussion stand der Rundbrief der Synode. Aufgrund dieser Beratungen wurde am darauffolgenden Tag an alle Pastoren ein Brief verschickt 77 , der das Bedauern über „alles Mißverstehen, alle Mißstimmung und alles Mißtrauen" ausdrückte. Vor einem übereilten Anschluß an die United Lutheran Church wurde jedoch weiterhin gewarnt, denn diese Verbindung würde in Deutschland „als Lieblosigkeit dem deutschen Luthertum gegenüber empfunden werden" und das deutsche Volk würde nicht mehr geneigt sein, ein Unternehmen zu unterstützen, das als nordamerikanisch anzusehen wäre, da ja Nordamerika „große Mitschuld" an der Lage Deutschlands habe, „ganz gleich ob man eine solche Verquickung von Politik und Reichgottesarbeit gutheißt oder nicht". Die Synode hätte einen Anschluß an den Kirchenbund „unter einer gewissen Patenschaft der Ev. Luth. Landeskirche in Bayern wagen können", da ja dadurch der Bekenntnisstand der Synode gesichert gewesen wäre. Falls es zu einer Auflösung des Verhältnisses zwischen der Synode und dem Hilfswerk kommen sollte, dann läge die Schuld jedenfalls nicht beim Hilfswerk der verbündeten Gotteskastenvereine. Weiterhin empfahl man der Synode, sich erneut an die bayerische Landeskirche zu wenden, und um den Anschluß zu bitten. Durch das Auswärtige Amt auf die Vorgänge aufmerksam gemacht, entwickelte nun auch der Deutsche Ev. Kirchenausschuß eine rege Tätigkeit. In einem Schreiben an die deutsche Gesandtschaft in Rio de Janeiro wurde ausdrücklich betont, daß die politischen und kirchenpolitischen Argumente der Gesandtschaft durchaus geteilt würden 7 8 . Bei einem Anschluß an eine nordamerikanische Kirche sei es fraglich, ob die Synode ihren völkischen Charakter würde erhalten können, und außerdem würde es „auch aus ideellen Gründen ein schwerer Schlag für das Deutschtum sein, wenn eine deutsche Synode im Ausland gerade in Zeiten der Not, . . . an sich unter Berufung auf das ihr an sich zustehende formale Recht der freien Entschließung sich einer nordamerikanischen Synode anschließen wollte". Begrüßt wurde vom Kirchenausschuß, „daß die Gesandtschaft der ernsten und wichtigen Frage ihre Aufmerksamkeit widmet und ihren Einfluß zur Abwendung eines unerwünschten Schrittes der Synode 76 77 78

Zitiert nach E. SEEBASS, Missionspastoren, S. 56. Vgl. A n m . 7 5 . V o m 29. 10. 1931 ( A K A , C VII 8).

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Die Lutherische Synode

einsetzt"; gelobt wurden auch die Bemühungen des Stellvertretenden Konsul Pamperrien zur Beilegung der Krise. Der Kirchenausschuß konnte aber seinerseits keine direkten Verhandlungen mit der Synode aufnehmen. Dies hätte eine unmittelbare Einmischung in ihre innere Angelegenheiten bedeutet. Kontakt konnte nur durch Vermittlung des Ständigen Vertreters des Ev. Oberkirchenrats in Brasilien, Funcke, aufgenommen werden. In einem Schreiben ersuchte Präsident Kapler Funcke, da „eine akute ernste Gefahr für die Verbundenheit der Synode mit dem Mutterlande und dem deutschen Volkstum entstanden" sei, den mit ihm „bereits in persönlichen Beziehungen stehenden Persönlichkeiten der Lutherischen Synode" die Vorzüge eines Anschlusses an den Kirchenbund „in geeigneter Weise nahezubringen". Ausdrücklich wurde darauf hingewiesen, daß es selbstverständlich sei, „daß dies in vorsichtiger, objektiver Form zu geschehen hätte, die auch den Schein eines Drängens des Kirchenausschusses auf Anschluß der Synode an den Kirchenbund sorgfältig vermeiden müßte" 7 9 . Kaplers Brief wurde die Abschrift der Aufzeichnung eines Gesprächs zwischen einem Sachbearbeiter des Kirchenbundesamts und dem zuständigen Referenten des Auswärtigen Amtes beigelegt; dieses Gespräch bezog sich auf mögliche Richtlinien, in deren Rahmen sich ein Anschluß der Synode an den Kirchenbund vollziehen könnte. Dieses Dokument war auch dem deutschen Gesandten in Rio de Janeiro zur Information überlassen worden 80 . Funcke hatte nun weiter nichts zu tun, als die Aufzeichnungen zu vervielfältigen und an die Pastoren der Lutherischen Synode zu schicken 81 . Neben der Wiedergabe der Richtlinien, anhand derer er alle Vorzüge eines Anschlusses an den Kirchenbund aufzuzeigen versuchte, meinte er, ein Anschluß an die United Lutheran Church würde früher oder später wegen der finanziellen Abhängigkeit „ideelle Folgerungen nach sich ziehen. . . Demgegenüber", so heißt es, „sehe ich in einem etwaigen Anschluß an den D. Ev. Kirchenbund das konfessionelle lutherische Glaubensinteresse mindestens ebenso ,ankerfest' für alle Zeiten gesichert wie in einem Anschluß an die United Lutheran Church. Aber alle Lebenskräfte der deutschen Heimat, der irgendwie doch alle Führer und Glieder der Lutherischen Synode nach Blut und Sprache und Sitte entstammen, würden dann wie ein lebendiger Quell fort und fort sprudeln, was bei einem Anschluß Schreiben vom 2. 11. 1931 (AKA, E O 2). Abschrift ebd. 8 1 Vgl. Schreiben Funckes vom 17.12.1931 (ebd.). In diesem Brief heißt es: „Wie Sie wissen, habe ich nie einen amtlichen Auftrag erbeten oder erhalten, Verhandlungen zwischen der Lutherischen Synode und dem Kirchenausschuß anzuregen oder gar in die Wege zu leiten . . . Ich bin aber über die gesetzliche Struktur des Deutschen Ev. Kirchenbundes und über die konfessionelle und kirchenpolitische Einstellung des Kirchenausschusses genügend im Bilde, um Ihnen persönlich folgende zuverlässige Mitteilung machen zu können: . . . " . 79

80

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an Nordamerika mit seiner doch unbestreitbaren nationalen und kirchlichen Sonderart allmählich hinschwinden muß, trotz aller - zweifellos ernst und ehrlich gemeinten - Zusicherungen und Kautelen der Gegenwart". Die Haltung der bayerischen Landeskirche unterschied sich in der strittigen Anschlußfrage von der der übrigen Organisationen und Gremien. Als sie 1930 den Anschlußantrag der Lutherischen Synode abgelehnt hatte, hatte sie die Synode zugleich an den Kirchenbund verwiesen. Begründet wurde die Ablehnung damit, daß der Anschluß eine Last bedeute, die die Landeskirche nicht übernehmen könne. Der Kirchenbund sei viel besser in der Lage, die Synode zu unterstützen, besonders auch in rechtlicher Hinsicht, denn „von Bedeutung ist auch der Umstand, daß die völkerrechtlichen Belange solcher Auslandsgemeinden durch den Kirchenbund besser wahrgenommen werden können und daß der Kirchenbund von der Reichsregierung als maßgebende Vertretung des evangelischen Deutschlands angesehen wird". Unter diesem Gesichtspunkt fand die bayerische Landeskirche den Anschluß an den Kirchenbund als etwas „sehr Empfehlenswertes", denn „die völkerrechtlichen Belange der Auslandsgemeinden, die ja auch in Brasilien heute eine Rolle spielen", würden sich durch den Kirchenbund „wirkungsvoller . . . wahren lassen" 82 . Mit der Entscheidung der Lutherischen Synode, sich dem Kirchenbund zu unterstellen, war auch die Entscheidung gefallen, wie die Synode sich in Zukunft präsentieren sollte, nämlich deutsch. Der Kirchenausschuß zumindest sah seine vornehmste Aufgabe darin, das Deutschtum der Synode zu erhalten; dies belegen allein schon die Äußerungen seines Präsidenten gegenüber der deutschen Gesandtschaft in Rio de Janeiro83. Kapler wollte sich ganz besonders für die Wiederbelebung der deutschen Sprache einsetzen, er schrieb in einem Brief an den Landeskirchenrat in München: „Unter Förderung des Kirchenausschusses wird die Synode für die Erhal82 Schreiben des Landeskirchenrates in München vom 30. 1. 1931 (AKA, C VII 8). Es muß hier der Richtigkeit halber noch betont werden, daß es der bayerischen Landeskirche um den Bekenntnisstand der Synode ging! Sie ging davon aus, daß ein Anschluß an den Kirchenbund nur dann geschehen könne, „wenn seitens des Kirchenbundes derartige Garantien geboten werden, daß der Bekenntnisstand der Brasilianischen Gemeinde nicht gefährdet wird" (vgl. Niederschrift über die Gemeinsame Sitzung des Landeskirchenrats und des Landssynodalausschusses wegen des Anschlusses der Synode von Parana an die bayerische Landeskirche; LKA NÜRNBERG, LKR XIII 1560a-2455). 83 Vgl. obenS. 179f. Auch bei einer informatorischen Besprechung am 30.8.1932 im Kirchenbundesamt sollte Kapler dies betonen: „Auf die eingeflochtene Bemerkung des Propstes Funcke, daß die Sprachenfrage der Synode nicht übersehen werden dürfe, da sich bereits da und dort ein Hinübergleiten ins Brasilianische bemerkbar mache, erwiderte Präsident D . Dr. Kapler, daß diesem Anliegen alle Aufmerksamkeit gewidmet werden müsse, daß die Schulfrage hierbei von ganz besonderer Bedeutung sei. Die Erfahrung im Ausland zeige, daß man die fremde Sprache nicht ausschalten könne. Der Deutsche Evangelische Kirchenbund werde sich f ü r die Erhaltung der deutschen Sprache einsetzen" (ebd.).

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Die Lutherische Synode

tung der deutschen Sprache in Predigt und Seelsorge bemüht sein. Verwendung der portugiesischen Sprache soll nur in besonderen Ausnahmefällen als zulässig gelten. Errichtung von Sprachkursen behufs Zurückgewinnung von Gemeinden für die deutsche Sprache bleibt vorbehalten." 84 Gab es bis jetzt keine offizielle Kirchensprache in der Synode, so wurde in der „Vereinbarung über den Anschluß der Evangelisch-Lutherischen Synode von Sta. Catarina, Parana und anderen Staaten Brasiliens an den Deutschen Evangelischen Kirchenbund" bestimmt: „1. Die Kirchensprache der Evangelisch-Lutherischen Synode ist deutsch. Sie ist in der Wortverkündigung, kirchlichen Unterweisung und Seelsorge nach Kräften zu pflegen, zu erhalten und zu fördern. 2. Der auf Ausnahmefälle zu beschränkende Gebrauch des Portugiesischen bei kirchlichen Amtshandlungen wird durch besondere Anweisungen geregelt." 85 Zu fragen wäre noch, wie die Pastoren die verschiedenen Anschluß Verhandlungen beurteilten. Ihnen ging es in erster Linie um die Wahrung des Bekenntnisstandes und den Erhalt der Synode; die Forderung nach einer besonderen deutschen Ausprägung flöß dabei nur insoweit in ihre Uberlegungen mit ein, als sie von der praktischen Arbeit in den Gemeinden her notwendig erschien. Die Bedenken, die einige Pastoren gegenüber einem Anschluß an eine nordamerikanische Synode oder Kirche hegten, beruhten nicht etwa auf der Befürchtung, die Synode könnte „amerikanisiert" werden. Der bereits erwähnte Brief von Karl Frank an den deutschen Gesandten zeigte dies sehr deutlich, er ging auf diese Möglichkeit überhaupt nicht ein 86 . Die Abneigung der Pfarrer schien vielmehr ganz persönlich begründet zu sein. Da sie in Deutschland geboren waren, lag die Bindung an die Heimatkirche immer noch näher. Bei einem eventuellen Anschluß an die United Lutheran Church sah man, wie schon früher bei den Verhandlungen mit den Synoden von Ohio und Iowa, überhaupt keine Schwierigkeit, die Arbeit in deutscher Sprache weiterführen zu können. Charakteristisch für diese Uberzeugung waren die Ausführungen des damaligen Präses der Synode an den Landeskirchenrat in München und an Propst Funcke. Bergold schrieb an den Landeskirchenrat:,,. . . damit die hohe Behörde sich selbst überzeugen kann, wie weit wir die Selbständigkeit und den deutschen Charakter unserer Synode auch für die Zukunft si84

Vom 29. 9. 1932 (ebd.). Artikel IV (LKR MÜNCHEN, LKR XIII 1560a-2449 Bd. II). Es ist unklar, ob die „besondere Anweisung" später formuliert wurde. 86 Trotzdem hat Knipping Franks Brief so interpretiert, als sollten sich die Pastoren deshalb an eine lutherische Landeskirche in Deutschland anschließen, ,,um nicht .amerikanisiert' zu werden" (vgl. Knippings Schreiben an das Auswärtige Amt vom 24. 3. 1926; LKA NÜRNBERG, O K M 2088 Rep. N r . 53d). In einem Vermerk des Landeskirchenrats in München über ein Gespräch mit P. Fank am 4. 7. 1930 taucht die Äußerung auf, man wünsche den Anschluß an eine lutherische Landeskirche, um „das Deutschtum zu stärken" und um sich „nicht nach Nordamerika" zu orientieren (LKA NÜRNBERG, LKR XIII 1560a-2455). 85

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chergestellt haben und wie die Vereinigte Lutherische Kirche gar keine Absicht habe, uns etwas Fremdes aufzudringen. Da sie eine Polyglottenkirche ist, hat sie gar kein Interesse, uns unser Deutschtum zu nehmen, und wenn sie es wollte, so könnte sie es nicht. Daß man in einzelnen Kreisen des Gotteskastenvereins in unserem Anschluß eine Gefahr für die Synode erblickt, beruht auf irrigen Vorstellungen . . . Ganz irrig wäre die Vorstellung, als ob wir uns von Deutschland abwenden wollten. Wir tun diesen Schritt offen und ehrlich um der deutschen Not willen und wollen nach wie vor mit der alten Heimat verbunden bleiben." 87 Dieselbe Auffassung vertrat er in einem Brief an Propst Funcke, kurz nachdem man sich entschlossen hatte, mit der United Lutheran Church zu verhandeln: „Hierzu kann ich Ihnen heute schon die Versicherung geben - selbst wenn unser Zutritt zur Vereinigten Luth. Kirche zustande kommt - ich sage zustande kommt - so bleiben wir genau so deutsch - wie bisher. Die Vereinigte Luth. Kirche ist nur eine Föderation, jede Synode hat ihr Selbstverwaltungsrecht, von ,amerikanisieren' etc. kann keine Rede sein, hier schon gar nicht, unsere Pastoren beziehen wir nach wie vor aus Deutschland, mit den Gotteskastenvereinen bleiben wir auch in Verbindung." 8 8 Selbst der Stellvertretende Konsul Pamperrien war darüber erstaunt, daß Präses Bergold die Gemeinde bei der Synodalversammlung ermahnte, „der deutschen Sprache und Kultur Treue zu bewahren", etwas verwundert meinte er dazu: ,,Das ist umso bemerkenswerter, als die Synode . . . einen gewissen christlichen Internationalismus spüren läßt." 8 9 Man kann also bis zum Anschluß an den Kirchenbund keineswegs von einer „Deutschtumspolitik" der Pastoren der Lutherischen Synode sprechen. Ein extremer Fall beweist gerade, wie fern eine solche Politik den Pastoren lag: Als der Anschluß an den Kirchenbund beschlossen worden war, gab Johann Langholf seine Arbeit in Brasilien auf und kehrte nach Deutschland zurück 90 ; vom Standpunkt seines Bekenntnisses aus konnte er sich damit nicht abfinden. Andererseits wandte er sich auch entschieden gegen die neue Linie des Bayerischen Gotteskastens, die mit Eppelein begonnen hatte. Für ihn war die Begründung Eppeleins, daß der Gotteskasten nur solche Gemeinden unterstützen könne, „die als Auslandsdeutsche anzusehen seien" 91 , gänzlich unhaltbar.

87

Schreiben v o m 10. 12. 1931 (ebd.).

88

V o m 2 1 . 8. 1931 ( A K A , C V I I 8). Bergold bezeichnet es auch als „fälschlich" und

„ b ö s w i l l i g " , wenn man die Synode verdächtige, sie vernachlässige das D e u t s c h t u m . 89

Schreiben an das Auswärtige A m t v o m 2 2 . 8. 1931 (ebd.).

90

Vgl. G . GROTTKE, Dienst, S. 6 6 - 4 8 .

91

Schreiben an Eppelein v o m 1 4 . 3 . 1932 (abgedruckt bei E . SEEBASS, Missionspastoren,

S. 5 6 ) . Vgl. oben S. 178 f.

184

D i e Lutherische Synode

Neue Strömungen in den Gemeinden In einem Schreiben des Vorsitzenden des Evangelischen Gemeindeverbandes von Santa Catarina und Parana, Pfarrer Scheerer, an den Ev. Oberkirchenrat vertrat dieser die Meinung, daß, wäre der Anschluß an den Kirchenbund nicht zustande gekommen, es zu einer „Auflösung der luth. Gemeinden" in Santa Catarina gekommen wäre 92 , da gerade in diesen Gemeinden das Deutschtum besonders stark verankert sei. Außerdem hätte die nationalsozialistische Bewegung diese Auflösung noch beschleunigt, wäre es zu einem Anschluß an die United Lutheran Church gekommen. Obwohl diese Vermutungen Scheerers als reine Spekulationen zu werten sind, kann man aber eines mit Sicherheit festhalten: Innerhalb der Gemeinden gab es gewisse Gruppen, die offenbar bereit gewesen wären, für ihr Deutschtum auch aktiv zu kämpfen. Diese Haltung findet sich einerseits bei den Kaufleuten, die zwar nur für kurze Zeit nach Brasilien kamen, sich aber unter Umständen auch am Leben der Gemeinden beteiligten. So in Säo Francisco 93 , aber auch in anderen Städten innerhalb der Synode. Bedeutsamer aber ist in diesem Zusammenhang die Gruppe der deutschen Auswanderer, die nach dem Zusammenbruch 1918 nach Brasilien kamen; die meisten von ihnen waren der Kirche gegenüber neutral, ja oftmals sogar gegen sie eingestellt 94 . Einige aber beteiligten sich auch aktiv am Leben der Gemeinde und nahmen sogar leitende Positionen ein. Uber ihren Einfluß auf das Gemeindeleben berichtet vor allem das Werk von Martin Scheer „ N u r einer aus dem lebendigen Strom. Das Lebensschicksal eines ausländischen Kolonisten von ihm selbst erzählt". Für die Haltung der Gemeinden insgesamt ist diese Beschreibung allerdings nicht zutreffend. Die Situation der Nachkriegsauswanderer dagegen charakterisiert Scheer wohl richtig, wenn er meint: In der brasilianischen Ferne wird die Liebe zum deutschen Vaterland wiederentdeckt, und mit ihr taucht auch der Wunsch nach einem freien und starken Vaterland auf 9 5 . Deshalb gelobte man auch, niemals zu vergessen, daß man Deut9 2 V o m 29. 3. 1933 ( A K A , E O 3). Scheerer verweist auf Vorgänge, die sich in Joinville und Säo Francisco ereignet hätten. Was für Vorgänge das gewesen sind, läßt sich nicht mehr feststellen. In der Hafenstadt Säo Francisco gab es eine Reihe von Reichsdeutschen, über die P. Huber berichtet: „ E i n großer Teil der Reichsdeutschen begab sich ebenfalls in ihre alte Heimat, die ihr Glück unter dem Nationalsozialismus finden wollten, der in diesem Jahr den Höhepunkt seines Glanzes erreicht hatte" (F. WÜSTNER, Lutherische Kirche, S. 56). Sollten sich diese Kreise gegen einen Anschluß an die United Lutheran Church gewehrt haben?

Wilhelm Scheerer, geb. 14. 5. 1897 in Weilburg, 1927 nach Brasilien ausgesandt durch den Ev. Oberkirchenrat, 1927-1930 in Montenegro, R. G . , seit 1930 in Blumenau, S. C . 9 3 Vgl. A n m . 92. 9 4 Vgl. F. WÜSTNER, Joinville, S. 62. 9 5 Dies k o m m t bei M. SCHEER in dem Ausruf zum Ausdruck: „Deutschland ich rufe dich! - Deutschland wir rufen dich! - Deutschland erwache! Deutschland wir wollen Brük-

1933 bis 1945

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scher war, und dafür zu sorgen, daß auch die Kinder dies nicht vergessen werden 96 . Mit der fortschreitenden Erschließung des Landesinneren im Bundesstaat Säo Paulo mußten allerdings viele dieser Kinder als Analphabeten aufwachsen, und es ist zu fragen, ob sie unter diesen Umständen dem Deutschtum überhaupt erhalten bleiben konnten 97 . Von der Heimat abgeschnitten, gewannen die Auswanderer, die nach den Schrecken des Krieges nach Brasilien gekommen waren, oftmals eine neue Beziehung zur Kirche. In der Verlassenheit des Urwaldes schöpften sie vielleicht aus der Lektüre einer Predigt von Louis Harms neue Kraft; zugleich verbanden sie mit ihrem wiederentdeckten Glauben die Hoffnung, die Kirche könne dazu beitragen, das gefährdete Deutschtum zu erhalten 98 . Gerade unter den wenigen Gemeindegliedern, die dann später über den Aufstieg Hitlers begeistert waren, war dieser Typus häufig 99 .

4. 1933 bis 1945 Die neue Lage Mit dem 1. Januar 1933 hatte die Lutherische Synode aufgehört, eine bodenständige Kirche zu sein; sie war nunmehr eine deutsche Auslandskirche. Die Änderung ihres Namens in Deutsche Lutherische Kirche in Brasilien bezeugt dies nochmals; formell war sie selbständig, tatsächlich eine deutsche Kirche in Brasilien. Der Anschluß der Synode an den Kirken bauen über das Weltenmeer. - Deutschland wir suchen Anschluß an den lebendigen Strom!" (Strom, S. 149). 9 6 „Ich will nicht vergessen und will meine Kinder nicht vergessen lassen, daß wir aus dem Blutstrom des deutschen Volkes sind" (ebd., S. 151). 9 7 „Junge Menschen in einer deutschen Kolonie, die nicht lesen und schreiben können! Was soll aus ihnen werden, wenn die Alten nicht mehr da sind? Werden sie ihr Deutschtum, ihr deutsches Blut, ihr Mutterland verteidigen?" (ebd., S. 153). 98 „So bin ich, der Mann aus dem Haßviertel in Hamburg, mit Willen und mit Freude und mit Dank Glied meiner Kirche geworden. Wir danken heute Gott, daß wir der Deutschen Lutherischen Kirche in Brasilien angehören dürfen, für sie mitsorgen und sie mitbauen dürfen. Luther ist uns hier erst der geworden, der er in Wirklichkeit war, der, welcher die zerbrochene Kirche wieder gebaut hat. Und wir wissen auch dies: An dem Tage, an dem hier etwa unsere Kirche zerbräche, versiegte auch der lebendige Strom des deutschen Volkes in unserem heimatfernen Land" (ebd., S. 154f.). „Hier in Brasilien habe ich das erkannt: Die Kirche hat nach den Kindern in der Fremde gefragt. Still und treu, ohne viel Aufhebens zu machen, hat unsere Lutherische Kirche Jahr für Jahr Prediger und Lehrer aus deutschem Land den Auswanderern gesandt. Unsere Kirche hat hier draußen unter den Deutschen nach dem Rechten gesehen. Sie war so auch Bannträgerin des Volkstums" (ebd., S. 156). 9 9 Vgl. ebd., S. 156 f.: „Ein großes Wunder ist geschehen. Das Unglaubliche ist Tatsache! Deutschland ist erwacht, Deutschland lebt, Deutschland ist frei, Deutschland ruft seine Menschen, Deutschland ruft auch seine Söhne und Töchter im Ausland, in der ganzen weiten Welt. Nun sind wir stolz, Deutsche zu sein".

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D i e Lutherische S y n o d e

chenbund wurde in Deutschland als „ein Ereignis von kirchengeschichtlicher Bedeutung" und „von nicht gewöhnlicher kirchlicher und Volksdeutscher Bedeutung" gepriesen 100 . Damit waren die Prämissen, nach denen zukünftig im Kirchenbund und im Kirchlichen Außenamt gearbeitet werden sollte, festgelegt 101 ; Anzeichen dafür hatte es schon während der Verhandlungen gegeben 102 . Auf der Synodalversammlung von Joinvillevom 17. bis 21. Mai 1933, in der die Synode ihren Namen in Deutsche Lutherische Kirche in Brasilien geändert hatte 1 0 3 , war Propst Erwin Hübbe als Kommissar des Deutschen Ev. Kirchenbundes anwesend gewesen 104 . Seit seinem Auftreten kam es in verschiedenen Gemeinden zu Propagandakundgebungen für das „neue Deutschland". Seinem Vortrag auf der Synodalversammlung über „Die neue Bewegung in Deutschland" 1 0 5 sollten weitere über dieses Thema folgen 1 0 6 , und auch andere Pastoren sprachen, angeregt von Hübbes Ausführungen, begeistert über das Wiedererwachen der deutschen Nation 1 0 7 . Die Aussendung der Pastoren für die Synode, die nach dem Anschluß an den Kirchenbund bzw. an das Kirchliche Außenamt überging, geschah nun auch unter dem ausdrücklichen Hinweis auf die Verpflichtung zur Erhaltung des Deutschtums. Ein Brief des Kirchlichen Außenamts an Vikar Hermann Waidner (geb. 1905) vor seiner Aussendung 1934 schloß mit folgenden Worten: „Der Herr begleite Sie mit Seiner Gnade und rüste Sie mit Seinem Geiste, unter den deutschen Volks- und Glaubensgenossen in der Ferne mit unermüdlichem Eifer im Amt und in unwandelbarer Treue zur deutschen Heimat reiche Frucht zu schaffen zur Erneuerung und Stärkung völkischer Kraft, zur Gründung und Festigung der Deutschen Lutherischen Kirche in Brasilien, zum Siege des Evangeliums. Gott, der Herr ist Sonne und Schild!" 1 0 8 Nach Hitlers Machtergreifung begann man sich in der Lutherischen Synode auch für die kirchliche Entwicklung in Deutschland zu interessieren. Gab es vorher darüber im „Gemeindeblatt" kaum Nachrichten, so häuften sie sich jetzt zwar, wurden aber meist kommentarlos übernom-

100

Vgl. A E L K Z 6 6 , 1 9 3 3 , Sp. 1 5 - 1 8 .

101

H i e r soll nicht die Stellungnahme des Kirchl. A u ß e n a m t e s ausführlich behandelt wer-

den; dies geschieht an anderer Stelle. 102

Vgl. o b e n S. 182.

103

Vgl. EV.-LUTH. GEMEINDEBLATT 2 7 , 1 9 3 3 , S. 5 3 .

104

Vgl. e b d . , S. 4 3 .

105

Vgl. e b d . , S. 5 3 .

106

So in C a n o i n h a s a m 3 0 . 5. 1 9 3 4 : „ D i e jetzige L a g e im neuen D e u t s c h l a n d " und weiter

n o c h in P o r t o U n i ä o , P o n t a Grossa, Imbituva und Curitiba (vgl. Schreiben H ü b b e s v o m 2 2 . 6. 1 9 3 4 ; A K A , C V I I 8). 107

Vgl. EV.-LUTH. GEM· INDEBLATT 2 7 , 1 9 3 3 , S. 8 7 .

108

Abschrift des Schreibens v o m 2 6 . 5. 1934 ( L K R MÜNCHEN, L K R X I I I 1 5 6 0 b - 2 4 5 2 ) .

