Konfliktgemeinschaft Kirche: Aufsätze zur Geschichte der Evangelischen Kirche in Deutschland 9783666557408, 352555740X, 9783525557402


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Konfliktgemeinschaft Kirche: Aufsätze zur Geschichte der Evangelischen Kirche in Deutschland
 9783666557408, 352555740X, 9783525557402

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Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte von Carsten Nicolaisen und Harald Schultze

Reihe B: Darstellungen Band 40

Vandenhoeck & Ruprecht

Wolf-Dieter Hauschild

Konfliktgemeinschaft Kirche Aufsätze zur Geschichte der Evangelischen Kirche in Deutschland

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 3-525-55740-X © 2004, Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen / Internet: www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. – Printed in Germany. Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

CARSTEN NICOLAISEN ZUM 70. GEBURTSTAG IN ALTER VERBUNDENHEIT GEWIDMET

INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT ...................................................................................................................

11

I. ALLGEMEINES GRUNDPROBLEME DER KIRCHLICHEN ZEITGESCHICHTE

1. Die Definition des Begriffs "Zeitgeschichte" und die Fundierung einer spezifischen Wissenschaft ........... ................ ............ ............. ........... .............. a) Zu Begriffsgeschichte und Gegenstandsbereich ............................................. b) Dilemma der chronologischen Ansätze ............... ..... ..... ..... ..... ................. ...... c) "Gleichzeitigkeit" als konstitutive Kategorie einer historischen Periode ....... 2. Zur Diskussion um das Wesen der "Kirchlichen" Zeitgeschichte .................. a) Anfang eines Theoriediskurses ....................................................................... . b) Theologischer Anspruch: Die Zeitschrift "Kirchliche Zeitgeschichte" ......... . c) Sozialgeschichtliches Programm: Die Reihe "Konfession und Geschichte" .... . 3. Grundsätzliche Aspekte .................................................................................. . a) Erstes Spezifikum: Gleichzeitigkeit ................................................................ b) Zweites Spezifikum: Real existierende Kirche .............................................. c) Drittes Spezifikum: Kooperationswissenschaft ............................................... d) Viertes Spezifikum: Bezug zur Kirchenpolitik. ..... ..... ..... ...... .... ............. ........ 4. Zu Begriff und Erforschung der "Kirchlichen Zeitgeschichte" ...................... a) Grundlegung in der Historiographie des 19. Jahrhunderts .............................. b) Kirchenkunde und Kirchliche Zeitgeschichte seit ca. 1900............................ c) Von der Kirchenkampfforschung zur Kirchlichen Zeitgeschichte ................. 5. Folgerungen .....................................................................................................

15

16 17 21 24 27 28 31 35 38 39 41 43 47 49 50 58 63 69

TRADITION UND VERÄNDERUNG. DIE EVANGELISCHE KIRCHE UND DIE POLITISCH-GESELLSCHAFTLICHE ORDNUNG ....... ........................................

73

1. 2. 3. 4.

74 76 78

Herrschaft Gottes und Politik ........................................................................ . Das Christliche als kritisches Prinzip gegenüber den Ordnungen ................. . Politische Diakonie als Leitbegrifffür das Wirken der Kirche ...................... . Der Beitrag der Kirche zur Grundwertediskussion ....................................... ..

80

VOLKS KIRCHE UND BEKENNTNISKIRCHE. EKKLESIOLOGISCHE PROBLEME

85 Merkmale der "Volkskirche" in Deutschland .... ..... .............................. .......... 85 Historische Modelle für die Konzeption von "Volkskirche" .......................... 88 Zur Ekklesiologie der "Volkskirche" .............................................................. 91 Volkskirche als Bekenntniskirche - Bekenntniskirche als Volkskirche .... ..... 95

EINER SÄKULARISIERT -CHRISTLICHEN VOLKSRELIGIOSITÄT ......................

1. 2. 3. 4.

8

Inhaltsverzeichnis

VOLKSKIRCHE UND DEMOKRA TIE. EVANGELISCHES KIRCHENVERSTÄNDNIS UND DEMOKRATISCHES PRINZIP IM 20. JAHRHUNDERT ........................

99 1. Modelle für verschiedene Konzeptionen von Volkskirche .. .... ...... ...... ........ ... 10 1 2. "Volkskirche" als politische Parole nach 1918 ............................................... 104 3. Politische Diakonie als Aufgabe der Kirche im demokratischen Staat nach 1945 ................................................................................................................ 111 DIE EVANGELISCHE KIRCHE UND DAS PROBLEM DER DEUTSCHEN SCHULD NACH 1945 .................................................................................................. 116

1. Schuld im Zusammenhang der Geschichte ..... .......................... .... ...... ............ 117 2. Die Schuld der Kirche in der Zeit des Nationalsozialismus ............................ 123 3. Schuldbekenntnis, Vergebung und Versöhnung: Die Erklärung von Stuttgart 1945 .... ...... ........ ............ ...................... ........... ..... .... ..... ...... ...... ......... 130

11. DIE BARMER THEOLOGISCHE ERKLÄRUNG

ZUR ERFORSCHUNG DER BARMER THEOLOGISCHEN ERKLÄRUNG VON 1934 ...... 141 1. Die Entstehungsgeschichte der Barmer Theologischen Erklärung ................. a) Der Text ........................................................................................................... b) Die "Autoren" .................................................................................................. c) Die Vorgeschichte ......... ......... ......... ........ ...... ...... ..... .... ..... ..... .................. .... d) Die Vorformen ................................................................................................. e) Die Synodalberatung .. .......... ... ....... ....... .... ... ......... .......... ..... ..... .... ..... .... ......... t) Politische Aspekte....... ...... ....... ... .... ....... ....... ..... .... ..... ..... ...... .......................... 2. Die Auslegung der Thesen .................... ............. ..... .................. ...... ..... ........... a) Gesamtdeutungen ............................................................................................ b) Die erste These ................................................................................................ c) Die zweite These .............................................................................................. d) Die dritte und die vierte These ........................................................................ e) Die fünfte These ... .... ... ... ... .... ... .... ... ... ....... ..... ................... ...... .... ..... .... .... ... .... t) Die sechste These. .... ... ...... .... ... ...... ............ ... ..... .... ..... ..... ....... ..... .... .... .... ........ DIE BEKENNTNIS SYNODE VON BARMEN

142 142 143 145 150 152 154 157 158 164 168 170 172 177

1934. IHRE VORGESCHICHTE UND

HISTORISCHE BEDEUTUNG ......................................................................... 180

1. Nationalsozialistische Gleichschaltungspolitik und die Deutsche Evangelische Kirche ....... ....... ........... .......... ...... ......... .............................. ...... ...... ....... ... 2. Die Bekennende Kirche und die Synode von Barmen .................................... 3. Christusbekenntnis und Auftrag der Kirche .................................................... 4. Schlußbemerkung ............................................................................................

182 188 193 199

KIRCHE UND WORT GOTTES: DIE BARMER THEOLOGISCHE ERKLÄRUNG ALS LUTHERISCHES BEKENNTNIS ............................................................... 201

1. Die Theologische Erklärung als Bekenntnis ................................................... 203

9

Inhaltsverzeichnis

2. Kirche und Wort Gottes: Zur lutherischen Interpretation der sechs Thesen ..... 209 a) Das Christuszeugnis als bleibender Auftrag der Kirche (Thesen 1 und 6) ....... 211 b) Herrschaft Gottes und christliches Leben in der Welt (Thesen 2 und 5) ......... 214 c) Die Kirche und ihre Ämter (Thesen 3 und 4) .................................................. 218 DIE ENTSTEHUNG DER 4. THESE DER BARMER THEOLOGISCHEN ERKLÄRUNG UND IHR HISTORISCHER KONTEXT .................................................... 1. Die geschichtlichen Voraussetzungen von These 4 ........................................ a) Probleme der Kirchenleitung vor 1933 ............................................................ b) "Führerprinzip" und "geistliche Leitung": Kampf um das Reichsbischofsamt 1933 ................................................................................................................. c) Gewaltherrschaft nach dem "Führerprinzip" 1933/34 ..................................... 2. Zur Entstehungsgeschichte von These 4 ......................................................... a) Grundkonsens in den Bekenntnissen 1933/34 trotz konfessioneller Unterschiede ... b) Karl Barths Vorarbeiten .................................................................................. 3. Vorbereitung und Beschlußfassung der Barmer Synode ................................ 4. Der ursprüngliche Sinn des Textes .................................................................. DIE BARMER THEOLOGISCHE ERKLÄRUNG ALS BEKENNTNIS DER KIRCHE? DER "LUTHERRAT" UND DIE KONSTITUIERUNG DER EVANGELISCHEN KIRCHE IN DEUTSCHLAND ............................................................................ 1. Vorgeschichte: Die Verlautbarungen des "Lutherrats" 1937 .......................... 2. Die Kirchenversammlung von Treysa 1945 und die Bemühungen um die Einheit der EKD .................................................. ............................................ 3. Der VELKD-Verfassungsentwurfund der Dissensus hinsichtlich "Barmen" ... 4. Zuspitzung der Kontroverse um die rechtliche Bedeutung der Barmer Theologischen Erklärung ................................................................................. 5. Der Streit um die Grundordnung der EKD und die Kirchenversammlung von Treysa 1947 .............................................................................................. 6. Die Auseinandersetzung um die EKD-Grundordnung bis Eisenach 1948 ...... 7. Schlußfolgerungen ...........................................................................................