1933 bis 1945

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men 1 0 9 ; die Synode nahm im ganzen gesehen eine neutrale Haltung ein. Im März 1934 äußerte Propst Hübbe dem Kirchlichen Außenamt gegenüber die Befürchtung, die Synode könne von der lutherischen Bekenntnisfront beeinflußt werden. Dies scheint aber nicht eingetreten zu sein 110 . Auch gegenüber den Annäherungsversuchen der Deutschen Christen Brasiliens blieb man distanziert. Propst Hübbe teilte dem Kirchlichen Außenamt mit: „Die große Bedeutung der Deutschen Christen wird hier nicht richtig gewürdigt, kann auch nicht recht gewürdigt werden, weil sie von keinem Pastor in der Heimat miterlebt worden ist." Eine Einmischung der Deutschen Christen würde nur ,,zu einem Auseinanderfallen der Kirche und zum Absplittern eines Teiles nach Nordamerika führen" 1 1 1 . Die Unsicherheit darüber, was sich in der Kirche in Deutschland wirklich abspielte, führte schließlich dazu, daß Nachrichten über die kirchliche Entwicklung in Deutschland bald nicht mehr veröffentlicht wurden. Wenn es ausnahmsweise dennoch geschah, dann nur mit äußerster Zurückhaltung 112 . Hitlers Machtergreifung hinterließ aber durchaus bei der Pfarrerschaft ihre Spuren. Die Begeisterung über den nationalen Aufbruch artikulierte sich jedoch kaum in den in Brasilien veröffentlichten Blättern. Es wurde auch nicht für die NSDAP geworben; aber von nationalsozialistischer Propaganda beeinflußt, empfanden einige Pfarrer ihre Arbeit jetzt als einen Beitrag zur Erhaltung des deutschen Charakters in Brasilien. Jeder von ihnen verstand sich jetzt als jemand, der „in heißem Kampf mit den vereinzelten Siedlern um die Erhaltung ihres alten, teueren Erbgutes [ringt] und . . . deutsche Sitte [pflegt] und . . . um unseres Volks Ehre und Ansehen [wirbt]" 1 1 3 . Man freute sich über das verstärkte Interesse am Auslandsdeutschtum 114 und war überzeugt, daß das wiederentdeckte Deutschtum im Ausland vorwiegend durch die Kirche erhalten würde, sie sollte deshalb auch gestärkt werden: „Das Auslandsdeutsch109 So ζ. B. die Stellungnahme der bayerischen Deutschen Christen zum Bekenntnis in einem Aufsatz ihres Leiters in Mittel- und Unterfranken, Pfr. Wolf Meyer (EV.-LUTH. GEMEINDEBLATT 27, 1933, S. 87). Die neuen Richtlinien der Deutschen Christen ebd., S. 63. Teilweise werden diese Nachrichten auch vom Kirchenbund vermittelt (vgl. ebd., S. 43f.) oder aus der AELKZ übernommen (vgl. ebd., S. 55). 110 Vgl. sein Schreiben vom 29. 3. 1934 (AKA, C VII 8). 111 Vgl. sein Schreiben vom 1. 5. 1934 (ebd.). 112 Vgl. HEIMATBOTE 4, 1938, N r . 2/3, S. 5: „ D i e Kirchenwahlen in Deutschland, die vielleicht dem unerquicklichen Zustand in Deutschland auf kirchlichem Gebiet ein Ende bereiten könnten, sind noch nicht erfolgt. Angeblich, weil die Kirchen selber daran schuld sein sollen. Wir im Ausland verstehen das nicht". 113 H . WEISS, Samariter, S. 9. Vgl. auch H . WEISS, Arbeit, S. 247. 114 H . MÜLLER meinte: „Es ist überaus wohltuend, besonders für uns Auslandsdeutsche, zu sehen, wie mit der Machtübernahme von Seiten der N S D A P , das Interesse am Auslandsdeutschtum bei Volk und Regierung ein viel lebhafteres, tätigeres und innigeres geworden ist als in den Jahren zuvor oder gar in verflossenen Jahrzehnten" (Lutherisches Deutschtum, S. 273).

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tum hängt ab von der Kirchlichkeit. Wenn ihr das deutsche Volkstum in Brasilien stärken wollt, dann stärkt die Kirche, die .Lutherische Kirche in Brasilien'." 115 Die großen nationalen Feiertage im nationalsozialistischen Deutschland sind anscheinend anfangs auch in den Gemeinden begangen worden 116 . Sehr vereinzelt kam es nach 1933 auch zu antisemitischen Tönen, sie waren aber wohl schon in den Quellen enthalten, denen man die Nachrichten entnahm 117 . Die Umwälzungen in Deutschland nach dem 30. Januar 1933 wirkten sich vermutlich nur auf die Jugendarbeit stärker aus. Bei der Interpretation ist äußerste Vorsicht geboten, denn einzige Quelle für die Jugendarbeit innerhalb der Lutherischen Synode ist das Jugendblatt „Der junge Kämpfer", dessen Aufsätze darüber hinaus zumeist von Erich Fischer, Pfarrer der Gemeinde Baixo Guandu in Espirito Santo, stammen. Wo die Anfänge der Jugendarbeit innerhalb der Lutherischen Synode lagen, ist nicht festzustellen. Es ist jedoch anzunehmen, daß sie, wie ähnlich bei der Riograndenser Synode zunächst von einzelnen Pastoren betrieben wurde, ohne daß es ein gemeinsames Jugendwerk gegeben hätte. Erst in den dreißiger Jahren erlebte sie im gesamten Gebiet der Synode einen Aufschwung. Führend ist dabei Erich Fischer (1903-1961), von dem die Festschrift zum 50jährigen Bestehen der Lutherischen Synode berichtete, er sei „überzeugt deutsch und überzeugt von einer großen kulturellen Aufgabe des Deutschtums in Brasilien" gewesen 118 . Von 1935 bis 1938 gab er die Jugendzeitschrift, „Der junge Kämpfer" heraus 119 ; außerdem veröffentlichte er ein Liederbuch für die Jugendarbeit mit dem Titel „Lieder der Kampfgemeinschaft" 120 . Fischer gründete 1934 eine Jugendgruppe in 1 1 5 Ebd., S. 274. Dieser Aufruf Müllers darf aber keineswegs so verstanden werden, als habe Müller allein ein Interesse an der Erhaltung des Deutschtums. Dies wäre völlig falsch. Denn Müller war derjenige, der wohl als einer der ersten die Notwendigkeit der Arbeit in der Landessprache eingesehen hat. 1931 hatte er in Joinville mit Gottesdiensten auf portugiesisch angefangen. Er gab auch 1940 ein Gesangbuch in portugiesischer Sprache heraus, nachdem bereits 1933 in 2. Auflage ein kleines von W. FUGMANN zusammengestelltes Gesangbuch erschienen war (Cantate, Liturgia e Hymnos). 1 1 6 So wurde in Canoinhas am 1. 5. 1934 ein „Waldgottesdienst am Tag der Nationalen Arbeit" gehalten. Neben der Kanzel, rechts, befand sich die Hakenkreuzfahne. Die Gemeinde wurde vom Pfarrer mit ausgestrecktem Arm begrüßt, einige Gemeindeglieder erwiderten den Gruß. Vgl. das Bild in „Bildbeilage des .Freimund' zum Jahresfest des Martin Luther-Vereins in Bayern (Lutherischer Gotteskasten) Ε. V." (FREIMUND 80, 1934). 1 1 7 Solche antisemitischen Töne tauchen im „Heimatboten" auf. Man fragt sich da in einem Bericht über Rußland und die Bolschewisten, wann „das russische Volk sich gegen diese jüdische Blutherrschaft auflehnen" würde (HEIMATBOTE 4, 1938, Nr. 2/3, S. 3). 1 1 8 F. WÜSTNER, Lutherische Kirche, S. 212. Diesen Eindruck vermittelt auch E. FISCHER, Aus der Gemeinde für die Gemeinde. 1 1 9 Druck von Rotermund & Co, Säo Leopoldo. Dieselbe Zeitschrift erscheint auch mit geringfügigen Änderungen von 1935-1937 unter dem Namen „Rein Seel und Leib" für Jugendliche weiblichen Geschlechts. 1 2 0 Druck von Rotermund & Co, Säo Leopoldo o. J.

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seiner Gemeinde, der er den Namen „Kampfgemeinschaft" gab 1 2 1 . Seinem Beispiel folgend wurden in Espirito Santo eine Reihe von weiteren „Kampfgemeinschaften" gegründet 122 , während in Santa Catarina und Parana diese Bezeichnung in der Jugendarbeit nicht auftauchte 123 . Erst 1937 wurde die Jugendarbeit ein Anliegen der gesamten Synode als, einer Anregung des Präses folgend, die vier Kreise je einen Jugendpfarrer ernannten 124 . Das Ziel der Jugendarbeit wurde von Erich Fischer folgendermaßen umschrieben: „Jungen, Mädchen der Kampfgemeinschaft ev. Christen kämpfen 1. um einen reinen Leib und eine reine Seele, 2. gegen den Mißbrauch des Alkohols, 3. für rechte Lebensfreude, 4. um gute Kameradschaft, 5. um Schaffung gesunder Familien, 6. um sozialdenkende Gemeinden, 7. um unsere Gemeindeschulen, 8. für die Erhaltung und Ausbreitung der Kirche unserer Väter, 9. für die Ausbreitung unserer Kampfgemeinschaft." 125 Im Gegensatz zu der Parole der Jugendarbeit der Riograndenser Synode, die mit der Formel „Für Gott, Volk, Vaterland" arbeitete, benutzte Fischer die Formel „Zu Gott, für Volk und Vaterland" 1 2 6 . In Espirito Santo erhielt die „Kampfgemeinschaft" ein eigenes Abzeichen in der Form eines Ritterschildes und eines Banners, auf dem ein kreuzähnliches Schwert gezeichnet war 1 2 7 . Anscheinend hat Fischer auch versucht, eine besondere Grußform für die Jugend einzuführen; im „Jungen Kämpfer" finden wir den „Heil"-Gruß mit erhobener Hand 1 2 8 , aber auch den „Sieg Heil"-Gruß 1 2 9 . Besonders ausführlich wurde in der Jugendzeitschrift das Thema der Reinerhaltung der Rasse behandelt, aufgeschreckt durch die Tatsache, daß immer mehr Jugendliche aus der deutschen ethnischen Gruppe in Espirito Santo Angehörige der lusobrasilianischen Gruppe heirateten. Dies ist wenigstens den Jahrgängen 1936 und 1937 zu entnehmen, wo Äußerungen zu finden sind wie: „Grausame Mächte sind am Werk, Volk und Glauben zu verraten. Wehe dir, Jugend, wenn du mit deinem Volk und Glauben spielst! Wenn du diese Mächte nicht ernst nimmst. Es wird sich bitter rächen an dir und deinem Volke, wenn du in fremdes Volksblut einheiratest, deinen Glauben verleugnest und fremden Glauben annimmst. Bleib, was du bist. Stehe fest

121

F. WÜSTNER, Lutherische Kirche, S. 213.

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V g l . z . B . DER JUNGE KÄMPFER 1, 1 9 3 5 , S. 1 5 .

1 2 3 In den Berichten über die Jugendarbeit in Santa Catarina und Parana wird schlicht von „Jugendgruppen" gesprochen (vgl. ebd. 3, 1937 und 4, 1938). 1 2 4 Südkreis: P. Hermann Waidner; Paranakreis: P. Adolf Bachimont; Iguassükreis: P. Georg Ballbach; Nordkreis: P. Erich Fischer (vgl. ebd. 3, 1937, S. 48). 1 2 5 Ebd. 1, 1935,'S. 30. 1 2 6 Ebd. 3, 1937, S. 43. 1 2 7 Vgl. ebd. 1, 1935, S. 15 (dort auch die Zeichnung). 1 2 8 Vgl. ebd. 1, 1935, S. 22 und 3, 1937, S. 40. 1 2 9 Vgl. ebd. 3, 1937, S. 91, 94 und 4, 1938, S. 19.

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und treu zu deinen Vätern und ihren Glauben." 1 3 0 Der junge Kämpfer sollte sich nicht mit anderen Rassen vermischen und lieber unverheiratet bleiben, damit er „unserm Volke keine Schande" macht 1 3 1 . Unter Betonung des rassischen Prinzips wurde das Verhalten der „echten" deutschen Jugend stark idealisiert. Wenn sich Glieder der „Kampfgemeinschaft" auf einer Hochzeitsfeier trafen, dann wurde nicht „die sonst übliche Negermusik" gespielt, sondern „deutsche Weisen" erklangen 132 . Besonders in der Erzählung des Lehrers Johannes Silbermann „Blut wider Blut" 1 3 3 , kommt das Werben für die Reinerhaltung der Rasse und des deutschen Blutes klar zum Ausdruck. Abschätzig wird über die „Mischlinge" gesprochen, mit denen sich deutsche Jungens und Mädchen nicht verheiraten sollen. Wer dies tut, ist ein „Artvergessener" (S. 29), bereitet der „Sippe und der Gemeinde, ja dem ganzen deutschen Volk die größte Schande" (S. 30). „Hast du schon einmal darüber nachgedacht, was es bedeutet, einen Menschen zu heiraten, der ganz anderes Blut in seinen Adern hat, der einem ganz anderen, als dem deutschen Volke angehört? Wenn wir auch Brasilianer sind, so haben wir doch deutsches Blut; heiratest du aber einen Mischling, so werden die Kinder auch einmal Mischlinge sein, und dann . . .ist der Stammbaum unserer Familie, dieses herrliche Schöpferwerk Gottes, zu Fall gebracht" (S. 30). Das von der bevorstehenden Heirat mit einem „Mischling" abgebrachte Mädchen bezeugt seinen Sinneswandel mit der Äußerung: „Ich bin ein deutsches Mädel und will das Erbe meiner Väter nicht zum Markt tragen" (S. 39). In dieser Jugendzeitschrift legte man auf die Reinerhaltung der Rasse ebensoviel Wert wie auf die Verantwortung des deutschstämmigen Jugendlichen gegenüber seinem Vaterland Brasilien 134 . Das Quellenmaterial über die Aufnahme des Nationalsozialismus unter den Gemeindegliedern der Lutherischen Synode ist äußerst dürftig. Diese Dürftigkeit ist aber eine Rückwirkung der Lage der Pastoren und der Gemeinden: sie hatten kaum Gelegenheit, sich intensiv mit dem Nationalsozialismus zu beschäftigen. Die anfängliche Begeisterung war schnell vorüber. Sehr schnell unterließ es ζ. B. das „Evangelisch-Lutherische Gemeindeblatt", Nachrichten über die Ereignisse in Deutschland zu veröffentlichen. Die Entfernung und die einander widersprechenden Meldungen aus Deutschland erlaubten keine sichere Meinungsbildung, und aus diesem Grunde schwiegen Pastoren, Gemeinden und das Kirchenblatt. Andererseits erforderte die innenpolitische Entwicklung in Brasilien und 130

Ebd. 2, 1936, N r . 2, S. 2. Ebd. 132 Ebd., N r . 3, S. 2. „Negermusik" ist hier die in Brasilien sonst übliche Volksmusik, die aber als „wesensfremd" empfunden wurde. 133 Ebd. 3, 1937, S. 21 f., 29f., 3 8 f „ 44ff. 134 Vgl. z.B. ebd., S. 50. 131

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die Schwierigkeiten der Synode selbst mehr Aufmerksamkeit als früher. Denn war es in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg bis zum Anschluß an den Kirchenbund um die Existenz der Synode gegangen, so bedeuteten die Jahre nach 1933 sowohl den Kampf um deren Fortbestand als auch in späteren Jahren eine Zeit der Besinnung und des Zurückziehens. Die Nationalisierung Die Bestrebungen der brasilianischen Regierung, die Einwanderer und die Nachkommen der verschiedenen Einwanderergruppen im brasilianischen Volkskörper zu integrieren, berührten anfangs die Gemeinden der Lutherischen Synode in keiner Weise 1 3 5 . Erst die Maßnahmen, die nach dem 10. November 1937 getroffen wurden, sollten die Gemeinden und damit auch die gesamte Synode in ihrer Existenz bedrohen. In der Synode war man sich von Anfang an über die zukünftige Politik der brasilianischen Regierung klar. Bereits auf der 1935 vom Kirchlichen Außenamt einberufenen Kirchenführerkonferenz äußerte Präses Schlünzen die Befürchtung, daß die Regierung sehr bald Bestimmungen erlassen würde, die das autonome Dasein der Gemeinden erheblich einschränken könnten 1 3 6 . Ein im Oktober 1938 verfaßter Bericht von Friedrich Wüstner 137 beschrieb ausführlich die Reaktion der Gemeinden in Espirito Santo auf die Nationalisierungspolitik der brasilianischen Regierung. Dieser Bericht dient auch als Vergleichsbasis für das Verhalten derjenigen Gemeinden innerhalb der Synode, die hauptsächlich aus Deutschen bestanden, deren Vorfahren aber schon im vorigen Jahrhundert eingewandert waren. Bei der Schließung der Gemeindeschulen gab es in diesen Gemeinden sofort eine Gruppe, die sich dafür stark machte, die Schulen überhaupt der Regierung zu überlassen. Es gab von dieser Seite aus keinen Versuch, die Rechte der Schulgemeinde gegenüber den Behörden zu verteidigen. Von einem Teil der Gemeinde, es handelte sich dabei besonders um jüngere Leute, wurde die Nationalisierung des Schulwesens sogar begrüßt. Die ältere Generation dagegen bedauerte die Schließung oder Enteignung der Schulen. Daß die Jüngeren diese Maßnahmen so vorbehaltlos begrüßten, beruhte sicherlich großenteils auf der Furcht vor der Obrigkeit, die durchaus bestand 138 . In der beginnenden Nationalisierung sahen viele 135

Vgl. dazu oben S. 148 ff.

Vgl. Schlünzens Referat über „ A u s b a u der völkischen Arbeitsgemeinschaft zwischen der deutschen evangelischen Kirche und der deutschen Schule in Südamerika, unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Schulen evangelischen Gepräges" ( A K A , C VII 3). Zur weiteren Orientierung vgl. J . FISCHER, Geschichte, S. 163 ff. 136

„ U n s e r e L a g e " v o m 27. 10. 1938 ( A K A , C VII 1). Sie entstand schon in den ersten Zeiten der Einwanderung. D e r Einwanderer, der weder die Landessprache noch die Gesetzgebung des Landes kannte, war des öfteren einem 137

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aber auch eine Möglichkeit, aus ihrer schizophrenen Situation herauszukommen. War man bisher einerseits Deutscher, andererseits Brasilianer gewesen, so bestand nun die Hoffnung, endlich als vollberechtigter Bürger Brasiliens angesehen zu werden 139 . Somit betrafen die Nationalisierungsmaßnahmen, was Deutschtum und Volkstum angeht, in erster Linie nicht die Gemeinden, sondern ihre deutschen Pastoren. Wüstner wies in seinem Bericht mit einer selten anzutreffenden Klarheit und Offenheit darauf hin, daß der deutsche Pfarrer im Grunde ein Fremder für seine Gemeinde war, auch wenn er ihr jahrelang treu blieb 140 . Nun mußte der deutsche Pfarrer erkennen, wie es um die sogenannte völkische Treue der Deutschstämmigen in Brasilien stand. Und diese Erkenntnis, verbunden mit dem Verbot der deutschen Sprache, brachte für manchen das Ende seiner theologischen Weisheit, für andere die Notwendigkeit, völlig umdenken zu müssen: Man konnte sich nicht mehr ohne weiteres auf die neulutherische Schöpfungsordnungstheologie beziehen. Innerhalb der Pfarrerschaft waren mit dem Beginn der Nationalisierung zwei Gruppen zu unterscheiden. Die eine meinte: „Unter allen Umständen festhalten an der Muttersprache in Gottesdienst und Unterricht! Zusammenarbeit der Auslandskirche mit der behördlich übergeordneten Heimatkirche auf Gedeih und Verderb"; man berief sich dabei auf Paul Althaus und auf Gerhard May 1 4 1 . Wüstner selbst glaubte, diese Behauptung treffe nur da z u , , ,wo man bewußt volksdeutsch eingestellt" sei. In Brasilien lägen die Dinge anders. Er verkörperte die andere Gruppe, die der Ansicht war, man müsse sich darüber klar sein, daß es in Brasilien eines Tages keine lutherische Kirche mehr geben werde, an ihre Stelle könne aber durchaus „eine ev. luth. Kirche brasilianischer Prägung treten". Wenn die Kirche auch die Pflicht hätte, „Hüterin deutschen Volksskrupellosen Beamten ausgeliefert. Eine Schilderung über die Verhältnisse in Espirito Santo bringt der R o m a n von G r a j a Aranha „ C h a n a a n " (Rio de Janeiro 1939). 1 3 9 So mit Recht auch Wüstner in seinem Bericht (vgl. A n m . 137). 1 4 0 „ D e r reichsdeutsche Pastor ist für die hiesig geborenen Deutschbrasilianer aus denen sich seine Gemeinde zusammensetzt, ein Fremder, ein Mensch, der anders denkt, redet, handelt als sie, die trotz Kirchenarbeit und Volkstumspflege, naturgemäß verbrasilianert s i n d " ( A K A , C V I I 1 ) . Der A u s d r u c k , , verbrasilianert" hat hier keinen negativen Sinn wie in anderen Quellen. Vgl. das „naturgemäß"! 1 4 1 Wüstner (vgl. Anm. 137) nennt hier die einschlägigen Zitate von Althaus und May: „ D i e Neutralität der Kirche gegenüber der völkischen Frage widerstreitet dem rechtverstandenen Beruf der Kirche. Völkische Flatterhaftigkeit, die keine charakterliche Treue kennt, sollte der Kirche, der die Seele des Volkes befohlen ist, nicht Anlaß zu ernster Sorge bieten? Wir müßten blind sein, wenn wir als Männer der Kirche gegen völkische Charakterfestigkeit gleichgültig sein wollten" (P. Althaus, Die deutsche Stunde der Kirche)., ,Wo Volkstum und Kirche gemeinsam einem Mehrheitsvolk entgegenstehen, wo das lebendige Bewußtsein herrscht, daß wir nach Gottes Willen und nicht nach eigener Wahl unser Volkstum zu behaupten haben, scheitern alle Entnationalisierungsversuche" ( G . May, Die Volksdeutsche Sendung der Kirche).

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lebens in Brasilien zu sein", so müsse sie doch auch „in Notzeiten um der Kirche willen das primäre vom sekundären . . . trennen", denn „in erster Linie ist unsere Kirche Kirche". Der Bestand einer Kirche dürfe nicht an der Sprachenfrage scheitern. Wo die Muttersprache verboten sei, müsse man zur Landessprache übergehen. Die Kirche würde damit aufhören „Trägerin deutschen Volkstums und seines Gedankengutes zu sein". Wüstner ging in seinen Überlegungen aber noch weiter. Konsequent forderte er „die Heranbildung eines einheimischen Pfarrerstandes", denn „wenn unsere gesamte deutsche evang. Kirche in diesem Punkt säumig ist und die Nationalisierungsbestrebungen [sie] fortgesetzt Fortschritte macht, können wir in einem halben Jahrzehnt vor dem Zusammenbruch unserer kirchl. Arbeit stehen!" Aus dieser Einsicht zog er auch Konsequenzen für die Arbeit der deutschen Pfarrer: Sie könnten noch so lange im Lande bleiben, bis die Umstellung zu einer bodenständigen Kirche erfolgt wäre, dann aber müßten sie gehen, denn unter den neuen Bedingungen sei es nicht mehr möglich, in Brasilien zu wirken: „Man mache sich doch klar, daß wir dann von heute ab gerade das bejahen müßten, was wir bis jetzt mit der ganzen Glut deutschen Empfindens für unrichtig erklärt und darum bekämpft haben . . . Wir wollten u. sollten doch deutsche luth. Kirche bauen, so gewiß, als wir zu Glaubens- u. Volksgenossen gesandt wurden. Von dem Tage ab, wo das Völkische gänzlich ausgeschaltet werden muß, ist unsere Aufgabe als erledigt anzusehen. Wir können höchstens noch ausharren, bis wir von hiesig geborenen Pfarrern abgelöst werden können, um der Kirche und unserer Gemeinden willen." Wenn oben gesagt wurde, daß in erster Linie nicht die Gemeinden, sondern ihre deutsche Pastoren von den Nationalisierungsmaßnahmen betroffen waren, so bestätigt die Entwicklung der Ereignisse diese Behauptung. Die sich in Brasilien überschlagenden Wellen des Nationalismus führten dazu, daß die Pastoren „als Feinde Brasiliens u. als Saboteure, die unter dem Mantel konfessionellen Unterrichts in ausländischen Gemeinden fremde, dem Wohle Brasiliens entgegenstehende Ideen verbreiteten u. die Gastfreundschaft Brasiliens verhöhnen u. mit Füßen treten" verschrieen waren 142 . In dieser Situation sahen sich die Pastoren, in Espirito Santo etwa, genötigt, die deutsche Gesandtschaft um Schutz zu bitten; einzelne Pastoren suchten auch beim Kirchlichen Außenamt ihre Rückberufung nach Deutschland zu erwirken. Bischof Heckel traf darauf die Entscheidung, daß sie nur dann zurückberufen werden würden, falls die deutsche Gesandtschaft in Rio de Janeiro die Sicherheit der Pastoren nicht mehr gewährleisten könne 1 4 3 . Pfarrer Wüstners Bericht zeigt, daß Zum ganzen vgl. Wüstners Bericht „Unsere Lage" vom 27. 10. 1938 (AKA, C VII1). „Grundsätzlich muß sowohl aus Erwägungen der Glaubenstreue wie der Verantwortung dem deutschen Volkstum in Brasilien gegenüber erwartet werden, daß die Geistlichen, solange nicht eine Versagung des Schutzes der Botschaft ausgesprochen ist, auch in schwieri142 143

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Dreher, Brasilien

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die Nationalisierungsmaßnahmen der brasilianischen Regierung für manche Pastoren auch zu einer Krise ihres Selbstverständnisses geführt hatten, deren Wurzeln in der theologischen Begründung der Deutschtumsarbeit lagen. 5. Die Deutschtumstheologie der Synode Die Quellen über die theologische Begründung der Deutschtumsarbeit sind äußerst spärlich, Äußerungen darüber tauchen fast nur sporadisch auf, geschlossene Abhandlungen sind sehr selten. In seiner kleinen Schrift „Glaube und Volkstum" versucht Wilhelm Fugmann eine theologische Begründung für die Deutschtumsarbeit der Kirche zu geben 144 . Fugmann hat seiner Untersuchung als Motto das Lutherwort: „Meinen lieben Deutschen bin ich geboren; denen will ich dienen" vorangestellt. Fugmann meinte, in erster Linie müsse man immer das eigene Stammvolk umfassen, bevor man in die Welt hinausgehe. Die Begründung für diese These fand er bei Jesus und bei Paulus. Beide, so argumentierte er, hätten sich in erster Linie dem Hause Israel zugewandt. Jesus in Palästina, Paulus bei der jüdischen Diaspora. Paulus sei sich immer seines Volkstums bewußt gewesen (Rom. 9) und habe „in der Entwicklung des Christentums entsprechend jeglichem Volkstum etwas Gottgegebenes" erkannt. So habe er Juden- und Heidenchristen ihre „dem Volkstum entsprechende Entwicklung" gelassen (S. 3), er bezog sich dabei auf den Galaterbrief. Paulus war für ihn der Beweis dafür, daß das Christentum das Volkstum durch das Evangelium geheiligt und vertieft habe 1 4 5 . Auch die neuere Missionsgeschichte beweise diese Tatsache. Die Lutheraner in Indien würden wie die Lutheraner in Neuguinea ein ihrem Volkstum entsprechendes Luthertum haben. Und schließlich bestätigte auch der brasilianische Katholizismus mit seinen verschiedenen Völkerschaften diese These. Der Grund dafür läge im „Volkscharakter", der in der „deutschen Volksgeschichte" deutlich würde. Fugmann zitierte den „Heliand" und auch gen Lagen auf ihrem Posten aushalten. Das Kirchliche Außenamt glaubt der Erwartung Ausdruck geben zu können, daß, auch wenn die Verhältnisse sich noch schwieriger gestalten sollten, eine ganze Reihe von Geistlichen unter den veränderten Umständen weiter in Treue ihres kirchlichen Amtes walten und damit gleichzeitig die einzige z. Zt. mögliche Verbindung zur Kulturwelt der Heimat aufrecht erhalten werden" (Schreiben Heckeis an Propst Marczynski vom 15. 2. 1939; A E K D , D 1/68). 1 4 4 Die Schrift erschien zuerst als Aufsatz im EV.-LUTH. GEMEINDEBLATT 20, 1926, S. 58-60. Fugmanns Darstellung ist das einzige geschlossene Dokument über dieses Problem. 1 4 5 „Das Evangelium hat die völkische Verschiedenheit nicht aufgehoben, sondern mit neuem Inhalt gefüllt und jedem Volk im gemeinsamen Glauben an das eine Evangelium doch eine vielfältige Entwicklung gestattet, je nach den von Gott gegebenen Grundlagen der Völker" (Glaube und Volkstum, S. 4).