221 221 222 225 228 231 231 235 238 242

245 246 252 258 264 271 283 292

III. EVANGELISCHE KIRCHE IN DEUTSCHLAND (EKD) UND VEREINIGTE EVANGELISCH-LUTHERISCHE KIRCHE DEUTSCHLANDS (VELKD)

1945-1948

DIE HISTORISCHE BEDEUTUNG DER KIRCHENVERSAMMLUNG VON TREYSA 1945 .............................................................................................. 297 1. Kirche in der Trümrnerlandschaft: eine neue Rolle, aber alte Probleme ......... 301 2. Der Beginn der EKD als Konfliktgemeinschaft .............................................. 309 3. Öffentliche Verantwortung als Aufgabe einer solidarischen Kirche ..... ......... 316

10

Inhaltsverzeichnis

DER RAT DER EVANGELISCHEN KIRCHE IN DEUTSCHLAND ALS VERTRETUNG DES DEUTSCHEN PROTESTANTISMUS IN DER NACHKRIEGSZEIT ...................... 329

1. Die Situation nach dem Zusammenbruch der Deutschen Evangelischen Kirche .... 330 2. Die vorläufige Gründung der EKD auf der Kirchenversammlung von Treysa .... 340 3. Der Rat der EKD und seine Amtsstellen ......................................................... 347 4. Wesen und Kompetenzen der EKD ................................................................. 358 KONFESSIONELLES SELBSTBEWUSSTSEIN UND KIRCHLICHE IDENTITÄTSANGST: ZUR GRÜNDUNG DER VEREINIGTEN EVANGELISCH-LUTHERISCHEN KIRCHE DEUTSCHLANDS (VELKD) IM JAHRE 1948 ................................................ 366

1. Die lutherische Einigungsbewegung 1830-1927: Abwehr gegen Preußens Union ............................................................................................................... 367 2. Bekennende Konfessionskirche 1933-1945: Abgrenzung gegen reichskirchliche Nivellierung und bekenntniskirchlichen Aktualismus ............................ 375 3. Vereinigte Kirche 1945-1948: Lutherisches Bekenntnis gegen EKDUnionismus ...................................................................................................... 382 VOM "LUTHERRAT" ZUR VEREINIGTEN EVANGELISCH-LUTHERISCHEN KIRCHE ....................................................................................................... 394

1. Der gescheiterte Gründungsversuch: Treysa 1945 .......................................... 395 2. Die "konfessionelle Frage": Der Konflikt um die Etablierung von EKD oder/und VELKD ............................................................................................. 399 3. Der Kompromiß: Die Kirchenversammlung von Treysa 1947 und ihre Folgen .... 406 ABKÜRZUNGEN .................................................................................................. 412 PERSONENREGISTER ......................................................................................... 415

VORWORT Herr Prof. Dr. Carsten Nicolaisen kam vor längerer Zeit auf den Gedanken, die von ihm geleitete Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte könnte einen Sammelband meiner diversen Beiträge zur Kirchlichen Zeitgeschichte in dieser Reihe aus Anlaß meines 60. Geburtstages im Jahre 2001 veröffentlichen; die Arbeitsgemeinschaft billigte daraufhin diesen Plan. Das hat mich sehr erfreut und mit Dankbarkeit erfüllt, zugleich aber angespornt, die mögliche Auswahl sorgsam zu überdenken und zu überarbeiten. Indes muß ich dem jetzt vorgelegten Band eine persönliche Erklärung voranstellen, weil seine Entstehung letztlich nur biographisch erklärbar ist. Aufgrund meiner Promotion und Habilitation 1967 und 1971 lag der Schwerpunkt meiner wissenschaftlichen Arbeit eigentlich bei der Geschichte der Alten Kirche. Durch den Einfluß meines Lehrers Georg Kretschmar kam jedoch die Kirchliche Zeitgeschichte allmählich hinzu, weil dieser - seit längerem in der und für die "Kommission der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Erforschung der Geschichte des Kirchenkampfes" engagiert - hiermit ab 1967/68 an der neu gegründeten Evangelisch-Theologischen Fakultät in München einen spezifischen Forschungsschwerpunkt amegte. Mein Assistentenkollege Carsten Nicolaisen als Leiter der entsprechenden, von ihm tatkräftig ausgebauten Geschäfts- und Forschungsstelle (samt stetig wachsender Bibliothek und Archivsammlung) erweckte in mir durch mancherlei Lehrveranstaltungen und Gespräche das Interesse an dieser innovativen wissenschaftlichen Arbeit. Seit 1974 bekam das für mich zusätzlich praktische Relevanz durch die Tätigkeit als Oberkirchemat in der damaligen Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover, insbesondere auch durch die Betrauung mit der Aufgabe, das altehrwürdige Kirchliche Jahrbuch ab Jahrgang 101 (1974) herauszugeben. Jene kirchenpolitisch bewegte Zeit reizte mich, die praktische Tätigkeit wissenschaftlich zu begleiten. So kam der gelernte Patristiker auf ein neues Feld, und als Münchner Professor seit 1977 (und Mitglied der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Zeitgeschichte seit 1981) habe ich mich bemüht, im akademischen Lehrbetrieb und in der "Gedächtniskultur" des deutschen Protestantismus meinen Beitrag zu leisten. Das erklärt die Entstehung der im folgenden abgedruckten Aufsätze, die früher - teilweise an entlegener Stelle - publiziert worden sind. Es handelt sich durchweg um Gelegenheitsarbeiten (zumeist Vorträge im Zusammenhang mit historischen Jubiläen), die aufgrund von äußeren Anstößen entstanden sind - gleichsam nebenbei in der auf Patristik und norddeutsche Reformationsgeschichte konzentrierten Arbeit. Fast alle Beiträge habe ich überarbeitet, einige sogar erheblich; die

12

Vorwort

dafür aufgewendete Zeit verlängerte sich durch den Versuch, etwas Grundsätzliches über das Wesen der Kirchlichen Zeitgeschichte zu schreiben (den ersten Beitrag in diesem Band). Eine weitere, noch stärkere Verzögerung brachte der Versuch, meinen 1982 veröffentlichten Artikel "Evangelische Kirche in Deutschland" (Theologische Realenzyklopädie 10, 1982, 656-677) auf den neuesten Stand zu bringen und inhaltlich zu erweitern. Nach mehr als einem Jahr Arbeit lagen über einhundert Druckseiten vor, doch sie reichten nur bis zum Jahre 1933, enthielten also noch nicht einmal die ganze Vorgeschichte der EKD. Da dieser Beitrag den vorliegenden Band sprengen würde, möchte ich ihn beizeiten zu einem eigenen Buch ausgestalten. (Zum Titel des jetzt präsentierten Buches vergleiche man Seiten S.309-316; er paßt auch zu dem S.141-294 Dargestellten.) Die Verzögerung gibt mir nun die schöne Gelegenheit, den Band Carsten Nicolaisen zum 70. Geburtstag am 4. April 2004 zu widmen. Damit verbindet sich ein dreifacher Dank an ihn. Er hat die EKD-Kirchenkamptkommission bzw. seit 1971 die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Zeitgeschichte durch die Münchner Forschungsstelle zu einem respektablen Wissenschaftsunternehmen gemacht; er hat die Arbeitsgemeinschaft in der schwierigen Situation nach dem Tode der Vorsitzenden Joachim Mehlhausen und Leonore Siegele-Wenschkewitz als vom Rat der EKD berufener Vorsitzender von 2000 bis 2004 umsichtig auf einen neuen Weg gebracht; er hat I)1ich seinerzeit in die zeitgeschichtliche Arbeit eingeführt, mit mir zusammen einige Projekte geplant und realisiert, wodurch ich viel gelernt habe, und er hat außerdem die mühsame Entstehung dieses Bandes mit hilfreichem Rat begleitet. Neben diesem Dank steht derjenige an die Arbeitsgemeinschaft für die finanzielle Unterstützung bei der Veröffentlichung. Ferner danke ich den Mitarbeiterinnen am Seminar für Kirchengeschichte I der Evangelisch-Theologischen Fakultät Münster: Frau Monika Bisping für die gewaltige Arbeit bei der Herstellung der Druckvorlage; Frau Tabea Klein für die Anfertigung des Registers, ihr und Frau Margitta Berghaus für das Korrekturlesen sowie für den intensiven Einsatz bei der mühseligen Fertigstellung der reproreifen Druckvorlage. Münster, 23. März 2004