Deutschtumstheologie der Synode

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Luther, der durch seine Reformation „das Christentum in deutsche Form und Geist gebracht" habe 1 4 6 . Er wollte mit all dem aber keineswegs behaupten, daß das Luthertum nur deutsch bleiben dürfe. Was Luther als evangelische Wahrheit erkannt habe, müßte anderen Völkern gebracht werden (S. 9). Diese evangelische Wahrheit würde aber nur dann Besitz eines Volkes werden, wenn sie sich durchsetzen und dort völkisch werden würde und ihre „eigene völkische Ausprägung" bekommen würde „durch Männer, die Luthers evangelischen Geist und zugleich ihr eigenes Volkstum erfaßt haben, wie Luther das deutsche" (S. 9). Für Fugmann war auch klar, daß diejenigen Deutschstämmigen, die nicht mehr der deutschen Sprache mächtig waren, dem Luthertum nicht verloren gehen dürften 147 . Solange man die Möglichkeit habe, seinen Stammesgenossen das Evangelium in der Sprache zu bieten, „in der es bisher seine schönste Ausprägung gefunden hat", müsse man die Gemeinden darauf hinweisen, „was sie verscherzen, wenn sie und ihre Kinder die Sprache Luthers vergessen!" (S. 10). In diesem Sinne Schloß Fugmann seine Ausführungen mit einem langen Zitat Wilhelm Löhes, mit dem er die nach den USA ausgewanderten Deutschen ermahnte, an der deutschen Sprache festzuhalten 1 4 8 . Fugmanns Ausführungen aus dem Jahre 1926 basierten auf Uberlegungen, die nach 1933 immer stärker in den Vordergrund treten sollten, nämlich die einer geschlossenen Begründung der Deutschtums- oder Volkstumsarbeit innerhalb der Theologie der Schöpfungsordnungen. Gerade diese theologische Untermauerung der Auslandsarbeit sollte manche Pastoren in einen schweren Konflikt bringen. Dies deutete sich schon in den Worten an, die Präses Schlünzen an das Kirchliche Außenamt schrieb: „Wie stehen wir zu Volk und Staat, hier, wo beide sich nicht decken? Kirche hat mit Politik nichts zu tun; aber Volk - Staat - Kirche sind nicht Begriffe, sondern Tatsächlichkeiten, die nun in ihrer Gegensätzlichkeit dahier auch an uns herantreten. Zumal wenn man bedenkt, daß manche Amtsbrüder in schwere Konflikte gekommen sind, als vom Staat Verfügungen erlassen wurden, die die schöpfungsgemäße Volkstumsgabe nicht gelten lassen wollen." 1 4 9 Die von Präses Schlünzen angesprochenen 1 4 6 Calvins sich von Luther unterscheidende Auffassung des Christentums läge in seinem Volkstum begründet: „Warum beugte sich Calvin nicht vor Luther? - Das war dem frommen Franzosen Calvin völkisch genau so unmöglich gewesen wie umgedreht dem deutschen Luther" (ebd., S. 8). 1 4 7 ,,. . . wir müssen ihnen das Evangelium in der Sprache predigen, die sie verstehen" (ebd., S. 10). 1 4 8 Fugmann scheint im ganzen gesehen sehr stark von Wilhelm Löhe beeinflußt zu sein (vgl. Lutherische Kirche). Seine Ausführungen zeigen aber auch einen deutlichen Einfluß der Tradition Johann Gottfried Herders. 1 4 9 „Tätigkeitsbericht über die Zeit vom 1. Dezember 1937 bis 1. Dezember 1938", verfaßt in Joinville am 1. 12. 1938. Schon 1935 brachte Präses Schlünzen in seiner Auseinandersetzung mit der Missourisynode bei der Kirchenführerkonferenz Ähnliches zum Ausdruck:

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,,schwere[n] Konflikte", mit denen sich manche Pastoren konfrontiert sahen, werden in den Aussagen eines Pfarrers deutlich, dessen Name unbekannt ist: „Am schwersten ist es in unseren Kämpfen, wenn man seine Art, sein Blut, seine Sprache verleugnen soll. Würde die Sprache nicht direkt vom Blut kommen, würde die Sprache nicht auch dem Glauben seine Prägung geben, dann wäre alles eine ganz andere Sache. Mit der Sprachenfrage brechen für mich ungeahnte innere Nöte immer mehr auf. Auf der einen Seite inneres Widerstreben, auf der anderen ist man Diener der Kirche. Diese verlangt unbedingten Gehorsam der Obrigkeit gegenüber. Ich wollte aber lieber den Papua und Hottentotten in ihrer Sprache das Evangelium verkündigen als meinen Stammesgenossen in einer uns artfremden." 1 5 0 Die angeführten Äußerungen sind Beispiele für den Gewissenskonflikt, in dem sich manche Pastoren befanden. Einerseits hatte man eine Theologie der Schöpfungsordnung, bei der Art, Blut, Sprache, Volkstum als von Gott gegebenen Schöpfungsgaben gesehen wurden und als solche geheiligt werden mußten, andererseits stand man vor dem Gebot, der Obrigkeit gegenüber gehorsam zu sein. Und diese Obrigkeit forderte nun, diese geheiligten Güter aufzugeben. Dieser schmerzliche Zwiespalt zwang dazu, die eigene theologische Tradition zu überprüfen. Die Offenheit, die die Synode insgesamt in der Vergangenheit gegenüber der Frage, des Volkstums gezeigt hatte, ermöglichte es, daß dieser Prozeß des Umdenkens nicht zu einem so radikalen Bruch mit der Vergangenheit führen mußte, wie dies bei der Riograndenser Synode der Fall gewesen war. Die Theologie der Schöpfungsordnung hatte nie die entscheidende Rolle gespielt; sie war für die Existenz der Lutherischen Synode nur von untergeordneter Bedeutung. Man war in der Vergangenheit davon ausgegangen, daß das Evangelium dem Menschen in der Sprache gepredigt werden müßte, in der sie es verstünden. Deswegen hatte man den Letten in lettischer Sprache gepredigt, auch wenn damit Schwierigkeiten verbunden waren. Sehr früh hatte man auch eingesehen, daß ein Teil der kirchlichen Arbeit in portugiesischer Sprache getan werden müßte. Man glaubte nie, diejenigen, die der deutschen Sprache nicht mehr mächtig waren, müßten den durch die Missionsarbeit nordamerikanischer Kirchen entstandenen, por„ U n d wenn die amerikanische Sekte der Missourier in ihrer überpäpstlichen Manier die Pflege des Volkstums verwirft mit der ganz falsch angebrachten Begründung, das Evangelium solle allen Völkern verkündigt werden, so läßt sich darin eben vollständig das Wissen um den ersten Artikel, bei dem wir in das Schöpfungsgut auch das Volkstum einschließen, vermissen, und auf das geringe Verständnis auch der übrigen Heilslehren kann man von da aus einen nur richtigen Schluß ziehen" (vgl. Schlünzens Referat: „Ausbau der völkischen Arbeitsgemeinschaft zwischen der deutschen evangelischen Kirche und der deutschen Schule in Südamerika, unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Schulen evangelischen Gepräges"; A K A , C VII 3). 150

Zitat aus dem Tätigkeitsbericht Schlünzens (ebd.).

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tugiesisch sprechenden Gemeinden oder Kirchen überlassen werden. Selbst Fugmanns Erörterungen über Glaube und Volkstum zeigten, daß man dies gar nicht erwägen konnte, da die Konsolidierung des lutherischen Bekenntnisses hier immer die entscheidende Rolle gespielt hatte. Aus diesem Grunde war der Gewissenskonflikt, dem die überwiegende Mehrheit der Pfarrer ausgesetzt war, der, daß man nun seinen Gemeindegliedern in einer Sprache predigen mußte, von der man wußte, daß sie der überwiegende Teil nicht verstand.

Kapitel 9 BERLIN - BRASILIEN - DEUTSCHTUM

1. Die Entwicklung der Beziehungen zwischen den deutschen Kirchenbehörden und den brasilianischen Gemeinden und Synoden nach 1900 Der Ev. Oberkirchenrat in Berlin Die in Kapitel 5 skizzierten Beziehungen des Ev. Oberkirchenrats zu den evangelischen Gemeinden deutscher Herkunft in Brasilien erfuhren durch das „Kirchengesetz vom 7. Mai 1900, betr. die mit der evangelischen Landeskirche der älteren Provinzen in Verbindung stehenden deutschen Kirchengemeinden außerhalb Deutschlands" 1 eine bedeutsame Wandlung. Dieses Gesetz ermöglichte es ihnen, sich der preußischen Landeskirche anzuschließen und sich damit dem Oberkirchenrat zu unterstellen. Das Gesetz selber ging auf eine Anregung der Evangelischen Gesellschaft für die protestantischen Deutschen in Amerika zurück, die sich nicht mehr in der Lage sah, sämtliche Kosten für den Unterhalt der Gemeinden und Pastoren zu tragen 2 . Für die Gemeinden war diese Anschlußmöglichkeit insofern von Bedeutung, als sie dadurch „Anspruch auf Fürsorge und Förderung ihrer Interessen durch die Landeskirche" erhielten; viel bedeutender aber war diese Möglichkeit noch für die Pastoren, denn dadurch stand ihnen der Pensionsfonds der preußischen Landeskirche offen. Da man in einem Anschluß viele Vorzüge sah, empfahl 1901 ζ. B. die Synodalversammlung der Riograndenser Synode „den Syn- · odalgemeinden dringendst, das Anerbieten des Oberkirchenrates anzunehmen und sich der evangelischen Landeskirche Preußens anzugliedern" 3 ; davon machten zwar mehr und mehr Gemeinden Gebrauch, allerdings nicht immer ohne gewisse Bedenken 4 . Daß der Anschluß der Gemeinden und ihrer Pastoren besonders auch für die drei „unierten" Synoden von Bedeutung sein sollte, zeigte schon die geglückte Krisenintervention des Oberkirchenrates 5 , als die Riogran1

Text bei E. W. BUSSMANN, Evangelische Diasporakunde, S. 426f. Vgl. Rundbrief der Ev. Gesellschaft vom August 1899 (abgedruckt bei TH. KÖLLE, Geschichte, S. 74f.; M. DEDEKIND, Gemeinden, S. 60). 3 Zitiert bei J. FISCHER, Geschichte, S. 143. 4 Vgl. ebd. und oben S. 92. 5 Vgl. ebd. 2

E n t w i c k l u n g der Beziehungen

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denser Synode wegen ihres plötzlichen Zuwachses auseinanderzubrechen drohte. Durch Vermittlung des Generalsekretärs des Gustav-Adolf-Vereins, Martin Braunschweig, und von Generalsuperintendent Zoellner gelang es, die Einheit der Synode zu erhalten. Positiv wirkte sich der Anschluß der Gemeinden der „unierten" Synode auch auf das Verhältnis zur Lutherischen Synode aus. Dem Ständigen Vertreter des Ev. Oberkirchenrates in Brasilien, Propst Erwin Hübbe, gelang es, die vier Synoden zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit zu bewegen. Durch zahlreiche Konferenzen, an denen Vertreter der Mittelbrasilianischen Synode, des Ev. Gemeindeverbandes von Santa Catarina und Parana und der Lutherischen Synode teilnahmen, kam es schließlich auch zu einer Aussöhnung zwischen den vom Oberkirchenrat und den vom Gotteskasten ausgesandten Pastoren 6 . Hier wurde der Grundstein für die spätere Zusammenarbeit zwischen „unierter" und Lutherischer Synode gelegt, die ihren Abschluß in der Gründung des Bundes der Synoden und der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien fand. Auf Zoellners Reise ging auch die Gründung des Auslands- und Diasporaseminars zurück 7 , aus dem insgesamt 101 Pastoren allein für Brasilien hervorgingen. Wie bedeutend der Beitrag des Oberkirchenrats für die evangelischen Gemeinden in Brasilien gewesen ist, beweisen nicht nur die Zahl der ausgebildeten und entsandten Pastoren, sondern auch der gesamte finanzielle Aufwand. In 15 Jahren kostete das Auslandsseminar den Oberkirchenrat etwa zwei Millionen Reichsmark 8 . Zoellner gewann in Brasilien den Eindruck, daß die Gemeinden nicht nur untereinander, sondern auch mit der evangelischen Christenheit Deutschlands fester verbunden werden müßten. Um dies verwirklichen zu können, griff der Oberkirchenrat einen Vorschlag der Riograndenser Synode auf9 und ernannte 1911 einen ständigen Vertreter für Brasilien mit Sitz in Porto Alegre, der den Titel Propst erhielt. Als ständige Vertreter amtierten Martin Braunschweig von 1911 bis 1919, Erwin Hübbe von 1925 bis 1928, Paul Kaetzke 1929 und Gottlieb Funcke von 1929 bis 1936 1 0 . Damit gestalteten sich die Beziehungen zwischen den evangelischen Gemeinden und dem Oberkirchenrat viel enger; die ständige Berichterstattung durch die Pröpste erleichterte auch dem Oberkirchenrat die Entscheidungen und Beschlüsse, die die Gemeinden betrafen. Schließlich ging auf Zoellners Anregung auch die Tätigkeit der „Frauenhülfe fürs Ausland" in Brasilien zurück 11 ; sie aktivierte die Frauenvereine in Brasilien und begründete durch die Einrichtung eines Diakonissenhau6

Vgl. dazu A . KRIEG, Altpreußische U n i o n , S. 1 3 6 ; Aktenmaterial dazu A K A , E O 3.

7

Vgl. o b e n S. 1 3 6 .

8

A . KRIEG, Altpreußische U n i o n , S. 141.

9

Vgl. DEUTSCH-EVANGELISCH 7, 1 9 0 8 , S. 3 6 7 - 3 7 4 , bes. 3 7 1 .

10

Vgl. J . FISCHER, Geschichte, S. 1 4 7 .

11

W . ZOELLNER, Frauenhülfe, S. 1 0 1 - 1 0 6 .

200

Berlin - Brasilien - Deutschtum

ses für die Auslandsarbeit in Münster die weibliche Diakonie in BrasiliDer Deutsche Evangelische Kirchenbund Das Kirchengesetz vom 7. Mai 1900 hatte allein den deutschen Auslandsgemeinden den Anschluß an die Preußische Landeskirche ermöglicht. Mit der Gründung des Deutschen Ev. Kirchenbundes 1922, dem Zusammenschluß der deutschen Landeskirchen, wurde auch den sogenannten deutschen Auslandskirchen die Möglichkeit zu einem Anschluß gegeben. Dies wurde am 17. Juni 1924 durch ein „Kirchenbundesgesetz betreffend den Anschluß deutscher evangelischer Kirchengemeinschaften, Gemeinden und Geistlichen außerhalb Deutschlands an den Kirchenbund" entsprechend geregelt 13 . Der Ubergang der Fürsorge für die brasilianischen Gemeinden vom Ev. Oberkirchenrat auf den Deutschen Ev. Kirchenbund war vor allem den Bemühungen des Brasilienreferenten zu verdanken, des damaligen Oberkonsistorialrats Hermann Kapler, der dann von 1925 bis 1933 Präsident des Ev. Oberkirchenrats und in Personalunion auch Präsident des Deutschen Ev. Kirchenausschusses war 14 . In einem Schreiben vom 1. Juni 1925 forderte der Ev. Oberkirchenrat die ihm angeschlossenen Gemeinden und Geistlichen auf, sich dem Kirchenbund anzuschließen; er begründete dies damit, daß sie „auch in der neuen Verbindung die gleiche Fürsorge finden werden, wie sie die Landeskirche ihnen bisher hat angedeihen lassen" 1 5 . Von den brasilianischen Synoden nahm zunächst nur die Riograndenser Synode das Angebot an. Bis der Anschluß aber am 1. Januar 1929 in Kraft treten sollte 16 , erwies es sich als erforderlich, die gesamten rechtlichen Verhältnisse der Synode, ihrer Gemeinden und Geistlichen zu prüfen und neu zu regeln; dabei konnte der Ständige Vertreter für Brasilien, Propst Hübbe, Wesentliches beitragen 17 . Wesentlich problematischer verliefen die Vorbereitungen für den Anschluß der Lutherischen Synode an den Kirchenbund. Erst nachdem die konfessionellen Vorbehalte ausgeräumt waren 18 , konnte am 1. Januar Vgl. J . FISCHER, Geschichte, S. 148f. Text des Gesetzes bei J . HOSEMANN, Kirchenbund, S. 105-114. 14 Zu Kapler vgl. B. KARNATZ, Kapler; J . R. C . WRIGHT, Über den Parteien. 1 5 Text des Briefes in: DER DEUTSCHE EVANGELISCHE KIRCHENBUND IN DEN JÄHREN 1924-27, S. 87 f. 1 6 „Vereinbarung zur Regelung der Beziehungen zwischen dem Deutschen Evangelischen Kirchenbund und der Rio Grandenser Synode" (DER DEUTSCHE EVANGELISCHE KIRCHENBUND IN DEN JAHREN 1927-30, S. 133-136. 1 7 Zu den Verhandlungen vgl. Anm. 15, dort S. 2 7 f f . ; Anm. 16, dort S. 27-30. 1 8 Vgl. dazu oben S. 171 f. 12

13

E n t w i c k l u n g der Beziehungen

201

1933 die Vereinbarung in Kraft treten 19 . Bei den beiden anderen Synoden, dem Ev. Gemeindeverband von Santa Catarina und Parana und der Mittelbrasilianischen Synode, kam der Anschluß nicht zustande; zwar war die Absicht vorhanden 20 , die Verhandlungen zogen sich aber in die Länge und wurden schließlich unter dem Eindruck der Ereignisse des Jahres 1933 abgebrochen. 1936 unterstellten sich die Gemeinden beider Synoden dann dem Kirchlichen Außenamt 21 . Mit dem Anschluß der Riograndenser Synode und der Lutherischen Synode an den Deutschen Ev. Kirchenbund anerkannten nun die evangelischen Landeskirchen ihre Verantwortung gegenüber dem „deutschen Protestantismus" im Ausland und übernahmen die Aufgabe, „die innere und äußere Entwicklung der angeschlossenen Kirchengemeinschaften zu fördern, ihren Zusammenhang mit dem kirchlichen und geistigen Leben des deutschen Protestantismus zu pflegen und zur Wahrung der Güter der deutschen Reformation mit ihnen zusammen zu wirken" 2 2 . Für die Synoden bedeutete der Anschluß eine ungeheure Stärkung ihres Selbstbewußtseins. Sie waren nun als Kirchen anerkannt und drückten dies in ihrem Namen aus. Sie nannten sich „Deutsche Lutherische Kirche in Brasilien" und „Deutsche evangelische Kirche von Rio Gande do Sul"; diese Anerkennung als „selbständige Kirchengemeinschaft" förderte auch in den Synoden den Wunsch, mehr und mehr eine selbständige Kirche in Brasilien zu werden 23 . Alles in allem war es für die an den Kirchenbund angeschlossenen Synoden ein „hoffnungsreicher Neuanfang" 2 4 . Das Kirchliche Außenamt Im Juli 1933 ging der Kirchenbund in der stark zentralisierten Deutschen Evangelischen Kirche auf. Danach wurden die dem Kirchenbund angeschlossenen Synoden dem im Februar 1934 eingerichteten Kirchlichen Außenamt unterstellt. Rechtlich änderte sich in den Beziehungen der 19

Vgl. „ V e r e i n b a r u n g über den A n s c h l u ß der Evangelisch-Lutherischen S y n o d e von Sta.

Catharina, Parana und anderen Staaten Brasiliens an den deutschen Evangelischen Kirchenb u n d " ( A K A , C V I I 8). 20

A u f der 5. Synodalversammlung der Mittelbrasilianischen S y n o d e am 2 5 . 5 . 1926 be-

auftragte m a n den Synodalvorstand damit, die nötigen Verhandlungen mit dem Kirchenbund zu führen ( D I E EVANGELISCHE DIASPORA 10, 1 9 2 8 , S. 51 f.). 21

Schreiben des Kirchl. A u ß e n a m t e s an den Kirchenausschuß v o m 3 . 10. 1 9 3 6 ( A E K D ,

A 4/491). 22

§ 1 des Kirchenbundesgesetzes betr. den Anschluß deutscher evangelischer Kirchen-

gemeinschaften, Gemeinden und Geistlichen außerhalb Deutschlands an den Kirchenbund ( J . HOSEMANN, K i r c h e n b u n d , S. 1 0 5 ) . 23

Vgl. dazu die Ausführungen über D o h m s (oben S. 1 0 3 f f . ) .

24

Abschiedsgruß des E O K an die Riograndenser S y n o d e ( D I E EVANGELISCHE DIASPORA

11, 1 9 2 9 , S. 4 0 ) .

202

Berlin - Brasilien - Deutschtum

Synoden zu Deutschland nichts, denn als Rechtsnachfolgerin des Auslandsreferats des Kirchenausschusses führte das Kirchliche Außenamt seine Auslandsarbeit aufgrund des Kirchenbundesgesetzes vom 17. Juni 1924 weiter, das die Beziehungen zu den angeschlossenen Auslandskirchen und -gemeinden regelte. Eine Änderung ergab sich lediglich in der Beziehung der bisher dem Ev. Oberkirchenrat unterstellten Gemeinden des Gemeindeverbandes von Santa Catarina und Parana und der Mittelbrasilianischen Synode. Für diese Gemeinden übernahm das Kirchliche Außenamt am 1. April 1936 die Fürsorge. D a nun sämtliche brasilianischen Synoden und Gemeinden der Deutschen Evangelischen Kirche angeschlossen waren, erlosch auch die Tätigkeit des Ständigen Vertreters für Brasilien, der bis zu diesem Zeitpunkt die Interessen des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes und des Ev. Oberkirchenrates vertreten hatte. Für die drei „unierten" Synoden gab es fortan einen Ständigen Vertreter mit Sitz in Buenos Aires, Propst Martin Marczynski, der gleichzeitig auch die La Plata-Synode und die evangelischen Gemeinden in Chile betreute. Die Lutherische Synode erhielt in der Person von Ferdinand Schlünzen einen eigenen Ständigen Vertreter, der auch gleichzeitig das Amt des Präses dieser Synode innehatte 25 . Eine besondere Konzeption für die Auslandsarbeit konnte das Kirchliche Außenamt nicht entwickeln, da 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach, der die Weiterführung der Arbeit unmöglich machte. Außerdem war der Leiter des Kirchlichen Außenamtes, Bischof Theodor Heckel, wohl in seinen Entscheidungen und Handlungen gegenüber den Auslandsgemeinden und -kirchen zu sehr von den politischen Machthabern in Deutschland eingeengt worden 2 6 . Dennoch müssen drei Aspekte aus der Zeit, in der Heckel an der Spitze des Kirchlichen Außenamtes die Beziehungen der Deutschen Evangelischen Kirche zu den Auslandsgemeinden gestaltete, hervorgehoben werden. Heckel war, sieht man von der durch Propst H ü b b e geleisteten Vorarbeit ab, der Wegbereiter des Zusammenschlusses der vier brasilianischen Synoden. Eines seiner Hauptanliegen bestand darin, die Präsiden der brasilianischen Synoden, zusammen mit den Präsiden der L a Plata-Synode und der chilenischen Synode, zu einem Gedankenaustausch anzuregen. Zu diesem Zweck führte er die sogenannten „Kirchenführerkonferenzen" ein. Hier wurden neben Referaten theologischer und praktischer Art, Fragen behandelt, die die Synoden in ihrer Gesamtheit betrafen. Zwei solcher „Kirchenführerkonferenzen" wurden durchgeführt: 1935 in Santos und 1938 in Buenos Aires. Ein wichtiger Punkt ist die große Bedeutung, die Heckel der Seelsorge beimaß. Laufend wandte er sich mit Briefen an die Geistlichen in BrasiliVgl. G . GROTTKE, Schlünzen, S. 20. Dies wird erst eine Untersuchung über die Geschichte des Kirchlichen Außenamtes deutlich machen können. 25

26

Entwicklung der Beziehungen

203

en, in denen er auf Fragen der Gemeindearbeit einging, theologische Themen erörtete und nicht zuletzt auch Betrachtungen anstellte, die der geistlichen Erbauung der Pastoren dienen sollten 27 . Gerade diese seelsorgerliche Tätigkeit ließ Heckel in guter Erinnerung unter den Pastoren bleiben 28 . Ein trauriges Ereignis blieb aber während der Amtszeit Heckeis der „Fall Ilsenburg" 29 . In dem Bemühen, die Auseinandersetzungen des deutschen Kirchenkampfes nicht auf Brasilien übergreifen zu lassen, erwirkte Heckel 1936 die Schließung des Auslandsseminars. Mit diesem Schritt zog er sich die Ablehnung eines Teiles der Pfarrerschaft, zumindest innerhalb der Riograndenser Synode, zu. Während Heckel gegen die mit der Bekennenden Kirche sympathisierenden Kreise der Pfarrer in Brasilien vorzugehen drohte, kam gleichzeitig kein Wort der Kritik an deutschchristlichen Pfarrern, die sich innerhalb der Synode formiert hatten. Erst nach einer entsprechenden Forderung von Dohms kam es zur Rückberufung einzelner Pfarrer 30 . Mit der Schließung des Ilsenburger Seminars wurde die Vorbereitung von Pfarrern für den Auslandsdienst, einschließlich der Brasilianer, auf deutsche Universitäten verlegt, etwa nach Göttingen und Tübingen. Von den deutschen Kandidaten sollte wegen des bevorstehenden Krieges keiner mehr nach Brasilien kommen. Mit der Übernahme der brasilianischen Gemeinden und Synoden hatte die Deutsche Evangelische Kirche nicht nur deren Versorgung und Betreuung übernommen, die Kirchenbehörden sahen darin auch die Möglichkeit und die Verpflichtung auf die geistige Verfassung der Auslandskirche Einfluß zu nehmen. Der Aspekt der völkischen Besonderheit und deren Reinerhaltung rückte nun immer mehr in den Vordergrund.