Wolf-Dieter Hauschild

I. ALLGEMEINES

GRUNDPROBLEME DER KIRCHLICHEN ZEITGESCHICHTE' Der jüngste Sektor der Kirchengeschichte wird gemeinhin als "Kirchliche Zeitgeschichte" bezeichnetl. Bei näherer Betrachtung dieses Begriffs zeigen sich einige wissenschaftstheoretische Aporien, die im folgenden erörtert werden sollen. Zunächst handelt es sich um ein Definitionsproblem, das der Nomenklatur innerhalb der Allgemeinen Geschichtswissenschaft innewohnt. Es gibt da ebensowenig einen Konsens wie innerhalb der Kirchengeschichtswissenschaft hinsichtlich des anderen Problems, der Frage nach dem Spezifikum einer "Kirchlichen" Zeitgeschichte und den daraus abzuleitenden historiographischen Konsequenzen. Der nur scheinbar, bei oberflächlicher Verwendung klare Begriff erweckt den Eindruck unmittelbarer sachlicher Aktualität oder existentieller Betroffenheit. Insofern scheint er allgemeine Zustimmung hinsichtlich der Sinnhaftigkeit oder gar der Notwendigkeit einer entsprechenden wissenschaftlichen Beschäftigung zu finden. Das hat sich exemplarisch in der nach 1968 ausbrechenden Sinnkrise gezeigt, als im Blick auf die Geschichtswissenschaft generell und die Disziplin Kirchengeschichte speziell die traditionelle historiographische Orientierung und das übliche historische Interesse einer Fundamentalkritik unterlagen, die sich u.a. im Vorwurf mangelnder Praxisrelevanz artikulierte. Diejenigen kritischen Theologen und Theologinnen, welche damals pauschal eine empirisch-rationale Neukonstitution propagierten, akzeptierten innerhalb ihres Programms grundsätzlich zeitgeschichtliche Forschungen, beschränkt auf aktuelle Fragestellungen in bestimmter Auswahl (z.B. Wiederbewaffnung Deutschlands nach 1949, Kirche im Kalten Krieg). Wohl nicht zufällig stand jene Krise der Geisteswissenschaften um 1970ff in einem Zusammenhang mit einem relativ starken Anwachsen zeithistorischer Arbeiten. Analoges zeigte sich, jedoch mit anderen positionellen Prägungen, nach der welt- und deutschlandpolitischen Wende seit 1989. Die hieran erkennbare unmittelbare (situative bzw. - bei Individuen -lebensgeschichtliche) Plausibilität ist typisch für das mit dem Begriff Zeitgeschichte bezeichnete Phänomen. Denn das in aller Historiographie vorhandene erkenntnisleitende Interesse und die ebenfalls stets der historischen Arbeit innewohnende Verbindung von SichtunglRegistrierung und Deutung/Wertung des geschichtlichen Materials erfährt hier eine enorme Zuspitzung . • Bisher unveröffentlicht; vorbereitende Studie für den Artikel ,,zeitgeschichte, kirchliche". In: TRE 36, 2004. I V gl. z.B. den Forschungsbericht von MEHLHAUSEN, Joachim: Kirchengeschichte (KG): Zweiter Teil. In: STRECKER, Georg (Hg.): Theologie im 20. Jahrhundert (UTB 1238). Tübingen 1983, S. 203-288, dort S. 286-288 "Erforschung der kirchlichen Zeitgeschichte"; HEIM, Manfred: Einführung in die Kirchengeschichte. München 2000, S. 171-174 mit der Rubrik "Neuzeit, Neueste Zeit, (kirchliche) Zeitgeschichte". Wie wenig eingebürgert der Begriff ist, zeigt jedoch die Tatsache, daß die neueren Lexika EKL und LThK, jeweils 3. Aufl., keinen Artikel dazu bringen.

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Grundprobleme der Kirchlichen Zeitgeschichte

1. Die Definition des Begriffs "Zeitgeschichte" und die Fundierung einer spezifischen Wissenschaft

Als Teilspezialisierung der Geschichtswissenschaft (wegen ihrer Vielfalt der Methoden und Themenbereiche heute z.T. pluralisch als "Geschichtswissenschaften" verstanden) setzte die institutionell organisierte Beschäftigung mit dem, was seither "Zeitgeschichte" genannt wird2 , nach 1950 im Blick auf die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft ein3 • Maßgeblich dafür war das Bestreben um eine konzentrierte wissenschaftliche Aufarbeitung dessen, was generell in der politisch-kulturellen Diskussion "Bewältigung der jüngsten Vergangenheit" oder ähnlich hieß4 • Politische Interessen im weitesten Sinne motivierten also - auch durch eine beachtliche materielle Förderung - die Historiographie. Daß dabei ideologische, apologetische und moralische Wertungen eine große Rolle spielten, war verständlich; begleitet wurden sie allerdings von Bemühungen um strikte Beachtung der historischen Methodik. Eine sachliche und organisatorische Verknüpfung bestand von vornherein - und das war für die Frühphase besonders charakteristisch - mit der sich ebenfalls neu etablierenden bzw. sich rekonstituierenden Politikwissenschaft, zu deren Methoden u.a. die historische zähle. Viele bedeutende Politologen der ersten und zweiten Generation seit der Neubegründung des Faches in Deutschland nach 1945 legten historische Arbeiten vor (z.B. Eric Voegelin, Arnold Bergstraesser, Theodor Eschenburg, Dolf Stemberger, Michael Freund, Ossip K. Flechtheim, Gerhard A. Ritter, Karl Dietrich Bracher, Hans-Peter Schwarz, Arnulf Baring, Kurt Sontheimer, Hans Maier); diese verdeutlichten, daß die neue Wissenschaft "Zeitgeschichte" auf Integration, Interdisziplinarität und Praxisbezug hin angelegt war6 •

2 Vgl. allgemein SCHULZ, Gerhard: Einführung in die Zeitgeschichte. Darmstadt 1992; PETER, Matthias/SCHRÖDER, Hans-Jürgen: Einführung in das Studium der Zeitgeschichte (UTB 1742). Paderborn 1994; MÖLLER, HorstIWENGST, Udo (Hg.): Einführung in die Zeitgeschichte. München 2003. 3 Das Datum ist hier im Blick auf die bei Anm. 13 erwähnte Institutionalisierung genannt. Den ersten, bahnbrechenden Versuch einer historiographischen Einordnung des Nationalsozialismus veröffentlichte MEINECKE, Friedrich: Die deutsche Katastrophe. Wiesbaden 1946. 4 Konkretionen dazu z.B. bei FREI, Norbert: Vergangenheitspolitik. Die Anfange der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit. München 1996; REICHEL, Peter: Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. München 2001. S Vgl. z.B. MAlER, Hans: Politik 11. In: EStL 3. Auf}. 2, 1987, Sp. 256-257. 6 Symptomatisch war auch, daß als Verfasser erster Darstellungen der deutschen Geschichte nach 1945 Politikwissenschaftler hervortraten, z.B. NOACK, Paul: Die deutsche Nachkriegszeit (Geschichte und Staat 114/115). MünchenlWien 1973; LÖWENTHAL, Richard/ScHwARZ, Hans-Peter (Hg.): Die zweite Republik. 25 Jahre Bundesrepublik Deutschland - eine Bilanz. Stuttgart 1974.

Definition des Begriffs ,,zeitgeschichte"

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a) Zu Begriffsgeschichte und Gegenstandsbereich

Historiographie hat seit den Werken Herodots und Thukydides' die jüngste Vergangenheit als Zeitgeschichte dargestellt; der darin implizierte Bezug auf aktuelle Interessen der Gegenwart prägte die meisten Geschichtsdarstellungen in Antike und Mittelalter, auch die weiter ausgreifenden Annalen oder Chroniken7 • Das grundlegende Werk des Eusebius von Cäsarea über die Kirchengeschichte entsprach dem; als dessen Fortsetzung boten die beiden Kirchengeschichten der Konstantinopeler Sokrates und Sozomenus jeweils die Kirchliche Zeitgeschichte zwischen 312/324 und 439 8 • Man kann verallgemeinernd stilisieren: Die vorneuzeitliche Art der Historiographie war in erheblichem Maße Zeitgeschichtsschreibung9 • Die miterlebte Darstellung bedeutender Ereignisse konnte ein Autor als "Historia sui temporis" bezeichnen; in Deutschland kam seit dem späten 17. Jahrhundert der mit "Chronologica" synonyme Begriff "Zeitgeschichte" auf, der sowohl die selbst erlebten Zeiten als auch die chronologische Ordnung der Vergangenheit meinte lO • In der wissenschaftlichen Arbeit wurde er seit dem 19. Jahrhundert verdängt oder überlagert durch den von einer spezifischen Situationsund Geschichtsdeutung geprägten Begriff "Neuzeit". "Zeitgeschichte" wurde im 19. Jahrhundert nicht als wissenschaftlicher Ordnungsbegriff, sondern in dem alten unspezifischen Sinn zur Bezeichnung der miterlebten jüngsten Vergangenheit verwandt: Beispielsweise hielten Professoren wie Leopold von Ranke, Barthold Georg Niebuhr oder Johann Gustav Droysen neben ihren normalen historischen Vorlesungen solche über Zeitgeschichte, deren Wesen hauptsächlich in der unmittelbaren Aktualität der Vergangenheit gesehen wurde ll . Ein aufschlußreiches Beispiel bot das Jahrbuch "Die Gegenwart", das gemäß seinem Untertitel zeitgeschichtliche Informationen bieten wollte einerseits über die Ereignisse des jeweils vergangenen Jahres, andererseits über deren historischen Zusammenhang

7 Al1gemein dazu s. KOSELLECK, ReinhartlMEIER, ChristianlENGELS, Odilo/GÜNTHER, Horst: Geschichte, Historie. In: GGB 2, 1975, S. 593-717. 8 Vgl. z.B. GRANT, Robert M.: Eusebius as Church Historian. Oxford 1980; WALLRAFF, Martin: Der Kirchenhistoriker Sokrates (FKDG 68). Göttingen 1997. 9 Näheres dazu s. bei ERNST, Fritz: Zeitgeschehen und Geschichtsschreibung. In: WG 17, 1957, S. 137-189; abgedruckt in: DERS.: Ges. Schriften. Hg.v. G.G. WOLF. Heidelberg 1985, S. 289-341. 10 Belege dafür bei JÄCKEL, Eberhard: Begriffund Funktion der Zeitgeschichte. In: DERS./WEYMAR, Ernst (Hg.): Die Funktion der Geschichte in unserer Zeit. Stuttgart 1975, S. 162-176, dort S.