27

B e m e r k e n s w e r t ist in diesen Briefen die Tatsache, daß sie nicht mit d e m Hitlergruß en-

den. N i c h t minder bemerkenswert ist auch die Tatsache, daß sich diese Briefe in zwei O r d nern befinden, welche die Aufschrift tragen , , D i e deutsche evangelische K i r c h e im Ausland und ihre Stellung zu politischen F r a g e n " ( A K A , C V I , Beih. 1). 28

Hauptsächlich aus den Kreisen der Lutherischen Synode hören wir i m m e r wieder lo-

bende W o r t e für H e c k e l : „ I c h darf diese Gelegenheit benützen, u m zu versichern, daß dieser N a m e heute n o c h unter uns einen guten Klang hat und daß w i r seiner stets in Dankbarkeit g e d e n k e n " ( F . WÜSTNER, Brasilien, S. 1 3 2 ) . „ I n B i s c h o f D . H e c k e l hatte sie [die H e i m a t k i r che] einen M a n n , der sein A m t in einer die H e r z e n ansprechenden, seelsorgerlichen A r t verwaltete. Seine G r ü ß e zu den Festzeiten, seine Ratschläge für den Gemeindeaufbau und die Mitteilungen über kirchliche Ereignisse w a r e n getragen v o n helfender G ü t e und h o h e r V e r antwortlichkeit für die an der Arbeit stehenden B r ü d e r und ihre G e m e i n d e n " ( G . GROTTKE, Schlünzen, S. 3 1 ) . 29

Vgl. dazu oben S. 1 3 6 f f .

30

Vgl. dazu o b e n S. 127.

204

Berlin - Brasilien - D e u t s c h t u m

2. Die Frage des Volkstums Der Ev. Oberkirchenrat in Berlin Das Kirchengesetz vom Mai 1900 bietet auf den ersten Blick keinerlei Anhaltspunkt dafür, daß die preußische Landeskirche sich damit zur Hüterin des Deutschtums der brasilianischen Gemeinden gemacht hätte. Ein solches Anliegen wäre auch sicherlich nicht in einem Gesetz ausdrücklich festgehalten worden. Man muß sich aber hier die Abhängigkeit der preußischen Landeskirche vom preußischen Staat vergegenwärtigen, dessen König nicht nur deutscher Kaiser war, sondern auch den Summepiscopat in seiner Landeskirche ausübte. Es wurde schon daraufhingewiesen, daß der Ev. Oberkirchenrat in seinen Entscheidungen an die auswärtige Politik des preußischen Staates gebunden war. Solange Bismarck die Geschicke des preußischen Staates und des Deutschen Reiches bestimmt hatte, war der Ev. Oberkirchenrat mehr oder weniger an einer konkreten Auslandsarbeit gehindert worden31. Vier Jahre vor Verkündigung des Kirchengesetzes richtete Wilhelm II. 1896 sein Interesse auf das sogenannte „größere Deutschland"; gleichzeitig begann auch das Deutsche Reich mit seiner Deutschtumspolitik32. Und ein Jahr später, 1897, wurde das 1900 verkündete Gesetz von der preußischen Generalsynode angenommen33. Es liegt also nahe, gerade dieses Gesetz mit der Deutschtumspolitik des Deutschen Reiches in Zusammenhang zu bringen34. Erhärtet wird diese Vermutung durch eine Denkschrift der preußischen Generalsynode vom Jahre 1903, die den Anschluß der Auslandsgemeinden behandelt und dabei besonders auf die Gemeinden in Rio Grande do Sul eingeht. Hier wird deutlich, welch eine entscheidende Rolle der Gedanke der Erhaltung des Deutschtums gespielt hat: „Der Anschluß an die heimische Kirche ist für die fast durchweg sehr wenig leistungsfähigen Gemeinden in Rio Grande do Sul gerade jetzt um so bedeutsamer, als die lutherische Missourisynode von Nordamerika seit einiger Zeit eine rege Tätigkeit entfaltet, um sich des evang. Deutschtums in Südbrasilien zu bemächtigen und hierin vermöge ihrer außerordentlich reichen Geldmittel bereits ge31

Vgl. dazu oben S. 7 5 .

32

Vgl. ebd.

33

Vgl. M . DEDEKIND, Gemeinden, S. 6 0 .

34

Dafür, daß das Kirchengesetz erst 1900 veröffentlicht w u r d e , scheinen G r ü n d e der

auswärtigen Politik mitgespielt z u haben. E r s t 1 8 9 5 w u r d e der v o n H e y d t s c h e E r l a ß aus dem J a h r e 1859 aufgehoben (vgl. oben S. 3 2 ) ; diese M a ß n a h m e hatte zunächst erhebliche P r o t e s t e in der brasilianischen Öffentlichkeit hervorgerufen, weil m a n darin imperialistische T e n d e n z e n des deutschen Kaisers zu sehen glaubte. W ä r e das Gesetz schon 1 8 9 7 bekannt geworden, so w ä r e es sehr leicht mit der Aufhebung des v o n der H e y d t s c h e n Erlasses in Z u s a m m e n h a n g gebracht w o r d e n . 1 9 0 0 h ö r t e die Diskussion u m den genannten E r l a ß auf; damit w a r nun die Möglichkeit z u r Veröffentlichung gegeben.

Frage des Volkstums

205

wisse Erfolge erzielt hat. Da die Missourisynode zu dem deutschen evangelischen Kirchentum im offenen Gegensatze steht und trotz des äußeren Scheins des Deutschtums doch von wesentlich anderem als deutschem Geiste erfüllt ist, so würde ihr weiteres Vordringen nicht nur den Zusammenhang der evangelischen Deutschen in Südbrasilien mit der heimischen Kirche, sondern auch das dortige deutsche Volkstum überhaupt gefährden. Der Evangelische Oberkirchenrat hat daher den Riograndenser Gemeinden und der Synode - letzterer durch Gewährung eines jährlichen Beitrages zur Förderung von Reisepredigteinrichtungen - auch bereits materielle Hilfe zugewendet." 35 Im übrigen ist aber der Oberkirchenrat bemüht gewesen, seiner Arbeit in Brasilien jeglichen politischen Anstrich zu nehmen. So forderte er 1904 Rotermund auf, die Schriftleitung seiner Zeitung „angesichts des unseres Wissens mehr politischen als religiösen Charakter der genannten Zeitung" abzugeben 36 . Diese Haltung spricht auch aus dem Bericht Martin Braunschweigs, der die brasilianischen Gemeinden 1907 im Auftrag des Evangelischen Oberkirchenrats besuchte. Braunschweig ging darin der Frage nach, ob ein Ständiger Vertreter notwendig sei. Für ihn war klar, daß der Ständige Vertreter nur auf kirchlichem Gebiet tätig sein dürfte. Er müsse auch „etwaigen alldeutschen Träumen restlos entsagen, zum mindesten niemals, auch nicht im vertrautesten Kreise, eine Äußerung nach dieser Richtung hin sich zuschulden kommen lassen" 3 7 . Dieselbe Sorge hat Braunschweig, wenn er von Pastoren und Gemeinden spricht: „Auch die geflissentliche Hervorhebung ihres staatlich-politischen Deutschtums wäre ihnen ausdrücklich zu untersagen; denn solche Hervorkehrung schafft unnötige Reibungen mit den Landesbehörden und mit den Gemeinden, die nicht deutsch, sondern deutsch-brasilianisch sind und sein wollen. Daher wird es sich auch empfehlen, die Gemeinden in amtlichen Verfügungen und Adressen nicht als , deutsche evangelische Gemeinden' sondern als,evangelische Gemeinden deutscher Zunge' zu bezeichnen." 3 8 Und nach der Erfahrung des Ersten Weltkriegs riet Braunschweig, das Deutsche Reich solle, falls es weiterhin deutsche Schulen in Brasilien unterstützen wolle, drei Dinge beiseite lassen: „ . . . das Berechtigungswesen, die Pflege eines ausgesprochen reichsdeutschen Patriotismus, die behördliche Bevormundung." 39 Dem Grundsatz, der Arbeit in Brasilien kein politisches Kalkül zugrunde zu legen, blieb der Ev. Oberkirchenrat immer treu. Zitiert nach M. DEDEKIND, Gemeinden, S. 61. Zitiert nach E. FAUSEL, Rotermund, S. 55. 3 7 AKA, E O 2a, S. 44. 3 8 Ebd., S. 53. 3 9 Die Zukunft der deutschen evangelischen Kirche und der deutschen Schule in Brasilien (AKA, E O 1). 35 36

206

Berlin - Brasilien - Deutschtum

Zwei Beispiele mögen dies verdeutlichen. Als die Riograndenser Synode 1892 die Gründung eines Lehrer- und Predigerseminars erörterte, schrieb der deutsche Konsul an das Auswärtige Amt: „Ein Lieblingswunsch von Rotermund ist die Gründung eines Predigerseminars in Säo Leopoldo. Dies wäre nach meiner Meinung ein harter Schlag für das hiesige Deutschtum. Die hier geborenen Deutschen haben keinen deutschen Patriotismus mehr, hier geborene, erzogene und ausgebildete Geistliche können daher zur Erhaltung des hiesigen Deutschtums nichts beitragen." 4 0 Der vom Auswärtigen Amt dem Oberkirchenrat übersandte Bericht wurde zu den Akten gelegt 41 . Dasselbe geschah mit einem Bericht des deutschen Konsuls in Porto Alegre, als dieser sich 1921 dagegen wandte, daß die „werdende deutsch-evangelische Kirche in Brasilien in politischen Dingen ganz und gar brasilianisch werden müsse", und meinte, man könne „weder vom politischen noch vom kulturellen Standpunkt der kirchlichen Interessen" dem beipflichten 42 . Nach dem Ersten Weltkrieg sah sich der Ev. Oberkirchenrat mit einer neuen Entwicklung in Brasilien konfrontiert. Das Bewußtsein des Deutschtums schien dort in den Gemeinden im Schwinden begriffen. Für die Kirchenbehörde in Deutschland stellte sich nun die Frage, ob man trotz der veränderten Voraussetzungen an der geistlichen und materiellen Fürsorge festhalten solle. Als Entscheidungshilfe verfaßte Martin Braunschweig damals den Bericht über „Die Zukunft der deutschen evangelischen Kirche und der deutschen Schule in Brasilien" 43 . Braunschweig kam darin zu der Schlußfolgerung, daß der Krieg das Ende der Auslandsarbeit mit sich gebracht hätte. Die Deutsche Evangelische Kirche könne nun auf völkischem Gebiet immer weniger tun, sie müsse ihre Tätigkeit immer mehr auf die religiösen Anliegen, auf die Vertiefung und Verinnerlichung des Glaubens beschränken. In wenigen Jahren müsse sie sich sicherlich auch mit dem ausschließlich amtlichen Gebrauch der deutschen Sprache abfinden, andernfalls würde sie nicht wenige brasilianisch gesinnte Glieder an andere Kirchen verlieren. Deswegen könne es auch, nach seiner Meinung, für die preußische Landeskirche in Brasilien keine Aufgabe großen Stils mehr geben: „Denn die Landeskirche als solche hat bei ihrer Auslandsarbeit neben den evangelisch-kirchlichen Zielen stets zugleich deutsch-nationale im Auge gehabt. Die evangelisch-kirchliche Arbeit des Zu-Tode-Pflegens der deutschen evangelischen Diaspora in Brasilien könnte und müßte bei der bewußt nationalen Beschränkung der Landeskirche immer mehr freien evangelischen Vereinen (GuZitiert nach F. SCHRÖDER, Brasilien und Wittenberg, S. 214. Vgl. A. KRIEG, Altpreußische Union, S. 138. 4 2 Schreiben von Konsul Reinhardt an das Auswärtige Amt vom 8. 7. 1921 (AKA, E O lc). 4 3 A K A , E O 1. 40

41

Frage des Volkstums

207

stav-Adolf-Verein) und evangelischen Missionsgesellschaften (Barmen) überlassen werden. Denn irgendwie wird die evangelische Kirche Deutschlands, die ja etwas Anderes und Gößeres ist als die preußische Landeskirche, die evangelische Diaspora deutscher Zunge in Brasilien solange kirchlich versorgen müssen, bis diese Pflege nicht-deutschen Kirchengemeinschaften mit gutem Gewissen übergehen werden kann." Die konkreten Vorschläge, die Braunschweig gleichzeitig machte, bezogen sich alle auf Gemeinden der Mittelbrasilianischen Synode; hier sollte die Gemeinde Teofilo Ottoni nach dem Tod von Fricke den Presbyterianern überlassen werden, dasselbe sollte auch bei den Gemeinden Juiz de Fora und Campinas geschehen. Braunschweigs Ansicht entsprach, wie es scheint, der des Oberkirchenrats. Darauf läßt eine Ansprache des Geheimen Konsistorialrates Rahlwes, dem Diaspora-Auslandsreferenten des Ev. Oberkirchenrates, aus dem Jahr 1929 schließen. Rahlwes meinte dabei wohl an Dohms' Äußerungen aus den Jahren 1925 und 1927 anzuknüpfen 4 4 , man könne nicht die Gemeindeglieder verstoßen, die zu der deutschstämmigen Kirche gehören wollten, auch wenn sie kaum noch des Deutschen mächtig wären. Wenn sich aber die Frage stelle, ob sich das „deutsch-evangelische Kirchentum drüben" zweisprachig gestalten solle, so könne er darauf „ n u r mit einem glatten Nein" antworten. „Unsere Heimatkirche hat da drüben eine Aufgabe, nur so lange in den Gotteshäusern die deutsche Muttersprache gesprochen wird. Fangen wir an portugiesisch oder spanisch zu sprechen, sind wir nicht mehr die, die wir waren. Geist und Sprache gehören zusammen." 4 5 Noch - oder besser gesagt - gerade im Jahre 1934 vertrat der Ev. Oberkirchenrat noch immer diese Ansicht. Den Gemeinden der Mittelbrasilianischen Synode erlaubte er den Gebrauch der Landessprache nur da, „ w o es unumgänglich erscheint" unter der Ermahnung, die einem Gebot gleichkam, daß „die Pflege des Deutschtums trotzdem eine unumgängliche Notwendigkeit [bleibt]." 46 Der Deutsche Evangelische Kirchenbund Eine gewisse Kontinuität in der Frage des Deutschtums war mit der Unterstellung der Riograndenser Synode und der Lutherischen Synode unter 44

Vgl. o b e n S . 111. Ferdinand Rahlwes, geb. 19. 10. 1864 in Mettlach/Saar, gest. 14. 6. 1947 in Meiningen, 1919 Propst von St. Petri in Berlin, Geh. Konsistorialrat und Mitglied des E O K , 1927-1930 Geistl. Vizepräsident des E O K , 1930-1932 Propst von St. Petri. 45 Die deutschen evangelischen Gemeinden und Kirchen in Südamerika (DIE EVANGELISCHE D I A S P O R A 1 1 , 1 9 2 9 , S . 2 6 3 ) . 46

Schreiben Besigs an Hoepffner vom 21. 3. 1934 (AKA, E O 1).

208

Berlin - Brasilien - Deutschtum

den Kirchenbund dadurch gegeben, daß der Präsident des Deutschen Ev. Kirchenausschusses gleichzeitig Präsident des Ev. Oberkirchenrats war. Der Kirchenausschuß ist älter als der Kirchenbund. Von 1903 bis 1922 ist er ein Organ der Deutschen Evangelischen Kirchenkonferenz (Eisenacher Konferenz) gewesen. Von 1922 bis 1933 war er - in veränderter Gestalt ein Organ des Deutschen Ev. Kirchenbundes 4 7 . Bereits 1904 bekundete der Kirchenausschuß in einer Denkschrift sein Interesse an der deutschen evangelischen Diaspora. Daß damals der Begriff der ausländischen Diaspora auf die evangelischen Reichsdeutschen bzw. Landsleute beschränkt worden war, rief heftige Proteste des Lutherischen Gotteskastens in Deutschland hervor, der in dieser Denkschrift eine zu starke Betonung des nationalen Gedankens sah 4 8 . Die Beurteilung des Lutherischen Gotteskastens ist wohl überspitzt und auch charakteristisch für diese Vereinigung 49 , sie zeigt aber, daß das Anliegen des Kirchenausschusses hauptsächlich darin bestand, mit den Auslandsgemeinden „eine Gemeinschaft der großen Heilsgüter in der Gnade Gottes in Christo" zu pflegen, die gleichzeitig „eine Gemeinschaft der besonderen G ü t e r " sein soll, „die unserem deutschen evangelischen Volk gegeben und befohlen sind, eine Gemeinschaft, welche in dem Ewigen das Zeitliche als Gabe und Aufgabe erkennt, nämlich die Pflege und Erbauung der Liebe zu unserer angestammten Heimat, ihrer Sprache und ihrer Sitte mit all den Schätzen, die hier niedergelegt sind" 5 0 . Die Sorge um die Erhaltung des Deutschtums blieb, wie schon beim Oberkirchenrat, auch dem Kirchenausschuß ein ständiges Anliegen. Bei der dem Kirchentag zu Bethel 1924 vorgelegten „Begründung zum Kirchenbundesgesetz betreffend den Anschluß deutscher evangelischer Kirchengemeinschaften, Gemeinden und Geistlichen außerhalb Deutschlands an den Kirchenbund" 5 1 , dessen Verkündung „aus kirchlichen und nationalen Gründen" baldmöglichst geschehen sollte 5 2 , wurde deshalb auch festgehalten, was unter ,,deutsche[m] Charakter" einer Gemeinde zu verstehen sei: „Voraussetzung für den deutschen Charakter einer Gemeinde ist, daß sie sich im wesentlichen aus Gliedern deutscher Muttersprache zusammensetzt, und die Gottesdienste und Amtshandlungen mindestens der Regel nach in deutscher Sprache stattfinden." 5 3 Auf dem 4 7 Zum Kirchenausschuß vgl. H . SCHOLZ, Kirchenausschuß (RGG 1 III, Sp. 1188-1198); B. KARNATZ, Kirchenausschuß (RGG 3 III, Sp. 1341). 48

V g l . DEUTSCH-EVANGELISCH 5 , 1 9 0 6 , S. 1 0 3 .

49

Vgl. oben S. 167f. Schreiben des Vorsitzenden des Kirchenausschusses, Moeller, an die deutschen ev.

50

G e m e i n d e n i m A u s l a n d ( D I E EVANGELISCHE DIASPORA 2 , 1 9 2 0 / 2 1 , S. 3 3 ) . 51 52 53

Text bei J. HOSEMANN, Kirchenbund, S. 114-126. Ebd., S. 126. Ebd., S. 118.

Frage des Volkstums

209

Kirchentag in Nürnberg 1930 bezeichnete Kapler als vorrangige Aufgabe der Pastoren, daß sie „zuerst und über alles" Träger der Verkündigung sein sollten; darüber hinaus verlangte er von ihnen, sie sollten im Ausland Repräsentanten des deutschen Protestantismus und des Deutschtums sein 54 . Wie grundsätzlich der Gedanke der Erhaltung des Deutschtums bei der Auslandsarbeit des Kirchenbundes gewesen ist, wurde bereits deutlich bei der Darstellung der Verhandlungen über den Anschluß der Lutherischen Synode 55 . Interessant ist es aber zu beobachten, wie freudig der Anschluß der Synoden in Deutschland aufgenommen wurde. Auf dem Kirchentag in Nürnberg begrüßte Reichsgerichtspräsident Simons den Anschluß der Riograndenser Synode als „weltpolitisch bedeutsame Angliederung" 56 , und in der „Evangelischen Diaspora" meinte Fritz Bliedner:,,Durch den Anschluß an den Kirchenbund und die darin garantierte enge Verbindung mit der alten Heimat wird jedenfalls der drohenden Uberwucherung durch das fremde Volkstum ein Damm entgegengesetzt." 5 7 Trotz des offensichtlichen Interesses an der Erhaltung des Deutschtums in den Gemeinden betonte Kapler in seinen Briefen an die Auslandsgeistlichen immer wieder, daß jede Politisierung von der Gemeinde fernzuhalten sei und daß gerade diese sich vor der Veröffentlichung politischer Äußerungen hüten sollten. Daß er dennoch die Ansicht vertreten konnte, gegen die Abhaltung von Feiern am Volkstrauertag und das Begehen der Verfassungsfeiern bestünden keine „kirchlichen Bedenken", empfand er jedenfalls nicht als Widerspruch. Er rechtfertigte seine Großzügigkeit damit, daß gerade an diesen Tagen die Gelegenheit gegeben sei, die im Laufe des Kirchenjahres und in den Perikopen „so selten hervortauchenden Texte des Evangeliums über die Stellung zu Volk und Vaterland, Ordnung und Recht zum Gegenstand der Verkündigung zu machen" 5 8 . Es ist nicht bekannt, mit welchem Aufwand die Verfassungsfeierlichkeiten in Brasilien begangen wurden, in Rio de Janeiro jedenfalls fand an diesem Tag ein Gottesdienst statt 59 . Einen Schritt weiter aber ging Kapler, als er sich im April 1933 an die Auslandsgeistlichen wandte und ihnen anheimstellte, am Ostermontag in einer Fürbitte des Geburtstages des

54

D E R D E U T S C H E EVANGELISCHE K I R C H E N B U N D IN DEN J A H R E N 1 9 2 7 - 3 0 , S . 3 2 .

Vgl. dazu oben S. 167f. Vgl. Anm. 54, dort S. X I X . 5 7 Lage, S. 43. 5 8 Schreiben vom 18. 3. 1930 (AKA, C VI Beiheft I). 5 9 Vgl. Predigt von Pfr. Hoepffner am Tag der Verfassung der Weimarer Republik über Jer. 22, 29 (GEMEINDEBLATT 3, Nr. 23 vom September 1931, S. 1-5). Es gibt keinen Nachweis, daß solche Feierlichkeiten in anderen Gemeinden auch begangen wurden. Rio de Janeiro war eine deutsche evangelische Auslandsgemeinde mit reichsdeutschen Mitgliedern. 55 56

14

Dreher, Brasilien

Berlin - Brasilien - Deutschtum

210

Reichskanzlers Adolf Hitler zu gedenken; diesem Schreiben war gleichzeitig ein Entwurf für die Fürbitte beigelegt 6 0 . Das Kirchliche Außenamt Während der kurzen Zeit, in der das Kirchliche Außenamt die Aufsicht über die brasilianischen Gemeinden und Synoden übernommen hatte, richtete sich sein Leiter, Bischof Heckel, nach den bereits vom Ev. Oberkirchenrat und dem Kirchenbund angewandten Prinzipien kirchlicher Auslandsarbeit. Die von Deutschland aus nun intensiver betriebene Versorgung der Auslandskirchen bedeutete gleichzeitig deren Festlegung auf die deutschtumserhaltende Position. Dennoch war es für das Kirchliche Außenamt unmöglich, diese Grundsätze konsequent zu verfolgen; dies verhinderte zum einen die Nationalisierungspolitik der Brasilianer, zum anderen war ab 1939 kaum noch an eine kontinuierliche Arbeit zu denken. Dennoch blieb der politische Umschwung des Jahres 1933 natürlich nicht ohne Auswirkungen auf die Ausrichtung der kirchlichen Auslandsarbeit. In seinem 1935 veröffentlichten Aufsatz „ N e u e Ziele", in dem er die Intentionen seiner „kirchlichen Außenpolitik" darstellt, meinte Heckel: „ W a s die konkreten kirchlichen Gestaltungsformen angeht, so wird es eine Zukunftsaufgabe sein, die Koordination und Kooperation des deutschen Weltprotestantismus zu erreichen. J e kräftiger die völkischen Bewegungen sich Raum schaffen, um so ernsthafter müssen die überstaatlichen kirchlichen Beziehungen gestaltet w e r d e n . " 6 1 Und in seinem Grußwort an die Auslandsgeistlichen, Kirchen, Synoden und Gemeinden anläßlich seiner Ernennung zum Leiter des Kirchlichen Außenamtes betonte er: „Aus der Erkenntnis der besonderen Lage der deutschen evangelischen Kirchen und Gemeinden im Ausland werde ich gewissenhaft wahren, was sich als segensreich erwiesen hat; ich bin aber auch entschlossen, planvoll die lebendige Verbindung der Gemeinden und Geistlichen unter sich und mit der Heimatkirche nach Kräften zu stärken." 6 2 Zum Leidwesen der brasilianischen Gemeinden und Synoden ging Heckel aber über die rein kirchlichen Angelegenheiten bald hinaus; eine Reihe von Briefen 6 0 Schreiben vom 11. 4. 1933 ( A K A , C VI Beiheft I). Kaplers Brief wird aber die Geistlichen in Brasilien nicht rechtzeitig erreicht haben, denn 1933 fiel der Ostermontag auf den 17. April. D e r Entwurf der genannten Fürbitte hat folgenden Wortlaut: „ H e r r , allmächtiger Gott, der D u lenkst die Völker nach Deinem Rat, behüte in Gnaden das Deutsche Reich. Segne den Reichspräsidenten. Laß Deinem Schutz und Schirm den Kanzler des Deutschen Reiches befohlen sein. Rüste ihn in seinem neuen Lebensjahr aus mit Kraft aus der H ö h e . Hilf ihm die Bürde der Verantwortung im Regiment tragen und lege Deinen Segen auf das schwere Werk der Wiederaufrichtung unseres Vaterlandes zum Wohle des ganzen Volkes und zur Ehre Deines N a m e n s . " 61

S. 20.

62

D I E EVANGELISCHE DIASPORA 1 6 , 1 9 3 4 , S . 1 0 7 .