165. 11 Ranke z.B. hielt 1862/3 eine Vorlesung über "Geschichte unserer Zeit". Vgl. KOSELLECK, Reinhart: Begriffsgeschichtliche Anmerkungen zur "Zeitgeschichte". In: CONZEMIUS, Victor u.a. (Hg.): Die Zeit nach 1945 als Thema kirchlicher Zeitgeschichte. Göttingen 1988, S. 17-31, dort S. 25-27; SCHULIN, Ernst: Zeitgeschichtsschreibung im 19. Jahrhundert. In: DERS.: Traditionskritik und Rekonstruktionsversuch. Göttingen 1979, S. 65-96.

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Grundprobleme der Kirchlichen Zeitgeschichte

(etwa 10-30 Jahre), wobei diese jüngste Vergangenheit noch als Gegenwart verstanden wurde: "Zeitgeschichte" galt als deren unmittelbare Vorgeschichte l2 • Während in Frankreich für die Periode seit 1789 "Histoire Contemporaine" und in England für die Periode seit 1832 "Contemporary History" als wissenschaftliche Terminologie aufkam und bis heute eingebürgert blieb, hieß in Deutschland die jüngste Vergangenheit nicht ,,zeitgenössische Geschichte" oder "Zeitgeschichte", sondern "Neueste Zeit". Eine Neuprägung des Begriffs ergab sich im wesentlichen erst seit einer institutionellen, in der Praxis ungemein wirksamen Vorgabe: der Gründung des "Instituts für Zeitgeschichte" in München 1949/50 und der "Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte" 1953 13 • Das Selbstverständnis der sich nun entwickelnden Teildisziplin der Geschichtswissenschaft wurde durch die dezisionistisch-semantische Programmskizze des Historikers Hans Rothfels (1891-1976) mit langfristiger Wirkung geprägt. Rothfels definierte den von ihm selbst als logisch widersprüchlich wie philologisch unbefriedigend charakterisierten Begriff Zeitgeschichte zunächst formal als "Epoche der Mitlebenden und ihre wissenschaftliche Behandlung"; damit knüpfte er an das traditionell-populäre Verständnis an 14 • Im Blick auf den konkreten Fall fügte er sodann die inhaltliche Bestimmung hinzu, daß es sich "um ein Zeitalter krisenhafter Erschütterung und einer eben darin sehr wesentlich begründeten universalen Konstellation" handelte, als dessen Beginn er die Epochenschwelle 1917/18 fixierteis. Der Wirkung des Programms entsprach das enorme Aufblühen der Forschung zum Nationalsozialismus und zum NS-Staat 1933-45, aber auch eine gewisse Berücksichtigung der Weimarer Republik 1918-33 als gleichsam der Vorgeschichte. Wesentlich für den Erfolg war - jedenfalls auf westdeutscher Seite - eine großzügige Handhabung der herkömmlich restriktiven Sperrfristen für das staatliche Archivgut (das zum größten Teil allerdings im Osten lagerte). So ließ schon die zunehmende Masse an Literatur einen neuen Schwerpunkt innerhalb der 12 DIE GEGENWART. Eine encyklopädische Darstellung der neuesten Zeitgeschichte für alle Stände, Bd. 1-12. Leipzig 1848-1856. Die anonymen Herausgeber (d.h. Friedrich und August Brockhaus) betonten - motiviert durch die Ereignisse 1848 - die Notwendigkeit einer "Behandlung des zeitgeschichtlichen Lebens" im Anschluß an ihr "Conversations-Lexikon der Gegenwart" von 1838-41; EBD., 1, 1848, S. V. In diesem Band wurden u.a. behandelt: die Revolution in Frankreich, der dortige Sozialismus, der christliche Staat, die bürgerlichen Verhältnisse der Juden in Deutschland. 13 Dazu s. AUERBACH, Hellmuth: Die Gründung des Instituts rur Zeitgeschichte. In: VZG 18, 1970, S. 529-554. Bezeichnenderweise hieß es bis 1952 "Deutsches Institut zur Erforschung der Geschichte der nationalsozialistischen Zeit". 14 ROTHFELS, Hans: Zeitgeschichte als Aufgabe. In: VZG 1, 1953, S. 1-8, dort S. 2. Vgl. DERS.: Sinn und Aufgabe der Zeitgeschichte. In: DERS.: Zeitgeschichtliche Betrachtungen (KVR 171), 2. Aufl. Göttingen 1959, S. 9-16. 15 Zitat EBD., S. 2; vgl. S. 6: "Der Begriff von Zeitgeschichte ... beruht demnach auf der Ansicht, daß etwa mit den Jahren 1917/18 eine neue universalgeschichtliche Epoche sich abzuzeichnen begann", nämlich mit "dem Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg und dem Ausbruch der Russischen Revolution".

Definition des Begriffs "Zeitgeschichte"

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Allgemeinen Geschichtswissenschaft entstehen l6 • Das war - trotz anfänglicher methodischer Skepsis der "Zunft" - dem Renommee der allmählich wachsenden Teildisziplin förderlich. Grundsätzliche wissenschaftstheoretische Diskussionen stellten sich zunächst nicht ein hinsichtlich des hier besonders akuten Problems der Verbindung von Materialsichtung (-registrierung, -aufbereitung) und Deutung/Wertung; sie wurden zum Teil faktisch-implizit anläßlich bestimmter Publikationen zu sensiblen Themen geführt. Der intensive Theoriediskurs der gesamten Geschichtswissenschaft während der sechziger und siebziger Jahre betraf hinsichtlich der Zeitgeschichte vor allem Deutungsprobleme (z.B. zum Faschismusbegriff). Zwar bot 1986/87 der aufgebrachte sog. Historikerstreit eine weitere Grundsatzdiskussion, aber diese trug für die wissenschaftstheoretische Klärung des spezifischen Wesens der Zeitgeschichte kaum etwas aus 17. Stärker in dieser Richtung wirkte der praktische Umstand, daß seit ca. 1980 infolge des sukzessiven Generationswechsels innerhalb der "Zunft" bei den Jüngeren (zunächst den nach 1933, dann den nach 1945 Geborenen) und infolge der Öffnung der Archive nach Ablauf der dreißigjährigen Sperrfrist die Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg zunehmend zum Gegenstand der wissenschaftlichen Erforschung wurde l8 • Dabei spielte nicht nur die natürliche Veränderung des lebensgeschichtlichen Bezugs zum Forschungsgegenstand im Sinne von Rothfels' Definition der "Epoche der Mitlebenden" eine wichtige Rolle, sondern auch und wohl noch mehr die Tatsache, daß die zur Geschichte werdende jüngste Vergangenheit (die an chronologischer Ausdehnung die NS-Jahre bald weit überragte) gleichsam selbstverständlich bearbeitet werden konnte und mußte. Das methodische Instrumentarium war ja mittlerweile so ausgereift, daß es ohne weiteres von der NS-Zeit auf die sog. Nachkriegszeit und dann auf die folgenden Perioden übertragen werden konnte l9 • Wichtig war dabei auch die als "Paradigmenwechsel" gepriesene Abkehr von der Dominanz der politisch-ereignisgeschichtlichen Orientierung durch Berücksichtigung sozialgeschichtlicher Perspektiven20 • Außerdem blieb die eher journalistische Art der wissenschaftlichen Präsentation bestimmter Themen wie 16 Vgl. dazu die erste Zusammenfassung in: HERRE, FranzlAuERBACH, Hellmuth: Bibliographie zur Zeitgeschichte und zum Zweiten Weltkrieg für die Jahre 1945-50. München 1955. Als Beilage zu den VZG ab Jahrgang 1, 1953 erschien die "Bibliographie zur Zeitgeschichte". 17 Texte dazu Z.B. in: ,,HISTORIKERSTREIT". Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung (Serie Piper 816). München 1987; Zusammenfassung mit Bibliographie bei PETERISCHRÖDER: Einführung (Anm. 2), S. 89-97. 18 Eine subtile wissenschaftstheoretische Erörterung mit vielen Details präsentiert DOERING-MANTEUFFEL, Anse1m: Deutsche Zeitgeschichte nach 1945. Entwicklung und Problemlagen der historischen Forschung zur Nachkriegszeit. In: VZG 41, 1993, S. 1-29. 19 Vgl. EBD., S. 21-23.25fzu zwei wichtigen Themen, welche die historische Kontinuität über die vermeintliche Zäsur von 1945 hinweg aufzeigen. 20 Grundlegend dafür waren u.a. die Studien in: CONZE, WemerlLEPsIUs, M. Rainer (Hg.): Sozialgeschichte der Bundesrepublik. Beiträge zum Kontinuitätsproblem. Stuttgart 1983.