Frage des Volkstums

211

belegt dies. Nach dem Tod des Reichspräsidenten von Hindenburg veranlaßte er die Geistlichen in Brasilien, Trauergottesdienste abzuhalten 63 ; diese wurden nach Heckeis Anordnung im Einvernehmen mit der Vertretung des Deutschen Reiches und der Ortsleitung der NSDAP gestaltet. In Porto Alegre predigte Propst Funcke dabei etwa über Psalm 89, 20b. 22-25.27 64 . Als es im Januar 1935 zur Saarabstimmung kam, ordnete Heckel an, in den Gottesdiensten den Gemeinden die Bedeutung der Saarabstimmung klar zu machen und in das Kirchengebet eine besondere Fürbitte für die Saardeutschen einzufügen 65 . Als das Saargebiet am 1. März 1935 wieder der Verwaltung des Deutschen Reiches unterstellt wurde, befahl Heckel erneut, dieses politische Ereignis mit kirchlichen Feiern zu begehen 66 . Noch problematischer wurde es aber, als er die Geistlichen verpflichtete, jährlich des Geburtstages des Führers in der Predigt und im Kirchengebet zu gedenken 67 ; ähnliche Anordnungen ergingen auch zur Feier des „Tages der nationalen Arbeit" am 1. Mai 68 , zur Feier des Erntedanktages, dem „Festtag der Kirche und des gesamtdeutschen Volkes" 69 und zum Gedenken des „nationalen Feiertages am 30. Januar" 7 0 . Zu all diesen Gelegenheiten sollten die Gottesdienste ebenfalls im Einvernehmen „mit den Vertretungen des Deutschen Reiches, der NSDAP und den sonstigen deutschen örtlichen Organisationen gehalten werden". Bei allen diesen Anordnungen wollte Heckel offensichtlich nicht sehen, daß die Gemeindeglieder in ihrer überwiegenden Mehrheit Angehörige fremder Staaten waren 71 ; für seine Konzeption kirchlicher Diasporabetreuung blieb ausschlaggebend, daß diese Gemeinden eben deutscher Herkunft waren. Schreiben Funckes v o m 10. 8. 1934 ( A K A , C VI Beiheft I). Ebd. 6 5 Schreiben vom 7. 1. 1935 (ebd.). 6 6 Schreiben vom 1 1 . 2 . 1935 (ebd.). 6 7 Schreiben vom 13. 4. 1935 und vom 10. 3. 1939 (ebd.): „ A m 20. April d. Js. begeht der Führer seinen 50. Geburtstag. Wenn es schon in den vergangenen Jahren in den Reihen der deutschen evangelischen Auslanddiaspora selbstverständlich war, des Führers an diesem Tage in besonderer Fürbitte zu gedenken, so möchte ich nicht verfehlen, die deutschen evangelischen Auslandspfarrer ganz besonders in diesem Jahre daraufhinzuweisen, sofern nicht besondere Festgottesdienste am 20. April selber üblich sind, es jedenfalls selbstverständlich ist, daß in den Gottesdiensten am 16. oder in besonderen Fällen am 23. April des Geburtstages des Führers in Predigt und Kirchengebet besonders gedacht wird." 63

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Schreiben vom 13. 4. 1935 (ebd.). Schreiben vom 23. 9. 1935 (ebd.). 7 0 Schreiben vom 25. 1. 1936 (ebd.). 7 1 Typisch ist, daß er „dem Führer der Deutschen" zu seinem 50. Geburtstag „namens der deutschen evangelischen Auslandsdiaspora . . . als Geburtstagsgabe der deutschen evangelischen Auslandsgemeinden eine kunstvoll gearbeitete Bildmappe mit über 50 besonders eindrucksvollen Abbildungen aus dem Gesamtbereich der deutschen evangelischen Diasporaarbeit in aller Welt" darbrachte (Schreiben v o m 12. 6. 1939; ebd.). 68

69

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Berlin - Brasilien - Deutschtum

Die Aussendung der Geistlichen, in denen Heckel „Diener der Kirche und Hüter der Seele des Volkes" sah, deren geistliches Amt „ein Amt der Kirche und ein Volksamt" war 72 - wobei hier Volk und Nation nicht identisch sind - , geschah unter ausdrücklichem Hinweis darauf, daß sie auch der,,Erneuerung und Stärkung völkischer Kraft" 7 3 dienten. Auch in den von Heckel im Februar 1935 angeordneten „Kirchenführerkonferenzen", die die Zusammenarbeit der Synoden in Südamerika fördern sollten, erhielt die Frage der Volkstumsarbeit zentrale Bedeutung. Zweck solcher Konferenzen war „die gegenseitige Information und Beratung über die grundsätzlichen Aufgaben kirchlicher und volkstumsmäßiger Arbeit" 7 4 . Der von Heckel mit der Leitung der ersten Kirchenführerkonferenz beauftragte Propst Funcke nannte als Gesamtthema aller Führerkonferenzen.· „ D i e grundsätzlichen Richtlinien unserer kirchlichen Arbeit auf dem Boden des deutschen Volkstums in Südamerika" und stellte die Konferenz des Jahres 1935 unter das Thema: „Weckung lebensvoller christlicher und völkischer Gemeinschaft auf dem Boden der deutschen evangelischen Kirchengemeinden in Südamerika". Von den neun auf der Konferenz gehaltenen Referaten beschäftigten sich allein fünf mit der Frage des Volkstums 75 . Mit der Schließung des Ilsenburger Seminars wurde die Betreuung der Theologiestudenten, die sich auf das Auslandspfarramt vorbereiteten, mehr und mehr zu einem Politikum. Für die aus Brasilien stammenden Studenten wurden besondere Richtlinien erlassen; danach mußten sie deutscher Abstammung sein und dies auch mit einem Ahnenpaß beweisen, in dem der Stammbaum bis zu den Großeltern zurückverfolgt wurde 7 6 . Neue Ziele, S. 5. Schreiben an Vikar Hermann Waidner vom 26. 5. 1934 ( L K R MÜNCHEN, L K R XIII 1560b-2452). 7 4 Schreiben vom 9.2.1935 an Funcke, Marczynski, Hoepffner, Scheerer, Schlünzen und Dietschi (AKA, C VII 3). 7 5 Schreiben Funckes vom 5 . 4 . 1935 (ebd.): „ N e u e Wege zum Aufbau lebendiger christlich-völkischer Brudergemeinschaft in den nichtkultischen Vereinigungen, Versammlungen und Bestrebungen unseres kirchlichen Lebens (Jugendwerk, Frauenhilfe, Weltanschauungsabende usw.)". „ D i e Bedeutung der politischen Erneuerung Deutschlands für die völkische Betätigung der deutschen evangelischen Kirchen in Südamerika." „ D i e politischen Verhältnisse in den Heimatstaaten des evangelischen Deutschtums von Südamerika und deren konfessionspolitische, volkstumspolitische und kulturpolitische Auswirkung auf das Leben und Wirken unserer Kirchen." „Ausbau der völkischen Arbeitsgemeinschaft zwischen der deutschen evangelischen Kirche und der deutschen Schule in Südamerika unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Schulen evangelischen Gepräges." „ D i e deutsche evangelische Kirche als Trägerin der deutschen Sprache im Deutschtum Südamerikas und die Grundsätze unserer Kirchen für die ausnahmsweise zu gestattende Verwendung der romanischen Landessprachen im kirchlichen Leben." 72

73

7 6 Vgl. Richtlinien für die Ausbildung von Absolventen des Proseminars in Säo Leopoldo zu Auslandsgeistlichen (AKA, C VI le, Beiheft I).

Frage des Volkstums

213

An den Universitäten Göttingen und Tübingen wurden die Professoren Johannes Hempel und Friedrich Baumgärtel und ein von Professor Karl Fezer bestimmter Repetent mit der Betreuung der Studenten beauftragt. An beiden Universitäten wurden den Stipendiaten Veranstaltungen angeboten, die sich mit Fragen wie „Die theologische Frage nach dem Volk", „Das Verhältnis von Volk und Kirche" und „Volk und Kirche beim Außendeutschtum" beschäftigten 77 . Wie in Ilsenburg, so scheint die Bekennende Kirche auch in Göttingen unter den Stipendiaten Einfluß gewonnen zu haben, denn im Oktober 1937 meldete der Dekan der Theologischen Fakultät, Emanuel Hirsch, die Abmeldung von sechs Theologiestudenten, was „ganz zweifelsohne auf einen Druck der Bekennenden Kirche zurückgeht" 78 . Um den Kontakt zu den Stipendiaten intensiver zu gestalten, veranstaltete das Kirchliche Außenamt in den Jahren 1937 und 1938 zwei Tagungen auf dem Hainstein, einem Kurort bei Eisenach 79 . Auf beiden Tagungen standen Themen über das Volkstum im Mittelpunkt 80 . Bei der Betreuung der brasilianischen Stipendiaten des Außenamtes muß noch auf die versuchte Zusammenarbeit mit dem Deutschbrasilianischen Arbeitskreis hingewiesen werden. Dieser Kreis, der auf eine Anregung Erich Fausels zurückging, war die Vereinigung der deutschbrasilianischen Studenten in Deutschland. Als Programmpunkte der Organisation wurden im ersten Rundbrief genannt: „1. Alle Deutschbrasilianer, die im Reich sind, ganz gleich, was sie hier betreiben, zu einer Mannschaft, die politisch und einheitlich ausgerichtet ist, zusammenzuschweißen. 2. Die Vorbereitung auf unseren Einsatz in unserer Heimat vornehmen" 8 1 . Außerdem sollte sich der Kreis damit befassen, „Richtlinien für die spätere Arbeit am Volkstum drüben zu suchen" 8 2 . Zu den alljährlich stattfindenden Tagungen des Arbeitskreises sandte das Kirchliche Außenamt seine Stipendiaten83 und lud seinerseits den Leiter des Arbeitskreises zu Tagungen des kirchlichen Außenamtes auf dem Hainstein ein 8 4 . Da der Arbeitskreis zunehmend in nationalsozialistisches Fahrwasser geriet, blieben ihm die in Ilsenburg stuSchreiben Appenzelle™ vom 22. 2. 1937 (ebd., Beiheft III). Schreiben vom 19. 10. 1937 (ebd., Beiheft II). 7 9 Vermerk Heckeis vom 14. 6. 1937 (ebd., Beiheft IV); Schreiben Schröders an Stipendiaten vom 16. 5. 1938 (ebd.). 8 0 1939 wurden allein sechs Stunden für den von Eugen Qerstenmaier gehaltenen Vortrag „Theologische Grundfragen der gegenwärtigen Volksdeutschen kirchlichen Arbeit" verwendet! 8 1 Vom 1. 6. 1935, S. 2. 8 2 Rundbrief Nr. 3 vom 1. 10. 1935, S. 3. 8 3 1937 waren es 13 Stipendiaten (RUNDBRIEF, Sondernummer zur 3. Jahrestagung in 77

78

B e n n e c k e n s t e i n , 1 9 . - 2 2 . 5 . 1 9 3 7 , S. 5 ) . 84

IV).

Schreiben Hunsches an das Kirchl. Außenamt vom 4. 9. 1937 (AKA, C VI le Beiheft

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Berlin - Brasilien - Deutschtum

dierenden Deutschbrasilianer völlig fern. 1938 erfolgte der Bruch der Stipendiaten des Kirchlichen Außenamts mit dem Arbeitskreis, mit der Begründung, daß „die Abhängigkeit von gewissen Instanzen" den Kreis ,,in steigendem Maße zur Aufnahme reichsgebundener Erscheinungen und Tendenzen" geführt habe 85 . Als es nach dem Zweiten Weltkrieg wieder möglich war, Verbindungen mit den deutschstämmigen Gemeinden im Ausland aufzunehmen, schrieb der neue Leiter des Kirchlichen Außenamtes, Martin Niemöller: „Neben der Verkündigung, daß Jesus Christus der Herr sei, darf gleichberechtigt nichts anderes stehen. Wir haben in der Vergangenheit je und dann unsere Aufgabe so aufgefaßt, daß wir deutsche Kultur und deutsches Volkstum zu pflegen und zu erhalten hätten. Die Meinung fand gelegentlich ihren Ausdruck darin, daß wir die Worte deutsch und evangelisch mit einem Bindestrich gleichwertig nebeneinander stellten, woraus dann oftmals eine Uberordnung des ,deutsch' über das ,evangelisch' wurde. Dieser Auffassung unserer Aufgabe müssen wir entschlossen den Abschied geben. Darum möchte ich in Zukunft von den uns angeschlossenen Gemeinden im Ausland lieber als von evangelischen Gemeinden deutscher Herkunft oder deutscher Zunge sprechen. Unsere abendländischen Kulturgüter deutscher Prägung, unser Volkstum, in dem die Wurzeln unseres Wesens ruhen, unsere Verbundenheit mit Glück und Unglück, mit Leistung und Schuld unseres Volkes sind wahrlich keine Größen geringen Wertes. Aber sie dürfen nicht gleichberechtigt neben die Herrschaft Jesu Christi treten. Dann wird alles falsch. Dann werden sie zu Götzen, die das Leben zerstören. Die Ruinen unserer Städte, der sittliche Zerfall unseres Volkes und die Verelendung der deutschen Menschen geben uns einen schrecklichen Anschauungsunterricht dafür. Aber wenn wir am ersten nach der Königsherrschaft Gottes in Jesus Christus trachten, nach Matth. 6, 33 wird uns solches alles, wozu auch Kultur und Volkstum gehört, als eine Gabe zufallen. - Meine Brüder, lassen Sie uns gerade an diesem Punkt einer ganz tiefen Neubesinnung Raum geben, in der wir die Verkehrtheiten unserer Vergangenheit als Schuld erkennen und aus der Vergebung Gottes einen neuen Anfang persönlichen und amtlichen Lebens gewinnen." 86 Damit waren auch von der sich nach dem Kriege neu bildenden Evangelischen Kirche in Deutschland neue, wegweisende Worte für die evangelischen Gemeinden deutscher Herkunft in Brasilien gegeben. Der Geist, der aus diesen Worten sprach, war für die brasilianischen Theologiestudenten, die in den dreißiger Jahren in Deutschland studiert 85

Schreiben stud, theol. Karl Gottschalds an Heckel vom 15.8. 1939; ähnlich wird in einem Schreiben von stud, theol. Wilhelm Leymann vom 8. 8. 1938 argumentiert (AKA, C VI le). 86 Schreiben vom 30. 1. 1948, Tgb. N r . 1683.

„Fall Schlieper"

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hatten, nicht neu. Ihre Erfahrungen, die sie während des Kirchenkampfes gemacht hatten, sollten sich auch auf den Neubeginn der kirchlichen Arbeit nach Kriegsende auswirken. Dies zeigt besonders deutlich der „Fall Schlieper", der in zweierlei Hinsicht beispielhaft ist. E r zeigt einmal, auf welche Weise die theologische Neuorientierung, die der Kirchenkampf provozierte, auch die kirchenpolitische Diskussion in Brasilien beeinflußte, und wie andererseits das Kirchliche Außenamt unter Bischof Heckel dies zu verhindern suchte.

3. Der „Fall Schlieper" Ernst Schlieper, der spätere Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien, wurde am 30. Mai 1909 in Taquara im Staate Rio Grande do Sul geboren. Sein Vater war bereits 1892 als Pfarrer nach Brasilien ausgesandt worden, wo er bis zu seinem Tode im Jahre 1919 tätig war, seine Mutter war die Tochter eines Pfarrers, der schon 1870 nach Brasilien gekommen war. Durch den frühen Tod des Vaters schien es ihm vorerst unmöglich, irgendein Studium zu absolvieren. Auf Drängen Dohms' ging Schlieper zunächst für ein Jahr nach Cachoeira, wo Dohms 1921 das Evangelische Proseminar gegründet hatte. Schliepers Erfahrungen in dieser neuen Welt bedeuteten einen Wendepunkt in seinem Leben. Er berichtete darüber: „ E s war eine neue Welt, die sich mir hier auftat, vor allem in der Erlernung der alten Sprachen. Zum erstenmal auch kam in mein Leben die Erkenntnis, daß das Deutschtum in Brasilien, was mir bis dahin kein Problem war, eine Art Lebensaufgabe sei. Daß wir etwas anderes seien als die Reichsdeutschen, deren etwas überhebliche Vertreter uns immer wieder zur Abgrenzung von ihnen nötigten, war uns klar. Hier aber erfuhren wir täglich bewußter, wie sehr wir von der K o n tinuität des Deutschen in uns lebten, und damit erlebten wir uns selbst als etwas Eigenes auch gegenüber den anderen Brasilianern, mit denen uns doch die gemeinsame Heimat verband. Mit den einen verband uns, in heutiger Terminologie gesagt, das Blut, mit den anderen der Boden. Mag auch die Antwort, die wir damals auf die Frage nach unserer Existenz suchten und fanden, eine auf die Dauer nicht ganz befriedigende gewesen sein, weil sie nur von unserer Abgrenzung von den beiden Extremen her lebte, so bleibt es doch die große Bedeutung jener Zeit für mich, daß diese Frage überhaupt lebendig war und ernst genommen w u r d e . " 8 7 Nach Ablauf des ersten Jahres in Cachoeira hatte Schlieper zwar den Wunsch, weiter dort

87

Diese und andere Angaben stammen aus dem „Lebenslauf von cand. min. Ernst

Schlieper aus Taquara, Rio Grande do Sul, Brasilien. Gütersloh i. W e s t . " ( A K A , Schlieper N r . 77).

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zu studieren; der Entschluß, ein Theologiestudium zu absolvieren, reifte aber erst im Laufe der nächsten drei Jahre heran. 1936, als er seinen Lebenslauf schrieb, meinte Schlieper rückblickend über seine damalige Motivation: „Ich war bereit, Pfarrer zu werden. Freilich erscheinen mir heute die Gründe zu der damaligen Entscheidung durchaus nicht tragfähig. Was mich dazu bewog, war einzig und allein das Interesse am Deutschtum. Ich wollte Pfarrer werden, weil ich in diesem Beruf am besten für die Erhaltung des Deutschtums in Brasilien später wirken zu können glaubte. Die Erhaltung des Volkstums schien mir die Hauptaufgabe der Kirche in Rio Grande do Sul zu sein." 1927 kam Schlieper nach Deutschland und blieb bis Ostern 1929 in Gütersloh, wo er seine Reifeprüfung bestand. Danach siedelte er für vier Semester nach Marburg über. Dort entfernte er sich innerlich immer mehr der Theologie und dachte daran, auf sie als Hauptfach zu verzichten. Aber mit dem Ortswechsel 1931 nach Bonn sollte sein Denken nochmals in einer anderen Richtung beeinflußt werden: „Wenn es anders kam und ich nun doch mit ganzem Herzen Theologe geworden bin, so verdanke ich das äußerlich der Tatsache, daß ich 1931 von Marburg nach Bonn ging und dort, trotz meiner ablehnenden Einstellung gegenüber der für meine von Marburg mitgebrachten Begriffe unwissenschaftlichen dialektischen Theologie, doch gerade im Hörsaal von Barth zum erstenmal erfuhr und darauf zu hören lernte, was die eigentliche und eigene Sache der Theologie sei. Von da an wurde ich, solange ich in Bonn blieb, Mitglied in Barths Seminaren und Sozietäten. Darin ging es nicht nur um objektive Erforschungen des Gegenstandes der Theologie, diese Arbeit wurde geleistet und geschah mit wachsender innerer Freude, aber zugleich ging es immer um die Entscheidungsfrage, die dieser Gegenstand, aufhörend Gegenstand zu sein, an den einzelnen stellte. Die Frage der Berufung wurde ernst genommen, aber auch der kirchliche Auftrag. Wir lernten kirchlich denken. Es wäre unmöglich gewesen, mit der früheren Begründung, um des Deutschtums willen, bei dem Entschluß zu bleiben, Pfarrer zu werden. Aber nun blieb ich erst recht bei diesem Entschluß oder fand vielmehr erneut zu ihm, und die jetzige Entscheidung war frei von unsachlichen Bewegsgründen, ich fand zur Theologie um ihrer selbst willen. Es war nicht ein einmaliger Entschluß, sondern so, daß ich von ihrer Sache nicht mehr los kam." Danach ging Schlieper nochmals, im Jahr 1932, für ein Semester nach Tübingen, um bald wieder nach Bonn zu kommen. Im Herbst 1933 legt er dann das erste theologische Examen in Koblenz ab. Der Kirchenkampf war inzwischen ausgebrochen, und Schlieper entzog sich ihm nicht: „Bei dem inzwischen entstandenen ,Kirchenstreit' war es mir von vornherein nicht zweifelhaft, daß es sich um den Ausbruch einer latent schon lange vorhandenen Überfremdung der evangelischen Kirche in ihrer Lehre handle. Daß diese nun sichtbar wurde, und der Ge-

„Fall Schlieper"

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gensatz, wie es schien, ausgetragen werden sollte, konnte ich niemals für bedauernswert halten. Eine diesem Ringen rein zuschauende Haltung, oder das noch einfachere sog. ,Uber den Grenzen stehen' konnte ich nur für eine unerlaubte Flucht aus der Verantwortung in die private Sphäre und damit für unkirchlich halten, weil es sich bei dem Gegensatz dieser .Gruppen' eben nicht um zwei Gruppen innerhalb desselben Nenners, sondern um das Entweder-oder von Kirche und Nichtkirche handelte, und darum eine Vereinigung zwischen beiden, auf Kosten der Wahrheit nicht gewünscht werden durfte um der Kirche willen. Ich konnte mich auch nicht etwa darum, weil ich der Riograndenser Synode angehörte und in ihren Dienst einzutreten gedachte, einer Entscheidung für enthoben halten. Denn abgesehen davon, daß ich mich für die Dauer meiner Abwesenheit von der Riograndenser Synode nicht von der Gliedschaft zur Kirche für beurlaubt halten konnte und mich darum zur Deutschen Evangelischen Kirche zugehörig weiß, in der ich lebe, war und bin ich der Überzeugung, daß die in der D.E.K, entstandenen Kämpfe eine Frage an meine Heimatkirche zu stellen und damit eine Bedeutung für sie hätten. Freilich ist die Situation meiner Heimatkirche eine andere als die der D.E.K, und darum eine einfache Übertragung der hier ausgebrochenen Gegensätze nach dort sinnlos. Worauf es mir jedoch anzukommen schien, und in diesem Sinne habe ich gewirkt, war dies: Daß meine Heimatkirche ein Verständnis für diesen Kampf in der D.E.K, gewinne, daß sie ihn als kirchlichen Kampf um die Existenz der Kirche sehen lerne. Wie die Kämpfe in der D.E.K, zwar durch das politische Geschehen 1933 akute Auslösung fanden, begründet aber in einer seit langem vorhandenen Überfremdung der kirchlichen Lehre waren, so mußte die Riograndenser Synode, wenn sie das Geschehen in der Mutterkirche richtig, d.h. kirchlich verstand, sich zumindest vor die Frage gestellt sehen, ob nicht auch sie, deren Leben gerade hinsichtlich der Lehre auf das engste mit der Mutterkirche verbunden ist, allen Anlaß hätte, sich auf die kirchliche Lehre zu besinnen, um ihre Reinheit sich zu bemühen, von ihr aus all ihr Leben bestimmt sein lassen. Diese Bedeutung des Kirchenkampfes für die Riograndenser Synode bedeutet keineswegs eine fruchtlose Übertragung der Gegensätze von hier nach dort. Ich kann mich darum dem Gedanken nicht anschließen, daß es im deutschen Kirchenkampf um Fragen ginge, die die Riograndenser Synode unmittelbar nichts angingen, wodurch die Wahrheitsfrage zur Machtfrage würde. Vielmehr stand und stehe ich nicht auf dem Standpunkte, daß die Riograndenser Synode Recht oder Pflicht hätte, Entscheidungen hinsichtlich der Lehre, die in ihr gelten soll, der D.E.K, zu überlassen, bzw. von dieser getroffenen Entscheidungen einfach zu übernehmen." Schlieper stand also im Kirchenkampf innerlich ganz auf Seite der Bekennenden Kirche. Nicht festzustellen ist aber, warum er kurz nach seinem ersten Examen aufgrund einer Verfügung des Ev. Oberkirchenra-

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tes der Altpreußischen Union vom Konsistorium der Rheinprovinz nach Ilsenburg geschickt wurde, um dort am Auslandsseminar „die Arbeit eines Adjudanten zu übernehmen". Er selbst schweigt darüber in seinem Lebenslauf. Sein Aufenthalt im Auslandsseminar dauerte nur kurze Zeit, denn wegen einer Erkrankung mußte er schon Ende 1934 diese Tätigkeit aufgeben. Wegen der veränderten kirchlichen Lage wandte sich Schlieper nun an den preußischen Bruderrat und ließ sich dem westfälischen Bruderrat überweisen. In Westfalen trat er Ostern 1935 den Kirchendienst an; ein Jahr später bestand er sein zweites Examen in Bethel vor der Prüfungskommission der Westfälischen Bekenntnissynode unter dem Vorsitz von Präses K o c h 8 8 . Nachdem er das zweite Examen abgelegt hatte, war Schlieper für seine Abreise nach Brasilien gerüstet. N u n war aber die rechtliche Lage so, daß die Aussendung von Pfarrern für die Riograndenser Synode durch das Kirchliche Außenamt erfolgte, das zugleich die oberste Aufsichtsbehörde der nach Brasilien entsandten Pastoren war und als solche von der Riograndenser Synode anerkannt wurde 8 9 ; wegen seiner Bindung an die Bekennende Kirche war es für Schlieper aber unmöglich, das Kirchliche Außenamt als seine Aufsichtsbehörde anzuerkennen. Schlieper gab nun am 13. April 1936 dem Kirchlichen Außenamt „ z u r Kenntnis", daß er sein zweites theologisches Examen vor der Bekenntnissynode Westfalens abgelegt hatte, und bat zugleich „ u m Mitteilung, zu welchem Termin" er „ m i t der Ausreise zu rechnen habe" 9 0 . Gleiches teilte er Präses Dohms mit und bat ihn, beim Kirchlichen Außenamt um seine Aussendung nachzusuchen. Weiter schrieb Schlieper an Dohms, er fürchte, das Kirchliche Außenamt werde seine Prüfung vor der Bekenntnissynode nicht anerkennen, er meinte aber, nur die Riograndenser Synode habe über die Anerkennung zu entscheiden, denn sie sei die für ihn zuständige Behörde 9 1 . Präses Dohms teilte darauf dem Kirchlichen Außenamt Schliepers Anliegen mit und Schloß seinen Brief mit der Bitte, daß er „ h o f f e , daß seiner Aussendung keine Schwierigkeiten sich entgegenstellten. Seine Verwandten hier werden nicht verstehen, wenn er jetzt nicht zurückkehren könnt e " 9 2 . Tatsächlich aber lag der Konflikt bereits offen zutage, denn zu dieser Zeit hatten die Auseinandersetzungen zwischen Bischof Heckel und dem Auslandsseminar zu Ilsenburg ihren Höhepunkt erreicht. U n d Schlieper wurde von Bischof Heckel „ z u den Ilsenburgern" gerechnet, Schreiben D o h m s ' an das Kirchl. Außenamt vom 5. 5. 1936 (ebd.). Kirchenbundesgesetz betreffend den Anschluß deutscher ev. Kirchengemeinschaften, Gemeinden und Geistlichen außerhalb Deutschlands an den Kirchenbund vom 17. 6. 1924 (J. HOSEMANN, Kirchenbund, S. 105-114). 9 0 A K A , Schlieper N r . 77. 9 1 Vgl. A n m . 88. 92 Ebd. 88

89

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„die sich unter der Führung des Direktors Schlingensiepen gegen das K.A. aufgelehnt und gehetzt hatten" 93 . Schliepers Brief vom 13. April blieb ohne Antwort; am 16. Juni schrieb er nochmals und fragte, ob seine „Aussendung überhaupt in absehbarer Zeit in Frage" käme 94 , da ihm in der Zwischenzeit ein besonderer kirchlicher Dienst in Westfalen angeboten worden sei. Ein weiterer Brief folgte am 26. Juni 9 5 . Auf Schliepers Schreiben antwortete dann das Kirchliche Außenamt am 26. Juni; dieses Antwortschreiben war leider nicht aufzufinden. In dem Brief muß aber von Schliepers „Antrag" zur Aussendung die Rede gewesen sein, dieser antwortete jedenfalls am 4. Juli 1936: „Da in diesem Schreiben von meinem , Antrag' die Rede ist, so stelle ich fest, daß ich weder eine Bitte noch einen Antrag an das Kirchenaußenamt gerichtet habe des Inhaltes, mich auszusenden, sondern daß ich das Kirchenaußenamt um Mitteilung seiner Entscheidung hinsichtlich der Frage meiner Aussendung gebeten habe. Ich stelle das darum fest, weil es sich für mich bei meiner Aussendung nicht um eine Angelegenheit zwischen dem Kirchenaußenamt und mir, sondern zwischen dem Kirchenaußenamt und der Riograndenser Synode handelt. Denn nicht das Kirchenaußenamt, sondern die Riograndenser Synode hat mich zum Studium der Theologie nach Deutschland entsandt und es mir zur Pflicht gemacht nach Beendigung meiner Ausbildung in ihren Dienst einzutreten." 96 In der Zwischenzeit war beim Kirchlichen Außenamt ein Brief von Frau Helene Schlieper, Schliepers Mutter, eingetroffen, die darum bat, ihren Sohn ausreisen zu lassen. Am 23./24. Juli kam Schlieper nach Berlin, um seine Angelegenheit endgültig zu klären. Zu dem Gespräch zwischen Heckel, Schröder, Besig und Schlieper vermerkte Heckel: „Für die innerkirchliche Lage konnte Vikar Schlieper zu einer Änderung seiner Haltung nicht bewogen werden, weil offenbar die Bindungen an den Bruderrat zu groß sind. Es wurde ihm weiter deutlich gemacht, daß die Behandlung seines Falles keine Präjudiz für andere Fälle darstellt, sondern daß die besondere Lage seiner Mutter (schwerleidend) berücksichtigt werde. Es müsse eine klare Rückkehr in die Ordnung gefordert werden." Schlieper selbst erklärte sich zu folgenden Zugeständnissen bereit, wie aus seiner Niederschrift des Gespräches zu ersehen ist: 1. er anerkannte das Kirchliche Außenamt als „die oberste Aufsichtsbehörde und die für die Entsendung zuständige Stelle". 2. Er verzichtete auf eine Übertragung des Kirchenkampfes nach Brasilien, sowie auf die Einsetzung von Bruderräten dort. 9 3 Vermerk Heckeis v o m 27. 7. 1936 zu einem Schreiben an Generalsuperintendent Zoellner v o m 30. 7. 1936 (ebd.). 9 4 Ebd. 9 5 Ebd. 9 6 Heckeis Marginalie dazu: „Rechtlich falsch" (ebd.).