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schon früher ein Anreiz, bessere Leistungen im fachwissenschaftlichen Sinne zu erbringen21 • So erweiterte sich die keineswegs auf deutsche Themen beschränkte Zeitgeschichtsforschung seit den achtziger Jahren im Blick auf die weiterhin nicht genau oder einhellig defmierte "Nachkriegszeit" bzw. Zeit des ,,Kalten Krieges". Und mit dem weltgeschichtlichen Umbruch um 1989/90 erfuhr sie - zumal im Blick auf die zunächst interessanten Aspekte der Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik - einen kräftigen Konjunkturschub, der sich u.a. in der Gründung neuer Forschungseinrichtungen kundtat. Das Problem, welche historiographische Ordnungsfunktion dem Begriff Zeitgeschichte zukommen sollte, verschärfte sich durch die veränderte Situation grundsätzlich. Wegen der Beharrungskraft institutioneller Orientierungen und wegen des sachlichen Gewichts der Zeit 1918-1945 blieben ja Weimarer Republik und NS-Herrschaft nicht nur ungeschmälert ein Gegenstand der Teildisziplin Zeitgeschichte, sondern sie erfuhren neuartige und intensivierte Zuwendung. Insofern kann man konstatieren, daß seit ca. 1980 der Bereich der Zeitgeschichtswissenschaft eine respektable Ausdehnung erfahren hat. Und das läßt sich wissenschaftstheoretisch schon damit rechtfertigen, daß durch den Umbruch 1989/90 evident geworden ist, welche Epocheneinheit bzw. kohärente Geschichtsperiode für Deutschland und Europa die durch die Weltkriege bestimmte Zeit zwischen 1914 und 1989/90 bildet. Ungeachtet der heute nicht lösbaren Frage, wie die permanent wachsende Zeitgeschichtsforschung - innerhalb der Geschichtswissenschaft die einzige Teildisziplin buchstäblich "mit Zukunft" - die Zeit nach 1989/90 einordnen wird (gegebenenfalls mit Revisionen rur jene Periodisierung), kann grosso modo das 20. Jahrhundert als Gegenstand dieser historischen Teildisziplin gelten. Das ist eine Geschichtsperiode, der aufgrund vielfältiger formaler und inhaltlicher Elemente gegenüber früheren Perioden ein spezifisches Profil eignet. Hinzu kommt schließlich im Blick auf die Ausdehnung der Zeitgeschichtsforschung noch die - insbesondere durch methodisch innovative Arbeiten zum Nationalsozialismus und zur Weimarer Republik geförderte - Einsicht, daß die Erfassung von Phänomenen der sog. Zeitgeschichte die Kontinuitätslinien beachten muß, die in das "Wilhelminische Zeitalter" zurückfUhren, ja daß - je nach Thematik - erhebliche Teile des 19. Jahrhunderts als unmittelbare Vorgeschichte integriert werden müssen (z.B. Nationalismus, Antisemitismus, Reich und Länder, Industrialisierung, Technisierung). Aufschlußreich sind in dieser Hinsicht mancherlei sozial- und mentalitätsgeschichtliche Studien jüngerer Forscher 2 • Muß man demnach den Begriff Zeitgeschichte in seinem wissenschaftlich reflektierten Gebrauch schließlich bis ins 19. Jahrhundert hinein ausdehnen? Er 21 Als prominentes Beispiel sei genannt BARING, Arnulf: Außenpolitik in Adenauers Kanzlerdemokratie. München 1969 und DERS.: Machtwechsel. Die Ära Brandt-Scheel. Stuttgart 1982. 22 Als älterer "Klassiker" der Kontinuitätstheorie sei hier genannt FISCHER, Fritz: Bündnis der Eliten. Zur Kontinuität der Machtstrukturen in Deutschland 1871-1945. Düsseldorf 1979.

Definition des Begriffs "Zeitgeschichte"

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würde dann seine semantische Besonderheit verlieren und fast deckungsgleich mit dem älteren Begriff "Neueste Geschichte" bzw. "Moderne Zeit" werden23 •

b) Dilemma der chronologischen Ansätze Aufgrund der skizzierten Sachlage verschwimmen also die Konturen derjenigen Definition des Begriffs Zeitgeschichte, die sich an der Rothfels'schen Vorgabe orientiert. In dieser Situation gibt es zwei grundsätzlich verschiedene Lösungen, dennoch den Begriffbeizubehalten: die stetige chronologische Verschiebung oder die Festschreibung als Epochenbezeichnung. 1. Wenn man das weithin akzeptierte Definitionsmerkmal als "Epoche der Mitlebenden" möglichst strikt anwendet, dann begründet dieses nicht nur das quasi selbstverständliche Nachwachsen des historischen Stoffs, sondern auch eine Ausscheidung solcher EpochenlPerioden, zu denen die heutigen ,,Mitlebenden" keine lebensgeschichtliche Direktbeziehung mehr besitzen. Das würde bedeuten, daß die Zeit 1918-33 schon heute oder doch relativ bald der Teildisziplin Zeitgeschichte entzogen werden müßte - zumindest definitorisch. (Wie die organisatorischen Konsequenzen aussehen könnten, bleibe dahingestellt.) Demgemäß müßte anschließend die Zeit 1933-45 herausgenommen werden, also diejenige Epoche, der sich in Deutschland die Zeitgeschichtswissenschaft allererst verdankt24 • Die Logik des Verfahrens erfordert ferner sukzessive eine Ausscheidung der unmittelbaren Nachkriegszeit 1945-55, der dann folgenden Epoche und so weiter. Die Zeitgeschichte wäre einerseits eine historische Teildisziplin "mit Zukunft" hinsichtlich ihres Materials und gerade deswegen andererseits eine historische Teildisziplin mit spezifischer, ihren Gegenstand wiederum reduzierender "Vergangenheitsbewältigung". Gewiß verändern sich auch bei anderen Wissenschaften, zumal den empirisch-praxisbezogenen, die Gegenstandsbereiche; doch hier dürfte eine kuriose Singularität vorliegen, die sich aus dem konstitutiven Ansatz bei einer spezifischen Definition von Zeitgeschichte ergibt, welche den seit dem 18./19. Jahrhundert verbreiteten Normalsinn des Begriffs ernst nimmt. "Zeitgeschichte" wäre also stets die jeweils jüngste, wegen ihrer sachlichen Aktualität für die noch lebende Zeitgenossenschaft besonders interessante Periode der historischen Wissenschaft. Nun kann man von der früheren Methodenskepsis der Historikerzunft gegenüber der Zeitgeschichte her (z.B. dem Vorwurf des zu geringen Abstands zum 23 Vgl. z.B. MEHLHAUSEN, Joachim: Neuzeit I. In: TRE24, 1994, S. 392-401, S. 396: "Denjüngsten Abschnitt der Neuzeit bildet die Neueste Geschichte bzw. Zeitgeschichte". 24 EBD., S. 397 möchte er wegen der zwangsläufigen ständigen Grenzverschiebung "zwischen der Neueren Geschichte und der Zeitgeschichte" den Beginn der letzteren für Deutschland "wohl auf das Jahr 1933 (oder sogar 1945) festsetzen".

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Forschungsgegenstand, der unzureichend-partiellen Quellenkenntnis, der zu starken Unmittelbarkeit der politischen oder sonstigen Interessen) das skizzierte Verfahren positiv würdigen als eine zunehmende "Historisierung" der Zeitgeschichtsforschung, die u.a. auch der Entideologisierung dient2s. Exakt parallele Vorgänge aus der früheren Wissenschafts geschichte existieren nicht, weil vor 1945 die zeitgeschichtlichen Veröffentlichungen wegen der schwachen Quellenbasis (u.a. aufgrund der Nichtzugänglichkeit vieler Archivalien) nicht den historiographischen Standards genügen konnten und oft bloß parteiliche Apologetik oder Polemik waren (z.B. die Weltkriegsdarstellungen hinsichtlich der Schuldfrage nach 1918, erst recht die ihrer Begrenztheit sich bewußten ,,zeitgeschichten" im 19. Jahrhundert). Die durch den Fortschritt der Zeit bestimmte Historisierung bei der thematischen Bearbeitung brachte demgegenüber eine kategoriale Verbesserung: historische Wissenschaft statt subjektiver Wertung aufgrund selektiver Quellensichtung. Angesichts der Tatsache, daß die Zeitgeschichtsforschung bald nach 1950 ein unanfechtbares historiographisches Niveau besaß, würde eine durch die Definition erzwungene Abgabe der Zuständigkeit an den größeren Forschungsbereich "Neuere Geschichte" bzw. "Neueste Geschichte" nicht als vorteilhafte Historisierung injenem Sinne gelten können. Es wäre also keinerlei wissenschaftlicher Gewinn erkennbar, wenn der Gegenstandsbereich der Teildisziplin Zeitgeschichte um die vergangene bzw. ehemalige Zeitgeschichte (die von den damaligen, aber heute nicht mehr lebenden Menschen unmittelbar erlebte Zeit) verkürzt würde. Ob allein die definitorische Logik solche Schnitte rechtfertigt, kann gefragt werden. Umgekehrt sollte man aber auch nicht die unbeschnittene Weite des Forschungsbereichs mit grundsätzlicher Kritik an einer Historisierung verteidigen, die gleichsam der zeitgeschichtlichen Wissenschaftsart eine besondere erkenntnistheoretische oder moralische Dignität (z.B. als Betroffenheit) zuspricht; das zeigte sich stellenweise bei der Diskussion um den angemessenen Umgang mit der NSZeif6 • Man wird die sachliche Besonderheit dieser Epoche und deren einzigartige, bleibende Relevanz für uns Deutsche mit guten Gründen behaupten können, doch das bedeutet keineswegs, daß deren Historisierung eine illegitime Distanzierung oder eine Nivellierung im Gesamtverlauf der deutschen Geschichte implizieren müßte. (Es gilt ja auch hier: Je historischer gearbeitet wird, desto besser und verläßlicher sind die Resultate; und daß Deutungen und Wertungen des Historikersubjekts die Darstellung so oder so beeinflussen, ist eine Binsenweisheit.) Im

2S Vgl. dazu z.B. BROSZAT, Martin: Plädoyer für eine Historisierung des Nationalsozialismus. In: Merkur 39, 1985, S. 373-385; abgedruckt in: DERS.: Nach Hitler. Der schwierige Umgang mit unserer Geschichte. München 1988, S. 266-281. 26 V gl. z.B. S. Friedländers Einspruch in: BROSZAT, MartinIFRlEDLÄNDER, Saul: Um die "Historisierung" des Nationalsozialismus. Ein Briefwechsel. In: VZG 36, 1988, S. 339-373.