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Berlin - Brasilien - Deutschtum

In einer zusätzlichen Erklärung zum Protokoll seines Gespräches mit den Vertretern des Kirchlichen Außenamtes schrieb er ausdrücklich: „Solange die Kirchenleitung der Riograndenser Synode die Bindung an Schrift und Bekenntnis nicht verleugnet, teile ich die Auffassung des Kirchlichen Außenamtes, wie sie in dem Protokoll niedergelegt ist, ,daß eine Übertragung des Kirchenstreites, die Schaffung von Bruderräten oder ähnlichen die Gemeinden und Geistlichen trennenden Formen der Synode abträglich sei' und lehne solche Bestrebungen ab. Die Teilnahme an theologischer Arbeit und daraus sich ergebender Zusammenschluß nicht zu dem angegebenen Zweck einer Trennung der Geistlichen oder Abspaltung der Synode wird von Punkt 2 des Protokolls nicht berührt. Alle meine Erklärungen, auch die hiermit niedergelegte Auffassung von Punkt 2 des Protokolls, sind bestimmt und begrenzt durch mein Ordinationsgeblübde. Diese oberste Bindung ergibt sich als selbstverständlich aus der Tatsache, daß ich evangelischer Theologe bin." 9 7 Am 28. August reichte Schlieper seinen Lebenslauf ein. Aus seiner Schilderung der Ereignisse wird klar, daß er nach wie vor der Ansicht war, die grundsätzlichen Auseinandersetzungen des deutschen Kirchenkampfes könnten auch für die Riograndenser Synode von Bedeutung sein. Von seiner theologischen Vorbildung her konnte er es nicht zulassen, daß „die Wahrheitsfrage zu einer Machtfrage" verkommen sollte. Schlieper verzichtete freiwillig darauf, sein zweites Examen vom Reichskirchenministerium legalisieren zu lassen. Gegenüber dem Kirchlichen Außenamt kam es zu folgender Feststellung: „Werde ich Pfarrer der Riograndenser Synode, so unterstehe ich der Leitung der Riograndenser Synode und den für sie geltenden Ordnungen. Ich anerkenne damit das Kirchl. Außenamt als die nach den mit der Riograndenser Synode getroffenen Vereinbarungen oberste Ausichtsbehörde. Mit dieser Anerkennung würde, wenn ich im Raum der Deutschen Evangelischen Kirche des Inlandes bleibe, meine innerkirchliche Stellung zur Bekennenden Kirche nicht geändert." Schließlich wurde nach allem Hin- und Her seine Aussendung für den 2. Oktober in Aussicht gestellt. Der „Fall Schlieper" aber war für das Kirchliche Außenamt auch nach diesen Zugeständnissen noch nicht abgeschlossen. Am 6. Oktober 1937 mußte Präses Dohms einen Bericht über Schliepers Entwicklung abliefern 98 . Nach seiner Rückkehr hatte Schlieper in den „Deutschen Evangelischen Blättern für Brasilien" einen Aufsatz mit dem Titel: „Die Chri9 7 Schreiben vom 30. 7. 1936. Eine Abschrift ging an die Vorläufige Leitung der D E K (ebd.). Punkt 2 des Protokolls bezieht sich auf den Verzicht der Übertragung des Kirchenstreites nach Brasilien. HansBesig, geb. 18. 12. 1873 in Herrnstadt/Schlesien, gest. 3. 1. 1941 in Berlin, seit 1918 Konsistorialrat in Berlin. 9 8 AKA, Schlieper Nr. 77.

„Fall Schlieper"

221

stusherrschaft und die Gegenwart" veröffentlicht"; da die „Blätter" an das Kirchliche Außenamt gesandt wurden, nahm man dort auch Schliepers Aufsatz unter die Lupe. Er wurde einem „namhaften Theologen, . . . einem vollkommen auf dem Boden des Bekenntnises stehendem Mann", Eugen Gerstenmaier, zur Begutachtung gegeben 100 . In seinem Aufsatz hatte Schlieper versucht, anhand des Kolosserbriefes die Unmöglichkeit „einer selbständigen Theologie des 1. Artikels" (S. 90), die er in Deutschland für vorherrschend hielt, aufzuweisen. Im Sinn der Barthschen Theologie beharrte er darauf, „daß eine Theologie der Schöpfung nur möglich [sei] als Bestandteil der Christologie" (S. 92). Ein Reden von „Schöpfungsordnungen" gehe „letztlich von einem anderen Schöpfer als dem Vater Jesu Christi" aus (S. 93). In dem Gutachten Gerstenmaiers, das in sehr scharfem Ton gehalten war 1 0 1 , warf dieser Schlieper eine Verkennung der „kirchlich-theologischen Bemühungen um eine Theologie des 1. Artikels" vor. Zudem gebe der Kolosserbrief das nicht her, was Schlieper mit ihm beweisen wolle; und im übrigen weiche die „christologische Schöpfungslehre Schi.'s . . . ab von dem zusammenhängenden Zeugnis der Schrift und dem Bekenntnis der Kirche". Man hat den Eindruck, daß die sachlich zum Teil sicherlich berechtigte Kritik Gerstenmaiers letztlich bereits von seiner kirchenpolitischen Position her bestimmt war. Das Gutachten wurde Präses Dohms zur Kenntnisnahme zugesandt 102 . Schlieper sah schließlich doch davon ab, den Kirchenkampf auf Brasilien zu übertragen. Seiner Meinung nach wäre die kleine Kirche dort auch einer derartigen Zerreißprobe nicht gewachsen gewesen; in diesem Punkt stimmte er mit Dohms überein. Dennoch hielt er an der Frage nach dem Bekenntnis fest, an dem Bekennen der Riograndenser Synode und später auch an dem der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien. Er war es auch, der im Nachkriegs jähr 1948 der Riograndenser Synode ein Schuldbekenntnis abrang. Dieses Geständnis war Ausdruck seiner inneren Verbundenheit mit der Bekennenden Kirche, die er sich trotz aller äußerlichen Zugeständnisse bewahrt hatte.

1 9, 193 7. Schreiben Schröders an Dohms vom 9. 2. 1938 (AKA, Schlieper Nr. 77). 1 0 1 „Die Verlautbarung Schl.'s über die Schöpfungsordnung ist . . . dilettantisch, der Schlußsatz (Absatz 2, Seite 93) anmaßliche Ketzerrichterei" (ebd.). 1 0 2 Vgl. Anm. 100. Eugen Gerstenmaier, geb. 25. 8. 1906 in Kirchheim/Teck, 1937 Privatdozent in Berlin, 1936 theol. Referent, 1942 Konsistorialrat im Kirchl. Außenamt, im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 verhaftet, 1945 Begründer und Leiter des Hilfswerks der E K D , 1954-1969 Präsident des Deutschen Bundestages. 99

100

Kapitel 10 AUSBLICK

In seinem letzten Aufsatz, der wie viele andere Fragen zur Geschichte der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien gewidmet war, stellte Erich Fülling eine Betrachtung über die innere Entwicklung der Riograndenser Synode zwischen 1945 und 1948 an 1 , und seine Feststellungen treffen wohl auch auf die übrigen Synoden zu: ,,Αη den nationalen Feiern bei der Beendigung des zweiten Weltkrieges beteiligten sich mit freudiger und voller Anteilnahme wohl nur wenige deutschstämmige Brasilianer und Deutsche aus dem Reich. Wenn solche daran teilnahmen und ein Wort sagen mußten, betonten sie etwa, es gelte jetzt einen neuen Anfang im Sinne eines echten Friedens und der christlichen Brüderlichkeit unter den Völkern zu machen." 2 Innerhalb der Pfarrerschaft ist nach Fülling im wesentlichen zwischen zwei Typen zu unterscheiden. Die einen sahen den Ausgang des Krieges als Gericht Gottes an und forderten eine innerliche Erneuerung der Kirche, die anderen, die Fülling „die bewußten ,Deutschen'" nennt, waren von Ratlosigkeit erfüllt, sie verschanzten sich oft „hinter Resignation und einer zynischen Betrachtung der weltpolitischen Entwicklung, manche glaubten und hofften auf einen Krieg zwischen Amerika und Rußland!" 3 Geprägt vom Erlebnis des Krieges, mit unterschiedlichen Vorstellungen für die Zukunft, gingen alle vier brasilianischen Synoden einer neuen Zeit entgegen. Diese Zeit war bestimmt von einer theologischen Neuorientierung der Kirche, in der sie das bisherige Konzept der kirchlichen Arbeit, das oft zu einer gefährlichen Verbindung zwischen Evangelium und Deutschtum geführt hatte, hinter sich ließ. Es ging nun um eine innerliche Erneuerung der Kirche, um ein Zusammenwachsen aller Synoden zu einer Kirche in Brasilien, um die Öffnung zur Ökumene. Dabei sollten die letzten Reste einer „Deutschen Auslandskirche" überwunden werden.

1

Ο desenvolvimento. Ebd., S. 29. Vgl. Ε. TH. SCHLIEPERS Predigt über Joh. 16, 33b „Coragem em meio äs tribula?öes", gehalten am 13. 5. 1945 in Porto Alegre, als Beispiel für eine Predigt nach Kriegsende (Testemunho Evangelico, S. 65-68). 3 Ο desenvolvimento, S. 30. 2

Theologische Neubesinnung

223

1. Die theologische Neubesinnung Die Frage der theologischen Neubesinnung innerhalb der Synoden läßt sich am besten am Beispiel der Riograndenser Synode nachvollziehen. Hier war es im Juli 1946 erstmals nach neun Jahren wieder möglich, eine Synodalversammlung abzuhalten. Bei dieser Synodalversammlung sind erste Anzeichen für ein verändertes Selbstverständnis der Synode zu bemerken. Hier wurde an eine Entwicklung angeknüpft, die verschüttet war, jetzt aber neue Bedeutung erhalten sollte. Für diese theologische Neubesinnung stehen der kleine Kreis der Arbeitsgemeinschaft der Bekennenden Kirche und die jüngere Generation der Pfarrer, die, in Brasilien geboren, während der Jahre des Kirchenkampfes in Deutschland Theologie studiert und aus den kirchenpolitischen Wirren neue Erkennntnisse gewonnen hatte. Beide Gruppen sahen sich gleichermaßen der Theologie Karl Barths verpflichtet, beide bezogen sich auf die Theologische Erklärung von Barmen 4 . Von diesen Gruppen kam die Forderung nach einer theologischen Neubesinnung im Sinne der Bekennenden Kirche in Deutschland. Sie forderten „ein klares, nüchternes und unumwundenes Bekennen unserer Schuld, die auch wir hier in unserer Kirche, jeder an seinem Teil, ohne Ausnahme auf uns geladen haben . . . Es gilt hier für uns, was Martin Niemöller in bezug auf die E K i D sagt: ,Das [das Schuldbekenntnis] muß erst mal heraus; und wenn es nicht ans Licht kommt, und wenn wir nicht umkehren und uns selber und unserm Herrn eingestehen, daß wir einen falschen Weg gegangen sind aus Furcht und Unglauben, dann bleibt der Bann auf uns und kein Prophet darf uns den Trost Gottes in unsere Verstocktheit hinein verkündigen'. Wenn dieses Schuldbekenntnis in Wort und Tat auch bei uns einmal heraus ist, dann mag auch für uns das Wort von Reinhold Schneider an die Jugend gelten, daß dem, ,der die Schuld ergreift und sie in Wahrheit zu seinem Anliegen macht, ein Wort vorbehalten ist, das weiter in die Zukunft dringt, das geschichtsträchtiger ist, als das Wort der Ankläger. Vom Gewandelten gehen wandelnde Kräfte a u s ' . " 5 Das geforderte Schuldbekenntnis wurde von der Synode nicht in Form etwa der „Stuttgarter Erklärung" abgelegt, es erwuchs aus der notwendigen theologischen Einsicht. Für diesen Prozeß waren zwei synodale Tagungen von Bedeutung. Beide fanden in der Stadt Ijui in den Jahren 1947 und 1948 statt. Auf der Synodalversammlung des Jahres 1947 gab Dohms zu, daß in der Vergangenheit manches im Leben der Synode nicht in Ordnung gewesen sei. Gleichzeitig bat er aber auch darum, daß man 4

Vgl. o b e n K a p . 7 und 9, S. 144 und 2 1 2 f f .

5

G . REUSCH, R a n d b e m e r k u n g e n z u m Verlauf der diesjährigen Synodalversammlung in

Santa C r u z am 2. 6. 1946 in Hinsicht auf das Anliegen einer E r n e u e r u n g in unserer Kirche (Manuskript im Besitz des Verfassers).

224

Ausblick

sich gegenseitig vergeben solle. Bedeutsam war auf dieser Synodalversammlung auch die Aussöhnung zwischen Dohms und Reusch. Hier wurden Spannungen überwunden, die mit den Auseinandersetzungen um Ilsenburg entstanden und 1946 durch das Nicht-zustande-Kommen des von Reusch und anderen geforderten Schuldbekenntnisses der Synode vertieft worden waren 6 . 1948 wurde, wiederum in Ijui, mit einer Reihe von Referaten die Grundlage für eine weitere Vertiefung des theologischen Neuansatzes gelegt. Hier wurde im Juli die erste theologische Freizeit gehalten, sie wurde später in Säo Leopoldo wiederholt und konnte damit insgesamt etwa von der Hälfte der Pfarrer der Synode besucht werden. Da die Referate gedruckt wurden, wurden die Ergebnisse dieser Freizeit sowohl den anderen Pfarrern als auch in den übrigen Synoden schnell bekannt. Damit wurde die Freizeit von Ijui zu einem Markstein in der Geschichte der Synoden. Die Freizeit stand unter dem Gesamtthema: „Das Bekennen der Kirche." Das Ergebnis dieser Tagung wurde von Ernst Schlieper mit den Worten zusammengefaßt: „Wir fanden zueinander in der Bereitschaft, uns alle unter das Urteil der Wahrheit zu stellen." 7 Allein die Titel der gehaltenen Referate sind schon Ausdruck eines neuen theologischen Ansatzes: Kurt Warnke referierte über „In Christo. Meditationen über Stücke aus dem Epheserbrief", Erich Fülling über „Das Bekennen in der Reformationszeit", Bertoldo Weber über „Das Bekennen im Neuen Testament" und Gustav Reusch über „Die Theologische Erklärung von Barmen". Den Hauptvortrag aber hielt Präses Dohms über „Die Lehre vom Worte Gottes und die Predigt". Das abschließende Referat über das Thema „Unser Bekennen" hatte Ernst Schlieper übernommen 8 . Von besonderer Bedeutung sind die Vorträge von Ernst Schlieper und Präses Dohms. Schlieper zieht in seinem Vortrag eine Bilanz der vergangenen Jahre. Er stellt fest, daß es in der Synode eine deutschchristliche Pfarrerschaft gegeben habe, eine Synodalversammlung habe Reichsbischof Müller zu seiner Wahl beglückwünscht, es habe auch deutschchristliche Predigten und Aufsätze gegeben. Es habe aber andererseits auf dem Boden der Synode keine offizielle deutsch-christliche Lehre gegeben und auch keinen Versuch, diese Lehre mit staatlicher Gewalt durchzusetzen. Die deutsch-christliche Lehre sei in der Synode so da gewesen, wie sie es innerhalb der Deutschen Evangelischen Kirche vor 1933 war, als Privatmeinung einzelner Pfarrer. An sich wäre aber von seiten der Synode nach 1933 eine Stellungnahme gegenüber der Deutschen Evangelischen Kirche, der sie ja angeschlossen war, notwendig gewesen, da die Deutsche Evangelische Kirche keine einheitliche Größe mehr darstellte. „Mußte sie nun 6

V g l . E. FÜLLING, Ο desenvolvimento, S. 3 2 f . u n d A n m . 5.

7

Estudos Teologicos, Outubro 1948, S. 1. Sämtliche Vorträge ebd.

8

Theologische Neubesinnung

225

nicht erklären, welcher D.E.K, sie denn nun angeschlossen sei: der des Reichsbischofs mit ihrer .Theologie vom anständigen Kerl' oder der, die in Barmen gesprochen hatte?" 9 Die Synode hätte deshalb nicht Stellung genommen, weil sie letzten Endes immer gezweifelt habe, daß innerhalb der evangelischen Kirche ein echter Gegensatz bestünde. Es könne ihr aber nicht zum Vorwurf gemacht werden, daß sie geglaubt habe, keine Entscheidung treffen zu müssen, da sie in einer völlig anderen Situation gelebt habe, in der sie weder das Recht gehabt habe, zur Kirche von Barmen, noch zur Kirche von Reichsbischof Müller Ja zu sagen. Inzwischen sei aber eine Änderung eingetreten. Die Jahre von 1939 bis 1946 hätten die Synode vor die Notwendigkeit gestellt, „wirklich und ganz Kirche zu sein" 10 . Sie sei gezwungen gewesen, verantwortlich und ganz das Lehramt zu übernehmen und habe erkannt, daß sie unter allen Umständen eine Sendung in Brasilien habe und daraus die Konsequenz gezogen, die theologische Ausbildung ihrer Pfarrer selbst zu übernehmen. Sie sei aber auch gezwungen gewesen, ihre Theologie zu überprüfen, nach der theologischen Grundlage ihrer Predigt und Gemeindearbeit zu fragen und zu erkennen, „daß das Festhalten an der bisherigen Sprache nicht immer aus bekenntnismäßigen Gründen vertreten worden war" 11 . Heute sei die Synode in einer völlig anderen Lage als 1934. Heute könne sie eine Stellungnahme zu Barmen vollziehen, allerdings mit der Einschränkung: „Aber, im alten Sinne etwa als laute und feierliche Erklärung der Anerkennung von Barmen, wäre das heute zu billig. Die Fragestellung heute ist nicht die von 1934, weder hier noch in Deutschland. Es gilt heute, der Verkündigung neue Impulse zu geben, und mit aller Wucht auf die Gewinnung der Fernstehenden und doch Fragenden hinzuarbeiten, auf daß unsere Gemeinden wirklich Kirchengemeinden werden. Das aber können wir nur, wenn wir selber Kirche sind und unsere ganze Arbeit im alleinigen Gehorsam gegen unseren Auftrag tun. Dazu aber kann uns Barmen helfen." 12 Barmen steht also für das gewandelte Selbstverständnis der Synode; mit Barmen muß gleichzeitig der Name Karl Barths genannt werden. Wie groß gerade sein Einfluß auf alle Synoden gewesen ist, müßte noch in einer besonderen Arbeit untersucht werden; unbestritten aber ist Barths exponierte Stellung in den kirchenpolitischen und theologischen Auseinandersetzungen seiner Zeit 13 . Einer seiner schärfsten Gegner war der wohl bedeutendste Theologe aller Synoden, Hermann Dohms. Dohms hatte sich 9 10 11 12 13

Ebd., S. 5. Ebd., S. 6. Ebd., S. 7. Ebd. Vgl. DER CHRISTENBOTE N r . 9 v o m 21. 9 . 1 9 2 8 ; SRS 1935, S. 5 9 f f . ; GEMEINDEBLAIT

5. Juni 1933, Nr. 16, S. 10. 15

Dreher, Brasilien

226

Ausblick

intensiv mit Barth beschäftigt; davon geben seine Aufsätze Kenntnis14; für ihn war Barth aber „der so moderne Theologe" 15 , den er ablehnte, weil er den Eindruck hatte, daß bei ihm die lutherische Zwei-Reiche-Lehre verworfen und „calvinistische Politik" getrieben würde 16 . Auf der theologischen Freizeit in Ijui präsentierte sich dann aber ein anderer Hermann Dohms. Er anerkannte und würdigte - ohne jedoch seinen lutherischen Ansatz zu verleugnen - Karl Barths bleibende theologische Bedeutung für die Kirche. Sein großangelegter Vortrag war ein Bekenntnis zu Karl Barth 17 . Dohms ging dabei von dem Theologumenon aus, daß die Predigt vom Wort Gottes das Wort Gottes selbst ist (Bullinger:, ,Praedicatio verbi divini est verbum divinum"). Der Lutheraner Paul Althaus und die neureformatorische Theologie Karl Barths und Emil Brunners hätten diesen Gedanken wieder aufgenommen, sie hätten sich gegen die Weltanschauung des modernen Menschen, die als „ohne Gott" zu charakterisieren sei, gewandt 18 . Nach dem gescheiterten Versuch des Neuidealismus, zwischen Säkularismus und Theologie zu vermitteln, wofür der Name Troeltsch stehe19, käme es jetzt darauf an, Theologie als Lehre der Predigt vom Wort Gottes neu zu verstehen. Die Predigt „wird zum Wort Gottes. . ., wo sie im Auftrag Gottes geschieht, d.h. da, wo in und mit den menschlichen Motiven und durch sie ein Auftrag von Gott erfüllt wird, da, wo Gott sich durch die menschlichen Motive hindurch in der Predigt als der sie Fordernde wirklich erweist" 20 . Der theologische Neuansatz in den Synoden fand seinen Niederschlag in der Verkündigung 21 ; man verstand sich nun nicht mehr als eine Kirche der deutschen Einwanderer, die „Trägerin deutscher Kultur" sein sollte, sondern als „ e i n t K i r c h e in Brasilien"22. „Wir würden schuldig vor Gott und an seiner Kirche, wollten wir die Zeichen der Zeit nicht verstehen, Kulturen kommen und gehen. Sprachen machen ihren Wandel durch, Vgl. z . B . H. Asmussen. Ein Markstein, S. 47. 1 6 Aufzeichnung eines Gesprächs mit Dr. Erich Fülling, Mai 1972. 1 7 „Nach diesem Bekenntnis D. Dohms' zu Karl Barth gab Dr. Schlieper seiner Freude darüber Ausdruck, daß sein Lehrer Karl Barth nunmehr auch als Lehrer der Kirche in Brasilien anerkannt sei. D. Dohms entgegnete, daß das, was wahr sei, gesagt werden müsse" 14 ls

( E . FÜLLING, Ο d e s e n v o l v i m e n t o , S . 3 4 ) . 1 8 „Es ist, kurz gesagt, die moderne Weltanschauung, die hier unvollständig als Rationalismus, Historismus, Naturalismus, Relativismus, Positivismus oder zusammenfassend als Säkularismus, d . h . als Weltanschauung ohne G o t t bezeichnet sei" (Die Lehre vom W o r t e Gottes, S. 26). 1 9 Ebd., S. 2 9 f f . 2 0 Ebd., S. 34. 2 1 Vgl. die Predigten von E. SCHLIEPER, Testemunho Evangelico, S. 5 9 - 1 7 8 , und die zahlreichen Predigtmeditationen in den ESTUDOS TEOLÖGICOS, 1 9 4 7 f f . Die Veröffentlichung von Predigtmeditationen geschieht m. Ε. erst nach 1945 innerhalb der Synoden. 22

E. WÜSTNER, B r a s i l i e n , S.

135.

Bund der Synode

in

Gottes Wort bleibt ewig." 2 3 Trotz dieser Einsicht begingen die Synoden nun nicht den Fehler, den Bruch mit der Vergangenheit ganz radikal z u . vollziehen. Denn die Entscheidung, jetzt nur noch in der Landessprache zu predigen, wäre nicht nur rücksichtslos, sondern auch nur die Umkehrung eines Extrems gewesen, das man in der Vergangenheit vertreten hatte. Die offizielle Haltung zur Sprachregelung in allen Synoden kann mit den Worten Ernst Schliepers wiedergegeben werden: „Die Verkündigung muß in der Sprache geschehen, die die Menschen verstehen. In einem Einwanderungsland, das Brasilien noch immer ist, wird die Kirche es nicht als ihre Aufgabe ansehen, den Prozeß des Sprachenwandels von sich aus zu fördern. Sie wird das Recht zur Bewahrung der Muttersprache anerkennen. Immer aber wird sie der gegebenen Wirklichkeit Rechnung tragen müssen und in der Sprache reden, die die Sprache der Menschen ist, an die sie sich wendet. Das bedeutet, daß die Kirche in Brasilien wohl auf lange hinaus eine zwei- beziehungsweise mehrsprachige Kirche wird sein müssen, und daß von jedem Pfarrer erwartet werden muß, daß er neben der deutschen die portugiesische Sprache beherrscht." 24

2. Der Bund der Synoden Das Ziel, auf das bereits Propst Hübbe und Bischof Heckel hingearbeitet hatten, wurde in Brasilien erst nach Kriegsende verwirklicht: der Zusammenschluß der Synoden 2 5 . Die Ereignisse des Krieges hatten den Synoden die gemeinsame Tradition noch einmal bewußt gemacht und sie damit in der Uberzeugung bestärkt, daß eine engere Zusammenarbeit nötig wäre. Die Erfahrungen des Kirchenkampfes hatten die Notwendigkeit einer klaren Bekenntnisgrundlage deutlich gemacht, und so einigten sich die vier Synoden bei ihrem Zusammenschluß zu der, ,Federa$äo Sinodal", dem Bund der Synoden, am 26. Oktober 1949 auf eine lutherische Bekenntnisgrundlage. Entsprechend heißt es in Artikel II der Ordnung des Bundes: „Grundlage der Gemeinschaft ist das Evangelium von Jesus Christus, wie es uns in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments gegeben ist. Indem sie diese Grundlage anerkennt, bekennt sich die Gemeinschaft zu dem Einen Herrn der einen, heiligen, allgemeinen und apostolischen Kirche. Die Gemeinschaft bekennt ihren Glauben mit den altkirchlichen Bekenntnissen und der Augsburgischen Konfession als reformatorischem Bekenntnis und weiß sich mit der Evangelischen Kirche

Ebd., S. 136. E. SCHLIEPER, Evangelische Gemeinden, S. 1 3 9 f . ; vgl. auch E. SCHLIEPER, Lage des Protestantismus, bes. S. 228. 2 5 Vgl. dazu J. FISCHER, Geschichte, S. 1 6 5 - 1 8 6 , der hier im wesentlichen gefolgt wird. 23 24

228

Ausblick

in Deutschland (gemäß deren Grundordnung, Vorspruch und Artikel I) und den mit dieser in Glaubensgemeinschaft stehenden Kirchen in aller Welt im Glauben verbunden. Luthers Kleiner Katechismus ist bei ihren Gliedern in Gebrauch und als reformatorisches Bekenntnis anerkannt." 26 Auf der ersten Kirchenversammlung des Bundes der Synoden in Säo Leopoldo vom 14. bis 16. Mai 1950 fand dieser Artikel in einer programmatischen Rede von Präses Dohms folgende Auslegung, die vom Kirchentag übernommen und wegen ihrer Bedeutung für das neue Selbstverständnis der Synoden hier wiedergegeben wird: „ 1 . D e r B u n d der Synoden ist K i r c h e Jesu Christi in Brasilien mit allen Folgerungen, die sich hieraus ergeben für die Verkündigung des Evangeliums in diesem L a n d und die M i t v e r a n t w o r t u n g für die Gestaltung des politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens in seinem Volke. 2 . Diese K i r c h e ist bekenntnismäßig bestimmt d u r c h die Augsburgische Konfession und L u t h e r s Kleinen Katechismus, gehört in die Familie der v o n der R e f o r m a t i o n Martin L u t h e r s geprägten K i r c h e n und wird das, w e n n sie sich, wie w i r hoffen bald, auch vereinsrechtlich nicht mehr j F e d e r a f ä o Sinodal', sondern K i r c h e nennt, in ihrem N a m e n z u m A u s d r u c k bringen. 3. Als bekenntnismäßig so bestimmte K i r c h e steht der Synodalbund in der Gemeinschaft der im ö k u m e n i s c h e n R a t vertretenen Kirchen, welche das Evangelium von Jesus Christus, wie es uns in der Heiligen Schrift gegeben ist, als einzige Regel u n d R i c h t s c h n u r ihres D i e n stes am Evangelium und ihrer L e h r e gelten lassen. 4 . D e r Synodalbund pflegt die Glaubensverbundenheit mit der Mutterkirche, der E v a n g e lischen K i r c h e in Deutschland, die nach ihrer G r u n d o r d n u n g die Gemeinschaft der evangelischen Christenheit in Deutschland sichtbar werden läßt und in der O r d n u n g der Ö k u m e n e steht."27

In dieser Auslegung wird deutlich, wie radikal sich das Selbstverständnis aller Synoden gewandelt hatte. Es ging nun um eine Kirche in Brasilien, um die Verantwortung gegenüber dem gesamten brasilianischen Volk und nicht mehr um Verantwortung gegenüber einer Volksgruppe; letztlich um Öffnung zur Ökumene! Auf der Zweiten Kirchenversammlung wurde daher der Name des Bundes durch den Zusatz „Evangelische Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien" ergänzt, und 1962 wurde schließlich die Bezeichnung Federa^äo Sinodal ganz gestrichen. Das neue Selbstverständnis der im Bund vereinigten Synoden hatte auch rechtliche Konsequenzen. Waren bisher die Riograndenser Synode, die Lutherische Synode und die Gemeinden der beiden anderen Synoden der Evangelischen Kirche in Deutschland angeschlossen gewesen, so war nun der Bund der Synoden eine selbstständige evangelische Kirche geworden,

26

Zitiert nach HAMBURG 1 9 5 1 , S. 2 7 2 (Tätigkeitsbericht des Kirchl. A u ß e n a m t e s ) .