Definition des Begriffs ,,zeitgeschichte"

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übrigen könnte man durchaus auf Beispiele verweisen, wo eine geschichtliche Epoche für die gegenwärtig Lebenden größte sachliche Relevanz besitzt und die Beschäftigung mit ihr ein existentielles Betroffensein voraussetzt oder ein emotionales Engagement hervorruft: Evangelische Christenmenschen werden zur Reformationsgeschichte stets ein eigentümliches, wertbewußtes Verhältnis haben (anders als Katholiken oder Atheisten); und doch wird das durch die hier längst selbstverständliche Historisierung - mit Distanzierung, Relativierung, Kritik etc. - nicht grundsätzlich tangiert. Die unmittelbare innere Beziehung zu einer Epoche in emotionaler, kognitiver oder moralischer Hinsicht (samt einer Identifikation, die zu einer eigentümlichen Gleichzeitigkeit führt) macht eine Vergangenheit wie die Reformation oder andere vergleichbare Epochen noch keineswegs zur Zeitgeschichte im wissenschaftlichen Sinne. Das gilt auch für den Umgang der nach 1945 geborenen Deutschen mit der NS-Zeie 7 • 2. Wenn man dem definitorischen Fundamentalprob1em dadurch zu entgehen sucht, daß man "Zeitgeschichte" generell als Perioden- bzw. Epochenbegriff für das 20. Jahrhundert ausgibeS, dann ergeben sich neue Aporien (abgesehen von der Frage, wie später einmal das Verhältnis zur historischen Behandlung des 21. Jahrhunderts wissenschaftstheoretisch sinnvoll bestimmt werden soll). Einige Forscher haben dafür plädiert, zwischen einer älteren Zeitgeschichte, welche die beiden Epochen 1918-33 und 1933--45 umfaßt, und einer auf die Zeit nach 1945 bezogenen jüngeren Zeitgeschichte zu unterscheiden29 • Es liegt auf der Hand, daß eine solche Differenzierung - ungeachtet der dagegen vorgebrachten Kritik, die sich gegen die Möglichkeit wendet, die Kontinuität zujenen Epochen zu zerreißen - dem grundsätzlichen Einwand nicht entgehen kann, der sich aus dem "Wachstum" der Zeitgeschichte ergibt; man müßte also irgendwann auch Teile der Ge-

27 Allerdings stößt man hier auf einen für unsere Problematik nicht unwesentlichen Aspekt: Gerade die NS-Zeit ist durch die Masse von Dokumentar- und Spielfilmen von heute Lebenden (deren Beziehung zu ihrer Umwelt in starkem Maße durch visuelle Medien geprägt wird) in fast unmittelbarer Weise so präsent, daß sie - im Blick auf Kenntnisstand, moralische Betroffenheit, politisches Engagement u.a. - ein sekundärer Teil der eigenen Lebenswelt ist. Die neuen Kommunikationsmedien des 20. Jahrhunderts sind denmach relevant für das Verständnis von Zeitgeschichte bzw. für die wissenschaftliche Definition des Begriffs. Dazu s.u. S. 24f. 28 So z.B. PETERISCHRÖDER: Einfiihrung (Anm. 2), S. 33f, die das 20. Jahrhundert als das "zeitgeschichtliche Jahrhundert" verstehen. 29 So z.B. BRACHER, KarI Dietrich: Doppelte Zeitgeschichte im Spannungsfeld politischer Generationen. In: HEY, Bernd/STEINBACH, Peter (Hg.): Zeitgeschichte und politisches Bewußtsein. Köln 1986, S. 53-71. Diesen Ansatz fortfiihrend unterscheidet "drei Zeitgeschichten des vereinigten Deutschland" nach 1990 HOCKERTS, Hans Günter: Zeitgeschichte in Deutschland. Begriff, Methoden, Themenfelder. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. B 29-30. Bonn 1993, S. 3-19; dort S. 7.19. DOERING-MANTEUFFEL: Zeitgeschichte (Anm. 18), S. 27 spricht von "der Zeithistorie vor und nach 1945". Wenn man 1945 als Zäsur nimmt, dann wäre es wenig sinnvoll, die Geschichte der SBZIDDR als dritte Zeitgeschichte parallel zu derjenigen der BRD abzusondern.

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schichte seit 1945 einer "älteren Zeitgeschichte" zurechnen. Das oben erwähnte Problem der chronologischen Verschiebung würde sich also auch bei dieser Lösung, freilich abgemildert, stellen. Es dürfte somit unmöglich sein, den Begriff Zeitgeschichte als einen Periodenbegriff - analog zu "Neueste Zeit", "Neuzeit" etc. - auf Dauer beizubehalten, wenn man dessen konstitutives Merkmal preisgibt: den Bezug auf die Zeitgenossenschaft als "Epoche der Mitlebenden". Bei diesem Merkmal geht es um das Wesen der Zeitgeschichte.

c) "Gleichzeitigkeit" als konstitutive Kategorie einer historischen Periode

Aufgrund der bisherigen Betrachtung des Dilemmas soll im folgenden überlegt werden, ob eine Kombination der beiden Definitionen (Jüngste Vergangenheit als "Epoche der Mitlebenden" und "Zeitgeschichte" als spezifischer Periodenbegriff) weiterhilft. Wahrscheinlich gibt es nur eine einzige methodisch unanfechtbare Begründung dafiir, auch weiterhin den bei der Entstehung der Teildisziplin Zeitgeschichte vorausgesetzten chronologischen Rahmen (mit dem Beginn 1917/18) beizubehalten und mit jenem Begriff generell die gesamte seitdem geschehene Geschichte zu bezeichnen. Das fiir den Begriff konstitutive Element der Gleichzeitigkeit - bzw. der unmittelbaren Präsenz der Erinnerung an die zur Geschichte gewordene eigene Vergangenheit - bleibt trotz des permanenten, sukzessiven Ablebens der "Mitlebenden" in eingeschränkter Weise insofern gültig, als die seit Beginn des 20. Jahrhunderts aufblühenden neuen Medien des Films und der Schallplatte (bzw. des Tonbands) eine gleichsam permanente Präsenz wesentlicher Personen der jeweiligen Geschichtsepoche ermöglichen. Von den bis 1830 oder 1890 "mitlebenden" normalen Zeitgenossen konnten Napoleon und Metternich oder Wilhelm I. und Bismarck allenfalls kurzfristig gesehen und gehört werden; deren Stimmen sind heute so wenig präsent, wie uns die Sprechweisen Z.B. Martin Luthers oder Friedrichs des Großen unbekannt bleiben. Seit dem 20. Jahrhundert jedoch erleben die "mitlebenden" Zeitgenossen in zunehmendem Maße die politisch Handelnden sowie andere Führungsgestalten durch Tonaufzeichnung und Film mit, stetig verstärkt infolge der technischen Entwicklung bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Die fiir unser Thema relevante Realitätserfahrung der "Mitlebenden" (nicht nur hinsichtlich der politischen, militärischen, gesellschaftlichen und sonstigen Führungsgestalten, sondern auch hinsichtlich der Natur, Umwelt, Technik, Kultur etc.) konzentriert sich in starkem Maße auf die sekundäre Vermittlung in Bild und Ton des Fernsehens. Doch nicht bloß die gegenwärtig "Miterlebten" (Bundeskanzler wie z.B. Gerhard Schröder oder Helmut Kohl) sind somit unmittelbar allgemein präsent, sondern auch die von Heutigen nicht mehr "Miterlebten" (wie z.B. Konrad Adenauer oder Ludwig Erhard). Und das gilt fiir das Vor-Fernseh-

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Zeitalter dank Wochenschau und Radio entsprechend; man denke nur an das heute noch mögliche "Miterleben" z.B. der Gestalten Hitlers und Goebbels' in Bild und Ton. Wenn man Zeitgeschichte von aller anderen Geschichte unterscheidet, dann ist das - wie mehrfach betont - nur gerechtfertigt wegen des Kriteriums der Gleichzeitigkeit, welches ein unmittelbares Interesse im Sinne von Betroffensein einschließfo. Nun prolongiert sich die "Epoche der Mitlebenden" natürlich nicht vollständig und nicht sachlich adäquat durch die unmittelbare Präsenz der Vergangenheit in den genannten Medien. Doch für die heute "Mitlebenden" gibt es aufgrund jener Vergegenwärtigungsmöglichkeit ein qualitativ anderes Miterleben einer Geschichte, die nicht die eigene Vergangenheit ist (z.B. hinsichtlich Hitler und Adenauer anders als hinsichtlich Luther und Bismarck). Die technische Veränderung könnte es also rechtfertigen, die Zeitgeschichte als eine kategorial neue Epoche bzw. Periode zu definieren, deren Beginn ungefahr mit der völlig anders begründeten Epochenschwelle 1917/18 zusammenfallt. Man besäße damit für die Besonderheit dieser historischen Teildisziplin ein methodisch singuläres formales Definitionskriterium. Allerdings ist dessen Gewicht für die praktische Gestaltung der wissenschaftlichen Arbeit nicht allzu groß, weil der Quellenwert jener neuen Medien sehr begrenzt ist. Und die unmittelbare Präsenz vergangener Führungsgestalten, Problemkonstellationen und Ereignisse z.B. der Zeit 1955-1970 ist für die nach 1970 geborenen "Mitlebenden" (sofern sie nicht täglich Filme mit Adenauer, Brandt, Kennedy, Chruschtschow usw. sehen und deren Reden auf Band hören) nicht gleichwertig der eigenen Lebenswelt. Deswegen bleibt faktisch die kategoriale Differenz zwischen Geschichte und Gegenwart bestehen, die mit dem Begriff Zeitgeschichte (und den darauf bezogenen wissenschaftlichen Produkten) nur approximativ und partiell unter Bezug auf die jeweils eigene, miterlebte Vergangenheit relativiert werden kann. Die hier angestellten Überlegungen bestätigen die seit jeher bewußte Problematik des Begriffs Zeitgeschichte. Da er seine Sinnhaftigkeit ausschließlich aus dem Verständnis als "Epoche der Mitlebenden" (oder ähnlich) bezieht, eignet ihm konstitutiv die chronologische Variabilität im Sinne des Zuwachses anjeweils neuem Material und des Ausscheidens vergangener Epochen. Nur mit dem Rekurs auf die besonderen technischen Möglichkeiten einer künstlichen, partiellen Herstellung von Gleichzeitigkeit läßt sich ein Argument bereitstellen, auch die nicht mit-

30 Von anderer Art, jedoch in mancher Hinsicht vergleichbar ist eine ebenfalls auf persönlichem Interesse basierende Beschäftigung mit Historiographie: die Lokal-, Regional- und Territorialgeschichte. Die lebensgeschichtIiche Identifikation z.B. mit Städten oder Ländern, deren historische Besonderheit sich noch heute prägend auswirkt (z.B. Nümberg oder Bayern), erzeugt eine Unmittelbarkeit im Verhältnis zur jeweiligen Geschichte des betreffenden Ortes, die historische Erinnerung als existentielle Betroffenheit - gleichsam als "Gleichräumigkeit" analog zur Kategorie der Gleichzeitigkeit - mit der Gegenwart verbindet.

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Grundprobleme der Kirchlichen Zeitgeschichte

erlebten Epochen (zunächst insbesondere die Zeit 1918-1945) derwissenschaftlichen Bearbeitung durch die Teildisziplin "Zeitgeschichte" zuzuweisen. Doch das ist ein Problem der Nomenklatur bzw. der historiographischen Periodisierung und als solches von relativ geringem Gewicht. Letztlich kann damit nur gegen eine Sinnentleerung der verbreiteten Bezeichnung Zeitgeschichte rur das gesamte 20. Jahrhundert argumentiert werden. Es gibt freilich noch andere als die bisher erörterten Aspekte, die der speziellen Profilierung von Zeitgeschichte Gewicht geben. Da mit der Kategorie Gleichzeitigkeit das Merkmal des existentiellen Betroffenseins verbunden ist, kann und muß bei der Erörterung das sachliche Gewicht der als Zeitgeschichte historiographisch erschlossenen jüngsten Vergangenheit bedacht werden. Es ist ja letztlich nicht auf eine interessengeleitete politische Pädagogik, eine propagandistische Erinnerungskultur, eine emotional ansprechende Sensationsjournalistik oder Ähnliches zurückzuruhren, wenn die NS-Zeit auch fiir junge Deutsche, die viel später geboren sind, eine singuläre Faszination besitzt. Das liegt im Entscheidenden daran, daß in jener vergangenen Zeit vielfältige Verbrechen seitens des Staates (und also "im deutschen Namen") begangen worden sind, deren Folgen fiir die heute Lebenden unmittelbar gleichzeitig sind. Deutsche Identität ist fiir Staat, Gesellschaft und Individuum nicht angemessen zu behaupten ohne eine Berücksichtigungjener Vergangenheit als noch gegenwärtig existentiell relevanter ,,zeitgeschichte". Das zeigt sich heute deutlich in unserem Verhältnis nicht nur zu den Juden/Jüdinnen, sondern auch zu den europäischen Nachbarländern. Diese wirkungsgeschichtlich bedingte Singularität unter moralischen Aspekten zu würdigen, ist zwar notwendig, aber keine Aufgabe der wissenschaftlich-zeithistorischen Arbeit3l • Es mag sein, daß irgendwann in der Zukunft jenes existentielle Betroffensein verschwindet; dann würde sich die Aktualität der NS-Vergangenheit insofern kategorisch verändern, als sie nur noch ein Element des historiographischen Umgangs mit ihr wäre (vergleichbar anderen herausragenden geschichtlichen Sachverhalten, die zum sachlichen Engagement oder moralischen Urteil herausfordern). Der Begriff Zeitgeschichte als Bezeichnung rur eine historische Periode sui generis 32 ist demnach so lange gerechtfertigt und sinnvoll, wie diese vergangene Zeit wegen ihrer existentiellen Aktualität als eine "Epoche der Mitlebenden" auch rur die Menschen der Gegenwart gelten kann.

3\ Sie kommt u.a. der mit (Kirchlicher) Zeitgeschichte verbundenen Theologie zu; vgl. dazu meinen Beitrag zur Schuld-Diskussion unten S. 116-138. 32 Im strikten Sinne der vorgetragenen Argumentation würde diese Periode erst 1933 beginnen, doch die Vorgeschichte ist - wie oben skizziert - so stark mit ihr verbunden, daß sie auch die Zeit seit 1914-1918 einschließt.

Das Wesen der "Kirchlichen" Zeitgeschichte

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2. Zur Diskussion um das Wesen der "Kirchlichen" Zeitgeschichte Als spezifischer Forschungsgegenstand der historischen Arbeit ist die Kirchliche Zeitgeschichte erst nach 1945 systematisch behandelt worden, und zwar nicht unter diesem allgemeinen Oberbegriff, sondern zunächst als Erforschung des "Kirchenkampfes" (dazu s. u. Abschnitt 4c.). Hinsichtlich der konzeptionellen Problematik dominierten theologische Aspekte, und dabei war deutlich, daß es weitgehend um eine Fortsetzung der seit 1933/34 in der Bekennenden Kirche gefiihrten Sachdiskussion ging. Einerseits galt die einhellige Ablehnung von Positionen der Deutschen Christen weiter (die nach 1945 als die offenkundigen Verlierer des Kampfes kaum noch als ernsthafter, konkret zu behandelnder Gegenstand, sondern bloß noch in Form selbstverständlicher, schablonenartiger Verurteilung begegneten). Andererseits prägten die BK-internen Kontroversen um Wesen und Auftrag der Kirche die Arbeiten zum "Kirchenkampf', wobei jetzt auch Positionen der sog. Mitte in die Diskussion einflossen33 • Strittige Themen waren jetzt z.B.: Bekenntnis im Spannungsfeld zwischen tradierten Bekenntnisschriften und aktuellem Bekennen; bekennende Gemeinden und Volkskirche; der theologische Sinn von Kirchenordnung und -recht; das Verhältnis der Kirche zu Staat und Gesellschaft im Sinne von Zwei-Reiche-Lehre oder Christokratie-Lehre. Wissenschaftstheoretische Reflexionen oder Diskussionen über konzeptionelle Grundfragen ergaben sich kaum. Auch die formale Erweiterung des Forschungsspektrums um den Begriff "Kirchliche Zeitgeschichte" ab 1970 (vgl. dazu unten) änderte daran wenig. Wenn ein öffentlicher Diskurs über das, was Kirchliche Zeitgeschichte bedeute und leisten könne, ausblieb, dann hing das mit der Situation der Kirchengeschichtswissenschaft insgesamt zusammen. Denn in der Blütezeit wissenschaftstheoretischer Kontroversen um das Wesen der Theologie - als sich in der Exegese, der Systematischen und der Praktischen Theologie weithin eine Abkehr von den die Nachkriegszeit bis 1968 bestimmenden methodischen und positionellen Grundvoraussetzungen vollzog - blieb die gesamte Disziplin Kirchengeschichte im wesentlichen resistent gegenüber methodologischen Problematisierungen34 • 33 Mit der Konzentration auf ekklesiologische Themen unterschied sich die Kirchenkampfforschung von der sonstigen Kirchengeschichtswissenschaft, denn in dieser wurde die Frage nach der Bedeutung von ,,Kirche" als Gegenstand nicht spezifisch theologisch beurteilt oder intensiv bearbeitet. In den Prolegomena der nach 1945 zumeist benutzten Lehrbücher begegnete der Hinweis auf die Kirche als Gegenstand jenseits aller Ekklesiologie nur pauschal, z.T. verstanden als "das Christentum oder die christliche Religion"; so von HEUSSI, Karl: Kompendium der Kirchengeschichte, 11. Aufl. Tübingen 1957, S. 4. 34 Im Unterschied zu den katholischen Kirchenhistorikern gab es bei den evangelischen keine konzentrierte Diskussion, sondern einzelne Äußerungen. V gl. dazu die Literaturübersicht bei STÖVE, Eckehart: Kirchengeschichtsschreibung. In: TRE 18, 1989, S. 535-560, dort S. 559f: Karin Bornkamm 1978, Kar! Dienst 1975, Karl Hammer 1970/78, Gerhard Ruhbach 1974, Alfred Schindler

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Grundprobleme der Kirchlichen Zeitgeschichte