27

Zitiert n a c h J . FISCHER, Geschichte, S. 1 6 7 f . Z u r 1. Kirchenversammlung des B u n d e s

der Synoden vgl. PRIMEIRO C o N c f L i o .

Öffnung zur Ökumene

229

die der E K D und der gesamten Ökumene gleichberechtigt gegenüberstand 28 .

3. Die Öffnung zur

Ökumene

Am Beispiel der Riograndenser Synode kann man nachvollziehen, wie sehr der Erste Weltkrieg die sich anbahnenden ökumenischen Beziehungen belastet hatte; diese Belastung ist aber auch bei den anderen Synoden zu bemerken gewesen 29 . Die angespannten Beziehungen führten vermutlich auch dazu, daß die deutschstämmigen Synoden nicht zur Teilnahme an der 1934 gegründeten Confederagäo Evangelica do Brasil eingeladen wurden 30 . Die deutschstämmigen Synoden wurden vom übrigen brasilianischen Protestantismus nicht als ein Teil desselben, sondern als eine ausländische Kirche angesehen 31 . Inwiefern die Synoden selbst zu dieser Sicht beigetragen haben, müßte noch untersucht werden. Fest steht aber, daß mit der theologischen Neubesinnung nach dem Zweiten Weltkrieg auch ein stärkeres Bewußtsein der ökumenischen Verantwortung der Synoden einherging. Hier scheint wiederum die theologische Freizeit in Ijui 1948 maßgeblich gewesen zu sein 32 . 1948 konnte Präses Dohms als Gast an der Amsterdamer Weltkirchenkonferenz teilnehmen. Erich Fausel bemerkte dazu: „Hier fand er sachlich und persönlich mehr als zuvor den Anschluß an die neue Zeit." 3 3 Wie ernst man diese neue Aufgabe nahm, zeigt schon allein die Tatsache, daß 1949 ein ganzes Heft der „Estudos Teologicos", der Zeitschrift der Theologischen Kommission der Riograndenser Synode, Fragen der Ökumene gewidmet war 34 . Hier wird von der Verpflichtung der Synoden - der Bund der Synoden wurde gerade vorbereitet - gegenüber der Ökumene gesprochen. Man will „im Rahmen der Ökumene den Weg mitgehen zum Kirchewerden der Kirchen" 3 5 . Dieser Blick auf die weitere Ökumene läßt aber zugleich die Forderung nach einer Öffnung gegenüber dem „engeren ökumenischen Kreis 28

Z u den Verhandlungen über die rechtliche Selbständigkeit des Bundes der Synoden vgl.

J . FISCHER, Geschichte, S. 1 6 8 - 1 7 2 . 29

Vgl. H . FISCHER, Protestanten; L . HOEPFFNER, Denkweise.

30

Vgl. dazu K . GOTTSCHALD, B u n d Brasiliens.

Diese Auffassung hielt sich bis in die fünfziger J a h r e hinein. Vgl. E . G . L6ONARD, P r o t e stantismo, S. 1 7 : „ A s s i m foi que deixamos de considerar as Igrejas de colönias estrangeiras, cujos problemas, n ä o apresentando nada de especificamente brasileiro, n ä o seräo aqui discutidos. Assim se excluiram ο grande b l o c o d o protestantismo de origem e de modalidades germänicas, ο protestantismo japones, leto e o u t r o s . " 32

Vgl. R . REUSCH, G a b e und Aufgabe, S. 8 7 .

33

D o h m s , S. 5 4 .

34

Abril-Junho 1949, N r . 2.

35

Vgl. A n m . 3 2 .

230

Ausblick

dieses Landes" hervortreten, dem man seine „mitverantwortliche und tätige Mitarbeit nicht versagen" könne 36 : „Wir werden auch diesen Weg hier dann nicht gehen, indem wir uns isolieren, sondern indem wir uns zusammenfinden mit den in der ,Federa5äo das Igrejas Evangelicas' zusammengefaßten Kirchen. Wir werden dabei die besondere Verantwortung zu tragen haben, daß wir für das Ziel des Kirchewerdens der Kirchen unentwegt eintreten, eintreten nicht an den auch hier sehr stark vorhandenen Unterschieden vorbei, sondern durch sie hindurch und in der brüderlichen Auseinandersetzung mit ihnen. Wir werden uns dabei das Ziel des Kirchewerdens der Kirchen nicht durch andere Teil- und Unterziele verwischen lassen dürfen." 3 7 Zu dem Willen, mit dem gesamten brasilianischen Protestantismus zusammenzuarbeiten, kam die Bereitschaft, sich in einem Dialog auch mit der katholischen Kirche auseinanderzusetzen 38 . Dohms' Thesen auf der ersten Kirchenversammlung in Säo Leopoldo sind Ausdruck dieses neuen ökumenischen Verantwortungsgefühls der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien. 1950 schließlich wurde der Bund der Synoden in den Weltrat der Kirchen und in den Lutherischen Weltbund aufgenommen, und seit 1958 gehört er auch zur Confederagäo Evangelica do Brasil.

36

Ebd., S. 88. Ebd. 38 Vgl. L. STROTHMANN, Leitsätze, S. 90. Zum Dialog mit der römisch-katholischen Kirche vgl. F. LAUFER, Kontakte. 37

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS I. U N V E R Ö F F E N T L I C H T E Q U E L L E N a) Archivalische Quellen Archiv der EKD, Berlin

(AEKD):

A 4/491

Das Außenamt. (November 1935-Januar 1942).

C 4/32 D 1/10

Auslandsgemeinden. (August 1933). Kirchliches Außenamt - Verschiedenes, aus losem Schriftgut zusammengestellt. Band 1. (Jan. 1934 - Dez. 1935). Kirchliches Außenamt - Verschiedenes, aus losem Schriftgut zusammengestellt. Band 2. (Jan. 1936 - August 1939). Handakte Bischof D . Heckel. (1935-1940). Der Ständige Vertreter der D E K für Südamerika, Propsteiakten für Argentinien. (August 1938 - Dezember 1938). Der Ständige Vertreter der D E K für Südamerika. Propsteiakten für Mittelbrasilien. (Okt. 1937 - Okt. 1939). Der Ständige Vertreter der D E K für Südamerika. Vertraulicher Schriftwechsel mit dem Außenamt. (Juni 1938 - August 39).

D 1/11 D 1/15 D 1 /66 D 1/67 D 1/68

Archiv des Kirchlichen EO 1

E O lc EO 2 E O 2a

E O 2b

E O 2c

EO 3

Außenamtes,

Berlin

(AKA):

Auslandsdiaspora Brasilien. Band II, III, V. Die allgemeinen kirchlichen pp Verhältnisse im Staate Espirito Santo. (1866 ff.). Die allgemeinen kirchlichen pp Verhältnisse im Staate Santa Catharina, Band I. (1866-29). Band II. (1930ff.). Die allgemeinen kirchlichen pp Verhältnisse in der brasilianischen Provinz Rio Grande do Sul. Band I, II. Vertrauensmann des E O K ' s für Rio Grande do Sul. Die Tätigkeit des Lutherischen Gotteskasten in Südamerika. Band II. (1907-1926), Band III (1926ff.). Der Bericht des Pastors Braunschweig in Leipzig über seine Reise durch die deutschen evangelischen Gemeinden in Brasilien im Jahre 1907. Der Bericht des Generalsuperintendenten D . Zoellner in Münster über seine Reise durch die deutschen evangelischen Gemeinden in Brasilien im Jahre 1910 Der Bericht des Geheimen Konsistorialrats D . Rahlwes über seine Reise durch Mittelbrasilien, Sta. Catharina und Parana im Jahre 1928. Die Konferenzen der Geistlichen der deutschen evangelischen Gemeinden in der Provinz Espirito Santo in Brasilien, Band I. (1894-1927). Band II. (1928ff.)

232

EO 4

E O 4a EO 5 E O (Generalia) 39 C VI Beiheft I

C VI C VI le C VI le Beiheft I C VI l e Beiheft II C VI l e Beiheft III C VI le Beiheft IV C VII 1 C VII la C VII 2 Beiheft II C VII 2 C VII 3

C VII 4

C VII 4a C VII 8

C VII 8a

Quellen- und Literaturverzeichnis Die Pastoralkonferenzen der evangelischen Geistlichen in Mittelbrasilien. Die Konferenzen der Geistlichen der deutschen evangelischen Gemeinden im Staate Santa Catharina in Brasilien, Band I. (1886-1925). Band II. (1926-1932). Band III. (1933 ff.). Gemeindeverband in Espirito Santo. Der deutsche evangelische Gemeindeverband für Santa Catarina. Band I. (1911-1931). Die Rio Grandenser Synode. Band V. Die Synode der deutschen evangelischen Gemeinden Mittelbrasiliens. Der Ständige Vertreter des Evangelischen Oberkirchenrats in Brasilien. Band III. Anschluß der Riograndenser Synode an den Deutschen Evangelischen Kirchenbund. Band I. (1925-30). Die deutsche evangelische Kirche im Ausland und ihre Stellung zu politischen Fragen. Band I. (1929-35). Band II. (1935-39). Band III. (1939ff.). Auslandsdiaspora - Allgemeines. Band III. (1937-1942). Ausbildung von Auslandspfarrern für Südamerika. Band I. (1935-1937). Band II. (1937-38). Verwendung von Riograndensern im Pfarrdienst von Rio Grande do Sul. Band I. (1932 ff.). Betreuung der in Göttingen Theologie studierenden Stipendiaten des Κ. A. für Südamerika. Band I. (1936-38). Betreuung der in Tübingen Theologie studierenden Stipendiaten des Κ. A. für Südamerika. Band I. (1936ff.). Abhaltung von Arbeitsgemeinschaften des Κ. A. mit den Stipendiaten für Südamerika. Band I. (1937ff.). Brasilien (Allg.). Band IV, V. Rio Grande do Sul - Allgemeines. Band I, II. Jugendarbeit und Volksmission in der Riograndenser Synode. Band I. Reise u. Tätigkeitsbericht des ständ. Vertreters der D E K in Südamerika. Band I. (1938ff.). Der Ständige Vertreter der Dt. Evgl. Kirche in Südamerika. Band V. (1945ff.). Konferenzen der Ständigen Vertreter pp der Deutschen Ev. Kirche in Südamerika (Kirchenführerkonferenz). Band I. (1935 ff.). Die Riograndenser Synode. Band V, VI. Deutscher Evangelischer Gemeindeverband für Santa Catharina. Band III. (1935-37). Band IV. (1938ff.). Abg. Gebiete. Band II. Anschluß der lutherischen Synode von St. Catharina, Parana u. a. Staaten an den Kirchenbund, Band II. Deutsche Luth. Kirche in Brasilien. Band IV. Tätigkeits- und Reiseberichte des ständigen Vertreters der DEK für die deutsche Luth. Kirche in Brasilien. Band I. Der Ständige Vertreter (Vertrauensmann) der deutsch, evangel. Kirche f. d. deutsche luth. Kirche in Brasilien. Band I.

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Landeskirchliches O K M 2088 Rep. Nr. 53d MLV, Brasilien I L K R X I I I 1560a-2455

in

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Landeskirchenrat L K R I 102 (AA)

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von

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1936-1939.

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1930-1938.

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INDEX Achtundvierziger 40f., 56f., 59, 72 Afrika 27 Agende 150ff., 154, 168 - vgl. auch Gottesdienst; Liturgie Agent 31 f., 34, 49 Agrarstruktur 27f., 30, 33f. - vgl. auch Grundbesitz; Sozialstruktur Akademiker vgl. Ausbildung Albertz, Martin, Pfr. 141 142 Aldinger, Paul, Pfr. 76, 77 Alldeutschtum 44, 94, 96 Allgemeiner Deutscher Schulverein 44 Althaus, Paul, Systematiker 192, 226 Alves de Lima et Silva, Luis, Marschall 40 Amsterdam 157, 229 Anglikaner 20, 74, 101 f. Antisemitismus 128, 188 - vgl. auch Rasse Argentinien 28f., 40, 202 Assimilation, Assimilierung 16, 24, 39, 44, 46, 58, 63, 68, 81, 93, 108, 159 - vgl. auch Integration; Marginalisierung Arbeitsgemeinschaft der Bekennenden Kirche 22, 115, 135f„ 142ff„ 156, 223 - vgl. auch Bekennende Kirche Asmussen, Hans, Pfr. 113 Aufklärung 80, 85 Augsburger Bekenntnissynode 139 - vgl. auch Bekennende Kirche Ausbildung, theologische 17ff., 53ff., 63ff., 69, 105f., 109, 137ff., 144, 170, 225 - akademische 21, 55, 63f., 70, 94ff., 104, 137f., 146, 203, 212ff. - seminaristische 63, 69f., 89, 94, 96, 105, 135ff„ 167 - vgl. auch Mission; Seminare Auslandsdiaspora 75f., 136, 161, 163f., 206f., 208, 211 - vgl. auch Mission Auslandsgemeinden, Auslandskirchen 18f., 22, 92, 119, 172, 181, 192, 200, 202ff., 208, 210, 214, 222 Auswanderung 15, 27, 30ff., 43, 76, 80

- vgl. auch Einwanderung; Kolonisation Australien 52, 176 Azoren 28 Bachimont, Adolf, P. 189 Baden 33, 37f. Baixo Guandu 188 Ballbach, Georg, P. 189 Balten 95 Baltimore 65 Barmen 70, 94, 96 - Ev. Gesellschaft 18, 207 - Theologische Erklärung 115, 143ff., 223, 225 - vgl. auch Bekennende Kirche Barth, Karl, Systematiker 113, 115, 126, 141, 214, 223, 225f. Basel 68f., 94, 104 - Missionsgesellschaft 17f., 53f., 73f. Battenberg/Hessen 65 Bauern 17, 33f., 55, 58 - vgl. auch Agrarstruktur Baumgärtel, Friedrich, Alttestamentier 213 Bayern 38, 61 - Ev. Landeskirche 167ff., 176, 179f. - vgl. auch Landeskirchen - Kirchenpräsident (Veit) 168 - Landeskirchenrat 10, 138, 168f., 172, 176, 181 f. - Synode 168, 176 - Gotteskasten 162f., 166, 171, 176, 179, 183 vgl. auch Lutherischer Gotteskasten; Martin-Luther-Bund Becker, Rudolf, Pressereferent 119, 120, 121 Bekennende Kirche 115, 124, 126f., 135, 137ff., 143ff., 147, 203, 213, 217ff., 225 - Vorläufige Leitung 115, 138, 141, 143 - vgl. auch Arbeitsgemeinschaft; Kirchenkampf Bekenntnis 20, 9 0 f „ 101, 106f„ 113, 134, 141, 147, 151, 227 f.

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Index

- lutherisch 152, 161 ff., 178, 181, 226ff. - vgl. auch Ev.-Lutherische Synode; Ev. Kirche Lutherischen Bekenntnisses; Deutsche Lutherische Kirche; Kirche lutherische; Luthertum - reformiert 77 - uniert 77, 102, 168, 174, 198f., 202 Bekenntnisfront vgl. Neuendettelsau Bergmann, Ernst, Schriftsteller 135 Bergmann, Horst, P. 135 Berghold, Karl, Präses 168f., 171 f., 182f. Berlin 10, 120 - Dahlemer Bekenntnissynode 138 - vgl. auch Bekennende Kirche Beschlagnahmen 50 f. Besig, Hans, Konsistorialrat 219, 220 Bethel 208 Bismarck, O t t o von, Reichskanzler 21, 43f., 46, 80, 114, 204 Bliedner, Fritz 209 Blumenau 37, 40, 44f., 59, 67 Blumenau, Hermann, Arzt 32, 40, 74 Blumenau-Stiftung 44 Bobenhausen 65 Bodelschwingh, Friedrich von, Reichsbischof 119f., 125, 145 Böhm, Hans, P. 142 Böhmen 36, 162 Bonn 216 Borchard, Hermann, Pfr. 43, 52, 55, 59f., 64, 66, 70f., 74, 76ff.,84 Boykott 49 f. Brakemeier, Heinrich, P. 135, 144 Brasilien passim - Monarchie 24ff., 30, 32, 39, 41 f., 57, 63, 65, 86 - Republik 21, 27, 33, 41 ff., 80f. - Parlament 31 f. - Regierung, Behörden 17, 19, 27f., 30ff., 47ff., 50, 52, 83, lOOf., 150, 191 - vgl. auch Polizei Braunschweig 37 f. Braunschweig, Martin, Propst 47, 89, 92, lOOff., 199, 204, 206f. Breslau 140 Bruderrat vgl. Bekennende Kirche Brummer 40f., 59, 66, 226 Brunner, Emil, Dogmatiker 226 Brusque 37, 59 Buchenau 65 Buchhandel 85f. Bühler, Fritz, Pfr. 166, 173 Bülow von, Landmarschall 76

Buenos Aires 111, 140, 202 Bürgerrecht 25, 31, 40f., 55, 192 - vgl. auch Staatsangehörigkeit Bullinger, Johann Heinrich, Theologe 226 Bund der Synoden (Federgäo Sinodal) 19, 199, 227 ff. - vgl. auch Ev. Kirche Lutherischen Bekenntnisses Cachoeira do Sul 104f., 119, 125, 130, 137, 159, 215 Cahy (Cai) 97, 101, 116 Calvin, Johann, Reformator 195, 226 Campinas 207 Campo Bom 65 Canoinhas 186 - vgl. auch O u r o Verde Chile 77, 202 Chrischona 94 Christlicher Verein Junger Männer 130 Cleve 65 Coch, Friedrich, Landesbischof 120 Colsmann, Wilhelm 77 Comte, Auguste, Philosoph 42 Comite für die protestantischen Deutschen in Südbrasilien 54, 78ff., 84 Confedera^äo Evangelica do Brasil 20, 229 f. - vgl. auch Ökumene Confessio Augustana 90, 103, 106, 113 Cruz Alta 97 Curitiba 53, 123f„ 168, 186 Dänemark 40 Dedekind, Max, Pfr. 81, 82f., 99 Der Deutsche Ansiedler 78, 80, 82f. Der junge Kämpfer 188 f. Der Urwaldbote 44 Deutschbrasilianer 41 f., 49f., 93f., 118, 127f., 215 - vgl. auch Deutschtum; Sprache Deutschbrasilianischer Arbeitskreis 213 f. Deutschbrasilianischer Jugendring 50, 131, 133 f. - vgl. auch Hitlerjugend; Jugendarbeit Deutsch-Brasilianischer Verein 44 Deutsche Brudersozialität 18 Deutsche Christen 120, 127, 141, 145, 148, 187, 203, 224 - Deutsche Christen Brasiliens 119, 123 f., 127, 129 - Glaubensbewegung Deutsche Christen 21, 115, 121

Index - Thüringer Deutsche Christen 127, 133 - vgl. auch Kirchenkampf Deutsche Evangelische Blatter für Brasilien 105, 114, 128, 145f., 220f. Deutsche Evangelische Kirche von Rio Grande do Sul 90, 103, 106, 124, 129, 201 - vgl. auch Kirche ev. brasilianische; Riograndenser Synode Deutsche Evangelische Synode in Nordamerika 77 Deutsche Lutherische Kirche in Brasilien 172, 185f., 188, 201 - vgl. auch Evangelisch-Lutherische Synode; Kirche ev. brasilianische Deutsche Glaubensbewegung 135 Deutsche Post 85 f. Deutsches Reich, Reichsregierung 20f., 41, 43ff., 47, 60, 63, 72, 75, 80, 89, 94 f., 105, 114, 117, 120, 164, 166, 173f., 204 - Auswärtiges Amt 44, 142f., 167f., 171, 174 f., 179 f., 182 - Reichskanzlei 154 f. - Reichskirchenministerium 143, 220 Deutschrussen 162 Deutschstämmigkeit, Deutschtum 9, 16, 19, 21, 27, 32, 40f., 52ff„ 56ff., 73ff., 79, 81 f., 85ff., 90, 93ff., 97, 101, 105 ff., 118, 127ff„ 141, 157ff., 161 ff., 167, 173 f., 178, 182ff., 192, 194f., 205ff., 215f. vgl. auch Deutschtumspolitik; Sprache; Volk Deutschtumspolitik 21, 41, 44ff., 75, 204 Die Evangelische Diaspora 209 Die Kameradschaft 134 Dietschi, Theophil, Präses 122, 125, 158, 212 Dohms, Hans 133 Dohms, Hermann Gottlieb, Pfr. 90, 100, 103 f., 105 ff., 117, 126, 137, 140ff., 145ff., 157f., 201, 207, 218, 220f., 223 ff. Dohms, Paul, Pfr. 103 Dona Francisca 45 - vgl. auch Joinville Donatismus 113 Donauschwaben 36 Ebrard, Johann Heinrich August, Theologe 84 Eger, Pf t . 68

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Ehe 25ff., 74, 85 f. Ehlers, Johann Georg, Pfr. 57, 63, 64 Ehrenfeuchter, Friedrich, Praktologe 84 Eichmann von, Gesandter 70 Einwanderung 15, 17, 20f.,23, 27ff., 36ff., 52f., 55, 91 - vgl. auch Auswanderung; Kolonisation Engel, F. Α., Gemeindevertreter 89 England 27, 31 Eppelein, Friedrich, Missionsdirektor 172, 175, 176 ff., 183 Erlangen 84 Erziehung vgl. Schulwesen Espirito Santo 17, 37f., 46, 52f., 59f., 62, 68, 70, 79f., 164f., 174, 176, 188f„ 191, 193 Esten 162, 172 Evangelische Gesellschaft für die protestantischen Deutschen in Nord- und Südamerika 10, 17, 45, 73, 75ff., 81 f., 92, 96, 198 Evangelische Jugend 131, 133 Evangelische Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien (EKLBB) 9f., 15, 17, 19, 23f., 36, 41, 54, 199, 221ff. - vorsynodale Periode 16, 52, 54, 56, 62, 70, 75, 93 - synodale Periode 16, 59, 72 - vgl. auch Arbeitsgemeinschaft der Bekennenden Kirche; Deutsche Christen in Brasilien; Evangelischer Gemeindeverband; Evangelisch-Lutherische Synode; Gemeinden; Mittelbrasilianische Synode; Nationalsozialistische Pfarrerschaft; Riograndenser Synode Evangelisch-Lutherische Synode von Santa Catarina, Parana und anderen Staaten 9, 18f„ 73, 123, 161 ff.,199ff., 208 f. - vgl. auch Ev. Gemeindeverband; Kirche ev. brasilianische; Parana; Santa Catarina Evangelisch-Lutherisches Gemeindeblatt 164, 186, 190 Evangelisch-Lutherisches Kirchenblatt 102, 114 Evangelischer Gemeindeverband Santa Catarina und Parana 10, 18ff., 123f., 131, 168, 170f„ 184, 199, 201 f. - vgl. auch Ev.-Lutherische Synode; Kirche ev. brasilianische; Parana; Santa Catarina

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Index

Evangelischer Hauptverein für deutsche Ansiedler und Auswanderer 76 Evangelischer Presseverband 120 Evangelisches Volksblatt für Brasilien 127 Evangelium vgl. Verkündigung Fabarius, Direktor 76 Fabri, Friedrich, Missionsinspektor 70, 71, 74, 78ff., 84, 96 Fahne 38, 47, 131 f. Falcini, Internuntius 26 Fanö 136 Fausel, Erich 52, 60, 71, 87, 89, 146, 213, 229 Feiern, Feiertage 46, 48f., 61, 72, 95, 98, 102f„ 126, 158, 188, 209ff.,222 Feuerbach, Ludwig, Philosoph 85 Fezer, Karl, Praktologe 213 Fichte, Johann Gottlieb, Philosoph 117 Ficher, Erich, Pfr. 188 f. Fischer, Joachim, Kirchenhistoriker 9 Föderalismus 42 Frank, Karl, P. 124, 167, 174, 182 Frankreich 23, 39, 46, 96, 98 f. Franz I., Kaiser von Österreich 30 Frauenarbeit 199 Fricke, Wilhelm, Pfr. 207 Friedberg bei Hildesheim 64 Führerprinzip 117, 121 f. Fülling, Erich 11, 222, 224 Füllkrug, Erich 157 Für's Dritte Reich 133 Fugmann, Wilhelm, P. 169, 171 f., 194f., 197 Funcke, Gottlieb, Propst 121, 122, 124f., 131, 169, 175, 180, 182f., 199, 211 f. Gemeinden 16ff., 24, 44, 52ff., 59, 74f., 83, 91 ff., 98, 119, 136, 149, 152, 157ff„ 163, 170, 191, 198, 202, 204 - Finanzierung 18, 54, 74f., 78, 91, 100, 166, 198 - Independentismus 18, 54f., 91 ff., 100 - vgl. auch Kirche ev. brasilianische Gemeindeschulen 19, 57, 61 f., 78f., 91, 109, 149, 165, 191 - vgl. auch Schulwesen Genner, Rendant 83 Germanentum 87, 97, 110 f. - vgl. auch Rasse Gerstenmaier, Eugen, Konsistorialrat 213, 221 Gesellschaft Germania 69

Gettysburgh 65 Giessel, Heinz, Pfr. 141 Göttingen 84, 140, 146f., 213 Gottesdienst 9, 19, 25, 57ff., 64f., 87, 98, 100, 102, 111, 149f., 153, 156, 165f., 172, 175, 182, 192, 209, 211 - vgl. auch Agende; Liturgie Gotteskasten vgl. Bayern; Lutherischer Gotteskasten Gottschald, Karl, Pfr. 122 Grabs, Rudolf, Pfr. 133, 134 Greiz 177 f. Grundbesitz 17, 23, 27, 31, 34, 42 - vgl. auch Agrarstruktur; Sozialstruktur Gruppe, ethnische 15f., 19, 24, 28f., 31 f., 36, 47, 49, 108, 112, 118, 148, 159, 189, 228 - vgl. auch Sprache; Volk Gütersloh 103f., 216 Gustav-Adolf-Verein 17, 45, 74ff., 92, 100, 139, 199, 207 Haeckel, Ernst, Naturphilosoph 85 Haesbert, Johann Peter, Pfr. 65 Hahn, Gustav, Pfr. 135 H a h n , Gustav, Dekan i. R. 125 Halle 104 Hamburg 38, 64, 74 - ev. Landeskirche 167 Hamburger Berg (Hamburgo Velho) 48, 65, 79, 91 Handwerk 30, 33 Hannover 37, 84 Hanseatischer Kolonisationsverein 67, 74 Hauck, Albert, Dogmatiker 104 Heckel, Theodor, Bischof 119, 132, 134, 137ff., 194, 202, 2 1 0 f f „ 2 1 8 f „ 227 Heidelberg 63 Heliand 194 Hempel, Johannes, Alttestamentler 213 Herder, Johann Gottfried, Philosoph 105, 195 Hermannsburg 161 Hesse, Oswald, Pfr. 67 Hessen 3 7 f „ 61 v. d. Heydtsches Reskript 32f., 43, 204 Hilfsvereine 69, 116 Hilsbach/Baden 63 Hindenburg, Paul von, Reichspräsident 211 Hirsch, Emanuel, Systematiker 126, 213 Hitler, Adolf, Parteiführer und Reichs-

Index kanzler 82, 114, 117, 128f„ 134, 185, 210f. Hitlerjugend 131 ff. Holzel, Georg, Pfr. 67 Hofmann, Verwaltungssekretär 139 H o f m a n n , Christian Konrad von, Professor 84 H o f m a n n , Daniel Jakob, cand. theol., 66f., 68 Holland 23f., 39, 162 Hollerbach Johann Leonhard, Pfr. 67, 68, 69 Hornig, Walter, NS-Kreisleiter 125 Hübbe, Erwin, Propst 123, 167, 186f., 199f., 227 Hunsche, Heinrich, Pfr. 88, 89, 213 Hunsriick 17, 35ff., 58 Idealismus 15 f. Igrea dos Alemäes vgl. Evangelische Kirche Lutherischen Bekenntnisses; Sprache Ihmels, Ludwig, Landesbischof 169 Ijui 223 ff. Ilsenburg 22, 63, 135ff., 146f., 203, 212f., 218, 224 Imbituva 165, 186 Indianer, Indianermission 28f., 102 Industrialisierung, Industrie 28, 30, 33 f. Inflation 35, 166 Innere Mission 17, 129 - vgl. auch Mission; Volksmission Integration 21, 42, 48f., 93 - vgl. auch Assimilation; Marginalisierung Intellektuelle 25, 59, 67 Internationalismus 86, 175, 183 Internierung 19, 50, 153, 156 Iowa-Synode vgl. Ohio- und Jowa-Synode Italien 86f., 97 Jäger, August, Staatskommissar 120 Jahn, Friedrich Ludwig, Gymnasiallehrer 117 Jena 84 Jesuiten 26, 28, 56, 61, 80, 97 Joäo VI, König von Portugal 23 f. Joinville 37, 40, 45, 53, 59, 67f., 165, 167, 169 ff., 172, 184, 186, 188, 195 Jugendarbeit 127, 130ff., 156, 158, 188ff. Juiz de Fora 38, 59f., 67f., 207

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Kahler, Martin, Professor 104 Kaetzke, Paul, Propst 199 Kaiser, brasilianischer vgl. Brasilien, Monarchie; Pedro Kaiser, deutscher 32, 45, 61, 72, 75, 95, 116, 204 Kampfgemeinschaft 188 f. - vgl. auch Jugendarbeit Kapler, Hermann, Präsident des Ev. Oberkirchenrats 120, 180f., 200, 209 Katholizismus 17, 20, 25f., 37, 39, 45, 52, 56, 61, 64, 86f., 101, 108, 116, 134, 151, 194 - vgl. auch Kirche, katholische Kattenbusch, Ferdinand, Professor 104 Kinsolving, Lucien Lee, Bischof 101 f. Kirche evangelische brasilianische vgl. Arbeitsgemeinschaft der Bekennenden Kirche; Deutsche Christen in Brasilien; Deutsche Evangelische Kirche von Rio Grande do Sul; Evangelischer Gemeindeverband; Evangelische Kirche Lutherischen Bekenntnisses; Evangelisch-Lutherische Synode; Gemeinden; Mittelbrasilianische Synode; Nationalsozialistische Pfarrerschaft; Riograndenser Synode Kirche evangelische deutsche - Deutscher Evangelischer Kirchenausschuß 10, 121, 137, 163, 169, 171 f., 175, 179ff., 201 f., 208 - Deutscher Evangelischer Kirchenbund 19, 105f., 120, 123, 146, 167f., 172, 176, 178ff., 184ff., 200ff., 206ff. Deutsche Evangelische Kirche 10, 22, 83, 121 f., 135, 147, 155, 201, 203, 217, 224 f. - vgl.auch Reichskirche; Reichskirchenausschuß Kirchliches Außenamt 10, 19f., 83, 119, 123 f., 127, 132, 135, 138ff., 142, 144, 146, 186f., 191, 193 ff., 201 ff., 2 1 0 f f „ 218ff. - Evangelische Kirche in Deutschland 10, 20, 223, 227ff. - vgl. auch Landeskirchen Kirche katholische 26, 52ff., 56f., 86, 101, 120, 230 - vgl. auch Katholizismus Kirche lutherische 20, 103, 151, 161, 167 ff., 174, 176, 192 f. - vgl. auch Ev.-Lutherische Synode; Ev. Kirche Lutherischen Bekenntnisses;

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Index

Deutsche Lutherische Kirche; Luthertum Kirchenbau 17, 54 Kirchenführerkonferenz (Südamerika) 191, 195, 202, 212 Kirchenkampf 119ff., 124f., 135ff„ 203, 215ff., 223, 227 - vgl. auch Bekennende Kirche; Deutsche Christen Kirnbecherbach/Hessen-Homburg 63 Klenze, Wilhelm, Pfr. 6_ Klingelhöfer, Friedrich Christian, Pfr. .57, 63, 65 Knapper, Erich, Pfr. 121, 122ff., 126f., 129, 131 f. Knipping, Hubert, Gesandter 167, 174, 182 Knubel, Frederick H . , Kirchenpräsident 169 Koblenz 216 Koch, Egon, P. 130 Koch, Karl, Präses 218 Kolfhaus, Adolf, Pfr. 9 9 Kollekte 75, 91, 99, 166 Kolonisation 30ff., 44, 52, 76, 79f. Kommunismus 35, 128 Konfirmandenunterricht 63, 100, 111, 152, 155, 158, 164, 172, 175 Konservatismus 31, 42, 118 Koseritz, Karl von, Kolonisator 40ff., 85 Kreutzer, Otto, P. 133, 134 Krieg 28, 4 6 f . , 50, 98ff., 165 - 1870/71 61, 72, 87, 165 - 1914/18 18, 21, 35ff., 46, 51, 75, 85, 91, 93, 95, 98ff., 101 f., 116, 130, 148, 157, 164, 166, 229 - 1939/45 19, 22, 36, 5 0 f . , 57, 82, 157, 202, 214, 222, 229 Kropp 94, 161 Krummacher, Emil Wilhelm, Pfr. 77 Kühr, Otto, P. 162ff., 166 Kultur 39, 42, 48, 214 Kunert, Ernst August, Pfr. 96 Kunstmann, J . F . , Professor 102 Kupisch, Karl, Kirchenhistoriker 15 Kurland 84 La-Plata-Synode 202 Lagarde, Paul de, Orientalist 82 Laguna 28 Laien 19, 53 Lamprecht, Karl, Historiker 104 Landeskirchen, deutsche 66, 71, 74, 91 ff.,

94, 102, 119f., 167 ff., 174, 176, 1 7 9 f „ 198, 200f., 204, 206f. Landessprache vgl. Sprache Landwirtschaft vgl. Agrarstruktur; Grundbesitz Langenberg 77 f. Langholf, Johann, Pfr. 178, 183 Lechler, Ernst, Pfr. 96, 102 Lecke, Georg, P. 144 Lehrer 17, 19, 44, 57, 62, 79, 105, 125, 149, 155, 157 - vgl. auch Gemeindeschulen; Schulwesen Leipzig 104, 139 Leopoldine, Kaiserin von Brasilien 30 Letten 162, 172, 176, 196 Lewenhagen von, Gesandter 43 Liberalismus 40ff., 118 Liga de defesa nacional 101 f. - vgl. auch Nationalisierung Lima de Aranjo, Pedro 30 Lippold, Pfr. 66, 68 Literatur nationalsozialistische 129, 133 f. - vgl. auch Nationalsozialismus; Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Liturgie 101, 151 ff. - vgl. auch Agende; Gottesdienst Löhe, Wilhelm, Pfr. 195 Lomba Grande 101 f. London 119 Loofs, Friedrich, Professor 104 Ludendorff, Mathilde, Religionsstifterin 134 Lüdersen/Hannover 64 Luther, Martin, Reformator 57, 90, 129 f., 165, 173, 195 Lutherische Synode vgl. Evangelisch-Lutherische Synode Lutherischer Gotteskasten 17f., 54, 73, 76 f., 162, 166 f., 170, 177 ff., 183, 199, 208 - vgl. auch Bayern; Martin-Luther-Bund Lutherischer Weltbund 20, 230 Luthertum 20, 54, 77, 90, 103, 109, 138, 149, 151, 161 ff., 230 - vgl. auch Deutsche Lutherische Kirche; Ev.-Lutherische Synode; Ev. Kirche Lutherischen Bekenntnisses Machtergreifung (1933) 82, 115, 117, 186 f. Madeira 28 Marburg 216

Index Marczynski, Martin, Propst 83, 125f., 140, 194, 202, 212 Marginalisierung 16, 24, 39, 42f., 46f., 56 - vgl. auch Assimilation; Integration Marine 44 f. Martin-Luther-Bund 17, 175 f., 188 - brasilianisches Hilfswerk 176 ff. - vgl. auch Bayern, Gotteskasten; Lutherischer Gotteskasten Martins, Gaspar Silveira, Parteiführer 42, 85 Marxismus 118 Materialismus 55, 59 May, Gerhard, Pfr. 192 Mecklenburg 38, 74 Mein Kampf 155 Menzer, Paul, Philosoph 104 Methodisten 20, 97, 101 f. Meyer, Wolf, Pfr. 187 Mezger, Paul, Systematiker 104 Minas Gerais 17, 24, 38, 59, 67f. Mission, Missionsgesellschaft 17f., 21, 52ff., 73f., 78, 89, 94f., 102, 136, 140, 161, 171, 207 - vgl. auch Ausbildung, seminaristische; Innere Mission; Pfarrer; Volksmission Missouri-Synode 90, 101 f., 113f., 156, 164, 166f., 195f., 204f. Mittelbrasilianische Synode 10, 18f., 124, 131, 174, 199, 201 f. - vgl. auch Kirche ev. brasilianische Montenegro 99, 158 Morehead, John, Kirchenführer 169 Mosel 37 Mucker 55f., 103 Müller, Hans, P. 171, 187f. Müller, Ludwig, Reichsbischof 120, 124f., 135, 138, 140, 145, 224f. Müller, Rudolf, Gemeindevertreter 159 Münster 200 Muttersprache vgl. Sprache Napoleon I. 23, 33, 38 Nassau 37 ff. Nationalbewußtsein 24, 41, 48, 61, 71, 80, 93, 98f., 165 Nationalisierung, Nationalismus 19, 22, 44, 48ff., 82, 87, 94, 96f., 99, 101 f., 106, 148ff., 177, 191 ff., 210 - vgl. auch Deutschtum; Sprache Nationalsozialismus 48, 82, 115, 118, 127ff., 134, 154ff., 184, 190, 213

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Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei 49f., 120, 124 f., 131, 154 ff., 158 f., 187, 211 - Auslandsorganisation 49, 82 Nationalsozialistische Pfarrerschaft in Brasilien 119, 121 ff., 127 Nativismus 24, 31 f. Neu-Württemberg (Panambi) 158 Neuendettelsau 123, 140, 161 f., 166, 171, 176 Niemöller, Gerhard, Pfr. 119 Niemöller, Martin, Pfr. 214, 223 Nova Friburgo 37, 57ff., 63, 68 Nova Petropolis 36, 59 Nürnberg 10, 167, 179, 209 Ökumene 20, 101 f., 162, 176, 178, 222, 228 ff. ökumenischer Rat der Kirchen 20, 157, 230 Österreich 95 Ohio- und Jowasynode 166f., 174, 182 Oldenburg 37f. Ordination 17, 53, 136 Orelli, Konrad von, Alttestamentler 104 Organisationen 10, 16ff., 43ff., 53f., 67, 69f., 73ff., 76ff., 80ff., 84, 92, 96, 100, 103, 116, 130, 139, 198f., 207 Ostelbien 34 Ostpreußen 111 Ouro Verde 169, 186, 175f. Pamperrien, Stellenvertretender Konsul 168, 175, 180, 183 Parana 17f., 37, 40f., 47f., 123, 189 - vgl. auch Evangelischer Gemeindeverband Parlamentarismus 121 Parteien, politische 32, 35, 41 f., 49f., 148 - vgl. auch Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Pastorierung 53, 59f„ 70, 74 - vgl. auch Seelsorge Pauly, Arthur, Pfr. 62 Pechmann, Friedrich, Pfr. 89 Pedro I., Kaiser von Brasilien 24, 30 Pedro II., Kaiser von Brasilien 26, 40, 53 - vgl. auch Brasilien, Monarchie Peip, Professor 84 Pernambuco 23 Petropolis 26, 37, 58, 61, 66ff. Pfalz 33, 37 Pfarrer 52f., 57, 63ff.

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Index

- Aussendung 17, 52, 70, 73ff„ 136ff., 211, 218 - vgl. auch Mission - Versorgung 17f., 52, 54f., 63, 70, 75, 92, 136 ff. - Registrierung 26, 53 f. - vgl. auch Ausbildung; Pseudopfarrer Pfarrhaus 17, 54 Pietismus 104, 104 Plünderung 47, 51, 165 Polen 95, 178 Politisierung 114f., 120, 143, 154 ff., 165, 209 Polizei 50, 83, 100, 150ff. - vgl. auch Brasilien, Regierung Pommern 17, 36f., 55, 58 Ponta Grossa 168ff., 186 Porto Alegre 18, 66, 83, 92f., 100, 110, 116, 150, 153, 199, 206, 211 Portugal 23f., 28, 39, 57 Positivismus 42f., 55 Predigt 9, 19, 53, 58, 95, 100, 126, 149ff., 165, 226 - vgl. auch Reisepredigt Presbyterianer 20, 207 Presse 44, 46f., 50f., 78, 80, 82f., 85f„ lOOff., 114, 116, 119 ff., 127, 130f„ 133 f., 146, 150, 155f., 158, 164, 186, 188 f., 209 Preußen 32, 34, 37f., 43, 61, 66, 75 - Ev. Landeskirche 66, 71, 74, 92ff., 102, 198, 200, 204, 206f. - Ev. Oberkirchenrat 10, 17ff., 43, 52ff., 68, 71, 74f., 89, 92, 120, 136, 138, 140, 174, 198ff., 202, 204ff., 208, 210, 217 - - Kirchengesetz 18, 75, 92, 198, 204 - Ständiger Vertreter 18, 92, 180, 199, 202 - Auslandsseminar 18, 95, 136ff., 199 - Bekennende Kirche 140, 218 - König 61, 74, 77, 204 - - Gesandte 26, 43, 70 Pritzwalk 65 Propaganda 48f., 50, 61, 82, 148, 156, 159, 187 Protestanten, Protestantismus 17, 20, 24f., 27, 32f., 39, 41, 43, 52, 56, 58f., 75, 85, 87, 96f., 105, 110, 120, 134, 201, 209, 229 f. Pseudopfarrer 17, 53, 57, 66 - vgl. auch Ausbildung, Pfarrer Py da Silva, Aurelio 154 ff.

Queiros Contonho Matoso Camara, Eusebio de, Justizminister 27 Rahlwes, Ferdinand, Konsistorialrat 207 Rasse 45, 49, 87, 97, 110f., 134f., 159, 189 f. - vgl. auch Antisemitismus Recke, Heinrich, Theodor, Pfr. 65 f. Reformation 57, 90, 102, 112, 132, 137, 143, 149, 157, 165, 195 Reichsbischof vgl. Bodelschwingh; Müller, Ludwig Reichskirche - vgl. auch Kirche ev., Deutsche Evangelische Kirche Reichskirchenausschuß 140, 142 Reisepredigt 17, 68, 78, 81, 163, 172 - vgl. auch Predigt Religionsunterricht 149, 156 Rendtorff, Heinrich, Landesbischof 120 Republikanismus 42 Restauration 34 Reusch, Gustav, Pfr. 119, 124, 125, 126, 135, 140ff., 224 Revolution 35, 41 ff., 55, 65, 116ff., 148 Rheinische Missionsgesellschaft 70, 77, 80 f., 103 Rheinland 36f., 218 Rieger, Julius, Pfr. 119 Rio Claro 53 Rio Grande do Sul 17, 27ff., 32, 36, 38, 40ff., 47, 49, 52f., 56, 58ff., 65f., 71, 81, 83f., 97, 124, 139, 142, 151, 155, 215 Riograndenser Synode 9, 17ff., 43, 55, 59, 61, 66, 71, 81, 83ff., 119ff., 124, 134 f., 140 f., 145, 147ff., 161, 173, 188f., 196f., 200f., 204, 206, 208f„ 216ff., 219ff., 229 - Synodalvorstand 92, 110, 121 f., 124f., 127, 137, 141, 143f., 146 - Pressedienst 121, 124 - Seminar 18f„ 91, 125, 157, 173, 206 - Arbeitsgemeinschaft 157 - vgl. auch Deutsche Ev. Kirche von Rio Grande do Sul Rio de Janeiro (Provinz) 17, 37, 47, 68 Rio de Janeiro (Stadt) 23, 49, 53, 64, 68f., 74, 142, 167, 179ff., 193 Rio Negro 165 Rio de la Plata 28 Ritsehl, Friedrich Wilhelm, Altphilologe 104

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Index Roche, Jean 30f., 87 Rösel, Karl, P. 172 Romantik 15f., 48, 87, 105 Rosas, Juan Manuel, Diktator 40 Rosenberg, Alfred, Reichsleiter 133 ff. Rotermund, Wilhelm, Pfr. 32, 71, 8 4 f f . , 86ff., 91 f., 98ff., 104, 130, 204, 206 Ruhrbesetzung 116, 136 Saarabstimmung 211 Sachsen 36ff., 59, 167 Sachsen-Coburg 36 Säkularismus 113, 144 Santa Catarina 17f., 28, 32, 37f., 4 0 f . , 42, 48, 53, 59f., 66f., 69, 73f., 76, 81, 151, 162, 164 f., 175, 189 - vgl. auch Ev. Gemeindeverband; Ev.Lutherische Synode Santa C r u z 36, 59, 61, 91, 145 Santa Isabel 37, 56, 59, 67, 74 Santa Izabel 52f., 68 Santa Leopoldina 37, 59, 68 Santa Maria 87, 96, 99f., 101, 106, 158 Santa Ängelo 36, 59 Santos 191, 202 Säo Francisco 184 Säo Leopoldo 19f., 26, 31 f., 34, 36, 40, 48, 55, 57ff., 62ff., 65ff., 74, 78, 84f., 88, 105, 130, 154, 206, 212, 224, 228, 230 Säo Lourenco 36 Säo Paulo 17, 27, 4 7 f . , 61, 185 Säo Pedro do Rio Grande do Sul 27 Säo Sebastiao do C a h y (Cai) 89 Sapiranga 103 Sauerbronn, Friedrich Oswald, Pfr. 57, 6 3 , 68 Schaeffer, Georg Anton Aloys, Agent 63 Scheer, Martin, Einwanderer 184 Scheerer, Wilhelm, Pfr. 184, 212 Schiemann, Willi, Pfr. 132 Schlegtendahl, Gottfried, Pfr. 60, 102 Schleiermacher, Friedrich Ernst Daniel, Philosoph 104, 117 Schlesien 36 Schleswig-Holstein 37 f. Schlieper, Ernst, Pfr. 96, 2 1 5 ff., 224 Schlingensiepen, Hermann, Seminardirektor 125, 137f., 139, 140f., 147, 219 Schlünzen, Ferdinand, Präses 123, 171, 191, 195, 202, 212 Schmidt, Wilhelm, Pfr. 176 17 Divher, Brasilien

Schöberlein, Ludwig Friedrich, Theologe 84 Schöpfungsordnung 87, 95, 103, 106, 113f., 192, 196, 221 - vgl. auch Theologie Schrifttum, kirchliches 74, 78, 85, 90f., 101, 151, 227 f. Schröder, Ferdinand, Referent 30f., 64, 94, 132 , 219 , 221 Schuldbekenntnis 157, 223 f. Schulwesen 17, 19, 23, 42, 4 4 f . , 47, 49, 57, 61 f., 70, 79ff., 85f., 91, 98, 105f., 109, 111, 118, 125, 149, 164, 174, 181, 191 f., 204, 206 - vgl. auch Gemeindeschulen; Lehrer Schweden 162 Schweiz 17, 23, 37, 53, 73, 95 Seelsorge 18, 67, 79, 154, 162, 182, 202f. - vgl. auch Pastorierung Seminare, theologische 18f., 22, 55, 6 3 f . , 91, 95, 104, 130, 136, 135ff„ 146f., 154, 157, 161, 170, 199, 203, 206, 212ff., 215ff., 224 - vgl. auch Ausbildung; Mission Sheboygan-Synode 77 Silbermann, Johannes, Lehrer 190 Simons, Walther, Reichsgerichtspräsident 209 Skandinavien 172, 176 Sklaverei 2 7 f . , 30, 39 - vgl. auch Sozialstruktur Slowaken 178 Soboll, Heinz, Pfr. 124 Soest 104, 136

Sonntagsblatt

der Riograndenser

Synode

lOOf., 116, 119, 121, 130, 158 f. Sozialdemokratie 35 Sozialstruktur 17, 23, 27f., 30, 34, 42, 69, 118, 157f., 184 - vgl. auch Agrarstruktur; Grundbesitz; Sklaverei Spanien Sprache - deutsche 9, 19ff., 44f., 47, 49ff., 57, 59f., 62, 69, 81, 85f., 100, l l l f . , 148 ff., 157f., 162, 172, 181 f., 192, 195f.,207f., 225ff. - portugiesische 9, 19f., 4 7 f . , 56f., 60, 65, 68, 86ff., 93f., 96ff., 101 f., 111, 115, 149f., 154, 158, 172, 174, 182, 188, 193, 196, 207, 227 - vgl. auch Deutschtum; Gruppe; Nationalisierung; Volk

258 Staat und Kirche 24ff., 41, 146, 148ff., 159, 195 Staaten (Landschaften) deutsche 17, 33 ff., 43, 58ff., 64, 74, 167 - vgl. auch Preußen Staatsangehörigkeit 40, 89, 97 - vgl. auch Bürgerrecht Staatskirche 25, 54, 204 Stein, Reichsfreiherr vom und zum, Karl 117 Stemmen 84 Stettin-Grünhof 136 Stirner, Theodor Eduard Martin, Pfr. 163 Stoevesandt, Hinrich, Pfr. 141 Stratenwerth, Gerhard, Pfr. 119 Ströle, Gottlieb, Pfr. 68 Stysinski, Bruno, Pfr. 97, 98, 99, 102 Synoden 9f., 16ff., 43, 52, 54f., 73, 75, 77f., 83, 90, 101 f., 113f„ 119, 123f., 131, 138 ff., 156, 161 ff., 164, 166ff„ 170 f., 174, 176, 182, 184, 195 f., 198ff., 201 f., 208f., 218, 227ff. - vgl. auch Riograndenser Synode Tägliche Rundschau 120 Tappert, Dr., Vertreter der United Lutheran Church 169 Taquara 11, 215 Teöfilo Otoni 38, 59f., 67, 207 Teresopolis 67 Teutonia 36 Theologie 15, 21, 67, 103f., 106, 126, 143, 194ff., 216, 223ff. - vgl. auch Schöpfungsordnung Theologiestudium vgl. Ausbildung Theremin, Wilhelm von, Generalkonsul 74 Thurneysen, Eduard, Praktologe 113 Tirol 38 Tres Forquilhas 58, 64, 96, 102 Treutier von, Gesandter 4_ Troeltsch, Ernst, Professor 104, 226 Tschechen 95, 178 Tschudi, Johann Jakob von, Gesandter 17, 58, 69, 73 Tübingen 213, 216 Ukrainer 178 Ulmer, Friedrich, Praktologe 169, 172, 176, 178 Unabhängigkeit 24, 27, 47, 80f. Ungarn 162, 178 Uniform 130, 158 f.

Index United Lutheran Church in America 169ff„ 175, 177 ff., 184 Uruguay 28 Vargas, Getülio, Politiker 48f., 148 Venäncio Aires 81 Vereinigte Staaten von Nordamerika 44, 52, 65, 71, 77, 90, 95, 101 f., 113f., 156, 164 ff., 169 ff., 173f„ 175ff., 182ff., 195f., 204f. Verfassung 42, 118, 149 Verhaftungen 101, 153f., 156 Verkündigung 81 ff., 95, 108, 115, 129, 134, 152, 209, 226 Vertretungen, diplomatische 17, 43, 45f., 50, 58, 69f., 73f., 93, 110, 124, 142, 167f., 174, 179ff., 182f„ 193, 206, 211 Vida Policial 155 f. Villa Thereza 121 Voges, Carl Leopold, Pfr. 57, 63, 64 Volk, Volkstum 21, 47, 71, 75f., 86f., 89 f., 103 ff., 117f„ 124 ff., 138, 158f., 161, 172, 179f., 188, 192ff„ 2 0 3 f f „ 209, 211 ff., 216 - vgl. auch Deutschtum; Nationalisierung; Sprache Volkert, Gottlieb, Dekan 168 Volkskirche 103, 105ff., 112f., 126, 130, 146, 159 Volksmission 127, 129 - vgl. auch Innere Mission; Volksmission Wagner, Karl, Pfr. 67 Wahlhäuser, Werner, Pfr. 145 Waidner, Hermann, Pfr. 186, 189, 212 Waldenser 97 Warnke, Kurt, Pfr. 224 Weber, Bertoldo, Pfr. 224 Weimarer Republik 35, 47, 116, 118 Weltkrieg vgl. Krieg Wemle, Paul, Neutestamentier 104 Westfalen 3 6 f „ 136, 219 - Bekenntnissynode 218 - vgl. auch Bekennende Kirche Wichern, Johann Hinrich, Pfr. 64, 129 Willems, Emilio 38, 43 Wilm, cand. theol. 147 Winterhilfswerk 49, 132 Wisconsin-Synode 77 Witzenhausen a. d. Werra 76 Witten a. d. Ruhr 136 Wolgadeutsche 36 f. Wolhyniendeutsche 36 Württemberg 36, 162

Index Wüstner, Friedrich, Pfr. 191 ff. Wulfhorst, Rudolf, P. 135 Wuppertal 73, 79

259

Zoellner, Wilhelm, Generalsuperintendent 92 f., 136, 142 f., 199 Zwei-Reiche-Lehre 103, 114, 226

BILDERNACHWEIS Die Bilder von Hermann Borchard und Wilhelm Rotermund wurden mit Genehmigung des Verlages Walter de Gruyter dem Band „Brasilien und Wittenberg" von F. Schröder (Berlin und Leipzig 1936) entnommen. - Das Bild von Hermann Dohms stellte die Editora Sinodal, Säo Leopoldo zur Verfügung. - Der Freimund-Verlag, Neuendettelsau, erlaubte den Abdruck des Bildes von Ferdinand Schlünzen vom Umschlag des Bändchens „Ferdinand Schlünzen. Ein Leben für die Diaspora in Brasilien" von G. Grottke (1963?) und der beigefügten Karte von Brasilien aus dem Band von H . Dressel „Das reiche Land der Armen. Brasilien heute und morgen" (1971).

Hill! Lutherische Synode ΨΜ R i o g r a n d e n s e r S y n o d e

CEARA

klO GRANDE , DO NORTE

PA'f^JBA^ PERNAMBUCO A LAG OAS SER6IPE

Bundesrepublik Deutschland