Ihre Fachvertreter hielten es offenkundig fiir wichtiger, interessante und bedeutende Sachthemen des immensen historischen Materials in ihrer spezifischen Bedeutung zu erforschen (wobei es partiell durchaus eine grundsätzliche Theoriediskussion geben konnte), als global die fiir sachlich unergiebig bzw. längst erledigt angesehenen Fragen nach dem Wesen der Kirchengeschichte und nach der Methodik kirchenhistorischer Wissenschaft zu erörtern. Wirkte sich somit die Großwetterlage der Gesamtdisziplin auf die Erforscher der Kirchlichen Zeitgeschichte aus (die ja zumeist auch Themen aus anderen Bereichen der Kirchengeschichte bearbeiteten), dann bedurfte es anderweitiger Anstöße zu der hier anscheinend notwendigen Diskussion über die ungeklärten fundamentalen Konzeptionsprobleme 35 . Kooperation mit Vertretern der Allgemeinen Geschichtswissenschaft spielte dabei eine Rolle.

a) Anfang eines Theoriediskurses

Drei voneinander unabhängige Vorgänge standen gleichsam im Vorfeld. Der sog. Historikerstreit 1986/87, ausgelöst durch Jürgen Habermas' Polemik gegen den angeblichen Revisionismus konservativer Historiker (Ernst Noltes, Andreas Hillgrubers, Michael Stürmers u.a.) hinsichtlich der Bewertung des Nationalsozialismus, fand auch bei Vertretern und Interessenten der Kirchlichen Zeitgeschichte (z.B. auf Tagungen der Evangelischen Akademien) Resonanz im Sinne einer Sensibilisierung fiir grundsätzliche Fragen der Historiographie, auch wenn er abgesehen von spezifisch theologischen Erörterungen sachlich wenig erbrachte36 . 1988 übernahm Joachim Mehlhausen (1935-2000) den Vorsitz der "Evangelischen Arbeitsgemeinschaft fiir kirchliche Zeitgeschichte" (zu ihr s.U. S. 67f); er bemühte sich, die dort kooperierenden Zeithistorikerinnen und -historiker fiir die notwendige "Klärung wissenschaftlicher Grundlagenfragen" (die nach der Ordnung jener Arbeitsgemeinschaft zu deren Aufgaben gehörte) zu motivieren. Er

1970177, Kurt-Victor SeIge 1981, Winfried Zeller 1971. Vgl. auch die systematische Zusammenfassung bei UHLlG, Christian: Funktion und Situation der Kirchengeschichte als theologischer Disziplin (EHS.T 269). FrankfurtlM.lBernlNew York 1985 (Dissertation auf dem Stand von 1976). 35 Es ist bemerkenswert, daß die von Andreas Lindt und Martin Greschat initiierte internationale Tagung von evangelischen und katholischen Zeithistorikern in HüningenlSchweiz 1985 außer einem gedankenreichen Einftihrungsvortrag von Reinhart Koselleck (s. Anm. 11) keine auf methodologische Grundfragen konzentrierte Diskussion erbrachte; Abdruck der Vorträge in: CONZEMIUS, Victor/GRESCHAT, MartinIKocHER, Hermann (Hg.): Die Zeit nach 1945 als Thema kirchlicher Zeitgeschichte. Göttingen 1988. 36 V gl. z.B. STEINBACH, Peter: Historikerstreit 1986 - mehr als ein Streit der Historiker. In: KZG 1,1988, S. 129-131; REPGEN, Konrad: Zum "Historikerstreit" - ein Resümee. In: DERS.: Von der Reformation bis zur Gegenwart. Paderborn 1988, S. 335-345.

Das Wesen der "Kirchlichen" Zeitgeschichte

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selber gab dafür einen publizistischen Anstoß 37 • Ebenfalls 1988 erschien das erste Heft einer neuen, speziell für die hier behandelte wissenschaftliche Disziplin konzipierten Zeitschrift mit dem Titel "Kirchliche Zeitgeschichte" (KZG); trotz eines sehr umfangreichen Herausgeberkreises machte sich bemerkbar, daß der spiritus rector der Unternehmung der Geschäftsführende Herausgeber Gerhard Besier (geb. 1947) war, Kirchenhistoriker damals an der Kirchlichen Hochschule Berlin. Das erste Heft wurde im Namen von sechs Herausgebern mit einer kurzen, gehaltvollen programmatischen Skizze zur hier intendierten Konzeption eröffnet38 ; entsprechende Grundsatzfragen wurden auch in den weiteren Jahrgängen bedacht oder sogar ausdrücklich thematisiert39 • Das war zweifellos ein organisatorischer Durchbruch in der bisher vernachlässigten wissenschaftstheoretischen Reflexion. (Zu inhaltlichen Aspekten s.u.) Ungefähr gleichzeitig erschien 1988 eine neue Buchreihe mit dem Titel "Konfession und Gesellschaft. Beiträge zur Zeitgeschichte", getragen von einem kleinen Kreis jüngerer Historiker und Kirchenhistoriker: Anselm Doering-Manteuffel (geb. 1949), Martin Greschat (geb. 1934), Jochen-Christoph Kaiser (geb. 1948), Wilfried Loth (geb. 1948) und Kurt Nowak (1942-2001). Als ,,Programm" ihrer koordinierten Forschungstätigkeit und Pub likationspolitik strebten diese die Annäherung der Kirchlichen Zeitgeschichte an die Standards der Allgemeinen Geschichtswissenschaft bzw. eine Integration bei der durch sozialgeschichtliche Arbeitsweise an40 • Auch das war ein Durchbruch, zumindest im konzeptionellen Anspruch. Die somit eröffnete wissenschaftstheoretische Diskussion, die von dritter Seite durch Einzelbeiträge begleitet wurde, wurde von der "Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Zeitgeschichte" im Juli 1990 durch ein spezielles Symposium zum Thema "Methode, Auftrag und

37 MEHLHAUSEN, Joachim: Zur Methode kirchlicher Zeitgeschichtsforschung. In: EvTh 48, 1988, S. 502-521; abgedruckt in: DERS.: Vestigia Verbi. Aufsätze zur Geschichte der evangelischen Theologie (AKG 72). BerlinlNew York 1999, S. 321-335. Für die künftige Forschungsarbeit formulierte Mehlhausen außerdem einige Konkretionen: Forschungsprograrnm ,,Evangelische Kirche nach 1945". In: Mitteilungen der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Zeitgeschichte F. 10, 1990, S. 1-20. V gl. EBD., S. 21-33 den Grundsatzartike1 von NOWAK, Kurt: Gesprächsbeitrag zu dem Arbeitspapier von Joachim Mehlhausen; ferner: MEHLHAUSEN, Joachim: Eine kleine Geschichte der evangelischen Kirche in der Bundesrepublik Deutschland. Erwägungen zu der Frage, warum es ein solches Buch nicht gibt. In: EvErz 42,1990, S. 419-431. 38 KZG 1, 1988, S. 3--6. Hier sind vier Grundsätze betont: das Verständnis von Zeitgeschichte als "Geschichte der lebenden Generationen"; die Implikation ethischer Kriterien im Verstehen von Geschichte; die Betonung der Ereignisgeschichte gegenüber der Sozialgeschichte; die internationale Orientierung. 39 Letzteres in Heft 1 von Jg. 5, 1992 zum Thema "Zur Historik Kirchlicher Zeitgeschichte"; s. dazu unten Anm. 52-54. 40 "Konfession und Gesellschaft: Das Programm" als Vorsatzblatt (S. VII bzw. S. 3) in jedem Band der Reihe abgedruckt. Vgl. KoGe, Bd. 1: KAISER, Jochen-Christoph/GRESCHAT, Martin: Der Holocaust und die Protestanten. Frankfurt/M. 1988, dort S. VIIf; ab Bd. 2, 1990, erscheint die Reihe in Stuttgart.

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Grundprobleme der Kirchlichen Zeitgeschichte

Arbeitsgebiete der kirchlichen Zeitgeschichte" aufgenommen41 . Naturgemäß konnte dazu kein allgemeines Einverständnis erzielt werden, doch die wesentlichen Positionen hinsichtlich der Grundsatzfragen waren nun formuliert und wurden teilweise publiziert. Die späteren Veröffentlichungen brachten nur insofern Neues, als die Kontroverse um die Aufarbeitung der Geschichte der evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik seit 1991 die Bedeutung einer exakten historiographisch-wissenschaftstheoretischen Reflexion bestätigte. Jene Diskussion soll hier nicht referiert oder systematisierend ausgewertet werden. In ihr sind fast alle der mit dem Begriff ,,Kirchliche Zeitgeschichte" verbundenen Probleme angesprochen, einige davon näher entfaltet und mit Lösungsvorschlägen bedacht worden. Im Zentrum der meisten Beiträge steht die im Epitheton "Kirchlich" implizierte Frage nach dem Proprium dieser Disziplin im Verhältnis zur Allgemeinen Zeitgeschichtsforschung bzw. die Frage nach dem Verhältnis von Theologie und Historiographie. Carsten Nicolaisen hat eine Formulierung Georg Kretschmars aufgenommen, die grundsätzlich wohl allgemein konsensfähig ist: Kirchliche Zeithistoriographie unterscheidet sich von der Allgemeinen Geschichtswissenschaft nicht durch ihre Methodik, sondern durch ihren Gegenstand, die Kirche; deswegen steht sie "in einem doppelten Loyalitätsverhältnis: einmal zur Geschichtswissenschaft, deren Teil sie ist, zum anderen (wegen ihres besonderen Gegenstandes) zur Theologie, der sie integrierend zugehört'